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German Pages 631 Year 2010
Frühe Neuzeit Band 143 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Claire Gantet
Der Traum in der Frühen Neuzeit Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte
De Gruyter
Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf
ISBN 978-3-11-023111-3 e-ISBN 978-3-11-023112-0 ISSN 0934-5531 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin / New York Druck und Einband: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
V
Danksagung Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Mai 2007 an der Fakultät Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht und ein Jahr später angenommen wurde. Ihre Entstehung und Vollendung wurde durch die freundliche Unterstützung von drei Professoren ermöglicht. Unermüdlich hat Étienne François seit 1993 meine Arbeit begleitet und betreut. Gedankt sei zudem Winfried Schulze, der mein Forschungsvorhaben bewertet und durch ein Gutachten unterstützt hat. Michael Stolberg hat das dritte Gutachten vorgelegt. Diese Arbeit wurde im Sommer 1999 begonnen, als ich als maître de conférences an der Universität Paris I – Panthéon Sorbonne dank eines Stipendiums der Mission historique Française en Allemagne (Göttingen) die Möglichkeit bekam, einen Monat in deutschen Bibliotheken und Archiven zu verbringen. Somit konnte ich in den Sommern 1999 bis 2003 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen und deren wunderbarer Forschungsbibliothek, in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden sowie in der Bayerischen Staatsbibliothek München arbeiten. Als ich im September 2003 und für zwei Jahre als Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin tätig war, konnte ich mich dieser Arbeit völlig widmen. Dort, dank der Hilfsbereitschaft der Bibliothekarinnen und zahlreicher Gespräche, insbesondere mit Fernando Vidal, habe ich viele Ansätze entdecken und einige vertiefen können. Als Förderstipendiatin am Historischen Kolleg München im akademischen Jahr 2005–2006 habe ich die Niederschrift dieser Arbeit begonnen.1 Die Niederschrift dieser Untersuchung wurde in München mittels eines Stipendiums der Gerda-Henkel-Stiftung vollendet und zu einer Zeit als ich, teilweise an der Ludwigs-Maximilian-Universität, teilweise an 1
In Folge meiner damals eingegangenen Verpflichtungen soll folgender Förderungsvermerk an dieser Stelle eingefügt werden: »Dieses Werk wurde gefördert durch einen einjährigen Forschungsaufenthalt am Historischen Kolleg in München. Das Historische Kolleg, dessen Träger die Stiftung zur Förderung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des Historischen Kollegs ist, wird finanziert aus Mitteln des Freistaates Bayern und privater Zuwendungsgeber (derzeit DaimlerChrysler-Fonds, Fritz Thyssen Stiftung, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und Stiftungsfonds Deutsche Bank).«
VI der Universität Paris I wieder unterrichten konnte. Die Druckbeihilfe wurde von der Gerda-Henkel-Stiftung schnell und unbürokratisch bewilligt. Mein Dank richtet sich an diese Institutionen, an die Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie an Lorraine Daston und Christophe Duhamelle. Für die freundlichen Abdruckgenehmigungen der Bilder danke ich Helmut Gier, Direktor der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, und Gero Seelig, Direktor der Abteilung Gemälde des Staatlichen Museums Schwerin. Thomas Biskup, Amke Ferlemann, Dorothee Kaltenbach, Nicole Reinhardt und Margrit Vogt haben viele Passagen gelesen und sprachlich verbessert. Allen voran danke ich Barbara Maier, die sich großzügig eingesetzt hat. Meine Verwandten und Bekannten bei Versailles und in Ulm »an der schönen blauen Donau« haben mich bei dieser Arbeit stets ermutigt und unterstützt. Mein ganz besonderer Dank gilt Klaus Maier und unserem Sohn Christophe Adrien, denen vorliegendes Buch gewidmet ist. München, 12. März 2009
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Inhaltsverzeichnis Einleitung
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1 Tod, Imagination und persönliche Identität um 1500 . . . . . . 1.1 Seelenheil und Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Höllenstrafen und Vorstellung bei Marsilio Ficino . 1.1.2 Die Imagination als »Kleid der Seele« . . . . . . . 1.1.3 Der spiritus phantasticus und das Jenseits . . . . . 1.2 Leibliche Auferstehung und persönliche Identität um 1500 1.2.1 Tod und leibliche Auferstehung im Spätmittelalter . 1.2.2 Leibliche Auferstehung, Imagination und Unsterblichkeit der Seele bei Jacques Lefèvre d’Étaples und Charles de Bovelles . . . . . . . . . 1.3 Die Umdeutungen in der Reformationszeit . . . . . . . . 1.3.1 Die Magie, zwischen Wissenschaft und Aberglaube 1.3.2 Seelenschlaf und Schwärmerei . . . . . . . . . . . 1.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Zwischen Kanzel, Kerker und Katheder: Die Traumdeutung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . . 55 2.1 Der vorhersagende Traum – Theorie und Praxis . . . . . . . . 59 2.1.1 Daniel und der prophetische Traum . . . . . . . . . . 59 2.1.2 Esra 4, das Buch der »eitlen Fabeln« . . . . . . . . . . 64 2.1.3 1 Samuel 28 und die Gespenstererscheinungen . . . . 67 2.1.4 Traum und politisch-konfessionelle Aktualität . . . . . 68 2.2 Zwischen Geistgabe und Verlagskonkurrenz: Die Traumbücher und ihr Buchmarkt . . . . . . . . . . . . . 73 2.2.1 Traumbuech/ Artemidori deß Griechischen Philosophi 76 2.2.2 Zwischen Hofkultur und Scharlatanerie . . . . . . . . 83 2.3 Traum und Geist in den Traktaten De anima von Melanchthon 88 2.3.1 Die »Erinnerung« (1554) und die Schwärmerei . . . . 89 2.3.2 Die Anatomie der Seele in Commentarius de anima (1540) und Liber de anima (1553) . . . . . . . . . . . 91 2.3.3 Spiritus, heiliger Geist und Magie . . . . . . . . . . . 97 2.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
VIII 3 Wunder, Aberglaube oder Wahn: Die Zuordnungen des Traums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 3.1 Divinationskünste und Seelenkräfte um 1550 . . . . . . . . 3.1.1 Die Melanchthonsche Einbettung der ›paganen‹ Wahrsagungskünste . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Caspar Peucer und die naturwissenschaftliche Wahrsagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Macht der Imagination und Zufälligkeit der Wahrsagung in ausgewählten katholischen Traktaten 3.2 Melancholie und Imagination, 1550–1590 . . . . . . . . . 3.2.1 ›Medizinische Rationalität‹ und »Gewalt der Einbildung« . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Wissensstandards zur teuflischen Besessenheit . . . 3.3 Erkenntnis und Seele: Die Einordnungen der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Naturgesetze, Divinationskünste und Einordnungen der Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Imagination, Sehsinn und sinnliche Erkenntnis . . . 3.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 108 . 110 . 111 . 120 . 127 . 134 . 142 . 150 . 164 . 164 . 169 . 183
4 Traum, Seele und Selbsterkenntnis, 1550–1650 . . . . . . . . . . 4.1 Gottes- und Selbsterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Auf der Suche nach dem ›inneren Menschen‹ . . . . . 4.1.2 Die Vision als Merkmal des Enthusiasmus . . . . . . 4.1.3 Verstand und Körper im Erleuchtungsprozess unter den ersten Schwärmern . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Gnothi seauton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Welt- und Selbsterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Alchemistische Frömmigkeiten . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Vision, Gewissen und Erkenntnis während des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Das Helldunkel der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . 4.3 Wissenschaft von der Seele und Selbsterkenntnis . . . . . . 4.3.1 Daniel Sennert und die ›äußere Erkenntnis‹ . . . . . . 4.3.2 Traum und »Ichheit« bei Johann Baptista van Helmont 4.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
189 196 198 206
5 Traum, Politik und Kommunikation im 17. Jahrhundert 5.1 Klugheit, Affekte und Augen des Gemüts . . . . 5.1.1 Der Körper und die Seele des Fürsten . . . 5.1.2 »Anatomia corporis politici« . . . . . . . 5.1.3 Das Auge und das Ohr der Politik . . . . . 5.1.4 Das Durchschauen der Affekte . . . . . .
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IX 5.2 Wie-im-Traum-sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Traum, Satire und ›krankes Ich‹ während des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Träume und politischer Rausch . . . . . . . . . . 5.2.3 Politische Träume, Selbsterkenntnis und Ästhetik 5.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . 309 . . . .
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6 Eine Psychologisierung des Ich? Die Niederschrift des Traums – einige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Präliminarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Der Umgang mit wahrsagenden Träumen . . . . . . 6.1.2 Schlaf und Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Träume eines ›begabten‹ Mediziners: Girolamo Cardano (1501–1576) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Träume und Lebensbeschreibung . . . . . . . . . . . 6.2.2 Ars interpretandi und ars memoriae . . . . . . . . . 6.3 Archive des Lebens: Sigmund von Birkens Tagebücher (1660–1679) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Schreiben, ordnen, sammeln . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Das Leben festhalten und deuten . . . . . . . . . . . 6.4 Biblisch-leibgeistliche Träume im pietistischen Umfeld . . . 6.4.1 Neue göttliche Träume . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Eine biblische ars memoriae: Traumberichte in Johanna Eleonora Petersens Autobiographie (1689) . 6.4.3 Selbstbeobachtungen eines Kranken: Adams Bernds Eigene Lebens-Beschreibung (1738) . 6.5 Träume eines wachenden Wissenschaftlers: Johann Gottlob Krügers Träume (1754) und Experimental-Seelenlehre (1756) . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 358 . 361 . 367 . . . . .
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. 396 . 401
. 413 . 426
7 Bewusstsein, Einbildungskraft und persönliche Identität um 1750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Eine Säkularisierung der Traumdeutung? . . . . . . . . . . . 7.1.1 Eine Götterdämmerung des ›übernatürlichen Traums‹? 7.1.2 Traumbücher gegen den Aberglauben? . . . . . . . . . 7.1.3 Variationen über die leibliche Auferstehung . . . . . . 7.2 Bewusstsein, Halbbewusstsein und persönliche Identität . . . 7.2.1 Das Halbbewusstsein im Traum . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Einbildungskraft und persönliche Identität . . . . . . . 7.2.3 Schwärmerei und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . .
429 432 432 437 442 444 445 449 454
X Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 1 Wissenschaftliche Revolution und ›Entzauberung der Welt‹ . 463 2 Eine Psychologisierung des Traums? . . . . . . . . . . . . . 468 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Einige graphische Darstellungen des Traums 2 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . 3 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . 4 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . 5 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung Wohl kaum eine andere Epoche beschäftigte sich so intensiv mit dem Traum wie die Frühe Neuzeit. Überall im Europa des 17. Jahrhunderts kursierten ähnliche Topoi: »Ceux qui ont apparié nostre vie à un songe ont eu de la raison« (Montaigne, Essays, II, 12, 1580), »To die, to sleep;/ To sleep: perchance to dream: ay, there’s the rub;/ For in that sleep of death what dreams may come/ When we have shuffled off this mortal coil,/ Must give us pause …« (Shakespeare, Hamlet, 1602), »What is the stuff that dreams are made of?« (Shakespeare, The Tempest, 1603), »il faudrait dire que le veiller et le songer ne sont qu’une même chose, et que toute notre vie n’est qu’un songe ou un veiller perpétuel et non interrompu« (Jean de Silhon, De l’Immortalité de l’âme, 1634), La vida es sueño (Calderón, 1636), »Menschlicher Lebenß Traum« (Gryphius, 1637), »Putabo cœlum, aerem […] nihil aliud esse quam ludificationes somniorum, quibus insidias credulitati meae tetendit« (Descartes, Meditatio I, 1641), »I am well satisfied, that being awake, I know I dream not, though when I dream I think myself awake« (Hobbes, Leviathan, 1651), und noch im 18. Jahrhundert »Der Traum ist ein Leben, das, mit unserm übrigen zusammengesetzt, das wird, was wir menschliches Leben nennen« (Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, 1765–1799, S. 565 [F743]). Kurzum: Das Leben gleiche einem Traum, d. h. geistigen Bildern, die sich im Schlaf der Seele vorstellen und die Imagination beschäftigen. Grundlage dieser Metapher war das metaphysische Problem der Unterscheidung zwischen Schlaf und Wachzustand sowie die Frage nach der Bestimmung von Wirklichkeit und Wahrheit. Der Spruch ›Das Leben ist ein Traum‹ tauchte im 17. Jahrhundert derart häufig auf, dass er als Ausdruck einer barocken Weltanschauung gilt, die solch paradoxe Metaphern besonders schätzte: Er fasst die Dualität von Sein und Schein zusammen. Dieser allgemeinen Vorstellung wohnten jedoch verschiedene abweichende Deutungsmöglichkeiten inne. Die Nähe von Leben und Traum konnte einerseits religiös oder moralisch, im Sinne der vanitas weltlicher Angelegenheiten, andererseits auch metaphysisch interpretiert werden. In dieser letzten Bedeutung verweist der Satz auf die Schwierigkeit, sicheres Wissen zu erlangen. Laut der Seelenlehre des Aristoteles war alles Wissen letztlich auf eine sinnliche Erkenntnis zurückzuführen, doch wenn die Sinneswahrnehmung im Wachzustand ebenso trügerisch war wie ein Traumbild, nach welchen Kriterien ließ sich
2 dann die Wahrnehmung im Wachzustand von jener im Traum unterscheiden? Liegt der Akzent jedoch auf ›Leben‹, so lässt sich die Aussage ›Das Leben ist ein Traum‹ so verstehen, dass das Leben wie ein Traum wahrgenommen und beurteilt wird, oder nur als Vorspiel oder Vorbereitung auf den Tod. Rückt man den Traum in den Mittelpunkt, so verweist der Satz auf die Flüchtigkeit des Lebens oder auf die zentrale Stellung der Lüge im Leben. Man kann ihn aber auch so auffassen, dass der Traum ein zweites Leben darstellt, oder wie Calderón, die Irrealität des Traums1 betonen. Dies lässt sich wiederum entweder metaphysisch – wie bei Calderón – oder einfach moralisch – wie in Boisroberts etwas platter französischer Prosaübersetzung (1657)2 verstehen. Der Spruch ›Das Leben ist ein Traum‹ konnte neben den bereits erwähnten moralischen und metaphysischen auch religiöse und politische Bedeutungen annehmen. Er konnte auch auf die Wahrnehmung des irdischen Lebens als Wallfahrt, auf spezifische Vorstellungen vom Tod oder aber auf konkrete Kriegserfahrungen anspielen. Diese Deutungsmuster zeigen, dass die Sinnbestimmung des Traumes vom jeweiligen Kontext, Autor und Träger abhing. Eine Untersuchung des Traums verlangt daher nach präziser lokaler, kultureller, religiöser, politischer und wissenschaftlicher Kontextualisierung. Um 1500 existierte zwar in Europa ein bestimmtes Grundwissen über den Traum, das von der Philosophie Aristoteles’ (384–322 v. Chr.) und den medizinischen Schriften Galens (ca. 129–216 n. Chr.) geprägt war, deren Lehren über die Jahrhunderte teilweise christianisiert worden waren. Weitverbreitet waren folgende Behauptungen: Die Seele sei einerseits die Form des Leibes, das Prinzip des Lebens, andererseits unsterblich; der Erkenntnisakt laufe von der Wahrnehmung der Daten der äußeren Dinge durch die fünf Sinne (Seh-, Hör-, Geruch-, Tastsinn und Geschmack) hin zu Imagination, Verstand und Gedächtnis; natürliche Träume rührten von den Körpersäften her, die sich während der Verdauung vom Magen bis in das Gehirn ausbreiteten, wo sie verinnerlichte Bilder in der Imaginationskammer wiedererweckten; es gebe aber 1
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»¿Qué es la vida? Un frenesí. / ¿Qué es la vida? Una ilusión, / una sombra, una ficción, / y el mayor bien es pequeño; / que toda la vida es sueño, y los sueños sueños son.«, Pedro Calderón de la Barca: La vida es sueño. Hg. von Ángel L. Cilveti. Salamanca 1970 (Biblioteca Anaya 3), Segunda jornada, V. 2179–2187. Wörtlich: »Was ist das Leben? Ein Wahn./ Was ist dann das Leben? Eine Täuschung,/ ein Schatten, eine Fiktion;/ das größte Gut ist wirklich wenig,/ da alles Leben nur ein Traum ist,/ und die Träume nur Träume sind.« Vgl. dazu Gerhard Poppenberg: Traumleben, Traumpolitik. Calderóns Konzeption des Traums in »La vida es sueño«. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten im Europa von Renaissance und Barock. Hgg. von Peer Schmidt, Gregor Weber. Berlin 2008 (Colloquia augustana 26), S. 147–164. François Le Metel de Boisrobert: La Vie n’est qu’un songe. In: Les Nouvelles héroïques et amoureuses. Nouvelle Quatrième. Paris 1657. Zitiert nach: Florence Dumora: L’Œuvre nocturne. Songe et représentation au XVIIe siècle. Paris 2005 (Lumière classique 60), S. 165.
3 auch übernatürliche Träume, die den Körper – bis auf ein ›geistiges Auge‹ – nicht mit einbezogen, sondern die unmittelbar bewirkt wurden. Das Nebeneinander solcher Prinzipien, insbesondere der Zusammenhang von geistigen und physiologischen Komponenten des Traums, warf allerdings überall und immer auch Fragen auf. Um 1750 schließlich zerfielen die aristotelischen Kategorien während sich zugleich physiologisches Wissen zunehmend durchsetzte. Diese Grundformen des Wissens über den Traum und ihr Wandel konnten jedoch je nach Kontext erheblich variieren. In Frankreich beispielsweise übten die ›gelehrten Freidenker‹ (libertins érudits) im 17. Jahrhundert und einige Materialisten im 18. Jahrhundert einen beträchtlichen Einfluss aus. Im Heiligen Römischen Reich hingegen waren religiöse und konfessionspolitische Herausforderungen wie die ›Schwärmerei‹ und die Frömmigkeit, religiös-wissenschaftliche Vorstellungen einer ›magischen Medizin‹, politische Entwürfe bezüglich der Durchschaubarkeit des Menschen sowie methodische Überlegungen zur Wissenschaft der Seele tonangebend. Warum war die Bestimmung der Traumdeutung und -analyse so präsent und so heikel? Diese Arbeit untersucht jenes Wissen, auf das bei der Interpretation des Traumprozesses sowie bei der Deutung, Einordnung und Niederschrift von Träumen zurückgegriffen wurde. Sie beschäftigt sich darüber hinaus mit der Stellung des Wissens über den Traum in der Wissenschaft im Heiligen Römischen Reich im Zeitraum zwischen 1500 und 1750. Es sei vorab geklärt, dass der Historiker keine Geschichte der Träume, sondern nur jene der Überlegungen zu Traumzustand und -aktivität schreiben kann. Eine Annäherung an ein vergangenes kollektives Unbewußtes wird in dieser Arbeit nicht unternommen. Der Traum war im Übrigen keine rein private Eingebung, vielmehr rief er einen ganzen Fragenkomplex auf, der niemanden gleichgültig lassen konnte: er markierte die Schnittstelle zwischen Gott und Teufel, Himmel und Erde, Prophetie und Aberglauben, Leib und Seele, Wahrheit und Irrtum. Deshalb wird hier eine in mehreren Sinnen ›offene‹ Geschichte vorgeschlagen, die unterschiedliche, bislang von Historikern isoliert betrachtete Gesichtspunkte zusammenführt. Als Quellen habe ich (›echte‹ oder ›fiktive‹)3 Traumberichte sowie Schriften und Bilder über den Traum herangezogen, die im Heiligen Römischen Reich gelesen und debattiert wurden, und die die Reichweite meiner Frage3
Diese komplexe Frage, die ausführlicher in der Einleitung des 6. Kapitels erörtert wird, soll uns vorerst nicht beschäftigen. Dieser Arbeit geht keine eindeutige und definitive Definition von der Fiktion voraus, sondern sie untersucht die jeweiligen historischen Bestimmungen der Fiktion. In der Frühen Neuzeit wurden ähnliche Interpretationsmuster auf fingierte und auf ›echte‹ Traumberichte angewandt. Über die Versprachlichung des Traumproblems, vgl. Ian Hacking: Dreams in Place. In: The Journal of Aesthetics an Art Criticism 59 (2001), S. 245–260.
4 stellung abdeckten. Hierzu gehören im Rahmen einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte konfessionelle Deutungen, medizinische Interpretationen und rhetorisch-politische Praktiken. Um das reiche Quellenmaterial ausführlich bearbeiten zu können, wurden einige Aspekte bewusst ausgeklammert, wie z. B. Quellen, insbesondere zahlreiche Utopien, die das Traummotiv lediglich metaphorisch verwenden. Die Sprache hat in der Literatur einen besonderen Status; Bilder besitzen ebenfalls eine ihnen eigene Sprache. Deshalb werden die zahlreichen Facetten der Rezeption der Antike und ihrer literarischen Verarbeitung nicht behandelt. Bilder werden nur in ihrer epistemologischen Dimension kommentiert, ihr rein ästhetischer Charakter wird hingegen ausgeklammert. Die medizinischen Schriften werden ebenfalls nur in ihren Bezügen zu meiner Fragestellung kommentiert. Um übermäßige Länge zu vermeiden, habe ich auf eine Darstellung der umfangreichen medizinischen Diskussion um pathologische Träume, den incubus mit seinen vielfältigen körperlichen Ursachen, verzichtet. Die herangezogenen Quellen werden in einer doppelten Weise kontextualisiert: sie werden erstens in ihren jeweiligen historischen und intellektuellen Kontext, zweitens in ihre jeweilige Gattung eingebettet. Das Heilige Römische Reich bildet in der Tat aufgrund der Intensität der Humanismusrezeption, der vielfältigen ausländischen Einflüsse und der religiösen Ansätze, seiner Universitätsstruktur und der sich daraus ergebenden Gelehrtendebatte einen ausgesprochen reichhaltigen Untersuchungsrahmen. Wie bereits angedeutet, habe ich dennoch nicht nur Schriften, die im Reich selbst verfasst wurden, sondern alles, was dort gelesen und erörtert wurde, analysiert. Die Rezeption italienischer, helvetischer, englischer und französischer Literatur spielte eine nicht unerhebliche Rolle. Das Heilige Römische Reich wird deshalb als ›offen‹ betrachtet. Als zeitliche Grenzen habe ich den Anfang des 16. Jahrhunderts mit Humanismus-Rezeption und Reformation und die Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Etablierung eines Standardwissens über den Traum gewählt. In diesem Zeitraum lässt sich eine Verschiebung der Traumproblematik feststellen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts richtete sich das Augenmerk auf den Status der Seele nach dem Tod und vor dem Jüngsten Gericht, folglich auf die Definition der persönlichen Identität des Menschen. Da Erkenntnis im Sammeln und Einordnen von Zeichen und in der Formulierung von Mutmaßungen bzw. Vorhersagen bestand, nahm der Traum innerhalb der Modi der divinatio eine herausragende Stellung ein. Die Vermischung religiöser und wissenschaftlicher Kriterien für die Bestimmung einer geeigneten Wahrsagung trug zur Entstehung einer allgemeinen Debatte über die jeweiligen Grenzen der natürlichen, außernatürlichen (hier sind alle außerordentlichen kosmischen Phänomene wie das Auftauchen eines Kometen oder ein Erdbeben gemeint) und übernatürlichen, d. h. göttlichen Bereiche bei. Als in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die kommunikative
5 Dimension des Menschen und seine Affekte in das Blickfeld der Gelehrten rückten, wurde der Fragenkreis der Selbsterkenntnis politisiert und ästhetisiert. Der Traum wurde nun weniger von einem ontologischen und hermeneutischen als von einem ästhetischen Gesichtspunkt her hinterfragt. Diese Verschiebung zur Ästhetik und ihre Folgen für den Status des Traumes in der Wissenschaft war noch für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts prägend. Kernfrage war daher, wie sich der Traum adäquat untersuchen ließ angesichts der enormen Vieldeutigkeit, die sich aus der paradoxalen ›Erfahrung‹ des Traums ergab. Im 16. Jahrhundert versuchte man, den Traum vom Standpunkt des Wachzustands aus durch virtuelle Rekonstruktion oder durch Analyse des Aufwachmoments, in dem der Traum begriffen und berichtet wurde, zu erfassen. Im 18. Jahrhundert wurde er als Erfahrung, d. h. von dem quasi unmöglichen Gesichtspunkt des Schlafes her erörtert. Wie bereits erwähnt, zog die Bestimmung des Traums spezifische Einsichten über die Seelenkräfte (facultates animae)4 und den leibseelischen Zusammenhang, d. h. gewisse Vorstellungen von der persönlichen Identität und von der Realität nach sich. Am Beispiel des Traums lässt sich demnach hinterfragen, wie sich kulturelle und wissenschaftliche Grundzüge mit Identitätsfragen verknüpfen konnten. Die Idee einer Untersuchung des Stellenwerts des Traums im Heiligen Römischen Reich kam mir, als ich während meiner Dissertation die Tagebücher Sigmund von Birkens (1626–1681) las und darin mehr als 50 Traumberichte entdeckte. Dadurch wurde ich natürlich zunächst zu anthropologischen Ansätzen geführt. Eine Untersuchung des Träumens mit Hilfe der historischen Anthropologie5 schien selbstverständlich, denn die historische Anthropologie widmet sich der »Untersuchung von Wahrnehmungs- und Deutungsmustern elementarer Erfahrungen menschlichen Lebens in den handlungs- und verhaltensleitenden kulturspezifischen Ordnungen, die die4
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Wie die Imagination und der Verstand galt das Gedächtnis in der Frühen Neuzeit als ein Seelenvermögen (facultas animae). Der deutsche Terminus Vermögen steht im Singular. Ich bezeichne die unterschiedlichen Funktionen der Seele als Seelenkräfte (facultates animae). Die historische Anthropologie verdankt ihre Entstehung vorwiegend den Ansätzen angelsächsischer Historiker wie Peter Brown, Peter Burke, Robert W. Scribner und Ronnie Po-Chia Hsia. In Deutschland begegnete die Sozialgeschichte der Bielefelder ›Schule‹ ihr zunächst mit Zurückhaltung. Sie etablierte sich spätestens nach der Pionierarbeit von Kaspar von Greyerz über den Wandel des Vorsehungsglaubens in englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts und die Zirkulation astrologischen Wissens in der englischen Gesellschaft. Inzwischen ist sie in eigenen Instituten (Interdisziplinäres Zentrum für Historische Anthropologie der Freien Universität Berlin, Arbeitsstelle Historische Anthropologie an der Universität Erfurt) und seit 1993 mit der Zeitschrift »Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag« sowie Schriftenreihen wie »Selbstzeugnisse der Neuzeit« vertreten. Von dieser Institutionalisierung zeugen auch verschiedene Handbücher sowie einzelne Untersuchungen zur frühen Neuzeit.
6 ses Leben formen«.6 Bald zeigte sich jedoch, dass die Untersuchung der zeitgenössischen Auffassungen des Träumens und dessen leibseelischer Hintergrunds, des ›Ich‹, der ›Person‹ oder der ›persönlichen Identität‹ eine starke Historisierung solcher anthropologischer Begriffe notwendig machte.7 Daher sollen die Ansätze der historischen Anthropologie hier durch eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive ergänzt werden. Unter Wissenschaftsgeschichte verstehe ich nicht die Geschichte einer wissenschaftlichen Disziplin, sondern die historische Epistemologie, die sich vor allem in den angelsächsischen Ländern neben der intellectual history entwickelt hat, und die sich mit der historischen Entwicklung und den kulturellen und sozialen Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse befasst. Sie untersucht die Entwicklung von Grundbegriffen des wissenschaftlichen Denkens wie ›Natur‹, ›Realität‹, oder ›Beweis‹ sowie den Wandel der Auffassungen von den Erkenntnisprozessen.8 Ihrem frühneuzeitlichen Verständnis9 entsprechend handelt es sich dabei um eine ›poröse‹, für magische, religiöse und reformatorische Vorstellungen offene Wissenschaft. So war zum Beispiel um 1600 die Frömmigkeit von gewissen wissenschaftlichen Hoffnungen durchdrungen.10 Somit zielt die Wissenschaftsgeschichte auf eine Historisierung von Begriffspaaren, die oft in der Philosophie verwendet werden, wie z. B. Vernunft versus Imagination, Realität versus Fiktion und dergleichen.11 Mein Augenmerk richtet sich dennoch weniger auf die Begriffe selbst als primär auf die sozialen, kulturellen und intellektuellen Rahmenbedingungen ihrer Entstehung, Verwendung und Entwicklung. 6
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Peter Burschel: Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit. München 2004 (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 35), S. 4 mit weiterführender Literatur. Vgl. die vorzügliche Untersuchung von Adriano Prosperi: Die Gabe der Seele. Geschichte eines Kindsmordes. Frankfurt am Main 2007. Vgl. Shapin Steven, Shaffer Simon: Leviathan and the air-pump. Hobbes, Boyle, and the experimental life. Including a translation of Thomas Hobbes, Dialogus physicus de natura aeris, by Simon Shaffer. Princeton 1985; Peter Dear: Miracles, Experiments, and the ordinary Course of Nature. In: Isis 81 (1990), S. 663–683; Steven Shapin: A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England. Chicago/London 21995 (Science and Its Conceptual Foundations); Lorraine Daston: The Moral Economy of Science. In: Osiris 10 (1995), S. 2–24; Dies.: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt am Main 2001 (Fischer Taschenbuch Wissenschaft 14763). Vgl. Steven Shapin: The Scientific Revolution. Chicago/London 1996. Dt: Die wissenschaftliche Revolution. Frankfurt am Main 1998, insbesondere S. 14 und 139–191; Charles Webster: From Paracelsus to Newton. Magic and the Making of Modern Science. Cambridge u. a. 1982. Vgl. S. 237–253. Zu dieser Thematik, vgl. Charles Webster: The Great Instauration. Science, Medicine and Reform 1626–1660. New York 1975. Für die philosophische Tradition, vgl. den Überblick von Petra Gehring: Traum und Wirklichkeit. Zur Geschichte einer Unterscheidung. Frankfurt am Main/New York 2008.
7 Eine Wissenschaftsgeschichte des Traums in der frühen Neuzeit gibt es bisher nicht. Wie nicht anders zu erwarten, eigneten sich Träume besonders zu Anthologien, d. h. zu disparaten Sammlungen literarischer Einzeltexte oder Auszüge.12 Kohärenter sind zwei jüngst erschienene literarische Überblicksdarstellungen, die eine kulturwissenschaftliche Erweiterung der Literaturwissenschaft vor allem in anthropologischer Perspektive anstreben. In einem aufgrund des unerwarteten Todes seines Autors unvollendeten Werk, das auf von 1988 bis 1991 gehaltenen Vorlesungen beruht, hat Wilhelm Richard Berger eine Charaktisierung invarianter Strukturen des Traumes und des literarischen Traumtextes vorgeschlagen. Beklagenswert ist allerdings, dass er dabei, zwischen den Träumen der Antike und der ›Moderne‹ (seit der Romantik), das frühneuzeitliche Träumen nicht miteinbezieht.13 Im Jahre 2002 erschien die ambitionierte Darstellung von Peter-André Alt, die das Traum-Motiv von der Antike bis zu Freud und Kafka untersuchte14 und die Quellengrundlage erheblich erweiterte: Kommentiert wurden nicht nur Traumtexte von Dichtern, sondern auch von Philosophen und Medizinern. Der Historiker mag hier die eher knappe Kontextualisierung der zahlreichen herangezogenen Texte bedauern. Wichtige Fragenkomplexe der Diskussion wie die Religion, der Enthusiasmus und die ›Schwärmerei‹, die leibliche Auferstehung, Überlegungen zur Grenzziehung zwischen natürlichen, außernatürlichen und übernatürlichen Sphären, die politische Hinterfragung der Selbsterkenntnis und schließlich die wissenschaftliche Analyse der Seele bleiben völlig ausgespart. Erhellender sind in dieser Hinsicht die Dissertation von Florence Dumora über literarische Traumtexte in Frankreich im 17. Jahrhundert in strukturalistischsemiotischer Perspektive sowie vor allem einige Aufsätze von Manfred Engel über den Traum in der Literatur des 18. Jahrhunderts, in denen er literarische Traumtexte mit den zeitgenössischen Traumtheorien verglich.15 Unter Historikern wurden Träume bislang vorwiegend von Mediävisten in der Perspektive der Ikonologie und einer philologisch begründeten histo12
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Am ausführlichsten Ignaz Jeˇzower: Das Buch der Träume. Berlin 1928. Weniger umfassend: Songes de la Renaissance. Hg. von Françoise Joukovsky, Paris 1991 (Bibliothèque médiévale); sowie aus der Feder einer Mitarbeiterin von Carl Jung, MarieLouise von Franz: Träume. Einsiedeln 22002 (1985). Wilhelm Richard Berger: Der träumende Held. Untersuchungen zum Traum in der Literatur. Aus dem Nachlass hg. und mit einem Nachwort versehen von Norbert Lennartz. Göttingen/Namur 2000 (Langues et Littératures 3). Peter-André Alt: Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit. München 2002, S. 13. Dumora (2005). Dumora bezog sich darin auf den Repräsentationsbegriff von Louis Marin. Manfred Engel: Traumtheorie und literarische Träume im 18. Jahrhundert. Eine Fallstudie zum Verhältnis von Wissen und Literatur. In: Scientia Poetica 1998/2, S. 97–128; vgl. auch die unterschiedlichen Beiträge folgendes Sammelbandes: The Dream and the Enlightenment. Le Rêve et les Lumières. Hgg. von Bernard Dieterle, Manfred Engel. Paris 2003 (Études internationales sur le dix-huitième siècle. International Eighteenth-Century Studies 7).
8 rischen Anthropologie behandelt.16 Trotz der Existenz reichhaltigen Materials haben die Frühneuzeit-Historiker solche Quellen lange Zeit vernachlässigt. Ihre inhaltliche Komplexität und befremdliche Textur mögen hierbei eine Rolle gespielt haben. Selbst in informativen Einführungen wurde der Traum, wenn überhaupt, aus einer teleologischen Perspektive betrachtet, so dass frühneuzeitliche Traumdeutungen lediglich als Vorgeschichte der Psychoanalyse Freudscher Prägung erschienen.17 Vor einer solchen Deutung warnte jedoch Manfred Engel mit folgendem Plädoyer: Glaubt man der überwältigenden Mehrheit der Sekundärliteratur, so muß fast jeder Traumdichter seinen Freud (oder vielleicht ja auch seinen Jung oder seinen Lacan) im imaginativen Tornister mit sich geführt haben. Solche Aussagen sind nicht nur erkenntnistheoretisch unhaltbar, sondern auch noch kontraproduktiv.18
Die vorliegende Arbeit ist keine Vorgeschichte der Psychologie oder der Psychoanalyse. Sie bezieht sich in keinerlei Hinsicht auf die Psychoanalyse. Dies liegt weniger an Fragen bezüglich der Legitimität dieser Wissenschaft oder ihrer angeblich mangelnden Historizität.19 Als Historikerin bin ich viel16
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Paul Diepgen: Traum und Traumdeutung als medizinisch-naturwissenschaftliches Problem im Mittelalter, Berlin 1912; Peter Dinzelbacher: Vision und Visionsliteratur im Mittelalter, Stuttgart 1981 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 23); Steven R. Fischer. Dreambooks and the Interpretation of Medieval Literary Dreams. In: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), S. 1–20; Jacques Le Goff: L’Imaginaire médiéval. Essais. Paris 1991 (11985) (Bibliothèque des Histoires), S. 263–330; Träume im Mittelalter. Ikonologische Studien. Hgg. von Bagliani Agostino Paravicini, Giorgio Stabile. Stuttgart/Zürich 1989; Klaus Speckenbach: Jenseitsreisen in Traumvisionen der deutschen Literatur bis ins ausgehende 15. Jahrhundert. In: Archiv für Kulturgeschichte 73 (1991), S. 25–59; Steven F. Kruger, Dreaming in the Middle Ages. Cambridge 1992 (Cambridge Studies in Medieval Literature 14); Traum und Träumen. Inhalt. Darstellung. Funktionen einer Lebenserfahrung in Mittelalter und Renaissance. Hg. von Rudolf Hiestand. Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 24); Jean-Claude Schmitt: Le Corps, les rites, les rêves, le temps. Essais d’anthropologie médiévale. Paris 2001. Vgl. Lester G. Crocker: L’analyse des rêves au dix-huitième siècle. In: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 23 (1963), S. 271–310; J. Allan Hobson, Peretz Lavie: Origin of Dreams: Anticipation of Modern Theories in the Philosophy and Physiology of the Eighteenth and and Nineteenth Centuries. In: Psychological Bulletin 100/2 (1986), S. 229–240; Nancy Armstrong, Leonard Tennenhouse: The Interior Difference. A Brief Genealogy of Dreams, 1650–1717. In: Eighteenth Century Studies 23 (1990), S. 458–478. Antike Träume wurden ihrerseits vor allem von Gregor Weber erforscht. Gregor Weber: Herrscher und Traum in hellenistischer Zeit. In: Archiv für Kulturgeschichte 81/1 (1999), S. 1–33; Ders.: Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike. Stuttgart 2000 (Historia, Einzelschriften 143); Ders.: Augustus und die Träume. In: Propaganda, Selbstdarstellung, Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jhs. n. Chr. Hgg. von Gregor Weber, Martin Zimmermann. Stuttgart 2003, S. 297–316 (Historia, Einzelschriften 164). Manfred Engel: Traumtheorie und literarische Träume im 18. Jahrhundert. Eine Fallstudie zum Verhältnis von Wissen und Literatur. In: Scientia Poetica 2 (1998), S. 97–128, hier 98. Vgl. Peter Burke: L’histoire sociale des rêves. In: Annales, Économies, Sociétés, Civilisations 28/2 (1973), S. 329–342. Deutsche Übersetzungen: Ders.: Für eine Geschichte
9 mehr vorwiegend bemüht, die historisch kursierenden Vorstellungen zu rekonstruieren und Anachronismen zu vermeiden. Bevor ich mir psychoanalytische Begriffe zu eigen hätte machen können, wäre auch noch eine langwierige, zeitaufwendige Studie sämtlicher Traumtheorien des 19. Jahrhunderts vonnöten gewesen.20 Die Verwendung psychoanalytischer Begriffe hätte vor allem deren partielle ›Übersetzung‹ bzw. ›Übertragung‹ benötigt, da sie auf eine Therapie zielen. Auf jenes heikle Verfahren habe ich verzichtet. Erste Ansätze zum Thema des Traums für die Epoche der Frühen Neuzeit kamen aus der Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Bereits im Jahre 1973 widmete Peter Burke dem frühneuzeitlichen Traum einen wegweisenden Aufsatz, in welchem er sich auf eine Kulturgeschichte (histoire sociale im französischen, weiten Sinne) berief und erstmalig vier puritanische Tagebücher erschloss.21 Diese Perspektive wurde durch einen Aufsatz von Sebastian Leutert, in dem er die »Psychologisierung des Traums« in vielen Tagebüchern des 16. bis 18. Jahrhunderts erforschte, weitergeführt. In Ermangelung einer Untersuchung der zeitgenössischen (wenngleich gelehrten) Auffassungen von der Seele schrieb er einen zwar quellenbezogenen, sehr hilfreichen Text, beschränkte und verschob jedoch die ›Psychologisierung des Traumes‹ auf die Säkularisierung der Vorsehung.22 Dennoch bleibt die Erforschung des Stellenwerts des Traumes ein weitgehend brachliegendes wissenschaftliches Feld.23 Die erwartete, im Entstehen begriffene Habilitationsschrift von Marion Kintzinger wird hingegen einen primär kommunikationshistorischen Ansatz entfalten.24
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des Traumes. In: Freibeuter 27 (1986), S. 50–65; Ders.: Eleganz und Haltung. Berlin 1998, S. 37–62, wonach die Psychoanalyse ein ewig-starres Interpretationsmuster vorschlägt. Der Fragenkreis ist jedoch viel komplexer. Vgl. Die Lesbarkeit der Träume. Zur Geschichte von Freuds »Traumdeutung«. Hgg. von Lydia Marinelli, Andreas Mayer. Frankfurt am Main 2000; Andreas Mayer: L’histoire collective de L’Interprétation des rêves de Freud. In: Esprit 309 (2004), S. 108– 129; Jacqueline Carroy: Dreaming Scientists and Scientific Dreamers: Freud as a Reader of French Dream Literature. In: Science in Context 19/1 (2006), S. 15–35. Diese Untersuchungen zeigen, dass Freuds Traumdeutung auf den Traumtheorien des 19. Jahrhunderts und den zeitgenössischen Hinterfragungen des ›Unbewußten‹ beruhte. Burke (1973). Sebastian Leutert: »All dies, was mir mein Genius vorgezeichnet hatte.« Zur Psychologisierung des Traumes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. In: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500–1850). Hgg. von Kaspar von Greyerz, Hans Medick, Patrice Veit. Köln/ Weimar u.a. 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9), S. 251–273. Der Sammelband betitelt »Traum und res publica« (siehe oben Anm. 1) erschließt den Traum ausschließlich als Motiv politischer Propaganda. Marion Kintzinger: Wirtshausgeschwätz. Traumerzählungen in der politischen Publizistik des 17. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für historische Forschung 29/4 (2002), S. 561–596.
10 Eine allgemeine Geschichte und eine Wissenschaftsgeschichte des Stellenwerts des Traums stellen daher nach wie vor ein Novum dar. Die Wissenschaftsgeschichte im Sinne einer historischen Epistemologie hat sich bislang vorwiegend mit naturwissenschaftlichen Themen beschäftigt. Die erste, solide dokumentarisch belegte Wissenschaftsgeschichte der Seele wurde von Fernando Vidal im Jahre 2006 vorgelegt.25 Selbst für das 19. Jahrhundert sind Geschichten des Traumes im Kontext der Herausbildung der Psychologie noch weitgehend im Projektstadium und kaum abgeschlossen.26 Ihr Manko in Bezug auf die Frühe Neuzeit ist sicherlich teilweise auf die komplexe Frage der Imagination zurückzuführen.27 Trotz einiger erhellender Forschungen – hier seien vor allem die Werke von Stuart Clark über die wissenschaftliche Dimension der Dämonologie sowie von Lorraine Daston und Katharine Park über Monstren und Wunder als Indikatoren einer Grenze zwischen dem natürlichen und dem übernatürlichen Bereich genannt28 – bleibt die Wissenschaftsgeschichte häufig ungenügend kulturell kontextualisiert. Schlüsselphänomene wie Schwärmerei oder Frömmigkeit sind nach wie vor eher bei den ›klassischen‹ Historikern verortet und Gegenstand enger kirchlich-theologischer oder religionsgeschichtlicher Darstellungen. Im bewussten Gegensatz hierzu ging es mir darum, sie von kategorialen Be-
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Fernando Vidal: Les Sciences de l’âme, XVIe-XVIIIe siècle. Paris 2006 (Les dix-huitièmes siècles 95). Vgl. dazu auch seinen interessanten Aufsatz über die Auffassungen von der Auferstehung und der persönlichen Identität: Ders.: Brains, Bodies, Selves, and Science: Anthropologies of Identity and the Resurrection of the Body. In: Critical Inquiry 28 (2002), S. 930–974. Jacqueline Carroy arbeitet an einer Geschichte der Auffassung des Traumes in Frankreich im 19. Jahrhundert, vor allem am Beispiel Alfred Maurys. In Bezug auf die Traumforschung in Deutschland sei insbesondere auf Doris Kaufmann verwiesen: Doris Kaufmann: Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung und die ›Erfindung‹ der Psychiatrie in Deutschland, 1770–1850. Göttingen 1995; Dies.: Dreams and SelfConsciousness. Mapping the mind in late eighteenth and early nineteenth Centuries. In: Biographies of scientific objects. Hg. von Lorraine Daston. Chicago/London 2000, S. 67–85. Diese bleibt bis auf zwei Ausnahmen weitgehend unerforscht. Robert Klein hat in einem Aufsatz die Vorstellungen Marsilio Ficinos beleuchtet. Katharine Park hat vor allem in der Einleitung zu der Edition eines Traktats von Gianfrancesco Pico della Mirandola eine sehr anregende Synthese sämtlicher Auffassungen von der Antike bis in die Renaissance geschrieben. Vgl. Robert Klein: La Forme et l’intelligible. Écrits sur la Renaissance et l’art moderne. Hg. von André Chastel. Paris 1970, insbesondere das Kapitel »L’imagination comme vêtement de l’âme chez Marsile Ficin et Giordano Bruno (1956)«, S. 65–88; Katharine Park: Picos De imaginatione in der Geschichte der Philosophie. In: Gianfrancesco Pico della Mirandola: Über die Vorstellung. De imaginatione. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit einer Einleitung von Charles B. Schmitt und Katherine Park. Hg. von Eckhard Keßler. München 1997 (Humanistische Bibliothek 02.13), S. 21–62. Stuart Clark: Thinking with Demons. The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe. Oxford 1997; Lorraine Daston, Katharine Park: Wonders and the Order of Nature 1150–1750. New York 1998.
11 schränkungen frei zu machen und die Offenheit, ja sogar oft die Widersprüchlichkeit des historischen Wandels zu betonen. Bei der Niederschrift dieser Untersuchung habe ich einige eigene Schreibregeln entwickelt und möchte sie an dieser Stelle kurz einführen. Das Wort ›Traum‹ wurde im Heiligen Römischen Reich undifferenziert, in einem natürlichen (insomnium) oder übernatürlichen (somnium) Sinne, verwendet. Daher wird in dieser Arbeit kein lexikalischer Unterschied gemacht. Wenn kein Name eines Übersetzers erwähnt wird, stammen alle Übersetzungen aus meiner Feder. Aus Lesbarkeitsgründen habe ich die lateinischen Begriffe nicht gebeugt. Einzig der Plural wird gebildet. Im Untersuchungszeitraum lassen sich nicht nur Veränderungen bezüglich des Verständnisses bestimmter Schlüsselbegriffe, sondern auch thematische Akzentverschiebungen feststellen. Daher folgt die Gliederung einem chronologischen und thematischen Verfahren. Das erste Kapitel schneidet zwei Hauptfragen an: die Schwärmerei und die leibliche Auferstehung. Es hebt hervor, dass die eigentlichen Kernfragen – was ist die Seele? Was ist die Unsterblichkeit? Was ist die leibliche Auferstehung der Toten? – bereits vor der Reformation auftauchten und von der Reformation neu aufgeladen wurden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Traumdeutung im Kontext des Prophetismus, abwertend ›Schwärmerei‹ genannt. In diesem Zusammenhang entstanden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die ersten systematischen Traktate über die Seele und deren Traumtätigkeit. Dabei spielte die konfessionelle Polemik – weniger eindeutige dogmatische Elemente – eine nicht unerhebliche Rolle. Im dritten Kapitel werden sämtliche Diskussionen über die Wahrsagungs- und Teufelskünste, die Grenzziehungen zwischen den natürlichen, außernatürlichen und übernatürlichen Bereichen sowie die Einordnungen des Traumwissens in die Wissenschaften erörtert. Infolge solcher Debatten und aufgrund der gleichzeitig auftretenden Verunsicherung durch die konfessionell geprägte Traumdeutung richtete sich das Augenmerk nicht so sehr auf das Wesen der Seele als zunehmend auf ihre Tätigkeit und ›Kräfte‹ (facultates). Das vierte Kapitel bettet das zunehmend als bedrohlich wahrgenommene Problem der Schwärmerei in die allgemeine Debatte um das ›innere Auge‹ und die Verschiebung des Wunders zur Vision als Merkmal der Heiligkeit ein. Es zeigt die Aufwertung der ›Augen des Gemüts‹ und der Selbsterkenntnis in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das fünfte Kapitel behandelt die parallel laufende Politisierung der Selbsterkenntnis und die Entstehung einer in Form von fingierten Träumen geschriebenen politischen Publizistik im 17. Jahrhundert. Den Hintergrund dieser Entwicklung bilden die zunehmende Betonung menschlicher Affekte und Fragen der Kommunikations- und Täuschungsfähigkeit auf der einen Seite sowie andererseits die doppelte Verschiebung des Hinterfragens des Traums, von der spekulativen hin zur praktischen Philosophie und von der Hermeneutik zur Ästhetik. Das sechste Kapitel untersucht die
12 Niederschrift des Traums anhand von Beispielen, die sich über den gesamten Untersuchungszeitraum erstrecken. Analysiert wird ihr Verhältnis zum Wandel der Auffassungen vom leibseelischen Zusammenhang. Dabei lässt sich eine Psychologisierung der Auffassungen von den Seelenkräften feststellen, die aber keinen unmittelbaren Niederschlag in der Niederschrift des Traums findet. Das letzte Kapitel betont einige thematische Kontinuitäten (insbesondere die leibliche Auferstehung und die Schwärmerei) zwischen dem Beginn des 16. und der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es wird deutlich, wie sich in diesem Zeitraum, die Auffassung des Traums grundlegend veränderte, als die Beständigkeit des Gedächtnisses und des Bewusstseins als Grundprinzipien der persönlichen Identität definiert wurden. Die Angst vor der Einbildungskraft wurde zu einem wirkungsmächtigen Untersuchungsfaktor. So bedauerte der königlich-britische Leibarzt in Hannover, Johann Georg Zimmermann (1728–1795): Wir traeumen von nichts als Aufklaerung, schrieb mir neulich einer der groeßten Maenner Deutschlands, und glaubten durch das Licht der Vernunft die gegend so aufgehellet zu haben, daß die Schwaermerey sich gewiß nicht mehr zeigen werde. Allein, wie wir sehen, steiget schon von der andern Seite des Horizonts, die Nacht mit allen ihren Gespenstern wieder empor. Mit Schrecken sieht man, daß das uebel so thaetig und durchgreifend ist, daß die Schwaermerey immer wirket, und die Vernunft nur spricht. Mit Unrecht glaubte Lord Shaftesbury, Witz und Laune seyen die kraeftigsten Gegenmittel wider den Fortgang des schädlichen Aberglaubens …29
Dem ernüchterten Ton des Leibarztes des Kurfürsten von Hannover zufolge wird sich das Schlusswort mit einer Archäologie (im Sinne von Michel Foucault) des Ausdruckes der ›Entzauberung der Welt‹ und seines Gebrauchs sowie mit dem Fragenkomplex der Säkularisierung der Traumvorstellungen beschäftigen.
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Johann Georg Zimmermann: Ueber die Einsamkeit. 4 Bde. Frankfurt/Leipzig, 1784– 1785, hier Bd. 3. 1785, S. 54–55. Vgl. dazu das vorzügliche Buch von Hans-Jürgen Schings: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1977, S. 143.
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Tod, Imagination und persönliche Identität um 1500
In der frühen Neuzeit war der Traum keine rein private Eingebung, sondern eng mit wissenschaftlichen und kulturellen Fragestellungen verknüpft. Im 16. Jahrhundert wurde er als Produkt der Vorstellung (imaginatio) während der Nacht definiert, wenn sich die von äußeren Sinnen getrennte und von den Körpersäften (humores) genährte Seele auf sich selbst zurückzog und Erkenntnis gewann. Da sie eine direkte Verbindung mit dem Übernatürlichen herstellte, konnte diese Erkenntnis höher geschätzt werden als das diskursive Urteil, das, der aristotelischen Tradition folgend, als Ergebnis der Vermittlung der fünf äußeren Sinne (Seh-, Hör-, Tast-, Geruchs- und Geschmacksinn), insofern als fast materiell betrachtet wurde. Wer war dennoch imstande, eine solche Erkenntnis, mithin einen solchen privilegierten Zugang zur Wahrheit zu finden und wie? Diese Frage war von besonderer Bedeutung, sofern der Traum als ein ambivalentes Medium betrachtet wurde; denn nicht alle Träume besaßen einen Bezug zum Übernatürlichen. War die Vorstellung vorherrschend, der Traum entspräche einer biblischen Botschaft, er sei einem angesehenen Menschen zuteil geworden und a posteriori eingetreten, dann übermittelte er eine prophetische Botschaft. War jedoch die Vorstellung vorherrschend, der Traum sei durch die Verdünstung der vier Körpersäfte (Blut, gelbe Galle, schwarze Galle, Schleim) während der nächtlichen Verdauung, d. h. durch einen rein physiologischen Vorgang im Menschen entstanden, dann war er bloß ein Zeichen von Gesundheit bzw. Krankheit des Träumers und besaß keinerlei weitergehende Bedeutung. Diese Ambivalenz und die damit verbundenen heftigen theologischen sowie anthropologischen Kontroversen, ergaben sich aus der tiefgreifenden Diskussion über die Seele und deren natürliche bzw. übernatürliche Komponenten. Bis Ende des 16. Jahrhunderts war das Seelenverständnis aristotelisch geprägt. Nach Aristoteles war die Seele als die ›Form‹ eines natürlichen Leibes definiert, die potentiell Leben besaß.1 Die Seele war ein Prinzip des Lebens, und konnte deshalb vom Leib nicht wirklich unterschieden werden. Die von der Seele verursachten Funktionen, d. h. das Seelenvermögen oder die See1
Aristoteles: Über die Seele, griechisch-deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hg. von Horst Seidl. Hamburg 1995 (Philosophische Bibliothek 476), S. 3–7 (Buch I, 402a-b).
14 lenkräfte, teilten sich in drei Bereiche: erstens die vegetative Seele (d. h. Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung), zweitens die sensitive und bewegende Seele (d. h. alles, was die inneren und äußeren Sinne betrifft), drittens die rationale Seele. Nur der Mensch besaß alle drei ›Seelen‹. Die Tiere hatten nur zwei: eine vegetative und eine sensitive Seele, die Pflanzen nur eine, die vegetative Seele.2 Die intellektuelle Seele – auch ›Geist‹ – warf ihrerseits früh eine Reihe von Problemen auf, da sie als unsterblich und trennbar definiert wurde. Im Zuge der christlichen Rezeption von Aristoteles wurde der Geist als Ort der Kommunikation mit Gott – »also trinkt und ißt der Leib, während der Geist glaubt«3 – und der Traum als »eine fliegende (flüchtige) Form des Glaubens«4 betrachtet. Natürliche Träume gingen nur aus dem Leib hervor, göttliche hingegen aus dem menschlichen Geist. Als körperliches bzw. übernatürliches Medium, als Produkt der Einbildungskraft, als Tätigkeit der Seele im Schlaf wirkte das Traum-Motiv gegen Anfang des 16. Jahrhunderts als Kristallisationspunkt vielfacher Auseinandersetzungen. Die erste betraf den Status der rationalen Seele nach dem Tod, ob sie schlafe oder wach sei, ob die Höllenstrafen ›imaginär‹ oder das ewige Leben ein Traum sei. Die lebhafteste Debatte in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts hatte ihren Ursprung bereits im Spätmittelalter. Die Rezeption von aus Italien kommenden neu-platonischen Strömungen brachte den Traum in Verbindung mit dem Status der getrennten Seele nach dem Tod und vor dem Jüngsten Tag, an dem die Seele ihren verklärten Körper wiederfand. Bereits im 15. Jahrhundert waren die Definition von Hölle und deren Strafen Gegenstand einer heftigen Diskussion, die durch die Reformation überlagert und neu interpretiert wurde. Es ging in dieser Debatte um bestimmte Auffassungen von Seele und Körper sowie um Vorstellungen von der persönlichen Identität. Viele Fragen, die bis ins 18. Jahrhundert hinein diskutiert wurden, wie die Natur der Seele, der Zugang des Traums zu Wahrheit und Erkenntnis, mithin das Problem der ›Schwärmerei‹, waren jedoch bereits vor der Reformation aufgeworfen worden.
1.1
Seelenheil und Imagination
In der Frühen Neuzeit wurden Träume oft mit dem Tod assoziiert, und dies nicht nur metaphorisch im Sinne des seit Homers und Pindars Dichtung literarischen Topos vom Traum als ›Bruder des Todes‹ oder infolge der bildlichen biblischen Sprache. Das Thema der Trennbarkeit der Seele nach dem 2 3
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Ebd., II, 2 (413b 13–16). Philippus Theophrastus Paracelsus: Sämtliche Werke. Nach der 10bändigen Huserschen Gesamtausgabe (1589–1591) zum erstenmal in neuzeitliches Deutsch übersetzt. Hg. von Bernhard Aschner. Jena 1926–1932, Bd. IV, S. 357. Ebd., Bd. I, S. 245.
15 Tod wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts fortwährend zum Gegenstand konfessioneller Auseinandersetzungen. Nachdem einige anabaptistische Kreise die Menschlichkeit Christi, besonders die Wesenheit seines verklärten Körpers bestritten hatten, konzentrierte sich der Abendmahlstreit um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf die geistige und physische Präsenz Gottes, insbesondere im Brot, d. h. in einer materiellen Substanz,5 bevor in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorrangig die Erkenntniswege hinterfragt wurden. Die Debatte wurde jedoch nicht ausschließlich polemisch geführt. Oft wurden Tod, Schlaf und Traum miteinander verbunden. Im Jahre 1585 beispielsweise beschrieb der Leichenprediger Nikolaus Hartung, wie das Mädchen Dorothea Kotzen (1581–1585), kurz vor ihrem Tode einen Traum von Engeln gehabt hatte, welche auf sie warteten.6 Diese Diskussion, obgleich besonders heftig im 16. Jahrhundert geführt, war nicht neu. Sie entstand in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in bestimmten humanistischen, neuplatonischen Kreisen, vorwiegend in Florenz um Marsilio Ficino.7 Diese Kreise eröffneten dem gelehrten Publikum eine prisca theologia (eine Philosophie, die im Corpus Hermeticum einen alten, aber vom Christentum unabhängigen Wahrheitsträger sah) und massen dem Menschen eine herausgehobene Bedeutung bei. 1.1.1
Höllenstrafen und Vorstellung bei Marsilio Ficino
Die berühmtesten Werke des Platon (Gorgias, Phaedon, Apologie von Sokrates und die Republik) sowie das neuplatonische humanistische Manifest der Renaissance, die (1474 verfasste, 1482 gedruckte) Theologia platonica. De immortalitate animorum von Marsilio Ficino haben eines gemeinsam: alle enden mit einer Allegorie der Hölle. Diese entwickelte die Vorstellung einer immanenten Gerechtigkeit in der Ordnung der Welt: jedes Verbrechen berge in sich selbst seine eigene Bestrafung, jede Tugend ihre besondere Belohnung.8 Dies, laut Ficino, machte das göttliche Urteil der menschlichen 5
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Zu den Kontroversen um das Konkordienbuch, s. Acta und Schrifften zum Concordi Buch gehoerig und noetig …, o. O. 1589; Adam Crato: Rettung Des Christlichen Tauffbuechleins Herrn D. Martini Lutheri unnd der Augspurgischen Confessions Verwandten Kirchen … o. O. 1590. Vgl. Nicolaus Hartung: Kurtze/ einfeltige/ aber doch Christliche Leichpredigte/ so bey dem Begrebnis/ des Edlen/ Erbarn und Ehrntugentsamen Jungfrewleins/ seligern Dorotheae Kotzen … Magdeburg 1585. Der Sohn des Leibarztes Diotefeci d’Agnolo von Cosimo de’ Medici, Marsilio, ließ sich nach seinem Geburtsort Figline Valdarno Marsilio Ficino nennen. Vgl. den Überblick bei Sebastiano Gentile, Carlos Gilly: Marsilio Ficino e il Ritorno di Ermete Trismegisto. Florenz 1999. Marsile Ficin: Théologie platonicienne de l’immortalité des âmes. Texte critique établi par Raymond Marcel, 3 Bde. Paris 1964–1970, hier Bd. 3, S. 220–243. Vgl. Robert Klein (1970), S. 89–124. Zum 17. Jahrhundert, vgl. D. P. Walker: The Decline of Hell. Seventeenth-Century Discussions of Eternal Torment. Chicago/London 1964.
16 Seelen am Jüngsten Tag überflüssig: die eine und selbe Neigung, die den Menschen zur Sünde geführt habe, würde ihn fortan zur Strafe leiten. Das Werkzeug dieser immanenten Gerechtigkeit nannte Ficino spiritus phantasticus.9 Das Mittel der Vorsehung sei also der Träger oder der ›subtile Körper‹ der rationalen Seele bzw. des Geistes, d. h. eine empfindungsfähige Hülle, die zwischen sensitiver und rationaler Seele stehe. Mit anderen Worten: Die Eigenschaften der immanenten Gerechtigkeit entsprächen derjenigen der ›Vorstellung‹ bzw. Imagination im weiten Sinne, d. h. des Vermögens, das aus der rohen Empfindung das Universale der Vernunft extrahiere: das die Wahrnehmungen untereinander vergleiche, sie unmittelbar erwäge und repräsentiere. Im körperlichen Schlaf oder Ekstasezustand, wenn der spiritus nicht mehr von den fünf äußeren Sinnen zerstreut sei, könne dieser unmittelbar mit den Göttern kommunizieren oder die Harmonie der himmlischen Sphären hören. Jedoch besäßen einzig Propheten und Erleuchtete eine solche Gabe. Diejenigen dagegen, die ihre Vorstellungskraft an die weltlichen Angelegenheiten gewöhnt und dadurch ihre rationale Seele durch eine derartige Last beeinträchtigt hätten, könnten sich auch nach dem Tod nicht von ihr befreien. Da ihre Seele sich nicht an das Leben ohne Körper nach dem Tod gewöhnen konnte, bildete sie sich einen neuen ›Dampfkörper‹, der um die sterblichen Überreste herumschliche und wie die Leidenschaften der Seele aussähe, als diese noch mit dem irdischen Körper lebte. Subtile spiritus dieser Art nähmen die durch den beherrschenden spiritus vorgegebene Form an. Diese umherirrenden und ›materiellen‹ Seelen seien nicht nur der Seligkeit beraubt, sondern auch durch jene Leidenschaften gequält, die sie bereits ihr Leben lang beunruhigt hatten. Die verdammte Seele wisse, dass sie ihr eigenes Unglück verursacht habe und dass es für eine Wiedergutmachung zu spät sei – was sich allerdings mit der Interpretation der Hölle als Zustand der Seele, die sich der göttlichen Realität nicht bewusst werden konnte und auch nicht können werde, kaum vereinbaren ließ. Da als ›Ort‹ dieser Strafen die Imagination angesehen wurde, seien logischerweise auch die Strafen selbst ›imaginär‹ und das Höllenfeuer nur metaphorisch zu verstehen. Die Erde sei der Ort der Sühne der gefallenen See9
»Platonicam eiusmodi sententiam confirmat in Metaphysicis Avicenna, probans animam a contagione corporis separatam in caelo caelesti quodam instrumento uti quasi suo a corpore caeli accepto perque ipsum imaginationis officium exercere«, Ficin: Théologie platonicienne, S. 221. Iamblich (†326) und Proclus (†485) hatten schon von einem »phantastischen Geist« (phantastikon pneuma) gesprochen. Dieser sei eine ätherische Substanz, die Umrahmung der Seele und das Medium der göttlichen Erleuchtung. Er sei ebenso mit dem Astralleib gleichzusetzten. Vgl. Iamblichus: De mysteriis Aegyptiorum, 3, 14. Zitiert nach: E. H. Dodds: The Astral Body in Neoplatonism. Appendix zu seiner Übersetzung von Proclus. In: Proclus: The Elements of Theology. A revised text with translation, introduction and commentary by Eric H. Dodds. Oxford 1963, S. 313–321. Bei Ficino wird der Astralkörper zur theoretischen Grundlage der ›weißen‹, natürlichen Magie.
17 len. Man könne, laut Ficino, eine gewisse Vorstellung von der Natur dieser Pein am Beispiel des – im Vergleich bedeutend weniger grausamen, da der Schmerz ausschließlich von der Seele empfunden würde – Wahns der Melancholiker gewinnen. Nach Ficino und den anderen Anhängern der prisca theologia schlief die Seele, als sie noch in Einheit mit dem Körper lebte; vor ihrer Trennung vom Körper im Tod sollte sie aufwachen, sonst würde sie schlafen (bis in alle Zeit von den eitlen Begierden und den Qualen geplagt, die den Alptraum der Hölle ausmachten): Es ist gerade dann, wenn die Aktivität der fünf Sinne aufhört, dass die innere Aktivität am meisten zunimmt. Wenn man sich daran gewöhnt, vorwiegend seine Vernunft zu benutzen, wird die Kontemplation sehr intensiv; wenn man sich daran gewöhnt, seine Vorstellung (phantasia) zu gebrauchen, wird die Vorstellung sehr rege. Dies geschieht im Traum derart, dass wir für reale Dinge halten, was nur Bilder der Dinge sind und, von schrecklichen Visionen erschrocken, zittern, schwitzen und aufstehen. Die Gottlosen werden bei ihrem Tod und nach ihrem Tode deswegen eher Opfer von Täuschungen erschreckender Bilder. Denn dann hören die unterschiedlichen Aufgaben der Ernährung, die vielfältigen Tätigkeiten der äußeren Sinne, die Beschäftigung mit den menschlichen Handlungen und deren Führung auf. Einzig bleibt in dem Gottlosen, wie die Platoniker meinen, die Macht der tobenden Vorstellung (phantasiae furentis) bzw. imaginativen Vernunft (phantasticae rationis) von Hass und Furcht erschüttert (wovon ich bereits sprach), die eine lange Folge fürchterlicher Bilder aufwirbelt. Bald sieht er den Himmel über seinem Kopf einstürzen, bald wird er von einem Sturm aus Flammen verzehrt, bald wird er in den unermesslichen Abgrund der Gewässer gestürzt, oder von teuflischen Schatten erfasst.10
Ficino interpretierte also antike Glaubensüberzeugungen bezüglich Ort und Natur der Hölle philosophisch. Er fasste jedoch auch die antiken und mittelalterlichen europäischen Interpretationen der Imagination zusammen. 1.1.2
Die Imagination als »Kleid der Seele«
Seit der Antike wurde die Vorstellung (griechisch phantasia) als eine Tätigkeit der Seelen charakterisiert, die ein ambivalentes Verhältnis zur Realität besaß. Auf der einen Seite war sie eng mit der Wahrnehmung verbunden, da Erkenntnis als Vermittlung der Bilder der äußeren Dinge zur Seele durch die fünf äußeren Sinne definiert wurde. Dem berühmten aristotelischen Spruch 10
»Quando enim quinque sensuum actiones cessant, actiones interiores maxime augentur. Ac si ratione uti plurimum consueveris, tunc diligentissme specularis; si phantasia, tunc imaginaris vehementissime. Id usque adeo fit in somno ut quae rerum imagines sunt res veras esse putemus atque horribilibus visis perterriti trepidemus, sudemus, vociferemur atque surgamus. Multo magis impiis in morte atque post mortem fallacia terribilium continguit imaginum. Tunc enim cessant varia nutriendi officia, sensuum externorum multiplices actiones, humanarum actionum occupationes rerumque sollertia. Solius restat, ut Platonici putant, phantasiae furentis vel phantasicae rationis imperium in homine impio, quae odio quo dixi et timore commota versat secum longo ordine tristes imagines. Nunc caelum ruere in caput suspicit, nunc se terrae profundis hiabitus absorberi, tum impetu assumi flammarum, tum vasto aquarum gurgite mergi, aut umbris daemonum comprehendi.« Ficin (1970), S. 234.
18 folgend denke die Seele nie ohne Bilder.11 Der Mensch schaffe sich ein Bild der Realität durch seine Vorstellung. Auf der anderen Seite könne die Imagination die Realität darüber hinaus auch mit ihren eigenen Bildern begleiten – die ihrerseits eine bestimmte Wirklichkeit, nämlich die Realität der psychischen Phänomene, besäßen. So hatten sich im Laufe der Zeit zwei divergierende Interpretationen der Doppelnatur der Imagination herausgebildet. In seinem Traktat Über die Seele sowie in seinen Kleinen wissenschaftlichen Schriften (Parva naturalia) hatte Aristoteles eine sehr breite Definition der Einbildungskraft vorgeschlagen. Sie sei die Funktion oder das Produkt jenes Seelenteils, der mit der Wahrnehmung der äußeren Dinge und deren Beziehung zum Denken zu tun habe.12 Die Daten der äußeren Dinge seien zunächst durch den ›Gemeinsinn‹ (auf Latein sensus communis) vereint und würden durch ihn verglichen. Sie seien dann Gegenstand eines ersten Urteils in Bezug auf jene Zeit, Größe, Anzahl und Bewegung. Dafür führte Aristoteles den Begriff phantasia ein, den er in zwei Bedeutungen verwendete. Die phantasia bezeichnet zunächst »eine Bewegung, die als Ergebnis einer tatsächlichen Sinneswahrnehmung stattfindet«,13 selbst dann, wenn das Objekt, das den Sinneseindruck verursacht hatte, entfernt worden sei. Die phantasia bedeutet zudem »das, kraft dessen wir sagen, dass uns ein Bild erscheint«,14 mit anderen Worten: den Zustand oder das Vermögen, in dem solche Eindrücke vorhanden waren und gebraucht wurden. Einerseit war die phantasia eine Mittlerin zwischen Wahrnehmung und Verstand. Andererseits blieb sie von beiden unterschieden. Im Gegensatz zum Verstand sei sie insbesondere an ein physisches, materielles Organ gebunden. Als Augustinus die lateinische Übersetzung imaginatio für phantasia vorschlug15 , unterlag der Begriff einem wesentlichen Wandel. Er tendierte dazu, nicht mehr einen Sinneseindruck, sondern ein Seelenvermögen zu bezeichnen. So wie das Bild in der Mitte zwischen Objekt und Begriff stand, nahm das Vermögen in Bezug auf das Bild eine mittlere Position im Erkenntnisprozess ein. Dieses Vermögen befreite das Bild von der sinnlichen Empfindung und dadurch von der Anwesenheit des Objekts, bewirkte die spontane oder reflektierte Reaktion des Menschen und bewahrte das Bild. Bereits Plotin unterschied eine höhere Vorstellung (phantasia oder to phantastikon)
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Aristoteles (1995), III, 7 (431a16). Ebd., III, 1 (425a14–425b26); Ders.: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übersetzt und hg. von Eugen Dönt. Stuttgart 1997 (Universal-Bibliothek 9478). In diesem Absatz folge ich der brillanten Einleitung von Park (1997), S. 23–25. Aristoteles (1995), III, 3 (429a1–2). Ebd., III, 3 (428a1–2). Vgl. Murray Wright Bundy: The Theory of Imagination in Classical and medieval Thought. Urbana (Ill.) 1927 (University of Illinois Studies in language and literature 12.2/3), S. 158.
19 von einer unteren, die bloß aus den Angaben der fünf Sinne und des Gemeinsinnes bestand. Aus dem aristotelischen Begriff der phantasia erstellte Avicenna eine Liste der inneren Sinne, die die ›Wissenschaft der Seele‹ (scientia de anima) des Mittelalters und der Renaissance beherrschen sollte. Er teilte das Wahrnehmungsvermögen endgültig in äußere und innere Sinne. Diese im Gehirn angesiedelten Sinne vereinten den Gemeinsinn, die zurückhaltende Vorstellung, die kombinatorische Vorstellung und die instinktive Kraft der Vermeidung oder Anziehung in sich.16 An ihn anknüpfend unterteilte Albertus Magnus die Vorstellung in die imaginatio, d. h. »die Kraft, die die Bilder sinnlicher Qualitäten beibehält, wenn der Gegenstand selbst abwesend ist«17 , und in die phantasia bzw. die »Kraft, die die Bilder durch Komposition und Division aufeinander bezieht«18 . Die imaginatio biete einen Vorrat geistiger Bilder, die für Denken, für Träume und Visionen zur Verfügung stünden, wohingegen die phantasia Kombinationen existierender Dinge oder neue Gegenstände schaffe. Die Erkenntnis bildete sich also über eine Stufenleiter heraus. Die fünf äußeren Sinne würden tatsächlich gegenwärtige Gegenstände erfassen. Die Vorstellung bewahre die Substanz und die Qualitäten dieser Gegenstände, auch wenn sie abwesend seien. Der Verstand könne sie als allgemein und von der Materie unabhängig begreifen. Somit wurde die Vorstellung als Erkenntnisvermögen, das zwischen Empfindung und Intellekt steht, betrachtet. Sie zählte zu den ›inneren Sinnen‹, d. h. zu einer Folge von Funktionen, die mit der Wahrnehmung (sensus communis) begannen und – der Ordnung der inneren Wandlungen der Bilder folgend – zum Gedächtnis oder aber entsprechend der Ordnung zunehmender Abstraktion zum Urteil bzw. Verstand führten. In der Spätantike und im Mittelalter wurden jedoch die inneren Sinne sehr unterschiedlich eingeordnet. Manchmal wurde sogar Imagination als Sammelbegriff für alle inneren Sinne verwendet. Selbst Ficino, der die Imagination eher als Zweck der Erkenntnis und als Intuition denn als bloßen
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Vgl. Avicenna Latinus: Liber de anima seu sextus de naturalibus IV–V. Édition critique de la traduction latine médiévale par S. Van Riet. Hg. von S. Van Riet. Bd. 2. Löwen/ Leiden 1968, S. 1–67 und 182–183 (IV, 1–4 und V, 8). Vgl. dazu Étienne Gilson: Les sources gréco-arabes de l’augustinisme avicennant. In: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 4 (1929), S. 62; Arthur Schneider: Die Psychologie Alberts des Großen, nach den Quellen dargestellt. 2 Bde. Münster 1903–1906 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters), S. 547–548; Klein (1970), S. 65–88. Albertus Magnus: Summa de homine. In: Opera omnia ex editione Lugdunensi religiose castigata … Cura ac labore Augusti Borgnet. Parisiis 1896, Q37.1, Bd. 35, S. 325b: »… es imaginatio virtus tenens imagines sensibilium re non presente …« Vgl. Park (1997), S. 37. Albertus Magnus, Q38.1, Bd. 35, S. 331a): »potentia collativa imaginum per compositionem et divisionem«. Zitiert nach: Park (1997), S. 37. Vgl. dazu Nicholas Steneck: Albert the Great on the Classification and Localization of the Internal Senses. In: Isis 65 (1974), S. 193–211.
20 Transit betrachtete, knüpfte an die aristotelisch gesprägte Stufenleiter der Erkenntnis an: Avicenna
Albertus Magnus
Ficino
sensus
sensus
sensus
phantasia (schließt den sensus communis ein) imaginatio vis imaginativa (Urteil)
sensus communis imaginatio aestimatio
imaginatio (und sensus communis)
vis aestimativa (Urteil und spontane Reaktion)
phantasia (Bild und Universalien)
phantasia
memoria
memoria
memoria
Mit dem Ersatz des noûs für die Vernunft, der die Universalien besaß, wurde bei Plotin die Stufenleiter zu einer wirklichen Umwandlungs- und Aufstiegsbewegung, in welcher die menschliche phantasia eine eminente Rolle spielte.19 Die aristotelische Definition der Imagination wurde demnach durch die neuplatonischen, metaphysischen und physiologischen Interpretationen tiefgreifend hinterfragt. Anlehnend an die neuplatonische Metaphysik des Lichtes und Jakobs Himmelsleiter (1. Mose, 27–30), wurde den inneren Sinnen und der Vernunft nur die Fähigkeit zugeschrieben, einen Schatten vom Gottesbild zu begreifen, von dem der Intellekt die Spiegelung zeigte. Die Mittlerfunktionen der Seele war Gegenstand des Kampfes zwischen umbra tenebrarum und umbra lucis, der für das Schicksal der Seele entscheidend war. Gott ging durch die Offenbarung herab wie der Geist durch die Imagination und deren Werkzeuge, die Sinne; der Körper wurde hingegen durch die Empfindung spiritualisiert und die Imagination bereitete den Intellekt auf das Anschauen Gottes vor. Die Stufenleiter der Erkenntnis wurde dadurch ontologisch interpretiert und mit der Materie, Gott und den Ideen assoziiert. Da das Bild, das halb aus Empfindung und halb aus Idee bestand, ein halb körperliches, halb geistiges Substrat erforderte, ließ man dem Mittlervermögen der Seele eine ›mittlere Seele‹ entsprechen. Man knüpfte an das pneuma der Stoiker und an die antike medizinische Lehre des spiritus animalis20 an. Die Imagination konnte deshalb gut mit jenem Luft- oder Feuerhauch assoziiert werden, weil sie, laut Aristoteles, jeden Gedanken begleitete und ihm 19
20
Nach Plotin waren die drei kognitiven Funktionen der Seele die Vernunft (noûs), der Verstand (dianoia), die untere und die höhere Wahrnehmung, die alle, Galen folgend ihren Sitz im Gehirn hatten. S. Plotin: Enneaden, IV, 3, 23. Zitiert nach: Park (1997), S. 29. Zu der galenischen Medizin und der Tradition der physiologischen Untersuchung der Seele bzw. des Traums, vgl. unten Kapitel 2, S. 94–96.
21 seinen subtilen Körper verlieh; weil sie auch den sensus communis (die Wahrnehmung) umfasste, der den Mittelpunkt der Sinnesdaten und deren Leitung bildete, eine Rolle, die in der Physiologie den spiritus animalis zugeschrieben wurde; weil sich die Imagination außerdem an der Spitze der sensitiven Seele befand und den oberen Tieren die Vernunft ersetzte und weil sie letztendlich den Stoff der Träume bildete. Die Imagination gehöre demnach zu einem pneuma oder subtilen Körper, der die Funktionen der inneren Sinne bekleidete und das Substrat der Träume bildete – so die Theorie des Synesios von Kyrene (ca. 373 – ca. 414), erster Verfasser eines christlichen Traumbuches, das zunächst von Marsilio Ficino ins Lateinische übersetzt, 1562 erneut von Girolamo Cardano (1501–1576) paraphrasiert und kommentiert wurde. Der Zweck dieses Werkes bestand darin, die TraumMantik vor der Verachtung durch die Christen zu schützen.21 Astrologen und Magier behaupteten weiter, dass dieses glänzende und unvergängliche pneuma die Substanz des Himmels (Äther oder fünftes Element) habe. Bei dem Abstieg der sieben planetarischen Himmel habe es Gaben empfangen, die sein karma konstituierten. Es war das Organ der Wahrnehmung von Träumen und göttlichen Eingebungen, jedoch gleichfalls das Einfallstor für Dämonen. Diese Überlegungen massen dem Traum eine herausgehobene Bedeutung bei. Synesios setzte die phantasia mit dem sensus communis gleich. Da die Götter sich während der Träume in dem sensus communis manifestierten, sei es eine vornehmere Angelegenheit, einen Gott im Traum als im Wachzustand durch die äußeren Sinne, die bloß Pförtner und Boten seien, zu sehen. Das ganze pneuma nehme wahr, und diese Wahrnehmung sei umso reiner und zuverlässiger, je kleiner der Einfluss äußerer Sinne sei. Mit Ausnahme Hugo von St. Viktors – der die Imagination als »Kleid der Seele«22 charakterisierte – griffen die Kirchenväter nicht auf Synesios’ Auffassung von der Imagination zurück. Selbst Origen, der die Existenz eines subtilen Körpers erkannte, sah ihn nicht im Zusammenhang mit der Imagination. Ficino hingegen übersetzte Synesios nicht nur, sondern nahm auch seine Theorie des Traums wieder auf. Den Zusammenhang außerachtlassend, verband er die Idee der pneumatischen Umhüllung mit der Lehre der spiritus animalis und der galenischen Interpretation der physiologischen
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Synesius Cyrenensis: De somniis. Transl. a Marsilio Ficino. Venetia 1516; Cardano Girolamo: Somniorvm Synesiorvm, omnis gene ris insomnia explicantes, Li bri IIII … Basel: Heinrich Petri. [1562]; Ders.: Traumbüch Cardani … Basel: Heinrich Petri. [1563]. Vgl. Copenhaver, S. 446; Klein (1970), S. 71; Gehring, S. 44–46. Hugo von St. Viktor: De unione corporis et spiritus. In: Opera omnia, accurante Jacques-Paul Migne. Turnhout: Brepols. 1983 (Patrologiae cursus completus. Accurante Jacques-Paul Migne 2.176) (Nachdruck der Ausgabe Paris 1854), Sp. 285–289. Dieses Werk wurde wahrscheinlich vor dem Übertritt des Autors zum Christentum verfasst.
22 Rolle vom spiritus im Blut. Er unterschied dabei die Imagination als Vermögen der sensitiven Seele von der phantasia, dem Vermögen der rationalen Seele (bzw. des Geistes). Denn Ficino strebte danach, den »Sitz der phantasia« mit einem subtilen Körper astralen Ursprungs gleichzusetzen.23 Diese Verknüpfung der Imagination mit den spiritus animalis wurde von Giordano Bruno weiter geführt, der in seinem Werk De magia die Synesios’sche Theorie des Traums und die Verbindung der phantasia mit den spiritus animalis annahm. Durch diese Assoziation erhielt die Imagination quasi Körperlichkeit. 1.1.3
Der spiritus phantasticus und das Jenseits
Obgleich sehr gelehrt, gar hermetisch, spielten diese Überlegungen eine erhebliche Rolle bei der Vorstellung des Jenseits. Denn man stellte seit der Spätantike die Seelen der Verstorbenen versehen mit einem subtilen, oft glorreichen Körper dar. Dante behauptete im Anschluss an Origen (jedoch gegen Thomas von Aquin), dass das Opfer der Höllenstrafen ein Luftkörper sei, der durch die von ihrer fleischlichen Umhüllung getrennte Seele entstehe.24 Das pneuma, laut Porphyrio und Synesios, speichere die Spuren des Verhaltens eines Menschen und werde entweder schwerfällig, wenn es sich zu Materie und sinnlichen Formen wendete, oder es werde rein. Gegebenenfalls erwirke das pneuma sogar die Erlösung des Menschen. Auf dieses Prinzip bezogen sich alle asketischen Lehren, die den Menschen für seine Gedanken und Imaginationen verantwortlich machten. Hugo von St. Viktor, erster christlicher Autor des Mittelalters, der von Porphyrio und Synesios beeinflusst war, beschrieb diese »Quasi-Haut« (quasi pellis), die das Heil verhindern würde.25 Ficino nahm diese Interpretation wieder auf, mit der Nuance, dass die Seele selbst sich diesen subtilen Körper wob.26 Die platonische Vorstellung der Reinkarnation sei, laut Ficino, lediglich ein mythischer Ausdruck der Tatsache, dass die Seele ihr eigenes Schicksal erwählte. Die Strafen seien ihrerseits eine Art Traum: die Seele, die im Laufe des Lebens von Imaginationen heimgesucht worden sei, bliebe in ihnen auch nach dem Tod gefangen. Giordano Bruno entwickelte die Idee weiter, dass die Höllenstrafen bloß ›imaginär‹ seien27 – eine Behauptung, die 23
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26 27
Vgl. D. P. Walker: Spiritual and Demonic Magic from Ficino to Campanella. London 1958 (Studies of the Warburg Institute 22); Klein (1970), S. 72. Dante Alighieri: Purgatorio. A New Verse Translation by W. S. Merwin. New York 2000, Canto XXV, S. 242–251, insbesondere 246–249. Hugo von St. Viktor: De unione corporis et spiritus, Sp. 288. Zitiert nach: Klein (1970), S. 78. Ficin (1970), S. 235. [Giordano Bruno]: Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta. 3 Bde. Stuttgart/ Bad Cannstatt 1961 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe Napoli/Firenze 1879/91), Bd. 3, S. 683.
23 im 18. Jahrhundert in bestimmten Kreisen sehr beliebt wurde, jedoch im 16. Jahrhundert dahin tendierte, die überlieferte christliche Lehre der leiblichen Auferstehung zu bestreiten.
1.2
Leibliche Auferstehung und persönliche Identität um 1500
Die Diskussion um die Form des Daseins des Menschen nach dem Tod war um 1500 keineswegs neu. Sie wurde wiederbelebt, als sich die Gelehrtendispute im Spätmittelalter auf das Schicksal der Seele nach dem Tod und vor dem Jüngsten Gericht richtete. Zum ersten Mal vor allem wurde sie mit dem Problem der Erkenntnis der Seele verbunden, intensiviert durch die religiösen Auseinandersetzungen der Reformationszeit. 1.2.1
Tod und leibliche Auferstehung im Spätmittelalter
Im Spätmittelalter hatte sich ein dreifacher, grundlegender Wandel bezüglich des Todes abgezeichnet. Von nun an war erstens der Tod ein persönliches, erwartetes und nahes Geschehnis, zweitens war der Körper des heiligen Verstorbenen (oder dessen Reliquien) ein bevorzugter locus, um das Göttliche zu erlangen. Drittens bildete sich eine Lehre der leiblichen Auferstehung heraus, wonach alle Menschen am Jüngsten Tag denselben materiellen, obgleich verklärten Körper, den sie während des irdischen Lebens hatten, wieder bekämen.28 Obwohl tote Körper in der römischen Spätantike als verunreinigend und entsprechend erschreckend wahrgenommen worden waren, begannen die Christen im 5. Jahrhundert die Körperglieder ihrer Religionsverwandten anzubeten, vor allem wenn sie von ihren Verfolgern umgebracht worden waren. Im Zuge des zweiten Konzils von Nikaia (787) wurden zur Einweihung von jedem Altar Reliquien erforderlich. Im Hochmittelalter entwickelte sich dann ein richtiggehender Handel und Wettstreit um Reliquien. Im 14. Jahrhundert mussten sogar die Körper derjenigen, die im Ruf standen, Heilige zu sein, gegen den Raub von Körperstücken bewacht werden. Die persönliche Vorbereitung auf den Tod, der öffentliche Ablauf des Todes und dessen Ritualisierung wurden zeitgleich betont. Obgleich im Alltag des Spätmittelalters allgegenwärtig, versetzte der Tod den Menschen zunehmend in Angst. Die Furcht vor Hölle und Verdammnis
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Vgl. dazu Philippe Ariès: L’Homme devant la mort. 2 Bde. Paris 1977; Paul Binski: Medieval Death. Ritual and Representation. Ithaca 1996; Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart. München 1994; Caroline Walker Bynum: The Resurrection of the Body in Western Christianity, 200–1336. New York 1995; Vidal: Brains, Bodies, Selves (2002).
24 nahm zu, was sich ab dem späten 12. Jahrhundert in einer Konzentration von Religiosität und von Frömmigkeitsformen um den Tod, sowie auf das Leben im Jenseits ausdrückte und zur Integration der Fegefeuerlehre in die kirchliche Doktrin führte.29 Bereits das 12. Jahrhundert zeichnete sich durch massenhafte Totenerscheinungen aus.30 Lebende und Tote traten in Austausch: die Lebenden selbst im Diesseits suchten Hilfe und Unterstützung; zudem erwarteten sie als Gegenleistung für ihre Wohltaten, dass nach ihrem Ableben die ›dankbaren Toten‹ ihre Strafzeit verkürzen und ihre Sündenschuld mindern würden. Im Laufe der Zeit wurde das Sicheinmischen der Toten in das Leben der Sterblichen zunehmend umfangreicher und bestimmender. Die ständig anwachsende Zahl von Seelmessen im 15. Jahrhundert komprimierte die einzelnen Gedenkpraktiken zu einem gemeinsamen Gedächtnis. Während auf den romanischen Tympana noch das Jüngste Gericht am Ende der Zeit dargestellt wurde, richteten sich später Seelsorge und Frömmigkeit zunehmend auf den Augenblick des persönlichen Todes, der als entscheidend für die künftige Auferstehung betrachtet wurde. Jenseits der moralisierenden und disziplinierenden Absichten des Klerus31 entwickelte sich eine neue Sensibilität der persönlichen Identität.32 Ab dem 13. Jahrhundert betonten zunehmend Theologen, die auf die wiederentdeckten aristotelischen Definitionen von Form und Materie zurückgingen, dass der persönliche Körper, wenn er genau die gleichen Teilchen wie der lebende Körper habe oder auch nicht, notwendig für die Auferstehung sei. Jene, der vergeben werden sollte, war eine Person (persona), die ihre Individualität durch ihr Gewissen und ihre Physiologie erwarb. Da der Körper nach der aristotelischen Tradition Potentialität, d. h. Fähigkeit zum Wechsel, besass, bedeutete die Auferstehung die Wiederherstellung eines von nun an unveränderlichen Körpers. In der Visionärliteratur und -ikonographie, in Berichten von Gespenstererscheinungen sowie in der Volksfrömmigkeit wurde der Körper derart hervorgehoben, dass die Seele als somatomorphisch, d. h. in der Form eines menschlichen Körpers dargestellt wurde. Die Seele, die nach dem Tod überlebte, sei bloß eine semi persona. Vergleichbar mit der Vorstellung von Reliquien, die heilige Leichname ersetzten, vertrat die Lehre von der leiblichen Auferstehung die Meinung, dass der physische Körper wesenhaft zur Definition des Ich beitrug. Diese Vorstellungen wurden jedoch gegen Ende des 15. Jahrhunderts Gegenstand unterschiedlicher Auseinandersetzungen. Ficinos Überlegungen 29
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Vgl. Jacques Le Goff: La Naissance du purgatoire. Paris 1981 (Bibliothèque des histoires). Vgl. das klassische Buch von Jean-Claude Schmitt: Les Revenants. Les vivants et les morts dans la société médiévale. Paris 1994 (Bibliothèque des Histoires). Vgl. Jean Delumeau: Le Péché et la peur. La culpabilisation en Occident, XIIIe-XVIIIe siècle. Paris 1990. Vgl. Prosperi, S. 208–210, 234–237, 302–326.
25 über die ›imaginären‹ Höllenstrafen, die auch ihrerseits der allgemeinen Tendenz zur Individualisierung des Todes entstammten, liefen der Lehre der leiblichen Auferstehung zuwider. Die mit zunehmendem Totenkult einhergehende Anonymisierung der Verstorbenen und Verherrlichung des profanen Ruhmes weckten manche Kritik an dieser Art von Totengedächtnis.33 Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand der Status der Seele im Interim zwischen Tod und Jüngstem Gericht. Ficinos Anschauungen wurden dennoch nicht unmittelbar, sondern durch deren Interpretation im humanistischen Kreis von Jacques Lefèvre d’Étaples (ca. 1450–1537) und seinem Jünger Charles de Bovelles (ca. 1470–1553) in die Diskussion eingeführt. 1.2.2
Leibliche Auferstehung, Imagination und Unsterblichkeit der Seele bei Jacques Lefèvre d’Étaples und Charles de Bovelles
Paris war in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Ort des Transfers humanistischen Wissens. Nachdem Jacques Lefèvre d’Étaples in Italien Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) getroffen hatte, strebte er nach einer christlichen, platonischen und aristotelischen Philosophie. Die Grundzüge des Aristotelismus hatte er in Schlettstadt im Gymnasium von Beatus Rhenanus unterrichtet, wo er auch die Lehre der orientalischen Kirchenväter sowie die hermetische Philosophie des Raymundus Lullus (ca. 1235–1316) untersuchte. In den Augen seiner Zeitgenossen besaß Lefèvre in Frankreich denselben Rang in der Erneuerung der platonischen Philosophie wie Ficino in Italien.34 Nachdem Lefèvre eine Professur am Collège du Cardinal Lemoine in Paris bekleidet hatte, edierte er Lullus (jedoch ohne Kommentar), den Pimander Ficinos, das Corpus hermeticum des Dionysius Areopagites im Jahre 1498 mit Hilfe von Charles de Bovelles, außerdem den neuplatonischen Philosophen Nikolaus Cusanus (1401–1464), den er ebenfalls durch Bovelles entdeckt hatte.35 Er hielt seit dieser Lektüre 33
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Vgl. Jacques Chiffoleau: La Comptabilité de l’au-delà. Les hommes, la mort et la religion dans la région d’Avignon à la fin du Moyen Âge, Rome 1980 (Collections de l’École Française de Rome 47); Claude Lecouteux, Philippe Marcq: Les Esprits et les morts. Croyances médiévales. Paris 1990 (Essais 13); Jean-Claude Schmitt: Macht der Toten, Macht der Menschen. Gespenstererscheinungen im hohen Mittelalter. In: Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien. Hg. von Alf Lüdtke. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 91), S. 143–167; Mireille Othenin-Girard: ›Helfer‹ und ›Gespenster‹. Die Toten und der Tauschhandel mit den Lebenden. In: Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch, 1400–1600. Hgg. von Bernhard Jussen, Craig Koslofsky. Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 145), S. 159–191. Vgl. Lewis W. Spitz: Humanism in Germany. In: The Impact of Humanism on Western Europe. Hgg. von Anthony Goodman, Angus MacKay. London/New York 1990, S. 202– 219, hier 212. Vgl. Guy Bedouelle: Lefèvre d’Étaples et l’intelligence des Écritures. Genève 1976 (Travaux d’humanisme et de Renaissance 152), S. 5–135.
26 an der Idee fest, dass die Schöpfung ein göttliches Zeichen und Zeugnis war, in der der Mensch Spuren und Überreste von der Gottheit erkennen könne. Cusanus betrachtete den Erkenntnisprozess als ein unpräzises Ordnen und Klassifizieren der Empfindungsdaten und die menschliche Seele als die Kraft, die sich allen Dingen anzugliedern vermochte. Die Wahrnehmung selbst, beispielsweise das Sehen, verlief in folgender Weise: Jedes Organ besaß eigene ›Geister‹ (spiritus), die die Sinnesempfindung bestimmten; im Organ der Imagination wurden die verschiedenen Empfindungsdaten durch einen anderen, im ganzen Körper gleichmäßig verteilten, ›Geist‹ verglichen und aufeinander bezogen. Erst die Vernunft hatte die Fähigkeit, diese Daten zu unterscheiden und zu sortieren.36 Charles de Bovelles kombinierte die Naturphilosophie – man schreibt ihm zu, eine erste vollständige Darstellung des Menschen als Mikrokosmos vorgelegt zu haben37 –, mit der Analyse der Seelenkräfte und mit der Lehre der Auferstehung. Als Mitglied einer humanistischen sodalitas lernte er Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486–1535) kennen, führte Briefwechsel und besuchte sogar den Abt des Sponheimer Benediktinerklosters, Johannes Trithemius (1462–1516), der Partei für Rudolf Agricola, Jacob Wimpfeling, Johannes von Dalberg und Conrad Celtis ergriffen hatte. Wie Lefèvre d’Étaples strebte er intellektuell nach einer Verbindung von Platon und Aristoteles, und methodisch nach einer Kombination von logischen Vorgängen und einer sensualistischen Auffassung der Erkenntnis. Die Schwierigkeit, diese beiden Sichtweisen miteinander zu versöhnen, führte ihn zum Entschluss, sein 1510 erschienenes Werk über die Seele mit eigenen Bildern zu versehen. Diese Bildersprache sollte die Unsicherheiten klären.38 36
37 38
Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit. Bd. 1. Darmstadt 1991 (Nachdruck der 3. Ausgabe 1922), S. 21–72. Pauline M. Watts: Nicholaus Cusanus. A Fifteenth Century Vision of Man. Leiden 1982. Charles Edward Trinkaus: In Our Image and Likeness: Humanity and Divinity in Italian Humanist Thought. 2 Bde. London 1970 (Ideas of human nature Series); Ders.: The Scope of Renaissance Humanism. Ann Arbor 1983 (mit zukommenden Beiträgen). Cassirer (1991), S. 63. Im Weiteren werde ich folgendes Buch kommentieren: Carolus Bovillus [Charles de Bovelles]: Liber de intellectu. Liber de sensibus. Libellus de nihilo. Ars oppositorum. Liber de generatione. Liber de sapiente. Liber de duodecim numeris. Philosophicae epistolae. Liber de perfectis numeris. Libellus de Mathematicis rosis. Liber de Mathematicis corporibus. Libellus de Mathematicis supplementis. Stuttgart/Bad Cannstatt 1970 (Faksimile der Ausgabe Paris 1510). Zu Charles de Bovelles, vgl. Charles de Bovelles en son cinquième centenaire 1479–1979, Paris 1982; Maurice de Gandillac: Lefèvre d’Étaples et Charles de Bouelles lecteurs de Nicolas de Cues. In: L’humanisme français au début de la Renaissance, Paris 1973, S. 155–171; Françoise Joukovsky: Le Regard intérieur. Thèmes plotiniens chez quelques écrivains de la Renaissance. Paris 1982; Jean-Claude Margolin: L’enseignement des mathématiques en France (1540–1570). Bovelles, Finé, Peletier, Ramus. In: French Renaissance Studies (1540–1570). Humanism and the Encyclopedia. Hg. von Peter Sharratt. Edinburgh 1976, S. 109–155; Joseph M. Victor: Charles de Bovelles 1479–1553, an intellectual biography. Genève 1978.
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Abb. 1: Bovillus (1510), Fol. 42 v°.
28 Von den christlichen Neuplatonikern und dem Werk des Raymundus Lullus behielt Bovelles vor allem die Naturphilosophie im Gedächtnis. Gott habe die Welt aus dem Nichts erschaffen, was für den Erkenntnisprozess bedeutete, dass der Intellekt ständig zwischen dem Nichts und einem ›Etwas‹ unterschied und somit in eine fortdauernde Bewegung hineingezogen wurde. Das Sein der Begriffe sei also in seinem Werden, in den Operationen der Seelenkräfte begründet. Wie die ›äußere‹ Wirklichkeit auf Betätigungen der Seele zurückgeführt werde, so ruhe die Naturauffassung auf der Übereinstimmung von Ich und der Welt. Der Mensch sei demnach ein Spiegel des Alls, in dem alle Kräfte des Universums konvergierten. Jedes kosmische Element entspräche einem Körperteil bzw. Seelenvermögen. Die Bilder der Einbildungskraft beispielsweise seien analog zu den Gestirnen, die inneren Sinne zum Firmament [Abb. 1]. Im Unterschied zu dem »Intellekt der Engel« (intellectus angelicus) deckten sich im »menschlichen Verstand« (intellectus humanus) nicht Sein und Wissen; der Mensch könne nur ein nachgeordnetes Abbild des gegebenen Seins gewinnen. Der Hierarchie der Schöpfung folgend verliefen die Erkenntnisstufen vom »englischen Verstand« über die konkreten Naturdinge, und von diesen zum menschlichen Geist. Die Gegenstände im »englischen Verstand« hätten ein intellektuelles Sein und eine sinnliche, natürliche Existenz, wohingegen sie im menschlichen Intellekt lediglich ein abgeleitetes, rationales Sein gewännen. Den Erkenntnisverlauf beschrieb Bovelles wie folgt: Nachdem die Formen der Naturdinge durch die äußeren Sinne in die Seele eingetreten waren, wurden sie im Intellekt erwogen und anschließend dem Gedächtnis überliefert, das die umgeformten Außendinge bewahrte. Diese Umbildung geschah mittels Imagination, die, als Mittler zwischen Verstand und Gedächtnis, an ihrer beiderseitigen Natur Anteil hatte. Im Gegensatz zum Verstand, der notwendigerweise mit dem Gedächtnis zusammenhing und sich durch eine bestimmte Passivität auszeichnete, war die Imagination das aktive Vermögen der Seele. Deswegen verlieh Bovelles ihr auf seinen Bildern den obersten Rang in der menschlichen Seele [Abb. 2]. Wie Ficino tendierte er dazu, den »Sitz der phantasia« mit einem subtilen Körper astralen Ursprungs zu identifizieren. Deshalb schätzte er, wie Ficino, den Hörsinn als den spirituellsten äußeren Sinn. Nach Ficino war die besondere Macht der Musik auf die Ähnlichkeit zwischen dem materiellen Medium, übertragen durch die Luft, und dem menschlichen Geist zurückzuführen; beide seien lebende Arten Luft, die sich in sehr organisierter Weise bewegten und durch den Text des Gesanges intellektuellen Inhalt vermittelten. Die Musik sei wirkungsvoller als alles andere, was durch die anderen Sinne übermittelt würde, weil ihr Medium, die Luft, von derselben Natur wie der menschliche Geist sei. Das Sehen hingegen gab lediglich statische Oberflächenbilder der Dinge wie-
29
Abb. 2: Ebd., Fol. 60 v°.
30 der.39 Auf den Darstellungen der Seele standen Ohren demnach höher als Augen, obgleich letztere durch die Verbindug zur Schrift bevorteilt waren [Abb. 3]. Die stete Bewegung der Seele lieferte für Bovelles den besten Beweis ihrer Unsterblichkeit. In seinem bereits vor 1529 verfassten – dessen Grundideen schon in den Dialogi de trinitate duo (Paris 1513) vorgestellt waren –, jedoch erst 1551 veröffentlichten Manuskript über die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung bemühte sich Bovelles, die überlieferte Lehre der leiblichen Auferstehung gegen Ficinos heterodoxe Überlegungen zu verteidigen. Dafür suchte er einen rationalen Beweis der Unsterblichkeit der Seele, wobei er sich dabei ausdrücklich auf die aristotelische Definition der Seele und erneut auf seine Abbildungen stützte.40 Im ersten Stück, einem Dialog zwischen einem Ausländer, benannt Idiota, und einem Druiden, sagte der Ausländer, dass er sich für die Wissenschaft begeistere aber unter geistiger Unruhe leide, weil er am Problem der Erkenntnis der Seele verzweifele. Sein Gesprächspartner, ein weiser und gelehrter Druide, berief sich auf antike und patristische Autoritäten und vor allem auf eine rationale Analyse. Der aristotelische Begriff der endelêcheia bezeichne »eine bestimmte Kontinuität der inneren Tätigkeit, oder eine bestimmte, immerwährende, in ihren Kräften unerschöpfbare Bewegung der Seele, die sich auf sich selbst in den verborgensten Winkeln der Seele richtet«.41 Da diese Tätigkeit nicht ohne die Substanz, auf der sie ruhte, zu denken sei, und da eine Tätigkeit nicht im Vakuum fortbestehen könne, sei die Seele unsterblich. Wenn Bovelles Mathematik mit Musik verglich, unterschied er vier substanzielle Tätigkeiten und erste Formen der Dinge: Sein, Leben, Empfinden und Verstehen; die drei ersten stellte er durch eine gerade Linie, die vierte durch eine Kurve dar, da der Erkenntnisprozess reflexiv und wechselseitig sei. Unter allen irdischen Geschöpfen war einzig die menschliche Vernunft und Verstand besitzende Seele imstande, den Kreis zu vervollkommnen, in welchem die endelêcheia lag.42 39 40
41
42
Dazu vgl. Walker (1958), S. 3–29. Im Weiteren werde ich folgendes Buch kommentieren: Caroli Bouilli Samarobrini: De Animae immortalitate, Dialogus unus. De Resurrectione, Dialogi duo. De Mundi excidio, Dialogus unus. Parisiis: Reginaldus Calderius. 1551 (der dritte Dialog ist 1552 datiert). Dazu vgl. Peter Sharratt: Le De immortalitate de Bovelles, manifeste et testament. In: Charles de Bovelles en son cinquième centenaire, 1479–1979. Paris 1982, S. 129–141. Bouillus (1551), Fol. 6 v°. Im Anschluss an Cicero verwechselten oft Bovelles’ Zeitgenossen endelêcheia (agitatio, ständige Bewegung) und entelêcheia (Perfektion oder vollständige Realität). Als entelêcheia steure die Seele den Körper. Als entelêcheia sei sie lediglich die Form des Körpers. Zur endelêcheia bzw. entelêcheia, vgl. Eugenio Garin: ENEEXEIA e ENTEEXEIA nelle discussioni umanistiche. In: Atene e Roma 5 (1937), S. 177–187. Bouillus (1551), Fol. 13 v° – 15 r°.
Abb. 3: Bovillus (1510), Fol. 32 v°-33 r°.
31
32 Das zweite, De resurrectione betitelte Stück ist ein Dialog zwischen einem nicht heuchlerischen, sondern frommen Pharisäer, einem Saduzäer und einem Philosophen, die die Fragen der Auferstehung des Körpers und der Wiedervereinigung der Seele mit dem Körper am Ende der Zeit erörtern. Der Pharisäer behauptet, dass der Körper Anteil an den Höllenstrafen bzw. an der himmlischen Glückseligkeit habe, was den Saduzäer überzeugt. Der Philosoph bezog sich auf den Endelechiebegriff, um die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen: nach dem Tod behielten die Seelen ihre irdischen Eigenschaften und erführen weiterhin das Bedürfnis, mit einem Körper verbunden zu sein, um all ihre Kräfte auszuüben. Der dritte Dialog behandelt die Zerstörung der Welt am Ende der Zeit und ihre künftige Wiederherstellung, die, laut Bovelles, der menschlichen Vernunft noch nicht zugänglich sei. Bovelles’ Werk stellt klar, wie selektiv die Rezeption der neuen Philosophien war. Bovelles stützte sich zwar auf Ficinos Auffassung vom spiritus phantasticus, lehnte jedoch dessen heterodoxe Überlegungen über die ›imaginären‹ Höllenstrafen stark ab. Dabei bemühte er sich erstmalig, die Lehre der leiblichen Auferstehung mittels eines rationalen Beweises der Unsterblichkeit der Seele und einer Untersuchung der Seelenkräfte darzulegen. Die Kritik am Totenkult seitens der Anhänger Martin Luthers (1483– 1546) entwickelte sich in diesem Kontext von Unsicherheiten bezüglich des jeweiligen Bereiches von Lebenden und Toten und richtete sich auf den Interimstatus der Seele zwischen individuellem Tod und Jüngstem Tag.
1.3
Die Umdeutungen in der Reformationszeit
Wenngleich die Reformationszeit im Heiligen Römischen Reich nicht durch die Entstehung klarer Konfessionsparteien und -kulturen gekennzeichnet war, löste sie dennoch einen starken theologischen und wissenschaftlichen Diskussionsschub aus. Zunächst wurde die typische Symbiose des späten 15. Jahrhunderts von Wissenschaft, Magie und Humanismus hinterfragt.43 Durch die inner-humanistische Debatte um die Astrologie und deren deterministische Interpretationen wurden die Stellung des Menschen im Makrokosmos und das Problem der menschlichen Freiheit sowie die Definition vom Beweis weiter erörtert.44 Die Humanisten hatten der Figur des Magus 43
44
Vgl. Anthony Grafton: Humanism, Magic and Science. In: The Impact of Humanism on Western Europe. Hgg. von Anthony Goodman, Angus MacKay. London/New York 1990, S. 99–117. Vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Astrologisch-magische Theorie und Praxis in der Heilkunde der frühen Neuzeit. Stuttgart 1985 (Sudhoffs Archiv, Beihefte 25), S. 38–41; Brian Vickers: Kritische Reaktionen auf die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. In: Zwischen Wahn, Glaube und Wissenschaft. Magie, Astrologie, Alchemie und Wissenschaftsgeschichte. Hg. von Jean-François Bergier. Zürich 1988, S. 167–239 stützt sich vorwiegend auf spätere Beispiele.
33 eine neue Ehrwürdigkeit verliehen, insofern er in ihren Augen der Mensch sei, der die Naturgesetze verstehen, gar mit ihnen umgehen könne.45 Bereits gegen Ende des 15. Jahrhunderts, während einige Gelehrte bemüht waren, den Magiebegriff zu systematisieren, betonten manche Humanisten eher die Stellung des Menschen im Makrokosmos, des Menschen inmitten aller Dinge, mehr als Spiegel des Weltalls, denn als dessen aktiver Gestalter. In der Reformationszeit wurde die eschatologische Frage zu einem Zankapfel, da sie den Status des Klerus bzw. der Regenten und deren disziplinierende Aufgabe ins Spiel brachte. Obwohl die verschiedenen Anhänger Martin Luthers ursprünglich keine eindeutige, einheitliche Meinung bezüglich der Hölle hatten, stritten sie bald ab, dass die Seele nach dem Tod aktiv sei, dass sie durch das Fegefeuer geheilt oder gereinigt werde. 1.3.1
Die Magie, zwischen Wissenschaft und Aberglaube
Infolge der Wiederentdeckung des neuplatonischen, hermetischen und kabbalistischen Schrifttums seit der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden um 1500 die Welt und der Kosmos nicht mehr in hierarchisch von einander getrennten absteigenden Stufen angeordnet, sondern eher als eine dynamische Verbindung des Mikro- mit dem Makrokosmos angesehen, die in Seele und Geist zusammenlief. Der Mensch konnte danach zur Erkenntnis der Analogien beider kosmischen Hälften gelangen. Die Astrologie wurde die erste Wissenschaft, durch welche der Mensch, der auch mit den ›Sympathien‹ oder verborgenen Verknüpfungen zwischen den Dingen vertraut war, Macht durch magische Operationen gewinnen konnte. Marsilio Ficino entwickelte erstmals das Projekt einer magia naturalis, die mittels Sympathien dem Menschen den Kosmos erkennbar machte. Als das Konzept einer ›Weltseele‹ (anima mundi) zunehmend kritisiert wurde, als sich außerdem eine Kritik an der polysemantischen Natur der Spiritus-Verwendungen entwickelte, bemühten sich die neuen Anhänger der okkulten Wissenschaften, den Magiebegriff zu systematisieren, und Magie vom Aberglauben zu trennen.46 In Ficinos 1469 abgeschlossenen und erst 1482 veröffentlichten Kommentar zu Platons Symposium, in dem er sich seiner neuplatonischen und hermetischen Übersetzungen bediente, entwickelte er die These einer von Gott ausgehenden und verbindenden Liebe, die drei kosmischen Stufen durchlief. Die unsterbliche Seele, die den Menschen zu Gott führen konnte, benutzte die Liebe (später, in Anlehnung an die Neuplatoniker, Sympathie benannt) als Vehikel. Zwischen Mensch und Gott agierten die daemones, 45
46
Vgl. Frances A. Yates: The Hermetic Tradition in Renaissance Science. In: Art, Science, and History in the Renaissance. Hg. von Charles S. Singleton. Baltimore 1967 (The John Hopkins Humanities Seminars), S. 155–274. Eugenio Garin: Astrologie in der Renaissance. Frankfurt am Main/New York 1997. Zu diesem Absatz, vgl. Müller-Jahncke (1985), S. 33–67.
34 welche die Gestirne bewegten und einen erheblichen Einfluss auf das Schicksal der Menschen ausübten. Die ›Liebe‹ erlaube mittels der allverbindenden Sympathie eine Kenntnis der ›Natur‹ – die bei Ficino alle im Kosmos enthaltenen Dinge bezeichnete. Diese so verstandene Kenntnis der Natur, die frei von Beschwörungen, Bildern oder Zahlen blieb, nannte Ficino magia naturalis. In seiner Theologia platonica übertrug er die bisher der Liebe zugeschriebenen Aufgaben auf die ›Seele‹. Diese unsterbliche und immaterielle Seele herrschte im abgestuften Kosmos, verlieh ihm seine Harmonie und teilte sich ausgehend von Gott über Engel fort zu den beseelten himmlischen Sphären, die ihrerseits wiederum die Dinge der Natur prägten. Die göttliche Magie wirkte durch die Kenntnis der Ideen, die Gott durch diese ›Weltseele‹ dem Kosmos mitteilte. Beide Genera der Magie beruhten auf der Astrologie. Der Graf Giovanni Pico della Mirandola, ein enger Freund Ficinos, entwickelte in seiner Oratio de Hominis dignitate (1486), die sich allerdings keines großen Leserkreises erfreute, eine andere Auffassung von der Stellung des Menschen im Kosmos. Pico wies wie Ficino auf die hermetischen und neuplatonischen Schriften als Quellen der prisca theologia hin, zu denen er auch die jüdische Mystik, die Kabbala rechnete, und denunzierte die dämonische Magie. Diese war in seinen Augen weder eine scientia noch eine ars, im Gegensatz zur magia naturalis, die auf die Kenntnis und Beherrschung des Universums, letztendlich auf eine Befreiung des Menschen abzielte. Die magia naturalis sei ein Teil der scientia, da die astrologischen Einflüsse und die Sympathien zur Erklärung physischer Phänomene, wie der Heilung von Krankheiten, diene. Die magia caeremonialis bediene sich bestimmter Gesänge, Charaktere, Zahlen und Namen, um die von Gott hierarchisch geschaffene Welt zu beeinflussen. Während der Mensch bei Ficino an den Kosmos gebunden war, verlieh ihm Pico mehr Freiraum. Im Anschluss an letzteren bemühte sich der Neapolitaner Ludovico Lazarelli (1450–1500), durch die hermetischen Schriften den Weg zu finden für eine Befreiung des Menschen aus seiner festgelegten Position innerhalb der Hierarchie des Universums. Lefèvre d’Étaples griff seinerseits zunächst auf Ficinos Philosophie zurück und bemühte sich ebenfalls, die verborgenen Kräfte des Kosmos mittels der magia naturalis zu erklären. Er lehnte wie Pico die dämonische Magie ab, legte jedoch großen Wert auf die Anwendung der Zahlen in der magia naturalis, da sie die Symbole der von Gott herrührenden Kräfte darstellten. Die Polemik – ausgelöst durch Johannes Reuchlins (1455–1552) Werke, insbesondere sein De verbo mirifico (1494), im dem er die jüdische Kabbala verwendete, und zeitgleich im Gang gesetzt durch italienische Gelehrte wie Pietro Galatino (1460–1540) und Egidio da Viterbo (1465–1532) – verhärtete die Vorbehalte gegen die Magie. Als Johannes Trithemius im Auftrag von Kaiser Maximilian I. seine Chronologia mystica, die bald unter dem deutschen Titel Das wunder Büchlein übersetzt wurde, veröffentlichte, vermied
35 er, sich der Astrologie zu bedienen. Darin assoziierte er die Weltenzeiten mit den Planetengeistern, deren Namen er aus der Kabbala ableitete. Seine weiteren Werke, die nach 1507 abgeschlossene, jedoch erst 1606 gedruckte Steganographia sowie die ebenfalls Maximilian gewidmete, 1508 abgeschlossene Polygraphia, beruhten auf der Buchstabensymbolik des Hrabanus Maurus (780–856) sowie auf der ars inveniendi des Raimundus Lullus. Er nahm darin keinen offenen Bezug auf die Kabbala, behielt dennoch den Ruf eines Magiers. Trithemius wurde von Paracelsus als Lehrer anerkannt und Agrippa von Nettesheim widmete ihm 1510 das Manuskript seines ersten Werkes De occulta philosophia. Agrippa, der 1509 an der Universität Dôle eine Vorlesung über Reuchlins De verbo mirifico gehalten hatte, hatte 1510 die Handschrift seines eigenen Werkes Trithemius überreicht. Bis zu deren Drucklegung im Jahre 1533 unterzog er sie einer kompletten Überarbeitung. Agrippa bemühte sich sehr in seiner De occulta philosophia, den Magiebegriff zu systematisieren. Deshalb gliederte er das Werk in drei Teile, in denen er sich zunächst mit der ›natürlichen Magie‹ (Kosmos, Wunder, Zeichen, Signaturenlehre, Weissagung), dann mit der ›himmlischen Magie‹ (Mathematik, Zahlen, Musik und Himmelskörper) und abschließend mit der ›zeremoniellen Magie‹ (Macht und Kraft göttlicher Namen, Intelligenzen, Dämonen und Wahrsagung) befasste. Der erste Teil stützte sich auf Ficinos Definition der magia naturalis als Erkenntnis der Eigenschaften der natürlichen Dinge wie der Gestirne und deren Anwendung in der Medizin und der Mantik, und Agrippa definierte sie im Anschluss an Pico als Teil der philosophia naturalis. Wie seine Vorgänger vertrat er eine hierarchische Auffassung des Kosmos, der durch die anima mundi verbunden war. Die Weltseele vermittelte die Ideen als semina rationalia in die Materie der himmlischen Welt, wo sie deren virtutes als sichtbar wirkende Kräfte weckte, letztendlich für die irdische Welt.47 Dem Mikrokosmos-Ansatz zufolge war die Seele imstande, die virtutes des Körpers in den äußeren und inneren Sinnen zu wecken, die von den vier Elementen abhingen. Wenngleich Agrippas Vorstellung eines hierarchisch gestuften Kosmos der Vergangenheit angehörte,48 47
48
Cornelius Agrippa: De occulta philosophia libri tres. Hg. von V. Perrone Compagni. Leiden/New York u.a. 1992 (Studies in the History of Christian Thought 98), S. 101–128. Vgl. Müller-Jahncke (1985), S. 63–67; Agrippa verwarf zudem die Astrologie als »Mutter aller Häresien«. Nach Paola Zambelli verkörperte Agrippa einen neuen Magiertypus. Die Figur des Magiers sei nun von denjenigen des Priesters und des Prophets getrennt. Vgl. Paola Zambelli: Cornelius Agrippa, ein kritischer Magus. In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 65–89. Vgl. auch dazu Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Agrippa von Nettesheim: »De occulta philosophia«, ein ›magisches System‹. In: Magia naturalis und die Entstehung der modernen Naturwissenschaften. Hgg. von Alfred Heinekamp, Dieter Mettler. Wiesbaden 1978 (Studia Leibnitiana, Sonderheft 7), S. 19–26.
36 brachte er sie erstmalig mit einer Theorie der Seele, des Lebens nach dem Tod und der menschlichen Identität in Verbindung. Seiner Definition vom Kosmos entsprechend vertrat Agrippa eine hierarchische Vorstellung von der Seele, in der die Seelenkräfte nach ihren materiellen Komponenten verortet waren. Da der Mensch nach dem Bild Gottes (imago Dei, Gen. 1,27) erschaffen sei, besitze er einen Geist (mens), »der sich wie ein göttlicher Glanz nach allen Seiten verbreitet, und alles erfüllt, bewegt und verbindet«49 und insofern immateriell sei. Die Vernunft (ratio) sei ihrerseits »gewissermaßen körperlich«, habe jedoch keinen dichten, berührbaren und sichtbaren, sondern einen höchst feinen Körper, der sich leicht mit dem Verstande [mens], d. h. mit jenem Höheren und Göttlichen in uns vereinigt. Man dürfe sich deshalb nicht darüber wundern, wenn wir sagen, die vernünftige Seele sei jener Geist und habe etwas Körperliches, nehme gewissermaßen an der Körperlichkeit teil, solange sie in dem Körper weile, und bediene sich desselben als eines Werkzeuges …50
In Anlehnung an die Neuplatoniker verwendete Agrippa den Begriff der »ätherischen Körper der Seele als ihre[s] Vehikel[s]«.51 Obwohl er nicht unmittelbar wie Ficino vom »corpus phantasticus« sprach, verlieh er der Imagination eine ähnliche Funktion. Die Absonderung des Geistes bzw. Verstandes (mens) von der Seele sowie vom Körper52 widersprach dem aristotelischen Begriff der endelêcheia bzw. entelêcheia. Da die Komponenten der Seele heterogen waren, verfügten sie über eine unterschiedlich lange Lebensdauer. Die Seele ist durch ihren Verstand [per mentem suam] unsterblich, durch die Vernunft [per rationem] in ihrem ätherischen Vehikel von langer Dauer, aber auflöslich, wenn sie nicht von einem neuen Körper umgeben wieder erneuert wird […]; das Bild der Seele oder die sinnliche und animalische Seele, die aus dem Schoße der körperlichen Materie entsteht, geht bei der Auflösung des Körpers zugleich mit diesem unter oder besteht in den Dünsten ihres aufgelösten Körpers noch kurze Zeit als Schatten fort und nimmt ihren aufgelösten Körper noch kurze Zeit, wenn sie mit der höheren Potenz vereinigt wird.53 49
50
51 52 53
Agrippa (1992), S. 510: »et spiritus tanquam fulgor divinus sese undique diffundens, omnia replens, movens et connectens«. Ebd., S. 511–512: »sed hic agitur de spiritu rationali, qui tamen etiam corporeus quodammodo est: non tamen habet corpus crassum, tangibile et visibile, sed corpus subtilissimum et facile unibile cum mente, scilicet superiori et divino illo quod est in nobis. Nec miretur quispiam si animam rationalem dicimus esse illum spiritum et quid corporeum sive habere et sapere aliquid corporeitatis, dum est in corpore et illo utitur tanquam instrumento«. Ebd., S. 511: »… aethereum illud animae corpusculum, ipsius vehiculum«. Ebd., S. 521. Cornelius Agrippa (1992), S. 542: »Anima [itaque] per mentem suam immortalis, per rationem in aethereo suo vehiculo longaeva sed resolubilis, nisi in novi corporis circuitu restauretur […]; ita idolum animae sive ipsa sensibilis et animalis anima, quia ex corporea materia gremio educta est, resoluto corpore una cum illo interit aut in corporis sui resoluti vaporibus non diu superest umbra, nihil participans immortalitatis, nisi ipsa quoque sublimiori potentiae uniatur«.
37 Agrippa vertrat also nicht nur die These der Metempsychose oder Seelenwanderung durch das ätherische Vehikel, sondern auch der Existenz von Gespenstererscheinungen: Wenn der Mensch stirbt, so kehrt der Körper zur Erde zurück [, von der er genommen ist]; der Geist aber geht wieder zum Himmel [, von wo er herabgekommen], [wie der Ecclesiastes sagt: »Der Staub muß wieder zu Gott, der ihn gegeben hat« […] Das entseelte Fleisch, den leblosen Körper nennt man Leichnam […] Der Mensch aber ist aus dem Staube erschaffen, weshalb auch jener Dämon, der Herr des Fleisches und Blutes heißt, solange der Körper nicht durch die ordentlichen Leichenzeremonien geweiht worden ist.54
Wenn der Mensch in seiner früheren Lebenszeit Böses getan hatte, überließ ihn sein Geist der Gewalt des Teufels; seine betrübte Seele schweifte rastlos nun ohne den Geist in der Unterwelt wie ein Gespenst umher.55 Konsequenterweise erwarteten die verschiedenen Teile des Menschen unterschiedliche Strafen nach dem Tod. Der menschliche Geist (mens), dessen heilige Natur und göttliches Wesen fortdauerte, sei frei von aller Schuld und jeder Strafe. Der Körper hingegen werde zu Staub. Gegenstand der Höllenstrafen sei demnach die rationale und sinnliche Seele, die bis in alle Zeit unter ihren irdischen Begierden leiden würde. [Eine solche, des geistigen Wesens verlustige und der Herrschaft der rasenden Phantasie überlassene Seele wird auch Martern von körperlicher Art unterworfen, indem sie sie sich wegen ihrer Sündenschuld von dem Anschauen Gottes, wozu sie erschaffen war, mit Recht für immer ausgeschlossen erkennt, was, wie die heilige Schrift bezeugt, die herbste Strafe ist.] Eine solche Seele nimmt manchmal einen luftigen Körper an und in diesen eingehüllt sucht sie bald bei ihren Freunden Rat, bald verfolgt sie ihre Feinde […]. Da nämlich nach der Trennung der Seele vom Körper die Affekte, sowie Gedächtnis und Gefühl zurückbleiben, so sollen, wie die Platoniker sagen, besonders die Seelen von Ermordeten ihre Feinde verfolgen, indem nicht sowohl die menschliche Entrüstung dieses tut, als vielmehr die göttliche Nemesis und eine dämonische Macht es so fügt und zuläßt.56
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55 56
Ebd., S. 522–523: »Cum moritur homo, corpus in terram revertitur [de qua sumptum est]; mens [unde descendit] in coelos remeat, [sicut ait Ecclesiastes: »Revertitur pulvis in terram suam unde erat et spiritus redit ad Deum qui dedit illum«;] […] Caro itaque derelicta et vita defunctum corpus cadaver nuncupatur […] Creatus est autem homo pulvis terrae, unde et daemon ille dicitur dominus carnis et sanguinis, quandiu corpus non fuerit iustis exequiis expiatum et santificatum« Ebd., S. 523, 525. Ebd., S. 523–524: [Quare haec anima tunc expers intelligiblis essentiae, furentis phantasiae imperio relicta, etiam corporearum qualitatum cruciatu subiicitur, cognoscens sese iusto Dei iudicio ob suam culpam divina visione ad quam creata erat perpetuo privatam; quae quidem divina visio, sicut testatur Scriptura, est praesentia omnium malorum, quae poena est omnium acerbissima, quam vocant Sacrae Literae effusionem irae Dei.] Haec itaque animae imago quandoque aereum corpus ingreditur umbram, qua involuta nunc consulit amicos, nun exagitat hostes […] Nam, cum in anima seiuncta a corpore perturbationes et memoriae sensusque remanent, dicunt Platonici animas praecipue interfectorum hostes exagitare, non tam humana indignatione id efficiente, quam etiam divina nemesi ac daemone providente et permittente«.
38 Nach Agrippa, wie nach Ficino57 empfände also die Seele nach dem Tod ›imaginäre‹ Strafen. Wir müssen annehmen, daß sie nach dem Tode sich in einem ähnlichen Zustande befinde, wie in diesem Leben diejenigen, welche an Raserei oder Wahnsinn oder Melancholie leiden, oder die im Traum von Schreckbildern gequält werden, gerade wie wenn ihnen solches in Wirklichkeit widerfahren würde, während dieses doch nicht der Fall ist, sondern es sind nur in der Einbildungskraft haftende Schreckgestalten. So quälen auch die schrecklichen Bilder der Sünden die Seelen nach dem Tode, gerade als ob sie träumten, und das böse Gewissen martert sie auf die mannigfaltigste Weise.58
Agrippa bezog sich jedoch auf eine materiellere Auffassung von der Imagination als Ficino. Denn durch den corpus phantasticus blieben der Seele auch alle ihre Neigungen und Leidenschaften erhalten, welche die irdischen Gewohnheiten und Handlungen fortsetzten. Deshalb strafte sich der Mensch selbst – sogar nach dem Tod. Agrippa stellte erneut die Frage nach dem Tod und der Definition der menschlichen Identität. Wie Ficino, auf dessen Auffassung von der Imagination er sich bezog, wandte er sich eher dem Überleben der Seele als der leiblichen Auferstehung zu. Agrippas Werk löste dennoch neue Besorgnis der Kirche aus, die sich bereits mit der Magie und den unkonventionellen, zunehmend als heterodox empfundenen Überlegungen in Bezug auf den Tod beschäftigte. Deshalb bemühte sich Agrippa, die unterschiedlichen Auffassungen der Theologen und der Ärzte zu unterscheiden, die Magier nicht als gegen die herkömmliche Kirche potentiell rivalisierend darzustellen, und die ›Religion‹ klar vom ›Aberglauben‹ zu trennen: Jene, nämlich die Religion, sei »eine Ausübung äußerlicher gottesdienstlicher Handlungen und Zeremonien, wodurch wir wie durch Zeichen an die innerlichen und geistigen Dinge erinnert werden«, wohingegen der Aberglaube »jeder Kultus (sei), welcher der wahren Religion fremd ist […] und jede Verehrung, welche mehr zu dem Gottesdienste hinzutut, oder auf eine Art, wie es sich nicht schickt, einen religiösen Kultus erweist«.59 Die Beschäftigung der Kirche mit diesem Fragenkreis und die Kritik am Aberglauben lassen sich also schon vor der Reformation finden.
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Nach Charles Webster trug Agrippa maßgeblich zur Verbreitung Ficinos Kosmologie bei. Vgl. Webster (1982), S. 18. Ebd., S. 527: »Quae omnia ilis post mortem non secus contingere arbitramur quam in hac vita his qui phrenesi aut mania sive melancholico humor delirant aut qui in somniis horribilibus visis perterriti torquentur ac si vere haec illis contingerent«. Ebd., S. 409–410: »[Est itaque religio disciplina quaedqm externorum sacrorum ac ceremoniarum, per quam rerum internarum et spiritualium tanquam per signa quaedam admonemur […] Omnis itaque cultus, qui a vera religione alienus est, superstitio est et omnis veneratio, quae plus exhibet in cultum divinum quam vera religio, etiam superstitio est; similiter et illa, quae exhibet cultum divinum vel cui non debet vel eo modo quo non debet.]«
39 Agrippa entwickelte dennoch seine Überlegungen zum Werden der Seele nach dem Tod nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um Möglichkeiten und Bedingungen der Magie darzulegen. Denn, wenn der Geist erleuchtet war, d. h. im Zustand der Begeisterung (furor), der Verzückung (Ekstase) oder des Traums, war die Seele imstande, wahre Weissagungen zu erlangen. Agrippa definierte den Traum folgendermaßen: Unter Träumen verstehe ich hier solche, die aus dem mit dem Verstande vereinigten phantastischen Geiste [entweder infolge einer Erleuchtung des auf unsere Seele wirkenden Verstandes, oder infolge einer reinen Offenbarung irgendeines höheren Wesens] bei der erforderlichen Reinheit und Ruhe des Gemütes hervorgehen; denn nur aus solchen Träumen schöpft unsere Seele wahre Orakel, die wir als wirkliche Weissagungen betrachten können. In diesen Träumen scheinen wir zu fragen, zu lernen, zu lesen und zu erfinden; auch vieles Zweifelhafte, vieles Unbekannte, Unvermutete und noch niemals Versuchte wird uns in den Träumen offenbar …60
Dadurch verlagerte Agrippa die Fragestellung vom Tode und der menschlichen Identität auf die Weissagung (divinatio) und deren Wissenschaften. 1.3.2
Seelenschlaf und Schwärmerei
Aby Warburg (1866–1929) wies zum ersten Mal auf die Kontinuitäten zwischen Renaissance und Reformation hin. In einem aufschlussreichen Aufsatz vertrat er um 1918–20 die These einer »Renaissance der dämonischen Antike im Zeitalter der deutschen Reformation«.61 Er stellte fest, dass der neue Buchmarkt, insbesondere in Augsburg, einen regen Umlauf von Werken arabischer und italienischer Astrologen verzeichnete, die weniger als Beispiele gelehrter Wissenschaft denn als Weissagungsliteratur rezipiert wurden und in den sozialen, politischen und religiösen Umwälzungen eine plötzliche Aktualität erlangt zu haben schienen. Warburg hob die Zirkulation von Astrologen im Heiligen Römischen Reich und die politisch-konfessionelle Instrumentalisierung ihrer Werke hervor. Die Nativität und das Horoskop Luthers (1552), die von dem am Berliner Hof des Kurfürsten Joachim I. berufenen italienischen Astrologen Lucas Gauricus (1475–1558) verfasst wurden, waren von einem – wahrscheinlich später hinzugefügten – »maßloshaßerfüllten gegenreformatorischen Text begleitet«.62 Als jedoch der be60
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Ebd., S. 556: »Somnium dico nunc quod ex spiritu et intellectu invicem unitis [aut per illustrationem intellectus agentis super animam nostram aut per meram revelationem numinis alicuius,] purgata atque tranquilla mente procedit; ab hoc enim anima nostra vera recipit oracula affatimque nobis vaticinia praestat. Nam in somniis et interrogare videmur et discere et legere et invenire; multa quoque dubia, multa consilia, [multa incogita inopinataque neque unquam tentata animis nostris nobis in somniis patefiunt …]«. Aby Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Nendeln/Liechtenstein 1969, S. 489–558, hier 490. Ebd., S. 499.
40 rühmte Mailander Arzt Girolamo Cardano sich auf Gauricus bezog, um im Jahre 1543 eine neue Luther-Nativität zu veröffentlichen, ließ er deren gegenreformatorischen Ton gänzlich unbeachtet. Obwohl Luther sich der Astrologie vehement widersetzte, war demgegenüber sein Nachfolger Philipp Melanchthon (1497–1560), der dem humanistischen Interesse für das heidnisch-antike Erbe, insbesondere für die Astrologie, näherstand, weitaus weniger zurückhaltend. Melanchthon ergriff sogar Partei für jene Bewegung, die bestrebt war, Luthers Geburtsdatum vom 10. November 1483 auf den 23. Oktober 1484 zu verlegen, weil für diesen Tag, aufgrund einer Planetenkonstellation von Jupiter und Saturn im Zeichen des Skorpions, das Erscheinen eines religiösen Erneuerers vorausgesagt worden sei – dies ganz gegen die Meinung Luthers. Die Verbreitung illustrierter Wunderliteratur zugunsten der Reformation spaltete die Anhänger Luthers ebenfalls. Der brandenburgische Hofmathematiker Johann Carion (1499–1537) wendete sich gegen eine Woge von Flugblättern und Flugschriften, die im Jahre 1524 Sintflut und allgemeinen Krieg ankündigten und, laut Carion, auf den Reichstag zu Worms einzuwirken versuchten.63 Georg Spalatin (1484–1545) hingegen, ein Vertrauensmann sowohl Luthers als auch des Kurfürsten Friedrich des Weisen, förderte diese Presse, insbesondere die 1490 von Johann Lichtenberger (ca. 1440–1503) verfasste und sehr verbreitete Weissagung von der Geburt eines Reformators. Ihre deutsche Übersetzung erschien mit einer Vorrede Luthers und Holzschnitten von Lemberger in Wittenberg 1527 und wurde von den Protestanten als auch von ihren Gegnern instrumentalisiert.64 Luther widersetzte sich dennoch weder der Drucklegung einer Wunderlichen Weissagung von Osiander und Hans Sachs im Jahre 1527 noch der enormen 63 64
Ebd., S. 510–511. S. Collectio Vaticiniorum das ist/ Propheceien und Weissagungen Vergangene/ Gegenwaertige/ und Kuenfftige Sachen/ Geschicht und Zufaell/ Hoher und Niderer Stende/ Den Frommen zur ermanung und trost/ Den Boesen zum schrecken und warnung/ biß zum ende/ verkuendende … Hg. von Albert Ritter. Berlin 1923. Martin Luther: Vorrede zu »Die Weissagung Joh. Lichtenbergers deutsch zugericht« 1527. In: Luther, Werke WA 23, S. 1–12. Dazu Albin Czerny: Der Humanist und Historiograph Kaiser Maximilans I. Joseph Grünpeck. In: Archiv für österreichische Geschichte 73 (1888), S. 315– 364. Domenico Fava: La fortuna del pronostico di Giovanni Lichtenberger in Italia nel quattrocento e nel cinquecento. In: Gutenberg Jahrbuch 5 (1930), S. 126–148; Dietrich Kurze: Johannes Lichtenberger (†1503). Eine Studie zur Geschichte der Prophetie und Astrologie. Lübeck/Hamburg 1960; Dietrich Kurze: Popular Astrology and Prophecy in the Fifteenth and Sixteenth Centuries: Johannes Lichtenberger. In: Astrologi hallucinati. Stars and the End of the World in Luther’s Time. Hg. von Paola Zambelli. Berlin/New York 1986, S. 177–193; Robin Bruce Barnes: Prophecy and Gnosis. Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation. Stanford 1988; Heike Talkenberger: Prophetie und Zeitgeschehen. Texte und Holzschnitte astrologischer Flugschriften zur ›Sintflutdebatte‹ 1520–1524. In: Reformation und Revolution: Beiträge zum politischen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift für Rainer Wohlfeil zum 60. Geburtstag. Hgg. von Rainer Postel und Franklin Kopitzsch. Stuttgart/Wiesbaden 1989, S. 195–223.
41 Verbreitung einer Flugschrift von Papstesel und Mönchskalb ab 1523. Diese berichtete, dass eine Chimäre am Tiberufer 1495 gefunden worden sei. Sie diente als Warnung vor der Missgeburt einer Kuh 1523 in Sachsen.65 Die Renaissance-Auffassungen vom Kosmos, von der Seele und der menschlichen Identität wurden also bei den Protestanten wie auch bei den Katholiken partiell und selektiv aufgenommen. Lefèvre d’Étaples wurde durch die neue Ausgabe seiner Werke durch Josse Clichtowe (1472–1543)66 in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts breit gelesen und übte einen deutlichen Einfluss auf Luther aus. Bovelles’ Zahlenmystik wurde zwar von Erasmus als »unlesbar« verworfen, seine Untersuchung der Seelenkräfte dafür zu einem Standardwerk über die Seele, insbesondere bei den Protestanten.67 Die Verhärtung der konfessionellen Fronten im Zuge der Konfessionalisierung blockierte die intellektuellen Austausche nicht völlig. Als Giordano Bruno 1586 bis 1588 an der Universität zu Wittenberg unterrichtete, brachte er die antiken Ägypter und Assyrier, Cusanus, Kopernikus, Paracelsus und schließlich Luther (als Befreier von Tyrannei und Aberglauben) in Zusammenhang und lobte die Wittenberger Gedankenfreiheit – eine Offenheit, die nicht nur den innerprotestantischen Streitigkeiten zuzuschreiben war.68 In den beiden letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts und bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein begünstigten die unterschiedlichen Strömungen im Sinne einer ›allgemeinen Reformation‹ eine Erneuerung der Wissenschaften mittels vorkonfessioneller Quellen. Diese dauerhafte Unsicherheit war jedoch keineswegs neu. Denn das Problem des individuellen Loses nach dem Tod hatte auch innerhalb der Kirche bereits Anfang des 13. Jahrhunderts heftige Auseinandersetzungen hervorgerufen. Entegegen der Lehre des Augustinus, wonach das Schauen Gottes (visio Dei) erst am Jüngsten Tag stattfinden könnte,69 hatte Ende des 6. Jahrhunderts Gregor der Große behauptet, dass einige Fromme sofort nach ihrem Tod an der himmlischen Seligkeit teilnehmen würden.70 Mit dem Ausformulieren 65 66
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Warburg, S. 520–526; Daston, Park, S. 177–183. Vgl. Jean-Pierre Massaut: Josse Clichtove, l’humanisme et la réforme du clergé. 2 Bde. Paris 1968 (Bibliothèque de la faculté de philosophie et lettres de l’université de Liège 183). Zu Conrad Gesner, vgl. unten, S. 172–175. Zu Bovelles’ Rezeption, vgl. Lynn Thorndike: A History of Magic and experimental Science. Bd. 6. The Sixteenth Century. New York 1958, S. 442–443. Vgl. die von Giordano Bruno auf der Akademie zu Wittenberg gehaltene Abschiedsrede am 8. März 1588. In: Giordano Bruno: Gesammelte Werke. Ins Deutsche übertragen von Ludwig Kuhlenbeck. Bd. 7. Leipzig 1909, S. 81. Dazu: Barnes, S. 182–187. Augustinus: Enarratio in Psalmum. In: Opera omina. Hg. von Jacques-Paul Migne. Lutetiae Parisiorum 1865 (Patrologiae cursus completus 2.43), 36, 485. Für diesen Absatz, vgl. Jung-Uck Hwang: Der junge Calvin und seine Psychopannychia. Frankfurt am Main u.a. 1991 (Europäische Hochschulschriften 23.407), S. 161–178. Gregor der Große: Dialogorum. In: Cognomento Magni, Opera omnia. Bd. 3. Lutetiae Parisiorum 1862 (Patrologiae cursus completus. Accurante J.-P. Migne 2.77), 4.25, S. 357 und 4.27, S. 365.
42 seiner Lehe vom Fegefeuer bestätigte Thomas von Aquin die Möglichkeit einer sofortigen seligen Schau Gottes für die gereinigten Seelen.71 Diese inoffizielle Behauptung wurde zum Zankapfel als der Avignoner Papst Johannes XXII. 1331–1332 den Heiligen eine gewisse Schau Gottes schon vor dem Endgericht dem ›gemeinen Mann‹ aber die leibliche Auferstehung erst beim Endgericht zuschrieb. Zwar erinnerte er 1334 schon, auf dem Sterbebett liegend, an die früheren Äußerungen der Kirche zu diesem Thema seit Gregor dem Großen, musste jedoch erkennen, dass die sofortige Reinigung der Gläubigen im Fegefeuer und die Verdammnis der Gottlosen in die Hölle die biblische Lehre von Auferstehung und Jüngstem Tag in Frage stellte.72 Dieser Problemkreis führte auf die Übereinstimmung von Körper und Seele zurück. Seit Thomas von Aquin hatte die Kirche die aristotelische Formel anima forma corporis im Sinne einer Überlegenheit der Seele gegenüber dem Körper interpretiert: da die Seele dem Körper seine ›Form‹ verlieh, sei sie per se et essentialiter eine eigene Substanz.73 Die aristotelische Formel konnte aber ebenfalls dahingehend interpretiert werden, dass die Seele ohne Körper nicht existieren könne und beide demnach mit dem Tod vergingen. In seiner 1312 erlassenen Anordnung »Fidei catholicæ« beurteilte Papst Clemens V. eine solche Behauptung und wiederholte, dass die vernünftige Seele an sich die Form des menschlichen Körpers sei. Die Streitigkeiten um die richtige Interpretation jener Formel dauerten bis ins 16. Jahrhundert hinein. Die Natur der Übereinstimmung von Seele und Körper in Bezug auf die Auferstehung wurde zum Gegenstand reger Auseinandersetzungen insbesondere durch die Rezeption der Werke Averroes’. Von den Thesen Averroes’ über einen gemeinsamen, kollektiven Intellekt, der allein nach dem Tod des Individuums überleben würde und nicht Gegenstand jenseitiger Strafen oder Belohnungen wäre, übernahmen einige Gelehrte nur dies, dass die Unsterblichkeit der Seele nicht zu beweisen sei. Dagegen erklärte Papst Leo X. in der Bulle Apostolici regiminis (19. Dezember 1513, während des V. Laterankonzils) drei Thesen zu Häresien: dass die vernünftige Seele sterblich, dass in allen Menschen nur eine Seele sei, und dass jene Thesen allerdings zumindest philosophisch als wahr betrachtet würden. Diese Bulle war gerichtet gegen den Averroismus, der zu dieser Zeit insbesondere in Padua florierte. 71
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Thomas von Aquin: Summa theologica. Supplementum, q. 69, a. 2. Im Jahre 1439 bestätigte die Kirche am Konzil von Florenz die Kanonizität des Glaubens an das Fegefeur und präzisierte, dass die Seelen der Verstorbenen im Fegefeuer Leid oder Freude empfinden könnten. Vgl. George Huntston Williams: The radical Reformation. Philadelphia 1962, S. 21. Vgl. Georg Hoffmann: Der Streit über die selige Schau Gottes (1331–1338). Leipzig 1917; Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und hg. von Peter Hünermann. Freiburg im Breisgau u.a. 381999 (Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum); Hwang, S. 162–164. Thomas von Aquin: Summa theologica, I, q. 75 u. 76.
43 In Bologna und Padua löste Pietro Pomponazzis (1462–1524) Tractatus de immortalitate animae 1516 einen Streit aus; nachdem diese Abhandlung öffentlich in Venedig verbrannt wurde, musste deren Autor Rechtfertigungsschriften verfassen, u.a. 1518 eine Apologia und 1519 ein Defensorium. Pomponazzi knüpfte an die Tradition der leiblichen Auferstehung an, die er jedoch in eine Überlegenheit der Seele umdeutete. Seele und Leib zusammen bildeten den ganzen Menschen. Die aristotelische Formel anima forma corporis bedeutete jedoch nicht, laut Pomponazzi, dass der Geist trennbar sei, sondern dass Seele und Leib im Tod vergingen, weil der Verstand nicht ohne Imagination bestehen könne. Aus der sorgfältigen Analyse seines Traktates De anima zog Pomponazzi den Schluss, dass nach Aristoteles die Seele sterblich sei. Obwohl Pomponazzi die Unsterblichkeit der Seele als Angelegenheit des Glaubens ansah, wurde er zum Wortführer jener, die die christliche Lehre der Auferstehung leugneten.74 Diese Auseinandersetzungen fanden ein sehr lebhaftes Echo, da die norditalienischen Universitäten auch von vielen ausländischen Studenten besucht wurden. Gerhard Westerburg (1486–1558) beispielsweise studierte Jura in Bologna von 1515 bis 1517. Zwischen 1517 und seiner Rückkehr nach Köln 1521 fuhr er, wie Luther und Karlstadt (Andreas von Bodenstein), nach Rom, verließ die Stadt jedoch enttäuscht. In Köln traf er Markus (Thomä) Stübner, einen Sendboten der sogenannten ›Zwickauer Propheten‹. Diese Gruppe bestand vornehmlich aus drei Männern, Nikolaus Storch, Thomas Drechsel und Markus (Thomä) Stübner aus Zwickau. Sie sahen ein legitimes Mittel der Offenbarung in unmittelbaren Erleuchtungen durch göttliche Träume und Visionen und nicht in Predigten und im Lesen der Bibel. Beeindruckt von den Predigten Thomäs, folgte Westerburg ihm nach Wittenberg, wo er weitere ›Zwickauer Propheten‹ im Frühling 1522 sowie Luther im Herbst 1522 kennenlernte. 1523 schrieb Westerburg zwei Traktate an die Ratsherren in Köln, die Theologen der Universität Köln und den Erzbischof Hermann von Wied gegen die Lehre des Fegefeuers. Daher sein Spottname »Dr. Fegefeuer«. Wie Pomponazzi behauptete er, dass das Höllenfeuer rein geistig bzw. metaphorisch sei und der Tote nicht verderbe, sondern »rastet und ruewet in Christo/ und wirt jm der tod ain suesser schlaf«.75 Diese These vom ›Seelenschlaf‹ wurde zeitgleich von Karlstadt (der inzwi-
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Vgl. Pietro Pomponazzi: Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, LateinischDeutsch. Übersetzt und mit einer Einleitung hg. von Burkhard Mojsisch. Hamburg 1990 (Philosophische Bibliothek 434). Vgl. Andrew Halliday Douglas, Charles Douglas, R. P. Hardie: The Philosophy & Psychology of Pomponazzi. Hildesheim 1962 (Nachdruck der Ausgabe 1910), S. 67; Martin L. Pine: Pietro Pomponazzi, Radical Philosopher of the Renaissance, Padova 1986 (Centro per la Storia della Tradizione Aristotelica nel Veneto, Saggi e Testi 21); Hwang, S. 167–171. Gerhard Westerburch: Vom Fegfewer un[n] stand der verschayde[n] selen/ ain Christliche mainu[n]g nit wie bißher fuergebe[n]. Cölen 1523, Fol. a iv v°.
44 schen der Schwiegervater Westerburgs geworden war) theologisch vertreten.76 Als Karlstadt sich 1523 infolge seines Zwistes mit Luther im Jahre 1522 in Orlamünde ansiedelte, dort die Kindertaufe verwarf und die Realpräsenz Christi im Abendmahl bestritt, assozierte er den ›Seelenschlaf‹ unmittelbar mit Spiritualismus und Anabaptismus. Westerburg wurde dieser Entwicklung entsprechend 1534 zum Führer der ersten Wiedertäuferbewegung in Köln.77 Obwohl die Wiedertäufer dazu tendierten, den Geist als ›Ort‹ der göttlichen Verständigung mit dem Menschen herauszuheben, findet man kaum eine eindeutige täuferische Lehre des Seelenschlafs. Die Zweifel an einer unsterblichen Seele, die aus Norditalien drangen, beeinflussten entscheidend die Gelehrten, kaum dagegen den ›gemeinen Mann‹. Einige Anabaptisten, wie der Prediger und Arzt Otto Brunfels (ca. 1488–1534)78 – den Karlstadt als Einzigen in Straßburg besucht hatte79 – äußerten sich über den »Totenschlaf« sowie den »Schlaf der Heiligen im Interim vor dem Jüngsten Gericht«.80 Diese Vorstellung scheint jedoch diffus und eher Ausdruck weiterer Unsicherheiten über den Status des Menschen. So sprach beispielsweise der Laienprediger Clemens Ziegler von Ruprechtsau in den Jahren 1527–1532 von der »seligkeit aller menschen seelen« sowohl bei Christen als auch Juden und Muslimen, leugnete jedoch weder die Existenz des Teufels noch die Höllenstrafen. Er ließ vor allem die Frage unbeantwortet, was mit Seele und Geistes über den Tod hinaus geschieht.81 Die Assoziation der Lehre vom ›Seelenschlaf‹ mit Anabaptismus und Subversion war zum großen Teil eine Folge der konfessionellen Kontroverse. Denn das wichtigste Werk zu diesem Thema wurde 1534 vom jungen Calvin abgefasst, als er zum ›neuen Glauben‹ übertrat. In seinem Traktat, durch den es bewiesen wird, dass die Seelen wachen und leben, nachdem sie aus den Leibern herausgegangen sind, gegen den Irrtum einiger Ungebildeten, welche denken, dass sie bis zum Endgericht schlafen82 bekämpfte Calvin 76
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Andreas von Bodenstain von Karlstat: Ain Sermon von dem stand der Christglaubige[n] Seelen von Abrahams schoß und Fegfeür/ der abgeschydnen Selen. Wittenberg [/Augspurg: Nadler] 1523. Vgl. Williams (1962), S. 104–106. Vgl. Webster (1982), S. 18–19. Vgl. Manfred Krebs, Hans Georg Rott: Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. VII. Elsaß. I. Teil. Stadt Straßburg 1522–1532. Gütersloh 1959 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 27), Nr. 18, S. 24. Ebd., Nr. 77, S. 75–78, hier 76, 78: »… et dormitione mortuorum«, »Sancti interim dormiunt usque ad domini aduentum ad iudicium«. Ebd., Nr. 346, S. 563–571. Manfred Krebs, Hans Georg Rott: Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. VIII. Elsaß. II. Teil. Stadt Straßburg 1533–1535. Gütersloh 1960 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 27), Nr. 384, S. 70–90, hier 77–79. Traité par lequel il est prouvé que les âmes veillent et vivent après qu’elles sont sorties des corps, contre l’erreur de quelques ignorants qui pensent qu’elles dorment jusques au dernier Jugement. In: Œuvres françoises de J. Calvin recueillies pour la première
45 zwei Thesen. Erstens den ›Seelenschlaf‹, dass nämlich zwischen Tod und Jüngstem Gericht die Seele ohne Erinnerung und Vernunft sowie ohne sinnliche Fähigkeit schlafe und zweitens den ›Seelentod‹, dass die Seele, als pneuma oder Hauch und Lebenskraft, abhängig vom Körper und mit ihm, vor der Auferstehung des ganzen Menschen, sterblich sei. Die erste These schrieb Calvin den Täufern zu, die zweite den Averroisten (unklar ist dennoch, ob und wenn, wie intensiv Calvin Pomponazzi gelesen hatte). Gegen beide betonte er, dass die individuelle Seele eine Substanz sei, die nach dem Tod mit Sinn und Vernunft versehen fortlebe. Die Substantialität der Seele ergab sich laut Calvin aus der Erschaffung des Menschen ad imaginem Dei. Nach Calvin bildeten Seele und Leib zwei unterschiedliche Substanzen. Gott habe zuerst die Seele erschaffen, welche demnach der Sitz der imago Dei sei und eine gewisse Erkenntnis von Gott erlangen könne. Den Leib habe er nachher aus der Erde erschaffen; dieser sei abhängig von der Lebenskraft der Seele. Im Tod verließe die Seele den Leib wie eine Hülle. Die Unsterblichkeit der Seele begründete Calvin ebenfalls mit seiner Auffassung von Seele und Körper. Da sowohl intellektuelle als auch sinnliche Fähigkeiten zur Seele gehörten, behielte sie diese auch nach dem Tod; sonst gäbe es keinen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Die Seele »schlief[e]« demnach nicht nach dem Tod, sondern »ruh[t]e«. Da die Seele eine wesenhaft geistliche Substanz sei, könne ausschließlich der vergängliche Leib auferstehen. Dies war der entscheidende Punkt, da Calvins Gegner jeden Dualismus zwischen Seele und Körper verwarfen, und demnach die Auferstehung des ganzen Menschen hervorhoben. Nach Calvin hingegen begann das neue Leben nach dem Tod zunächst in der Seele, erst am Jüngsten Tag auch im Leib. Mit anderen Worten: Leiblichkeit sei das Ziel der Heilsgeschichte. Die Unsterblichkeit und Wachheit der Seele im Interim sicherte die menschliche und heilsgeschichtliche Kontinuität bis zum Endgericht.83 Calvin richtete seinen Traktat »an diese böse, hartnäckige Herde von Anabaptisten«,84 obgleich diese keine eindeutige Lehre des ›Seelenschlafs‹ formulierten. Außerdem prangerte er die unterschiedlichen Überlegungen
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fois, précédées de sa vie par Théodore de Bèze et d’une notice bibliographique par S.l. Jacob. Paris 1842, S. 25–105. Latein: Psychopannychia, qua refellitur quorundam imperitorum error, qui animas post mortem usque ad ultimum domire putant (Straßburg 1545). Zu einer detaillierten Analyse dieses Textes, vgl. Hwang, S. 161–312. Dazu auch Jean Calvin: Psychopannychia. Hg. von Walther Zimmerli. Leipzig 1932 (Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus 13). Wilhelm Schwendemann: Leib und Seele bei Calvin. Die erkenntnistheoretische und anthropologische Funktion des platonischen Leib-Seele-Dualismus in Calvins Theologie. Stuttgart 1996 (Arbeiten zur Theologie 83). »Je m’adresse à ce troupeau méchant obstiné des anabaptistes«. In: Œuvres françoises de J. Calvin, S. 28.
46 zu Seele und Auferstehung an, die unter bestimmten protestantischen Bewegungen ausgetauscht worden waren. Als Calvin seinen Traktat über die Seele verfasste, waren ihm vielleicht schon die Schriften Huldrych Zwinglis zur Widerlegung des ›Seelenschlafs‹ bekannt gewesen. Zwingli vertrat tatsächlich eine ähnliche Ansicht bezüglich der Seele, begründete diese jedoch mit philosophischen, aristotelischen Argumenten. Die Seele sei einerseits Geist (rationale, trennbare Seele), andererseits entelêcheia (Form des Körpers, Vollkommenes) und, Ciceros Interpretation zufolge, endelêcheia (Prinzip der Bewegung). Mit solchen Attributen versehen, schien es dem Zürcher Reformator gänzlich unmöglich, dass die Seele schlafe oder gar sterbe. Der rechte Glaube sichere ihm bereits die Unsterblichkeit der Seele und das ewige Leben.85 Zwinglis Nachfolger als Antistes oder Oberhaupt der Zürcher Kirche, Heinrich Bullinger lieferte eine ausführlichere, jedoch unsichere Beweisführung. In einem Brief von 1526 definierte er die Seele philosophisch als »Leben« (vita), weshalb sie nicht durch den Schlaf aufhören könne; die Seele sei »die ewige Entelechie« (perpetua entelêcheia).86 Der Schlaf, als »Unterbrechung« (cessatio), sei weiter nur eine Eigenschaft des Leibes. Nach dem Tod führte die Seele sofort ein ewiges Leben, der Körper hingegen erst am Jüngsten Tag, nachdem er vom Schlaf aufgewacht sei. Bullinger vermied jedoch wohlweislich das Problem der leiblichen Auferstehung – warum brauchte die Seele die leibliche Auferstehung, wenn sie sofort nach dem Tod die Unsterblichkeit besaß? – zielte stattdessen auf die Tätigkeit der Seele – ganz gegen die Anabaptisten. Er verwandte den ganzen zehnten Traktat seines sehr verbreiteten Buches Von dem vnuerschämpten frävel, ergerlichem verwyrren und unwarhafftem leeren der selbsgesandten Widertäufern, den ›Seelenschlaf‹ zu widerlegen. Die lateinische Übersetzung dieses Buches von Leo Jud änderte einige Stellen ab. Bullinger begründete die Unsterblichkeit und Tätigkeit der Seele mit philosophischen (die Seele als entelêcheia), biblischen (das ewige Leben sei kein Schlaf) und ontologischen (die Substantialität der Seele) Beweisen. Er führte vor allem ein bahnbrechendes Argument an: die Anabaptisten seien ungebildete Theologen, die nichts von der Natur der Seele verständen.87 Vielmehr als die helvetischen Theologen bemühte sich Calvin, den Wittenberger zu widerlegen. 85
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Walter E. Meyer: Huldrych Zwinglis Eschatologie. Reformatorische Wende, Theologie und Geschichtsbild des Zürcher Reformators im Lichte seines eschatologischen Ansatzes. Zürich 1987, S. 276. Elenchus 1527. In: Huldreich Zwinglis sämtliche Werke. Einzig vollständige Ausgabe der Werke Zwinglis. Hg. von Emil Egli. Bd. 88. Zürich 1981 (Corpus Reformatorum 88) (Nachdruck der Ausgabe Zürich 1905–1968), 6, 1. Heinrich Bullinger: Brief an Paul Beck. Zitiert nach: Hwang, S. 170. Von dem[m] unuer schampte[n] fraefel/ ergerlichem verwyrren/ unnd unwarhafftem leeren/ der selbstgesandten Widertoeuffern/ vier gespraech Buecher/ zue verwarnenn den einfalten/ Durch Heinrychen Bullinger/ geschribenn … Zürich: Christoffel Froschouer. 1531. Latein: Heinrychi Bullingeri Adversus omnia Catabaptistarum prava
47 Luther hatte tatsächlich zum ersten Mal im 16. Jahrhundert vom ›Seelenschlaf‹ geredet. Als Andeutung in einer Predigt vom 17. März 1521 und explizit in einem Brief vom 13. Januar 1522 an Nikolaus Amsdorf äußerte er seine Überzeugung, dass die Seele im Zustand zwischen Tod und Auferstehung schlafe, da sie sich des göttlichen Schutzes sicher sei. Der Mensch, der durch den Glauben gerechtfertigt worden sei, könne vertrauensvoll auf die Verheißung der leiblichen Auferstehung schlafend warten.88 Zehn Jahre später schrieb Luther erneut, dass der Tote im Schlaf die Gegenwart Christi erfahre und sich auf die leibliche Auferstehung am Jüngsten Tag freue. Die Gemeinschaft mit Christus sei deshalb nicht unterbrochen, obwohl der Tote von der Welt nichts mehr wisse.89 In den Vorlesungen über die Genesis, die er zwischen 1535 und 1545 hielt, unterschied Luther den Traum im Leben vom Traum nach dem Tod. Im Leben müsse der Mensch sich von der Arbeit erholen, weshalb er nachts schlafe und dabei Visionen und Worte von Engeln und Gott bekommen könne; die Seele jedoch wache im Ruhezustand. Der Traum nach dem Tod sei tiefer, jedoch lebe die Seele vor Gott.90 Die Gleichsetzung von Tod mit Schlaf oder Traum verleitete Luther jedoch nicht zur Spekulation über den Zwischenzustand der Seele, inwieweit der Tod nur einen Übergang zur leiblichen Auferstehung am Jüngsten Tag bildete. Eine erlesene Theorie des Seelenschlafs findet man also bei Luther nicht. Luther zielte vielleicht nur auf eine Widerlegung der katholischen Lehre des Fegefeuers ab.
1.4
Fazit
Die Auseinandersetzung zwischen Calvin und Luther über die Anabaptisten ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Denn sie wirft ein Licht auf die Komplexität der konfessionellen Haltungen um 1520–1530 und verdeutlicht die erheblichen Unterschiede in den Auffassungen von menschlicher Identität. Dabei wird auch erstmals der Spottname ›Schwärmer‹91 genannt. In Bezug auf den ›Seelenschlaf‹ lässt sich keine eindeutige konfessionelle Haltung erkennen. Obwohl Karlstadt und Zwingli ähnliche Ansichten zur Eucharistie teilten, stand Karlstadt bezüglich des ›Seelenschlafs‹ Luther
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dogmata libri IV. Tigurum, 1535. Zur Melanchthons Widersetzung der »ungebildeten Theologen«, vgl. unten Kapitel 2, S. 97–117. Martin Luther: Werke. Weimarer Ausgabe [= WA] Br. 2, S. 422; WA 37, S. 150–151. Luther: Werke WA 37, S. 150–151 (Predigt vom 28. September 1533). Ebd.: WA 43, S. 360. Ebd.: WA 11, S. 42, Z. 24–31 (Predigt über Matt. 15, 1. März 1523); Ebd.: WA Briefwechsel, Bd. 3, S. 305–308 (Brief an den Herzog Johann Friedrich von Sachsen vom 18. Juni 1524); Ebd.: WA 15, S. 216, Z. 12–20 (Brief an die sächischen Fürsten, Juli 1524); Ebd., WA 14, S. 681 Z. 14–682 (Vorlesung über den Deuteronom, 1525).
48 näher. Hinsichtlich der natürlichen Unsterblichkeit der Seele war Zwingli (wie später Calvin) mit dem V. Laterankonzil einverstanden, im Gegensatz zu Luther und Karlstadt sowie einigen Anabaptisten wie Gerhard Westerburg. Die anthropologische Definition des Menschen wurde jedoch zu einer theologischen Trennlinie. Das eigentliche Problem der Definition der Seele, als rationaler und unsterblicher Geist oder als Entelechie und Bewegungsprinzip, bestand am Anfang des 16. Jahrhunderts in ihrer Natur als imago Dei. Die Vereinigung zwischen Seele und Körper wurde schon sehr früh zu einer umstrittenen theologischen Frage und bereits im Jahre 1519 zum Gegenstand der Leipziger Disputation zwischen Luther und Johann Eck.92 Wie Erasmus von Rotterdam unterschied Eck deutlich das Fleisch (caro) vom Geist (animus oder mens), der die Fähigkeit der Erkenntnis und die Neigung zum Guten bezeichnete. Da der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen wurde, besaß er auch einen Geist als Ebenbild Gottes. Der Geist musste jedoch ständig gegen das Fleisch kämpfen. Um das Thema der imago Dei mit der Idee eines inneren Streits zu versöhnen, hatten die meisten Katholiken eine vorrangig instrumentelle Auffassung vom Körper entwickelt. Das Thema vom Ebenbild Gottes bedeutete auch für die Katholiken, und dies blieb eine Konstante bis hinein in das 17. Jahrhundert, dass die Seele die Fähigkeit besaß, die Zukunft vorherzusehen. Im Laufe des 16. und noch im 17. Jahrhundert betonten einige Orden, vor allem Jesuiten und Kapuziner, ihre Gottesnähe, in der sie Wundertaten und ›göttliche Träume‹ hatten und diese verbreiteten. Ihr Anliegen war es, ihre Gottesnähe mit dem allgemeinen posttridentinischen Streben zu verknüpfen, nämlich den heiligen und profanen Bereich schärfer einander abzugrenzen. Göttliche Träume und Weltferne das hieß, dass Gott sich nur Mönchen, Mystikern und Eremiten durch Träume anvertraute.93 Die lutherische Antwort auf die Frage der imago Dei war unsicherer. Die Annahme, dass Geist und Fleisch zwei unterschiedliche Substanzen im Menschen bildeten und ›Geist‹ die rationale Seele bezeichnete, sei, so Luther, ein Irrtum.94 Luther lehnte jene scharfe Unterscheidung zwischen Kör92
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Resolutiones Lutheraniae super propositionibus suis Lipsiae disputatis (1519). In: Ebd.: WA 11, S. 415. Zu den Kapuzinern, vgl. Hillard von Thiessen: Die Kapuziner zwischen Konfessionalisierung und Alltagskultur. Vergleichende Fallstudie am Beispiel Freiburgs und Hildesheims, 1599–1750. Freiburg im Breisgau 2002 (Rombach Wissenschaft: Reihe Historiae 13), S. 319–363. »Causa erroris est, quod subiectum gratiae dant solam animam eiusque nobiliorem parte, deinde quod carnem et spiritum distinguunt metaphysice tanquam duas substantias, cum totus homo sit spiritus et caro, tantum spiritus quantum diligit legem dei, tantum carum quantum odit legem dei«: Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis (1519). In: Luther: Werke WA 11, S. 415. Vgl. auch Lectiones super Galatias, in: Ebd.: WA 27, S. 364.
49 per und Seele ab. Der ganze Mensch, Körper und Seele, und nicht die rationale Seele allein, sei dem Seelenheil oder der Verdammnis unterstellt. In seinen Augen war die Imagination nicht eine Vermittlungsinstanz zwischen Körper und Seele, sondern gleichzeitig beides: Luther war der Auffassung, die Seele habe eine materielle Dimension, weshalb sie ein Schlachtfeld zwischen dem Bösen und dem Guten sei. Später warfen ihm Zwingli und darauffolgend Calvin dieses Einmischen des Körpers in die Seele vor, wobei sie selbst die göttliche Allmächtigkeit über alle lebenden Wesen, mit anderen Worten auch über den Körper, hervorhoben.95 Vor diesem Hintergrund wurde der Traum als Zusammenspiel von Seele und Körper zu einem zentralen Streitpunkt, vor allem bei den Lutheranern. Da die übernatürlichen Komponenten der Seele kaum von den natürlichen unterschieden werden konnten, konnten die Lutheraner die Frage der Zukunftsschau auch nicht eindeutig beantworten. Das Traum-Motiv wirkte als Kristallisationspunkt der Auseinandersetzungen. Als körperliches bzw. übernatürliches Medium, als Produkt der Einbildungskraft, als Folge von Bildern in Abwesenheit ihrer Gegenstände, als Tätigkeit der Seele im Schlaf, als unterlegene Form der Kommunikation mit dem Göttlichen, fasste es alle umstrittenen Fragen zusammen. Der Zusammenhang zwischen dem Leben nach dem Tod und dem irdischen Traum hing tatsächlich jedoch von der Natur der Imagination ab. Denn wenn die Imagination als ein »Kleid der Seele«, subtiler Körper astralen Ursprungs, das Vehikel der Kommunikation mit dem Übernatürlichen, mit dem Göttlichen, d. h. mit der Providenz sei, dann wären die Höllenstrafen eine Art Traum: die Seele, die in ihrem irdischen Leben von Imaginationen heimgesucht worden sei, bliebe in ihnen auch nach dem Tod gefangen. Diese Auffassung von der Imagination, die auf der gemeinhin rezipierten galenischen Theorie der spiritus animales beruhte und als Raster für die Physiologie des Menschen diente, tritt in Widerspruch zu der wachsenden Sorge um den individuellen Tod und die persönliche Auferstehung des Menschen. Die Frage nach dem eigentlichen Gegenstand der Auferstehung – dem ganzen Menschen oder nur dessen Leib – blieb unbeantwortet. Obwohl man die christliche Lehre der leiblichen Auferstehung betonte, wurden bestimmte Elemente abgeschwächt. Calvin beispielsweise entwickelte eine metaphorische Interpretation des Höllenfeuers. In der Kontroverse wurde bald der irdische Traum als Beweis dafür herangezogen, dass die Seele selbst im Schlaf stets tätig war, d. h. dass sie wachte und dass der Schlaf nur eine Eigenschaft des Körpers war. Die Assoziation von Tod und Schlaf bzw. Traum könne den ›Orthodoxen‹ zufolge 95
Vgl. W. S. Stephens: The Theology of Huldrych Zwingli. Oxford 1986, S. 139–153. Sachiko Kusukawa: The Transformation of natural Philosophy. The Case of Philipp Melanchthon. Cambridge 1995 (Ideas in context), S. 75–123.
50 deshalb nur bildlich, metaphorisch sein. Bald jedoch wurde das Traum-Motiv rein polemisch verwendet, um die theologischen Ansichten des Gegners als heillos zu verunglimpfen: Die Gegner stützten sich nicht auf göttliche Botschaften, sondern auf physiologische Träume. In seinem Traktat zum ›Seelenschlaf‹ bezeichnete beispielsweise Calvin die These seiner Gegner als »Wahn« und »Träumerei«.96 Die Beweiskraft des Traumes für eine göttliche Sendung war ebenfalls viel geringer als diejenige der Wunder. In seiner Abhandlung über die Astrologie verurteilte Calvin die ›judiziare‹, die deterministische Astrologie, als »Träumerei«, »Traum«, »verrückte Imagination«, sogar als »Aberglauben« und »Neugier« (curiositas)97 : »Da ist es, woraus heute so viele verrückte Meinungen oder eher Träumereien herrühren, die weder Farbe noch Schein haben und dennoch aufgenommen werden, als ob sie aus dem Himmel kommende Offenbarungen seien«98 . Die Anhänger solcher »Träume« bzw. (pejorativ konnotierten) »Träumereien« wurden als »Schwärmer«, »Enthusiasten« (enthusiastici) oder seltener »Fanatiker« (fanatici) verspottet. Der Spottname ›Schwärmer‹ hat heute noch unter den Spezialisten des Luthertums, die diesen lediglich auf die Lutheraner anwenden, keine Erklärung gefunden.99 Er war jedoch in den zeitgenössischen Texten in zwei 96 97
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Œuvres françoises de J. Calvin, S. 25: »folie«, »rêverie«. Ebd., S. 107–134: Traité ou Avertissement contre l’astrologie qu’on appelle judiciaire et autres curiosités qui règnent aujourd’hui au monde, hier S. 109 und 119 (»rêverie«), 121 (»songe«), 123 (»folle fantaisie«), 109 (»fantasie extravagante«), 134 (»esprits extravagants«), 125 und 128 (»superstition«), 130 (»superstitions«), 109 (»superstition diabolique«), 109 und 130 (»curiosité«). Ebd., S. 109: »Voilà d’où procèdent aujourd’hui tant de folles opinions, ou plutôt rêveries auxquelles il n’y a nulle couleur ni apparence, et toutefois sont reçues comme si c’étoient révélations venues du ciel«. Vgl. Thomas Kaufmann: Nahe Fremde. Aspekte der Wahrnehmung der ›Schwärmer‹ im frühneuzeitlichen Luthertum. In: Interkonfessionalität, Transkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hgg. von Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann, Hartmut Kaelble. Heidelberg 2003, S. 179–241. Catherine Dejeumont: Schwärmer, Geist, Täufer, Ketzer. De l’allié au criminel (1522–1550). In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 148 (2002), S. 21–46. Zur Nachgeschichte der Schwärmerei, vgl. Manfred Engel: Die Rehabilitation des Schwärmers. Theorie und Darstellung des Schwärmers in Spätaufklärung und früher Goethezeit. In: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Hg. von Hans-Jürgen Schings. Stuttgart/ Weimar 1994 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 15), S. 469–498; Anthony J. La Vopa: The Philosopher and the Schwärmer. On the Career of a German Epithet from Luther to Kant. In: Enthusiasm and Enlightenment in Europe, 1650–1850. Hgg. von Lawrence E. Klein, Anthony J. La Vopa. San Marino (Cal.) 1998 (Huntington Library Quarterly 60), S. 85–115; Philippe Büttgen: Foi, folie, raison et Réforme. L’histoire de la Schwärmerei au XIXe siècle. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 148 (2002), S. 81–118. Die beste Untersuchung ist bei weitem Folgende: Michael Heyd: »Be sober and reasonable«. The Critique of Enthusiasm in the Seventeenth and Early Eighteenth Centuries. Leiden/New York u.a. 1995 (Brill’s Studies in Intellectual History 63).
51 unterschiedlichen, jedoch komplementären Zusammenhängen verwendet worden. Zunächst prangerte man die unordentliche Gehirnaktivität der Enthusiasten an, deren Gedanken »hin und herflogen«, »umherflatterten«,100 und die die durch diesen ›Schwarm‹ erzeugten Bilder für eine göttliche Offenbarung hielten. Das Bild des Schwarms knüpfte an die aristotelische Interpretation der Imagination sowie an die galenische Physiologie der humores und spiritus animales an. In dem am weitesten verbreiteten Traumbuch der frühen Neuzeit, dem Traumbuch des Artemidor von Daldis in deutscher Übersetzung, las man in der Vorrede folgende Erklärung: So wir aber schlaffen, stehen wir von andern aeusserlichen Uebungen d[es] Leibs ab, uns seynd von andern empfindlichen Zufaellen entladen, derowegen die Gespaenste und Vorbildung, welche von den Feuchtigkeiten bewegt werden, von der Phantasey mehr im Schlaffe, dann so wir wachen, begriffen und gefasset werden. […] Diese Schwaetzer, Klapperer, und faule, traege Mueßiggaenger begeben sich des Tags auf mancherley unnuetze Gedancken. Derowegen nothwendig folgen muß, daß sie voller Vorbildung und Phantaseyen, daraus Traeume entstehen, stecken muessen. Die Melancholici und Trostmuethigen haben wegen der Cholera oder schwartzen Gallen Ueberflueßigkeit und boeser Eigenschaft wunderbarliche und seltsame Traeume. Denen Wahnsinnigen fallen auch viel und mancherley wunderbare und unerhoerte Phantaseyen im Träume zu, dieweil ihr Gemueht die aeusserlichen empfindlichen Dinge nicht unterscheiden, noch sich der Vernunft nach richten kann, moegen derohalben von mancherley Gedancken eingenommen werden.101
Dass auf den fliegenden corpus phantasticus Bezug genommen wurde, diente nun nicht mehr einer kosmologischen Interpretation der Seelenkräfte, sondern der konfessionellen Polemik gegen die Schwärmer. Wegen seiner physiologischen Konnotation und seiner langläufigen Assoziation mit der Melancholie erschien das Traum-Motiv besonders geeignet, die Gegner – seien sie Anabaptisten, Spiritualisten oder Mitglieder einer anderen Konfession – zu pathologisieren. Im Zentrum der Polemik stand der Traum als genuines Medium zum Übernatürlichen oder als Zeichen von Krankheit, der Traum, verstanden als Mittel der Offenbarung und Wahrsagung. Zudem wollten sich die Gegner von den ›Schwärmern‹ abgrenzen.102 100
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Vgl. »voltiger en l’air«, in: Œuvres françoises de J. Calvin, S. 110; »voltige légèrement çà et là«, in: Jean Calvin: Institution de la religion chrétienne. 2 Bde. Genève [1955], I, XII, 1. Summarischer Bericht, Was man von Traeumen, natuerlicher und goettlicher Weise halten solle; Aus der H. Schrift und andern beruehmten Philosophischen Buechern zusammen gezogen. In: Des Griechischen Philosophen Artemidori Grosses und vollkommenes Traum-Buch … Leipzig 1753, S. 30–67, hier S. 34, 38. Dieses Buch ist ein Nachdruck des Traumbuches, das 1554 in Straßburg bei Samuel Emmel erschien. Die Vorrede ist eine Kompilation aus einem Traktat von Philipp Melanchthon. Abdruck in: Corpus Reformatorum. Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia [= CR]. Hgg. von Carolus Gottlieb Bretschneider, Henricus Ernestus Bindseil. Bd. XX. Brunsvigae 1854, Sp. 675–683. Vgl. dazu unten Kapitel 2, 3. Die Anabaptisten und Spiritualisten beriefen sich auf eigene, göttliche Träume bzw. Visionen. Einige von ihnen vertraten auch die These des Seelenschlafs. Vgl. beispielsweise Gustav Bossert: Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer. Bd. I. Herzogtum
52 Der Spottname ›Schwärmer‹ könnte ebenfalls aus demselben Assoziationskreis der Wahrsagung entstanden sein. Schon in der Antike, insbesondere in den antiken Traumbüchern, wurden oft Bienen als Emblem für die Kommunikation mit den Göttern und deren Vehikel verwendet. Selbst Calvin schrieb in einem Kapitel gegen eine Idee der Weltseele und des pantheistischen Kosmos: Zwar, es ist aber um zu einem teuflischen Punkt zurückzugehen nämlich, dass die Welt, welche für den Anblick von Gottes Ruhm geschaffen wurde, ihr eigener Schöpfer sei. Da so legt ihn anderswo Vergil dar, von welchem ich die Wörter zitiert habe, d. h. nach der gemeinhin übernommenen Meinung unter den Griechen und den Lateinern: dass die Bienen eine gewisse Portion göttlichen Geistes und aus dem Himmel einige Tugend entnommen hätten, zumal Gott durch alle Züge der Erde und des Meers sowie durch den Himmel sich ausbreitet. Daher entzögen die gezähmten wie die wilden Tiere, den Menschen und jedem Ding einige kleine Portionen vom Leben, dann gäben sie sie zurück und lösten sich auf ihr Prinzip, und folglich dass es keinen Tod gäbe, sondern alles zum Himmel mit den Sternen flöge.103
Die Prophetie und deren Vehikel, der spiritus phantasticus, war manches Mal auch in der Form eines Bienenschwarms dargestellt worden, so in einer 1478 gedruckten niederdeutschen Bibel.104 Noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts diente der Bienenschwarm als Sinnbild für die Imagination, so beispielsweise in den späteren Ausgaben der klassischen Iconologia von Cesare Ripa:
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Württemberg. Leipzig 1930 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 13), S. 760–765, 953–955 (Bekenntnis Gall Vischers), 955–958 (Bekenntnis Hans Köllers), 975–980 (Fünftes Bekenntnis Baders auf die sondern Artikel); Manfred Krebs, Hans Georg Rott: Quellen zur Geschichte der Täufer. Bd. VII. Elsaß. Teil I. Stadt Straßburg 1522–1532. Gütersloh 1959 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 26), S. 75–78 (Otto Brunfels), 154 (Michael Ecker), 201–216 (Jakob Kautz und Wilhelm Reublin), 253 (Prophezeiung des Venturinus), 561–562 (Linhart Jost), 563–571 (Clemens Ziegler); Dass.: Band VIII. Elsaß. Teil II. Stadt Straßburg 1533– 1535. Gütersloh 1960 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 27), S. 14–15 (Verhör des Melchior Hoffman), 11–13 (Bucer gegen Melchior Hoffman), 135–138 (Vorschlag der Synodalkommission für die geplante Kirchenordnung), 222–224 (Bucer gegen Bernt Rothmann), 286 (Straßburger Prediger). Contre l’idée philosophique d’un esprit universel qui soutiendrait le monde. Vollständiges Zitat: »Voire, mais c’est pour revenir à un point diabolique, à savoir que le monde, qui a été pour spectacle de la gloire de Dieu, soit lui-même son créateur. Car voilà comment l’expose ailleurs Virgile, duquel j’ai récité les mots, voire suivant l’opinion recue communément entre les Grecs et Latins: c’est que les abeilles ont quelque portion d’esprit divin, et ont puisé du ciel quelque vertu, d’autant que Dieu s’épand par tous traits de terre et de mer comme par le ciel. De là les bêtes tant privées que sauvages, les hommes et toutes choses tirent quelques petites portions de vie, puis elles les rendent et se résolvent à leur principe, et ainsi qu’il n’y a nulle mort, mais que le tout vole au ciel avec les étoiles.« Calvin [1955], I, V, 5. Biblia, niederdeutsch. Köln [Bartholomäus von Unkel, Heinrich Quentell?] ca. 1478.
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Abb. 4: Imaginatio. In: Des beruehmten italiaenischen Ritters Caesaris Ripae allerley Kuensten und Wissenschafften dienliche Sinnbilder und Gedancken … Augsburg: Johann Georg Hertel. ca. 1760, Nr. 185. Die Allegorie der Imagination ist von Bienen umgeben und betrachtet ihr Spiegelbild.
54 Die letzte Komponente des Bildes vom Bienenschwarm war die Macht und die Gewalt: Traeumet einem, wie ihm Bienen auf dem Haupte saessen, bedeutet einem, der ein Obrister, Hauptmann oder Befehlhaber werden soll ueber einen gewaltigen Hauffen, viel Gutes. Andern Leuten ist dieser Traum boese, dann er bedeutet, daß der, dem solcher Traum vorkommt, nicht bald entgehen werde, daß er nicht von dem Zeuge oder Hauffen umkomme. Dann die Immen oder Bienen haben eine Gleichniß mit solchem Zeuge oder Versammlung des Volcks, dann sie haben auch einen Koenig oder HeerFuehrer unter ihnen, dem sie unterworffen und gehorsam seynd. Sie toedten aber, dieweil sie mehrmahls pflegen auf die todten Coerper zu sitzen.105
Wiedertäufer, Spiritualisten oder einfach konfessionelle Gegner in ihren unterschiedlichen Strömungen wurden zu ›Schwärmern‹ gemacht, weil sie mit der herkömmlichen Kirche oder mit den neuen, gleichfalls das christliche Erbe beanspruchenden Kirchen zu rivalisieren schienen. Um 1500 war der Traum zunächst in einer bestimmten physiologischen Weise als Imagination aufgefasst und in einen hierarchisch gestuften Kosmos eingebunden worden. Dies wurde dann in gelehrten Abhandlungen über die Seele erörtert. Um 1530 war der Traum zwischen die Fronten der konfessionellen Polemik geraten. Der Streitpunkt war nun die Definition des genuinen Mittels der Offenbarung und folglich der legitimen Kirche. Insofern begleiteten die Kontroversen um die Bestimmung des Traums die Konfessionalisierung. Die Fragestellung wurde jedoch nicht völlig verändert, da beide Zugänge parallel bestanden und sich nebeneinander, in unterschiedlichen Rhythmen entwickelten. In keiner von beiden Sichtweisen wurde der Traum jedoch psychologisch im heutigen Sinne erklärt. Der Traum war zwar mit individuellem Tod und persönlicher Identität verbunden, jedoch nicht mit Selbsterkenntnis.
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Summarischer Bericht, Was man von Traeumen, natuerlicher und goettlicher Weise halten solle, S. 263–264.
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Zwischen Kanzel, Kerker und Katheder: Die Traumdeutung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Neben der philosophisch-theologischen Kontroverse um den Status der Seele nach dem Tod entfaltete sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine andere, wissenschaftlich-konfessionelle Auseinandersetzung um die Natur des Geistes und der Erkenntnis, kurzum: um die Wahrsagung. In was bestand die Erkenntnis: in einer diskursiven Beweisführung oder in einer unmittelbaren Erleuchtung des Geistes, eventuell in Form von Träumen? Agrippa von Nettesheim äußerte seine Meinung zu den paradoxen, teilweise hervorragenden, teilweise unsicheren wissenschaftlichen Stellungnahmen zum Traum wie folgt: So oft nämlich der Körper unter der Gunst oder Ungunst des Schicksals leidet, führt die Seele die Bilder, womit sie den Wachenden ermüdet hatte, auch dem Schlafenden vor; oder es täuscht auch manchmal der Traum mit dem Gegenteile. Der Traum dagegen, wie ich ihn hier verstanden wissen will, wird, während Seele und Leib sich wohl befinden, durch den Einfluss der himmlischen Welt in dem Geiste hervorgerufen. Die Regeln seiner Auslegung findet man in den astrologischen Werken und zwar in dem Teile, der von den Fragen handelt; sie sind jedoch sehr ungenügend, denn die Träume treten bei den Menschen nicht in einerlei Weise auf, sondern richten sich nach den Eigentümlichkeiten und der verschiedenen Beschaffenheit der Einbildungskraft; deshalb lässt sich auch keine allgemeine Traumauslegungsmethode anwenden, sondern da nach der Meinung des Synesius die Zufälle bei denselben Dingen dieselben, bei ähnlichen ähnliche sind, so wird derjenige, welcher öfters ein und dasselbe oder etwas Ähnliches sieht, auch dieselbe eine ähnliche Bedeutung, Wirkung und Folge daran knüpfen […]. Deshalb rät Synesius, ein jeder solle seine eigenen Träume und die ihm darauf zustoßenden Ereignisse, d. h. mit welchem Ereignisse das im Träume Geschaute zusammentrifft, genau beobachten, das Gesehene und darauf Erlebte seinem Gedächtnisse einprägen und vermittelst einer solch fleißigen Beobachtung sich selbst eine Reihe von Regeln abstrahieren, aus denen dann jeder, wenn er nichts aus dem Gedächtnisse verliert, eine auf seine Träume anwendbare Wahrsagungs- und Auslegungskunst sich bilden kann.1 1
»… quoties nanque oppressi corporis vel fortunae commodis vel incommodis, tunc qualis animus vigilantem fatigaverat, talis se ingerit dormienti, vel aliquando contrarius in somnio decepti. Somnium igitur dico hic quod in spiritu phantastico, animo et corpore bene se habentibus, apus astrologos invenitur in ea parte quae de quaestionibus regula apud astrologos invenitur in ea parte quae de quaestionibus inscribitur, sed tamen parum sufficiens, quia somnia huiusmodi diversis hominibus diversimode usu veniunt iuxta diversam spiritus phantastici qualitatem ac dispositionem. Quapropter non potest eadem communisque regula somniorum interpretandorum singulis adhiberi; sed iuxta
56 Eine Wissenschaft vom Traum hat es nie gegeben. Da in der Frühen Neuzeit der Traum als das Resultat heterogener Ursachen betrachtet wurde – göttlicher Eingebungen oder teuflischer Versuchungen, physiologischer Vorgänge oder, Philipp Melanchthon und seinem Umkreis nach, der Einflüsse der Gestirne im Geist,2 oder letztendlich der Tätigkeit der chamäleonartigen Imagination –, gab es keine sichere und eindeutige Traumdeutung. Der Traum fiel daher in das Gebiet mehrerer Wissenschaften: der Theologie, der Medizin, der Astrologie, der Ethik. Die sich wandelnde Kombination und Akzentuierung in diesen Bereichen bestimmte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Traum. Der Traum besaß dennoch eine herausragende Stellung in der Erkenntnishierarchie. Gegen Anfang des 16. Jahrhunderts war die Realität als ein Komplex von Zeichen definiert, die in den Dingen quasi eingemeißelt waren und den Menschen als tiefere, verborgene Realität zur Verfügung standen.3 Die unterschiedlichen, abgestuften Zeichen verwiesen auf die Hierarchie des Seins. Einige Zeichen seien dem Menschen unmittelbar zugänglich und ihm beim alltäglichen Umgang mit der Welt behilflich. Andere verhälfen ihm, die dynamische Weltordnung und den harmonischen Zusammenhang zwischen deren Teilen zu entdecken. Andere Zeichen, die wegen ihrer außergewöhnlichen Natur Überraschung sogar Verwunderung weckten, seien ›außernatürlich‹ (praeternaturales) und auf die Zukunft bezogen. Letztendlich gäbe es einige übernatürliche Wunder, die den üblichen Lauf der Natur unterbrechen und der Botschaft der Bibel entsprechen würden. Anhand dieser Zeichen formulierte man Zukunftsvoraussagen (prognosticationes), die dem Kern der Wirklichkeit näher kommen könnten. Dieser essentialistischen Auffassung von der Realität entsprechend war die höhere Form der Erkenntnis als divinatio oder Wahrsagung angese-
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Synesii sententiam, cum accidentia sunt eadem rebus eisdem similiaque similibus, sic qui in idem aut similem visum saepius inciderit, eandem aut similem sibi designet sententiam, passionem, fortunam, actionem, eventum […]. Unde iubet Synesius unumquemque somnia sua et suos inde observare eventus, scilicet quae visa in quales eventus inciderint, ac huiusmodi regulas, scilicet visa et accidentia, cum somnii tum vigiliae, memoriae commendare atque sedula quadam hac observatione huiusmodi perplurimas regulas penes seipsum accumulare; ex qua quidem accumulatione ars quaedam divinatoria et suorum cuique somniorum interpretandum paulatim consurgit, dum nihil dilabitur a memoria.« Agrippa (1992), S. 210–211. Übersetzt in Agrippa von Nettesheim: Die magischen Werke. Wiesbaden 21985 (11982), S. 140. In dieser Hinsicht kennzeichnete sich Agrippa von Nettesheim durch eine gewisse Zurückhaltung: die Auslegungen der Astrologen betrachtete er »sehr ungenügend«. Nach Paola Zambelli stand Agrippa eigentlich auf einer Schwelle. Nach Agrippa sei eigentlich die Magie – sowie die Alchemie – eine »Mutter der Häretiker«. Vgl. oben S. 35 Anm. 48. Vgl. Zambelli (1992). Zum Kommentar dieser Stelle, vgl. unten S. 97–102. Vgl. Res et verba in der Renaissance. Hgg. von Eckhard Keßler, Ian Maclean. Wiesbaden 2002 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 21).
57 hen; die Wissenschaft diagnostizierte die Vergangenheit und die Gegenwart und prognostizierte die Zukunft. Wissen bzw. Erkennen bestand in der Sammlung und Einordnung der Zeichen, die den Zusammenhang, den Gebrauch und die Existenzberechtigung der Dinge nachwiesen.4 Wie die Zeichen selbst waren die auf die Zeichen bezogenen Wissenschaften hierarchisch gegliedert. Seit Isidor von Sevilla wurden göttliche Träume, Prophetien und übernatürliche Zeichen wie Kometen, Erdbeben und menschliche angeborene Missbildungen, als von Gott gesandte Strafen gegen die menschlichen Sünden interpretiert.5 Im 16. Jahrhundert bezogen sich die Gelehrten zunehmend auf Cicero. Er hatte die ›natürliche Wahrsagung‹ durch Träume und Prophetien, ohne aktive menschliche Beteiligung, von der ›künstlichen‹ durch die menschliche Untersuchung der Eingeweide, des Wetters und aller Zeichen, die von den Menschen erkannt und interpretiert werden sollten, unterschieden.6 Als ›natürliche‹ Form der divinatio und als in der Bibel gewissermaßen berechtigtes Medium der Offenbarung, besaßen der Traum als Zeichen und die Traumdeutung als Erkenntnis eine bestimmte Beachtung. Da der Traum auf der Schwelle zwischen Gott und dem Teufel, zwischen Himmel und Körper, zwischen Prophetie und Aberglauben stand, wurde er bald mit Zustimmung, bald mit Vorbehalt und Zweifel, bald sogar mit Ablehnung betrachtet – dies bereits vor der Reformation. Deshalb verwandte der erste Vorsitzende der apostolischen Kammer, Ferdinand Ponzetti (†1528), einen ganzen Traktat auf die Erläuterung der Traumdeutung. In diesem, dem Kardinal Giulio de’ Medici, Bruder des Papsts Leo X., gewidmeten Traktat zur ›Naturphilosophie‹ listete er, wie Agrippa von Nettesheim, verschiedene Ursachen des Traumes auf: Geister, unterschiedliche Einflüsse, Bilder von Objekten, Sterne. Die Traumdeutung, betonte er, sei demnach eine komplizierte und schwierige Kunst. Die Bilder, die im Schlaf entständen, gestalteten sich in unterschiedlicher Art und Weise je nach Individuum. Äußerliche Einflüsse, wie das Klima und das Aussehen der Sterne seien auch verschiedenartig. Und die Wörter, durch welche die Ideen ausgedrückt wurden, seien nicht in allen Völkern dieselben. Die Traumdeutung könne sich deshalb einer sicheren Wissenschaft wie Grammatik oder Medizin nicht annähern. Die persönliche Erfahrung ermögliche es jedoch, einige individuelle, spezifische Regeln aufzustellen. Ponzetti legte weiterhin dar, dass einige Individuen, deren spiritus besser zusammengestellt seien und im rich-
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Vgl. Jean Céard: La Nature et les prodiges. L’insolite au XVIe siècle. Genève 21996 (11977), S. IX. Isodor von Sevilla: Etymologien. Zitiert von Céard (21996), S. 31–37. Cicero Marcus Tullius, Über die Wahrsagung, lateinisch-deutsch, De divinatione. Hg. von Christoph Schäublin. München u.a. 1991 (Sammlung Tusculum), I, 52, 118. Vgl. dazu Céard (21996), S. 7–12.
58 tigen Verhältnis zueinander stünden, sich über die übliche menschliche physische Macht erheben, eine gewisse Ähnlichkeit mit den astralen Körpern oder eine Verbindung mit Gott bzw. mit trennbaren Substanzen erlangen würden und dadurch die Zukunft voraussagen könnten. Eine derartige Wahrsagung sei jedoch nicht mit der göttlichen Prophetie zu verwechseln.7 In Ermangelung sicherer Unterscheidungskriterien, um zwischen natürliche, außernatürliche und übernatürliche Bereiche differenzieren zu können, erwies sich die Figur des Traumdeuters als entscheidend. Denn entgegen den Äußerungen Agrippas von Nettesheim war der Traum nicht bloß eine rein individuelle Angelegenheit, bei welcher jeder »vermittelst einer solch fleißigen Beobachtung von sich selbst […] eine auf seine Träume anwendbare Wahrsagungs- und Auslegungskunst ausbilden« könnte. In den Umwälzungen der Reformationszeit wurde die Traumauslegung eher zu einem soziokulturellen Problem, das die Fragen zur klerikalen Kontrolle, zur theologischen Legitimität und zum politischen Charisma aufwarf. Wer war dann imstande, wer war berechtigt, Träume auslegen zu dürfen? Das Problem erwies sich als besonders akut bei den Protestanten, nicht nur weil sie allmählich eine neue Konfession gründeten und eine volle Sakralität beanspruchten, sondern auch weil sie ihrer augustinischen Sensibilität entsprechend die Welt für eine Art ›Gesamtwunder‹ und die seltenen, außerordentlichen bzw. übernatürlichen Phänomene für einen Ausdruck von Gottes Allmacht hielten.8 Als die Katholiken die Heiligenwunder als zentrales Element ihrer Frömmigkeit hervorhoben, strebten auch die Protestanten zunehmend danach, die Providenz des allmächtigen Gottes und ihre Einmischung in den Lauf der Geschichte zu betonen, was sich in Form von vorhersagenden Träumen, Wundern und diversen Erscheinungen äußerte. Dabei konnte die protestantische Sicht kaum von der okkulten Ärzte wie Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim unterschieden werden. Dieser befürwortete aus anderen Gründen die Vorsehung und die aufmerksame Beobachtung aller Wunder. Die Protestanten vermochten kaum eine eindeutige Antwort im Hinblick auf die Unterscheidungskriterien zwischen Prophetie bzw. Offenbarung, und Wahrsagung (divinatio) bzw. natürlicher Zukunftsvoraussage zu geben. Dadurch stellte sich erneut die zentrale Frage der Schwärmerei.
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Tertia pars naturalis phylosophie Ferdinandi Ponzetti Camare Apostolice Presidentis Primatis. Romae: Iacobus Mazochius. 1515. »Miraculum voco quidquid arduum es taut insolitum supra spem vel facultatem mirantis apparet«. Augustinus: De utilitate credendi. In: Opera omina. Opera et studio monachorum Ordinis Sancti Benedicti e Congregatione S. Mauri. Hg. von Jacques-Paul Migne. Lutetiae Parisiorum 1877 (Patrologiae cursus completus 2.47), XVI, 34, Sp. 90. Zu den Definitionen von Wunder und Wunderbarem von Augustinus bis Francis Bacon, vgl. Lorraine Daston: Marvelous Facts and Miraculous Evidence in Early Modern Europe. In: Critical Enquiry 18 (1991), S. 93–124.
59 Im Folgenden wird die durch die politisch-konfessionellen Ansätze ausgelöste Zirkulation des Wissens untersucht, im deren Mittelpunkt der Traum als Zeichen und die Traumauslegung als Erkenntnis standen.
2.1
Der vorhersagende Traum – Theorie und Praxis
Obgleich im Ansatz nicht neu, erhielt die Ambivalenz der epistemischen Stellung vom Traum in der Erkenntnis und der Wissenschaft durch die Umwälzungen der Reformationszeit eine neue politische und konfessionelle Dimension. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stand nicht unmittelbar ein frontaler Konflikt zwischen klar voneinander getrennten dogmatischen Ansichten, sondern eher das adäquate Verständnis von ›Geist‹, ›Substanz‹ und ›Materie‹ sowie die Möglichkeit einer Vermischung von göttlichem Geist und Materie (Kreatur) und die Natur der Menschlichkeit Christi als Träger des göttlichen logos. Dieses Problem wurde dadurch verschärft, dass im 16. Jahrhundert die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariae noch keineswegs festgelegt war.9 2.1.1
Daniel und der prophetische Traum
Nun gab es in der Bibel Berichte von menschlichen Träumen, denen eine prophetische Dimension zugeschrieben wurde.10 Der Traum des Daniel (Daniel 7–12) weist auf die potentiellen sakralen und politischen Dimensionen der Traumdeutung. In der lutherischen Übersetzung berichtet das zweite Kapitel des Buches von Daniel zunächst den üblichen, körperlichen, erschreckenden und vergänglichen Traum des Nebukadnezar. Der babylonische König wachte auf, starr vor Angst. Er ließ sofort seine Magier (magi) und Traumdeuter holen, damit sie ihm seinen Traum erläuterten. Plötzlich entfiel ihm jener. Nachdem die heidnischen Wahrsager nichts ausrichteten, rief der Prophet Daniel dem König seinen Traum wieder in Erinnerung. Daniel selbst habe dieselbe ›Vision‹ (in der lutherischen Übersetzung »Gesicht«) in der vorherigen Nacht gehabt, auch er habe eine Statue gesehen mit goldenem Kopf, Brust 9
10
Die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariae wurde erst am 8. Dezember 1854 von Papst Pius IX. in der Bulle »Ineffabilis Deus« als verbindliches Dogma der katholischen Kirche verkündet. Ich kann hier nicht die Überlieferung aller biblischen Stellen ausführlich analysieren. Neben den im Folgenden kommentierten Passagen, bestehen weitere positive Bibelstellen, nämlich: 1.Mose 20:3, 28:12ff., 31:10ff., 31:24, 46:2; 1.Sam. 3:1; 2.Sam. 7:4; 1.Kön 3:5; Dan 2:19ff.; Mt 1: 20, 2:13, 19, 22; Offb 23:11, 27:23. In der Bibel finden sich auch sehr kritische Äußerungen zum Traumglauben: Sir 34:2f., 7; 3.Mose 19:26; 5.Mose 13:1–5, 18:9–12; Jes 29:7f.; Job 20:8f.; Ps. 72:20; Eccl. 6:6. Zu diesen kritischen Äußerungen, vgl. unten Anm. 93 S. 94.
60 und Armen aus Silber, Bauch und Nieren aus Bronze und mit eisernen, teils tönernen Füßen. Ein Stein fiel herab, die Figur zersplitterte.11 Luther kombinierte diesen Traum mit anderen aus den Kapiteln 4 und 7 desselben Buches, in dem vier Tiere beschrieben werden. In seinen Augen symbolisierten diese die vier großen Mächte und Triebfedern der Weltgeschichte: der goldene Kopf stand für die Chaldäer und Assyrier, deren Löwenhaupt Attribut des Geistes war, die silberne Brust für Meder und Perser, deren Bär das Gemüt assoziieren sollte. Der bronzene Bauch stand für die Griechen nach Alexander dem Großen, ihr geflügelter Panther für die Begierde. Die Füsse sollten das römische Reich seit Caesar symbolisieren, seit Augustus in einen westlichen Zweig (bis Rudolf II.) und einen östlichen (bis Suleiman II.) geteilt. Der davonrollende Stein schließlich bezeichnete die Ankunft Christi, der sein Reich begründete.12 In dieser Auslegung der Danielprophetie durch Luther, anschließend durch Melanchthon sowie in der gesamten lutherischen Geschichtsschreibung13 wurde dieser Traum als bedeutender Beweis einer translatio von den antiken biblischen Regierungen bis zum Heiligen Römischen Reich – ganz unabhängig vom Papsttum – hervorgehoben.14 In seiner Erclerung uber den Propheten Danielem (1530/1545) hatte Luther den Propheten Daniel allen anderen biblischen Propheten vorgezo11
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14
Martin Luther: Biblia, das ist, die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Hg. von Stephan Füssel. Bd. 1. Das Alte Testament. Köln u.a. 2002 (Nachdruck der Ausgabe Wittenberg: Lufft. 1534), S. IX v°-X r°; Luther: Werke WA. Deutsche Bibel [DB] 11/2, S. 2–181. Luther: Werke WA. DB 11/2, S. 2–31 und 132–181. Vgl. Heinz Scheible: Die Entstehung der Magdeburger Zenturien. Ein Beitrag zur Geschichte der historiographischen Methode, Gütersloh 1966 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 183); Die Anfänge der reformatorischen Geschichtsschreibung. Melanchthon, Sleidan, Flacius und die Magdeburger Zenturien. Hg. von Heinz Scheible. Gütersloh 1966 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 2); Barbara Bauer: Die göttliche Ordnung der Natur und Gesellschaft. Die Geschichtsauffassung im Chronicon Carionis. In: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, S. 217–229; Wolfgang E. Weber: »… oder Daniel würde zum Lügner, das ist nicht möglich«. Zur Deutung des Traums des Nebukadnezars im frühneuzeitlichen Reich. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 203–226. Zur translatio Imperii, vgl. Adalbert Klempt: Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert. Göttingen/Berlin u.a. 1960 (Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 31); Edgar Marsch: Biblische Prophetie und chronographische Dichtung. Stoff- und Wirkungsgeschichte der Vision des Propheten Daniel nach Dan. VII. Berlin 1972 (Philologische Studien und Quellen 65); Arno Seifert: Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus. Köln/Wien 1990; Matthias Pohlig: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617. Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 37).
61 gen, weil er den babylonischen König und damit den mächtigsten Herrscher der damaligen Welt gedient habe. Nach Luther, Melanchthon und dessen Schwager Caspar Peucer leitete die Danielprophetie, die die Entwicklung Weltgeschichte bis zum Ende andeutete, den universalen politischen Wandel ein. Sie wurde gehört und beachtet.15 Der Traum des Daniel war in Bibel und in Geschichte gleichermaßen präsent. Deshalb stand, laut Peucer, die Traumdeutung an erster Stelle in den Divinationskünsten vor der Astrologie und der Auslegungskunst von Horoskopen und Nativitäten. Gerade wegen dieser politisch-konfessionellen Interpretation eines biblischen, prophetischen Traums, ordnete Peucer den Kanon der Divinationskünste neu.16 Jenseits ihrer allgemeinen, identitätsstiftenden Anwendung bei den Lutheranern, besaß die Danielprophetie jedoch ab dem Bauernkrieg zusätzlich eine eindringliche, subversive Konnotation. Denn im Prager Manifest (November 1521) und in der Fürstenpredigt (13. Juli 1524) verkündete Thomas Müntzer (1490–1525) die Notwendigkeit der Gründung einer »neuen, apostolischen Kirche« durch »den Geist Eliae«, nicht einer Kirche der »Pfaffen und Affen«. Er, Müntzer, sei der neue Daniel, der die Träume des Nebukadnezar auslegen könne, und welcher ihn in seinen Pflichten als weltliche Obrigkeit unterrichten könne.17 Das Zusammentreffen mit dem jungen visionären Tuchmacher Nikolaus Storch hatte Müntzer tatsächlich davon überzeugt, dass Gottes Geist noch in der heutigen Zeit unmittelbar zum Menschen durch innere Erleuchtungen rede, und sich nicht durch den Buchstaben der Bibel einfangen lasse. Wer sich auf den bloßen Buchstaben, auf das »äußere Wort« verlasse, sei mit den Pharisäern, den Schriftgelehrten zu vergleichen, die Christus bekämpft hatte. 1523 hatte er dem »eingebildeten« bzw. »buchstäblichen« Glauben den »echten« Glauben, der wie ein »Senfkorn« im Herzen der Menschen wachse, gegenübergestellt. Für Müntzer wie für die späteren Spiritualisten vermag die menschliche Vernunft nur den wörtlichen 15
16
17
Nach Peucer wurde die Geschichte bald von göttlichen unmittelbaren Interventionen, bald vom Teufel, bald von Engeln gelenkt. Peucer entwickelte also kein modernes Geschichtsverständnis. Jedoch unterschied er fein säuberlich zwischen der prophetischen Gattung der Danielprophetie, der gemischt astrologisch-prophetischen Gattung der Analyse von Kometen und der rein astrologischen Gattung des Horoskops. Kosellecks Charakterisierung der Säkularisierung durch die Abkoppelung der Universalgeschichte von der biblischen Prophetie (und deren Datierung mit Jean Bodin) erscheint demnach nicht präzis. Vgl. Formen der Geschichtsschreibung. Hg. von Reinhart Koselleck. München 1982 (Theorie der Geschichte 4); Claudia Brosseder: Im Bann der Sterne. Caspar Peucer, Philipp Melanchthon und andere Wittenberger Astrologen. Berlin 2004, S. 109–112. Vgl. Caspar Peucer: Commentarivs De praecipvis Divinationvm Generibvs. Wittenbergae 1553, Fol. 181 v°-203 r°. Vgl. dazu Brosseder, S. 97–99. Zu Peucers Einordnung der Divinationskünste, vgl. unten S. 120–127. Thomas Müntzer: Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Günther Franz. Gütersloh 1968 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 33), S. 241–263.
62 Sinn des biblischen Textes zu erfassen, nicht jedoch den hinter dem Buchstaben verborgenen, geistlichen Sinn, den nur der vom göttlichen Geist erleuchtete Prophet entdecken könne. Die Kirche sei demnach eine charismatische Gemeinschaft, in der alle Inspirierten gleichberechtigt seien.18 Dieser spiritualistischen, antiklerikalen Auffassung entsprechend, verstand Müntzer das Taufwasser nach Joh. 3:5 als Bewegung der Geistes. Dieser bewirke die innerliche und eigentliche Taufe, während die äußerliche Wassertaufe, wie die von Säuglingen, als Vollzug eines Sakraments an Unmündigen abzulehnen sei. Das sei »viehisches Affenspiel«. Luthers Lehre fehle jegliche Spiritualität. Sie sei das Resultat pathologisch-teuflischer, durch asketische Übungen bewirkte »Mönchträume«: Diß macht alles das unbeschidne urteil und grewel, wilchen sie haben von der hessigen betrigerey der gantz vorfluchten, vorgifftigen moenchtrewme, durch wilche der teuffel alle seynen willen ins werck bracht, ja auch viel frumer außerwelten unerstatlich betrogen hat, wenn sie on allen bescheit den gesichten und trewmen mit yhrem tollen glauben stracks stadt gegeben haben. […] Aber die verfluchten moenchtrewmer haben nit gewust, wie sie solten der krafft Gottis gewertig sein.19
Die Achtung der Träume und die Geringschätzung des Buchstabens schloss also nicht nur eine neue Hermeneutik – Müntzer stellte an die Stelle der Heiligen Schrift den Geist und seine Wirkung durch den Traum – sondern auch ein neues Kirchenverständnis und einen neue Anthropologie ein. Einfachen Laien wurde das Recht zum Predigen zugeschrieben, ein ausgewählter Mensch, der göttliche Träume empfing, war vollkommen. Während des Bauernkrieges, im Mai 1525, versetzte sich Thomas Müntzer letztendlich in den Richter Gideon [Richter 6–8], der der Mut zum Kampf mit nur 300 Mann gegen die Übermacht der Midianiten dem Traum eines von ihm belauschten Feindes entnommen hatte. So brach auch Müntzer mit 300 Mann gegen die Mansfelder Grafen nach Frankenhausen auf. Er fand dort den Tod. Müntzers Handeln nach einem biblischen Traum, ganz gegen alle Bedenken, rechtfertigte keine politisch umstrittene Handlung, wie beispielsweise die von Laurent Pillard verfasste Vision des Connétable Charles de Bourbon.20 Im Heiligen Römischen Reich, vom Bauernkrieg an wurde der An18
19 20
Zu Müntzer, vgl. H[ans]-J[ürgen] Goertz: Innere und äussere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers. Leiden 1967 (Studies in the History of Christian Thought 2); Ders.: Träume, Offenbarungen und Visionen in der Reformation. In: Reformation und Revolution: Beiträge zum politischen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift für Rainer Wohlfeil zum 60. Geburtstag. Hgg. von Rainer Postel, Franklin Kopitzsch. Stuttgart 1989, S. 171–192. Zu Melchior Hoffman, vgl. Klaus Deppermann: Melchior Hoffman. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation. Göttingen 1979, S. 58–62. Thomas Müntzer: Fürstenpredigt (13. Juli 1524). In: Müntzer, S. 248–249. Dieser Traum bzw. diese Vision rechtfertigte den sacco di Roma, die Plünderung Roms im Jahre 1527 durch den Truppen von Charles de Bourbon. Vgl. dazu Denis Crouzet: Le Connétable de Bourbon ou une métaphysique de l’action. In: Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen
63 spruch auf göttliche Träume mit theologischer und politischer Subversion assoziiert. Die Katholiken verwarfen unter Bezugnahme auf die subversive anabaptistische bzw. spiritualistische Traumdeutung pauschal die von Luther ausgelösten Umwälzungen: Ist also in Brauch kommen/ da die auffruehrischen Prediger im Jahr 1525. nach Christi Geburt/ auffstunden/ gabs viel Traeume die sie auff die Cantzel brachten/ und deuteten/ daß sie alle Oberkeit solten umbringen. Thomas Muentzer zu Alstedt in Thueringen lehrete/ daß Gott seinen willen pflegte durch Traeume zu offenbaren/ und hielt sonderlich viel darauff/ dieweil er alle sein fuernehmen darauff gegruendet hatte/ wo auch jemand einen Traum hatte/ der sich wol liesse außlegen/ denselbigen ruehmet er hoechlich in der offentlichen Predigt […]. Daß solche teufflische Traeume gewesen sind/ hat der Außgang bewiesen/ da in die hunderd tausent Pauren darueber erschlagen worden sind. Die Widertaeuffer haben auch viel mit Traeumen zu thun gehabt/ da Muenster in Westphalen belaegert ward/ legt sich Johan von Leiden/ der ein Prophet seyn wolte/ nider zu ruhe/ und hatte einen Traum drey gantzer Tage lang/ als er aber erwacht/ redet er kein Wort/ sondern begeret Pappier/ darauff verzeichnet er die zwoelff Maenner/ unter welchen etliche vom Adel waren/ welche die gantze herrschung besitzen/ und die in Israel alles guberniren unnd verwalten solten/ denn er sagte/ diß were des himlischen Vaters Befehl […]. Mit solchen Traeum ist unser HErr Gott ubel zu frieden/ wie Jerem. am 23. zu sehen ist/ und saget/ daß jhr thun dahin gerichtet sey/ daß sie wollen/ daß sein Volck seines Namens vergessen solte/ uber ihren Traeumen. Wil auch nicht/ daß sie ihre Traeume fuer sein Wort oder Offenbarung außgeben/ sondern dieselbigen fuer sich behalten sollen/ ein Prophet (spricht er) der Traeume hat/ der predige Traeume/ das ist/ er lasse meinen Namen zufrieden/ und sage nicht/ daß mein Wort sey/ daß jhm traeumet/ sondern es sey sein Wort/ und es habe seinen Name[n].21
Auch wenn selten Gewaltanwendung wegen eines ›prophetischen Traums‹ stattfand, blieb die höhere Einschätzung des Geistes, somit ›göttlicher‹ Träume gegenüber der Bibel weit verbreitet. Obwohl die Anhänger Luthers die Verse des Buches Joel 3:1–2 »Und nach diesem/ wil ich meinen Geist ausgiessen uber alles fleisch/ Vnd ewre soene vnd toechter sollen weissagen/ Ewr Eltesten sollen treume haben/ vnd ewre juenglinge sollen gesicht sehen«22 als Aussage über den Zustand am Tage der allgemeinen Auferstehung gegen die Wiedertäufer verstanden, die sie als Legitimierung ihrer Hochschätzung des Geistes benutzten, vermochten die Anhänger Luthers jedoch kaum ein eindeutiges Urteil im Hinblick auf Träume zu fällen. Sie schränkten nach dem Bauernkrieg einige von ihnen eingeführte Prinzipien wieder ein. So hatte beispielsweise Luther vor dem Bauernkrieg die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Gläubi-
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Staatensystem. Festschrift für Klaus Malettke zum 65. Geburtstag. Hgg. von Sven Externbrink, Jörg Ulbert. Berlin 2001 (Historische Forschungen 71), S. 179–207; Ders.: Charles de Bourbon, connétable de France. Paris 2003. Abraham Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio. Das ist: Christlicher/ hochnoetiger/ und nuetzlicher Bericht/ von den naechtlichen Traeumen der Menschen/ so einem bey der Nacht fuerzukommen pflegen … Leipzig: Johan Eyering und Johan Perfert. 1613, S. 26–28. Hier Luthers Übersetzung aus dem Jahre 1534. Martin Luther: Biblia (2002/1534), Bd. 2, Fol. XXVI v°.
64 gen entwickelt und, im Jahre 1523, die These vertreten, »dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, über alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen«23 . Kurz nach dem Bauernkrieg erklärte Luther jedoch, dass das allgemeine Priestertum nicht das Recht der öffentlichen Verkündigung und der Sakramentsspende bedeutete24, und dass Prediger berufen werden müssten. Er verschwieg das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden in den Fragen der Lehre und ließ an dessen Stelle das landesherrliche Kirchenregiment errichten, das in Übereinstimmung mit den Konsistorien eine einheitliche Lehre in den Territorien durchsetzen und »Spaltungen und Rotten« verhindern sollte.25 Die Bibel enthielt jedoch widersprüchliche Aussagen über prophetische Träume, deren Exegese heikel war. 2.1.2
Esra 4, das Buch der »eitlen Fabeln«
Luther lehnte die »prophetische[n] Gesichte/ Welche meines erachtens David selbst auch nicht fast begehret hat« ab und übernahm deshalb in der Wittenberger Bibel von 1534 das vierte Buch Esra nicht aus den Apokryphen (jenen Büchern, deren hebräisches Original verloren und von denen lediglich eine griechische Übersetzung zugänglich war). Denn Esra sei, wie bereits Hieronymus bedauerte, »voll von Träumen«.26 Obwohl die römische sixtinische Edition von 1590 das Buch Esra (nach manch einer Auseinandersetzung) ebenfalls zurückgezogen hatte, wurde es in der Mehrheit der Bibeln, manchmal mit vorsichtigem, sogar warnendem Vorwort, aufgenommen. Drei unterschiedliche Strömungen legten besonderen Wert auf Esras Visionen und Träume. Die Vertreter dieses Buches beriefen sich nicht nur auf seine herkömmliche Anwendung in der christlichen Liturgie und auf die Zustimmung von Seiten vieler Kirchenväter, sondern auch auf die Auslegung dieser biblischen Stellen durch Giovanni Pico della Mirandola. In seiner Apologia kommentierte Pico das 14. Kapitel, in dem Gott dem Propheten die zwei ver23 24 25
26
Luther: Werke. WA 11, S. 408–416. Luther: Werke. WA 31/1, S. 211, Z. 17–20. Luther: Unterricht der Visitatoren an die Pfarrer im Kurfürstentum Sachsen (1528). In: Luther: Werke. WA 26, S. 195, 200. In den Augen des lutherischen Klerus bestand kein Widerspruch zu der These des allgemeinen Priestertums, insofern als die christliche Obrigkeit im Namen und vertretend für die Gemeinde handelte. Vgl. Biblia sacra iuxta vulgatam versionem. Hg. von Robert Weber. Stuttgart 1969, Bd. 1, S. 638: »Nec quemquam moveat, quod unus a nobis editus liber est, nec apocriforum tertrii et quarti libri somniis delectur; quia et apud Hebraeos Esrae Neemiaeque sermones in unum volumen coartantur, et quae non habentur apud illos nec de viginti quattuor senibus sunt, procul abicienda …« Zu 2 Esra, vgl. den guten Aufsatz von Alistair Hamilton: The Book of ›vaine fables‹. The reception of 2 Esra from the fifteenth to the eighteenth century. In: Kerkhistorische opstellen aangeboden aan prof. dr. van den Berg. Kampen 1987, S. 45–62.
65 schiedenen Gesetze in Erinnerung rief, die er Moses auf dem Sinai übermittelt hatte, das schriftliche Gesetz, das bekanntgemacht werden, und das geistige, das verborgen bleiben sollte. Diese seien später verloren gegangen und Esra sei befohlen worden, sich mit fünf Gefährten zu einem Feld zu begeben. Dort habe Gott ihn aus einer glutroten Schale trinken lassen. Dann habe der erleuchtete Esra seinen fünf Begleitern vierzig Tage lang 140 Bücher diktiert. Anschließend habe Gott Esra befohlen, die ersten 70 Bücher zu veröffentlichen, die 70 verbleibenden aber zu verbergen und nur den Weisen mitzuteilen, da er »in ihnen den Ursprung des Verständnisses, den Brunnen der Weisheit und den Strom des Wissens« sehe. Pico setzte diese 70 letzten esoterischen Bücher mit der Kabbala gleich, die damit zu einer wesentlichen christlichen Lehre wurde.27 Pico legte das Buch Esra aus in der Zeit, als Savoranola seine apokalyptischen Visionen von Strafe und kirchlicher Erneuerung zu verbreiten begann. Er besuchte den Kreis um Lorenzo de’ Medici, der viele Verehrer des Dominikaners (Pico gehörte selbst zu diesen) zählte. Das Buch Esra, das von nun an mit eschatologischen Erwartungen assoziiert wurde, wurde später von humanistischen protestantischen Hebraisten wieder entdeckt. Die Unsicherheit der protestantischen Haltung kann am Beispiel des Zürcher Milieus aufgezeigt werden. Als der aus dem Elsass stammende Franziskaner Konrad Pellikan 1526 seinen Orden verließ und von Basel nach Zürich übersiedelte, um dort eine Professur für Hebraistik zu bekleiden, bereitete er einen Kommentar zu 2 Esra vor, der 1534 als Teil eines Kommentars der gesamten Bibel erschien. Er zog Esra den anderen apokryphen Büchern vor und lobte die Frömmigkeit des Buches, das er als typisch protestantisch, mit seiner vermeintlichen Betonung der Rechtfertigung durch den Glauben und der Rolle der Auserwählten, vorstellte.28 Sein ehemaliger Basler Schüler und, ab 1531, Zürcher Kollege, Professor für Altes Testament Theodor Bibliander, veröffentlichte dennoch im Jahre 1553 einen einflussreichen Traktat,29 in dem er sich auf Pico della Mirandola explizit bezog und die völlige Übereinstimmung von Esra mit dem kanonischen Recht hervorhob. Er inter27
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Giovanni Pico della Mirandola: Opera. Basel 1501, S. 81–82. Diese Stelle ist ins Französische übersetzt und kommentiert in François Secret: Les Kabbalistes chrétiens de la Renaissance. Paris 1964, S. 1–7. Konrad Pellikanus: Commentaria Biblioru[m], id est XXIIII. Canonicorum veteris testamenti librorum, & illa brevia quidem & catholica, Bd. 5, In Quo Continentur Omnes Libri Veteris Instrumenti Qui Sunt Extra Canonem Hebraicum, perperam Apocryphi, rectius autem Ecclesiastici appellati, … Tiguri: Froschoverus 1535. Vgl. auch Ders.: In Libros Historicos, Puta Josue, Iudicum, Ruth, Samuelis, Regum, Paralipomenon, Ezdrae, Nehemiae & Hester Conradi Pellicani sacrae linguae in schola Tigurina professoris Commentarii. Accessit Index Rerum Et Verborum Memorabilium, de quibus in his tractatur. Tiguri: Froschoverus. 1582. Theodor Bibliander: De fatis monarchiae Romanae somnium vaticinum Esdrae prophetae: quod interpretatus est … Basileae 1553.
66 pretierte die erste Form der Vision eines dreiköpfigen Adlers, in den Kapiteln 11 und 12 des Buches, als die vierte Weltherrschaft der Danielprophetie, nämlich das antike Rom. Die Köpfe des Adlers stünden dabei stellvertretend für die drei Reiche, in das das römische Reich sich spaltete: in der Mitte das ottomanische, links das byzantinische Reich und rechts das westliche Papsttum. Diese Prophetie wäre, laut Bibliander, mit dem Sieg der Christenheit nach einem Kreuzzug gegen die Türken erfüllt. Auch die Katholiken schätzten Esra hoch ein, wie beispielsweise, im späten 16. Jahrhundert, der von der Kabbala beeinflusste, zweimal konvertierte (erstmals zum Calvinismus, 1588 zum Katholizismus) Beichtvater Kaisers Rudolf II., Johann Pistorius von Nidda (1546–1608). Er verbreitete viele polemische Flugschriften gegen Luther, der das Buch Esra als kanonischen Status ablehnte. Befürworter des Buches Esra fanden sich nicht zuletzt unter den Straßburger Anabaptisten oder Spiritualisten um Melchior Hoffman. Die ›Propheten‹ Ursula und Lienhard Jost wurden vom Spiritualisten Melchior Hoffman unterstützt, der deren ›gottgesandte‹ Träume und Visionen in den Jahren 1530 bis 1532 veröffentlichte und so einem breiten Publikum unterbreitete. Außerdem fanden die beiden ›Propheten‹ die Unterstützung von Martin Bucer, der die sogenannte magisteriale Reformation leitete.30 Diese Kreise schätzten das Buch Esra weniger aus theologischen Gründen, vielmehr deshalb weil sie sich selbst mit den Propheten identifizierten und dieses Buch als Ankündigung des Weltendes interpretierten, das sie gerade zu erleben dachten. In seiner Auslegung der Offenbarung (1530) interpretierte Hoffman auch die Vision des Adlers (Offb 12:14). Einige Spiritualisten bezogen sich ebenfalls auf das Buch Esra, um die Seelenschlaflehre zu rechtfertigen. Auch nach dem Fall des Täuferreiches in Münster 1535 beriefen sich Visionäre auf dieses Buch, um die verzweifelten, die gewaltablehnenden Anabaptisten in Sekten zu binden. David Joris, Hendrik Niclaes, Hendrik Jansen van Barrefelt (oder Hiël) legten großen Wert auf Esra. Die erste lutherische Übersetzung wurde 1569 von Johann Heyden, einem Anhänger Caspar Schwenckfelds, veröffentlicht. Später wurde Esra zu einer Art Erkennungszeichen aller Nonkonformisten – von Robert Fludd bis zu Tommaso Campanella.31
30
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Vgl. Melchior Hoffman: Prophetische gesicht und Offenbarung. o.O. 1530; Krebs, Rott (1959), S. 561–562; Dies. (1960), VIII/1, S. 14–15, 11–13, 184–185. Ursula Jost hatte Träume und Visionen bereits lange vor der Ankunft Hoffmans gehabt. Vgl. dazu Klaus Deppermann: Melchior Hoffmans letzte Schriften aus dem Jahre 1534. In: Archiv für Reformationsgeschichte 63 (1972), S. 72–93; F. Husner: Zwei unbekannte Wiedertäuferdrucke? In: Stultifera navis 3 (1946), S. 84–88; Frank Müller: »Visions prophétiques et révélations de l’action divine des derniers temps …« Les images mentales de la ›prophétesse strasbourgeoise‹ Ursula Jost. In: Annales de l’Est 54 (2004), S. 55–70. Dazu vgl. Hamilton, insbesondere S. 46–52.
67 2.1.3
1 Samuel 28 und die Gespenstererscheinungen
Nach kurzem Zögern verwarfen Luthers Anhänger schon früh die Lehre vom Fegefeuer und zwar aus zwei Gründen: Dieses Dogma könne nicht aus der Bibel abgeleitet werden, auch könne die quasi-autonome Seele den Ursprung für eine Reihe von Häresien bilden. Da die Seele gleich nach dem Ableben entweder in die Hölle oder ins Himmelreich komme und erst mit der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tag ihren Leib wieder fände, könne sie den Sterblichen auf Erden nicht leiblich erscheinen. Dennoch lehnten die Protestanten die Möglichkeit von leiblichen Erscheinungen der Verstorbenen nicht völlig ab. Im Glauben an Gespenster war man zunächst geteilter Meinung. Luther und Melanchthon selbst verbreiteten die Nachricht, dass gleich am Todestag von Karlstadt im Dezember 1541 ein Gespenst gesehen worden sei, was sie als Zeichen eines unchristlichen Todes interpretierten.32 Von einigen biblischen Stellen ließen sich die Protestanten verunsichern, nicht nur von Christuserscheinungen vor und nach der Himmelfahrt, sondern auch von alttestamentarischen Stellen, wie die im Buch Samuel (1 Sam 28), als Samuel durch die Anrufung der Wahrsagerin Endor Saul erscheint. Aus diesen Berichten schlossen die Protestanten, dass Erscheinungen durchaus möglich waren, dass es sich aber nicht um Erscheinungen von Seelen von Verstorbenen, sondern von Engeln oder vom Teufel handelte.33 Auch Gespenster wurden neben Kometen und Erdbeben als außergewöhnliche, warnende Zeichen gewaltsamer Veränderungen, besonders für Todesfälle von Fürsten, und als Ankündigung des göttlichen Zorns interpretiert – das ganze Faustbuch von 1587 gehört zu dieser Gattung der Warnliteratur. Diese Werke erwiesen sich daher als kaum einheitlich im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Gespenstererscheinungen.34
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Vgl. Bruce Gordon: Malevolent Ghosts and Ministering Angels: Apparitions and Pastoral Care in the Swiss Reformation. In: The Place of the Dead. Death and Remembrance in Late Medieval and Early Modern Europe. Hgg. von Bruce Gordon, Peter Marshall. Cambridge 2000, S. 87–109. Vgl. den klassischen Traktat von Ludwig Lavater: De Spectris, lemuribvs et magnis atqve insolitis fragoribus … Genevæ: Crespin. 1570. Deutsche Übersetzung: Ders.: Von Gespaenten unghüren/ faelen/ un[n] anderen wunderbare[n] dingen. Zürych: Christoffel Froschouwer. 1578. Sowie den klassischen Kommentar des Buches von Samuel von Petrus Martyr Vermigli: In Samuelis Prophetae Libros Dvos D.D. Petri Martyris Vermilii Florentini … Commentarii doctissimi. Tigvri: Wolf. 1595. Vgl. dazu F. C. Finucane: Appearances of the Dead. A Cultural History of Ghosts. New York 1984. Dazu vgl. Claire Gantet, Fabrice d’Almeida: Einleitung. In: Gespenster und Politik, 16. bis 21. Jahrhundert. Hgg. von Claire Gantet, Fabrice d’Almeida. München 2007, S. 17–48.
68 2.1.4
Traum und politisch-konfessionelle Aktualität
Träume erhielten besonders an politisch-konfessionellen Wendepunkten aktuelle Bedeutung – und das nicht nur im Heiligen Römischen Reich. Am 21. Januar 1583 ließ der französische König Heinrich III. alle wilden Tiere seiner Menagerie schlachten, nachdem er träumte, er sei von Tieren verschlungen worden.35 In der Helvetischen Eidgenossenschaft waren Zwinglis Träume vom Abendmahl (bzw. Träume vom Abendmahl, die Zwingli zugewiesen wurden) sehr umstritten.36 In den 1540er Jahren wurden im Heiligen Römischen Reich Melanchthons Träume, die der protestantischen Sache zuträglich sein könnten, entweder von ihm in seinem Briefwechsel oder in Form von Flugschriften verbreitet.37 Einer wurde sogar von Lucas Cranach d. J. verbildlicht.38 So 35
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Pierre de L’Estoile: Journal de L’Estoile pour le règne de Henri III (1574–1589). Hg. von L.-R. Lefèvre. Paris 1942. Nach Pierre de L’Estoile brachte der König diesen Traum sofort mit der Liga in Verbindung. Es handelt sich selbstverständlich um eine retrospektive Interpretation. Im Juni 1559 hatte auch Blaise de Montluc den am Kopf verletzten König Heinrich II., kurz vor seinem Tod nach einer Gehirnverletzung während der Turniere anlässlich der Feier des Friedensvertrags mit den Habsburgern und der Heirat seiner Tochter Elisabeth von Valois mit König Philipp II. von Spanien im Traum gesehen. Ich danke Nicolas Le Roux für diesen Hinweis. Am Vorabend der Schlacht von Dreux, am 8. Dezember 1562, sah der calvinistische Fürst Louis de Condé (1530– 1569) im Schlaf, dass er drei Schlachten nacheinander führen und gewinnen werde, dass er aber dadurch tödlich verwundet werde und letztlich auf den Leichen der Besiegten sterben würde. Vgl. David El Kenz: Les Bûchers du Roi. La culture protestante des martyrs (1523–1572). Seyssel 1997 (Époques), S. 210. Zwinglis Träume wurden von den Katholiken besonders heftig abgewiesen. Vgl. Hossmann: Utilis nocturnorum (1613), S. 26. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden sie ebenfalls von Lutheranern verspottet. Vgl. Johannes Wezel: Eine Christliche Predigt/ Von den heutigen Tages außgegebenen Gesichten und Offenbarungen/ Was darauff zuhalten und wie sie zu pruefen … Zell: Elias Holwein. 1633, Fol. B iv v°; Jacob Stolterfoth: Consideratio Visionum. Oder Gruendliches Bedencken Was von Gesichtern heutiges Tages zu halten sey … [Luebeck:] Valtin Schmalhertz. 1636, S. 291–292; Jacobus Fabricius: Probatio Visionum. Das ist: Christliches/ in GOTTes Wort unnd bewaehrten Schrifften reiner Theologen wolgegruendetes Bedencken Von Gesichtern/ Deren etliche koennen Goettliche Offenbarungen/ etliche aber Teufflische Verfuehrungen seyn … Nuernberg: Wolffgang Endter. 1642, S. 17. Vgl. dazu unten S. 254–262. Sie wurden manchmal gegen ihn instrumentalisiert. Vgl. Thomas Kaufmann: Das Ende der Reformation. Magdeburgs »Herrgotts Kanzlei« (1548–1551/2). Tübingen 2003, S. 307–309. Imago Somnii Philipp. Melantho. 1547 [353 × 266 cm]. Vgl. unten S. 476–478. Vgl. dazu Lucas Cranach d. Ä. Das gesamte graphische Werk. Mit Exempeln aus dem graphischen Werk Lucas Cranach d. J. und der Cranachwerkstatt. Einleitung von Johannes Jahn. München 1972, S. [668]; Max Geisberg: The German Single-Leaf Woodcut 1500–1550. Revised and edited by Walter Strauss. Bd. 2. New York 1974, S. 620 Nr. G 656. Vgl. dazu Marianne Zehnpfennig: ›Traum‹ und ›Vision‹ in Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Tübingen 1979 (Diss.), S. 17–20; Jan Harasimowicz: Traum und Politik in der Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 183–199, hier 188–189.
69 träumte Melanchthon, dass ihn im Beisein Luthers und des sächsischen Churfürsten, als er 1544 in Torgau war, eine wunderschöne Frau in sein Schlafzimmer gelockt habe. Er sei von ihrer Schönheit so geblendet gewesen, dass er unfähig war, etwas zu tun. Als er dann fliehen wollte, wachte er auf. Am folgenden Tag berichteten die Kleriker, »das D. Philippus solte gesagt haben, das diser Trawm jnn sehr betrübet hette, als solte er noch abfallen«.39 Hier erscheint der Traum nicht als prophetische Aussage, nicht als sichere Ankündigung der Zukunft, sondern als Warnzeichen und Zweifel in einer noch unentschiedenen Situation. Die Liebesmetaphorik war dazu besonders geeignet. Seit Platons Symposion galt Eros als »ein Mittleres zwischen Gott und Mensch« sowie zwischen geschlechtlichem Zeugungstrieb und erotischem Verlangen zu den Ideen.40 Da der Traum ein ›Vergnügensprinzip‹ voraussetzte, war er seit der Antike entsprechend Gegenstand rhetorischer und poetischer Traktate, genauso wie einer von den Humanisten wiederbelebten literarischen Tradition, die auf physiologischen Grundlagen beruhte. Diese Überlieferung hob das Vergnügen am Traum hervor: Man träumte »von seinen Vergnügen«41 Der Humanist Juan Luis Vives (1492–1540) beispielsweise verfasste Anfang des 16. Jahrhunderts einen sehr einflussreichen Traktat über die Leidenschaften der Seele sowie einen wichtigen Kommentar zum Traum Scipionis von Cicero. Dieser Text erhielt bereits im Mittelalter dank eines Kommentars von Macrobius aus dem frühen 5. Jahrhundert, und dann im 16. Jahrhundert mindestens 78 Auflagen (um nur diejenigen in der Staatsbibliothek München zu erwähnen). In einem Brief an den befreundeten Francis Cranevelt in März 1520 schrieb der Humanist: Meiner Seele zuliebe wollte ich eine öffentliche Vorlesung hier [d. h. in Löwen] über den Traum Scipionis halten und bat deshalb um Erlaubnis. Sobald der Rektor und einige andere Abgeordnete das Wort ›Traum‹ hörten, lachten sie lauthals los. Der Grund für jene große Lustigkeit, glaubte ich, war, dass wenn sie einen Hinweis auf den Traum hörten, d. h. auf diesen beliebten Zeitvertreib an dem auch sie selbst so viel Freude hatten, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Sie baten mich darum, die Sache vor der Fakultät zu bringen, die für das Buch zuständig war, aus welchem die Vorlesung hervorgehen musste. Gestern, als der hohe und würdevolle Senat tagte, gab er den Vätern neue Aufschlüsse über das Vermögen des Traumes. Dieser Tag war von Kontroversen und Streitigkeiten durchzogen, und viele Untersuchungen werden noch von der Frage 39
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Melanchthon: Etliche Trawm Philippi von gegenwertigen und vergangen verfelschung der wahren Religion sehr lustig und nützlich zu lesen. Item ein Trawm des abtruennigen Mamelucken Staphyli. In: CR. Bd. XX, Sp. 686–691, hier 688. Platon: Gastmahl. In: Ders.: Sämtliche Dialoge. Hg. von Otto Apelt. Hamburg 1988 (Nachdruck der Ausgabe 1922), Bd. III, S. 46 [202St.] und 56 [208–209]. Michel Foucault: Histoire de la sexualité. Bd. 3. Le Souci de soi. Paris 1984, S. 13–50, hier 13: »Rêver de ses plaisirs«. Zum Traum als medium comicum bei Melanchthon und Luther, s. Martin Luther: Werke. WA B. Bd. 11, S. 89–90 Nr. 4104, Zeilen 9–10; Ebd.: WA. Bd. 2, S. 700 Zeile 22; Ebd.: WA. Bd. 44, S. 572 Zeile 16. Vgl. dazu Johanna Loehr: War der Augsburger Reichstag von 1530 eine Komödie? Zur Verwendung dramentheoretischer Begriffe in den Briefen Luthers und Melanchthons. In: Archiv für Reformationsgeschichte 91 (2000), S. 47–86, hier 61.
70 des Vermögens aufgezehrt, aus welchem der Traum hervorgeht. Eine Art von Geschehen, das den Betroffenen toll machen und den Zuschauer zum Lachen herausfordern würde, oder? 42
Bereits Aristoteles hatte sich in dem zweiten Buch seiner Rhetorik mit den Affekten beschäftigt, die ein Redner erzeugen kann: »Die dabei [also bei einer bekannten Rede] entstehende Phantasie [d. h. die Rache, die man zu nehmen plant] flößt ein wie die bei den Träumen«43 . Der Traum als Produkt aktiver Imagination während der Nacht könne Bilder vergegenwärtigen, die derart intensiv vor Augen stehen können, dass nicht nur der Sehsinn, sondern sogar der Tastsinn von ihrer realen Präsenz überzeugt scheint. Dies bewirke eine besondere Freude. Der Humanist Juan Luis Vives nannte in seinem Traktat über die Leidenschaften der Seele das Lachen im Traum einen primär physiologischen Prozess: »Das Lachen ist kein Gefühl, sondern ein äußerlicher Vorgang, der von Innen ausgeht und von Freude und Vergnügen verursacht wird. Beide dehnen das Herz aus; die Ausdehnung des Herzens bewirkt die Verbreiterung des Gesichtes«.44 Der Traum war also teilweise ein Produkt der Imagination, teilweise ein physiologischer Ablauf, wobei die vier humores oder Körpersäfte während der Verdauung auf das Gehirn wirkten. Demnach war der Traum der Vorgang par excellence, der das Zusammenwirken von Seele und Körper verdeutlichte. Deshalb fasste Vives alle Auseinandersetzungen der Theologen, der Philosophen und der Mediziner zu Seele und Körper so zusammen: »Dieser Tag war durch Kontroversen und Streitigkeiten durchzogen, und viele Untersuchungen werden noch von der Frage des Vermögens aufgezehrt, aus welchem der Traum hervorgeht.« Die Gleichzeitigkeit von Lachen, sogar von Lächerlichem einerseits und von der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung andererseits hebt die Ambivalenz des Traumes in seinem Wahrheitsgehalt hervor so, als ob Vertrauen, Vergnü-
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»Volui animi gratia enarrare hic publice ›Somnium Scipionis‹. Petij veniam. Rector & aliqui quidam deputati siumulac audierunt Somnium, riserunt. Credo quod perfunderbantur magna laetitia, cum somnium delitias suas, in quo tanta cum voluptate versantur, nominari audiebant. Tum iusserunt me ire ad eam Facultatem, cuius est liber enarrandus. Heri cum Senatus ille sanctus habaretur, novum ad Patres retulit de facultate Somnij, varijsque sententijs et concertationibus ille dies extractus est, multique alij in ea consultatione comsumentur, cuiusnam facultatis sit Somnium. None ista cui accident, insaniat; qui spectat, suaviter rideat?« Zitiert in: Somnium et Vigilia in Somnium Scipionis (Commentary on the Dream of Scipio). Hg. von Edward V. George. Greenwood 1989, S. xxxviii. Aristoteles: Rhetorik. Hg. von Ernst Grumach u.a. Berlin/Darmstadt 2002 (Werke in deutscher Übersetzung 4), 2.2.1378b. Juan Luis Vives: The Passions of the Soul. The Third Book of »De Anima et Vita«. Hg. von Carlos G. Noreña. Lewiston/Queenston u.a. 1990 (Studies in Renaissance Literature 4), S. 57. Zu Vives’ Seelenlehre, vgl. Mario Sancipriano: La pensée anthropologique de J. L. Vivès. L’entéléchie. In: Juan Luis Vives. Arbeitsgespräch in der HerzogAugust-Bibliothek Wolfenbüttel. Hg. von August Buck. Hamburg 1982 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 3), S. 63–70.
71 gen, Lachen, Zustimmung, Skepsis sogar Zweifel nicht ganz unterschiedliche Empfindungen seien. Diese Ambivalenz wurde von der literarischen Tradition aufgenommen und weiterentwickelt. Um seine Wirkung auf den Leser zu intensivieren, wurde in Melanchthons Traum die ganze Palette dieser Empfindungen hinein interpretiert. Zusammenfassend war der Torgauer Traum von 1544 ein konfessionspolitischer Traum, der auf einer Liebesmetaphorik beruhte, ein physiologisch bedingtes Vergnügensprinzip bewirkte und den mit der Ambivalenz spielenden Wahrheitsgehalt ausnutzte. Trat das Vergnügensprinzip mehr in den Vordergrund, dann konnte der Traum auf eine offene Umbruchsituation belustigend anspielen, ohne Partei für eine bestimmte Lösung ergreifen zu müssen. So entstand eine anonyme Handschrift, die wahrscheinlich im Spätjahr 1546 verfasst und unter dem Titel Conceptio Mauritij in die Reichstagsakten des Mainzer Erzkanzlerarchivs aufgenommen wurde.45 Diese schildert eine Unterhaltung zwischen Herzog Moritz und Julius Pflug (1499–1564), einem Geheimer Rat seit 1522, Befürworter eines Reformkatholizismus erasmianischer Prägung, und anderen Räten. Als der Herzog Pflug erzählt, dass der Kaiser ihm befohlen hat, nach Kursachsen zu ziehen und das Land zu besetzen, ermuntert Pflug den Herzog zu diesem Schritt und erzählt ihm einen Traum, den er »drey nacht nach einnander« geträumt habe, »von eben tewer wegen« er muss »eur g sagenn«.46 Pflug berichtet, dass er im Schlaf den Herzog Moritz »in churfürstlichen habit« gesehen habe und dass dieser vom Kaiser angewiesen worden sei, »das land zu sachsen (zu) bezwingen«, woraus er schloss: »meinet ir nicht wie mich die sach an sicht es kunde der traum an e g wol war werden«.47 Diese Aussage sowie der Topos der dreimaligen Wiederholung des Traums verliehen dem Traum eine bestimmte Überzeugungskraft. Die Kurtranslation vom ernestinischen Sachsen an das albertinische Sachsen, das ein halbes Jahr später, am 4. Juni 1547 stattfinden sollte, erhielt in der Conceptio Mauritij durch das Traum-Motiv eine potentielle Wirklichkeit. Deshalb vielleicht unterschied der Text kaum zwischen dem Traumbericht und einer fiktiven Unterredung. 45
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Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien: Mainzer Erzkanzlerarchiv, Reichstagsakten 12, Fol. 285 r° – 293 v°. Für den Hinweis auf diesen Dokument, seine Zuschickung und Einbettung in den sächsischen Kontext danke ich Thomas Ott recht herzlich. Im Folgenden beziehe ich mich auf Thomas Ott: Präzedenz und Nachbarschaft. Das albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im sechzehnten Jahrhundert. München 2006 (Diss.). Vgl. auch Heribert Schmolinsky: Albertinisches Sachsen. In: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650. Bd. 2. Der Nordosten. Hgg. von Anton Schindling, Walter Ziegler. Münster 1990 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 50), S. 9–32. Conceptio Mauritij, Fol. 285 v°. Ebd., Fol. 285 v°.
72 In der Conceptio Mauritij schildern die Räte Herzog Moritz die Vorteile eines Einmarsches ins ernestinische Sachsen. Der Herzog klagt jedoch über Bauchschmerzen, die ein Rat, nämlich »doctor durck« (Christoph Türck) auf eine Schwangerschaft zurückführt: »vorwahr gnediger her Ihne ist also e g gehen schwanger mit eynnen churfursten«.48 Da die Entbindung nah ist, und da es sich um eine Erstgeburt handelt, ersuchen sie eine Hebamme »nahmen verdinands«.49 Die Hebamme Ferdinand untersucht den Herzog und verschreibt ein stärkendes Mittel, nämlich »xv C Husserenn« (1500 Hussaren) und »x M behem« (10000 böhmische Landsknechte)50 sowie Heilkräuter aus den verschiedensten Gegenden Sachsens. Da bei dem kalten Winter diese Kräuter nicht gefunden werden, schreibt man zwei Briefe an einen Apotheker »mit nahmen Hertzog Wilhelm von beyrenn«,51 der antwortet, er habe keine Arznei, solange nicht die Lutheraner im kaiserlichen Mörser zerstampft seien und man daraus Sirup anrühren könne. Inzwischen verschlimmern sich die Wehen. Alle Vorschläge der Hebamme und der Räte, türkische Kräuter oder einheimische Mittel zu besorgen, können nicht ausgeführt werden. Der Herzog verwünscht seine Qualen und gebärt im Beisein seiner Räte – ein Mädchen. Diese Niederkunft wird sofort als Verlust der herzoglichen Männlichkeit interpretiert: Herzogk moriz, ceter mordian der grossen schmach so mir zu handen sehet auf diese stunde verlihere ich alle meynne ehre lob vnd manligkeytt welch ich in hungern vnd franckreych erlanget hab o wehe der vmglugseiligen stunde jn der ich mein hertz zu hoffart erhoben vnnd zum teyl hab hebenn wollen darumb geschicht mir eben recht wie den hundt in der fabel esopj der bis sich an eyn stuck fleisch nicht begnugen sondernn schnappet noch den schatten in den wasser da entfill im auch das rechte stucke dann boslich gewunnenn schendtlich enthrunnen wan der churfu[rs]t wirt komen schaw wie hangen meine rete dort an der sonne Amen.52
Der Traum veranschaulichte zunächst die Rolle der Räte an der Seite des sächsischen Herzogs. Sie wurden nicht ins Lächerliche gezogen, erfüllten keine typologische Rolle, wie die Hebamme Ferdinand, erschienen nicht als unverantwortliche Ohrenbläser, sondern als reale Personen. Der Galgen drohte ihnen, falls das »gewunnespill«,53 zu dem sie den Herzog ermunterten, nicht aufginge. Es sei denn, die zitierten Räte seien schon vor 1539 im Dresdner Ratskollegium tätig und Vertreter eines Reformkatholizismus blieben. Der Konfessionswechsel zum Luthertum mit Regierungsantritt Hein48 49 50 51 52 53
Ebd., Fol. 287 v°. Ebd., Fol. 287 v°. Ebd., Fol. 289 v°. Ebd., Fol. 290 r°. Ebd., Fol. 293 r°–v°. Ebd., Fol. 286 v°.
73 richs V. des Frommen im Jahre 1539 hatte die Politikführung kaum verändert. In der Conceptio Mauritij schwankten die Räte zwischen Ermutigung und Mahnung vor der riskanten Kurtranslation. Sie betonten zunächst deren Vorteile, rechtfertigten diese aber nicht. Der Text wägt ab zwischen den Parteien: Der letzte ernestinische Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wird nur lästernd als »hans wurst«54 bezeichnet, seine konfessionelle Politik jedoch wenig kritisiert, andererseits spielt der ganze Text spöttisch auf die Kinderlosigkeit des albertinischen Herzogs Moritz an, ohne ihn jedoch als ›Judas von Meißen‹ zu geißeln. Ein Mittel dieser spielerischen Unparteilichkeit in der Umbruchsituation ist der groteske Humor. Die sexuellen Rollen und Identitäten werden verkehrt: König Ferdinand erscheint als Hebamme, Herzog Moritz als ein mit einem Mädchen schwangerer Mann. Der albertinische Konfessionswechsel selbst wird verspottet: doctor durck, frau hebam kompt ir ich weis nicht wie wir thun mit vnsern patienten er will nicht volgen vnd hat der meyster wurz[el] zu wittenbergk auch zum bade genommen also das jme der starcke geruch ins haupt gestigen das er ganz kraftlos ist worden.55
In der Zeit der konfessionspolitischen Wende wurde der Traum literarisch in eine politische Satire umgewandelt, bei der gelacht werden durfte. Das Traum-Motiv ermöglichte alle reizvollen Verschiebungen zwischen Konkretem und Metaphorischem, wie der vermutlich später hinzugefügte Titel ankündigte: »Conceptio Mauritij. Lieber leser liß mich Eynner vnzeitigenn geburt bericht ich dich in massen von eyner schwangern frauen das wunder ein jderman solt schawenn«.56
2.2
Zwischen Geistgabe und Verlagskonkurrenz: Die Traumbücher und ihr Buchmarkt
Gegen 1556/57 erörterte der Breslauer Superintendent Simon Musäus (1521–1576) anhand der Danielprophetie in einer Predigt die Frage: Von treumen Was man dauon halten sol.57 Er teilte Träume in zwei Kategorien, in natürliche, innerliche bzw. physiologische Träume und in »vnnaturliche[n]«, die »nicht von inwendig in vns, sondern werden anderwo in vns getragen«58 und entweder vom Teufel oder von Gott (wie in der Danielprophetie) eingegeben seien: »Derhalben sol man sich hutten vnd fursichtig sein, Das man den treumen nicht zu viel noch zu wenig thue. Zu viel thut man Ihm wen man allen treumen bald gleubet, vnd darauf bauet, zu wenig thut man Ihm wen 54 55 56 57
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Ebd., Fol. 286 v°. Ebd., Fol. 292 v°. Ebd., Fol. 285 r°. SLUB D: Th. Ev. Asc. 371m, Etliche predigten geprediget durch Simonem Musæum Doctorem …, Fol. 9 v°–16 r°. Ebd., Fol. 11 v°.
74 man keynem traum will gleuben, vnd alle verwirfft«.59 In der Danielprophetie fand der Traum seine Auslegung in sich selbst. In den anderen, natürlichen Träumen, stand keine sichere Deutung zur Verfügung. Diese Aufgabe hatten seit der Antike Traumbücher, d. h. lexikonartige Kataloge von Träumen in jeweils stereotyper Auslegung, übernommen. Wie wurden diese Traumbücher verwendet? Leider besitzt man nur spätere Zeugnisse. Der Ulmer Superintendent Cunrad Dieterich (1575–1639) wetterte im Jahre 1624: Gleich wie es diser Traum Geister aller Orten zu allen zeyten mit grossen Schaaren geben/ so sich theils freventlich underfangen/ alle unnd jede Traeume auszulege[n]/ Theils naerrischet/ dieselbige Rath gefraget und jhren Deut- und Auslegungen glauben geben; Also haben wir deren Rottengenossen noch heutiges Tages undern unserm Welthauffen nicht wenig/ so noch die stund under uns mit Traeumen umbgehen; Als da sind/ an einem die Traumkuenstler und Außleger/ Welche da aus jhren hohen Sinnen/ die Traeume in gewisse Regul schliessen/ und nach denselbigen/ alle und jede/ was sie bedeutten unnd mit sich bringen werden/ auszulegen/ sich naerrichter thoerichter weise underfangen. Am ondern/ alle und jede vuerwitzige/ Aberglaubische Leutte/ die viel auf Traeum halten/ derentwegen sich mit jhren Traumbuechlein schlepfen/ wan jhnen was Treumet/ sey auch so narrisch/ laeppisch und ungereumbt es wolle/ als baldt/ wan sie aus dem Bett kommen/ zu[m] Traumbuechle/ oder jhren Tafeln/ in welchem der Traeume bedeutung/ nach art der Tagen und Himblischen zeichen/ vermeldet/ eylen/ darin/ was solche Traeume bedeuten/ aengstlich nachforschen […]. Oder/ lauffen zum Traumdeuter unnd deuterin/ bey denen sich rahts zuerholen/ was doch solche jhre gehabte Traeume bedeuten moechten […] Oder/ do sie deren keins thun/ sich doch sonsten in ihrem Sinn un[n] Gedancken mit ernenten jhren Traeumen schlagen/ nagen und plagen/ was doch diser oder jener bedeuten/ jhnen vor guts oder boeses/ Glueck oder Unglueck/ mitbringen moechte. […] Will deren grossen Herrn/ auch anderer gemeinen standts Persohnen/ geschweigen/ so solche Traeumdeuter ohn einiges einsehens in ihren Herrschafften gedulden/ grosse Wahlfahrten zu ihnen gestatte[n]/ sie auch selbsten zu[n] zeiten gebrauche[n]/ in ihren Haeuser aufnehmen/ underhalten/ nehre[n] un[n] mit grosen Gaben verehren. […] Diß ist ein Aberglaubischer Grewel/ so in Gottes Wort allerseits austruecklich verbotten/ Es soll kein Weissager oder Wahrsager under euch sein/ sagt der Herr/ im 1. Buch Mosis 18. 10.60
Diese Aussage war weder Ausdruck des feurigen Temperaments von Dieterich, noch seines lutherischen Bekenntnisses. Denn auch der Wiener Katholik Abraham Hossmann äußerte ähnliche Worte: Thun demnach die unrecht/ welche die Traeume in gewisse Regeln bringen/ und auff einen jede[n] eine gewisse Außlegung machen wollen. Wie dann ein Meister von hohen Sinnen/ ein Deutsch Traumbuechlein hat außgehen lassen/ darinnen er sich unterstehet zu lehren/ die bedeutung der Traueme. Es thun auch die unrecht/ die sich mit solchen Traumbuechlein/ schleppen/ und dieselben des Morgens wenn sie auffgestanden sind/ ehe in den Haenden haben/ denn jren Psalter/ oder ander Betbuechlein/ und sich daraus erkundigen wollen/ was es bedeute/ daß jhnen des nachts getraeumet hat/ das ist ein abergleubisch Werck/ voller Betrug auch dem ersten Gebot zu wider. 59 60
Ebd., Fol. 10 r°, 13 v°. Cunrad Dieterich: Philosophischer und Theologischer Traum Discurß/ Von den Naechtlichen Traeumen. Darinnen Bericht geschiehet/ I. Was Naechtliche Träume seyn. II. Woher sie ins gemein kommen. III. Wie mancherley diselbige seyn. IV. Was von ihnen zuhalten. V. Wie deren allerseyts recht Christlich zugebrauchen … Franckfurth/Ulm: Unckels/Jonam Saur. 21625 (11624), S. 153–154.
75 Ja dencket und spricht mancher/ es trifft gleichwol bißweilen zu/ darumb mus es niht alles vergeblich noch zu verachten seyn. Unter den natuerlichen Traeumen sind etliche Somnia præsagientia, die ihre sonderliche deutung haben/ es ahnet die Leuthe etwas/ sie koennen sich aber nicht recht darein finden/ man kan auch solche Traeume nicht ehe recht verstehen/ biß sie erfuellet worden. Und solche Traeume habe zu gleich die boesen und frommen.61
Da die Traumauslegung eine heikle Sache war, durfte sie nicht von jedermann ausgeübt werden. Im Zentrum der Polemik stand also nicht die Traumdeutung als Erkenntnis, auch nicht der seit John of Salisbury kritisierte stereotype Charakter der Traumbücher,62 sondern deren rasante Verbreitung. Schon 1494 spöttelte Sebastian Brant (1457/58–1521) in seinem Narrenschiff: Vnd des glych vngloub allerley Mit war sagen vnd vogel gschrey Mit caracter/ segen/ treum buecher/ Vn[n] dz ma[n] by dem mon schin suech Oder der schwartze[n] kunst noch stell’ Nüt ist das man nit wissen well’ […] Vnd was man reden/ ratten werd/ Wie der werd glück ha[n]/ was geberd/ Was willen/ zue fall der kranckheit Freuelich ma[n] vß dem gstirn yetz seit/ […] Vil practick vnd wissagend kunst Hatt yetz vast vß der drucker gunst/ Die drucken alles das man bringt Was ma[n] vo[n] schande[n] sagt vn[n] singt …63
Im 16. Jahrhundert sowie zur Zeit von Dieterich und Hossmann bestand die Gefährdung weniger in der gedruckten Verbreitung von Traumbüchern, in denen sich Geheimnisvolles verbarg, mehr in deren Übersetzung in Volkssprachen. Lateinische Traumbücher blieben hingegen ein Kennzeichen für Gelehrsamkeit; in Gelehrtenbibliotheken fanden sich ausschließlich lateinische Traumbücher.64 Um dem Vorwurf des Aberglaubens zu entgehen, ver-
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Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), S. 37–38. Vgl. Jan R. Veenstra: Magic and Divination at the Courts of Burgundy and France. Text and Context of Laurens Pignon’s Contre les devineurs (1411). Leiden/New York u.a. 1998 (Brill’s Studies in Intellectual History 83), S. 182; Nigel F. Palmer, Klaus Spekkenbach: Träume und Kräuter. Studien zur Petroneller »Circa instans«-Handschrift und zu den deutschen Traumbüchern des Mittelalters. Köln/Wien 1990, S. 201. Sebastian Brant: Das neue Narrenschiff. Hg. von Loek Geeraedts. Faksimile der Inc. XI 9821 Bibliothèque de la ville de Colmar. Dortmund 1981 (Deutsche Wiegendrucke), Fol. m ij v°. So beispielsweise die Bibliothek von Caspar Peucer: In ihrer philosophischen Sektion sind die lateinische Version des Traumbuches von Artemidor und alle Werke zu Wahrsagung und Gespenstern in lateinischer Sprache zu finden, jedoch kein einziges deutschsprachiges Werk. Vgl. Robert Kolb: Caspar Peucer’s library: Portrait of a Wittenberg Professor of the mid-sixteenth century. Saint Louis (Miss.) 1976 (Sixteenth Century Bibliography 5), S. 71–72, Nr. 1270–1271, 1286–1295, 1315.
76 fassten die Gelehrten ihre Traktate zu Wahrsagung und Traum in lateinischer Sprache. Durch die Verbreitung von Traumbüchern in der Volkssprache änderte sich sowohl die Leserschaft als auch die Gattung des Traumbuches. Die spiritualistische Interpretation des Traumes stand wieder im Vordergrund. 2.2.1
Traumbuech/ Artemidori deß Griechischen Philosophi
Übersetzungen in eine Volkssprache waren kein Novum. Das Somniale Danielis, ein sehr knappes, katalogartiges Traumbuch in alphabetischer Abfolge der Traumgegenstände, im 5. Jahrhundert in Konstantinopel entstanden, wurde bald dem Propheten Daniel, bald Joseph, bald David, bald Salomon, bald sogar Johannes zugeschrieben. Es war im Laufe des Mittelalters ins Arabische, später ins Hebräische, und im 7. Jahrhundert ins Lateinische in Prosa oder Versform übersetzt worden. Nach 1470 folgten Inkunabeleditionen in lateinischer, deutscher, dann italienischer Sprache.65 Ab 1500 wurde die Publikation seltener. Zu dieser zählt noch eine lateinische Version, verbunden mit dem Traum Salomons im Jahre 1516,66 sowie deren deutsche Übersetzungen, die in Augsburg und Straßburg verlegt und unverändert verbreitet wurde.67 Ab 1550 wurde es jedoch in erweiterte Traumbücher oder als Bestandteil von Chiromantien aufgenommen, bevor es im 18. Jahrhundert als ›curiöse Wissenschafft‹ eingeordnet wurde. Dieses Traumbuch hielt sich
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Vgl. Exposicions et significations des songes et Les Songes de Daniel (Manuscrits français de la Bibliothèque Nationale de Paris et de la Staatsbibliothek de Berlin, XIVe, XVe et XVIe siècles). Hg. von François Berriot. Genève 1989 (Travaux d’humanisme et Renaissance 234), S. 32–33. Somnia Salomonis David regis filii una cum Danielis prophete somniorum interpretatione: novissime ex amussim recognita omnibusque mendis expurgata, Venetiis, 1516. Thorndike kennt nur diese Ausgabe. Vgl. Thorndike. Bd. 6 (1958), S. 475. Vgl. Maurice Hélin: La clef des songes. Fac-similés, notes et liste des éditions incunables. Paris 1925 (Documents scientifiques du XVe siècle II). Außlegung des prophetten Daniel/ von den trömen. Die er gegeben hat dem großmechtigistenn Künige Nabuchodonosor. Augspurg: Han[n]s schoensperger. 1511; Außlegung des Propheten Daniel/ von den trömen. Die er gegebenn hat dem großmechtigstenn künig Nabuchodonosor. o. o. O. J. [Augsburg ca. 1517]; Außlegung des Propheten Daniel/ von den Troemen. Die er gegeben hat dem großmech tigisten Künige Na buchodonosor. Augspurg: Hanns Schoensperger. 1521. Die außlegu[n]g der Treüme Danielis des Propheten: der da ist gewesen bey den tage Nabuchodonosor eyns Künigs Bebylonie/ Auch mit ettlich Vogel geschrey/ durch Meyster Michaelem Scotum von der natur der Voegel. o. O. 1537. Die Danielprophetie wurde manchmal verbunden mit antiken profanen Traumberichten. Vgl. Eyn newes Traum Büchlein. Von allerhandt Treumen/ auß heid nischen und Goetlichen geschrifften/ warhaff tige/ lustige und fabulische historien/ sampt Dani els des Propheten außlegung uber die Treum/ NebucadNezars des kuenigs zue Babi lonien. Dan. ij. iiij. vij. viij. Eyn Summarium des traums Scipionis auß dem vj. Buech Ciceronis vom Gemeinen Nutz. Straßburg: M. Jacob Cammerlander. o. J. [um 1535]; Dass. 1538. Es gab auch eine französische Übersetzung im Jahre 1510, eine englische um 1542 und eine italienische um 1550.
77 bis zur Kopenhagener Edition 1764.68 Der Markt von Traumbüchern, ausgelöst durch die Konkurrenz des übersetzten Traumbuches von Artemidor, wurde zwischen 1550 und 1670 von immer neuen Überarbeitungen angekurbelt. 1518 war zum ersten Mal bei Alde Manuce in Venedig das griechische Original des Traumbuches von Artemidor, zusammen mit dem Traktat über den Traum des Synesios von Kyrene erschienen. Es war im Jahre 1539 von Janus Cornarius in Basel ins Lateinische übersetzt worden. Im selben Jahre erschien der Kommentar von Julius Caesar Scaliger zum Hippokrates zugeschriebenen Traktat De insomniis,69 der im Jahrhundert zuvor schon von Andrea Brenta für den Papst Sixtus IV. ins Lateinische übersetzt worden war. Cornarius’ lateinische Übersetzung des Traumbuches von Artemidor wurde wieder in Basel 1544 und 1546 in Lyon herausgegeben, eine neue Übersetzung ausgewählter Stellen des Traumbuches von Artemidor wurde von Fontaine im Jahre 1546 angefertigt, und zwei weitere Ausgaben der Version von Pietro Lauro erschienen in Venedig im Jahre 1542 sowie 1547 und 1558.70 Das eigentlich Neue waren jedoch diese Übersetzungen des Traumbuches von Artemidor in Volkssprachen. Die lateinische Fassung des Traumbuches von Artemidor wurde bereits im Jahre 1540 in Straßburg erstmals ins Deutsche, später ins Italienische (1542), ins Französische (1546) und ins Englische (1563) übersetzt. Der Erfolg dieses Traumbuches liegt zweifellos zunächst darin, dass es sich um das berühmteste Traumbuch der Antike handelte, vollständig erhalten und reich an antiker Deutungskunst. Artemidor war ein im 2. Jahrhundert nach Christus lebender professioneller Traumdeuter aus Ephesos. Auftraggeber seines Traumbuches war Apoll von Daldis, weshalb man ihn auch Artemidor von Daldis nannte.71 Dieses Traumbuch kam im 16. Jahrhundert rasch unters Volk, weil es sich leicht christianisieren ließ. Artemidor erwähnte beispielsweise nicht mehrere Götter, sondern nur »Gott«. Das Drumherum der Übersetzung in eine Volkssprache ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Eine erstmalige Übersetzung wurde von Walther Hermann Ryff (ca. 1500– 1548) angefertigt, der in Straßburg, vom Rektor des Gymnasiums Otto Brunfels unterrichtet, seinem Lehrer 1533–34 nach Basel folgte, wo dieser 1532 eine Professur für Medizin bekleidete.72 Ohne sein medizinisches
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Vgl. Ludger Grenzmann: Traumbuch Artemidori. Zur Tradition der ersten Übersetzung ins Deutsche durch W. H. Ryff. Baden-Baden 1980 (Saecvla spiritalia 2), S. 210. [Julius Caesar Scaliger]: Hippocra tis Liber de Somniis. Cvm Ivlii Caesaris Scaligeri Commentariis. Lvgdvni: Seb. Gryphivs. 1539. Vgl. Thorndike (1958). Bd. 6, S. 475–476. Vgl. auch Exposicions et significations des songes. Vgl. dazu Gehring, S. 17–38; Weber (2000). Vgl. Strasbourg au cœur religieux du XVIe siècle: Hommage à Lucien Febvre. Hgg. von Georges Livet, Francis Rapp. Strasbourg 1977, S. 501–510.
78 Studium abgeschlossen zu haben, erlernte er den Apothekerberuf. Er reiste in die helvetische Eidgenossenschaft, in den Harz, nach Sachsen, Polen, Schlesien und Mecklenburg, wo er vom Herzog Albrecht VII. (1486–1547) als Hofapotheker nach Güstrow berufen wurde. Im Auftrag des Herzogs begann Ryff eine erfolgreiche Karriere als Verfasser praktischer Arzneibücher. Spätestens im Jahre 1539 kehrte er in seine Heimatstadt Straßburg zurück, die er, nach einer vom Straßburger Rat erhobenen Beschuldigung gegen ihn und seinen Drucker, den Anabaptisten Balthasar Beck, wegen Fälschung eines Privilegierungsvermerks für ihr Traumbuch, rasch verlassen musste. Er zog dann 1546/47 nach Nürnberg und Mainz; am 29. September 1548 starb er in Würzburg.73 In den letzten acht Jahren seines Lebens hatte er etwa 35 verschiedene Schriften in Druck gegeben, von denen insgesamt über 100 Ausgaben erschienen sind. Die meisten hatte er allerdings laut Titelblatt nur »neu an den Tag gegeben«. Deshalb der üble Ruf eines ›Erzplagiators‹, in den er sofort geriet.74 Welche Rolle spielte dabei die Publikation der ersten Übersetzung Artemidors? Das lange Titelblatt ließ den Verdacht entstehen, das Traumbuch sei von Ryff selber geschrieben. Der Name von Artemidor war darauf gar nicht erwähnt. Der Leser erfuhr lediglich, Ryff habe das Traumbuch »newlich inn truck verordnet«.75 Artemidor wurde nur ein einziges Mal erwähnt – in der Vorrede. Inhaltlich handelte es sich um eine deutsche Übersetzung der Oneirokritika des Artemidor, eines im übrigen mangelhaften Exemplars von vier statt fünf Büchern der lateinischen Fassung von Cornarius. Ob Ryff allein das Werk übersetzt oder ob er eine ältere, unveröffentlichte deutsche Übersetzung bearbeitet hat, ist nicht klar. Wie dem auch sei, damals waren solche Praktiken nicht unbekannt. Die damalige Rechtsprechung kannte schon die Bearbeitung sowie die Übersetzung in eine andere Sprache als eigene, schöpferische Leistung an. Als Folge der raschen Verbreitung und der verschärften Konkurrenz unter den Autoren, wurden die einzelnen Werke genauer unter die Lupe genommen. Infolgedessen wurde auch der Vorwurf eines Plagiats häufig pauschal, ohne rechtliche Grundlage, aus den eigenen 73
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Vgl. Josef Benzing: Walther H. Ryff und sein literarisches Werk. Eine Bibliographie. Hamburg 1959 (Schriften der Philobiblon 1); Ders.: Die Drucke Jakob Cammerlanders zu Straßburg 1531–1548. Wien/Bad Bocklet u.a. 1963; Carl Lüdtke: Nachwort. In: Walther Ryff: Confect Büchlin und Hausz Apoteck. Leipzig 1983 (Bibliotheca historico-naturalis antiqua) (Neudruck der Ausgabe Frankfurt am Main 1544), S. 1–16, hier 1–6; William Eamon: Science and the secrets of Nature. Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture. Princeton 1994, S. 96–105. In seiner »Bibliotheca universalis« bezeichnete ihn Konrad Gesner als einen äußerst unverschämten, betrügerischen Schriftsteller. Christian Thomasius übernahm wörtlich Gesners Urteil. Vgl. Grenzmann, S. 32–37. WArhafftige/ ge wisse/ und unbetrügliche underweisung/ wie alle Troeum/ Erscheinungen/ unnd Naechtliche gesicht/ die uns von der seelen/ wan[n] sich der leib zue ruegen begeben hat/ eingebildt und fürbracht wer den/ wie solche natürlich und recht erklaert/ unnd außgelegt werden sollen … o.O. 1540.
79 Reihen erhoben. Im Falle Ryffs scheint die Beschuldigung tatsächlich aus akademischen Kreisen gestammt zu haben, insbesondere von Leonhart Fuchs (der selbst wegen Plagiats von Cornarius angeklagt worden war).76 Mit seinem Traumbuch hatte Ryff nun in diesem scharf umkämpften Konkurrenzmarkt Fuß gefasst. Inhaltlich bestand das Traumbuch aus drei Teilen, nämlich einer Vorrede zur Legitimierung der Traumauslegung als ›göttliche Kunst‹ (die menschliche Seele sei von Gott geschaffen, die Traumdeutung sei uralt, stimme oft mit der Realität überein, stehe in Einklang mit der Heiligen Schrift und sei nützlich in der Medizin), aus einer Einleitung über die Ursachen und Ursprünge aller Träume und dem thematisch und alphabetisch geordneten Traumbuch. Die Technik der Traumdeutung war also keineswegs verändert worden. Im Vergleich mit der lateinischen Fassung von Cornarius ergeben sich jedoch erhebliche Abweichungen. Der neue Text war deutlich gekürzt, in knappem, manchmal derben Stil und an die deutsche zeitgenössische Kultur angepasst. Ryff ließ die Einzeleinheiten des Originals über die mediterrane Vegetation, die mythologischen Figuren, die griechischen Spiele sowie die außereheliche Sexualität weg. Der Gegensatz von Griechen und Römern wurde durch die Antinomie zwischen Deutschen und »Welschen« ersetzt.77 Dadurch griff er auf die protestantische Polemik gegen das Papsttum bzw. die ›Welschen‹ zurück, die von Ulrich von Hutten besonders betrieben worden war.78 Gerade der religiöse Bereich wurde am Konsequentesten abgeändert. Die antiken Begriffe wurden systematisch durch christlich-protestantische ersetzt und der Heiligenkult der katholischen Kirche als direktes Pendant zum heidnischen Götzendienst dargestellt. Der »Christliche guethertzige Leser«, an den Ryff seine Übersetzung richtete, gehörte jedoch weder zur alten noch zur neuen Lehre. Als Motto des Buches diente ein Lob des Geistes: »Loben den Herren/ vnnd freüwen eüch im geyst/ dann die zeyt des heyls vnd fridens ist vorhanden/ zue trost der angefochtnen/ gefangnen vnd betruebten gewissen«. Auf dem Titelblatt hatte Ryff auch die Verse aus Joel 3:1–2 über die Weissagung in Traum und Gesichten: 76 77
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Vgl. Grenzmann, S. 28–31. Cornarius, I, 55: »Sie uero quis grecas litteras discat ex Romana gente, aut Romanas generis graeci, alter ad romana, alter ad graeca exercitia & conuersationes perueniet. Et sane multi Romani graecas uxores, & uicissim Graeci Romanas duxerunt ab hoc somnio uiso …«. Ryff I, 42: »Troeumet auch einem Teütschen/ dz er Welsch lerne/ oder einem Welschen/ das er Teütsch lerne/ oder dergleichen frembde sprachen/ bedeüt dz der selbig sich der uebung vnd handlung des selbigen volcks gebrauchen wird/ vo[n] welcher sprach jm troeumet/ ich hab auch etliche ken[n]t welche nach einem solchen troum ein weib überkum[m]en habe[n]/ des selbigen lands/ welche sprach sy lerneten inn dem troum …«. Vgl. Grenzmann, S. 55. Vgl. Jacques Ridé: L’Image du Germain dans la pensée et la littérature allemandes de la redécouverte de Tacite à la fin du XVIe siècle (Contribution à l’étude de la genèse d’un mythe). 3 Bde. Paris 1977.
80 Ich will mein geyst außgiessen über alles fleysch/ und eüwere sün und toechter sollen weissagen/ eü were aeltisten sollen troeum habe[n]/ und ewere jüng ling gesicht sehen/ spricht der Herr.
Mit anderen Worten: die anvisierte Lesergruppe rekrutierte sich aus dem spiritualistischen und anabaptistischen Kreis um Melchior Hoffman. Der Drucker Balthasar Beck, der Hoffmanns Schriften sowie 1531 Sebastian Francks Chronica, Zytbuech vnd geschijcht bibel verlegt hatte und mit Franck auch persönlich verbunden war (Franck war mit seiner Stieftochter Margarete verheiratet), war schon vom Stadtrat wegen täuferischen Gesinnungen verhört und mindestens einmal inhaftiert worden.79 Erst im Jahre 1551 erschien eine zweite Auflage mit geringfügigen Änderungen von den Erben Becks. Eine Schilderung von Jakobs Himmelleiter zwischen Einleitung und Text betonte die christliche Dimension dieses Traumbuches. Der Rest blieb jedoch unverändert. Die Zeitspanne zwischen der ersten und dieser zweiten Auflage ergab sich wahrscheinlich aus der Inhaftierung Becks – die nicht aufgrund der Veröffentlichung dieses spiritualistischen Traumbuches erfolgte, sondern wegen eines gefälschten Privilegienvermerks. Bereits im Jahre 1554 erschien eine neue Fassung, und zwar nochmals in Straßburg, diesmal aber bei Samuel Emmel. Sie unterschied sich durch einen neu hinzukommenen Text von Philipp Melanchthon, der schon im Titelblatt angekündigt und von nun an in allen Ausgaben enthalten war. Diese »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung/ bezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren/ Philipp Melanthonis«80 erlebte eine sehr breite Rezeption. Melanchthon trennte darin vier Arten von Träumen nach ihren Ursachen: die göttlichen, welche er auf die biblischen beschränkte, die mantischen, durch die Sterne verursachten Träume, die physiologischen in der aristotelischen und galenischen Tradition, und die teuflischen, zu welchen er die Träume und Visionen der Anabaptisten rechnete, weshalb sie seiner Meinung nach die Todesstrafe verdienten. Löste das Traumbuch Emmels, das bereits 1555, 1558 in Quart- und 1560, sowie 1563 und 1566 in Oktavformat neu gedruckt wurde, eine Wende gegen die Täufer und Spiritualisten aus? Der Inhalt des Traumbuches selbst war kaum verändert worden. Der Straßburger Stadtrat zeigte sich, trotz seines Engagements gegen Caspar Schwenckfeld, in den 1550er Jahren noch gemäßigt gegenüber den Wiedertäufern. Der Drucker Samuel Emmel war mit Balthasar Becks Witwe verheiratet. Vielleicht wollte er, die jüngst vergangene Zeit vergessen machen ohne sie völlig in Vergessenheit geraten zu 79 80
Vgl. Grenzmann, S. 61–64. Der richtige Titel der ersten Ausgabe im Jahre 1554 lautet: Von[n] Mancherley Geschlechten der Troeum/ sampt jrer bedeütung/ ein kurtze erinnerung/ gezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren Philippi Melanthonis/ sehr nutzlich zuelesen. Peter-André Alts Behauptung, dass Ryff diese Einleitung hinzugefügt hätte, ist natürlich nicht haltbar. Vgl. Alt (2002), S. 57.
81 lassen. Hauptgrund für die Publikation dieses Traumbuches lag jedenfalls darin, im riskanten volkssprachigen Buchmarkt konkurrieren zu können. Nachdem Samuel Emmel 1552 Becks Druckerei erworben hatte, übernahm er noch andere Werke Becks, um sich auf diesem Buchmarkt zu behaupten.81 Eine Neufassung, die den Buchmarkt beherrschen sollte, erschien ein Jahr nach dem Konkurs Emmels im Jahre 1569 bei seinem Nachfolger Theodosius Rihel82 (†1608). Nun erwähnte das Titelblatt explizit, dass Artemidor der eigentliche Autor des Traumbuches und Ryff lediglich der Übersetzer war. Im Vergleich zur ersten Edition von Ryff bestanden jedoch wesentliche Unterschiede. Die »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung/ bezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren/ Philipp Melanthonis« war aus Emmels Edition wörtlich übernommen, es fehlte jedoch auf dem Titelblatt der Spruch aus Joel 3:1–2. Trotz der Erwähnung Ryffs Mitarbeit im Titel war der Text kein Neudruck von Ryffs Version, sondern eine neue deutsche Übersetzung der lateinischen Fassung von Cornarius. Gemeinsam war beiden Fassungen jedoch die Tilgung des Heidnischen. Die neue Übersetzung war allerdings viel genauer als die Ryffsche. Sie umfasste 13 Kapitel und nahm erstmalig das 5. Buch Artemidors neu auf. Zudem war sie wortreicher und weniger derb.83 Die sexuellen Stellen waren noch stärker euphemisiert.84 Der Obrigkeit gegenüber erwies sie 81 82
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Grenzmann, S. 67–87. Vgl. François-Joseph Fuchs: Inventar des Nachlasses des Straßburger Buchdruckers Theodosius Rihel des Älteren (†1608). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 147 (1999), S. 363–380. Vgl. beispielsweise folgende Stelle: Cornarius II, 26 Ryff II, 26 Bearbeiter der Edition Rihels II, 26 … Si uero quis seipsum stercore conspurcans, eaque percaca[n]s, sibi ipsi magnoru[m] maloru[m] autor erit, insuperque aegrotabit …
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… Troeumet aber einem wie er sich selbst bescheisß/ bedeüt das er jm selbs ein vrsaecher vnnd anfaenger sein werd/ viles vnglücks vnd vnrats/ auch dz er in schwere kranckheyt fallen wird …
Vgl. Grenzmann, S. 97. Ich hebe hervor. Vgl. beispielsweise folgende Stelle: Cornarius III, 25 Ryff III, 22
… Traeumet aber eynem/ wie er sich selbst besudele/ und seine Fuesse mit Kaath verunreyne/ bedeutet daß er jhm selbs eyn vrsaecher vnd anfaenger sein werde/ viles vngluecks vn[n] vnraths/ auch daß er in schwere kranckheyt fallen werde …
Bearbeiter der Edition Rihels III, 22
… Es hat auch etwa eyn … Es hat auch etwa ein bedeutet/ daß er eyn solcher trou[m] eim Ehebrecher worden/ vnd eebrecher bedeüt der eim unehliche Kinder uberkommen ander sein weib gebuelt unnd geschwaengert hat … hat … Vgl. Grenzmann, Traumbuch Artemidori, S. 98. Ich hebe hervor. … Saepe etiam adulterum fore significat, et spurios filios clam generaturum esse …
82 auch größeren Respekt.85 Diese Änderungen deuten darauf hin, dass Ryff für ein aufgeschlossenes, aber bescheidenes und nicht sonderlich gebildetes Publikum schreiben wollte. Die Spiritualisten und Anabaptisten rekrutierten sich in Straßburg vorwiegend aus Gärtnern und Handwerkern der Zünfte. Die Edition Rihels richtete sich eher an Bürger und Kaufleute, wie der Vergleich folgender Stelle belegt.86 Cornarius I, 50
Ryff I, 37
Rihel I, 50
… Plures pedes habere, bonum est merca-toribus, pluribus enim seruis imperabunt, bonum est & omni qui mercede seruos alit. Nauis autem gubernatori quietem & tranquillitatem signi-ficat, pluribus enim pedibus utetur, nauem remis impellendo …
… Darumb es fast guet vnd glückhafftig ist den kauff-leüten/ schiffleüten/ vnd allen dene[n]/ welche vil knecht under jnen haben/ über welche sy regieren vnd herrschen/ das jn troeume wie sy vil fuesß haben/ dann solchs bedeüt jnen rueh/ dieweil jr sache[n] durch vil frembde vnd anderer leüt fuesß außgericht werden …
… Darumb es fast gut vnd glückhafftig ist den Kauffleuthen/ Schiffleuthen/ vnd allen denen/ welche durch der Knechte und anderer Tagloener huelffe/zu jhren hanthierung muessen gebrauchen/ daß jhn traeumet/ wie sie vil Fueß haben/ Dann solchs bedeut jhnen rug/ dieweil sie vber vil Knechte herrschen/ vnd jhre sachen durch vil frembde/ vnd anderer Leuth Fueß außgerichtet werden …
In der wissenschaftlichen Literatur wurde das Werk Ryffs als ›popularwissenschaftlich‹ gelobt: Ryff hätte sich um eine praktische Wissenschaft zuungunsten der scholastischen Spitzfindigkeiten bemüht. Mittels eines infor85
Vgl. beispielsweise folgende Stelle: Cornarius III, 52 Ryff III, 52 [De sterquilinio] … Diuiti aût principatum procurat hoc somnium, aut publicum aliquem honorem, quonia[m] omnes populares aliquid ad sterquiliniu[m] afferunt & adjiciu[n]t, quemadmodu[m] etiam principibus co[n]ferunt & dant …
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[Misthauffen sehen] … Den reiche[n] bedeüt ein solcher troum/ dz er mit aemptern von einer gantzen gmeyn vereeret wird/ da[n] yederman tregt gwonlich sein koeret auff solche misthauffen/ damit sy vo[n] tag zue tag groesser vn[n] gemoeret werde[n]. Also tregt man auch taeglich den grossen hansen vn[n] obersten geschenk zue/ damit sy staets reicher werden muessen …
Vgl. Grenzmann, S. 101. Ebd., S. 100. Ich hebe hervor.
Bearbeiter der Edition Rihels III, 52 [Misthauffen sehen] … Dem Reichen bedeut eyn solcher Traum/ daß er mit Aembtern vnd Herrschafften von eyner gantzen Gemeyn verehret werde: Dann jedermann traegt gewoehnlich sein Koehret auff solche Misthauffen/ damit sie von tag zu tag groesser vnd gemehrte werden. Wie auch maeniglich zu der gemeynen Stewr der Oberkeyt beileget …
83 mellen, unterhaltenden Stils, häufiger Verwendung von Moralismen sowie Sprichwörtern und mittels einer Sensibilität für das Konkrete, hätte er die Wissenschaft einem ungebildeten Publikum zugänglich gemacht.87 War die Vermittlung von Wissen wirklich das Hauptanliegen Ryffs, als er das Traumbuch von Artemidor neu veröffentlichte? Ryff hatte eine antike Quelle für ein nicht sonderlich gebildetes Publikum übersetzt, aber vorwiegend aus religiös-kommerziellen Gründen. Die Vermittlung von Wissen erreichte Emmel mit der Hinzufügung der »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung« Melanchthons. Die Übersetzung des Traumbuches von Artemidor basierte dagegen von Anfang an auf einer guten Geschäftsidee und familiären Beziehungen. Theodosius Rihel war beispielsweise der Schwager von Samuel Emmel.88 Die Nachfrage nach Traumbüchern war im Übrigen so groß, dass von 1555 bis 1616 der Drucker Theodor Ridel und seine Erben im dreijährigen Rhythmus Nachwerke lieferten, insgesamt etwa 20 verschiedenen Ausgaben.89 Im Vergleich zu den mittelalterlichen Traumbüchern änderte sich somit Art und Funktion. 2.2.2
Zwischen Hofkultur und Scharlatanerie
Die überlieferte spätmittelalterliche Traumdeutung war vorwiegend Anliegen der Aristokratie. Sie förderte Magier und verlangte nach Wahrsagern, wie bei der Danielprophetie. Der Hof des geisteskranken Karl VI. in Frankreich wie auch der Hof des gesunden Richard II. in England wurden von solchen ›Propheten‹ besucht. Richard II. besaß das Somniale Danielis, die Merlinus-Prophetien und Abhandlungen zur Geomantie und Physiognomie. Träume und Prophetien gaben ihm eine autorisierte, auf den Bewegungen der Sterne gegründete Erläuterung zum historischen Ablauf, seine Hofastrologen waren auch Traumdeuter. Die Traumbücher waren oft mit astrologischen Abhandlungen zu Sammelbänden gebunden. Es erhoben sich bereits im 14. Jahrhundert Stimmen, die vor dem übertriebenen Glauben an Träume und der Gefahr vor möglichen politischen Implikationen warnten.90 87
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Vgl. Josef Benzing: Walther H. Ryff und sein literarisches Werk. Eine Bibliographie. In: Philobiblion 2 (1958), S. 126–154, 203–226; Katalin Rákóczi: Walther Hermann Ryffs populärwissenschaftliche Tätigkeit. Budapest 1983 (Diss.); Dies.: Walther Hermann Ryffs charakteristische Stilmittel. Ein Vergleich mit H. Brunschwig, H. Gersdorf und O. Brunfels. In: Orvostörténeti Közlemények 30 (1984), S. 79–88. Eamon, S. 96–105. Emmel hatte im Jahre 1558 eine zweite Ehe mit Sarah Rihel, Schwester von Tobias und Theodosius Rihel geschlossen. Andere Editionen des Traumbuches von Artemidor erschienen erst ab 1600. Vgl. dazu Grenzmann, S. 159–206. Vgl. Veenstra, S. 1–2, 25–26, 180–181.
84 Im Spätmittelalter kursierten mehrere Traumbuchtypen. Neben dem knappen Somniale Danielis bestanden ›Traumlunare‹ bzw. ›Sammellunare‹, zu denen Interpretationen der jeweiligen Träume nach der Mondphase sowie Geburts-, Krankheits-, Tagwähl- und Aderlassprognosen zählten. Andere, ›Losbücher‹ genannt, lieferten sehr allgemeine Prognosen ganz nach dem Zufallsprinzip unterschiedlicher Losverfahren. Ein weiterer Traumbuchtyp, der nach dem persischen Arzt Abû Bakr Muhammad ibn Zakatîya’ ar-Râzî (ca. 865–925) Die ler Rasis von den trömen91 betitelt wurde, wertete jede Art von Traum anhand der Viersäftelehre für die Diagnose von Krankheiten aus. Diese vier Traumbuchtypen kursierten in lateinischen und deutschen Handschriften. Die handschriftlichen Übersetzungen von Artemidor sowie von Achmet ibn Sîrîn92 wurden ohne Erwähnung ihres Ursprungs ausschließlich in lateinischen, stark christlich angehauchten Übersetzungen verbreitet. Mit Ausnahme der Losbücher wurden die Traumbücher vorwiegend in medizinischen und astrologischen Sammelhandschriften überliefert: Seit der Antike mit dem Asklepios-Kult hingen Divination und Heilkunst, Träume und Kräuter oft zusammen.93 Viele Traumbücher in deutscher Sprache befanden sich in lateinisch-deutschen Sammelhandschriften. Deshalb besaßen deren Erstbesitzer sicherlich Lateinkenntnisse. Da diese Traumprognostik in der Regel nicht auf die Traumtheorie einging und eher als Gebrauchstext für den Alltag diente, bestand der Leserkreis vermutlich aus Laien, die einen hohen Bildungsstand erworben hatten. Für das 14. Jahrhundert sind Traumbücher im Besitz des Adels, im 15. Jahrhundert dann städtischen Patriziats.94 Im Vergleich zu jenen kennzeichnet die Beck-Emmel-Rihel Editionen die Christianisierung von Traumgegenständen. Außerdem versucht sie mit der »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung« Melanchthons die Traumtheorie einzuführen. Dies kann als Antwort auf die damals schon lange bestehende Kritik an der Traumprognostik interpretiert werden. Im Laufe der Zeit war tatsächlich die Vermischung christlicher und heidnischer Wissenschaften zunehmend kritisiert worden. Die in der Bibel selbst überlieferten negativen Äußerungen zum Traumglauben95 wurden von manchen Kirchenvätern tradiert. Ab dem 12. Jahrhundert verdichtete
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Vgl. Gerhart Hoffmeister: Rasis’ Traumlehre. Traumbücher des Spätmittelalters. In: Archiv für Kulturgeschichte 51 (1969), S. 137–159. Es handelt sich tatsächlich nicht um den berühmten arabischen Traumdeuter Muhammad ibn Sîrîn (†728 n. Chr.), sondern um einen unbekannten byzantinischen Christen, der u.a. arabische Quellen benutzt hatte. Zum Zusammenhang zwischen Astrologie und Medizin, vgl. Barbara Bauer: Sprüche in Prognostiken des 16. Jahrhunderts. In: Kleinstformen der Literatur. Hgg. von Walter Haug, Burghart Wachinger. Tübingen 1994 (Fortuna vitrea 14), S. 165–205. Vgl. Palmer, Speckenbach, S. 124–127, 152–185. Vgl. oben, Kapitel 2, Fußnote 10 S. 67.
85 sich die Kritik an der Prognostik. Sie richtete sich gegen die Traumbücher und ihre Zuweisung an Daniel und Joseph.96 In der Mitte des 12. Jahrhunderts ächtete das Dekret von Gratian das Somniale Danielis und die prognostischen Praktiken.97 In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts argumentierte man, dass die Abergläubischen gegen das erste Gebot verstößen. Nachdem der Dekalog im Verlauf des Mittelalters zunehmend als sittliche Norm wahrgenommen wurde,98 wurde er im Spätmittelalter zu einer der Grundlagen des Beichtspiegels. Damit wurden die prognostischen Praktiken und die Traumdeutung von der strengen spätmittelalterlichen Frömmigkeit als Missbräuche abgetan. In diesem Beichtspiegel aus dem Jahr 1510 heisst es: Ich hab loß genome[n]/ oder gelegt/ oder augesehe[n]/ habe darauß woellen wissen etwas heym lichs und zukuenfftigs. Sag wie/ was und wie offt. Ich hab brieff oder kreueter unter daz altartuech gelegt/ un[n] dar auff lassen meß lesen. Sag warzu/ wie offt. etc. […] Ich hab ere erpotten dem teuefel. Sag wie/ und wie offt. […] Ich hab zauberey tribe[n] mich zu reche[n]/ eym andernt zu schade[n] an seinem leib/ oder guettern/ od’ viech. Sag wie/ wie offt/ wo mit/ und wen[n]. Ich hab zawbert mitt geweychte[n] dingen/ un[n] die selbige[n] mischpraucht anders de[n] die cristenlich kyrch maint/ als mit weychwasser/ saltz/ palm/ osterstock/ taufwasser/ Sag wy offt war zu/ un[n] a[n]der umbste[n]t. Ich hab mir lassen war sage[n] ueber kranckheit/ diebstal/ puelerey. Sag zal. Ich hab woelle[n] wyssen heymliche zukuenfftige ding/ durch verpotten mittel. Sag wie/ was/ wie offt/ und alwege[n] ander um[m]stent darbey. […] Ich hab auß den ster-
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Paul Diepgen: Traum und Traumdeutung als medizinisch-naturwissenschaftliches Problem im Mittelalter. Berlin 1912. Zu den mittelalterlichen Traumbüchern, vgl. Steven R. Fischer: Dreambooks and Dreambook Research. In: Ders.: The Dream in the Middle High German Epic. Bern/Frankfurt am Main u.a. 1978 (Australisch-Neuseeländische Studien zur deutschen Sprache und Literatur 10); Ders.: Ein deutsches »Somnia Danielis«-Fragment aus dem späten Mittelalter. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 111 (1982), S. 145–151; Ders.: Eine mittelalterliche Somnia Danielis-Handschrift in deutscher Sprache. Zur Hs. 6285 des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg. In: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), S. 307–328; Ders.: Der Traum der Mutter Ruodliebs (Ruodlieb XVII 89–101). In: Zeitschrift für deutsche Philologie 102 (1983), S. 49–65; Ders.: Dreambooks and the Interpretation of Medieval Literary Dreams. In: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), S. 1–20. »… sive qui per quosdam numeros litterarum, ei lunae, et per Pythagoricam necromantiam aegrotantium vitam vel mortem, vel prospera vel adversa futura inquirunt, sive qui attendunt somnialia scripta, et falso Danielis nomine intitulata, et sortes, quae dicuntur sanctorum Apostolorum, et auguria avium, aut aliqua pro domo facienda, aut coniungia copulanda, aut in collectionibus herbarum carmina dicunt, aut pyctaciola pro quavis infirmitate scripta, super homines vel animalia ponunt, praeter symbolum et orationem dominicam, aut magicis falsitatibus in grandinariis et tempestatibus credunt …«, Decretum Gratiani pars II causa XXVI quaest. VII c. 16. In: Corpus Juris Canonici. Hgg. von Justus Henningius Boehmerus, Aemilius Ludovicus Richter. Lipsiae 21879 (11839), Bd. 1, Sp. 906. Vgl. Johannes Hartlieb: Das Buch der verbotenen Künste. Aberglaube und Zauberei des Mittelalters. Aus dem Mittelhochdeutsch übersetzt, kommentiert und mit einem Glossar versehen von Falk Eisermann und Eckhard Graf. Mit einer Einleitung und einem Anhang von Christian Rätsch. München 1998 (Diederichs gelbe Reihe 149).
86 nen darunter einer geporn wirt geurtheylt/ un[n] glaubt es mueß einer frum oder poeß wern. Sag wie offt/ un[n] wem. […] Ich hab gemerckt auff dz fogel geschray un[n] auff jr fliege[n]/ hab darnach glueck od’ zukuenfftige dingk gesagt od’ gelaubt. Sag was/ und zal. […] Ich hab an treuem gelaubt sie wern war/ oder sie bedeuetten etwas zukuenfftigs vu[n] hab jn nachgefolgt. Sag warjn[n]/ wie offt. Ich hab treuem außgelegt eym andern. Sag warzu/ wie offt und wem. […] Ich hab zauberey mit zauberey abgeholffen un[n] vertribe[n]. Sag wie/ was/ wan[n]her/ wie offt. Ich hab brieflen am halß trage[n] für wetagen der zen/ od’ der auge[n]. […] Ich hab gelegt zauberey/ dz zwey solle[n] an einand’ moege[n] eliche werck schaffen. Sag um[m]stent zu alle[n] sunde[n] als vil dir mueglich ist. […] Ich hab gelawbt man mueg den mensche[n] un[n] andere creatur verwan[n]deln jn andere gestalt od’ creatur. Sag wie/ wie offt. Ich hab gesagt zukuenfftige dingk/ un[n] hab nit gewist die warheyt. Sag was/ waru[m]b wan[n] kumpt die solch dingk.99
Als Luther gegen das Somniale Danielis tobte, stand er im Einvernehmen mit der mittelalterlichen Tradition. Er führte jedoch das neue Thema der Auslegung von Gott selbst ein: Daruemb haben die weit geyrret, die aus diesem Text [Gen. 40] haben genomen buecher zu schreiben und trewme zu deuten, Als der narr, der ein buch gemacht hat De somniis Danielis, haben etliche regeln darauff geben, was dis odder jhenes deute, Aber es ist umb sonst, es lesset sich fassen, ist alles falsch, dazu auch verpoten ym gesetz Mose: Du solt nicht achten auff die trewme [Lev. 19:26], das ist: Du solt nicht unterstehen die trewme gewis zu deuten, sondern was rechte trewme sind, die sol Gott selbs auslegen. Falsche trewme sind gleich wie falsche lere, kriegen wol einen schein, das man meynet, es sey etwas, ist aber ungewis und betrieglich, Aber Gottes wort machet das hertz gewis. Also ists auch mit dem glauben und falschen duenckel odder eygen Gottes dienst: jhener macht gewis, dis bleibet ungewis, Daruemb las trewme trewme bleiben, wenn sie Gott nicht ausleget.100
Zwischen dem klerikalen Diskurs der Ablehnung und der steten Nachfrage nach Traumbüchern gab es eine tiefe Kluft. Norm bzw. Diskurs und Praxis blieben aber nicht völlig getrennt. Die Traumbücher führten immer mehr christliche Deutungen ein und fügten einleitend einige Elemente zur Traumtheorie in den Übereinstimmungen mit der Bibel hinzu. Der Grundtyp des Traumbuches mit einem stereotypen Katalog von Träumen und deren Erläuterung je nach Geschlecht, Alter und sozialem Stand in einer lebenspraktischer Richtung änderte sich kaum. Mit den neuen Editionen im 17. Jahrhundert, die den Text Rihels unverändert (bis auf die Rechtschreibung) übernahmen, mit den Traumbüchern, die zunehmend als ›curiöse Wissenschafft‹ betrachtet wurden und immer stärker Unterhaltungszwecken dienten, schwand ihr Erkenntnisgehalt. Die Traumbücher als Erkenntnisquelle teilten gewissermaßen ihr Schicksal mit den ›Geheimnisbüchern‹. Die Epistemologie des Zeichens des 16. Jahrhunderts war Erbe hellenistischer und lateinischer Quellen. In der helle-
99 100
Peycht Spigel der sünder. Nuernberg: Hanss stuechs. 1510, Fol. D iij v° – D iv v°. Predigt von 1527 über Gen. 40. In: Luther: Werke. WA 25, 1900. Nachdruck WeimarGraz 1964, S. 642–643.
87 nistischen Kultur galt die Auffassung, die Natur enthalte Geheimnisse, die mittels göttlicher Offenbarung unmittelbar einleuchtend und deren Wissenschaft daher besonders wertvoll seien. Als das individuelle Seelenheil zu einem Problem wurde, suchten die Menschen zunehmend eine Antwort entweder in heiligen Büchern, die in orientalischen Tempeln entdeckt werden sollten, oder in Orakeln, Visionen bzw. Träumen.101 In diesem Zusammenhang entstanden die dem ägyptischen Gott Thoth – von den Griechen Hermes Trismegistos (Trismegistus) benannt – zugeschriebenen Offenbarungen. Sie wurden zwischen dem 1. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. verfasst und bestanden aus zwei Textarten: die ›philosophischen Hermetica‹, hauptsächlich das Corpus Hermeticum (die philosophischen Offenbarungen von Hermes), und die ›technischen Hermetica‹, das sind Traktate zu Astrologie, Alchimie, Naturphilosophie, Medizin und Magie. Ab 1464 edierte Marsilio Ficino die erste lateinische Übersetzung solcher Schriften. Im Gegensatz zur klassischen Naturphilosophie, insbesondere zur Philosophie Aristoteles’, suchten die Anhänger des Hermetismus nicht die Regelmäßigkeiten der Natur, sondern deren ›Wunder‹ (mirabilia), sowie die verborgenen Verhältnisse der Sympathie und Antipathie zwischen den physischen Objekten und die wunderbaren Mächte, die nur einige auserwählte, begabte Gelehrte begreifen könnten.102 Die letzte gedruckte lateinische Übersetzung des Corpus Hermeticum (Secretum secretorum) wurde im Jahre 1555 in Neapel und Venedig veröffentlicht. Gerade im selben Jahr erschien wiederum in Venedig ein ›Geheimnisbuch‹ neuer Art: die Secreti del reverendo donno Alessio piemontese, das durch seine Form, seinen Inhalt und sein anvisiertes Publikum ein Novum bildete. Dieses Buch erfreute sich einer raschen Rezeption. Die erste Auflage war innerhalb eines Jahres vergriffen und wurde im Jahre 1557 von drei unterschiedlichen Druckern neu ediert. Es erfuhr nicht nur zahlreiche Auflagen und Übersetzungen in Volkssprachen, sondern wurde zum Vorbild unzähliger ›Geheimnisbücher‹. Allein in Italien sind zwischen 1555 und 1599 10 solcher ›Geheimnisbücher‹ mit insgesamt 74 Auflagen nachweisbar.103 Diese Kompilationen von praktischen Rezepten, stereotypen Diagnosen und landwirtschaftlichen Ratschlägen wurden in der Regel nicht von Akademikern, sondern von Autodidakten (den sogenannten professori de’ secreti) verfasst, weshalb sie, bis auf die Magia naturalis (1558) des Adligen Giambattista della Porta, in Verruf gerieten. Bald wurden diese Autoren abwertend ciarlatani genannt, den Venezianischen Ausdruck für Wahrsa101
102 103
Vgl. Peter Brown: The world of late Antiquity. From Marcus Aurelius to Muhammad. London 1971 (Library of European civilization). Vgl. Eamon, S. 16–24. Ebd., S. 136.
88 ger, Traumdeuter oder Quacksalber, die auf dem Santo Marco Platz die Bummler mit Musik, Tanz und Zaubertricks unterhielten.104 Mit der Verbreitung und dem Verkauf von Geheimnissen der Natur und der Medizin und mit der Kommerzialisierung der lebenspraktischen ›Geheimnisbücher‹ wurden deren Autoren als ciarlatani und die Gattung als ›Scharlatanerie‹ abgewertet. Da der Traum auch als Zeichen einer verborgenen Realität und die Traumdeutung als Erkenntnisquelle gesehen wurden, verloren beide ihr Ansehen, als sie Gegenstand einer Gebrauchsliteratur in deutscher Sprache wurden. Angesichts ihrer biblischen Würde wurden Träume jedoch nie völlig geringgeschätzt. Die Einfügung der Kompilation aus Melanchthons Traktat Commentarius de anima trug maßgeblich dazu bei, dass sich diese Gattung in einem ambivalenten Zustand zwischen Wissenschaft und ›Aberglauben‹ hielt.
2.3
Traum und Geist in den Traktaten De anima von Melanchthon
Der ambivalente Status der Traumbücher als eigene Gattung war Ausdruck der rätselhaften Natur der Träume. Das damals entscheidende Problem war hermeneutischer Art: was bedeutet der Traum? Eine Frage, die paradoxerweise – vielleicht wegen der Intensität der konfessionspolitischen Auseinandersetzungen – ausschließlich durch die Ätiologie des Traumes beantwortet wurde. Um die natürlichen von den übernatürlichen Komponenten des Traums trennen zu können, um die hermeneutische Frage zu beantworten, vermied man also die Sprache des Traums zu analysieren und wendete sich stattdessen den Ursachen des Traums zu. Die Untersuchung des Traums folgte demnach demselben Interpretationsraster wie die landläufige kirchliche discretio spirituum (Unterscheidung der Geister).105 Diese prüfte, ob Ekstasen bzw. Eingebungen das Resultat rein physiologischer Vorgänge, also einer Geisteskrankheit oder einer teuflischen Besessenheit oder tatsächlich Ergebnis einer echten Erleuchtung seien. In diesem Rahmen entwickelten die »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung/ bezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren/ Philipp Melanthonis« sowie der Commentarius de anima (1540) und der Liber de anima (1553) Melanchthons einige Besonderheiten.
104 105
Ebd., S. 138. Vgl. beispielsweise Gersons Auffassung von der discretio spirituum: Paschal Boland: The Concept of Discretio Spirituum in John Gerson’s »De probatione spirituum« and »De distinctione verarum visionum a falsis«. Washington 1959.
89 2.3.1
Die »Erinnerung« (1554) und die Schwärmerei
Dieser kleine Traktat wurde unter einem leicht veränderten Titel von 1570 bis zur letzten Ausgabe des Traumbuches von Artemidor im Jahre 1753 gedruckt.106 Er ordnete die Träume, unter Verzicht auf Macrobius’ fünfteilige Klassifikation,107 in natürliche, weissagende,108 göttliche und teuflische ein. Die natürlichen, von der Verdunstung der vier Säfte während der Verdauung oder von den gespeicherten Bildern der Tages hervorgerufenen Träume wurden nicht beachtet. Mit den weissagenden, von den Sternen beeinflussten Träumen wurde dagegen sehr behutsam umgegangen: Die weissagende Traeume, wiewol sie etlicher Gestalt ihre Anzeige, Bedeutung oder Muthmassung haben, jedoch soll man sie nicht also schlechter Dinge vor wahr halten, ihnen auch nicht einfaeltiger weise glauben: Dan[n] sie gemeiniglich noch etwas zweiffelhaftes, verborgenes und dunckels mit sich bringen, zeigen vielmehr gemeine dann unterschiedliche besondere Dinge an. Darum seynd viel Koenige, gewaltige Fuersten und Herren, mit solchen weissagenden Traeumen schaendlich betrogen worden, und also jaemmerlich umkommen und gestorben.109
Melanchthon stützte seine Aussage auf ausschließlich antike Beispiele. Die göttlichen Träume seien natürlich die einzigen, die etwas Besonderes zeigen könnten. Dennoch, so Melanchthon in Anlehnung an Luther, blieb deren Auslegung Gott selbst (und implizit seinen Dienern, dem lutherischen Klerus) vorbehalten. Indem Melanchthon solche Fälle göttlicher Träume auf das Alte Testament (die Träume Jakobs, Josephs, des Pharaos, Daniels, Nabukadnezars) beschränkte, wies er auf eine These, die sich allmählich bei den ›rechtgläubigen‹ Protestanten herausbildete: Die Offenbarung sei mit der Konsolidierung der christlichen Kirche im 6. Jahrhundert vollendet und be-
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108
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Ein Abdruck findet sich in: CR 20, S. 675–684. Ambrosius Theodosius Macrobius: Commentarium in Somnium Scipionis. Commentary on the Dream of Scipio. New York 1990 (Records of Western civilization), vol. II, lib. I, cap. 3.2. Vgl. dazu Matthaeus Schedler: Die Philosophie des Macrobius und ihr Einfluß auf die Wissenschaft des christlichen Mittelalters. Bd. 13.1. Münster 1916 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 13.1). Hier drückt sich die Melanchthonsche Bewunderung der Astrologie aus. Luther wies den mantischen Träumen keinen Wahrheitsstatus zu. Vgl. Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Philipp Melanchthon und die Astrologie, Theoretisches und Mantisches. In: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Hgg. von Günther Frank, Stefan Rhein. Sigmaringen 1998 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 4), S. 123–182; Barbara Bauer: Gott, Welt, Mensch und Sterne in Melanchthons »Initia doctrinae Physicae«. In: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, S. 149–172. Erinnerung Des Hoch-gelehrten Herrn, Herrn Philippi Melanchtonis. Von mancherley Geschlechtern der Traeume, samt jhrer Bedeutung; Maenniglich sehr nuetzlich zu lesen. In: Des Griechischen Philosophen Artemidori Grosses und vollkommenes TraumBuch … o.O. 1753, S. 26–27.
90 endet.110 Obwohl die Zeit der Offenbarung abgeschlossen sei, betätigte sich der Teufel in der Gegenwart aber nach wie vor: Wie auch auf den heutigen Tag der Satan solche betruegende Traeume denen so genannten Wiedertaeuffern und andern Schwaermern, die im verborgenen auf solche Offenbahrungen warten, deßgleichen denen Zauberern und Hexen, auch allen, so ohne wahre Bekehrung zu Gott seiner Tyranney unterworffen seynd, eingiebt, doch um der Ursache willen, daß er allerhand Jammer, als Todschlag, Aufruhr, Unterdruckung rechter wahrer Lehre, und alle Abgoetterey durch solche anstiffte und anrichte.111
Obwohl solche Ansichten damals weit verbreitet waren, können solche Erklärungsversuche einen heutigen Leser kaum mehr überzeugen. Denn die Unterscheidung der Träume wurde nach ihrer Herkunft vorgenommen, die ihrerseits aus den jeweiligen Trauminhalten abgeleitet wurde. Und die Einschätzung der Inhalte beruhte wiederum auf der Herkunftsbestimmung der Träume. Dieses Zirkelproblem wurde nur im Fall der göttlichen bzw. teuflischen Träume durch das Kriterium der Konformität oder Divergenz zur Bibel gelöst. Für die natürlichen und die weissagenden Träume wurde kein Merkmal vorgeschlagen. Diese Zusammenfassung heterogener Ansätze aus theologischem Gesichtspunkt war ein allgemeiner Zug der Naturphilosophie Melanchthons. Denn die »Erin[n]erung/ von mancherley geschlechten der Troeum vnd ihrer bedeüttung/ bezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren/ Philipp Melanthonis« war tatsächlich eine Vereinfachung und Verkürzung des Absatzes »De somniis« aus dem Commentarius de anima Melanchthons. Ausgelassen worden waren die gelehrten Hinweise auf Homer, Theokrit, Aristoteles, Tibull sowie die griechischen Zitate. Einige gelehrte Beispiele wurden auch ersetzt, um den ›gemeinen Leser‹ nicht abzuschrecken: Die »Erinnerung« sollte von einem nicht sonderlich gebildeten Publikum gelesen werden. Im Commentarius erwähnte Melanchthon zusätzlich Träume ›englischer‹ Herkunft. An dieser Stelle drückt sich vielleicht das Glaubensverbot an Engel im 2. Schmalkaldischen Artikel (1537) aus, wenngleich die Existenz ›englischer‹ Träume vom Melanchthons Schwager, Caspar Peucer, andererseits wieder behauptet wurde.112 Der Hauptunterschied zum Commentarius de anima bestand darin, dass in der »Erinnerung« die Stellen über die teuflischen Träume mit den Warnungen vor den Wiedertäufern ganz auffällig ans Ende des Traktats gerückt waren. Mit dem warnenden Satz »Auf dass du den Boesen von dir thust«113 schloss es. Die »Erinnerung« ver110
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Vgl. D. S. Walker: The Cessation of Miracles. In: Hermeticism and the Renaissance. Intellectual History and the Occult in Early Modern Europe. Hgg. von Ingrid Merkel, Allen G. Debus. Washington 1988 (Institute Symposia), S. 111–124. Erinnerung Des Hoch-gelehrten Herrn, Herrn Philippi Melanchtonis, S. 24–25. Peucer: Commentarivs de præcipvis generibvs divinationvm … Wittebergae: Iohannes Crato. 1560, S. 246 r°. Erinnerung Des Hoch-gelehrten Herrn, Herrn Philippi Melanchtonis, S. 29. Vgl. dazu Grenzmann, S. 74–79, hier 79.
91 schärfte noch die Aussagen Melanchthons über die Gefahr für Kirche und Obrigkeit des Anabaptismus.114 Beide Texte zeichneten sich dennoch durch eine merkwürdige Abwesenheit der Imagination als Ursache, Mittel und Ort der Träume aus. 2.3.2
Die Anatomie der Seele in Commentarius de anima (1540) und Liber de anima (1553)
Das wesentliche Problem, das Melanchthon durch seine Traktate über die Seele zu beantworten versuchte, war wie Seele und Körper, Geist und Materie übereinstimmen. Es war ursprünglich eine umstrittene theologischkonfessionelle Frage, denn die Abendmahlslehre bildete den Hintergrund dieser Auseinandersetzungen.115 Um die Allmacht und Vorsehung Gottes festzulegen, hatte Zwingli den katholischen Anspruch, dass menschliche Werke heilversprechend seien, nach Joh 6:63 abgelehnt. Zwingli interpretierte »Fleisch« als materiellen Körper Christi. Der heilende Glaube bestehe an Christus als Gott und nicht an Christus als Mensch. Erasmus von Rotterdam folgend unterschied Zwingli deutlich Seele und Körper voneinander. Zur Zeit des Marburger Kolloquiums überzeugte er sich davon, dass die von Christus am Ölberg geäußerten Worte hoc est corpus meum »dies bedeutet meinen Leib« meinten. Im Abendmahl sollte man demnach des Todes Christi gedenken, der seinen Leib den Menschen gegeben hatte. Die Vorstellung von Christus als fleischgewordenem Wort Gottes war demgegenüber zentraler Punkt in Luthers Theologie. Er interpretierte auch die Sakramente als Versprechen der Vergebung der Sünden. Die Worte hoc est corpus meum seien deswegen notwendig in der Eucharistie, weil sie das Zeichen des Versprechens der Sündenvergebung vorwegnehmen.116 Da die Vergebung der Sünden erst durch den Glauben an Christus als fleischgewordenes Wort Gottes erlangt werden könne, sei Christus notwendig und wirklich präsent im Abendmahl. Gegen die Spiritualisten und Anabaptisten hob er weiter den Zusammenhang zwischen Geist (Gottes Wort) und Körper (Materie) hervor: Hie las nu die schwermer antworten. Leib hat mit Leib ja noch ein vergleichung und muegen sich zu samen reymen, als brod ist ein leib, wein ist ein leib, Christus fleisch ist ein leib, Hie mag einer ynn eym andern sein […]. Aber hie, da nicht leib, sondern geist, je wer weis was ist, das Gott heist? Es ist uber leib, uber geist, uber alles was man sagen, hoeren und dencken kan: wie an ein solchs zu gleich gantz und gar ynn einem iglichen leibe, creatur und wesen allenthalben sein gegenwertig und widderumb ausser und uber 114
115 116
Vgl. John S. Oyer: The Writings of Melanchthon against the Anabaptists. In: The Mennonite Quarterly Review 26 (1952), S. 259–279; Heinz Scheible: Melanchthon. Eine Biographie. München 1997, S. 83–85. Vgl. dazu Kusukawa (1995), S. 75–77. Vgl. beispielsweise Luther: Werke. WA 28. Predigten über das 5. Buch Mose (1529), S. 501–703, hier 574.
92 alle creatur und wesen nyrgent sein mus noch kan, wie unser glaube und die schrifft beides von Gott zeuget? […] Es ist ja unser glaube, wie die schrifft uns leret, das unser Herr Jhesus Christus wesentlicher natuerlicher rechter Gott sey und ›die gottheit ynn yhm gantz und gar leibhafftig wonet‹ [Col. 2, 9] Da wuerden bald alle alte ketzerey herein schwermen mit hauffen, die da sagen, Christus habe nicht natuerlich fleisch und blut gehabt, sey auch nicht recht mensch gewest, weil sie ahen, das vom fleisch so viel boeses ynn der schrifft gesagt wird, als die Manichei, Valentiniani etc. Und zwar saufen auch dem Zwingel schon solhe humeln umb den kopff un stechen fluy an, da er widder D. Ecken zu Baden schreibt also: ›Wird Christus fleisch geessen, so wird nichts denn fleisch draus, weil alles was aus fleische geborn wird, fleisch ist‹, wie wir hoeren wollen. Pfu das uns der teuffel so schendlich nerren und effen sol, das wir umb solchs losen geschwetz willen muessen so helle offenberliche wort leichen ›Das ist mein leib‹ und fur geben, die schrifft sey widdernander und zwinge uns dahin.117
Die Auseinandersetzung betraf nicht nur das Abendmahlsverständnis, sondern auch die Natur der Dreieinigkeit und des Menschen. Obwohl Melanchthon jede polemische Parteinahme bezüglich des Abendmahls vermied, teilte er dennoch Luthers Meinung, dass Seele und Körper scharf getrennt seien.118 Er war auch überzeugt, dass das Göttliche erst durch physische Gegenstände zugänglich werde. In einer Rede über die Philosophie (1536) – dem ersten Versuch einer systematischen Bestimmung des Verhältnisses zwischen Theologie und Philosophie im Protestantismus – bezog sich Melanchthon auf Paulus Kol. 2:8 (»Gebt acht, daß euch niemand mit seiner Philosophie und falschen Lehre verführe«) um die Wiedertäufer zu widerlegen. Gegen ihre »ungebildete Theologie«, die er als falsch und methodologisch unvernünftig denunzierte, forderte er das Studium einer »gebildeten Philosophie«, nämlich »die aristotelische Lehre«.119 Gegen die spiritualistischen, sogar neu-platonisierenden Anregungen der ›Schwärmer‹ forderte er also die aristotelische Interpretation des Zusammenhangs von Seele und Körper. Der Commentarius de anima (1539 abgeschlossen und 1540 erschienen), war ein Universitätshandbuch, das aus Vorlesungen hervorging und ständig bis 1553 weiterentwickelt wurde, und das Melanchthon in einer veränderten Fassung unter dem Titel Liber de anima veröffentlichte. Daraus sprach Melanchthons Anliegen, dass jeder Theologe sämtliche gelehrten Überlegun117
118
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Luther: Werke. WA 23, S. 38–320: Daß diese Wort Christi »Das ist mein Leib« noch fest stehen wider Schwärmgeister 1527, hier S. 137, 139, 173. S. auch Luther: Werke. WA 18, S. 37–214: Wider die himmlischen Propheten; Luther: Werke. WA 19, S. 474– 523: Sermon von dem Sacrament des Leibes und Blutes Christi, wider die Schwarmgeister, 1526 Vgl. oben, S. 47–54. Vgl. auch dazu Frank Günter: Die theologische Philosophie Philipp Melanchthons, 1497–1560. Leipzig 1995 (Erfurter theologische Studien 67), S. 86–158. Philipp Melanchthon: De philosophia. In: CR 11, 278–284. Deutsche Übersetzung in: Melanchthon deutsch. Hgg. von Michael Beyer, Stefan Rhein, Günther Wartenberg. Bd. 1. Schule und Universität. Philosophie, Geschichte und Politik. Leipzig 1997, S. 125–134. Zitate S. 128–129 und 131.
93 gen über die Seele und die fünf äußeren Sinne, über Erkenntnis, Wissen und Willen beherrschen sollte. Diese Traktate sollten die ›richtige‹, ›rechtsgläubige‹ und ›methodische‹ Übereinstimmung von Seele und Körper beleuchten. Sie erfreuten sich einer sehr breiten Rezeption. Im Zuge der Reorganisation der protestantischen Universitäten wurden sie bis 1600 als Handbuch sowohl für Artisten als auch für Mediziner benutzt.120 Schon in der Vorrede des Commentarius de anima wiederholte Melanchthon, dass die Gelehrsamkeit notwendig für die Wiederherstellung von Ordnung und Disziplin in Gesellschaft und Kirche sei. Im Unterschied zu Aristoteles’ De anima, die die Wissenschaft von allen Lebewesen behandelt, zielte Melanchthon auf den Menschen: auf die Kraft bzw. Kräfte (potentiae) und Macht bzw. Mächte (vires) von menschlicher Seele und Körper, d. h. auf die »gesamte Natur des Menschen«. Um die spiritualistischen Ansichten besser widerlegen zu können, nahm er die Anatomie bei der Untersuchung der Seele besonders wichtig – insbesondere im veränderten Liber de anima, in dem er die Anatomie Vesals noch stärker betonte.121 Um die Philosophie Aristoteles’ in die Theologie besser integrieren zu können, schlug er zwei 120
121
Melanchthons »Commentarius de anima« (1540) und »Liber de anima« (1553) wurden in den 15 folgenden Jahren 15 Mal ediert. Vgl. Wolfgang U. Eckart: Philipp Melanchthon und die Medizin. In: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit. Hgg. von Günther Frank, Stefan Rhein. Sigmaringen 1998 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 4), S. 183–202; Riccardo Pozzo: Die Etablierung des naturwissenschaftlichen Unterrichts unter dem Einfluß Melanchthons. In: Dass., S. 273–287; Jürgen Leonhardt: Melanchthon als Verfasser von Lehrbüchern. In: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hg. von Jürgen Leonhardt. S. 13–33; Günter Frank: Philipp Melanchthons Liber de anima und die Etablierung der frühneuzeitlichen Anthropologie. In: Humanismus und Wittenberger Reformation. Hg. von Jürgen Leonhardt. Leipzig 1996, S. 313–327; Hans-Theodor Koch: Bartholomäus Schönborn (1530–1585). Melanchthons De anima als medizinisches Lehrbuch. In: Melanchthon in seinen Schülern. Hg. von Heinz Scheible. Wiesbaden 1997 (Wolfenbütteler Forschungen 73), S. 323–339. Die »De humanis corporis fabrica libri septem« Vesals erschien 1543 in Basel. Melanchthon erfuhr sie sofort durch die Ärzte, mit denen er einen Briefwechsel führte. Er las deshalb schnell Vesal, verfertigte sogar eine eigene Kopie und korrigierte die anatomischen Irrtümer seines »Commentarius de anima«. Galen hatte seine Traktate über die Seele und den Körper des Menschen lediglich anhand Vivisektionen von Affen verfasst. Ein Abdruck des »Liber de anima« befindet sich in: CR 13, Sp. 5–178. Auszüge in: Liber de anima, 1553. In: Melanchthons Werke in Auswahl. Hg. von Robert Stupperich. Bd. 3. Humanistische Schriften. Hg. von Richard Nürnberger. Gütersloh 21969, S. 305–372. Zum »Commentarius de anima« folge ich der sehr guten Analyse von Kusukawa (1995), S. 83–114. Vgl. auch Vivian Nutton: The Anatomy of the Soul in Early Renaissance Medicine. In: The human Embryo. Aristotle and the Arabic and European Traditions. Hg. von G. R. Dunstan. Exeter 1990, S. 136–157, und Jürgen Helm: Die Galenrezeption in Philipp Melanchthons de anima (1540/1552). In: Medizinhistorisches Journal 31 (1996), S. 298–321. Vgl. Auch Jürgen Helm: Zwischen Aristotelismus, Protestantismus und zeitgenössischer Medizin: Melanchthons Lehrbuch De anima (1540/1552). In: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts, S. 175–191; Hans-Theodor Koch: Melanchthon und die Vesal-Rezeption in Wittenberg. In: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit, S. 203–218.
94 unterschiedliche Definitionen der Seele vor, die aristotelische endelêchia bzw. Form des Körpers (die ciceronische Interpretation der aristotelischen Lehre als entelêchia oder innere Vollkommenheit verwarf er als philologisch ungenau) und die christliche Betonung des Geistes und dessen Unsterblichkeit.122 Darüber hinaus stellte er die innere Natur des ganzen Menschen, d. h. deren Anordnung und Zweck ganz in den Mittelpunkt. Er beschrieb die inneren Organe des menschlichen Körpers, dann ging er auf die galenische Lehre der vier Körpersäfte (humores) ein. Das Werk Galens war erst seit 1525 durch die griechische Edition der Nachfahren Manuces in Venedig zugänglich und schon wurde seine Interpretation der Seelenkräfte (facultates animae) durch die neuen anatomischen Entdeckungen widerlegt. Die präzise Lokalisierung der psychischen Vorgänge in Hirnventrikeln rief alsbald viele Kritiker, etwa Vesal, auf den Plan.123 Im Laufe der Zeit war tatsächlich das aristotelische Raster124 durch Galens Physiologie überlagert worden, die durch ihre Rezeption in der arabischen Welt den Westeuropäern allmählich bekannt geworden war. Im 2. Jahrhundert hatte Galen, im Gegensatz zu Aristoteles, den Sitz der Seele nicht im Herzen, sondern im Gehirn ausgemacht. Die Hirnfunktionen bestünden in der Wahrnehmung, in der Bewegung und im »herrschenden Vermögen« (hegemonikon), das das Phantastische (phantastikon), das Rationale (dianoetikon) und das Erinnernde (mnemoneutikon) umfasste.125 Die psychischen Verläufe hingen einerseits vom hegemonikon und andererseits vom Temperament ab. Galen charakterisierte die Gesundheit als Gleichgewicht zwischen den vier Körpersäften, dem Blut, der gelben und der schwarzen Galle und dem Schleim. Diese Körpersäfte bestanden in einer Mischung der vier Elemente und deren Eigenschaften (Feuer-warm, Luft-kalt, Wasser-feucht, Erde-trocken), deren Zusammenstellung und Dosierung im Körper wie122
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Vgl. dazu Dino Bellucci: Science de la Nature et Réformation. La physique au service de la Réforme dans l’enseignement de Philippe Mélanchthon. Rome 1998, S. 321–360; Günter Frank: Philipp Melanchthons Idee von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. In: Theologie und Philosophie 68 (1993), S. 349–367. Andreas Vesal: De humani corporis fabrica libri septem. Basel 1543, S. 623. Vgl. Jürgen Helm: Die spiritus in der medizinischen Tradition und in Melanchthons »Liber de anima«. In: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit, S. 219–237, hier 224, 226, 230. Aristoteles selbst schlug in seinen »Kleinen wissenschaftlichen Schriften« (»Parva naturalia«) eine physiologische Untersuchung der Seele vor. Die Sinneseindrücke aus den Sinnesorganen passierten über die Körperglieder in das Herz durch die Agitation des Blutes oder eines angeborenen Geists. Dieser, eine dampfartige Substanz, dem Äther ähnlich, der für die angeborene Wärme des Körpers sorgte, sei das Instrument, das die Seele benutzte, um ihre physischen Funktionen auszuüben. Vgl. Galeni Pergameni de symptomatum differentiis liber unus. Eiusdem de symptomatum causis libri tres, T. Linacro interprete. London: Pynson. 1524. Vgl. dazu Rudolph E. Siegel: Galen on Psychology, Psychopathology, and Function and Diseases of the Nervous System. An analysis of his doctrines, observations and experiments. Basel/München u.a. 1973.
95 derum die ›Temperamente‹ bildeten: der Sanguiniker besaß viel Blut, der Choleriker viel gelbe Galle, der Melancholiker viel schwarze Galle und der Phlegmatiker viel Schleim. Mit anderen Worten: der Mensch war eine Zusammensetzung von Körper und Seele, die in ständiger Interaktion miteinander standen.126 Nach Galen bzw. seinen Schülern geschah diese Kommunikation durch ein materielles, wenn auch sehr feines und flüchtiges Medium: den spiritus oder das pneûma. Das in der Leber erzeugte Blut wurde durch die Adern in den Rest des Körpers befördert, wo es in Form eines ›Naturgeistes‹ (spiritus naturalis in den späteren lateinischen Übersetzungen) zur Ernährung und Wachstum des Körpers diente. Nachdem das Blut sich in den Lungen mit Luft angereichert und das Herz passiert hatte, verwandelte es sich in zwei Arten von pneûma: ein Teil wurde zum ›Lebensgeist‹ (spiritus vitalis), der die lebenswichtigen und beweglichen Funktionen lenkte; der andere Teil wurde im Gehirn zu ›Sinngeistern‹ (pneuma psychikon, später mit spiritus animalis übersetzt), die die Empfindungen und die intellektuellen Funktionen regulierten. Die Tätigkeit dieses spiritus hing von der jeweiligen Natur des Blutes einer Person und dem entsprechenden Temperament ab.127 Der galenischen Medizin folgend unterschied Melanchthon in seinem Commentarius de anima weiterhin drei Seelenkräfte, die ganz traditionell ihren Sitz in den Gehirnventrikeln hatten.128 Die von Melanchthon definierten drei Seelenkräfte (sensus communis bzw. Wahrnehmung, Verstand, Gedächtnis) befänden sich in drei Gehirnventrikeln, zwischen denen die Sinngeister zirkulierten. Die Daten der äußeren Sinne seien durch die Wahrnehmung (sensus communis) verbunden. Zunächst würden sie durch den Verstand (cogitativa, estimativa) erkannt und letztlich im Gedächtnis (memoria) gespeichert. Mittels der durch die Wahrnehmung vermittelten sinnlichen Bilder, bildete der Verstand Begriffe. Melanchthon legte weiter dar, dass die rationale Seele (der Geist) aus Verstand und Willen bestehe. Der Wille sei die oberste Potenz, die trainiert werden sollte, damit das Individuum durch rationale Affekte gelenkt würde. Der Verstand war als das Vermögen definiert, das die Singulare, die Universale und das angeborene Wissen (noticiae) erkennen und unterscheiden könnte. Dazu zählte Melanchthon von Gott gege126
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Zur darauffolgenden Kosmologie, vgl. das immer noch brillante Buch von Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zu Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Frankfurt am Main 1990 (11923/1964). Vgl. Owsei Temkin: On Galen’s Pneumatology. In: Gesnerus 8 (1951), S. 180–189; Leonard G. Wilson: Erasistratus, Galen, and the Pneuma. In: Bulletin of the History of Medicine 33 (1951), S. 293–314. Zu dieser Tradition vgl. Walther Sudhoff: Die Lehre von den Hirnventrikeln in textlicher und graphischer Tradition des Altertums und Mittelalters. In: Archiv für Geschichte der Medizin 7/3 (1913), S. 149–205.
96 bene »natürliche Gesetze«, auf die er sich berief, um die Todesstrafe gegen die Widertäufer zu rechtfertigen. Melanchthon bemühte sich aber vergebens, im Geist den »richtigen Glauben« als richtiges Bild Gottes physiologisch zu erklären. Die italienischen Humanisten hatten es noch eine starke Eingebung genannt, die die Macht und den menschlichen Willen übertraf.129 Diese Eingebung konnte als Rechtfertigung der Visionen und Träume der Schwärmer dienen, demgegenüber betonte Melanchthon die physiologischen Grundlagen des Glaubens. Dies führte zu einer wichtigen Veränderung, die von der gesamten Melanchthonforschung bisher übersehen wurde. Melanchthon verschwieg das eigentliche Vermögen der Eingebung, nämlich die Imagination. Denn bereits im Mittelalter war an die Stelle der von Galen als Hirnfunktion betrachteten Wahrnehmung (sensus communis), die nur die Daten der fünf äußeren Sinne sammelte, die Vorstellung getreten, zunächst die phantasia, ab Augustinus, die imaginatio.130 Abb. 5: Gregor Reisch: Margarita philosophica Libri XII. Freiburg im Breisgau: J. Schott. 1503, Liber X, Tractatus II, »De potentiis«, Tafel 18.
Auf diesem Holzschnitt, der in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts hergestellt wurde, sieht man eine übliche Darstellung der Seele. Die drei Seelenkräfte (Imagination, Verstand, Gedächtnis) stehen in drei Gehirnventrikeln, zwischen denen die ›Sinngeister‹ (vermis) zirkulieren. Die Angaben der äußeren Sinne (des Mundes-gustus, der Nase-auditus, des Ohrs-olfactus) sind durch die Wahrnehmung (sensus communis) verbunden. Zunächst treten sie in den vorderen Ventrikel der Imagination (passive imaginatio und aktive fan129 130
Vgl. Trinkaus. Vgl. oben Kapitel 1, S. 17–22.
97 tasia) ein, dann werden sie durch den Verstand (cogitativa, estimativa) erkannt und letztlich im Gedächtnis (memoria) gespeichert. Mit Hilfe der durch die Imagination vermittelten sinnlichen Bilder, bildet der Verstand Begriffe. Die Widerlegung der Schwärmer hatte Melanchthon zu Aristoteles und Galen zurückgeführt. Die physische Erläuterung geistiger Vorgänge wurde jedoch dabei kaum verständlicher. Denn in seinen Traktaten De anima bezeichnete der Terminus spiritus gleichzeitig die von Gott eingehauchte Erleuchtung der immateriellen Seele (Geist) wie auch die vom Blut beförderten Korpuskulen der ›materiellen‹ Seele. 2.3.3
Spiritus, heiliger Geist und Magie
In seinen Traktaten über die Seele schilderte Melanchthon den wahrscheinlichen Weg der spiritus im Körper. Die spiritus vitales entstünden in der linken Herzkammer aus dem feinsten Teil des Blutes, dann mischten sich mit Blut aus Arterien und Venen und bringe allen Organen die Lebenswärme. Die spiritus animales ihrerseits befänden sich einzig und allein in den Hirnventrikeln und bestünden aus einer Verfeinerung der spiritus vitales. Die Ventrikel seien sogar angefüllt mit spiritus animales, die als Werkzeuge der sukzessiven Tätigkeiten der inneren Sinne dienten. Diese Erkenntnis resultiere daraus, dass die Bilder der äußeren Dinge durch den Verstand berichtigt und dann in echte Bilder der Dinge umgewandelt werden. Das sei eine Bewegung, die von dem spiritus animales erzeugt werde.131 Die spiritus bewirkten weiter über die Nerven die Reaktion des Herzens auf die Wahrnehmung, Vorstellung und Beurteilung der Objekte durch das Gehirn, d. h. die Affekte. Die sich im Herzen befindlichen spiritus würden nach den jeweiligen, erfreulichen oder schmerzhaften Affekten reichlicher oder schwächer. Sie lösten dann die Reaktion des Menschen auf die im Herzen entstandenen Affekte aus. Avicenna hatte schon einen Zusammenhang zwischen Herz, spiritus und Körper gesehen. Melanchthon ging jedoch noch einen Schritt weiter, indem er diesen auf das individuelle Verhalten anwandte.132 131
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Der Gedankenprozess wurde völlig visuell vorgestellt: »Noticia est mentis actio, qua rem adspicit, quasi formans imaginem rei, quam cogitat. Nec aliud sunt imagines illae seu ideae, nisi actus intelligendi. Nec huius admirandae actionis alia potest tradi illustrior descriptio, quam quod sit formatio imaginis. Saepe autem iam dictum est, copulatum esse intellectum cum sensibus interioribus. Postquam sensus exterior accepit species sensibiles, ut oculi leonis et cervi, transmittunt eas ad sensus interiores. Ibi cerebri motu et spiritibus formantur cogitationes, quae sunt imagines rerum, quae cogitantur seu aspiciuntur. Eodem modo et mente pinguimus imagines, ut unusquisque cogitans suos parentes, in ea ipse actione format eorum imagines. Architectus cogitans domum, pingit imagines eius, et de ea iudicat. Tantum propemodum dici potest, cum quaerimus, quid sit noticia«. Melanchthon: Liber de anima. In: CR. Bd. 8, Sp. 145. Ich folge an dieser Stelle Helm (1998).
98 In den Loci communes von 1521 hatte Melanchthon die menschlichen Affekte als Zeichen und Ursache seiner Sündhaftigkeit bezeichnet, die einzig durch die Wirkung des Heiligen Geistes, der Lehre der sola gratia folgend, aufgehoben werden könne. Die schon im Herzen lokalisierten Affekte seien zwar an der Erkenntnis beteiligt, jedoch rissen sie Willen und Vernunft mit sich und beherrschten dadurch den Menschen. Deswegen könne »ein Affekt [nur] durch einen Affekt besiegt«133 werden. Der Mensch bliebe in dieser Situation gefangen, solange Gott und Christus mit ihrem Geist seinem Herzen nicht neue, positive Affekte eingäben. Der Glaube an Gott war somit in physiologischen Prozessen verankert: Hören und Begreifen von Gottes Wort erzeuge eine Geistwirkung im Herzen, mittels derer die bloße Erkenntnis im Gehirn zum Glaubensaffekt im Herzen würde. Im Liber de anima präzisierte Melanchthon die theologischen und physiologischen Dimensionen der Affekte. Das Kapitel über die Affekte endete folgendermaßen: … mit diesen spiritus mischt sich bei frommen Menschen der göttliche spiritus selbst und bewirkt, dass sie durch das göttliche Licht stärker leuchten, damit die Erkenntnis Gottes klarer, die Zustimmung fester und die Bewegungen zu Gott hin glühender werden. Wo dagegen die Teufel die Herzen besetzen, stören sie durch ihren Hauch die spiritus im Herzen und im Gehirn, verwirren die Überzeugungen, bewirken die heftigsten Leidenschaften und treiben die Herzen und die anderen Glieder zu den grausamsten Handlungen. Zum Beispiel tötete Medea ihre Söhne, und Judas nahm sich selbst das Leben. Lasst uns daher unsere Natur genau beobachten und sie sorgfältig kontrollieren, und lasst uns zu Gottes Sohn beten, dass er selbst die Teufel von uns vertreibt und den göttlichen spiritus in unsere spiritus eingießt.134
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»… interni affectus non sunt in potestate nostra. Experientia enim usuque comperimus non posse voluntatem sua sponte ponere amorem, odium aut similes affectus, sed affectus affectu vincitur, ut, quia laesus es ab eo, quem amabas, amare desinis. Nam te ardentius quam quemvis alium amas.« Philipp Melanchthon: Loci communes 1521, Lateinisch und deutsch, übersetzt und kommentiert von Horst Georg Pöhlmann. Gütersloh 1993, S. 36 (1.44). Zitiert nach: Helm (1998), S. 234. Obwohl Melanchthon in späteren Schriften die These der vollständigen Herrschaft der Affekte über den Menschen nuanciert hat, hat er die Idee verfolgt, dass Affekte unkontrollierte Bewegungen des Herzens seien, die ihm zur Sünde leiteten. Vgl. dazu Liber de anima, Sp. 163. Zu den Affekten, Vgl. auch Melanchthons Rede »De partibus et motibus cordis, 1550«. Deutsche Übersetzung unter dem Titel »Rede über die Teile und Bewegungen des Herzens«. In: Melanchthon deutsch. Hgg. von Beyer, Rhein, Wartenberg. Bd. 1, S. 110–121. Melanchthon: Liber de anima, Sp. 88–89: »… his ipsis spiritibus in hominibus piis miscetur ipse divinus spiritus, et effecit magis fulgentes divina luce, ut agnitio Dei sit illustrior, et adsensio firmior, et motus sint ardentiores erga Deum. Econtra ubi diaboli occupant corda, suo adflatu turbant spiritus in corde et in cerebro, impediumt iudicia, et manifestos furores efficiunt, et impellunt corda et alia membra ad crudelissimos motus, ut, Medea interficit natos, Iudas sibi ipsi consciscit mortem. Aspiciamus igitur naturam nostram, et diligenter eam regamus, et sciamus, oportere spiritus nostros esse domicilium Spiritus sancti, et oremus filium Dei, ut ipse depellat a nobis diabolos, et spiritum divinum in nostros spiritus transfundat«. Übersetzt von Helm (1998), S. 220.
99 Melanchthon schrieb weiter, dass Begierde und Affekte vom Heiligen Geist selbst entzündet seien, »der seine Flammen mit den im Herzen und im Gehirn entstandenen spiritus gemischt hätte«.135 Der Heilige Geist bewirke neue Affekte im Herzen, die sich bei den frommen Menschen mit dem körperlichen spiritus mischten und die Erkenntnis Gottes in seinem Gehirn ermöglichten. Die physiologische Interpretation der göttlichen Eingebung war natürlich gegen die magischen und spiritualistischen bzw. täuferischen Überlegungen zu Geist und Rechtfertigung von Träumen und Visionen gerichtet. In Ficinos wie in Agrippa von Nettesheims Kosmologie oszillierte die menschliche Seele als Vermittler zwischen Gott und Materie mittels des von Gott ausgehenden ätherischen Weltseelenkörperchens und des sich im menschlichen Geist befindenden corpus phantasticus.136 Die nach Gottes Wort geschaffene Seele sei eine unteilbare und im richtigen Verhältnis zu allen Dingen gesetzte Substanz, die mit dem Körper durch ein aetherum corpusculum verbunden sei. Wenn dieser unsterbliche Vermittler sich im Körper befinde, gehe er vom Herzen aus und breite sich im gesamten Leib durch die spiritus und die Lebenswärme aus. Wenn das göttliche Licht die drei Stufen der Seele – die mens (den Geist), die ratio (die Vernunft) und das idolum (die Bilder im Gehirn) –, anschließend das aetherum animae vehiculum und zuletzt den Körper durchliefe, würde das göttliche Licht intelligibel, rational, der Imagination zugänglich (imaginabilis), körperlich und sichtbar. Der erleuchtete Leib könne dann seinerseits denselben Weg nehmen und sich wie ein Geist bewegen, wie das Nachtwandeln der Melancholiker es beweise. Jeder Mensch, der es schaffe seine Imagination mit dem sensus naturae überein zustimmen, könne seine Seele zur unvergänglichen mens emporziehen, wo sie durch eine prophetische Inspiration (den platonischen furor) gefüllt wäre. Das für Melanchthon so heikle Problem des Verhältnisses zwischen Seele und Körper bestand also für Agrippa nicht, weil dieser mittels der Kategorie der ›Subtilität‹ jeden Unterschied zwischen Substanz und Qualität beseitigen und deshalb alles vermitteln könne. Die vom Körper befreite Seele könne, so Agrippa, die Zeit und den Raum umfassen, weshalb sie prophetische Träume empfangen und sämtliche Wahrsagungskünste ausüben könne. Dieser Zustand werde durch Praktiken, wie Fasten, Keuschheit und Reini-
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Melanchthon: Liber de anima, Sp. 164: »Et hae adpetitiones et hi adfectus omnes fuissent ordinati, congruentes ad legem mentis, imo etiam accensi ab ipso Spirito sancto, qui suas flammas muscuisset spiritibus natis in corde et in cerebro«. Vgl. Wolf-Dieter Müller Jahncke: ›Paganer‹ Protestantismus? Astrologie und Mantik bei den Reformatoren. In: Caspar Peucer (1525–1602). Wissenschaft, Glaube und Politik im konfessionellen Zeitalter. Hgg. von Hans-Peter Hasse, Günther Wartenberg. Leipzig 2004, S. 75–90, hier 76–77.
100 gungen erleichtert. Agrippa definierte den prophetischen Traum folgendermaßen: Unter Träumen verstehe ich hier solche, die aus dem mit dem Verstande vereinigten phantastischen Geiste entweder infolge einer Erleuchtung des auf unsere Seele wirkenden Verstandes, oder infolge einer reinen Offenbarung irgendeines höheren Wesens bei der erforderlichen Reinheit und Ruhe des Gemütes hervorgehen; denn nur aus solchen Träumen schöpft unsere Seele wahre Orakel, die wir als wirkliche Weissagungen betrachten können. In diesen Träumen scheinen wir zu fragen, zu lernen, zu lesen und zu erfinden; auch vieles Zweifelhafte, vieles Unbekannte, Unvermutete und noch niemals Versuchte wird uns in den Träumen offenbar. So erscheinen uns die Bilder unbekannter Orte und die Gestalten sowohl lebender als verstorbener Menschen; es wird uns Künftiges angezeigt, was noch nicht bekannt geworden. Diese Träume bedürfen keiner weiteren Auslegungskunst […]. Wer also weissagende Träume erhalten will, muss sich körperlich wohlbefinden; sein Gehirn muss von Dünsten und seine Seele von Leidenschaften frei sein; er muss sich auch an einem solchen Tage des Essens enthalten, und darf nichts trinken, was ihn berauschen könnte; sein Schlafgemach soll rein und heiter, auch exorzisiert und geweiht sein; ferner soll er Räucherwerk anzünden, die Schläfe mit einer Salbe einreiben, Traumringe an die Finger und ein himmlisches Bild unter sein Kopfkissen legen, in heiligen Gebeten die Gottheit anrufen, und so zu Bette gehen, indem seine Gedanken auf das gerichtet sind, was er zu wissen wünscht, denn alsdann wird er wahre und unzweideutige Träume mit der wahren Erleuchtung des Verstands erhalten. Wer nun das, was in diesen Büchern zerstreut hierüber gesagt wurde, miteinander zu verbinden weiß, dem werden leicht Orakel und Träume zuteil werden.137
Mit anderen Worten: durch bestimmte Weihen und die Ausbreitung seiner Seele könne der Mensch die natürliche Ordnung der Dinge und den üblichen Lauf der Geschehnisse ändern. Diese aktive Stellung in der Welt, der Anspruch, die Welt ändern zu können, charakterisierten die Magie.138 Agrippa schrieb der Imagination eine 137
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»Somnium dico nunc quod ex spiritu phantastico et intellectu invicem unitis (aut per illustrationem intellectus agentis super animam nostram aut per meram revelationem numinis alicuius,) purgata atque tranquilla mente procedit; ab hoc enim anima nostra vera recipit oracula affatimque nobis vaticinia praestat. Nam in somniis et interrogare videmur et discere et legere et invenire; multa quoque dubia, multa consilia, (multa incognita inopinataque neque unquam tentata animis nostris nobis in somniis patefiunt apparentque imagines ignotorum locorum et simulacra hominum tam viventium quam mortuorum portendunturque futura quae nondum provenerunt et revelantur provenisse uspiam, quae nulla adhuc scientiae fama innotuerunt. Et haec somnia nulla egent alia interpretandi arte […]. Volens itaque nunc divina suscipere somnia, sit corpore bene dispositus et cerebro a vaporibus, animo a pertubationibus libero, eoque die abstineat a coena nec bibat quod inebriare possit; habeat cubiculum mundumet nitidum, etiam exorcizatum et sacratum, in quo facto suffitu, inunctis temporibus, obvinctis digitis somniorum annulis, supposita capiti coelesti imagine sacraque charta, invocato sacris orationibus numine, stratum petat, intenta cogitatione super re quam scire desiderat: sic enim verissima et indubia videbit somnia cum vera intellectus illuminatione. Quicunque igitur ea quae in his libris sparsim de hac re diximus coniungere noverit, oraculorum et somniorum donum facile obtinebit.« Nettesheim (1992), S. 556–557, 560. Vgl. im Gegensatz dazu Luthers Äußerungen: »Es ist nicht der Streit von der Substantz oder der Creaturen, was die Sonne, Mond und andere Creaturen fur [sic] wesen haben, sondern von dem gebrauch und Mißbrauch. Wir predigen nicht, was das Wesen an jm selbes anbelangt, sondern von dem mißbrauch eins boesen hertzens. Wir wollen nicht
101 derartige Rolle zu, dass Physik und Magie Synonyme wurden. Wie zu erwarten teilte Agrippa die Seelenkräfte in Wahrnehmung (sensus communis), Imagination (vis imaginatiua), Verstand (existimandi atque cogitandi vis) und Gedächtnis (memoria) ein. Diese und der unmaterielle Geist (mens incorpores) – der aus dem beschaulichen Intellekt, dem aktiven Intellekt und dem Willen (auch appetitus, d. h. Begierde oder Affekt genannt) bestehe – seien durch das subtile Vehikel der Imagination, nämlich den corpus phantasticus verbunden. Die Imagination erzeuge nicht nur Bilder, sondern verändere den Körper derart, dass er sich zum unmateriellen Geist emporschwingen könne. Die geschaffenen Zeichen oder Worte seien in keinster Weise willkürlich. Denn die Worte, die die Stärken der vis imaginatiua bündelten, veränderten nicht nur ihre Zuhörer, sondern auch die leblosen Körper. Die Physik, im damaligen Sinne eine Naturphilosophie, und die Wissenschaft der Seele, damals scientia de anima genannt, vereinigten sich in eine Theurgie. Agrippa definierte den Glauben nicht wie Melanchthon als eine äußere Anpassung der menschlichen Affekte an den göttlichen Willen, der den Menschen seiner gefallenen Natur entziehe, sondern definierte ihn als eine fruchtbare Übereinstimmung mit der Natur, deren Kräfte sie sammle und konzentriere.139 Melanchthons Haltung stand in diametralem Gegensatz zu Agrippas Überlegungen zur Magie. Der Mensch werde erst von außen, durch Ausgießen des Heiligen Geists verwandelt; die Weihen und Ausbreitungen der Seele seien nur »Zauberei«, d. h. eine teuflische Kunst. Diese entgegengesetzten Ansichten beruhten auf einer divergierenden Anthropologie. Agrippa schrieb der Seele eine deutliche Autonomie gegenüber dem Körper zu, den er lediglich als Werkzeug der Seele betrachtete, wohingegen Melanchthon Luthers Auffassung des Zusammenhangs zwischen Seele und Körper vertrat. Melanchthon widerlegte dennoch nicht die natürliche Magie. Er vermied sogar, sich zur Natur und zur Rolle der Imagination zu äußern. Denn auch er definierte den Glauben als die höchste Form der Erkenntnis. Gott könne den Menschen dreimal erleuchten: bei der Prägung von Erkenntnissen in der menschlichen Seele, bei der Bestätigung der universalen Erfahrung (beispielsweise, dass die Erde sich nicht bewege), und bei der Eingebung durch Versprechungen und Wunderzeichen. Da Melanchthon die Übereinstimmung der Philosophie und der christlichen Lehre zu beweisen suchte, explizierte er die unterschiedlichen Offenbarungsmodi nicht weiter und entwickelte keine vollständige Theorie der Erkenntnis. So konnte sich Melanchthon zwischen
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die ding verendert haben, sondern das verkerte hertz, denn gelt ist gelt, die Sonne ist Sonne. Das sol man predigen: nicht was man an den Creaturn wenden moege, denn das suchet man, das du anders mache. Denn du solt auff etwas anders deine hoffnung nicht setzen, sondern alleine Gott solt du vertrawen …« Luther: Werke. WA 28, Predigten über das 5. Buch Mose (1529), S. 501–703, hier 554. Ebd., S. 402–415.
102 dem strengen Lutheraner Matthias Flacius Illyricus, nach dem der Mensch beim Empfang des Heiligen Geistes so passiv wie eine Statue bleibe, und Osiander, der mit seiner Idee einer Kooperation des Menschen mit Gott zum ›Papismus‹ neigen schien, hinsichtlich der Rolle des Menschen im Heiligungsprozess auch nicht behaupten.
2.4
Fazit
Infolge der politisch-religiösen Umwälzungen in Bezug auf Natur und Stellung des Menschen zu Gott, mitverursacht durch die verbreiteten Gelehrtendebatten, erhielt die Traumdeutung im 16. Jahrhundert einen ganz neuen Stellenwert, der sich aus der doppelten, wissenschaftlichen (als Zeichen und Gegenstand der Wahrsagung) und religiösen (als Medium für das Übernatürliche) Bestimmung des Traumes ergab. Da die mutmaßlich prophetischen Träume eine subversive Dimension bekamen, bemühten sich zunächst die etablierten Theologen, dann Akademiker und Mediziner, den göttlichen Traum von den anderen Arten von Träumen abzugrenzen. Die natürlichen träume verlangten als Ausdruck von Krankheit oder Gesundheit keine Auslegung. Demgegenüber durften die weissagenden oder auch die teuflischen Träume gedeutet werden, aber nur sehr vorsichtig. Bei den göttlichen dagegen sollte man auf jegliche Erklärung verzichten. Denn der göttliche Traum sei durchsichtig, wohingegen der ›andere‹ verschlüsselt bliebe und bestenfalls allegorische Bilder der Wahrheit vermittele. Der göttliche Traum zeichne sich dagegen durch zusätzliche, religiöse und sozial-politische Kriterien aus: seine Voraussage entspreche der Bibel, sie sei von einem ausgezeichneten Menschen getragen und nachher erfüllt worden. Wir werden noch eingehender uns mit der Heterogenität der Kriterien zur Definition des Traumes beschäftigen. An dieser Stelle soll stattdessen folgende Frage aufgeworfen werden: Inwieweit wurde die Traumdeutung konfessionalisiert? Dogmatische Gesichtspunkte spielten eine nicht unerhebliche Rolle in der Einschätzung der Traumdeutung. Die Bestimmung der Seele als imago Dei und ihr Verhältnis zum Körper war sicherlich ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Katholiken und Protestanten. Nach Melanchthon hatte die Erbsünde den Verlust der Gottebendbildlichkeit (similitudo Dei) verursacht. Durch Christus sei jedoch das Abbild Gottes (imago Dei), mithin die Erkenntnisfähigkeit der Seele wiederaufgerichtet worden.140 Ein ehemaliger Kollege von Melanchthon, der in den späten 1530er Jahren Naturphilosophie in Wittenberg unterrichtet hatte, Veit Amerbach (1503–1557), veröf-
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Vgl. Frank (1995), S. 102–111.
103 fentlichte im Jahre 1542 einen Traktat zur Seele.141 Diese Quatuor libri de anima scheinen im direkten Gegensatz zu Melanchthons Commentarius de anima verfasst zu sein. Wie sein Kollege bezog sich Amerbach auf die aristotelische Definition der Seele als endelêchia und verwarf die ciceronianische Interpretation der Seele als Bewegung. Im 2. Buch seines Traktats behandelte er die vegetative und sensitive Seelen, ohne wirklich auf den Körper zu verweisen. Im 3. Buch über die rationale Seele äußerte er sich weder zum Status des Menschen nach dem Sündenfall noch zum durch den Glauben erworbenen Wissen, noch zum Thema des menschlichen Körpers als Schöpfung Gottes. Das 3. Buch endet mit der Aussage, dass der menschliche Körper ein Werkzeug der treibenden Seele sei. Das letzte Buch behandelt einige Themen der Parva naturalia in detaillierterer Form. Dieser Traktat, der in Wittenberg hätte Ärger auslösen können, erschien als Amerbach Wittenberg bereits verlassen hatte. Er unterrichtete zunächst in Eichstätt an einer Lateinschule, bevor er sich im Jahre 1543 in Ingolstadt ansiedelte. Hier konvertierte er wieder zum Katholizismus und wurde Nachfolger von Johannes Eck, Luthers Gegner insbesondere an der Leipziger Disputation 1519.142 In seinem Traktat behauptete Amerbach, dass Glaube auch Wissen, und nicht nur Zuversicht in die Gnade einschliesse. Nach Sachiko Kusukawa hätte ihn dieser ursprünglich einfache Meinungsunterschied im Zuge der Redaktion seines Traktates schon zum Bruch mit dem Luthertum anregen können.143 War die Bestimmung des Traumes selbst konfessionalisiert? Der Vergleich mit einem Traumtraktat der Vorreformationszeit kann einige Aspekte der Problematik aufzeigen. Im Jahre 1515 verfasste beispielsweise der Marbacher Arzt Alexander Seitz (ca. 1470 – ca. 1543) einen Traktat über die Ursachen und Bedeutungen des Traumes im Stil eines alphabetisch geordneten Traumbuches, in dem er einige biblische Träume, dann Träume von Mönchen und eine politische Traumallegorie zu den jüngst vorgekommenen Wunderzeichen in Württemberg ausdeutete.144 Als Folge seiner Überzeugung dass ein Fürst »das haupt uß allen glidern seins lands«145 ist, hatte die 141
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Vitus Amerbach: Quatuor libri de anima. Argentorati: C. Mylius. 1542. Dazu vgl. die gute von Analyse Kusukawa (1995), S. 108–109, der ich folge. Vgl. oben Kapitel 1, Anm. 95, S. 55. Kusukawa (1995), S. 109. Ein schoner tractat darjnnen begriffen ist Die art vnnd vrsach des Träumes/ Wan[n] jme zeglauben sey oder nit/ mit ußlegung ains erschroeckenlich traümes ainesm gaystliche[n] Waldbrüder begnet zuesampt der großen wund zaiche[n] jm land Wirttenburg verschynen auch warum[m] sich die Fürsten sich selbs irtzen mit sampter bedeytnuß dieser dreyer wortt Hertzog/ Hoffart und Venantz/ alles trewer maynu[n]g/ Durch den hochgelertten Philozophu[m]und Doctor Allexander Sytz von Marpach ußgangen/ nuetzlich Edelen unnd unedlen. Landßhut [: Weissenburger.] ca. 1515. Abdruck in: Alexander Seitz: Sämtliche Schriften. Hg. von Peter Ukena. Bd. 2. Berlin/New York 1975 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts), S. 1–55. Ebd., S. 41.
104 Erläuterung der Seele und des Traums eine politische Konnotation. Um seine Herrschaft vollständig über sein Territorium auszuüben, solle der Fürst demnach eine gut ausgeglichene Seele, insbesondere einen ausgezeichneten Verstand besitzen und zudem nicht der Melancholie verfallen. Dies betonten ebenfalls zeitgenössische Fürstenspiegel.146 Aus diesem Topos schloss jedoch Seitz, der Fürst »solle sein hocher bedechtlich/ sitlicher/ guettiger vernunfft/ den ganntzen leib wissen zuem sichersten zefueeren [sic] domit die glider nit versert werdent. Dann wo die ander glider schwach/ abgemerglet und zerrissen wurdent/ so were es warlich umb das haupt auch geschehen/ niemantz wurde es mer tragen/ wann es seine aygen glider verloren hett«147 – eine Schlussfolgerung, die einige Seiten zuvor durch biblische Stellen wie in Mt 7 über die gerechte Absetzung eines Tyrannen vorweggenommen worden war. Diese verstreuten Aussagen erhielten ihren Sinn im letzten Kapitel des Traumtraktats, in dem Seitz »drey mond und die drey Sonne im landt Wirttemperg bedewte[te]«. Diese Wunderzeichen seien eine an die Menschen gerichtete Warnung, damit sie, angesichts des drohenden göttlichen Zorns, Reue zeigten. Aktueller Anlass zu diesem Traktat war tatsächlich der Aufstand des armen Conrad gegen Herzog Ulrich von Württemberg im Jahre 1514. Der Traum diente also in fiktiver Form der Ausdeutung politischer Geschehnisse – wie bereits zur Zeit der Reformatio Sigismundi.148 Die Traumauslegung zeichnete sich jedoch durch eine gewisse Vorsicht aus: »Was aber diese angstlich potschafft unnß fuer newe mer pringen werde/ das bevilh ich der barmhertzigkeit gottes«.149 Die politische Aufladung des TraumMotivs führte also nicht, wie im Falle Thomas Müntzers, zu einer unmittelbaren Gewaltanwendung. Es handelte sich nicht um eine Aufforderung, sondern lediglich um Anspielungen auf den berechtigten Aufstand des ›gemeinen Mannes‹ in verschlüsselter und spielerischer Form der Allegorie. Die Interpretation, wie sich zwischen Körper und Seele zueinander verhalten, veränderte sich ebenfalls deutlich während der Reformation. Von vorn herein lehnte Seitz drei Erklärungsraster ab: dass der Traum, wenn der 146
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149
Vgl. Vuolfgangus Sedelius: Wie sich ain Christenlicher Herr/ so Landt unnd Leüt zue Regieren under jm hat/ vor schedlicher Phantasey verhueten/ unnd in allen noeten troesten soll, s. l., 1547. Dieser Topos blieb erhalten. Vgl. Johann Balthasar Schupp: Von der Einbildung/ Oder vorgefasten eingebildeten Meynunge der Menschen. In: Ders., Salomo/ Oder/ Regenten-Spiegel/ Vorgestellt Auß denen eilfff ersen Capituln deß ersten Buchs der Koenigen: Andern Gottesfoerchtigen und sinnreichen Politicis außzufuehren und genauer zu elaboriren ueberlassen. o. o. O. J. [Hanau ca. 1663], S. 521–563. Vgl. dazu unten S. 290–292. Seitz, S. 41. Die »Reformatio Sigismundi« (Augsburg 1497) stellt sich wie eine Vision des Kaisers vor. Vgl. Reformatio Sigismundi. Leipzig 1979 (Bibliothek seltener Bücher, Neudrucke 1) (Nachdruck der Originalausgabe Augsburg: Lucas Zeissenmair. 1497). Sie wurde von vielen Texten begleitet, die ebenfalls in Form von Träumen oder Visionen verfasst wurden. Seitz, S. 55.
105 Körper schlafe, das Ergebnis einer Wanderung des Geistes außerhalb seines Körpers sei; dass die Seelen am Tage ihrer Schöpfung vollkommen erleuchtet und dann schmerzlicherweise im Leben mit einem geharnischten Körper versehen werden; dass letztlich Träume unmittelbar von Engeln geschickt seien. Im Menschen, so Seitz, wohnten Körper und Seele als zwei unterschiedliche Substanzen neben- und miteinander. Die Empfindung und das Urteil fänden in der Seele statt. Daher sei der Leib ein bloßes Werkzeug der Seele.150 Der Sündenfall habe der Seele auch nicht die Gabe der Weissagung geraubt. Darüber hinaus könne der Mensch, dessen Körper nicht »von inwendigen wuest nebel und stinckenden dampff verplent«151 sei, sich mit Gott vergleichen: »… das der mensch/ oder sein gaist uß stetter inprunstiger einbildung/ betrachtung und lieb zue der gothait/ sich auch etwas mit der gothait verwickelt unnd tailhafftig macht«.152 Und für den humanistischen Arzt geschah diese Erleuchtung nicht durch Gottes Gnade, sondern auf »naturliche art«,153 durch weissagende, eventuell von den Sternen verursachte Träume,154 d. h. durch die Tätigkeit der Imagination. Im Übrigen teilte jedoch Seitz die Heterogenität der Kriterien der Traumdeutungen (Bedeutung nach der jeweiligen Herkunft, dem Inhalt, der Konformität mit der Bibel) sowie die Ambivalenz des Geistbegriffs. Außerdem charakterisierte er diesen je nach Betrachtungsweise als Philosoph oder Mediziner, als rationale Seele, körperlichen Dampf und spiritus, ohne jedoch eine Physiologie der geistigen Eingebung Melanchthonscher Art zu skizzieren.155 Seitz vertrat also eine eigene Position, die durch die Ablehnung des Papsttums156 sowie die These der natürlichen Erleuchtung nicht katholisch war. Sie zeigte jedoch durch die Betonung der Imagination, die instrumentelle Auffassung des Verhältnisses zwischen Körper und Seele, die eingeschränkten Auswirkungen des Sündenfalls und die These von einer Erleuchtung »natürlicher Art« noch deutlichere Unterschiede zur künftigen lutherischen Haltung. Man kann demnach davon ausgehen, dass die Erläuterung des Traumes deutlich konfessionelle Züge trug, die weniger aus dogmatischen Unterschieden als aus den jeweiligen ›religiösen Sensibilitäten‹ resultierten. Entscheidender als das ursprüngliche konfessionelle Kolorit mag jedoch die Rolle der Polemik zwischen den konfessionellen Akteuren und der da150 151 152 153 154 155 156
Seitz, S. 11–12. Vgl. auch Ders.: Von dem freyen willenn [1533]. In: Dass., S. 103–107. Seitz, S. 23. Ebd., S. 24 Ebd., S. 25–26. Ebd., S. 16. Ebd., S. 23–24. Vgl. vor allem Ders., Über die Reformation (Zwei Entwürfe) [ca. 1531], in: Dass., S. 81–100. Obwohl Seitz in seinen Traktaten die religiös motivierte Gewaltanwendung verurteilte, hatte er 1524–1525 die Sache der Bauern in Wort und Schrift vertreten. Deshalb musste er in die Schweiz fliehen. Wollte er diese heikle Phase seines Lebens in Vergessenheit geraten lassen?
106 rauffolgenden gegenseitigen Abgrenzung voneinander gewesen sein. Dieser Frage werden wir uns jedoch erst später zuwenden. An dieser Stelle möchte ich nur auf den Einschätzungswandel bezüglich der mit der Traumdeutung eng verbundenen Astrologie hinweisen. Die Katholiken blieben gegenüber der Melanchthonschen Neigung zur Astrologie äußerst reserviert. Als sich die Polemik zuspitzte, eigneten sie sich die landläufigen Meinung gegen die Astrologie an, nämlich die, dass die Astrologie den Glauben an einen deterministischen Ablauf der Geschichte sowie einen quasi-versklavten menschlichen Willen voraussetzte, und beschuldigten ihre Gegner, Anhänger des Fatum physicum zu sein (obwohl Luther seine These des ›unfreien Willens‹ ausschließlich auf die menschliche Unfreiheit in Heilsfragen bezog). Allmählich wurde die Astrologie so eng mit dem Protestantismus assoziiert, dass die meisten Jesuiten in ihren Kollegien und Gymnasien den Mathematik- und Astronomieunterricht allein auf astronomisches Wissen stützten und astrologische Prognostiken ablehnten.157 Die von Sixtus V. (1585–1590) erlassene Bulle Contra astrologiam iudiciaria vom 5. Januar 1586 zeichnete sich durch ihre strenge Verurteilung aller Formen der astrologischen Zukunftsprognosen aus. Deren vermutlicher Verfasser, der Jesuit Benet (Benito) Pereira (1535–1610), verbreitete den Inhalt darüber hinaus durch exegetische und polemische Schriften.158 Bereits 1559 jedoch hatte die Indexkongregation in Rom pauschal beschlossen: Alle Bücher und Schriften der Erdwahrsagerei, Wasserwahrsagerei, Luftwahrsagerei, Feuerwahrsagerei, Traumdeutung, Handlesekunst, Totenwahrsagerei oder in denen von Zaubereien, Giftmischereien, Weissagungen, Vogelschauen oder Zauberformeln der magischen Kunst die Rede ist, werden ganz und gar verworfen. Die Bischöfe sollen aber sorgsam darauf achten, dass keine Bücher, Abhandlungen oder Verzeichnisse der urteilenden Astrologie gelesen oder besessen werden, die in Bezug auf künftig eintretende Glücksfälle, etwaige Unglücksfälle oder solche Handlungen, die vom menschlichen Willen abhängen, zu behaupten wagen, es werde sich etwas Bestimmtes ereignen …159 157
158
159
Vgl. Brosseder, S. 282–293. Zur jesuitischen Mathematik, vgl. die bahnbrechende Untersuchung von Peter Dear: Discipline & experience. The mathematical way in the scientific revolution. Chicago u.a. 1995 (Science and its conceptual foundations). Vgl. auch Antonella Romano: La Contre-Réforme mathématique. Constitution et diffusion d’une culture mathématique jésuite à la Renaissance (1540–1640). Rome 1999 (Bibliothèque des Écoles française d’Athènes et de Rome 306); Volker R. Remmert: Im Zeichen des Konsenses. Bibelexegese und mathematische Wissenschaften in der Gesellschaft Jesu um 1600. In: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), S. 33–66. Barbara Mahlmann-Bauer: Die Bulle contra astrologiam iudiciariam von Sixtus V., das astrologische Schrifttum protestantischer Autoren und die Astrologiekritik der Jesuiten. Thesen über einen vermuteten Zusammenhang. In: Zukunftsvoraussagen in der Renaissance. Hgg. von Klaus Bergdolt, Walther Ludwig. Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 23), S. 143–222. »Regula IX: Libri omnes et scripta geomantiae, hydromantiae, aëromantiae, pyromantiae, oneiromantiae, chiromantiae, necromantiae, sive inquibus continentur sortilegia, veneficia, auguria, auspicia, incantationes artis magicae, prorsus reiiciuntur.
107 Freilich war es nicht das erste Mal, dass die Kirche ein Verbot sämtlicher Divinationskünste (einschließlich der Traumdeutung) erließ.160 Sie verhinderte auch nicht, dass das Verbot sogar auf höchster kirchlicher Ebene kaum beachtet wurde. Denn das Spiel mit den Regeln war ein Bestandteil des Traums. Traumberichte, wie beispielsweise die Conceptio Mauritij, nutzten auch die konfessionelle Polemik, um dem durch die Fiktion gereizten Leser die Potentialitäten einer angespannten jedoch unentschiedenen Situation spielend vorzustellen. Der Umgang mit dem Traum belebte auch einen Buchmarkt, der bald religiöse Überzeugungen, bald wesentliche Elemente des konfessionellen und medizinischen Diskurses vermittelte – der Traum, ein gutes Geschäft! Eine wesentliche Dimension der Traumdeutung scheint dennoch konfessionell. Die Traumdeutung brachte die Protestanten besonders in Bedrängnis. Sowohl gegen die Katholiken als auch gegen die Schwärmer mussten sie eine neue Konfessionskultur entwerfen, um die erlaubten, gar geforderten Riten von den ›abergläubischen‹ scharf zu trennen und vor allem, um die von ihnen eingeführten Prinzipien zu kontrollieren. Die Katholiken hatten laut Handbuch für Inquisitoren von Martín Delrío die konkrete Traumdeutung dem Beichtvater als sachverständigstem Menschen übertragen, der die Methode der discretio spirituum auf die Traumdeutung anwenden könne.161 Eine solche Lösung fehlte dem Protestanten und ließ sie deshalb im Ungewissen. So kursierte die Traumdeutung in der deutschen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts zwischen Kanzel, Kerker, Katheder – und Kauflust.
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161
Episcopi vero diligenter provideant, ne astrologiae iudiciariae libri, tractatus, indices legantur vel habeantur, qui de futuris contingentibus successibus, fortuitisve casibus aut iis actionibus, quae ab humana voluntate pendent, certi aliquid eventurum affirmare audent …«. Zitiert nach Heinrich Denzinger: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbessert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping hg. von Peter Hünermann. Freiburg im Breisgau u.a. 371991, Nr. 1859, S. 1564: »Tridentinische Regel« für das Verbot von Büchern, bestätigt in der Konstitution »Dominici gregis custodiae« vom 24. März 1564. Der Wortlaut stimmt genau mit dem aus dem Jahre 1559 überein. Vgl. Brosseder, S. 286. Verbot aus dem frühen 16. Jahrhundert. In: Corpus Juris Canonici, Decreti huius plenissimum argumentum. o.o. O. J., S. 304. Martín Delrío: Disquisitionum magicarum libri sex Disqvisitionvm Magicarvm libri sex. Qvibvs continetvr accvrata cvriosarvm artivm, et vanarvm svperstitionum confutatio, utilis Theologis, Iurisconsultis, Medicis, Philologis. Mogvntiae: Petrus Henningius. 1617 (11599–1600), l. IV, c. 3, quaestio 6, 5. conclusio.
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3
Wunder, Aberglaube oder Wahn: Die Zuordnungen des Traums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
Im Jahre 1613 berichtete Abraham Hossmann, dass der Athener Philosoph und Redner Demetrios Phalereos dem König Ptolemaios Philadelphos von Alexandrien geraten habe, sich in ergötzlichen Träumen zu üben, um einen seligen Tod zu erleben und damit den ewigen Ruhm zu erlangen, »denn durch die einbildung lustiger Geschicht/ wuerd sein Gehirn von der Melancholey sicher seyn/ und wuerde also bey Tag und Nacht der Schwermut entfliehen«.1 Er habe selbst den Vorteil solcher Träume nicht nur in seiner Schrift über Träume, sondern auch in seinen Horoskopen, politischen Texten und Fürstenspiegel dargestellt. Denn, erläuterte er, Ob nun wol Syrach saget/ daß Traeume sind Bilder ohne wesen/ so sind sie doch auch aller dinge nicht zu verachten/ sonderlich dieselben so gege[n] Morgen geschehen/ wann der Mensch fast außgeschlaffen/ und das Gehirn von den auffsteigenden Duensten/ und Bruensten fast sicher ist/ […] bey welchen Traeumen die Allmacht Gottes/ und seine gnaedige Vorsorge/ vor uns Menschen allhier auff Erden genungsam zu spueren ist/ in dem er auch im Schlaff durch Traeume und Gesichte mit uns redet/ ja wir sehen wenn man mit einem Menschen der da schlaeffet/ das aller hochnothwenigste redet/ daran ihm und andern was treffliches gelegen/ so hoeret er doch nichts/ weis auch kuenfftig nicht davon/ was unter dessen/ weil er geschlaffen vorgefallen ist/ wann aber Gott der HErr mit einem redet/ der vernimpt es im allertieffsten Schlaff/ findet sich auch bald darein/ und weis alle Sachen darnach zu richten/ wie solches viel Exempel der heiligen Schrifft/ und begleubter Historien bezeugen/ und das allein kan Gott der HErr im Schlaff außrichten. Ja neben guten naechtlichen Traeumen fallen uns denn auch gar offt boese aengstliche und erschreckliche Traeume ein/ darein man sich/ wenn man schon erwacht/ vor Aengsten gar nicht richten kan/ ob es ein Traum oder warhafftig also gewesen/ daß wann man sich dan[n] darein findet/ gleich Gott dancket/ daß es ein Traum/ und nicht also geschehen sey/ und diese kom[m]en mehrentheils von boesem/ unreinen/ Melancholischen gebluete her/ wiewol auch Gott der HErr offt etwas darmit andeutet/ wie Doctor Staupitz zu jenem vornehmen Buerger welchem getraeumet/ boese Geister hetten ihn angebunden/ und fuehreten ihn aus Wittenberg hinaus/ und wie er gezittert hette/ sprach/ unser HErr GOtt zeiget damit an/ daß jhr nicht so fortfahren solt/ wie ihr angefangen/ sonsten moechten die boesen Geister nach ewrem Tode/ aus zulassung Gottes/ gewalt uber euch bekommen/ da were denn kein umbkehren.2
1 2
Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), Fol. A ij v° – iij r°. Ebd., Fol. B iij v°-C r°.
109 Träume könnten zwar ein privilegierter Zugang zu Gott und zur Wahrheit, jedoch auch eine offene Tür für den Teufel sein. Hossmann schloss aus der bereits seit einigen Jahrzehnten offenkundigen politischen Dimension des Traumes die Notwendigkeit, seine eigenen Träume gewissermaßen zu lenken bzw. die erschreckenden, teuflischen oder einfach natürlich-melancholischen Träume schlichtweg zu vermeiden. Denn seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die Melancholie Theologen, Mediziner, sogar Historiker wie Hossmann zunehmend beschäftigt. Manchmal wurde sie – wie die teuflichen Träume – als Tür für den Teufel in die menschliche Seele, manchmal als Geisteskrankheit angesehen. Die unterschiedlichen Vorstellungen von Melancholie verwiesen auf divergierende Auffassungen von der Imagination – ein offenes Problem seit deren paradoxer Verdrängung durch die Protestanten. Es war demnach kein Wunder, dass der Katholik Hossmann sich des Melancholie-Arguments bediente, um den Lutheraner Staupitz durch seine Träume zu verleumden. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeichnete sich ein paradoxes konfessionelles Hin und Her ab. Die Unsicherheit der Traumdeutung wurde nicht nur von den Protestanten, sondern auch von den Katholiken eingesehen, die ebenfalls, infolge des Konzils von Trient, nach einer feineren Unterscheidung zwischen sakralem und profanem Bereich strebten. Es entstand jedoch eine Art konfessioneller Akzentuierung: Während die Protestanten, ihrer augustinischen Sensibilität folgend, sich massiv mit den Naturwundern als Zeichen der Vorsehung des allmächtigen Gottes befassten, konzentrierten sich die Katholiken auf die Problematik der Macht der Imagination. Obwohl die konfessionellen Ansätze in Bezug auf die Traumdeutung nicht eindeutig waren und auch teilweise verschwanden, spielte die konfessionelle Polemik darüber weiterhin eine wichtige Rolle und erlangte eine Beharrlichkeit, gerade so als ob sie sich von den eigentlichen Konfessionsunterschieden abgekoppelt hätte. Der erste Beitrag dazu wurde von Luther selbst geliefert, ohne dass es ihm bewusst gewesen war. Im Zuge des Abendmahlsstreits äußerte er sich abwertend zu den spiritualistischen Bewegungen, die ein rein metaphorisches Verständnis der Einsetzungsworte Hoc est corpus meum entwickelt, dem Abendmahl sogar die Würde eines Sakraments abgesprochen hatten: Alles ists vom wesen, nicht vom deuten geredt und verstanden, Werden auch nymer keine deuteley bestendiglich anzeigen, Es ist eitel trewmerey und eigener dunckel. Dazu wie ich gesagt habe, wenn sie schon etliche deuteley funden, koennen sie doch damit nicht beweisen, das auch ym abendmal so sey …3
3
Luther: Werke. WA 23: Daß diese Wort Christi »Das ist mein Leib« noch fest stehen wider Schwärmgeister 1527, S. 38–320, hier 103, 115.
110 Luther spielte auf die Unsicherheit der Traumdeutung an, um die eucharistischen Ansichten seiner Gegner als »eitel trewmerey« und »deuteley« abzuwerten. Dadurch initiierte er einen doppelten Diskurs, der die Diskussion der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beherrschen sollte. Einerseits verwandte er das Traum-Argument pejorativ und polemisch. Die Unsicherheit der protestantischen Seite in Bezug auf die göttliche Dimension des Traumes und die vorhersagende Kraft der Seele hatte die Verwendung medizinischer Begriffe im theologischen Diskurs gefördert. Im Zuge der eskalierenden Polemik und der sich zuspitzenden Beweisführung diente das Traum-Argument dazu, zunächst den Gegner zu verunglimpfen und richtete sich später gegen den Traum selbst. Andererseits führte die Ablehnung der »deuteley« bald dazu, den Traum mit der Eitelkeit gleichzusetzen, der vanitas des Menschen, bald dazu, die Bedeutung von Zeichen zu hinterfragen – mithin eine frühneuzeitliche Epistemologie der Realität. Im Zuge der Diskussionen über die Bedeutung der Wunder, der Imagination, der Melancholie und im Zuge der Auseinandersetzungen, welchen Bereichen den natürlichen, ›außernatürlichen‹ oder übernatürlichen, sie zugeordnet werden müssen, wurde der Status des Traumes verändert.
3.1
Divinationskünste und Seelenkräfte um 1550
Nach seinem Studium der Philosophie und Medizin in Basel hatte sich Thomas Erastus 1544 in Bologna angesiedelt, bevor er 1555 zum Leibarzt der Grafen von Henneberg ernannt wurde. Bei der Rückkehr nach Deutschland erschrak er vor der verbreiteten Sitte, unter den Ständen und bei allen Patienten, nach dem astrologischen Kalender Medikamente einzunehmen, zur Ader gelassen zu werden oder wichtige Unternehmungen zu beginnen. In Italien dagegen gelte einzig der Neumond als ernst genommenes astrologisches Datum; sonst seien die Italiener der Astrologie nicht ergeben: Als ich vor ungefähr dreißig Jahren aus Italien nach Deutschland zurückkehrte, da mich die Grafen zu Henneberg zurückberufen hatten, und ich, entgegen meiner Meinung und Erwartung, entdeckt hatte, dass die meisten den nichtigen Vorhersagen der Astrologen so ergeben waren, dass sie es nicht zuließen, von mir zur Ader gelassen zu werden, eine Arznei zu erhalten oder irgend anderweitig so behandelt zu werden, wie es die Vernunft und eine korrekte ärztliche Vorgehensweise verlangten, war ich allerdings einem Wechselbad der Gefühle zwischen Bewunderung und Schmerz ausgesetzt. Denn ich wunderte mich, wie es dazu kommen konnte, dass angesichts des so großen Lichts der Wahrheit so viel Aberglaube und Finsternis sogar in den Herzen derjenigen herrschten, die zweifellos von den himmlischen Strahlen des reinsten Lichtes erleuchtet waren, zumal da ich mir vergegenwärtigte, nichts dergleichen in all jenen elf Jahren erlebt zu haben, in denen ich in Italien hatte beobachten können, wie einerseits meine Lehrer unsere Heilkunst zu ihrem höchsten Lob und mit glücklichstem Erfolg ausübten und wie andererseits ich selbst es wagte, sie auszuüben. Denn tatsächlich beachten die Italiener kaum etwas außer dem Neu- und Vollmond. Tatsächlich produzieren sie keine solchen Ephemeriden wie sie bei uns Jahr für Jahr angefertigt werden, wobei sie den
111 rechten Zeitpunkt für chirurgische Eingriffe, Aderlass, Einnahme von Arznei und sogar für das Schneiden von Haaren und Nägeln spezifizieren.4
Erastus entschloss sich deshalb, Girolamo Savoranolas Astrologiekritik ins Deutsche zu übersetzen. Als Calvinist war er über das Echo der Melanchthonschen Pflege der Astrologie in der deutschen Bevölkerung entsetzt. In den geistlichen Territorien des Reichs seien sonst keine Kalender mit astrologischen Prognostiken verbreitet. Niemand unterstützte in der Frühen Neuzeit die Forderung Dantes, die Wahrsagungskünste zu verbieten, damit den Neugierigen ihre Strafen im Purgatorium erlassen werde.5 Jean Jacques Boissard, der in Wittenberg studiert hatte, in Rom als ›Antiquarianer‹ Inschriften untersuchte und einen (von Caspar Peucers Abhandlung nah beeinflussten) Traktat über die Wahrsagung verfasste, stellte zu seiner Entrüstung fest, dass in Sachsen jedermann Divinationsarten pflege.6 Es scheint also, dass bei den Lutheranern Melanchthonscher Prägung (den sogenannten Philippisten) die Divinationskünste weit verbreitet waren. Dabei machten sich die Philippisten die antike und mittelalterliche Tradition der divinatio zu eigen. 3.1.1
Die Melanchthonsche Einbettung der ›paganen‹ Wahrsagungskünste
3.1.1.1 Astrologie und Divinationskünste Der Ausgangspunkt des Kanons der Divinationskünste bildete zweifelsohne Ciceros Abhandlung De divinatione. Dieser, um 45 v. Chr. verfasste Dialog enthielt Argumente gegen wie für die Wahrsagung. Er spiegelte nicht die römischen divinatorischen Praktiken wider, sondern führte einen neuen Begriff in die lateinische Literatur ein. Denn divinatio bezeichnete in Ciceros Dialog die Zukunftsvoraussage bzw. die Möglichkeit, Aussagen über die Zukunft zu formulieren.7 Die eigentliche römische Wahrsagung beschränkte sich darauf, die entsprechenden Riten gewandt auszuführen, um ein Unheil abzuwenden, und zielten nicht auf die Kenntnis der Zukunft. Cicero schlug darüber hinaus einen ersten Kanon der Divinationsarten vor, indem er sie in natürliche und in künstliche teilte.8 Im Anschluss an Ciceros Dialog schuf die christliche mittelalterliche Tradition theoretische Konstruktionen, von denen die anspruchsvollste von Thomas von Aquin erarbeitet wurde, der 4
5 6
7 8
Thomas Erastus: Defensio libello Hieronymi Savonarolae, Christiano lectori, s.p.d. Ins Deutsche übersetzt von Barbara Mahlmann-Bauer. In: Dies. (2005), S. 143–222, hier S. 144. Alighieri: Purgatorio, Canto LXXVII–LXXIX. Vgl. Brosseder, S. 234. Jean Jacques Boissard: Tractatus posthumus de divinatione et magicis praestigiis. Oppenheim o. J. [1605–1615], unpag. Zitiert nach: Brosseder, S. 237. Marcus Tullius Cicero: Über die Weissagung, I, 9, S. 15. Vgl. dazu Brosseder, S. 241. Vgl. oben, S. 57.
112 vielfache, heterogene Kriterien bei der Trennung von Aberglauben und Religion vorbrachte. Im Laufe der Zeit war durch die Rezeption von Ptolemaios im 2. und dem persischen Astronom Albumasar (Abû Ma’sar) im 9. Jahrhundert die Astrologie tatsächlich als ›Kunst‹ (ars, technê) begriffen worden. Bereits Ptolemaios hatte die Astronomie, die die Maße und Entfernungen der Gestirne untereinander und zur Erde untersuchte, von der Astrologie unterschieden, jener ›Kunst‹, die sich mit der Wirkung der Planeten und Zodialzeichen auf das sublunare Geschehen befasste. Im lateinischen Abendland wurde die Astrologie infolge der aristotelischen Physik, insbesondere der Lehre der effizienten Kausalität, zu einem unabdingbaren Element der scholastischen Tradition. Die Diskussion um die Divinationskünste entfachte sich an der Frage nach der Bedeutung der Astrologie. Die Kritik an der Astrologie versuchte, diese auf die physischen Komponenten der Welt zu beschränken, wodurch die menschliche Seele dem kausalen Determinismus entzogen und die moralische Verantwortlichkeit sowie die göttliche Gerechtigkeit in Bezug auf Belohnung und Strafe außer Acht gelassen wurde. Thomas von Aquin, der die unterschiedlichen mittelalterlichen Bemühungen um eine Übereinstimmung von aristotelischer Physik und christlicher Ethik zusammenfasste, führte ein neues Element ein, nämlich die Tätigkeit des Teufels. Die Astrologen könnten deshalb erfolgreich sein, weil Dämonen ihnen die Zukunft enthüllten; die Wahrsagung enthielt demnach das Risiko einer dämonischen Inspiration.9 Die Wahrsagungen, die explizit den Teufel anriefen (cum expressa invocatione daemonum), teilte Aquin folgendermaßen ein: – Sinnestäuschungen (praestigium), d. h. Wahrsagung aufgrund täuschender Erscheinungen des Seh- und Hörsinns. – Traumdeutung (divinatio somniorum) – Totenbeschwörung (necromantia, nigromantia, Beschwörung und Befragung der Toten) – ›Pythonische‹ Wahrsagung (divinatio per Pythones, in der die Geister nicht durch die Toten, sondern auch durch die Lebenden sprechen) – Geomantie (geomantia oder Wahrsagung, die sich auf die Erde bezieht) – Hydromantie (hydromantia oder Wahrsagung, die sich auf das Wasser bezieht) – Aeromantie (aeromantia oder Wahrsagung, die sich auf die Luft bezieht) – Pyromantie (pyromantia oder Wahrsagung, die sich auf das Feuer bezieht)
9
Thomas von Aquin: Summa Theologica, 2a2ae.95.5 und 2a2ae.95.5(r2). Aquin kommentierte kaum die Einmischung des Teufels, sondern zitierte Augustinus: De genesi ad litteram. In: Ders.: Opera omnia. Accurante J.-P. Migne. Lutetiae Parisiorum 1887 (Patrologiae cursus completus 2.34), 2.17.37, S. 278–279.
113 – Haruspitie (aruspicium oder Wahrsagung, die sich auf die Untersuchung der Eingeweide von Opfertieren bezieht) Die zweite Kategorie, d. h. die Wahrsagung ohne dämonische Beteiligung, bestand aus der judiziaren Astrologie und der Erstellung von Horoskopen, der Chiromantie (chiromantia oder Handliniendeutung), der Interpretation von besonderen Zeichen und Omen (wie beispielsweise dem Flug und Gesang von Vögeln, der Bewegung von Tieren, oder auch einfach dem Niesen), der Auswahl günstiger Tage, der Untersuchung der physischen Proportionen, auch Physiognomie genannt, und den Auslosungen.10 Weder Hexerei noch Magie wurden erwähnt, da diese Tätigkeiten nicht auf eine allgemeine Zukunftsvoraussage (praenuntiatio futurorum), sondern auf eine persönliche Aneignung von Kenntnissen (scientia) durch übernatürliche Mittel, Schaffung eines persönlichen Wohlstands, auf Heilung von bestimmten Krankheiten und Fehlen von Pech oder Katastrophen (praecognoscenda aliqua fortunia vel infortunia) abzielten. Wahrsagung und Magie führten jedoch beide zum ›Aberglauben‹ (superstitio), den Aquin ausschließlich im Hinblick auf die religiöse Anbetung konzipierte. Wie das Übel zeige sich der Aberglaube nur negativ, als eine privatio boni, ein Verfall der Tugend der Religion. Die göttliche Anbetung könne entweder in Bezug auf ihren Gegenstand (die Anbetung eines falschen Gottes, sprich ›Abgötterei‹) oder in Bezug auf ihren Modus (eine unpassende Anbetung oder indebitus cultus) verdorben werden.11 In der superstitio indebiti cultus schloss er die Religion der Juden des Alten Testaments mit ein, die er dadurch nicht mit Abgötterei, Wahrsagung und Magie, somit nicht mit einem teuflischen Pakt assoziierte. Neben der unpassenden Anbetung untersuchte Aquin die umgeleitete Anbetung, wenn nicht Gott, sondern seine Schöpfung verehrt werde. Die superstitio hatte demnach zwei Formen, die sich wie folgt aufteilten: Superstitio: 1. superstitio indebiti cultus (Summa theologica, 2a2ae.93) 2.1. superstitio idolatriae (Summa theologica, 2a2ae.94) 2.2. superstitio divinationum (Summa theologica, 2a2ae.95) 2.3. superstitio observationum (Summa theologica, 2a2ae.96) Die unterschiedlichen Divinationskünste waren Unterteilungen der Kategorie 2.b. und die magischen Praktiken fielen in 2.c.12 Diese Einordnung, die sich aus der Rezeption antiker Autoritäten, an erster Stelle von Augustinus, ergab, erwies sich jedoch als kaum anwendbar. Denn welche Kriterien konnten verwendet werden, um die allgemeine Zukunftsvoraussage von der persönlichen zu unterscheiden, wenn es sich um das Geschick eines Fürsten handelte? Wer war innerhalb der Kategorie der 10 11 12
Vgl. Veenstra, S. 13–14, 155–156. Aquin: Summa theologica, 2a2ae.92.1(R). Vgl. Veenstra, S. 16–18.
114 ›Wahrsagung‹ imstande, den Einfluss des Teufels abzuschätzen und zu beweisen? Und wenn die Zeichen von Gott geschaffen waren, wo lag die Grenze zwischen der ›natürlichen Wahrsagung‹ (welche die Traumdeutung einschloss) und der Ausdeutung der Offenbarung? Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Definition vom Aberglauben. In der Reformationszeit erhielten solche Fragen plötzlich eine praktische wie theoretische Aktualität. Seiner Stellungnahme zum ›paganen‹ Erben13 entsprechend nahm Luther eine äußerst reservierte Haltung gegenüber der Astrologie ein. Da für ihn nur eine prisca theologia bestand, die aus der Bibel schöpfe und mit der der Gläubige sein Leben lang verbunden sein sollte, verwarf er in seiner 1518 verfassten Schrift Eine kurze Erklärung der zehn Gebote die Divinationskünste: »Wer wunschruten, schatz beschwerung, cristallen sehen, manthel fahren, milchstelen ubet. Wer sein wergk und leben nach erwehleten tagen, hymelsztzeichen und der weissagern duncken richtet.«14 Schon im Jahre 1520 wurde jedoch diese rigide Beurteilung durch eine Schrift des Colmarer Stadtarztes und berühmten Astromediziners Lorenz Fries widerlegt. Fries bedauerte zunächst die Entwürdigung der Astrologie durch die Fastnachtsspiele und die Predigten ungebildeter Magister, lobte anschließend ihren Nutzen im Alltag, »in lassen/ Baden/ Schrepffen/ artzneien«, betonte ihre Billigung durch die mittelalterliche Kirche und bezog sich abschließend auf Melanchthons Rede von den freien Künsten.15 Denn seitdem Lucas Gauricus das Horoskop Luthers erstellt und dafür das Geburtsdatum des letzteren auf den 22. Oktober 1484 verlegt hatte, seitdem Caspar Peucer zudem in der Chronicon Carionis eine Nativität für Kaiser Maximilian I. veröffentlicht hatte,16 war die Astrologie zu einem Zankapfel zwischen den Reformatoren geworden. In diesen Auseinandersetzungen blieb Luther jedoch weitgehend isoliert. Denn ebenso wie Melanchthons Vater Georg Schwarzerd ein Horoskop für seinen Sohn Philipp bei dem Philologen und Astromediziner Johannes Virdung von Haßfurt (ca. 1463–1538/39) hatte erstellen lassen, verfassten ungenannte Auftraggeber Nativitäten für Wittenberger Studenten, wie Caspar Cruciger, Paul Eber, Erasmus Reinhold, Georg Joachim Rhetikus, Matthias Flacius, Caspar Peucer, Petrus Lotichius Secundus und Bartholomäus Scultetus. Die Gründung der Universität Wittenberg war sogar nach einem Horoskop auf den 17. Oktober 1502 (offiziell den 18. Oktober) festgelegt worden – sogar gegen den Willen des astrologiegeneigten Kurfürsten Fried-
13 14 15
16
Vgl. oben S. 39–41. Luther: Werke. WA 1, S. 252–253. Vgl. Müller-Jahncke (1985), S. 227. Lorenz Fries: Ein kurtze schirmred der kunst Astrologie. Straßburg 1520, Fol. A 3 r° und A 4 v°. Vgl. Müller-Jahncke (1985), S. 227–228. Vgl. Brosseder, S. 244.
115 rich III.17 Da die Astrologie die Grundlage der anderen Divinationskünste bildete, erfuhren andere Wahrsagungsmodi eine ähnliche Beliebtheit. Der Hofastrologe von Albrecht von Brandenburg Johannes ab Indagine (ursprünglich Johannes Rosenbach, dann Johannes von Hagen genannt) beispielsweise führte eine bedeutende Gruppe von Medizinern an, die Chiromantie praktizierten. Er fasste seine Gedanken in einen Traktat zur Handliniendeutung – den gelehrtesten des 16. Jahrhunderts zu diesem Thema.18 Während die astrologia naturalis (d. h. Wettervorhersagen, Auslegungen von Himmelszeichen oder Naturereignissen, Almanache oder Kalender sowie medizinische Anweisungen) im Rahmen der Astronomie als Lehrgegenstand an Schulen, Gymnasien und Universitäten befürwortet wurde, blieb die offizielle Nutzung der astrologia divinatrix (der Interpretation großer Konstellationen, der Beschäftigung mit den Dämonen, der Horoskope), wie bei der Gründung der Universität Wittenberg, selten. Sie wurde eher auf den persönlichen Wirkungsbereich beschränkt. Wenn sie sich auch von der neuplatonisch-hermetischen Erkenntnistheorie der Florentiner unterscheidet, wurde sie von den strengen oder Gnesiolutheranern als Beweis genutzt, um den Philippismus anzuprangern. In den 1530er bis 1550er Jahren wurde jedoch die Lehre an den protestantischen Universitäten vorwiegend nach Melanchthons Vorgaben gestaltet.19 3.1.1.2 Melanchthons Begründung der Astrologie als christliche Naturwissenschaft Bei der Grundlegung der Astrologie als Teil der doctrina physica verfolgte Melanchthon zwei Ziele: erstens, seine eigene Angst vor der Macht der Gestirne ausdrücken;20 zweitens, gegen sowohl die Geringschätzung der göttlichen Vorsehung kämpfen als auch, umgekehrt, gegen die Überschätzung des Einflusses der Gestirne auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Dabei reagierte Melanchthon auf Giovanni Picos della Mirandola Disputationes 17
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19
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Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Philipp Melanchthon und die Astrologie. Theoretisches und Mantisches. In: Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit, S. 123–182 hier 129–130. Johannes ab Indagine: Chiromantia. Argentoratum 1531. Vgl. dazu Sigrid von der Gönna: Albrecht von Brandeburg als Büchersammler und Mäzen der gelehrten Welt. In: Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490–1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der frühen Neuzeit. Hg. von Friedhelm Jürgensmeier. Frankfurt am Main 1991 (Ill. Serie, Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte), S. 381–477. Vgl. Hans-Peter Hasse: Konfessionelle Identität und Philippismus in Kursachen. Die identitätsstiftende Funktion des »Corpus doctrinae Philippicum«: am Beispiel der »Christlichen nützlichen Fragen« (1590) des Liebenwerdaer Superintendenten Paul Franz. In: Dona Melanchthoniana. Fesgabe für Heinz Scheible zum 70. Geburtstag. Hg. von Johanna Loehr. Stuttgart/Bad Cannstatt 2005, S. 119–146. Vgl. Stefano Caroti: Comete, Portenti, Causalità naturale e Escatologia in Filippo Melantone. In: Scienze, credenze, occulte, livelli di cultura. Firenze 1982, S. 393–436.
116 adversus astrologiam divinatricem (1493), eine Abhandlung, die ab den 1520er Jahren gegen die Verbreitung Pomponazzis These der einzigen Beweisbarkeit der Sterblichkeit der Seele und der völligen Determination aller sublunarer Dinge durch kosmische Ursachen in den Vordergrund rückte.21 Entgegen seiner ersten Abwertung des Schularistotelismus als Methode der altgläubigen Gegner in Leipzig und Paris, rekurrierte Melanchthon ab 1521 auf die größte heidnische Autorität, als er zusammen mit Luther den Unterschied zwischen dem Gesetz des Alten Bundes und dem Evangelium erarbeitet hatte. Als diese als typologische Abfolge von Naturgesetz und Evangelium interpretiert wurde, diente sie zur Einordnung der Universitätsstudienfächer. Ethik, Staatslehre und Physik fielen in den Bereich des Gesetzes im theologischen Sinne; Physik und Astronomie sollten beispielsweise die Studierenden zur Erkenntnis der Naturgesetze, sowie der Regelmäßigkeit und Schönheit der göttlichen Schöpfung und zur Kenntnis der biblischen Offenbarung anleiten. Deshalb wurde ab 1545 das Studium der Arithmetik als Einführung in die Astronomie obligatorisch. Melanchthon veröffentlichte im Jahre 1549 eine auf Vorlesungen zurückgehende Einführung zur Naturphilosophie, die Initia doctrinae physicae,22 die zum Handbuch an den protestantischen Universitäten wurde. Mittels seiner üblichen Eklektik bei der Quellenverwendung bemühte sich Melanchthon darum, die Astrologie als empirische ars zu begründen, als logisch-methodologisch exakte Wissenschaft sowie als christliche Tätigkeit, die weder Gottes Allmacht noch die Eigenverantwortlichkeit des Menschen in Frage stellte.23 Melanchthons Überzeugung von der physischen Wirkung der Gestirne auf das menschliche Schicksal knüpfte an die neuplatonisch inspirierte Auffassung von dem menschlichen Geist als Ebenbild Gottes und dem Menschen als Mikrokosmos, sowie an Elemente der stoischen Anthropologie und Kosmologie an. Nach dieser behalte die menschliche Seele einen Funken des göttlichen Verstandes bzw. ein göttliches Licht, der bzw. das nach einer Angleichung der individuellen, psychischen Vernunft mit der sich in der Natur manifestierenden Gottheit strebe.24 Trotz des Verlusts der perfekten Erkenntnisfähigkeit im Sündenfall besitze der Mensch von Gott gewährte Begriffe (die notiones oder notitiae), die ihn dazu befähigten, die göttliche 21
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24
Giovanni Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologiam divinatricem (1493). In: Joannes Picus Mirandulanus: Opera omnia. Bd. 1. Hg. von Eugenio Garin. Turino 1946 (Faksimile-Ausdruck der Ausgabe 1557). CR 7, Sp. 474ff. Frank (1995); Bellucci, S. 219–317; Barbara Bauer: Gott, Welt, Mensch und Sterne in Melanchthons »Initia doctrinae Physicae«. In: Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts. Hg. von Jürgen Leonhardt. Rostock 1997, S. 149–172; Dies.: Philipp Melanchthon, »Initia doctrinae physicae«, Wittenberg 1550: In: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527–1627). Hg. von Barbara Bauer. Bd. 1. Marburg 1999 (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 89), S. 371–376. Vgl. Bauer (1997), S. 170.
117 Ordnung in der Natur zu erkennen und deren Anomalien als Vorzeichen, d. h. als göttliche Warnung sowie potentielle Anknüpfung einer Kommunikation zwischen Mensch und Gott zu sehen. Da die Manifestationen Gottes in der Natur einer gesetzlichen Ordnung entsprächen, gehörten die Physik, die scientia de anima und die anderen Wissenschaften zum göttlichen Gesetz. Die Physik, die Ethik, die Jurisprudenz und die Politik seien demnach der Theologie untergeordnet. Dies hieß ebenfalls, dass im Falle eines Konfliktes zwischen diesen Fachdisziplinen das Evangelium den menschlichen Spekulationen und Theorien vorgezogen würde. Die von Melanchthon so geschätzte Astrologie als christliche und exakte, der Medizin gleichgestellte Wissenschaft, blieb zwei Jahrhunderte lang bei den gemäßigten Lutheranern Wegweiser auf der Suche nach Wunderzeichen, d. h. nach der astrologia naturalis, und beim Erstellen aller möglichen Wahrsagungen, d. h. bei der Pflege der astrologia divinatrix. Sie bildete damit auch die Grundlage für eine umfangreiche Divinationsliteratur. 3.1.1.3 Die Divinationskünste: Buchmarkt und Einordnungen Trotz Melanchthons Bemühungen, die Astrologie im Universitätscurriculum zu verankern, blieben Vorbehalte. Denn sie erregte stets Argwohn, sie könnte einen allumfassenden, die göttliche Vorsehung verleugnenden Determinismus stoischer Prägung voraussetzen. Um diese Schwäche zu kaschieren, blühte um 1550 eine ganze Literatur Melanchthonscher Prägung von Divinationskünsten auf. Ein neuer Kreislauf entstand: die unzulänglich wissenschaftlich begründete Astrologie fütterte den Buchmarkt mit zahlreichen Varianten, diese wiederum speisten die Kritik an der astrologia naturalis und divinatrix und nährten die Divinationskünste. Die gemäßigten Lutheraner trieben die humanistische Beschäftigung mit den Zeichen der tief verborgenen Realität bis zum Äußersten. Impuls gaben teilweise die Theologie Augustinus’, der unter Wundern alle natürlichen wie unnatürlichen Phänomene, inwieweit sie Verwunderung weckten, verstanden hatte,25 und teilweise der italienische Humanismus, vor allem das Werk des Leibarztes Carlo Borromeos, Girolamo Cardano. In umfangreichen Bänden hatte Cardano den Versuch unternommen, mittels eklektischer Quellen und Zugänge, die subtilitas oder okkulte Ursachen und deren Wirkungen im Makro- und Mikrokosmos zu erforschen. Dafür hatte er die antiken und mittelalterlichen Quellen zur Wahrsagung kompiliert und eingeordnet. Aus der Gefangenschaft freigelassen (er hatte ein Horoskop über Christus erstellt) dann nach Rom geschickt, um dort unter der Aufsicht des Papstes zu leben, schrieb er eine rechtfertigende Autobiographie, in der er die Belanglosigkeit der Chiromantie, der Alchemie und der 25
Vgl. oben S. 58, Anm. 8.
118 Physiognomie betonte, die Magie wegen ihrer teuflischen Komponente abwertend betrachtete, die divinatorische Astrologie jedoch für ihre kosmologische Bedeutung und die Traumdeutung wegen ihrer göttlichen Dimension lobte.26 Die deutschen gemäßigten Lutheraner bemühten sich darum, diese Literatur philologisch zu begründen und mit ihrem Bibelverständnis in Einklang zu bringen. Dadurch trugen sie zur Gestaltung einer neuen Gattung, der ›Wunderbücher‹ bei. Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts bezogen sich die Wunderbücher auf die mittelalterliche Definition vom Wunderzeichen oder mirabilia, wenngleich sie ihr eine neue, pessimistische Richtung gaben: Ein Wunderzeichen werde von Gott contra naturam (später schrieb man eher praeter naturam) geschickt, also nicht durch den üblichen Lauf der Natur; es erwecke Staunen oder Verwunderung, deute auf ein Unheil hin und rufe zur Reue auf. Diese Wunderbücher kompilierten in einer enzyklopädischen Art die überlieferten Divinationskünste im Anschluss an Isidor von Sevillas und Thomas von Aquins Klassifizierungen. Das Modell bildete die Enzyklopädie des Kartäusers Gregor Reisch (ca. 1467–1525) Margarita philosophica, die einen kritischen Überblick über alle gängigen Divinationstypen bot. Der katholische Kleriker Friedrich Nausea bezweifelte ebenfalls vehement die Prognosefähigkeit von Astrologie, Chiromantie und Geomantie, erkannte jedoch in zahlreichen Wundern Vorzeichen Gottes für das sich nähernde Weltende.27 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts erfuhr die Gattung vier wesentliche Neuerungen. Infolge von Melanchthons Rezeption wurde die Gattung all26
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Girolamo Cardano: De Libris propriis. The editions of 1544, 1550, 1557, 1562, with supplementary material. Hg. von Ian Maclean. Milano 2004 (Pubblicazioni del Centro di Studi del Pensiero Filosofico del Cinquecento e del Seicento in Relazione ai Problemi della Scienza del Consiglio Nazionale delle Ricerche 3.15), Kapitel 39. Sein Buch »De propria vita liber« wurde 1575 verfasst, jedoch erst 1643 in Paris veröffentlicht. Vgl. auch Ders.: De subtilitate. Libri I–VII. Hg. von Elio Nenci, Milano 2004 (Filosofia e scienza nell’età moderna 3.16). Vgl. dazu Girolamo Cardano. Philosoph, Naturforscher, Arzt. Hg. von Eckhard Keßler. Wiesbaden 1994 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 15); Nancy G. Siraisi: The clock and the Mirror. Girolamo Cardano and Renaissance Medicine. Princeton 1997; Anthony Grafton: Cardanos Kosmos. Die Welten und Werke eines Renaissance-Astrologen. Berlin 1999. Gregor Reisch: Margarita philosophica Libri XII. Argentoratum: Grüninger. 1504 (11499); Friedrich Nausea: Mirabilia, Libri mirabilium septem. Coloniae: Peter Quentel. 1532: Wunderzeichen seien »ea quidem mirabilia, quae tametsi natura, quia tamen raro et subito nonunquam nullaque ratione animadversa deoque praecipuo authore fiunt, contra naturam fieri plaeumque credimus, imo quae contra naturam fieri adfirmamus, atque plus aequo propterea demiramur, utpote tam rara planeque nova«, Fol. 7 v°. Vgl. auch die in protestantischen Kreisen veröffentlichten Wahrsagungen Johann Grünpecks (vgl. oben S. 40); vgl. auch Joachim Camerarius: Norica, sive de ostentis libri dvo … Vitebergae: Georgivs Rhav. 1532. Vgl. dazu Rudolf Schenda: Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), Sp. 637–710; Walther Ludwig: Zukunftsvoraussagen in der Antike, der frühen Neuzeit und heute. In: Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, S. 9–64, hier 21.
119 mählich konfessionalisiert. Von nun an wurden Wunderbücher nicht nur ausschließlich von Lutheranern – mit der einzigen Ausnahme der systematischen Kompilation des Jesuiten Caspar Schott28 – sondern auch von Mitarbeitern bzw. Schülern Melanchthons erstellt. Der erfolgreichste Traktat des 16. Jahrhunderts zur Wahrsagung wurde von Melanchthons Schwiegersohn, Caspar Peucer, im Jahre 1553 verfasst und wird uns wegen seines systematischen Aufbaus noch beschäftigen. Der kurfürstliche sächsische Rat Georg Cracow/Cracovius – auch ein Freund von Praeceptor Germaniae, zudem dessen Schwiegersohn – verfasste bereits 1549 ein didaktisches Gedicht betitelt De Utilitate Astrologiae. Die außergewöhnliche Verbreitung von Peucers Commentarius trug sicherlich dazu bei, dass Joachim Camerarius – ein weiterer Schüler Melanchthons – seinen eigenen Commentarius de generibus divinationum Zeit seines Lebens nicht veröffentlichte. Johannes Gartz/ Garcaneus, ebenfalls Schüler von Melanchthon und Peucer, verfasste im Jahre 1568 eine Methodik des astrologischen Horoskops, die ebenfalls erst 1676 posthum erschien.29 In der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts verschärfte die konfessionelle Polemik die Konfessionalisierung der Gattung der Wunderbücher. Zeitgleich wandelte sich die Gattung inhaltlich. In seinem 1557 erschienenen Traktat Wunderwerck und Wunderzeichen Buch behauptete Caspar Goldwurm, dass die Zeit kontinuierlich sei und, folglich, dass miraculae oder Wunderzeichen nicht mit der Etablierung der christlichen Kirche um das 6. Jahrhundert aufgehört hätten, sondern bis in die Gegenwart geschähen; sein Buch war eine Sammlung nicht nur biblischer Episoden, sondern auch zeitgenössischer Anekdoten, die zunächst gegen den Katholizismus, dann gegen den Islam gerichtet war, bald auf lutherische Erbauung zielte, ohne zwischen den religiös-biblischen und den bloß kosmologischen Wundern wirklich zu unterscheiden.30 In den 1550er Jahren förderten die häufigen Kompilationen in deutscher Sprache außerdem die Entwicklung eines eigenen Buchmarkts zu diesem Thema. Die erfolgreichsten Werke, nämlich das erste Wunderbuch von Job Fincel31 und die deutsche Übersetzung von Conrad Lykosthenes’ Prodigiorum ac ostentorum Chronicon, unterschieden letztendlich kaum zwischen signa (Wunderzeichen), miracula (Wundergesicht), oracula oder vaticinia (weyssagungen), prodigia oder praedicia bzw. 28
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Caspar Schott: Physica curiosa, sive mirabilia naturae et artis libris XII … Herbipoli 1662. Vgl. Ludwig, Zukunftsvoraussagen in der Antike, S. 23–36. Caspar Goldwurm: Wunderwerck und Wunderzeichen Buch … Franckfurt am Mayn: Zephelius. 1557. Vgl. dazu Bernhard Deneke: Kaspar Goltwurm. Ein lutherischer Kompilator zwischen Überlieferung und Glaube. In: Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus. Hg. von Wolfgang Brückner. Berlin 1974, S. 124–177. Vgl. dazu Heinz Schilling: Job Fincel und die Zeichen der Endzeit. In: Volkserzählung und Reformation, S. 326–392.
120 proagia (Wunderwarnung), divinationes (weyssagungen), omina (Wunderfall), ostenta (Wunderstellungen) und portenta (Wunderstrebungen).32 Die Überfülle von Begriffen und ihre ungeschickten deutschen Übersetzungen verrieten wie schwierig es war, menschliche, kosmologische gar biblische Wunder einzustufen. Im Jahre 1566 sah Christoph Irenäus Wunder z. B. in jedem Vogelschwarm, Gewitter, Regenschauer, in jeder Flut, jedem Erdbeben, oder seltsamen Abweichung vom üblichen Lauf der Natur, schon allein in der Luft, Parelia, viel Sonnen und Monden zugleich/ große Eclypses unnd Finsterniß/ Commeten/ Staupbesen/ Chasmata/ Fewerglut oder klufft/ Fewerflammen/ Fewerstralen/ Fewerschissen/ Fewerbrunst/ Fewrige kugeln/ Fewer und Blutregen/ Fewrige und Blutige zeichen und dergleichen. Item/ Kriegsruestung/ Heereskrafft/ Feldschlachten/ Rennen/ Treffen/ Schlagen/ Jemmerlich krachen/ Rasseln/ Prasseln/ Gedresch/ Geduemmel/ Geschrey/ Weheklagen/ Ruffen/ Winseln/ Heulen in Lufften als etwa einer Niderlage oder Feldschlachte.33
Um die Leser zu beeindrucken und ihre eigene Virtuosität zu beweisen hatten die Kompilatoren die Terminologie in Bezug auf Wunder vervielfacht. Die Wunderbücher mögen zur Entwicklung einer manieristischen Ästhetik beigetragen haben, zeitgleich büßten sie jedoch an epistemologischem Wert ein. Die Dichotomie zwischen den deutschsprachigen und den lateinischen Traumbüchern lässt sich also ebenfalls in den Wunderbücher beobachten. Das erfolgreichste und weitverbreiteste Wunderbuch des 16. Jahrhunderts wurde nämlich in lateinischer Sprache, von Melanchthons Schwiegersohn Caspar Peucer verfasst. 3.1.2
Caspar Peucer und die naturwissenschaftliche Wahrsagung
Peucers Commentarius de praecipuis divinationum generibus übertraf alle anderen Wunderbücher durch seine systematische Vollständigkeit, seine klare, scharfe Kategorisierung der Wahrsagungskünste, und seine begründete Bewertung antiker sowie moderner Divinationsmethoden. Es war also nicht verwunderlich, dass dieses in der Fassung von 155334 700 Seiten dicke Werk mindestens acht bzw. neun erweiterte lateinische Ausgaben bis 1607 sowie zwei französische Übersetzungen (von dem Genfer Monarchomach Simon Goulart)35 erfuhr und laufend zitiert wurde.36 Von den anderen Wun32 33
34 35
Lykosthenes [Conrad Wolff]: Iulii Obsequentis prodigiorum liber … Basileae [1552]. Christoph Irenäus: Wasserspiegel. Eisleben 1566. Vgl. auch Ders.: De monstris: Von seltzsamen Wundergeburten … o. O. [Ursel] 1584–1585. Vgl. dazu Schenda (1963), Sp. 657. Eine erste, heute verlorene Fassung erschien jedoch schon im Jahre 1550. Nicht alle Calvinisten zeigten diese Begeisterung. Zur reservierten Rezeption Peucers in calvinistischen Kreisen, vgl. Theodor Mahlmann: Hieronymus Zanchis Traktat »Über die Weissagung«. Naturwissenschaft bei einem reformierten Theologen. In: Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und
121 derbüchern hebt es sich durch seine naturwissenschaftliche Begründung der Wahrsagung ab, die sich teilweise aus dem persönlichen Werdegang Peucers, teilweise aus der Lehre Melanchthons, und teilweise aus Peucers Wertschätzung der Träume sowie der Medizin ergab. Peucer führte kein zurückgezogenes Leben. Denn nach seinem Studium an der Universität Wittenberg unter dem Dekanat Melanchthons, bekleidete er dort bereits im Jahre 1550 eine Professur für niedere Mathematik. Als Melanchthon zum Trienter Konzil im Jahre 1552 reiste, hielt Peucer stellvertretend die Vorlesungen über dessen Commentarius de anima sowie über Astronomie und Arithmetik. Ab 1553 wurde er Professor für höhere Mathematik und nahm daneben medizinische Untersuchungen vor, die zu seiner Promotion im Jahre 1560 führten. Neben Vorlesungen für Medizin hielt er bis 1574 auch noch historische Lektionen. Während seiner Karriere hatte Peucer stets die Unterstützung, später die enge Freundschaft Melanchthons genossen – so heiratete er Melanchthons jüngste Tochter Magdalena im Juni 1560. Im Anschluss an diese Hochzeit wohnte die Familie Peucer in Melanchthons Haus. Nach dem Tod seines Schwiegervaters im Jahre 1560 wurde Peucer Rektor der Universität Wittenberg. Im Jahre 1572 erließ er eine neue Studienordnung, die die spätestens seit Melanchthons Liber de anima praktizierte Universitätsmedizin legitimierte. Ähnlich wie bereits in den Initia doctrinae physicae Melanchthons angedeutet, betrachtete Peucer die Medizin als eine ars divina, die Anatomie insbesondere als Fingerabdruck Gottes am Menschen ansah. Seit 1560 stand Peucer in engem Kontakt mit dem sächsischen Kurfürsten. Allmählich wurde er nicht nur zu dessen Leibarzt, sondern auch zu dessen theologischem Berater. Als sich 1573 die konfessio-
36
Musik. Hg. von Barbara Mahlmann-Bauer. Bd. 1. Wiesbaden 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 38), S. 315–347. Vgl. Caspar Peucer: Commentarivs De praecipvis Divinationvm Generibvs. Wittebergae: Crato. 1553, 335 Bl. 8°; Ders.: Commentarius, de praecipuis divinationum generibus, in quo a prophetiis, authoritate divina traditis … Witteberga: Crato. 1560, 446 Bl. 8°; Dass. Witteberga: Lufft. 1572, [8], 440, [31] Bl. 8°; Dass. Witebergae: Jo. Schwertel. 1576, 452 Bl. 8°; Dass. Witteberga 1580. 738 S. 8°; Dass. … Sevesta 1591; Dass. Francofurti: Wechel. 1593, 738 S. Vgl. dazu Pierre Freyburger: Recherches sur le »Traité des divinations« de Caspar Peucer. Paris 1988 (Diss.); Wolf-Dieter MüllerJahncke: Kaspar Peucers Stellung zur Magie. In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 91–102; Michael Weichenhan: Astrologie und natürliche Mantik bei Caspar Peucer. In: 700 Jahre Wittenberg. Stadt, Universität, Reformation. Hg. von Stefan Oehmig. Weimar 1995, S. 213–224; Brosseder, S. 238–249; Martin Roebel: Humanistische Medizin und Kryptocalvinismus. Leben und medizinisches Werk des Wittenberger Medizinprofessors Caspar Peucer (1525–1602). Heidelberg 2004 (Diss.), S. 220–240; Walther Ludwig: Zukunftsvoraussagen in der Antike, der frühen Neuzeit und heute. In: Zukunftsvoraussagen in der Renaissance, S. 9–64, hier 23–36; Claire Gantet: ›Superstition‹ (Aberglaube) et organisation des savoirs dans le Saint-Empire, ca. 1530 – ca. 1720. In: Sciences humaines et religion(s). Hgg. von Jacqueline Carroy, Nathalie Richard. Paris 2010 [im Druck].
122 nelle kursächsische Position plötzlich verschärfte, wurde Peucer aufgrund seiner Definition vom Abendmahl im Wittenberger Katechismus (eigentlich von Peucers Freund Christoph Pezel verfasst) wegen Philippismus und sogar wegen Kryptocalvinismus angeklagt. Die Korrespondenz, die er seit 1559 mit Calvins Nachfolger in Genf, Theodor Beza, führte, wurde ihm zur Last gelegt, weil er calvinistische Ansichten teile. Als in der kurfürstlichen Politik eine Wende eintrat, wurde er nach zwölf Jahren Haftzeit freigelassen und arbeitete als Leibarzt und Rat in Dessau, später in Kassel und Heidelberg, bevor er am 25. September 1602 an einem Schlaganfall starb. In seiner Leichenpredigt betonte der Dessauer Superintendent, Johannes Brendel, dass viele Wunder das Leben und den Tod Peucers begleitet hätten, dass dieser in einem Traum den Tod der Kurfürstin Anna von Sachsen und seine damit verbundene Befreiung sowie, in einem anderen Traum, einen Tag zuvor, seinen eigenen Tod vorausgesehen habe. Sein Hauptwerk, der Commentarius de praecipuis divinationum generibus sei ein Zeugnis von Peucers Glauben.37 Bis ins späte 17. Jahrhundert wurde dieses Buch tatsächlich in zahlreichen Traktaten,38 Prognostiken,39 Predigten,40 Flugschriften und Flugblättern41 als Standardwerk zur Divination zitiert und als wissenschaftliche Autorität angeführt. In diesem Werk beabsichtigte Peucer nicht, eine Enzyklopädie des damaligen Wissens zu erstellen, sondern alle Wissensquellen auszuschöpfen ermitteln und zu bewerten. Peucers Ausgangspunkt war die eingeschränkte Erkenntnisfähigkeit des Menschen und die verborgenen göttlichen Pläne nach dem Sündenfall. Obwohl der Mensch, entweder aus Furcht oder aus Hoffnung, stets versuchte, die Zukunft zu deuten, könne er keine präzise Kenntnis erlangen. Der Sündenfall habe vor allem die Entstehung eines neuen Geschöpfs, des Teufels, verursacht, der sofort und unablässig die Erkenntnis der Menschen zu pervertieren suchte. Wegen seiner Neigung zum Aberglau37
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Johannes Brendel: Des Trostreichen Sendbrieffes/ auß befehl des Sohns Gottes/ an den Engel der Gemeine zu Smyrna gestelt/ in der Offenbarung Johannis im Andern Capitel … Zerbst: Schleer. 1603. Vgl. Roebel (2004), S. 107. Vgl. beispielsweise Cornelius Gemma-Frisius: De naturae divinis characterismis … Antwerpen 1575; Othonus Gualtperius: De astrologorum prognosticis … Marburg 1591; Wolfgang Satler: Dianoia astrologia … Montisbelgardi: J. Foillet, 1605; Rudolf Goclenius d. J.: Apologeticus pro Astromantia Discursus. Marpurgum 1611; David Origanus: Astrologia Naturalis sive tractatus de Effectibus Astrorum absolutissimus. Marsilia 1654; Levinus Lemnius: Occulta naturae miracula: Das ist wunderbarliche Geheimnüsse der Natur in deß Menschen Leib und Seel/ auch in vielen andern natürlichen Dingen. Franckfurth/Hamburg: Gut. 1672. Georg Caesius: Prognosticon Astrologicum, Oder Teutsche practick auff das Jahr/ nach unseres Heil. Und Seligmachers Jesu Christi Geburt 1596. Nürnberg 1596. Vgl. beispielsweise Dieterich (1625). Vgl. beispielsweise Aigentliche designatio dess erschroecklichen Wunderzaichens. Nürnberg 1615. Abdruck in: Deutsche Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Hg. von Wolfgang Harms. Bd. 1. Tübingen/München 1980, Nr. 189, S. 386–387.
123 ben werde der Mensch nur allzu leicht Opfer seines Treibens. Er erstelle und verbreite dann falsche Vorhersagen und strebe nach einer Veränderung der Natur. Mit anderen Worten: jeder Aberglaube barg die Gefahr einer teuflischen Ansteckung, die zu einer magischen Manipulation der Ordnung der Natur verleite. Das Hauptthema Peucers Werk war die Trennung der erlaubten Arten der Divination, d. h. der göttlichen Prophetie und der divinatio naturalis, von den unerlaubten Wahrsagungskünsten. Die erlaubten Wahrsagungsformen gehörten zur Naturerforschung und führten zur Erkenntnis (agnitio) Gottes, die anderen hingegen waren bloß teuflische Blendwerke und dämonische Magie. In der nochmals um über 100 Seiten angeschwollenen Ausgabe von 1560 hob Peucer die Tätigkeit des Teufels noch mehr hervor. Der Titel selbst macht das Ziel deutlich: Sieg über Teufel und Aberglauben. Die Trennung der natürlichen signa, die in der Medizin, der Meteorologie und dem Ackerbau untersucht wurden, von den praestigia, simulacra und superstitiones oder Trugbildern und abergläubischen Schwärmereien besaß also einen naturwissenschaftlichen, einen metaphysischen und einen religiösen Sinn. Peucer untersuchte alle durch die Antike überlieferte Wahrsagungsarten (er ließ dagegen die in der Renaissance sehr beliebten Kabbala und Hieroglyphen außer Acht) und bewertete sie als von Gott gewollt, oder als heidnisch bzw. teuflisch. In die erste Kategorie fielen die Orakel, die Theomantie, die Magie (wozu er die katholische Transsubtantiation sowie sogar, im Jahre 1560, die lutherische Abendmalslehre42 zählte), die Zauberei (oder Anrufung des Teufels), die Eingeweideschau, die Augurien, die Opferschau und das Loswerfen (obwohl er diesbezüglich unentschlossen blieb, da die Weissagung durch das Los in der Bibel, bei Mt 27,35 und Ap 1,26 erwähnt wurde). Die darauffolgenden Kapitel befassten sich mit den erlaubten Wahrsagungsarten: Traumdeutung, medizinische Semiotik, Meteorologie, Physiologie (inklusive Physiognomie), Astrologie und Tetraskopie (oder Beschäftigung mit den Missgeburten). Diese Klassifikation beruhte auf einem einzigen Kriterium: akzeptabel waren die Wahrsagungsarten, die aus natürlichen Ursachen Wirkungen prognostizieren. Deshalb verwarf Peucer beispielsweise das Lesen aus der Kristallkugel. Die Geomantie, die in seinen Augen ebenfalls auf keinem physischen Fundament beruhte, sei dementsprechend eine rein teuflische Angelegenheit. Die Astrologie rechnete er hingegen zur natürlichen Divination. Dadurch wurde die ciceronianische Einteilung der Wahrsagungen in divinatio naturalis und divinatio artificialis hinfällig. Denn Peucer, wie auch Pomponazzi, strebte nach der Legitimierung der judizialen Astrologie. Um sie als divinatio naturalis zu begründen, 42
Vgl. Freyburger (1988), S. 290: Robert Kolb: Caspar Peucers Abendmahlsverständnis. In: Caspar Peucer (1525–1602). Wissenschaft, Glaube und Politik im konfessionellen Zeitalter. Hgg. von Hans-Peter Hasse, Günther Wartenberg. Leipzig 2004, S. 111–134.
124 betrachtete er sie als physica divinatio und verband sie mit der Medizin. Die Medizin selbst wurde also zur Wahrsagungskunst. In den Augen Peucers, wie in denjenigen Cardanos, erstellte der Arzt nicht mehr praevisiones oder praenotiones der Krankheit, sondern sogar divinationes. Damit wurde die Divination auf die Stufe der höchsten Wissenschaft gestellt.43 Die Hochschätzung der Traumdeutung, der Astrologie und der Medizin fußte auf kosmologischen, wissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Prinzipien, denen ich weiter nachgehen möchte. Um die Definition der Astrologie als physica divinatio zu erklären, nahm Peucer als treuer Schüler Melanchthons eine doppelte, kreisförmige Beweisführung vor: gleich wie die Natur und die menschliche Psyche göttlich begründet seien, sei das Handeln Gottes in der Natur und der Seele physisch. Nach Peucer war die Natur eine durch Übereinstimmung (consensus) geregelte Ordnung (ordo, ordinatus, lex), in der jedes natürliche Wesen über eine geeignete Materie verfügte, um eins zu sein mit seiner Natur und dann in Sympathie mit anderen Wesen zu wirken. Die Annahme dieses consensus zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten, am Beispiel der Verbindung zwischen materiellem Körper und immateriellem Geist, rechtfertigte die Zeichen und die daraus gezogene Wahrsagung. Die Gewissheit jeder Weissagung hänge dabei von einem Verhältnis der Verwandtschaft zwischen den Ursachen und deren Wirkungen ab. Wie Melanchthon in seinen Initia doctrinae physicae und seinem Commentarius in Genesin, behauptete Peucer, dass sichere Erkenntnis in der von Gott geschaffenen Natur eingegraben sei; der Mensch sollte sie nicht suchen, sondern lediglich entdecken. Durch die Verschmelzung von Erkenntnis und Wissenschaft, Zeichen und Ursachen, Hinweis und Beweisführung, wurden alle sichtbaren, geoffenbarten Phänomene als erkennbar charakterisiert. Die Magie wurde als Missbrauch definiert, indem sie eine reale oder täuschende Verwandlung der Realität bewirkte. Nirgendwo jedoch widerlegte Peucer die Argumente der Anhänger der natürlichen Magie. Denn er traute sich nicht, die Macht der Imagination zu erörtern. Die Natur der Verhältnisse zwischen Seele und Körper, insbesondere die Bestimmung der Träume stellte verfängliche Probleme dar.44 Der Traum warf tatsächlich die heikelste Frage auf. Auf der einen Seite schrieb Peucer dem Traum eine hervorgehobene Stellung als göttlichen und körperlichen Wahrsagungsmodus zu. Auf der anderen Seite, seiner protestantischen Sensibilität entsprechend, verlieh er dem Teufel eine derart allge43 44
Vgl. Brosseder, S. 245–247. Im Folgenden werde ich die beiden Ausgaben von 1553 und 1560 kommentieren: Caspar Peucer: Commentarivs De praecipvis Divinationvm Generibvs. Wittebergae: Crato. 1553, Fol. 181 r° – 203 r°; Ders.: Commentarius, de praecipuis divinationum generibus, in quo a prophetiis, authoritate divina traditis … Wittebergae: Crato. 1560, Fol. 244 v° – 275 r°.
125 genwärtige Rolle, dass er sogar die Möglichkeit einer Wahrsagung in Frage zu stellen schien. Denn Peucer schrieb, wie Melanchthon, seinen Traktat gegen die ›Schwärmer‹ und bemühte sich darum, die Verderbtheit der Seelen der Anabaptisten und Spiritualisten zu beweisen. Zu diesem Zwecke verwendete er viele heterogene Argumente. Um die Verhältnisse zwischen Materie bzw. Körper und Geist zu verstehen, zählte Peucer die Begriffe auf und spaltete sie in zwei Komponenten. Wie seine Zeitgenossen verstand er unter Traumuntersuchung zunächst die Beschäftigung mit dessen Ursachen. Er verwarf Makrobius’ Klassifizierung der Träume entsprechend ihrer Klarheit und ihres jeweiligen Adressaten, welche er konfus fand, und schlug die folgende vor, die er aus einer Kompilation von Aristoteles und Artemidor schuf: Ursachen der Träume: 1. natürlich 1.1. hauptsächlich: äußere Empfindungen zum Gehirn getragen 1.2. vorhergehend: inner, im Körper eingemeißelt 1.2.1. Allen gemeinsam 1.2.1.1. Gehirnkonstitution 1.2.1.2. geschehen wegen zufälliger Ursachen 1.2.2. Einigen eigen (Sterne) 2. geistig 2.1. endlich 2.1.1. Teufel (Blendwerk) 2.1.2. heilige Engel 2.2. unendlich (Gott) – göttliche Träume Die Ursache der Träume bestimmte also teilweise deren Bedeutung. Die Charakterisierung der Traumdeutung als Wahrsagung hatte jedoch zur Folge, dass der Sinn des Traums über die Persönlichkeit des Träumers hinaus und auf die Ordnung in der Natur zurückging. Peucer schlüsselte nicht weiter die Natur des Verhältnisses (des Zeichens, der Ursache?) zwischen dem ursprünglichen Geschehnis und der daraus gezogenen Wahrsagung auf. Er schilderte eher die Physiologie des Traumes. Bei der ausführlichen Untersuchung des Traumprozesses, die auf dem physiologischen Teil der Parva naturalia beruhte, wetteiferte Peucer offensichtlich mit Aristoteles bezüglich der Präzision. Peucer manifestierte mit seinem Werk die zeitgenössische Auffassung der Persönlichkeit als Identität des ganzen Menschen. Diese bestehe aus Leib und Seele, was wir schon beim Thema der leiblichen Auferstehung45 sowie der galenischen Tempera-
45
Vgl. oben S. 23–32.
126 mentelehre46 eingehender behandelt haben. Peucer wies dennoch dem Gehirn eine ambivalente Rolle in der Erzeugung von Träumen zu. Entgegen Aristoteles, der im Herzen die effiziente Ursache des Schlafs und im Gehirn dessen Hauptsitz sah, beschränkte er sich ausschließlich auf das Gehirn, und versuchte, alle Einzelheiten seiner Physiologie zu erläutern: Vermögen des Gehirns: 1. gemeinsam, natürlich und der Vernunft wie der Freiheit beraubt 1.1. dienend: anziehend, behaltend, wechselhaft, reinigend 1.2. gedient: ernährend, wachsend, fortpflanzend, schließend 1.3. der Vernunft beraubt, von der einzigen Wirksamkeit der Natur gelenkt 1.3.1. tierisch 1.3.2. natürlich und nicht willentlich beweglich 2. eigene – hauptsächlich und vernünftig – durch die Seele bewirkt 2.1. gewissermaßen 2.1.1. sensitiv 2.1.2. beweglich, mit Vehemenz des Verstands 2.2. durchschnittlich – innere Sinne 2.2.1. Imagination 2.2.2. Verstand 2.2.3. Gedächtnis In dieser Beschreibung wurde das Gehirn als ein körperliches Organ, genauso wie Leber oder Herz gesehen. Seiner materiellen Natur standen Vernunft und Wille gegenüber – sie waren anorganisch. Mit den Begriffen ›Beteiligung‹ und ›Verbindung‹ versuchte Peucer, die Gegensätzlichkeiten des Natürlichen und Übernatürlichen sowie des Inneren und Äußeren zu bewahren und zugleich aufzuheben: Das Gehirn führe natürlich aus, was die Natur übersteige. Peucer wollte den Gedanken im Körper verankern und gleichzeitig die entscheidende Rolle der Seele bzw. dem Geiste zuweisen. Da der Geist (mens) über das Gehirn regiere, ohne bestimmte Organe zu benutzen, teilte Peucer implizit die Seelenkräfte auf. Den Verlauf des Gedankens von den äußeren Sinnen (Seh-, Hör-, Tastsinn, Geruch, Geschmack) zu den inneren (Imagination, Verstand, Gedächtnis) erklärte er mit den von spiritus durchquerten Nerven: Den materiellen inneren Sinnen im Gehirn entsprächen anorganische im Geist. Denn das von den Pumpbewegungen des Herzens bewirkte Pulsieren der spiritus konnte an sich kaum die Betätigung derart unterschiedlicher Vermögen, wie Imagination, Verstand und Gedächtnis erklären. Da diese spiritus, der aristotelischen Tradition entsprechend, die Bilder der äußeren Dinge bis zum Gehirn trugen, dienten sie als Mittler zwi46
Vgl. oben Kapitel 2, S. 94–97.
127 schen den äußeren Dingen und der im Gehirn geschaffenen Repräsentation. Mit anderen Worten: Peucer sah den Gedanken als eine physische Präsenz der Dinge in der Substanz der spiritus und des Gehirns an. Um zustande zu kommen, brauchte jedoch der natürliche Gedanke als physische Präsenz die Beleuchtung durch ›gemeinsame Begriffe‹ oder ›angeborene Kenntnisse‹ (Melanchthons noticiae), die an der geheimnisvollen Natur des Lichts teilhatten und eine Spur der Göttlichkeit in den Menschen hineintrugen. Somit diente der Geist in Peucers Schilderung der Gedankenentstehung, d. h. zur Erläuterung der Vorgänge, die durch die Tätigkeit der Organe nicht erklärbar waren. Darüber hinaus hinderte ihn eine fehlende Theorie der Täuschung, die teuflischen Träume näher zu erläutern. Im Hinblick auf die eigene Feststellung, teuflische Träume könnten sich vielleicht als wahr erweisen, gab er nur die vage Antwort: Teuflische Träume seien unsicher. Trotz aller Unklarheiten und Defizite trugen Peucers Erläuterungen zu einer entscheidenden Verlagerung der Diskussion bei. Denn indem er im göttlichen Traum keine natürliche Ursache sah und ihn als nicht verständlich, jedoch real betrachtete, führte er eine neue Definition von Aberglauben und Fiktion ein. Nach Peucer war der Aberglaube eine parodistische, jedoch reale Täuschung. Cicero hatte beispielsweise in seinem Dialog De divinatione das Wahre und das Reale gleichgesetzt, und sie dem Fiktiven sowie der abergläubischen Täuschung gegenübergesetzt. In Ciceros Augen bestand also eine exakte Parallele zwischen der Physik und der Logik. Peucer nahm keine Zwei-, sondern eine Dreiteilung vor. Die Welt sei entweder wahr, oder täuschend, oder fiktiv. Die Realität bestand aus Wahrheit und Täuschung. Lügen resultierten ihrerseits aus Täuschung und Fiktion. Peucers Untersuchungen des Gehirns endeten mit einem Misserfolg: die Untersuchung der Gehirnphysiologie vermochte keine befriedigende Antwort auf die Unterscheidung zwischen traumhafter Täuschung und klarem Gedanken zu geben. Einzig die aus den Körpersäften bewirkten Träume waren eindeutig erklärbar. Die auf Hippokrates zurückgehende semiotische Medizin hatte seit jeher ein Interpretationsraster dargestellt. Vor Peucers Traktat schien der Rest der Traumdeutung – und weiterhin der Wahrsagung – heikel aufgrund der Schwierigkeit, die göttliche von der natürlichen Sphäre zu trennen. Nach der Erscheinung von Peucers Commentarius lag das Grundproblem darin, dass der Traum in die Nähe von Täuschung und Wahn rückte. 3.1.3
Macht der Imagination und Zufälligkeit der Wahrsagung in ausgewählten katholischen Traktaten
Protestanten und Katholiken waren Erben derselben antiken und mittelalterlichen Kultur. Beide Konfessionen griffen auf die aristotelische Definition der Seele als Form des Körpers und die galenische Temperamentenlehre zurück. Als Christen teilten sie ebenfalls eine theologische Auffassung von der
128 Physiologie und Anatomie des Menschen. Die Physiologie sollte insbesondere die vestigia divina im Menschen und die Bedingungen der Sünde sowie des Heils ans Tageslicht bringen. Jedoch trugen die katholischen Abhandlungen zu Seele und Traum divergierende Akzente. Die abweichenden Themen und Fragestellungen können am Beispiel zweier zeitgenössischer, bahnbrechender Traktate erhellt werden, nämlich des De anima von Melanchthon (1540/1553) und des De anima et vita (1538) von Juan Luis Vives. Nach Melanchthon hatte der Mensch vor dem Sündenfall Begierde (oder appetitus, d. h. Hunger, Durst, Schmerz und sinnliche Lust) und Affekte (oder passiones animae, d. h. Gottesfurcht, Familiensinn, Wohlwollen, Hass gegen das Böse, Freude in der Übereinstimmung mit Gott, und Hoffnung auf das ewige Leben), die dem rationalen und ewigen Geist entsprachen. Der Sündenfall habe ihn jedoch in Unruhe und in eine Gott gegenüber feindselige Haltung versetzt. Von da an widersprachen die Affekte öfters dem Willen und schufen somit Sünden. Aufgrund der Macht der Natur (per vires naturae) und ihrer natürlichen Kräfte (per vires naturales) mussten die Menschen Sünden begehen. Obgleich teilweise göttlich und Sitz der Weisheit, sei das Gehirn von derselben Substanz wie der Samen.47 Melanchthon untersuchte die Struktur und die Aktivität der menschlichen Seele im Hinblick auf ihr Verhältnis zum menschlichen Körper. Er grübelte nicht mehr wie Aristoteles um die Definition der Seele, sondern hinterfragte ihre Essenz, ihre Substanz. Da die aristotelische Philosophie eine mögliche Definition bot, wandte sich Melanchthon Galen und dessen Viersäftelehre zu. Die Vorstellung der Seele als Form des Körpers erfuhr jedoch immer noch keine befriedigende Begründung. Vives ging ebenfalls von der aristotelischen Definition aus, unterschied jedoch deutlicher Seele und Körper voneinander. Die Seele wohne als Hauptagens in einem zum Leben fähigen Körper.48 Zudem schenkte er im Gegensatz zu Melanchthon der Essenz der Seele weitaus weniger Beachtung. Von ihr wisse keiner und keiner nehme sie wahr, die Seele als Prinzip des Lebens bzw. der Bewegung. Da die Affekte oder Leidenschaften der Seele die Vereinigung von Seele und Körper verdeutlichten,49 verschob Vives den Akzent von der Erkenntnis der Seele auf deren Handlungen. Bei der Fokussierung auf die Affekte, die sich aus dem jeweiligen Temperament ab47
48
49
Philipp Melanchthon: Liber de anima. In: CR XXXX, Sp. 106, 143–144. Vgl. Simone De Angelis: Anthropologie und Gesetz. Konzepte von der Natur des Menschen im 16. Jahrhundert. Vives und Melanchthon. In: Scientiae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. Hg. von Barbara Mahlmann-Bauer. Bd. 2. Wiesbaden 2004 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 38), S. 871– 893. Vgl. Mario Sancipriano: La pensée anthropologique de J. L. Vivès, l’entéléchie. In: Juan Luis Vives. Hg. von August Buck. Hamburg 1981 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 3), S. 63–70. Vgl. Carlos G. Noreña: Juan Luis Vives and the Emotions. Carbondale 1989.
129 leiteten, entwickelte Vives eine in einer empirischen Physiologie verankerte Sittenlehre.50 Im Heiligen Römischen Reich begründete Vives’ Abhandlung eine katholische Tradition, aus der schließlich der sehr einflussreiche Traktat über die Macht der Imagination des Professors für Medizin an der Universität Löwen, Thomas Feyens (oder Fienus) resultierte.51 Feyens’ Ausgangspunkt war ebenfalls die Seele als eine bewegende und immaterielle Kraft, die einzig anhand ihrer Handlungen erforscht werden könne. Feyens verschärfte sogar Vives’ Überlegungen, indem er behauptete, dass die Seele als Substanz einen Einfluss auf den Körper nicht unmittelbar, sondern per accidens, mittels der Körpersäfte (humores) und der spiritus ausübte. Die Seele wirke ausschließlich auf den eigenen Körper, im Falle einer schwangeren Frau auch auf ihren Fötus. Das Vehikel dieses Einflusses war die Imagination, deren Macht Feyens eingegrenzt wissen wollte. Gegen eine landläufige, aus der Antike stammende Überlieferung52 behauptete Feyens, dass die Imagination der Eltern dem Fötus Spuren nicht in ausreichendem Maße für das ganze Leben hinterlassen könne. Die Rolle der Imagination der Mutter diene sogar manchmal als Alibi, um illegitime Geburten zu decken. Denn die Imagination war kein aktives Vermögen; sie übte nur mittelbar, durch die Körpersäfte und die spiritus, d. h. durch die Affekte einen Einfluss im Körper aus. Feyens bezweifelte, dass die Sterne indirekt auf die menschlichen Temperamente, insbesondere auf die Melancholie wirken, schloss jedoch aus, dass sie auf die menschliche Imagination einwirken könnten. Im Vergleich mit Melanchthon führte Feyens also völlig gegensätzliche Argumente gegen ähnliche Gegner an. Denn Feyens Abhandlung, wie auch andere katholische Traktate, waren vor allem gegen Pomponazzi und Agrippa von Nettesheim sowie gegen Paracelsus, der uns später noch des öfteren begegnen wird, gerichtet. Pomponazzi äußerte sich über die Wunder als Ergebnis der Kraft der Imagination (der Patient bilde sich ein, dass er heile) und über den deterministischen Einfluss der Sterne auf die menschliche Verfassung. Auch Peucers Ziel war es, die Medizin des Paracelsus aus Wittenberg zu verdrängen.53 Im Gegensatz 50
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52
53
Ioannis Lodovici Vivis »De anima et vita«. Hg. von Mario Sancipriano. Padova 1974, S. 84, 88, 186–188. Thomas Feyens: De viribvs imaginationis tractatvs. Lugduni Batavorum: ex officina Elseviriana. 1635 (11608). Vgl. dazu Walter Pagel: The Smiling Spleen. Paracelsianism in Storm and Stress. Basel/München 1984, S. 76–81. Vgl. Luther: In primum librum Mose enarrationes (1535–36), Stelle zu Genesis 30,39; Paracelsus: De natura rerum (1537), Buch 9. Zitiert nach: The Occult in Early Modern Europe. A Documentary history. Hg. und übersetzt von S. G. Maxwell-Stuart. New York 1999 (Documents in History Series), S. 12–13. Diese Überlieferung bot eine Erklärung für Missgeburten. Cf. Martin Roebel: Caspar Peucer als Humanist und Mediziner. In: Caspar Peucer (1525–1602), S. 51–74.
130 zu den Schwärmern und Spiritualisten hatten Melanchthon und Peucer eine materielle Auffassung von der Seele entwickelt. Feyens trennte Seele und Körper. Auf die »gelehrte Frage, ob das Feuer der Hölle brennt[e]«, antwortete er, dass dieses Feuer nicht metaphorisch, sondern auf übernatürliche Weise die Sünder verbrenne.54 Er legte zudem den Akzent nicht mehr auf die Untersuchung des Traums, sondern auf die Wirkung der Imagination der Eltern auf ihren Fötus.55 Während die Lutheraner sich vorwiegend mit dem Traum befassten, beschäftigten sich viele Katholiken mit der Macht der Imagination, insbesondere in Bezug auf Föten, was schließlich zu einer konfessionell geprägten Frage auswuchs. Denn die Katholiken, hier in Einklang mit den Calvinisten, dachten, dass die rationale Seele erst 40, 80 oder 90 Tage nach der Zeugung in den Fötus einflöße. Die Lutheraner hingegen waren überzeugt, dass die Seele schon bei der Zeugung im Samen beider Eltern vorhanden sei, dass sogar nur eine einzige Seele seit der Schöpfung der Welt bestehe und sich per traducem stets von neuem von den Eltern auf das Kind übertrage.56 Die Frage der Übertragung der Seele auf den Fötus war jedoch damals kein direkter Streitpunkt zwischen Protestanten und Katholiken. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand eher die Interpretation der ›Gabe der Seele‹ seitens nicht orthodoxer Gelehrter, nämlich Paracelsus und Girolamo Cardano. Der Ausgangspunkt bildete die während der Conquista entstandene Polemik um den Status der Indianer.57 Denn gegen die Versklavung der Indianer hatten sich manche Geistliche entschieden, etwa Antonio de Montesinos, der in einer an die Siedler gerichteten Predigt, ausrief: »Sind sie aber keine Menschen? Haben sie nicht rationale Seelen? Seid Ihr nicht verpflichtet, sie wie Euch selbst zu lieben?«. Im Laufe der Zeit untermauerten die Siedler ihre Argumentation mit Verweis auf intellektuelle Autoritäten. Sie hoben den von Thomas von Aquin konstatierten Unterschied zweier Herrschaftsformen erneut hervor, einer »realen«, die auf das Gut und Interesse der Menschen abzielte, und einer »despotischen«, auf die sie die aristoteli-
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56
57
Feyens (1635), S. 150. Feyens verwandte einen ganzen Traktat auf dieses Thema: De formatrice foetus liber, in quo ostenditur animam rationalem infundi tertia die. Antverpia 1620. Vgl. G. Jerouschek: Lebensschutz und Lebensbeginn. Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots. Stuttgart 1988; R. Peters: Der Schutz des Neugeborenen, insbesondere des missgebildeten Kindes. Stuttgart 1988; J. H.: Beseelung. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 2. Stuttgart 1954, Sp. 176–183; Michael Stolberg: Particules of the Soul. The medical and Lutheran Context of Daniel Sennerts Atomism. In: Medicina nei Secoli Arte e Scienza 15/2 (2003), S. 177–203, hier 181–182; Prosperi (2007), S. 213–288.Vgl. auch unten S. 275 Anm. 335. Vgl. Giuliano Gliozzi: Adam et le Nouveau Monde. La Naissance de l’anthropologie comme idéologie coloniale: des généalogies bibliques aux théories raciales (1500–1700). Paris 2000; Claire Gantet, Fernando Vidal: Âme. In: Pour l’Histoire des Sciences de l’Homme 28 (2005), S. 50–60.
131 sche These des natürlichen Sklaventums anwandten: Die indios seien von Natur aus barbarisch und Leibeigene, folglich seien sie verständnislos, und somit »den lebenden Tieren gleich«. Da sie zudem eine der Natur und dem Naturgesetz entgegenstehende Sünde begingen, nämlich Götzendienst, sei es legitim, sie durch das System der incomienda zu bestrafen. Die von vielen conquistadores vertretene These, dass die Indianer »keine natürlichen Menschen« seien, wurde zunächst von den dominikanischen Missionaren, später von den gesamten geistlichen Machtbefugten vehement bestritten, so dass Papst Paul III. (1534–1549) im Juni 1537 drei Bullen nacheinander erließ, um die missionarische Autonomie der Kirche in der Neuen Welt zu definieren. Darin wurde behauptet, dass »die indios wahrhafte Menschen« seien, die fähig seien, »nicht nur den katholischen Glauben zu verstehen, sondern auch […] sich ihn zu empfangen wünschten«, weshalb »man sie nicht versklaven«, sondern sie »durch das Predigen des göttlichen Worts und das Beispiel eines guten Lebens« konvertieren solle. In der Kontroverse zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei wurde der Begriff ›Bestialität‹ zunächst im Sinne einer moralischen und intellektuellen Unfähigkeit, bald als Ergebnis der Sünde, bald als Bezeichnung für eine unterschiedliche Natur, die die Einheimischen zum Sklaventum bestimme, verwendet. Die zwei ersten Thesen beruhten auf der herkömmlichen Auffassung eines einzigen und gemeinsamen Ursprungs des Menschen seit Adam. Im Gegensatz dazu setzte die letzte den Polygenismus voraus. Die aristotelische These des natürlichen Sklaventums wurde jedoch stets verquickt mit den christlichen Vorstellungen von Sünde und Erlösung. Der große Humanist, der der Nachwelt wegen seiner Opposition gegen Bartholomé de Las Casas in Erinnerung blieb, Juan Ginés de Sepúlveda, bezeichnete beispielsweise die Indianer als ein dazwischenliegendes und der Menschheit beraubtes Geschlecht, ein Wesen zwischen Mensch und Affe, und verurteilte diesen Zustand als Degradierung des gesamten Menschengeschlechts, der manu militari wieder in Ordnung gebracht werden könne. Allgemein wollten die Anhänger der These der Bestialität der Indianer nicht die Sklaverei an sich, sondern präziser die encomienda unterstützen. Ihre Gegner nahmen ebenso wenig an, dass die heidnischen Indianer über eine vollkommene Menschlichkeit verfügten. Vor Ort handelte es sich vorwiegend um eine Frage der Präzedenz: Wer, von den Soldaten, den Beamten und den Missionaren war imstande, die indios zu bessern und zu ›verwerten‹? Diese allgemeine Diskussion verschärfte sich im Heiligen Römischen Reich, als sie mit konfessionellen Argumenten beladen wurde. Sofort behaupteten die ›rechtgläubigen‹ Protestanten, dass die katholische Auffassung vom Abendmahl auch ein ›Opfer-Kult‹ sei, weil die Katholiken den echten Leib Christi äßen. Ein weiterer Beweis der Blutrünstigkeit der Katholiken läge in ihren Augen in der Dezimierung und Versklavung der Indianer
132 in Amerika.58 Die Protestanten mussten jedoch einen Kampf an mehreren Fronten führen. Denn bereits im Jahre 1520 hatte der damalige Einsiedler, Wund- und Leibarzt Theophrast von Hohenheim (ab 1529/31 Paracelsus genannt) in seinem Liber de generatione dem ›Wilden‹ eine ähnliche Seele zugeschrieben. Und zwar seit der Schöpfung in unterschiedlicher Form, entsprechend der lutherischen These von der Übertragung der Seele. Kurz nach den päpstlichen Bullen von 1537, leitete er das Unmögliche einer kontinuierlichen Nachkommenschaft der amerikanischen Indianer von Adam von der geringen Reisetätigkeit in biblischen Zeiten ab. Paracelsus schloss die Indianer aus der Menschheit aus. In seinem Werk Astronomia magna ordnete er die Indianer zusammen mit Riesen, Nymphen, Gnomen und Pygmäen in die Lebenwesen ein, die »allen anderen ähnlich seien, bis auf die Seele«: diese Art Sprachtiere seien nicht durch den Willen Gottes, sondern durch den Einfluss der Sterne auf die verwesende Materie geschaffen worden. Die Evangelisation sei deshalb zwecklos. Paracelsus’ Aussagen waren eng verknüpft im Zusammenhang mit dem allgemeinen Streben nach einer Abkoppelung des menschlichen Ursprungs vom Schöpfungsbericht. Obwohl sein Studium der Medizin in Ferrara zwischen 1512 und 1516 nicht nachgewiesen ist, hatte Paracelsus die ›Paduaner Schule‹ vermutlich kennengelernt, insbesondere das Werk Pietro Pomponazzis, der das Menschengeschlecht aus der Fäule entstanden, betrachtet hatte. In seinem Traktat De subtilitate (1550) setzte der Mailander Mediziner Girolamo Cardano die Seele »einer bestimmten himmlischen Wärme« gleich, die in allen Lebewesen, jedoch in unterschiedlichen Graden von Vollkommenheit, bestehe. Cardano bejahte ebenfalls die Urzeugung des Menschen aus dem Schlamm. Um 1560 verlieh Andrea Cisalpino dieser Vorstellung eine geographische und anthropologische Dimension. Wegen deren Abstraktion wurden diese Thesen bis in die 1570 Jahre hinein von den Kirchen geduldet, wurden aber dafür Gegenstand eines schriftlichen Gelehrtengefechts unter den Katholiken, die sich weniger als die Protestanten nach der Deutung von Träumen und Visionen richten mussten. Das Thema, wie die Imagination der Eltern auf ihren Fötus wirkt, beantwortete jedoch kaum das Problem einer Trennung der göttlichen von den natürlichen Anteilen der Seele. Alle noch so verschiedenen Stellungnahmen
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Vgl. Frank Lestringant: Le cannibale. Grandeur et décadence. Paris 1994 (Histoire et décadence); Ders.: Une sainte horreur ou le voyage en Eucharistie, XVIe-XVIIIe siècle. Paris 1996 (Collection Histoire); Mark Häberlein: Monster und Missionare: Die außereuropäische Welt in Augsburger Drucken der frühen Neuzeit. In: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hgg. von Helmut Gier, Johannes Janota. Wiesbaden 1997, S. 353–380; Frank Lestringant: Le Huguenot et le sauvage. L’Amérique et la controverse coloniale, en France, au temps des Guerres de Religion (1555–1589). Genève 32004 (Titre courant 27); Lyndal Roper: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung. München 2007, S. 103–119.
133 der Katholiken folgten einem Grundgedanken. Zwar verwarfen sie die Astrologie aus unterschiedlichen Gründen. Einige behaupteten, die Sterne seien zu weit entfernt, um irgendeinen Einfluss auf Erden auszuüben,59 andere, dass sie höchstens allgemeine Tendenzen aber kein individuelles Schicksal lenken könnten, wiederum andere, dass die Sterne lediglich per accidens und nicht per se die Zukunft verursachten.60 Die Idee, dass die Wahrsagung auf rein Zufälligem beruhe, durchzog jedoch alles wie ein roter Faden. Sie wurde auch zum Leitmotiv des wichtigsten katholischen Traktats über die Wahrsagungskünste. In diesem in Basel 1531 erschienenen Werk De auguriis betonte Agostino Nifo die Unzulässigkeit des Glaubens an die Omen. Er verwarf die antike Ablehnung von Vorzeichen, seien es Ursachen oder Wirkungen von künftigen Ereignissen. Dafür unterstützte er die aristotelische Auffassung,61 wonach ein Traum nur per accidens die Zukunft verursachte. Alle Omen seien ebenfalls per accidens Zeichen des Schicksals. Wenn man den Omen eine deterministische Kausalität zuschreiben würde, verstärkte sich der Aberglaube. Nifo griff auf die thomistische Tradition zurück, um die Macht Imagination über andere Körper weiterhin zu bestreiten. In seiner Abhandlung De sortibus hatte Thomas von Aquin behauptet, dass Sterne, Tiere, Elemente, kurz alle Objekte der Wahrsagung nichts Zufälliges verursachen könnten. Nifo unterschied am Beispiel des Traumes drei Arten von Vorzeichen: die göttlichen, die natürlichen und die zufälligen. Die natürlichen seien als Krankheitssymptome zu verstehen und sollten entsprechend von Medizinern behandelt werden. Die zufälligen seien »abergläubisch« und ihre wahre Ursache der Teufel. Somit teilte Nifo Träume und folglich alle Omen in drei Kategorien: die natürlichen-körperlichen, die göttlichen, und die zufälligen-teuflischen. Sämtliche Konsequenzen daraus zog allerdings Cardano, der trotz seines oft an Ketzerei grenzenden Eklektismus sein Traumbüch mit dem katholisch geprägten roten Faden der Zufälligkeit der Wahrsagungskünste durchzog.62 Die Zahl der katholischen Theologen, die, wie Ioannes Benedictus im Jahre 1550, der Imagination eine autonome Macht (Benedictus fügte in paracelsistischen Tönen hinzu: wie die Erde aus ihrer Kraft Verwesung erzeugen könne) zuschrieben, blieb marginal.63 Die Gelehrten trennten in der Regel die Meinung der Philosophen, wonach übernatürliche Faktoren nur mittelbar Träume bewirkten, von derjenigen der Theologen, die die Mög59
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Vgl. beispielsweise Ioannes Benedictus: De visionibus et revelationibus naturalibus et divinis libellus elegans ac compendiosius … Moguntiae: Franciscus Behem. 1550. Vgl. beispielsweise Agostino Nifo: De auguriis libri II … Ori Apollinis Niliaci de hieroglyphicis notis libri II … Basilea: Joh. Hervagius. 1534. Aristoteles: De somno et vigilia. Deutsch: Über Schlafen und Wachen. In: Ders. (1997), S. 101–115, hier 101–102. Cardano [1562]; Ders. [1563]. Vgl. dazu unten, S. 358–372. Benedictus.
134 lichkeit mittelbarer wie unmittelbarer göttlicher Träume annahmen. Mediziner wie Theologen stimmten jedoch darin überein, dass Gott Träume mittelbar, d. h. durch eine über das Licht und Himmelsbewegungen bestimmte Änderung der Körpersäfte und spiritus, anrege: Durch verborgene Kanäle brächten die spiritus Bilder zur Imagination, die den Stoff der Träume bildeten.64 Dadurch trugen die katholischen Gelehrten zur Entstehung einer allgemeinen Diskussion um die Macht des Teufels und den Zusammenhang zwischen dem natürlichen und dem übernatürlichen Bereich bei.
3.2
Melancholie und Imagination, 1550–1590
Im kulturellen Gedächtnis stehen für die Jahre von ca. 1550 bis ca. 1590 zweifelsohne drei prägnante Werke im Vordergrund, die ein facettenreiches Bild dieser Jahre vermitteln. Das Faust-Volksbuch, das zum ersten Mal im Jahre 1587 in Frankfurt am Main erschien mit so großem Erfolg und sechs weiteren Ausgaben im selben Jahr, wurde tatsächlich als Spiegel einer dämonischen Invasion angesehen, die mit der Vermehrung der Hexenprozesse Gestalt angenommen hätte. Das Faustbuch wäre demnach das Abbild einer düsteren, abergläubischen und krisenhaften Epoche, von der ›kleinen Eiszeit‹ und den Religionskriegen geplagt. Zeitgleich mit der Erscheinung dieses Volksbuches hatte sich eine gelehrte Diskussion entwickelt, die den Leibarzt des melancholischen Herzogs Wilhelm V. von Kleve65 Johannes Wier/Weyer und den französischen Theoretiker des Absolutismus, Jean Bodin, zu Gegnern machte. Diese Auseinandersetzung, obgleich wissenschaftlich geführt, löste ein sehr lebhaftes Echo aus. So war Johannes Wiers prägnanter Traktat De Praestigiis Daemonum (1563) sofort derart weitverbreitet, dass er selbst eine deutsche Übersetzung erarbeitete, die dann im Jahre 1586 erschien. Er war auch so erfolgreich, dass Bodin eine strenge Widerlegung veröffentlichte, betitelt De la demonomanie des sorciers, der er durch eigene sofortige lateinische Übersetzung eine internationale Rezeption ermöglichte. In seinen Disquisitionum magicarum libri sex (1599–1600), die als Handbuch für Inquisitoren konzipiert waren und als solches auch benutzt wurden,66 verwies der katholische Jurist Martín Delrio auf Wiers Auffassung von der Melancholie als rettendes Argument für die Hexen und widerlegte 64
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Exemplarisch dafür: Cariero [Carreri], Alessandro: De somniis deque divinatione per somniaicos. Brevis consideratio. Padua 1575 Vgl. dazu H. C. Erik Midelfort: Mad Princes of Renaissance Germany. Charlottesville/London 1994 (Studies in Early Modern German History), S. 94–98. Martín Delrio: Disqvisitionvm Magicarvm Libri Sex … Coloniae Agrippinae: Henningius. 1633. Zu Delrios Rezeption, vgl. Petra Nagel: Die Bedeutung der »Disquisitionum magicarum libri sex« von Martin Delrio für das Verfahren in Hexenprozessen. Frankfurt am Main/Bern u.a. 1995 (Europäische Hochschulschriften 2.1765).
135 diese.67 Nachdem Wiers These zum Gegenstand eines Gelehrtengefechts geworden war, wurde sie zum historiographischen Problem. Lange Zeit haben Historiker Johann Wier tatsächlich als einen Vorkämpfer der Modernität vorgestellt, weil er den Hexensabbat nicht für eine Realität, sondern für ein Produkt melancholischer Träume oder irriger Gedanken hielt. Die Hexen seien deshalb nur unschuldige Opfer einer Täuschung. Bodin hingegen – seiner Definition des Absolutismus folgend – forderte die Vernichtung der Hexen.68 Welche Vorstellungen von Traum und Imagination, von Natürlichem und dem Übernatürlichem vermittelten diese Schriften?
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Vgl. dazu Sydney Anglo: Melancholia and Witchcraft. The Debate between Wier, Bodin, and Scot. In: Folie et Déraison à la Renaissance. Bruxelles 1976 (Travaux de l’Institut pour l’étude de la Renaissance et de l’humanisme 5), S. 109–222; Christopher Baxter: Johann Wyer’s De Praestigiis Daemonum: Unsystematic Psychopathology. In: The Damned Art. Essays in the Literature of Witchcraft. Hg. von Sydney Anglo. London u.a. 1977, S. 53–75; Edward William Monter: Law, Medicine, and the Acceptance of Witchcraft, 1560–1580. In: European Witchcraft. Hg. von Edward William Monter. New York 1969, S. 55–71. Vgl. Carl Binz: Doctor Johann Weyer, ein rheinischer Arzt, der erste Bekämpfer des Hexenwahns. Ein Beitrag zur deutschen Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts. In: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 21 (1885), S. 1–171; Ders.: Doctor Johann Weyer. Ein rheinischer Arzt, der erste Bekämpfer des Hexenwahns. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung und der Heilkunde. Bonn 1885; Ders.: Wier oder Weyer? Nachträgliches über den ersten Bekämpfer des Hexenwahns in Deutschland. In: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins 2 (1887), S. 48–58; Ders.: Doctor Johann Weyer (1515–1588). Eine Nachlese. In: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 24 (NF 14) (1888), S. 99–134; Ders.: Doctor Johann Weyer. Ein rheinischer Arzt, der erste Bekämpfer des Hexenwahns. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung und der Heilkunde. Berlin 1896; H[einrich] Eschbach: Dr. med. Johannes Wier, der Leibarzt des Herzogs Wilhelm III. von KleveJülich-Berg. Ein Beitrag zur Geschichte der Hexenprozesse. In: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins 1 (1886), S. 57–174. Die Bibliographie am Server Frühe Neuzeit der Ludwig-Maximilians-Universität München ist sehr hilfreich: http://www.lrz-muenchen.de/~u9332br/webserver/ webdata/hexenverfolgung/liste_weyer_alphabetisch.htm#E. Der erste Versuch einer wissenschaftlichen Interpretation dieser Kontroverse stammt von Lucien Febvre. Vgl. Lucien Febvre: Sorcellerie, sottise ou révolution mentale. In: Annales E.S.C. 1948/3. S. 9–15: »Comment expliquer qu’un Bodin, ce grand Bodin, un des plus vigoureux esprits de son temps […], le véritable créateur de la sociologie politique avec sa République de 1576; le créateur dix ans plus tôt de l’histoire comparée des formes politiques avec sa Méthode pour connaître l’histoire; le créateur encore, en 1578, dans sa Juris Universi Distributio, du droit comparé et de l’étude évolutive du droit; Bodin, le Bodin de la Réponse aux paradoxes de M. de Malestroict, l’homme qui a su relier la cherté croissante du prix de la vie à l’afflux en Europe des métaux d’Amérique; – comment expliquer que ce grand esprit, et si hardi en matière religieuse (je pense à son Heptaplomeres, cet effort désespéré pour dégager de la confrontation des religions aux prises une religion vraiment universelle), ce soit lui, qui en 1580 ait publié l’un des livres les plus attristants de cette époque: ce Traité de Démonomanie des sorciers dont on ne compte plus les éditions? […] Il faut que, dans sa structure profonde, la mentalité des hommes les plus éclairés de la fin du XVIe, du début du XVIIe siècle, ait différé, et radicalement, de la mentalité des hommes les plus éclairés de notre temps.«
136 Die Historia von D. Johan[n] Fausten stellt einen Doktor der Theologie aus Wittenberg dar, der sich der Zauberei und den schwarzen Künsten hingibt, einen Pakt mit dem Teufel schließt und burleske Abenteuer erlebt. Dieses Werk exemplifizierte traditionell die Gefahr der curiositas und der von den Studien enteckten Melancholie, manifestierte jedoch auch die Dämonisierung der Zauberei, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in zahlreichen lutherischen pastoralen Schriften thematisiert wurde.69 Es handelte sich zweifelsohne um ein lutherisch geprägtes Beispiel der damals beliebten Warnliteratur, die den Leser zur sittlichen Besserung mahnte.70 Der Abschnitt über den melancholischen Traum ist jedoch in mehrerer Hinsicht aufschlussreich. Das berühmte Kapitel XXX,1 des pseudo-aristotelischen Traktats betitelt Problemata Physica hatte eine zwiespältige Tradition begründet. Der melancholische, von Saturn bestimmte Mensch war landläufig als düster, ängstlich und menschenscheu betrachtet worden. Die Problemata physica entwickelten demgegenüber die auf aristotelische und platonische Einflüsse zurückzuführende Idee, dass alle großen Begabungen »den Menschen durch göttliche Begeisterung zuteil werden« und somit alle hervorragenden Menschen Melancholiker seien. Im Mittelalter rückte die erste Bedeutung in den Vordergrund. Sie bezeichnete zunehmend den Geisteszustand eines Christen, vor allem eines Geistlichen, der in seiner Beziehung zu Gott Faulheit und Gleichgültigkeit spüren ließ, die leicht in Verzweiflung übergehen konnte. Die acedia wurde sogar im altchristlichen Mönchstum zu den acht Todsünden gerechnet. Erst Marsilio Ficino endeckte den zweiten Sinn der Melancholie als Charakteristikum der Genies wieder und wertete sie auf.71 Obgleich das Faustbuch in der mittelalterlichen Tradition der acedia stand, entfaltete es ein neues Verständnis der Melancholie. Der mittelalterlichen Überlieferung entsprechend erzeugte der Teufel Fausts melancholische Krankheit. Da Faust zu stark auf seine Vernunft setzt, 69
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Vgl. Charles Zika: ›Magie‹, ›Zauberei‹, ›Hexerei‹. Bildmedien und kultureller Wandel. In: Sinnformationen im Umbruch 1400–1600. Hgg. von Bernhard Jussen, Craig Koslofsky. Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 145), S. 317–382. Vgl. Maria E. Müller: Der andere Faust. Melancholie und Individualität in der »Historia von D. Fausten«. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literatur 60 (1986), S. 572– 608, hier S. 573–575. Die Sekundärliteratur zu diesem Thema ist entmutigend zahlreich. An dieser Stelle seien nur erwähnt: Klibansky, Panofsky (1964); Jean Starobinski: Geschichte der Melancholiebehandlung von den Anfängen bis 1900. Basel 1960 (Acta psychosomatica 4), S. 11–50; Hans-Jürgen Schings (1977); Helen Watanabe-O’Kelly: Melancholie und die melancholische Landschaft. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts. Bern 1978 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 54); Jean-Claude Larchet: Thérapeutique des maladies spirituelles. Une introduction à la tradition ascétique de l’Église orthodoxe. Suresnes 21993 (L’Arbre de Jessé); Brigitte Schulte: Melancholie. Von der Entstehung des Begriffs bis Dürers Melencolia I. Würzburg 1996.
137 gerät er in den Sog einer fatalen Abwärtsspirale. Er, seine Tätigkeiten und seine Identität, alles geht bergab: Zunächst Doktor der Theologie, wurde er bald nur noch als Doktor der Medizin, dann als »Astrologus und Mathematicus«, letztendlich als Befürworter der schwarzen Künste und der Zauberei betitelt. Dementsprechend geriet er oftmals in Verzweiflung. Das Faustbuch gab sogar erstmals die präzise Schilderung des genauen Geisteszustands des Melancholikers wieder: Zerrissenheit, Befangensein und Festhalten am Zweifel. Im Faustbuch führte die Melancholie aber auch zu einer Verwirrung des Geistes, die schließlich mit dem Teufelspakt endete. In diesem Sinne war die Melancholie nicht mehr eine Sünde oder ein religiöser und metaphysischer Geisteszustand, sondern eine Krankheit der Seele. Da seine Seele von seiner Imagination überwältigt ist, verlangt Faust ständig sinnliche Belege der Wahrheit.72 Denn die Wahrheit war flüchtig. Die Teufelserscheinungen waren alle im Präsens geschrieben, weshalb der Leser, wie Faust selbst, nicht genau wissen konnte, ob sie wirklich oder fiktiv waren. Bezeichend dafür ist die Schilderung von Fausts Reise in die Hölle aus Neugier auf deren »Substantz vnd Qualitet«. Zusätzliches Verwirrspiel ergibt sich dadurch, dass Faust während der Reise einschläft und nach einem Traum erwacht: Doct. Faustus war auff das achte Jar kommen/ und erstrecket sich also sein Ziel von Tag zu Tag/ war auch die zeit meisten theils mit Forschen/ Lernen/ Fragen und Disputiern umbgangen. Unter dem traeumete oder grauwete jm aber vor der Helle. Er fordert also seinen Diener/ den Geist Mephostophilem/ er sollte jm seinen Herrn Belial oder Lucifer fordern und kom[m]en lassen. Sie schickte[n] jm aber eine[n] Teuffel/ der nan[n]te sich Beelzebub unter dem Himmel/ der fragte D. Faustum/ was sein begeren oder anliegen were? Ob er nicht vermoechte/ dass jhn ein Geist in die Hell hineyn fuehrete und wider herauß/ dass er der Hellen Qualitet/ Fundament un[n] Eygenschafft/ auch Substantz moechte sehen/ un[n] abnem[m]en. […] Nu hoeret/ wie jn der Teuffel verblendet/ unnd ein Affenspiel macht/ daß er nit anders gemeinet/ den[n] er seye in der Helle gewest. Er fuehret jhn in die Lufft/ darob D. Faustus entschlieff/ als wann er in einem warmen Wasser oder Bad sesse. Bald darnach kom[m]t er auff einen hohen Berg/ einer grossen Insel hoch/ darauß Schwebel/ Pech und Fewrstralen schlugen/ unnd mit solcher Ungestuem[m] und Prasseln/ daß D. Faustus darob erwachte. […] D. Faustus trat in das Feuwer/ und wollte ein Seel der Verdampten ergreiffen/ und als er vermeynte er hett sie in der Hand/ verschwande sie jm widerumb. […] In solchem Wohn kom[m]t in der Nacht D. Faustus widerumb zu Hauß/ Weil er nu seithero auff dem Sessel geschlaffen/ wirfft jhn der Geist also schlaffendt in sein Bett hineyn. Als aber der Tag herbey kam/ un[n] D. Faustus erwachte/ das Liecht deß Tages sahe/ ward jm nit anders/ als wann er ein zeitlang in einem finstern Thurn gesessen were. Dann er seythero nichts von der Hellen gesehe[n] hatt/ als die Fewerstromen/ und was das Feuwer von sich geben hatt. D. Faustus im Bett ligend/ gedachte der Hellen also nach/ Einmal nam er jm gewisslich 72
Belege für diese Haltung sind unzahlbar. Exemplarisch dafür: »Dieweil es dann ein mercklich unnd schrecklich Exempel ist/ darinn man nicht allein deß Teuffels Neid/ Betrug und Grausamkeit gegen dem Menschlichen Geschlecht/ sehen/ sonder auch augenscheinlich spueren kan/ wohin die Sicherheit/ Vermessenheit unnd fuerwitz letztlich eine[n] Menschen treibe …« In: Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler. Mit einem Nachwort von Renate NollWiemann. Hildesheim/New York 1981 (Deutsche Volksbücher in Faksimiledrucken A13), Fol. ):( iij r°-v°. Ich hebe hervor.
138 fuer/ er were drinnen gewest/ und es gesehen/ das ander mal zweiffelt er darab/ der Teuffel hette jhm nur ein Geplerr unnd Gauckelwerck fuer die Augen gemacht/ wie auch war ist/ Dann er hatte die Hell noch nicht recht gesehen/ er wuerde sonsten nicht darein begert haben.73
Das herkömmliche Motiv der von den Studien bewirkten Melancholie erfuhr eine Neuinterpretation, indem die Melancholie mit schweren Träumen und einer »rasenden unsinnigen Forcht«74 einher ging. Der Traum von Hölle und Teufel ging ursächlich nicht nur auf die Anstiftung zur Sünde und die Verwirrung der Gedanken, sondern auf eine Störung der Kategorien des Realen und des Imaginären zurück, die aus der physiologischen Verwirrung des Auges resultierte.75 Damit hatte sich der Autor des Faustbuchs die zeitgenössischen wissenschaftlichen Überlegungen zur Imagination zu eigen gemacht. Im Jahre 1594 erhielt das Faustbuch eine Fortsetzungsgeschichte mit den Abenteuern Christoff Wagners, eines Jüngers von Faust. Im Vergleich zum ersten Faustbuch enthielt es »Vermanungen«76 vor der Zauberei. Die Zauberei wurde nicht mehr pauschal abgelehnt. Stattdessen schilderte das Werk sehr präzis die aufeinanderfolgenden Stufen der Wahrsagungskünste hin zum Teuflischen: alles beginne mit der Heilung von Krankheiten mit Hilfe von Segnungen, dann mit der Lektüre von Paracelsus’ Büchern, es folgte das Studium der Mathematik, dann der Astrologie, der Optik, der Alchemie (nochmals der Bücher Paracelsus’) und endete mit der Erzeugung von ›Wundern‹ und letztlich mit Beschwörungen.77 Die Fortsetzungsgeschichte des Faustbuchs hatte die parallel laufenden gelehrten Einordnungen der Wissenschaften einbezogen. Das Gegenideal zum Erkenntnisstreben der Gelehrten wandelte sich allmählich von der curiositas zum ›Aberglauben‹. Johannes Wier seinerseits, der als Assistent bei Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim studiert hatte, bevor er Mediziner und Astrologe am Savoyer Hof wurde, wo er den Connétable de Bourbon ärztlich beriet, bestritt keineswegs die Existenz des Teufels und die Legitimität bestimmter Divinationskünste. In seiner Abhandlung über die Blendwerke und Zaubereien des Teufels unterschied er deutlich zwischen Hexen, die Opfer einer teuflischen Illusion seien, und Zauberern, die mittels eines Pakts mit dem Teufel 73 74
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Historia von D. Johann Fausten, S. 83–90. Ebd., S. 88. Zur Pathologisierung und Verteuflung der Melancholie, vgl. Jean Céard: Folie et démonologie au XVIe siècle. In: Folie et déraison à la Renaissance, S. 129–147. Träume, insbesondere erschreckende Träume sind im Faustbuch ein nächtliches Werk der Imagination. Tagsüber ist die Seele imstande, die (realen oder imaginären) Angriffe der Geister abzuwehren. Vgl. Historia von D. Johann Fausten, S. 128–129. Das Gehirn und die Augen sind die teuresten Teile des Menschen. Die Studenten, die von Fausts Tod erfuhren, entdeckten zunächst seinen Blut, dann sein Hirn, später seine Augen und letztendlich seinen restlichen Leib auf einem Misthaufen. Ebd, S. 225. Vgl. [Friedrich Schotus (?)]: Ander Theil D. Joh. Fausti Historien … o. O. 1594, beispielsweise Fol. D iij v° – E ij v°. Ebd., Fol. D v r° – E ij v°.
139 dessen Beihilfe gesucht hätten. Bezüglich Ersterer schlug er eine physiologische Erklärung vor: Der Teufel habe in den Leibern der Hexen Bewegungen von spiritus und Körpersäften erzeugt, die während der nächtlichen Verdauung zu ihrem Gehirn, genauer zu ihrer Imagination, stiegen und dort bestimmte Träume verursacht hätten. Wegen der teuflischen Verwirrung dieser geistigen Bilder glaubten die Hexen an die Realität ihrer Träume. Kurzum: Die Hexen flögen nicht tatsächlich zum Sabbat, sondern träumten davon und hielten diese vom Teufel inspirierten geistigen Bilder für die Realität. Hexen seien also lediglich Opfer teuflischer Träume oder eines melancholischen Wahns. Deshalb sollten sie nicht von der Obrigkeit hingerichtet, sondern eher von den Medizinern geheilt und von den Theologen getröstet werden.78 Obwohl Jean Bodin, der im Anhang zu seiner Demonomanie eine »Widerlegung der Meinungen Johann Wiers« vorbrachte, zu einem entgegengesetzten Schluss kam – nämlich, dass Hexen Opfer einer realen teuflischen Täuschung seien und daher ausgerottet werden sollten – teilte er Wiers kritische religiöse Sensibilität sowie einige seiner grundlegenden Prämissen. Wie seine polemischen Worte gegen den sogenannten katholischen Aberglauben und seine schriftlichen Stellen über Luther und Melanchthon beweisen, war Wier lutherischer Gesinnung. Er sprach sich jedoch gegen die Religionskriege und für ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen aus.79 Obgleich er mit der Liga verbunden war, brachte Bodin die katholische Kirche gern in Verlegenheit. In seiner Demonomanie behauptete er, dass es vielleicht fünf, sicher jedoch zwei Zauberpäpste gäbe, was – so fügte er hinzu – nicht der Verleihung von Macht und Würde aus Gottes Hand widerspräche, da die Päpste zu diesem Amt durch Menschen und nicht durch den Teufel ge78
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Johannes Wier: De Praestigiis Daemonum, et in cantationibus ac veneficiis. Basilea: Ioannes Oporinus. 1563. Deutsche Übersetzung: Ders.: De praestigiis Dæmonvm. Von Teuffelsge spenst Zauberern und Gifftbereytern … Darmstadt [1970] (Nachdruck der Ausgabe Franckfurt am Mayn: Nicolaus Basseus. 1586). Johannes Wier (1970/1586), Fol. (?) (?) r° gegen den »Religionsstreit«, Kapitel 17, S. 45–48 (Melanchthon), Kapitel 23, S. 208–212 (Luther), Buch V (Kritik des »Aberglaubens«). Wier vermied jedoch jegliche offene Parteinahme. Sogar das Kapitel zu den »Enthusiasten« enthielt keine einzige Andeutung auf die zeitgenössischen Enthusiasten, Schwärmer oder Anabaptisten (Ebd., Kapitel 8, S. 17–19). Zu Wiers lutherischer Sensibilität, vgl. H. C. Eric Midelfort: Johann Weyer in medizinischer, theologischer und rechtsgeschichtlicher Hinsicht. In: Vom Unfug des Hexen-Processes, Gegner der Hexenverfolgung von Johann Weyer bis Friedrich von Spee. Hgg. von Hartmut Lehmann, Otto Ulbricht. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 35–52. Diese vorsichtige Haltung war vermutlich von dem Miteinander der Konfessionen im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg beeinflusst. Vgl. dazu Gregor Horstkemper: »Wie ein zartt ding es umb das gewissen sey«. Konfessionsfragen in den Beziehungen zwischen Hessen und Jülich-Kleve-Berg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hgg. von Burkhard Dietz, Stefan Ehrenpreis. Köln 1999 (Verein für Rheinische Kirchengeschichte 136), S. 153–182.
140 wählt würden.80 Ähnlich wie Wier sah er in der Gleichsetzung von Hexen mit Frauen – aber mit der abweichenden Nuance, dass Bodin Wiers Verquikkung von Hexen, Melancholikern und Frauen aufgrund deren feuchten und kalten Temperaments mit dem Argument vom Tisch wischte, dass Melancholiker vorwiegend Männer seien.81 Inwieweit diese Äußerungen eine Zurücknahme der Stellung der Frau in der Gesellschaft oder das Gehabe von Gelehrten, die von der antiken Rhetorik durchdrungen waren, ausdrückten, kann anhand dieser Quellen nicht entschieden werden.82 Wier wie Bodin bemühten sich vor allem, jegliche Magie und Abgötterei zu verteufeln und zugleich die Macht des Teufels einzuschränken. Dabei stützten sie sich allerdings auf unterschiedliche Argumente. Beide Gelehrte erarbeiteten eine Hierarchie der Divinationskünste. Nachdem Wier die Existenz des Teufels, der Engel, der unsichtbaren Welt und der Zauberei bejaht hatte,83 setzte er die Wahrsagung mit dem Teufel gleich, »dan[n] zukuenfftige verborgen ding erfaren wolle[n] durch warsagung od’ and’e verborgene mittel/ ist ein rechte versuchung deß Teuffels«.84 Wier verwandte ein ganzes Kapitel auf die »Zauberkunst« und die Beweisführung, sie sei ein »eitel und erlogen ding«.85 Dementsprechend verwarf er radikal sämtliche Divinationskünste – bis auf die natürliche Astrologie, die semiotische Medizin und die Traumdeutung. Dabei bezog er sich auf Caspar Peucer,86 prangerte der lutherischen Haltung folgend das von »Meßpfaffen und Muenchen erlogene[n] zauberische[n] warsagen«87 an und begründete diese Verurteilung mit dem Argument, diese Tätigkeit sei »Gott allein vorbehalten«.88 Da der Teufel seine Macht von Gott erhielt und insofern lediglich eine begrenzte Herrschaft in der Welt ausübte, stand der Mensch nicht hilflos im 80
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Jean Bodin: De la Demonomanie des sorciers … Paris 1979 (Nachdruck der Ausgabe Paris: Iacques du-Puys. 1587), Fol. 134 v°. Bodin skizzierte sogar eine Soziologie der Hexen: sie seien arm, bäuerlich, marginal, hässlich, isoliert und nicht sesshaft. Bodin bezieht sich hierbei auf Plato und die jüdisch-christliche Tradition in Bezug auf Eva. Ebd., Fol. 159 r°, 224 v° – 226 r°. Nach Eric Midelfort waren die ersten hingerichteten Hexen im Heiligen Römischen Reich tatsächlich vorwiegend Frauen. Im Laufe der Zeit, als sich die Prozesse mehrten, wurden jedoch zunehmend Männer und Kinder hingerichtet. Vgl. H. C. Eric Midelfort: Witch Hunting and the Domino Theory. In: Religion and the People, 800–1700. Hg. von James Obelkevich. Chapel Hill 1979, S. 277–288. Die feministischen Werke der Geschichtsschreibung zur Hexerei sind unzählbar. Einer der gelungenen Versuche ist Lyndal Roper: Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1995. Stuart Clark behauptet dagegen, dass die Fokussierung auf Frauen ein Ergebnis der rhetorischen Tradition sei. Vgl. Clark: Thinking with Demons (1997), S. 3–10. Wier (1970/1586), S. 1. Ebd., S. 129–130. Ebd., Kapitel 20, S. 140–141. Ebd., S. 116–119. Ebd., Kapitel 17, S. 131–134. Ebd., S. 129.
141 Banne des Bösen. Denn viele Wahrsagungskünste zögen ihre Anziehungskraft auf den Menschen aus der Unkenntnis der natürlichen Ursachen bestimmter Phänomene. Das ›gläubige Volk‹ schreibe demnach dem Teufel Phänomene zu, die den üblichen Weg der Natur zu übersteigen schienen, weil ihre physischen Ursachen unbekannt seien. Es sei daher die Pflicht der Mediziner, die Ursachen der vom gläubigen Volk für übernatürlich gehaltenen Erscheinungen bzw. mutmaßlichen Wunder aufzudecken und die Pflicht der Theologen, das Volk in seiner Furcht vor dem Bösen zu trösten. Wier verwendete daher viele Seiten, die Verehrung von Paracelsus in bestimmten Ärztekreisen einzudämmen. Medizin sei eine Aufklärung und kein Kult.89 Mit einem Wort: Im Gegensatz zur Wissenschaft bzw. ›wahren Medizin‹ sei die Wahrsagung »die beajhung [sic] oder bestetigung eines dings/ das weder auff gewisse ursachen gegruendet noch auß glaubwirdigen Zeichen genommen ist«.90 Auf der einen Seite verstärkte Wier die Macht des Teufels, indem er diesem die Lenkung der Wahrsagungskünste, d. h. die menschliche Kenntnis der Zukunft und der verborgenen Dinge zuschrieb. Auf der anderen Seite beschränkte Wier in doppelter Hinsicht des Teufels Macht: Erstens handle dieser lediglich nach Gottes Erlaubnis und seine Taten endeten mit der Manifestation der göttlichen Gerechtigkeit. Zweitens schrieb ihm das ›gläubige Volk‹ vorwiegend eigentlich natürliche, aber unbekannte und deshalb für übernatürliche Erscheinungen gehaltene Phänomene zu. Bodin stützte die Argumentation seiner Demonomanie ebenfalls auf eine Klassifikation der Divinationsarten, die mit einer Verurteilung sämtlicher magischer Künste endete. Hiob folgend behauptete er, dass Gott die Menschen durch Träume, Stimmen und Visionen beriet bzw. mahnte. Die natürliche Wahrsagung, insbesondere die natürliche Astrologie sei deshalb erlaubt.91 Die gesamten künstlichen Wahrsagungen, darunter die judiziare Astrologie sowie alle dem Zufall überlassenen, verwarf dagegen Bodin. Menschliche Vermutungen seien zwar unsicher, dann jedoch zutreffend, wenn sie aus natürlichen und menschlichen Ursachen erwachsen. Die Grenze 89 90 91
Ebd., S. 134–136. Ebd., S. 116. Bodin (1979/1587), Fol. 25 r° – 27 v°. Die natürliche Wahrsagung definierte Bodin folgender Weise: »Divination naturelle est vne anticipation des choses à venir, ou passees, ou presentes, & neantmoins occultes par la congnoissance des causes enchesnees, & dependentes l’vne de l’autre, ainsi que Dieu les a ordonnees de la creation du monde«. In: Ebd., S. 28 r°. Deutsche Übersetzung (von Johann Fischart): »Naturliche vorwissung/ mutmassung oder errahtung ist ein Anticipation od’ vor vernem[m]ung entweder zukuenfftiger oder besche hener vnd gleichwol heimlicher verborgener sachen/ durch Erkantnuß vnnd erfahrung zusamen verpflichter/ verbundener oder an einander hangender natuerlicher vrsachen/ wie die von der Welt schoepffung her angesehen vnnd geordnet worden/ erkuendigt/ wargenommen/ vermutet/ vnnd zu wegen gebracht«. In: Ders.: Vom aussgelasnen wütigen Teuffelsheer. Übersetzt von Johann Fischart. Vorwort von Hans Biedermann. Graz 1973 (Um ein neues Vorwort vermerhrter Nachdruck der Ausgabe Straßburg 1591), S. 35.
142 zwischen den auf der Erfahrung beruhenden Voraussagen und dem unbegründeten Vorzeichen sei nichtsdestotrotz sehr schmal. Bodin verurteilte den ›abergläubischen Volksglauben‹, der weder auf offensichtlichen Ursachen, noch auf der Erfahrung, noch auf der Bibel fußte, dafür den Weg für Zauberei und täuschende Versprechen des Teufels bahne.92 Bodin kehrte ein Argument von Wier um, indem er behauptete, dass die Hexen ihre Zauberei natürlich zu begründen versuchten.93 Allgemein seien alle Wahrsagungskünste, die sich innerhalb des gängigen Wegs der Natur entwickelten nicht erlaubt, im Gegensatz zu denjenigen, etwa den Monstra bzw. missgestalteten Menschen und den Prodigien, den Wundern, die die Natur überstiegen.94 Wier hatte vermieden, sich dazu zu äußern. Einerseits erweiterten Wier und Bodin die teuflische Tätigkeit bei allen Wahrsagungskünsten aus orthodoxen Gründen, andererseits beschränkten sie den Teufels Machtbereich aus wissenschaftlich-philosophischen Gründen. Das waren paradoxe, jedoch komplementäre Antworten auf einen allgemeinen konfessionellen und epistemologischen Wandel. Während die Konfessionen gleichzeitig gefestigt und hinterfragt wurden, äußerten sich die Gelehrten zum Okkulten. Wier rechnete die Wissenschaft dem Bereich des Augenscheinlichen und Feststellbaren zu, im Gegensatz zu den okkulten Phänomenen, die er als nicht fundiert betrachtete. Bodin schloss im Teuflischen all jene magischen Praktiken ein, denen sich Kirche und Staat entzogen. Wier und Bodin vertraten also zwei partiell divergierende Meinungen zum selben grundlegenden Wandel, wonach die Realität allmählich nicht mehr als Häufung von Zeichen, sondern von Tatsachen gesehen wurde.95 Ebenso wie das Faustbuch drückten sie das Bemühen um eine Einordnung der Realität aus. 3.2.1
›Medizinische Rationalität‹ und »Gewalt der Einbildung«
In seinem Essay »Eine teuflische Neurose im 17. Jahrhundert« wertete Sigmund Freud die »dämonologische Theorie jener dunkler Zeiten« gegen »alle somatischen Auffassungen der »exakten Wissenschaftsperiode« auf, da die damaligen Besessenheiten »unseren Neurosen« entsprächen, »zu deren Er-
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Bodin (1979/1587), Fol. 41 v°; Ders. (1973/1591), S. 46–47. Bodin (1979/1587), Fol. 38 v°. Vgl. André Petitat: L’écartèlement. Jean Bodin, les sorcières et la rationalisation du surnaturel. In: Revue européenne des sciences sociales 30/93 (1992), S. 79–101, hier 83. Vgl. André Petitat: Un système de preuve empirico-métaphysique: Jean Bodin et la sorcellerie démoniaque. In: Revue européenne des sciences sociales 30/93 (1992a), S. 39–78; Clark: Thinking wit demons (1997), S. 184–213. Zur Entstehung des Begriffs ›Tatsache‹, vgl. Shapin, Schaffer (1985); Eamon; Lorraine Daston: Wunder, Beweise und Tatsachen (2001).
143 klärung wir wieder psychische Mächte heranziehen«.96 Als Freud eine die Psychoanalyse mit der rein psychischen Behandlung der Geisteskranken der Frühen Neuzeit verglich und sie der Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts gegenüberstellte, täuschte er sich doch. Denn in der Frühen Neuzeit bemühten sich gerade alle Mediziner – sowohl die Befürworter des Arguments über die imaginäre Natur eines teuflischen Pakts als auch deren Widersacher – ein physiologisches Substrat für die teuflische Ansteckung nachzuweisen. Dabei versuchten sie tatsächlich, eine Art medizinischer Rationalität zu beweisen, ein Streben, das bereits in den ersten Zeilen der Abhandlung Wiers, in der er das Ethos der Mediziner von demjenigen der Theologen, Philosophen und Juristen differenzierte,97 offenkundig wurde. Unter ›rational‹ wird an dieser Stelle ein Glaube oder eine Handlung verstanden, die begründet und von allen Betroffenen auch als begründet und kohärent anerkannt wird. Im gesamten vierten Buch der Demonomanie wurde die teuflische Einmischung in die Welt verteidigt, und nicht auf Melancholie, ›fallende Sucht‹ oder Epilepsie, Träume und Träumereien, auf Salben und Gifte beschränkt. Dem herkömmlichen Kirchenverständnis folgend behauptete Bodin, dass Gott und der Teufel, als unsichtbare Geister, sich manchmal sichtbar, hörbar oder wahrnehmbar äußern könnten. Aus theologischen Gründen begrenzte Bodin jedoch den Einflussbereich des Teufels. Er verwandte dazu das übliche katholische polemische Argument, Gott habe den Teufeln verboten, den Menschen ihren freien Willen zu nehmen. Der Teufel sei daher nicht imstande, die Seele vom Körper zu trennen. Desgleichen könne er den Menschen nicht in Tiere verwandeln, ihnen allerdings durch seinen Einfluss auf ihre Imagination den entsprechenden Eindruck suggerieren. Bodin bejahte also, wie Wier, die Macht des Teufels über die Einbildungskraft. Die Argumente zur Melancholie, den Träumen und zur Ekstase waren jedoch viel subversiver, da sie die teuflische Besessenheit als geistige Erfindungen, irrsinnige Hirngespinste, kurzum als irreale Trugbilder erscheinen ließen. Denn wenn die teuflische Besessenheit geistiger Wahnvorstellungen produzierte, warum war Gott nicht auch eine menschliche, krankhafte Einbildung? Eine derartige logische Umkehrung hätte die Autonomie der Kirche zunichte gemacht.98 Gegen das Argument zur Melancholie und zum Traum brachte Bodin die Universalität der Hexerei vor: Die Pathologie könnte ausschließlich individuelle, nicht jedoch zahllose, uralte Besessenheitsfälle aus vielen Ländern 96
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Sigmund Freud: Eine teuflische Neurose im 17. Jahrhundert. In: Gesammelte Schriften. Hg. von Anna Freud. Bd. 10. Totem und Tabu. Arbeiten zur Anwendung der Psychoanalyse. Leipzig u.a. 1924, S. 409–445, hier 409–410. Wier (1970/1586), Fol. (?) (?) ij r°. Vgl. dazu den interessanten Aufsatz von Petitat: Un système de preuve (1992), S. 48–49, dem ich folge.
144 erklären. Nicht alle hingerichteten Hexen seien zudem verrückt. Wie oben bereits angedeutet, behauptete er nach wie vor, dass die Melancholie vorwiegend eine männliche Krankheit sei, die somit das weibliche Phänomen der Hexerei nicht erklären könne. Letztendlich würde das Argument einer geistigen Störung nicht nur die Hexen, sondern sämtliche anderen Übeltäter für unschuldig erklären. Die melancholische Krankheit sei nicht die Ursache von teuflischen Träumen und Wahnvorstellungen, sondern deren Auswirkung. Dass der Teufel seine Anhänger von einem Ort an einen anderen bringen, dass er den Geist der Hexen außerhalb ihres Leibs lebendig halten, und dass er verzücken könne, seien weitere Beweise der Unsterblichkeit der Seele. Auch die von Wier angeführten Schlaftrünke könnten keinen künstlichen Schlaf bewirken. Da Bodin die potentielle Gefahr einer radikalen Pathologisierung der Besessenheit eingesehen hatte, wollte er seine Gegner mit einer schlagenden Beweisführung der realen teuflischen Wirkung mundtot machen. Er war überzeugt, dass er empirische, sinnliche, unbestreitbare Argumente vorbrachte, während seine Gegner eine bloße Verwechslung von Realem und Imaginärem anprangerten. Im Gegensatz zu »Wier, der die Metaphysik als Physiker behandeln will«,99 unterschied Bodin drei unterschiedliche Realitätsbereiche, die er bereits im Jahre 1566 in seinem Lehrbuch für eine einfache Erkenntnis der Geschichte (Methodus ad facilem historiarum cognitionem) vorgestellt hatte:100 den physischen Bereich (die natürlichen Phänomene), den Bereich der Politik (die menschlichen Phänomene, die vom Willen des Einzelnen und von physischen Gesetzen verursacht wurden) und den göttlichen Bereich, d. h. die unerklärbaren Phänomene, die Gegenstand der Theologie und der Heilsgeschichte seien. Hexerei durch natürliche Unruhe (den Wahn), künstliche Aufregung (Drogen, Salben) oder durch eine physiologische Störung der Imagination (die im Übrigen die Existenz des Teufels rettete) zu erklären, führe zur Verwirrung der jeweiligen Bereiche und Kompetenzen, somit zur Schwächung des Staates. Denn jede Wissenschaft besitze einen eigenen Blickwinkel und eigene Gesetze, und beruhe auf analytischen Unterschieden. Natürliche Phänomene seien lediglich erklärbar durch andere natürliche Erscheinungen, die den Bereich der Physik bilden. Die physischen Gesetze seien stabil und Gegenstand der logischen Notwendigkeit. Die menschlichen Gesetze seien hingegen 99
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»Wier, qui veut disputer en Physicien de la Metaphysique …«. Bodin: »Refvtation des opinions de Iean VVier«. In: Ders. (1979/1587), Fol. 238 v°-276 v°, hier 266 v°. Deutsch: »Weier aber/ der von der Mataphysic [sic] will Physicisch disputiern …« In: Bodin: »Die Widerlegung der Meynungen vnd Opinionen Johannes Weyer«. In: Ders. (1973/1591), S. 258–297, hier 287. Jean Bodin: Méthode pour faciliter la connaissance de l’histoire (1572). In: Œuvres philosophiques de Jean Bodin. Aus dem Lateinischen von Pierre Mesnard. Paris 1951, S. 281.
145 wechselnd und Gegenstand des Wahrscheinlichen. Gott sei frei in seiner Schöpfung, frei insbesondere, sich in sein Werk einzumischen. Der reale Alltag stellte seinerseits eine Mischung von natürlichen und übernatürlichen Phänomenen und Ursachen dar. Die Autonomie der physischen und menschlichen Bereiche sei also nicht vollständig. Demnach sei »nicht unmöglich, was natürlich unmöglich ist«:101 Es sei ein gottloser Kardinalfehler »zu sagen, man solle nicht an das glauben, was natürlich unmöglich ist«102 Mit anderen Worten: Nach Bodin war die Physik nicht ohne eine Metaphysik denkbar. Deshalb schlug er in seiner Demonomanie ein System von metaphysischen und empirischen Beweisen der Realität von teuflischer Besessenheit vor.103 Bodins metaphysische und empirische Anthropologie kannte keine experimentelle Nachprüfung bzw. Untersuchung. Obwohl die Erforschung der Melancholie mit einer spektakulären Hinterfragung der Legitimität von Hexenprozessen endete, die Wiers Ruhm in der Nachwelt sicherte, erscheint sie einem heutigen Leser kaum beweisführend. Denn er versuchte, eine physiologische Erklärung der geistigen Vorgänge mit protestantisch-orthodoxen Traditionen zu kombinieren. Bereits in der Vorrede nahm er seine Argumentation wie folgt vorweg: Dieweil sie [die Hexen, C.G.] nach art Weiblichs geschlechts unstandthafftig/ wanckelmuetig/ auch alters halb widerumb zu Kindern werden/ daß sie von solcher ursachen und anlasses wegen/ deß Teuffels fatzwerck fuer anderen Leuten underwuerffig werden/ welcher denn auß ursach erregtes anlasses/ sich in jr einbildung hinein verschlecht/ unnd sie wachen gleich oder schlaffen/ allerley vorschwebenden Bilder so er begert/ jhnen fuerkommen lest/ welchs er in jnen zu vollbringe[n]/ die natuerliche feuchte un[n] spiritus so meisterlich bewegt/ daß sie eben nichts anders koennen oder moegen bekennen/ den[n] daß sie an den dingen/ so vom Teuffel selbst/ ohn mithuelff eines Menschen/ auß Gottes verborgenem willen/ oder durch sein verhengniß beschehe[n]/ deßgleichen an grossem moerdtlichen schaden so Leuth vnd Viehe vberfalle[n]/ Item an begangnen lastern/ auch deß vbels/ so vnderweilen auß natuerlichen vrsachen enstehet/ schueldig seyn/ wie wir denn gleicher weiß erfahren/ dass auch dene[n] so von der Melancholey vberladen/ das gemuet vnd sinn mit allerley vorschwebenden bildtnissen verletzt wirdt. […] Daher denn/ dass ja zwischen jnen vnd den Teuffelsbeschwerern oder Schwarkuenstlern/ ein grosser vnderscheid sey/ menniglichen wol abzunem[m]en ist. Den[n] die Zauberer belangend/ seyn sie mehrtheils gelehrte/ wolbesin[n]te Maenner/ aber jedoch zuuiel sorgfeltig/ fuerwitzig/ die sich auch vnderweilen frembde Landtschafften zu besuchen/ vndernem[m]end/ zu dem zweck unnd end/ dass sie etwan ein Sathanische kunst erhaschen/ dardurch sie nichts anders/ den[n] ein lauter Teuffels geplaerr ausserhalb allgemeinem lauff der Natur sehen lassen vnd spiegeln: Diese aber sind mehrtheils Weibsbilder/ schwache geschirr/ betagtes alters/ jhrer sinne[n] auch nicht aller dinge[n] bey jnen selber/ auch vber das alles sich daheimen/ vn[n] bey hauß finden lassen/ in welcher arbeitseliger/ elenden Vetteln/ als gantz bequemlicher geschirren vnd Werckzeugen/ Phantasey vnd einbildung/ wann sie mit
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»Ce qui est impossible par nature n’est pas impossible«. In: Demonomanie, Ausgabe Paris 1580, Fol. 183 v°. »C’est donc vne fausse maxime, & pleine d’impieté, de dire qu’il ne faut pas croire ce qui est impossible par nature.« Ebd., Fol. 242 r°. Den Ausdruck entleihe ich Petitat: Un système de preuve (1992).
146 einer Melancholi oder trawrigkeit beladen/ oder sonst etwan zaghafftig seyn/ Er als ein gantz subtiler Geist sich hinein schleicht vnd verkreucht: vnd bildet jhnen durch seine verblendung un[n] teuscherey allerley unglueck/ schaden vnd verderben anderer Leuth so starck eyn/ dz sie/ vnangesehen wie groß vnd nachtheilig dieselbigen auch seyn moegen/ nicht anders meynen/ dann sie habens gethan/ da sie doch gar nichts damit zuschaffen gehabt/ vnd der sachen aller dings unschueldig seyn.104
Wier suchte eine physiologische Erklärung der teuflischen Wirkung, ohne dabei die Existenz des Teufels selbst in Frage zu stellen. Er unterschied zwei körperliche Ursachen der teuflischen Einmischung – das ›von Natur her kalte und feuchte‹ Temperament der Frauen und die Melancholie –, und beschrieb dann diese in physiologischen Worten: der Teufel erzeuge eine derartige Verwirrung der Körpersäfte und spiritus, dass der bzw. die Betroffene die teuflischen Taten, wie beispielsweise den Sabbat und die Kopulation, für eigene Handlungen halte. Deshalb bekannten die Hexen in ihrem Prozess auch, dass sie zum Sabbat geflogen wären. Der Teufel brächte die Seele seiner Opfer derart durcheinander, dass er ihr »Gemüt« (d. h. Geist und Willen) und vor allem ihre »Einbildung« verrückt machte. Der Teufel verursachte also eine Geisteskrankheit: die Verwechslung von Realität und Imaginärem. Die Verteidigung der Hexen war demnach schwach. Denn obgleich die Hexen krank wären, obgleich sie am Sabbat lediglich im Traum teilgenommen hätten, würde diese Verwirrung ursprünglich von einer teuflischen Einmischung verursacht. Die Modalitäten des teuflischen Eingreifens waren kaum überzeugender. Wier verwarf beispielsweise Ludwig Milich (†1575), einen Lehrer Melanchthons, den Wier als Nachahmer Paracelsus’ vorstellte, weil er geschrieben hatte, »daß der Teuffel die schweißloecher des menschen leibs koenne erweitern« und dadurch »spitzige ding in den leib bringen«.105 Wier setzte sich jedoch hier nicht mit der Einmischungsart des Teufels auseinander, sondern mit dem Versuch Milichs, die Tradition des Werfens von Nadeln, Messern und allgemein spitzen Objekten aus dem Körper der Hexen wissenschaftlich zu erklären. Wier bestritt nicht einmal den Wahrheitsgehalt dieser Überlieferung. Dem Bemühen Milichs um Verwissenschaftlichung einer Legende stellte er eine andere Verwissenschaftlichung derselben Legende gegenüber. Nach Wier war es nicht unmöglich, Nadeln und Messer zu schlucken ohne den Magen und die übrigen Organe zu verletzen.106 Das teuflische Eingreifen erklärte Wier letztendlich durch den Rekurs auf den vagen Begriff der Subtilität, der von Girolamo Cardano vorgebracht worden war107 Den Teufel und seine Tätigkeit charakterisierte er folgendermaßen:
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Wier (1970/1586), Fol. (?) (?) iiij v°. Ebd., S. 267. Ebd., S. 30. Cardano: De subtilitate (2004/1550).
147 Sie [die bösen Geister bzw. der Teufel, C.G.] sind subticle Geister mit keinem materialischen Leib/ wie aber unsere Seelen, die also zureden/ in einem finstern Thurn gefangen liegen/ beladen sind. Vnnd deßhalben stossen sie uns den stein weit vor mir mit jhrer substantz vnd wesens subtiligkeit/ mit vnseglicher Behändigkeit/ mit scherpffen aller sinnen/ vnd in sonders von wegen deß natuerlichen liechts/ verstandts oder urtheils/ der in jhnen/ weder in vns viel heller/ auß welchen sie (doch nicht ohne Gottes verhengnis) viel zum theil warhafftig/ zum theil aber betrieglich/ nicht allein verstehen/ sondern auch in das werck fueren moegen.108
Dann gab er seine Verlegenheit zu: Denn es ist jhe die subtiligkeit der boesen Geister so unbegreifflich/ vnnd jhre beschiß vnnd betrug so vnverdrossen/ dass jhnen kein arbeit ist/ deß Menschen sinn vnd gedancken dermassen fatzen vnd vmb treiben.109
Die ›Subtilität‹ des Teufels führte zum Traum als sein beliebtestes Medium. Jedoch, wenn der Teufel so fein war, warum zog er dann vor allem »viel groebere Geister« an und vereinte sich vorwiegend mit »vnreinen neidischen«110 Seelen? Wie Bodin bemühte sich Wier keineswegs um eine experimentelle Untersuchung der ›teuflischen Pathologie‹. Der Annahme einer realen Besessenheit stellte er lediglich andere Hypothesen gegenüber. Einer antiken überlieferten Tradition entgegen behauptete er beispielsweise, dass die Epilepsie »keineswegs heiliger […] weder eben alle anderen kranckheiten«111 sei. Dies begründete Wier nicht mit einer physiologischen Erforschung, sondern mit der allgemeinen Kritik an den ›unwissenden Ärzten‹, die ihre Unkenntnisse durch den Verweis auf die Heiligkeit der Krankheit versteckten.112 Seine Charakterisierung der »Gewalt der Einbildung«113 war hingegen etwas Neues. Was Wiers Zeitgenossen beeindruckte war, neben seinem burlesken und selbstbewussten Stil, seine knappe, polemische Äußerung, wie beispielsweise »der Bundt oder Pact« mit dem Teufel »als wenn er jhm [hier also spricht Wier von einer männlichen Hexe, C.G.] nemlich im schlaff oder sonst/ ein phantasma/ das ist/ etwas gesichts/ oder einen boesen Geist/ mit eim phantastico corpore«.114 Damit stellte Wier die gesamte scholastische Hexenlehre seit der Bulle Super illius specula von Papst Johannes XXII. (1326) und deren Anordnung, Schadenzauber nach den Strafbestimmungen für Ketzer zu ahnden, in Frage. Die vom Teufel verwirrten Körpersäfte und spiritus machten, laut Wier, die Imagination und dadurch die äußeren Sinne verrückt und brachten folglich einen Verlust des Realitätssinns mit sich. 108 109 110 111 112 113 114
Wier (1970/1586), S. 21–22. Ebd., S. 156. Zitate aus Ebd., S. 75. Ebd., S. 140. Ebd., S. 138. Ebd., 162. Ebd., S. 149.
148 Denn die Imagination war das mächtigste Vermögen der Seele. In Anlehnung an Iamblichos von Chalkis schrieb Wier von der Imagination oder »Phantasey«, dass es ihr »allen krefften der Seelen anerboren/ sie figuriert vnd bildet aller gestalten gleichnissen vnd erscheinungen/ sie vberschickt auch solche auß einer krafft in die ander. Den[n] was im eusserlichen sin[n]/ also zu reden/ zwitzert/ dz schickt sie fort in die opinion/ in jr selbst aber ist sie allerley bildnissen vehig.« Er ging sogar noch einen Schritt weiter, mit Bezug auf Marsilio Ficino, der »der beruehmt Platonicus« benannt wurde: »Die imaginatio oder phantasey bildet die werck d’ vernunfft und’ der gestalt/ dere[n] dingen so mit eusserlichen sin[n]en begreifflich/ ja sie schreitet auch weiters vnd formiert solche phantasmata oder gesichter/ die keinem eusserlichen sin[n] je begegnet sind«. Aufgrund ihrer Funktion als Knotenpunkt zwischen den äußeren und den inneren Sinnen, bewirke die mit vom Teufel angeregten spiritus erfüllte Imagination »vier anfechtungen/ Begierde nemlich/ Wollust/ Forcht vnnd Schmertz«.115 Die Imagination erwies sich als besonders »starck« bei »Kindern/ Weibern/ Vnsinnigen/ bloeden vnnd krancken/ welche von deß Leibs vnd deß gemuets wegen/ von steter forcht vnd eitel traeumen getrieben werden.«116 Nachdem er sich bei dieser Definition auf die Neuplatoniker gestützt hatte, wandte sich Wier nochmals Aristoteles zu. Er wiederholte dessen Definition der Imagination als Vermittlungsinstanz zwischen den fünf äußeren und den drei inneren Sinnen, und dessen physiologische Untersuchung über den Ablauf der Imagination, die während der Verdauung durch die vier Körpersäfte auf das Gehirn produziert werde. Um den imaginären Charakter des Teufelsbündnisses zu begründen, übernahm Wier zunächst die neuplatonischen Bestimmungen der Macht der Imagination, dann deren aristotelische physiologische Erklärung. Er ging jedoch viel weiter, indem er die Autonomisierung dieser bewegten Körpersäfte und spiritus zunächst in der Imagination, dann in den anderen inneren und äußeren Sinnen beschrieb: Vnd wie den vollen/ vnsinnigen/ vnnd Melancholischen die Ratio oder vernunfft/ durch jhre boese feuchtigkeiten vnnd daempff/ geschendet wirdt/ als kann sie auch der Sathan/ welcher selbst ein Geist ist/ bewegen/ zu seinem fatzwerck (durch Gottes verhengniß) brauchen/ vnd dardurch die vernunfft dermassen verderben/ daß sie deren dingen die niergendt in der Welt vorhanden/ bildnissen/ nicht anderst/ denn als ob sie zugegen/ fassen/ vnd darob auch steiff halten. Daher dann auch Thomas lehret [Thomas von Aquin, Summa theologica, q. 70, § 2, C.G.]/ es moege der Teuffel wol zu wegen bringen/ daß der imagination etliche formen/ allein imaginariè vnnd auß einbildunge fuergeworffen vnd presentiert werden.117
Die Imagination wurde nicht mehr nach der aristotelischen Tradition als ein einfaches, passives Vermittlungsvermögen zwischen den fünf äußeren und 115 116 117
Alle Zitate befinden sich in: Ebd., S. 161–162. Ebd., S. 162. Ebd., S. 163–164.
149 den drei inneren Sinnen verstanden. Sie wurde jedoch auch nicht als eine schöpferische, dichterische Kraft, sondern als potentielle zerstörerische Macht konzipiert. Nun verwies sie auf einen psychischen, unkontrollierbaren Innenraum der Versuchung, der täuschende Fiktionen erzeugen und Glauben und Aktionen suggerieren konnte. Es handelte sich demnach nicht nur um das landläufige Thema der Macht der Imagination, sondern um die »Gewalt der Einbildung«. Der Traum wurde folglich unmittelbar mit dem Wahn assoziiert: »Denn Traeume[n] sind gleich etliche Gesicht der wachenden/ die denn verletzte sinn haben/ als die vnsinnigen/ vnd so mit allerley taubsucht beladen sind.«118 Bei der Entstehung des Wahns spielte der Sehsinn eine maßgebliche Rolle. Denn die Bilder entstanden durch die Bewegung des spiritus visorii in den nervii optici.119 Wier hieß die längere Entwicklung des höher bewerteten Sehsinns im Verhältnis zum Hörsinn gut – im Gegensatz zur gängigen Meinung um 1510 von Charles de Bovelles und Luther. Wier bestritt also keineswegs die Existenz des Teufels per se, sondern beschränkte – wie die meisten deutschen Lutheraner in Abgrenzung von der Praxis des Exorzismus120 – seinen Untersuchungsbereich auf die Seele. Er unterstrich die Autonomie des Ärzte-Ethos und entwickelte eine physiologische Erklärung von der Besessenheit, die zu einer neuen Auffassung der Einbildungskraft als aktive und gefährliche Macht von Irrtümern führte. Während Wier das Übernatürliche auf die Physiologie und die Imagination verschob, rechnete Bodin es jedem seiner drei Realitätsbereiche zu. Beide Gelehrte jedoch trugen zu einer dualistischen Einordnung der Welt bei. Betraf diese Diskussion lediglich zwei namhafte, jedoch einzelne Individuen? 118 119 120
Ebd., S. 164. Ebd., S. 149, 161 In der zunehmend für katholisch gehaltenen Praxis des Exorzismus griff der Teufel den Körper des Betroffenen an. Augustinus hatte ausgeschlossen, dass der Teufel die menschliche Seele erobern könnte. Allein Gott habe einen Zugang zur menschlichen Seele. Die Kirchenväter Johannes Cassianus (360–435) und Evagrius Ponticus (ca. 345–399) beschrieben jedoch eine vom Teufel bewirkte Trägheit der Seele. Die Möglichkeit einer rein seelischen Besessenheit tauchte jedoch im Katholizismus erst mit Hildegard von Bingen (1098–1179) auf und wurde erst im 17. Jahrhundert zunehmend anerkannt. Ihrer pessimistischen Anthropologie entsprechend betonten die Lutheraner den Sündenfall und die Verdunkelung der Seele nach der Vertreibung aus dem Paradies. Sie betonten früher und stärker als die Katholiken, dass der Teufel den schwächtesten Teil der Seele, die Imagination, angreife. Im »Commentarivs de praecipvis divinationvm generibvs« Peucers mischt sich der Teufel in die Seele ein. Zur Bessenheit im Katholizismus, vgl. Nancy Caciola: Discerning Spirits. Divine and demonic possession in the Middle Ages. Ithaca/London 2003 (Conjunctions of religion & power in the medieval past); Irena Backus: Le Miracle de Laon. Le déraisonnable, le raisonnable, l’apocalyptique et le politique dans les récits du miracle de Laon (1566–1578). Paris 1994 (De Pétrarque à Descartes 58); Moshe Sluhovsky: Believe Not Every Spirit. Possession, Mysticism, and Discernment in Early Modern Catholicism. Chicago/London 2007, S. 28–31.
150 Inwieweit glaubten deren Zeitgenossen an die Wahrhaftigkeit des Teufelspakts bzw. an seine fiktive Natur, welches Imaginationsverständnis teilten sie? Die Debatte zog sich noch mehrere Jahrzehnte hin. 3.2.2
Wissensstandards zur teuflischen Besessenheit
Das Echo der Abhandlung Wiers war gewissermaßen auf ihre Aktualität zurückzuführen. Sie stellte einige Schlüsselfragen zur Definition von Ursache, Kriterium und Beweis, mit denen viele Theologen, Philosophen und Ärzte konfrontiert waren. Was war die exakte kausale Begründung der teuflischen Wirkungen? Welchen Gesetzen waren sie unterworfen oder welchen handelten sie zuwider? Mit Hilfe welcher Kriterien konnten die realen von den täuschenden Aspekten unterschieden werden? Wo in der epistemischen Kette, die von den Wundern über die natürlichen außerordentlichen Phänomene bis zum üblichen natürlichen Zufall reichte, sollte die teuflische Einmischung verortet werden? Diese Debatte, die von vielen individuellen oder institutionellen Akteuren mit der vollen Kraft und dem gesamten Spektrum der pädagogischen und rhetorischen Praktiken geführt und angefochten wurde, fand sich in mehreren Textgattungen – in Handbüchern für Inquisitoren, in theoretischen Abhandlungen, in vielen Predigten – und in der Praxis, in Prozessen wegen Hexerei oder Zauberei; sie soll demnach hier entsprechend differenziert untersucht werden. Der zeitgenössischen Wahrnehmung entsprechend, »dass sich in Deutschland mehr Hexen finden als anderswo«,121 wurden im Heiligen Römischen Reich zahlreiche, katholische wie protestantische Handbücher zu den Hexenprozessen veröffentlicht bzw. rezipiert. Die Rezeption von Bodins Demonomanie im Heiligen Römischen Reich hing ebenfalls nicht unmittelbar von dem jeweiligen konfessionellen Bekenntnis ab.122 Ungeachtet der unterschiedlichen konfessionellen Akzente, trug die Kontroverse um Wiers Abhandlung zu einem allgemeinen Wandel in Bezug auf die Verteidigung der Beschuldigten aufgrund ihrer vermeintlichen Geisteskrankheit bei.123 Im traditionellen römischen Strafrecht wurde der Wahn, insofern der Beschuldigte ihn nicht vortäuschte, als hinreichender Grund für einen Freispruch gewertet: Wahn sei bereits an sich eine ausreichende Strafe. Der Irr-
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Friedrich von Spee: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. München 1982 (DTV Bibliothek), S. 2. So zumindest die Meinung von Stefan Janson: Jean Bodin, Johann Fischart: De la Démonomanie des sorciers (1580) – Vom Ausgelaßnen wütigen Teuffelsheer (1581) und ihre Fallberichte. Frankfurt am Main/Bern u.a. 1980 (Europäische Hochschulschriften 1.352). Vgl. H. C. Erik Midelfort: Johann Weyer and the Transformation of the Insanity Defense. In: The German people and the Reformation. Hg. von Ronnie Po-Chia Hsia. Ithaca/London 1988, S. 234–261.
151 sinn (furor, insania, mentis alienatio, dilucida intervalla) wurde dennoch in rein juristischen Worten konzipiert. Als sich im 16. Jahrhundert das deutsche Gesetz zunehmend explizit auf das römische Gesetz, das römische Gerichtsverfahren und das Kirchenrecht bezog, veränderte sich das Verständnis für die Hexerei. Während die meisten weltlichen Gerichtsbarkeiten um 1500 sie als maleficium, d. h. als schädliche Magie bzw. als Betroffenheit von einem physischen Leiden durch unerlaubte, teuflische Handlungen verstanden hatten, wurde sie nach der Erscheinung des Malleus Maleficarum von den Dominikanern Heinrich Institoris und Jacob Sprenger eher als spirituelles Übel, absichtliche Sünde und Häresie verurteilt.124 Übrigens löste der Malleus Maleficarum keine Welle der fanatischen Verfolgung aus. Das in deutscher Sprache verfasste Rechtsbuch Layenspiegel des Juristen Ulrich Tengler (Augsburg 1509), beinhaltete nur einen Absatz zu den als Ketzer definierten Hexen und Magiern. Dieser Traktat wurde vom Theologen Christoph Tengler, Ulrichs Sohn, zum zweiten Mal im Jahre 1512 herausgegeben. Christoph Tengler setzte einige Stellen aus der Goldenen Bulle (1356) und vor allem vier Seiten hinzu, in denen er die der Hexerei zugeschriebenen phantastischen Ereignisse und die daraus folgenden Zweifel bei manchen Juristen darlegte.125 Bereits lange vor Wier waren die dämonologischen Erklärungen außerordentlicher Phänomene bestritten worden. Pietro Pomponazzi hatte sich auf Aristoteles gestützt und zweifelte die Teufels Tätigkeit auf Erden an. Pomponazzi war bei diesem Gedanken bald in den Ruf des Atheisten geraten, er blieb deshalb marginal. Als deutlich einflussreicher erwiesen sich viele Anhänger der ›natürlichen Magie‹, deren Bezugnahme auf okkulte natürliche Ursachen die dämonologischen Erklärungen ersetzten.126 Nachdem Symphorien Champier,127 ein Herausgeber hermetischer Texte, bereits im Jahre 1500 den Wunsch geäußert hatte, dass in den Hexenprozessen die Richter für die Urteilsfindung stets Experten der Medizin und der Theologie hinzuzie124
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Heinrich Institoris (Kremer), Jakob Sprenger: Malleus maleficarum 1487. Mit Bulle und Approbatio. Hg. und eingeleitet von Günter Jerouschek. Hildesheim u.a. 1992 (Nachdruck des Erstdruckes Speyer: Drach. 1487). Ulrich Tengler: Laienspiegel. Von rechtmaessigen ordnungen inn Burgerlichenn vnd Peinlichen Regimenten … Straßburg: Rihel/Messerschmidt. 1550 (11509); Christoph Tengler: Der neu Layenspiegel von rechtmaeßigen ordnungen in burgerlichen vnd peinlichen Regimenten … Augspurg: Rynmann/Othmar. 1511. Vgl. dazu den fundierten Aufsatz von Stuart Clark: Demons and disease. The disenchantment of the sick. In: Illness and Healing Alternatives in Western Europe. Hgg. von Marijke Gijswijt-Hofstra, Hilary Marland, Hans de Waardt. London 1997, S. 38–58. Vgl. Symphorien Champier: Dyalogus … in magicarum artium destructionem. Lugdunum ca. 1500, übersetzt von Brian P. Copenhaver und Darrel Amundsen, in: Brian P. Copenhaver: Symphorien Champier and the Reception of the Occultist Tradition in Renaissance France. The Hague 1978, S. 289, 191–198. Vgl. auch dazu Frances A Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition. London 1964, S. 172.
152 hen sollten, hatte Paracelsus128 die – reale – Macht der Hexen aus ihrer angeborenen Persönlichkeit, aus der Macht ihrer Imagination aber nicht aus teuflischen Pathologien abgeleitet. Im Jahre 1550 behauptete Girolamo Cardano, dass die Hexen unter Melancholie litten und sie dadurch zu der Annahme verleitet würden, dass sie wunderbare und erschreckende Handlungen unternahmen.129 Gleichzeitig schrieb Caspar Peucer, dass die vom Teufel verführten Hexen lediglich von ihrer Reise zum Himmel träumten.130 Als Giovanni Battista della Porta seine Magia naturalis veröffentlichte, verbreitete sich die Mär, dass bestimmte Kräuter und Gifte fürchterliche Träume verursachen konnten und dass einige Hexen daher eine besondere Salbe benutzten, um sich in einen Trancezustand zu versetzen und so Visionen von Flug und Sabbat zu bekommen.131 Diese Äußerungen blieben jedoch vor der großen Hexendebatte um Wier und Bodin wenig bekannt. Die aufsehenerregende Auseinandersetzung zwischen dem Leibarzt des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg und dem französischen Theoretiker des Absolutismus spaltete die Gelehrtenwelt nicht in zwei gegeneinandergestellte Fronten. Es zeichnete sich eher ein breites Farbspektrum von nuancierten Tönen ab. In Bezug auf die Beschränkung der Macht des Teufels in der natürlichen Welt und dessen Täuschungsmanöver sowie die Erklärung der Hexerei als Folge des verfallenden Zustands der Welt äußerten sich Katholiken und Protestanten ganz ähnlich wohl aufgrund ihrer gemeinsamen theologischen, auf Augustinus und Aquin beruhenden Prägung. Folglich zitierten sich katholische und protestantische Autoren häufig. Trotz des Widerrufs des namhaften katholischen Theologen Cornelius Callidus Loos aus Gouda in Trier im Jahre 1592 seiner öffentlich dargebrachten »unkatholischen« Ansichten und trotz der fortdauernden katholischen Gleichstellung von Hexerei und Ketzerei, drückte sich die konfessionelle Zugehörigkeit eher in der jeweiligen Akzentuierung sowie in der Ziel- und Prioritätenbestimmung aus. Die protestantische Debatte wurde offener geführt, manchmal radikaler, insbesondere bei den Calvinisten. Die Protestanten betonten die Reichweite der göttlichen Macht und der Vorsehung, wohingegen die Katholiken, insbesondere in Bayern, zunehmend das gerichtliche Verfahren kritisierten. An dieser Stelle möchte ich nicht den Verlauf der Auseinandersetzungen zusammen-
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Vgl. Paracelsus: »De sagis et earum operibus«. In: Ders.: Philosophiae magnae. Basel 1569, S. 214–239. Dazu: Charles Webster (1982), S. 80–85. Girolamo Cardano, De rerum varietate. Basilea 1557, Kapitel 8. Zitiert nach Peter Burke: Witchcraft and Magic in Renaissance Italy. Gianfrancesco Pico and His »Strix«. In: The Damned Art: Essays in the Literature of Witchcraft. Hg. von Sydney Anglo. London 1977, S. 32–52, hier 41, 48. Vgl. Freyburger (1988), S. 338. Giovanni Battista della Porta: Magia naturalis. Napoli 1558. Vgl. dazu Hans-Peter Dürr: Traumzeit. Über die Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation. Frankfurt am Main 1978, S. 8–9.
153 fassen,132 sondern die verwendeten epistemologischen Argumente kurz vorstellen. Wiers Argumente wurden in die einflussreichsten juristischen Handbücher aufgenommen. Maßgebend wurden der Tractatus de magis von Johann Georg Gödelmann, Professor für Jura in Rostock, und die Practica Nova (1635) von Benedict Carpzov, Professor für Jura in Leipzig, Mitglied des Leipziger Berufungsgerichts namens Schöffenstuhl und, acht Jahre lang, Geheimer Rat am Dresdner Hof.133 Aus Angst, unschuldiges Blut könnte vergossen werden, appellierten beide für strengere Beweise für ein Delikt und stellten den Zeugnisstatus der Gerüchte, die Anwendung des Ordals sowie der Folterung in Frage. Obwohl Gödelmann niemals die Hexerei als solche anzweifelte, unterschied er, in Anlehnung an Wier, zwischen Hexerei, einem illusorischen Verbrechen, das als solches nicht strafbar sei, und maleficium, einer Anwendung der schwarzen Magie, die einen Pakt mit dem Teufel voraussetze und das Todesurteil als Strafmaß verdiene. Die Hexen (lamiae) würden imaginäre Verbrechen, die den Naturgesetzen widersprächen, bekennen: … was dass reitten vnnd fahren der Hexen auff Boecken/ Besem/ Gabeln/ Stecken nach dem Blocksberg oder Hewberg zum wolleben vnd zum Tantz/ deßgleichen auch von den Leiblichen vermischungen/ so die boese Geister mit solchen Weibern vollnbringen sollen/ anbelangt/ Achte ich nach meiner einfalt darfuer/ dass es ein lauter Teuffels gespenst/ triegerey/ vnd Phantasey ist/ nicht allein dieweil es contra naturam corporis physici …134
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Vgl. dazu Wolfgang Behringer: Hexenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der frühen Neuzeit. München 31997; Ders.: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. München 42005 (Beck’sche Reihe 2082); Frühe Hexenverfolgung in Ravensburg und am Bodensee. Hg. von Andreas Schmauder. Konstanz 2001 (Historische Stadt Ravensburg 2); Roper (2007); Gerd Schwerhoff: Hexerei, Geschlecht und Regionalgeschichte. Überlegungen zur Erklärung des scheinbar Selbstverständlichen. In: Hexenverfolgung und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich. Hgg. von Gisela Wilbertz, Gerd Schwerhoff, Jürgen Scheffler. Bielefeld 1994 (Studien zur Regionalgeschichte 4.4), S. 325–353; Ders.: Hexenverfolgung in einer frühneuzeitlichen Großstadt. Das Beispiel der Reichsstadt Köln in: Hexenverfolgung im Rheinland. Ergebnisse neuerer Lokal- und Regionalstudien. Bergisch Gladbach 1996 (Bensberger Protokolle 85), S. 13–56; Ders.: Strafjustiz und Gerechtigkeit in historischer Perspektive. Das Beispiel der Hexenprozesse. In: Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.–19. Jahrhundert). Hgg. von Andrea Griesebner, Martin Scheutz, Herwig Weigl. Innsbruck/München 2002 (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 1), S. 33–40. Johann Georg Gödelmann: Tractatus de magis, veneficis et lamiis deque his recte cognoscendis et puniendis, in tres libros distributus. Francofurtum 1591; Benedict Carpzov: Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium … Witteberga 1646 (11635). Vgl. auch Ders.: Peinlicher sächsischer Inquisition- und Achts-Proceß: Leipzig 1673. Gutachten Johann Georg Goedelmanns. Rostock 1587. Zitiert nach: Hexen- und Hexenprozesse. Hg. von Wolfgang Behringer. München 21993 (11988), S. 344–347, hier 345.
154 Nach Gödelmann bekannten sich die Hexen also entweder zu ihrem Tun oder sie waren keine Hexen, was nicht ausschloss, dass sie sich mit dem Teufel wirklich träfen. Interessant ist zudem, dass der erste Teil dieses Tractatus mit der kleinen Abhandlung Ad iudicem admonitio135 von Johannes Althusius, Professor für Jura an der Akademie Herborn, abschloss. Althusius hob darin die radikale Unsicherheit des Themas der Hexerei hervor, da der Teufel alle Protagonisten, sogar die Richter täuschen könne, und zwar, in Bezug auf die Realität der inkriminierten Phänomene, aufgrund seiner erheblichen Macht über die Imagination der Menschen und seine Fähigkeit, Trugbilder und phantastische Visionen zu bewirken. Der Teufel könne zwar nicht die Zukunft voraussehen, er besitze jedoch eine Macht im Rahmen der Natur und der natürlichen Kausalität. Aus der Aufgabe der Richter, die realen, den menschlichen Kräften entsprechenden Aspekte der Hexenbekenntnisse von den teuflischen Mitteln zu trennen, leitete Althusius politische Vorstellungen ab. Im Gegensatz zu Bodins Verteidigung der Realität der Hexerei und dessen Apologie des Absolutismus lag für Althusius die beste Regierungsform in einer beschränkten Macht, in der die politische Verantwortlichkeit nicht nur beim Herrscher, sondern bei der gesamten Gemeinschaft lag.136 Die Hexenfrage barg nicht nur Überlegungen zur Grenze des Natürlichen, sondern auch zu politischen Vorstellungen und Propaganda in sich. Anliegen von Carpzovs Practica Nova war es, ein auf dem im Jahre 1532 erlassenen Gesetzbuch (Carolina) beruhendes Strafgesetz für das gesamte Reich zu schaffen. Dabei vertrat er eine gemäßigte Haltung: Nur der unabsichtliche Irrsinn, nicht die Melancholie, sei ein hinreichender Grund für den Freispruch. Da der Wahn schwierig zu beweisen sei, sollten alle Richter medizinische Sachverständige um Rat fragen. Das Problem sei jedoch nur verschoben, da die Ärzte lediglich Wahn, Melancholie und andere Krankheiten diagnostizieren, aber in keine legale Kategorie einordnen könnten. Carpzov unterschied also zwischen dem Wahn, der Melancholie durch Temperament (oder schwarze Galle, die er nicht berücksichtigte) und der eigentlichen Melancholie, d. h. einem Zustand der psychischen Unruhe oder Verzweiflung, der die Betroffenen einbilden ließ, dass sie nur absurde und traurige Dinge von sich gaben.137 Als die Verteidigung durch das Argument des Wahns zunehmend medizinisch wurde, verschob sich allmählich der Kern der Diskussion auf den angemessen Beweis für den Wahn. In seinem Traktat zum Strafverfahren bedauerte Justus Oldecop im Jahre 1654, dass viele Verdächtige eine Krankheit vorschützten, um sich dem Gefängnis, der Folterung oder einer Strafe zu 135 136
137
In: Gödelmann, Fol. R 2 v° – S 1 v°. Vgl. dazu den brillanten Aufsatz von Stuart Clark: Johannes Althusius and the Politics of Witchcraft. In: Rätten. En festskrift till Bengt Ankarloo. Hgg. von Lars M. Andersson, Anna Jansdotter, Bodil E. B. Persson, Charlotte Tornbjer. Lund 2000, S. 272–290. Carpzov (1646). Bd. 3, S. 372.
155 entziehen. Einige simulierten eine teuflische Besessenheit, andere behaupteten, dass sie unter ›Enthusiasmus‹ litten oder in Ekstase verzückt worden waren, Frauen heuchelten ein ›Gebärmutterersticken‹ (d. h. starke Unterleibskrämpfe) oder eine Schwangerschaft.138 Aus diesem Grund sei die Mitarbeit von Ärzten in solchen Prozessen unerlässlich. Oldecop unterschied zwei übliche Arten von Wahn: die einfache Melancholie und eine mit Raserei gemischte Melancholie. Beide bewirkten vor allem Schlaflosigkeit. Sichere Symptome eines echten Wahns seien demnach die Schlaflosigkeit, sich selbst als tote Person einzubilden und die Verweigerung von Essen sowie Trinken.139 Oldecop empfahl medizinische Tests des wahren Irrsinns. Damit erhoffte er, ein Mittel gegen diejenigen gefunden zu haben, die Vorteil aus dem Schutz der vom Irrsinn Betroffenen ziehen wollten. In seiner 1655 erschienenen Abhandlung zur legalen Behandlung von Wahnsinnigen bestätigte Johann Andreas Frommann die Unschuld im Falle eines melancholischen Wahns und dass es erforderlich sei, den wahren vom fiktiven Irrsinn anhand medizinischer Kriterien zu unterscheiden.140 Damit wurde die Melancholie zunehmend als eine Krankheit der Vernunft betrachtet. Neben den juristischen Handbüchern kursierten zahlreiche Traktate, die von Beichtvätern oder Hofpredigern, Priestern oder Pfarrern, und den mit der Ausbildung des Klerus oder der Visitationen Beauftragten, verfasst wurden. Dementsprechend bezogen sie sich auf die Bibel und betonten die moralischen Implikationen stärker als die konkreten Manifestationen der teuflischen Besessenheit. Wenngleich diese Textgattung die Macht des Teufels und die Realität der Hexerei mehrheitlich bejahte, zeichnete sie sich jedoch durch deutliche Vorsicht aus. In Anlehnung an Caspar Peucer und an die biblische Gleichsetzung der schädlichen Hexen mit verbotenen magischen Künsten (Exodus 22:18, Deut. 18:10–11) bemühten sich auch die Lutheraner, die Wahrsagung zu verteufeln. Johann Rüdingers Abhandlung De magia illicita beinhaltete zehn Predigten zur teuflischen Magie und Hexerei, und zehn weitere über die Divinationskünste – die Traumdeutung eingeschlossen.141 Nach Johann Spreter bestand kein innerer Bezug zwischen einem Gegenstand und einem Wort, weshalb die Wirkungskraft der Magie von rein natürlichen Einmischungen des Teufels abhänge. Noch im Jahre 1628 brachte Bernhard Albrecht Hexerei mit Beschwörung, Segensprechung, Zeichendeuterei und Wahrsagerei in Verbindung. Die entsprechende einflussreichste 138
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141
Justus Oldecop: Observationes Criminales Practicae congestae et in quinque titulos … tributae. Frankfurt 21675, insbesondere S. 150–151. Ebd., S. 159–162. Johann Andreas Frommann: Hypotyposis Juris Furiosorum singularis quam Deo ter opt. max. miserabilium eiusmodi personarum defensore justissimo dirigente. Tubingae 1655, insbesondere S. 63, 70–83. Johann Rüdinger: De magia illicita Decas Concionum: Zehen gruendliche Predigten Von der Zauber- und Hexenwerck … 2 Bde. Jehna: Reiffenberger. 1630/35.
156 Abhandlung von katholischer Seite, die Disqvisitionvm Magicarvm libri sex (1599–1600) von Martín Delrío kehrte die Ordnung der Darstellung um. Sie glich einem Traktat über folgende Themen: über den Aberglauben (erstes Buch), die teuflische Magie (zweites Buch), das maleficium und die vana obseruantia (drittes Buch), die unterschiedlichen Wahrsagungskünste (viertes Buch), erst dann die wirklichen Verbrechen der Hexen und deren Prozesse (fünftes Buch) und die Aufgaben des Beichtvaters (sechstes Buch). Er unternahm erstmalig eine präzise Definition der Wahrsagung. Divinatio, schrieb er, sei ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Tätigkeiten. Neben der Prophetie (prophetia) und dem Weissagen (vaticinium, d. h. menschliches Orakel), schließe sie die Vorhersage (praedictio, d. h. den Besitz eines Wissens äußerer nacheinanderfolgender Geschehnisse bzw. Handlungen), die Vorkenntnis (praenotio, d. h. den Besitz eines inneren Wissens) und die Vermutung (coniectatio, d. h. die Betrachtung der Ursachen oder Zeichen) ein. Bis auf die Traumdeutung, die semiotische Medizin und die Physiognomie setzten sämtliche Divinationskünste einen offenen oder stillschweigenden Pakt mit dem Teufel voraus.142 Dabei unterschied Delrio genau zwischen Astronomie, die auf universalen, wahren und unbeweglichen Prinzipien fußte und auf das Wissen künftiger Dinge abzielte, und Astrologie, die lediglich auf allgemeinen und veränderlichen Prinzipien beruhte und unvermeidliche, jedoch zufällig eintretende Geschehnisse voraussehe.143 Ein Grund für die allgemeine Gleichsetzung der Wahrsagungskünste und der schwarzen Magie lag vermutlich darin, dass die Verteidiger der Hexen in den Prozessen häufig Anhänger der weißen Magie bzw. Wahrsagung waren. Die Wahrnehmung einer zunehmenden Beliebtheit des Wahrsagens wurde für die Lutheraner zur Quelle einer neuen Gattung, nämlich der »Teufelbücher«,144 in denen unterschiedliche soziale Entwicklungen als Werk des Teufels (»Alamodeteufel«, »Faulteufel«, »Spielteufel«, »Fluchteufel«) moralisch verurteilt wurden, um die Notwendigkeit einer Reform der Sitten zu rechtfertigen. In vielen protestantischen wie katholischen Predigten wurde die Botschaft zu einem inneren konfessionellen Kampf gegen den Aberglauben hochstilisiert, der wiederum zur ersten Ursache der Hexerei erklärt wurde. Dabei verschob sich der Akzent vom maleficium zum Aufruf an die Geduld (patientia).145 Wiers Argumente wurden nur von wenigen Pfarrern vollständig 142 143 144
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Delrio (1617), Liber IV, De diuinatione, S. 472–662. Ebd., Liber IV, c. 3, quaestio 1, »De coniectatione«, S. 569–598. Vgl. Teufelbücher in Auswahl. Hg. von Ria Stambauch. Bd. 1. Ludwig Milichius: Zauberteufel, Schrapteufel. Berlin 1970 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). Vgl. Ludouicus Milich: Der Zauber Teuffel. Das ist/ Von Zauberei/ Warsagung/ Beschwehren/ Segen/ Aberglauben/ Hexerey/ und manchetley Wercken des Teuffels … Franckfurt am Mayn 1563; Dass. Franckfurt am Mayn: Merten Lerch. 21564. Jodochus Lorichius und Peter Binsfeld bringen Aberglauben und Hexerei durch die Bräuche der Volksmagier und die Erwartungen deren Kunden in Verbindung.
157 übernommen. Dazu zählten sicher der Lemgoer Prediger Jodocus Hocker, der Bremer Physiker und Jurist Johann von Ewich und der Heidelberger Professor für Griechisch und Mathematik, Hermann Witekind (Augustin Lercheimer).146 Für die Mehrheit der Katholiken und Protestanten gab es jedoch viele echte Hexen, die trotz ihrer Ohnmacht bestraft werden sollten, wenn sie eine Sünde begangen hätten. Die Betonung der Verantwortlichkeit jedes Individuums für das Unglück, das ihm geschehen könnte, wurde von den städtischen Oberen sowie vom katholischen posttridentinischen Klerus gefördert. Obwohl die Realität der Hexerei bejaht wurde, ließ kein einziger Kleriker die von Wier gestellten Fragen unbeachtet. Friedrich von Spee, der katholische Gegner der Folterung, versuchte im Jahre 1631 immer noch, Wiers Annahme des Hexenflugs als unbeweisbare Einbildung zu widerlegen.147 In seinem Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum (1589), den er gegen die Verleugner der realen Hexerei verfasst hatte, gab der Weihbischof und Generalvikar im Bistum Trier Peter Binsfeld zu, dass der Teufel die Imagination verderben und Bilder erzeugen könne, die keine Entsprechung in der Realität hätten. Nur eine Sünde, die von einem freien Willen begangen worden sei, nicht ein Traum oder der Wahn, solle bestraft werden. Wenn der Teufel sich in die spiritus und dadurch in die Imagination der Hexen einmischte, hätten die Hexen dieser Durchdringung zuvor zugestimmt. Trotz ihres möglichen Täuschungsversuchs seien die Geständnisse der Hexen glaubhaft. Binsfeld empfahl große Vorsicht bezüglich der Schuldzuweisung.148 Sogar Delrío, der die Anhänger Wiers als Ketzer und politici, d. h. Anhänger Machiavellis verunglimpfte, lehnte das Argument des Traums von der Hexerei ebenfalls wegen seiner Unbeweisbarkeit149 sowie dasjenige der Melancholie gegen die Herausbildung eines Machtbereichs der Ärzte in religiösen Sachen ab. Er betrachtete die Hexerei (maleficium, sortilegium) als ein öffentliches Verbrechen, erklärte jedoch die allgemeine Täuschungsmacht des Teufels anhand desselben physiologischen Rasters der Bewegung von spiritus150 wie Wier. Wenngleich Delrío die imaginäre Natur der Hexerei, an welche »protestantische Autoren, Luther und Melanchthon zum Beispiel« sowie »viele katholische Autoren« glaubten151 , ablehnte, war er ebenso 146
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[Hermann Hamelmann]: Der Teufel selbs/ Das ist/ Warhafftiger/ be stendiger und wolgegruendter Bericht von den Teufeln … Ursel: Henricus. 1568. Friedrich von Spee: Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Aus dem Lateinischen von Joachim-Friedrich Ritter. München 1982 (DTV Bibliothek), S. 250. Ich habe die deutsche Übersetzung benutzt: Peter Binsfeld: Tractat von Bekanntnuß der Zauberer vnnd Hexen: Ob vnd wie viel denselben zu glauben. Hg. von Hiram Kümper. Wien 2004 (Nachdruck der Ausgabe München 1591), hier Fol. a 2 v°, 25 r°, 31 r°. Delrio (1617), liber 2, c. 6, questio 16, »De nocturnis sagarum conuentibus & an vera site arum translatio de loco ad locum?«, S. 167–184. Ebd., liber 2, quaestio 29, S. 308–316. Ebd, liber 2, c. 6, quaestio 16.
158 wie sie davon überzeugt, dass der Teufel die spiritus und Körpersäfte derart verwirren könne, dass viele unwirkliche Phänomene eingebildet seien.152 Inwiefern blieben diese Äußerungen Ausdrücke einer Gelehrtendebatte? In einigen Besessenheitsfällen in Frankreich um 1610 und 1640, die auch in Deutschland153 bekannt und erörtert wurden, erwies sich die Rolle der Mediziner als maßgebend. Der Leibarzt der Königin Anna Maria von Österreich bzw. von Habsburg, Pierre Yvelin (1610–1670?), wurde im Jahre 1643 in das Kloster von Louviers gesandt. Er erklärte die vermeintliche Besessenheit der Nonnen als ein durch Gärung des melancholischen Körpersaftes erzeugtes Umherwirbeln der spiritus, das die unkontrollierten und inkohärenten Körperbewegungen der Ordensschwestern verursachte. Die psychischen Auswirkungen, wie das Verstehen unbekannter Sprachen, die Voraussage von Gedanken und die Offenbarung von Glaubensmysterien seien, laut der nach Loudun berufenen Ärzte, ebenfalls eine Folge der Melancholie und der daraus hervorgehenden spiritus, die den Stoff der Imagination bildeten. Die Periodizität der Anfälle der Besessenen während des Exorzismus sei nicht auf das Zeremoniell des Exorzismus, sondern auf nächtliche physiologische Vorgänge zurückzuführen, bei denen sich aus einer schlechten gekochten schwarzen Galle hervorgehende verfaulte Substanzen in der Gebärmutter ansammelten und Dämpfe erzeugten, die, wenn sie das Gehirn erreichten, es verwirrten und verdunkelten. Im Schlaf lege sich dieser Abschaum auf dem Boden der Gebärmutter ab und somit verbreite sich dann kein Dampf. Mit anderen Worten: Um die Besessenheit dem Übernatürlichen zu entziehen, hatten die Ärzte alle Symptome auf die Pathologie einer Substanz zurückgeführt. Wie Wier hatten sie der theologischen Annahme der Besessenheit einfach andere, physiologische Hypothesen entgegengestellt. Wie Wier bemühten sich diese Mediziner keineswegs um eine experimentelle Untersuchung der teuflischen Pathologie. Ihre medizinische Auseinandersetzung mit der Besessenheit ebenso wie die religiöse Erklärung fußte auf rein Spekulativem. Im Heiligen Römischen Reich waren die spektakulären Fälle seltener. Dafür häuften sich die Fälle von kranken Fürsten. Ihr Gefolge versuchte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die verrückten Fürsten zu kontrollieren. Obwohl Kategorien für Melancholie und teuflische Besessenheit um 1500–1520 bereits existierten, wurde die Diagnose für kranke Fürsten erst 152 153
Ebd., liber 2, c. 6, quaestio 24 und 29. Vgl. das Handbuch für Exorzisten des Inquisitors Sebastien Michaëlis: Vera Ac Memorabilis Historia De Tribvs Energvmenis In Partibvs Belgii, Et De Quibvsdam Aliis Magiae Complicibvs. Lvtetiae Parisiorvm: Varennes. 1623; R. P. Tr. R. C. [Révérend Père Tranquille de Saint-Rémi]: Veritable relation des ivstes procedvres obseruées au fait de la possession des Vrsulines de Loudun, & au procés de Grandier. Paris: Iean Martin. 1634. Zu den Louduner Ursulinen vgl. das anregende Buch von Michel de Certeau: La Possession de Loudun. Paris 1990 (11970) (Archives) sowie François Azouvi: Possession, révélation et rationalité médicale au début du XVIIe siècle. In: Revue des Sciences philosophiques et théologiques 64 (1980), S. 355–362.
159 um 1550 gestellt. Der damaligen Auffassung entsprechend, die Krankheiten seien vorwiegend auf veränderte Säfte oder Flüssigkeiten zurückzuführen,154 verordneten die Mediziner Abführmittel und warme Bäder. Das Einmischen der Mediziner verschlimmerte oft die Regierungsgeschäfte. Dennoch blieb die Regel der Erbfolge in Kraft. Darüber hinaus waren die erfolgreichen Ärzte oft Anhänger der paracelsistischen Medizin, die eine Arznei nicht nach der galenischen Körpersäftelehre, sondern nach verborgenen Eigenschaften bestimmter Metalle oder Kräuter verschrieben. Dies sorgte an den Höfen oft für Spannungen.155 Im Laufe der Zeit gewann die Diagnose an Präzision. In den 1570er Jahren, nachdem der Hofmediziner Dr. Stoy bei Herzog Albrecht Friedrich von Preußen nicht nur eine Melancholie, sondern eine teuflische Besessenheit festgestellt hatte, untersuchte der paracelsistische Mediziner und Alchemist Leonhard Thurneisser die von der Melancholie bewirkte spezifische Gehirntätigkeit. Dabei unterschied er die mania (eine Entzündung der hinteren Zellen des Gehirns mit Schwächung der Imagination), die Melancholie (eine Entzündung der mittleren Zellen des Gehirns mit einer Schwächung der Vernunft) und die phrenesis oder Entzündung der Geflechte des Mittelventrikels des Gehirns.156 Als der noch kinderlose Johann Wilhelm von Jülich-Kleve ab 1588 an einer religiösen Melancholie zu leiden und seine von seinem Vater übernommenen protestantischen Mediziner und Apotheker zu fürchten begann, verbreitete sich das Gerücht über den Wahn des Herzogs. Sofort dachten die Höflinge an dessen Vater, Wilhelm V., der an einer lähmenden Knochenkrankheit gelitten hatte, und an dessen Großmutter, Juana la Loca von Kastilien, die Mutter von Karl V. Die drei Hofphysiker, Reiner Solenander, Lambert Wolf und Galenus Weyer stellten die üblichen Symptome der Melancholie fest: übermäßige Angst und Traurigkeit, Misstrauen und das Gefühl, wegen der konfessionell-politischen Umwälzungen seines Herzogtums vom Tode bedroht zu sein. Nachdem die galenische Medizin sich als unwirksam erwiesen hatte, diagnostizierte der Pfarrer Cornelius Ingenhoven nach einem Test des herzoglichen Urins Hexerei und verschrieb die Anwendung von Taufwasser, konsekrierten Hostien und Exorzismen – nicht ohne Einsprüche anderer Theologen, die eine derartige Mischung von natürlichen und übernatürlichen Heilmitteln ablehnten. Diese waren überzeugt, dass die Krankheit des Herzogs nicht natürlich war, wollten aber keine »abergläubischen« Arzneien verordnen.157 154
155 156 157
Vgl. dazu Michael Stolberg: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Früher Neuzeit. Köln/Weimar u.a. 2003; Ders.: Die wundersame Heilkraft von Abführmitteln. Erfolg und Scheitern vormoderner Krankheitsbehandlung aus der Patientensicht. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 22 (2003), S. 167–177. Vgl. dazu Midelfort (1994), S. 31–70. Ebd., S. 73–83. Ebd., S. 98–124.
160 Der Traum spielte keine unbedeutende Rolle. Lange vor Johannes Wier verwendeten Inquisitoren als auch Angeklagte das Traum-Motiv. Bereits in einer Sammlung von Anweisungen für die Bischöfe und deren Vertreter, herausgegeben von Regino Prumiensis (Regino von Prüm), tauchte folgende, vermutlich ältere Stelle auf: Es darf nicht übergangen werden, dass es gewisse verbrecherische Frauen gibt, die Satan gefolgt sind (1 Tim. 5:15) und, durch Blendwerk und Vorspielungen der Dämonen verführt, glauben und bekennen, des Nachts zusammen mit der heidnischen Göttin Diana und einer unzählbaren Menge von Frauen auf gewissen Tieren zu reiten, in der Stille der dunklen Nacht große Entfernungen zurückzulegen, die Weisungen der Göttin zu befolgen, als wäre sie ihre Herrin, und in bestimmten Nächten zu ihrem Dienst gerufen zu werden.158
Um 1450 erfuhr bereits Nikolaus Cusanus die Visionen der Göttin Diana, die zwei alte Frauen im Val di Fassa im nordöstlichen Trentino gehabt und anschließend den christlichen Glauben als reine Torheit und vom Teufel inspirierte Imaginationen geleugnet hatten.159 Um 1540 wurden die Inquisitoren verblüfft: Auf nächtlichen Versammlungen im Friaul hätten die Bauern weder den Teufel gehuldigt, noch wurde der christliche Glaube geleugnet. Es wurde vielmehr eine Schlacht zwischen mit Hölzern bewaffneten Hexen und mit Fenchelzweigen ausgerüsteten Benandanti geführt. Die Benandanti behaupteten, dass sie diese Treffen nur »im Geist« besuchten. Die Hexen erklärten dagegen, dass sie entweder im Traum oder wirklich dorthin gingen. Deshalb fragten sich später die in Verlegenheit gebrachten Richter: Sollten diese nächtlichen Versammlungen und die geführten Schlachten als Träume, Visionen oder als reale Tatsachen gelten?160 Dass solche Geschichten nicht nur in abgeschiedenen Gegenden vorkamen, zeigen Traktate aus Gelehrtenkreisen. Martín Delrío beispielsweise notierte, dass Hexen, ob in Spanien, in Italien, in Frankreich oder in Deutschland, ähnliche Geständnisse äußerten. Dennoch lehrten die Mediziner, dass der Traum vom individuellen Temperament, d. h. von Faktoren wie den Körpersäften, der Ernährung und dem Alter abhänge. Das Hexentreiben allüberall beweise demnach, dass es keine Träume seien.161 Damit wollte Delrío nicht nur Wier widerlegen, sondern einen medizinischen Beweis gegen das vermutlich von den Hexen selbst ver-
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»Illud etiam non est omittendum, quod quaedam sceleratae mulieres, retro post Satanam conversae (1 Tim. 5:15), daemonum illusionibus et phantasmatibus seductae, credunt se et profitentur nocturnis horis cum Diana paganorum dea et innumera rarum spatia intempestae noctis silentio pertransire, eiusque iussionibus velut dominae obedire, et certis noctibus ad eius servitium evocari«. Zitiert nach: Carlo Ginzburg: Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte. Berlin 1990, S. 92. Ebd., S. 97. Vgl. dazu Carlo Ginzburg: Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1980, S. 38–44. Martin Delrio: Disqvisitionvm. Venedig 1652 (11599–1600), S. 551. Zitiert nach: Ginzburg (1980), S. 41, Anm. 3.
161 wendete Argument des Traums vorbringen. Einige Angeklagte bezogen sich tatsächlich auf juristische Traktate. So verlangte beispielsweise Philipp Kramer in Mainz im Jahre 1627 Gerechtigkeit unter Bezugnahme auf Gödelmann und dessen Behauptung, die Hexerei sei kein real mögliches Verbrechen.162 Auf der lokalen Ebene bietet das Beispiel der bikonfessionellen freien Reichsstadt Augsburg kontrastreiche Facetten. Der Carolina gemäß wurden die großen Verbrecher der Stadt vor das Rathaus oder an den Pranger gestellt, mit Ruten geschlagen, manchmal sogar enthauptet und dann verbrannt. Zwischen 1649 und 1733 gab es in Augsburg insgesamt 38 solcher Verbrecher. Der häufigste Anklagepunkt war Diebstahl, aber Teufelswerke, oft mit Gotteslästerung und Hexerei assoziiert, folgten mit mehr als 25 % gleich auf dem zweiten Platz. Zahl und Aufteilung nach Geschlecht und Religion der zum Tode verurteilten Verbrecher in Augsburg, 1649–1733 Anklagepunkt
Männer
Diebstahl
11
Teufelswerke, Gotteslästerung, Hexerei
Frauen
Katholisch
Lutherisch
Gesamtzahl
2
9
3
13
0
10
6
4
10
Mord (+ 1 Duel im Jahre 1701)
7
1
4
4
8
Uneheliches Kind
0
5
2
2
5
Hurerei
0
1
1
0
1
Falschmünzerei
1
0
?
?
1
Quelle: StA A: Reichsstadt Strafamt Nr. 165, End-Urthel [sic] und Verruf Nach Kayser Caroli Vti Majestaet glorreicher Gedaechtniß/ Peinlicher Halß-Gerichts-Ordnung verfasst … Augspurg: Andreas Brinhaußer. o. J. [1759].
In der paritätischen Stadt Augsburg waren die zum Tod führenden teuflischen Künste und die Hexerei eine rein weibliche Angelegenheit. Die Religion spielte keine Rolle wie bei der überkonfessionellen Literatur zur teuflischen Besessenheit. Bemerkenswert ist zudem, dass sich die Anklage wegen Teufelswerken über eine Zeitspanne von über hundert Jahre hinzog, als ob der Glaube an den Teufel in dieser Zeit nicht verblasste; dass außerdem die Anklage wegen Hexerei erst spät, im Jahre 1685 auftaucht, als ob Augsburg 162
Philipp Kramer verlangt Gerechtigkeit, Mainz 1627. In: Hexen und Hexenprozesse (21993), S. 330.
162 die zeitgenössische sächsische Debatte zur Abschaffung der Todesstrafe wegen Hexerei um Christian Thomasius (1655–1728) ignoriert hätte. Alle zehn angeklagten Frauen wurden auf das schlimmste Urteil bestraft: enthauptet und verbrannt. Die kleineren Delikte, wie beispielsweise diejenigen wegen Zauberei, Teufelskünste und Wahrsagerei, wurden nicht mit dem Tod, sondern – ebenfalls von städtischen Behörden – mit einer Haft und einer Geldstrafe bestraft. Die Geständnisse der Angeklagten wurden vom Stadtvogt und zwei Vertretern des Stadtrats protokolliert. Denn nach der damaligen Gerichtsbarkeit erfolgte eine Bestrafung erst, nachdem der Angeklagte in allen seinen vorgetragenen Anklagepunkten (eventuell nach der peinlichen Befragung, d. h. der Folter) sich für schuldig erkannt hatte. Die Angeklagten waren Männer wie Frauen aus Stadt und Land und allen Ständen. Einige Beispiele: ein verheirateter Hucker (Leonhard Frantz in den Jahren 1559 und 1570), eine Witwe (Sabina Zemetshausen in den Jahren 1564 und 1570), ein lediger Weberknappe (Georg Mair im Jahre 1578), ein Bauernknecht (Kaspar Fischer in den Jahren 1592, 1595), ein Weber (Georg Strele im Jahre 1599), ein Badknecht (David Landes im Jahre 1622), eine ledige Krämerin (Euphrosine Knop im Jahre 1625), eine Bürgerin, Gattin eines Schäfflers (Apollonia Stierle im Jahre 1628), und ein Student der Jesuiten (Veit Karg im Jahre 1680). Die konfessionelle Zugehörigkeit spielt auch hier keine Rolle, bis auf den Fall von Veit Karg im Jahre 1680. In den Urgichten ist der Grund für die Befragung eines Wahrsagers bzw. einer Wahrsagerin nicht einmal der Wille, seine eigene Zukunft kennenzulernen, sondern stets der Wunsch, ein gestohlenes Objekt bzw. geraubtes Vieh wieder zu finden.163 Wahrsager erhielten einen Ruf in der Nachbarschaft vor allem wegen ihres Umgangs mit Zauberbüchern. Sie segneten oder heilten Menschen und Vieh. Einige von ihnen hatten Träume und Visionen, weshalb Kranke sie um Heilung befragten. Obwohl in sämtlichen Urgichten das Motiv der Melancholie nicht einmal erwähnt wurde (als ob sie ausschließlich Gegenstand der Gelehrtendiskussion wäre), tauchen Elemente der Problematik der Imagination auf. Bereits im Jahre 1559 erklärte Frantz Leonhard, er hätte »aus lautern Vnverstandt«164 geweissagt, um sich der Strafe zu entziehen. Spätestens ab 1570 setzten die städtischen Beamten die »eitl Zauberey« mit einem »teufelgespenst« gleich.165 Am 30. April 1591 wurde Kaspar Fischer verhört: er habe große Schmerzen im Leib erlitten, habe dann mehrere Visionen von Engeln,
163
164 165
Zu ähnlichen Fällen in Westfalen, vgl. Andreas Holzem: Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800. Paderborn 2000 (Forschungen zur Regionalgeschichte 33), S. 441–454. StA A: Urgichten K 24, 15. und 17. November 1559 (Leonhard Frantz). StA A: Urgichten K 48, 11. Januar 1570 (Leonhard Frantz).
163 den Aposteln und Christus gehabt, anschließend Kühe gesegnet; dann wurde er von Leuten befragt, die ihn um die Heilung ihrer Geschwülste und Krankheiten baten. Am 8. Mai fragten ihn die Ratsherren, die einen gemalten Brief mit Zauberformeln entdeckt hatten, ob er nicht wüsste, »dz Got nicht mer zu wid’ sey als Zauberey/ vnd dz die Zauberischen kunst gar nit von Got/ sond’ nur von dem besen feind herkumen« und »dz er vbel vnd vnverantwortlich gehandlt/ dz auch seine fantaseien nit von guetn engln herkumen«. Am 7. Mai 1591 bedauerte der Stadtvogt Matthias Thalmann, dass Fischer »in seinem vermainten Churrieren nicht nattuerliche oder zuegelassne mittel gebracht« habe. Am 7. Januar 1592, in einem erneuten Verhör wurde Fischer gefragt, auf welchen »unnatuerlichen vnd hochverbottnen mitteln« diese »vermainte Kunst« beruhe. Es wurde ihm unterstellt, dass ihn »dreyen underschidlichen verzhuckhungen/ vnd ainer kindeschen Fantasey selbsten traumen last/ vnd fuer gewiß einbildet«. Die Ratsherren verlangten, dass Fischer seine Kunst öffentlich auf einem Zuschauer beweist. Aus Fischers Verweigerung schlossen sie, dass er ein »Ainfelttigen/ vnd mit aigensinnigen Imaginationibus, verblendten vnnd eingenommen menschen sei«.166 Kurzum: Sogar in den einfachen Fällen von Zauberei ohne förmliche medizinische Untersuchung, die weder mit Gelehrtenmagie noch mit theologischer Superstitionsliteratur beladen, dafür mit dem gelebten Alltagschristsein eng verflochten waren,167 war die Problematik der Imagination maßgeblich geworden. Bei seiner Neuformulierung der Hexerei und der Imagination stand Johannes Wier nicht isoliert da. Vielleicht hatte er, das was schon länger Brauch war, dass nämlich der wegen Hexerei Angeklagte einen Wahn simulierte und dass der Hexensabbat als imaginär dargestellt wurde, nur einfach in einen medizinischen Sachverhalt gekleidet. Die Verwissenschaftlichung der Debatte löste dennoch einen Diskussionsschub aus. Sie könnte sogar Ursache dafür sein, dass sogar auf lokaler Ebene, unabhängig von konfessioneller Zugehörigkeit und ohne direkte ärztliche Beteiligung, die Beschäftigung mit der Zauberei die Frage nach der Präsenz fiktiver psychischer Bilder in der Imagination unmittelbar gestellt wurde. In allen Schriften erwies sich der Einfluss des Teufels in der Außenwelt als begrenzt, in der Psyche dagegen als beträchtlich. Dessen Charakteristikum war, dass er nicht übernatürlich, sondern außergewöhnlich war. Denn der Teufel verstoße gegen die Standards des Natürlichen. Die gleichzeitige Beschränkung der Macht des Teufels und Verteuflung der Wahrsagung waren zwei komplementäre Facetten eines epistemischen Wandels, der sich in den zeitgenössischen Einordnungen der Wissenschaften ausdrückte. 166
167
StA A: Urgichten K 99, 8. und 15. Mai 1591; K 100. 4. Januar 1592; K 108, 5. Januar 1595 und Dezember 1595 (Kaspar Fischer). Vgl. Eva Labouvie: Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1991 (Fischer-Taschenbücher 10493).
164
3.3
Erkenntnis und Seele: Die Einordnungen der Wissenschaften
Kehren wir noch einmal auf Lucien Febvres Verwunderung über Bodins Demonomanie zurück. Febvre schloss aus Bodins Bejahung der Hexenverfolgung, dass sich die »Mentalität« (mentalité) der Zeitgenossen Bodins von derjenigen »unserer Zeiten« radikal unterscheide. Er charakterisierte den Wandel von der Älteren zur Neueren durch das Auftauchen eines neuen Sinnes – »der Sinn des Unmöglichen«.168 Dieser »Sinn des Unmöglichen« kennzeichnete jedoch weniger eine ›moderne‹ neu aufgetauchte Auffassung von Natur als jenen Kern der Diskussion. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts handelte es sich tatsächlich ständig – und nicht nur bei Bodin und Wier – um die Grenzen des Möglichen, um die Definition von Realität und um die Imagination als gefährliche Irrtumspotenz. Die Auffassungen von der Realität und die Vorstellungen von den Seelenkräften vollzogen dabei parallele Entwicklungen. 3.3.1
Naturgesetze, Divinationskünste und Einordnungen der Wissenschaften
In seinen Consilia wetterte der Jurist Johann Fichard: Daß es mit dem Nachtfahren und solchen nächtlichen Tänzen und Gastmählern, desgleichen auch mit den leiblichen Vermischungen, so die bösen Geister mit solchen Weibern vollbringen sollen, ein lauter Traum, Gespenst, Triegerey unglaublich und unmöglich Ding sei, unangesehen, dass die Inquisitoren der häretischen Bosheit, ihres eigenen Nutzens halber, und anderen solchen Unglauben durch viele erdichtete und unglaubwürdige Exempel, wie dieselben in Malleo maleficarum, Formicario, auch Grillando und anderen mehr, so an dem Papsttum hängen, gefunden werden, heftig bestärkt und so viel als glaublich gemacht haben auch wider alle Vernunft und natürlichen Verstand.169
Zum ersten Mal wurde der Traum deutlich mit dem Irrealen und Unmöglichen assoziiert und als »wider alle Vernunft und natürlichen Verstand« betrachtet. Gleichzeitig schrieb der Katholik Peter Binsfeld sämtliche Phänomene, die aus okkulten Handlungen resultierten und keine religiösen Wunder waren, physischen Ursachen zu.170 Auch der Protestant Martin Biermann betrachtete jenen Versuch, die Magie auf physische Gesetze zurück-
168 169
170
Febvre, S. 14: »le sens de l’impossible«. Vgl. oben S. 135 Anm 68. Johann Fichard: Consilia. 2 Bde. Francofurtum 1590. Zitiert nach: Hexen und Hexenprozesse (21993), S. 334. Peter Binsfeld: Tractatus de confessionibus maleficorum et sagarum. Trier 21589, S. 174–176. Zitiert nach dem brillanten Aufsatz von Stuart Clark: The scientific Status of Demonology. In: Occult and Scientific Mentalities in the Renaissance. Hg. von Brian Vickers. Cambridge/London u.a. 1984, S. 351–374, hier S. 351.
165 zuführen, als vollständig begründet.171 Diese Äußerungen können nicht als Ausdruck eines zunehmenden Skeptizismus bzw. Pyrrhonismus verstanden werden. Sie stammen von Klerikern, für die die Existenz des Teufels eine unbestreitbare Wahrheit war, die sie im Kampf gegen den konfessionellen Gegner anwendeten. Alle wollten die Standards des Möglichen und des Unmöglichen für einen Menschen oder für den Teufel entdecken und festlegen. Francis Bacon stellte die Theorie dieser allgemeinen Entwicklung auf, indem er schrieb: Ich bin auch nicht der Meinung in dieser Geschichte der Wunder, dass abergläubische Berichte von Magiern, Hexereien, Zaubereien, Träumen, Wahrsagungen und dergleichen, in welchen es eine Sicherheit und deutliche Evidenz der Tatsache gibt, völlig ausgeschlossen werden sollten. Denn es ist noch nicht bekannt, in welchen Fällen und inwieweit dem Aberglauben zugeschriebene Auswirkungen von natürlichen Ursachen herrühren. Deshalb, wie verdammenswert der Gebrauch dieser Künste und der Umgang mit ihnen auch sein möge, kann im Hinblick auf deren Spekulation und Betrachtung (wenn sie fleißíg entwirrt werden) ein nützliches Licht gewonnen werden, nicht nur für das richtige Urteil über die Schulden der wegen solcher Praktiken Angeklagten, sondern auch ebenfalls für die weitere Enthüllung der Geheimnisse der Natur.172
An dieser Stelle bestand Erkennen programmatisch nicht mehr in der Sammlung von Zeichen einer tieferen Realität, sondern in der Einordnung von Tatsachen. Die Besonderheiten und Verirrungen der Natur waren nicht mehr Korrektive der Allgemeingültigkeiten oder Gemeinplätze (loci communi), worauf die Wissenschaft seit Aristoteles abzielte.173 Die Wissenschaft sah sich nicht als eine geheime, ›okkulte‹ (versteckte) Spielart, sondern eher als eine bestimmte Darstellung der Öffentlichkeit. Da scheinbar 171
172
173
Martin Biermann: De magicis actionibus exetasis succincta. Helmstädt 1590, Theorem 1. Zitiert nach: Clark (1984), S. 351. Vgl. auch Celso Mancini, der 1591 die Möglichkeit göttlicher Träume bestritt und sich ausdrücklich auf Aristoteles bezog. Celso Manzini: De Somniis de risu, ridiculis … Ferraria 1591. »Neither I am of the opinion in this history of marvels, that superstitious narratives of sorceries, witchcrafts, charms, dreams, divinations, and the like, where there is an assurance and clear evidence of the fact, should be altogether excluded. For it is not yet known in what cases, and how far, effects attributed to superstition participate of natural causes; and therefore howsoever the use and practice of such arts is to be condemned, yet from the speculation and consideration of them (if they be diligently unravelled) a useful light may be gained, not only for the true judgment of the offences of persons charged with such practices, but likewise for the further disclosing of the secrets of nature.« Francis Bacon: De augmentis scientiarum. Book II, chapter 2. In: The Works of Francis Bacon. Hgg. von J. Spedding, R. L. Ellis, D. D. Health. 14 Bde. London/Boston 1857–1874. Zitiert nach: Clark (1984), S. 355. Vgl. dazu Daston, Park (1998), S. 220–231. Vgl. Peter Dear (1990). Lorraine Daston: Strange Facts, Plain Facts, and the Texture of Scientific Experience in the Enlightenment. In: Proof and Persuasion. Essays on Authority, Objectivity, and Evidence. Hgg. von Suzanne Marchand, Elizabeth Lunbeck. Princeton 1996, S. 42–59. Zur zeitgenössischen Entstehung der Wunderkammern, vgl. Daston, Park (1998), S. 255–301; Theatrum naturae et artis. Theater der Natur und Kunst, Essays. Wunderkammern des Wissens. Hgg. von Horst Bredekamp, Jochen Brüning, Cornelia Weber. Berlin 2000.
166 ›abergläubische‹ Phänomene Manifestation einer noch nicht bekannten Naturkausalität sein könnten, waren, laut Bacon, sämtliche Wahrsagungskünste nicht verwerflich. Der nächste Schritt folgte, als Moralisten die Wahrsagungskünste als Ausdruck eines verborgenen, quasi verschwörerischen, veralteten Wissenschaftsethos betrachteten. So wurden beispielsweise in der klassischen, am Wiener Hof besonders beliebten Piazza universale des Tommaso Garzoni alle Divinationskünste in der »falschen« Kabbala angesiedelt: Dieweil aber durch ein Decretum S: Inquisitionis zu Rom alle Cabalistische Buecher verbotten seynd/ soll man wissen/ daß die Cabala zweyerley sey: eine die warhafftige/ die andere aber falsch. Die warhafftige vnd gute ist die jenige/ darinnen die Geheimnissen deß Gesetzes erklaeret werden […]. Die falsche/ boese vnnd Gottslaesterliche Cabala ist nicht anders/ als eine newe Jnvention der Juden/ von welcher sie vorgeben/ daß sie jhre Vaetter von Moyse empfangen/ vnd von denselbigen biß auff den heutigen Tag auff sie gebracht worden. Jst voller Luegen/ Fabeln/ vnd Jrrthumb/ vnnd ein geringer Vnterscheid zwischen jhr vnd der Nigromantia: als in welcher vermeyntlich etliche verborgene Namen Gottes erklaeret werden/ beneben Anzeigung derselben Krafft vnnd Wuerckung/ vnnd wirdt von etlichen aberglaeubischen Jude[n] gebraucht zum Teuffels bannen/ vnnd allerhand Kuensten/ wie die Zauberer verrichten/ mit Vorgeben/ es habe auch Moyses hierdurch seine Wunderwerck gethan […]: Jtem allerhand Kranckheiten dardurch zuheylen.174
Im Zentrum der Auseinandersetzung stand die Einschätzung der Divinationskünste in ihrem Bezug zum Aberglauben. Der erste Gelehrte, der den ›Aberglauben‹ aus seiner rein polemischen Verwendung herauslöste, war Paracelsus.175 Bereits in den 1530er Jahren hatte er eine Hierarchie der Wissenschaften je nach Nähe zum Göttlichen entworfen. Nach Paracelsus nahm der Mensch nur den Schein der seinen Sinnen erscheinenden Dinge wahr. Der Mensch könne daher die verborgene Wahrheit erst durch die Untersuchung der ihm seit der Schöpfung zur Verfügung stehenden Zeichen und die Magie bzw. Wissenschaft der Zeichen gewinnen. Da der Mensch ein Mikrokosmos des Weltalls sei, seien sämtliche Elemente der Natur in seinem Körper eingeschlossen. Zwischen den körperlichen und den natürlichen sowie übernatürlichen Vorgängen beständen Verhältnisse der Analogie und Kontinuität, der ›Sympathie‹ und der ›Antipathie‹. Der Ort der Kommunikation mit dem Übernatürlichen und damit mit der reinsten Erkenntnis im Menschen sei der Geist (mens, animus). Die Ankündung zukünftiger Dinge durch die göttliche Stimme sei demnach die höchste Stufe der Prophetie. Die Vorhersage durch die Beobachtung der Natur sei Gegenstand der Astronomie, Medizin, Philosophie, Physiognomie, 174
175
Tommaso Garzoni: Piazza universale. Das ist: Allgemeiner Schauplatz/ Marckt und Zusammenkunfft aller Professionen … Nürnberg 1962 (Chronica, Sonderfolge 6A) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurt am Main 1659), S. 292. Die deutsche Übersetzung erschien zum ersten Mal im Jahre 1619. Vorher hatte bereits eine lateinische Fassung kursiert. Die erste italienische Fassung stammt aus dem Jahre 1589. Vgl. dazu Gantet: ›Superstition‹ (Aberglaube) [im Druck].
167 Chiromantie. Die dritte Stufe nach unten sei die von Paracelsus benannte divinatio, d. h. die Erkenntnis aus den Zeichen, in der Träume, geistige Erscheinungen und Offenbarungen eine wichtige Rolle spielten. Noch unreinere Wissenschaften bestanden in der Anrufung von Geistern, auch sortilegium benannt, oder in der Schließung eines Pakts mit einem Geist. Dazu zählten die geomantia, die austromantia, die pyromantia und die hydromantia. Ganz unten in der Skala der Wissenschaften standen die Vorzeichen oder Vorhersage in Bezug auf die Beobachtung von Vogelflügen, Tiereingeweiden, Witterungen und Kristallkugeln, die Paracelsus unter dem Begriff Aberglaube subsumierte.176 Die Magie bestätige und verstärke den Glauben – so beispielsweise an der Geburt Christi, als die drei Weisen dank ihrer Wissenschaft den Neugeborenen fanden – es sei denn, sie werde schlecht angewendet und damit zur »Zauberei«, d. h. zum »Aberglauben«.177 Nach Paracelsus bewirkte das Anschauen von Reliquien oder religiösen Bildern sowie das Durchführen ungebührlicher Riten eine körperliche Bewegung und Seufzen, die wiederum zunächst eine Glaubensüberzeugung, dann abergläubische Handlungen erzeugten.178 Mit anderen Worten: als Aberglaube bezeichnete Paracelsus ebenso die nicht christianisierten Praktiken der Zukunftsvoraussage wie den physiologischen Vorgang der Herausbildung einer Glaubensüberzeugung ohne psychische Vermittlung. Die Quelle dieser heterogenen Auffassung blieb jedoch die protestantische Polemik gegen die katholischen Bilder, Reliquien und Riten. Zwei sehr einflussreiche Werke des 17. Jahrhunderts werden die langfristigen Entwicklungen verdeutlichen. Im Zusammenhang der ›allgemeinen Reformation‹ der Theologie, der Liturgie und der Gesellschaft und deren pädagogische, medizinische und intellektuelle Forderungen stellte die in der calvinistischen Akademie Herborn 1630 veröffentlichte Encyclopaedia von Johann Alsted in topischer und systematischer Form auf über 5000 Folien eine universelle Wissenschaft dar, die in 37 Disziplinen nach der Ordnung der Essenz (ordo essendi) und derjenigen der Erkenntnis (ordo cognoscendi) aufgegliedert wurde. Alsted wollte nicht nur den Kreis der bekannten Disziplinen, sondern auch die Gesamtheit der philosophischen Meinungen darüber erfassen. Dazu kombinierte er in einer höchst eklektischen Weise den Aristotelismus, den Ramismus, also die Philosophie des Pierre de La Ramée (Petrus Ramus), die mittelalterlichen artes memoriae und die astronomischen Spekulationen des Raymundus Lullus. Jeder Band wurde mit unterschiedlichen Diagrammen eingeleitet, die nach der Empfehlung von Pierre de La Ramée das gesamte Wissen didaktisch zusammenfassten. Dabei wurde die Wahrsagung als Nebensächlichkeit behandelt. Sie wurde auf die Magie 176 177 178
Vgl. Paracelsus. Bd. IV (1932), S. 72–75. Ebd., S. 299–303. Ebd., S. 205.
168 beschränkt und neben die Kabbala, die okkulte Philosophie und die Alchemie gestellt, die zusammen mit der Gymnastik und exotischen Wissensbeständen im siebten und letzten Band im wissenschaftlichen »Wust« (farragines disciplinarum) behandelt wurden.179 Die Magie, die okkulte Philosophie und die Alchemie fielen weder in den Bereich der wahren Wissenschaft noch in denjenigen der teuflischen Handlungen, sondern in das Gebiet einer Art Kuriositätenkabinett. Dieses Herausnehmen der Divinationskünste aus dem üblichen cursus philosophicum entsprach jedoch nicht dem Inhalt der Encyclopaedia. Im Text wurde beispielsweise die Alchemie als »die Kunst, die reinste Medizin vorzubereiten, um den menschlichen Körper und die unzulänglichen Metalle zu vervollkommen«,180 die Kabbala als »die Kunst, die sich um die tiefsinnigste Erklärung des hebräischen Textes der heiligen Schrift bemüht«181 definiert. Die Astrologie sowie die paracelsistische Medizin wurden ihrerseits als legitime Wissenschaften betrachtet. Diese widersprüchliche Haltung leitete eine Wende ein. Nachdem, bis Ende des 16. Jahrhunderts, die Anstellung paracelsistischer Ärzte an manchen deutschen Höfen182 sehr begehrt und die Alchemie eine öffentliche Tätigkeit geworden war, weckten in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts einige alchemistische Entsprechungen für christliche Symbole, beispielsweise, des ›göttlichen Wassers‹ und des Taufwassers, der Macht der Alchemisten und des Schöpfungswunders sowie der Auferstehung, zunehmend Misstrauen. Viele Gelehrte gaben zwar ihre okkulten Tätigkeiten nicht auf, übten sie jedoch nur noch bei Nacht aus.183 Die konfessionelle Verhärtung hätte somit zu einer Änderung, zunächst der wissenschaftlichen Praktiken, später der Klassifikationen, beitragen können. Diese Ambivalenz charakterisierte ebenfalls das Werk des Jesuiten Athanasius Kircher der in seiner Ars Magna Sciendi (1669) mehrere Systeme von Wissenschaftsklassifikationen übereinanderlegte. In die Medizin ordnete er die auf paracelsistischen Ideen begründete »chemische Medizin« und die
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180 181 182
183
Johann Heinrich Alsted: Encyclopaedia. Bd. 4. Stuttgart/Bad Cannstatt 1989 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe Herborn 1630), S. 24. Alsted (1989/1630), S. 2275 a.1. Ebd., S. 2279 b.1, 2273 b.7. Vgl. dazu Jost Weyer: Graf Wolfgang II. von Hohenlohe und die Alchemie. Alchemistische Studien in Schloß Weikersheim 1587–1610. Sigmaringen 1992 (Forschungen aus Württembergisch Franken 39); Robert Evans: Rudolf II and his world. A study in intellectual history, 1576–1612. Oxford 1973; Medicine at the Courts of Europe, 1500–1837. Hg. von Vivian Nutton. London/New York 1990 (The Wellcome Institute Series in the History of Medicine); Hugh Trevor-Roper: The Court Physician and Paracelsianism. In: Ebd., S. 79–94; Bruce T. Moran: The Alchemical World of the German Court. Occult Philosophy and Chemical Medicine in the Circle of Moritz of Hessen (1572–1632). Stuttgart 1991 (Sudhoffs Archiv, Beihefte 29). Vgl. dazu die brillante Untersuchung von Howard Hotson: Johann Heinrich Alsted, 1588–1638. Between Renaissance, Reformation, and Universal Reform. Oxford 2000.
169 »magische Medizin« ein, »die Zeichen, Charakter, Amulette oder andere abergläubische Riten benutzt, um die Krankheiten zu vertreiben«.184 In die »diskursiven Wissenschaften« ordnete Kircher die »divinatorischen«, die in »judiziare Astrologie«, »Physiognomie« (Erforschung des Temperaments einer Person und deren Zukunft nach den Gesichtszügen) und »Zauber (sortilegia), bzw. abergläubische Wissenschaften« ein. Diese nahmen denselben Rang wie hervorragende Wissenschaften, z. B. Grammatik, Rhetorik, Poetik, Logik oder Dialektik ein, waren also gleichwertig mit den Disziplinen des trivium, die den Anfang des Studiums eines jeden Akademikers bildeten. In keinem enzyklopädischen Werk wurde die Traumdeutung als Aberglauben abgewertet wie die sonstigen Divinationskünste. Dafür spielte die Verwendung des Traums als Offenbarungsmodus in der Bibel immer noch eine wichtige Rolle. Hauptgrund für das Herausheben der Traumdeutung scheint jedoch darin bestanden zu haben, dass die Wahrsagungskünste parallel zur sinnlichen Erkenntnis an Bedeutung verloren. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Ungläubigkeit des Hl. Thomas185 in den Traktaten zur Hexerei und Zauberei oftmals erörtert wurde. Als die Imagination als eine gefährliche Irrtumspotenz gesehen wurde und die Erkenntnis nicht mehr nach der Seelenlehre Aristoteles’ als Ergebnis der vermittelten Bilder von äußeren Objekte über die äußeren Sinne in die Imagination und weiter zum Verstand und Gedächtnis betrachtet wurde, erhielt der Traum einen neuen, ambivalenten Status. Auf der einen Seite verwies er auf einen inneren psychischen Raum der Versuchung. Auf der anderen Seite fungierte er als eine Konkretion nicht sinnlicher, deshalb reiner Erkenntnis. 3.3.2
Imagination, Sehsinn und sinnliche Erkenntnis
Nach Luther – wie im humanistischen Kreis um Charles de Bovelles – war der spirituellste und intellektuellste Sinn eindeutig der Hörsinn: »auditum verbi Dei, id est fidem« sagte Luther, für den das Ohr das Organ des Christen war.186 So schrieb er gegen die ›Schwärmer‹, die jede sinnliche Vermittlung ablehnten: Du must, sagen sie, den Geist haben, aber wie ich den Geist haben kan, das wollen sie nicht lassen: Nu wie kan ich den Geist uberkomen und gleuben, wenn man mir nicht prediget das Wort Gottes und die Sacrament reichet? Ich mus das Mittel haben, denn der Glaube koemet as dem gehoer, das gehoer aber durch das Muendlich Wort, Rom. 184
185
186
Athanasius Kircherus: Ars magna sciendi … Amstelodami: Waesberge & Weyerstraet. 1669, S. 206: »Magica. Quae signis, characteribus, amuletis, aliisque superstitiosis ritibus, ad morborum depulsionem utitur«. Thomas bezweifelte die Auferstehung Christi, bevor er seine Wunde tastete. Vgl. dazu das spektakuläre Gemälde von Caravaggio: Die Ungläubigkeit des Hl. Thomas. 1601/02. Ölgemälde, 107 × 146 cm. Sanssouci, Potsdam. Zitiert nach: Roland Barthes: Loyola. In: Ders.: Sade, Fourier, Loyola. Paris 1971 (Tel Quel), S. 43–80, hier 70.
170
Abb. 6: Athanasius Kircher: Ars magna sciendi … Amstelodami: Jansson. 1669, S. 211.
171 am zehenden [Roem. 10:14]. […] G OTT kan nicht unser G OTT sein, er gebe uns denn etwas eusserliches, daran wir jn finden, als das Muendliche Wort und die zwey Sacrament. Wenn ich Gott nicht ergreiffe durch Eusserliche ding, wie kan ich jn denn antreffen?«187
Entgegen Luther und dem humanistischen Milieu um Charles de Bovelles bestand nach Melanchthon und anschließend nach Peucer die Erkenntnis zunächst in der Sicht der Dinge. In seinem Commentarius in Genesin hatte Melanchthon Erkenntnis als einen ›Durchblick‹ oder eine sinnliche Intuition definiert, die die Undurchsichtigkeit der Dinge aufheben könne. Der Irrtum (caligo) dagegen war durch die Sehunfähigkeit oder die adversio Dei, d. h. die Ablehnung der Sehfähigkeit bedingt. Seinem physiologischen Verständnis der Seele und seiner Auffassung des vom heiligen Geist erleuchteten affectus entsprechend, vermischte Melanchthon Erkenntnis (pars cognoscendi) mit Willen. Seine Erkenntnistheorie trat hinter der Überzeugung von der Berufung des Menschen zur Transzendenz zurück. Gott greife dreimal ein, um den Menschen zu erleuchten: er präge zunächst in der Seele sichere Erkenntnisse, er bestätige die universelle Erfahrung (wie, laut Melanchthon, diejenige der Unbeweglichkeit der Erde) und enthülle allen Menschen durch Versprechungen seinen Plan. Melanchthon erläuterte nicht weiter den Erkenntnisprozess, der auf der einen Seite sinnlich, gar visuell, auf der anderen Seite ganz nach dem Modell einer inneren und unmittelbaren religiösen Offenbarung konzipiert war.188 Die zunehmende Bedeutung des Sehsinns für die Erkenntnis trug vermutlich zum Erfolg der ramistischen Reformen bei. Pierre de La Ramée, der im Zuge der Bartholomäusnacht ermordet wurde, hatte nicht nur die Autorität von Aristoteles, Cicero und Quintilian bestritten und einen neuen Studiengang vorgeschlagen, sondern auch behauptet, dass das gesamte Wissen jedem Menschen zur Verfügung stehe, der die richtige Methode in seiner Muttersprache entdecken könne: seine Dialektik. Er verbreitete die didaktische Anwendung von Diagrammen, die auf einem Blatt das ganze Wissen visuell zusammenfassen könnten.189 So entstand in Wittenberg 1580 eine neue Fassung des Liber de anima von Melanchthon nur in Form von Diagrammen, ohne jeden Kommentar. Dabei fasste Johannes Grün, die aristotelische Terminologie einbeziehend, das gesamte Wissen
187
188 189
Luther: Werke. WA 28, Predigten über das 5. Buch Mose (1529), S. 501–703, hier 576–577. Vgl. Freyburger (1988), S. 39–44. Die Relativierung dieser Art Visualisierung des Wissens durch Ian Maclean scheint mir kaum überzeugend. Vgl. Ian Maclean: Logical Division and Visual Dichtotomies. Ramus in the Context of Legal and Medical Writing. In: The Influence of Petrus Ramus. Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Sciences. Hgg. von Mordechai Feingold, Joseph S. Freedmann, Wolfgang Rother. Basel 2001 (Schwabe Philosophica 1), S. 228–247.
172 über die Physiologie des Traums zusammen. In Bezug auf den »Stoff« (materia) des Traums war er verunsichert: Der Traum wurde zunächst auf »den gesamten Leib«, dann auf das »Gehirn«, dann auf die »Nerven« und schließlich auf die spiritus animales zurückgeführt.190 Das Hervorheben der aristotelischen Lehre der Seele als Form des Leibes diente der Verteidigung der ›rechtgläubigen‹ Lutheraner gegen die anabaptistische bzw. spiritualistische Wertung des Geistes. Der Zürcher Gelehrte Conrad Gesner lieferte dabei einen wichtigen Beitrag. Er veröffentlichte 1586 einen Traktat über die Seele, der aus Vorlesungsnotizen hervorging und vor allem didaktischen Zwecken diente. Dies ist vermutlich der Grund dafür, dass er ihn mit eigenen Illustrationen zu seinen Seelenvorstellungen versah. Es handelte sich bei diesen jedoch nicht mehr um physiologische Abbildungen der Gehirnventrikel, auch nicht bloß um ramistische Diagramme, sondern um symbolische und emblematische Abbildungen der Seelenkräfte. Die allgemeine Botschaft war aristotelisch geprägt. Er bebilderte beispielsweise den Erkenntnisprozess mit (unten rechts) fünf Strichen für die Daten der fünf äußeren Sinne, die den Punkt des sensus communis oder Wahrnehmung (A) erreichen, weiter durch Imagination (B) zur Vernunft und abschließend zum Geist (C) emporsteigen. Zwei Neuerungen in Bezug auf die Seele erscheinen auf diesem Blatt bemerkenswert. Erstens üben die Sterne einen Einfluss auf die Seele (N) aus. Zweitens ist der Spiritualisierungsprozess der Gedanken durch die unmittelbare Präsenz des Teufels (B oben rechts) in der Seele gefährdet. Das Blatt ist auch moralisch gefärbt, mit einem memento mori unten links (L). Es drückt das Bemühen aus, die physiologische Seelenlehre in einen metaphysischen und protestantischen Rahmen einzufügen. Die Seelenkräfte und die Erkenntnisgewinnung präzisierte Gesner in einer weiteren Abbildung. Er (oder der Holzstecher, der seine Skizzen ausführte) stellte die dreiteilige vegetative Seele, darüber die fünfteilige bzw. fünfsinnige anima sensitiva exterior dar. Der Buchstabe K symbolisiert den sensus communis, in dem die Daten der fünf Sinne konvergieren, darüber die phantasia (I), die memoria (H), und das Dreieck S der dianoia, das die Verbindung zwischen Gedächtnis und rationaler Seele herstellt. Der nach unten gekehrte Halbkreis endet einerseits in einem Quadrat, das die ratiocinatio darstellt, andererseits in einem Dreieck, das die aus dem Syllogismus gewonnene opinio (doxa) wiedergibt. Die vertikal durchgehende Linie, die in A endet, ist der aktive Geist (die mens in actu); der Kreis A ist der oberste Teil der mens, welcher Gott erkennen kann. Die Kreise der vegeta-
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Johannes Grün: Liber de anima Dn: Philippi Melanthonis in diagrammata methodica digestus … Vitebergae: Simon Gronenbergius. 1580, Fol. 31 r°. Dieses Buch wurde als Lehrbuch für die Schulen konzipiert.
173
Abb. 7: Conrad Gesner: Physicarum Meditationum, annotationum & Scholiorum lib. V. Tiguri: Froschover. 1586, S. 188.
tiven und sensitiven Seelenbereiche sind unabgeschlossen, womit die Zirkulation der Spiritus und damit auch eine gewisse Dynamik angedeutet werden sollte. In anderen Figuren versuchte Gesner, diese Dynamik durch Verknüpfungen und Überschneidungen der Kreise abzubilden. Die symbolische Darstellung mag die zunehmende Schwierigkeit ausdrücken, die unsichtbaren, obgleich materiellen, Komponenten der Seele zu veranschaulichen, da die zuvor dominante Ventrikellehre von den neuen anatomischen Untersuchungen nicht bestätigt worden war. Dies bedeutete dennoch, dass die Seele als Lebensprinzip nicht mehr im Herzen, wie in der aristotelischen Tradition, sondern mit ihren Vermögen im Gehirn lokalisiert wurde. Dass dem Sehsinn für die Erkenntnis eine Schlüsselrolle zukam und daraufhin Bezug auf epistemische Bilder der Seelenkräfte und Erkenntnisprozesse nahm, stand im Zusammenhang damit, dass sowohl Sehsinn als auch Erkenntnisprozess hinterfragt worden waren. Die Antworten waren bezüglich der Entstehung des Aberglaubens moralisch, bezüglich der Bilder für die Imagination medizinisch.
174
Abb. 8: Ebd., S. 190.
175 Die Abgrenzung des Einflusses des Teufels in der Außenwelt, dessen postulierte Unfähigkeit, reale Wirkungen hervorzurufen, lief parallel zur Zunahme dessen täuschender Macht. Ursprünglich lutherisch geprägt, wurde das Thema der Einmischung des Teufels in die menschliche Seele zum christlichen Gemeingut. Der Teufel könnte die sinnliche Wahrnehmung täuschen und die inneren Vermögen mit »Ekstasen« und »Raserei« entstellen. Er könnte die Luft verändern und so phantastische Formen um reale Leiber wie eine Art Hülle bilden, dadurch den Sinnen täuschende Objekte vorspiegeln. Er könnte ebenfalls die Imagination der Hexen verwirren und deren Träume ausnutzen, um ihnen eine Verwandlung in Wölfe vorzutäuschen. Der Mensch könne dem Teufel aufgrund seiner täuschenden Macht nicht widerstehen, sondern nur entwischen. Wie schaffte es jedoch der Teufel, sich in die Seele einzuschmeicheln? Obgleich von Lutheranern, später von Katholiken verbreitet, war die Idee von der Einmischung des Teufels in die Seele der Menschen zunächst von Paracelsus formuliert worden. Paracelsus definierte den Teufel als einen »Geist«. Als Geist besitze er »keine Stätte, darum [sei er] nicht in körperlichen Dingen, sondern in ihrem Reiche«.191 Der Mensch sei demnach nicht in seinem Körper besessen, wie das landläufige Verfahren des Exorzismus annahm, sondern in seiner Seele, genauer in deren spirituellstem Teil, im Geist oder in der Imagination.192 Der Teufel entstelle den christlichen Glauben, indem er den Geist bzw. die Imagination, d. h. das Organ in dem sich der Glaube herausbilde. Durch Anwendung des polysemantischen Charakters vom »Glauben« versuchte Paracelsus die philosophische und epistemologische Frage der Entstehung der Gedanken zu beantworten. In der aristotelisch-galenischen Tradition vermittelten die äußeren Sinne mit ihren Nerven und spiritus Bilder der äußeren Dinge, die zur Imagination, weiter zum Verstand und Gedächtnis leiteten. Die Kodierung der von den Sinnen empfangenen Bilder der Dinge in geistige Bilder wurde gar nicht thematisiert.193 Paracelsus ging einen Schritt weiter, indem er die Wahrnehmung und das Bewusstsein erstmalig in Verbindung brachte: … der Mensch ist blind mit sehenden Augen, taub mit hörenden Ohren, mit seiner Nase riecht er nichts, mit seinen Händen tastet und greift er nichts, sein Leib empfindet nichts. Das ist nun so zu verstehen. Er sieht wohl, weiß aber nicht, was er sieht, er hört wohl reden, versteht es aber nicht, er hat wohl den Ton und Hall von einem jeden Ding, weiß aber nicht was es ist, versteht es nicht. Also riecht er wohl, weiß aber nicht was er riecht, er greift es nicht. Denn er hat sich allein ob dem Dinge, das ihm in seinem Ge191
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Vgl. Paracelsus: Das Buch des Theophrastus von den durch böse Geister besessen, in: Paracelsus. Bd. IV (1932), S. 234–248, hier 236. Ders.: Buch über die Seelen der Menschen, die nach dem Tode erscheinen. In: Ebd., Bd. IV (1932), S. 260–265, hier 262. Hier zeichnet sich auch der Einfluss der von Ficino definierten spiritus phantastici ab. Vgl. Aristoteles: Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung. In: Ders. (1997), S. 47–86.
176 müte liegt versehen und vergafft, wie ein Affe in einem Spiegel oder wie ein Kind in einen schönen Kram, oder wie ein Narr in ein Gemälde …194
Der Glaube und die Vorstellung entsprängen aus dem Gemüt. Die Bilder der äußeren Sinne würden durch kleine Abbilder des Menschen als Imagination empfangen, die Paracelsus Homunculi nannte. Diese verbärgen »eine heimliche Menschheit in spiritueller Weise«, hätten »alle Gestalten und Gliedmaßen wie ein Mensch, doch […] so klein als man sie nur machen kann. In ihnen werden alle Verrichtungen (Operationen) der Menschen vollkommen ausgeführt, in sie werden alle Kräfte der Menschen und der Wille des Menschen gebracht.«195 Paracelsus präzisierte nicht weiter, ob diese Homunculi rein immateriell, oder ob sie korpuskular seien. Obwohl diese Hypothese bestehen blieb, wurden die Homunculi im Laufe der Zeit zunehmend metaphorisch verwendet als Synonym für das ›innere Auge‹. Ähnlich wie Peucer, der die Seelenkräfte nach ihren jeweiligen materiellen und geistigen Aufgaben aufgeteilt hatte, rekurrierten viele Gelehrte auf die aus der platonischen Philosophie und der Mystik stammende Vorstellung eines inneren Auges.196 Dies ließ jedoch die Fragen des Zusammenhangs zwischen der Außenwelt, dem Organ der Augen, der Entstehung von Bildern im Gehirn und der Schau Gottes, d. h. der Wahrnehmung und der geistigen Vorstellungen offen. In der Folge ergab sich eine Vielzahl divergierender Antworten. Infolge der intensiven Beschäftigung mit dem Aberglauben wurde man auf den Zauber, der vom Anblick ausging (fascinatio), zunehmend aufmerksam. Miguel de Medina und Marsilio Ficino folgend behauptete Benito Pereira, Jesuit und Autor der 1586 erlassenen päpstlichen Bulle gegen die judiziare Astrologie, dass die Imagination eines Menschen eine Macht über den eigenen sowie über den Leib eines anderen Menschen habe.197 Delrío lehnte dies ab, weil sie seiner Ansicht nach auf der platonischen Lehre der Emission beruhte: Danach senden die Augen spiritus in die Luft, die sich, beim Erreichen der anderen Person, in ihre Nerven und Venen einschmeicheln und in ihr Herz eindringen. Diese Ansicht schien Delrío »abergläubisch«.198 Er bezog sich auf die aristotelische Lehre des Sehens als Empfang von spiritus, bestätigte dabei den Leibarzt Heinrichs IV., André du Laurens, schlug jedoch einen ambivalenten Kompromiss vor: Die Imagination könne 194
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Vgl. Paracelsus: Buch über die Bildnisse. In: Paracelsus. Bd. IV (1932), S. 327–347, hier 344. Ebd., S. 343–344. Vgl. unten Kapitel 4, S. 206–287. Vgl. Benito Pereyra [Pereira]: Aduersus fallaces & superstitiosas artes. Id est, De Magia, De obseruatione Somniorum, & de Diuinatione Astrologica. Libri tres. Lvgdvni: Ex officina Ivntarvm. 1592. Delrio (1617), Liber 1, cap. 3, quaestio 4, »An solo contactus, visu, voce, afflatu, osculo, vel nudi lintei applicatione vulnera & morbi sanari, & alia mira huiusmodi perfici naturaliter poßint?«, S. 20–31.
177 Einfluss auf einen anderen Körper ausüben, sofern die beiden Körper in physischem Kontakt miteinander stünden, die Imagination sehr stark sei, und der Nachbarleib eine deutliche Affinität zum ersten habe.199 Solche vagen Annahmen waren ebenfalls charakteristisch für fünf Dissertationen, die vom Wittenberger Professor für niedere Mathematik und Medizin, Tobias Tandler, im Jahre 1613 herausgegeben wurden. Hieronymus Nymann behauptete in einer von jenen, dass die Imagination zur Heilung bestimmter Krankheiten beitrage, ohne jedoch auf äußere Körper bzw. Objekte einwirken zu können. In einer eigenen Dissertation zur Zauberei (1605) sowie in einer Rede über die Gespenster (1608) setzte er die Hexerei mit Träumen oder Wahn, oder gar einer teuflischen Täuschung gleich. Tandler verwarf die Möglichkeit einer Krankheit oder einer Heilung durch einen bezaubernden Blick, jedoch nicht diejenige der fascinatio an sich, da einzig visuelle, nicht giftige spiritus aus den Augen ausgestrahlt werden könnten. Die in der antiken Mythologie nachgewiesene Tötung von Menschen durch den Basilik (eine riesige Schlange) sei nicht auf dessen Blick, sondern auf sein Gift zurückzuführen.200 Die prägnanteste Antwort stammte vom königlichen Leibarzt André du Laurens, der Ende des 16. Jahrhunderts eine lange Rede über die Bewahrung der Sehkraft verfasste.201 Er rechtfertigte die Länge seiner Rede mit der Nachfrage der Gelehrten nach dem Ursprung der Sehkraft, somit der Imagination.202 Dieses Werk wurde mit einer doppelten lateinischen Übersetzung, in London und in München, sehr erfolgreich.203 Ein Jahr nach der Erstausgabe veröffentlichte du Laurens eine erweiterte Fassung, unter dem Titel Rede über die Erhaltung der Sehkraft, über die melancholischen Krankheiten, die Katarrhe und das Greisenalter, die ebenfalls in London und in Mün-
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Ebd., quaestio 3, »Quanta qualisque sit vis imaginationis quoad effectus hosce miros«, S. 14–19. Tobias Tandler: Dissertationes Physicae-Medicae … Leucoreis Athenis: Z. Schurerus. 1613; Ders.: Oratio de Spectris, Quae Vigilantibus Obveniunt. Witebergae 1613; Ders.: Dissertatio de Fascino et Incantatione. Witeberga 1606. Vgl. dazu Thorndike (1941). Bd. VII, S. 340–342. Die erste gedruckte Fassung stammt aus dem Jahre 1608. Da Delrío sich explizit auf diese Schrift bezieht, muss sie früher verfasst worden sein und kursierte wahrscheinlich bereits in handschriftlicher Form. Vgl. André Du Laurens: Discovrs de la conservation de la veve … Roven: Clavde le Villain. 1608. »Ie suis esté constraint d’adiouster ceste dispute en ce petit traitté de l’œil, en ayant esté fort sollicité, & en ayant receu vn commandement expres.« In: Ebd., S. 62. André du Laurens: De morbis melancholicis tractatus. In Latinam conversus studio T[homas]. Moundefordi/London u.a. 1599; Ders.: Discursus de visus nobilitate et conservandi modo, A Ioanne Theodoro Schönlino … ex clariss. Andreae Laurentii … libello latio adscriptus. Monachi: Berg. 1618. Dazu vgl. Claire Gantet: Zwischen Wunder, Aberglaube und Fiktion: Der Traum als politisches Medium in Frankreich, 1550–1620. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 307–326.
178 chen übersetzt wurde, in der er den Menschen als »ein politisches Tier« definierte und dessen politische Natur bzw. Ordnung in Verbindung mit der Herrschaft der Seele über den Körper brachte. Der Mensch habe eine starke Neigung zur plötzlichen Verwandlung, weil seine Seele durch das Gottesbild geprägt sei und einen Körper steuere, der »ein Modell des Weltalls« sei. Deshalb, laut Du Laurens, »kann er sich in allem wie ein Proteus verwandeln und in einem Augenblick wie ein Chamäleon die Einprägung tausender Farben bekommen.«204 Die Charaktereigenschaft des Menschen, leidenschaftlich Partei zu ergreifen und seine Meinung plötzlich zu ändern, sei eine wichtige Folge der gefährlichen fiktionalen Macht der Einbildungskraft, die in seinem Traktat als das einflussreichste Vermögen der Seele dargestellt wird. Die geistige Krankheit par excellence nannte du Laurens resuerie oder Träumerei. Das Charakteristikum des Traums sei, so Du Laurens, dass der Mensch beim Aufwachen den Wachzustand vom Traum unterscheiden könne. Die Melancholie gehe aus Dämpfen hervor, die im Auge bis zur Linse reichten, entstanden durch übertriebenes Wachen oder durch von Körpersäften und Lebensgeistern verursachte Träume. Das Eigentliche der »Träumerei«, oder in lateinischer Sprache delyrium, wäre hingegen, dass der Mensch die Fiktion für die Realität hielte. Diese »Hauptkrankheit der Seele« teilte Du Laurens in zwei Kategorien: ihre anhaltende Form nannte er phrenesie (Raserei), während die vorübergehenden Formen manie (Sucht), Melancholie (wenn sie ohne Fieber auftrat, aber dafür von Traurigkeit und Angst begleitet war) und Epilepsie genannt wurden. Die politischen Implikationen dieser neuen Definition der Einbildungskraft entwickelte du Laurens selbst in einer weiteren medizinischen Abhandlung, die der königlichen Berührung von an Skrofeln Erkrankten gewidmet war. Hauptfrage dieses Traktates war das königliche Handauflegen. War jene Wirkung nur ein Produkt der Einbildungskraft – das heißt letztendlich, dass die Macht des französischen Gottesgnadentums nur auf fiktiven Grundlagen beruhen könnte? Im Gegensatz zu Pomponazzi205 behauptete du Laurens, dass die Wirkung des königlichen Handauflegens kein 204
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Vgl. Du Laurens (1608), hier vermehrte Ausgabe, Paris: Iamat Mettayer. 1617, Fol. 97 v°: »Car l’ho[m]me ayant en son ame grauee l’image de Dieu, & representa[n]t en son corps le modelle de l’vniuers, peut en vn insta[n]t se tra[n]sformer en tout comme vn Protee, ou receuoir en vn moment co[m]me vn chameleon l’impressio[n] de mille couleurs.« Englische Übersetzung: Ders.: A discourse of the preservation of the sight. London: Jacson. 1599. Lateinische Übersetzung: Ders. (1618); Ders.: Discursus philosophicus et medicus de melancholia et catarrho, in quo de eorum differentiis, causis, signis, et curandi ratione accurate disseritur, a Ioanne Theodoro Schönlino. Ex Andreae Laurentij libello Latio adscriptus. Augustae Vindelicorum: Aperger u.a. 1620. Vgl. dazu Eugenio Garin: Phantasia e imaginatio fra Marsilio Ficino e Pietro Pomponazzi. In: Phantasia-Imaginatio. Hg. von Marta Fattori. Roma 1988 (Lessico intellettuale europeo 46), S. 3–20.
179 Produkt der Einbildungskraft der Geheilten sei. Du Laurens nahm zunächst an, dass sogar ein König wie Heinrich IV., der damals zum Katholizismus konvertiert war, über diese Macht verfüge. Eine Heilung der Wirkung durch Sterne, Sprüche oder Amulette nannte er abwertend »Aberglaube« und »weiße Magie«. In einem zweiten Schritt bemühte er sich, die Macht der Einbildungskraft einzuschränken. Er warf zunächst die Frage nach der Macht der Imagination auf: Dennoch ist die Macht dieser Phantasia ist so bewundernswert, und hat in sich selbst eine so große Täuschungs- und Imaginationsfreiheit, dass sie nie ruht und nie aufhört, da sie sowohl während des Wachens als auch im Traum beim Schlafen manchmal Dinge anstellt, denkt und sagt, die göttlich und jenseits der Kräfte des menschlichen Verstands erscheinen […]. Sie bewegt ganz plötzlich alle Lebensgeister und Körpersäfte […]. Ebenso kann unsere Seele durch ihre Imaginationskraft Formen gestalten und nicht nur auf ihren eigenen Leib, sondern auch auf einen anderen einwirken. […] Gleichwie so bewundernswert die Wirkungen der Imagination sind, ist es für die Vernunft nicht abwegig, dass jemand kraft seiner Imagination den Leib eines anderen bewegen, bezaubern und heilen könnte.206
Sofort aber bezog er sich auf Aristoteles, um diese Hypothese zu widerlegen: Die Kräfte der Imagination kommen entweder aus dem Träger, nämlich aus demjenigen, der als Heiler gilt; oder aus dem Patienten, das heißt aus dem Geheilten. Die Imagination des allerchristlichsten Königs, der Skrofulösen heilt, hat keine Macht über die Kranken: Denn da die Einbildungskraft ein Seelenvermögen ist, da die Seele als eine Entelechie, das heißt, die erste Bewegung des organischen Leibes definiert ist, ergibt es sich, dass sie ihre Macht nur auf den Leib, den sie gestaltet und vervollkommnt, und nicht auf den Leib eines anderen Einzelnen ausübt.207
Die Einbildungskraft wurde damit von Sympathien und Antipathien getrennt und gewissermaßen entpolitisiert. Menschen könnten nun nicht mehr aufgrund konfessionspolitischer Äußerungen, die sich durch Einbildungs206
207
André du Laurens: Discovrs des escrovelles divisé en devx livres … Paris: Raphael dv Petit. 1621, Fol. 16 v°-17 v°: »Or la puissance de cette phantasie est si admirable, & a en soy vne si grande liberté de feindre & imaginer qu’elle ne chomme ny ne cesse iamais, car & veillant & songeant en dormant elle fait, pense & dit quelques fois des choses qui semblent estre diuines & par dessus la portée des forces de l’entendement humain […] Elle meut tous les esprits & les humeurs fort soudainement […] Tout de mesme aussi nostre ame peut, par la force de son imagination, produire les formes & agir non seulement sur son corps propre, mais aussi sur celuy d’autruy […] Comme ainsi soit donc que les effets de l’imagination soient si admirables, c’est chose qui ne semble point trop éloignée de la raison que quelqu’vn puisse par la vertu d’icelle mouuoir le corps d’autruy, l’ensorceler & le guarir.« Du Laurens (1621), Fol. 17 v°-18 r°: »Les puissances de l’imagination sont ou de la part de l’agent, c’est à dire, de la part de celuy qui est reputé guarir: ou de la part du patient, c’est à dire, de la part de celuy qui est guary. L’imagination du Roy Tres-Chrestien qui guarit les scrophuleux ne peut rien sur les malades: Car l’imagination estant vne faculté de l’ame, & l’ame estant definie l’entelechie, c’est à dire, l’acte premier du corps organique, il s’ensuit qu’elle exerce seulement ses puissances sur le corps qu’elle informe & parfait & non sur celuy d’autruy.« Ich hebe hervor.
180 kraft und Sympathien verbreiteten und so andere Personen ansteckten, fanatisiert werden. In England widmete William Tooker ebenfalls eine ganze Abhandlung der Berührung der Kranken durch den englischen König, um die Rechtmäßigkeit von Elisabeth I. zu beweisen – eine Schrift, der Martín Delrío eine ausführliche Widerlegung entgegenstellte, da in seinen Augen die Macht, Wunder vorzuführen, einzig und allein zur katholischen Kirche gehöre.208 Deshalb war die Untersuchung des physiologischen Vorgangs der Imagination und des Sehsinns besonders heikel. In seiner Schrift zur Bewahrung der Sehkraft behauptete du Laurens, dass das Gehirn der wahre Sitz der Seele, und dass der Sehsinn der edelste Sinn sei, aufgrund der verschiedenen Eigenschaften, die er der Seele zusprach, der geistigen Natur ihres Vehikels, der Luft, und des vorzüglichen eigenen Stoffs, des Lichts. Du Laurens widerlegte die platonische Interpretation des Sehens als Sendung bestimmter spiritus zugunsten der aristotelischen Theorie des Empfangs: »Wenn etwas aus dem Augen ausgeht, handelt es sich entweder um einen sehr subtilen Körper, oder um einen Lebensgeist, oder um einen Strahl.«209 Der Basilik tötete die Menschen nicht mit seinen Augenstrahlen, sondern durch einen natürlichen subtilen Körper und durch Dämpfe, die die Luft verpesteten.210 Die Entstehung des Sehens selber erklärte du Laurens jedoch mit Hilfe des traditionellen ›inneren Auges‹. Wir behaupten mit Aristoteles und Galen und der Wahrheit selbst, dass der Empfang in der Linse geschieht, weil es der edelste Teil des Auges ist […], in Mitten des Organs, wie im Zentrum. Dort werden sich die beiden Lichter treffen, das äußere, welches durch die Pupille wie durch ein Fenster eintritt, und das innere, welches durch den optischen Nerv gebracht wird.211
Du Laurens war auf Ausführlichkeit bedacht, versuchte divergierende Meinungen zu versöhnen und schlug dann letztlich eine halbe Lösung vor. Auf der einen Seite hielt er an der herkömmlichen Dichotomie eines äußeren und eines inneren Auges fest, auf der anderen Seite identifizierte er eindeutig das Gehirn als den Sitz der Seele und die »Substanz des Gehirns«212 als Ort der Erkenntnis sowie des Urteils. Die persönliche Identität wurde nicht so sehr 208
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Vgl. Guilielmus Tookerus: Charisma sive donvm sanationis … Londoni: Iohannes Winder. 1597; Delrio (1617), liber 1, cap. 3, quaestio 4, conclusio 3, S. 22–31. »S’il sort quelque chose de l’œil, ou c’est vn corps bien subtil comme est l’esprit animal, ou vn rayon seulement.« In: du Laurens (1609/1617), S. 56. Ebd., S. 58. »Nous tenons auec Aristote, Galien & la verité mesmes, que la reception se fait au crystalin, pource que c’est la plus noble partie de l’œil […], estant situé au milieu de l’organe comme au centre; où se vont rencontrer les deux lumieres, l’exterieure, qui entre par la prunelle com[m]e par vne fenestre, & l’interieure qui est apportee par le nerf optique.« Ebd.: S. 61. Komplettes Zitat: »… la cognoissance ou iugement [se fait] dans la substance du cerueau«. Ebd., S. 61–62.
181 durch das Zusammenwirken von Seele und Körper, als vielmehr durch die menschliche Seele, sogar das menschliche Gehirn definiert. Im Heiligen Römischen Reich, wo die Autorität der Fürsten nicht auf symbolischen Handlungen wie der Berührung von Skrofeln beruhte, wurde die Medizin anders angewandt. Hier erwiesen sich anatomische Untersuchungen als grundlegend. Im Jahre 1608 erschien in Wittenberg eine Sammlung von Disputationen von einem kaum bekannten Mediziner, Tobias Knobloch.213 Der Titel dieses Sammelwerkes zeigt schon den Ehrgeiz des Autors, der – wie auch André du Laurens, im selben Jahr – zum neuen Vesal werden wollte.214 Dieses Werk kann deshalb als exemplarisch für die in Wittenberg für begründet gehaltenen Vorstellungen verstanden und kommentiert werden. Das Werk wies zunächst achtungsvoll auf die bekannten wissenschaftlichen Autoritäten. Die erste Dissertation über die Seele ganz allgemein bezog sich nicht nur auf Aristoteles’, sondern auch auf Melanchthons Definition der Seele.215 Sie betonte die Unsterblichkeit der Seele,216 nahm, ganz im lutherischen Sinn, Partei für die Übertragung der Seele auf den Foetus per traducem im Samen der Eltern,217 und verwarf die Vorstellung einer ›Weltseele‹ (anima mundi) als absurde Erfindung218 Auf dem Titelblatt wurde auch ganz traditionell ein moralisches memento mori dargestellt. Knobloch bestritt jedoch die Möglichkeit der realen teuflischen Besessenheit und der Lykanthropie, d. h. der Verwandlung des Menschen in einen Löwen, unter Bezugnahme auf Johannes Wiers De praestigiis daemonum.219 Die Seele gehöre zur Gattung des spiritus, sie war also rational und unsterblich.220 Um ihre Kräfte (facultates), d. h. ihr Handeln und sicheres Wirken221 ausüben zu können, brauchte sie Organe. Mit Bezug auf Scaligers und Zarabellas Kommentare zu Aristoteles, war Knobloch der Ansicht, dass der »Sitz
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Das Zedler-Lexikon widmet ihm nur drei Zeilen: Zedler. Bd. 15, S. 563. Tobias Knobloch: Disputationes Anatomicæ explicantes mirificam corporis humani fabricam & usum … Witebergæ: Typis Cratonianis. 1608. Der Titel spielt eindeutig auf Vesals berühmte »De humanis corporis fabrica libri septem ein«, die 1543 in Basel erschienen. Tobias Knobloch: Disputatio XXI. De Anima in genere, eivs definitionem, originem, sedem, & immortalitatem explicans … Witebergae: Typis Cratonianis per Iohan. Gorman. 1607, S. 626. Nach der Oppositionswelle zum Kryptocalvinismus war in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts die konfessionelle Lage in Sachsen entspannter geworden. Caspar Peucer wurde sogar befreit. Diese Entspannung trug vielleicht zu einer neuen – relativen – Bewertung von Melanchthons Werken bei. Ebd., S. 638–644. Ebd., S. 629–634. Ebd., S. 629. Ebd., S. 627–628. Ebd., S. 626. Ebd., S. 645: »Facultas est vis & aptitudo animæ, à qua actio siue certa operatio proficiscitur«.
182 der Seele« nach ihrem Wesen und Vermögen nicht das Gehirn, wie es »die galenischen Mediziner« meinten, auch nicht das Herz wie die Aristoteliker behaupteten, sondern »der gesamte Körper« sei.222 Diese überraschende Behauptung begründete er folgendermaßen: Wenn sich die Seele nur in einem Teil des Körpers befände, wäre dieser Teil der Mensch, dieser sei jedoch aus einem Körper und einer Seele zusammengesetzt.223 Mit anderen Worten: Ohne die überlieferte Definition vom Menschen als einem Wesen aus Seele und Körper radikal zu verwerfen, tendierte Knobloch dazu, die Identität des Menschen ausschließlich mit der Seele gleichzusetzen, weshalb er sie auf den gesamten Körper verteilte. Er fügte hinzu, dass die Seele nach ihrer Substanz die Vernunft bzw. der Verstand sei, dass diese jedoch ein eigenes Organ benötige, das sich im Gehirn befände.224 Diese erste Dissertation versuchte nicht weiter, die Seelenkräfte zu lokalisieren: Die traditionelle Ventrikellehre war hinfällig. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Untersuchung des Verstandes. Dieser bestehe in der Erkenntnis (cognitio), die zwischen dem Wahren und dem Falschen urteile und dem Affekt (appetitus), der entweder gut oder böse sei. Der Wille sei also die Kraft (vis) der Seele, die aus den vom Verstand wahrgenommenen und erfassten Daten den Menschen zum Wählen und Handeln führe. Der Wille übe folgende Tätigkeiten aus: Das Wollen, das Nicht-Wollen, eine Tätigkeit einstellen und gutheißen.225 In dieser Dissertation, wie im gesamten Sammelwerk, geriet nicht mehr das Wesen der Seele a priori, auch nicht mehr die statische Beschreibung der Seelenkräfte, sondern die Tätigkeit, das Handeln (operatio) der Seele a posteriori in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Seele hinge demnach vom Körper nicht nur wesentlich, sondern tatsächlich ab. Obwohl Knobloch (aus konfessionellen Gründen?) den spanischen Jesuiten Francisco Suárez nicht einmal erwähnte, hatte er vermutlich dessen weit verbreitetes Werk gelesen.226 Knobloch ließ die Imagination völlig außer Betracht. Zur Wahrnehmung schrieb er nur, dass es ein höchst komplizierter Prozess, kein simples Verhältnis zum Objekt, sei.227 222
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Ebd., Cap. V: De sede animæ, S. 636–638, beispielsweise S. 636: »Quærenti igitur respondemus: anima esse in toto corpore, & in qualibet parte totam, intellige secundum essentiam & potentias, non verò secundum qnantitatem«. Ebd., S. 686–687. Ebd., S. 686–688. Ebd., Cap. VII: De voluntate, S. 706–713. Zu Suárez, vgl. Salvador Castellote Cubells: Die Anthropologie des Suarez. Beiträge zur spanischen Anthropologie des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Freiburg/München 1962 (Symposion); Jean-Paul Coujou: Suárez et la refondation de la métaphysique comme ontologie. Étude et traduction de l’Index détaillé de la Métaphysique d’Aristote de F. Suárez. Louvain-la-Neuve/Paris 1999 (Philosophes médiévaux 38). Suárez’ Werk wurde in Deutschland sofort, auch in den protestantischen Universitäten, rezipiert. Ebd., S. 699–700.
183 Eine weitere Dissertation beschäftigte sich mit Gehirn und Rückenmark. Dem Titel gemäß handelte es sich um eine rein anatomische Untersuchung des Gehirns. Nun wurden alle Sinne auf die Nerven zurückgeführt.228 Der menschliche Körper wurde also als Netz von Nerven angesehen. Zwischen motorischen und empfindlichen Nerven unterschied der Autor wertneutral: die Bewegung war gleichwertig mit der Empfindung. Der Sehsinn sei der höchste, nicht weil er geistiger als die anderen sei, sondern weil er die Erfahrung lenke. Der Hörsinn ermögliche lediglich Disziplin und Gelehrsamkeit. Knobloch unterschied zwei Arten von Nerven nach ihrem jeweiligen Ursprung, im ›Gehirnmark‹ oder im Rückenmark. Er skizzierte den Sehvorgang rein physiologisch. Dabei vernachlässigte er die Vorstellung eines ›inneren Auges‹. Das Innere des Auges bestehe bloß aus Muskeln, Membranen, Hüllen und Körpersäften.229 Da die Nerven Kleinhirn (cerebellum), ›Gehirnmark‹ und Rückenmark miteinander verbänden, hatten sie eine Leitfunktion für die Erkenntnis. Dabei skizzierte Knobloch einige der ersten anatomischen Darstellungen des Gehirns [Abb. 9 und 10]. Knobloch hielt an den Gehirnventrikeln fest, beschrieb sie jedoch nicht statisch als Sitz der Seelenkräfte, sondern als Elemente bzw. Hohlräume des Gehirns, in denen die spiritus animales zirkulierten und sich dem Herzschlag folgend spannten oder ausdehnten. Das Gehirn wurde als Sitz der dem Menschen eigenen Tätigkeiten bezeichnet.
3.4
Fazit
Führten die unterschiedlichen Untersuchungen von Theologen, Juristen und Mediziner zu einem neuen Diskurs über den Traum? Zunächst wurde der Traum kein Gegenstand konfessioneller Auseinandersetzungen bis mehrere parallele, jedoch heterogene Faktoren einen Wandel einleiteten. Bei den Protestanten spielte die Sorge um die Abschaffung des ›Aberglaubens‹ eine nicht unerhebliche Rolle. Im Zuge der Konfessionalisierung bemühten sich dennoch die drei christlichen Konfessionen, den sakralen Bereich vom weltlichen besser zu trennen. Die Jesuiten lieferten dabei einen wichtigen Beitrag. Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert führte die Untersuchung der Magie von Martín Delrío zu einer erstmalig strengen Unterscheidung zwischen den religiösen Wundern und den außergewöhnlichen Naturereignissen. Das religiöse Wunder (to theras auf Altgriechisch, miraculum auf Latein) bezeichne
228
229
Tobias Knobloch: Institutionum Anatomicarum Disputatio XIV. De cerebro; cerebello; & Spinali medulla … Witebergae: Typis Cratonianis per Iohan. Gorman. 1607, Fol. B 4 v°, C 2 r°- C 3 v° (»Cap. IV: »De Nervis seu sensuum organis«). Das Gehirn wurde jedoch noch nach Vesals Rat als Wolken dargestellt. Ebd., Fol. A 4 v°.
184
Abb. 9 und 10: Tobias Knobloch: Institutionum Anatomicarum Disputatio XIV (1607), Fol. B iij v° – B iv r°, B iv v° – C r°.
185 eine Wirkung, welche die Macht der Individuen ebenso wie die der Natur übersteige und deren Zweck per se gut sei. Ein Naturwunder (mirum) dagegen verweise auf ein wunderbares, überraschendes Phänomen, das die Menschen in Erstaunen versetzte, solange sie dessen Ursachen nicht kannten.230 Dabei wurden die Zeichen, auf denen die Erkenntnis beruhte, grundsätzlich verändert. Im Hintergrund dieser konfessionellen und moralisch-disziplinierenden Trends standen dennoch bestimmte Vorstellungen von den Seelenkräften. Als um die Mitte des 16. Jahrhunderts die religiös motivierte Gewalt ausbrach und sich die Hexenverfolgung verbreitete, wurde die Imagination nicht mehr als passive Vermittlungsinstanz zwischen den fünf äußeren Sinnen und den drei inneren, sondern als eine Irrtums- oder genauer Fiktionspotenz wahrgenommen, die auf einen gefährlichen psychischen Versuchungsraum verwies. Parallel dazu trug die Beschäftigung mit der Melancholie, also mit der Pathologie der Seele, zu einer Neubewertung des Verstandes als Hauptvermögens der Seele bei.231 Bei der entstehenden allgemeinen Kritik an der aristotelischen Definition der sinnlichen Erkenntnis wurde zunächst der Sehsinn hinterfragt. Im Zuge der physiologischen Untersuchung wurde die Identität des Menschen zunehmend mit dessen Seele, sogar dessen Gehirn, gleichgesetzt. Inwieweit wurde dieser Wandel von den akademischen Einordnungen der Wissenschaften bedingt? Wie wurde er auch in der nicht wissenschaftlichen Literatur berücksichtigt? Zwar waren Mediziner schon im ausgehenden Mittelalter an den Seelenkräften interessiert. Die Akzentverschiebung von der Bestimmung des Wesens der Seele zur Untersuchung der Tätigkeiten der Seele lässt sich jedoch erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts an den Universitäten beobachten. Dort wurde das Studium der Seele ausdifferenziert. Außer den Auseinandersetzungen über die religiöse Gewalt, die Hexerei und die Melancholie – die Akademiker standen oft mit den Protagonisten der Auseinandersetzungen in brieflichem Kontakt, wenn sie nicht unmittelbar betroffen waren – spielten dabei auch akademische Entwicklungen eine Rolle. Melanchthons Hand230
231
Delrio (1617), liber 2, cap. 6, quaestio 7, »An magi poßint facere aliquod verum miraculum«, S. 115–118. Inwiefern sich diese Neubewertung des Verstands und des Diskurses auf die Einschätzung des Gedächtnisses auswirkte, kann leider an dieser Stelle nicht untersucht werden. Nur so viel: Die Humanisten und die Reformatoren übten vehement Kritik an dem stereotypen Charakter des ars memoriae. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts scheint jedoch die Suche nach einer universellen Sprache im Zusammenhang mit den enzyklopädischen Einordnungen der Wissenschaften zu einer Neubewertung des Gedächtnisses beigetragen zu haben. Vgl. dazu Paolo Rossi: Clavis Universalis. Arti della memoria e logica combinatoria da Lullo a Leibniz. Bologna 1983 (Saggi 244); Claire Gantet: Gehirn, Bücher, Sammlungen: Räumliche Auffassungen des Gedächtnisses, Wissensvermittlung und Wissensverwaltung in Deutschand und Frankreich seit der Frühen Neuzeit. In: Europäische Erinnerungsräume. Zirkulationen zwischen Frankreich, Deutschland und Europa. Hgg. von Kirstin Buchinger, Claire Gantet, Jakob Vogel. Frankfurt am Main 2008, S. 191–218.
186 buch De anima wurde im Jahre 1600, infolge der lutherischen Streitigkeiten gegen den Krypto-Calvinismus aus dem Verkehr gezogen. Stattdessen galt das Werk des Francisco Suárez als richtungsweisend. Der spanische Jesuit behielt zwar das aristotelische Raster der Seele als Form des Körper bei, richtete jedoch weniger auf das Wesen der Seele als auf deren Tätigkeiten seine Aufmerksamkeit. Die Seele hänge vom Körper nicht nur wesentlich, sondern tatsächlich, durch eine von den Sympathien zwischen beiden Substanzen bedingte Kausalität ab. Jede Erkenntnis beziehe den Leib über die Imagination und die Affekte (appetitus) ein. Suárez ordnete das Studium des Geistes der Metaphysik zu, wohingegen die Untersuchung des Körpers zuerst in der Physik, d. h. in der Wissenschaft der Gesetze von Form und Materie, durchgeführt werden sollte. Im Heiligen Römischen Reich wurde diese neue Klassifikation bald in allen Universitäten, unabhängig von deren konfessionellen Zugehörigkeiten, aufgenommen. Die deutschen Studenten befassten sich meist anfangs mit der Physik und erörterten am Ende des Physikkurses die Seele als Lebensprinzip und Form des Leibes, bevor sie zur Metaphysik übergingen, wo sie zunächst die Seele als ewigen Geist, dann die Wissenschaft von den Engeln und Gott studierten. Den Übergang zwischen der Physik und der Metaphysik bildete das Studium der Trennbarkeit der Seele vom Leib. Der Wittenberger Logiker und Metaphysiker Jakob Martini bezeichnete diese neue Wissenschaft der Geister (der rationalen Seele, der Engel und von Gott) als pneumatologia oder pneumatica.232 Innerhalb des aristotelischen Rasters wurde die Seele zunehmend als Geist verstanden. Die vermehrte Kritik an der Wahrsagung schlug sich auch, obgleich mit einem anderen Akzent, in verbreiteten Schriften, wie allgemeinen Traktaten oder Predigten nieder. Katholiken wie Protestanten verwarfen die Traumbücher. Dies führte der Jesuit Benito Pereira zu dem, für einen Leser des 21. Jahrhunderts absurden Schluss, dass nur göttliche Träume eine Bedeutung hätten, welche die Menschen nicht erfassen könnten, da die Traumdeutung nur Gott gehöre.233 In den katholischen und protestantischen Predigten wurde die Wahrsagung bald als »schwere Sünde«,234 bald als »Aberglau232
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Dazu vgl. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Nord- und Osteuropa. Hgg. von Helmut Holzhey, Wilhelm Schmidt-Biggemann. Bd. 1. Basel 2001 (Grundriss der Geschichte der Philosophie 4/1), S. 491–493; Fernando Vidal: La Place de la psychologie dans l’ordre des sciences. In: Revue de Synthèse 3–4 (1994), S. 327–353; Ders.: La ›Science de l’homme‹: désirs d’unité et juxtapositions encyclopédiques. In: L’Histoire des Sciences de l’homme. Trajectoires, enjeux et questions vives. Hgg. von Claude Blanckaert, Loïc Blondiaux, Laurent Loty, Marc Renneville, Nathalie Richard. Paris 1999, S. 61–77. Pereyra, Quaestio VIII, »Cuius hominis sit rite interpreti somnia«. Vgl. beispielsweise die in Form eines Katechismus verfasste Predigt von Johann Georg Groß: Christliche Predigt/ Von dem Wahrsagen/ der Aberglaeubigen … Basel: Johann Jacob Genaths. [1619]. Darin (S. 19) wurde die Figur von Faust zum Inbegriff des abergläubischen Menschen.
187 ben«235 angesehen. Artemidors Traumbuch wurde besonders angegriffen – nicht nur weil es sehr verbreitet war und vielfach benutzt wurde, sondern auch weil es von einem Gelehrten (d. h. Janus Cornarius) übersetzt worden war.236 Allgemein galt nun der Traum als Figur der vanitas. Keine einzige Predigt versäumte, den flüchtigen Traum als Veranschaulichung der Eitelkeit der Welt und die Definition aus Syrach 24, wonach »Träume Bilder ohne Wesen« seien, zu zitieren.237 Das Vanitas-Motiv fußte auf bestimmten Auffassungen von der Seele und der Imagination. Die zwei ausführlichsten und verbreitetsten Predigten über den Traum, die Utilis nocturnorum somniorum consideratio des Katholiken Abraham Hossmann (1613) und der Philosophische und Theologische Traum Discurß des Ulmer Superintendenten Cunrad Dieterich (1624), warfen die Frage des Traums als Fiktion auf.238 Beide entwickelten auch eine physiologische Erklärung des Traums, in der Affekte und Nerven eine wichtige Rolle spielten.239 Die Hauptfrage betraf dennoch nun den Glaubensmodus des Traums und das erste und wichtigste Kapitel von Pereiras Traktat.240 Ebenso erörterte Dieterich 80 Seiten lang den »Hauptpunkt« seiner Predigt, nämlich »Was von den Traeumen zuhalten seye«.241 Die Autoren zogen den Schluss, dass Träume manchmal zwar nützlich für die spekulativen Wissenschaften seien,242 deren Auslegung jedoch zum Modus der Mutmaßung und der Wahrscheinlichkeit243 gehöre. Dieterich wendete in der lutherischen Tradition seine Predigt gegen die ›Schwärmer‹ – die alten und die neuen, die Rosenkreuzer,244 eingeschlossen – und dem eher katholischen Brauch der Votivtafel gemäß, rechtfertigte diese Predigt durch ein Gelübde, das er während einer früheren Krankheit, die schwere Träume verursacht hatte, abgelegt hatte.245 Bis Mitte des 16. Jahr235
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Vgl. zum Beispiel auch Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), S. 37; Dieterich (1625), S. 153–164. Ebd., S. 157–158. Vgl. beispielsweise Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), Fol. B iv r°; Dieterich (1625), S. 2, 5–7. Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), Fol. B iv v°; Dieterich (1625), S. 21. Dieterich bejahte übrigens die Realität der Zauberei: Ebd., S. 122. Pereyra, S. 135; Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), S. 7; Dieterich (1625), S. 5, 30–31. Pereyra, Liber secvndvs, Quaestio I: »An vlla somniis habenda sit fides«, S. 127–132. Dieterich (1625), S. 98–177. Pereyra, Liber secvndvs, Quaestio VII (»An licitvm sit christiano homini, obseruare somnia«), S. 154–157, hier 154. Dieterich (1625), S. 108–121. Dieterich bezog sich sogar auf eine Predigt Luthers zu Mose 5 über die Gefahr der Fanatisierung aufgrund des Glaubens an Träume, die in der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers nicht nachweisbar ist. Ebd., S. 155. Hossmann betonte den Unterschied zwischen nächtlichem Traum im Schlaf und wachender Vision: Hossmann: Utilis nocturnorum somniorum consideratio (1613), S. 60. Dieterich (1625), Fol. †ij v°, S. 129–153: »I. Brauch: Widerlegung der Alten und Newen Enthusiasten und TraumPropheten«. Ebd., Fol. †r° – †ij v°.
188 hunderts wurde die Imagination als das Vermögen verstanden, ein Bild sogar ohne realen Gegenstand darstellen zu können. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurde sie zunehmend als psychische Veranschaulichung eines fiktiven Objektes bezeichnet. Deshalb verwies sie auf eine vanitas, eine Nichtigkeit, die jedoch einen unmittelbaren transzendenten Zugang zu Gott ermöglichen konnte: Mit dieser definition oder Beschreibung [von Aristoteles, C.G.] stimmet zu der Geistreiche Lehrer Syrach/ welcher die Traeume in seinem Buch am 24. cap. mit kurtzen Worten also beschreibet: Traeume sind nichts anders/ den Bild ohne wesen. Dan was uns im Schlaff/ vorko[m]bt/ es sey dis oder jenes bild/ die oder die gestalt/ solche oder ein andere Phantasey/ das ist ein Traum/ und wir nennens ein Traum. Solche Traeume werden nur recht genandt/ Bild ohne wesen. Dann wie ein Bild ein lediges contrafeht/ so nur eines andern eusserliche Gestalt repræsentirt und andeutet/ aber dessen Leib/ substantz und wesen nicht an sich hatt oder begreifet: Also sind die Traeume nuhr ledige Bilder/ so dessen wesen nicht an sich haben/ welches sie andeuten; Das ist/ mit einem Wort zusagen/ sie sind nicht das jenige selbsten/ was sie im Bild vorgeben/ sondern dessen Gespaenst oder Phantasey.246
Mit der Definition des Traums als »contrafeht« oder »Contrafactur«, die auf etwas anderes hindeutet, formulierte Dieterich erstmalig die Problematik der Repräsentation,247 die in der Folge vorrangig wurde. Dabei verschob sich die Beschäftigung mit dem Traum von der Hermeneutik zur Ästhetik.
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Ebd., S. 6–7. Vgl. Louis Marin: Le Portrait du roi. Paris 1981.
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Traum, Seele und Selbsterkenntnis, 1550–1650
Obwohl die zwischen den konfessionellen Parteien hin und her gerissene Traumdeutung zunehmend in Unsicherheit geriet, verschwanden die religiösen Ansätze nicht. Vielmehr kehrte der Satz, »daß unter allen wißlichen Dingen nichts so Edles sey/ als die Erkaendtniß der Seele«,1 in der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit erstaunlicher Häufigkeit wieder. Ebenso wie die Mediziner, die das Wesen und die Tätigkeiten der Seele untersuchten und sie als die dem Menschen eigene Würde charakterisierten, stellten Prediger den Dialog zwischen Gott und den Menschen zunehmend in der Form einer Anatomie der Seele dar. Der Rekurs der Anatomen und Ärzte auf den göttlichen Ursprung der Seele und die klerikale Verwendung der Anatomie-Metapher suggerieren ein diffuses Streben nach der Erfassung des göttlichen Einwirkens im Menschen, ein Verlangen nach der Visualisierung seiner unsichtbaren Komponente und eine Suche nach einer Übereinstimmung zwischen menschlichem Körper, Natur und Wissen.2 Gleichzeitig verbreitete sich zunehmend ein zweites Thema: Der explizite Imperativ, man solle »sich selbst erkennen«. Platon hatte das Streben nach dem Guten als eine Wendung des Blicks von den äußerlichen Verlockungen der Welt hin zu den innerlichen Reichtümern charakterisiert.3 Dieses Anliegen wurde in der Philosophie der Antike vermittels der ›Sorge um sich‹ (epimeleia heautou) thematisiert, die, wie Michel Foucault zeigte, das gnôthi seauton, d. h. das »erkenne Dich
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»Quodque ideo esset decentius, suam cognoscere animam …«, Johann Baptista Van Helmont: Ortvs medicinæ. Id est, Initia physicæ inavdita. Progressus medicinæ novus, in morborum ultionem, ad vitam longam, Amsterodami: Apud Ludovicum Elzevirium. 1648, S. 350. Zitiert nach der deutschen Übersetzung von Christian Knorr von Rosenroth: Aufgang der Artzney-Kunst. München 1971 (Nachdruck der Ausgabe Sulzbach 1683), Bd. 2, Traktat 47,1, S. 858. Da diese Übersetzung sofort als ausgezeichnet betrachtet wurde, werde ich mich im Folgenden auf sie beziehen. Francis Bacon und Richard Burton zum Beispiel bedienten sich dieser Metapher. Francis Bacon: The advancement of learning. Edited with introduction, notes, and commentary by Michael Kiernan. Oxford/New York 2000 (The Oxford Francis Bacon General Edition 4), S. XX; Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. 3 Bde. Oxford 1989–1994. Zu dieser Metapher, vgl. Devon L. Hodges: Renaissance fictions of anatomy. Amherst 1985, S. 89–106. Platon: Vom Staat, 518c-518e. Zitiert nach: Charles Taylor: Sources of the Self. The Making of the Modern Identity. Cambridge 41996, S. 122.
190 selbst« enthielt. Die Umkehr des Blicks von »außen« hin zu »sich selbst«4 bedeutete jedoch keine radikale Reflexivität. In der Antike zielte die Kontrolle der psychischen Vorstellungen nicht auf das Entziffern einer verborgenen Wahrheit, der Wahrheit des Subjekts selbst, ab, sondern im Gegenteil auf das Wachrufen bestimmter, ›wahrer‹ Prinzipien in Bezug auf Tod, Krankheit, Leid und politisches Leben. Die geistigen Übungen der Sorge um sich und die Arbeiten über die freie Bewegung der psychischen Vorstellungen erreichten ihren Höhepunkt in der Meditation oder genauer der Übung des Todes (meletê thanatou) und bestanden in einer Veranschaulichung des Todes im Leben.5 Foucault unterschied das »Spiritualitätswissen« (savoir de spiritualité) der antiken Philosophen – das von christlichen Denker übernommen wurde, um jegliche fleischliche Begierde und teuflische Versuchung aus der psychischen Vorstellungen zu verbannen – vom »Erkenntniswissen« (savoir de connaissance), wie es sich in der cartesianischen Methode herauskristallisiert, das eine willensabhängige und systematische Definition der Aufeinanderfolge der psychischen Vorstellungen postuliert und das innerhalb derselben nur jene anerkennt, die notwendig miteinander verbunden sind.6 Die Christianisierung der platonischen Terminologie wurde schon von Augustinus vollzogen. In seinem Traktat De Trinitate, XII, 1 verstand er unter dem ›äußeren Menschen‹ das Körperliche des Menschen, das dieser mit den Tieren gemein hatte und das sowohl die Sinne wie das Gedächtnis bzw. das Speichern von Bildern äußerer Dinge einschloss. Der ›innere Mensch‹ hingegen verwies auf die eigentlichen Seelenkräfte und die Wahrheit: »Gehe nicht außerhalb; kehre in Dich selbst zurück. Im innerlichen Menschen wohnt die Wahrheit«7. So ebnete das ›Innere‹ einen Weg zu Gott. Die Erkenntnis schließlich resultierte laut Augustinus aus dem »inneren Licht« bzw. dem »Seelenlicht«, das den Sinnesorganen erst ihre Kraft verlieh.8 Der biblischen Bestimmung des Menschen ad imaginem Dei zufolge suchte Augustinus ein Abbild der Dreifaltigkeit in der Seele und ihren Tätigkeiten. Er 4
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Foucault erkannte sofort die Schwierigkeit einer Klärung der Begriffe ›äußerlich‹ und ›innerlich‹: »Se soucier de soi implique que l’on convertisse son regard, et qu’on le reporte de l’extérieur, sur … j’allais dire ›l’intérieur‹. Laissons ce mot (dont vous pensez bien qu’il pose tout un tas de problèmes) de côté et disons simplement qu’il faut que l’on convertisse son regard, de l’extérieur, des autres, du monde, etc., vers: ›soi-même‹. Le souci de soi implique une certaine manière de veiller à ce qu’on pense et à ce qui se passe dans la pensée. Parenté du mot epimeleia avec meletê, qui veut dire à la fois exercice et méditation«: Michel Foucault: L’Herméneutique du sujet. Cours au Collège de France, 1981–1982. Paris 2001 (Hautes Études), S. 12. Foucault entwickelte darin die Thesen des Bands 3, »Le Souci de soi«, seiner »Histoire de la sexualité« (Paris 1984). Foucault (2001), S. 484. Ebd., S. 281, 295–296. »Noliforas ire, in teipsum redi; in interiore homine habitat veritas«, Augustinus: De vera religione, XXXIX, 72. Zitiert nach: Taylor, S. 129. »Alia est enim lux quae sentitur oculis, alia qua per oculos agitur et sentiatur; haec lux qua ista manifesta sunt, utique intus in anima est«. Zitiert nach: Taylor, S. 129–130.
191 wies zunächst den Geist (mens), das angeborene Wissen (notitia) und die Liebe (amor) nach, weiter das Gedächtnis (memoria), die Klugheit (intelligentia) und den Willen (voluntas). Das Gedächtnis sei das inhärente Wissen der Seele von sich selbst. Um dieses zu extrahieren, es explizit zu machen, sollten die falschen Bilder aus der Seele beseitigt werden. Die »Wörter« (verbia), welche die intelligentia bildeten, sollten innerlich formuliert und von Willen und Liebe begleitet werden. Augustinus unterschied entsprechend drei Stufen der Erkenntnis: die Wissenschaft, die Weisheit und die Gottesschau. Der Aufstieg des Menschen in die geistige Welt bestand also in Augustinus’ Augen nicht in der Erlangung ›äußerlicher‹, metaphysischer Stufen, sondern im Emporsteigen durch die Ebenen der Seele, des ›inneren Menschen‹, das daher – trotz der Mehrdeutigkeit des Begriffs – als ein Prozess der ›Verinnerlichung‹ bezeichnet werden kann. Wege dieser Wende nach innen zu sich selbst sollten Meditation und Kontemplation sein. Augustinus charakterisierte sie als eine Tätigkeit der ratio. In ihrem Streben nach dem Jenseits suchte die ratio die Präsenz Gottes (Meditation), oder konnte Gott tatsächlich sehen (Kontemplation oder mystische Schau). Augustinus betrachtete die Meditation als ein »Wiederkauen« des göttlichen Worts und bezeichnete entsprechend die Bibel als »Nahrung« der Seele. Durch das Meditieren über die Heiligen Schrift sollte der Gläubige gleichzeitig sich selbst erkennen und sein Sündenbekenntnis aussprechen. Denn so wie die Sünde als aversio a Deo et conversio ad creaturam verstanden wurde, wurde die confessio als die Einheit des Sünden- und Lobbekenntnisses angesehen.9 Sich kennen bedeutete also: sich als Sünder erkennen und vor Gottes Glanz zurücktreten. Die Sekundärliteratur beschäftigt sich ausführlich mit der Genese bzw. Entwicklung der Subjektivität seit Augustinus, oft in der Perspektive einer Teleologie der sogenannten Geburt des modernen Individuums.10 Dieser Topos muss allerdings präzisiert und nuanciert werden. Johannes Tauler (ca. 1300–1361), später auch Paracelsus, hatte den Terminus Subject als Verdeutschung der scholastischen substantia vorgeschlagen. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts bezeichnete er eine Person.11 Die Subjektivität selbst wurde erst mit Immanuel Kant und Johann Gottfried Herder thematisiert. Die 9
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Vgl. Klára Erdei: Auf dem Wege zu sich selbst: Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung. Wiesbaden 1990 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 8), S. 18–22. Ein Überblick über diese Literatur seit Jacob Burkhardt (1818–1897) ist ein Desiderat der Forschung. Vgl. Natalie Zemon Davis: Boundaries and the Sense of Self in Sixteenth-Century France. In: Reconstructing Individualism: Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought. Hgg. von Thomas C. Heller, Morton Sosna, David E. Wellbery. Stanford 1986, S. 53–63, hier 53; Ian Hacking: The Social Construction of What? Cambridge 1999. Vgl. Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm [http://www.dwb.unitrier.de/index.html], Subject. Bd. 20, Sp. 811–815, hier 811–813.
192 Verwendung der Subjektivität als Kategorie in der Wissenschaft fällt sogar erst in die 20er Jahren des 19. Jahrhunderts. Ihre Formulierung geht auf Maine de Biran zurück, der sich auf das Vermögen des Menschen, sich seiner selbst bewusst zu werden, bezog, um je nach Standpunkt eine Wissenschaft des Subjekts bzw. der Person (une science du sujet), nämlich die Psychologie, von einer Wissenschaft der Objekte (une science des objets), d. h. von der Physik und der Physiologie zu unterscheiden.12 In den Naturwissenschaften tauchte der Subjektivitätsbegriff gar noch später, um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf.13 Demnach ist die Verwendung des Subjektivitätsbegriffs für die frühe Neuzeit weitgehend anachronistisch. In der frühen Neuzeit ging die Identität kaum von einem isolierten, sich selbst reflektierenden Individuum aus. Sie zeichnete sich eher durch die ›Heterologie‹ aus: Das Individuum definierte sich durch seine Beziehungen zu anderen Menschen und zu Gott.14 In Bezug auf einen weiteren Topos hatte Luther am 18. April 1521 in Worms eine entscheidende Wende15 bewirkt, als er vor Karl V. und dem Reichstag, im Namen seines »Gewissens, das von Gott gefangen ist«, jeglichen Widerruf seiner Schriften verweigerte. Weit davon entfernt, eine selbstbewußt ›moderne‹ Auffassung vom Individuum anzukündigen, rührte Luthers Aussage gewissermaßen von spätmittelalterlichen theologischen Ansichten her, wonach das Handeln gegen das eigene Gewissen eine Sünde war (contra conscientiam agere peccatum) und wonach das Gewissen seine Autorität von Gott allein beziehe. Allerdings hatten die Theologen nie behauptet, dass seinem Gewissen jederzeit folgen, stets gut sei.16 Der Begriff des Gewissens wurde zu einem Gegenstand heftiger Debatten als Kardinal Cajetan, Wortführer der Erneuerung des Thomismus gegen die via moderna und Autor eines weit verbreiteten Handbuches für Beichtväter, die Summa summarum bzw. Sylvestrina, behauptete, Paulus habe ein robustes und von Skrupeln und Instrospektion unbelastetes Gewissen besessen. Er bemerkte darüber hinaus, dass sich der griechische Terminus syneidesis in der Bibel 12
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Vgl. Bernard Baertschi: Les Rapports de l’âme et du corps. Descartes, Diderot et Maine de Biran. Paris 1992 (Bibliothèque d’histoire de la philosophie, nouvelle série), S. 44–45. Vgl. Lorraine Daston, Peter Galison: The Image of Objectivity. In: Representations 40 (1992), S. 81–128. Vgl. Eva Kormann: Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert. Köln/Weimar u.a. 2004 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13). Heinz Kittsteiner zieht daraus den merkwürdigen Schluss, dass die Geschichte des Gewissens eine Geschichte des lutherischen Gewissens sei. Vgl. Heinz D. Kittsteiner: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt am Main/Leipzig 1991. Viel solider ist die Untersuchung von Rudolf Schüßler: Moral im Zweifel. 2 Bde. Paderborn 2008 (Perspektiven der analytischen Philosophie NF). Zum reformatorischen Gewissensverständnis vgl. Gewissen. In: Theologische Realenzyklopädie. Bd 13. Berlin/New York: de Gruyter. 1984, S. 192–241, bes. S. 222–225. Vgl. Michael G. Baylor: Action and Person. Conscience in Late Scholasticism and the Young Luther. Leiden 1977 (Studies in Medieval and Reformation Thought 20), S. 3.
193 einzig in der Apostelgeschichte finden ließ.17 Paulus hatte ihn nicht dem Stoizismus, sondern der Volkssprache entlehnt. Er verwies deshalb auf eine menschliche Reaktion der Schande und Angst, die durch das Wissen um die Falschheit oder Schlechtigkeit der in der Vergangenheit begangenen Handlungen ausgelöst wurde. Als Hieronymus die Bibel ins Lateinische übertrug und syneidesis mit dem weitergefassten Begriff conscientia übersetzte, definierte er ihn als »einen Funken des Gewissens«18 . Stellte das Gewissen also eine Kraft bzw. ein Vermögen der Seele dar? Und falls ja, wie unterschied es sich dann von den anderen Seelenteilen? Konnte es verloren werden? Wie war es mit der menschlichen Natur verbunden? Da conscientia sich aus dem Satz cum alio scientia, d. h. das auf einen individuellen Fall angewandte Wissen, ableitete, wurde es von den scholastischen Theologen in der rationalen Seele verortet. Da Luther keinen großen Nachdruck auf die Charakterisierung der anthropologischen Natur der Seele legte, sondern den Glauben und das Zuteilwerdenlassen der Gnade betonte, stellte er das Gewissen als Quelle der Affekte in die Mitte (medium) des Menschen bzw. in sein Herz (cor). Das Gewissen sei nicht nur ein Gegenstand der Vernunft, sondern auch des Willens. Demzufolge hing das Gewissen von der biblischen Offenbarung ab, nicht von einer individuellen Erfahrung. Gute und schlechte Taten seien also nicht lediglich durch die Zustimmung zur praktischen Vernunft, sondern durch die Anwesenheit oder Abwesenheit des Glaubens und der Gnade in der Person bestimmbar. Gnade setzte allerdings eine Verdrängung des Selbst, die Ablehnung der individuellen Fähigkeit, das Nötige zur Erlangung der eigenen Erlösung zu erkennen und durchzusetzen, voraus.19 In Worms behauptete Luther also, dass er seine Schriften nicht auf der Grundlage menschlicher Autorität widerrufen würde. Er betonte nicht die Würde des denkenden Individuums, sondern die Transzendenz Gottes. Aufgrund ihres pauschalen, ja anachronistischen Charakters und ihrer säkularen Akzente ist die These der Geburtsstunde des Individuums für die Zeit der Reformation und Gegenreformation ebensowenig sinnvoll wie für Renaissance und Humanismus. Zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden sämtliche Überlegungen über die Seele und ihre Erkenntniskraft immer noch im Rahmen eines religiös begründeten (jedoch nicht unbedingt konfessionellen und nicht unbedingt rechtgläubigen) Rasters formuliert. Zahlreiche Akteure waren an dieser Suche nach dem Wesen der Seele und der Frage nach ihrem Einsichtsvermögen beteiligt, und sie formulierten dementsprechend vielfältige und komplexe Antworten. Der erste entscheidende Aspekt dieser komplexen Antworten betrifft die Aneignung der Mystik und ist konfessioneller Natur. Ich werde das Wort 17 18 19
Ebd., S. 20. Hieronymus: Kommentar der Prophetie von Hiesekiel. Zitiert nach: Baylor, S. 25–26. Ebd., S. 209–260.
194 Mystik in seinem religionsgeschichtlichen Sinne verwenden, als cognitio Dei experimentalis (Thomas von Aquin) bzw. als »die fundamentale Erfahrung eines unmittelbaren Kontakts mit Gott oder der metaphysischen Wirklichkeit«.20 Daher werden in diesem Zusammenhang häufig alle ›Enthusiasten‹, die nach einer unmittelbaren Gotteserfahrung strebten, also auch Protestanten bzw. die sogenannten Schwärmer berücksichtigt, was eine gewisse konfessionelle Verwirrung nach sich zieht. Mit dem Erscheinen der Evangelischen Perle von Nicolas van Essche im Jahre 154221 und der Tauler-Edition des Begründers der Gesellschaft Jesu in Deutschland, Petrus Canisius (1521–1597), im Jahre 1543 erlebte die ›rheinländisch-flämische Mystik‹ ihre letzte Blüte. Später wurde die Mystik vorwiegend in den Randgebieten bzw. außerhalb des Heiligen Römischen Reichs gepflegt. Die Vereinigten Provinzen mit ihren glänzenden Universitäten und ihrer schwächer ausgeprägten Zensur nahmen gern solche mystisch gesinnten Gelehrten, z. B. wie den zum Katholizismus konvertierten Johannes Scheffler (Angelus Silesius, 1624–1677), Christian Knorr von Rosenroth (1636–1689) oder Quirinus Kuhlmann (1651–1689) auf. Das seit der Schlacht von Mohács im Jahre 1526 in die kaiserlichen Erblande eingegliederte Schlesien, das aufgrund seiner Schlüsselstellung in den Türkenkriegen relative Toleranz genoss, wurde zum Zufluchtsort für zahlreiche ›Unorthodoxe‹, wie die sächsischen Philippisten in den 70er und 80er Jahren des 16. Jahrhunderts, die Anhänger des ›Schwärmers‹ Caspar von Schwenckfeld (1489–1561), oder für Calvinisten, die aus Leipzig, Wittenberg und Dresden ausgewiesen worden waren. Das eigentlich auffallende Novum war, dass gerade zur Zeit der Konfessionalisierung die religiösen Grenzen ständig in Frage gestellt wurden, als hätte die Konfessionalisierung eine neue Religiosität der Erbauung zuungunsten dogmatischer Feinheiten gefördert. Die intensive Rezeption der spanischen Mystik ab den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts,22 das Wirken Caspar Schwenckfelds, des einzigen Schwärmers, der je eine beachtliche Zahl von Anhängern an sich band und der daher viele Kontroversen auslöste, sowie eine neue von Johann Husers Edition (1589 bis 1591) angestoßene Paracelsus-Rezeption fallen in einen und denselben Zeitraum.23 Die 20 21
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Mystik. In: Die Religion in Geschichte und in Gegenwart. Tübingen 1960, S. Ausgabe 1545: Nicolas van Essche: Margarita Evangelica, incomparabilis thesaurus divinae sapientiae. Colonia 1545. Vgl. dazu Bernard Gorceix: Flambée et Agonie. Mystiques du XVIIe siècle allemand. Sisteron 1977 (le soleil dans le cœur), S. 114. Zur Paracelsus-Überlieferung und -Rezeption, vgl. Ernst Wilhelm Kämmerer: Das Leib-Seele-Geist-Problem bei Paracelsus und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts. Wiesbaden 1971 (Kosmosophie III), S. 1–3; Wilhelm Kühlmann: Paracelsismus und Hermetismus. Doxographie und soziale Positionen alternativer Wissenschaft im postreformatorischen Deutschland. In: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Hgg. von Anne-Charlott Trepp, Hartmut Lehmann. Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 171), S. 17–39.
195 lutherisch gesinnten Schwärmer Valentin Weigel (1533–1588) und Jacob Böhme (1575–1624) schöpften ihre Inspiration aus mittelalterlichen mystischen Texten, wie jene des Hugo von St. Viktor, aber auch von Johannes Tauler und der Theologia germanica bzw. Theologia teutsch, die Anfang des 15. Jahrhunderts anonym erschienen war, sowie aus den Schriften von Paracelsus. Diese neue Synthese diente auch Mystikern wie Daniel Czepko (1605– 1660), Johannes Scheffler, Quirinus Kuhlmann und Johann Georg Gichtel (1638–1710) als Grundlage. Neben diesen ›außergewöhnlichen‹ Figuren sollen im Folgenden auch einige religiöse Praktiken bzw. ›geistige Übungen‹, wie Meditation und Beichte untersucht werden. Sollte man in Anlehnung an Foucault dieses Spiritualitätswissen (savoir de spiritualité) einem ›Erkenntniswissen‹ gegenüberstellen, oder trug Ersteres grundlegend zur wissenschaftlichen Untersuchung der Seele bei? Die wissenschaftlichen Überlegungen ihrerseits zeichneten sich darüber hinaus durch eine eigene institutionelle Komplexität aus. Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts definierten einige akademische Mediziner und Anatomen die Identität des Menschen durch seine Seele. An den Universitäten gliederte sich allmählich eine Wissenschaft von den Geistern (der unsterblichen Seele, den Engeln, Gott), Pneumatologia gennant, aus der Metaphysik aus. Die Seele wurde dabei zunächst als Entelechie in der Physik, später als Geist in der Pneumatologie erläutert. Just als verschiedene Gelehrte eine dualistische Weltordnung vorschlugen, als das Wahre zunehmend mit dem Nachweisbaren gleichgesetzt wurde, und als die Zeichen, als Grundlage der wissenschaftlichen Tätigkeit hinter die Tatsachen zurücktraten,24 erlebte die okkulte Literatur in dialektischer Spannung hierzu eine neue Blüte.25 Die in diesem Zusammenhang rezipierten Schriften von Paracelsus beeinflussten nicht nur zahlreiche Ärzte und fürstliche Leibärzte, sondern auch die Werke des ›Schwärmers‹ Valentin Weigel und des ›frommen‹ Lutheraners Johann Arndt, sowie im Allgemeinen sämtliche Strömungen, die sich für eine weitere Reform der Liturgie, der Gesellschaft und der Wissenschaften aussprachen. Die unterschiedlichen Wortführer dieser Bewegungen teilten die Überzeugung der Unzulänglichkeit der rationaler Forschung und ein spezifisches Verständnis wissenschaftlicher Wahrheit, aus dem sie die Notwendigkeit direkter göttlicher Erleuchtung ableiteten und ein religiös begründetes Streben nach einer Offenbarung der entdeckten Geheimnisse dem vulgus gegenüber forderten.26 Die akademische Einteilung der Wissenschaften von der Seele galten nun als ungenügend, da sie die Thematik der Selbsterkenntnis nicht miteinbezog. Stattdessen sollte von nun an die Untersuchung der Seele zur Selbsterkenntnis beitragen. 24 25
26
Vgl. S. 164–169 Zu diesem Themenkreis und der entsprechenden Relativierung der sog. wissenschaftlichen Revolution, vgl. Webster (1982). Vgl. Eamon, S. 20.
196 Zeitlich parallel wurden also durchaus konkurrierende Entwürfe einer Definition der Selbsterkenntnis formuliert: von ›Enthusiasten‹ – Mystikern oder Schwärmern –, von ›orthodoxen‹ Theologen, von Medizinern bzw. Wissenschaftlern. Diese beruhten auf unterschiedlichen Einschätzungen von Traum, Seele und Erkenntnis, und führten zu neuen Traumverständnissen. Mit anderen Worten: Entwürfe zur Selbsterkenntnis wurden weniger in bestimmten Kreisen, als allmählich in der Kontroverse zwischen diesen Protagonisten formuliert.
4.1
Gottes- und Selbsterkenntnis
Der wegen Schwärmerei von der spanischen Inquisition verfolgte Brüsseler Arzt, Johann Baptista van Helmont (1579–1644)27 schrieb im Jahre 1643, dass er in seinem Ortus medicinae versucht hatte, eine Lehre zur Selbsterkenntnis »durch Gebet- und Gemueths-Wuerckungen« zu verfassen. Als er verstanden habe, dass dies seine Kräfte übersteige, habe er die Niederschrift beendet. Denn man wisse nicht, »was der Verstand sey und wie die VerstandsWuerckung geschehe und bestehe«.28 Van Helmont fasste hier die Paradoxien mystischer Erfahrungen zusammen. Seine ›Mystik‹ bestand in einer religiösen Deutungsaktivität29 des Kosmos bzw. der Natur, in einer religiös fundier27
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Zu Van Helmont, vgl. Zedler. Bd. 12 (1735/1994), Sp. 1306–1308; Guido Giglioni: Immaginazione e malattia. Saggio su Jan Baptiste van Helmont. Milano 2000, S. 15–26. Komplettes Zitat: »Intendebam enim mentis doctrinam intellectivam tradere, ut homo primordialiter semetipsum agnosceret, quantum potest, ac dein ex simulacro devinitatis discat contemplati res se inferiores. Sed cum id conarer explicare, per atus mentales orationis, id non fuit mihi liberum: quod tesseram meæ abjectionis, superare censerentur, obmisi illum tractatum lubens. Aliis idcirco me fœcundioribus, sat esto digito demonstrasse, christinam naturæ Philosophiam non admittere, velle res caducas, alienas, procul remotas, quarumque causæ à priori sunt absconditæ, & nescire interim, quis sim ego contemplator, qualis sit intellectus, quomodo formetur atque subsistat actus intellectualis«, Van Helmont (1648), S. 352. Zitiert nach der deutschen Übersetzung von Rosenroth (1971/1683), Traktat XLVII, 9, S. 859. Vgl. Rolf Christian Zimmermanns Definition: Die Mystik sei »eine religiöse Deutungsaktivität, die bestimmte bewegende Erfahrungen, Informationen oder Wahrnehmungen aus unterschiedlichsten Bereichen (z. B. der eigenen Seelenregungen, der physischen Welt, des historischen Lebensgeschehens) mit dem konfessionell-dogmatischen Vorwissen vom Göttlichen verbindet und dadurch erst klärt und entfaltet«: Rolf Christian Zimmermann: Versuch einer Einleitung. In: Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wissenschaftlichen Fortschritt. Grands Moments de la Mystique de la Nature. Mystical Approaches to Nature. Hgg. von Antoine Faivre, Rolf Christian Zimmermann. Berlin 1979, S. 9–23, hier 14. Diese weit gefasste Definition ähnelt folgende: »It [mysticism] appears in connection with the endeavour of the human mind to grasp the divine essence of the ultimate reality of things, and to enjoy the blessedness of actual communion with the Highest. The first effort is theoretical or speculative; the second practical. The thought that is most intensely present with the mystik is that of a supreme, all-pervading, and indwelling power, in whom all things are one … On the
197 ten Sinngebung der Welt, die auf der Suche nach einer direkten Präsenz Gottes beruhte. Van Helmont strebte sowohl spekulativ (durch die Niederschrift eines Traktats über die Selbsterkenntnis) als auch praktisch (durch »Gebetund Gemueths-Wuerckungen«) danach, nicht zu einem bloßen Abbild, sondern sogar zum »Ebenbild« Gottes zu werden und von diesem Status ausgehend, die weltlichen Angelegenheit zu »betrachten«. Die Identifizierung mit dem ›inneren Menschen‹ und die Erweiterung dieses ›inneren Raums‹ führten also zu der Selbstwahrnehmung als ›äußerlich‹ in der Welt. Die Kategorien der üblichen Raumerfahrung wurden so umgekehrt. Die ›innere Welt‹ mystischer Erfahrungen war durch die Eigenschaften der üblichen Erfahrung des äußeren Raums definiert: breit, unbegrenzt, offen. In der äußeren Welt fühlte sich der Mystiker (oder Visionär) in einer äußeren Position: seine innere Welt erschien damit der äußeren Welt als äußerlich. Sie war der Ort der Verzückung bzw. der Ekstase, d. h. der Veräußerlichung, der Projektion des Individuums auf Gott.30 Deshalb musste Van Helmont mit seiner Selbsterkenntnissuche scheitern. Die mystischen Erlebnisse schlugen in der Tat eine Art Loslösung vom Selbst vor. Da der Mensch jedoch ein Sünder war, bot die Erkenntnis Gottes auch eine Selbsterkenntnis. Da darüber hinaus die mystische Projektion Erfahrungen ermöglichte, die über die fünf äußeren Sinne hinausgingen, wurde sie als Erkenntnismittel hoch geschätzt. Van Helmont betonte weitere Paradoxien: Die artikulierte Sprache könne der ›inneren Welt‹ nicht gerecht werden, weshalb er die Niederschrift seines Traktates aus gegebenem Grund vorzeitig beenden musste. Wie konnte der verborgene und transzendente Gott durch unmittelbare Erleuchtungen erkannt werden? Seine Versuche schloss van Helmont mit der entnüchterten Äußerung: Und sey demnach vor andere/ die mehr Gaben haben als ich/ genug/ daß ich ihnen nur mit den Fingern andeute/ die Christliche Naturlehre lasse nicht zu/ daß man vergaengliche/ frembde/ weit entfernte und solche Dinge/ deren Ursachen von fornen an verborgen sind/ zu erkennen vor sich nehme/ und unterdessen bey solcher Betrachtung selbst nicht wisse was man sey/ was der Verstand sey und wie die Verstands-Wuerckung geschehe und bestehe.
Das Beispiel der Visionen Van Helmonts ist auch aufschlussreich für die zeitgenössisch wahrgenommene Nähe zwischen Mystizismus und Schwärmertum – nicht zuletzt, weil dieser Katholik wegen seiner paracelsischen Gesinnung als ›Schwärmer‹ verunglimpft wurde: Die Schwärmerei enthielt nicht nur eine religiöse Heterodoxie, sondern auch bestimmte ›deviante‹ wissenschaftliche Behauptungen.
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practical side, mysticism maintains the possibility of direct intercourse with the Being of beings … God ceases to be an object to him [d. h. the individual], and becomes an experience«. In: Encyclopaedia Britannica. Bd. 16. London/New York 141929, S. 51ff. Zitiert nach Zimmermann (1979), S. 12. Vgl. die Analyse der Werke Surins in der äußerst gelungenen Untersuchung von Mino Bergamo: L’Anatomie de l’âme. De François de Sales à Fénelon. Grenoble 1994, S. 9–11.
198 An dieser Stelle soll keineswegs eine Geschichte der Mystik bzw. des Mystizismus oder des gesamten Schwärmertums versucht werden. Vielmehr wird an bestimmten Beispielen knapp skizziert, wie im Heiligen Römischen Reich zwischen ca. 1550 und ca. 1650, Träume, Visionen, Erkenntnis der Seele und Selbsterkenntnis miteinander verbunden werden konnten.31 4.1.1
Auf der Suche nach dem ›inneren Menschen‹
Im Rahmen einer allgemeinen Rezeption augustinischer Werke und einer Epistemologie des Zeichens als Zugangsmittel zur verborgenen Wahrheit strebten alle Gelehrten nach der Entdeckung des ›inneren Menschen‹. Den unterschiedlichen Interessen der Protagonisten dieser Suche entsprachen die mannigfaltigen Antworten. Die theologische Definition des Menschen stellte den ersten strittigen Punkt dar.32 Den angesehensten Katholiken des frühen 16. Jahrhunderts zufolge befand sich die menschliche Natur in einem steten inneren Kampf zwischen Fleisch und Geist (oder Gemüt). Demnach war der Körper bloß ein Werkzeug der Seele. Aus dem für die Reformation entscheidenden Römerbrief (Rö 7, 14, 18, 22–24) entwickelten die ersten Anhänger Luthers einen Gegensatz zwischen dem alten, schwachen und sündhaften Menschen und dem neuen innerlichen Menschen, der nach dem Bild Gottes erschaffen worden war. Dieser sei nach dem Korintherbrief (2 Ko 3:16 »Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig«) einer Erneuerung unterworfen, was bedeute, dass der ursprüngliche Mensch durch die Sünden der postlapsarischen Zeit nicht völlig vernichtet, sondern nur verdunkelt worden sei. Der Mensch behalte also stets einen göttlichen Funken. Nach Luther wie Calvin konnte der Mensch jedoch seinen eigenen Status nicht bestimmen. Er konnte aus dem Sündengefängnis erst durch die Gnade (nach Luther) bzw. durch Christus (nach Zwingli und Calvin) befreit werden. Die Calvinisten verstanden zwar manchmal den Kampf des fleischlichen, sündhaften Menschen gegen den geistigen, frommen Menschen nach Ro. 8:5–11 als einen Streit zwischen Leib und Geist. Sie stellten ihn jedoch weit häufiger als einen Kampf zwischen der göttlichen und der sündhaften Natur des Menschen dar. Nach Gen. 6:5 bezeichnete das »Fleisch« den ganzen Menschen, Seele und Kör-
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Deshalb werden im Folgenden Jacob Böhme, Daniel Czepko, Johannes Scheffler, Quirinus Kuhlmann und Johann Georg Gichtel nicht untersucht. Sabine Flach hat Darstellungen der Augen in der zeitgenössischen Kunst analysiert. Sabine Flach: Das Auge. Motiv und Selbstthematisierung des Sehens in der Kunst der Moderne. In: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Hgg. von Claudia Benthien, Christoph Wulf. Reinbek 2001 (Rowohlts Enzyklopädie), S. 49–65. Cf. Heinrich Bornkamm: Äußerer und innerer Mensch bei Luther und den Spiritualisten. In: Imago Dei. Beiträge zur theologischen Anthropologie. Hg. von Heinrich Bornkamm. Giessen 1932, S. 85–109; Kusukawa (1995), S. 75–123. Vgl. oben S. 48–49.
199 per, und war von Gott empfangen. Die Allmacht Gottes erstrecke sich über sämtliche Geschöpfe, sogar über deren physischen Leib.33 In seiner Vorlesung über den Galaterbrief von 1519 widerlegte Luther hingegen die aus der Antike stammende Unterscheidung zwischen Fleisch (caro), Seele (anima) und Geist (spiritus): die Seele sei kein Vermittlungsorgan zwischen Fleisch und Geist, sondern gleichzeitig beides, weshalb sie ein Schlachtfeld zwischen dem Bösen und dem Guten bilde. Der innere Mensch sei kein Stück des Selbst (seine Seele oder sein Geist), sondern die neue Form, die Gott in ihm sähe, wenn er ihm Gnade gewähre. Die Innerlichkeit gehöre dem Menschen demnach nicht selbst, sondern erscheine ihm als äußerlich, insofern als nur Gott allein sie sehen könne.34 Luther hatte dennoch die Innerlichkeit im übertragenden Sinne verwendet, um die von ihm nicht anerkannten Rituale und Sakramente als Äußerlichkeiten bzw. Aberglauben zu verwerfen. Dadurch – und nur dadurch – dass es den Katholizismus als Religion der Äußerlichkeit abstempelte, definierte sich das Luthertum als Religion der Innerlichkeit. In diesem Sinne fiel die ›Innerlichkeit‹ eher in den Bereich der konfessionellen Kontroverse, als in jenen der Erkenntnis der Seele. Die übertragende Verwendung des Innerlichkeitsmotivs fügte sich in einen seit Meister Eckhart (ca. 1260–1327/28) und Nikolaus von Kues (Cusanus) verbreiteten Zweifel an der Vernunft als Mittel der Heiligung ein. Den Intellektualismus der Florentiner Neuplatoniker, das Zutrauen zur Vernunft als Richtschnur für den Glauben lehnte Erasmus zugunsten der paideia Christi, der Anbetung Christus als Erzieher, mehr denn als Erlöser, ab. Darüber hinaus fiel die Kritik am ›blinden Gelehrtentum‹ zeitgleich mit den Predigten Giovanni Savoranolas über den fallax mundus in Florenz um 1480–90 zusammen. Diese Predigten erfuhren eine internationale Rezeption, als Gianfrancesco Pico della Mirandola, Neffe des Humanisten Giovanni Pico della Mirandola, in seinem kurz vor 1500 verfassten, jedoch erst 1520 gedruckten Werk Examen veritatis35 den Prophetismus Savoranolas in eine ausführliche Kritik des traditionellen philosophischen Wissens umwandelte. Mit Hilfe der Argumente der noch ungedruckten Werke von Sextus Empiricus36 und Johannes Philoponos machte er sich auf, wegen der »Unsi-
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Cf. Stephens, S. 139–153. Vgl. dazu Claire Gantet: Seele und persönliche Identität im Heiligen Römischen Reich, ca. 1500 – ca. 1720. Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2006, S. 127–162. Der Imperativ menschlicher Selbsterkenntnis wurde von Giovanni Pico della Mirandola auch in seiner Rede »De dignitate hominis« definiert. Der Drucklegung seiner Werke in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird üblicherweise der Entstehung des sogenannten Pyrrhonismus zugeschrieben. Vgl. dazu Richard H[enry] Popkin: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley/Los Angeles u.a. 21979; Markus Völkel: Pyrrhonismus historicus und fides histo-
200 cherheit der Sinne« die Erkenntnistheorie des Aristoteles zu demontieren.37 Von nun an wurde der Anti-Intellektualismus zum Arsenal zahlreicher Gelehrter gegen die von ihnen verworfene Scholastik. Paracelsus äußerte die polemischste Kritik an der aristotelischen Erkenntnislehre, indem er das rationale, syllogistische Denken abwertend als »viehische Vernunft« charakterisierte. Der Narr, der stultus habe hingegen noch einen direkten Zugang zur Natur und zum Göttlichen, damit zur Wahrheit: Der inner leib bleibt im ungefölscht und vermischt mit der vihischen vernunft. Dan der narr ist so gescheit nit, das ers unterspicken kan wie der weis man der solch vernunft wol hat, das er das wol ret, was im liebe, drumb so ist der narr mit seinem sprechen mer anzusehen, dan der weis man, aus der bemelten ursachen, das er dem rechten menschen nicht widerstet mit dem vihischen leib … die narren und toren nit veracht von got seind, sonder das wirt befunden, das sie gross ding tunt, die vor unser augen veracht seind, und uns doch gross ler, exempel, weissagung und underricht werent, aus kraft … drumb bedenke sich ein ietlicher, das er im ein ebenbilt neme ab inen und den vihischen verstant töte bei im und den rechten menschen herfür treibe.38
Der Mangel an »viehischer Vernunft« ließ den göttlichen Lichtstrahl ungehindert ins Herz des Einfältige d. h. in den »inneren Menschen« durch, weshalb dieser, viel eher als der rationale, kluge Mensch, ja besser als der Mystiker und der Heilige, richtige Aussagen und Voraussagen formulieren könne. Ähnlich wie der Idiota besitze der Bauer keine »gestirnische weisheit«, sondern eine den Sternen überlegene Weisheit. Paracelsus’ Hochschäzung der »bei got begabt[en]«39 Bauern trug sicherlich zu dessen höchst zurückhaltender Rezeption auf Seiten des lutherischen Klerus nach dem Bauernkrieg bei. Bereits vor Paracelsus vertrat Agrippa von Nettesheim in seiner Declamatio de incertitudine scientiarum atque excellentia Verbi Dei (1529) –
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rica. Die Entwicklung der deutschen historischen Methodologie unter dem Gesichtspunkt der historischen Skepsis. Frankfurt am Main/Bern u. a. 1987 (Europäische Hochschulschriften. Reihe Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 313). Vgl. Charles B. Schmitt: Gianfrancesco Pico. Leben und Werk. In: Gianfrancesco Pico della Mirandola, Über die Vorstellung. De imaginatione, S. 8–20, hier S. 17–18. Paracelsus: De generatione stultorum. In: Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus: Sämtliche Werke, 1. Abteilung, Medizinische naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Hg. von Karl Sudhoff, Bd. 14, S. 72–94, hier 88. Vgl. dazu P. F. Cranefield, W. Federn: The begetting of fouls – an annotated translation of Paracelsus’ »de generatione stultorum«. In: Bulletin of the History of Medicine 41 (1967), S. 56–74 und 161–174, Anm. 53 auf S. S. 173–174. Paracelsus: Auslegung uber etliche Figuren Jo. Lichtenbergers, aus dem ersten und dritten teil [1529 oder 1530]. In: Sämtliche Werke. Hg. von Sudhoff. I. Bd. 7. Die Nürnberger Syphilisschriften und anderes Nürnberger Schriftwerk aus dem Jahre 1529. München 1923, S. 477–531 hier 511. Vgl. dazu Kurt Goldammer: Paracelsus. Sozialethische und sozialpolitische Schriften. Aus dem theologisch-religionsphilosophischen Werk. Tübingen 1952, S. 221–225; Ders.: Paracelsus. Natur und Offenbarung. Hannover 1953 (Heilkunde und Geisteswelt 5); Walter Pagel: Paracelsus als ›Naturmystiker‹. In: Epochen der Naturmystik, S. 52–104, hier 98–99.
201 zweifellos in Anlehnung an jene Humanisten, die den Hörsinn als eigentlichen, spirituellen Empfänger des Logos schätzten – dass die Sprache das besondere Vermögen habe, den von Gott während der Schöpfung festgelegten Sinn der Natur adäquat zu vermitteln.40 Über die Magie – später die Alchemie – sollte eine Verschmelzung von Wissenschaft und Natur mit Hilfe der Sprache herbeigeführt werden, die eine erneuerte Sinngebung der Welt ermöglichte. Da die Sprache »den Hauptunterschied zwischen uns [den Menschen, C.G.] und den Tieren« ausmache, betrachtete Agrippa die Rede als wesenhaft »vernünftig«. Er unterschied jedoch das »innerliche Wort« und das »äußerliche«: Das innerliche Wort ist der Begriff des Verstandes [mens, C.G.] und die Bewegung der Seele, die in der Gegenwart des Gedankens ohne die Stimme vor sich geht, wie wir ja in den Träumen zu sprechen und zu disputieren scheinen und auch wachend, ohne zu reden, oft eine ganze Rede durchgehen. Das gesprochene Wort hat eine gewisse Wirkung in der Stimme und der Eigentümlichkeit der Aussprache, und wird mit dem Atem des Menschen durch die Öffnung des Mundes und das Reden der Zunge hervorgebracht. Die Mutter Natur hat auf diese Weise die körperliche Stimme und Rede mit dem Geiste und dem Verstande verbunden, als eine Verkündigerin und Dolmetscherin unserer Gedanken …41
Die »toten Buchstaben« der akademischen Gelehrtheit stellte Agrippa weiter dem Geist und der Natur gegenüber. In Anlehnung an ihn entwickelten Paracelsus und seine Adepten eine dynamische und hermeneutische Auffassung von der Natur, das auf einem spirituellen Verständnis der Substanz beruhte und auf eine ›Wiedergeburt‹ des Menschen durch die Entdeckung des ›inneren Wortes‹, der ›inneren Kraft‹ bzw. der ›Signatur‹ abzielte. Hiervon wird später noch ausgehender zu sprechen sein. Als der Nonkonformist Sebastian Franck (1499–1542/43) Agrippas Werk erwarb und las, verstand er die von Tauler und in der Theologia teutsch erläuterte »Gelassenheit« als einen Prozess, in dem der Mensch sich vom Versuch einer unmittelbaren, bloß von seinen Gewohnheiten und Interessen gelenkten Erkenntnis frei machte und stattdessen ganz passiv der inneren Struktur der Natur nach ihrem göttlichen Sinn folgte. Diesen Verlauf konnte allenfalls der Teufel, der sich hinter der Fassade der Schriftgelehrtheit versteckte, aufhalten. Damit stellte Franck folgende Gegensatzpaare nebeneinander: natürlich/geistig, Ausdruck/Sinn, Fleisch/Idee, Buchstabe/Geist.42 40
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Vgl. Friedrich Wilhelm Hermann Kuhlow: Die Imitatio Christi und ihre kosmologische Überfremdung. Die theologischen Grundgedanken des Agrippa von Nettesheim. Berlin/Hamburg 1967, S. 57–104; Cassirer, Bd. 1, S. 172–202; Erwin Metzke: Die Skepsis des Agrippa von Nettesheim. In: Ders.: Coincidentia Oppositorum. Gesammelte Studien zur Philosophiegeschichte. Hg. von Karlfreid Gründer. Witten 1961 (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft 19), S. 7–19. Agrippa von Nettesheim, I, 69, (21985), S. 161–162. Sebastian Franck: Paradoxa. Hg. und eingeleitet von Siegfried Wollgast. Berlin 21995. Vgl. dazu Siegfried Wollgast: Sebastian Francks theologisch-philosophische Auffassungen. Aspekte. In: Beiträge zum 500. Geburtstag von Sebastian Franck (1499–
202 Von nun an gehörte der Gegensatz zwischen ›totem Buchstaben‹ und ›lebendigem Geist‹ zum Gemeingut aller Nonkonformisten. In Anbetracht des Verdachts, dass mit der Herabwürdigung des ›toten Buchstabens‹ eine Ablehnung der Autorität der Bibel sowie sämtlicher Sakramente einhergehe, erschien der lutherischen Obrigkeit die Hochschätzung des ›inneren Menschen‹ bzw. des Geistes sofort als subversiv. Andererseits erwies sich allerdings eine eindeutige theologische Grenzziehung zwischen jenen, die die Bibel als Norm ansahen und zwei Sakramente akzeptierten, und die so als rechtgläubig definiert wurden, und jenen, die Wert auf geistige unmittelbare Erleuchtungen zum ›inneren Menschen‹ legten, als ausgesprochen flüchtig. Die Suche nach dem ›inneren Menschen‹ bezog ihre Anregungen aus durchaus heterogenen Quellen. So waren sich z. B. die Schwärmer, Erasmus und die Protestanten in der Ablehnung der mittelalterlichen Exegesemethode der vier Sinne (historischer Sinn, Allegorie, Tropologie, Anagogie)43 und der entsprechenden Verwerfung der buchstäblichen Schriftauslegung durchaus einig. Darüber hinaus schloss kein einziger ›Rechtgläubiger‹ die Möglichkeit eines unmittelbaren Eingreifens des Heiligen Geistes in Form einer Erleuchtung aus.44 Zudem herrschten deutliche Meinungsverschiedenheiten sowohl unter den Lutheranern45 als auch unter den Schwärmern, zwischen jenen, die die Kindertaufe ablehnten (die Anabaptisten), jenen, die das Dogma der Trinität leugneten, jenen, die chiliastische Erwartungen des Jüngsten Tages entwickelten, jenen, die nur eine ›unsichtbare Kirche‹ bilden wollten, und denjenigen, die direkte Erleuchtungen suchten. Erwiesen sich Praktiken wie die Beichte und die Meditation als weniger abwegig bei der Suche nach dem ›inneren Menschen‹ denn der polemische Angriff auf den ›toten Buchstaben‹? Die Beichte diente bis dahin auch im Heiligen Römischen Reich kaum als »Technik des Selbst« (Foucault) bzw. als Einführung in die Introspektion.46 Vor und nach der Reformation fand in der Regel eine jährliche sakramentarische Beichte statt, zwar in der Kirche,
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1542). Hg. von Siegfried Wollgast. Berlin 1999 (Memoria 2), S. 15–87; André Séguenny: Les Spirituels. Philosophie et religion chez les jeunes humanistes allemands au seizième siècle. Baden-Baden & Bouxwiller 2000 (Bibliotheca Dissidentium, scripta et studia 8), S. 187–211. Définition in Guy Bedouelle: L’humanisme et la Bible. In: Le Temps des Réformes et la Bible. Hgg. von Guy Bedouelle, Bernard Roussel. Paris 1989, S. 53–121 hier 101. Vgl. dazu Robert Preus: The Inspiration of Scripture. A Study of the Theology of the Seventeenth Century Lutheran Dogmaticians. Edimburgh/London 21957 (11955); François Laplanche: L’Évidence du Dieu chrétien. Religion, culture et société dans l’apologétique protestante de la France classique (1576–1670). [Strasbourg] 1983, S. 101; Séguenny (2000), S. 8–9. Die Schwärmer vertraten eine spirituelle Ekklesiologie, die im Gegensatz zum Konfessionalisierungstrend stand. Dies ist das Argument von Kaufmann: Das Ende der Reformation (2003). Vgl. dazu W. David Myers: Sacramental Confession in Sixteenth-Century Germany. Ann Arbor 1991 (Diss.).
203 jedoch in einem offenen und sichtbaren Raum. Obwohl die katholischen Konzilsordnungen47 das Geheimnis der Schuldbekenntnisse und die individuelle Beichte empfahlen, hatte das Sakrament der Beichte eine starke öffentliche und visuelle Dimension. Das Bedürfnis der Pfarrkinder nach Reinheit war so groß, dass die protestantischen Pfarrer die Beichte individuell abnahmen, obwohl sie ihr keinen Sakramentsstatus zuerkannten. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts suchte die katholische Kirche ihrerseits Beichtpraxis und -verständnis zu disziplinieren und kirchenhierarchisch effizient zu kontrollieren.48 Um dem foro interiore, dem Gewissen49 Disziplin beizubringen war bereits das Ritual uniform ausgestaltet und der formale, rechtliche ja gerichtliche Charakter der Beichte eingeschärft worden. Nun betonte die Kirche ihre private Natur. Die Beichte trug deshalb unter Umständen nicht nur ›von unten‹ zu festeren Umrissen des Individuums bei, sondern auch weil ihre institutionelle und rechtliche Komponente mit einem erneuerten Sakramentverständnis einherging. Die Entwicklung der Meditation verlief zeitlich parallel, lief allerdings in eine ganz andere Richtung ab.50 Seit dem 12. Jahrhundert war die Suche nach dem Abbild Gottes in der Seele formalisiert und hierarchisiert worden. Hugo von St. Viktor beispielsweise charakterisierte den Anfang der Wissenschaft als eine lectio, ein flüchtiges Berührtwerden des Geistes durch Begriffe, ihre Fortsetzung als Meditation, d. h. als Erforschen des im Wort verborgenen Sinnes, und ihre Vervollkommung als Kontemplation. Ein halbes Jahrhundert später unterschied Guido von Kastel vier Stufen des mentalen Gebets: die Lesung (lectio), die Betrachtung (meditatio) unter der Leitung des Verstands, das Zwiegespräch oder Gebet (oratio), d. h. eine innige Hinwendung des Herzens zu Gott, und die Beschauung (contemplatio) bzw. den Aufschwung der Seele zu Gott. Bernhard von Clairvaux verband die 47
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Bereits das IV. Lateranische Konzil im Jahre 1215 empfahl das Geheimnis der Schuldbekenntnisse. Während des Konzils von Trient regelte das Dekret »De sacramentis« (3. März 1547) die Beichte. Der Beichtvater von Ferdinand II. William Lamormaini S.J. war davon überzeugt, dass die Orthodoxie durch Gewalt aufgezwungen werden musste. Dann trügen die Gewohnheiten zu einem inneren Wandel, insbesondere bei der Jugend bei. Vgl. Robert Bireley: Religion and Politics in the Age of the Counterreformation. Chapel Hill 1981, S. 38; Wietse de Boer: The Conquest of the Soul. Confession, Discipline and Public Order in Counter-Reformation Milan. Leiden/Boston u.a. 2001 (Studies in Medieval and Reformation Thought 84); Prosperi. »Das Gewissen ist allenthalben bey dem Menschen gegenwirtig. Meine Sünden kan ich nit verbergen/ dann wa ich immer hingehe/ so ist mein Gewissen mit mir/ und tregt mit jhm alles das ich im beuolhen hab/ es sey gleich guet oder boeß. […] Es klagt mich an mein Gewissen/ die Gedechtnus ist ein zeug/ die Vernunfft ist richter/ der Wollust ist der kercker/ die Forcht ist der peiniger/ und die Erlustigung ist die marter«, [Bernhard von Clairvaux], Meditationes. Das ist/ andechtige Betrachtungen zue erkandtnuß Menschlicher Condition/ aigenschafft und wesens/ welchs genennt wirt: Das Buech von der Seel … Dilingen: Sebaldus Mayer. 1556, Fol. XLVI v° – XLVII r°. Im folgenden Absatz folge ich Erdei, S. 37–46.
204 Meditation mit der Passion Christi. Seiner Lehre zufolge, die später auch von den Zisterziensern, den Franziskanern (und Dominikanern) verbreitet wurde, sollte das Leben des Christen ganz darauf verwendet werden, Christus nachzuahmen, ihm änlich zu werden. Durch die imitatio Christi gewinne die Seele ihre eigene Form, die Form Gottes. Sie bekomme die »tugent« Gottes, sie werde geistig nach dem Vorbild des Heiligen Geistes und weise nach der Art der Weisheit Christi. Im 14. Jahrhundert hatte Meister Eckhart aus der Passionstheologie Bernhards eine Philosophie des Trosts entwickelt. Denn der Fromme sollte Christus nicht ›äußerlich‹ (»lîplîche«), sondern geistig und persönlich nacheifern. Die ›Gelassenheit‹ bezeichnete diesen Zustand der Enteignung des menschlichen Selbst.51 Johannes Tauler, ein Schüler Eckharts, wandelte die Ontologie seines Meisters in eine Anthropologie sowie in Lebensregeln um.52 Gleichzeitig verfestigten sich die Grundzüge der Meditationsgattung. Jede Meditation zielte nun auf eine Erhebung der Seele zu Gott und eine Erfahrung Gottes in der Seele durch die Selbsterkenntnis ab. Sie bestand in einem durch den Verstand gesteuerten Denken über Gott und das Innerste des Menschen, das den Intellekt, den Willen und die Affekte in Widerspruch zueinander setzte. Die Reformation bedeutete in dieser Hinsicht keinen Bruch. Luther hob statt der Schau Gottes die mögliche Versuchung der Seele durch die Erzeugung bestimmter Affekte hervor. Auch die inbrünstige Vertreterin der Gegenreformation Teresa von Ávila (1515–1582) betonte noch im Jahre 1577 in ihrer Seelenburg die notwendige Demütigung der Seele auf ihrem Weg zur Gottes- und Selbsterkenntnis.53 Mino Bergamo hat jedoch aufgezeigt, wie sich die Auffassungen von der Einwirkung Gottes in der Seele unter dem Mantel einer gleichlautenden Terminologie – der »innere Mensch«, der »Seelengrund« – veränderten. Im »rheinländisch-flämischen Modell« (Meister Eckhart, Johann Tauler, Heinrich Seuse, Ruysbroeck) wurde die Seele in drei Grade der Vollkommenheit gegliedert: der vegetative Teil, der sensitive (die fünf äußeren Sinne, die inneren Sinne und die Affekte), und der rationale (der Intellekt und der Wille). Das Wesen der Seele, seine Substanz bzw. seine mens war dagegen in zwei
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Vgl. dazu Georg Steer: Die Passion Christi bei den deutschen Bettelorden im 13. Jahrhundert. David von Augsburgs »Baumgarten geistlicher Herzen«, Hugo Ripelin von Straßburg, Meister Eckharts »Reden der Unterweisung«. In: Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters. Hgg. von Walter Haug, Burghart Wachinger. Tübingen 1993, S. 52–75. Vgl. Walter Haug: Johannes Taulers Via negationis. In: Ebd., S. 76–93. Das Thema der Selbsterkenntnis kommt hingegen selten in den Meditationen der devotio moderna vor. Die Seelenburg der heiligen Theresia von Jesu. Mit einem Anhang: Gedanken über die Liebe Gottes / Rufe der Seele zu Gott / Kleinere Schriften. Hg. von Aloysius Alkofer. München/Kempten 51973 (11937) (Sämtliche Schriften der hl. Theresia von Jesu 5), S. 30.
205 Vermögen (vires) unterteilt: das rationale und das überrationale. Deshalb war die Seele, im Vergleich mit der aristotelischen Tradition, wie folgt konzipiert:54 Aristotelisch-thomistisches Modell
Rheinländisch-flämisches Modell
inneres Leben: Ø
inneres Leben: Oberster Teil (Wesen der Seele bzw. Sitz der göttlichen Einigung) Mittlerer Teil (Rationale Ebene) Unterer Teil (Sensitive Ebene)
Oberer Teil (Rationale Ebene) Unterer Teil (Sensitive Ebene) Vegetative Ebene
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Die aristotelisch-thomistische Vorstellung des inneren Lebens beruhte auf der binären Gegenüberstellung zwischen Sinnlichkeit und Rationalität. In der rheinländisch-flämischen Tradition wurde dieser Gegensatz durch die Entdeckung einer über der Vernunft stehenden Ebene aufgelöst. In diesem Modell vereinigte sich Gott wesentlich mit den Geschöpfen. Dem scholastischen Seelenverständnis folgend entfaltete sich zudem die Urteilskraft (discursus) parallel zu den Willensregungen. Der menschliche Intellekt übte seine Tätigkeit auf zwei Ebenen aus: Er konnte urteilen und Konsequenzen aus den wahrgenommenen Daten ziehen, die durch die sinnlichen Vermögen gespeichert worden waren, oder aber von den Daten der fünf äußeren Sinne absehend, sich von rein intellektuellen Kriterien und Urteilen lenken lassen. Den ersten Vorgang nannte Thomas von Aquin ratiocinari, den zweiten intelligere.55 Die komplexe, analytische ratiocinatio, die immer linear von einem Gegenstand zu einem anderen lief, beruhe auf Wahrheiten, die intuitiven Urspungs waren. Die nicht mehr diskursiv vorgehende intellectio beruhe ausschließlich auf einfachen, über der Urteilskraft stehenden Visionen. Die Mystiker des 17. Jahrhunderts hingegen, die Mino Bergamo exemplarisch am Beispiel Franz von Sales’ (1567–1622) untersuchte, stellten der zeitgenössischen Anthropologie entsprechend den Verstand bzw. die Urteilskraft und den Willen als zwei konkurrierende Kräfte in der menschlichen Seele dar. Sales unterschied drei Neigungen (oder Affekte, Leiden54 55
Nach Bergamo, S. 54. »Intelligere enim est simpliciter veritatem intelligibilem apprehendere. Ratiocinari autem est procedere de uno intellecto ad aliud, ad veritatem intelligibilem cognoscendam. Et ideo angeli, qui perfecte possident, secundum modum suae naturae, cognitionem intelligibilis veritatis, non habent necesse procedere de uno ad aliud; sed simpliciter et absque discursu veritatem rerum apprehendunt […]. Homines autem ad intelligibilem veritatem cognoscendam perveniunt, procendendo de uno ad aliud […]; et ideo rationales dicuntur.« Thomas von Aquin: Summa theologica, Ia, q. 79, a.8, resp. Zitiert nach: Bergamo, S. 96.
206 schaften), welche die Seele in eine bestimmte Richtung lenkten. Die Neigungen des ersten Typs umfassten Sympathien und Antipathien, die nicht über die Erkenntnis, sondern über eine nur den Lebewesen eigentümlichen, »geheimen und okkulten Eigenschaft«56 erzeugt wurden. Jene des zweiten Typs waren Mensch und Tier gemein. Sie bezogen sich auf die sinnliche Erkenntnis und führten dazu, bestimmte Dinge zu erstreben oder zu meiden. Die Neigungen des dritten Typs konzentrierten sich auf die Ausübung der Vernunft, d. h. das Streben der Menschen nach dem Guten und die Meidung des Bösen aus einer Erkenntnis heraus, die durch die Rede bzw. die Urteilsbildung gewonnen wurde. Den Mystikern des 17. Jahrhunderts zufolge war die Dualität von Sinnlichkeit vs. Rationalität nicht in erster Linie ein Gegensatz psychischer Funktionen, sondern zwei unterschiedliche Vorgangsmodi derselben. Wille und Leidenschaften unterschieden sich lediglich durch ihren Erkenntnismodus. Die Innerlichkeit entfaltete sich also auf zahlreichen Ebenen. Der Sitz der göttlichen Einigung, die »oberste Spitze der Seele«, wurde somit nicht mehr ontologisch, sondern psychisch konzipiert. Die deutschen Debatten über das Wesen und die Tätigkeit der Seele sowie die Wahrhaftigkeit des Traums spielen sich in einem Kontext ab, in dem sich einerseits ein neues Verständnis der göttlichen Einwirkung auf die Psyche entwickelt und sich andererseits eine neue Auffassung der Innerlichkeit durchsetzt. Wir werden den Modi ihrer Entstehung am Beispiel des Heiligen Römischen Reiches im Folgenden eingehender nachgehen. Das Augenmerk wird auf einem von Bergamo übersehenen Element liegen, das die westeuropäischen Mystiker bzw. Heiligen oder ›Enthusiasten‹ betrifft. Es handelt sich um die Verschiebung vom Wunder zur Vision, der die Ausbreitung der Verwendung des Begriffs »Gesicht«57 im Deutschen vom 16. und 17. Jahrhundert entspricht. 4.1.2
Die Vision als Merkmal des Enthusiasmus
In einem für das ›rheinländisch-flämische Modell‹ typischen Text und zwar in einer in die lateinische Fassung der Werke Taulers eingefügten Predigt Eckharts wurde die göttliche Einwirkung auf das Wesen der Seele ohne Sinnesvermittlung dargestellt: 56
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Im Gegensatz zu della Porta und Cardano beschränkte Sales diese Sympathie auf Lebewesen. Vgl. Deutsche Ausgabe der Werke des heiligen Franz von Sales in 12 Bänden. Nach der vollständigen Ausgabe der Œuvres de saint François de Sales der Heimsuchung Mariä zu Annecy. Hg. von den Oblaten des hl. Franz von Sales unter Leitung von Franz Reisinger und Anton Nobis. Bd 1–12. Eichstätt 1959–1983, hier Bde. 3–4. Abhandlung über die Gottesliebe (Theotimus) I–II. Dies wurde im Jahre 1636 von dem Lübecker Prediger Jacob Stolterfoht festgestellt und kommentiert. Vgl. Stolterfoht (1636), S. 1–14.
207 Gott handelt ohne Bild und ohne Werkzeug […] Und es ist Gott selber, der die Güte hat, durch Bilder zu verfahren. Wo denn, wird man sagen, handelt Gott ohne Bild? Im Seelengrund, im Wesen der Seele. Niemand ist fähig, dieses Werk Gottes zu kennen. Die Vermögen können eigentlich nichts bis auf durch geeignete Bilder erkennen. […] Die Bilder kommen dadurch in die Seele von außerhalb, aber das Werk Gottes bleibt ihm verborgen für seine größte Nützlichkeit. Diese Unkenntnis setzt sie in eine bestimmte Verwunderung; sie sehnt sich nach dessen Erkenntnis und kann nur schwer mithalten, und erfährt es. […] Die Unbegreiflichkeit dieses göttlichen Werks für die Seele, diese unbekannte Erkenntnis führt dazu, dass sie sich mit dem oben genannten Werk mit Beharrlichkeit befasst, dass sie vor Verlangen glüht, es zu ergreifen und dass sie es heftig begehrt.58
Nach Eckhart und Tauler war die Einwirkung Gottes auf die Seele nicht begreiflich, da sie ohne Vermittlung der fünf äußeren Sinne geschah; sie sei dennoch in jedem Grund der Seele wahrnehmbar, insofern als die Seele eine ignota cognitio, eine gelehrte Unkenntnis hiervon besitze. Dieses Schwanken zwischen Wissen und Unwissen beruhte auf der Annahme eines ›inneren Auges‹, das die geistigen Erleuchtungen im Seelengrund sehen könne. Dieses Bild wurde bis Anfang des 17. Jahrhunderts von vielen Gelehrten, vor allem von Medizinern, als Synonym für sensus communis gebraucht, um die Verwandlung der Bilder aus den Daten der fünf äußeren Sinne in geistige Bilder in der Imagination zu erklären.59 Fast scheint es, als spiele sich der entscheidende Wandel um die Interpretation dieses ›inneren Auges‹ und das entsprechende Imaginationsverständnis ab. Dabei sollten – mehr als im institutionalisierten Mönchstum – die Auseinandersetzungen um den Enthusiasmus bzw. die Schwärmerei, nicht zuletzt auch ihre Pathologisierung, eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Im Mittelalter war ein Heiliger bzw. ein Mystiker vor allem ein Asket, der Sühne durch reale, körperliche Geißelung zu erlangen suchte. Heinrich Seuse (1295–1366) beispielsweise trug eine eiserne Kette und ein nie ge58
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»Deus enim sine imagine et absque medio operatur. […] Ipse namque Deus in imaginibus operari dedignatur. Ubi ergo, dicit aliquis, operatur Deus absque imagine? In ipso fundo, ipsa animae essentia. Hoc vero opus Dei scire nemo valet. Vires enim non nisi per imagines, easdemque proprias, aliquid agnoscunt. Equuum non per hominis, sed per equi imaginem cognoscunt. Cumque hoc modo imagines ab extra in ipsam veniant, latet eam hoc opus Dei, quod et illi, utilius est. Haec quippe ignorantia, in quandam eam admirationem rapit; et inde iam adspirat et anhelat ad ipsum cognoscendum, ac interim experitur ipsum esse; sed quid vel quomodo sit, scire non valet. Ita prorsus expedit illi. Cognita enim cuiuslibet rei causa, statim res illa homini fastidium ingerit. Unde mox ad alia cognoscenda ac investiganda animum intendit, semperque scire desiderat, nec tamen cognitis inhaeret. Hoc ipsum ergo, quod anima opus illud divinum non intelligit, haecque ignota cognitio facit, ut huic eidem operi perseveranter inhaerent, ipsumque apprehendere vehementissime sitiat, appetatque.« Iohannis Tauleri Opera Omnia. Übersetzt von L. Surius. Colonia Agrippina 1603, S. 55. Zitat nach: Bergamo, S. 195. Zum ersten Mal im Jahre 1548 veröffentlicht und seitdem oft nachgedruckt ist die Surius’ Fassung mehrere Jahrhunderte lang den einzigen Zugang zu Taulers Predigten für die meisten europäischen Spiritualisten gewesen. Vgl. oben S. 169–183.
208 waschenes Bußgewand voller Ungeziefer sowie, acht Jahre lang, ein mit Nägeln beschlagenes Kreuz auf dem Rücken. Er geißelte sich derart blutig, dass er schließlich fürchtete, sich zu Tode zu richten.60 Das zweite Charakteristikum des Gottesmenschen war seine Fähigkeit, Wunder zu bewirken, ja sogar Tote zu erwecken.61 Einem traditionellen Interpretationsraster zufolge hatte der Protestantismus einen Prozess der Subjektivierung der Ethik ausgelöst, der die Gewissenserforschung und weiterhin die Selbstkontrolle begünstigte.62 Wir untersuchen stattdessen, wie die Erkenntnis der Seele durch die Verschiebung des Wunders zur Vision als Merkmal der Heiligkeit beeinflusst wurde. Dadurch rückten die discretio spirituum und ihr Beweis in den Mittelpunkt der Heiligkeit.63 Auch in der Bibel wurden Traum und Vision prophetisch als zwei Arten der individuellen Berufung oder Beauftragung des Schauenden durch Gott verstanden. Dabei scheint der Traum allerdings seine Deutung erst nachträglich durch die Auslegung eines vom Geist erfüllten Deuters zu erfahren, wohingegen in der Vision die Interpretation bereits in den Visionsablauf integriert ist.64 Im Alten Testament ist dieser Unterschied noch nicht durchgängig ausgebildet. Im berühmten Ausspruch Joels 3:1–2 »Und nach diesem/ wil ich meinen Geist ausgiessen uber alles fleisch/ Vnd ewre soene vnd toechter sollen weissagen/ Ewr Eltesten sollen treume haben/ vnd ewre juenglinge sollen gesicht sehen«65 stehen Träume und Visionen als gleichrangig nebeneinander. Im Buch Sirach 34:1–8, das ebenfalls oft angeführt wurde, fungiert jedoch der Traum nicht als direktes Medium der Offenbarung, sondern lediglich als Schatten und Eitelkeit, als Selbstspiegelung des Träumenden. Allgemein berufen sich die Propheten niemals auf bloße Träume als Quelle ihrer Offenbarung, sondern empfangen diese Bilder auch im Wachzustand, weshalb diese Art Wachträume zunehmend als Vision bezeichnet wurden. Im Neuen Testament stehen Träume und Visionen in der Regel gleichbedeutend nebeneinander. Allerdings zitiert Petrus in der Apostelgeschichte den Joel-Spruch in der umgekehrten Reihenfolge: die Jünger erhielten Gesichte bzw. Visionen, die Ältesten Träume. In der Apostelgeschichte geschehen Träume immer nachts, was zur Unterscheidung zwischen heidnisch-inspirierter Traumdeuterei und verständlichen, in Form von eindeutigen Weisungen erfolgten göttlichen Träumen führt. Als im 60
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Vgl. Heinrich Seuse: Deutsche Schriften. Hg. von Karl Bihlmeyer. Frankfurt am Main 1961, Fol. 76 v° – 80 v°. Zitiert nach: Angenendt, S. 67. Ebd., S. 76. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Studienausgabe. Hg. von Johannes Winckelmann. Tübingen 51976, S. 324. Zum katholischen Pendant dieses Prozesses als Ausdruck eines neuen Mystizismus, der die passive Interiorität hervorhob, vgl. Sluhovsky, insbesondere S. 97–136. In diesem Absatz folge ich Ernst Benz: Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt. Stuttgart 1969, S. 104–110. Nach Luthers Übersetzung aus dem Jahre 1534. Vgl. oben S. 63–64 und 79–80.
209 Laufe der Zeit die discretio spirituum formalisiert wurde, war der Traum dementsprechend das erste Opfer der Kritik. Konsequenterweise war der Umgang der Mystiker, Heiligen und Enthusiasten mit dem Traum sehr ambivalent. Träume wurden von Thomas von Aquin und Bonaventura nie völlig abgewertet. Vielleicht um ihre eigenen Visionen vor dem Vorwurf einer heidnisch-ketzerischen Eingebung zu schützen, äußerten einige Visionäre allerdings sehr harsche Kritik am Traum. Das beste Beispiel dafür ist zweifelsohne Filippo Neri (1515–1595), Gründer der 1575 päpstlich bestätigten Kongregation des Oratoriums, der von der römischen Kurie mit der Unterscheidung der Geister beauftragt wurde. Neri wurde eine besondere Gabe der Durchsicht zuerkannt. Er könne Dämonen oder himmlische Mächte in den Seelen Anderer entdecken, indem er das Antlitz dieser von Göttlichem durchdrungenen Menschen im Geiste durchleuchtet oder von einem himmlischen Strahlenkranz umflutet sehe. Mittels seiner eigenen Visionen entschied er, ob die Visionen anderer teuflisch oder göttlich seien.66 Umso strenger verurteilte er seine eigenen Träume: jegliche Traumdeutung sei schlichtweg verdammenswert. Er wiederholte öfters, wer ohne Flügel fliegen wolle, den müsse man bei den Füßen zur Erde niederziehen, damit er nicht in die Schlingen des Teufels falle; und damit meinte er niemand anders als solche, die nach Gesichten, Träumen und dergleichen Verlangen tragen, darüber aber vergessen, daß wir immer mit frommer Demut auf dem Weg der Abtötung unserer eigenen Leidenschaften wandeln müssen.67
Wie dem auch sei: Dass Neri ganz offiziell im Ansehen von Heiligkeit starb, verdankte er nicht dem Bewirken bestimmter Wunder, sondern ausschließlich seinen Visionen. Die Verschiebung vom Wunder zur Vision als charakteristisches Zeichen der westeuropäischen Heiligkeit kennzeichnete nicht nur auffällige Figuren wie Filippo Neri, sondern auch wichtige Protagonisten der Gegenreformation bzw. der katholischen Reform. Sogar Ignatius von Loyola (1491–1556), der die Selbsterkenntnis nicht als »Betrachtung«, sondern als »Überwindung des Selbst« verstand – so zumindest wie sein Werk Exercitia spiritualia d. i. geistliche Übungen zu dem Zweck, daß man sich selbst überwinden lerne und sein Leben ordne, ohne sich durch eine ungeordnete Neigung bestimmen zu lassen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts interpretiert wurde – setzte die ersten sicheren Zeichen seiner Sendung mit einem besonderen »Licht für ›die Verschiedenheit der Geister‹«68 gleich und stellte sie als eine 66
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Vgl. Das Leben des hl. Filippo Neri, Stifters der Congregation des Oratoriums in Italien. Hg. von F. Posl. Regensburg 1847, S. 298–299; Benz (1969), S. 194. Das Leben des hl. Filippo Neri, S. 284; Benz (1969), S. 113. Ignatius von Loyola: Bericht des Pilgers. Übersetzt und kommentiert von Peter Knauer. Würzburg 2002, S. 46; Geistliche Übungen. In: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu. Übersetzt von Peter Knauer. Würzburg 1998, S. 92–269 (Einleitung S. 85–91). Zu Loyolas Frömmigkeit, vgl. Hugo Rahner: Ignatius von Loyola und das geschichtliche Werden seiner Frömmigkeit. Graz/Salzburg u.a. 1947, S. 52–108; Sluhovsky, S. 119, 163.
210 Folge von Visionen69 dar. Er beschrieb eine psychische abgestufte Suche nach der Präsenz Gottes. Die erste Übung der ersten Woche bestand, der antiken ars memoriae entsprechend, in der Verortung eines physischen Gegenstandes durch Imagination in einen locus, nachdem der Gläubige Gott gebeten hatte, den entsprechenden Affekt zu erhalten. Die Betrachtung begann dann mit der Erinnerung an ein biblisches Thema, setzte sich dann sukzessive in der Betätigung des Verstandes (d. h. des Intellekts) fort, der das Thema analysierte und seinerseits die entsprechenden Affekte im Willen anregen sollte. Dann schaute der Gläubige in sich selbst und fragte sich: »Was habe ich getan für Christus, was tue ich für Christus, was bin ich ihm schuldig?«, woraus eine Zwiesprache (colloquium) enstand.70 Mit anderen Worten: Das Einswerden von Intellekt, Affekten und Willen sollte durch die ›Anwendung der Sinne‹ erreicht werden. Den Höhepunkt der Meditation bildete die Synthese der sinnlichen und rationalen Seelenvermögen. Dabei fungierte der Traum als Anknüpfungspunkt zur Metapher des Erwachens.71 Petrus Canisius, Begründer der Gesellschaft Jesu in Deutschland, teilte ebenfalls diese zurückhaltende Zustimmung zur Vision als Merkmal des Heilsgeschehens. Während jedoch seine noch erhaltenen Tagebuch-Fragmente und seine Bekenntnisse von vielen Visionen der eigenen Seele72 zeugen, waren seine an eine größere Öffentlichkeit gerichteten Werke weitaus vorsichtiger. In ihnen tritt die Askese an die Stelle der visionären Erfahrungen.73 Die ambivalente Stellung des Traums resultierte tatsächlich aus dem theoretischen und praktischen Schwanken zwischen der Suche nach der Stimme Gottes und der Bejahung der Askese. Wenn es individuell geübt wurde, bedeutete das Fasten den Verzicht auf die übliche Form der Geselligkeit. Nicht selten konnte es, neben den Einschränkungen des Schlafes und dem asketischen Wachen, Zwangvorstellungen im Traum bewirken, die den Asketen zu bedrängen versuchten.74 Dementsprechend betonten sie die Not69 70
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Loyola (2002), S. 61, 73–75, 101, 153, 163. Ders. (1998). Vgl. dazu Sebastian Neumeister: Das unlesbare Buch. Die Exerzitien des Ignatius aus literaturwissenschaftlicher Sicht. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Askese und Mystik 59 (1986), S. 275–293. Loyola (2002), S. 68; Michael Sievernich: Homo jesuiticus. In: Der neue Mensch. Perspektiven der Renaissance. Hg. von Michael Schwarze. Regensburg 1998, S. 53–78, hier vor allem 61–62; John W. O’Malley: Early Jesuit Spirituality. Spain und Italy. In: Ders.: Religious Culture in the Sixteenth Century. Preaching, Rhetoric, Spirituality, and Reform. Aldershot 1993, S. 3–27; Ilse von zur Mühlen: Imaginibus honos, Ehre sei dem Bild. Die Jesuiten und die Bilderfrage. In: Rom in Bayern. Kunst und Spiritualität der ersten Jesuiten. Hg. von Reinhold Baumstark. München 1997, S. 161–170. Vgl. beispielsweise Die Bekenntnisse des seligen Petrus Canisius S. J. und sein Testament. Aus dem Lateinischen übersetzt und hg. von Johannes Metzler. Gladbach 1921, S. 51–53. Vgl. Petrus Canusius: Manuale catholicorum, in usum pie precandi collectum. Ingolstadium 1587; Ders.: Meditationes qvotidianae. o. D. 1568. Vgl. dazu Erdei, S. 160. Vgl. Benz (1969), S. 37–48.
211 wendigkeit der Zustimmung des Willens, d. h. des Wachzustands, zur mystischen Erfahrung.75 Als jedoch der Erhalt göttlicher Visionen zum eigentlichen Wunder wurde, erfuhren Askese und Körper eine Neuberwertung. Johannes vom Kreuz (Juan de La Cruz, 1542–1591) sprach abwertend von den »Verzückungen, Herzbeschwerden und Knochenverenkungen […], [die] sich immer dann ereignen, wenn die Mitteilungen nicht rein geistlicher Art sind, d. h. nicht allein dem Geist mitgeteilt werden wie bei den Vollkommenen. Da diese auch durch die zweite Nacht, die des Geistes, geläutert sind, hören bei ihnen diese Verzückungen und Quälereien des Leibes auf, und sie genießen die Freiheit des Geistes, ohne daß der Sinnenbereich umwölkt oder entstellt wird.«76 Ekstasen und wunderbare Zustände verwarf er also wegen ihrer körperlichen Ausdrucksformen. Wie Neri, zeigte er sich jedoch Visionen gegenüber deutlich vorsichtiger. Der zweite Teil seines Aufstiegs auf den Berg Karmel berichtet von den »Nachteilen, die die übernatürlichen Erkenntnisse in der Seele verursachen, wenn sie darüber nachsinnt.«77 Fünf Nachteile ergäben sich, wenn die Seele sich »mit den Erkenntnissen und Formen befaßt, die ihr auf übernatürlichem Wege zukommen, und darüber nachsinnt: 1. Sie wird sich gar oft täuschen, indem sie das eine für das andere ansieht. 2. Sie läuft Gefahr, irgendeiner Anmaßung der Eitelkeit zum Opfer zu fallen. 3. Der böse Feind hat sehr leichtes Spiel, die Seele mittels dieser Wahrnehmung in die Irre zu führen. 4. Die mit Gott erhoffte Vereinigung wird hintangehalten. 5. In dieser Verfassung hat man von Gott meistens eine niedrige Anschauung.«78 Johannes vom Kreuz, der gegen die ›schwärmerische‹ Bewegung der Alumbrados reagierte, war bezüglich Träumen bzw. Visionen mißtrauisch, weil sie die Einmischung einer vom Teufel infizierten Imagination ermöglichten: Der Sinn der Einbildungskraft und der Phantasie ist es, dessen sich der Teufel mit seinen bald natürlichen, bald übernatürlichen Ränken gewöhnlich bedient. Denn er ist die Tür und der Eingang zur Seele, und hierher kommt, wie wir schon sagten, der Verstand wie in einen Hafen oder einen Vorratsplatz, um davon wegzunehmen oder stehenzulassen. Dahin kommen denn auch Gott und der Teufel mit ihrem Geschenk von Bildern und Gestalten, um sie dem Verstande anzubieten …79
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Andere Mystiker wie Miguel de Molinos legten jedoch weniger Wert auf die Askese und suchten eher nach der Seelenruhe. Johannes vom Kreuz: Die dunkle Nacht (Noche Oscura). Vollständige Neuübersetzung von Ulrich Dobhan, Elisabeth Hense, Elisabeth Peeters. Freiburg/Basel u.a. 31997 (Gesammelte Werke 1), 1,2. Vgl. dazu Jean Baruzi: Saint Jean de la Croix et le problème de l’expérience mystique. Paris 1924. Johannes vom Kreuz: Aufstieg auf den Berg Karmel. Hg. und eingeleitet von Ulrich Dobhan. Freiburg/Basel u.a. 1999 (Gesammelte Werke 4), c. 9, S. 298. Ebd., Bd. I, T. III, c. 14, S. 351. (Ich habe mir erlaubt, diese Übersetzung zu überarbeiten). Ebd., Bd. I, T. III, c. 14, S. 151.
212 Deshalb forderte er den Laien auf, auf Visionen, Offenbarungen und übernatürliche Erscheinungen gänzlich zu verzichten: »Will also die Seele zu solch vollkommener Vereinigung mit Gott gelangen, so muß sie vor allem darauf achten, daß sie ja nichts auf die Visionen der Einbildungskraft gebe, noch auch auf Eindrücke, Gestalten oder besondere Erkenntnisse.«80 Da die discretio spirituum eine göttliche Gabe erforderte, wurden Träume und Visionen zum Merkmal der weltfremden Gottesmenschen. Die Laien hingegen sollten sich von den Träumen abwenden. Jenseits der discretio spirituum-Kasuistik suchte Teresa von Ávila in der Erfahrung ihrer eigenen Visionen, die sie als »Wunder«81 betrachtete, konkrete, greifbare Unterscheidungskriterien zwischen göttlicher Vision, Traum, Täuschung der Imagination, Auswirkung der Melancholie und Einwirkung des Teufels. Eine echte Vision sei unerwartet, deutlich und von Pein begleitet. Der Willen stimme ihr zu, und sie präge sich unauslöslich in das Gedächtnis ein und hinterlasse eine Gewißheit.82 Die Vision erzeuge einen todesähnlichen Zustand. Dabei unterschied Ávila zwischen der Ekstase bzw. Entrückung, während der sich die Seele für eine kurze Zeit wirklich vom Körper trennte, und dem Geistesflug, in dessen Verlauf die Wahrnehmung und die Tätigkeit der Sinne erhalten blieben.83 Sie gestand bald die Schwierigkeit ein, diese Zustände in der Praxis zu unterscheiden und stieß auf ein Zirkelproblem: »Die Seele erkennt ihre Anwesenheit deutlich aus der Art seiner Mitteilungen und Liebesbezeigungen, nämlich durch Erscheinungen und Schauungen. Diese sind so wunderbar …«84 Wie solle die Seele vor allem, in Abwesenheit der Wahrnehmung und der Sinne, Gott schauen und dies nie vergessen, obwohl diese Erfahrung die Mittel der artikulierten Sprache überschritt?85 Ávila unterschied die »äußeren Augen« der Sinnesorgane von den »inneren Augen« (bzw. »Augen der Seele«), d. h. der Imagination und den »Verstandesaugen« bzw. Augen des Geistes. Der Prozess der Erleuchtung gewann dabei kaum an Klarheit: 80
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Ebd., Bd. I, c. 14, S. 354. Vgl. auch folgende Stelle: »Darum erkläre ich: von all diesen Wahrnehmungen und Visionen der Einbildungskraft und anderen dergleichen Bildern und Eindrücken, die sich in irgendwelcher Form oder einem Bild oder einer besonderen Erkenntnis darbieten, mögen sie nun echt oder unecht sein, also vom Teufel stammen, darf sich der Verstand nicht verwirren und einnehmen lassen. Aber auch die Seele darf sie nicht zulassen oder besitzen wollen, damit sie ungehemmt, entäußert, rein und lauter sei, wie es zur Vereinigung mit Gott notwendig ist.« Ebd., I, S. 303. Zitiert nach: Benz (1969), S. 298. Vgl. Die Seelenburg der heiligen Theresia von Jesu. Mit einem Anhang: Gedanken über die Liebe Gottes; Rufe der Seele zu Gott; Kleinere Schriften. Hg. von Aloysius Alkofer. München/Kempten 51973 (Sämtliche Schriften der hl. Theresia von Jesu 5), S. 94, 100. Ebd., S. 87–89, 127–129, 136–137. Das Traum-Motiv taucht S. 123, 136 und 183 auf. Ebd., S. 145–155. Ebd., S. 173. Ebd., S. 145.
213 Da ich keine wissenschaftliche Bildung besitze, so vermag ich mich eben bei meiner Unbeholfenheit in keiner Sache richtig auszudrücken. […] Ohne daß sie etwas mit den Augen des Leibes oder der Seele sieht, erkennt sie dies und viele andere unbeschreibliche Dinge auf wunderbare Weise, die ich nicht zu erklären vermag. Wer dies schon erfahren und mehr Geschick dazu hat als ich, könnte sich vielleicht darüber aussprechen, aber für mich scheint es sehr schwer zu sein. Ob die Seele während dieser Vorgänge im Leibe oder außer ihm ist, kann ich nicht sagen; wenigstens möchte ich nicht schwören, daß die Seele im Leibe, noch auch, daß der Leib ohne die Seele sei.86
Ávila konnte die Erleuchtung nicht wissenschaftlich erklären. Stattdessen versuchte sie, in ihrem zwischen 1554 und 1566 verfassten Buch meines Lebens (Libro de la vida) über die Niederschrift ihrer Visionen die Visionserfahrung zu analysieren: Kurz danach wurde mein Geist so sehr entrückt, daß mir schien, er befände sich fast ganz außerhalb des Leibes; zumindest erkennt man dann nicht, daß er noch in ihm lebt. Ich sah die allerheiligste Menschheit [Christus, C.G.] mit mehr überströmender Herrlichkeit, als ich sie je gesehen hatte. Er wurde mir durch eine wunderbare und klare Erkenntnis gezeigt, wie er an den Brüsten [im Schoß, C.G.] des Vaters ruht. Ich könnte nicht ausdrücken, wie das ist, denn ohne es zu sehen, war mir, als würde ich mich in der Gegenwart dieser Gottheit sehen. Ich war so verblüfft und in einem solchen Zustand, daß einige Tage vergingen, bis ich wieder zu mir kommen konnte. Immerzu glaubte ich, die Majestät des Sohnes Gottes bei mir zu haben, wenn es auch nicht so wie beim ersten Mal war. Das begriff ich sehr wohl, aber es bleibt der Vorstellungskraft so eingemeißelt, daß sie es – mag es noch so schnell vorbeigegangen sein – eine Zeitlang nicht aus sich entfernen kann, und es ist von großem Trost und sogar Nutzen. Dieselbe Vision habe ich noch dreimal geschaut. Sie ist meiner Meinung nach von allen Visionen, die zu schauen mich der Herr begnadet hat, die höchste, und sie zieht überaus große Vorteile nach sich. Es scheint, als läutere sie die Seele in hohem Maße und nehme dieser unserer Sinnenwelt [sensualidad] nahezu alle Kraft.87
An dieser Stelle gerieten nicht die fünf äußeren Sinne mit der geistigen Erfahrung in Streit. Die Vision, durch eine halb kontrollierte Ablenkung der äußeren Sinne ermöglicht, führe zu einer »Einprägung« bzw. einer »Einmeißelung« in der »Vorstellungskraft« (in anderen Stellen: im »Gedächtnis«). Bei der Charakterisierung dieser paradoxalen Erkenntnis aus den abgelenkten Sinnen behielt Ávila immer noch die Metaphorik des ›inneren Auges‹ bei.88 Letztlich stellte sie die Nähe der Gotteserfahrung zum Wahn fest.89 86 87
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Ebd., S. 145, 154. Dies.: Das Buch meines Lebens. Vollständige Neuübertragung. Gesammelte Werke. Bd 1. Hgg., übersetzt und eingeleitet von Ulrich Dobhan, Elisabeth Peeters. Freiburg/ Basel u.a. 22004 (12001) (Herder Spektrum 5211), 38.17–18, S. 572–573. Vgl. auch Ebd., Kap. 27,2, S. 384. Vgl. beispielsweise ebd., S. 566: »Alles, was ich mit den leiblichen Augen sehe, kommt mir wie ein Traum vor, und als sei es ein Witz. Was ich bereits mit den Augen der Seele gesehen habe, das ist es, wonach sie sich sehnt, und da sie sich weit weg davon erlebt, ist dies für sie der Tod. Es erweist also der Herr einem, dem er solche Visionen schenkt, eine überaus große Gnade, weil es ihm sehr hilft, aber er gibt ihm auch ein schweres Kreuz zu tragen«. »[40.7] In tiefer Verzückung kommt es vor, daß die Seele nach jener Zeitspanne, in der sie in der Gotteinung ist (sie hält die Seelenvermögen gänzlich aufgesogen, aber das
214 Als die Vision zum Merkmal der westeuropäischen Heiligkeit wurde, erlangte die Figur des Beichtvaters eine zentrale Stellung als Spezialist in Fragen der discretio spirituum. Fungierten der größere Einfluss des Beichtvaters und die entsprechend zunehmende Praxis der Beichte als ›Technik des Selbst‹ und Meilensteine in der Entstehung eines Ich-Gefühls? Zweck der Selbsterkenntnis blieb die Erkenntnis Gottes. Sie wurde nicht mit der Erkenntnis der Seele in Verbindung gebracht.90 Die Konzentration auf die Vision bedeutete keinesfalls eine uneingeschränkt positive Einschätzung der Imagination. Franz vom Kreuz räumte ihr lediglich eine Rolle für die Anfänger zur Entdeckung der Methode ein. Die Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola beruhten auf einer Dressur der Imagination, um sie von den körperlichen Lüsten zu trennen.91 In diesem Zusammenhang wurde der Traum als Inbegriff sinnlicher Lüste manchmal scharf verurteilt, manchmal als ambivalentes Mittel der Offenbarung mit Behutsamkeit betrachtet. In keinem von beiden Fällen wurde die Kodierung der Gefühle bzw. Lüste oder Erleuchtungen untersucht. Die Aufmerksamkeit auf Zustände des scheinbaren Todes lenkte den Blick eben auch auf das Erwachen – eine Entwicklung, die im Heiligen Römischen Reich in der damaligen Medizin Parallelen in den plötzlich vermehrten Untersuchungen zum Nachtwandeln fand92, das den Status einer bloßen curiositas verlor. 4.1.3
Verstand und Körper im Erleuchtungsprozess unter den ersten Schwärmern
Die ›Enthusiasten‹ wurden schon früh, zumindest implizit, mit den Mystikern verglichen. Als im Jahre 1544 der Kanoniker und Gefährte Schwenckfelds, Valentin Crautwald, den Spottnamen ›Schwärmer‹ gegen deren lutherischen Feinde positiv umdrehte, definierte er die Identität seiner Gruppe
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dauert, wie ich schon gesagt habe, nur kurz an), noch gesammelt bleibt und selbst äußerlich nicht wieder zu sich kommen kann, aber die beiden Seelenvermögen der Erinnerung und der Erkenntnis mehr oder weniger im Wahn zurückbleiben, ganz irrsinnig.« Ebd., S. 607–608. Die Seelenburg, S. 20–30. Zu einigen Reaktionen in Bezug auf die jesuitische Malerei, vgl. Sophie Houdard: De la représentation de Dieu à la vue sans image. Hypothèses sur le rôle de l’imagination dans l’écriture mystique du XVIIe siècle. In: Littératures classiques 45 (2002), S. 109– 126. Vgl. den einflussreichsten Traktat: [Jacob Horst]: Jacobii Horstii Zwey Bücher: Eins [De aureo Dente maxillari pueri Silesii, Dt:] Von dem güldenen Zahn so einem Knaben in Schlesien gewachsen … Vorhin im Latein geschrieben, Jetzt … verdeutscht Durch Georgium Coberum [Cober] Das Ander [De noctambularum Natura, Dt:] Von den Nachtwanderern welche im schlaff umbgehen … Vorhin im Latein geschrieben/ und jetzo verdeutschet/ Durch Jacobum Horstium. Leipzig: Vögelin. 1596. Jacob Horst war der Schwiegervater von Cunrad Dieterich, Autor eines verbreiteten »Traum-Diskurßes«. Vgl. S. 74, 187–188.
215 wie folgt: sie seien »gaistlich gesinnet« und wollten »gottes weißhait warhafftig erraichen/ den Herre[n] Christum recht erkennen/ un[n] dem urthail entpfliehen«.93 Lange Zeit wurden die Schwärmer als radikale Protestanten betrachtet. Freilich entstanden sie aus dem Umfeld Luthers. Dementsprechend fühlten sich vor allem die Anhänger Luthers von diesen Dissidenten bedroht. Darüber hinaus entwickelten die Schwärmer derartige Praktiken, wie Fasten oder Visionen, deren individueller Charakter, mithin gar subversive Kraft, einzig im Katholizismus durch ihre Institutionalisierung im Mönchstum entschärft werden konnten. Im Hinblick auf das Verhältnis von Seele, Geist und Körper erwies sich zudem die lutherische Haltung als besonders wirr. Um 1525 brachen schließlich Hans Denck und Sebastian Franck, sowie zwei bis drei Jahre später Caspar von Schwenckfeld mit dem Luthertum. Die Genannten kritisierten alle Kirchen, insbesondere die lutherische. Sie bezogen sich auch auf eine andere Soteriologie sowie eine neue Lehre von Gott und der Schöpfung. Wie oben angedeutet erweist sich in der vor- wie übrigens auch nachkonfessionellen Zeit jedoch eine eindimensionale dogmatische Unterscheidung mit der ›Orthodoxie‹ als problematisch. Zu den Quellen der Dualität zwischen innerem und äußerem Menschen gehörte, neben der mittelalterlichen Mystik, auch die Schrift des Augustinus De spiritu et littera (412). Sie wurden sowohl von dem jungen Luther als auch von dem Generalvikar der sächsisch-thüringischen Provinz, Johannes von Staupitz, und von den ›Schwärmern‹ Karlstadt und Sebastian Franck aufgegriffen. Meister Eckhart wurde vornehmlich wegen seiner deutschen Predigten von der Inquisition angeklagt.94 Die in der Bulle In agro dominico (27. März 1329) erwähnten Anklagepunkte betrafen die Behauptung der Ewigkeit der Welt, Tendenzen des Antitrinitarismus, die Annahme eines unerschaffbaren Teils der Seele, die Gleichstellung von Gott und Mensch und gar eine Predigt zum Vorrang des Menschen vor Gott.95 Meister Eckharts Werke wurden wenn auch nicht direkt, so doch über Johannes Taulers Predigten und die Theologia teutsch übernommen. Tauler klammerte die spekulative Dimension des Denkens Eckharts aus und hob dessen ethisch-seelsorgerische Aspekte hervor. Er hielt das Einswerden des Menschen mit Gott für möglich, wenn man auf alle Bindungen mit der äußeren Welt verzichtete. Mehr als bei Eckhart trat das Moment der direkten Verbindung des Einzelnen mit Gott im Gegensatz zur kirchlichen Vermittlung deutlich hervor. Für Tauler war Gott »Ab93
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[Valentin Crautwald]: Der Schwermer. o. O. 1544, Fol. A vii v°. Zu den Anhängen Schwenckfelds, vgl. Caroline Gritschke: ›Via media‹. Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert. Berlin 2006 (Colloquia augustana 22). Das lateinische Werk Eckharts ist hingegen rein scholastisch. Vgl. Séguenny (2000), S. 44–47. Vgl. Wollgast (1999), S. 50.
216 grund« (nach Ps. 42); sein Reich sei im Menschen, weshalb die Seele ein Tempel Gottes96 sei. Tauler schloss daraus, dass jeder inwendige Mensch priesterliche Funktionen ausüben könne, allerdings auch, dass die Vereinigung mit Gott keine Vergottung des Menschen bedeutete. Daher pries er Techniken des Rückzugs aus der Welt, wie beispielsweise die Askese.97 Die anonym erschienene Theologia teutsch entwickelte ähnliche Gedanken über den ›inwendigen‹ und den ›auswendigen‹ Menschen sowie die Entstehung Christi im Menschen.98 Tauler und die Theologia deutsch übten einen wesentlichen Einfluss auf die Theologen des 16. Jahrhunderts aus. Schon im Jahre 1508 verfasste Luther eine Übersetzung Taulers. Drei Jahrzehnte später veröffentlichte der Jesuit Petrus Canisius eine neue Übersetzung. In den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts bereitete der Schwärmer Valentin Weigel ebenfalls eine Neuausgabe der Edition von 1521 der Predigten Taulers vor. Rezeption bedeutete jedoch nicht wörtliche Übernahme. Die Theologia teutsch wurde allerdings bereits im Jahre 1559 von Calvin abgelehnt und schließlich im Jahre 1612 auf den katholischen Index gesetzt. Eine weitere Traditionslinie sollte hier dennoch näher untersucht werden: jene der Humanisten, die wie Gianfrancesco Pico della Mirandola, Agrippa von Nettesheim und Erasmus die natürliche Vernunft und die scholastische Überzeugung von der Übereinstimmung der Philosophie und der Theologie verwarfen und mit Nikolaus von Kues die docta ignorantia lobten.99 Der zisterzianischen Tradition folgend hoben sie die Grenzen der diskursiven, auf dem Syllogismus begründeten Erkenntnis hervor. Aus diesem gemeinsamen Erbe zogen die Humanisten jedoch unterschiedliche Konsequenzen. Als Marsilio Ficino es wagte, verbum mit sermo zu übersetzen, verließ er die übliche Sicht von Christus als ewigem Wort (logos, verbum), als Geist und Gotteswerkzeug. An ihre Stelle setzte er die Idee von Christus als bloßer Stimme Gottes. Obwohl Ficino darauf achtete, die gepredigte sermo mit derselben Ehrfurcht wie das eucharistische corpus zu betrachten, hatte er dennoch eine Bewegung ausgelöst, in das Wort mit der prophetischen vox des Alten Testaments, sogar mit der meditatio und den literarischen scripta gleichgesetzt wurde. Ficinos Verständnis des Logos tauchte wieder bei Erasmus, später bei Sebastian Castellio, Laelius und Faustus Socinus auf.100 Sie waren alle bemüht, das theoretische Wissen in eine selbstgemachte Erfahrung zu verwandeln und den Menschen einen Kontakt mit Gott zu er96 97 98
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Ähnlich sprach Teresa de Ávila von der »Seelenburg«. Vgl. Taulers Predigten. Vgl. dazu Wollgast (1999), S. 51–53. Vgl. »Der Franckforter« (»Theologia Deutsch«). Kritische Textausgabe von Wolfgang von Hinten. München/Zürich 1982 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 78). Vgl. dazu Séguenny (2000), S. 44–64. Vgl. Williams, S. 25.
217 möglichen.101 Den Florentiner Neuplatonikern um Ficino war bewusst, dass die mittelalterlichen Mystiker das Problem eher aufgeworfen, als beantwortet hatten, da die mittelalterliche Philosophie der imitatio Christi die Wege der unmittelbaren Erleuchtung im Verstand nicht weiter erklärte. Erasmus verwarf jedoch den spekulativen Intellektualismus der Florentiner Neuplatoniker zugunsten einer anderen Strömung, die mit den kurz nach 1500 verfassten, jedoch erst 1520 gedruckten Examen vanitatis doctrinae gentium liber V von Gianfrancesco Pico della Mirandola begonnen und sich mit der De incertitudine et vanitate scientiarium (1531) von Agrippa von Nettesheim fortgesetzt hatte. Diese setzten voraus, dass der Mensch Glaubensgewissheit erlangen konnte, wenn er über einen unmittelbaren Zugang zu Gott verfügte. Es handelte sich also nicht um die augenblickliche Erfahrung der Mystiker, sondern eher um ein neues Glaubensverständnis. Der Glaube gründete demnach nicht mehr in der Zuversicht ins zukünftige Schicksal, sondern in der Ausschaltung aller Vermittlung im Erkenntnisprozess. Die Betonung der ›Unsicherheit der Sinne‹ war eine Kritik an der aristotelischen Erkenntnistheorie.102 Die Spiritualisten bzw. Schwärmer eigneten sich diese Ideen an, banden sie in eine auf das Kreuz gerichtete Theologie ein und fügten neue Weltsichten hinzu – die als Argumentation gegen die humanistischen Ansichten verwendet werden konnten.103 Das als Realität verstandene Kreuz sollte nicht nur den Verstand reinigen, sondern auch auf den Körper einwirken, ihn abtöten und verändern. Die Reinigung betraf somit den ganzen Menschen, des-
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Dies bereits bei Wyclif.Vgl. dazu Emily Michael: John Wyclif on Body and Mind. In: Journal of the History of Ideas 64 (2003), S. 343–360. In seiner Schrift »Nicolsburg« (1527) setzte Balthasar Hubmaier nach den paulinischen Briefen der Geist mit dem pneuma, d. h. dem Lebensatem und dem Bewegungsprinzip des Leibes gleich. Das Wort Gottes trenne die Seele sowie den Geist, und die Gedanken des Herzens erkannte. Der Sündenfall habe keine fatale Konsequenzen in Bezug auf die Seele, könne jedoch zum Verderben des Fleisches führen. Vgl. dazu Williams, S. 114–135; H. W. Pipkin: Balthasar Hubmaier, Theologian of Anabaptism. Scottdale Pa. 1989 (Classics of the radical Reformation 5). Zu Gianfrancesco Pico della Mirandola, vgl. Schmitt: Gianfrancesco Pico, in: Gianfrancesco Pico della Mirandola: Über die Vorstellung. De imaginatione, S. 8–20, hier S. 17–18. Als Sebastian Franck sich in seiner »Geschichtbibell« auf Erasmus bezog, um seinen neuen Ketzerbegriff darzustellen, denunzierte ihn Erasmus, weshalb der Ulmer Rat ihn verklagte. Vgl. dazu Alfred Hegler: Geist und Schrift bei Sebastian Franck. Eine Studie zur Geschichte des Spiritualismus in der Reformationszeit. Freiburg im Breisgau 1892, S. 129–140. Vgl. auch Ders.: Beiträge zur Geschichte der Mystik in der Reformationszeit. Aus dem Nachlass hg. von Walther Köhler. Berlin 1906 (Archiv für Reformationsgeschichte. Ergänzungsband 1). Zu den häretischen Lektüren des Werkes Erasmus’, vgl. Silvana Seidel Menchi: Erasmus als Ketzer. Reformation und Inquisition im Italien des 16. Jahrhunderts. Leiden u.a. 1993 (Studies in medieval and Reformation Thought 49).
218 sen Geist und Fleisch.104 Im Zusammenhang mit dem Mikrokosmos-Makrokosmos-Paradigma entwickelten sie zahlreiche Parallelen zwischen der göttlichen Ordnung der Natur und der göttlichen Beseelung des Menschen. 4.1.3.1 Logos und menschliche Erkenntnis bei Sebastian Franck Gegen Anfang des 16. Jahrhunderts war also die Gegenüberstellung des ›inwendigen‹ und des ›auswendigen‹ Menschen ein Gemeingut. Einige lutherische Pfarrer befürworteten die ursprüngliche Präsenz Gottes im Herzen, des Wortes Gottes (des Logos) in der Seele jedes Menschen, unabhängig von den Sakramenten.105 Der aus Nürnberg wegen seiner spirituellen und täuferischen Ansichten verwiesene Rektor der St. Sebald Schule, Hans Denck (1500–1527), schränkte die Sakramente auf ein äußerliches Zeugnis des Glaubens ein. Das »unsichtbare« Brot stärke den Menschen.106 Ebenso sei die Bibel lediglich ein Zeugnis der Wahrheit, die an sich die Transzendenz der Seele des Menschen nicht verspüren lassen könne. Der Mensch solle also in sich das Mittel finden, um vom selben Geist wie Gott gelenkt zu werden.107 Denck tendierte nicht nur dazu, den äußerlichen Erguss des Heiligen Geistes zu vernachlässigen. Das »innere Wort« bzw. das Logos bezeichnete Denck als »Gottes wort«, »lamb Gottes«, »kraft des aller höhsten«, »gsatz der natur«, »liecht«, aber nie als Heiligen Geist.108 Die Erfassung dieses inneren Wortes verändere den Menschen. Denck versuchte dies, mit den Mitteln der Vernunft zu begreifen.109 Das Werk des jung verstorbenen Hans Denck war zwar wenig verbreitet, doch der schwäbische 104 105
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Vgl. Séguenny (2000), S. 51–54. Wie der lutherische Jörg Haugk aus Juchsen (Thüringen). Vgl. Jörg Haugk: Ain christlich ordenung aines warhafftigen Christen zü verantwurtten die ankunfft seines glaubens. [Wittenberg: Lufft] ca. 1525. Vgl. dazu Séguenny (2000), S. 75–88. »Wer also gesinnet ist und trinckt auss dem unsichtigen kelch den unsichtigen wein, den Gott von anbeginn gemischt hatt durch seinen son, durch das wortn der wirt truncken und verwayssr sich nit mehr umb sich selbs, sonder wirt durch die liebe Gottes gantz vergottet und Gott in im vermenscht […] Dieweyl es aber unsichtbar in dem sichtbarn brott ist und nicht andres dann das brott, so ists eben das unsichtbar wort in dem sichtbaren leyb, der empfangen ist vom heyligen geyst, geborn auss Maria, der junckfrawen«, Hans Denck: Schriften. Bd. 2–3. Hg von Walter Fellmann. Gütersloh 1956 (Quellen und Forschungen zur reformationsgeschichte 24), S. 64. An dieser Stelle fungiert das Sinnliche als Mittler zum Unsichtbaren. »Diser Auslegung des geysts muss ein yeglicher zuvor bey ym selbs gewiss sein«, Ebd., S. 58. Im Gegensatz zu Thomas Müntzer, der vom Heiligen Geist sprach. Vgl. dazu Albrecht Hege: Hans Denck, 1495–1527. Tübingen 1942 (Diss.), S. 84. »Das wort, das im hertzen ist, solt man nit verleügknen, sonnder fleissig und ernstlich hören, was Gott in unns reden wolt, darneben auch kein eüsserlich gezeügknuss schlecht dahin verwerffen, sonnder alles hören und brüfen und in der forcht des gaists gegeneinannder halten, da wurd der verstand von tag zu tag ye lenngeer ye rainer, biss das wir Gott aufs allerblössist höreten mit unns reden, und und [sic] sich der freihait, die Gott ist, ergeben«: Denck, S. 94, 96. Vgl. auch Séguenny (2000), S. 112, dem ich folge.
219 Kleriker Sebastian Franck (1499–1542/43)110 setzte sich sehr intensiv mit ihm auseinander. Ab den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts lobte er die »unsichtbare und geistige Kirche«, die alle überflüssige Riten abschaffen würde und alle Gläubigen versammelte. Da Gott direkt zum »Herzen« des Menschen spreche, bedürfe die Verkündung seines Wortes keiner äußeren Vermittlung durch eine institutionell verfasste Kirche. Franck leitete daraus eine erasmisch geprägte Kritik an den Erscheinungsformen des Obrigkeitsstaates und einen neuen Begriff der Ketzerei ab. Das Novum war dennoch, dass Franck neben Denks Schriften auch Aristoteles, Cicero und Seneca, mystische Werke des Mittelalters, insbesondere Tauler und die Theologia teutsch, die er radikalisierte, das Enchiridion militis christiani (1503) und »Lob der Torheit« (Encomium moriae, 1515) des Erasmus und Luthers Werke aufgriff sowie daneben auch zahlreiche hermetisch-okkultische Schriften, insbesondere jene des Pseudo Dionysios-Aeropagita und des Hermes Trismegistus, die Occulta philosophia und die Declamatio de incertitudine et vanitate scientiarum (1526) von Agrippa von Nettesheim.111 Dadurch stellte er neben die Dualität zwischen Geist und Fleisch auch jenen zwischen Gott und Welt bzw. Natur. Aus diesem Grund kritisierte er die aristotelische Definition der Seele: Aristoteles erfindt ein newen nammen/ haißt die seel Entelechiam ein außbreytung/ und volstreckung des natürlichen leibs so in jr hat die krafft des lebens/ und dem gibt den anfang/ zu entpfinden/ unnd sich zu bewegen. Diser naßweyß Philosophus/ will es am aller pasten troffenn/ diffiniert haben/ so er doch darinn gar nicht anzeygt/ was die seel an jrer substantz sonder allain waß jr ampt sey.112
Die Definition der Seele als Entelechie verbarg den wesentlichen Widerstreit zweier Elemente im Menschen bis in den Tod: Zwei gar entgegengesetzte Menschen wohnen widereinander in einem jeden Menschen. Der eine Fleisch aus Fleisch, der andere Geist aus Geist […] Daher kommt der unaufhörliche Kampf im Menschen. Je eines Anfang und Leben ist des anderen Untergang und Tod […] Darum fechten je zwei Menchen in einem Menschen widereinander und wohnen beieinander und keiner tilgt den anderen aus, bis der Tod den Krieg scheidet und Friede nimmt.113
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Zu Sebastian Franck, vgl. Klaus Kaczerowsky: Sebastian Franck. Bibliographie, Verzeichnisse von Francks Werken, der von ihm gedruckten Bücher sowie der Sekundärliteratur. Wiesbaden 1976; Christophe Dejong: Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des XVIe et XVIIe siècles. Baden-Baden 1986 (Bibliotheca bibliographica Aureliana 7), S. 39–120. Seine »Vier Kronbüchlein« bestanden u.a. in einer deutschen Übersetzungen von Erasmus’ »Lob der Torheit« und Agrippa von Nettesheims »Declamatio de incertitudine et vanitate scientiarum«. Sebastian Franck: Die Guldin Arch darein der kern und die besten hawptsprüch/ der heyligen schrifft/ alten Lerer vnnd Väter der Kirchen/ Auch der erlaeuchen Heyden vnnd/ Philosophen/ … verfasset und eingeleybt seind … o.O. 1638, S. LXXIX v°. Franck (21995), Nr. 255, S. 377, 379–380.
220 Die Befreiung aus den ›Fesseln des Fleisches‹ geschehe durch die menschliche Erkenntnis, d. h. einen langen Prozess des Zweifelns, der daraus resultierenden Verzweiflung und der Bewusstwerdung der Unzulänglichkeit jeglicher weltlicher Glückseligkeit. Die Suche nach der Präsenz Gottes wurde mithin als ein Erkenntnisvorgang, als das Kennenlernen seiner selbst charakterisiert.114 Nach Franck befand sich das Wort Gottes bzw. der Logos potentiell im Herzen jedes Menschen. Er konnte sich durch die Erkenntnis und das Verstehen von Christi Leben und Tod entfalten. Die Verwandlung des natürlichen in den neuen Menschen war also in erster Linie ein intellektueller Prozess, in dem der Körper nebensächlich war. Im Gegensatz zu Luther (und Wilhelm von Ockham) stellte sich Franck keinen persönlichen Gott vor. Die Seele sei vielmehr in ihrem inneren Wesen ein Teil der göttlichen Substanz. Daraus leitete Franck seine Auffassung von der nicht-institutionalisierten Kirche ab: Die Kirche ist ja nicht etwa ein besonderer Haufen und eine mit Fingern zu zeigende Sekte, gebunden an ein Element, eine Zeit, Person und Stätte, sondern ein geistlicher unsichtbarer Leib aller Glieder Christi, aus Gott geboren, und in einem Sinn, Geist und Glauben; aber nicht in einer Stadt oder etwa an einem Ort äußerlich versammelt, daß man sie sehen und mit Fingern zeigen könnte, sondern die wir glauben und nicht anders sehen als mit gleich geistlichen Augen des Gemüts und des inneren Menschen: die Versammlung und Gemeinde aller recht gottesfrommen und gutherzigen, neuen Menschen in aller Welt, durch den Heiligen Geist in dem Frieden Gottes mit dem Band der Liebe zusammengegürtet, außer der kein Heil, kein Christus, kein Gott, Verstand der Schrift, Heiliger Geist noch Evangelium ist.115
Da Gott »gleich ein unaußsprechlicher seüfftz im grund der seel gelegen«116 sei, rekurrierte Franck bei der Suche nach dem Wesen bzw. der »Substanz« der Seele und bei der Kritik an der institutionalisierten Kirche wieder auf das Bild des ›inneren Auges‹. Obwohl er die religiöse Eingebung als einen Erkenntnisprozess ansah, thematisierte er in keiner Weise die Rolle der Imagination und der Seelenkräfte.117 114
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»Dann frembde wort/ that/ glauben/ sollen allein darzû dienen/ nit das wir wissen und verwunderen/ sonder das wir daraus zû eignem wort/ werck und glauben kommen und darbei abnemen/ Gottes werck in uns angfangen/ still zuhalten«, Chronica vnnd Geschichte der Tuerckei. Ein kuenstlich hoeflich Declamation. In: Sebastian Franck: Kronbüchlein 4: Lob des göttlichen Worts. In: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Bd. 1. Frühe Schriften. Hg. von Peter Klaus Knauer. Bern u.a. 1991 (Berliner Ausgaben), Fol. a iiij v°. Franck (21995), Vorrede, S. 11–12. Sebastian Franck: Chronica zeitbuech unnd Geschichtbibell von anbegyn bis in dis gegenwertig M. D. xxxvi. iar verlengt/ Darinn bede Gottes und der welt lauff/ haendel/ art/ wort/ werck/ thuen/ lassen/ kriegen/ wesen/ und leben ersehen un[n] begriffen wirt … o. O. [Ulm: Johann Varnier] 1536, S. I r°. Einerseits schrieb er, dass der Mensch seinen Willen und seine Imagination von den Fesseln des Fleisches befreien musste, andererseits schätzte er Prophetien und prophetische Träume: »Darumb würt vnder dem namen Gottes worts verstanden/ nit allain die schrifft/ sonde alle Prophecei/ gesicht/ treüm/ salbung/ innerlichs zuesprechen/ Leere des Gaists/ vnd offenbarung so auß Gott sindt.« Franck (1992), S. 227–260, hier 253.
221 4.1.3.2 Die Spiritualisierung des Fleisches bei Caspar von Schwenckfeld Wie Franck strebte der schlesische Adlige Caspar von Schwenckfeld nach einer Auslöschung der fleischlichen Menschlichkeit, allerdings nicht mittels einer augenblicklichen Erfahrung wie im Mystizismus. Wie Franck postulierte auch er, dass Glauben eine rationale Dimension besitze. Schwenckfeld maß jedoch der Bibel als Ausgangspunkt des Glaubens eine größere Bedeutung zu. Sie war ihm ein Buchstabe, der auf das (ewige) Wort verwies, ohne es zu enthalten. Vor allem hob er die Beteiligung des Leibes an der Erleuchtung bzw. der Verwandlung des unvollkommenen, ›alten‹ Menschen in den neuen hervor. Der intellektuelle Ansatz Francks wurde von Schwenckfeld durch einen ontolologischen ersetzt. Den Anfang der Überlegungen Schwenckfelds bildete die Soteriologie.118 Gegen die Scholastik hatten die Protestanten die Menschlichkeit Christi und die aufopfernde sowie erlösende Dimensionen seines Leidens betont. Auf der anderen Seite hoben sie darauf ab, dass er nicht gezeugt, sondern erschaffen worden sei. Nach Schwenckfeld sprachen sie deshalb von zwei Söhnen Gottes: dem menschlichen, leidenden Christus auf Erden, und dem auferstandenen verklärten Christus. Schwenckfeld bemühte sich desweiteren um eine Erklärung der Spiritualisierung des Fleisches. Der spätmittelalterlichen Tradition folgend postulierte er die Identität zwischen dem irdischen und dem himmlischen Leib Christi. Er fügte die Gleichartigkeit des natürlichen Leibes Christi und des Leibes des natürlichen Menschen hinzu. Der Leib wurde somit zum ›Ort‹ des Zusammentreffens des Göttlichen und des Menschlichen. Schwenckfelds Anliegen war es, die Verwandlung des natürlichen Fleisches des Menschen in das spirituelle Fleisch Christi oder die Übertragung von Eigenschaften des verklärten Leibes Christi auf denjenigen des lebenden, natürlichen menschlichen Leibes zu erklären.119 Um die Verwandlung nicht nur des Verstandes, wie bei Sebastian Franck, sondern auch des Fleisches zu erläutern, bediente Schwenckfeld sich eines Vergleichs mit der Bildhauerei. Ebenso wie ein Holzstück, das zur Skulptur wurde, »ain Newe form/ art und wesen«120 erwarb, ohne dass seine Substanz sich veränderte, besitze der neue Mensch dasselbe Fleisch wie der natürli118
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Zu der ab 1538 in Drucken veröffentlichten, jedoch viel früher konzipierten Soteriologie Schwenckfelds, vgl. André Sciegienny: Homme charnel, homme spirituel. Étude sur la christologie de Caspar Schwenckfeld (1489–1561). Wiesbaden 1975 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, 76, Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte); Ders. [Séguenny] (2000), S. 239–278. Im Folgenden stütze ich mich vorwiegend auf Caspar von Schwenckfeld: Von der Menschenwerdunge Christij … o. O. 1538; Ders.: Von der Aufferstehung/ Erscheinung unnd verclerunge Christi. In was Stand und Wesen der Leib Christi nach seiner Aufferstehung sey. o. O. 1586; Ders.: Vom Fleische Christi. Daß der Mensch Jhesus Christus vom ersten blick seines empfencknis ahn/ der ware natuerliche Sohn Gottes sey … o. O. 1584; Ders.: Zwoelff ursachen: das Jesus Christus nach seiner Menschait kaine Creatur sei. o.O. (1561). Ders. (1538), S. 139, § 18–19.
222 che, jedoch nunmehr vollendet, in Glut getaucht und erleuchtet von der Gottheit. Das Geschöpf solle demnach seinen Körper spiritualisieren und zum vollendeten Abbild Gottes werden. Dafür musste der Mensch wiedergeboren werden und Eigenschaften des Leibes Christi erlangen. Schwenckfeld bediente sich hier nicht der Metapher des ›inneren Auges‹, sondern eines Sonnenstrahls, der den menschlichen Leib durchdringt und in Licht verwandelt. Dies könne jedoch erst nach der Auferstehung Christi geschehen. Da er die Gnade Gottes – jedoch nicht wie Luther als eine unerwartete und unverständliche Vergebung, sondern als den Willen Gottes, sein Werk fortzusetzen, damit es zu seinem Abbild würde – hervorhob, thematisierte Schwenckfeld nicht den Prozess der menschlichen Erleuchtung. 4.1.3.3 Visio imaginaria, Vernunft und Wahn Das eigentliche Novum im Fall Schwenckfelds bestand in der Polemik, die sein Werk auslöste – dies, nicht nur, weil der schlesische Laie zahlreiche Adepten anzog, sondern auch weil die ›Schwärmer‹ sich des Spottnamens bemächtigten, um ihre eigene Identität gegenüber den Großkonfessionen zu behaupten. Als die erste Verteidigung der Schwärmerei aus der Feder Valentin Crautwalds, eines Genossen Schwenckfelds, erschien, schilderte er den allgemeinen Hass auf die Spiritualisten und ihre Herabwürdigung: Solchs aber alle die/ welche auß Gottes gnaden ainen grund jres rechten verstands/ der Leer und worten des Herren inn seinem Nachtmal/ zuesampt der Christlichen ge heymnus unnd Sacramentlichen haendel bericht empfangen haben/ kain beschwerd sollen tragen/ sich des Namens Schwermer/ nicht schaemmen […] Von disem zuenamen Christi/ schreibt Johan[n]es am Zehenden Capitel also. Es sagten aber jrer vil auß ihnen. Er hat den boesen gaist und ist wuettend (Rasend oder Schwermer) warumb hoeret ihr ihne? etc. Und Marcus am 7. Capit. mit disen worten. Und da es hetten gehoert die umb jn waren/ (oder seine freünd) giengen sie hin und ihne zufahen/ dan[n] sie sagten/ Er ist von sin[n]en kum[m]en etc. das ist als man sonst spricht/ Er ist zerrittet/ oder wie mans itzt haißt/ er Schwermet. Merck nu Christlicher leser/ wie es Christo unserm Herren ergange[n]/ wie er der welt spott und ein thor un[n] Schwermer bei seiner freündschafft ist geachtet worden …121
Als die Kontroverse eskalierte, wurden die Schwärmer als Irre (»Rasend oder Schwermer«) angeprangert. Der strenge Lutheraner Matthias Flacius Illyricus verfasste zahlreiche Flugschriften, in denen er den verwirrten Enthusiasmus denunzierte. Da die Schwärmerei jegliche klerikale Vermittlung (die vom Klerus geübten Sakramente und Riten) und jegliche Autorität (insbesondere diejenige der Bibel) ablehnte, sei sie grundsätzlich sittenlos und aufrührerisch gesinnt.122 Statt die Dinge mit den passenden Worten in der entsprechenden
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Crautwald, Fol. A ij r° – A iij r°. Vgl. Matthias Flacius Illyricus: Von der h. Schrifft und jrer wirckung/ widder Caspar Schwenckfeld … Magdeburg: Michael Lotther. 1553.
223 Ordnung zu bezeichnen, »blapert[e]«, »rumpelt[e]«, »pappert[e]« Schwenckfeld »one maß vnd verstand«123 und »frage nichts nach der Grammatica«124 Statt die Inspiration der Bibel zu ehren, betone er nachdrücklich die Inspiration seiner eigenen Wirrschriften.125 Dennoch verwarf Flacius vorwiegend Schwenckfelds Anthropologie und seine entsprechende Epistemologie. Der schlesische Enthusiast charakterisierte den ›innerlichen Mann‹ durch das Herz, die Seele und das Gewissen, den ›auswendigen‹ durch den Leib, das Fleisch, die fünf Sinne sowie den Verstand und das Gedächtnis. Er zog daraus den Schluss, dass die Bibel lediglich die fünf äußeren Sinne und den Leib betraf. Gott spreche hingegen nur durch innere Erleuchtungen und somit nur den ›inwendigen Mann‹ an.126 Dies, so Flacius, bedeute eine Leugnung des Anthropomorphismus Gottes. Obwohl Flacius sich ganz bewusst ausschließlich auf die Bibel bezog, unternahm er eine Beweisführung im rein aristotelischen Stil.127 Indem Schwenckfeld den ›äußerlichen Mann‹, d. h. laut Flacius den ›unvernünftigen Mann‹ über den Leib, die fünf Sinne sowie über des Verstand und das Gedächtnis definiere, betrachte er den Intellekt als unvernünftig.128 Darüber hinaus preise der Schwärmer direkte Erkenntnisse in Form von Erleuchtungen. Doch wie sollte Erkennntnis ohne Sinnesvermittlung möglich sein?129 Die schwärmerische Ablehnung jeg123
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Ders.: Gründliche ver legung aller schedlichen Schwermereyen des Stenckfelds/ zu unterricht und warnung der einfeltigen Christen … o.O. [Magdeburg] o. J. [1557]. Fol. B vi r°. Ebd., Fol. P vi r°. »… die verwirrete/ seltzsame/ vnnd abentheurliche treume (wolte sage[n] hohe erleuchtunge/ eingebunge/ vnnd Geisterey) des koestlichen Propheten Stenckfelts«. In: Ders.: Gründtliche verlegung etlicher newer Donatistischer schrifften des Stenckfelts/ durch Matthiam Flacium Illyricum … Nuernberg: Johann vom Berg unnd Ulrich Newber. 1555, Fol. B 5 v°. Ders. (1557), Fol. E vi r° – E vii r°. »Weyter so leugt er [d. h. Schwenckfeld. C.G.] noch unuerschempter/ Fol. 69. Das ich sage den Aristot. spruch: Nihil esse prius in intellectu quàm in sensu. […] Es ist schendlich erlogen/ das ich je den spruch Aristo. Nihil est prius in intellectu, quàm sit in sensu, wider jn citirt habe …«: Ebd., Fol. V viij r°. Ebd., Fol. E vii r° – v°. Ebd., Fol. E vii v° – F r°. Vgl. auch: »Summa/ der heilose Schwermer ist alhie in seiner grossen kunst toll vnd thoericht worden/ nicht alleine in der Theologia/ sondern Philosophia/ ja auch in tegliche erfarunge. Denn es ist freilich ein weg oder stras/ von den augen und ohren/ bis zum hertzen/ dadurch die auswendige obiecta (das ist gehoerte oder gesehene ding) durch die augen vnd ohren gefasset/ bis ins Hertz hinein reihen vnd kommen/ vnd ist gewis vnd vnleugbar/ das/ wenn die auswendigen obiecta/ erkentnis vnd meinung/ nicht durch die ohren vnd augen/ bis zum hertzen reichen/ es vergeblich/ vnd vmb sonst were/ das man einen menschen mit jrgendt etwas troesten oder erschrecken koente oder wolte/ welchs auch an den vnuernuenfftigen thieren zusehen/ das es nicht war ist. Denn dieselbige fassen auch jre obiecta/ so sie verstehen/ durch die augen ins Hertz/ als wenn ein Schaff sein liebes Lemlein sihet/ erkennet es bald/ vnd wird fro im Hertzen/ Widerumb wenn es eines Wolffs gewar wird/ erkennets jn auch bald als seinen feind/ vnd erschrickt von hertzen fur jm/ zittert vnd bebet/ vnd weis nicht wo hinaus«. Ders.: Von der h. Schrifft vnd jrer wirckung/ widder Caspar Schwenckfeld/ Durch Matthiam Flacium Illyricum … Magdeburg 1553, Fol. F iv r°.
224 licher Vermittlung führe zur Leugung der Einmischung Gottes in die Welt, d. h. letztendlich der biblischen Wunder.130 Gegen diese Ansicht betonte Flacius wiederholt, was zum Leitgedanken der ›Orthodoxen‹ werden sollte: Die Offenbarung sei mit der Etablierung der Kirche um 600 vollendet und abgeschlossen. Jeder Mensch, der als ›neuer Prophet‹ auftrete, sei lediglich ein Geheimbote des Teufels. Da die schwärmerischen Aussagen auf keiner akzeptablen Beweisführung beruhten, prangerte Flacius sie als »trewme« an: »Das ist ja ein feiner Schwermerischer Trawm/ auß der thollen vernunfft gespunnen.«131 Die Assoziation des Traumes und der »thollen vernunfft« ist rätselhaft. Denn Flacius verleumdete nicht nur die Schwärmer als Irre, sondern brachte Traum und Wahn eindeutig in Verbindung. Nun war bisher die Imagination als das für den Traum verantwortliche Seelenvermögen angesehen worden. Der Wahn wurde ebenfalls bisweilen als eine Verletzung der Einbildungskraft definiert. Hier allerdings, und meines Wissens zum ersten Mal, wird der Wahn als eine Krankheit der Vernunft definiert. Daher spielten die ›Anti-Enthusiasten‹ eine wesentliche Rolle in der Geschichte der Rationalität.132 Die neue Begriffsbestimmung des Wahns wurde rasch von allen Gegnern des Enthusiasmus übernommen. In einem sehr ausführlichen, im Jahre 1531 veröffentlichten Traktat gegen die Widertäufer deutete der Zürcher Antistes Heinrich Bullinger an, dass die Täufer gesunde Leute zur »Unsinnigkeit« bringen könnten.133 Zwanzig Jahre später entwickelte er eine weitergehende pathologische Analyse. Die Anabaptisten, von Bullinger auch als Enthusiasten, »Extatici«, »Entzückte« bezeichnet, hätten ekstatische Träume, in denen sie himmlische Offenbarungen des Geistes bekämen. Einige verkündeten sogar das exakte Datum der Parusie. Sie rännen wie Irre, schrieen auf den Straßen und tobten, dass der Tag des Herren gekommen sei: Die sibend Sect der Widertoeuffern/ ist die Sect der Stünigen unnd verzuckten Brüdern/ welche sunst ouch genennt werdend Enthusiastae und Extatici: deren was in dem anfang der Toeuffery nit wenig. Sy ruomtend sich hoch dess geists/ der so krefftig in innen wurckte/ d(a)ss sy von inen selbs geheimnussen saehind. Wenn dann die zyt der würckung dess geists vorhanden was/ entsatzend sy sich in irem angesicht/ nemand an 130 131
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Ders. (1557), Fol. F ij r°; Ders. (1555), Fol. C r°, D 5 r°. Ders. (1557), Fol. F viij v°. Vgl. auch: »… eine lautere torheyt der Menschlichen vernunfft/ und den schwermerischen geystern«, Ebd., Fol. G ij r°. Anderswo wurde traditionell der Traum als teuflische Eingebung charakterisiert: »… das ist/ die gespenste/ vnnd treume/ welche jnen der Sathan eingibt/ vn[n] einbleset«, Ders. (1555), Fol. G 4 r°. Wie Michael Heyd in einem anregenden Buch schon vorgeschlagen hat: Heyd (1995). Vgl. oben Kapitel 1, Fußnote 99 und unten S. 50 Anm. 99 und S. 264–267. »Nit das minst/ darumb sind sy nit von Gott gesandt/ sunder jr eygner muetwill hatt sy gesandt. Dann was wunderzeychen thuend sy? Dann das etwelicher rechtsinnig lüt/ verursachet hat zur unsinnigkeit/ und das sy der einfalten lüten fleisch aßlen unsichtbar machend.« [Heinrich Bullinger]: Von dem[m] unuer schampte[n] fraefel/ ergerlichem verwyrren/ unnd unwarhafftem leeren/ der selbstgesandten Widertoeuffern …, Fol. XVIII v°.
225 sich schützliche gebaerden/ fielend darnider zuo der erden/ glych sam sy waere das boess wee angangen/ stracktend sich uff die erden/ lagend da den todten glych: und das ein guote zyt lang: etwan erzitteret ir gantzer lyb schützlich/ etwan lagend sy geraget wie die Bloecher. Wenn sy dann erwachtend von irem verzuckten schlaaff und troum/ huobend sy an zellen wunderbare gesichten/ was inen der geyst hette geoffenbaret/ unnd was sy gesaehen hettind in yener waelt […] Ir aller gemeine red was/ Es ist dess vatters will/ Der vatter hats geheissen/ oder geredt/ etc. Die gemein eroffnung aber irer aller/ oder merteils/ was die/ dass der bestimpend wenn der tag dess Herren kaeme. Etliche warend so fraefen dass sy fry zyt und tag bestimpend wenn der tag dess Herren kaeme. Die lüffend dann/ den touben lüten glych/ herumm/ und schrüwend uff den gassen/ Der tag dess Herren/ etc.134
Bullinger feindete weniger den Inhalt der apokalyptischen Erwartungen der Schwärmer an, als ihren Anspruch auf unmittelbare göttliche Eingebung. Die Ekstasen und Zuckungen, suggerierte er, seien den Epilepsiesymptomen ähnlich. Der Begriff »das boess« bedeutete im 16. Jahrhundert die Krankheit im allgemeinen, insbesondere die Epilepsie. Mit dem Ausdruck comitialis morbus135 spielte die lateinische Übersetzung noch deutlicher auf die Epilepsie an. Bullinger stützte sich auf das Beispiel Dietrich Schneiders, der in Amsterdam im Februar 1535 in Ekstase gefallen war und von einer Reise in die Hölle, anschließend in den Himmel sowie vom Jüngsten Gericht berichtete. Danach habe er seinen Brüdern und Schwestern befohlen, sich nackt zu zeigen. Alle seien entblößt wie Irre umher gerannt und hätten das Ende der Welt verkündet – weshalb sie festgehalten und zum Tode verurteilt wurden.136 Nach Bullinger war also der Enthusiasmus der Wegbereiter von Immoralität und politischem Aufruhr. Freilich wurde das Wahn-Argument bisweilen auch nur als Beleidigung eingesetzt. Eine beliebte Weise, den Gegner als unmenschlich darzustellen, bestand darin, ihn als Irren zu bezeichnen, das heißt, den politisch-konfessionellen Diskurs pathologisch aufzuladen. So prangerte ein Juditium oder Urtheil von C. Schwenckfeldts Leere und dem innhalt seiner buecher denunzierte die schwenckfeldianische Vermengung und Verwechselung des ›Innerlichen‹ und des ›Äußerlichen‹. Indem der Schwärmer das Innerliche nur mittels des Äußerlichen erforschte, verfiel er dem Wahn und »eittel[n] fantasmata«.137 Dadurch wurde der Wahn mit sinnlichen eingeprägten Eindrü134
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Ders.: Der Widertoeufferen ursprung/ fürgang/ Secten … Zürych 1560, Fol. 30 r°. Bereits ein Jahr später wurde diese Flugschrift neu ediert. Dazu vgl. Heyd (1995), S. 16–17. Ders.: Adversus Anabaptistas Libri VI. Nunc Primum e Germanico sermone in Latinu[m] conversi, per Iosiam Simlerum Tigurinum … Tiguri: Froschoverus. 1560, Fol. 34 r°. Bullinger zog folgenden Schluss: »Dahin kommend aber die menschen/ wenn sy das geschriben warhafft wort Gottes verlassend/ unn jren selbs/ ja des Tüfels ynbildungen losend/ und erst dann soemlich unrein ding gedoerend zuogaeben dem heiligen geist.« Ders.: Der Widertoeufferen ursprung (1560), Fol. 31 r°-v°, hier 31 v°. Juditium oder Urtheil von C. Schwenckfeldts Leere und dem innhalt seiner buecher … o. o. O. J., Fol. A iij v° – A iiij r°: »Sonder das eüsserliche mit dem innerlichen vermengen/ jha auch das innerliche so ins hertz gehoeret/ beim eüsserlichen leren suechen
226 cken (fantasmata), d. h. traditionell mit der Imagination in Verbindung gebracht. Das neue Wahn-Argument tauchte jedoch häufiger in der Kontroverse zwischen den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts und den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts auf, als die konfessionellen Spannungen einen Höhepunkt erreichten. Im Jahre 1592 sammelte der Professor für Theologie an der Universität Jena, Ambrosius Reuden, unterschiedliche Schriften über die notwendige Ausrottung der Schwärmer. Schon im Vorwort betonte er, dass »die Sacramentsfeinde […] die Leute aber von der Schrifft/ unnd Gottes ausgedruckten klarem Wort auff Menschen Wahn/ und Gedancken [führen] […] Es sey nichts mit der Schrifft/ der Mensch mueß durch den Geist Gottes von oben herab erleuchtet werden/ verwerffen und heben also auff das eusserliche mittel/ der Lere Goettlichs Worts/ das Gott zur Gerechtigkeit und Seligkeit dadurch nichts wircke/ unnd woellen/ die unseligen Leute/ die Christen weisen auff ein jnnerlich Wort/ damit sie Christliche Lere gantz ungewiß machen/ unnd thun hiemit Thuer unnd Fenster auff zu allerley Schwermereien […]. Hierumb ist der Schwermer toedtlich gifft hierinnen leichtlich zuerkennen.138
Der Autor des bereits bekannten synthetischen Philosophische[n] und Theologische[n] Traum Discurß[es], der streitbare Ulmer Superintendent Cunrad Dieterich, verfasste seinerseits die ausführlichste Widerlegung Schwenckfelds. Als Dieterich, im Jahre 1623, seine Quæstiones theologicæ veröffentlichte, hatte die fortschreitende konfessionelle Polarisierung bereits dazu geführt, dass die ›Schwärmerei‹ zum Sammelbegriff für alle Gegner der Lutheraner, von den Schwenckfeldianern zu den Calvinisten über die Katholiken, die Paracelsisten und die Weigelianer geworden war. Infolgedessen bemühte sich Dieterich darum, die Ähnlichkeiten zwischen den Lehren Schwenckfelds und Zwinglis bzw. Bezas aufzuzeigen.139 Dabei konzentrierte er sich auf das seiner Meinung nach verbindende Element dieser Theologen, und zwar die abwertende Beurteilung der Bibel als ›toten Buchstaben‹. Daher, so Dieterich, trennten die Schwärmer deutlich zwischen dem ›äußeren‹ und dem ›inneren Wort‹: [Schwenckfeld] machet einen unterscheidt unter dem eusserlichen und jnnerlichen wort/ Das eusserliche Wort/ ist ihm das gepredigte muendliche wort/ dz sey/ spricht er/ ein klang/ Stimme und Buchstabe[n]/ so auß der Erden kompt/ unnd vermoege nichts
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unnd durchs eüsserliche empfahen woellen/ welchs doch wider alle schrifft ist/ und eittel fantasmata/ das ist/ unrechten wahn un[n] falsch vertrawen inn die Creaturen/ gebueret.« Ambosius Reuden: DRey/ zu dieser letzten gefehrlichen Zeit/ sehr nuetzliche Schrifften: Wie sich ein jeder Christ/ nach anleitung Gottes Worts gegen die schedlichen Sacramentirer und jre falsche Lere verhalten soll … Jhena: Tobias Steinman. 1592, Fol. A iij v°, B r° – ij r°. Cunrad Dieterich: Quæstiones theologicæ, Das ist/ Theologische Fragen/ von dem Schwarm der Schwenckfelder/ und andern: Betreffend das geschriebene und gepredigte Wort GOttes … Alten Stettin: Nicolaus Barthelt. 1623, Fol. C iv v°: »Die Calvinisten/ Theophratisten/ Weigelianer/ Rathman und andere gebrauchen sich in den Glaubens Artickeln des Schwenckfelds/ und Fanatischer unsinniger wort unnd arten zu reden/ unnd dasselbe thun sie in gleichem verstand und meinung mit jhme.«
227 mehr/ denn das es die Ohren des eusserlichen Menschen fuelle/ unnd das Ewige lebendige Wort Gottes JEsum Christum bekandt mache/ eben dasselbige werde von Fleischlichen Ohren und natuerlichen Menschen gehoeret/ mit Buchstaben geschrieben und gelesen. Das jnnerliche Wort ist jhm das jenige/ so Gott selbst in des Menschen Hertz (den inwendigen Menschen) durch heimliche verborgene inspiration und eingebung redet/ oder das der H. Geist dem Menschen einbleset: Oder es ist jhm ein Geist/ der vom Himmel kompt/ krafft mit sich bringet/ und die glaeubigen hertzen erfuellet/ den inwendigen Menschen lehret/ erleuchtet und bekehret.140
Wie die Mystiker dachten die Schwärmer, dass »GOtt selbst ohne alle eusserliche mittel durch Christum die Seele ruehre(n)/ […] durch heimliche verborgene inspiration und Eingebung des H. Geistes.«141 Dieterich verurteilte dennoch nicht wie bis dahin üblich ihre individuelle und geheime Dimension, sondern die Auffassung von der Erkenntnis und der Wissenschaft, die aus solchen Äußerungen folgten: Alle wissenschafft der Goettlichen geheimnussen kompt [laut Schwenckfeld, CG.] auß dem inwendigen Hertzen herfuer/ nicht auß den Buechern. Auß Gottes Geist lernen wir in uns selbst mehr/ denn alle Predigten/ alle Buecher auch biß an den Juengsten tag uns zu lehren vermoegen. Der Glaube ist auß dem gehoer/ (nicht aber auß dem eusserlichen/ sondern auß dem jnnerlichen) das jn[n]erliche wird durch das eusserliche nicht herfuer bracht.«142
Der subversive Charakter von Schwenckfelds Ansichten bestand nicht zuletzt in der impliziten Kritik an der damaligen Wissenschaft und ihrer Einteilung. Schwenckfeld, so Dieterich, könne die Vernunft – also auch die Bücher und deren größte Besitzer, die Kleriker – das Göttliche sowie sämtliche verborgene Wahrheiten nicht erfassen. Gegen den Enthusiasmus einerseits und den strengen Rationalismus andererseits, lehnte Dietrich allerdings eine scharfe Trennung zwischen ›inwendigem‹ und ›außwendigem Wort‹ ab. Dabei – wie in seinem Traum Dirkurß143 – warf er erstmalig ausdrücklich die Frage der Sprache und des Sinngehalts von Zeichen im Erkenntnisprozess auf: … Hiergegen aber sprechen wir/ daß das jnnerliche unnd das eusserliche wort wesentlich einerley sey/ weil erstlichen das ausserliche wort in die Schrifft verfasset/ und durch die Stim[m]e des dieners geprediget/ ist Gottes wort selbsten […]. Das eusserliche wort ist nicht in dem jnnerlichem wort/ als in dem/ davon es seinen uhrsprung hat/ den es ist nach der Fanaticorum meinung allein ein eusserlicher Buchstabe/ der nicht in die Seele kompt/ oder ein eusserlich zeugnuß/ das den Sinn und verstand des jnnerlichen worts nicht in sich begreifft (dan derselbe ist in dem Gemuete der Propheten und Apostel/ wie Rathman meinet/ verblieben) sondern zeiget allein von dem/ das Gott zu den Propheten und Aposteln geredet/ und in ihren Hertzen gewircket hat/ oder es ist das eusserliche wort ein Bildnuß/ gemaelde/ zeichen/ merckmahl/ eine Handt die da zeiget/ und uns die kraefftige erleuchtung allein weiset/ unnd an die Hand gibt …144
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Ebd., Fol. A iij r° – v°. Ebd., Fol. A viii v° – B r°. Ebd., Fol. B viij r° – v°. Vgl. oben S. 183–188. Dieterich (1623), Fol. D iv v°, D vi r° – vii v°, E iij r°.
228 Ein Jahr später legte Dieterichs Kollege Johann Eberken eine Wolgegruendete Ablehnung des ubel gegruendten Schwarm Bedenckens gegen die Widerlegung der Quæstiones theologicæ des Danziger Diakon Herman Rathman vor. Wie Dieterich hob er hervor: Denn das blos schreiben/ lesen/ reden/ predigen und hoeren/ endert das Wesen/ den Verstand und Meynung des Worts Gottes oder Goettlicher Lehr nicht/ sondern es ist unnd bleibt demselbigen nach/ ein Weg als den andern/ ein einiges Wort/ es we[r]de ins Hertz gefasset/ oder im Gemueth betrachtet/ es werde gelesen oder geschrieben/ es werde geprediget oder gehoert. Es ist kein ander Verstand des jnnern/ in Gemueth gefasten/ Worts/ kein ander des eusserlichen/ beschriebenen/ gelesenen/ gepredigten und gehoerten Worts/ sondern in allem ein gleicher Verstand/ Meynung und Lehr.145
Wie Dieterich (der das Vorwort dieser Abhandlung verfasste) erwähnte Eberken die Zeichenhaftigkeit der Wörter und die Repräsentation der Außendinge im Gemüt.146 Allerdings entwickelte er keine implizite Ordnung der Gleichstellung von Gottes Wort zwischen Erfassen im »Herzen« und Erfassen im »Gemüt« (d. h. im Intellekt und Willen). Seine Ausführung erwies sich dennoch als sehr bedeutsam, da sie die herkömmliche Metapher des ›inneren Auges‹ verdrängte. Da alle ›Anti-Enthusiasten‹ bemüht waren, die ›göttlichen‹ Träume und Visionen der Schwärmer als teuflisch zu entlarven, brachten sie keineswegs die Erkenntnis der Seele mit der Selbsterkenntnis in Verbindung. 4.1.4
Gnothi seauton
Das audrückliche Gebot, sich selbst zu kennen, wurde am Konsequentesten nicht von den spanischen Mystikern, sondern vielmehr von den SchwärmerKreisen im Heiligen Römischen Reich gefordert. Ungeachtet ihrer nicht unerheblichen dogmatischen Divergenzen machten sie alle die Selbsterkenntnis zur Pflicht. Dieser Imperativ fand seine nachdrücklichste Formulierung in einem Traktat von Valentin Weigel, der kurz nach 1570 verfasst wurde und der sich mit seiner Drucklegung im Jahre 1615 eines sehr großen Erfolgs erfreute: Vom Gesetz oder Willen Gottes. Gnothi seauton. Die Erwäh145
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Johann Eberken: Wolgegruendte Ablehnung/ des ubel gegruendten/ Schwarm Bedenckens/ Welches H. Herman Rathman/ Diacon zu S. Marien in Dantzig uber D. Cunrad Dietrichs/ Ulmischer Kirchen Superintendenten Disputation, von der Schwenckfelder und anderer Schwermerey so sie von dem beschriebenen und gepredigten Wort Gottes haben/ ohnlangts außgesprenget … Leipzig: Thomæ Shuerers Erben. 1624, S. 37. Vgl. beispielsweise folgende Stelle: »Nennen wir es eusserlich/ nicht daß dasselbige dem verstand und den[n] auch den geredten oder beschriebenen Woerter oder Syllaben nach/ so diesen verstand/ den Ohren durch die eusserliche Stim[m]/ den Augen durch die eusserliche beschriebene Buchstaben erstlich/ nachmaln in einem Augenblick/ so anderst die Sin[n] fertig/ per sensum communem & phantasiam dem Gemueth repræsentiren/ ein eusserliches Wort sey/ sondern weil dieser verstand/ wie gehoert/ so mit dem Prophetischen innerlichen Wort eines Wesens ist/ durch die eusserliche Stim[m]/ und durch die eusserliche beschriebene Buchstaben angezeigt un[n] bedeutet wird.« Ebd., S. 39.
229 nung des sokratischen Spruchs in einer theologischen Überschrift stand durchaus im Zusammenhang mit der mystischen Tradition. Die Geschichtsschreibung ordnete diese Schrift lange dem erkenntnistheoretisch subjektivistischen Ansatz zu, laut dem sich Wissen nicht als gegeben, sondern nur als Tätigkeit definieren lässt: Entgegen der lutherischen Orthodoxie hänge die Erkenntnis nicht von der Gnade ab, d. h. von einer passiven Aufnahmebereitschaft, sondern von den »Augen« des Betrachters. Weigel galt daher sogar als Vorläufer Kants.147 Nun charakterisierte Weigel damit nicht die Erkenntnis ex abstracto, sondern die erleuchtete Erkenntnis, welche nicht aus der Lektüre des ›toten Buchstabens‹ der Bibel herrühre: Wann nun solte das Vrtheil/ oder Erkendtnuß auß der Biblia fließen/ vnd nicht vom Geiste/ So wuerde derselbe vnbewegliche Gegenwuerffe bringen/ vnnd einwircken/ allen lectoribus, eine vngespaltene Erkentnuß oder Meynung/ welches doch nicht ist/ derohalben wird krefftiglich erwiesen/ daß beyde Erkendtnuß nicht vom eussern Objecto, als von der Schrifft/ Sondern von innern Augen/ das ist/ vom Geiste in Menschen herfliesse vnnd komme/ es sey nun die natuerliche wirckliche Erkendtnuß/ wie in den falschen vnd Buchstaebischen: […] Der Mensch ist das Auge/ vnd Erkenner selbst/ entweder von Natur/ wircklicher weise/ da er sich helt Actiuè, oder ist das Auge selber vbernatuerlich/ leidlicher weise/ da er sich Passiuè helt/ dann er lesset sich von Gott lehren/ vnd erleuchten/ vnd nimbt hernachmals das eusserste Obiectum fuer sich/ vnnd weiß es recht zugebrauchen/ kompt nun die Schrifft fuer ein natuerliches Auge/ so bleibet sie ein todter Buchstabe/ wo aber ein gleubiges Auge darzu kommet/ nach der vbernatuerlichen Erkendtnuß/ so befindet es/ daß die heilige Schrifft ein Buch sey/ darinne alle Schaetze der gantzen Welt Reichthumb verborgen liegen/ nimpt auch solches Zeugnuß mit frewden an/ wird weiter erwecket/ ernewert/ vnnd ermuntert/ kan auch recht scheiden den Buchstaben/ vnd Geist/ dann er sihet wol/ daß Gottes Wort eine Krafft ist/ zur Seligkeit den Gleubigen/ vnnd bleibet ewig …148
Weigel war bemüht, nicht den Subjektivimus, sondern die geistige Erleuchtung zu definieren und damit auch die schwärmerische Kritik am ›toten Buchstaben‹ der Bibel zu rechtfertigen. Dabei stellte er Geist und Körper nicht gegenüber, sondern unterschied, durch die Einfügung des Mikrokosmos-Paradigmas und die Übernahme der paracelsischen Anthropologie, Seele, siderischen Geist und Leib. Dem Leib wurde also eine deutlich grö147
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Vgl. Heinz Längin: Grundlinien der Erkenntnislehre Valentin Weigels. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 41 (1932), S. 435–478; Winfried Zeller: Naturmystik und spiritualistische Theologie bei Valentin Weigel. In: Epochen der Naturmystik, S. 105–124. Valentin Weigel: Gnothi seauton (Fassung der Drucke). In: Ders.: Vom Gesetz oder Willen Gottes. Gnothi seauton. Hg. und eingeleitet von Horst Pfefferl. Stuttgart/Bad Cannstatt 1996 (Valentin Weigel: Sämtliche Schriften 3), S. 149–173, hier 158–159. Zur Edition des Manuskripts durch Weigels Mitarbeiter in Zschopau Benedikt Biedermann und seiner Rolle bei der Abfassung der Texte, vgl. Horst Pfefferl: Einleitung. In: Ebd., S. XI–XXXVI, hier XXIV–XXVII. Zu den Kompilationen Weigels Werke, vgl. Horst Pfefferl: Die Rezeption des paracelsischen Schrifttums bei Valentin Weigel. Probleme ihrer Erforschung am Beispiel der kompilatorischen Schrift »Viererlei Auslegung von der Schöpfung«. In: Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung. Hg. von Peter Dilg, Hartmut Rudolph. Stuttgart 1995 (Hohenheimer Protokolle, 47), S. 151–168.
230 ßere Bedeutung zugeschrieben, als in der mystisch-asketischen Tradition.149 Dementsprechend wurde der Traum als göttliches Medium wieder verstärkt hervorgehoben. 4.1.4.1 Paracelsus und die Schwärmer Dass Paracelsus zur Inspirationsquelle der Schwärmer wurde, ist einigermaßen merkwürdig. Denn Paracelsus legte bereits im Jahre 1532 eine pathologische Untersuchung der Täufer vor – ein Anliegen, das sich in der Folgezeit unter den ›Anti-Enthusiasten‹ großer Beliebtheit erfreute. Die Ablehnung des Krieges, die Kritik am Klerus und an der Obrigkeit,150 die Interpretation des Glaubens als Tätigkeit des Geistes151 und die Einteilung der Krankheiten in »materialische« und »spiritualische«152 hatte Paracelsus dazu geführt, die Religionskriege als Ergebnis eines »tollen Glaubens« anzuprangern. In seiner Abhandlung »Von den unsichtbaren Krankheiten« (De causis morborum invisibilium153) betonte er die Rolle des Glaubens bei der Entstehung geistiger Krankheiten.154 Er konzipierte tatsächlich die Geisteskrankheiten nicht substantiell wie die übrigen Krankheiten. Eher seien sie phantasmata ohne corpus und »Substanz«, die den Geist, 149
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Die Vermittlung der spanischen Mystik im Heiligen Römischen Reich kann in dieser Arbeit bedauerlicherweise nicht eingehender untersucht werden. An dieser Stelle sei nur der Topos des Kristalls erwähnt. Der sehr berühmte Aphorismus von Johannes Scheffler (Angelus Silesius) »Die Seel ist ein Kristall/ die GOttheit ist jhr schen:/ Der Leib/ in dem du Lebst/ ist ihrer beider schreyn.« könnte eine Adaptation der ersten Zeilen der »Seelenburg« von Teresa de Ávila sein: »Betrachten wir unsere Seele als eine Burg, die ganz aus einem Diamant oder sehr klarem Kristall hergestellt ist; dort gibt es viele Gemächer, gleichwie auch im Himmel viele Wohnungen sind.« Der wesentliche Unterschied besteht jedoch in der Betonung des Leibes. Vgl. Angelus Silesius (Johannes Scheffler): Cherubinischer Wandersmann. Kritische Ausgabe. Hg. von Louise Gnädinger. Stuttgart 1984 (Universal-Bibliothek 8006), Nr. 60, S. 36; Die Seelenburg, S. 19. Vgl. dazu Charles Webster: Paracelsus, Medicine as Popular Protest. In: Medicine and the Reformation. Hgg. von Ole Peter Grell, Andrew Cunningham. London/New York 1993 (The Wellcome Institute Series in the History of Medicine), S. 39–77. Ders.: Paracelsus, Medicine, Magic and Mission at the End of Time. New Haven/London 2008. Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus: Philosophiae tractatus quinque: Tractatus III, Von dem fleisch und mumia. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff. Bd. I, 13. München/Berlin 1931, S. 343–349. Ebd., I, 1, Textus Parenthesis super Ens quartum. Tractatus de ente spirituali [Huser I, 47], S. 215–224, hier 216–217. Ebd.: I, 9, Paramirisches und anderes Schriftwerk der Jahre 1531–1535 aus der Schweiz und Tirol. München-Planegg 1925, S. 251–350. »Und in vil solchen stucken wirkt der glaub, da sonst nicht geschehe, machen uns vil elender krankheit und jamer und bringen uns in unsern krankheiten dahin, daß wir werden zu gleicher weis, als da ist ein mann, der mit allen seinen waffen und geweren wol versorget ist. und so er sicht ein jinkents menlein gegen ihm [= sich] ston mit einer angezünten büchsen, und der groß mann fürcht sein geschüz, leßt sich dasselbig erschrekken …«, Ebd., S. 280. Ich folge Kurt Goldammer: Der cholerische Kriegsmann und der melancholische Ketzer. In: Psychiatrie und Gesellschaft. Festschrift für Werner Villinger. Bern/Stuttgart 1958, S. 90–101; Kämmerer (1971), S. 61–62.
231 die Gedanken und die Gebärden unnatürlich veränderten. Nach seinem Straßburger Exil im Jahre 1526 und seinen Aufenthalten in Basel und Zürich, wo er führende Vertreter des Täufertums kennengelernt hatte, betrachtete er Schwärmer und Märtyrer wie vom Veitstanz befallene Menschen: … dan dieselbigen leut, die mit dem tanz besessen sind, hant die vernunft so gar verloren, daß sie gleich wie die wiedertäufer genaturt seind, ließen sich von ihrs kibs [i.e. Leidenschaft, Schrulle] wegen gleich so wol verbrennen. es ist ein anders dan unser eigenrichtige weis, das uns zu solcher marter füren sol.155
Im Gegensatz zu echten Heiligen, die dem Tode mit Gleichmut begegneten, betrieben die Sektierer das Martyrium mit Vergnügen und Ostentation: Sol das nicht ein verfürter glaub sein und gerechnet in die zal der krankheiten, wie ich vom glauben geschriben hab? dan erfaren ire legend neben den heiligen, so finden ir, daß nichts anders ist dan praesumptio, darinnen sie sich selbst in einen glauben füren, und glauben den berg ins mer, aber nicht wieder hinaus. sterben von wegen des glaubens ist ein selig ding; […] darumb alle die, so solch leut vor augen haben stehen, sollen betrachten, daß sie sich selbst überglauben, und den glauben, den wir sollen straks zu got han, den misbrauchen sie zu iren werken, und vergesen hiebei, sich selbst zu erkennen. dan überreter glaub hat sie dahin bracht, daß sie nicht mögen abstehen und ligen in der krankheit zu gleicher weis wie die mit sanct Veits tanz: wan sie ir fantasei ankompt, so müssen ire fürnemen für sich gehen.156
Es handelte sich hier nicht mehr um die traditionelle Verunglimpfung der Häresie als insana doctrina gegenüber der sana doctrina der anerkannten Kirche, auch nicht mehr um die von Luther betriebene Verteuflung der fanatici.157 In einer vermutlich etwas früher verfassten und handschriftlich überlieferten fragmentarischen Skizze Quatuor libri complexionum ging Paracelsus einen Schritt weiter. In seiner nur anderthalb Seiten langen Schrift, betitelt De colerico bello, de melancolia passione, de sanguinea industria, de flegmatico sudore, bezog er sich auf die – sonst von ihm verworfene – Humoralpathologie und brachte Kriegsleute mit dem cholerischen Temperament in Verbindung.158 Die Märtyrer und Schwärmer seien dennoch keine üblichen Krieger, sondern Irre, Imaginationskranke, Melancholiker: 155 156
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Ebd., S. 280; Goldammer (1958), S. 91–92. Paracelsus: De causis morborum invisibilium (Die Bücher von den unsichtbaren Krankheiten) [1531/1532]. In: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff. Bd. I, 9, S. 249–350, hier 282–283. Vgl. die dem Luther zugeschriebenen Äußerungen in: Luther: Werke. WA, Tischreden 1531–1546, Bd. 5, Tischreden aus den Jahren 1540–1544. Weimar 1919, Nr. 5231 und 5232 (2. bis 17. September 1540), S. 19–20. »Die colera ist aus der natur des zorns, zunt sich selbs an us seinem gewicht und constellation; von oben herab nimpt der zorn vernunft durch martem. also wird er zum krieg bewegt eußerlich, er mags innerlich annemen oder nit. Nun muß er inn krieg, darzu muß er haben martialische instrument, das ist all instrument, so martis im firmament ist: spieß, helleparten, donnerstral buchsen etc. Darnach muß man ihme hofiren, pfeifen, drometen etc., gibt gern vol sein, frolich, unruewig, und nichts dan ungluck zusamen fassen.
232 Melancolia Also ist luna melancolia regiminis melancolici, sehent iren dot nit, und seint so heilig; es muß sein in das feur, und diser tot seind vil. ein gradus wil feur haben, und also mancherlei. und laufen in demüet in das feur und wasser. […] Und ob aber einer vermeinen wolt, sie sterben uf die warheit: es vermeint der kriegsman auch, er hab recht; es lernts [i.e. lehrt es] diesen [die cholerischen Kriegersmänner im weltlichen Krieg, C.G.] die colera, also den anderen [die Schwärmer, C.G.] melancolia. […] Ob man sagen wurd: ich stirb uf das euangelium, warum stirbst? hast doch nit befelch, wie auch nit der kriegsman, wer heißt ihn in krieg ziehen? die geschrift nit! sein mars treibt ihn. Der auf das wort gottes sterben will, der muß nit das wort haben wie den buchstaben, sunder er muß den geist haben; der hat kein melancoliam noch coleram nit.159
Paracelsus legte nahe, dass der echte Heilige weder cholerisch noch melancholisch sei, sondern den Geist besitze und den »buchstaben« der Bibel verachte. Dies war genau das Anliegen der Schwärmer. Ob die ersten Schwärmer Paracelsus gelesen hatten, ist noch nicht nachgewiesen. Valentin Weigel hingegen darf als einer seiner frühesten Rezipienten gelten.160 Denn Paracelsus hatte eine scharfe Kritik an der Erkenntniskraft der Vernunft geübt, ihr den Geist und den Willen gegenübergestellt,161 und den Geist, dessen Veräußerlichung, die Imagination sowie ihre Werke, die Träume und die Visionen gutgeheißen.162 Da der Leib doppelter Natur sei, materiell und spirituell bzw. unsichtbar und verborgen, betraf der Spiritualisierungsprozess nicht ausschließlich den Geist, sondern auch den spirituellen Leib.163 Dadurch betonte Paracelsus die lebendige Einheit der leibseelischen Identität: Dann der ihn [i.e. Gott, C.G.] lebendig nit geliebt hat, was will er ihn tot lieben? Dieweil Leib und Seel beieinander sind, so ist unser Bitt Gott angenehm. Dann David etc. hat auch nit nach seim Tod gebeten, allein in seim Leben, und allein auf die Scheidung Leib und Seel ein gnädig Stund begehrt. Also im Leib hat uns Christus erlöst, im Leib will er auch die Liebe von uns haben. Nach dem Tod sind wir ausgeschlagen; hilft nichts mehr, dann das Urteil zu erwarten.164
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Danach so das alles ist, so gets zum end, so erblint mars; dan mars sicht sein dot nit an, ist mit gesehenden augen blint. also laufent sie in die spieß«. Paracelsus: Quatuor libri complexionum. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff. Bd. 3. 1930, S. 473. Ebd., S. 473–474. Vgl. dazu Goldammer (1958), S. 95. Vgl. Pfefferl (1995), S. 167. Paracelsus, Tractatus de ente spirituali, S. 217–218. Ders.: Philosophiae tractatus quinque, 4. Von dem underscheit der corpurum und spirituum [Huser IX, 394]. In: Ebd., I, 13, S. 350–351; Ders.: Liber de animabus hominum post mortem apparentibus. Theophrastus [Huser IX, 203]. In: Ebd., I, 14, S. 299–304, insbesondere S. 301; Ders.: Fragmentum libri De virtute imaginativa [Huser IX, 298]. In: Ebd., I, 14, S, 309–319; Ders.: Fragmentum libri De somniis et euntibus in somno [Principium huius libri deficit] [Huser IX, 275]. In: Ebd., I, 14, S. 95–100. Ebd., Tractatus de ente spirituali, S. 216–217. Psalmenkommentar, zu Ps. 88: 6b. Zitiert nach: Kurt Goldammer: Paracelsus. Natur und Offenbarung. Hannover 1953 (Heilkunde und Geisteswelt 5), S. 97–98.
233 Der geistleiblichen Ganzheit des Menschen entsprach die leibseelische Einheit des auferstandenen Menschen.165 Bei der Auferstehung habe der Mensch jedoch nicht mehr zwei Leiber, sondern nur noch einen verklärten. Damit vereinigten sich die drei Substanzen (Leib, Seele, Geist). Zwischen dem Tode und dem Jüngsten Tag schliefen die Toten in einer Art Gefängnis.166 Paracelsus bot keine Methode der Selbsterkenntnis an. Der Traum war eine Stätte, an der das in allen Menschen Liegende hervorkommen könne. Der Traumgeber sei der unsichtbare Leib des Menschen, d. h. jener Bereich der geistigen Kräfte, insbesondere der Imagination, deren Dynamik das Ordnungsgefüge des Lebens ständig gefährde.167 Die Seele wache im Schlaf, aber der Leib kenne sie nicht.168 Die »Fantasei«, die »imagination« und die »speculation« seien ebenfalls ausgeschaltet. In diesem Zustand könnte der Mensch quasi nur äußere Botschaften (wie eine Stimme oder eine Vision) wahrnehmen. 4.1.4.2 »Cognitio est in cognoscente et non in cognito«169 Als Valentin Weigel schrieb, dass die Erkenntnis nicht im Gegenstand, sondern bei dem Erkenner liege, fasste er sämtliche Überlegungen neuplatonischer und mystischer Denker (vor allem Boethius, Hugo von St. Viktor, Meister Eckhart und Johannes Tauler) und Werke (die Theologia teutsch),170 schwärmerische Traktate wie die Vier Kronbüchlein von Sebastian Franck und die Kosmologie des Paracelsus zusammen. Die paracelsische Philosophie bildete tatsächlich das Gedankengerüst, mit dessen Hilfe der sächsische Theologe den biblischen Schöpfungsbericht und damit seine Problematik erörterte.171 In seiner Schrift Natürliche Auslegung von der Schöpfung bezog 165
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Vgl. dazu Ders.: Paracelsische Eschatologie. Zum Verständnis der Anthropologie und Kosmologie Hohenheims. In: Nova acta Paracelsica 5 (1948), S. 45–85 und 6 (1952), S. 68–102, hier S. 73–74. Paracelsus: Practica D. Theophrasti Paracelsi gemacht auf Europen, anzufahen im negst kuenftigen dreißigtsen jare bis auf das vier und dreißigst nachfolgend, in: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff. I, 7, S. 459–467, hier 460. Paracelsus leugnete das Fegefeuer, betonte jedoch stattdessen die Möglichkeit ewiger und endgültiger Höllenqualen und Höllenstrafen. Paracelsus: Vorläufige Ausarbeitungen zu dem vorstehenden Entwurf der 5 Bücher von den Unsichtbaren Krankheiten. In: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff I, 9, S. 351– 367, hier 359–366 (Caput de morbis somnii). Vgl. dazu Kämmerer (1971), S. 56–57. Ders., II, 6, S. 58. Ebd. (Fassung der Drucke), S. 156. Vgl. Zeller, Naturmystik und spiritualistische Theologie. In: Epochen der Naturmystik, S. 109. Vgl. Horst Pfefferl: Valentin Weigel und Paracelsus. In: Paracelsus und sein dämonengläubiges Jahrhundert. Wien 1988 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung 26), S. 77–95; Will-Erich Peuckert: Pansophie. Ein Versuch zur Geschichte der weißen und schwarzen Magie. Berlin 31976 (1936), S. 290–310.
234 er sich auf Paracelsus’ Lehre von den Früchten der Sterne.172 Von Paracelsus hatte Weigel darüber hinaus, manchmal unter direkter Berufung,173 die Anthopologie übernommen: die Auffassung des Menschen als Ganzes und Mikrokosmos,174 die Vorstellung vom sichtbaren und unsichtbaren Leib,175 die Einteilung in Leib, Seele und Geist,176 und die Geringschätzung des ›toten Buchstabens‹, der »im Schatten deß Geists«177 liege. Konsequenterweise wurden Weigels Schriften vor allem in Kreisen, die dem Paracelsismus, den Rosenkreuzern und dem Görlitzer Schuster Jacob Böhme nahestanden, rezipiert und oft zusammen mit Texten des Paracelsus überliefert.178 Daher war der Vorwurf des paracelsischen Materialismus integraler Bestandteil der Polemik gegen den Schwärmer und andere heterodoxen Lehren.179 Weigel unterzog die paracelsischen Begriffe jedoch einem entscheidenden Bedeutungswandel in Bezug auf die Selbsterkenntnis.180 Paracelsus hatte die Wiedergeburt auf den ewigen Leib, im Zusammenhang mit dem Leib und Blut Christi bezogen. Bei dem sächsischen Theologen bezeichnete sie das Innewohnen Gottes im Menschen, folglich die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis, mit Hilfe derer der Mensch sich auch seiner selbst bewusst werde. Dass die Weisheit nicht aus den Büchern kommen könne, beruhte bei Paracelsus auf den Anreizen der Natur, während Weigel hingegen aus Gott, dem ›ersten Buch‹, Kenntnisse sammeln wollte. An die Stelle des paracelsischen ›Lichts der Natur‹ trat bei dem sächsischen Pfarrer ein innerliches Geschehen. Wie Paracelsus aber interpretierte er die Imagination als »der Syderische Geist, […] das Gestirn im Menschen«181 Obwohl Weigel Paracelsus’ Faszination für die imaginative nächtliche Tätigkeit, d. h. Visio172
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»Der Geist ist das leben, undt ist geteilet in die astra oder Sternen, welche Jhre gewechse undt früchte geben von sich, als die Sternen am Himmel seint ein gewechs des feuers, kommen aus den unsichtigen astris des feuers, Jhre früchte seint schnee, tau, regen, blitz, donner, etc. Also die beum, kreuter, seint gewechße der Erdenn, kommen aus den unsichtbaren astris, bringen jhre früchte als blumen, birnen, öpffel, Kirschen etc., do ein Jede frucht wiederumb ein astrum ist undt samen, Also aus dem Element waßer kompt das gewechße des waßers welchs da fur undt fur aus den unsichtigen Elementen wechset, wie ein baum aus der Erden in seinen stam, äste, undt leuffet in das Meer, da wirdt es gefaßett vom Meerwaßer. Also hatt das Element lufft auch seine astra undt daraus seine gewechße undt früchte«, Valentin Weigel: Natürliche Auslegung, Kap. 9 fol. 418 v° – 419 r°. = Viererlei Auslegung II, Kap. 12. Zitiert nach: Pfefferl (1995), S. 165. Wie zum Beispiel in Valentin Weigel (1996). Fassung der Drucke, S. 170 (Bezug auf Paracelsus’ Astronomia magna); Ders.: Vom Gesetze oder Willen Gottes, in: Ebd., S. 119. Ebd. (Fassung der Handschriften), S. 49–50, 59–61. Ebd., S. 63. Ebd., S. 50–54. Ebd. (Fassung der Drucke), S. 161. Vgl. Stephan Meier-Oeser: Die Valentin Weigel-Rezeption. In: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Hgg. von Holzhey, Schmidt-Biggemann. Bd. 4, S. 18–23, hier 21. Ebd., S. 23. Dazu vgl. Kämmerer (1971), S. 70–76. Valentin Weigel: Der güldene Griff. Newenstatt. Johann Kuber. 1617, S. 20. Zitiert nach: Kämmerer (1971), S. 72.
235 nen und Träume, teilte, schätzte er die Vernunft höher, da sie nicht mit den leiblichen Dingen verbunden sei.182 Die Imagination besaß also für Weigel nicht die Funktion, die »speculation«183 zu entfachen oder die »Konversion«, d. h. seelisch hervorgebrachte körperliche Veränderungen auszulösen. Weigel konzipierte die Imagination nicht mehr als eine kosmische oder magische Kraft, sondern als ein kognitives Seelenvermögen.184 Die Erkenntnisphilosophie Weigels stellte einen Kompromiss zwischen den überlieferten Modellen (hier vor allem die Erkentnnislehre des Aristoteles sowie die platonischen bzw. neuplatonischen Interpretation der Imagination), der mittelalterlichen Mystik (vorwiegend die Auffassung des Hugo von St. Viktor von drei inneren Augen, der oculus sensuales, der oculus rationales und der oculus mentales) und der paracelsischen Kosmologie dar. Der Erkenntnisvorgang Weigels lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Die übliche Erkenntnis geht von den Sinnesorganen aus. Der schnellste und spirituellste unter ihnen war der Sehsinn, der das Firmament erreichen konnte. Der Hörsinn, der Geruch, der Geschmack und der Tastsinn bildeten die restlichen Stufen der Hierarchie der Sinnesorgane, die sich durch zunehmende Materialität unterschieden.185 Die damit angeeigneten Daten erreichten das äußerliche fleischliche Auge. Anschließend wurden sie durch das innerliche fleischliche Auge, d. h. die Imagination verarbeitet. Die Erkenntnis spiritueller Dinge benötige jedoch noch andere Seelenvermögen: zunächst die Vernunft (oculus rationales), dann den Verstand (oculus mentales). Das äußerliche fleischliche Auge sollte mit den vier Elementen (Erde, Wasser, Feuer, Luft), das innerliche fleischliche Auge mit den Sternen und dem Firmament, und der Verstand mit den Engeln und Gott verbunden sein.186 Der »rechte Mensch« wisse »durch sein innerliches Auge […] seinen äußeren Leib zugebrauchen«187 . Dieser »innerliche, unsichtige, rechte Mensch erkenn[e] und begreif[e] alle Dinge, entweder durch die Sinne oder durch die Vernunft, oder durch den Verstand«. Der innere Erkenntnisprozess setzte also den Gebrauch des äußeren Leibes durch die Imagination voraus. Weigel erklärte jedoch nicht weiter, wie der Mensch sich dieser inneren Erkenntnis bewusst werden konnte.188 182 183
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Valentin Weigel (1996). Fassung der Handschriften, S. 74–75. »… darumb hat got dem menschen den samen gesetzt in sein speculation, in welcher aller verstant ligt und das obiect das die speculation anzündet …«, Paracelsus: Das Buch von der Gebärung der empfindlichen dinge in der Vernunft, tractatus I, cap. 2. In: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff, I, Bd. 1, S. 243–283, hier 254. Im Traktat »De virtute imaginationis« (Sudhoff, I, 14, S. 313, Tractatus I, cap. 5) erörtert Paracelsus die »Imaginatio wie ein magnet«: »die form des eusseren dinges zeucht an die Imagination«. Zur Imagination bei Paracelsus, vgl. Pagel, Paracelsus als ›Naturmystiker‹, S. 57–62. Ebd., S. 73. Ebd., 74–80. Dieses Zitat und das Folgende befinden sich in: Ebd., S. 81–82. Die Erkenntnis wurde daher als zweifache Einsicht begriffen: »Denn sihe lieber Mensch/ haben nit alle Rotten/ Secten/ den einigen Gegenwurff in der Welt fuer jnen/ vnd nehmen doch so vngleiche falsche Erkendtnuß darauß/ daß es zuerbarmen ist?
236 Obwohl der Mensch nunmehr als »Bildnis Gottes und der Welt«189 definiert wurde, wurde dennoch die Selbsterkenntnis zum Thema der Theologen und sämtlicher Gelehrten, die auf eine Erneuerung des Menschen abzielten.
4.2
Welt- und Selbsterkenntnis
Paracelsus hatte diverse verstreute Ansätze der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts zusammengefasst. Als sich ab den 1570er Jahren das Streben nach einer ›allgemeinen Reformation‹ durchsetzte, die die von Luther begonnene reformatio doctrinae durch eine reformatio vitae weiter führen sollte, fungierte Paracelsus’ Werk, das um 1590 eine Gesamtausgabe von Johannes Huser erfuhr, als Ideen-Reservoir. Die ›allgemeine Reformation‹ sollte die Theologie, die Liturgie, die Wissenschaften, die Bildung, die Gründung lateinischer Schulen und die allgemeine Verbreitung der didaktischen Methode von Petrus Ramus190 begünstigen, und ihre Förderer sahen in ihr einen Beitrag zur Religionseintracht, wozu auch ein vermehrtes Interesse an den okkulten Wissenschaften gehörte.191 Das Gefühl der Einheit und des
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Wann nun solte das Vrtheil/ oder Erkendtnuß auß der Biblia fliessen/ vnd nicht vom Geiste/ So wuerde derselbe vnbewegliche Gegenwuerffe bringen/ vnnd einwircken/ allen lectoribus, eine vngespaltene Erkentnuß oder Meynung/ welches doch nicht ist/ derohalben wird krefftiglich erwiesen/ daß beyde Erkendtnuß nicht vom eussern Obiecto, als von der Schrifft/ Sondern von innern Augen/ das ist/ vom Geiste in Menschen herfliesse vnnd komme/ es sey nun die natuerliche wirckliche Erkendtnuß/ wie in den falschen vnd Buchstaebischen: Oder die vbernatuerliche Erkendtnuß deß Glaubens/ leidlicher weise/ als in den warhafftigen Theologen, Sagst du aber mit den Vnerfahrnen/ der Buchstabe sey Gottes Wort/ ja er finde bald den Geist im Buchstaben/ So bistu kein Theologus, sondern ein Verfuehrer/ darauff vernim diesen Vnterscheid: Der Mensch ist das Auge/ vnd Erkenner selbst/ entweder von Natur/ wircklicher weise/ da er sich helt Actiuè, oder ist das Auge selber vbernatuerlich/ leidlicher weise/ da er sich Passiuè helt/ dann er lesset sich von Gott lehren/ vnd erleuchten/ vnd nimbt hernachmals das eusserste Obiectum fuer sich/ vnnd weiß es recht zugebrauchen/ kompt nun die Schrifft fuer ein natuerliches Auge/ so bleibet sie ein todter Buchstabe/ wo aber ein gleubiges Auge darzu kommet/ nach der vbernatuerlichen Erkendtnuß/ so befindet es/ daß die heilige Schrifft ein Buch sey/ darinne ale Schaetze der gantzen Welt Reichthumb verborgen liegen/ nimpt auch solches Zeugnuß mit frewden an/ wird weiter erwekket/ ernewert/ vnnd ermuntert/ kan auch recht scheiden den Buchstaben/ vnd Geist/ dann er sihet wol/ daß Gottes Wort eine Krafft ist …« Ebd. (Fassung der Drucke), S. 158–159. Valentin Weigel (1996). Fassung der Handschriften. In: Ders.: Vom Gesetz oder Willen Gottes, S. 47–148, hier 63. Die Didaktik des Petrus Ramus (Pierre de La Ramée), genannt Ramismus, bestand in der Sammlung des gesamten Wissens in Form von leicht erfassbaren Diagrammen. Dadurch büßte die mündliche Diskussion in der Didaktik ein. Vgl. dazu Walter J. Ong: Ramus. Method, and the Decay of Dialogue from the Art of Discourse to the Art of Reason. Cambridge (Mass.) 1958. Vgl. Hotson, S. 52–54; Claire Gantet: Exil, songes et nostalgie de la paix durant la guerre de Trente Ans (1618–1648). In: Paroles de paix en temps de guerre. Hgg. von
237 Zusammenhangs der Kräfte des Kosmos fand einen Niederschlag in der Alchemie, die allerdings bei Paracelsus nicht in Goldmacherei, sondern im Heilen bestanden hatte und die zum Synonym für okkulte Wissenschaften wurde.192 Die Analogie zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos gewährleistete daher die Möglichkeit einer vorwiegend deduktiven Erkenntnis des Menschen und seines Handelns. Da sich der Mensch, wie der Kosmos, vor allem durch die Sprache erschliessen ließ, wurde die Alchemie zu einer der beliebtesten Methoden, um den Zusammenhängen zwischen Gott, Natur und menschlicher Seele auf die Spur zu kommen. Die Alchemie schlug auch religiöse Töne an. Sie zielte nicht nur auf eine Verwandlung der Dinge der materiellen Welt, sondern auch der Sprache und des ganzen Menschen, Leib und Seele. Im Heiligen Römischen Reich wurde zudem der theologische Diskurs, insbesondere derjenige der Schwärmer, umgekehrt in alchemistischen Begriffen formuliert. Welt- und Selbsterkenntnis verstärkten sich gegenseitig. Die Auffassung vom Traum als Pforte zur inneren Welt wurde hierdurch wiederbelebt. 4.2.1
Alchemistiche Frömmigkeiten
Häufig wurde die alchemistiche Erfahrung als eine übernatürliche Initiation dargestellt. Ausgehend von Paracelsus’ Auffassung, dass die Imagination als Kraft Formveränderungen in äußeren Objekten bewirken könne, wurde auch die Goldmacherei manchmal als Imagination des Alchemisten angesehen. Daher wurden alchemistische Berichte auch in Form von allegorischen Träumen verfasst. Wie bei Hermes Trismegistus wurden alchemistiche Entdeckungen als Träume, d. h. als Momente einer Anbindung an das Göttliche dargestellt. Unter dem Einfluss des Hypnerotomachia Poliphili von Francesco Colonna,193 der als fiktiver Traum der mystischen Suche eines Verliebten in einer allegorischen Landschaft abgefasst war, waren solche Bücher in Frankreich und Italien besonders häufig. Das berühmteste Beispiel hierfür ist zweifelsohne das Buch Il Metamorfosi metallico et humano (Brescia 1564) von Giovanni Battista Nazari.194 Diese in der
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Sylvie Caucanas, Rémy Cazals, Nicolas Offenstadt. Toulouse 2006 (Regards sur l’histoire), S. 281–293. Zur Vielfalt der Alchemie, vgl. Joachim Telle: Astrologie und Alchemie im 16. Jahrhundert. Zu den astroalchemischen Lehrdichtungen von Christoph von Hirschenberg und Basilius Valentinus. In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 227–253. Francesco Colonna: Hypnerotomachia Poliphili. Ed. critica e commento a cura di Giovanni Pozzi e Lucia A. Ciapponi (secondo il testo e con le silografie dell’incunabolo aldino del 1499). Padova 1964. Vgl. dazu Gilles Polizzis Einleitung. Giovanni Battista Nazari: Il Metamorfosi metallico et humano. Brescia 1564; Ders.: Della Tramutatione Metallica. Brescia. Marchetti. 1572; Ders.: Della tramutatione me-
238 Ich-Form verfassten Träume schildern eine alchemistiche »erleuchtete Reise« (inspiritato viaggio) zu einer inneren Offenbarung. Der Traum war bei Nazari nicht bloß Schmuck oder captatio benevolentiae-Motiv sondern eine Versinnbildlichung der Verwandlung des ›inneren Menschen‹. Der traumhafte Weg führte aus dem dunklen Wald der täuschenden Chimären, von denen die Goldmacher besessen waren, zu Kythera, d. h. zur ›imaginären‹ Entdeckung einer ad majorem Dei gloriam ausgerichteten Wissenschaft. Diese Träume, so das Vorwort der ersten Ausgabe, stellten nacheinander die zunächst »gekünstelte« (sofistica), dann »wirkliche« bzw. »alchimistiche« (reale, o alchimica) Verwandlung der Metalle, die physische Verwandlung des menschlichen Leibes (tramutatione fisica de corpi humani) und die »spirituelle Verwandlung in Christus« (della tramutatione spirituale in christo) dar. Die zweite Ausgabe 1572, in der die Bearbeitung des TraumMotivs komplexer geworden war, schilderte nur drei Träume: die »falsche«, »gekünstelte« Verwandlung der Metalle (della falsa tramutatione sofistica), die »nützliche«, »vernünftige« (d. h. den Naturgesetzen gemäße) Verwandlung der Metalle (della utile tramutatione detta reale usuale) und die »göttliche«, »philosophische« Verwandlung des Menschen (della divina tramutatione detta reale Filosofica). Jeder Station dieser Initiationsträume entsprachen bestimmte Embleme bzw. imprese, d. h. Symbole zusammen mit einem Bild (imago) und einem eine Lebensregel vermittelnden Spruch (titulus).195 Der Traum war also hier Abbild einer einsichtbaren Wahrheit, Zeichen der Idee bzw. des concetto. Nachdem der Alchemienovize sich im dunklen Wald von Lastern befreit und die Schwellenwächter beseitigt hatte, überquerte er einen Fluss in die Hölle, in deren Labyrinth sich Wissenschaft und Natur versöhnten. Anschließend wieder auf der Erde, traf er einerseits musizierende Nymphen, andererseits wohnte er grausamen Massakern bei. Schließlich sah er die Statue des Paracelsus. Diese Landschaft della utile tramutatione war der Ort mühsamer und asketischer Reue und Sühne – wie das Fegefeuer der Divina Comedia von Dante – aber auch der Erläuterung von Geheimnissen der Materie, wie des Schwefels und des Quecksilbers. Der dritte Traum führte den Neophyten vom Grab des »göttlichen Platon« über einen den Göttern Hermes und Merkur gewidmeten Altar zum Tageslicht. Nachdem er die metaphysischen Prinzipien der ›Hohen Wissenschaft‹ erfahren und viele Prüfungen überstanden hatte, entdeckte er in einem Grab als mythologische Fabeln verfasste Geheimnisse des Alchemisten.
195
tallica sogni tre. Brescia 1599. Vgl. dazu Anna Zenone: I sogni Alchemici di Giovan Battista Nazari. In: Esperienze Letterarie 10 (1985), S. 81–111; Frank Greiner: L’Initiation alchimique de Giovanni Battista Nazari. In: Réforme, Humanisme, Renaissance 38 (1994b), S. 9–35. Vgl. dazu Robert Klein: La théorie de l’expression figurée dans les traités italiens sur les Imprese, 1555–1612. In: La Forme et l’intelligible, S. 125–150, hier 125.
239 Anschließend landete er auf einer Insel, betrat schließlich das Schloss der »chemischen Hochzeit«, wo sich alle gegensätzlichen Elemente bzw. Prinzipien vereinten. Die Elemente der traumhaften Topographie dieser alchemistichen Reise boten sich zur Entzifferung, Auslegung und Übersetzung an. So hinterfragte die alchemistiche Suche nach dem ›inneren Menschen‹ auch die Sprache.196 Der Alchemielehrling notierte sich nicht nur philosophische Lektionen.197 Die Traumfiktion selbst war eine Allegorie. Aufgrund ihrer Rätselhaftigkeit erregten die zwischen den Dingen und der Sprache stehenden Zeichen besondere Aufmerksamkeit. Dabei fungierte der Traum als Veranschaulichung eines wirkenden Wortes.198 Die gesamte Landschaft kann als ein mnemotisches Bild mit dem Wert einer emblematischen Vermittlung auf dem Weg zur Erlangung einer okkultischen Energie interpretiert werden. Der Alchemist war jener, der den Tod in einen ewigen Schlaf umzuwandeln vermochte. Der Traum verwies zudem auf die Grenzen der Erkenntnis. Einige Rätsel riefen magische Spekulationen hervor, nämlich die Kunst, die Dinge zu benennen und sich ihres Wesens sprachlich zu bemächtigen, um sie besser beherrschen zu können – als ob dem lullistischen Kabbalismus folgend der Kosmos durch die Gesetze einer mit dem Logos verbundenen Ursprache geregelt wäre.199 Denn die von der okkulten Philosophie des Raimundus Lullus200 inspirierte traumhafte Topographie hatte auch eine mnemotische Funktion. Man konnte außerdem untersuchen, inwiefern die Behauptung der wiederherzustellenden ontologischen Natur des Alphabets mit einer Wiederbelebung der von den Humanisten der Renaissance heftig kritisierten ars memoriae, also mit einer besonderen Wertschätzung des Gedächtnisses neben der Imagination als Hauptvermögen der Seele und Bindeglied zwischen dem Besonderen und dem Universalen einherging. Wie die Imagination sollte die Reminiszenz eine richtige und handlungsfähige Auslegung der Zeichen liefern. Daher wurde Wissenschaft (scientia) als das gemeinsame Handeln der Weisheit (sapientia) im Verstand mit der Reminiszenz (reminiscentia) in der Vernunft vorge196
197 198
199
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Vgl. dazu Frank Greiner: Les Métamorphoses d’Hermès. Tradition alchimique et esthétique littéraire dans la France de l’âge baroque (1583–1586). Paris 2000 (Bibliothèque littéraire de la Renaissance 3/42). Nazari (1572), S. 59–60, 135–144. Vgl. dazu Jean Starobinski: Trois fureurs. Paris 1974 (Essais), S. 127–162; Ders.: Figuration et représentation: le problème de l’apparition. In: Annales E.S.C. 26 (1971), S. 664–680. »…di mandare a termine i suoi perfetti e ricercati frutti, mediante un sotterraneo calore dimostrato per quelli essalanti fumi, e per il circoscritto motto, significante che questo Albero è come salamandra la quale (s’è come si dice) vive e nutricasi nel foco«, Nazari (1572), S. 115. Vgl. dazu Frances A. Yates: L’Art de la mémoire. Paris: Gallimard nrf. 1975 (Bibliothèque des histoires), S. 188–214.
240 stellt.201 Die zeitgleiche unmittelbare Wahrnehmung und virtuelle Rationalität des Urteils wurde darüber hinaus in der Folgezeit zum Grundbestandteil des Geschmack-Begriffs.202 Die Entzifferung der philosophischen Sprache jenseits des ›toten Buchstabens‹ der falschen Wissenschaft, die Aneignung eines spirituellen, unaussprechlichen Wissens und die Entdeckung des ›inneren Menschen‹ trugen somit zur Entstehung einer neuen Ästhetik bei. Das eigentliche Organ der alchemistichen inneren Erkenntnis blieb dennoch das ›innere Auge‹.203 Einer mystischen Tradition des 15. Jahrhunderts zufolge wurden Christus und die Heiligen mit einem verschlossenen Auge, dem Auge des Gemüts, das sich auf die Innerlichkeit richtet, abgebildet. Ebenso wurde Paracelsus als Rosenkreuzer, vor einem Kind mit verschlossenem Auge dargestellt.204 Der englische Kabbalist Robert Fludd (1574–1637) teilte noch die Vorstellung eines ›Auges der Imagination‹. In Ermangelung einer umfassenden Untersuchung der deutschen alchemistichen Literatur, die im Rahmen dieser Arbeit nicht unternommen werden kann, soll hier eine Hypothese skizziert werden: Die Alchemie im Heiligen Römischen Reich war inmitten konkurrierender wissenschaftlicher Verständnismuster wie die fiktiven Träume bzw. Visionen205 von stark religiösen, ja unorthodoxen Akzenten geprägt. Die Wiederherstellung der imago Dei wurde im Heiligen Römischen Reich auch über alchemistische Lektüren der Bibel, eine Hinterfragung der gewöhnlichen Sprache und die Herausbildung einer neuen, privaten (d. h. ohne Vermittlung des Klerus) aber nicht unbedingt individuellen Frömmigkeit206 thematisiert. Dies soll an drei Beispielen exemplarisch erläutert werden. Die alchemistiche Lektüre der Bibel soll am Beispiel des sehr erfolgreichen Traktats De signaturis internis rerum (erste lateinische Ausgabe im Jahre 1609, deutsche Erstübersetzung im Jahre 1623) von Oswald Croll verdeutlicht werden. Er
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Vgl. dazu Zenone, S. 102. Vgl. Robert Klein: Giudizio et gusto dans la théorie de l’art au Cinquecento. In: Rinascimento 1 (1961), S. 105–116, hier 107. Vgl. L. Bolzoni: Eloquenza e alchimia in un testo inedito di Giulio Camillo. In: Rinascimento 14 (1974), S. 243–264, hier 261–262: »… Mercurio Trismegisto nel Pimandro, volendo mostrare come entrò alla speculatione delle cose eterne si ribellò da i sensi dicendo: sopitis iam sensibus corporio veluti hii qui somno, aut vino gravantur. Et così fatto vedere attribuisce all’acutezza della mente …« Vgl. Pagel (1984), S. 106–109. Vgl. Vision advenue en songe à Ben Adam au temps du règne de Rucharet roi d’Adama, mise en lumière par Floretus à Bethador. Allégorie alchimique allemande du XVIIe siècle. Édition critique établie et présentée par Didier Kahn. In: Chrysopoeia 1988/2, S. 249–274. Generell dazu: Martin Brecht: Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland. In: Geschichte des Pietismus. Hg. von Martin Brecht. Bd. 1. Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Göttingen 1993, S. 113–203.
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Abb. 11: Robert Fludd: Utriusque Cosmi, Maioris scilicet et Minoris, metaphysica, physica, atque technica Historia. Bd. 2: De supernaturali, naturali, praeternaturali et contranaturali microcosmi historia. Tractatus primi, Sectionis II, Portio III. De animæ memorativæ scientia, quæ vulgo ars memoriæ vacatur. Kupferstich von Matthäus Merian d.Ä. Der englische Kabbalist Fludd leitete das Kapitel über »die Wissenschaft vom geistigen Memorieren, die gewöhnlich Ars Memoriae genannt wird« seines Buches Geschichte der beiden Welten (1617–19) mit der Abbildung eines mit fünf Gedächtnisorten verbundenen oculus imaginationis ein. Auf diesem Kupferstich enthält das Gehirn des Menschen die drei üblichen Ventrikel, im ersten derer ein großes »Auge der Imagination« und neben ihm fünf Gedächtnisorte mit Gedächtnisbildern stehen: Zwischen einem Obelisk sind der Turm zu Babel, Tobias und der Engel, ein Schiff und das Jüngste Gericht abgebildet.
erfreute sich 16 lateinsprachiger Ausgaben von 1609 bis 1690 sowie zahlreicher Übersetzungen (ins Deutsche, Französische, Englische, Niederländische, Spanische, Russische, sogar Arabische).207 Zum zweiten wird das Streben nach einer ontologischen Wiederaufladung der Sprache am Beispiel der Abhandlung De Alchemiae difficultatibus von Theobald van Hoghelande (Köln, 1594) erörtert. Das Werk von Johann Arndt (1555–1621) wird als drittes Beispiel abschließend das Spannungsfeld um die Definition der Frömmigkeit veranschaulichen. Das Anliegen des paracelsischen Arztes Oswald Croll (ca. 1560–1608) war zugleich wissenschaftlich und religiös. Gegen die galenische Medizin und die aristotelisch-syllogistische Philosophie strebte er nach einer er207
Vgl. Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle: Einleitung. In: De signaturis internis rerum. Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623). Hgg. von Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle. Stuttgart 1996, S. 1–50, hier 1–2; ebd., S. 251–273.
242 neuerten Wissenschaft, welche die ›Wahrheit‹ wiederherstellen sollte. Die medizinische Alchemie als Suche nach der ›wahren‹ Philosophie aus der Zeit, bevor das Wort ’Fleisch’ wurde, sei Ausdruck einer neuen Ära, der nach Joachim von Fiore benannten Epoche des Elias Artista d. h. der Zeit des Heiligen Geistes208 , in welcher der Mensch durch Welt- und Selbsterkenntnis adamisches Wissen zurückgewinnen und damit seine Gottebenbildlichkeit zurückerlangen konnte. Diese Ära der Wiedergeburt des Menschen und der Regeneration der natürlichen Kräfte zeichne sich durch eine erneuerte Frömmigkeit, fern der Amtskirchen, aus. Dadurch wurden die paracelsische Heilkunde und Kosmologie, die alchemische ›Wissenschaft‹ und Verhaltenskategorien des Valentin Weigel209 wie »Gelassenheit«, »Vernichtigung« und »stille Weltabkehr«210 miteinander verbunden: Vnnd bin ich [i.e. Croll] der gäntzlichen Hoffnung/ es werde GOtt in kurtzem etliche Ingenia erwecken/ die die Warheit in allen Künsten vnd Wissenschafften (sintemal die Erfindung der Künste jhr Endschafft noch nicht erreicht) werden an Tag bringen/ das Vnkraut derselbigen außreuten vnd die Irrthumb vnd Betrug der Schulen nit mit Worten/ sondern mit dem Werck/ nicht mit Syllogismis oder Schlußreden/ sondern Reipsa oder mit der That widerlegen. Dann wann das perfectum zur Zeit der Ernewerung vnd Widergeburth kommen wirdt/ so wird das imperfectum oder vnvollkommene nothtringlich fallen …211
Die »wahre vnnd beständige Philosophi« bestehe in der Veränderung der Welt und des Menschen. Die alchemistiche Arbeit ähnelte einer mystischen Erfahrung: Die gantze Creatur zusampt diesem grossen Gebäw der Welt/ in deren sich vns der vnsichtbahre Schöpffer zusehen/ zukosten/ zuriechen vnd zubetasten vorstellt/ ist nichts anders/ als ein Schatten Gottes vnd Figur deß jnnerlichen Paradeyses: Nemblich das Anschawen/ durch welches die Creaturen werden gesehen vnd erkennet/ die da sind deß Schöpffers Hindertheyl vnd der Effect/ durch deren Erkanntnuß/ auch der Schöpffer vnd Werckmeister selbsten wirdt erkennet: Vnd die erste Vrsach/ so da alles wür-
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»… in dem dritten seculo deß heyligen Geistes […] Elias der Artist und Reparator omnium erscheinen wird«, Oswald Croll: Basilica chymica oder Alchymistisch Königlich Kleynod: Ein Philosophisch/ durch sein selbst erfahrung/ confirmirte und bestätigte Beschreibung vnd gebrauch der aller fürtrefflichsen Chimische Artzneyen so auß der Liecht der Gnaden vnd Natur genommen/ in sich begreiffend. Franckfuhrt: Gottfried Tampachen. 1623, Vorrede, S. 5. Zitiert nach: Kühlmann, Telle: Einleitung, S. 4; Michel Foucault: Les Mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines. Paris 1976 (Bibliothèque des sciences humaines), S. 46–53, 57–58. Croll erhielt sogar von den Söhnen Valentin Weigels paracelsische Schriften. Zu Crolls Kommunikationszirkeln, vgl. Wilhelm Kühlmann: Paracelsismus und Häresie: Zwei Briefe der Söhne Valentin Weigels. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 18 (1991), S. 24–30; Ders.: Oswald Crollius und seine Signaturlehre. Zum Profil hermetischer Naturphilosophie in der Ära Rudolphs II. In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 103–123, hier 110–111. Vgl. beispielsweise Croll: Basilica, Vorrede, S. 72–73, 107. Croll: Basilica, Vorrede, S. 59. Zitiert nach: Kühlmann, Telle: Einleitung, S. 5.
243 cket vnd verricht. Dann es sind alle Creaturen von Gott erschaffen/ dem Wort deß Schöpffers zum Zeugnuß/ durch welches Wort sie gemacht worden.212
Crolls Kosmos setzte sich kreisförmig aus verschiedenen Konglomeraten zusammen: Die fünf Sinne waren in der Imagination eingeschlossen, die sich ihrerseits in der Vernunft befand, welche im Geist bzw. Gemüt zusammengesetzt war, und dies alles schließlich in Gott. Konsequenterweise wurde der Erkenntnisakt als ein Emporsteigen der Seele nach dem Muster des biblischen Traums von Jakobs Himmelsleiter (1. Mose 28:10–22) konzipiert: Der Eingang oder das Aufsteigen geschiehet/ wann ich durch die Leyter Jacobs von der vntersten biß zu den öbersten werde erhoben vnd auß dem empfindlichen zu dem intellectualischen/ vnd auß den Creaturen zu dem Schöpffer/ hinauff steige: Der Hebreer Cabalisten nennen es die fünfftzig Pforten der intelligentiarum: Die Staffeln oder Zweck aller Dinge werden auß dem 1. Cap[itel] deß 1. Buchs Moysis genommen/ durch welche wir/ als durch sonderbahre Symbola vnd Kennzeichen zu aller Dinge beydes der sichtbahren vnd vnsichtbahren Erkanntnuß werden geführt. […] Jn dem ich aber die Corporeitet oder Leiblichkeit verlasse/ vnd mich von der eusserlichen Form zu dem jnnerlichen vnd unsichtbahren Saamen verfüge/ vnd mit dem Auge deß Gemüths den gantzen Baum mit sampt seiner Wurtzel/ Stamm/ Aesten/ Zweigen/ Blättern/ Blumen vnnd Früchten betracht/ daß nemblich alle solche jetzt erzehlte Stück/ so zu seiner Zeit durch die Absonderung zu offenbahren/ darinnen gleichsamb einverleibt seyen. […] Dann die fünfft Sinne sind in der Jmagination oder Einbildung/ die Jmagination in der Ration oder Vernunfft: Die Vernunfft in dem mente oder Gemüth/ das Gemüth in Gott: Gott aber in keinem/ als in sich selbst. Dann er ist seine selbst eygene Wohnung/ dieweil er alles ist/ von vnd durch sich selbsten ist/ vnnd von welchem/ als von einem vberauß reichen vnd vberflüssigen Brunnen der Vnität alles fleust.213
Die Crollsche Signaturlehre sollte die göttlichen Wirkkräfte der Naturdinge und ihren Verweis auf den wahren, unsichtbaren Kern der Dinge erkennen. Dabei konkretisierte Croll den Erkenntnisprozess nicht näher. Verwies der Ausdruck »Auge des Gemüts« auf die herkömmliche Auffassung des ›inneren Auges‹ oder metaphorisch auf den Alchemisten, der allein die richtige spirituelle Ausdeutung der Naturdinge liefern konnte – oder auf eine implizit vorausgesetzte Sprache der Seele? In seinem Werk De Alchemiae difficultatibus kehrte Theobald van Hoghelande die Ordnung um: Die Erforschung des Gewissens bildete nicht den Endpunkt der alchemistichen Arbeit, sondern, in impliziter Anlehnung an Paracelsus, deren Voraussetzung.214 Die Verwerfung des ›toten Buchstabens‹ 212
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Croll: Basilica, Vorrede, S. 13 (in Kühlmanns und Telles Edition S. 180). Vgl. auch: »Aller Dinge Werckmeister/ nemblich Gott den H ERRN erkennen/ vnd in jhn mit dem Bildt der Gleichheit oder wesentlich Berühren ohn einig Bandt eingehen/ damit du selbst verwandelt vnd zu einem Gott werdest/ ist erst die rechte/ wahre vnnd beständige Philosophi«, Ebd., S. 106. Zitiert nach: Kühlmann, Telle: Einleitung, S. 9. Croll: Basilica. Vorrede, S. 13–14, 16 (in Kühlmanns und Telles Edition S. 180–182, 185). »Seipsum quisque examinet, acremque se et vitiorum et bonorum suorum iudicem praebat, priusquam huius scientiae adyta intrare conetur, et diligenter perpendat num ea quae in Discipulis suis requirunt Philosophi, in semet ipso depraehendat, quae multa
244 führte Hoghelande – wie zahlreiche Alchemisten, unter anderen Heinrich Khunrath, Cesare della Riviera und Henri de Linthaut – zum Lob der simplicitas, d. h. der Einfachheit und der Präzision, wenngleich diese zur Verwendung verwirrender Begriffe führen könne.215 Für die Alchemisten wie für die Dichter setze die Umwandlung der üblichen, konventionellen und abstrakten Sprache eine Reform der sprachlichen Gewohnheiten voraus, damit die Sprache auf eine richtige Wahrnehmung der Dinge verweise. Die »Schwierigkeiten der Alchemie« ergäben sich aus diesem Bruch mit der normalen Verwendung der Zeichen. Da sie die Unfähigkeit der üblichen Sprache, die physische und natürliche Ordnung zu übertragen wiederspiegelte, schien Hoghelande eine Rhetorik der diversitas am geeignesten.216 Nur eine stilistische Andersartigkeit, mit ihren Rätseln, Allegorien, Metonymien, Metaphern und scheinbaren Widersprüchen, sei imstande, die Eigentümlichkeiten, die besonderen Einzelheiten der Realität auszudrücken und dabei die Aufmerksamkeit des Lesers zu erwecken.217 Ein von den praktischen oder intellektuellen Erfahrung getrennter philosophischer Diskurs sei sinnlos.218
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sane sunt, et opinione vulgi maiora«. De Alchemiae difficultatibus Theobaldi de Hoghelande Mittelburgensis Liber. Coloniae Agrippinae: Henricus Falckenburg. 1594, Fol. B. Vgl. dazu Frank Greiner: Écriture et ésotérisme dans un traité alchimique de la fin de la Renaissance: le De Alchemiae difficultatibus de Theobald de Hoghelande. In: Réforme, Humanisme, Renaissance 38 (1994), S. 45–71, dem ich in diesem Absatz folge. Die hier herangezogene Quelle ist die »Philosophia sagax« des Paracelsus: Paracelsus: Philosophia sagax. In: Sämtliche Werke. Hg. von Karl Sudhoff, I. Abt., Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Bd. 12. Astronomia magna oder die ganze Philosophia sagax der großen und kleinen Welt samt Beiwerk. Erklärung der (Nürnberger) Papstbilder, angeblich des Abtes Joachim von Fiore, S. 276–285. Hoghelandes Traktat wurde bereits im Jahre 1600 ins Deutsche übersetzt: Theobald de Hoghelande: Von den Irrwegen der Alchemisten. Aus dem Lateinischen übersetzt von Joh. Hippodamo Chemsco. Franckfurt am Mayn 1600. »Si qui queratur me verbis interdum non auditis & inusitatis uti, is sciat unamquamque artem & scientiam formulas ac modos loquendi sibi congruentes habere: cum itaque de Alchemia arcanorum naturae indagatrice agam, necessarium fuit verbis etiam talibus uti, qualia ipsa exigere videtur materia«. Hoghelande (1594), »Benevolo lectori Autor S.«, n. p. Vgl. dazu am Beispiel Béroaldes de Verville Neil Kenny: The Palace of Secrets. Béroalde de Verville and Renaissance Conceptions of Knowledge. Oxford 1991. »Philosophi nonnulli in tres, plures in quattuor, quidam etiam in quinque et sex regimina distinxerunt, multi etiam in duo, eaque inter se confuderunt, ut quod primum, quodve medium aut ultimum sit ignoretur«. Hoghelande (1594), Liber II, S. 12. »Raymundus Lullius, qui exquisitissime alioquin omnium, quae in arte fiunt, rationem reddidit, non curavit ipsius veritatem verbis aut argumentis asserere, sed tantum ait, id quod experimento oculari videtur, probatione non indigere. Et Beatus Thomas de Aq.[uina] ad fratrem Reinaldum: Non cures, inquit, de verbis philosophorum modernorum et antiquorum de hac scientia disserentium, cum in capacitate intellectus et in demonstratione experimentali Alchemia sedem sibi constituerit«. Hoghelande (1594), »Benevolo lectori Autor S.«, n. p. Hoghelande bezieht sich auf eine apokryphen Schrift Aquins, den »Tractatus beati Thome datus fratri Reinaldo«. Vgl. Greiner: Écriture et ésotérisme (1994), S. 63.
245 Hoghelandes Anliegen war es, die Wörter bei der Berührung mit der Sprache der Dinge und der Seele wiederzubeleben. Ebenso wie die paracelsischen Mediziner die Alchemie spirituell aufluden, entwarf eine immer größere Anzahl von Theologen eine spirituelle Alchemie. Johann Valentin Andreae (1586–1654), der Sohn des Verfassers der lutherischen Konkordienformel, der die sogenannte Rosenkreuzer-Bewegung mitbegründete und später zum Hofprediger des Stuttgarter Hofes ernannt wurde, spielte dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Der Impuls zu seiner Schrift Chymische Hochzeit (1616) ging wohl zunächst von seiner Reise nach Oberitalien im Jahre 1612 aus, wo er möglicherweise mit neuplatonischen Akademien in Berührung kam. Später machte er sich in seinem Tübinger Kreis über den Juristen und Arzt Tobias Heß mit dem Werk des Paracelsus vertraut. Eine weitere Anregung kam von Christoph Besold, der ihm die okkulte Philosophie und Tommaso Campanellas Utopie entdeckte. Wie in der vermutlich ebenfalls von ihm verfassten Flugschrift Fama fraternitatis (1614)219 berichtete Andreae, wie der ›wahre Glaube‹ – und nicht die ›toten Buchstaben‹ – die Welt verändern würde. Diese Schrift enthielt sämtliche Forderungen der Schwärmer seit der Rezeption Paracelsus’, nicht zuletzt die Überzeugung, dass die Gotteserfahrung durch die Natur und ihre ›Signaturen‹ erfolge und ihren Ausdruck in der Schau Gottes, im Gleichnis oder im Bild finde. Die chymische Hochzeit schildert den Bildungs- und Erkenntnisweg eines Mannes, eines Ich-Erzählers während der sieben Tage einer geheimnisvollen Hochzeit. Wie der Alchemienovize von Nazari traf er auf zahlreiche rätselhafte Symbole der Antike und des Mittelalters, Inschriften und Tafeln. Er wandte sich von der ›falschen‹, gewinnstrebenden Alchemie ab und erlangte über die Geheimsprache der alchimistischen Initiation eine hohe ethische Gesinnung. Wie bei Nazari regten die sich oftmals überstürzenden Bilder, die ineinandergeschobenen Sätze und die logischen Widersprüche dazu an, den Sinn nicht in den bloßen Worten, sondern in der innerlichen Meditation zu suchen. Denn die gesamte »Hochzeit«, deren Erzählung plötzlich abbricht, mithin den Sinn offen ließ, war in Form eines Traumberichts geschrieben, der sich seinerseits in mehrere einzelne Träume gliederte. Der Traum wurde dennoch nicht wie bei Nazari als Grenze der Erkenntnis, sondern als Stätte der Meditation, des Gebets und der Kommunikation mit Gott, auch als Trost gegen den Zweifel dargestellt. Die Alchemie wurde somit zur Sprache einer neuen Frömmigkeit, die das Streben nach einem unmittel219
Fama Fraternitatis, Oder Endeckung der Bruederschafft deß loeblihen Ordens deß Rosencreutzes … Cassel 1616. Einige Schriften bezogen sich ausdrücklich auf Oswald Croll, wie folgende Flugschrift: And[reas] Libavius: D.O.M.A. Wolmeinendes Bedencken/ Von der F AMA , und Confession der Bruederschafft deß RosenCreutzes … Franckfurt: Egenolff Emmel. 1616, dessen Vorwort aus Crolls »Basilica« herausgezogen wurde.
246 baren Zugang zu Gott jenseits der ›toten Buchstaben‹ der Bibel von der Schwärmerei übernommen hatte.220 Die Signaturenlehre wurde – bald als Metapher, bald als metaphysisches Raster – von zahlreichen Medizinern und Theologen übernommen. Unter den ersten bedienten sich Gelehrte wie Heinrich Khunrath (De signatura rerum naturalium theses 1588) und Joseph Duchesne/Du Chesne (De […] simplicium, et rerum signaturis 1603), unter den letzten Jacob Böhme und Johann Arndt. Der Begriff ›Signatur‹ bildete den Kern der Sprachauffassung Böhmes, der die paracelsische Signaturenlehre mit seiner Doktrin der Natursprachen verband: »ein jedes ding hat seinen Mund [auch: seine »Signatur«, »Gestaltniß«] zur offenbarung vnd das ist die Naturspraache/ darauß jedes ding auß seiner eigenschaft redet/ vnd sich immer selber offenbahret/ vnd darstellet worzu es gut vnd nutz sey/ dann ein jedes ding offenbaret seine Mutter/ die die Essentz vnd den willen zur gestaltnuß also gibt«.221 Nicht zuletzt bei Johann Arndt bildete die paracelsistiche Signaturlehre die Grundlage seiner Vorstellung vom Menschen im Kosmos.222 Wie die Spiritualisten vertrat der Celler Superintendent Johann Arndt eine anthropozentrische und geozentristische Auffassung vom Kosmos. So wie die Sonne um die Erde kreise, stehe der Mensch, als Mikrokosmos, im Zentrum der Schöpfung. In Folge des Sündenfalls sei jedoch die von Gott eingeflößte menschliche Seele geschwächt worden. Das gesamte »wahre Christenthumb« ziele genau auf die Wiederaufrichtung der Gottesebenbildlichkeit im Menschen.223 Infolge der Analogie zwischen dem Mikro- und 220
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Vgl. [Johann Valentin Andreae]: Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreuetz Anno 1459 … Straßburg: Lazarus Zetzner. 1616. Zu Andreae, vgl. Richard van Dülmen: Die Utopie einer christlichen Gesellschaft. Johann Valentin Andreae (1586–1654). Teil 1. Stuttgart/Bad Cannstatt 1978 (Kultur und Gesellschaft 2.1). Jacob Böhme: De signatura rerum: Das ist/ Bezeichnung alle dingen/ wie das Innere vom Eusseren bezeichnet wird. Stuttgart/Bad Cannstatt 1957 (Sämtliche Schriften 6) (Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730), Kap. I, S. 15–16. Dazu vgl. Wolfgang Kayser: Böhmes Natursprachenlehre und ihre Grundlagen. In: Euphorion 31 (1930), S. 521–562; Will-Erich Peuckert: Signatur. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. von Hanns Bächtold-Stäubli. Bd. 7. Berlin/Leipzig 1935/36, Sp. 1710– 1712; Ders.: Einleitung. In: Jacob Böhme: Sämtliche Schriften. Faksimile-Neudruck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden. Hg. von Will-Erich Peuckert. Bd. 6. Stuttgart 1957; Pierre Deghaye: Dieu et la nature dans L’Aurore naissante de Jacob Boehme. In: Epochen der Naturmystik, S. 125–156. Vgl. Johann Arndt: Das Vierdte Buch vom wahren Christenthumb/ Liber Naturæ. Wie das grosse Weltbuch der Natur/ nach Christlicher Außlegung/ von GOtt zeuget/ und zu Gott fuehret/ wie auch alle Menschen Gott zu lieben/ durch die Creaturen gereitzet/ und durch ihr eigen Hertz uberzeuget werden. Magdeburg: Johan Francken. 1615. Arndt erwähnt sogar einmal namentlich Paracelsus und bezeichnet ihn als »fuertrefflichen deutschen Philosophen«. In: Ebd., S. 64. Vgl. Sibylle Rusterholz: Zum Verhältnis von Liber naturae und Liber scripturae bei Jacob Böhme. In: Gott, Natur, Mensch in der Sicht Jacob Böhmes und seiner Rezeption. Hgg. von Jan Garewicz, Alois Maria Haas. Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 24), S. 129–146, hier 144–145.
247 dem Makrokosmos sollte diese Nachahmung Gottes parallel zu einem Veredelungs- und Transmutationsprozeß innerhalb der Schöpfung laufen. Die Erde sei tatsächlich »todt«, »auswendig«. Ihre Belebung und Fruchtbarkeit liege also in geistigen Kräften, in jenen »Samenkräften« bzw. Signaturen, die aus »verborgene[n] lebendige[n] Gestirne[n]« kämen und die »neue Geburt« des Menschen ermöglichten. Und obwohl die Erde auswendig ungestalt, grob, hart, dick, finster, todt dürr und kalt ist, so ist sie doch inwendig ein edles, lebendiges Element, von dem Schöpfer mit vielem Segen, unaufhörlicher Fruchtbarkeit und Samenkräften erfüllet, die nimmer ruhen, sondern als verborgene lebendige Gestirne immer arbeiten, und keine Ruhe haben, bis sie ihre leiblichen Früchte hervortreiben, und auf das allerzierlichste ausarbeiten, mit Form, Proportion, Kleidung, Geruch, Geschmack und Farben, dadurch sie dem Menschen ihre inwendige Kraft und Vermögen anzeigen.224
Das »Buch der Natur« könne jenseits des »todten Buchstaben« des Buchwissens deshalb nur von einem Eingeweihten entziffert werden. Er allein konnte mittels eines alchemistichen Verfahrens seine innerliche Form erkennen: … in Gottes Buch sind lebendige Buchstaben, welche allen Menschen, großen und kleinen, gelehrten und ungelehrten vor Augen gestellet werden; allein, daß sie nicht von Jedermann recht gelesen werden können, darum, daß sie die schöne herrliche Signatur und Zeichnung der Kräuter nicht kennen. Dieselbe muß man zuvor wissen, so kann man diese herrliche, schöne, lebendige Buchstaben lesen und zusammen setzen. […] Wo du nicht allein die äußerliche Form und Signatur erkennest, sondern die innerliche verborgene Form, und dieselbe offenbar machest durch die Kunst der Scheidung/ daß du heraus ziehest die Kraft, in welcher die rechte Arzenei liegt, die pur lautere Essenz und helles Licht aus ihrem Schaalenhäuslein und Kästlein, darein sie Gott der Herr geleget hat, so wirst du erst die Güte des Schöpfers schmecken in seinem Werk, und Ihn von Herzen preisen, daß Er dem blöden, elenden Menschen in seinen Gebrechen und schmerzlichen Krankheiten solche Linderung, Hülfte und Süßigkeit geschaffen hat.225
Wie viele alchemistische Mediziner, die in der »Kunst der Scheidung« bzw. ars alchemica die eigentliche Wissenschaft sahen, die mit Hilfe von Experimenten die ›innere‹ von der ›äußeren Form‹ der Substanzen trennen sollte,226 224
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Johann Arndt: Hexaemeron [d. i. Wahres Christenthumb, Buch IV, 1. Teil], 3, 10. Zitiert nach Hermann Geyer: Verborgene Weisheit. Johann Arndts »Vier Bücher vom Wahren Christentum« als Programm einer spiritualistisch-hermeneutischen Theologie. I. Theologia sincerior, Johann Arndts Konzepts einer mystisch-spiritualistichen Theologie. II. Die metaphorische Programmatik der »Vier Bücher vom Wahren Christentum«. III. Lumen gratiae et naturae conjungere, Spiritualistisch-hermetische Theologie. Das theosophische Programm der »Vier Bücher«. Berlin/New York 2001 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 80/I–III), Bd. 3, S. 44. Johann Arndt: Hexaemeron 3, 13–15. Zitiert nach: Geyer. Bd. 3, S. 72. Vgl. beispielsweise Joachim Tancke: Promptuarium Alchemiae. Leipzig: Groß. 1610, Vorrede: »Also seyn auch wenig, so der Alchemey obligen, der Natur geheimnisse erkundigen, ihre kreffte und wirckungen suchen und nachforschen … Diese Kunst und Philosophey sihet nicht allein an, was eusserlich durch die fünff Sinnen nach erforschet werden, wie fast alle andere künste seyn, so nur auff die eusserliche Form und Natur gehen … Sondern die ware Alchimey und Philosophey, so auch die wahre Medicin be-
248 zielte auch Johann Arndt, ehemals Student, nicht der Theologie, sondern der Medizin, in Basel, auf eine Verbesserung des Leibes. Dabei erfuhr der Leib ebenso wie die gesamte Schöpfung eine Ästhetisierung. Arndt bestimmte den ordo des Leibes, wie jenen der Natur, sympathetisch und ästhetisch. Er verwarf die zeitgenössischen medizinischen Untersuchungen nach dem Sitz der Seele zugunsten der Auffassung einer Belebung des gesamten Leibes durch die »schöne Seele«: Denn es kann auch der Seelen Schönheit aus der schönen Gestalt menschlichen Leibes erkannt werden, weil der Leib ist ein Haus und Wohnung der Seele. Derowegen weil das Haus so schön ist, welches wir augenscheinlich sehen, wenn wir einen schönen wohlgestalten Menschen anschauen: wie schön wird dann seyn die Seele, so in selbem Hause wohnet! Denn einem schönen Gast hat auch der Schöpfer ein schön Haus erbauet. Wir sehen auch, […] welche Kraft doch der äußerliche Leib von der einwohnenden Seele erlanget.227
Bei Arndt wurde das Thema der Belebung des Körpers mit seiner üblichen magischen Konnotation228 zu einer ästhetischen Darstellung des Menschen im Kosmos. Der eingeweiht-erleuchtete Mensch konnte über Visionen an der mystisch-ästhetischen Schau der Schönheit Gottes teilhaben:
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greifft, will geistliche Augen haben, die in der Natur hineinsehen können … was in einem jeden dinge Geistliche und verborgen ist. Solch vortreffliche Philosophi seyn gewesen Hermes [Trismegistos], Democritus, Pythagoras und Plato, so mit Himmlischen oder Englischen Augen gesehen, daß die Natur allen dingen eine verborgene und geistliche gewalt, Samen, krafft eingepflantzet und eingegossen, daß wenn dieselbigen von der irdischen Korporitet und verhinderung, darinn sie verwickelt und gefangen, loß gesprochen und erlöset/ daß sie wunderbarlicher wirckung seyn …« Abgedruckt in: Alchymia, die Jungfrau im blauen Gewande. Alchimistische Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Hg. und eingeleitet von Richard Scherer. Mössingen-Talheim 1988 (Talheimer Texte aus der Geschichte 1), S. 57–80, hier S. 72–73. Zur Anwendung alchemistischer Bilder und Metapher bei Handwerkern, vgl. Pamela H. Smith: The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago/London 2004, S. 129–151. Johann Arndt: Hexaemeron 6, 22. Zitiert nach: Geyer. Bd. 2, S. 63. Vgl. beispielsweise das Ficino zugeschriebene »Buechlein vom Stein der Weisen«, in: Dreyfaches Hermetisches Kleeblat … Nuernberg: Endter. 1667, S. 396–397: »… so hoeret den Dionysium [= Pseudo-Dionysius Aeropagita, C.G.] hiervon also reden: Daß GOtt sey in allen Dingen/ oder alle Ding seyen in GOtt: gleichwie alle Zahlen in der Zahl/ Eins/ welches in [sic] Anfang ist aller anderer Zahlen […] Eben eine solche Gestalt/ hat es auch mit denen erschaffenen Creaturen/ gegen GOtt ihrem Schoepfer zu rechnen: Und wie die menschliche Seele/ eine unzertrennliche Regentin ist ihres Leibes/ und sie gantz und gar dem gantzen Leib/ und einem jeglichen Theil oder Glied desselben gegenwaertig: Also ist auch GOtt zu gleicher Weiß in dieser Welt gegenwaertig/ erfuellet solche und regierts/ und erhaelt sie immerdar/ durch die Krafft und Tugend/ welche er taeglich aus dem unerschoepflichem [sic] Brunnen seines Geistes/ den Creaturen reichlich einfloesset. Dahero wir recht und wol Gleichnußweiß von unserer Seelen-Genanden/ den lieben GOtt oder dessen Krafft und Wuerckung/ damit er alle Ding erhaelt/ die Mittel-Natur oder die Seele der Welt nennen; nicht/ als wann die Welt ein leibhafftiges Thier seye/ welches von der Christlichen Philosophia, stracks im Eingang des [sic] Bibel und Glaubens-bekanten/ theils in der Christlichen Metaphysic, theils in Betrachtung dieses unsern [sic] Steins auszurauschen erlaubt ist …«
249 So erkennen wir auch die Liebe Gottes aus seinem lieblichen Wesen. Denn aus den Gesichten der Propheten und Offenbarung Johannis können wir merken, daß der allmächtige Gott so schön und lieblich ist, daß Er unaussprechlicher Weise übertreffe alle Schönheit und Lieblichkeit der Welt. Er ist aller schönen Dinge Schönheit, aller lieblichen Dinge Lieblichkeit, aller Lebendigen Leben. Er ist alles.229
Es folgt dann die Vision vom offenen Himmel des Märtyrers Stephanus [Apg 7:56], auf die sich etwa gleichzeitig auch das rosenkreuzerische Echo Der von Gott hocherleuchten Fraternitet deß löblichen Ordens R. C.230 bezog. Durch die mystisch-ästhetische Schau steige die Seele zum unsichtbaren Licht bzw. zur lumen gratiae empor und empfange Gottes Gegenwart im Seelengrund. Der Unterschied [zu rein menschlichen Regungen, wie Lust und Freude, C.G.] aber ist wohl zu merken, daß der innerste Grund der Seele ueber alle Sinne und Vernunft durch dies Gnadenlicht beruehret wird. Und je mehr du ledig bist von auswendigen Creaturen, je oefter und laurerer dies geschiehet/ daß du Licht und Wahrheit empfindest. […] Denn Wahrheit ist inwendig im Grunde der Seelen/ und nicht auswendig. Aus diesem Licht der Seele steiget oft ein solcher heller Schein und Glanz/ das ist/ eine solche Erkenntniß/ daß der Mensch oft mehr weiß und erkennet/ denn ihn Jemand lehren kann.231
Wie die rosenkreuzerischen Autoren vertrat Arndt keine neue Auffassung von der Erleuchtung durch die ›inneren Augen‹.232 Das zweite Buch des Wahren Christenthumb[s], betitelt »vom Inwendigen Menschen«, übernahm die bernhardische und taulerische Mystik, vermied allerdings sorgfältig das Thema der Imagination sowie – im Gegensatz zum viertem Buch233 – jenen offenen Bezug zu Paracelsus. Es entwickelte eine metaphorische und moralische Auffassung der Seele, die zum Synonym vom »Herzen« wurde.234 Die von ihren magischen Wurzeln abgeschnittene spirituell-ästhetische Alchemie ermöglichte die Rezeption der Vier Bücher vom wahren Christenthumb. Denn die Werke von Johann Arndt und Valentin Weigel erschienen gleich-
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Johann Arndt: Das zweyte Buch vom wahren Christenthumb … Braunschweig 1606, 26, 10. Vgl. Geyer, Bd. 3, S. 103–104. [Julius Sperber]: E CHO Der von Gott hocherleuchten Fraternitet deß löblichen Ordens R. C. Danzig 1615, Fol. Iii r°-v°. Johann Arndt: Das Dritte Buch vom wahren Christenthumb/ vom Inwendigen Menschen … Braunschweig 1606, 10, 5. Die Zeitgenossen waren sich der alchimistischen und mystischen Elemente der »Vier Bücher vom Wahren Christenthumb« bewusst. Eine Ausgabe aus dem Jahre 1762 war mit alchimistischen Bildern eines in einem alchimistischen Ofen brennenden Herzens und einer Brille des Glaubens versehen.Vgl. Geyer, Bd. 2, S. 293 und Bd. 3, S. 223. Ders.: Das Vierdte Buch vom wahren Christenthumb/ Liber Naturæ … Magdeburg: Johan Francken. 1615, S. 88–89: »Von der Wirckung aber der Sternen sollet ihr wissen/ daß sie grosse Schatzkammern seyn Gottes des Allmechtigen/ aus welchen Er wunderlich feine zeitlichen Gueter unnd Gaben außtheilet/ beyde dem Menschen/ und dann auch der grossen Welt. Unnd allhiero muß ich einfuehre[n] die Meinung des vortrefflichen Teutschen Philosophi Philippi Paracelsi: Wie er die Astronomiam verstehet/ und wofuer er dieselbe helt: Und lasse das Urtheil und Judicium dem Christlichen Leser.« Wie zum Beispiel Ders.: Das Dritte Buch vom wahren Christenthumb, S. 4–7.
250 zeitig. Sie wurden oft miteinander verquickt, und sie erfreuten sich besonderer Beliebtheit in paracelsistsichen Kreisen. Deshalb distanzierte sich der Zeller Superintendent von schwärmerischen Überzeugungen und hob gegen all jene, die ihn »fuer einen Enthusiasten/ Schwenckfelder/ Weigelianer/ Pelagianer/ Papisten/ Calvinisten/ Flacianer [sic]«235 hielten, stattdessen die ›Frömmigkeit‹ seiner Bücher hervor.236 In der Öffentlichkeit hatte sich in Bezug auf das Schwärmertum tatsächlich eine Verhärtung vollzogen. Das Anwendungsgebiet der alchemistischen Überlegungen war sehr breit: Es betraf Religion, okkulte Wissenschaften und sogar politische Angelegenheiten, die Geheimniswahrung erforderten.237 Oswald Croll zum Beispiel, Leibarzt des Fürsten Christian von Anhalt, brachte diesem seine Ideale einer alchemistischen und spirituellen Reform nahe.238 Kein Wunder, dass die spirituelle Alchemie auf heftige Einwände stoß. Diese waren zunächst theologischer Natur. Bereits im Jahre 1569 hatte in Basel der paracelsische Arzt Gerhard Dorn (ca. 1530–1584) die paracelsische Handschrift Philosophia magna ins Lateinische übersetzt und ihr dadurch zu einer gelehrten internationalen Rezeption verholfen. Diese Sammlung, darin insbesondere der Traktat De sanguine ultra mortem liber, wurde sofort von Thomas Erastus widerlegt. Der calvinistische Theologe warf Paracelsus und seinen Adepten vor, durch sogenannte ›natürliche‹ Ursachen Auswirkungen zu erklären, die in den Bereich des Wunders fielen, und der Natur ausschließlich leibliche Prinzipien zuzuschreiben.239 Bald bestritten die Theologen die Anwendung der ›natürlichen Magie‹ (magia naturalis) in 235
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Paul Egard: Ehrenrettung Johannes Arndten … Lueneburg: Johan und Heinrich Sternen. 1624, S. 24. Dazu vgl. Richard Van Dülmen: Schwärmer und Separatisten in Nürnberg (1618– 1648): Ein Beitrag zum Problem des ›Weigelianismus‹. In: Archiv für Kulturgeschichte 55/1 (1973), S. 107–137; Hans Schneider: Johann Arndt als Paracelsist. In: Neue Beiträge zur Paracelsus-Forschung. Hgg. von Peter Dilg, Hartmut Rudolph. Stuttgart 1995 (Hohenheimer Protokolle 47), S. 89–110; Wolfgang Sommer: Das Wahre Christentum in Franken. Zur Wirkungsgeschichte Johann Arndts in Ansbach und im Nürnberger Land. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 70 (2001), S. 106–118. Berndt Hamm stellte fest: »Der bedeutendte Erbauungschriftsteller des Luthertums, ja sein meistgelesener Theologe überhaupt, vertritt keine lutherische Theologie«. Berndt Hamm: Johann Arndts Wortverständnis. Ein Beitrag zu den Anfängen des Pietismus. In: Pietismus und Neuzeit 8 (1982), S. 43–73, hier S. 72–73. Vgl. Selenus Gustavus [Pseud. für August II., Herzog von Braunschweig und Lüneburg]: Cryptomenytices et cryptographiae libri IX, in quibus … Steganographiae a Joanne Trithemio … conscriptae enodatio traditur. Lunaeburgi. J. et H. Fratrum der Sternem. 1624, S. 7. Zitiert nach: Greiner (1994), S. 65. Vgl. Frances A. Yates: Aufklärung im Zeichen des Rosenkreuzes. Stuttgart 1975 (Edition Alpha), S. 60–63. Christian von Anhalt organisierte die Bewegung zugunsten der Wahl Friedrichs von der Pfalz zum böhmischen König. Thomas Erastus: Disputationum de Medicina nova Philippi Paracelsi Pars secunda. Basileae: Perna. 1572. In diesem Absatz folge ich Didier Kahn: Une recette alchimique au XVIIe siècle pour convertir le pain en chair et en sang. In: Révolution scientifique et libertinage. Hg. von Alain Mothu. Bruxelles 2000 (De diversis articus), S. 177–191.
251 den paracelsischen Schriften. Als mehrere Abhandlungen, insbesondere die berühmteste, die Basilica des Oswald Croll nämlich, die spiritualistische Alchemie zum Programm machten, wurde die Alchemie selbst angeprangert – dies umso mehr, da seit der paracelsischen Gleichsetzung der Alchemie und Medizin, die Alchemie eine gehobene Stellung im Wisssensystem beanspruchte.240 Zahlreiche Jesuiten,241 nicht zuletzt Martin Delrío, aber auch Lutheraner, wie der Alchemist Andreas Libavius (ca. 1555–1616), sahen im Paracelsismus bald eine materielle Behandlung übernatürlicher Themen, bald eine alchemistische Verwechslung von Wissenschaft und Religion, bald eine teuflische Magie. Darüber hinaus wurde die spirituelle Alchemie als okkulte Wissenschaft par excellence zunehmend von Hofmedizinern242 , gar am Hof des Kaisers Rudolf II. gefördert.243 Zeitgleich mehrten sich nicht nur die alchemistichen Lektüren der Genesis im Sinne der paracelsischen Auslegung der Schöpfung als Scheidung244 und der irdischen Dinge als Zusammensetzungen aus Salz, Schwefel und Quecksilber, sondern auch die lateinischen Übersetzungen deutscher Schriften und mittelalterlicher Traktate, die die Alchemie und die Bibel ständig assoziierten. Die religiöse Skepsis berühmter paracelsischer Mediziner wie zum Beispiel Joseph Duchesnes’ (Quercetanus’) bezüglich der Auferstehung sowie die Edition zahlreicher alchemisticher Werke in Rosenkreuzer-Milieus nährten den Verdacht einer subversiven Verbindung von Alchemie bzw. der okkulten Wissenschaften mit der Schwärmerei, die die Grundlagen der akademischen Einteilung der Wissenschaften untergrub. Auf dem Höhepunkt der Polemik galt die Suche nach Selbsterkenntnis als Synonym für Magie, Kabbale, Lehre der zwei lumina (Natur- und Gnadenlicht), Träume bzw. Visionen und heterodoxe Schwärmerei, kurzum: Fanatismus. So noch in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts in Ehregott Daniel Colbergs Streitschrift gegen das Platonisch-Hermetische Christenthum: 240
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Vgl. dazu Jean-Marc Mandosio: La place de l’Alchémie dans les classifications des sciences et des arts à la Renaissance. In: Alchimie et philosophie à la Renaissance. Hgg. von Claude Margolin, Sylvain Matton. Paris 1993, S. 11–41; Ders.: Quelques aspects de l’Alchimie dans les classifications des sciences et des arts au XVIIe siècle. In: Aspects de la tradition alchimique au XVIIe siècle. Hg. von Frank Greiner. Paris/ Milan 1998 (Textes et travaux de Chrysopoeia 4) S. 19–61. Vgl. dazu Sylvain Matton: Les Théologiens de la Compagnie de Jésus et l’Alchémie. In: Aspects de la tradition alchimique au XVIIe siècle, S. 383–501. Vgl. dazu Hugh Trevor-Roper: The Court Physician and Paracelsianism. In: Medicine at the Courts of Europe, 1500–1837. Hg. von Vivian Nutton. London/New York 1990 (The Wellcome Institute Series in the History of Medicine), S. 79–94; Bruce T. Moran: Prince-practitioning and the Direction of Medical Roles at the German Court: Maurice of Hesse-Kassel and his physicians. In: Ebd., S. 95–116. Zum Umkreis Rudolphs II., vgl. Robert Evans: Rudolf II and his World. A Study in Intellectual History, 1576–1612. Oxford 1973, S. 196–274. Vgl. dazu Didier Kahn: Paracelsisme et Alchimie en France à la fin de la Renaissance (1567–1625). Paris 1998 (Diss.).
252 Daraus ersehen wir alsobald/ daß durch die Magia muesse eine Erkaentniß goettlicher und natuerlicher Dinge aus dem Buch der Natur verstanden werden/ gleich wie durch die Cabala eine Wissenschaft goettlicher und natuerlicher Sachen/ aus der inwendigen Offenbahrung bedeutet wird. […] Ob nun gleich die Schwarmgeister diese beyden Principia, Cabalam und Magiam, oder die Erkaentnueß sein selbst/ und das Buch der Natur/ die inwendige und auswendige Offenbahrung/ eintzig und allen [an]erkennen/ so setzen sie doch zum Schein die heil. Schrifft hinzu/ damit sie von den Unwissenden dennoch fuer gute Christen moechten angesehen werden/ wiewohl sie nicht das geringste/ so in de heiligen Schrifft geschrieben stehet/ glaeuben/ sondern alles mystice und anagogice erklaehren245
Denn nicht nur einige Anhänger der Kabbala,246 sondern auch Mediziner hatten das ›Gewissen‹, d. h. die Geistunmittelbarkeit zur Quelle der wahren Erkenntnis erklärt.247 Die ›Heterodoxen‹ vertraten dementsprechend eine enzyklopädische Auffassung der Wissenschaft. Schaw/ liber Christ/ dieses ist und heyst Pansophia Rhodostaurotica, dieses ist deß Menschens hoechste Perfection in dieser Welt/ darinnen (wie gemelt) alle Schaetz/ Reichthumb/ und Geschicklichkeit verborgen/ ausser welchen nichts/ one welches nichts auff dem gantzen Erdboden/ alle Theologische Geschickligkeit/ alle Juristische Gerechtigkeit/ alle Medicinische Heylsamkeit/ alle Mathematische Subtiligkeit/ alle Ethische/ Politische/ Oeconomische Practick alle Metaphysische/ Logische/ Rhetorische/ Grammaticalische Spitzfindigkeit/ In Summa alles das/ so der Mensch reden und gedencken mag/ ist hierinnen begriffen …248
Um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts erhielten diese Entwicklungen eine neue politische Stringenz. Kaiser Rudolf II. selbst hatte im Jahre 1610 die Idee einer Societas pacis der Könige, Fürsten und Regenten vorgeschlagen, um die Gewissensfreiheit zu gewährleisten, ein in Anbetracht des Zögerns zahlreicher Protestanten vergebliches Ansinnen. Darüber hinaus hatte der Kaiser an seinem Prager Hof ohne Ansehen ihrer Konfessionszugehörigkeit Astrologen und Adepten der okkulten Wissenschaften, darunter auch den mit den Rosenkreuzern verbunden Alchemisten Oswald Croll, versammelt. Das Vorhaben einer Re245
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Ehregott Daniel Colberg: Das Platonisch-Hermetische Christenthum, begreiffend Die Historische Erzehlung vom Ursprung und vielerley Secten der heutigen Fanatischen Theologie, Unterm Namen der Paracelsisten, Weigelianer, Rosencreutzer, Quäcker, Böhmisten, Wiedertäuffer, Bourignisten, Labadisten, und Quietisten. Bd. 1. Leipzig: Gleditsch/Weidmann. 1710, S. 153, 168. Dies bis weit ins 17. Jahrhundert hinein. Vgl. beispielsweise Julius Sperber: Isagoge, das ist: Einleitung. Übersetzt von Friedrich Roth-Scholtz. In: Deutsches Theatrum chemicum, auf welchem der berühmtesten Philosophen und Alchymisten Schrifften, die von dem Stein der Weisen … handelen, welche bißhero entweder niemahls gedruckt, oder doch sonsten sehr rar worden sind, vorgestellet werden. Hg. von Friedrich RothScholtz. Bd. 2. Nürnberg. Felßecker. [1730], S. 158–161. Die erste lateinische Ausgabe erschien im Jahre 1674. So der Arzt Daniel Mögling, wie er von Richard van Dülmen: Daniel Mögling, ›Pansoph‹ und Rosenkreuzer. In: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 72 (1972), S. 43–70, hier 50–51 zitiert wurde. Daniel Mögling: Speculum Sophicum, cap. 3. Zitiert nach: van Dülmen (1972), S. 67.
253 form der Wissenschaften und des Menschen im Dienste des Irenismus wurde in Prag wie auch in Breslau von Gelehrten gefördert, die von den okkulten Wissenschaften, der paracelsischen Medizin, der astrologischen ars memoriae von Raimundus Lullus und der Alchemie fasziniert waren.249 Jenseits der Verwandlung der Metalle sehnten sie sich nach einer Umwandlung der Seele, entweder mittels ›geistlicher Übungen‹ oder über eine Regeneration nach dem Muster der Alchemie, oder aber mit Hilfe einer astrologischen ars memoriae, die den gesamten Kosmos veranschaulichen und mithin eine Art Urreligion wiederbeleben sollte. Die zu Lebzeiten Rudolfs II. geknüpften Beziehungen verstärkten sich noch nach dessen Tode, als die Hofgelehrten sich wegen der Rekatholisierungspolitik von Matthias und später Ferdinand zunächst in Kassel, dann in Gießen und schließlich in Marburg ansiedelten.250 So wurden die Projekte einer allgemeinen Reform auch dorthin mitgenommen. In der politisch-konfessionellen Verhärtung am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges wurden die paracelsische Medizin, die Alchemie und die Schwärmerei miteinander verquickt und mit Häresie assoziiert. Während des Dreißigjährigen Krieges koppelten sich die Diskurse über den Frieden und über die Reform der Wissenschaften voneinander ab. 4.2.2
Vision, Gewissen und Erkenntnis während des Dreißigjährigen Krieges
Während des Dreißigjährigen Krieges vermehrten sich rasant Fälle von Laien, insbesondere von Lutheranern, die behaupteten, prophetische Visionen zu erhalten. Die massive Ausübung kollektiver Gewalt, vor allem die Wahrnehmung der Verwüstung des Landes hatten die Suche nach einem Deus absconditus gefördert. Der böhmische Bruder Jan Amos Komensk´y (Comenius, 1592–1670) begründete die Niederschrift seines Traktats über den »Weg des Lichtes« (Via lucis) mit den Verwüstungen des Dreißigjährigens Krieges und seiner hiervon ausgelösten Suche nach dem Trost Gottes.251 Visionen gab es auch unter den letzten verstreuten Anhängern der protestantischen Bewegungen zugunsten einer ›allgemeinen Reformation‹. Als Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz die böhmische Krone annahm, konnte er sich das Zusammentreffen zweier – eines pfälzisch-intellektuellen252 und eines böhmisch-hussitischen – Millenarismen zunutze machen. Er wurde als ›Löwe 249 250 251
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Vgl. Evans, S. 196–274. Vgl. Hotson, S. 54. [Widmungsschreiben an die Royal Society]. In: Johann Amos Comenius: Der Weg des Lichtes. Via Lucis. Introduction, Übersetzung und Fußnoten von Uwe Voigt. Hamburg 1997 (Philosophische Bibliothek 484), S. 3–4. Dieser Traktat wurde vermutlich in England in den Jahren 1641–1642 verfasst, jedoch erst im Jahre 1668 veröffentlicht. Dieser wurde vorwiegend von Johann Heinrich Alsted, dem Professor Comenius’ in Herborn, gefördert. Vgl. Hotson, S. 3–14.
254 aus dem Norden‹, als ›Löwe von Mitternacht‹ bezeichnet, in Anspielung auf die apokryphen biblischen Verse von 2 Esdras 3–14. Diese gehörten zu den beliebtensten Stellen der Adepten der okkulten Wissenschaften und fanden sich auch in einer Paracelsus zugeschriebenen Prophetie, die die Ankunft eines ›Löwen von Mitternacht‹ schilderte.253 Kurz nach der Schlacht am Weißen Berg machten sich Friedrichs Feinde über die Projekte von ›allgemeiner Reformation‹ und universeller Eintracht lustig. Im Zuge der Rekatholisierung Böhmens gingen zahlreiche Tschechen ins Exil. Die meisten von denen siedelten sich entweder mit ihrem König in den Vereinigten Provinzen oder im benachbarten Sachsen an, wo bereits im Jahre 1621 40000 Exulanten lebten. Um 1625 hatte ca. 20 % des böhmischen Adels das Land bereits verlassen. Die Visionen handelten entsprechend vom Reisen oder vom Exil. Die Spektakulärsten wurden von Comenius vermittelt, der sie zum Erkenntnisprinzip erhob. 4.2.2.1 Exil, Vision und Wahn im Dreißigjährigen Krieg Zwei Tage vor der Schlacht am Weißen Berg bekam der Gerber Christoph Kotter eine Vision, die mit einem tagelangen Verlust des Zeit- und Ortsbewusstseins verbunden war. Am Sonntag, dem 27. September 1620 a. st., als er sich geschäftlich nach Sagan begab, fand er sich plötzlich auf eine grüne Wiese versetzt, wo Sonne und Mond gleichzeitig in vollem Glanze strahlten. Als singende und jubelnde Knaben zu einer lieblichen Melodie tanzten, sei er so verzaubert gewesen, dass er die Welt vergessen habe. Als er aufwachte, habe er sich erst dienstags, ohne Durst und Hunger zu verspüren, auf dem Starkenacker bei Sprottau, zwei Meilen von Sagan wiedergefunden. Während er »den Gebrauch der Sinne empfing«, sah er neben sich einen Geist stehen, der ihm befahl, nach Hause zurückzukehren und Gott für den Schutz der Engel zu danken. In den folgenden Wochen erfuhr er mehrere Visionen über den König und die Kirche von Böhmen, die er seiner kirchlichen Obrigkeit unterbreitete. Am 1. Dezember 1620 unterzog ihn der Pfarrer von Sprottau, Abraham Menzel, einem strengen Examen. Kotter erklärte, dass ihm nichts derartiges jemals im Traum eingefallen sei, noch viel weniger hätte er, ein ungebildeter Mensch, sie erdichten können. Alles sei ihm im Gesichte (per visionem) gezeigt worden. Da er nicht sagen könne, ob jener Geist gut oder böse sei, bat er den Pfarrer um Belehrung, ob etwas in der Vision dem Wort Gottes zuwider sei oder nicht.254 253 254
Ebd., S. 197. Christoph Kotter. In: Amos Comenius: Lux in tenebris, Hoc est Prophetiæ Donum qvô Deus Ecclesiam Evangelicam (in Regno Bohemiæ & incorporatis Provinciis) sub tempus horrendæ ejus pro Evangelio perseqvutionis … Appendix III, Narratiunculam continens Carcerum, Exilii, mortisque Christophori Cotteri: & qvibus miraculis Deus veritatem operis sui in servo suo demonstrare dignatus fuerit, S. 166–171. Vision vom 27. September 1620, in: Ebd., c. III, 1–4 und c. IV, 3–5, S. 6–7, 9. Vgl. dazu Benz (1969), S. 300–302.
255 Die moderate kirchliche Warnung hinderte ihn nicht, weitere Visionen zu erhalten. Jedoch wurde er nun misstrauischer und begann, sie systematisch zu prüfen. Am 9. Januar 1621 erschien ihm auf dem Weg nach Sagan ein Knabe von sechs bis sieben Jahren in einem weiß-, blau- und feuerfarbenen Gewand, vor dem er erschrak. Er betete zu Christus, er möge ihn von diesem Geist befreien, falls er ein Gespenst oder Blendwerk des Teufels sei – falls es ein Werk Gottes sei, möge er ihn dies erkennen lassen und sein Gewissen beruhigen. Dann habe er plötzlich in seinem Herzen eine derartige Freude verspürt, dass er sie nicht mit Worten auszudrücken vermochte. Der Knabe habe ihm gesagt, dass er ihn zu Gott führen werde. Denn er sei von Gott gesandt als einer von sieben Engeln, die vor dem Angesicht Gottes ständen.255 Kotter hatte also in seiner Vision selbst ihre göttliche Übereinstimmung geprüft. Die Visionen des Dreißigjährigen Krieges waren alle von ähnlichen Zweifeln und Prüfungen innerhalb des visionären Ablaufs geprägt. Parallel dazu forderten Theologen die systematische medizinische Untersuchung der physischen Begleiterscheinungen. Gegen den Verdacht, er sei ein Schwärmer, veröffentlichte der alte Comenius (er betonte sein Alter, indem er mit »Comenius, der Greise« unterzeichnete) diese Visionen erst im Jahre 1668, in Amsterdam und in lateinischer Sprache, um sich vor der konfessionellen Kontroverse und der Angriffe bezüglich anti-habsburgischer Akzente zu schützen.256 Nach der ersten Mahnung durch Abraham Menzel hatte Kotter seine Visionen für eine Weile verschwiegen, doch nach einiger Zeit schrieb er sie nieder. Als Comenius sie entdeckte, las er sie in einem Zug, übersetzte sie ins Tschechische und fügte einen kurzen Kommentar ein, wonach die Zeit der Offenbarung mit der Etablierung der christlichen Kirche im 6. Jahrhundert nicht völlig abgeschlossen sei und einige neuen Prophetien sich als göttlich erweisen könnten. In Brandenburg befindlich, wo der Hofprediger seinen Irenismus schätzte, trug ihm der dortige Kurfürst auf, ihm eine gedruckte bebilderte Fassung vorzulegen. Er hoffte, dass solche Prophetien Friedrich V. davon überzeugen könnten, nach Böhmen zurückzukehren. Obwohl der göttliche Charakter seiner Offenbarungen umstritten blieb, wurde Kotter im Jahre 1626 in die Böhmische Brudergemeinde aufgenom-
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Ebd., 9. Januar 1621, c. V, 2–6, S. 10. Kotters Träume und Visionen erstreckten sich von 1619 bis 1624, Christinas von 1627 bis 1629 und Drabicius’ von 1638 bis 1655. Kotters Offenbarungen sind mit emblematischen Kupferstichen versehen. Eine präzise Untersuchung dieser Bilder kann leider in dieser Arbeit nicht unternommen werden. Zur Überlieferung der Visionen Drabicius’, vgl. den interessanten Aufsatz von Kintzinger, Marion: Trösten, hoffen, rächen. Traumdiskurse im Alltag. Träume und Offenbarungen des Nicolaus Drabicius und ihre Verbreitung durch Johann Amos Comenius. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 285–306.
256 men.257 Die politische anti-kaiserliche Dimension seiner Visionen wurde immer deutlicher.258 Weitere spektakuläre Fälle traten von da an in Comenius’ Umgebung auf. Julian Poniatowski, ein gebürtiger Pole von adeliger Abstammung, ursprünglich Mönch, der zunächst konvertiert und dann protestantischer Pfarrer geworden war, war wegen der Rekatholisierung Polens nach Böhmen ˇ ausgewandert. Dort wurde er von Paul von Zerotín zum Bibliothekar ernannt. Er übergab seine Tochter Christina (1610–1644) der Baronesse von ˇ Zerotín zur Erziehung. Einen Monat nach ihrer Ankunft im Oktober 1627 in der von dem Zustrom tschechischer Exulanten überfüllten Stadt Leszno traten bei der sechzehnjährigen Christina Ekstasen, Visionen und Offenbarungen auf. Diese wurden von den Geistlichen aufgeschrieben, die sich auf Wunsch der Baronesse ständig bei Christina aufhalten mussten, »aus Angst, dass ein teuflischer Druck bei jenen Sachen dabei sein könnte«.259 Comenius’ Mitteilungen basierten jedoch nicht auf den Aufzeichnungen der Geistlichen, sondern, so versicherte er, auf Christinas eigenhändigen, in tschechischer Sprache und in der Ich-Person verfassten Niederschriften, die er ins Lateinische übersetzte, »ohne auch nur ein Tüpfelchen zu ändern, wegzulassen oder hinzufügen«.260 Die Aufzeichnungen Christinas konnten jedoch erst nach der Zustimmung ihres Vaters gedruckt werden. Dieser hatte sich bereits gegen die Prophetien Kotters gewandt und deren böhmische Übersetzung mit einer Einleitung versehen, in der er die Möglichkeit neuer Offenbarungen nach Abschluss des neutestamentlichen Kanons vehement bestritt. Nachdem er elf Tage lang die Ekstasen seiner Tochter (insgesamt sechs in dieser Zeit) beobachtet und festgestellt hatte, dass sie währenddessen ohne Atem, ohne Bewegung der Augenwimpern, ohne jegliche äußerliche Sinneswahrnehmung blieb und nichtsdestotrotz ihre Prophetien aussprach, und nachdem er auch einen Briefwechsel mit seiner Tochter über ihre Visionen geführt hatte, war er schließlich von ihrem übernatürlichen 257
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Vgl. dazu Milada Blekastad: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komensk´y. Oslo/Prag 1969 (Norges almenvitenskapelige forskningsråd), S. 123–127, 132. Am 25. August 1622 beispielsweise sah Kotter in einer Vision den Angriff eines »weißen Löwens« gegen einen »herrlichen Adler von großer Gestalt«. Der Adler sterbe an seinen Wunden und der Löwe erobere das Land. Ein roter Löwe werde dann »den Liebhabern des Evangeliums zu Hilfe kommen«. Zu dieser Vision vgl. Wilhelm SchmidtBiggemann: Apokalypse und Millenarismus im Dreißigjährigen Krieg. In: 1648. Krieg und Frieden in Europa. Hgg. von Heinz Schilling, Klaus Bußmann. München 1998, Bd. 1, S. 259–263. »… metu, de qvid ludificationis diabolicæ essent actiones istæ«, Revelationes Christinæ Poniatoviæ factæ Annis 1627, 1628, 1629. Fideliter ex proprio Virginis manuscripto Bohemico in Latinum translatæ, Revelationum occasio & initium. In: Comenius (1657), S. 3. »… eâ fid qvâ debemus (non apice uno mutatô, demtô vel additô) transferemus«, Ebd., S. 3.
257 Charakter überzeugt. Er verfasste einen Traktat, den er handschriftlich Comenius vorlegte, in dem er aus der physischen Verfassung Christinas während der Ekstasen eine teuflische Einwirkung sowie eine Folge einer starken Imagination ausschloss. Er hielt sie also für göttlichen Charakters.261 In ihren Trancen sah Christina die aktuellen religiösen Verfolgungen und den zukünftigen Frieden. Wie Kotter war sie sich des Unterschieds zwischen einem Traum und einer Vision bewusst. Ihre Träume enthielten nämlich politische Ansichten. Am Anfang träumte sie. Am 29. November 1627 fiel sie wegen ihres strengen Fastens um die Mittagszeit in den Schlaf. Im Traum sah sie die Gestalt des »Alten der Tage« (Dan. 7:9), der ihr wiederum am 3. Dezember erschien und kundtat, er würde sie rufen und ihr vieles zeigen.262 Vier Tage später kam der »Alte« (senex) wieder im Traum vor und fragte sie, ob sie ihn »über alles, aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüt und aus allen [ihren] Kräften« liebe, worauf sie erneut mit einem biblischen Spruch (»Herr, du weißt es«, Joh. 4:15) antwortete. Von Freude erfüllt, wachte sie auf, geriet dann in Verzückung und sah den sie rufenden »Alten« wieder. Sie sagte, sie könne wegen des ungeheuren Gewässers zwischen ihnen nicht zu ihm hinüber kommen. Er half ihr und versprach ihr die Ewigkeit und verschwand dabei, wobei sie, um zehn Uhr vormittags zu sich selbst zurückkehrte. Dieses Rettungserlebnis hatte nicht in einem vorbereitenden Traum, sondern in einer ekstatischen Vision stattgefunden. Die politisch-konfessionelle Zukunft sah sie dennoch stets in Träumen voraus. Nachdem sie öfters von Friedrich von der Pfalz geträumt hatte, sah sie am 25. Januar 1628 den General der katholischen Armeen, Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, in einem blutbefleckten Mantel auf einem Feld zunächst spazieren gehen, dann auf einer Leiter zum Himmel aufsteigen. Die Leiter brach jedoch, und er stürzte ab, weshalb die gesamte Erde erzitterte. Nach seinem Sturz lag er auf dem Boden ausgestreckt und stieß eine abscheuliche Flamme aus seinem Munde aus. Aus dem Himmel flog eine Lanze herab, die ihm das Herz durchbohrte und ihn tötete.263 Der Berichterstatter kommentiert offensichtlich retrospektiv, dass diese Vision bereits Wallensteins Ermordung auf kaiserlichen Befehl hin ankündigte.264 Da Comenius diese Visionen als Beweis der auserwählten Natur der Gemeinschaft der böhmischen Brüder sah, verbreitete er sie von seiner Pir261
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Argumenta qvibus ad credendum convincor, Revelationes Christinæ Poniatoviæ esse divinas: h.e. divinitùs patefactas. In: Ebd., S. 4. Christina Poniatovia, Revelatio V., 29. Novemb. 1627, S. 8–9; Revelatio VI., 3. Decemb. 1627, S. 9. Ebd., Revel. XX. 25. Jan. 1628, S. 39–41. Ebd., S. 41: »Factum; Anno 1634 mactatus à Cæsare tragicâ morte periit Egræ, ut notum.«
258 naer Druckerei aus. Der Hofprediger in Mecklenburg Jacob Fabricius (1593–1654), der nach der Vertreibung seines Herren, des Herzogs Bogislav XIV., durch Gustav Adolf, zum geistlichen Beichtvater und Feld-Superintendent des schwedischen Königs geworden war, betonte ebenfalls den göttlichen Charakter von Christinas Visionen. Er veröffentlichte anonym einen Traktat, in dem er anhand dreier visionärer Mädchen, Christina Poniatowski, Margarita Heidewetter und Benigna König die Möglichkeit aktueller göttlicher Prophetien verteidigte. Dabei bezog er sich auf den damals beliebtesten täuferischen Spruch, Joel 3:1–2: »Nach diesem wil ich meinen Geist außgiessen uber alles Fleisch/ und ewre Soehne und Toechter sollen weissagen/ ewre Eltesten solle Traeume haben/ und ewre Juengling sollen Gesichte sehen. Auch wil ich […] Maegde/ meinen Geist außgiessen …«265 Diese Flugschrift sammelte die öffentlichen Entzückungen dreier Frauen zwischen 1627 und 1629, die politische Aussagen über Böhmen, Sachsen und Pommern, und biblische Paraphrasen. Gemeinsam teilten sie die Überzeugung von einer direkten göttlichen Erleuchtung im Herzen266 (dem sittlichen Organ) und von der Verbindung zwischen der konfessionellen Verfolgung – dabei scheuten sie nicht vor Polemik gegen den Katholizismus zurück267 – und der Erfahrung eigener göttlicher Wunder.268 Wie im Falle Christina Poniatowskis waren die Visionsberichte der zwei anderen Mädchen, Margareta Heidewetter aus Cottbus und Benigna König aus Stettin, auch mit medizinischen Gutachten versehen. Die Schilderung der Visionen 265
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[Jacobus Fabricius]: Goettliches Wunder-Buch … o. J. 1629. Zu Fabricius, vgl. Zedler. Bd. 9. 1735, Sp. 43. Zu seiner Verteidigung des Krieges gegen den Kaiser, vgl. Robert von Friedeburg: Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530–1669. Berlin 1999 (Schriften zur europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 27), S. 94–95; Holger Berg: The limited political relevance of dreams in two Lutheran realms. Observations from Scandinavia in the 17th and 18th centuries. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 343–372, hier 358–359. »Sihe mein Hertz ist so stille. Es muß ja schlaffen/ es ist muede und stille. Was meinstu wol fuer ein Hertz? Es ist nicht nur ein fleischern Stuecke/ es ist wie ein Stueck Gott/ ists nicht war? […] Mein Hertz ist eine kleine Bibel/ darin schreibet der H. Geist sein Wort/ ich wils der Gemeine auffschlagen/ die sol Trost darauß haben. Es ist nicht allein die Bibel/ sondern auch ein Brunn/ daraus wird ein Stroemlein fliessen/ das viel Leut erquicken moege …«, [Fabricius] (1629), Fol. N iv r°, O iv r°-v°. »Nun komm der Seelenhunger herbey/ damit manche Seele schon ist weggenommen/ durch die verfuehrischen Papisten/ welche suesse Wort haben/ und geben sie fei[n] starck. […] Ich habe mir offt verwundert uber die Catholischen oder Papisten/ wie sie doch so naerrisch seyn/ daß sie da ein Bildichen hinsetzen/ als die Maria/ und betens an. Das ist eben so naerrisch/ als die Babylonier dem Bel Speise brachten und gaben: Und war doch nur Thon und Erden.« Ebd., Fol. T iij r°, Z iv r°. Das Motto der Offenbarungen Benigna Königs lautete: »Ob es nicht ist ein Wunderzeichen/ so ist es doch ein Wunderwerck/ und ein groß Wunderwerck/ daß ein Mensch so seinen starcken richtigen Glauben soll haben. Darumb ruehmet und lobet Christus also mit des Hauptmans Glauben/ als sey es Wunder uber Wunder/ Matth. 8.« Ebd., Fol. M r°.
259 Margareta Heidewetters begann mit dem Vermerk, sie habe »etwas selzsames«, »welches etlichmal in eine Kranckheit/ die anfaenglich das Ansehen gehabt/ als were es der schwere Gebrechen/ Endlich aber von den meisten nur fuer eine Entzueckunge gehalten worden/ gefallen/ und allerhand weitaußsehende Wort/ theils in/ theils post paroxysmum geredet.«269 Sie beschrieben Margareta Heidewetters, dann Benigna Königs Anfälle Tag für Tag wie ein medizinisches Tagebuch. Ihre Schilderung sollte beweisen, dass solche Attacken weder natürlich (eine physiologische Krankheit »gleich einem Epileptico«270) noch teuflisch (da Margaretas Aussagen eine Paraphrase der Bibel bildeten) seien. Um die Hypothese einer Krankheit auszuschließen, bezog sich der Berichterstatter von Benignas Entzückungen auf die berühmtesten zeitgenössischen Mediziner: In Betrachtung dieser und dergleichen mehr Umbstaende/ kan ich meines theils/ nicht anders schliessen/ als daß dieser ungewoehnliche wunderbare Affectus eine Ecstasis oder Entzueckung sey gewesen/ laut der Definition, welche der Weyland fuertreffliche Theologiæ Doctor & Professor auff der Universitet zu Wittenberg/ Dn. David Rungius p. m. in Disputatione 13. super 2. Epist. ad Corinth. Thesi 14. setzet/ da er also schreibet: Ecstasis est, in qua sensus corporei, abstracti à rebus externis, intra se revocantur, ut oculi externa objecta non videant, neq[ue] aures externos senos audiant, sed mens liberata isto corporeo servitio, rota in oblatis visionibus contemplandis occupatur. Das ist auff Teutsch so viel gesagt: Eine Entzueckung ist oder geschicht/ wenn die leiblichen Sinne des Menschen von eusserlichen Sachen unnd Wercken abgewendet/ dagegen aber zu innerlichen Gedancken gerichtet werden/ also zwar/ daß die Augen nicht sehen/ was eusserlich vor ihnen schwebet/ und die Ohren keinen eusserlichen Schall vernehmen: Sondern das Gemueth ist erfreyet von solchem Dienst des Leibes/ und machet sich nur geschaefftig/ mit Beschawung oder Betrachtung der ihm vorgezeigten Gesichte. […] Von der Melancholey schreibet der hochberuembte Medicus D. Daniel Sennertus Lib. 2. Institut. Par. 3. sect. I. cap. 7. quod si delirium, cum timore & tristitia. Das ist/ Es sey die Melancholey ein Wahnwitz der Menschen/ dabey sich Furcht unnd Trawrigkeit pflegt ereignen.271
Um die übernatürliche Dimension der Visionen zu beweisen, hatte sich der Theologe die medizinischen Untersuchungen zu eigen gemacht. Als in den folgenden Jahren die Zahl der Visionäre zunahm, löste Fabricius’ Behauptung aktueller göttlicher Träume und Visionen einen theologischen Streit aus. Im Jahre 1636 veröffentlichte der Lübecker Prediger Jacob Stolterfoht eine Consideratio Visionum. Oder Gruendliches Bedencken/ Was von Gesichten heutiges Tages zu halten sey,272 in der er nicht die Notwendigkeit einer medizinischen Diagnose, sondern die Relevanz göttlicher Offenbarungen bei Bauern und Mädchen bestritt. »Und moechte also dieses vielmehr auff Lehrer unnd Prediger/ als welche in der Schrifft auch Propheten
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Ebd., Fol. H iv v°. Ebd., Fol. J r°. Ebd., Fol. M iij r°-v°. Stolterfoht (1636). Zu Stolterfoht, vgl. Zedler. Bd. 40. 1744, Sp. 390–391.
260 heissen/ dann auff Bawren/ Maegde/ und dergleichen/ heut zu Tag gezogen werden«.273 Mit der Verherrlichung der Lehrer und Prediger gab sich Stolterfoht als Verteidiger der ›Orthodoxie‹ zu erkennen. Folglich entfaltete er eine kontinuierliche Ableitung von Thomas Müntzer zu den »newen Schwermer« über Karlstadt, Johann von Leiden, Zwingli, Caspar Schwenckfeld, Valentin Weigel, Paul Nagel, Paul Felgenhauer und »andere(r) Rosencreutzer«.274 Er leugnete die aktuellen Prophetien allerdings nicht kategorisch. Er bestritt nicht die Möglichkeit derartiger inspirierter ›Gesichter‹, sondern äußerte folgende vorsichtige Meinung: »Nun verbindet uns GOttes Wort in diesen Stuecken nicht/ den Gesichtern zu glauben«.275 Nicht alle Träume waren also zu verwerfen, und nicht alle Visionäre waren verdammenswert: Wir wollen aber die jenigen Leute/ welchen etwan solche Gesichter unnd Offenbarungen moegen geschehen seyn/ unnd sie aus Einfalt/ und Unverstand dieselben annemen/ nicht eben fuer Enthusiasten/ Ketzer/ Schwermer unnd dergleichen außschreyen; sondern lassen sie gern/ dafuer sie gehalten werden/ fuer Christliche/ fromme Leute passiren.276
Sowohl bei den Schwärmern und ihren Verteidigern als auch bei den ›Orthodoxen‹ war die tröstende Frömmigkeit zur wesentlichen christlichen Tugend geworden. Die Schwierigkeit, eine scharfe Trennlinie zwischen Schwärmern und Orthodoxen zu ziehen, wird durch die Beweisführung Stolterfohts veranschaulicht. Um der vagen Kategorie der Schwärmer scharfe Umrisse zu verleihen, entwarf er eine Typologie der »newen Propheten« nach ihren jeweiligen Ursachen, je nach deren Ursprung (»Gesichter juxta caussam efficientem«: 1. Visiones divinæ, 2. Visiones naturales, 3. Visiones diabolicæ), nach deren Inhalt (»Gesichter juxta caussam materialem, sive objectum, & subjectum«: fröhlich bzw. traurig oder gemischt, von Kirchensachen oder von weltlichen Angelegenheiten, a priori oder a posteriori, nach dem sozialen Status der Visionären), nach deren Gestalt (»Gesichter juxta caussam formalem«: im Schlaf, im Traum, oder im Wachzustand) und nach deren Zweck (»juxta caussam finalem«).277 Dabei kritisierte Stolterfoht die Scholastik und bediente sich solcher schwärmerischer Autoren wie Agrippa von 273
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Stolterfoht (1636), S. 334. Auch: »Dann sihet man an/ die Personen/ welche die Gesichter sollen gehabt haben/ so ist dz Werck alßbald schon etwas verdaechtig/ unnd fast ungereimbt. Sintemahl man da nicht hoeret/ das solchen Personen/ die im oeffentlichen/ reinen Evangelischen Lehr unnd Predigamt sitzen/ Gesichter solten geoffenbaret seyn; sondern etwa Schulmeistern in Marcktflecken (da man wol weiß/ wie hoch sich solche Leute zum offtern verstiegen haben/) etwa Bawren/ etwa Maegden/ und dergleichen einfaeltigen Leuten/ die zum offtern von Gottes Wort wenig vergessen haben.« Ebd., S. 320–321. Ebd., S. 235–236, 286–294, 325. Ebd., S. 173–174. Ebd., S. 156–157. Ebd., S. 30–78.
261 Nettesheim.278 Er bezog sich auf die zeitgenössischen Untersuchungen zur Rolle des Exils bei der Entstehung der Melancholie279 und versuchte im Anschluss an die Hexereidebatte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu beweisen, dass die Visionären eine Imaginationsverletzung hätten, weshalb sie »Irre« seien: »Hieher gehoeren auch die gemachten imaginationes unnd Einbildungen melancholischer und unsinniger Leute/ die zum offtern sich lassen beduencken/ sie sehen sonderliche Gesichte/ es rede GOtt oder Engel mit ihnen: Welches dann seine natuerliche Ursachen hat/ aus dem melancholischen Gebluet/ dadurch die Phantasia jrre gemacht/ und die Circkel deß Gehirns verruecket werden. […] Andere in der Lufft/ die fuer den Unverstendigen scheinen/ als wann es sonderliche grosse Gesichter weren/ und haben doch ihre gewisse Ursachen in der Natur/ wie den Physicis und Naturkuendigern bekandt ist. 3. Sind Visiones Diabolicæ, teufflische Gesichter/ welche vom leidigen Satan/ und dessen List unnd Betriegligkeit herruehren.280
Die folgende Kontroverse zwischen Fabricius und Stolterfoht, während der mindestens elf Flugschriften bis zum Ende des Krieges entstanden,281 ent278 279
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Ebd., S. 30, 79–80. Ebd., S. 185: »Es sind viel hochbetruebter/ elender Leute (das Gott erbarme) aus jhre[m] Vaterland/ und von alle dem jhrigen vertrieben/ und muessen im Exilio, und Elende herumb wallen/ da ist leicht zu erachten/ und das bey solchen guten Leuten Trawrigkeit und melancholia wol zum offtern/ mehr dann zuviel/ uberhand nehme. Daraus koennen dann wol sonderliche imaginationes; und Einbildungen entstehen/ daß jhnen duencket/ als wann jhnen Engel erschienen/ mit jhnen redten/ unnd sie troesteten/ davon dann aus Einfalt/ und Unverstand hernach sonderliche Gesichter gemacht werden.« Die damaligen Mediziner erklärten, dass die Erfahrung des Exils die schwarze Galle im Gehirn beständig festhielt. Vgl. dazu Klaus Jürgen Pfannkuche: Johannes Hofers Dissertation »De Nostalgia« (1678) und die zeitgenössische Medizin. Marburg 1978 (Diss.). Ebd., S. 35–36. Er bezog sich dabei auf Thomas von Aquin: Ebd., S. 14–15. Einige Flugschriften: [Jacobus Fabricius]: Goettliches Wunder-Buch … o. O. [1630]; Johann Donner: Christlicher Kinder Catechismus. Wie solcher in den Euangelischen Kirchen und Schulen deß Ertzbist: und Churfuerstenthumbs Meintz/ auch andern angrentzenden: Und von Ihrer Koen: Maj: zu Schweden G VSTAVO A DOLPHO , Hoch: und lobseeligster Gedaechtnuß/ durch Gottes starcken Arm/ eroberten Euangelischen Orten/ mit der Jugend geuebt und getrieben wird, Auß Herrn D. Luthero und Brentio seeligen verfast und zusammen getragen. Franckfurt: Johann Friderich Weiß. 1633; Jacobus Fabricius (1642); Jacob Stolterfoht: Consideratio visionum apologetica oder schrifftmaeßiges Bedencken/ was von Gesichtern heutiges Tages zuhalten sey/ aus Liebe der Wahrheit und den Einfaeltigen zur Nachrichtung abgefasset und fuer etlichen Jahren ans Licht gegeben … o. O. 1645; Samuel Plaster: Kurtze Entdeckung und hintertreibung des Irrthumbs/ welchen M. Jacobus Stolterfoth, Prediger zu Luebeck/ in seiner Consideratione Visionum Apologeticâ, hat außgesprenget … Alten Stettin: George Goetsche. 1646; Jacob Stolterfoht: Kurtze Antwort aus die Charteqve Sam. Plasteri/ welcher den Fabricium und seine Sache zu vertheidigen uebernommen. o. O. 1646; Samuel Plaster: Gruendliche Gegen-Antwort Auff die newlich außgeflogene Antwort Damit J. Stolterfoth seinen ihm fuer Augen gestelleten irrthumb zu verkleistern sich vergeblich bearbeitet hat/ zu stewr der rechten ud unverfaelschten Warheit. Alten Stettin: Georg Goetschen. 1646; Jacob Stolterfoht: Nothwendige/ hoechstabgedrungene Wahrheit und Ehrenrettung wieder die sehr hefftige Schrifft so J. Jacob Fabricius unter folgendem Titel: Invicta visionum probatio, das ist/ wohlbefestigte Wiederlegung der nichtigen Schein-Gruende/ mit welchen ein Streitsuechtiger Sophist
262 wickelte rein theologische Argumente. Fabricius’ Haltung war verwirrend, da die lutherische Polemik gegen das Papsttum als Verkörperung des Antichrist auf einer sakralen Auffassung der Heilsgeschichte beruhte.282 Vor allem war er in der Defensive, da er sich auf diese religiöse Vorstellung der Geschichte gestützt hatte, um den Einsatz des schwedischen Königs Gustav Adolf zu rechtfertigen, gar zu verherrlichen. Fabricius und Stolterfoht reagierten auf eine politische Situation mit theologischen Argumenten. Es ging jedoch nicht nur um den subversiven Inhalt einiger ›Prophetien‹, sondern auch um die Rolle der Kopisten und der Kommunikationsstrukturen, durch die sich die Visionen vermitteln und verbreiten ließen.283 Die Konkurrenz um die Kontrolle der richtigen Interpretation der Erleuchtung führte zur Entwicklung einer schriftlichen Streitkultur zwischen den Theologen und den (manchmal auch theologisch gebildeten) Schwärmern und ihren Anhängern.284 4.2.2.2 Politik vs. Frömmigkeit, Imagination vs. Vernunft: das ›Gewissen‹ Stolterfoht warf Fabricius vor, nicht nur »die Koenigl. Schwedische Armee [zu] entschuldige[n]« und »die Bedienten der Koenigl. Schwedischen Armee auf ihn gehetzet«285 zu haben, sondern auch den Visionär Johann War-
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mein hiebevor gedrucktes Buechlein von Pruefung der Gesichter zwar bestuermet aber mit nichten ueberwunden hat … o. J. 1647; Jacobus Fabricius: Geburmessige Ablehnung Der gantz unverdienten Schmach/ Welche M: Jacobus Stolterfoth/ Prediger zu Luebeck/ in seiner sehr grewlichen Schmaehe-Charte/ unter dem ertichteten titul: Warheit- und Ehrenrettung/ wieder die Invictam Visionum Probationem, hat freventlich ausgespeyet … Alten Stettin: Georg Goetzk. 1647; Jacob Stolterfoht: Wahrheit und Ehren-Rettung anderer Theil/ darinnen auch zugleich die vornehmsten Puncten/ welche der Herr D. Fabricius in seiner letzt ausgefertigten also genannten Gebuehrmaeßigen Ablehnung wieder die offenbare Wahrheit vorgebracht, kuertzlich beruehret worden. o. O. 1648; Ders.: Nochmahlige kurtze/ jedoch gruendliche Wiederholung der Streitigkeit/ so nun etliche Jahr in der Christl. Kirchen gefuehret/ von den Neuen Gesichtern/ unmittelbar Prophecey- und Offenbahrungen/ neben oeffentlicher Protestation fuer der gantzen Christl. Kirchen/ beygefuegten Judiciis und Urtheilen vornehmer Evangelischen Theologen darueber/ auch einem ausfuehrlichen wahrhafftigen Bericht H. Paul Einhorns/ Superintendentens und Pastors zu Mietau … o. O. 1649. Wie Fabricius selbst zugab. Vgl. Jacobus Fabricius: Das ist: Christliches/ in G OTTES Wort unnd bewaehrten Schrifften reiner Theologen/ wolgegruendetes Bedencken Von Gesichtern/ Deren etliche koennen Goettliche Offenbarungen/ etliche aber Teufflische Verfuehrungen seyn … Nuernberg: Wolffgang Endters. 1642, S. 18–20. Vgl. beispielsweise folgenden Bericht über den Visionär Herman von der Hude, ein Bauern aus Lüneburg: Iohannes Wezel, Fol. A ij r°-v°. Diese entstand lange vor dem Pietismus, den Martin Gierls Dissertation behandelt. Vgl. Martin Gierl: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 129). Beide Zitate in: Fabricius (1647), S. 6–7. Als Feldprediger des schwedischen Königs hatte Fabricius Kriegsgebete verfasst: Jacob Fabricius: Etliche Gebet/ So in Koenigl. Majest. zu Schweden Kriegsheer/ neben den Palmen Davids und der Christlichen Litaney/ von den FeldPredigern gebrauchet/ und der Soldatesca fuergebettet werden. Nuernberg: Wolffgang Endter. 1632.
263 ner (1598–1669) unterstützt zu haben. Mehrere Jahre nach dem Tod des charismatischen Königs Gustav Adolf, genauer nach der Schlacht von Wittstock 1636, die die letzte, mühsame von Pestwellen und Plünderungen begleitete Kriegsphase eröffnete, hatte der Sachse Johann Warner »ueber 10. gantzer Jahr lang/ eben bey der Koenigl. Armee/ sich auffgehalten/ und ist annoch bey derselbigen verhanden: Er hat auch dieser Armee viel gutes verkuendiget/ welches ihr dann von Gott dem Allerhoechsten zum oefftern ist in der That bescheret worden«.286 In den letzten Jahren des Krieges, als die ursprüngliche Begeisterung völlig verschwunden und die Identifizierung der gegnerischen Fronten durcheinandergeraten waren, hatte Johann Warner die schwedische Armee durch eigene Visionen ermuntert. Im Jahre 1642 veröffentlichte er beispielsweise folgende Sätze: Der Teuffel war auch die erste Ursach mit seinem Geschrey/ daß Eva suendigte: Aber Eva wurde doch nichts desto weniger hefftig gestrafft von GOTT umb jhres Frevels willen/ den sie begieng wider Gott. Also sind zwar die jenigen/ welche dem Churfuerstlichen Hause haben vorgebruellet und vorgeschryen/ die Ursach/ daß das hochloebliche Hauß so einen schweren fehler hat begangen: Aber gleichwol muß dasselbige vor seine ergangene Suende auch seine eigene Schuld tragen. Gleich wie aber die Schlange/ nach dem sie bey dem Menschlichen Geschlechte den schweren Suendenfall und die Ubertrettung eingefuehret hatte/ gieng sie darvon/ und ließ sie schaemlichen und entblaeset flehn: Also ist auch das Hochloebliche Churfuerstliche Hauß nun von denen verlassen/ die es zu solchem Ubel und Unglueck gefuehret haben […]. Warumb? Darumb/ so wenig als der Teufel dem Menschlichen Geschlechte wider rathen und helffen kundte/ so wenig koennen auch diese dem Churfuerstlichen Hause wider helffen und rathen. […] Erstlich du Reich Schweden: Du bist von Gott geruffen zur Huelffe/ unnd nicht zum gaentzlichen Verderben/ wie geschiehet. Du bist von Gott geruffen/ das Evangelium zu schuetzen/ und die Kirche Jesu Christi zu retten/ und nicht zu schwaechen/ wie geschiehet. Du bist geruffen deinen Glaubens-genossen eine Huelffe und Trost zu seyn/ und solt jhnen nit ein Schmertz und Jam[m]er seyn/ wie geschiehet. Auch soltu nicht gedencken ueber Fuerstenthumbe Gewalt und Macht zu haben mehr als dir von Gott verheissen ist.287
Nach einer ersten überraschten Reaktion über diese ›erleuchtete‹ unverhoffte Hilfe, hatten die schwedischen Militärbehörden den Visionär nach Stockholm gebracht und ihn dort verhört. Sie kamen zu dem Schluss, dass Warner nicht gefährlich sei, weshalb sie ihn freiliessen. Fabricius war also zum Hauptakteur eines ›Sakralitätstranfers‹ von Friedrich V. über Gustav Adolf und schließlich zur schwedischen Armee geworden. 286 287
Fabricius (1647), S. 7. J OHAN W ERNERS auß Meissen Schwan-Gesang: Der da in sich begreifft vier Theile/ Als I. Einen nochmaligen Bericht von dem grossen Abgoettischen Babylon sampt seinen Helffers-Helffern/ und denen rechten Gliedmassen der Evangelischen Kirchen/ welche nach jhrn Wercken mit Babel huren; II. Drey unterschiedliche Vermanungen/ 1. An das Hochloebliche Hauß Oesterreich/ 2. an das Churfuerstliche Hauß Sachsen/ und 3. an das Koenigreich Schweden sampt den Conjungirien Deutschen; III. Drey sonderbare Warnungen/ 1. An die Evangelische Haupt Armee/ 2. An das Reich Schweden/ und 3. An die Deutschen Fuersten/ sampt denen Deutschen/ so dieser Cron bedienet sind; IV. Einen zwiefachen Bericht/ 1. Von der Frucht und dem Heyl der Evangelischen Christlichen Kirchen … o. O. 1642, S. 6, 9, 28.
264 Der Titel von Warners Vision, Schwan-Gesang, wurde dennoch bereits von anderen zeitgenössischen Visionären verwendet, wie der sächsische Schullehrer Georg Reichard,288 was den Verdacht einer allgemeinen Verschwörung hätte erregen können. In Bezug auf den politischen Inhalt der Visionen lässt sich jedoch eine Wende beobachten. Die späten Visionäre des Dreißigjährigen Krieges, der lutherische Tuchmacherlehrling Hans Engelbrecht289 etwa, schlugen kein politisches Ideal vor. Im Kontext heftiger Kritik an der Konfessionalisierung griffen sie katholisch konnotierte Elemente (die Reise in die Hölle, dann ins Paradies und die Betonung eigener, leiblicher Wunder)290 auf und hoben ihre eigene ›Frömmigkeit‹ hervor. Die praxis pietatis war an die Stelle der konfessionspolitischen Parteinahme getreten. Dementsprechend wurde das ›Gewissen‹ zum Streitpunkt. Die ›neuen Schwärmer‹ hielten es zunehmend für die Empfangstätte göttlicher Erleuchtungen im menschlichen Körper. Nun legten sie Wert auf die Ausübung einer eigenen discretio spirituum:
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Ebd., S. 45. Vgl. auch [Georg Reichard]: Ein Wahrhafftiges Gesicht/ und wunderliche Geschicht/ Welches mir Georgio Reicharten/ Schulmeister zu Seehausen/ benebenst einem Bawersmanne von der Heyda/ am Firmament oder an den Wolcken deß Himmels/ ist fuer unsere Augen gestellet worden … o. O. 1638; Ders.: Dieses wird genandt Der Engel-Sieg/ Wieder die jenigen/ welche die Engelischen Gesichter oder Geister (ungepruefet und ungelesen) verwerffen wollen […] Dieses habe ich George Reichard/ aus Andtrieb des Guten Geistes schreiben muessen … o. O. 1639; Ders.: Eine Schoene Vision Und Goettliche Offenbahrung von der Rechten Pruefung der Guten- und BoesenGeister/ Welche mir Georgio Reicharden Schul- unnd Kirchen-Dienern zu Roesa/ vom Engel des HErrn ist angekuendiget und geoffenbahret worden … o. O. 1639; Ders.: Eine Warhafftige Vision Oder Offenbahrung uber die Stadt und Landt Lueneburg: Welche mir Georgio Reicharten/ Schulmeistern zu Seehausen/ ein Meilweges von der Stadt Leipzig (in derselbigen) durch den G EIST oder Engel des H ERRN ist kundt gethan … Gedruckt zum Andernmahl. o. O. 1639; Ders.: Zwey warhafftige Visiones/ Gesichter und Offenbahrungen/ welche Georgio Reicharten an jtzo Schul- un[n] Kirchendienern zu Roesa 3. Meilweges von Leipzig/ durch den Geist des HErrn sind fuer Augen gestellet worden … Hall 1639; Ders.: Vierdter Theil/ Etzlicher sehr Nachdencklicher Visionen Und Offenbahrungen/ Welche Mir George Reicharten/ anjetzo Schulmeistern zu Roesa/ uff meiner Flucht in die Stad Eylenberg/ des 1637. Jahres (durch den Geist des H ERREN )/ sind kunt gethan … o. O. 1639; Ders.: Ein Erschreckliches Und Warhafftiges Gesicht/ Welches Jch George Reichard/ anjtzo Schul- und KirchenDiener zu Roesa (im Geist) gesetzen habe uber der Stadt Bremen. Darinnen zu befinden/ die Geistes Außlegung deß grossen Erschrecklichen frewrigen Camel Thiers … o. O. 1640. Ich erlaube mir, auf einen eigenen Aufsatz zu verweisen. Deshalb sind an dieser Stelle meine Ausführungen sehr knapp. Claire Gantet: Hans Engelbrecht’s (1599–1642) ›miracles‹ and the Protestant delineations of the supernatural, 16th–17th c. In: Miracles as Epistemic Things. Hg. von Fernando Vidal. The Hague 2010 [im Druck]. Daher Stolterfohts Vorwurf gegen Fabricius: »Denn seine Schrifften ueberzeugen ihn ja/ das er gantz verleumbderischer Weise mich beschueldiget habe/ ich sey ein solcher/ der den Weigelianern und Enthusiasten vorschub thue/ der mit den Papisten die Mirackel zu einem Ken[n]zeichen der Kirchen mache/ der das PredigAmpt in Verachtung bringe/ und aergernuß gebe/ etc.« Fabricius (1647), S. 32.
265 Mercke und prueffe dich mein Mensch/ was fuer Fruechte in deinem leben von inwendig bey dir heraus brechen/ und wie dein Hertz innerlich in seine gedancken unnd luesten geschaffen [Matth. 5. 15. 20–12. 34. 35. 23. 25. 26]/ Ob du ein Geistlicher oder Weltlicher seyest/ laß dich die schwaetzerey der falschen Geistlichen mit dem euesserlichen Kirchen/ Beichten und Abendmahl gehen nicht betriegen/ sondern prueffe du dich nur selbest [2. Cor. 13. 5. 6]/ ob Christus in dir wohne und lebe/ ob du im Glauben seyst/ ob du tuechtig seyest/ unnd liebe uebest/ und kehre dich nicht an jhren vermeinten unterscheidt/ daß die dich die Priester/ die Geistliche/ und dich und deines gleichen die Weltliche unnd Leyen nennen: Der Teuffel/ als der Geist der Finsternus/ hat sie solchen unterscheidt zu erlichten gelehret/ dessen geistliche sein sie/ [2. Cor. 11. 13] denn er kan sich auch zu einem Engel des Liechts verstellen/ und ist ein Geist/ warumb auch nicht seine Apostel und Diener?291
Das ›Gewissen‹ wurde also zum ›Ort‹ des Empfangs von Erleuchtung und ihrer Überprüfung. Die Argumentation der ›Anti-Enthusiasten‹ blieb gelegentlich sehr traditionell. Die Schwärmer seien Melancholiker, »wenn jhnen durch das melancholische Gebluete die Phantasia irre gemacht/ und die Circul des Gehirns verruckt werden«.292 Immer häufiger jedoch fußte sie auf der neuen 291
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Erkantnus/ Der grossen Phantasterey. Das ist/ Der WiderChristischen Verblendung derer/ so sich und andere ihres gleichen auß lauter falscher Jmagination und Phantastischer Einbildung fuer Christen/ Geistliche/ und Christi Statthalter und Mundbotten halten … o. O. 1628, Fol. B ij v° – B iij r°. Paul Walther: APPENDIX Dreyer Sonderbarer Predigten: Darinnen das Fastnachtische Verlarven und Mummerey: Die A la mode Tracht und Pracht: Wie auch die vermeinte Englische zur Busse vermahnende Gesichte und Erscheinungen betrachtet und examiniret werden … Luebeck: Valentin Schmalhertz. 1637, Fol. H ij v°. Walthers bezieht sich auf Bodins »Dæmonomania«, Fol. H iv r°. Dafür wurde Untersuchungen nach dem Inquisitionsmodell geführt. Vgl. Iohannes Wezel: Eine Christliche Predigt/ Von den heutigen Tages außgegebenen Gesichten und Offenbarungen/ Was darauff zuhalten und wie sie zu pruefen … Zell: Elias Holwein. 1633, Fol. C ij r°-v°: »Wegen der Person so Visiones anzeiget/ muß man eigentlich und genaw nachforschen. 1. Woher sie sey/ obs etwa ein Schwermergeister Winckel/ daher sie kommen/ von was Eltern sie geboren. 2. Was fuer Natur oder Complexion sie an sich habe/ ob sie melancholisch/ tieffdenckend/ mit Verstand/ Gesicht oder Gehoer wol oder ubel verwahret/ sintemahl ein solcher Mensch leicht vom Sathan verfuehret wird/ daß er jhm diß oder jenes einbildet/ das doch nichts ist/ Item/ ob er listig und spitzfuendig sey etwas zu erdencken/ oder ob er einfeltig. 3. Muß man auch nach forschen/ welcher Religion und Glaubens er sey/ jhn aus dem Catechismo und Wort Gottes examiniren, ob er nicht einem jrrigen Schwarm zugethan sey. 4. Seine Gesellschafft/ mit was Leuten er umbgehe und Freundschafft halte/ Ob dieselbe schwermerisch oder sonst gottlos und ergerlich. 5. Muß nach seinem Leben auch genaw geforschet werden/ ob er Christlich oder Unchristlich/ ob er der Zeuberey/ dem Wicken und Wahrsagen/ oder andern verbottenen Kuensten zugethan sey. 6. Man muß jhn fragen/ durch was Gelegenheit und Ursach er zu solchen Visionen kommen/ Item/ nach allen Umstaenden/ wenn/ wo und wie sie jhm begegnet. 7. Hochnoetig ists zu forschen/ ob er die außgegebene Gesichte in Warheit gesehen und gehoeret/ also/ daß es jhn nicht gedaucht/ Ob er solche Dinge nicht vorher jhm selbst mit Gedancken eingebildet/ oder ob er nicht von jemand darzu beredet und Gelt genommen/ oder ob er nicht umb Geniesses und heiligen ansegens willen solche Dinge auff die Bahn gebracht. Item ob er nicht zu solchen Dingen etwas nach seinem eigen Gutduencken hinzu oder davon gethan. 8. Ob er seine Visiones in allen und jeden Puncten und Clausulen auff sein Gewissen nehmen/ und mit einem leiblichen Eydschwur zu bekraefftigen/ jhm getrawe.«
266 Interpretation des Wahns. Eine im Jahre 1628 anonym erschienene Flugschrift stellte zwei Interpretationsraster nebeneinander. Auf der einen Seite hätten die Schwärmer »eine auffgeblasene starcke Jmagination vnd Phantastische einbildung«, auf der anderen Seite einen »irrigen und Phantastischen geiste(s)/ verstand«.293 Bereits Stolterfoht erklärte den Traum nicht länger nur als eine Folge von Hunger und Durst, d. h. als physiologischen Prozess, oder als Produkt der Imagination während des Schlafs und Ergebnis einer teuflischen Einwirkung, sondern auch als Veranschaulichung bestimmter »Gedanken«.294 Allmählich wurden die Schwärmer nicht mehr als Opfer einer Imaginationskrankheit, sondern einer Vernunftkrankheit dargestellt.295 Zwischen der Geschichte der Schwärmerei und derjenigen der Hexerei lassen sich also einige Parallelen ziehen. Denn gleichzeitig und gleichfalls im Namen der Vernunft kritisierten einige Gelehrte die Berufung der Richter auf ihr Gewissen, um Verdächtigte zu foltern: Was man zugunsten der Folter anführt, ist unhaltbar. Man beruft sich auf die Gewohneit. Aber diese Gewohnheit ist unvernünftig. Man verweist auf das römische Rechtsbuch. Aber darin stand auch die Sklaverei. […] Ein Gesetz, welches dem Naturrechte widerspricht, ist kein Gesetz. Die Vernunft sagt, man dürfe nicht strafen ohne Gewißheit der Schuld; die Folter aber straft ein Verbrechen, bevor es bewiesen ist. Das Gewissen des Richters, meint man, fordere die Folter, wo ihm die Zeugen nicht genügen. Aber wer verpflichtet ihn, zu strafen, wenn freiwilliges Geständniß oder Beweise die Schuld nicht erhärten? …296
Gegen die schwärmerische Hervorhebung der ›Frömmigkeit‹, somit des ›Gewissens‹ betonten die Anti-Schwärmer ebenfalls das Gewissen, das sie jedoch ganz anders interpretierten. Stolterfoht, der alte Gegner Fabricius’, lieferte im Jahre 1654 den ausführlichsten Traktat über das Gewissen. Dies wurde keineswegs als Mittel einer direkten Erleuchtung, sondern als »eine Regel vnd Richtschnur vnsers gantzen Lebens«297 oder als das ins menschliche Herz eingeprägte Gesetz Gottes bezeichnet. Im Gegensatz zu den individuellen Erleuchtungen bedeutete das Gewissen ein universelles und siche293
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Beide Zitate aus: Erkantnus/ Der grossen Phantasterey. Das ist/ Der WiderChristischen Verblendung derer/ so sich und andere ihres gleichen auß lauter falscher Jmagination und Phantastischer Einbildung fuer Christen/ Geistliche/ und Christi Statthalter und Mundbotten halten … o. O. 1628, Fol. B iij v°, A 3 r°. Stolterfoht (1636), S. 35. Vgl. Quaecker Quackeley/ Das ist/ Elende Lumperey/ Huemplerey/ Stuemplerey/ auch Bueberey/ welche die neuen Schwermer/ die man Quaecker nennet/ in Ihrer letzten Schartecke unter dem Titul der Alten Warheit/ an Tag gegeben. Kuertzlich entdecket und gruendlich wiederleget. Hamburg: Michael Pfeiffer. 1662, S. 18. Johann Greve: Plädoyer für die Abschaffung der Folter. Hamburg 1624. Zitiert nach: Hexen und Hexenprozesse, Nr. 208, S. 352–353. Jacob Stolterfoth: Conscientia in genere, Das ist Gruendlicher Bericht Vom Gewissen ins gemein Daß es sey; Was es sey; Warumb es sey; und wie es recht zu pruefen und zu forschen sey … Luebeck: Michael Volk, Schmalhertz Erben. 1654, Fol. b v r°.
267 res Zeugnis göttlicher Einwirkung auf den Menschen. Es gleiche einem Buch, in dem alle Handlungen des Menschen eingetragen waren. Nach dem Tode lebe das Gewissen noch bis zum Jüngsten Gericht und der Auferstehung fort, wenn es das gesamte Leben und sämtliche Gedanken des Menschen beurteilen sollte.298 Deshalb sei es wie die logische Beweisführung, der Syllogismus, aufgebaut: Damit/ daß sie beweisen/ deß Gesetzes Werck sey geschrieben in jhren Hertzen. Sintemahl jhr Gewissen sie bezeuget/ dazu auch die Gedancke[n]/ die sich vnter einander verklagen odr entschuldigen. Jn welchen Wortem dann der Apostel das Gewissen hat beschrieben fuernemblich auff zweyerley Art vnd Weise; Als 1. wie ein sonderlich Buch/ vnd dann 2. wie einen Syllogismum Practicum eine vnfehlbare Schlußrede/ die der Mensch in seinem Hertzen machen kan.299
Gewissen und Vernunft seien keine entgegengesetzten, sondern im Gegenteil komplementäre Seelenkomponenten, insofern das Gewissen eine ›gesunde Vernunft‹300 voraussetzen konnte. Folglich setzte Stolterfoht das Wort Gewissen aus »Gewißheit« und »Wissen« zusammen:301 Das gutartige Wissen könne als Gegenmittel gegen den Enthusiasmus dienen. Deshalb sei das Gewissen, diese Instanz der Wahrheit und der Sicherheit, kein rein privater Besitz. Es kennzeichne auch das »Gesetz der menschlichen Ordnung« bzw. »die Anordnung der lieben Obrigkeit«.302 Stolterfoht begründete die Niederschrift seines Traktates durch die Gefahr einer autonomen, nicht auf dem Gewissen beruhenden höfischen Kultur.303 4.2.3
Das Helldunkel der Erkenntnis
Bevor die Höflinge eine eigene Vorstellung der Selbsterkenntnis entwickelten, hatten einige Schwärmer-Anhänger diese längst thematisiert. Ihre ausführlichste Analyse stammte von Comenius, der, wie oben schon ausgeführt, seinen um 1640–1641 verfassten Traktat über den Weg des Lichts mit den Verwüstungen seines Vaterlands, Böhmens, während des Dreißigjährigen Krieges begründete. Comenius teilte die Besorgnis seiner Zeitgenossen, vor allem der ›AntiSchwärmer‹, richtige Kriterien zur Unterscheidung der göttlichen und der fingierten Träume bzw. Visionen erarbeiten zu können. Bei Comenius erstreckte sich dieses Bemühen allerdings auch auf die Naturforschung und die Erkenntnis:
298 299 300 301 302 303
Ebd., S. 388–389. Ebd., S. 319–320. Ebd., S. 397–401. Ebd., S. 109–110. Zitate in: Ebd., S. 392, 403. Ebd., S. 52–53.
268 Angesichts einer so großen Vielzahl von Gegenständen reicht die Lebenszeit und der Fleiß keines einzigen Menschen dafür aus, alles zu bewältigen. Auch bietet sich die vollständige Menge all dieser Gegenstände nirgends an einem einzigen Ort dar; gewisse Versuche können nur langsam, im Verlauf von Jahren und Jahrhunderten voranschreiten (wie in der Chemie und in der Astronomie). Aus diesen Gründen benötigten wir unbedingt eine induktive Wiedergabe, durch eine zuverlässige Sammlung all dessen vor Augen gestellt wird, was ja genau beobachtet und auf unfehlbar Weise als wahr erkannt worden ist. Dadurch lassen sich dann die Einzelfälle hinlänglich überprüfen und untereinander vergleichen, was dazu führen wird, daß die universalen Naturgesetze selbst bekannt werden. Doch haben wir eine derartige induktive Geschichte, außer bei den Astronomen, fast nirgends. Deswegen wird die Erforschung der Natur von vielen Unebenheiten behindert. Es bleibe also dabei, daß wir in Fragen der Naturforschung fürderhin nicht so verfahren dürfen, daß wir allen möglichen Aufzeichnungen oder jedem Traum Glauben schenken. Vielmehr sollen wir darauf hinarbeiten, daß alles erst durch hinlängliche Experimente festgestellt wird. Von diesen her wird es möglich, daß wir ein wahres Urteil über die Dinge bilden; andernfalls würden wir ständig betört werden wollen und andere betören (indem wir eben das, was wir aus der Überlieferung übernommen haben, auf die gleiche Weise an andere weiterüberliefern).304
Über die Problematik des inspirierten Traums hinaus war die discretio spirituum zum wissenschaftlichen Prinzip geworden und diente zur Rechtfertigung des zeitgleich debattierten Status des Experiments in der Wissenschaft.305 Mittels einer Kombination chiliastischer Hoffnungen und augustinisch geprägter ›Gelassenheit‹ einerseits, baconianischer Quantifizierungsbemühungen und rosenkreuzerischem Ganzheitsdenken306 andererseits, versuchte Comenius, einen Weg zu Frieden und Weisheit durch die Kennzeichnung der Wahrheit, mithin der Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, zu finden. Er diagnostozierte, dass die Menschheit von einem krankhaften Leiden geplagt sei. Die Erkenntnis dieser Situation setzte eine Bewusstwerdung der Krankheit, d. h. eine Rückkehr des Geistes zu sich selbst voraus. So definierte Comenius die Selbsterkenntnis in Bezug auf die Krankheit, die Kenntnis der Seele sowie des Leibes: Dies bezeugt Cicero mit folgenden Worten: […] Wenn wir Beschwerden und Schmerz des Körpers im Geiste beurteilen, spüren wir dann nicht auch die Krankheiten des Geistes am eigenen Leibe? Weil der Geist über sich selbst urteilt, geschieht es von daher, daß eben dasjenige, was urteilt, krank ist und über sich zu einer weniger zutreffen304
305
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Johann Amos Comenius: Der Weg des Lichtes. Via Lucis. Introduction, Übersetzung und Fußnoten von Uwe Voigt. Hamburg 1997 (Philosophische Bibliothek 484), S. 133– 134. Einige Stellen wurden vom Übersetzer Uwe Voigt hervorgehoben. Zur zeitgenössischen Kontroverse zwischen dem Chemiker Robert Boyle und dem Staatstheoretiker Thomas Hobbes bzw. zwischen experimentellem Beweis und philosophischer Methode vgl. Shapin, Shaffer (1985). Comenius widmete seinen Traktat zum »Weg des Lichts« der Royal Society, die den Empirismus bevorzugte. Zu den utopischen Entwürfen, den wissenschaftlichen Projekten der Royal Society und Comenius’ Tätigkeit, vgl. Charles Webster (1975), S. 32–245. Comenius hatte über Johann Valentin Andreae die rosenkreuzerischen Schriften entdeckt. Während seines Aufenthalts in England, in den Jahren 1641–42, hatte er über dessen Freundeskreis um Samuel Hartlieb die Schriften Francis Bacons zur Kenntnis genommen.
269 den Ansicht gelangt (Tusc. quaest. 3). […] Am verbreitetsten scheinen die Klagen und Weherufe gewesen zu sein, womit jene Weiseren der großen Menge der Menschen ihre Dummheit vorhielten; jene sollten dadurch in Bestürzung versetzt und zu einer gewissen Selbsterkenntnis bewegt werden.307
Ziel der Selbsterkenntnis bzw. der Erneuerung der imago Dei sei ein gesunder Verstand. Denn das Ebenbild Gottes sei »unserem Geist eingeprägt(e)«, und »von den zahllosen Prägemalen angeborener Begriffe, Antriebe und Fähigkeiten ausgebildet«.308 Die äußeren Sinne seien nicht imstande, solche ›Vorbegriffe‹ zu beurteilen. »Allein (der) Vernunft [i.e. dem Verstand, C.G.], die das innere Licht bzw. das Auge des Geistes darstellt«309 war dies möglich. Obwohl das »äußere Licht«, das über die fünf äußere Sinne zum Verstand lief, keine wahre Erkenntnis erzeugen könne, wurde das »innere Licht« nach seinem Muster konzipiert. Das äußere Licht ist jener Glanz, der sich mit körperlichen Augen wahrnehmen läßt und mit der Gott dieses sein Amphitheater der körperlichen Welt beleuchtet hat. […] Das innere Licht schließlich ist ein Glanz, der im Geist eines vernunftbegabten Geschöpfes entfacht wurde, der diesen Geist beleuchtet und ihn auf seinen Wegen leitet. Dieses Licht ist wiederum ein dreifaches, es durchstrahlt den dreigeteilten Innenraum des Menschen, den Verstand, den Willen und das Gemüt. Das Licht im Verstand ist die vernunftgemäße Erkenntnis der Dinge. Durch diese Erkenntnis geht der Mensch der Wahrheit der Dinge nach und betrachtet deren innersten Prinzipien; dadurch erfreut er seinen Geist auf angenehme Weise. […] Die zweite Stufe des inneren Lichtes liegt im Willen. Dadurch geht der Mensch der Güte der Dinge nach […] Die dritte Stufe des inneren Lichtes liegt im Gewissen oder im Gemüt. Es ist dies nämlich eine Heiterkeit und Fröhlichkeit des Herzens, die aus dem Gefühl entsteht, die Wahrheit erkannt zu haben und der Heiligkeit teilhaft geworden zu sein.310
Comenius entwickelte dann ein rein metaphorisches Verständnis des ›Auges des Gemüts‹ in der Form einer spirituellen Lichtphysik. Denn in Licht getauchte Körper sind entweder durchsichtig, d. h. sie lassen das Licht bis zum Verstand durch, oder sie reflektieren den Lichtstrahl, wie im Falle der Wiedergabe der Dinge durch die ars memoriae. Sie können das Licht auch streuen, wie das »diskursive Denken«, d. h. die rasche Verbindung und
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Comenius (1997), S. 30–31. Comenius bezieht sich auf Ciceros »Tusculanae disputationes«, III, 1, 1, deren Text er leicht modifiziert. Der letzte Satz spielt auf die antiken Philosophen Heraklit und Diogenes an. Im diesen Sinne vgl. Comenius: Das Labyrinth der Welt (Labyrint sveta a ráj srdce). Hg. von Erhard Müller. Weimar 1958, XI, 1; Ders.: Pansophia, gradus VII (Mundus spiritualis III: De rerum humanarum emendatione consultatio catholica. Editio princeps. T. I [Panergesiam, Panaugiam, Pansophiam continens]). Pragae 1966, Sp. 1059. Ebd., S. 10. Comenius definierte die »Begriffe« als »Normen für alles, was zu wissen ist«, die »Antriebe« als »Anreize für alles, was zu wünschen ist« und die »allgemeinen Fähigkeiten« als »die Organe für alles, was zu tun ist«: Ebd., S. 4. Die Unterbreitung sämtlicher Begriffe, Antriebe und Fähigkeiten bilde die »Wurzel menschlicher Allweisheit«: Ebd., S. 6. Ebd., S. 11. Ebd., S. 59–60.
270 Vervielfältigung der Folgerungen untereinander durch einen Vernunftschluss.311 Dieser Abstufung der Erkenntnis nach der Empfangsart des Lichtes entsprachen unterschiedliche Erkenntnisgrade. Dabei brach Comenius in dreierlei Hinsicht mit der traditionellen, mittelalterlichen Mystik. Zunächst schrieb er den äußeren Sinnen, d. h. dem Körper, und dem Verstand einen gewissermaßen aktiven Anteil am Erkenntnisprozess zu. Dann konzipierte er den Erkenntnisakt nicht als eine augenblickliche Erleuchtung, sondern als einen schrittweisen Prozess. Schließlich konzentrierte er sich nicht nur auf das individuelle innerliche Geschehen, sondern erforschte auch dessen Ausbreitung. Auch Sinnliches darf nicht verkannt werden. Denn es ebnet der Vernunft den Weg und schützt sie vor Täuschungen. Da also die Sinne der Vernunft dienen und da die Vernunft dem Glauben dient, kann nichts von alledem im vollendeten Licht fehlen. Andernfalls werden wir mit Gewißheit über keine Werkzeuge dafür verfügen, die Geister zu erleuchten.312
Die Leibhaftigkeit der Sinne sei also an sich kein Hindernis der wahren Erkenntnis.313 Der Mensch insgesamt bleibe nicht passiv. Ganz im Gegenteil – Comenius empfahl eine bewusste »Beobachtung« des inneren Lichtes in der Form einer geistigen »Aufmerksamkeit« der Sinne und der Imagination: Ein großes Licht wird also unter den folgenden Bedingungen auch im Verstand entfacht: 1. Alles, was unter den Werken, Worten und Äußerungen Gottes vorkommt, soll dazu angewandt werden, den menschlichen Geist zu erleuchten. 2. All dies soll durch klare Sinne in den Geist dringen. 3. Der Geist soll sich den Dingen aufmerksam zuwenden. […] Lichtstrahlen können derart gebündelt, vereinigt und verdichtet werden, daß sie in einem Punkt zusammenkommen. (Dies geschieht, wenn man mit einer konkaven Linse Strahlen zusammenbringt und sie dazu zwingt, sich an einem Ort zu treffen.) Durch ein ähnlich kunstvolles Vorgehen kann die Geisteskraft konzentriert werden, indem man die Sinne und die Vorstellungskraft zusammennimmt und sie fest auf einen bestimmten Gegenstand richtet.314
Die Entdeckung der Wahrheit erfolge nicht blitzartig, sondern erfordere »eine gewisse Zeitspanne«.315 Für diese eigenartige Großaufnahme des inneres Lichts, das jedoch »von der Fassungskraft des Verstandes zu 311
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Ebd., S. 68–83: Definitionen, Axiome über die Lichtquelle und den Strahl, Axiome über das Durchsichtige oder Transparente, Axiome über den spiegelnden Gegenstand, der den Lichtschein reflektiert, d. h. über den Spiegel der Dinge, Axiome über das Undurchsichtige, das das Licht zerstreut, Axiome über die Beleuchtung der Dinge, Axiome über die Anschauung der Dinge. Ebd., S. 111. Ebd., S. 74. Ebd., S. 87, 80. »Wie läßt sich ein Ding deutlich sehen? Das Ding ist nicht bloß beiläufig als Ganzes zu zeigen, sondern in seinen einzelnen Teilen, Teilchen und in den Teilen dieser Teilchen. Dafür braucht es gebührend lange Zeit. […] Der Verstand kann die Dinge nur auf diese Weise durchdringen.« Ebd., S. 89.
271 weit entfernt« liege, schlug Comenius die Metapher des »Fernrohrs« der modernen Astronomen vor.316 Die okkulten Wissenschaften hingegen verwarf er.317 Ebenso wie »der Verstand die Wahrheit nicht auf solche Weise in sich auf[nimmt], daß er sich jemals mit ihr zufrieden gibt, vielmehr reflektiert er diese Wahrheit, um andere zu belehren«,318 ergab sich eine Abstufung des »Nutzens« des inneren Lichts nach seiner jeweiligen Verbreitung durch diverse Medien. Die Wege für das Verstandes-Licht entsprechen auf gefällige Weise den Wegen des äußeren Lichtes. Das eigenständige Hinschauen [aûtopsia] entspricht nämlich dem ursprünglichen Licht, dem Strahl; die Unterredung dem reflektierten Licht; öffentliche Zusammenkünfte entsprechen dem zerstreuten oder verteilten Licht, d. h. dem Lichtschein. Die Schrift und die Bücher entsprechen einem Licht, das man aus irdischem Material entfacht hat, so daß es eine Zeitlang andauert sowie hierhin und dorthin getragen werden kann – Licht, wie wir es von Kerzen und Kienspanen festgehalten sehen. Der Buchdruck steht für die Formen von Lampen und Kerzen, die auf verschiedene Weisen kunstvoll angefertigt worden sind. Die Kunst der Navigation ähnelt den Laternen, die ein geschütztes Licht über alle möglichen gefährlichen Plätze tragen. Die Panharmonie schließlich verspricht, einem dauerhaften Feuer oder einer unverlöschlichen Flamme (wie es die Sonne ist) gleichzukommen.319
Die Darstellung des »Nutzens« des Wissens führte Comenius dazu, den Entwurf eines »universalen Kollegiums«320 und die Konzeption einer »universalen Sprache«321 zur Erneuerung von Politik und Religion vorzuschlagen, aber auch die Wichtigkeit des konkreten Wissens hervorzuheben: Selbst das Allerkonkreteste soll, soweit dies möglich ist, gelehrt werden. Denn darin besteht in Wahrheit das Wissen um die Dinge und der Nutzen des Wissens, und nicht in der Kenntnis des Allgemeinen. […] Weil aber besondere Einzelheiten für sich allein etwas Zusammenhangsloses sind, haben sie es allerdings schon aus sich selbst heraus nötig, der Ordnung halber in gewisse universale Bündel gesammelt zu werden.322
Comenius hatte sich wie viele zeitgenössischen Gelehrten entschieden, die aristotelische Philosophie und ihren universellen Nutzen zu hinterfragen. Er setzte ihr den kognitiven Wert der Einzelphänome entgegen, die er in enzyklopädischen Synthesen zusammenzufassen versuchte. Gegen seine Ver-
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Alle Zitate S. 90. »Hierzu ist es gar nicht nötig, irgendeine Geheimkunst anzuwenden. Das einmal entfachte universale Licht darf bloß nicht unter einen Scheffel gestellt werden; es gehört vielmehr auf einen Leuchter, damit es unbehindert seine Strahlen im Haus der Welt verbreiten kann. Aus eigener Kraft wird es die Augen aller Menschen auf sich ziehen. Daß dies zur Natur des Lichtes gehört, wird an neugeborenen Kindern deutlich.« Ebd., S. 94. Ebd., S. 77. Ebd., S. 105. Ebd., Kap. 18, S. 144–152. Ebd., Kap. 19, S. 152–163. Ebd., S. 115.
272 leumder, die ihn als Schwärmer und Millenaristen anprangerten,323 berief er sich auf sein hohes Alter und sein pädagogisches Projekt.
4.3
Wissenschaft von der Seele und Selbsterkenntnis
Im Jahre 1590 erschien ein Traktat, in dessen Titel der Begriff Psychologia zum ersten Mal, zumindest nach bisherigem Forschungsstand, auftauchte. War diese YXOOIA: hoc est, de hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus324 [»Psychologie, das ist, Über die Vollkommenheit des Menschen, über seine Seele, insbesondere über deren Ursprung«] das Zeichen einer ›Verwissenschaftlichung‹ und Institutionalisierung des Wissens über die Seele? Signalisierte ihr Verfasser Rudolf Goclenius/Gockel (1547–1628), Professor für Physik, Logik, Mathematik und später Ethik an der calvinistischen Universität Marburg, eine besondere protestantische Vorliebe für Introspektion und wissenschaftliche Errungenschaften, mithin die Untersuchung der Seele und die Modernisierung der Gesellschaft des Ancien Régime?325 Fernando Vidal hat gegen solche anachronistische Thesen festgestellt, dass der Inhalt dieses Traktats eine landläufig debattierte Frage behandelte.326 Die unterschiedlichen Autoren dieses Sammelbandes untersuchten nämlich, ob der Embryo bereits bei der Zeugung unmittelbar von Gott eine rationale Seele erhalte, oder ob diese, sei es körperlich, sei es geistig, von den Eltern übertragen werde.327 Da Goclenius einen dritten Weg zwischen den Thesen per traducem und per infusionem suchte, riet er schließlich, sich nicht so sehr auf den Eintritt der rationalen Seele in den Körper, sondern eher auf ihren unbefleckten Ausgang zu konzentrieren. Bereits im Jahre 1606 wurde der Terminus Psychologia erneut, und im selben Sinne, von dem aristotelischen Arzt Fortunio Licetti (1577–1657) verwendet.328 Genausowenig wie Licetti signalisierte Goclenius’ Sammelband neue An323
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Vgl. beispielsweise Johann Amos Comenius: Vindicatio fanae et conscientia. Schutzschrift zur Verteidigung von Ruf und Gewissen, lateinisch-deutsch. Hg., eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Jürgen Beer, Sankt Augustin 1994 (Schriften zur Comeniusforschung 23). Zu Comenius’ Apolyptik, vgl. Schmidt-Biggemann (1998). Verwendete Ausgabe: Rodolphus Goclenius: YXOOIA: hoc est, De Hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus, commentationes ac disputationes quotundam Theologorum & Philosophorum nostræ ætatis, quos versa pagina ostendit … Marpurgi: Paulus Egenolphus. 1594. So die These von Paul Mengal: La constitution de la psychologie comme domaine du savoir aux XVIème et XVIIème siècles. In: Revue d’histoire des sciences humaines 2 (2000), S. 5–28. Für die beiden folgenden Absätze beruhen meine Überlegungen auf Vidal (2006), S. 33–69. Vgl. oben S. 129–133. Fortunio Liceti: YXOOIA ANOPINH, siue de ortu animæ humanæ libri III … Francoforti: Johann Saur. 1606. Vgl. Vidal (2006), S. 64–65.
273 sätze in Bezug auf die Erforschung der Seele oder das Vorhaben, eine eigene, autonome Disziplin zu gründen. Der auf dem Titelblatt verwendete Terminus Psychologia wurde nirgendwo im Sammelband erläutert. Fernando Vidal schlägt vor, dass es sich dabei lediglich um eine Hellenisierung aus rein ästhetischen und kommerziellen Gründen des landläufigen Ausdruckes scientia de anima handelt. Die folgenden Traktate zeichnen sich ebenfalls durch beträchtliche semantische Unschlüssigkeiten aus. Die von einem Schüler von Goclenius, Otto Casmann (1562–1607), Lehrer im calvinistischen Gymnasium Steinfurt, verfasste Psychologia anthropologica, siue animæ humanæ (1594) teilte sich in zwei Teile. Der erste behandelt die facultas logica der Seele (die rationale Seele), der zweite die facultas alogica, d. h. die vegetativen und lebenswichtigen Funktionen.329 Unter der Begriff Psychologia entwickelte Casmann also die aristotelische Definition der Seele als abtrennbaren Geist einerseits, Körperform und Lebensprinzip andererseits. In dem posthum, im Jahre 1662 erschienenen Lexicon philosophicum terminorum philosophis usitatorum definierte der Lutheraner Johann Micraelis (1597–1658) die Psychologie als die doctrina de anima bzw. doctrina de anima separabilis, d. h. als die Lehre von der potentiell abtrennbaren rationalen Seele vor dem Tod, im Gegensatz zur Pneumatologia oder Wissenschaft von den Geistern (die sich ihrerseits in drei Teile gliederte: das Schicksal der rationalen, ewigen Seele nach dem Tode, die Engel, Gott). Im Artikel anima bezog Micraelis die vegetative, sensitive und rationale Seele ein und schloss daraus, dass dies alles in den Bereich der Psychologie fiele.330 Trotz der Absonderung der Pneumatologie als Teildisziplin der Metaphysik (mit der die Studenten sich beschäftigten, nachdem sie sich in der Physik mit der Seele als Entelechie befasst hatten) wurden um 1600 kaum neue Ansätze bezüglich der akademischen Erforschung der Seele beschrieben. Der Terminus Psychologia wurde allerdings sofort in der Mystik rezipiert, mit ähnlichen semantischen Schwankungen. Jacob Böhme betitelte eine der vierzig Antworten, die er im Jahre 1620 seinem Freund Balthazar Walther überreichte, Psychologia vera, obwohl er darin keine klar formulierte Wissenschaft von der Seele entwickelte.331 In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die 329
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Otto Casmann: Psychologia anthropologica; siue animæ humanæ doctrinis … Hanovae: Guilielmus Antonius. 1594. Johann Micraelius: Lexicon philosophicum terminorum philosophis usitatorum. Mit einer Einleitung von Lutz Geldsetzer. Düsseldorf 1966 (Nachdruck der 2. Ausgabe Stettin 1662), Sp. 1165, 1005. YUCOLOGIA vera I[acobi] B[oehmi] T[eutonici] XL. Quæstionibus explicata et rerum publicarum vero regimini: ac earum Maiestatico Iuri applicata. Amsterdam: Iohann. Ianßonius. 1632. Diese Überschrift wurde von dem lateinischen Übersetzer dieser Schrift, Angelius Werdenhagen, erfunden. Die originale deutsche Fassung erschien später: Psychologia vera, oder Vierzig Fragen von der Seelen/ ihrem Urstande/ Essenz/ Wesen/ Natur vnd Eigenschaft/ was sie von Ewigkeit in Ewigkeit sey … In: Jacob
274 Psychologie weder als Wissenschaft von der Seele noch als Selbsterkenntnis definiert. Im Zusammenhang mit der Schwärmerei wurden jedoch einige Ansätze in Bezug auf den Erkenntnisgewinn grundlegend verändert. 4.3.1
Daniel Sennert und die ›äußere Erkenntnis‹
Gegenüber der schwärmerischen Hochschätzung der inneren Offenbarungen betonte eine zunehmende Zahl protestantischer Theologen die Bedeutung der Predigt, der Rede und des Diskurses, bisweilen in der Tätigkeit der ratio zuungunsten derjenigen der imaginatio.332 Die Mediziner ihrerseits, sogar die berühmtesten wie Daniel Sennert (1572–1637), unterschieden die übernatürliche, höchst seltene Ekstase von der pathologischen Ekstase der Schwärmer, die sie bald auf eine Melancholie, bald auf eine Einmischung des Teufels reduzierten.333 Die Mediziner griffen ebenfalls in die Auseinandersetzung um die Schwärmerei ein. Der berühmteste deutsche Mediziner der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist zweifelsohne Daniel Sennert. Als Professor für Medizin in Wittenberg verfasste er voluminöse, auflagenstarke medizinische Lehrbücher334 und naturphilosophische Abhandlungen. In der Geschichtsschreibung galt Sennert zunächst als Eklektiker, d. h. als ein Vertreter jener Strömung, die nach einer Synthese des gesamten medizinischen Wissens seit Galen strebte. Einige Medizinhistoriker zeigten später auf, dass er erstmals vorsichtig paracelsische Elemente in den akademischen Unterricht der Medizin
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Böhme: Sämtliche Schriften. Kommentierte Ausgabe von August Faust (†) und neu ediert von Will-Erich Peuckert. Bd. 3. Stuttgart/Bad Cannstatt 1956 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe 1730). Vgl. dazu Alexandre Koyré: La Philosophie de Jacob Böhme. Paris 1971 (11929) (Bibliothèque d’histoire de la philosophie). Diese Tendenz wurde durch das Schwärmertum verstärkt, ist jedoch älter. Bereits Erasmus von Rotterdam hatte das Predigen und Erklären der Bibel eher als das Vorhersehen künftiger Ereignisse hervorgehoben. Vgl. Erasmus von Rotterdam, Desiderius: Complectens Novum Testamentum. Cui, in hac editione, subjectae sunt singulis paginis adnotationes. In: Opera omnia emendatiora et auctiora. Bd. 6. Hg. von Jean Le Clerc. Hildesheim 1962 (Nachdruck der Ausgabe Leiden 1705), S. 728 C-D. Vgl. Daniel Sennert: Medicina practica, lib. I, part. II, cap. XV, Quaestio I. Vgl. dazu Heyd (1995), S. 56–85. Zur Verteuflung der Schwärmerei, vgl. auch beispielsweise Lucas Osiander: De Enthusiasmo sive fictitis, imaginiariis, affectatis et deceptorijs, nostri huius & quorundam superiorum seculorum, Fanaticorum hominum, prætensis divinis (falsò sic dictis) Revelationibus, Disputatio … Tubingæ: Theodoricus VVerlin. 1623. Sennert schloß jedoch in keiner Weise die Möglichkeit einer teuflischen Einmischung in die Seele aus. Vgl. die knappe Andeutung in diesem Sinne in Patrick Dandrey: La médecine du songe au XVIIe siècle. In: Revue des sciences humaines 211 (1988), S. 67–101, hier 93. Insbesondere seine »Institutiones medicinae libri V« (11620), die in den Jahren 1628, 1633, 1634, 1644, 1646, 1656 (engl.), 1664, 1667, 1686 (engl.), 1687 wieder gedruckt, sowie seine »De debribus libri IV« (11619) in den Jahren 1627, 1628, 1629, 1633, 1638, 1641, 1647, 1649, 1650 und 1653 neu aufgelegt wurden.
275 einführte. Unter Berufung auf die alte Atomistik335 unternahm er den Versuch, die aristotelisch-galenische Tradition mit neuen Laborerfahrungen und physikalischen Beobachtungen in Einklang zu bringen – ohne den Aristotelismus ganz zu verwerfen. Dabei bediente er sich paracelsischer Begriffe, wie ›Prinzipialsubstanzen‹, sal, sulphur und mercurius, die er als Konglomerationen der Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde, oder der effluvia, interpretierte. Scharf lehnte er jedoch die paracelsische und alchemistische Auffassung der Erkenntnis als innerer, geistiger und unmittelbarer Erleuchtung ab.336 In der über Paracelsus, durch Oswald Croll und Valentin Weigel vermittelten Erkenntnislehre verwarf Sennert die angenommene Passivität der Seele im Erkenntnisakt, da sie ein Einfallstor für alle möglichen wissenschaftlichen und theologischen Phantasien darstellte: Ich weiß nicht, welches Lumen Naturae et Gratiae sie herbeirufen, mit dem sie dann die Einbildungen ihres Gehirns, die weder durch Vernunftgründe noch durch Erfahrung erwiesen werden können, verdecken. Wenn das erlaubt wäre, daß jeder neue Dogmen frei von aller Erfahrung und Vernunft fingieren kann, und man nur jenen Glauben an das Lumen Naturae et Gratiae haben muß, so wird das wahr sein, was jedem beliebigen so erscheinen wird; was daraus für eine Verwirrung für alle Wissenschaftsbereiche entstehen kann, sieht jeder.337
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Vgl. dazu Kurd Laßwitz: Die Erneuerung der Atomistik in Deutschland durch Daniel Sennert und sein Zusammenhang mit Asklepiades von Bithynien. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie 3 (1879), S. 408–434; Ders.: Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis Newton. 2 Bde. Hamburg/Leipzig 1890, Bd. 1, S. 436–454; Rembert Ramsauer: Die Atomistik des Daniel Sennert. Ansatz zu einer deutschartig-schauenden Naturforschung und Theorie der Materie im 17. Jahrhundert. Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn. 1935; Allen G. Debus: Guintherius, Libavius, and Sennert. The Chemical Compromise in Early Modern Medicine. In: Science, Medicine and Society in the Renaissance. Essays to honor Walter Pagel. Hg. von Allen G. Debus. Bd. 1. New York 1972, S. 151–166; Walter Pagel (1984), S. 86–91; Michael Stolberg: Das Staunen vor der Schöpfung: Tota substantia, calidum innatum, generatio spontanea und atomische Formenlehre bei Daniel Sennert. In: Gesnerus 50 (1993), S. 48–65; Ders.: Particules of the Soul (2003), S. 177–203. Im folgenden Absatz beziehe mich auf Wolfgang U. Eckart: Antiparacelsismus, okkulte Qualitäten und medizinisch-wissenschaftliches Erkennen im Werk Daniel Sennerts (1572–1637). In: Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12), S. 139–157. Daniel Sennert: De Consensu & Dissensu Galenicorum & Peripateticorum cum chymicis, in: Daniel Sennert: Opera omnia. Lugduni. 1676, S. 194 r° Sp.: »… nescio quod Lumen Naturae et Gratiae fingunt, quo sui cerebri figmenta, quae rationibus et experientia probare non possint, pallient. Quod si admittatur, cui libet pro libitu nova dogmata ab omni experientia et ratione aliena fingenti, et illa ad Lumen naturae et Gratiae referenti fides habenda erit, et verum erit quod cuique videbitur. Ex quo quae omnium disciplinarum confusio oriri possit, nemo non videt«. Zitiert nach: Eckart, S. 145. Vgl. dazu Dietlinde Goltz: Naturmystik und Naturwissenschaft in der Medizin um 1600. In: Sudhoffs Archiv 60 (1976), S. 45–65.
276 Kern der paracelsischen, alchemistischen und neuplatonischen Ansichten war die Hochschätzung der Imagination. Der virtus imaginativa alle magischen Wirkungen zuzuordnen sei aber, laut Sennert, Hirngespinst und Gotteslästerung.338 Diese Ablehnung des magischen Imaginationverständnisses führte Sennert folglich zu einer Verwerfung aller okkulter Qualitäten. In seinen 1636 veröffentlichten Hypomnemata Physica räumte er allerdings ein, dass es neben den vier Elementen und deren qualitates primae auch verborgene, autonome Eigenschaften gebe. Sie hießen okkult, da sie sich von den durch die fünf äußere Sinne erfassbaren qualitates primae unterschieden. Sennert leitete sie im aristotelischen Sinne von ihrer spezifischen Form, d. h. ihrer Potenz bzw. inneren Beschaffenheit her. Ihren Ursprung sah er nicht in den Sternen, sondern in Gott. Sie sollten nicht dem Vorwand der Unwissenheit339 dienen und eine »quasi eigene Religion der Pseudochemiker«340 bilden. Die Anwendung der ratio mit Hilfe der experientia sollte sie gliedern und zerlegen. Einzig diese Kombination der Vernunft und der Erfahrung könne tatsächlich die Grundlage und den Ursprung des vollständigen Wissens bilden.341 Gegen die schwärmerische Erkenntnisauffassung der Paracelsisten und Alchemisten hob Sennert also die Rolle der äußeren Sinne wieder hervor. Die externa objecta sensibilia waren das entscheidende Kriterium der Wahrheitsfindung und der unverfälschten Erkenntnis. Damit schrieb er den Naturdingen eine Autorität an sich zu.342 Die Wahrheit definierte er ganz klassisch und unter Berufung auf Julius Cäsar Scaliger als Gleichstellung der Verstandesgaben mit den äußeren Dingen.343 Damit wurde der Stagirite zwar teilweise bestätigt, jedoch nicht komplett übernommen. Im Gegensatz zu Aristoteles lokalisierte Sennert die Seele nicht im Herzen sondern eindeutig im Gehirn.344 Was die Ventrikellehre an338
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Vgl. dazu Alain Godet: »Nun was ist die Imagination anderst als ein Sonn im Menschen«. Studien zu einem Zentralbegriff des magischen Denkens. Zürich 1982, S. 77–79; Müller-Jahncke (1985), S. 108. Daniel Sennert, Hypomnemata physica. In: Ders.: Opera omnia. Lugduni 1676, S. 109: »Quod cum Ignorantiae nomine à nonnullis traducitur, imbecilla mentis nostrae acies ad investiganda naturae penetralia potiùs accusatur, quam qualitates hae culpantur. Si enim vera harum qualitatum origo, de qua non ita multi sollicii fuerunt, inquiratur eius cognitio non minùs certam scientiam parit, quàm qualitatum manifestarum«. Vgl. Eckart, S. 151. Sennert (1676), De Consensu & Dissensu, S. 194 linke Spalte. Vgl. Eckart, S. 152. Daniel Sennert: Institutionum medicinae libri V. In: Ders.: Opera omnia. Lugduni 1676, S. 669 linke Spalte. Vgl. Eckart, S. 154. Sennert: De Consensu & Dissensu, S. 179. Vgl. Eckart, S. 157. Zum Begriff der Autorität der Natur, vgl. The Moral Authority of Nature. Hgg. von Lorraine Daston, Fernando Vidal. Chicago/London 2004, insbesondere die Einleitung (»Doing What Comes Naturally«, S. 1–20). Sennert (1676), Hypomnemata physica, S. 101; Eckart, S. 156. Vgl. Daniel Sennert: Institutionum medicinæ libri V. Witebergæ: Zacharias Schurerus. 1620, S. 112.
277 belangt, behauptete Sennert vorsichtig, dass der sensus communis vorne und in der Mitte des Gehirns angesiedelt sei. Die Lokalisierung der weiteren inneren Sinne, der memoria, phantasia und ratiocinatio ließe sich hingegen kaum präzise bestimmen.345 Die Seele sei zwar empfindsam, die äußeren Sinne jedoch nicht.346 Besser als durch eine ontologische Definition erkenne man die Seele durch ihre Tätigkeiten.347 Wie viele seiner Zeitgenossen so schloss sich auch Sennert der Auffassung einer Aufteilung in Verstand als Sitz der rationalen Seele, die wahrnehme und erkenne, und in den Willen, der die Verstandesurteile dem gesamten Körper vermittle, an.348 Die entscheidende Rolle des Willens resultierte aus der Betonung der Affekte (appetitus, affectiones).349 Diese Affekte wirkten auf den Wach- wie auf den Schlafzustand ein. Sennert veränderte somit die traditionelle Definition des Traums: Die fünf äußeren Sinne seien im Schlaf nicht vollständig abgeschaltet.350 Die Imagination wurde ambivalent eingeschätzt. Sennert sah sie als eine immanente Erkenntnisinstanz, die den Körper mittelbar, d. h. durch die Aktivierung der Affekte beeinflussen könne.351 Einer antiken Tradition zufolge und wie die Paracelsisten dachte er, dass die Imagination den Foetus im Unterleib verändern oder bestimmte Krankheiten heilen (allerdings nicht per se, sondern nur per accidens, mittelbar) konnte.352 Dies war Sennerts eigener Beitrag zu einer verbreiteten Sorge bezüglich des Zusammenhangs zwischen der Tätigkeit der Imagination und der Erregung der Affekte, die sich auch anderenorts in der graphischen Kunst353 wie in der 345 346 347 348 349 350 351
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Ebd., S. 112. Ders.: Epitome naturalis scientiae. Wittenberg 1618, S. 504. Ebd., S. 588. Ebd., S. 691–693. Ebd., S. 547. Ebd., S. 552; Sennert (1620), S. 113–114. Ders., De Consensu & Dissensu, S. 235 r° rechte Spalte – 236 r°. Vgl. Godet, S. 78; Eckart, S. 157. Sennert (1676), De Consensu & Dissensu, S. 236 linke Spalte – 236 rechte Spalte. Die Frage der Einwirkung der Imagination der Frau auf ihren Foetus wurde während des Dreißigjährigen Krieges wieder belebt, als die Zeitgenossen sich wegen einer möglichen Beeinflussung des Kindes durch die Wahrnehmung der Gewalt sogar vor der Geburt änstigten. Vgl. Jacob Böhme: Trost-Schrift, Von vier Complexionen. Daß ist: Vnterweisung in zeit der anfechtung, fur ein stetzt trauriges angefochtenes Heitze … o. O. 1621; Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschssprachigen Werke. Bd. 2. Oden und Epigramme. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1964 (Neudrucke Deutscher Literaturwerke, NF 10), S. 209. Vgl. dazu Antje und Matthias Ernst: »Ich habe diese Welt beschawt und bald gesegnet: Weil mir auff einen Tag all Angst der Welt begegnet.« Kriegserfahrungen im Spiegel von Andreas Gryphius’ Grabschrift für seine Nichte. In: Zwischen Alltag und Katastrophe, S. 497–506. Vgl. auch Johann Amos Comenius: Pampaedia – Allerziehung, Aus dem Lateinischen von Klaus Schaller. Sankt Augustin 1991 (Schriften zur Comeniusforschung 20), S. 159. Zu dieser Problematik, vgl. Gantet: Exil, songes et nostalgie de la paix (2006). Gegen Ende der französischen Religionskriege stellten manche Protestanten den jesuitischen Gebrauch der Bilder für die Fanatisierung des Volkes in Frage. Vgl. dazu Jean-
278 politischen Literatur354 niederschlug. Dabei vermied Sennert jedoch die Frage der Selbsterkenntnis. 4.3.2
Traum und »Ichheit« bei Johann Baptista van Helmont
Die intensivste und merkwürdigste Beschäftigung mit der Selbsterkenntnis stammte aus den spanischen Niederlanden, von dem Arzt Johann Baptista van Helmont, der rasch in England, später stärker im Heiligen Römischen Reich insbesondere in bestimmten alchemistischen und pietistischen Kreisen rezipiert wurde.355 Van Helmont schilderte sein intellektuelles und spirituelles Können am Anfang seines posthum, im Jahre 1648, veröffentlichten Werks, Ortvs medicinæ, das als Manifest seiner chemischen und medizinischen Entdeckungen galt. Sie betrafen die bei den Verbrennungsprozessen entstehenden Gase und die Bedeutung der Magensäure bei der Verdauung, die in der galenischen Medizin auf die Wärme des menschlichen Körpers zurückgeführt worden war. Van Helmont besaß keine akademische Ausbildung. Er positionierte sich allerdings gegenüber den verschiedenen Geistesströmungen (der Lehre Martin Delríos in Löwen, dem Neustoizismus des Justus Lipsius, die Mystik des Thomas von Kempen und des Johannes Tauler, dem Skeptizismus bzw. Pyrrhonismus),356 die ihn abwechselnd be-
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Raymond Fanlo: Les ›Chambres des méditations‹: l’imagination dans la polémique anti-jésuite, d’Étienne Pasquier à Agrippa d’Aubigné. In: Littératures classiques 45 (2002), S. 91–108. Vgl. unten Kapitel 5. Zu Christian Knorr von Rosenroth, dem Übersetzer bzw. Verleger van Helmonts, vgl. Serge Hutin: La kabbale chrétienne de l’ère baroque. In: Epochen der Naturmystik, S. 157–168, hier 157–158. Zu den Abhändigkeiten und Abneigungen zwischen Daniel Sennert und Johann Baptista van Helmont, vgl. Peter H. Niebyl: Sennert, Van Helmont, and Medical Ontology. In: Bulletin of the History of the Medicine 45 (1971), S. 115– 137. Eine englische und eine französische Übersetzung des »Ortus Medicinæ« erschienen allerdings vor der deutschen. Vgl. Oriatrike. Or, Physick Refined. The Common Errors therein Refuted, And the whole Art Reformed & Rectified: Being a New Rise and Progress of Physiology and Medicine, for the Destruction of Diseases and Prolongation of Life … now faithfully rendred into English, in tendency to a common good, and the increase of true Science, By J. C. Sometime of M. H. Oxon [John Chandler of Magdalen Hall, Oxford]. London 11662, 21664; Les Oeuvres de Jean Baptiste Van Helmont, traittant des principes de médecine et physique, pour la guérison assurée des maladies: De la traduction de M. Jean Leconte, docteur médecin. Lyon. I. A. Huguetan. 1670. Niederländische Ausgabe: Dageraad, oft nieuwe opkomst der geneeskonst, in verborgen grondt-regulen der Natuere … Noit in’t licht gesien, en van den Autheur selve in’t Nederduits beschreven. Amsterdam: Jan Jacob Schipper. 11659, 21660. Neudruck der Ausgabe Rotterdam 1660: Antwerpen 1944. Van Helmont/Rosenroth (1971/1683): Traktat III, S. 14–17. Der sogenannte pyrrhonische Skeptizismus entwickelte sich, als im Jahre 1562 der Erstdruck des Hauptwerkes von Sextus Empiricus in Paris erschien. Nach diesem ist perfektes Wissen unmöglich. Der Mensch solle kein Urteil abgeben; er solle lediglich die Seelenruhe anstreben. Im Alltag reiche jedoch Erfahrung und Wahrscheinlichkeit aus. Vgl. dazu Popkin (1979), S. 40–66.
279 einflusst hatten und rechtfertigte seine eigene Stellungnahme zu Erkenntnis und Wissenschaft sowie zur Niederschrift dieses Buches folgendermaßen: JCh will bereden und entdecken die Jrrthuemer der Schulen/ wie sie nemlich diese oder jene Dinge/ gantz unbedachtsam vor Grund-Wesen der Natur ausgeben: Hernach wann ich komme auf den Fall der Natur/ will ich etliche Maengel und Kranckheiten weisen/ die vor mir unbekandt gewesen: Und darthun/ daß solche nicht herkommen aus der Elementen Vermischung/ noch aus deren Streit/ oder Widerwaertigkeit/ oder Unordnung; (Ametria) noch auch aus denen Beschaffenheiten/ die man den Elementen an richtet/ und die fuernehmsten (Qualitates primæ) und eigentlichen zu nennen pfleget: Dannenhero zu erkennen/ daß die Betrachtung von Leibes-Mischungen (Complexiones) so wol bey wolgeordnetem als bey uebelgeordnetem Zustande/ gantz eitel und vergebens sey.«357
Van Helmont wollte die gesamte galenische Tradition durch seine eigenen Entdeckungen ersetzen. Von Paracelsus übernahm er die Befürwortung chemischer bzw. künstlicher Arzneimittel sowie die Kritik am gesamten Universitätsbetrieb, den er polemisch und abwertend »die Schulen« nannte. Statt der syllogistischen Logik forderte er die Erfahrung als Grundlage allen Wissens.358 Er folgte der Terminologie Paracelsus’ und der Schwärmer und verwarf die Logik als pures Wortgezänk, als toten Buchstaben.359 Gegen den rein negativ verlaufenden Syllogismus empfahl er die Offenbarung und das Experiment. Dadurch versuchte er, erstmals mystische Selbsterkenntnis und naturwissenschaftliche Beobachtung systematisch zu verknüpfen. Er bediente sich Träume, Visionen, mystischer Erfahrungen zum besseren Verständnis der Erkenntnisvermögen.360 Die Kritik an der aristotelisch-scholastischen Seelenlehre, eine paracelsische Lektüre der Genesis und ein anthropologischer religiöser Pessimismus bildeten den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Schöpfung und Natur sah van Helmont einerseits als Befehl Gottes, d. h. als wesentlich geistig361 an, andererseits als Prozess einer stufenartigen Scheidung sämtlicher Naturgegenstände aus dem Wasser. Gottes Auftrag sei in »Samen«, d. h. stofflichgeistigen Entitäten362 enthalten. Diese seien zu Beginn auf das Wasser übertragen worden. Ihr Kern bilde der »Archeus«, ein vitales Prinzip, das sich durch ein vom Feuer abgegebenes »Gas« materialisiert habe.363 Zur Aktualisierung des in den »Samen« potentiell präsenten Seins bedürfe es des direkten Eingreifens Gottes, der sich somit beständig und allgegenwärtig in die Natur einmische.364 So wie die Alchemisten die Signaturen der Dinge erforschten, suche – so van Helmont – die Naturwissenschaft nach den »Sa357 358 359 360
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Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktat I, § 1, S. 4. Ebd., Traktat XXXII, Kap. 4, 22. Ebd., Traktat II, § 5, S. 12. Vgl. beispielsweise Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktat XLVII, Kap. 13–14, S. 871–872. Ebd., Traktat VIII, § 3, S. 48–49. Ebd., Traktat XX, § 12. Ebd., Traktat XIX, § 41. Ebd., Traktat XXII, § 17–18.
280 men« oder den Ursprüngen und Spezifika der verschiedenen Gase. Infolge ihrer geistiger Natur seien alle Naturgegenstände untereinander durch Sympathien verbunden. Die intelligiblen »Samen« besäßen eine Verwandschaft mit dem menschlichen Geist. Dabei übernahm van Helmont den ursprünglich stoizistischen Begriff der logi spermatikoi als Vermittler zwischen Ideen und Erscheinungen in der von Augustinus christianisierten Bedeutung. Dieser hatte sie als eine Repräsentation des rationalen Gehalts in der Welt, d. h. der Wahrheit verglichen – was implizit voraussetze, dass die Wahrheit eher in den Dingen, als im Urteil lag. Damit der menschliche Geist diese rationalen Elemente erfassen und sie zu Begriffen gestalten könne, benötige er eine Erleuchtung, die bei Augustinus, hier im Gegensatz zu van Helmont, nicht auf eine persönliche Gnade, sondern auf eine Manifestation des intelligiblen Kosmos verwies.365 Allerdings habe der Sündenfall bei Herausbildung der sinnlichen Seele (anima sensitiva) bzw. der »Vernunft«366 eine Verwirrung des unsterblichen Gemüts (mens, d. h. nach van Helmont der Zusammenstellung von Verstand, Willen und Gedächtnis367) verursacht: Denn dieser erkandte die Wesenheiten und Namen der Thiere: Weil das Gemuethe/ in seinem Goettlichen Ebenbilde/ diese Dinge inwendig in sich beschauete/ wenn es wolte; und durch das blose Anschauen dieselben erkandte. Nach dem aber die sinnliche Seele entstanden ist/ in welche das unsterbliche Gemuethe gantz eingewickelt worden: So hat diese sinnliche Seele desselben Platz gantz eingenommen und vertritt allein seine Stelle: Daß hierdurch gantz eingeschlaefferte Gemuethe aber erwachet kaum bißweilen auf …368
Vollkommene Erkenntnis war dem als Ebenbild Gottes geschaffenen Gemüt vorbehalten369 und nach dem Sündenfall verdunkelt. Die sinnliche Seele sowie die Vernunft konnten ihrerseits nur das Wahrnehmbare erkennen. Unmittelbare, gleichsam halbbewusste Erleuchtungen wie Träume und Visionen böten ein Mittel, um über die sinnliche Vermittlung hinauszukommen. Von der Mystik eignete sich Van Helmont die Lichtsymbolik370 und das Streben nach Selbsterkenntnis an. Da die Welt nicht nur einmal am Anfang der Zeit, sondern durch die Aktualisierung der in den »Samen« eingeschlossenen vitalen Prinzipien eine ständige Schöpfung Gottes sei, solle alle Erkenntnis mit der Erkenntnis Gottes, d. h. der Selbsterkenntnis bzw. Gemütserkenntnis371 beginnen. Statt eine Methode hierfür anzubieten, behauptete van Helmont den 365
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Vgl. dazu Berthold Heinecke: Wissenschaft und Mystik bei J. B. van Helmont (1579–1644). Berlin u.a. 1996 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 20), S. 78–82. Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktat IV, Kap. 11. Van Helmont teilte also durchaus Paracelsus’ Abwertung der Vernunft sowie, folglich, der Scholastiker. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 1, § 7, S. 859. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 4, § 4, S. 866. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 5, § 37, S. 876. Van Helmont nannte das Gemüt manchmal auch Verstand (mens) im Gegensatz zur Vernunft, die er erheblich abwertete. Ebd., Traktat II, § 5, S. 12; Ebd., XLVII, Kap. 3, § 14, S. 865 usw. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 5, § 31, S. 875.
281 exklusiven Charakter dieser Erkenntnis, die ausschließlich einigen Auserwählten, nicht zuletzt ihm selbst, zugänglich sei.372 Insgesamt schilderte van Helmont vierzehn Visionen, die sich, wie Berthold Heinecke bereits bemerkte, in drei Gruppen einteilen lassen.373 Die erste Gruppe umfasst Träume und Visionen, die van Helmonts Selbstverständnis als Arzt darstellen. Insofern können sie als »Wissensautorisierung« charakterisiert werden.374 Eine zweite Kategorie beinhaltet diejenigen, die medizinische und naturwissenschaftliche Grundfragen erörteren.375 Diese sind knapper und lassen den Visionvorgang im Dunkeln. Die Träume und Visionen der letzten Gruppe beziehen sich auf die Seele, ihre Vermögen und Erkenntniskraft.376 In diese Kategorie fällt der oben zitierte doppelte Traum bzw. das »Gesicht« von 1610 und 1633, der bereits durch einen langen nächtlichen Traum im zweiten Traktat (4–12) vorweggenommen wird. Kern dieser Träume war nicht die Anschauung Gottes wie in der Mystik, sondern die der eigenen reinen Seele, in einem adamitischen geschlechtslosen Zustand. Die erlangte Erkenntnis bestand vorwiegend aus der Perzeption eines Lichts, das als Vehikel der Identität zwischen göttlicher Wahrheit und menschlicher Reflexion diente.377 Wie die neuen Schwärmer, zum Beispiel Christina Poniatowski, überprüfte er in seiner Vision die Vision selbst, mit dem Unterschied, dass er eigentlich seine Seele prüfen wollte.378 Empfänger des Traumgesichts waren der augustinischen Tradition folgend geistige, immaterielle Augen – »nicht wie ein Menschen-Auge mit Haeutlein/ Augapffel und Feuchtigkeiten […], sondern […] ein einiges hellglaentzendes Kuegelein/ gleich wie der Abendstern von fernen zu erscheinen pfleget. […] Es 372 373
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Ebd., Traktat I, § 8, S. 11. Heinecke, S. 126–134. Zu van Helmonts Visionen, vgl. auch Walter Pagel: Johannes Baptista van Helmont als Naturmystiker. In: Epochen der Naturmystik, S. 169–211, hier 180–187. Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Aufgang der Artzney-Kunst, Traktat III, § 20, S. 17 und Traktat II, § 13, S. 13. Zu van Helmonts Visionen als Mittel einer »Wissensautorisierung«, vgl. Michael Stolberg: Die Vision als Modus der medizinischen Wissensautorisierung. Johann Baptist van Helmont (1579–1644) und sein »Aufgang der Arzney-Kunst«. In: Morgen-Glantz 13 (2003), S. 47–72. Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktate LIV 24, 3–4, LII, 12–15, Wie es bey der Zeugung des Menschen nach einander zugehe, § 1–14, Von dem Baum des Lebens, § 20. Ebd., Traktate II, § 4–12, S. 12–13 bzw. XLVII, Kap. 5, § 13 (Wesen der Seele), S. 871–872, IV, § 3–16 (Vernunft), S. 19–20, IV, § 17 (Verstand), S. 20, IV, § 44 (mystische Erfahrung), S. 25. »Also ist die Seele ein blosser und lauterer Verstand/ und ein Ebenbild des unerschaffnen Lichts. Und gleich wie demnach das Auge nichts mit besserm Recht oder eigentlicher anverlangt als die Sonne/ und alle andere Dinge wegen derselbigen; also verstehet eine selige Seele nichts rechtschaffener als das Licht/ damit sie inwendig erleuchtet und durchdrungen wird/ und daran sie gantz und gar und unmittelbahrer Weise hanget«. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 5, § 29, S. 874. »Dannenhero wolte die Seele sich selbst pruefen in diesem ihrem mir vorgestellten Bilde«. Ebd., Traktat II, § 7, S. 12.
282 leuchtete aber so wol inwendig hinein gegen den Grund der Seele/ als aussen her ueber die gantze Seele herueber.«379 Dabei erkannte der Verstand die Natur der sinnlichen Seele, die nur aus Selbstsucht nach Wissen strebte und bekehrte sich. Den Erkenntnisakt präzisierte van Helmont eingehender. Er definierte die Wahrheit ontologisch im aristotelischen und augustinischen Sinne als Identität von gedachtem und tatsächlich existierendem Ding380 und charakterisierte die Anerkennung durch das Gemüt durch seine Verwandlung in das zu erkennende Ding.381 Diese Verwandlung ließ sich nicht mit rational-logischen Verfahren erfassen,382 sondern nur durch eine unmittelbare Erkenntnis des Gemüts mittels Gebet, Träumen und Visionen. Da das verständnisvolle Gemüt sich keiner Organe, »weder des Gehirns noch des Hertzens«383 bediene, stellte sich die Frage nach der Bildung der Ideen des Gemüts. Van Helmont gab seine Verlegenheit zu: Jch habe schon laengst gelernet/ daß unser Gemuethe nicht das geringste verstehe durch die Einbildung/ noch auch durch Figuren oder Bilder/ es sey denn daß das armselige und elende Nachdencken un[n] schluessen unsrer wanckenden Vernunft darzu kom[m]e. Wenn aber die Seele sich selbst/ oder in sich selbst etwas Verstandweise begreiffet/ so entgehet ihr die Vernunft/ und fehlet es ihr an ihrem eignen Bilde/ wodurch sie sich ihr selber vorstellig machen soll. Jch will so viel sagen/ die Seele koenne sich selber nicht erfassen durch die Vernunft/ wie auch nicht durch Bilder. Nach dem ich aber erkandt/ daß die Wahrheit des Verstandes einander durchdringen in der Einigkeit/ also daß sie gantz eins sind; so hab ich erst gewust/ daß der Verstand ein unsterbliches Wesen/ und von vergaenglichen Dingen gantz abgesondert sey.384
In der üblichen Erkenntnis bediene sich das Gemüt der Einbildungskraft, um adäquate geistige Bilder der äußeren Dinge zu formen. Diese bildliche Vorstellung der Gegenstände fehle dem Gemüt. Die Schwierigkeit läge in der Definition der perfekten Erkenntnis, d. h. der Vision als Verwandlung oder Einheit von Gemüt und Gegenstand. Setze die Erkenntnis nicht eher eine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt voraus? 379 380
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Ebd., Traktat II, § 7, S. 12. Diese traditionelle Auffassung wurde von vielen anderen Visionären übernommen. Tomasso Campanella zum Beispiel charakterisierte die Wahrheit als »adequatio rei et intellectus«: Tommaso Campanella: Universalis Philosophiæ seu metaphysicarum rerum iuxta propria dogmata partes 3, libri 18 … suorum opera tomus 4. Parisiis 1638, Pars II, lib. VI, cap. XIV, art. 1. Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktat IV, Kap. 32–45, S. 23–26. »Eh ich aber weiter fortschreite/ so wolle der Leser vernehmen/ daß ich bißanhero niemanden gefunden der von dem inwendigen leeren Grunde des Gemuethes/ und ob oder das einige Gemueths-Bilder (Ideæ) verhanden/ oder worinnen deren wahre Natur und Wesen bestehe/ oder wie sie gemacht oder geschaffen werden? Geschrieben/ oder nur dran gedacht; sondern es hat ein jeder vilmehr diese Lehre/ als etwas ungewoehnliches/ unbekandtes/ und unerforschliches/ mit blosser Verwunderng [sic] angesehen/ und damit wieder in ihren Rauch und Finsterniß verschwinden lassen/ hiner den Ruecken an einem Nagel gehenckt/ und nie wieder zurueck oder darnach umbgesehen.«, Ebd., Traktat XLVII, Kap. 4, § 5, S. 866. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 5, § 39, S. 876. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 5, § 5, S. 870.
283 Die Schwierigkeit aber des itztgemeldten Verstehens bestehet fuernemlich darin[n]en/ daß sie die Seele das Ebenbild Gottes ist/ welches den[n] nit nur an sich selber/ sondern auch so viel das Muster betrifft dem es aehnlich ist/ fast unmoeglich ist zuverstehen. Darnach hat auch die Seele kein Bildniß von ihr selbst in sich/ das von ihr unterschiede[n] waere/ darum kan sie sich selbst keines weges durch die Gestalten der Gedancken (Ideæ) verstehen. […] Weil aber die Seele keine eigne Gestalt oder Bild (Speciem) des Goettlichen Ebenbildes von ihr selber hat/ also daß sie sich Verstandsweise in sich selbst verwandeln koente. […] Und hat so demnach auch die Erkaenntnis der Seelen/ als des Goettlichen Ebenbildes/ eine gewisse verneinende Entziehung (Abstracto negativa) von allen andern Dingen bey sich/ dadurch man gleichsam sagen will/ sie sey Nichts (was andere Dinge sind.) Ein Nichts aber kan keinen Gedancken erwecken/ hat auch keine Gestalt …385
Interessanter noch als diese aus der Mystik herausgezogene Erkenntnis der Seele war das Auftauchen der Problematik der »Ichheit«: Es [i.e. das Gemüt, C.G.] warf auff einen Strahl in den Glantz des jenigen Verstaendnisses/ das zu erst verborgen gewesen/ und sich gleichsam zu einer sonderbaren Person oder Jchheit gemacht hatte. […] Die Jchheit nun/ wolte sich diesem Liecht des untersuchenden Verstandes gleichsam entziehen/ und bemuehete sich in den Leib hinein zu fahren/ damit sie sich der Pruefung dieser betrachtenden Warheit nicht untergeben doerffte. Aber in solchen Gesichtern/ in denen der Verstand die Jchheit angreifft/ muß dieselbe Stand halten/ und bleibt gleichsam ausser und ohne den Leib. […] Und hieher gehoerte nun/ und ward auch von oben erwartet/ und starck begehret eine rechtschaffne Bekehrung. Als diese sich einstellete/ so that sich das ander Auge auch auf: Und sahe ich demnach/ daß die Untersuchung aller Dinge/ die unter der Sonnen sind/ eine gute Gabe sey/ so herab kommt vo dem Vatter des Liechts in die Menschen-Kinder/ damit sie etwas zu thun haben/ ud eine gewisse ernstliche Besserung ihrer vergangener Unwissenheit vornehmen; sonst werde die Gefahr einer eitelen selbst-Geselligkeit sie alsobald auf dem Fuß antasten. Darumb bat ich den HErrn fußfaelligst/ daß er nach dem Wolgefallen seiner Gueltigkeit/ wegen meines ernstlichen Mißfallens ueber meiner Eitelkeit mir gnaedig waere/ und doch meine Ichheit/ die sich stets wieder an mich machte/ creutzigen und toedten wolte. Jn dessen faste ich einen festen bestaendigen Vorsatz/ dieses Buch im Feuer zu begraben/ welches ich auch gethan haette/ und schon an dem war/ solches werckstellig zu machen/ wenn wir nicht ein ander Gesicht des Verstandes erschienen waere.386
Van Helmont lieferte erstmals eine Kritik an der akademischen Zweiteilung der Untersuchung der Seele in der Physik (die Seele als Entelechie) und der Metaphysik (die Seele als Geist in der Pneumatologie, neben dem Studium der Engel und Gottes), da sie die Selbsterkenntnis außer Betracht ließe. Die Untersuchung der Seele solle eindeutig in die »Lehre von natuerlichen Dingen«387 eingebettet sein. Die Erkenntnis sämtlicher äußeren Gegenstände stamme aus der Erkenntnis der eigenen Seele.388 »Dannenhero ja billicher 385 386 387 388
Ebd., Traktat IV, Kap. 4, § 57, S. 28. Ebd., Traktat II, § 8–13, S. 12–13. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 1, § 1, S. 857. »Denn es ist ja klar und ungezweifelt/ daß der Mensch sich selber nicht erkennen kan/ wenn er nicht vorher Erkaendtniß von seiner Seele hat. Den[n] ohne Seele ist der Mensch gleichsam ein blosser todter Coerper«. Ebd., Traktat XLVII, Kap. 1, § 2, S. 858.
284 sey daß man zu erst seine eigne Seele/ das ist/ sich selber aus seiner Seele erkenne«389 . Diese erstmalige ausdrückliche Verbindung der Untersuchung der Seele mit der Selbsterkenntnis signalisierte die zunehmende Gleichsetzung des Ich mit der Seele, mehr denn als mit dem ganzen Menschen, Seele und Leib. Van Helmonts »Ichheit« zeichnete sich jedoch durch ihren vagen Charakter aus. Sie bezeichnete kein bestimmtes Organ der Seele.390 Der Weg hin zur modernen Auffassung der Seele war lang. Da er für seine Entdeckung der Rolle der Magensäure bei der Verdauung werben wollte, lokalisierte Van Helmont die Seele nicht im Kopf bzw. im Gehirn, sondern im Magen.391 Ernüchtert musste er allerdings feststellen, dass sich diese Methode zur Erkenntnis der Seele nicht bewährt hatte. Wie oben bereits angedeutet, gab er zu: … die Christliche Naturlehre lasse nicht zu/ daß man vergaengliche/ frembde/ weit entfernte und solche Dinge/ deren Ursachen von fornen an verborgen sind/ zu erkennen vor sich nehme/ und unterdessen bey solcher Betrachtung selbst nicht wisse was man sey/ was der Verstand sey und wie die Verstands-Wuerckung geschehe und bestehe.392
Eine Psychologie im modernen Sinne existierte ja noch nicht. Die Seele wurde immer noch als eine höchst heterogene Zusammenstellung von geistigen (das Gemüt) und materiellen (die sinnliche Seele) Komponenten angesehen. Jedoch handelte es sich nun, wie van Helmont es selber ausdrücklich gegen Tauler betonte, nicht um eine Gegenüberstellung von »Seelenteilen« (die Vorstellung in ihrem Ventrikel gegen den Verstand in seinem eigenen Ventrikel), sondern um eine kontrastierende Differenzierung von »Seelenkräften«.393 Das Ideal der Wiederherstellung einer imago Dei wurde nicht mehr verfolgt, die ›inneren Augen‹ eindeutig metaphorisch verstanden und die Passivität beim Empfang der Erleuchtung zugunsten einer Beobachtung seiner selbst ersetzt. Dadurch wurde die Seele dynamischer betrachtet. Die Innerlichkeit entfaltete sich nun nicht mehr einzig im ›Seelengrund‹, sondern entlang des Spannungsfelds der Seelenkräfte. Van Helmont scheiterte letztlich, weil er das Verfahren zur Bewusstwerdung der inneren Tätigkeit der Seele nicht entdeckte.
389 390 391
392
393
Ebd., Traktat XLVII, Kap. 1, § 1, S. 858. Vgl. dazu ebenfalls Ebd., Traktat II, § 6, S. 12. Ders., Traktat XLIII, S. 829–834. Dies entsprach allerdings einer älteren Tradition. Vgl. Pagel (1984), S. 118–128. »… christinam naturæ Philosophiam non admittere, velle res caducas, alienas, procul remotas, quarumque causæ à priori sunt absconditæ, & nescire interim, quis sim ego contemplator, qualis sit intellectus, quomodo formetur atque subsistat actus intellectualis«, Van Helmont (1648), S. 352. Zitiert nach Van Helmont/Rosenroth (1971/1683), Traktat XLVII, Kap. 1, § 9, S. 859. Traktat XLVII, Kap. 5, § 21. S. 873.
285
4.4
Fazit
Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts rückte die Problematik der ›inneren Augen‹ ins Zentrum mystischer Erfahrung. Statt der Wunder fand die Vision als Merkmal des Heilsgeschehens Anerkennung. Am zunehmend metaphorischen Verständnis dieser ›Augen des Gemüts‹ waren zahlreiche Akteure beteiligt: Mystiker und, mehr noch, Träumer und Visionäre, die als Schwärmer verspottet wurden, orthodoxe Theologen (die ›Anti-Schwärmer‹) und Mediziner. Die ersten Schwärmer teilten nur eine anti-aristotelische Auffassung der Erkenntnis als unmittelbare Erleuchtung ohne jegliche Vermittlung der fünf äußeren Sinne. Als um 1580 die paracelsische Medizin und Philosophie zum schwärmerischen Streben nach einem direkten Zugang zu Gott hinzutrat, entfaltete sich die Problematik der Selbsterkenntnis. Die Alchemie diente oft als wissenschaftliches Raster und Sprache für eine solche Frömmigkeit bzw. praxis pietatis. Im Kontext eines sich ausbreitenden Misstrauens gegenüber der Sinneserkenntnis besaß die schwärmerische Haltung eine gewisse Relevanz. Gegen ihre Kritiker beriefen sich die Schwärmer auf die discretio spirituum: Während des Dreißigjährigen Krieges prüften sie noch im Verlauf ihrer Träume und Visionen deren göttlichen Charakter. Zeitgleich entfaltete sich die Kritik an der Schwärmerei. Die Schwärmer seien krank, nicht nur, weil ihre Imagination verletzt, sondern auch und vor allem, weil ihre Vernunft gestört sei. Ihre Hervorhebung des Gewissens als Selbstgewissheit der göttlichen Natur ihrer Erlebnisse sei nicht glaubwürdig, da das Gewissen universal und sicher, nicht persönlich und problematisch sei. Die Schwärmer tendierten dazu, die herkömmliche, aristotelische allgemeine Zielsetzung der Wissenschaft durch eine Suche nach dem Besonderen, dem Konkreten zu ersetzen. Als die ›Augen des Gemüts‹ metaphorisch und die Innerlichkeit zunehmend dynamisch verstanden wurde, entfalteten sich zwei Debatten. Die erste betraf die angemessene wissenschaftliche Sprache. Die Alchemisten hatten zum ersten Mal versucht, die Sprache der Seele zu entziffern. Dafür hatten sie einen Stil der Unordnung, der Verschiedenheit, der Täuschung und der Verstellung angewandt. Dieser war zweifellos eine Quelle der Dichtung. Die Poesie des Johannes Schefflers beispielsweise enthält zahlreiche alchemistische Begriffe.394 Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges fußten manche Ideale der Fruchtbringenden Gesellschaft auf einem ähnlichen Streben nach einer Sinngebung der Welt, einer ontologischen Wiederbelebung der üblichen Sprache, damit diese als Fundament der Einheit der Deutschen dienen könne. Die alchemistische Neigung zur Rätselhaftigkeit spaltete die Wissenschaftler jedoch. Gegen den abstrusen Stil wurde die wissenschaftli-
394
Vgl. dazu Geyer, Bd. 3, S. 472–478.
286 che Eindeutigkeit und Begrifflichkeit betont, somit die erforderliche Universalität der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Beweise.395 Das Wissen des verständnisvollen Gemüts sollte, wie es van Helmont beispielsweise hervorhob, nicht nur die eigene Selbsterkenntnis, sondern auch der Aufklärung anderer Menschen dienen. Die Selbsterkenntnis wurde tatsächlich über die Zeiten hinweg Gegenstand von gesellschaftlichen und politischen Praktiken und Gattungen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, besonders während des Dreißigjährigen Krieges, als die religiösen und ethischen Normen politischen Handelns tiefgreifend in Frage gestellt waren, wurde die politische, höfische und moralische Literatur der simulatio und dissimulatio zum Gegenstand heftiger Diskussionen. Sie konzentrierte sich auf die menschlichen Affekte und thematisierte auch Fragen des ›Geschmacks‹ und der persönlichen Identität.396 Die Auseinandersetzungen um die göttliche Natur schwärmerischer Träume bzw. Visionen trugen nicht nur zu einer Veränderung des Interpretationsrasters, sondern auch des Traumverständnisses bei. Als die Realität allmählich nicht mehr als ein Satz von Zeichen, sondern von Tatsachen angesehen wurde, büßten die okkulten Wissenschaften sowie die Visionen an Glaubwürdigkeit, folglich an Wissenschaftlichkeit, ein. Die Problematik verschob sich langsam von der Ätiologie des Traums bzw. seiner ontologischen, geistigen oder körperlichen Natur, zu seinem Verhältnis mit der Realität, bisweilen mit dem Wachzustand. Diese Entwicklung lässt sich nicht nur im Heiligen Römischen Reich beobachten, sondern auch unter den Visionären im Englischen Bürgerkrieg397 sowie unter Gelehrten wie René Descartes, die mit den Rosenkreuzern in Kontakt standen. Thomas Hobbes (1588–1679) brachte die neue Problematik prägnant auf den Punkt: Ich beobachte oft die Absurdität der Träume, träume jedoch nie von den Absurditäten meiner wachen Gedanken. Ich gebe mich völlig zufrieden damit, dass ich im Wachzustand weiss, dass ich nicht träume, obwohl ich im Traum mich als wach vorstelle.398
Als die ›inneren Augen‹, die bald die Wahrnehmung der Erleuchtung, bald die Kodierung der Bilder der äußeren Dinge in geistigen Bildern in der Ein395
396 397
398
Zur Kontroverse zwischen Gassendi und den Alchemisten, vgl. Jean-Charles Darmon: Quelques enjeux épistémologiques de la querelle entre Gassendi et Fludd: les clairsobscurs de l’Âme du Monde. In: Aspects de la tradition alchimique au XVIIe siècle, S. 63–84, insbesondere 76–84. Vgl. unter S. 331–334, 340. Vgl. Flugblatt »Neue Schwarm geister-brut« [Bald nach 1651]. In: Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und des 17. Jahrhunderts. Bd. 2.2, II 354, S. 608–609. »I often observe the absurdity of dreams, but never dream of the absurdities of my waking thoughts; I am well satisfied, that being awake, I know I dream not, though when I dream I think myself awake«. Thomas Hobbes: Leviathan, on the Matter, Form, and Power of a Commonwealth ecclesiastical and civil. In: The collected English Works of Thomas Hobbes. London 1997 (Nachdruck der Ausgabe London 1839), Vol. III, parts I–II., erster Teil, Of man, Kap. 2, Of Imagination, S. 7.
287 bildungskraft ermöglichten, zunehmend metaphorisch konzipiert wurden, rückte die Frage der Wahrnehmung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Neben den politici lieferten vor allem die Mediziner einen Beitrag. Daniel Sennert beispielsweise betonte die Rolle des sensus communis. Die Entwicklung zu einer modernen Auffassung von Traum und persönlicher Identität begann jedoch erst einige Jahrzehnte später, als die ›inneren Augen‹ von der Problematik des Bewusstseins ersetzt wurden.399 Doch bereits in der Auseinandersetzung um die Schwärmerei war die Seele als Ort der persönlichen Identität bezeichnet und die Innerlichkeit als ein dynamisches Spannungsfeld verstanden worden.
399
Vgl. unten S. 444–454.
288
5
Traum, Politik und Kommunikation im 17. Jahrhundert
In seiner breit rezipierten Piazza universale listete Tommaso Garzoni die Wissenschaften vom Ausgangspunkt der Theologie auf. Er definierte beispielsweise die politische Philosophie folgendermaßen: Die Politica muß hie lernen/ wie man nicht allein andere Leute/ sondern auch sich selbst/ recht regieren soll. Jn Summa/ hie muß man lernen/ was man glauben/ was man begehren/ was man wehlen/ was man meyden/ was man recht anfangen und enden soll: Als an einem solchen Liecht/ welches uns den Weg in allen unsern actionibus, in allen unsern Geschaeffte[n]/ Wegen und Gedancken zeygen kan.1
Die Politik als Verhaltenslehre bestand in der Kontrolle anderer und seiner selbst, d. h. letztendlich in der Beherrschung der Affekte (»begehren«).2 Mehrere moralpolitische Traktate begannen mit dem ausdrücklichen Befehl, man solle zunächst lernen, sich selbst zu erkennen. Zeitgleich erschienen zahlreiche Flugschriften, die in der Form von fiktiven Träumen die Verkörperung der Staatsräson inszenierten. Zwischen den Regentenspiegeln, der moralpolitischen Literatur einerseits und den satirischen fiktionalen Flugschriften gibt es erstaunliche Wechselbezüge, die sich manchmal aus der vielseitigen Tätigkeit der Autoren ergaben. In dieser Gattung wurden Träume, Fiktionen, wechselnde politische Nachrichten, die Neugier der Leser, deren Zusammentreffen in Wirtshäusern unter der Wirkung des Rauschs, schließlich die Belustigung ihres Gemüts spielerisch assoziiert. Dabei wurde der Traum in Verbindung mit Selbsterkenntnis gebracht. Diese neue politische Definition der Selbsterkenntnis, die die organistische Konzeption des Staates zum Ausdruck brachte und auf der zunehmenden Institutionalisierung der Höfe fußte, trug nicht unwesentlich zur Entstehung eines neuen Traumverständnisses bei. Denn die Politik sollte als ›Klugheit‹ bzw. prudentia, d. h. moralisch geprägte Lehre des praktischen Handelns, alles ›durchschauen‹. Dadurch wurde die Problematik des geistigen Sehens bzw. der Augen des Gemüts gewissermaßen ›enttheologisiert‹. 1 2
Garzoni, S. 231 links. Dazu vgl. das bahnbrechende, zum ersten Mal im Jahre 1969 erschienene Werk von Norbert Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft. Frankfurt am Main 2002 (Gesammelte Schriften 2), dem ich im Einzelnen nicht folge.
289 Als Emblem der Selbsterkenntnis, Indikator des jeweiligen Gemüts bzw. der jeweiligen Affekte eines Gegners, als Gegenstand satirischer Flugschriften und ›neuer Zeitungen‹, und als Untersuchung von Auswirkungen rauschhafter Erfahrungen wie dem Rauchen, wurde die Traumproblematik im Zusammenhang mit der Kommunikation erörtert. Der Traum wurde weniger als ontologisch-ätiologische Erscheinung, denn als Wahrnehmung, Botschaft und gesellige Erfahrung angesehen. Parallel dazu fiel die Wissenschaft von der Seele nicht mehr in den Bereich der spekulativen Physik und Metaphysik, sondern zunehmend in den der ›praktischen Philosophie‹. Die Wechselbeziehungen zwischen den politischen Textgattungen und deren Einfluss auf das Traumverständnis werden in diesem Kapitel vertieft.
5.1
Klugheit, Affekte und Augen des Gemüts
Der Politik, personalisiert im Verhalten der ›politischen Person‹, wurde zunächst eine Gattung gewidmet: die Fürstenspiegel, welche die unabdingbaren Tugenden eines Fürsten schilderten. Im 17. Jahrhundert fungierte diese alte Gattung als Inspirationsquelle der Literatur zur Staatsklugheit, zum Hofleben, zu burlesken Traumfiktionen und zur Staatsräson. Gemeinsam war diesen divergierenden Gattungen das Infragestellen der ›Einbildung‹, der Imagination als Kern der politischen Autorität. Die Wandlung dieser Literatur hin zu belustigenden Texten drückte vor allem die Entstehung eines neuen anthropologischen Musters aus. Der politicus bzw. ›politische Mensch‹ wurde weniger ontologisch nach seinen jeweiligen Tugenden, sondern phänomenologisch nach seinem Verhalten und seinen Affekten hinterfragt. Im Hintergrund dieser Entwicklung steht eine veränderte Interpretation der ›Augen des Gemüts‹, d. h. eine neue Definition des Erkenntnisakts und eine neue Auffassung des Menschen mit Kohärenz von Seele und Körper. 5.1.1
Der Körper und die Seele des Fürsten
In seiner 1630 erschienenen Encyclopaedia ordnete Johann Heinrich Alsted die Politik der prudentia unter.3 Diese Klassifizierung entsprach der aristotelischen Definition der Politik als aus Erfahrung erprobtes Handeln. Deshalb bedurfte der Fürst stets bestimmter virtutes. Diese Auffassung stützte sich zudem auf die herkömmliche organistische Metapher eines funktionellen, auf der Hierarchie dreier Stände (Obrigkeit, Klerus, Bauern) beruhenden corpus civitatis. »Dieweil aines Fürsten leib ist nicht ain aigner leib/ 3
Alsted (1617). Zitiert nach: Gotthardt Frühsorge: Der politische Körper. Zum Begriff des Politischen im 17. Jahrhundert und in den Romanen Christian Weises. Stuttgart 1974, S. 59.
290 sonder ain gemeiner/ dem gantzen land zugehoerig«,4 wurde das gesundheitliche Befinden eines Regenten häufig erörtert. Die Melancholie wurde daher erstmals im politischen Kontext thematisiert und eingehend behandelt. Bereits im Jahre 1549, d. h. vor der berühmten Kontroverse zwischen Johannes Wier und Jean Bodin, erschien ein Ratgeber über die Melancholie des Fürsten und deren Behandlung. Diese sei in der Tat die gefährlichste Krankheit: Welche aber unordenliche traurigkeit zerrütt. Weill denn traurigkait der synreichen lauterhait entgegen kumpt/ schwermuetigkait für ainen verderblichen feindt/ baider der seel unnd des leibs gehalten/ unnd als das schedlichest gift geflohen werden. Auff solchs ain yeder Christlicher Herr volgend die Melancholisch phantaseyen/ mit hoechstem ernst zeitlich außschlagen/ als die so schwermuetige traurigkait geperen …5
Zwei intellektuelle Strömungen trugen maßgeblich zur Ächtung der Melancholie bei. Der federführende Autor, Wolfgang Sedelius (Seydel, 1492–1562), ein Benediktiner, übernahm zunächst (neu)stoizische Begriffe, die er christianisierte. Das Ideal der fürstlichen Verfassung bestehe in der »stilhait und freyhait des gemuets«.6 Die Melancholie verhindere nicht nur die Erlangung eines solchen Zustands. Sie sei vor allem ein Werk des Teufels.7 Aus der galenischen Körpersäftelehre zog er weiter die Begründung des Ideals der fürstlichen Tapferkeit, im kontrastierenden Vergleich mit der »feuchten« und »leichtsinnigen« weiblichen Natur.8 Als präventive Maßnahme gegen die melancholisch bewirkte »schedliche(r) Phantasey«9 sollte der Regent seinen Körper einer strengen Diät unterziehen10 und Leib und Seele mit moderater Kurzweil belustigen.11 Die »Einbildung« bewirke eine geistige Unruhe und wirke der Freiheit des Willens entgegen. Die äußerst zurückhaltende Einschätzung der »Einbildung« bzw. Imagination, des Traums und der Divinationskünste war für sämtliche Regentenspiegel charakteristisch.12 Als die Imagination ab Mitte des Jahrhunderts mit 4
5 6
7 8 9 10 11 12
Sedelius, Fol. B iv r°. Vgl. oben S. 103–104. Zu Sedelius, vgl. Michel Senellart: Mélancolie et politique dans le miroir du prince de Wolfgang Seidel (1547). In: Le Prince au miroir de la littérature politique de l’Antiquite aux Lumières. Hgg. von Frédérique Lachaud, Lydwine Scordia, Mont-Saint-Aignan 2007, S. 369–392. Ebd., Fol. A ij r°. Ebd., Fol. A ij r°. Die Stoa hatte das Innen als Ort der vernünftigen Seele, mithin der Freiheit, und das Außen als Bereich der täuschenden physischen Welt, d. h. der Notwendigkeit, charakterisiert. Diese Antinomie sollte durch den Triumph des Willens, durch die Apathie aufgehoben. Ebd., Fol. B ij v°. Ebd., Fol. A iv r°. Ebd., Titelblatt. Vgl. auch Ebd., Fol. B ij r°-v°. Ebd., Fol. B iij v°. Ebd., Fol. A iij v°. Thomas Birck beispielsweise teilte zwar Melanchthons Auswertung der Astrologie, verurteilte jedoch die Wahrsager und »Nativitaetssteller«. Thomas Birck: Regenten Spiegel … Franckfurt am Mayn: Nicolaus Hoffman. 1607, S. 157–206. Friedrich Balduin sprach in scharfen Worten gegen die Schwärmer: Fridericus Balduinus: Judices/ Das ist/
291 der Staatsräson verknüpft wurde, wandelte sie sich. In Anlehnung an fiktionale Texte, wie die in den 1640er erschienenen Gesichte Philanders von Sittewald des Johann Michael Moscherosch sowie an dessen Alamodischer Politicus wurde die Staatsräson als eine Allegorie der Imagination veranschaulicht.13 Theodor von Reinkingk, Autor der berühmten Biblische[n] Policey im Jahre 1653, charakterisierte die Ratio Status, die ihren lateinischen Namen behalten müsse, da sie der »teutsche[n] Redlichkeit« entgegengesetzt sei,14 durch »die Begierde, sein Reich oder Stadt per fas vel nefas zu vermehren«.15 Mehr noch: Unter Bezugnahme auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen unterstellte er eine teuflische Natur der Staatsräson: So bald der Mensch nach dem Ebenbild Gottes/ das ist/ wie es S. Paulus außleget/ in wahrer Seligkeit und Gerechtigkeit so Gott gefaellig/ ad Ephes. Cap. 4. v. 24. erschaffen/ mit seinem Weibe vermaehlet und in den Paradißgarten/ seinem allerheiligsten Nahmen zu Lob/ Ehr und Preyß die Welt und das Reich Gottes zu vermehren gesetzet und ihme die Herrschafft ueber alle Creaturen uebergeben/ ward bald der leidige Teuffel per Rationem Status, oder auß Begierde seinen Statum und hoellisches Reich auch zu erweiter[n] …16
Gegen die zum Krieg führende Staatsräson17 könnten sich die Deutschen durch ihre »Aufrichtigkeit«, sogar nach dem Sündenfall trotz der Tätigkeit Satans ›aufrechthalten‹.18
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Ausfuehrliche Erklerung des schoenen Lehrreichen Biblischen Buchs der RICHTER … Wittemberg: Georg Kellner. 1617, Fol. )( iij v°, )( )( ij r°-v°. Jedoch blieb seine Einschätzung des Traums sehr ambivalent: »Allhier merckt allein/ das nicht alle Traeume zu verachten sein. Vor zeiten war es ein besonder Mittel/ durch welches Gott mit seinem Volck zu handeln pflegte/ auch wol in Religions sachen. Wiewol wir nur in solchen Punckten die Religion und Glauben betreffend auff Traeume nicht warten dorffen/ so pflegt doch Gott sonst bißweilen im Traum etwas anzudeuten/ was er im gemeinen Leben verrichten wil/ wie solches der Außgang endlich giebt/ da man erst an Traum gedenckt/ in welchem solches war angedeutet worden […] Was ist schlechters/ als ein Traum/ von dem Syrach sagt [Syr. 34.]/ wer auff Trewme achtet/ der greifft nach den Schatten. Dennoch wil er durch diß Mittel Gedeonis Hertz stercken/ das er mit jhm sey/ unnd diesen Feind in seine Hand gegeben habe. Ja in den aller geringsten dingen ist Gottes Krafft und Weißheit gemeiniglich am aller mechtigsten und groesten.« Ebd., S. 458–459. Vgl. dazu Claire Gantet: Discours et pouvoir. La satire chez Moscherosch, médiateur malgré lui. In: Simpliciana 22 (2000), S. 247–270; Dies.: La Paix de Westphalie (1648). Une histoire sociale, XVIIe-XVIIIe siècle. Paris 2001 (Essais d’histoire moderne), S. 133–151. Dieterich Reinkingk: Biblische Policey … Franckfurt am Maeyn: Matthæus Kaempffer. 1653, S. 70–72. Ebd., S. 66. Reinkingk bezog sich auch ausdrücklich auf Jacob Stolterfoht, um die Schwärmerei und den Prophetismus zurückzuweisen: Ebd., S. 54. Ebd., S. 73. Ebd., S. 81–106: »Diese ungerechte Status Ratio, hat eine boese Tochter/ welche jhrer Mutter nachartet/ außgeheckt/ dieselbe heist Ratio belli, Raison de guerra, oder auff gemischet teutsch Kriegs-Estat.« Zum Begriff der Aufrichtigkeit, vgl. Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert. Hgg. von Claudia Benthien, Steffen Martus. Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit 114), insbesondere Johann Anselm Steiger: Superbia fidei. Hochmut des Glaubens und Auf-
292 In einem um 1663 veröffentlichten Regentenspiegel setzte Johann Balthasar Schupp (1610–1661) den Machiavellismus, die dissimulatio-Lehre und die Staatsräson in direkter Anlehnung an Reinkingk mit einem inversus Decalogus gleich.19 Er widmete ein ganzes Kapitel der Definition der Imagination bzw. »Einbildung«.20 Nach der moralischen Literatur bezeichnete er sie als Äußerlichkeit, Schein, Betrug, opinio. Der politische Redner regiere und beherrsche »die gantze breite Welt durch die Einbildung und selbstgemachte Meynung«,21 er setze seine Autorität durch Gewalt, Schrecken und Geheimnis durch. Die Staatsräson teile deshalb gemeinsame Züge mit der opinio und der Fortuna, der Göttin des Glücks bzw. des Schicksals: Ha! ha! ha! die opinion hat viele betrogen. Das weibliche Geschlecht/ das hat je und allezeit geherrschet/ und herrschet noch immer/ entweder durch List/ oder mit Gewalt/ oder doch fein heimlich.22
Die unter dem Deckmantel der Religion geführten politischen Kriege – nach dem üblichen Motto des Dreißigjährigen Krieges – manifestierten par excellence die unselige Natur der Staatsräson für »deß Vaterlands Nutzen und Wolfarth«.23 Zeitgleich zeichnete sich ein neues Interpretationsraster ab. In Johannes Webers Lectio principvm (1665) verwies die Ratio status weniger auf einen täuschenden Schein-Charakter, mithin eine ontologische Bestimmung (Gegenstand jenseits des Scheins), sondern auf menschliche Affekte, die die Wahrnehmung der äußeren Phänomene verzerren könne.24 Dies beeinflusste
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21 22
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24
richtrigkeit des Menschen in der Theologie Martin Luthers und des barocken Luthertums, S. 19–43; Lutz Danneberg: Aufrichtigkeit und Verstellung im 17. Jahrhundert: dissimulatio, simulatio und Lügen als debitum morale und sociale, S. 45–92. Schupp, S. 7. Ders.: Von der Einbildung/ Oder vorgefasten eingebildeten Meynunge der Menschen. In: Ebd., S. 521–563. Ebd., S. 521. Ebd., S. 531. Die Verkörperung der Welt war im Mittelalter männlich. Sie erwarb die Züge der ›Frau Welt‹ unter dem Einfluss der Einführung der Allegorie der Schlange und des Apfels, d. h. der Symbole des Sündenfalls. Vgl. dazu L. E. Feldman: The rape of Frau Welt. Transgression, allegory and the grotesque body in Grimmelshausen’s Courasche. In: Daphnis 21 (1991), S. 61–80, insbesondere 76. Schupp, S. 524. Vgl. auch: »Entweder betrieget uns die opinion, oder aber es seynd viele Kriege gefuehret worden/ nicht der religion sondern region, Gelds und Guts halber/ und wan[n] dz Geld dem Vaterlande nit vorgezoge[n] wuerde/ wuerde mehr treue Patrioten erfunde[n] werden.« Ebd., S. 523. Der Spruch spielt natürlich auf die (protestantische polemische) Maxime cuius regio, eius religio der Territorialstaate seit 1563 (als Echo auf den Augsburger Religionsfrieden 1555) an. Vgl. beispielsweise Johannes Weber: L ECTIO P RINCIPVM … Leutschviæ: Hæred. Brev. 1665, Fol. O 5 r°: »Es fleuest aber der Innerliche Regenten-Raht aus dreyen Brunnen herfuer/ als nemlich von der Natur selbsten/ von der Aufferziehung/ und von der Erfahrenheit. Und zwar die Natur belangend/ thut selbige gleichsam das erste Fenster auff deß Verstandes/ in einem bisweilen heller/ in einem andern etwas tunckeler/ nach dem deß Leibs temperament solches zu laest und vergoennen thut. Denn es ist unzweiffe-
293 auch die Höflinge.25 Deren ›Staatsklugheit‹ ohne Besitz einer eindeutigen Macht übertrug sich auch auf die damals sogenannten ›privaten Menschen‹. 5.1.2
»Anatomia corporis politici«
Zeitgleich, zwischen ca. 1580 und ca. 1620, entstand die Metapher der Anatomie der Seele in der religiösen, mystischen und erbaulichen Literatur, und die Metapher der Anatomie des Leibes wurde in der Politik benutzt. 1524 erstmalig in der konfessionellen Kontroverse nachgewiesen,26 hatte sich die metaphorische Verwendung des Anatomie-Begriffes dann ab 1560 weit verbreitet. Um die inneren protestantischen Streitigkeiten und deren Zerstörungspotential zu verspotten, verteilten Katholiken Flugblätter, die die furchterregende Sezierung Luthers durch seine Anhänger darstellten.27 Die Rezeption der französischen Religionskriege und deren politische Entwürfe zur Zeit der Liga lenkte eine noch größere Aufmerksamkeit auf organische Staatsbilder. Diese vereinigten sich mit dem deutschen Ideal der ›guten Policey‹, d. h. des harmonischen Gemeinwohls im Inneren des väterlich verwalteten Territorialstaats.28 Zwei Beispiele einer Anatomie des ›politischen Körpers‹ werden an dieser Stelle exemplarisch kommentiert, die beide aufgrund der lutherischen Hochschätzung der Obrigkeit ein lutherisches Kolorit besitzen: ein politischer Traktat, der unter dem nicht enträtselbaren Pseudonym Christian Warner Friedtlieb im Jahre 1614 erschienen war, und eine auf den Kurfürsten August von Sachsen (1553–1586) angewandte Erläuterung des Traums Nebukadnezars (Dan. 2) von Lorenz Faust, die mit einem gewaltigen Holzschnitt versehen, bereits im Jahre 1586 veröffentlicht worden war. Christian Warners Prudentia Politica Christiana enfaltete eine weitgehende Übereinstimmung einer Regierung bzw. prudentia mit einem Leib. Grundlagen dieses Vergleichs waren die antike Vorstellung vom Mikro- und Makrokosmos, die auf Platon zurückgehende Analogie des menschlichen Körpers und des politischen Gemeinwesens, schließlich das Streben nach einer christlichen ›Policey‹. So wurde der Regent zum Beispiel im Kopf, die
25
26 27
28
lich/ daß nach eines unterschiedlicher Temperatur und Beschaffenheit/ auch desselben Affecten und Vornehmen unterschiedlich und mancherley erfunden werden«. Vgl. Johann Schmidt: Regenten-Spiegel … Straßburg: Georg Andreas Dolhopff und Johann Eberhard Zetzner. 1666, insbesondere S. 167. Jan Hus, De Anatomia Antichristi … 3 Bde. Straßburg: [Schott]. 1524–1525. Vgl. Sihe wie das ellend Lutherthumb/durch seine aigne verfechter/ gemartert/ Anatomiert/ gemetzget/ zerhackt/ zerschnitten/ gesotten/ gebraten/ vnd letztlich gantz auffgefressen wirdt. [Ingolstadt] [1568]. Vgl. dazu Deutsche Illustrierte Flugblätter. Bd. 2, Nr. 16 (1568) und 17 (1582); Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe. Hg. von Wolfgang Harms, bearb. von Beate Rattay. Coburg 1983, S. 60–61. Vgl. dazu Hans Maier: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft). Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Wissenschaft in Deutschland. München 21986 (11966).
294 Regierung im Herzen, die Kaufleute in den Adern, die Münze im Blut lokalisiert; die Haut veranschaulichte die Einigkeit. Die Schilderung endete mit den eventuell auftauchenden körperlichen Krankheiten, das sinnvolle Gegenmittel und der generellen Empfehlung einer frommen und gerechten Regierung.29 Bemerkenswert ist, dass Warner keineswegs die Seele dieses politischen Körpers, sondern ausschließlich dessen Haupt beschrieb. Mehr noch: Er setzte das Haupt dem Gehirn gleich und zählte zwei ›Kräfte‹ des Gehirns, Verstand und Gedächtnis einerseits, die Augen andererseits. Das Gehirn war also an die Stelle der Seele getreten. Die Erkenntnis entstand immer noch im aristotelischen Sinne als Vermittlung der äußeren Daten durch die Sinnesorgane. Jedoch wurde der Sehsinn eindeutig höher geschätzt. In den Augen befände sich »das Gesicht«. Die prudentia wurde als Kenntnis von Vergangenheit und Gegenwart sowie als Vorwegnahme der Zukunft angesehen.30 Einzig die Augen ermöglichten dieses ›Durchschauen‹ der Zeit. Warner äußerte sich übrigens sehr zurückhaltend in Bezug auf die optischen Hilfsinstrumente: Da sie die Größe der Objekte veränderten, konnte der Mensch »ubel betrogen«31 werden. Die topische Anordnung des politischen Gemeinwesens diente offensichtlich einem memorialen Zweck. Warner definierte sein Vorhaben wie folgt: Gleich wie der Vortreffliche Hoch: und Weitberuembte alte Philosophus Aristoteles, den Menschen der Welt vergleichet/ vnd denselben eine kleine Welt nennet/ Also kan auch gar fueglich vnd wol/ eine Christliche/ nuetzliche vnd gute Policey/ dem Menschliche[n] Coerper vnd desselben vornembsten Gliedmassen verglichen/ vnd auff keine andere art oder weise besser beschrieben/ sonderlich aber dem gemeinen Mann vnd den Leyen/ als durch solche vergleichung/ eingebildet werden.32
Der Vergleich mit dem Leib ermöglichte die imaginäre Einprägung seiner Teile im eigenen Körper des Lesers bzw. des »gemeinen Mann[es]«. Die antike ars memoriae beruhte auch auf einer Zerlegung eines komplizierten Diskurses in loci, die sich mittels Hervorrufung bestimmter Bilder, ins Gedächtnis einprägten.33 In der traditionellen Gedächtniskunst sollten die geistigen Bilder, mittels derer ein Gegenstand erinnert werde konnte, gewaltige 29
30
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Christian Warner Friedtlieb: Prudentia Politica Christiana, Das ist: Beschreibung einer Christlichen/ Nuetzlichen und guten Policey … Goßlar: Voigt. 1614. »Also muß notwendig eine Christliche/ nuetzliche vnd gute Policey einen Herrn vnd Regenten haben/ […] welcher auch der Vnterthanen noth/ anliegen vnd gebrechen hoeren/ der nicht allein/ was gegenwertig ist/ sehen vnnd wissen/ sondern auch waß noch kuenfftig sich begeben vnd zutragen moechte/ ratiocinando, und durch fleissiges nachdencken/ etlicher massen/ erforschen/ vnd solches in guter acht haben …« Ebd., S. 11–12. Ebd., S. 19–20. Ebd., S. 1. Vgl. dazu Yates: L’Art de la mémoire (1975), S. 13–38.
295 Affekte bewirken. Dagegen lief bei Warner die Gleichsetzung des politischen Gemeinwesens34 mit dem menschlichen Körper ohne Einsatz affektiver Schockmomente. Warner schränkte die Rolle der Imagination ein – ihr war kein Platz bzw. keine Funktion im Gehirn zugedacht. Die Mnemonik des politischen Gemeinwesens sollte also lediglich auf der Tätigkeit des Verstandes und des Gedächtnisses beruhen. Die Anatomia statuæ Danielis von Lorenz Faust beruhte ebenfalls auf der Inkorporierung politischer Aussagen in einen menschlichen Körper. Die Statue wurde wie der Traum Nebukadnezars in vier ›Regimenter‹ bzw. Hauptregierungen der menschlichen Geschichte gegliedert. Zugleich trug sie jedoch die Züge des gegenwärtigen Kurfürsten August von Sachsen.35 Diese Statue wurde als krank bezeichnet. Sie diente auch einem memorialen Zweck, der bereits im Titel des Werkes explizit vorweggenommen wurde: A NATOMIA , heist sonst die zerteilung aller glieder des menschlichen leibes/ wie die Anatomici vnd Ertzte zu thun pflegen/ wenn sie einen todten Menschen Coerper auffschneiden/ vnd alle jnnerliche glieder/ adern vnd gelencke durchsuchen vnd anschawen/ das sie eines jeden gelegenheit erkennen/ damit sie aus solchem augenschein von zufelligen beschwerungen vnd kranckheiten desto besser vnd gewisser iudiciren vnd raht geben koennen: Also wird diss Buechlein ein Anatomia statuæ Danielis genennet/ weil dem Koenige zu Babel in einem grossem Menschenbilde offenbarung geschehen/ von den vier haupt-Regimentern auff erden/ Als werden hierin alle glieder des bildnis/ in jeder Monarchien/ vorgenommen vnd betrachtet/ damit man derselben zustandt/ vnd wie es vmb ein jedes bewandt vnd gelegen/ desto eigentlicher erkennen vnd wissen moege. Darnach/ wie am leibe des menschen viel unterschiedene glieder sein/ so wird auch hierin betrachtet/ welche personen vnter der Regenten oder andern fuernemen sachen/ aus sonderlichen bedencken/ mit solchen gliedern verglichen werden/ Gleicher weise/ als auch ein jedes glied am leibe seine zufellige beschwerung vnd kranckheiten hat: Also wird hierin berichtet/ auff welche verenderung in Regimenten solche eigentlich gedeutet werden koennen/ also/ das auch hieraus ein jeder fleissiger mensch/ an seinem eigenem leibe einen gemeinen Calender vnd general Chronicam haben/ in dem er an den gliedern seines leibes/ vnd derselben zufelligen beschwerungen/ sich aller fuernemen historien vnd verenderung in den heuptregimenten/ gar leichtlich erinnern kann/ welches alles aus den fuernembsten historiographis Chronicis, vnd dann aus den schrifften Lutheri, Philippi Melanchthonis, Matthesij, vnd andern buechern mit fleis colligiret vnd zusammen bracht/ vnd mit nutz vnd lust bewogen wird/ vnd dienet fuernemlich darzu/ das solche mutationes imperiorum vnd wuenderliche zufelle desto eigentlicher eingenommen/ vnd besser in gedechtnis behalten werden koennen.«36
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Warner zufolge sollten die Untertanen nicht nur bewaffnet gegen Angriffe auf das Gemeinwesen, sondern auch regelmäßig im Gebrauch der Waffen geübt werden. Vgl. von Friedeburg, S. 81–82. Vgl. dazu Claire Gantet: Visions et visualisations de la Réforme: le Songe de Frédéric le Sage et le Rêve de Nabuchodonosor. In: La Réforme dans l’espace germanique au XVIe siècle. Images, représentations, diffusion. Hg. von François Vion-Delphin. Montbéliard 2005, S. 149–170. Darin lassen sich auch das Titelblatt dieser Schrift und ausführliche Literaturangaben finden. Lorenz Faust: Anatomia Statuæ Danielis. Kurtze und eigentliche erklerung der grossen Bildnis des Propheten Danielis … o. O. 1586,
296 Die metaphorische Sezierung der Statue von Kopf bis Fuß erläuterte zunächst die Bedeutung der einzelnen Glieder, dann die der entsprechenden Krankheiten oder Affekte. Die Lunge zum Beispiel bezeichnete den König Darius, unter dessen Regierung das bedrängte jüdische Volk habe atmen können, der Katarrh die Sintflut, die Gicht die politische Lähmung des Heiligen Römischen Reichs infolge der päpstlichen Vormachtstellung. Die Assoziationsregeln zwischen den Gliedern bzw. körperlichen Zeichen und den Ereignissen, Epochen oder historischen Figuren zeichneten sich durch eine starke Heterogenität aus.37 Manchmal wurde ein Glied metonymisch für ein anderes erwähnt, manchmal verlief der Übergang vom Bezeichnenden zum Bezeichneten metaphorisch. Die blonden Locken der Statuenhaare beispielsweise verwiesen auf Samsons Haare ebenso wie – der Farbe und der Anspielung auf das Goldene Vlies wegen – auf die Reise der Argonauten. Der Prozess der Erinnerungsbildung mittels dieser Stilfiguren war nicht eindeutig definiert. Dennoch scheint er der traditionellen Gedächtniskunst entgegengesetzt. Denn der allgemeine Sinn resultierte nicht aus dem Memorieren durch die Zerlegung des Diskurses in stark emotional beladene loci. Das unerschrockene Statuenbild stand nicht am Ausgangspunkt des intellektuellen Akts, sondern an dessen Endpunkt. Nach der gesamten Ansicht der Statue bewirkte erst die mit pauschalen historischen Daten übereinandergesetzte Erwähnung affekterregender, krankhafter Körperglieder ein individuelles geistiges Bild. Die Verbildlichung der Anatomie des politischen Leibes kann demnach als Ausdruck eines neuen Imaginationsverständnis interpretiert werden. Die Imagination bzw. Einbildung galt in solchen Schriften nicht mehr im aristotelischen Sinne als Vermittlungsvermögen zwischen den fünf äußeren und den drei inneren Sinnen, sondern als Mittel, sich mithilfe des Gedächtnisses ein eigenes Bild zu gestalten. Ziel der Anatomia statuæ Danielis war tatsächlich die Entstehung eines eigenen geistigen Bildes, um den Leser zur Meditation über den flüchtigen Charakter jeder weltlichen Regierung anzuregen. 5.1.3
Das Auge und das Ohr der Politik
Als der Rechtsphilosoph und Philologe aus den spanischen Niederlanden, Justus Lipsius, im Jahre 1589, mit Bezug auf Tacitus, prudentia und virtus als Lenkerinnen der vita civilis charakterisiert und »eines Regenten eigene 37
Dazu vgl. die gute Analyse von Thomas Rahn: Geschichtsgedächtnis am Körper. Fürstliche Merk- und Meditationsbilder nach der Weltreiche-Prophetie des 2. Buches Daniel. In: Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Hgg. von Jörg Jochen Berns, Wolfgang Neuber. Wien/Köln u.a. 2000 (Frühneuzeit-Studien NF 5), S. 521–561.
297 Klugheit« detailliert beschrieben hatte,38 löste er im Heiligen Römischen Reich eine Welle von Schriften über Politik als Manifestation der ›Klugheit‹ aus. Sofort veranschaulichten die lutherischen deutschen Autoren mit Verweis auf 2. Chron. 16 (»Denn des Herrn augen schawen alle Land« nach Luthers Übersetzung in: Biblia, Deudsch, Wittenberg, 1545) Obrigkeit und Klugheit mit dem Emblem der Augen.39 Mehr noch als normale Menschen sei die Obrigkeit nach dem Bild Gottes geschaffen. In seiner Prudentia Politica Christiana charakterisierte Warner deshalb den Regenten durch seine Fähigkeit, was »nuetz oder schaedlich« ist zu »sehen.«40 Die prudentia, auf Deutsch ›Fuersichtigkeit‹ verwies auf die Eigenschaft eines Fürsten, die Zukunft zu erahnen.41 Der Autor eines Breviarium Eustachianum, Johann Adam Scherzer (1628–1683), unterschied drei praktische Dimensionen der prudentia: das Vorhersehen (providentia), die Umsicht (circumpectio) und die Vorsicht (cautio).42 Somit fusste die Autorität des Fürsten auf der alles sehenden Allgegenwart Gottes.
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Justus Lipsius: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex … Lugdunum Batavorum: Plantin. 1589. Ihre erste deutsche Übersetzung definierte die prudentia wie folgt: »eines Regenten eigene Klugheit«, die »in eine so in Friedens- und eine andere/ so in Krieges zeit: vnnd wiederum die/ so inn Friedenss zeit braeuchlich/ inn eine so bey Menschlichen/ und eine andere/ so bey Goettlichen sachen ueblich vnnd herkommen …« [Melchior Haganäus]: Von Unterweisung zum Weltlichen Regime[n]t: Oder/ von Burgerlicher Lehr/ Sechs Buecher Iusti Lipsii … Amberg: Forster. 1599. Diese deutsche Übersetzung wurde 1618 in Neustadt a H. neu ediert. Das Zitat stammt aus der Ausgabe Amberg 1599, 4. Buch, Cap. 2, S. 98. In der Vorrede spricht Haganäus von »Politica oder Regirkunst« und »gutter Policey«. Vgl. dazu Gerhard Oestreich: Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547–1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung. Neue Aufl. Hg. und eingeleitet von Nicolette Mout. Göttingen 1989 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Schriftenreihe der Historischen Kommission 38). Zum Prudentia-Begriff, vgl. Karl-Heinz Mulagk: Phänomene des politischen Menschen im 17.Jahrundert. Propädeutische Studien zum Werk [Daniel Caspar von] Lohensteins unter besonderer Berücksichtigung Diego [de] Saavedra Fajardos und Baltasar Graciáns. [Berlin] 1973 (Philologische Studien und Quellen 66). Zu dieser Ikonographie kann man auf folgende knappe Überblicksdarstellung zurückgreifen: Michael Stolleis: Das Auge des Gesetzes. Geschichte einer Metapher. München 2004. Im frühen Christentum und im Mittelalter wurde oft das Auge als Sinnbild des Logos, der Apostel und Heiligen oder das offene Auge für die Kirche selbst verwendet. Erst mit dem Humanismus und der Rezeption der Hieroglyphik ließ sich eine Übertragung des Augen-Sinnbilds auf die weltliche Herrschaft abzeichnen. Vgl. dazu Frühsorge, S. 68. Warner, S. 18. »Also muß ein Regent vnd daß Haeupt des Landes/ auch fuer andern fuersichtig sein/ vnd nicht allein was vergangen/ sondern auch noch fuer ist/ vnd taeglichen geschicht/ wissen/ damit er was jhme vnd dem Lande zum besten zu thun oder zu lassen noetig sein will/ in guter acht haben koenne«. Ebd., S. 19. Vgl. auch Lorenz Luden: De Informatione Prudentiæ ad usum liber, Partibus tribus, secundum tria Prudentiæ præcepta … Greifswald 1627. Johann Adam Scherzer: Breviarium Eustachianum, Cursum Philosophiæ in Compendio exhibens … [Leipzig]: Lanckisch. 1663, S. 262.
298 In seiner Aulico Politica bezeichnet Georg Engelhard Löhneyss nach Salomon (Sprüche 20:12) die Obrigkeit ebenfalls als »sehendes Auge«, in Gestalt »zweyer Augen oder Liechter«.43 Das »lumen naturæ«, auch »ein guter Verstandt« genannt, solle über die Sicherheit des Landes, die Einhaltung der inneren Ordnung und die Zucht der Untertanen wachen. Ihr besonderes Merkmal sei die Wachsamkeit (vigilantia).44 Das »lumen gratiae« stehe für väterliche Liebe und Sorge für die »Wohlfahrt« der Untertanen. Während die Obrigkeit als ›Auge‹ stilisiert wurde, wurden die Untertanen in Form eines ›Ohrs‹ dargestellt. In seinem berühmten Teutsche[n] Fürsten-Stat (1656) bestimmte auch Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) die »Weißheit« als Chiffre für die sich über das ganze Territorium ausbreitende Fürsorge des Fürsten für die »Wolfahrt« seiner Untertanen.45 Der Landesfürst solle als strafender und liebender Herr wie Gott auftreten. In Anlehnung an das erste Buch der Politik Aristoteles’ wurde diese Auffassung auch auf die Figur des Hausvaters und auf die Gattung der Prudentia œconomica übertragen. Die Prudentia teilte sich in drei Arten auf: die Privata (die Ethik), die Oeconomica (die Landes- und Hausverwaltung), die Politica. Die Emblematik des späten 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts enthielt zahlreiche Abbildungen der Prudentia als weibliche Figur mit einem Januskopf, deren eine männliche Hälfte (mit einem bärtigen Männerantlitz) in die Vergangenheit und deren weibliche in die Zukunft blickte.46 In Diego de Saavedras Fajardo – der einflussreichsten Emblemsammlung des 17. Jahrhunderts – zeigt das 55. Symbol unter der Inscriptio His prævide et provide
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Georg Engelhard Löhneyß: Aulico Politica. Darin gehandelt wird/ I. Von erziehung und Information Junger Herrn. II. Vom Ampt Tugend vnd Qualitet der Fuersten und bestellung derselben Raeht und Officiren. III. Von bestellung der Concilien/ die ein Fuerst in seinem Lande haben mus … Remlingen 1622, S. 99. Vgl. auch Ders.; Aulico Politica, 1622/24 (Nils Birk). In: Fürstenspiegel der frühen Neuzeit. Hgg. von HansOtto Mühleisen, Theo Stammen, Michael Philipp. Frankfurt am Main/Leipzig: 1997 (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 6), S. 386–420. Löhneyß (1622), S. 98. »Die Weißheit/ durch welche die Koenigreiche/ Fuerstenthueme vnd Lande glueckseelig Regieret werden/ ist ihem Ursprung nach Goettlich/ an sich selbst alles das jenige/ was in andern wissenschafften Stueck weise sich befindet. Sie ist in dem Bezirck eines ieden Lands die unentbehrliche Sonne/ durch welche alles Erleuchtet/ erwaermet vnd ernehret wird. Sie vergleichet sich einem unerschoepflichen Meer/ darein alle andere Weißheiten/ vnd Kuenste einfliessen/ vnd durch hohe vnd verborgene Art/ zu der gemeinen Wolfahrt/ durch das gantze Land hinwiederumb außgetrieben vnd vertheilet/ werden.« Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fuersten-Stat. Hanau 1656, Dedikation an den Kurfürsten Johann Georg von Sachsen, n.p. Vgl. den Nachdruck in: Staatslehre der Frühen Neuzeit. Hg. von Notker Hammerstein. Frankfurt am Main 1995 (Bibliothek der Geschichte und Politik 16), S. 237–482. Vgl. Cesare Ripa: Nova Iconologia di Cæsare Ripa Perugino Caualier de SS. Mauritio, & Lazzaro … Padova: Pietro Paolo Tozzi. 1618, S. 428. Vgl. dazu Erna Mandowsky: Untersuchungen zur Iconologia des Cesare Ripa. Hamburg 1934 (Diss.).
299 eine geharnischte Hand, die ein mit Augen besetztes Szepter hochhält. Die Subscriptio erläutert: Ein Fuerst so viel sehen und hoeren muß/ solte billich lauter augen und ohren sein […]/ weil nun solches nit sein mag/ so ist es noethig/ daß er sich anderer gebrauche. […] Eben ein solches wolten die Egyptier durch daß auge auf dem Scepter gemacht/ angedeutet haben/ dan daß auge ist ein raht der kuenftigen dinge […]. Derowegen wirdt auch in diesem gegenwaertigen Sinnspruch ein Scepter voller augen vorgestaelt/ anzudeuten/ das der Fuerst die gescheften seiner regierung durch die Raehte versehen und vorkommen muß.47
Das Bild des Szepters (für die Macht) mit dem Auge (für die Fürsorge), in der Antike die Hieroglyphe für den ägyptischen Gott-König Osiris, war im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts durch die Hieroglyphica Horapollos (erste lateinische Übersetzung im Jahre 1512) verbreitet worden.48 Es hatte seine ursprünglich mythisch-religiöse Dimension zugunsten einer politischen Dimension eingebüßt. An die Stelle der Vorhersehung eines theokratisch verstandenen Gottes war die Sicherung der väterlichen Macht eines nach dem Bild Gottes eingesetzten Fürsten getreten. In der Subscriptio behandelte Saavedra überdies die Aufgabe der Sekretäre, die noch zusätzliche Augen böten: Jene bedienten oder Secretarii des großen G OTT es/ welche wir Evangelisten nennen/ werden uns in der Offenbarung Johannis/ durch die vier gefleugelte Thiere vorbedeutet/ inwendig vnd außwendig voller augen […]. Die eusserlich augen (bedeuten)/ die genaue wissenschaft aller dingen; die innerliche aber deroselbigen betrachtung.49
Die Augen dienten also nicht mehr der Vorsehung, sondern der Besonnenheit. In einem weiteren ›Symbol‹ wurde ein sich in der Innenfläche der Hand öffnendes Auge dargestellt. Die Auslegung lautete: »Nichts ist/ welches dem menschen besser vnd nuetzlicher ist/ als ein kluges mißtrauen. […] Sey derowegen der Fuerst vorsichtig in handlung der geschaeften«.50 Die Ikonographie der Staatsräson schöpfte aus diesen Quellen. Ihre früheste nachgewiesene allegorische Darstellung wurde 1618 in der posthumen Ausgabe der Iconologia Cesare Ripas veröffentlicht. Die Ragione di stato 47
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Diego de Saavedra-Fajardo: Ein Abriss Eines Christlich-Politischen P RINTZENS / In CI. Sinn-bildern vnd mecklichen Symbolischen Spruechen … Amsterdam: Johann Jassonius der Jünger. 1655, S. 512–514; Ders.: Emblemata, Sp. 1267; zitiert nach: Frühsorge, S. 112. Horapollo: Fasanini Filippo, Hieroglyphica, interpr. Phil. Phasianino, Bononia. o. O. 1517. Vgl. dazu Karl Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance. Besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 32/1 (1915), S. 138–139; Dietrich Walter Jöns: Das ›Sinnen-Bild‹. Studien zur allegorischen Bildlichkeit bei Andreas Gryphius. Stuttgart 1966 (Germanistische Abhandlungen 13), S. 6, Anm. 5. Horapollo hatte den Beleg »oculo et sceptro Osirim« in Plutarchs Traktat über Isis und Osiris entdeckt, der erst im Jahre 1509 in Venedig eine editio princeps erfahren hatte. Im Folgenden folge ich Frühsorge, S. 112–115. Saavedra-Fajardo (1655), 56. ›Symbol‹, S. 532; Ders.: Emblemata, Sp. 1420. Ders. (1655), 51. ›Symbol‹, S. 476; Ders.: Emblemata, Sp. 1120.
300 trägt neben Herrschaftsattributen unter ihrer Rüstung ein »gänzlich mit Augen und Ohren bestickt[es]« Kleid, »um anzudeuten, daß sie eifersüchtig auf Herrschaft bedacht ist, daß sie für alles Augen und Ohren haben will, um ihre Pläne besser verfolgen und diejenigen der anderen durchkreuzen zu können«.51 Auch in zahlreichen anderen Werken, wie beispielsweise auf dem Titelblatt zu Grimmelshausens Zweykoepffiger Ratio Status erschien die Staatsräson mit einem Gewand voller Augen.52 Zweifelsfrei wurde der Sitz des Sehsinns und sämtlicher Seelenkräfte (facultates) in den Kopf gelegt. Im Jahre 1689 schilderte Daniel Casper von Lohenstein in seinem Arminius-Roman die Aufgaben und Fähigkeiten eines Fürsten. Das Haupt, ein Auszug der Welt/ ein Ebenbild der himmlischen Stern-Kreiße/ kan nicht ohne Augen/ ein Fuerst nicht ohne Raethe seyn; […] nach dem kluger Rath nichts anders/ als ein auf kuenfftige Begebenheiten gerichtetes Auge ist. Das Hertz und die Augen sind an einander so genau verknuepffet: daß diese sich seiner Freude und Leid alsofort theilhafftig machen. Ein Fuerst muß nichts minder seiner Diener empfindliche Zuneigung versichert seyn […]. Ja der Fuerst selbst muß so wenig/ als die Augen in seiner Wachsamkeit muede werden …53
An die Stelle des geistigen Sehens, der »innerlichen Betrachtung« (Saavedra) war ein physiologischer Prozess, eine »empfindliche Zuneigung« getreten. Ariovist warnte dann Marbod vor den »wolluestigen Anreitzungen«, welche mittels Augen und Ohren Handlungen bewirkten und den Menschen »luestern« machten: »Dieses/ Marbod/ ist das wenigste was ein Fuerst zu seiner Selbst-Erkaentnueß nur aus Betrachtung der eusserlichen Sinnen zu lernen hat.«54 5.1.4
Das Durchschauen der Affekte
Bereits um 1640 wurde die neuartige medizinische Untersuchung der Nerven bei der Wahrnehmung55 in die moralistisch-politische Literatur übernommen. Die sinnliche Täuschung leitete sich nicht mehr einfach aus einer Wahrnehmung von falschen Bildern äußerer Gegenstände ab, sondern aus der Natur des ›Gemüts‹. Trotz Schwankungen wurde das Gemüt im 17. Jahrhundert als Verstand (mens) und Willen bezeichnet. Aufgrund seiner Verbindung mit dem Herzen erregte der Wille Affekte, die eine Unruhe im Gemüt schufen. Mit anderen Worten: die Wahrheitskriterien waren nicht mehr ontologisch, in den Gegenständen, sondern epistemologisch, in der geistigen 51 52
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Ripa: Nova Iconologia, Bd. 2, S. 437. Deutsche Übersetzung von Frühsorge, S. Hans Jacob Grimmelshausen: Simplicianischer Zweykoepffiger R ATIO S TATUS … Nuernberg: Wolf Eberhard Felßeckern. 1670, Titelblatt. Hier Aufl. 1699. Daniel Casper von Lohenstein: Grossmuethiger Feldherr Arminius oder Herrmann … 2 Bde. Leipzig 1689, 1. Teil, 7. Buch, S. 1102. Ebd., S. 1103–1105. Vgl. oben S. 169–183.
301 Urteilskraft, definiert. Dadurch entstand ein Zusammenhang zwischen Physiologie und Tugendlehre. Die Abhängigkeiten von den damaligen Vorbildern des französischen Hofes und der deutschen Eigentümlichkeiten können am Beispiel der deutschen Übersetzung eines berühmten ›Hof-Traktates‹ illustriert werden, am zunächst in Paris 1617 anonym erschienenen Traité de la Cour von Eustache du Refuge, einer Sammlung von prudentia-Maximen für den Hofgebrauch. Ihre überarbeitete Auflage von 1656 entfaltete eine physiologische Erläuterung der Leidenschaften der Seele (passions de l’âme). Die Grundmaxime lautete: Der Unterschied der Personen liegt entweder in den inneren Vermögen, von denen deren Handlungen herrühren, oder in deren äußerlichen Bedingungen, mittels derer wir wie durch eine Wolke etwas von deren Neigungen entdecken können.56
Du Refuge bezog sich mehrmals auf die ›Naturalisten‹, d. h. die mit dem Milieu der libertins érudits verbundenen Ärzte und Philosophen, die eine rein physiologische, gar mechanistische Anthropologie vertraten.57 Du Refuges Abhandlung basierte zwar auf der galenischen Tradition der vier Temperamente (sanguinisch, cholerisch, phlegmatisch, melancholisch), er interpretierte sie jedoch nicht als Veranschaulichung bestimmter Körpersäfte, sondern im paracelsischen Sinne als besondere Eigenschaften (»qualitez«), die von der jeweiligen Trockenheit und Wärme des eigenen Körpers erzeugt würden. Ein Mensch mit trockenem Temperament könne genau unterscheiden, auswählen und daraus folgern; diese Eigenschaften charakterisierten den ›klugen‹ Mann, den Höfling wie den Diplomat. Der Mensch mit warmem Temperament, d. h. mit einer starken Imagination, könnte zwar die Zukunft vorhersehen, sei jedoch überheblich und eitel. Das trockene Temperament finde sich häufiger bei den Armen als bei den reichen und trägen Leuten.58 Die Überlegenheit der Höflinge, besonders der wenig begüterten, wurde physiologisch, also durch ihre ›Natur‹ begründet. Der Ventrikellehre schenkte du Refuge keinerlei Beachtung. 56
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»La difference des personnes se prend ou des facultez interieures, desquelles procedent leurs actions, ou de leurs conditions exterieures, par le moyen desquelles nous pouvons descouvrir comme au travers d’un nuage quelque chose de leurs inclinations«, [Eustache du Refuge]: Traicté de la Covr, ou instruction des Courtisans … Amsterdam: Elzeviers. 1656, S. 25. Ebd., S. 51, etc. Vgl. auch François La Mothe Le Vayer: Du sommeil, et des songes. In: Ders., Œuvres de François de La Mothe Le Vayer, Conseiller d’Etat, &c., Nouvelle Edition revuë & augmentée, Tome II partie II, Pfœrten et Dresde: Michel Groell. 1706 (11643). Zu den libertins und die Wissenschaft, vgl. Richard H. Popkin: Scepticisme et sciences modernes (XVIe-XVIIe siècles). In: Révolution scientifique et libertinage. Hg. von Alain Mothu. Bruxelles 2000 (De diversis articus), S. 105–115; Ann Thomson: Réflexion sur la question de l’âme chez quelques médecins ›libertins‹ (fin XVIIe – début XVIIIe siècles). In: Révolution scientifique et libertinage, S. 193–207. [du Refuge], S. 26–28.
302 Trotz der allgemeinen Werktreue zu Du Refuge wich Georg Philipp Harsdörffers (1607–1658) Übersetzung in einigen Punkten ab. Der Dichter und Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft fügte dem französischen Original moralische Gedichte und zehn »Seltne Bemerkungen« bei, die den Naturalismus der Pariser Version durch eine moralisch-lutherische Färbung ersetzte. Der Ausdruck »à ce que disent les Naturalistes« wurde mit dem abgeschwächten Nebensatz »nach dem Naturkundiger Bericht« übersetzt.59 Die neue deutsche Vorrede enthielt einen Katalog der wichtigsten Bibelstellen zum Wortgebrauch der ›Klugheit‹. Das Werturteil bezog sich auf die von Harsdörffer genannten »Mitteldinge«, die zur Zeit des Interims ein Jahrhundert früher den Gegenstand eines heftigen Konflikt unter den Lutheranern gebildet hatten.60 Die Erwähnung der »teutschen Redlichkeit« im Gegensatz zum »König Fraus« verlieh der deutschen Fassung einen patriotischen Akzent. Mehr noch: Die Interpretation der ›Leidenschaften der Seele‹, »Gemütsneigungen« im deutschen Text, unterlag deutlichen Änderungen. Allgemein trug das Ganze einige neustoizistische Züge. Harsdörffer betonte noch mehr als das Original die Zerrissenheit der menschlichen Psyche und die Notwendigkeit, sie zu zähmen. Jeder äußere Gegenstand erzeuge eine »Begierde« (désir in der französischen Fassung). Wenn ein begehrtes Objekt möglicherweise erworben würde, entstünde eine Hoffnung, dann ein Vertrauen, letztlich eine Kühnheit;61 diese Affekte bildeten die Grundlage eines harmonischen Hoflebens. Die ›Klugheit‹ wurde demnach zur Tugend der Beständigkeit. Das Vokabular wurde differenzierter. Das französische Wort esprit wurde manchmal durch »Gemüt« (d. h. Intellekt und Wille), manchmal durch »Verstand« (d. h. Intellekt), manchmal durch »Geisterlein deß Geblüts« (für die spiritus naturales) übersetzt. Die »Gemütsneigungen« entstanden nach Harsdörffers Version nicht in der Leber und im Herzen wie die passions de l’âme, sondern im »Gemüt«.62 Wenn der Mensch nicht »Wahrheit und Verstand« besitze, bekomme er von den äußeren Erscheinungen bestimmte »Meinungen«, die sich entweder aus der »Beredung einer und der anderen Personen«, aus der »Gewonheit« (d. h. letztendlich der Erziehung), oder aus den »Gemuetsneigungen/ welche den Willen beherrschen«, ergäben.63 Die »Meinungen« bewirkten also »Regungen und Bewegungen unsres Willens«, 59
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Ebd., S. 51; [Georg Philipp Harsdörffer]: Mr. D U R EFUGE / Kluger Hofmann … Franckfurt/Hamburg 1655, S. 51. Die sogenannten Mitteldinge bzw. Adiaphora bezeichneten religiöse Gegenstände, die von den sogenannten Philippisten (den Anhängern Melanchthons) als nicht wesentlich bei der Abgrenzung zwischen Protestanten und Katholiken angesehen wurden. Ebd., S. 54. [du Refuge], S. 50–51. [Harsdörffer], S. 44.
303 die ihrerseits »den Verstand« »erreg[ten] und beweg[ten]«.64 Die Imagination – benannt nach ihrem Vermögen, geistige Bilder zu gestalten, »Bildung« oder »Einbildung« – intensivierte die Hoffnung und sämtliche Gemütsneigungen.65 Im Gemüt bzw. im Gehirn bildeten sich solche Neigungen heraus: das Gemüt bzw. das Gehirn wurden zum Sitz einer flüchtigen, zerrissenen persönlichen Identität. Der Hauptunterschied zum französischen Original betraf genau das Thema der Selbstidentität. Du Refuge hatte diesbezüglich lediglich den Vorteil einer Selbstbeherrschung geschildert: Aber wenn wir über uns selber führen, so werden wir zweifelsohne imstande sein, die ganze Welt zu beherrschen und die Neigungen anderer Leute zu meistern. […] Uns kommt es, ganz nach unserem Belieben und dem jeweiligen Verlangen vorzutäuschen, die Anderen unter uns zu beugen und hinauszuschieben, mit Zügeln in Händen gehend.66
Harsdörffer überließ »den Artzen […], jhnen nicht in jhren Beruff einzugreiffen«67 die Auswahl der erforderlichen »Kur«, d. h. konkret der Diätanwendung. Der Mensch könne jedoch auch selbst ›natürlich‹ seine Fähigkeiten durch »Auferziehung/ Erfahrenheit/ vnd die Beobachtung vernuenfftigen Ursachen«68 korrigieren. Er behauptete weiterhin Folgendes: »die Betrachtung unsres Vermoegens/ bemaessiget die Gemuetsneigungen«.69 Die empfohlenen Mittel für diese »Beobachtung« erwiesen sich dennoch als traditionell: es handelte sich um die Physiognomie, die bereits im 16. Jahrhundert in bestimmten philosophischen und medizinischen Kreisen Anwendung fand.70 In seiner eigenen Vorrede entwickelte Harsdörffer eine interessantere Vorstellung von Selbsterkenntnis. Er fügte einen Kupferstich hinzu, auf dem ein Höfling ein Fernrohr auf ein Labyrinth richtete, in dem ein Mensch und ein Tier gegeneinander kämpften. Der Kommentar führt aus, dass es sich um den Kampf des Theseus gegen den Minotaurus handelt. Dieser sei ein Sinnbild »deß gefaehrlichen vnd beschwerlichen Hoflebens«71 Die pessimistische Einschätzung und Abwertung des Hoflebens aus moralischen Gründen war zwar nicht neu. Jedoch wurde sie durch die deutsche 64 65 66
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Ebd., S. 46–48. Ebd., S. 57–65. »Mais si nous pouvons commender à nous-mesme, il n’y a point de doute que nous ne soyons capable de regenter tout le monde, & estre maistre des affections d’autruy […] Il sera en nous de feindre, ployer & differer à nostre ayse selon le besoin, marchant toujours la bride en mains …« [Du Refuge], S. 86. [Harsdörffer], S. 84. Ebd., S. 85. Ebd., S. 93. Vgl. beispielsweise Girolamo Cardano: La Métoscopie de H. Cardan, medecin milanois. Comprise en treize livres, et hvit cens figyres de la face hvmaine … Paris: Thomas Iolly. 1658; Io. Baptista Porta [Giambattista Della Porta]: Magia naturalis, sive de miraculis rerum naturalium libri IIII. Antverpiae: Plantin. 1560. [Harsdörffer], Fol. (:) iij r°.
304 Übersetzung des Traktats des Franziskaners und Bischofs von Guadix, Antonio de Guevara, Menosprecio de corte y alabanza de aldea (Valladolid 1539)72 von dem niederländischen Flüchtlingen Aegidius Albertinus73 im Jahre 1599 intensiviert. In seiner Vorrede behauptete Albertinus, dass Guevara die Höfe des Kaisers Maximilian, des Papstes, der Könige von Frankreich und England kennengelernt habe. Er habe »nit getraeumet/ noch […] dasselbe von andern vernommen/ sondern mit seinen augen gesehen/ mit seinen fuessen beschritten/ mit seinen haenden befuehlet/ ja auch etwanne mit seinen hertzen beweinet …«74 Nach der Affektenlehre war der erwünschte Kenntnisgewinn nicht abstrakt, sondern fühlbar, sogar leiblich. Kein Wunder, dass das Hofleben im Zentrum mehrerer barocker Trauerspiele stand: Zahlreiche Schriften bedauerten wie ein Trauerchor die »Laster« des Hoflebens. Als Gegenideal der arcana der Politik, der an sich moralisch verwerflichen Machtmittel und des unsicheren Schicksals der Höflinge nach deren jeweiligen Begünstigung, wurde »ein ruhig privat Leben auff dem Lande« bezeichnet. Einige Jahre vor dem Erscheinen Aegidius Albertinus’ Abhandlung hatte Justus Lipsius einen De Constantia-Traktat veröffentlicht, in dem er die beiden Gärten seines Freundes Langius schöner als »die Felder Elysii« beschrieb. Er brachte die Gärten mit der Schaffung der Welt und dem Paradies in Verbindung und führte eine Reihe historischer Beispiele an, in denen sich die Gärten als erquickende Kraft gegen die Hofturbulenzen erwiesen hätten.75 Der Garten wurde zum Hof-Flucht-Motiv und Sinnbild einer stoisch geprägten vita beata, die sich in der Beständigkeit der Seele gegen Fatum und Fortuna zu 72 73
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Vgl. dazu http://www.filosofia.org/guevara.htm Zu Aegidius Albertinus, vgl. Rainulf A. Stelzmann: Vorwort. In: Aegidius albertinus: Christi Königreich und Seelengejaidt. Faksimiledruck der Ausgabe von 1618. Hg. und eingeleitet von Rainulf A. Stelzmann. Bern 1983 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 17), S. 5*-42*. Aegidius Albertinus: Von Beschwerligkeit vnd Vberdruß des Hofflebens: vnd Lob deß Feldbaws oder Landsitzes. Das ist: Wie das Hoffleben zuuerlassen/ vnd hergegen ein ruhig privat Leben auff dem Lande zuerwehlen sey … Lübeck 1600, Vorrede, unpag. Emphatisch wünschte er sich: »O du Brunn aller Frewden und reinen Wollust: O du Sitz aller liebligkeit vnd freundlichkeit: […] wolte Gott/ das ich von aller dieser Buergerlichen Unruhe vnd Inheimischen Tumult abgesondert/ vnter diese Kreuter/ vnter diesen der bekandten vnnd Newen vnbekandten Welt Blumen/ […] vmbher spatzieren/ […] vnd mit betrug meiner sorgen vnd Arbeit allhier mein Leben zu bringen moechte.« Justus Lipsius: Von der Beständigkeit (De Constantia). Faksimiledruck der deutschen Übesetzung des Andreas Viritius nach der 2. Auflage von ca. 1601 mit den wichtigsten Lesearten der 1. Auflage von 1599. Hg. von Leonard Forster. Stuttgart 1965, Buch II, S. 72. Vgl. dazu Leonard Forsters Nachwort zu Lipsius: Von der Beständigkeit, S. 22*; Wolfgang Stammler: Der allegorische Garten. In: Hart, warr nich mööd, Festschrift für Christian Boeck. Hgg. von Gustav Hoffmann, Gustav Jürgensen. Hamburg-Wellingsbüttel 1960, S. 260–285; Werner Welzig: Constantia und barocke Beständigkeit. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 35 (1961), S. 416–432.
305 bewähren habe: »Dem Gemuet nemlich zu gut/ vnnd nicht dem Leibe/ sein anfangs die Gaerten erfunden …«76 In Folge dieser Tradition wurde das Hofleben mit einem Labyrinth und die Staatsräson mit dem Faden der Ariadne verglichen. So charakterisierte beispielsweise Johann Elias Keßler die ratio status: »Das sichere Zeichen Ariadnae/ vermittels dessen Bemerkung jeder Staats-Herr das Labyrinth dieser weltlichen Regimenter mit seiner Prudentz […] durchwandern kann«.77 An diese moralische Abwertung des unruhigen Hoflebens knüpfte Harsdörffer den Wunsch, man solle sich selbst kennen. Dieser ergab sich vorwiegend aus der deutschen Diskussion zur Selbsterkenntnis seit den 1580er Jahren.78 In seiner Übersetzung und Bearbeitung des französischen Originals, hatte Harsdörffer die Klugheit als Durchschauen, Voraussehen definiert: … da hingegen die Klugheit alles betrachtet/ den Anfang/ Fortgang vnd Ausgang durchsihet/ ergruendet/ vnd das Kuenfftige mit allen Zufaellen auf vnterschiedne weise vorstellig machet …79
Der Symbol dieses Durchsehens des Gemüts war auf Harsdörffers Titelblatt das vor kurzem wissenschaftlich verwendete Fernrohr. Es sollte ebenfalls die Zukunft erahnen: Solcher Sieg ist nicht mit leichter Hand und lasser Bloedigkeit zu erringen/ wie etliche in dem Werke erfahren/ etliche aber durch das Fernglaß/ ich sage durch den Krystall deß Gegenwaertigen/ in die zukuenfftigen Begebenheiten/ durchschauen; in dem nemlich der kluge Hofmann/ aus andrer Beyspiele/ seine Begegniß besorglich vermuthet/ un[n] behutsamlich vermeidet.80 76 77
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Lipsius (1965/1599–1601), S. 78. Johann Elias Keßler: Detectus ac a Fuco Politico Repurgatus Candor & Imperium indefitim, vastum & immensum Rationis Status, Boni Principis, das ist Reine vnd vnverfaelschte Staats-Regul/ Christlicher Staats-Fuersten vnd Regenten … Nuernberg: Hoffmann. 1678, S. 463. Vgl. dazu Frühsorge, S. 109. Frühsorge zitiert auch die Subscriptio des 13. Emblems in Marcus Z. Boxhorns »Emblemata Politica« (Amsterdam 1651): »Non peccabo, si Reipubl. administrationem cum Labyrintho contendem«. So führte Harsdörffer dieses Bild nicht ein. In seinem 1646 erschienenen »Oráculo manual y arte de prudencia« hatte der Jesuitenpater Baltasar Gracián in seiner 89. Maxime die »Kenntnis seiner selbst, an Sinnesart, an Geist, an Urteil, an Neigungen« empfohlen. Vgl. Baltasar Gracián y Morales: Der kluge Weltmann. Aus dem spanischen Original von 1646 ins Deutsche übertragen und mit einem Anhang versehen von Sebastian Neumeister. München 2004 (dtv 13254). Gracián entfaltete die Selbsterkenntnis im politischen Kontext. Diese Thematik wurde dennoch im Heiligen Römischen Reich deutlich später, vorwiegend durch die erste Vorlesung in deutscher Sprache, am 31. Oktober 1687 an der Universität Leipzig, von Christian Thomasius verbreitet. Sie hieß »Ueber des Gratians Grund-Reguln/ Vernuenfftig/ klug und artig zu leben«. Thomasius hatte Graciáns Werk durch dessen französische Übersetzung, L’Homme de Cour (Paris: Veuve Martin, Jean Boudot. 1684) von Nicolas Amelot de la Houssaie, entdeckt. Die im Jahre 1672 gedruckte Übersetzung des »El politíco« von Daniel Caspar von Lohenstein wurde hingegen kaum rezipiert. Eine lateinische Übersetzung erschien erst im Jahre 1731. [Harsdörffer], S. 363. Ebd., Fol. (:) iij r° – v°.
306 Wie das Fernrohr das Sehen intensiviere, ermögliche die durchschauende Vernunft des Politikers, verborgene Dinge zu sehen, die Gemütsneigungen zu entziffern und dem Verhalten eines Gegners zuvorzukommen. Diese Gegenüberstellung verlieh der Selbsterkenntnis eine konkrete, instrumentelle, gleichzeitig auch sinnliche Dimension, die in den späteren Traktaten in den Vordergrund rückte. Gotthard Frühsorge weist darauf hin, dass Keßler ebenfalls das Fernglas als Symbol der neuen »Staats-Wissenschafft« benutzte.81 Die ratio status setzte eine bestimmte Gier nach Erfahrung voraus. Sie sei als »wolschmekender Bissen« derart beliebt, dass niemand den geringsten Scheu traegt/ sondern sich mit einer so niedlichen Speise zu sättigen/ vielmehr mit gesamter Welt/ Hunger und Lust bekommt; vnd gebuehret diese luesterne Regiments-Mutter kein Kind/ so nicht nach diesem redlichen Namen muß getauffet werden.82
Es lässt sich also eine semantische Differenzierung zwischen der positiv, wenngleich mit Zurückhaltung, konnotierten Klugheit als Durchschauen der Affekte von Gegnern und der verworfenen ratio status als lüsternde Beherrschungslust beobachten. Beide waren ein Beweis für eine wachsende Besorgnis wegen der Undurchsichtigkeit der persönlichen Identität und den aus dem sinnlichen Sehen abgeleiteten, übertragbaren Begierden.83 Eine theoretische Formulierung wurde von einem anderen Gelehrten, Dichter und Diplomat, Justus Georg Schottelius (1612–1676), im Jahre 1669 vorgeschlagen. Dieses ebenso auf Deutsch (Schottelius betonte, dass er sämtliche lateinische Termini übersetzt hatte) und für einen Hof (den Wolfenbütteler Hof) geschriebene Werk assoziierte gleichfalls Affekte und Erkenntnis. Wie Harsdörffer richtete auch Schottelius sein Augenmerk auf das Gemüt als Zusammensetzung von Verstand und Willen, und auf die Begierde. Jedoch konzipierte er sein Vorhaben nicht als ein politisches Buch, sondern als eine moralisch gesinnte Untersuchung der Psyche am Beispiel des Hoflebens. Das Werk begann ganz traditionell mit der christlichen Bestimmung des Menschen als »rechte Vereinigung vnd Beisammenheit Leibes und der Seel« (den Leib charakterisierte er übrigens als »Fleisch« und »Kott«, die Seele dagegen als »unsichtbar« und »Geist«),84 dann mit der aristotelischen Unterscheidung der vegetativen, sensitiven und rationalen Seele.85 Mehr noch als Harsdörffer entfaltete er jedoch eine Physiologie der »Bergierde (appetitus)«, die er übrigens nicht aus dem Gemüt, sondern aus dem
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Keßler, S. 10. Vgl. Frühsorge, S. 109. Keßler, S. 10. Vgl. Frühsorge, S. 110. Zum Themenkomplex des Blicks und der Bergierde, vgl. Jean Starobinski: L’Œil vivant. Corneille, Racine, La Bruyère, Rousseau, Stendhal, Paris 1999 (11961) (Tel). Justus Georg Schottelius: Ethica. Die Sittenkunst oder Wollebenskunst. Hg. von Jörg Jochen Berns. Bern/München 1980, S. 70. Ebd., S. 71–86.
307 Herzen strömen ließ. Im Zusammenhang mit einer Auffassung vom Körper als einem stets wechselnden, aufsaugenden und absondernden, fließenden, schwitzenden und blutenden oder zumindest einem durch das Strömen von Säften bestimmten Wesen86 nahm das Herz den ersten Platz unter den lebenswichtigen Organen ein. Während das Seelenvermögen (»Erkenntniß« oder sensus communis, »Bedencken« oder »Vorbildungs-Kraft«, »Gedaechtniß«) in »Hirnloechlein« (und nicht in Ventrikeln) lokalisiert wurde, wurden die aufgelisteten elf »Hertzneigungen« durch Zusammenziehung und Austrocknung des Herzens hervorgerufen. Diese erzeugten entweder eine »Begehrlichkeit« (die »Lust«) oder eine »Abkehrlichkeit« (den »Zorn«), die den Willen, mithin das Gemüt bewege.87 Mit anderen Worten: Die fünf »inneren Sinne« (die drei Seelenvermögen, die Begierde und die »BewegungsKrafft«) verteilten sich also zwischen Seele und Herz. Schottelius betonte, dass die Neigungen an sich nicht schlecht seien, da sowohl die Begierde als das Herz von Gott geschaffen worden waren. Die bösen Begierden stammten allgemein aus dem Sündenfall, konkret aus schlechter Erziehung und Gewohnheiten.88 Die Imagination – Schottelius nannte sie »das Bedencken (die Vorbildungs-Kraft/ phantasia, ratiocinatio, vis imaginandi)«89 – nehme an zwei Prozessen teil. Zunächst spiele sie ganz traditionell eine Vermittlerrolle beim Umwandeln von Bildern äußerer Gegenstände, wobei Schottelius sie der Vernunft gegenüberstellte: Die Nachdenckerey und Vorbildereyen (phantasmata) so im Schlaffe in einem Gehirn des Menschen entstehen/ nennet man einen Traum: Dan das jenige/ was man vorhin des Tages gehoert oder gesehen/ oder worauf man vorher gedacht/ oder was vor langen Jahren einem begegnet ist/ bringet die ümschweiffende Vorbildungs-krafft mit seltzamen Bildnissen wieder hervor: Und weil keine Erkentniß dabey/ (zumahl der Mensch schlaeft/ fallen und stuertzen solche Vorbildereyen durch einander/ bleibt eine lautere mißdeutende Vorstellerey/ und ist ein dunckelvolles/ nicht seindes/ ungereimtes Bildwesen: Gleich wie man erfaehret/ daß die Gedancken des Menschen/ wan sie nicht durch die Vernunft geleitet/ angehalten/ und einer gegen den anderen gestellet/ und also unter ihnen ein Vernunftwesen erhalten wuerde/ wunderlich durch einander polteren/ unnatuerliche wunderseltzame Dinge darin vorkommen/ wie an unsinnigen/ schwermuetigen/ kranken Leuten/ und den Traeumen wahrzunehmen.90
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Vgl. dazu die Intuitionen von Michail Bakhtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hg. und mit einem Vorwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt am Main 1995 (Taschenbuch-Wissenschaft 1187); Ulinka Rublack: Fluxes: The Early Modern Body and the Emotions. In: History Workshop Journal 53 (2002), S. 1–16; und vor allem die systematischere und genauere Untersuchung von Michael Stolberg: Homo patiens (2003), S. 114. Schottelius, S. 97–110. Ebd., S. 135. Ebd., S. 97. Ebd., S. 98.
308 Die Erkenntnis resultiere aus der Wahrnehmung der Bilder äußerer Gegenstände im sensus communis, der die phantasia, dann das Gedächtnis, und anschließend über die »Geisterlein« (spiritus animalis) im Blut die Begierde, letztendlich die Bewegungskraft auslöse. Die Gedanken entstünden im Verstand, wenn dieser mit dem Willen übereinstimme.91 Die Imagination spielte auch am Ende des Erkenntnisprozesses bei der Erregung der Bewegungskraft eine Rolle. Die Vernunft wurde hingegen der mystisch-schwärmerischen Tradition folgend als göttlicher Strahl und ›Gesicht‹ in der Seele definiert: Dan unsere Vernunft (Ratio, mens) ist ein noch uebriger Straal/ goettlicher Weisheit in unserer Seel/ welche durch ihr hochbegabtes Vermoegen den Verstand erleuchtet und anleitet/ und den Willen zu vernuenfftigen Gehorsam anweiset/ un[n] zum Guten werkfertig machet. Es ist also unsere Vernunft eine Kraft unseres Gemuetes (nemlich des Verstandes und des Willen) die viel Dinges durch einander anschauet/ iedes erwigt und eines gegen das andere haelt/ was sie gut und warhaftig achtet/ annimmet; Was sie boes und falsch schetzet/ verwirft: Und ist also die Vernunft gleichsam ein klar Gesichte in unserem Gemuete/ die das Gute von dem Boesen/ und das Boese von dem Guten recht zuerkennen und zuunterscheiden weiß/ und dieses sind unsere vernuenftige Gedanken/ die ein wider den anderen lauffen/ unter sich disputiren/ einander verklagen/ und entschuldigen/ bis der Vernunftschluß gemachet.92
Zwischen Vernunft und Imagination gab es also nicht nur einen moralischen Unterschied (die Imagination könne zum Wahn führen) und nicht nur einen Unterschied hinsichtlich der jeweiligen Gegenstände (die Vernunft erfasse die Wahrheit, die Imagination nur Bilder). Zwei verschiedene Auffassungen von der Erkenntnis wurden hier nebeneinandergestellt: die traditionell ontologische als göttliche Strahlung, und eine neue, phänomenologische Affektenlehre. Dabei beachtete Schottelius nicht mehr die Thematik der Augen des Gemüts: Wenn die Vernunft tätig sei, bekomme der Mensch rationale Gedanken, wenn der Mensch Erkenntnis durch seine Sinne erwerbe, verlief der Erkenntnisprozess über die spiritus animales im Blut und die Affekte im Herzen. Die Kodierung der Bilder der äußeren Dinge in psychischen Bildern blieb jedoch außer Betracht. Die Übereinstimmung der Seele als Geist mit dem Leib wurde auch als eine »unbegreiffliche Verbindung und Durchmischung« und »goettliche Verknuepffung« charakterisiert, die sich nur mit dem Stichwort »Sympathie« erklären ließe.93 Nichtsdestotrotz: Indem Schottelius die Untersuchung der Seele als Hauptbestandteil der fürstlichen Erziehung und der Tugendlehre betrachtete, hatte er die Wissenschaft von der Seele nicht mehr theoretisch, sondern praktisch behandelt. Er definierte sein Werk als eine Ethica, Sittenkunst oder Wollebenskunst, d. h. den zeitgenössischen Einordnungen der Wissenschaf-
91 92 93
Ebd., S. 119–120. Ebd., S. 125–126. Alle Zitate in: Ebd., S. 139–140.
309 ten nach als eine praktische Philosophie,94 die bald den Namen Moralistik95 bekam. Dabei koppelte er gewissermaßen die Ethik von der Theologie ab und ließ Erstere vorrangig auf einer anthropologischen mehr denn auf einer theologischen Seelenlehre beruhen.
5.2
Wie-im-Traum-sein
Das 17. Jahrhundert zeichnete sich nicht nur durch die Entstehung der politischen Klugheitsliteratur aus, mithin durch die Begründung der Politikbzw. Policey-Wissenschaft als Tugend- und Seelenlehre, sondern auch durch die Anwendung eines solchen Rasters auf zahlreiche Texte, die in Form von Flugschriften kursierten. Die Dichtung, die während des Dreißigjährigen Krieges zur Findung einer kulturellen Einheit der dem Religions- und Bürgerkrieg ausgesetzten Deutschen beitragen sollte, wies ebenfalls Züge der Klugheitsliteratur auf, die ihrerseits wiederum zu politischen Flugschriften anregte. Diese breitere Zirkulation ergab neue Knotenpunkte des Austausches von politischen Nachrichten und Kommentaren: neben den Höfen rückten Wirtshäuser in den Mittelpunkt der politischen Kommunikation. In der Dichtung wie in der Publizistik wurde das Traum-Motiv vielfach benutzt. Als politische Übermittlungen zunehmend Unterhaltungsliteratur wurde, tendierte das Traum-Motiv dazu, statt Erschrecken, wie im 16. Jahrhundert, Belustigung auszulösen. Hinter einer solchen Satire stand die charakteristische Figur eines kranken Ich, das in der frühen Aufklärung aus dem poetischen und publizistischen Kanon weitgehend verschwand96 – damit starb eine eigentümliche Vorstellung, dass Seele und Körper und die persönliche Identität übereinstimmten. Als die Glaubwürdigkeit der politischprophetischen Zukunftsvoraussagen, also die göttliche Dimension der Seele und emblematisch deren Augen hinterfragt wurde, wurde der Traum erstmalig als Indikator der persönlichen Identität betrachtet.
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Die Philosophie war damals entweder theoretisch bzw. spekulativ oder praktisch. Die artes formales charakterisierten die Grammatik, die Dialektik (die Logik) und die Rhetorik. Die artes reales bezeichneten die Metaphysik, die Physik (mit der Physiologie) und die Kosmologie (Chemie eingeschlossen). Die philosophia practica bestand aus der Ethik, der Oeconomia und der Politik. Die Ethik wurde als die Untersuchung des höchsten Gutes (Endämonologie), des Menschen und der Mittel zur Tugend definiert. Vgl. dazu Rüdiger Campe: Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literarischen Rede im 17. und 18. Jahrhundert. Tübingen 1990 (Studien zur deutschen Literatur 107), S. 119–136. Später tauchte sie nur bei Heinrich Heine wieder auf. Vgl. Wilhelm Kühlmann: Selbstverständigung im Leiden. Zur Bewältigung von Krankheitserfahrungen bei Andreas Gryphius und Petrus Lotichius Secundus. In: Weltgeschick und Lebenszeit. Andreas Gryphius – Ein schlesischer Barockdichter. Düsseldorf 1993 (Schriften der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus, Deutsch-osteuropäisches Forum), S. 13–32, hier 15.
310 5.2.1
Traum, Satire und ›krankes Ich‹ während des Dreißigjährigen Krieges
Die Entwicklungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts leiteten sich weitgehend von der tiefgreifenden Erschütterung durch den Dreißigjährigen Krieg her. Als zeitgleich das Genre der prophetischen Träume politischkonfessionell ausgenutzt97 und wegen dieser Instrumentalisierung auch kritisiert wurde, wurde es zum Stilmittel der politischen Satire. Die Wahrnehmung der kollektiven Gewalt trug ihrerseits zu einer intensiveren Beschäftigung mit Leid, Heil und dem ›kranken Ich‹ bei. Bereits in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges tauchten eschatologische Strömungen, zunächst um Friedrich V. von der Pfalz, später um Gustav Adolf auf. Die fast parallel laufende Tätigkeit von ›Schwärmern‹ wie Johann Warner, die ohne direkten politischen Druck eine Partei, in diesem Fall die Schweden, durch Visionen und ›prophetische‹ Träume unterstützten,98 trug zur einer zunehmend verspottenden Verwendung des Traum-Motivs bei. Das Traum-Motiv wurde ganz in der Tradition der Conceptio Mauritij99 vorrangig zur Verspottung des Gegners gewendet, darüber hinaus zur Veranschaulichung des in »Sicherheit und Sünde schlafenden Teutschlandes« zum Wachrütteln100 und als Prophetie über das zukünftige Deutschland.101 Dafür wurde es wie Flugblätter gestaltet. Die Parallelität zwischen den politischen Flugschriften, die in Form von fiktiven Träumen verfasst wurden, und Flugblättern lässt sich exemplarisch am Beispiel zweier Schriften zugunsten Friedrich V. von der Pfalz und Gustav Adolfs veranschaulichen. Im Jahre 1624 erschien ein Medicin-Politisch Bedencken, das eine tödliche Krankheit des Herzogs Maximilians von Bayern wegen einer »große[n] Geschwulst des Magens« beschrieb. Die parodistisch geschilderten gegnerischen Ärzte paracelsischer und galenischer Prägung einigten sich darauf, dass die Ursache im Kopf lag, genauer in dem »Hermelin Futter der Chur97
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Vgl. folgende Flugblätter: Kurtzer Bericht der vhralten weissagung. o.O. 1620; Prognosticon, Das ist/ Propheceyung/ welche vor 462 Jahren/ … Propheceyet worden. o. O. [1620]; Denckwürdiges Geheimnuß: Einer allbereit erfülleten … Prophecey. o. O. [1620]; Zustand der Christlichen Kirchen Anno 1630. [Ulm?] 1630; Schwedische Eettung [sic] der christlichen Kirchen, o. O. 1631; Prophetishe [sic] weissagvng. o. O. [1632]. In: Deutsche illustrierte Flugblätter. Bd. 2.2, II, 159, S. 282–283; II, 160, S. 284–285; II 161, S. 186–187; II 217, S. 380–381; II 218, S. 382–383; II 236, S. 412–413. Vgl. oben S. 263–264. Vgl. oben S. 71–73. Vgl. Auffwecker der Teutschen vom Schlaff jhrer biß dahero gehabten Sicherheit … o. O. 1623. Vgl. Gottfried Liebreich Heylandt [Pseud.]: Evangelisch Lutherisch/ in G OTTES Wort gegruendetes W AECHTERHORN … o. O. 1643.
311 haube« des Herzogs. Daher verschrieben sie eine »dietam«. Nichtsdestotrotz habe Maximilian Wein aus Heidelberg und Bier aus Amberg getrunken (d. h. Getränke aus der Residenz von Friedrich V. und aus der Hauptstadt der im Jahre 1621 als Kriegsentschädigung Maximilian übertragenen Oberpfalz) und sei deshalb von der »Melancholey« heimgesucht worden; die Erwerbung der »Bibliothec zu Heidelberg« habe zudem auch »unzehliche superstitiones« hervorgerufen. In diesem Kontext habe sein Hofnarr (»Schalcksnarr«) einen »wunder naerrischen traum getraumt«, den er in der Ichperson erzählte. Was der Herzog »so jaemmerlich außspeyen vnd kotzen« musste, seien zunächst sämtliche Ortschaften der Pfalz, dann »die gantze Obere Pfaltz«, schließlich »ein gantzer Hauffen Buecher« aus der »Calvinistische[n] Bibliothec vonn Heidelberg«. Diese Schilderung endete mit folgendem Pseudo-Weisheitsspruch: »Kinder und Narren pflegen die Warheit zusagen«.102 Diese Satire über die Angliederung der Oberpfalz und der Übertragung der pfälzischen Kurwürde an Bayern, die vom Kaiser Ferdinand II. im Jahre 1628 vollzogen wurde, zeichnete ganz nach dem Muster einiger Flugblätter auf, wie unzähliche Festungen von unterschiedlichen Kriegsherren verschlungen wurden. 1632 wurde diese Flugschrift in Form eines Mercurius, d. h. einer Zeitung neu ediert, mit dem einzigen Zusatz über einen Einzug Friedrichs V. und Gustav Adolfs in die Stadt München am 7. Mai. Das sollte eine Übertragung der eschatologischen Strömung um den ehemaligen Winterkönig auf Gustav Adolf anzeigen.103 Nach dem Prager Frieden vom 20. Mai 1635, als die schwedische Armee ohne Sachsen den Krieg fortführte, erschienen Flugschriften zum Gedächtnis an den charismatischen König Gustav Adolf. Ein Traum-Gespenst beispielsweise inszenierte mehrere Protagonisten, die nacheinander in der Ichperson das Wort ergriffen. Eine lange Anrede voller Befehlsformen (man erfuhr am Ende, dass der »Author« dieser Worte der Reichskanzler sei) schildert zunächst den »im Traum begraben[en]« und »im schnarchen gar versunken[en]« sächsischen Kurfürsten, setzt dessen separaten Frieden mit dem Kaiser mit einem »MaynEyd« gleich und bedauert, dass er »das Roemsche Reich mit Jammer ueberhaeuff[t]« habe. Im Traum sieht und hört Johann Georg das Gespenst des schwedischen Königs, welches »nicht bald verschwinden« wollte. Angsterfüllt berichtet dann der sächsische Kurfürst diesen Traum seinem Hofprediger, »Doctor Hoë« (gemeint war Hoë von Hoënegg):
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Mira-Wundriorum Fasciculi, Continuatio I. Das ist: Ein Medicin-Politisch Bedencken … o. O. 1624. Bayerischer Mercurius: Anzeygende die Bayerische Kranckheit … o. O. o. J. [1632]. Friedrichs Eintritt in Begleitung von Gustav Adolf war selbsverständlich fingiert, da Ersterer sich in den Niederlanden befand.
312 Es war Gustavi Geist/ es war der Edle Held/ Er sagte wie er sich zum Feinde dargestelt. Er sahe graeßlich aus/ mit duerren bleichen Wangen/ Es war sein gantzer Leib mit Schrecken gantz umbfangen/ Es war ein LorberKrantz Ihm auff das Haubt gesetzt/ Er klagte wie Ich Ihm fuer seine Trew verletzt. Er ließ mich sehn den Brieff damit Ich mich verbunden/ Er that den Busen auff und ließ mich sehn die Wunden/ Schawt da/ da ist er noch! ach! last Mich/ last Mich gehn. Mich duenckt wie Ich den Schein stets sehe fuer mir stehn.«104
Genauso wie das Flugblatt Der Schwede lebet noch105 wies das »Traum-Gespenst« auf den aufgestandenen bzw. unsterblichen schwedischen Helden hin: … Ist ein Gespenste hir? Ich sehe seltzam ding: es steht ein Geist fuer mir. Ich daerste fast fuer Angst/ seh ein Fackel brennen/ Ich weiß nicht sol ich nicht Gustavus Haende kennen. Gustavum seh Ich selbst: nun ist Gustavus dar? Nein/ nein/ er ist es nicht: ja/ ja/ er ists fuerwar. Von Todten aufferstehn? wie ist er hergekommen? Fort/ Gustav/ fort/ du hast mir meine Ruh genommen.106
Als ab 1645 Friedensverhandlungen in Wesfalen begannen, richtete sich die Ironie gegen die als vorgetäuscht wahrgenommenen Friedensbemühungen Frankreichs. Ein um 1650 veröffentlichtes Traum-Gesicht, das mehrere Editionen erfuhr, entfaltete im Stile einiger Flugblätter 14 Strophen von Knittelversen. Der Erzähler berichtete von einem eigenen Traum, in dem ein französischer Soldat bzw. ein Hahn von Petrus an der Tür zum Paradies abgewiesen wurde: »Du bist hier nicht willkomm/ weil du den Frieden stoerest …«.107 Da der französische Soldat weder Katholik (wie sein Einverständnis mit den Türken es beweise), noch Calvinist, noch Lutheraner sei, sei er einfach »ein Atheiste«.108 Ein anderes Naechtlich Gesichte entwickelte die »Propheceyung« einer auftauchenden weltlichen Hegemonie Frankreichs und endete mit folgender Warnung: […] Die Feinde verwundern sich unser Blindheit/ und unbesonnen Unverstandt. Ja sie sehen jhn auch/ unnd das kein geringes ist/ wir machen darmit/ daß die Ketzer Gott laestern/ welche (die wir noch mehrentheils durch unsere Furchtsamkeit und Untrew ins Teutschland gelocket) aus unsern Unglueck und Untergang eine defension jhrer Ketzerey als des rechten Glaubens machen/ nicht ohne Schaden der Catholischen Religion. 104
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Traum-Gespenste Auff des Koeniges von Schweden Geistes Anrede an den Churf. von Sachsen … o. O. o. J. [ca. 1635], Fol. 3 v° – 4 r°. Der Schwede lebet noch. [Sachsen] 1633. Vgl. Deutsche illustrierte Flugblätter. Bd. 2.2. II 305, S. 535. Traum-Gespenste, Fol. 3 r°. In lateinisch und teutsch gebundner Red-Art Vorgestelltes Traum-Gesichte … o. O. o. J. [ca. 1650], Fol. (2) v°. »Atheus est verus«, S OMNIUM S APIENTIS P OLITICI . o. O. o. J., fol. )o( 2 r°. In lateinisch und teutsch gebundner Red-Art, Fol. (3) v°; S OMNIUM S APIENTIS P OLITICI , Fol. )o( v°.
313 Wer Augen hat zu sehen der sehe/ ob nicht das Kind des Verderbens herbey komme/ wenn so ein grosser Absprung und Abreissung vom Reich geschicht/ nach dem Spruch S. Pauli 2. ad Thessal. cap. 2. v. 3. Daniel. cap. 9.109
Träume als inhaltlicher Bestandteil von vielen Flugschriften – das zeigt einen Wechsel der Medien. Der Traum war im 16. Jahrhundert noch in theologischen und medizinischen Traktaten sowie in Traumbüchern behandelt worden. Während des Dreißigjähren Krieges wurde er vermutlich aufgrund seiner Vergänglichkeit zum Gegenstand der in der politischkonfessionellen Aktualität verankerten Publizistik. Dazu wurde die herkömmliche Form der Prophetie gebraucht, die jedoch nun im Ton des Spotts erklang. Als der elsässische Moralist und Diplomat Johann Michael Moscherosch (1601–1669) über eine französische Übersetzung die Träume des spanischen Autors Francisco de Quevedo y Villegas (Los Sueños. La Fortuna con seso y la hora de todos) gelesen hatte, passte er den Stoff an den deutschen Kontext des Dreißigjährigen Krieges an und schuf nach diesem Modell einen Schelmenroman, in dem Visionen und Träume, genauer die Konfusion zwischen Traum- und Wachzustand zum Stoff der literarischen Fiktion wurde. Das Traum-Motiv fungierte als Folie für die Episoden der Initiationsreise des Helden Philander zum deutschen »Sittewald«.110 Dabei verlieh Moscherosch einigen humanistischen Topoi endgültige Umrisse. Die Wahrnehmung der durch den Krieg verdichteten Wechselfälle des Glücks und einer Art Entfremdung des Landes infolge der internationalen und ›areligiösen‹ Armeen verstärkte die Suche nach einer deutschen Identität und einer gemeinsamen Kultur, die den künftigen Frieden festigen könnte.111 Moscherosch thematisierte diese Sehnsucht in Form von Erscheinungen, im Traum oder als Gespenst, einer »alten teutschen Seele« auf der Suche nach der »teutschen Red-
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Naechtliche Gesichte/ Welches einem Teutschen/ der Kirchen des Roemischen Reichs und des Hauses Oesterreich besondern Liebhabern/ im Schlaaff fuerkommen … o. O. 1647, Fol. A iv r°-v°. J. M. Moscherosch: Visiones De Don Quevedo. Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. Nachdruck Hildesheim/New York 1974. Vgl. dazu Gantet: La Paix de Westphalie (2001), S. 127–167. Zu Moscherosch, vgl. Walter Ernst Schäfer: Der Satyr und die Satire. Zur Titelkupfern Grimmelshausen und Moscheroschs. In: Rezeption und Produktion zwischen 570 und 1730. Festschrift für Günther Weydt. Bern/München 1972, S. 183–232; Ders.: Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker und Pädagoge im Barockzeitalter. München 1982; Wilhelm Kühlmann: Moscherosch und die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Aspekte des barocken Kulturpatriotismus. In: Bibliothek und Wissenschaft 16 (1982), S. 68–84; Wilhelm Kühlmann, Walter Ernst Schäfer: Frühbarocke Stadtkultur am Oberrhein. Studien zum literarischen Werdegang J. M. Moscheroschs (1601–1669). Berlin 1983 (Philologische Studien und Quellen 109); Wilhelm Kühlmann: Johann Michael Moscherosch in den Jahren 1648–1651. Die Briefe an Johann Valentin Andreae. In: Daphnis 14 (1985), S. 245–276; Walter Ernst Schäfer: Moral und Satire. Konturen oberrheinischer Literatur des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1992 (Frühe Neuzeit 7); Gantet: Discours et pouvoir (2000).
314 lichkeit«, d. h. nach der Übereinstimmung von Schein und Sein. Kein Wunder, dass Moscherosch die Figur des Traums bzw. der Vision besonders schätzte. Als Moralist strebte der Elsäßer danach, Verstellung anzuprangern, Masken herunterzuziehen. Der Traum bezeichnete bald das Schattengebiet zwischen Schein und Sein, bald die Offenbarung der Wahrheit. Von Selbsterkenntnis war keine Rede. Zum ersten Mal vor allem knüpfte Moscheroch diesen Stoff an eine Kritik an der Staatsräson. Ratio Status wurde sogar zum Thema einer ganzen »Vision«, deren Motto hieß: … wo ist jemahls bey denen Hohen Haeupter nicht nur deß Roemischen Reichs/ sondern der gantzen Christenheit ein solche Heucheley/ Falschheit/ Eigen-Nutz/ vnd stinckender Reputations-Krieg erhoeret worden/ als zu vnsern Zeiten? Da man Maenniglich das Maul voll gibt/ complimentiret, grosse vertrawliche freundschafft anbietet/ aber im Hertzen das lautere Wieder-Spiel beschlossen hat …112
Ziel war es, »kluegste Politische Welt-Leuthe« bzw. »solch Alamodische Politic« »in dieser Vision [dem Leser] vor Augen« zu stellen, und »die bittere Warheit an [den] Tag« zu legen.113 Die Darstellung schilderte aus der Ichperspektive einen Deutschen, der, nachdem er sich »ferner selbst examinire«,114 in die Hofwelt einzutreten versuchte. Wie in den zeitgenössischen Flugschriften bekam er gleich mit ein »klein wenig eusserliche[m] Civilitet-Scheins« nicht nur »ein gantze Last ungehewrer Laster«, sondern auch eine Verdauungskrankheit, die seine persönliche Identität in Frage stellte: Sintemahl meine Vaetterliche Erbgebuernuß war zu Gelt gemacht/ vnd dasselbe verzehret/ hingegen nichts erworden/ die mancherley Lueffte/ frembde Speiß und Tranck hatten die Gesundheit verderbet/ der Magen war von ubriger Fuellerey schwach und unkraefftig zu verdawen/ die angeborne Teutsche Auffrichtigkeit hatte ich verlohren/ und wuste nunmehr nicht/ was ich weiter anfangen solte/ dann ich von den Gelehrten/ denen ich mich zugesellet/ so viel verstanden/ daß mein Kopff der biß daher/ mit vielen Narren-Possen occupirt gewesen/ die Politische Weißheit greiffen wird koennen.115
Dann führte der Erzähler seinen Leser zu den Räumen der arcana status. Dort befänden sich »viel schoener Maentel von allerley Farben«, welche »außwendig außbuendig verbremet/ aber inwendig mit dem liederlichsten Futter versehen/ theils auch mit Fuchs- und Wolfsbeltzen gedoppelt« seien.116 Das Bild des Wolfs für die Stärke und des Fuchses für die List, das von Plutarchus erfunden und von Machiavelli im 18. Kapitel seines Werkes Il Principe (1516) hervorgezogen wurde, war inzwischen zu einem Gemeinplatz 112
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Johann Michael Moscherosch, L ES VISIONES Don de Quevedo Continuatio, S ATYRISCHE Gesichte Philanders vonn Sittewalt. III. und IIII. Theill. Francofurti 1645, Fol. 5. Alle Zitate in: Ebd., Fol. 6. Ebd., Fol. 9. Ebd., Fol. 7–8. Zitate in: Ebd., S. 22.
315 des Anti-Machiavellismus geworden.117 Moscherosch legte hierüber noch die barocke Topik der Gegenüberstellung von Sein (»inwendig«) und Schein (»außwendig«). Diese bunten Mäntel beschrieben politische Maximen: Salus populi, bonum publicum, conservatio religionis, zelus fidei, libertas patriæ, assertio privilegiorum. Ein letzter Mantel sei so abgetragen, dass er nur mehr als Fähnchen hänge: er heiße Intentio (bzw. »gute Meynung«) und diene zur Rechtfertigung jeglicher fürstlicher Erpressung bzw. Ausbeutung der Untertanen.118 Dann entdeckte der Ich-Erzähler ein weiteres Zimmer, in welcher die Larven der Simvlatio (Verstellung), des Iusiurandum (Eid) und der Calumnia (Verleumdung) verwahrt seien.119 Schließlich öffne der Politiklehrling Kisten »voll[er] Brillen/ vnterschiedlicher Art vnd Wirkung/ theils waren also beschaffen/ wann man sie auff die Nasen steckte/ da machten sie ein Ding/ das man dardurch ansahe/ zehenmal groesser scheinen/ solcher Gestalt/ daß ein Muck einen deuchtete ein Elephant zu seyn …«.120 Die Brille diente hier nicht dazu, wie Harsdörffers Fernglas, die Sinne zu schärfen oder sich selbst zu beobachten, sondern »den Unterthanen die augen damit zu alteriren«, einen Höfling zu »corrumpire(te)n und blaende(te)n«, »einem boesen Ding einen gleissenden Schein zu machen«.121 Die Imagination, mittels derer der Fürst den Untertanen seine Autorität aufzwang, könnte sogar eine Entstellung der Sinnesorgane bewirken. Der traditionelle Gebrauch der Prophetie122 schloss also nicht die Berücksichtigung sämtlicher Untersuchungen über die Sinnesorgane und die Wahrnehmung aus.123 Der Zweifel an der Möglichkeit eines Friedens nach einem dreißigjährigen Bürgerkrieg löste eine ganz andere Anwendung der Metapher des Traums und des Sehens aus, die mehr traurige als belustigende Bilder hervorrufen konnte. In der zweiten Hälfte des Krieges entstanden Elegien und Sonnette, die eine andere Quelle für Flugblätter wurden. Die erste und berühmteste Elegie spielte in dem ›Krieg der Medien‹ um die Zerstörung Mag117
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Vgl. Michael Stolleis: Löwe und Fuchs. Eine politische Maxime im Frühabsolutismus. In: Ders.: Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts. Frankfurt am Main 1990 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 878), S. 21–36. Moscheroch: Les visiones Don de Quevedo Continuatio … III. und IIII. Theill. Francofurti 1645, S. 23–25. Ebd., S. 25–26. Ebd., S. 35. Ebd., S. 35–37. Vgl. beispielsweise »Teutschlands Propheceyung«. In: J. M. Moscherosch: Visiones De Don Quevedo. Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. Hildesheim/New York 1974, S. 120–122. Moscherosch bezog sich übrigens auf Ärzte und Gelehrte wie Levinus Lemnius sowie auf Montaigne: »Michael de Montaigne, in seinem vortrefflichen Buch [»Les Essays«, C.G.]/ sagt: Er halte darfuer/ die Traeume ein rechtes muster unserer Gedancken seyen/ vnnd dessen/ damit wir in vnserem Leben und taeglichem wandel vmbgehen …« In: Ebd., S. 226.
316 deburgs durch die Truppen des kaiserlichen Feldherrn Tilly (20. Mai 1631)124 eine wichtige Rolle. Es handelte sich um einen wiederverwendeten Text (1551) aus dem Werk des Wittenberger Magisters und Heidelberger Medizinprofessors Petrus Lotichius Secundus (1528–1560).125 Im Rahmen einer nächtlichen Vision, so heißt es, sei auf der Außenmauer der belagerten Stadt die allegorische Gestalt eines weinenden und klagenden Mädchens erschienen: »Ach weh! was für ein End nimmt diese Stadt vnd Mawren/ Ein Grewel hab ich dran/ gedencks mit Ach vnd trawren«. Diese rätselhafte Vision (handelte es sich um einen Traum, um eine von Gott gesendete Vision, um ein Gespenst?) erschien als Prosopopöie, apostrophierte die Lebenden, redete das Abwesende an, gab dem Zerstörungstrauma eine Stimme. Neben dieser Verwendung traditioneller Motive tauchten neue auf. Der sächsische Pfarrer Tobias Clausnitzer, der sich der schwedischen Armee angeschlossen und sich in deren Garnison in Weiden in der Oberpfalz angesiedelt hatte, verfasste einen als Flugschrift verbreiteten Friedens-Traum/ Deß Meißnischen Zions (1645).126 Darin drückte er seine Sehnsüchte nach dem Frieden aus, sowie zwischen den Zeilen seine Wehmut nach früheren Zeiten in Sachsen, als er noch nicht gegen eine teilweise zum Katholizismus konvertierte Bevölkerung und nicht gegen die schwache Verteidigung des Territoriums durch den Pfalzgraf Christian August, kämpfen musste. In seiner Elegie sprachen unterschiedliche Allegorien biblischer Inspiration nacheinander über die Verwandlung des Menschen durch die Wahrnehmung der 124
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Vgl. dazu Birgit Emich: Bilder einer Hochzeit. Die Zerstörung Magdeburgs 1631 zwischen Konstruktion, (Inter-)Medialität und Performanz. In: Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hgg. von Birgit Emich, Gabriela Signori. Berlin 2008 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 42), S. 197–235; Dies.: Hochzeit in Trümmern. Die Zerstörung Magdeburgs 1631 im medialen Kampf der Deutungen. In: Parthenopolis 1 (2007/2008), S. 5–30; Michael Kaiser: Die ›Magdeburgische Hochzeit‹ (1631). Gewaltphänomene im Dreißigjährigen Krieg. In: Leben in der Stadt. Eine Kultur- und Geschlechtergeschichte Magdeburgs. Hg. von Eva Labovie. Köln u.a. 2004, S. 195–213; »… gantz verheeret!« Magdeburg und der Dreißigjährige Krieg. Hg. von Matthias Pulhe. Halle 1998 (Magdeburger Museumsschriften 6). Hans Medick: Historisches Ereignis und zeitgenössische Erfahrung: Die Eroberung und Zerstörung Magdeburgs 1631. In: Zwischen Alltag und Katastrophe. S. 377–407; Gantet, La paix de Westphalie (2001), S. 76–80. Zur ersten Belagerung Magdeburg, die den Stoff für Lotichius’ Gedicht bildete, vgl. Kaufmann: Das Ende der Reformation (2003). Ich danke Birgit Emich für die freundliche Zusendung ihrer Manuskripte. Petrus Lotichius Secundus: Somnium vaticinum, de Obsidione Urbis Mageburgensis ex libro secundo, Elegiarum quarta desumtum Anno 1561 … Traum/ Von der Belaegerung der Stadt Magdeburg … o. O. 1631; Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch. Hgg. von Wilhelm Kühlmann, Robert Seidel, Hermann Wiegand. Frankfurt am Main 1997 (Bibliothek der Frühen Neuzeit 5), S. 458–465. Vgl. dazu Wilhelm Kühlmann: Magdeburg in der zeitgeschichtlichen Verspublizistik (1551/1631). In: Prolegomena zur Kultur- und Literaturgeschichte des Magdeburger Raumes. Hgg. von Gunter Schandera, Michael Schilling in Zusammenarbeit mit Dieter Schade. Magdeburg 1999 (Kultur- und Literaturgeschichte Sachsen-Anhalt), S. 79–106. Vgl. dazu Gantet: La paix de Westphalie (2001), S. 204.
317 kollektiven Gewalt.127 »Der traeumende Mensch« schilderte anschließend, wie der Schlaf hätte zu »steter Gegenwehr«128 gegen die »Schrecken« des Krieges werden können, wenn die Gewalt sich noch nicht bis in seine eigenen Träume eingeschlichen hätte: »Ich war tieff eingeschlaffen Von wegen vieler Angst/ der ueberhauefften Straffen/ Die uns der Himmel schickt; Die schwartz beruste Nacht/ Der Sorgen-Traeumerin/ hat mir des Krieges-Macht/ Die unser Meissen kraenckt/ durch Schrecken fuergestellet […] So ward mir auch mein Schlaff zu steter Gegenwehr/ Im traeumenden Gesicht’ und Bildnueß auffgeboten: Bald kam mir in den Sinn die Anzahl vieler Todten/ Die das ergrimmte Schwert des Feindes abgethan Und blutig hingewuergt: Bald stieß mich einer an/ Wiewol im Traume nur/ der seinen blancken Degen Mir satzet’ an die Brust/ mich gleichfalls zu erlegen/ Und stach mich durch und durch/ bald gieng ich umb das Land/ Und sahe wie es hier und da war ausgebrant. Bald hoert ich ein Geschrey/ von tausend Centner fluchen/ Der wolte Krieg und Blut/ und keinen Friede suchen: Krieg/ Krieg war seine Lust; sein Wunsch/ den er begehrt/ War nur/ daß Stadt und Dorff und Feld wuerd umbgekehrt/ Verwuestet und geschleifft. Drauff kam ein andrer wieder/ Als ich so aengstlich schlieff/ und sang mir solche Lieder: Gott hat den wilden Krieg im Lande weggefuehrt. Daß man nun ueberall fast guten Frieden spuehrt. Mit solcher Traeumerey hat ich den Tag erblicket/ Und manche lange Nacht mit Seufftzen hingeschicket. Nun bin ich auffgewacht/ und lebe Frewden voll/ Und weiß nicht/ ob ich was auff Traewme passen sol. Traum hin/ Traum her! Es ist Traum in der That ergangen/ Was dir getraeumet hat. Ich Meissen war gefangen Durch frembder Voelcker Macht; man zwunge mich dahin/ Daß ich in Dienstbarkeit gefesselt muste ziehn. Noch pflag ich solches wie fast Goettlich auszuruehmen: Nun aber als ich mich von solchen Ungethuemen/ Vom bloß gefuehrten Schein’ und Irrthumb abgewandt/ Hab ich die/ die zuvor fast ungetrewe Hand Dem Vater meines Lands vom newen angetragen.129
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T. Claussnicer [Tobias Clausnitzer]: Friedens-Traum Des Meißnischen Zions/ Aus dem 126. Psalm. Leipzig: Henning Koeler. 1645, Fol. A 2 v°, A 3 v°: »Mein’ Haut und Fleisch ist alt bey jungen Tagen/ Und mein Gebein zerknicket vnd zerschlagen […] Die Seel’ ist gantz aus jhrer Ruhe kommen/ Vnd mich hat Angst vnd Wehmut eingenommen […] Mein’ Augen sind ein Quell/ das nicht vergeht/ Das immer rinnt vnd doch voll Wasser steht/ […] Mein Auge frisst mein Leben frueh vnd spath Umb dich du Land/ du Tochter meine Stadt …« Ebd., Fol. B r°. Ebd., Fol. B r°-v°.
318 Der imaginär erblickte Friede wurde zunächst als »Träumerey« abgewertet. Diese Erscheinung veränderte jedoch die Wahrnehmung des Tages (»erblickte« der Erzähler den Tag, als ob er das Licht der Welt neu erblickt hätte?) und der Nacht und wurde schließlich erfüllt. Unmittelbar nach dieser Hoffnung trat die Prosopopöie von Sachsen auf, die die Schrecken des Krieges, dieses metaphysischen (gegen den »Schein« und den »Irrthumb«) und entscheidenden Kampfes, in Erinnerung rief. Eine Analyse der zeitgenössischen Dichtung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.130 Man erinnere sich nur, wie der Traum zum Sinnbild nicht mehr des Todes oder des Zustands der Seele zwischen Tod und Jüngstem Gericht, sondern des Lebens wurde. Der anschaulichste Beweis dieses Wechsels ist ein Prosatext von Andreas Gryphius aus den Jahren 1637–1638, überschrieben »Menschlichen Lebenß Traum«, eine Leichabdankung auf die Tochter seines Halbbruders Paul, Marianne Gryphius. Er fügte das Sonett »An … fraw M ARIAM R ICHTERIN «, die Mutter Mariannes, das zum ersten Mal in Leyden im Jahre 1643 gedruckt wurde, hinzu.131 Diese Texte sollten Andreas’ Schwägerin Trost und Hoffnung geben, als sie nach dem Brand der seit 1635 der katholischen Konfession zugehörigen Heimatstadt Freystadt im Fürstentum Glogau eine Tochter zur Welt gebracht hatte, die jedoch gleich nach der Geburt verstarb. Andreas Gryphius schrieb diesen frühen Tod der Erfahrung der Tochter – im Bauch ihrer Mutter – von der panischen Flucht vor dem Brand zu:132 Bevor das Kind sich seiner bewusst wurde, ver-
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Daher werde ich an dieser Stelle nur zwei Sonette von Gryphius kurz kommentieren. Die ästhetische Dimension kann hier leider ebenfalls nicht weiter behandelt werden. Gryphius Bühnenwerke würden an sich eine Untersuchung verdienen. Träume bilden beispielsweise den Stoff von nicht weniger als sechs Szenen in »Leo Arminius« (I, 2, V. 157–160, S. 21–22; II, 5, V. 515, S. 56; II, 6, V. 629–632, S. 60; III, 1, V. 33–44, S. 63; III, 2, V. 93–99, S. 65; III, 4, V. 279–288, S. 72–73; III, 5, V. 312, S. 74). Vgl. Andreas Gryphius: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt am Main 1991 (Bibliothek der frühen Neuzeit 2/3). Allgemein zur Barockliteratur: Manfred Engel: Träume in der deutschsprachigen Barockliteratur. In: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten, S. 59–75. Im Folgenden beziehe ich mich auf die Publikation beider Texte von Gerhard Hay und auf seinen Kommentar. Vgl. Andreas Gryphius: »Menschlichen Lebenss Traum«. Leichabdankung auf Marianne Richter, Tochter des Paul Gryphius. Hg. von Gerhard Hay. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 15 (1971), S. 1–23. »Grabschrifft Marianae Gryphiae seines Brudern Pauli Töchterlein. Gebohren in der Flucht/ umbringt mit Schwerd und Brand/ Schir in dem Rauch erstückt/ der Mutter herbes Pfand/ Des Vatern höchste Furcht/ die an das Licht gedrungen/ Als die ergrimmte Glutt mein Vaterland verschlungen. Ich habe dise Welt beschawt und bald gesegnet: Weil mir auff einen Tag all Angst der Welt begegnet. Wo ihr die Tage zehlt; so bin ich jung verschwunden/ Sehr alt; wofern ihr schätzt/ was ich für Angst empfunden.« Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschssprachigen Werke. Bd. 2. Oden und Epigramme. Hg. von
319 starb es. Nach einer Metapher aus Juan Luis Vives’ Bericht über Philipp den Guten133 setzte Gryphius das menschliche Leben einem Traum gleich. Hinter diesem Zustand zwischen Wachen und Schlaf, kaum fassbar, regellos und voller Vorfälle verbärge sich Gottes und des Teufels Gegenwart. Gryphius erläuterte, die Zeit des menschlichen Lebens sei so dunkel wie die Nacht. Die Zufälligkeiten des Lebens wechselten wie die abgehackten Phasen des Traums. Wie er im Traum des Gebrauchs der fünf äußeren Sinne beraubt sei, könne der Mensch im Leben auch nicht das ewige und unendliche Licht Christi anblicken. Der Träumer wie der Mensch zeige keine Reue. So wie der Träumer von Visionen bedrängt werde, so bilde sich der Mensch ein, er wäre der Gelehrteste und würde die Weisheit Salomons besitzen, oder der Reichste und würde wie Nabukadnezar das Gestirn auf seinen Reichtum neidisch machen, oder wie Alexander, der die Welt unter sein Joch zwang, obwohl doch Reichtum und Macht vergänglich seien. So wie im Traum zukünftige Ereignisse und Gefahren offenbart würden, rege im irdischen Leben das Gewissen an, wohin der Mensch nach seinem flüchtigen Leben ginge. Träume erschräken oft, gingen entweder von einem ungezügelten Leben oder von melancholischen Sünden aus und bestünden genauso wie das Leben aus Angst und Kummer. Gleichwie der Traum in drei Arten gegliedert sei, in natürliche, göttliche und teuflische Träume, führten die Menschen ein scheinbar heiliges Leben, jedoch voll eitler Sorgen und Wünsche. Wie ein Traum sei das Leben kurz und durch plötzliche Veränderungen bestimmt. Flüchtig wie ein Traum könnten Vertrauen und Treue in die geliebten Personen nach deren Tod schnell vergessen werden. Wie der Mensch nach einem Traum sein Bett verlasse, um seinen Geschäften nachzugehen, verlasse das Kleid unserer Seele den sterblichen Leib, um vor Gottes Antlitz zu erscheinen. Das Interpretationsraster des Traums war keineswegs neu. Der Traum wurde immer noch nach ätiologischen Kategorien (nach seinem jeweiligen natürlichen, göttlichen oder teuflischen Ursprung) und als Produkt der Melancholie oder der Sünde analysiert. Gryphius betonte die unter einander stark kontrastierenden Phasen des Traums und ordnete ihn in den Bereich des Imaginären ein. Damit legte er einen neuen Akzent auf die Dualität des Traumes bzw. der Fiktion und der Realität, ließ aber die Frage nach den
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Marian Szyrocki. Tübingen 1964 (Neudrucke Deutscher Literaturwerke NF 10), S. 209. Vgl. dazu Ernst (1999). Von dem Burgunderherzog Philipp dem Guten (1396–1467) erzählte Juan Luis Vives in einem undatierten Brief die Geschichte, dass er einen Betrunkenen für einen Tag zum Herzog machte, was diesem als Traum erschien. So sei das Leben ein Traum. Dieser ursprünglich orientalische Stoff wirkte durch Vives in der europäischen Literatur und trug zur Verbreitung dieser Figur bei. Als Beleg ihrer Beliebtheit vgl. Ludovicus Hollonius: Somnium Vitæ Humanæ, Das ist: Ein Newes Spiel Darin/ Aus einer lustige[n] geschicht von Philippo Bono … Alten Stettin: Joachim Rheten. 1605.
320 Wahrheitskriterien offen. Er kehrte die herkömmliche Assoziation von Traum und Tod um in eine Gleichsetzung des Traums mit dem Leben, was die gesamte Thematik der vanitas abstützte. Zur Figur dieses ›Lebenstraums‹ wurde das leidende Ich in schwerer Krankheit. In seinem Sonett »Threnen in schwerer Kranckheit« schilderte Gryphius das bedrohte Ich, als die Kräfte seiner Organe (zunächst der inneren – das Herz, dann der Geist – dann die Stätten des Kontakts mit der Welt, die Hände, die Wangen, schließlich die Augen) ihn zu verlassen drohen. Threnen in Schwerer Kranckheit MJr ist ich weis nicht wie/ ich seufftze für vndt für. Ich weine tag vndt nacht/ ich sitz in tausend schmertzen; Vndt tausendt fürcht ich noch/ die krafft in meinm hertzen Verschwindt/ der geist verschmacht/ die hände sincken mir. Die wangen werden bleich/ der schönen augen zier Vergeht/ gleich als der Schnee der schon verbrandten kertzen Die Seele wird besturmbt gleich wie die see im mertzen. Was ist dis leben doch! was sindt wir/ ich vnd ihr? Was bilden wir vns ein! was wündtschen wir zu haben? Jtzt sindt wir hoch vndt gros/ vndt morgen schon vergraben: Jzt blumen/ morgen kott/ wir sindt ein windt ein schaum. Ein nebel/ eine bach/ ein reiff/ ein taw’ ein schatten. Jtz was vndt morgen nichts/ vnd was sind vnser thaten? ein mitt viel herber angst durchaus vermischter traum.134
Das religiöse Heilsbedürfnis des Ich erschien hier umso prägnanter, da in der Verlassenheit des Leibes das Leid nicht einmal als Sünde oder Strafe oder Schlachtfeld zwischen Gott und dem Teufel dargestellt wurde. Die Seele war eher mit der Gebrechlichkeit ihres eigenen Leibes unmittelbar konfrontiert. Die Zerbrechlichkeit der Position des Ich in der Welt (»hoch vndt gros«) drückte sich in dessen Begierden (»was wündtschen wir zu haben?«), noch mehr in dessen Phantasie (»Was bilden wir vns ein!«) aus. Daher war die Krankheit aufschlussreich für die Diskontinuitäten des Ich, das in einem »mitt viel herber angst durhaus vermischte[n] traum« lebe. 5.2.2
Träume und politischer Rausch
Die Verschachtelung des Traums als Motiv mit der Publizistik als Gattung verstärkte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg. Als eine zunehmende Zahl von Zeitungen und Flugschriften, die schnell wechselnden politischen Nachrichten verbreiteten, in Wirtshäusern vorgelesen und diskutiert wurde, wandelte sich das Traum-Motiv zu einer Art ›Politikspiegel‹. Er sollte die Ge-
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Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Bd. 1. Sonette. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen 1963, S. 59. Vgl. Kühlmann (1993), dem ich hier folge.
321 mütsverfassung treffen, indem er heimlichen oder offenen politischen Sehnsüchten Ausdruck verlieh. Entsprechend seiner leiblichen, affektiven Natur, und seinem ungewissen Zustand zwischen Realität und Betrug entsprechend trug das Traum-Motiv entscheidend zu der Thematisierung eines neuen literarischen Geschmacks bei. Die Traum-Publizistik nahm mit dem Wiederausbruch auswärtiger Kriege erneut zu. Dabei handelte es sich mehr um die Kriege gegen Frankreich (Devolutionskrieg von 1665 bis 1668, Holländischer Krieg von 1672 bis 1669, Reunionen in den Jahren 1681 bis 1684, Neunjähriger Krieg von 1688 bis 1697, spanischer Erbfolgekrieg von 1701 bis 1713/14), als um die ferneren Kriege gegen das Ottomanische Reich (1593–1606, 1663–1664, 1682–1699). Träume drückten den gesteigerten Patriotismus und betonten zunehmend die äußeren Grenzen gegen Frankreich.135 Dabei diente das Werk Moscheroschs als Bilderrepertoire. Gleich nach dem Ende des Devolutionskrieges erschien ein »warhafftiger Traum« über den »Schauplatz der Welt«.136 Entsprechend den während des Dreißigjährigen Krieges entwickelten Mustern, wurde er in der Form eines »Trauer- und Lust-Spiel[s]« geschrieben und erforschte die Gründe, warum »die alte Teutsche Man[n]ligkeit […] erloschen sey«.137 Als der Erzähler (Ergaste, das ›Ich‹) in einer »lustige[n] und unbeschreiblich schoene[n]« Seh- und Hörlandschaft einschlief, erstarrten seine Gedanken.138 Er sah im Traum einen alten Mann stehen, ein Buch und einen toten Kopf in seinen Händen haltend. Letzterer rief ihn mit seinem eigenen Namen und bedauerte das jetzige »leichtfertige Politische Wesen«:139 »Bey ietziger gefaehrlichen Zeit« würden »alle Vertrauligkeit und alte deutsche Redlichkeit gaentzlich uebern Hauffen geworffen«.140 Grund dafür sei, dass anstatt stets zu wachen, »die Haeupter [des Staats] […] auff beyde Augen feste schlaffen« und der »guetige Adler« selber »eingeschlummert« sei.141 Zudem empfänden die Höflinge eine generelle Abneigung gegenüber den Deutschen. Die Absperrung der Höfe ihnen gegenüber bewirke, »daß einem redlichen Deutschen
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Vgl. dazu Claire Gantet: Les représentations politiques de l’espace du Saint-Empire dans les ›rêves‹ et les ›visions‹ fictifs, de la guerre de Trente ans à la fin du XVIIe siècle. In: Histoire, Économie & Société 2004/1, S. 25–37; Dies.: Die äußeren Grenzen des Heiligen Römischen Reichs. Wahrnehmung und Repräsentationen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In: Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Hgg. von Étienne François, Jörg Seifarth, Bernhard Struck. Frankfurt/Main 2007, S. 53–76. Warhafftiger Traum/ und Traeumende Warheit/ Betreffend/ Den ietzigen neuen Undeutschen Zustand in gantz Deutschland. o. J. o. D. [ca. 1670]. Zitat S. 2. Ebd., S. 2–3. Ebd., S. 4, 7. Ebd., S. 10. Ebd., S. 12, 10–11. Ebd., S. 12, 14.
322 das Hertze im Leibe bluten moechte«:142 die Hofkultur schien der deutschen Kultur so fremd, dass sogar das Organ der Lebenswärme untergehen müsse. In Anlehnung an eine bereits im 16. Jahrhunderts entwickelte Topik, brandmarkte der alte Mann weiterhin die Höfe als Resultat der Tätigkeit des »Alamode Teuffel[s].«143 Nach diesen Gemeinplätzen endete der Traum ganz konventionell mit dem Aufwachen, einer Bekehrung des Erzählers zur ›Wahrheit‹ und – wie nicht anders zu erwarten – mit einer Bekehrung des Lesers. Die bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts144 tradierten Gestalten des weinenden Heraklit und des lachenden Demokrit – beide verspotten auf ihre Weise die Torheit der Welt145 – boten sich als weitere Redefiguren an, um das Falsche bzw. Böse zu bekämpfen und die Wahrheit zu enthüllen. Im Laufe der Zeit wurden die Anprangerungen präziser. Ein Traum-Gesicht vom Demokritus und Heraklitus prangerte die »blutige Krieges-noth« wegen des »viel-vergossene[n] Christen-Blut[s] auff geschwemmten Rheinstrom(s)« an.146 Der Topik des Gartens als locus aemonius folgend beschrieb der anonyme Autor (Wolf Helmhard von Hohberg?147) die Flucht von den brennenden Städten in die »unbewohnte[n] duestre[n] Waelder«. Als der Held, Savienus, sich in diesem adamischen148 Zustand erholte, »reizete ihn die angenehme kuehlrauschende Lufft zu einen [sic] suessen Schlaff/ in welchem ihme folgendes Traum-Gesicht vorkommen«.149 Eine »hoechstbetruebte« Matrone zeigte ihm den »Zustand des Teutschlandes« und verschwand darauf sogleich wieder.150 Dann erschien ein alter Mann, der über »die jenigen/ die viel Zeit und Jahr in Erlernung der sogenannten Klugheit zugebracht haben/ (also daß sie aus vorhergegangenen Geschichten Glueck und Unglueck
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Ebd., S. 16. Ebd., S. 30. Vgl. oben S. 156–291. Vgl. beispielsweise Michel de Montaigne: Essais. In: Œuvres complètes. Textes établis par Albert Thibaudet et Maurice Rat. Paris 1962 (Bibliothèque de la Pléiade), I, 50. Die Figur des Demokrit von Abdera tauchte in den sogenannten Briefen des Hippokrates (vermutlich aus dem 1. Jahrhundert n. Ch.) auf. Demokrit erklärte sein Lachen als Reaktion auf das nichtige Tun und Treiben der Menschen, das bei ihm eine Art melancholischen Benehmens bewirkte, ohne dass er wirklich ein Melancholiker sei. Wegen seiner Außenstehenden Position konnte Demokrit die Gesellschaft, die ihn nicht akzeptierte, kritisieren. Die Fähigkeit, sich von seiner Umwelt in eine beobachtende Position zurückzuziehen, ermöglichte es ihm, die Torheit der Welt zu entdecken. Die Emblembücher des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts entwickelten die Figuren von Demokrit und Heraklit weiter. Traum-Gesicht vom Demokritus und Heraklitus/ da jener den itzigen Zustand in Teutschland belachet dieser aber beweinet … o. O. 1675, Zitate S. 3. Die Erscheinung geschieht tatsächlich »auff die Hoehe deß Berges« (Ebd., S. 4), was eine Anspielung auf den genannten Autor sein könnte. »Savienus, gleich wie ein anderer Adam«. In: Ebd., S. 4. Ebd., S. 4. Zitate in: Ebd., S. 4.
323 urtheilen/ und durch anderer Leut Schaden oder Nutzen klug seyn koenten)« »aus vollem Halse« lachte.151 Die Klugheit wurde hier als Antonym der Nächstenliebe, als »falsch eingebildete(r)/ hoffaertige(r) Meynung«, »hinderlistige[n] Betrug« und »Otter-Gifft« in der Seele charakterisiert.152 Vor allem wurde sie nicht mehr allgemein moralisch kritisiert, sondern richtete sich umso härter gegen Ludwig XIV., der anonym und abwertend »ein ohnmaechtiger Mensch«153 genannt wurde, und noch direkter gegen dessen Minister und Räte, die Staatsräson betrieben, ›obwohl‹ sie Geistliche (die Cardinäle Richelieu und Mazarin, der Rat Père Joseph)154 waren. Der Autor prangerte die Bestechung als Regierungsmittel und die Verachtung der Versprechungen an – zwei Themen, die bald zum Gegenstand des Anti-Gallizismus und Topos wurden.155 Nach der Erwähnung einer politischen Ursache für Deutschlands Unglück (»die Uneinigkeit deiner Fuersten und Gewaltigen«156) endete die Flugschrift ganz traditionell mit einem Aufruf zur geistigen Bekehrung der Leser. Die Verkörperung der Staatsräson durch Ludwig XIV. wurde auch zum Thema zahlreicher anderer Flugschriften, von denen die schärfste aus der Feder des Philosophen und Alchemisten Johann Joachim Becher (1635– 1682) stammte. Mit mindestens fünf unterschiedlichen Auflagen in den Jahren 1674–1675 war sie sicher eine der damals verbreitetsten und einflussreichsten. In diesem anonym erschienenen Machiavellus gallicus. Das ist: Metempsychosis und Versetzung der Seele Des Machiavelli in Ludovicum XIV. dem Koenig von Franckreich/ Vorgestellet durch hundert Politische Frantzoesische Axiomata, In welchen Der Frantzosen Staats- und Kriegs-Maximem und Practicquen/ welcher sie sich gebrauchen/ Jedem offentlich zu sehen vorgestellet werden, prangerte Becher den sogenannten Allerchristlichsten König an, den er in sein Gegenteil verkehrte, ihn impli-
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Zitate in: Ebd., S. 5. Zitate in: Ebd., S. 5–6, 7, 11. »Ein ohnmaechtiger Mensch suchet durch unmenschliches Blutvergiessen/ gewaltthaetiges Zerstoeren/ und jaemmerliches Verbrennen/ des grossen Gottes unveraenderlichen Schluß/ nach seinem Kopff zu zwingen und zu ueberschreiten/ da doch/ wenn er in seinen gebuehrenden Schrancken bliebe/ er an Macht/ Herrligkeit/ Ehr/ und stillen Frieden/ ohne Brandmahl seines Gewissens ein solches Land besitzen koente/ das alle Koenigreich in Europa/ wo nicht durchgehend in allen/ doch zum wenigsten in einem und andern uebertrifft …« Ebd., S. 6–7. »Ist denn dieses die so hochgepriesene Klugheit/ die er von zweyen so hocherleuchteten Theologischen Mit-Gliedern und Seulen der Roemischen Kirche erlernet? Dasselbige nemlich was nicht sein eigen/ mit hinterlistigem Betrug/ Schwerdt/ Mord und Brand gewaltthaetig bezwingen und sich unterwerffen/ da doch ein weit/ weit Groesser ist/ der ihme Koenigreich geben und nehmen/ ihn zum Koenig ein und absetzen kan.« Ebd., S. 7. Vgl. Jean Schillinger: Les pamphlétaires allemands et la France de Louis XIV. Bern u. a. 1999 (Contacts 2, Gallo-Germanica 27). Traum-Gesicht vom Demokritus und Heraklitus, S. 17.
324 zit mit dem Teufel157 gleichsetzte. Mehr als dessen »aeusserliches KennZeichen und Symbolum oder Sinnbild«, d. h. »das Sinnbild der Sonnen«158 wurde dessen gesetzlose, ungezügelte und stets flüchtige Politik in Frage gestellt: Sie sei »denen Gespenstern gleich/ die man bald da/ bald dort zu seyn/ hoeren muß/ und doch niemand zu Gesicht bekommt«.159 Der Ausdruck »Metempsychosis«, später »Verwandelung«, d. h. genau der Begriff, den Becher auch in seinen alchemistischen Traktaten benutzte,160 verdeutlichte, dass das Gespenst-Motiv nicht rein metaphorisch verwendet wurde, sondern auf die gelehrte Debatte über die Seele als Substanz oder Geist verwies. Träume wurden nicht mehr Mittel einer politisch-moralischen Offenbarung, sondern Figur der chamäleonartigen Politik der politisch Handelnden. Konsequenterweise wurde die Personifikation der Staatsräson, Ratio Status, zur Hauptfigur politischer Traumfiktionen. Die ebenfalls in den Jahren 1675 bis 1677 erschienenen Politische[n] traeumende[n] Schwaetz-Gesichter entfalteten neuere wie auch ältere Stereotypen.161 Wie die gesamte Publizistik seit dem Dreißigjährigen Krieg bedauerten sie die nicht von ethischen Werten geleitete Politik, die deutsche Faszination für die französische (Hof-)Kultur und die Uneinigkeit der Deutschen, insbesondere der Fürsten. Wie in der jüngeren Publizistik war die Verkörperung der Staatsräson nicht greifbar. Der männliche Ratio Status,162 der in der Ichform schrieb und 157
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»Dann also verstelle ich der Frantzoesische Spiritus in einen Engel des Lichts«. In: [Becher] (1675), Fol. B iv v°. »Die Frantzosen greiffen es subtiler an, als der Teuffel selbst.« In: Ebd., Fol. C v°. Beide Zitate in: Ebd., Fol A ij v°. [Becher] (1675), Fol. C ij r°. Johann Joachim Becher: Chymisches Laboratorium, oder Unter-erdische Naturkuendigung. Hg. von Hans-Werner Schütt. 2 Bde. Hildesheim/Zürich u.a. 2002 (Historia scientiarum, Fachgebiet Chemie) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurth: Haaß. 1680); Ders.: Experimentum Chymicum Novum: Oder Neue Chymische Prob, Worinnen die kuenstliche gleich-darstellige Transmutation, oder Verwandelung/ derer Metallen/ augenscheinlich dargethan … Hg. von Hans-Werner Schütt. 2 Bde. Hildesheim/Zürich 2002 (Historia scientiarum, Fachgebiet Chemie) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurth 1680); Ders.: Naerrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein Hundert/ so Politische als Physicalische Mechanische und Mercantilitische Concepten und Propositionen … Franckfurt: Johann Peter Zubrodts. 1683; Ders.: Psychosophia Oder SeelenWeißheit Wie nemlich ein jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst allein alle Wissenschafft und Weißheit gruendlich und bestaendig erlangen koenne. Hamburg/ Lauenburg: Christian Liebezeit/Christ. Albr. Pfeiffer. 21705. Zu Bechers Tätigkeit als Alchemist, vgl. Pamela H. Smith: The Business of Alchemy. Science and Culture in the Holy Roman Empire. Princeton 1994. [Andreas Clers], Curiosa, nec non politica vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, Rationis-Status, de præsenti tempore Nugæ-somnia. Das ist: Des in der Europaeischen Welt/ ueberall zu Hause sich einfindenden/ so genannten R ATIO - STATUS , Wegen jetziger Zeit Laeuffte, nachdenckliche und Politische traeumende Schwaetz-Gesichter, Pars prima-quarta. Falso-Veronæ [Nürnberg] 1675–1677. Ratio ist weiblich auf Latein, jedoch eindeutig durch einen Mann personalisiert.
325 manchmal mit Ludwig XIV. identifiziert wurde, sagte in Bezug auf seinen Namen und Ursprung: Und so viel wegen der aeusserlichen Zierde meines Namens: Ob ich im uebrigen als ein Ens oder non-Ens von den Philosophis ausgeschryen/ oder als ein erdichtetes Wesen der Welt dargestellet/ keiner Werth oder Unwerth auch diese animalia disputacia passiren/ als diejenige/ welche um den Ursprung und redlichen Herkommen meines Namens noch zur Zeit sich nicht vereinbaren koennen. Gnug ists/ daß ich einmal in der Welt bin; mein Vatter und Ahnle moegen stecken wo sie wollen …163
Dieser Diskurs war derart in den aktuellen Holländischen Krieg eingebettet, dass die Politische[n] traeumende[n] Schwaetz-Gesichter einer politischen Chronik ähnelten. Zu deren Quellen zählte das Theatrum europæum des Verlegers Matthäus Merian und dessen Fortsetzungen. Mehr noch: Das gesamte Werk wurde auch als ein Diskurs über die Publizistik konzipiert. Es gliederte sich in zwei Bände, diese jeweils in vier Teile, insgesamt 738 Seiten, deren Publikation sukzessiv erfolgte, um das Interesse des Lesers nicht erlahmen zu lassen, genauso wie in einem Feuilleton. Auch die Bebilderung mit zwanzig sorgfältig ausgeführten Kupferstichen verdeutlicht eine große Leserschaft, somit die Entwicklung eines Markts für derlei Druckschriften. Die Titelblätter stellen den (männlichen!) Ratio Status, der der Klugheitslehre entsprechend drei Köpfe besitzt, um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig zu erfassen, schlafend dar mitten in »Particular Brieffe[n] und Kluger Leute Gutachten« sowie »Zeitunge[n]/ Advisen und Herr Omnis Geschwaetz«. Auf dem ersten Titelblatt [Abb. 12] flüstert eine Frau auf der linken Seite dem schlafenden Ratio Status Veritates ins Ohr, während ihm parallel auf der rechten Seite eine zweite Frau Mendacia zuflüstert. Dazu liegen im Bildvordergrund, wie bei einem Stilleben, ›Alamode‹-Kleider von Höflingen. Der Kommentar lautet: DEr Welt neu-Zeitbegier sucht taeglich mit Verlangen/ was dieser saget hier/ was jener dorten spricht; Nach lauter Zeitungs-Neu eins jeden Nase sticht/ Bis wahr/ und mehrer falsch den Klugen Narren fangen/ Allhie der Raht vom Staat/ der alle Hoeff regieret/ Im Bett/ und suessen Schlaff/ stellt vor ein Traum-Geschwaetz. Nicht daß mans glauben soll/ als ein wahrhafft Gesetz/ Weil Luegen und das Wahr von ein zum andern fuehret. Drey Koepffe seynd im Bett/ weil in der Welt drey Staende/ Gelehrt/ der Pfaff/ Soldat gleichfalls zu finden fein/ Der zum Gebrauch sich schickt/ nachdem man ihm verwende. Dabey befindet sich das Recht/ gleich auf der Seiten/ die macht/ daß beydes sey gericht vom Raht zur That was dieser Mann vom Staat sein Tag verrichtet hat. Ein jeder merck das sein/ und unterscheid die Zeiten.164 163 164
Ebd. Bd. 1, S. 2. Ebd. Bd. 1, Fol. A r°.
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Abb. 12: [Andreas Clers]: Curiosa, nec non politica vagabundi per Europam … 1675/77, Titelblatt.
Gegenstand des Werkes war also die Vermischung des Wahren und des Falschen durch launische politische Nachrichten, neue Zeitungen und Moden. Zwischen den Zeitungen, der Neugierde, der Reise – einer Haupttätigkeit des Ratio Status in seinen Träumen – und dem Traum gab es also eine funktionale Analogie. Dadurch erhielten Träume einen ambivalenten Wahrheitsstatus. Auf der einen Seite bildeten sie die beliebteste Form der Enthüllung politischer Nachrichten und moralischer Aussagen. Auf der anderen Seite
327 handelte es sich nicht mehr um eine Offenbarung,165 sondern lediglich um ein »Traum-Geschwaetz«. Die Tarnung dieses Werkes (samt seiner anonymen Veröffentlichung) als reinen Scherz und die Verkleidung der oft äußerst kritischen Botschaft in Träume dienten natürlich dazu, die Zensur zu umgehen. Jenseits dieser ersten Dimension ging es jedoch um einen epistemologischen Ansatz. Der Autor begründete die Form der Traumfiktion wie folgt: Fuernemlich da die Einfuehrung der traeumenden Gesichter nach der jetzigen curiosen Welt (derer Maul unmueglich zu stopffen) Discoursen pro und contra gantz sittsamlich ohne die geringste Entscheidung der Sachen wahren Beschaffenheit eingerichtet ist.166
Es handelte sich nicht um die klassischen, von der platonischen Philosophie beeinflussten humanistischen Dialoge, die zwei gegensätzliche Thesen gegenüberstellten. Der Entschluss des Erzählers, seine Entscheidung aufzuheben, erfolgte in den Traumerzählungen selber, die alle ganz abrupt endeten. Von einem ›Auge des Gemüts‹, dass die Lösung zeigen könnte, war keine Rede mehr: Dieweil aber selten unter zwey oder dreyen eine Gleichheit der Sinnen erscheinet/ so wird durch ein gegenseitiges obsta und contra-position die eingebildete Warheit auf den Probierstein gestellet; wer nun den rechten Streich zu erhalten vermeinet/ muß doch endlich in so langer Gedult stehen/ bis die Zeit den Ausschlag ertheilet. Die Zeit sagen wir/ lehret die Warheit/ und solches wird niemand/ der bishero in den gewesenen Kriegs-Troublen sich sonderbaren Geistes und Verstandes de futuris eingebildet/ leugnen/ indem die nachmals erfolgte veraenderte Consilia nimmermehr vorhero gesehen werden koennen …167
Der Traum blieb also weiterhin mit der Zukunftsvoraussage assoziiert. Jene wurde jedoch nicht mehr als eine Wissenschaft, auch nicht als die treffendste Form der Wissenschaft, als divinatio, sondern als »Einbildungen« (»und solches wird niemand/ der bishero in den gewesenen Kriegs-Troublen sich sonderbaren Geistes und Verstandes de futuris eingebildet/ leugnen«) und Vermutungen angesehen (»so wird durch ein gegenseitiges obsta und contra-position die eingebildete Warheit auf den Probierstein gestellet […] Die Zeit sagen wir/ lehret die Warheit«). Die Wahrheit wurde nicht ontologisch, sondern als ein zeitlicher Prozess, der eine Aussetzung des Urteils einschloss, als ein epistemologischer Vorgang definiert. Träume dienten deshalb als Leitfaden, weil sie wie ein Bild des gespaltenen menschlichen Gemüts und dessen Affekte darboten. Im Stil der Fiktion ermöglichten solche Texte die Spiegelung des Selbst. Bei diesem Schwanken zwischen gegen-
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Ratio Status präzisierte, dass seine Träume sich aus seiner täglichen Tätigkeit herleiteten. Der traditionellen Klassifizierung gemäß handelte es sich also um rein natürliche Träume. Ebd. Bd. 2, S. 4. Ebd. Bd. 4, S. 91–92.
328 sätzlichen »Einbildungen« und Vermutungen besaß der Traum damit eine ähnliche Funktion wie die Zeitungen in der Öffentlichkeit; letztendlich erhellten sie den politischen Entscheidungsprozess. Solche ungesuchte Richter haetten fuernemlich auf des Ratio-Status vorgesetzten Zweck/ ihr Absehen nehmen/ und nachmals kein widereinander lauffendes Urtheil sprechen sollen. Man sehe das ganze Scriptum vom Anfang bis zu Ende/ und von hinten bis fornen ohne Passion durch und an/ so wird an keinen Ort erhellen/ daß man sich einer einzigen Partheiligkeit angenommen/ oder darueber ein gewiß ausgeschlagenes jugement gezogen. Discours seynd es gewesen/ und geblieben; eine Parthey fuehret dieses Sentiment, ein andere ein Widriges an; wie die Gemuether nach ihrer affection gerichtet/ so wird pro und contra bald dieses/ bald jenes in compagnien/ auf Plaetze[n]/ Maerkten/ oder in anden Zusam[m]enkunfften vorgebracht. […] Wenn nun dieses unrecht/ und verbotten waere/ so mueste fuerwar zugleich allen Zeitungs-Schreibern das Handwerk niedergeleget/ und die Correspondenzien/ woraus doch die Regierung des boni publici manchmals/ um in einen oder andern die Mesures von auswaetigen Haendeln zu nehmen/ beruhet/ unterbrochen werden/ denn dardurch wird Anlaß gegeben/ daß curiose Liebhaber ihre Gedanken eroeffnen …168
Die politischen Zusammenstöße mit Frankreich, etwa die Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685, lösten eine neue Welle anti-französischer Flugschriften in Deutschland in Form fiktiver politischer Träume des (männlichen) Ratio status aus.169 Die Beliebtheit dieser Sprache, die dem Traum eine ambivalente Stellung in der Zukunftsvoraussage und einen rätselhaften Wahrheitsstatus zuschrieb, bezeugen auch drei Flugschriften, die anlässlich der Thronbesteigerung des Kurfürsten von Sachsen in Polen im Jahre 1697 veröffentlicht wurden. Sie stellten den französischen Prinz François Louis de Bourbon, genannt Conti (Conti war tatsächlich zum König von Polen gewählt worden, konnte sich aber gegen August den Starken 168 169
Ebd. Bd. 4, S. 90–91. Vgl. beispielsweise Der/ Aus der untern Welt hervorkommende R ATIO S TATUS … o. J. o. D. [1685], der eine Art Compendium der von Matthäus Merian und seinen Nachfolgern veröffentlichten Chronik (»Theatrum europæum«) ist. Einige Flugschriften gegen Ludwig XIV. wurden vermutlich von emigrierten Hugenotten verfasst bzw. in Auftrag gegeben. Flugschriften kursierten auch in französischer (oder halb in französischer, halb in holländischer bzw. deutscher) Sprache. Vgl. beispielsweise Sieur Van Beuningen: E XPLICATION DU S ONGE Que le R OY DE F RANCE A eu en son Carosse allant à Marly. U YTEGGINGE Van den D ROOM Die den Koninck van Vranckrijck gehadt heeft in sijn Carose gaende na Marly. Den Hage 1689; P. R. O. A de Prague [Pseud.]: L’abaissement de la France Presagé par le Songe de son Roi. Le Songe est ici expliqué selon sa vraye & naturelle signification, ainsi qu’on le peut voir en confrontant le Songe avec son interprétation. Prague: Jacques Le Roy. 1690; Von der rechten Deutung des Koeniglichen Frantzoes. Traums/ so in der 3. Ravage der Auffgefangenen Briefe, 413. Correspondentz, p. 655 zu finden/ sammt darzu gehoerigen Politischen Rathschlaegen; wie auch von einigen Raetzeln. In: Andreas Stübel, Gottfried Zenner: Aufgefangene Briefe/ welche zwischen etzlichen curiose Personen ueber den jetzigen Zustand des Staats und gelehrten Welt gewechselt. 2 Bde. Wahrenberg [= Leipzig], Brief 413, S. 655; Madame de Maintenon Wunderbarliches Traum-Gesichte/ Wegen der Am 13. Aug. 1704. zwischen denen hohen Alliirten/ auch Frantzosen und Bayern ohnweit Hoechstaett vorgefallenen Blutigen Action … Straßburg 1704.
329 nicht halten) dann eine weitere, anonyme Karnevalfigur (Pasquini) als Ratio Status dar. Während seiner Reise nach Polen habe Conti den Geist des verstorbenen polnischen Königs dreimal im Traum gesehen. Unter dem Motto, dass diese »nichtswuerdigen« Träume »seine Ruhe« »gestoert« hätten,170 wurde Kritik an der französischen Politik der Bestechung171 und der religiösen Beraubung geübt.172 Die »drey Geistliche[n] Staats-Leute«, Richelieu, Mazarin, Père Joseph (genannt »Le Pere Trompeur«) hätten »in der That mehr Staats-Filouterien practiciret/ als man aus seinen Schrifften nimmermehr heraus glauben wuerde« und dies mit der »blinde[n] Approbation« des Vaticans.173 Conti-Ratio Status besitze drei Gesichter, mittels derer er mit einem Blick Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfassen könne:174 er sei der kluge Mensch par excellence. Später erfuhr man, dass eine Reise nach Frankreich notwendig sei, um die »Staats-Kunst« machiavellischer Art zu erlernen.175 Nachdem die »ueberhaeufte[n] Gedancken« zur Thronbesteigerung sowie die »Post« aus Polen ihn »so Nacht und Tag ohn einiges Ruhlager« ließ, begann er zu schlummern: »der Traum/ der Affe der Natur/ [machte] ihn mit allerhand Bildern der unmueßigen Phantasie aengstigte/ und ihn auch in Ruhe unruhig«176 Es handelte sich also um einen natürlichen und willkürlichen Traum,177 der eine Art physiologisch bedingter178
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Vgl. Des Printz Conti Traeumende Gedancken im Closter Olive. Dantzig 1697, Fol. A 3 v°. Vgl. auch dazu [Philipp Balthasar Sinold von Schütz]: Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien/ Uber den ietzigen verwirreten Zustand der Welt/ Zweyte Erscheinung/ Allen curiesen und Staats-verstaendigen Gemuethern zu fernerem Nachdencken zugeeignet und uebergeben. [1.–3.]. Freyberg [= Leipzig]: Johann Georg Wahrmund [= Groschuff]. 1697, S. 62–63. Ludwigs XIV. Vorwurf gegen die Calvinisten wurde umgedreht und gegen ihn verwandt: Bei den Dragonaden und anschließend bei der Aufhebung des Edikts von Nantes, hätte der Sonnenkönig eine Staatshäresie begangen. Vgl. Ebd., S. 15. Zitate in: Ebd., S. 14. Vgl. Der Geist J OHANNIS III. verstorbenen Koenigs in Polen/ Nebst andern Traum-Gesichtern Des R ATIO S TATUS : als die II. C ONTINUATION Der Polnischen Begebenheiten vorgestellet durch C ASSANDERN . Breßlau: [1697], Fol D v°. [von Schütz]: Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien, S. 34. Der Geist J OHANNIS III., Fol. D 2 r°. [von Schütz]: Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien, S. 4: »… so doerffte ich die Curiosité des Fragenden nur damit abfertigen/ wenn ich sagete/ es seye ein Traum des schlaffenden Pasquino, und man koenne eben so wenig die Ursache anfuehren/ warum einem dieses und nicht ein anders getraeumet/ so wenig als man ergruenden moege/ warum das A nicht B, und das B nicht A heisse …«. Der Text machte sich in einem lustigen Ton Descartes’ Terminologie und Auffassung der Zirbeldrüse als Sitz der Seele und Bewegungsinstanz des menschlichen Leibes zu eigen: »… und dergleichen Meditationibus so sehr fatiguiren musten/ daß ihnen die glandula pinealis im Haupte grosse Schwuelen oder Huerner-Augen bekam«, in: Ebd., S. 5.
330 Schwärmerei179 erzeugte. Zwischen diesem Gedankenschwarm und dessen schriftlichem Medium, den schillernden Zeitungen und Flugschriften, bestand eine Analogie. Wie im Feuilleton zeigten Schriften die nächste Erscheinung schon vorweg an. Sie wurden im Jahre 1700 neu ediert.180 Die Faszination für die »Staats-Sachen«181 und deren fiktionale Darstellung lieferten den Stoff einer reichhaltigen Publizistik.182 In einem »Traum«, dessen Titel an die satirischen Pamphlete des Dreißigjährigen Krieges über die »Bayerische Kranckheit« erinnert, bedauert der anonyme Autor – wenngleich mit einiger Affektiertheit – die propagandistische Instrumentalisierung der Prophetien und die Vielfalt politischer Schriften: Endlich gelangete ich den Wald/ und als ich eine bequeme Lagestelle an die vorbeyrauschende Bach mir ausersehen/ steuerte ich mein von Staats-Sachen schwangeres Haupt auf einen breiten Ast eines abgehauenen Baums. Da gieng das Blaettern in die mitgenommene/ und mit grossen Fleiß von mir erkauffte Schrifften an; Es waren derselben wol bey die zehen Stuecke von verschiedenen Materien handelende/ weil sie eben nicht weitlaeufftig/ ich geschwinde durchlieff: Ich hatte mir gantz gewiß eingebildet/ diese wuerden schon genung seyn/ mich in den Affairen der gantzen Welt zu unterrichten; Aber ach leider! wie schaendlich fand ich mich in meiner Hoffnung betrogen. […] Nun kan so bald kein neuer Krieg auffdrucken/ daß nicht alle Buchlaeden von Conjecturen/ Bedencken/ Vorschlaegen/ unvorgreifflichen Meinungen u. a. m. darauf angefuellet seyn.183
Darauf folgt eine ironische Distanzierung gegenüber der ›Klugheit‹: Was hab ich nicht/ fuehr ich in meinen Gedancken fort/ fuer elende Sachen unter den Larven der praechtigsten Tituln verhuellet gelesen? Der eine will die heutige Conjuncturen beschreiben/ und koemmt mit einer saalbaderischen Geographie aufgezogen; […] der sechste will gar/ ich will nicht sagen in das Cabinet/ sondern auch in das Hertz hoher und kluger Printzen gucken/ und hat/ ich weiß nicht was vor ein scharffes Gesichte/ ueber etliche hundert Meilen alles aufs genaueste durch Eisen/ Stein/ Stal und denen dickesten Balcken zu sehen/ und zu erkennen; und solcher Leute jammert mich
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»herumbschweiffende Gedancken«, in: Der Geist J OHANNIS III., Fol. D v°; »wie sehr sich auch die Frantzoesischen Irre-Geister/ so in dem gantzen Koenigreiche herumschwaermen/ durch ihre falschen Persuasiones bemuehet«, [von Schütz]: Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien, S. 22. »… davon kuenfftig ein mehrers«, in: Des Printz Conti Traeumende Gedancken, Fol. A 4 v°. Sie wurden vielleicht von Philipp Balthasar Sinold von Schütz veröffentlicht, der zudem ab 1702 die Zeitung »Europäische Fama« über die europäischen Höfe herausgab. Vgl. in Bezug auf den Machiavellismus: »Jedermann schilt ihn zwar/ jedermann practicirt aber auch. Machiavellum sequi, licitumne an illicitum? meum jam non est decidere«, in: Machiavellus medicus, Seu Ratio Status medicorum, Secundum Exercitium Chymicum delineata, & in certas Regulas redacta … Argentorati 1698, Fol. A v°. Vgl. beispielsweise die »Lustigen und Ernsthaftigen Monatsgespräche«, die erste deutschsprachige Zeitschrift der Frühaufklärung, von Christian Thomasius begründet, die in Leipzig ab 1688 erschien. Musastræus dell Montunione [Pseud.]: Das an der Teutschen Colica Danieder liegende Franckreich … Freystatt 1690, Fol. A 2 v°.
331 am allermeisten/ absonderlich wenn ich bedencke/ wie so gar schlecht ihre Vorgebungen eintraffen/ und bezeugen.184
Neben der publizistischen Darstellung von Politik und Traum trat ein zweiter Aspekt in den Vordergrund: Träume wurden zunehmend mit einem Gedankenschwarm, genauer mit einem Rausch assoziiert. Der konkrete Anlass zum Einschlafen und Träumen war nicht göttlicher Einfluss, sondern »rauhe Lufft«,185 »angenehme kuehlrauschende Lufft«186 oder »Rausch«.187 Auch die »kluge[n] Staats-Phantasien« des »Traeumenden Pasquini« wurden als Ergebnis eines (vielleicht eher alkoholischen) Rausches dargestellt; der letzte Satz lautet: Indem aber Pasquino sich zu der Reise geschickt machen wolte/ hoerete er alle Glocken zu Rom auf einmahl laeuten/ weilen es eben umb die Mittags-Zeit war/ und also hatte er seinen Rausch innerhalb achtzehen Stunden gluecklich außgeschlaffen.188
Es wäre zu fragen, ob das Bündel von Assoziationen zwischen Traum, Gemüt, Tagespolitik, Hofkultur und Publizistik sich nicht von dem konkreten Ort, an dem solche Schriften vorgelesen und ausgetauscht wurden, und von den dort beliebten Zeitvertreiben, nämlich dem Trinken oder noch mehr dem Rauchen in den Wirtshäusern,189 ableitete. Belustigende Träume, schilderte Christian Weise (1642–1708) in einer Komödie, seien vom Wein bewirkt und bezögen sich auch auf den Wein:
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Ebd., Fol. A 2 v° – A 3 r°. Vgl. auch in dieser Richtung: Der Im Traum entzuckte F ONOder dessen Gethane Reiß/ In die Andere Welt … o. O. o. J. [ca. 1711], S. 5: »Ihrer Vorsteher Maximen und Reden nach/ sollte man meynen/ ihre Lehre stimme her von dem Delphischen Oraculo, welches alle seine Antworten auf Schrauben und zweydeutig ertheilte/ und nachmals zu seinem Vortheil auslegte. Um dieser und anderer Uhrsachen wegen/ dieweil sie insonderheit die aller subtilesten und verwegenste Intriganten seyn/ dem aeusserlichen Ansehen nach Schaafe und Geistliche/ im Hertzen Machiavellisten und reisende Woelffe/ hat man sie an diesem Orte/ unter denen harten weit-entlegenen Orten abgesondert/ aus Furcht fernerer Unruhen und Verwirrungen«. Im Übrigen entfaltete diese Flugschrift die üblichen Stereotypen gegen die Aufhebung des Edikts von Nantes und die Mätressen des Königs. Als der Protagonist und Erzähler am Ende aufwachte, fragte er sich, ob er über die Verwirrung Europas »mit Heraclito beweinen/ oder ob er lieber mit Democrito lachen sollte« (Ebd., S. 24). [Clers], Curiosa, nec non politica vagabundi per Europam. Bd. 2, S. 5. Traum-Gesicht vom Demokritus und Heraklitus, S. 4. Der Im Traum entzuckte F ONTANAROSA , Fol. a 2 r°. [von Schütz]: Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien, S. 64. Einige fiktionalen Traumerzählungen befinden sich in kurzweiligen Büchern, in denen die Erzählung sich auf die Wirtshäuser konzentriert, wie beispielsweise folgende Adaptation eines Werkes von Quevedo: Traum Der entdeckten Warheit/ Von einem Hund und dem Fieber. betreffend/ Die Mißbraeuche/ Laster/ Meuchel-List und Truegerey der Weltlinge ins gemein. Durch Francisco de Quevedo Villegas … gedolmetscht auf gut Pantagruelich/ Durch Silenum Alcibiadis. In: Erneürtes Stamm- und Stechbuechlein. o. O. [Nürnberg] o. D. [1654]. Zu Wirtshäusern und Kommunikation, vgl. Kintzinger (2002). TANAROSA
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332 Rob. […] Hoere/ wo bistu gestern gewesen? Mier. Herr zum Weine. […] Ich legte mich auff den Bauch/und deckte mich mit dem Podexe zu/ so schlieff ich. […] Ich kunte vor den lustigen Traume nicht darzu kommen. Rob. Was war es vor ein Traum? Mier. Ihr Herren/ es traumte mir von euch/ die ihr da beysammen seyd/ ich fraß und soff mit/ daß mirs noch gut schmeckt.190
Der durch den Weingenuss bewirkte Traum sei also derart belustigend gewesen, dass es dem Träumer selbst im Wachzustand noch »gut schmeckt[e]«. In Ermangelung einer Untersuchung über das Rauchen in Wirtshäusern des 17. Jahrhunderts191 kann an dieser Stelle keine synthetische Analyse geliefert werden. Es sei nur kurz in Erinnerung gerufen, dass ab den Jahren 1610 Pfeifen zum Gegenstand mehrerer holländischer Stilleben wurden.192 Die Vereinigten Provinzen mit der VOC (Vereenigde Oostindische Compagnie), die zahlreiche vornehme Wirtshäuser besaßen,193 könnten für die Verbreitung des Tabakverbrauches als Initialzündung gewirkt haben. Der bekannteste Arzt, der den Konsum von Tabak verherrlichte, war zweifelsohne ein gebürtiger Holländer, der Cartesianer Bontekoe [Cornelius Dekker], der zum Leibarzt des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg wurde.194 Tabak wurde neben Opium in zahlreichen Diätetiken und Traktaten als Schlafmittel empfohlen.195 In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 190
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[Christian Weise]: Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst … Dreßden/Leipzig: Johann Christoph Miethien und Johann Christoph Zimmermannen. 1700. S. 152–153. Die Sekundärliteratur zu den Wirtshäusern hat sich bisher noch nicht mit dem Thema des Rauchens beschäftigt. Man findet keinerlei Hinweise darauf in den einschlägigen Arbeiten: The World of the Tavern. Public Houses in Early Modern Europe. Hgg. von Beat Kümin, Ann B. Tlusty. Aldershot 2002; Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hgg. von Susanne Rau, Gerd Schwerhoff. Köln/Weimar 2004. Vgl. beispielsweise Johannes Torrentius: Emblematisches Stilleben. 1614. Ölgemälde, 52 × 50,5 cm (Rijksmuseum, Amsterdam); Pieter Claesz.: Tobacco Pipes and a Brazier. 1636. Ölgemälde, 49 × 63,5 cm (Hermitage, St. Petersburg); 1640; Sébastien Stoskopff: Stilleben. ca. 1640. Ölgemälde, 42 × 58 cm (Private Sammlung); Maerten Boelema de Stomme: Stilleben. 1642–44, Ölgemälde, 56 × 76 cm. Vgl. auch Werner Jacobsz. van den Valckert: A Man Cutting Tobacco. ca. 1620. Ölgemälde, 67 × 52 cm (private Sammlung). Willem van Mieris: Sitzender Mann. 1688. Ölgemälde, 21 × 17 cm (Private Sammlung). Dazu vgl. Beat Kümin: Public Houses and their Patrons in Early Modern Europe. In: The World of the Tavern, S. 44–62, hier 53. Kümin weist auf S 48 darauf hin, dass für viele Zeitgenossen Alkohol im Prinzip ein Luxus war. Ein Krug Wein in einem Wirtshaus konnte über ein Drittel des täglichen Gehalts eines Tagelöhners aufzehren. Cornelis Bontekoe: Auserlesene Ergoetzlichkeiten vom Tabac … Leipzig 1715. Vor Wier hatte bereits Girolamo Cardano die Hypothese aufgestellt, dass Hexen Opium als Schlafmittel einsetzten und folglich vom Sabbat nur träumten. Vgl. Hieronymus Cardanus: L ES LIVRES DE H IEROME C ARDANVS MEDECIN MILANNOIS , INTITVLES De la Subtilité … Paris: Guillaume le Noir. 1556, S. 356 r°: »De ce vient l’opinion d’aucunes femmes qui sont dites Lamiæ, on peut les appeler Fees, lesquelles nourries du suc de pauot noir, dit opiu[m], de chatagnes, feues, ogno[n]s, chous, & de phaseoles, semblent en songeant voler en diuerses & plusieurs regions, & illec estre tourmentees en diuerses manieres, selon la temperature de chacune. Elles sont aidees contre tels songes d’vn on-
333 leisteten zudem die Armeen einen entsprechenden Beitrag zur Verbreitung des Tabakgenusses. Mehrere Belege sind zum Beispiel in den Kriegen gegen das ottomanische Reich nachweisbar.196 Die Betonung von Luft und Rausch beim Entstehen belustigender Träume beruhte zudem auf dem damaligen Krankheitsverständnis. In den zeitgenössischen Diätetiken mit ihren gesunden Angeboten verbreitet in Gesundheits- und Seuchenratgebern, spielte die Qualität der Luft eine wichtige Rolle, weil man die Ansteckung von Krankheiten und Epidemien der Luft, nicht der Berührung zuschrieb. Als Ursache bestimmter Krankheiten (wie sie Malaria, wörtlich mala aria, d. h. schlechte Luft) sah man die unreinen Miasmen.197 So beginnt eine Diätetik aus dem Jahr 1623 mit diesen Worten: E S ist zur Erhaltung der Gesundtheit/ wie gleichsfals auch zu Verlaengerung deß Lebens nichts noe[t]higers/ als eben der [sic] euserliche Lufft/ sintemal alle und jede Thier desselbigen zu stattiger Erfrischung jhrer Hertzen nicht koennen entrathen/ unnd jhn derowegen durch das unauffhoerliche Athemen an sich ziehen. […] Gleich wie demnach ein heyterer reiner unnd temperierter Lufft die Gesundtheit erhelt/ also wirdt dieselbige im Gegentheil durch einen dicken/ trueben unnd angesteckten desto eher verderbt […]. Der temperierte Lufft aber ist der heytere/ helle und reine/ welcher nicht allein zur Gesundheit ursach gibt/ sondern dieselbige auch erhelt/ in dem er nemblich alle Geyster zusampt dem Gebluet gewaltig reiniget/ das Hertz unnd Gemueht erfrewet/ die Geschaefft und Wuerckungen aller Glieder staercket/ derselbigen Tawungen befoerdert. […] Hergegen pflegt der truebe dicke unnd nebelichte Lufft das Hertz zuverfinstern/ das Gemueth zu perturbiern/ den gantzen Leib zubeschweren/ die Tawung zuverhindern und das Alter gleichsam vor der Zeit in aller zyl einzufuehren.198
Die Ursachen der Wirkung des Tabaks blieben den Zeitgenossen dennoch rätselhaft. So der Autor einer kurzen Abhandlung um die Mitte des 18. Jahrhunderts: Ihr werdet sagen, daß dieses eine blosse Einbildung waere, indem durch das Tobackrauchen weder flueßige noch feste Materie im Magen gebracht wird. Ich raeume ein,
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guent, dont elles s’oignent par tout le cors«. Vgl. auch Nicolaus Culperer: C ULPERERS T ESTAMENT … Hamburg: Gottfried Schultzen. 1675, S. 36: »Zum Schlaff muß man ihm helffen mit dem Opio«; Johann Gottlob Krüger: Gedanken vom Caffee, Thee und Toback. Halle im Magdeburgischen: Carl Herrmann Hemmerde. 1743, S. 52 (über Opium und Tabak): »Niemand aber zweifelt auch, daß er geschickt sey, Schlaf zu machen und die Empfindlichkeit zuvermindern«. Vgl. auch Albrecht von Hallers Abhandlung über die Wirkung des Opiums auf den menschlichen Körper … Bern 1962 (Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 19). Vgl. Zwey Nachdaenckliche Traum-Gesichte/ Von Deß Tuercken Untergang … o. O. 1684, S. 11, 13; Tuerckische Traum-Gesicht … Muenchen: Matthias Riedl. 1718, Fol. )( 2 v°. Vgl. auch Krüger (1743), S. 53: »Man bedencke nur, wie uebel ein Soldate im Felde daran ist, wenn nicht mit einer Pfeife Toback troesten koennte«. Stolberg: Homo patiens (2003), S. 59–60. Castore Durante von Gvaldo: T HESAVRVS SANITATIS . Das ist: Bewerter Schatz/ und gueldenes Kleinodt der Gesundtheit … Franckfurt am Mayn: Lvcas Iennis. 1623, S. 1–3.
334 daß dieses nicht geschehe, aber ich leugne, daß deswegen der Toback kein Mittel wieder den Hunger und Durst seyn koennte. Denn nimmt nicht beydes aus einer Empfindung seinem Ursprung und hat nicht der Toback die Kraft die Empfindlichkeit zuvermindern?199
Die Faszination für den Tabak lag in seiner vermuteten Verwandtschaft mit der affektiven und körperlichen Verfassung des Menschen: Diese Flueßigkeit, diese Subtilitaet, dieses gantz besondere Wesen, das man nicht nennen kann, und das schon von der Art unsers Coerpers ist, befindet sich in keinen andern Getraencke.200
Kein Wunder, dass eine »artig-lustige(n) Zugabe/ Vom Taback trincken« um 1660 einigen TraumGesichtGespraeche[n]201 beigefügt wurde. Aufgrund seiner Verbreitung in der Luft erreiche der »stinckende(n) Taback«202 den Menschen, verwandle seine Sinneswahrnehmung und belustige sein Herz: De[n] Rauch der sich ergoß auch biß ans Himmelsra[n]d/ Die Sternen leschten an/ die Wolcken wurden dicke […]. Die schoensten sahen auß/ wie die gemahlten Goetzen Der Russen/ die sich hoch in jhre Stuben setzen So voller Rauch und Dampff; so heßlich und so gehl/ Wurd jhre Stirn/ die sonst/ so weiß als Weitzen Mehl. […] Jhr wisset wol daß ich mich habe nie gewehnet/ An nasse Ding/ und nicht nach Bier un[n] Wein gesehnet Deß Edeln Fewers Rauch den liebet stets mein Mund […] So dir belusten wird noch mehr Taback zu trincken […] Vom Rauch und stancke sie wie junge Teuffels wahren …203
5.2.3
Politische Träume, Selbsterkenntnis und Ästhetik
Die dem Spanier Gracián zugeschriebenen Politische[n] Traeume begannen mit folgenden Äußerungen: Zumahlen deß Menschen Sinnen offt seine Lehrer sind/ und bedarff er zu vielen Dingen keines andern Wegweisers als sein selbst/ wnnn [sic] er in sich selber gehet/ und sichs recht gebrauchen wil. Was nun mein Hermias an Tugenden oder Lastern bey den Menschen wahgenommen/ selbiges gab er vor/ als obs ihm getraeumet haette/ und
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Krüger: Gedanken vom Caffee, S. 53. Ebd., S. 52. Der gesamte Titel ist sehr aufschlußreich in Bezug auf die Gattung und deren Markt: TraumGesichtGespraeche/ Gehalten von einer alten Teutsch Seel/ So da erschienen und im Traum begegnet Einem jetzigen Teutschen Sampt einer artig-lustigen Zugabe/ Vom Taback trincken. Kauff und durchließ mich/ gereuet es dich/ so verbrenne mich. o. O. o. D. [ca. 1660]. Diese »TraumGesichtGespräche« entfalten die üblichen Stereotypen der Vision im Traum einer alten Seele, die die Lebenden zur Sittlichkeit mahnt. Ebd., S. 88. Ebd., S. 88–89, 91–92.
335 bracht es solchergestallt unter seine weise Lehre mit an/ so daß die Warheit zu untersuchen/ uns es Arbeit und Lust machte.204
Die Selbsterkenntnis wurde zwar noch in Zusammenhang mit Einkehr zu sich selbst gebracht. Nun jedoch setzte sie die Tätigkeit aller Sinne voraus. Der Mensch wurde als reizbares Wesen betrachtet entsprechend der damaligen Interpretation der Nerven als Triebfeder zwischen Seele und Körper. Den Menschen »wahrnehmen« und ihn beschreiben liefen parallel zueinander.205 Ebenso wie eine doppelte Negation eine Wahrheit erzeugen kann, ermöglicht die Schilderung einer doppelten Fiktion (»als ob ihm getraeumt haette«: die Fiktion des »als ob« und diejenige des Traums) eine »Untersuchung« der Wahrheit und zugleich eine bestimmte »Lust«. Der Traum wurde auf diese Weise erstmalig mit der Selbsterkenntnis assoziiert. Welche Art von Selbsterkenntnis ließ sich jedoch aus dem phänomenologisch und sensualistisch konzipierten Erkenntnisprozess gewinnen? Erhebliche Zweifel an der vollkommenen Selbstgewissheit entstanden, als sich die ›Zeremoniellwissenschaft‹ entwickelte und die Handlungen der ›Privat-Personen‹ (d. h. der Menschen ohne Ämter) erfasste, insbesondere als die Körpersprache, beispielsweise die der Augen, wie das Durchschauen und Durchschautwerden der Anderen erkannt wurde. Die protestantischen Autoren der einflussreichsten Lehrbücher zum Zeremoniellwesen betonten den Sündenfall und die auf ihn zurückgehende Freisetzung einer negativen menschlichen Affektausstattung. Somit wurde das Zeremoniellwesen moralisch-ästhetisch bestimmt und in die Affektenlehre eingebettet. Nach Lünig und seinem Zeitgenossen Christian Thomasius wurde der Mensch von drei Hauptaffekten beherrscht: vom Ehrgeiz, der Wollust und der Habsucht. Der Ehrgeiz treibe den Menschen zu kriegerischen Handlungen und dem Streben nach Etablierung hierarchischer Verhältnisse. Die Wollust, d. h. die Freude an wechselnden, äußerlichen Sinnesreizungen vervielfältige das Solennitätenwesen und die Habsucht schaffe die materiellen Voraussetzungen für den wollüstigen Reiz-Verbrauch.206 204
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Balthasar Gratian [Baltasar Gracián y Morales zugeschrieben]: Politische Traeume/ Auff jetzige Zeiten … Franckfurt am Mayn: Joh. Jost Erythropel. 1692, S. 6. Vgl. dazu Elias: Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft. Hg. von Reinhard Blomert. Bearb. von Claudia Opitz. Frankfurt am Main 2002 (Gesammelte Schriften 2), S. 183–190. Johann Christian Lünig: Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historischund Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien. 3 Bde. Leipzig 1719–1720. Im Bd. 1, S. 2 bezeichnet er das Zeremoniell als »Brut der verderbten menschlichen Natur und sündlichen Affecten«. Nach Julius Bernhard von Rohr resultiert das Zeremoniell zwar aus der Rolle der äußeren Sinne im Verhalten. Jedoch erwähnt er nicht den Sündenfall. Zu Lünig, vgl. den guten Aufsatz von Thomas Rahn: Psychologie des Zeremoniells. Affekttheorie und -pragmatik in der Zeremoniellwissenschaft des 18. Jahrhunderts. In: Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hgg. von Jörg Jochen Berns, Thomas Rahn. Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 25), S. 74–94, hier 74.
336 Dadurch fußte das Zeremoniellwesen auf einer Verwunderungsästhetik. Mittels dieser Verankerung in der Affektenlehre erklärte man zudem, wie das Zeremoniell wesentlich zur Verinnerlichung der Staatsautorität beitragen konnte.207 Das eigentliche Novum an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert stellte die Verbreitung von ›Klugheit‹ auf die Verhaltenweisen des Menschen im ›gemeinen Leben‹ dar. Daher war die Belustigung des Gemüts das Ziel der ›Galanterie‹.208 In Gebärdensprache erwies sich nichts wichtiger als der Blick und was er ausdrückte.209 Entgegen dem aristotelischen Erkenntniskreis von äußeren Daten zum Verstand und Gedächtnis über die Imagination erreichten nach der neuen Vorstellung die äußeren Objekte das Auge und bewirkten unmittelbar einen Eindruck im Gemüt. Dementsprechend erlebte die Physiognomie eine neue Blüte: An einer manierlichen Geberdung und guten aeusserlichen Stellung/ ist in der That sehr viel gelegen/ sintemahl das aeusserliche einem andern zuerst in die Augen faelt/ und einen Eindruck in seinem Gemuethe macht. […] Bißweilen urtheilen sie nach der gantzen Person/ zuweilen aber auch nur nach dem blossen Gesicht. […] Daß man bißweilen aus der Physiognomie eine und die andere in der Seele verborgen-liegende Neigung mit gutem Grunde errathen koenne/ ist wohl wahr […]. Man lerne den im Hertzen verborgen liegenden Affect, und der sich gerne in den Zuegen des Gesichts zu aeußern pflegt/ kuenstlich verbergen/ und solche Minen an sich zu nehmen/ die ihm entgegen gesetzt …210
Vielleicht weil der Blick faszinierte und als solcher nicht beschrieben werden konnte, erläuterten die Lehrbücher zum Zeremoniellwesen den Zusammenhang zwischen dem Auge als Zeichen und als physiologisch-epistemologische Instanz nicht weiter. Das Auge erwies sich als ambivalentes Medium. Es fungierte gleichzeitig als Zeugnis einer innerlichen Wahrheit und als Kommunikationsmittel, als Gegenstand einer Kenntnis und als Mitt207
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Zu diesem Ausdruck, vgl. Norbert Elias: Die Gesellschaft der Individuen. Hg. von Michael Schröter. Frankfurt am Main 2001 (Gesammelte Schriften 10), S. 92. »Die Liebe zur Galanterie, erstreckt sich nicht allein auf mancherley buergerliche Handlungen/ sondern sie ist auch biß in die Wissenschafften und die Gelehrsamkeit eingedrungen. Vielen ist mehr an der galanten/ als an der soliden Gelehrsamkeit gelegen. Es bestehet aber die galante Gelehrsamkeit darinnen/ daß man sich vornehmlich diejenigen Wissenschafften bekandt mache/ die zu der Zeit bey den Hof- und WeltLeuten in besondern Credit stehen/ und aus mancherley andern Wissenschafften mehr belustiget/ in angenehme Verwendung gesetzt/ als mit allzusauern und muehsamen Nachsinnen beschweret werde/ und dasselbe zu rechter Zeit und an rechten Ort anbringen lerne.« Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschaft der Privat-Personen. Hg. und kommentiert von Gotthardt Frühsorge. Weinheim 1990 (Nachdruck der Ausgabe 1728), S. 6. Zur französischen Hofliteratur, vgl. den Überblick von Mechthild Albert: L’Éloquence du Corps. Conversation et sémiotique corporelle au siècle classique. In: Germanischromanische Monatsschrift 39/2 (1989), S. 156–179 und vor allem Marc Angenot: Les traités de l’éloquence du corps. In: Semiotica 8 (1973), S. 60–82. Rohr (1728/1990), S. 179, 180, 191, 193.
337 ler einer Zustimmung des Herzens. Die Betonung der Reizbarkeit des Menschen, das Ausklammern des ›Auges des Gemüts‹, waren mit der Vereinfachung der Seelenkräfte und der zunehmend komplizierter werdenden seelischen Verfassung einhergegangen. Die Erregung der Affekte und deren Übertragung blieben rätselhaft. Die politischen Flugschriften und Romane trugen ähnliche Züge. Denn die Klugheitslehre beruhte auf einer Epistemologie des Zeichens, die sich als zunehmend problematisch erwies – sogar (oder vor allem) in der Publizistik. Der beste Beleg dafür ist zweifelsohne das berühmte Pamphlet von Leibniz Mars christianissimus (1683). Dieses verfasste Leibniz zunächst auf Latein und übersetzte es dann ins Französische, bevor es durch eine nicht von Leibniz stammende und fehlerhafte deutsche Fassung weit verbreitet wurde. Darin kommentierte Leibniz mit mokantem Spott die Annexions- und Türkenpolitik von Ludwig XIV.211 Die Kritik an der propagandistischen Nutzung der Prophetie verschärfte sich, da Leibniz hierbei die Natur der Zeichen in Frage stellte. Er verglich die Schöpfer der zutreffenden Verleumdungen über den Sonnenkönig mit »Astrologen, deren Voraussagen Ursache der von ihnen prophezeiten Übel wurden«:212 Die Zeichen seien nur ›selbst erfüllende Prophetien‹. Die Hinterfragung der Zeichen und Wunder führte bei ihm zu einer radikalen Ablehnung jeglicher Sakralität des ›Allerchristlichsten Königs‹. Mit beißender Ironie fragte er: Gott selbst bestätigt jeden Tag durch Zeichen und Wunder das Recht, das wir dem Allerchristlichsten König zuschreiben. Ist es nicht ein ziemlich großes Wunder, dass es einen Fürsten, der so viele Kriege am Hals hat, nicht an Geld mangelt?213
Die auf die politische Aktualität bezogenen Voraussagen blieben im Gegensatz dazu zurückaltender. So schilderte zum Beispiel eine Flugschrift aus dem Jahre 1684 zwei Nachdaenckliche Traum-Gesichte/ Von Deß Tuercken Untergang, die dem (vorgetäuschten) Zweifel an der Glaubhaftigkeit voraussagender Träume entsprungen seien: Wer auf Traeume haelt/ der greiffet nach dem Schatten/ und will den Wind haschen/ dann Traeume sind nichts anders/ dann Bilder ohne Wesen. Und Narren verlassen sich auf Traeume. Dann eigene Weißsagung und Deutung und Traeume sind nichts/ und machen doch einem schwere Gedancken. Und wo es nicht kommt durch Eingebung deß 211
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Ironia perpetua Seu Apologia armorum Regis Christianissimi contra Christianos Promodus Autore Germano Gallograeco / Mars Christianissimus, Autore Germano GalloGraeco ou Apologie des Armes du Roy tres Chrestien contre les Chrestiens. In: Gottfried Wilhelm Leibniz: Politische Schriften. Hg. vom Zentralinstitut für Philosophie an der Akademie der Wissenschaften der DDR. 2. Bde. 1677–1687. Berlin 21984 (Sämtliche Schriften und Briefe 4/2), Nr. 22, S. 446–502. »… comme ces Astrologues dont les predictions ont esté causes des maux qu’ils predisoient«. In: Ebd., S. 475. »Dieu luy même confirme tous les jours par des signes et par des prodiges le Droit que nous attribuons au Roy tres Chrestien, n’est ce pas un assez grand miracle, qu’un Prince qui a tant de guerres sur les bras, ne manque pas d’argent? …« In: Ebd., S. 480.
338 Hoechsten/ so halte nichts davon. Dann Traeume betruegen die Leuthe/ und fehlet denen die drauf bauen. Solches habe ich in Ergebung bey dem Traum-Erzehlen angeregt/ vielmehr aber stillschweigend bey mir selbsten gedacht/ weil ich auf nichts weniger als auf Traeume und deroselben Kindische Deutung gehalten und noch halte. Dannenhero man mich in dieser zwey herauß lassender Traum-Gesichte vor keinen Wiedertaeufferischen Quacker oder Fantastischen Traeume halten/ und außschreyen wolle/ sintemal ich wider die heutigen liederlichen Traeume und Traeum-Deuter selbsten protestire. Doch aber sind auch nicht alle Traeume veraechtlich/ sondern wir haben eben so wol auß H. Schrifft genugsame Exempla, daß nicht allein durch Traum-Gesichte GOtt/ viel Zukuenfftiges/ Gutes und Boeses im Alten und Neuen Testament den Menschen vorgestellet/ sondern wol gar durch Engel im Traum etwas offenbahren lassen. […] NAchdem ich eine Zeit hero von deß Tuercken Untergang unterschiedliche/ Geist- und Weltliche Prognostica gelesen/ darbey aber manches mal […] dubitirend gedachte: vielleicht hat GOtt der HErr/ wie zur Zeit deß Koenigs Ahabs auch einen falschen Geist gegeben in aller dieser Propheten Munde/ und etwann ueber Deutschland (wegen ihrer grossen uebermachten Suende/ Unbußfertigkeit und beharrlichen Halßstarrigkeit) Boeses ueber unß beschlossen/ und mit dem grausamen Tuercken-Schwerdt heimzusuchen und zu straffen ihme vorgenommen […] wuenschte doch Grundhertzlich/ (wie dann noch taeglich) in meinem eyfrigen Gebeth/ daß der Allmaechtige es einmal (und nach dieser ietzigen Zeit/ so Geist- als Politischer gelehrten Leuthe Prophecey und außgelassenen Schrifften) mit diesem Tueckischen Greul und Verwuestung ein Ende machen/ sie bekehren und vom Erdboden wol verdient vertilgen wolle. Uber solchen auf dem Lager offtmaligen Gedancken/ schlieff ich dann ein …214
Andere erklärten ohne Umschweife die Traumdeutung für Aberglauben. Johann Georg Schiebel stellte seiner Schilderung fiktiver Träume ein »Die aberglaeubische Traum-Deuteley« betiteltes Vorwort gegen die Zukunftsvoraussage und deren publizistische Verbreitung voran. Er verwarf insbesondere ein Traumbuch aus dem Jahre 1537, weil es die pagane Zukunftsprognostik den Propheten Daniel und Esra zuschrieb.215 Wie konnten dann »Leichtglaeubigkeit« und »Aberglaube« vermieden werden?216 Was durfte man glauben? Vor allem, warfen sämtliche Flugschriften die Frage auf, wie es zu erklären sei, dass »nichtige Träume« das Gemüt »stören«? Diese Frage war insofern von besonderer Bedeutung, als sich das Augenmerk der Publizisten wie der Autoren von Lehrbüchern zum Zeremoniellwesen auf den individuellen Charakter der Affekte richtete,217 sowie auf das Vermögen, die Erregung der Sinne auf einen anderen zu übertragen. Der Traum erschien als die aufschlussreichste Erscheinung der geselligen Natur des Menschen:
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Zwey Nachdaenckliche Traum-Gesichte/ Von Deß Tuercken Untergang … o. O. 1684, S. 3–4, 14–15. Johann-Georg Schiebel: Neu-erbauetes/ erbauliches Historisches Lust-Hauß … Leipzig: Michael Rußworms Wittbe. 1685, S. 100–103, hier 101. Zu den ›Somniale Danielis‹, vgl. oben S. 76. Ebd., S. 188. Vgl. Weise: Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst, Fol. a 3 r° – a 4 v°.
339 EIn Mensch ist jhm selber ein grosser Schuplatz [sic]/ als welcher/ auch wann er schlaefft/ allerhand seltzame Bilder jhm selber vormachet und anschauet. Er gibt einen blinden Werckmeister und Anschauer seines eigenen Wercks/ und ist dergestalt nimmer allein/ daß er so gar auff seinem Bette/ wo er sonderlich allein ist/ offt viel Leute umb sich hat.218
Als »seltzame« Spiegelung der Welt und des Gemüts biete der Traum eine »blinde« Selbsterkenntnis. Im Laufe der Schilderung eines fiktiven Traums schrieb Christian Weise folgende Überlegungen, nieder: Mein Hermias, dein Traum ist wuerdig/ daß man wachend tieffer ihn erwegen soll. Dann er ist nicht derer ein/ welche wie ein Wirbel-Wind die lieblichen Bilder nicht recht vorstellen/ sondern eins in das ander mischen/ und nicht vernunfftmaessig sich verhalten. […] Aber welches Schlages meinest du/ daß dieser dein Traum sey? Dann Aristoteles, der alles wol eingerichtet/ hat auch die Traeume/ welche sonst ungewiß/ und wie die Irrwische sind/ in eine Ordnung gebracht/ und jedem seine Stelle gegeben. Deinen mag ich nicht unter die rechnen/ welche verschiedener Eigenschafften halber/ denen der Menschliche Leib unterworffen ist/ ihre Art nehmen/ und entlehnen/ und des Leibes Zustand darstellen; und dadurch zu zeiten denen Aertzten ein Liecht geben/ wann bey einer noch unerforschten Kranckheit/ sie ueber der verordneten Artzney bey sich anstehn/ und dann der Krancke selber erzehlet/ was ihm im Traum vorgekommen […]. Dann also hat uns die Natur gearbeitet/ daß wir aus unsern Traeumen uns selber kennen koennen/ und die oefftere Vorbildungen/ damit wir uns selbst gecken/ stellen uns das andere nicht mit besserer Warheit vor/ als der Mahler der Traum selber ist.219
Der verwirrende Verweis der Träume auf die Selbsterkenntnis resultiere nicht nur aus dem rätselhaften Status der Fiktion in Bezug auf die Realität, sondern auch aus dem problematischen Charakter des Traums selbst: Welche »Wahrheit« böten die »Vorbildungen«, und vor allem: »Aber welches Schlages meinest du/ daß dieser Traum dein Traum sey?« Der rätselhafte Weg von den Sinneswahrnehmungen zur Erkenntnis wurde nicht genauer beschrieben. Stattdessen wurde er zum Gegenstand des »Mahlers«, also der Ästhetik. Eine große Zahl politischer Flugschriften bzw. Romane betonten wiederum, dass die politische Literatur zur Selbsterkenntnis beitrage. Das Titelblatt des Buches von Christian Weise Kurtzer Bericht vom Politischen Naescher (1680) stellte neben einander einen durch das Auge Gottes beleuchteten Engel und einen Teufel, die sich selbst im Spiegel betrachteten. Der Kommentar lautete: WAs ist ein lustig Buch? ein hellpolierter Spiegel: Nachdem der Anblick ist/ nachdem ist auch das Bild: […] Man findet was man sucht: man sieht sich selber an. […] Ein jeder wird sich kennen/ Ob er ein schwartzes Kind/ ob er ein Engel ist: Er schaue sich nur an wenn er im Buche list …220 218 219
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Gratian [Gracián zugeschrieben] (1692), S. 93. Christian Weise: Deß Weisen Mannes Politische Traeume … Franckfurt: Johann Justus Erythropilus. 1683, S. 13–14, 16. Christian Weise: Kurtzer Bericht vom Politischen Naescher … Leipzig/Zittau: Christian Weidmann/Michael Hartmann. 1680, Fol. A 2 r°-v°.
340 Der ›politische Autor‹ strebte nach einer stilistischen Nachahmung der menschlichen reizbaren Gemütsverfassung des Menschen. Ein ›lustiges Buch‹ sei am besten imstande, das Gemüt wie ein süßer Traum zu belustigen und ihn die Freude an wechselnden Gegenständen erfahren zu lassen: Und also spreche ich/ das ist eine rechte Lustigkeit/ dadurch das Gemuethe erfreuet/ das Leben erbauet/ oder zum wenigsten ein zulaeßlicher Zeitvertreib ohn Ergernueß gefunden wird. […] Ich sage das Gemuethe soll erfreuet werden. Das ist/ es soll etwas vorkom[m]en/ welches eine Verwunderung/ und ein annehmliches Nachdencken verursachet. […] Nur mit wenigen etwas zu wiederhohlen/ so bestehet alle Anmuth im Schreiben entweder in einer lustigen Sache/ oder in lustigen Worten/ damit die Sachen vorgebildet wird. […] Dannenhero ist es am besten/ wen man sich entweder auf Historien/ oder auff Historisch-erzehlte Fabeln/ und hiernaechst auf annehmliche Gespraeche gefast machen kan. Die Historien sind uns lieblich/ weil das Menschliche Gemuethe immer etwas neues wissen wil […] Die Gespraeche sind eben deswegen anmuthig/ weil sich das Menschliche Gemuethe gern um fremde Haendel bekuemmert.221
Die »Lust« und die »Belustigung« des Lesers, die zur charakteristischen Tonart dieser Literatur wurde, sah man als das geeignete Mittel an, die Reizung der eigenen Sinne auf andere Personen zu übertragen. Die angemessene Erregung der Affekte bewirke die delectatio, d. h. das Vergnügen des Gemüts, das auf psychischer Ebene den Zweck der Rhetorik verwirkliche, nämlich die persuasio, die Überzeugung. In der politischen Literatur der letzten Jahre des 17. Jahrhunderts wurde der Zweck des Vergnügens und der Unterhaltung durch den ›Geschmack‹ thematisiert, der als Erfahrung des Besonderen konzipiert war und als solches eine sinnliche Auffassung des Selbst ausdrückte. ›Geschmack‹ wurde auch im ästhetischen Sinn als literarischer Kanon verstanden.222 Das Verhältnis zwischen Seele und Körper war nicht mehr nur Gegenstand der Theologie und der Semiotik wie im 16. Jahrhundert, sondern auch der Ästhetik.
5.3
Fazit
Seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts hatten Mediziner die Rolle der Nerven in der Physiologie der Seele betont. Als die Politik als Verhaltenslehre konzipiert und als anthropologische Untersuchungen der Seele zur Grundlage politisch geprägter Ethikbücher avancierte, wurden die von den Nerven bewirkten menschlichen Affekte nicht mehr an sich, sondern in Kommunikationssituationen sichtbar. Die politischen Fragen der Verinnerlichung der Autorität und der Übertragung der Affekte auf andere trugen maßgeblich zum Wandel der Reizbarkeit als Merkmal der menschlichen, individuellen Identität bei. Als die Selbsterkenntnis, aufgrund der affekterregten Tätigkeit 221 222
Ebd., S. 20–22. Vgl. Fr. Schümmer: Die Entwicklung des Geschmacksbegriffs in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Archiv für Begriffsgeschichte 1 (1955), S. 120–141.
341 des Willens und der daraus resultierenden sinnlichen Verwirrung des Gemüts, die Möglichkeit einer durchsichtigen Erkenntnis seiner selbst in Frage stellte, wurde die Selbsterkenntnis vielfach in politisch-moralischen Schriften thematisiert. Dadurch wurde die Wissenschaft der Seele nicht mehr in der spekulativen, sondern der praktischen Philosophie zugeordnet. Bei dieser Neubestimmung der scientia de anima ging es zunächst um die Bewertung der Augen im Erkenntnisakt – ein weit verbreitetes Problem. Der Jesuit und Mathematiker Caspar Schott (1608–1666) zum Beispiel sah, in Anlehnung an das enzyklopädische Werk des Athanasius Kircher, in der Optik die ›natürliche Magie‹ par excellence. Er definierte die Magie zwar ganz traditionell als »Weißheit von geheimen und in der Natur steckenden Sachen« und »verborgensten Dinge[n]«.223 Den zeitgenössischen Ansätzen folgend legte er ihr auch die experientia zugrunde und entfaltete damit eigentlich eine empirische Erforschung des Sehsinns. Die Vernachlässigung der Thematik der ›Augen des Gemüts‹ in der politischen Publizistik könnte als Ausdruck eines Bewusstwerdens der Unabweisbarkeit empirischer Erkenntnis interpretiert werden. Die Wahrnehmung des Menschen als reizbares Wesen war nun nicht mehr abstrakt, sondern konkret, quasi greifbar.224 Der Begriff, unter dem die menschliche existentielle Gemütserregung subsumiert wurde, war der Geschmack, der als sinnliche Befriedigung ebenso wie im ästhetischen Sinn als literarischer Kanon verstanden wurde. Die epistemologische Leidenschaft der curiositas wurde entsprechend neu definiert. Der ›neugierige‹ bzw. ›cu223
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Caspar Schott: Magia optica, Das ist/ Geheime doch Natur-maessige Gesicht- und Augen-Lehr … Franckfurth am Mayn: Johan Martin Schoenwetter. 1677, S. 3–4. Erste Veröffentlichung unter dem Titel: P. Gasparis Schotti Regiscuriani E Societate Jesu […] Magia Universalis Naturae Et Artis, Sive Recondita naturalium & artificialium rerum scientia … Francofurti: Schönwetterus. 1657/58. Caspar Schott bezog sich dabei auf Agrippa von Nettesheim und Johann Baptista della Porta. Die allgemeine Tendenz, die Seele nicht mehr ontologisch in ihren Verhältnissen zum Leib, sondern ihre Tätigkeit, die Erfahrung der Verbindung von Seele und Körper zu behandeln, stützte sich auf eine lange medizinische Tradition. Sie bestimmt beispielsweise die Rezeption Descartes’. Sein unmittelbarer Anhänger, der calvinistische Philosoph und Theologe an der medizinischen Universität Duisburg, Johann Clauberg (1622–1665), beschäftigte sich nicht mit dem Problem der Seele als Substanz oder deren Sitz, sondern mit den einzelnen Handlungen, in denen sich die Verbindungen der Seele mit dem Körper manifestieren. Diese Tendenz zu einer pragmatischen Erforschung der Seele förderte die Untersuchung der unterschiedlichen Modi der Präsenz der Seele im Körper: des Schlafes, der Träume, des Wahns. Die cartesianische Definition der Seele als res cogitans und des Körpers als res extensa wurde verändert: Nun wurde die zwischen dem Gedanken und der Ausdehnung stehende Reizbarkeit betont. Vgl. Francesco Trevisani: Descartes in Germania. La ricezione del cartesianesimo nella Facoltà filosofica e medica di Duisburg (1652–1703). Milano 1992. Ders.: Einflüsse des Cartesianismus an der Universität Duisburg. In: Zur Geschichte der Universität. Das ›gelehrte Duisburg‹ im Rahmen der allgemeinen Universitätsentwicklung. Hg. von Irmgard Hantsche. Bochum 1997 (Duisburger Mercator-Studien 5), S. 85– 105.
342 riöse‹ Leser politischer Nachrichten und fiktiver Träume wurde nicht mehr von der Sünde einer Allwissenschaft versucht, sondern vom nervösen Interesse an neuen Gegenständen erregt. Die Wirtsleute wurden zum Innbegriff der Männer von Welt, des Austausches von Nachrichten, des Genusses von Wein und Tabak, der rauschhaften Träume, des Vergnügens, gar der Narrheit. Der Typus der Narrendarstellung war zwar keineswegs neu. Dennoch suchte der Narr bei Sebastian Brant um 1500 absolute Erkenntnis: Das NarrSehen war geistiger Natur und zielte auf die Erkenntnis Gottes.225 Bei Christian Weise war diese Welt-Figur zu einem »politischen Näscher« geworden: »… es traumte mir von euch/ die ihr da beysammen seyd/ ich fraß und soff mit/ daß mirs noch gut schmeckt.«226 Im Hintergrund dieser Wandlungen stand der Traum als Abbild oder Infragestellung des Lebens, und nicht mehr, wie im 16. Jahrhunderts, des Todes. Als ein Akzent auf die separaten Phasen des Traums gelegt wurde, rückten auch die Diskontinuitäten des Ich in den Mittelpunkt. Die Bestimmung der Realität erschien nicht eindeutig. Wenn der Traum Ab- oder Sinnbild des Lebens wäre, besäße er Realität. Wenn das Wesensmerkmal des Traumes in seinem Täuschungscharakter läge, hätte er keinen direkten Bezug zur Realität: »Nichts spricht dagegen, daß unserem Geist gewisse wohlgeordnete Träume mitgeteilt worden sind, die von uns als wahr beurteilt werden und wegen der Übereinstimmung miteinander hinsichtlich der Praxis [usu] die gleich Geltung wie Wahres haben«.227 Das Zeugnis der äußeren Sinne, die Wahrnehmung einer »Kette von Beobachtungen«, die »Übereinstimmung [bestimmter Erscheinungen] mit dem ganzen Verlauf des Lebens« könnten, so Leibniz, lediglich eine »moralische Gewißheit«, d. h. eine »Wahrscheinlichkeit«, jedoch keine »metaphysische [d. h. unwidersprechliche] Gewißheit« hervorbringen. Der Beweis der Realität unseres Lebens lag nach Leibniz nicht in der Pseudo-Hypothese eines betrügenden Gottes, wie bei Descartes, sondern in der geselligen Natur des Menschen: Was aber, wenn dies ganze kurze Leben nichts als ein langer Traum wäre und wir beim sterben erwachten? […] Die Ursache aber dafür, daß alle Geister [mentes] in Verkehr stehen oder dasselbe ausdrücken, also existieren, ist diejenige, die das Universum vollkommen ausdrückt, nämlich Gott.228
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Vgl. dazu Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant, Murner, Erasmus. Wiesbaden 1966. Weise: Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst, S. 153. Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Unterscheidbarkeit von realen und imaginären Phänomenen [De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis]. In: Ders.: Philosophische Schriften und Briefe, 1683–1687. Hg. von Ursula Goldenbaum. Berlin 1992, S. 48–53, hier 51. Ebd., S. 51–52.
343 Es bestand kein individuelles Ich an sich, sondern Menschen im Austausch, nach dem damaligen Ausdruck: in Verkehr (in commercium) miteinander.229 Diese soziale Natur des Menschen untersuchte Leibniz jedoch unter einem metaphysichen, nicht unter einem psychologischen Gesichtspunkt.
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»… daß alles Existierende miteinander in Verkehr [commercium] steht«, in: Ebd., S. 52. Dazu vgl. Valentin Groebner: Erasmus’ Bote. Wer braucht wieviel Individualität im 16. Jahrhundert? In: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit. Individualisierungsweisen in interdisziplinärer Perspektive. Hg. von Kaspar von Greyerz. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 68), S. 157–171.
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Eine Psychologisierung des Ich? Die Niederschrift des Traums – einige Beispiele
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts reflektieren Kunsthistoriker und Historiker die zunehmende Verwendung und gesteigerte Pflege der Schrift seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts. Seitdem wurden vermehrt Chroniken, Tagebücher bzw. Diarien, Autobiographien, später auch Lebensläufe und persönliche Texte – Ego-Dokumente1 oder Selbstzeugnisse – geführt bzw. verfasst. Wie lässt sich diese Feststellung interpretieren? 1
Der Begriff des Ego-Dokuments wurde von Winfried Schulze vorgeschlagen. Dieser definierte ihn folgendermaßen: »Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als EgoDokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aussagen oder Aussagenpartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeide, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren. Sie sollten individuell-menschliches Verhalten rechtfertigen, Ängste offenbaren, Wissensbestände darlegen, Wertvorstellungen beleuchten, Lebenserfahrungen und -erwartungen widerspiegeln«. Vgl. Winfried Schulze: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung ›Ego-Dokumente‹. In: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Hg. von Winfried Schulze. Berlin 1996 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), S. 11–30, hier 28. Dieser Begriff, der sämtliche ein Ich reflektierende Äußerungen historischer Akteure abdeckt, kann auf Tagebücher und Autobiographien bis hin zu protokollierten Erkärungen vor Gericht angewandt werden. Auf einer ähnlichen Auffassung beruhen folgende empirischen Fallstudien zum Geständnis: Quête de soi, quête de vérité du Moyen Âge à l’époque moderne. Hgg. von Lucien Faggion, Laure Verdon. Aix-en-Provence 2007 (Le temps de l’histoire); Sylvie Mouysset: Papiers de famille. Introduction à l’étude des livres de raison, France (XVe-XIXe siècle). Rennes 2008 (Histoire). Benigna von Krusenstjern kritisierte zunächst dessen »Nichtbegrenzbarkeit«, die »für eine systematische Quellenerfassung ungeeignet« sei und schlug an seiner statt den Begriff der ›Selbstzeugnisse‹ vor für die selbstverfassten Texte, d. h. die Diarien und die Chroniken. Kaspar von Greyerz fand Schulzes »Erweiterung der Quellenbasis« »begrüßenswert«, äußerte sich jedoch skeptisch bezüglich der Einbeziehung »kategorielle[r] Vermischung freiwilliger und unfreiwilliger Aussagen«. Vgl. Benigna von Krusenstjern: Buchhalter ihres Lebens. Über Selbstzeugnisse aus dem 17. Jahrhundert. In: Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hgg. von Klaus Arnold, Sabine Schmolinski, Urs Martin Zahnd. Bochum 1999 (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit 1), S. 139–146, hier 145; Kaspar von Greyerz: Deutschschweizerische Selbstzeugnisse (1500–1800) als Quellen der Mentalitätsgeschichte. Bericht über ein Forschungsprojekt. In: Ebd., S. 147–163, hier 149–150. Vgl. auch Benigna von Krusenstjern: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis. Berlin 1997 (Selbst-
345 In seiner 1860 erschienenen grundlegenden Studie über Die Kultur der Renaissance in Italien schlug der Basler Kunsthistoriker Jacob Burckhardt eine Kunstgeschichte vor, die nicht mehr eine Reihe von Künstlermonographien, sondern eine Charakterisierung von Kunstgattungen entwickelte. Von Schopenhauer beeinflusst, betrachtete er beispielsweise die Architektur als Objektivierung spezifischer künstlerischer Absichten, die er mit der Entwicklung der Völker verband. Im zweiten Kapitel behandelte er die »Entwicklung des Individuums«. Er behauptete, die wichtigste Grundlage der Entwicklung des Staates bestehe in der Verwandlung »des Italieners in einen modernen Menschen«. Nach Burckhardt kannte sich der Mensch im Mittelalter nur als Volk, Partei, Zunft, Familie oder als Teil einer anderen Form des Kollektivs. Erstmalig im Italien des 14. Jahrhunderts, so Burckhardt, entwickelte sich eine objektive Ansicht und Praxis des Staats und der weltlichen Angelegenheiten, die einen entsprechenden Niederschlag in der Zunahme der Porträts und der Autobiographien gefunden habe: Der Mensch erkenne sich als »spirituelles Individuum«. In der Renaissance zeichnete sich nach Burckhardt also die ›Geburt des Individuums‹ ab.2 Diese These erwies sich zunächst als wegweisend. Zahlreiche kunsthistorische, literarische und historische Untersuchungen – bis zu der 1997 erschienenen Synthese Richard van Dülmens über »Die Entdeckung des Individuums 1500–1800« und Peter-André Alt in seinem 2002 veröffentlichten Werk »Der Schlaf der Vernunft« – verwiesen auf Burckhardts Werk.3 In der neueren Literatur veränderte sich die Perspektive jedoch grundlegend. Burckhardts systematische These, die zahlreiche Parallelen zwischen den Entwicklungen des Staates, des Individuums und der Kunst zog, wurde in den neueren Untersuchungen durch einen mikrohistorischen Ansatz ersetzt, der die These der Geburtsstunde des Individuums stark relativierte. Die in den
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zeugnisse der Neuzeit 6), Einleitung. Eine Chronik sei knapper und zeitlich weiter vom Ereignis entfernt, als ein Tagebuch bzw. ein Diarium geschrieben. Eine Autobiographie zeichne sich durch ihren retrospektiven Charakter und die Konzentration auf die Entwicklung der Persönlichkeit und Ideen des Autors aus. Ein ›Lebenslauf‹ solle den Weg bis zu der spirituellen Bekehrung des Autors schildern. Im Folgenden werde ich mich auf freiwillig erstellte Ego-Dokumente oder Selbstzeugnisse beziehen. Jacob Burckhardt: Entwicklung des Individuums. In: Ders., Die Kultur der Renaissance in Italien [1860]. Hg. von Horst Günther. Frankfurt am Main 1989 (Bibliothek Deutscher Klassiker 38), S. 137–174. Zur Ironie dieses Verweises vgl. James S. Amelang: Saving the Self from Autobiography. In: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit, S. 129–140. Richard van Dülmen: Die Entdeckung des Individuums 1500–1800. Frankfurt am Main 1997 (Europäische Geschichte). Vgl. auch dazu Biographie und Autobiographie in der Renaissance. Hg. von August Buck. Wiesbaden 1983 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 4); Peter Burke: Individuality and Biography in the Renaissance. In: Die Renaissance und die Entdeckung des Individuums in der Kunst. Die Renaissance als erste Aufklärung II. Hg. von Rudolph Enno. Tübingen 1998 (Religion und Aufklärung 2), S. 65–78; Peter-André Alt: Die Erfindung des träumenden Individuums. In: Ders. (2002), S. 142–159.
346 1960er Jahren beliebte interaktionistische Soziologie, die die Undurchsichtigkeit des Individuums und dessen sozialer Inszenierung betonte, erwies sich als inspirierend. Bahnbrechend waren die Studien von Natalie Zemon Davis über die Volkskulturen in Lyon im 16. Jahrhundert. Davis zeigte auf, dass in Lyon das Individuum ständig als Mitglied einer Gruppe zur Sprache kam und sich äußerte.4 Diese Behauptung wurde beispielsweise von Thomas Robisheaux in seinem letzten Buch über die unterschiedlichen Auffassungen von der Identität, die von den unterschiedlichen Protagonisten eines Hexenprozesses in der Grafschaft Hohenlohe ausgetauscht wurden, weiter geführt.5 Dieser Ansatz scheint heutzutage jedoch nicht mehr ganz hinreichend, da die interaktionistische Soziologie die gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse auf ein face to face, einen direkten Austausch zwischen physisch anwesenden Protagonisten reduzierte. Seit den 1980er Jahren bevorzugen die meisten Historiker die historische Anthropologie, die die Komplexität kultureller Praktiken erhellt. Infolge der Neuentdeckung der Tagebücher und jener als Ego-Dokumente oder Selbstzeugnisse charakterisierten Schriften richteten die Historiker ihr Augenmerk auf die in der Niederschrift privater Diarien oder Autobiographien zur Sprache kommenden Auffassungen von Identität. Sie betonten erneut die rhetorischen Muster und die Rolle der Familie: viele Tagebücher wurden von mehreren Mitgliedern einer Familie, sogar von unterschiedlichen Generationen verfasst. In der frühen Neuzeit ging die Identität nicht von einem isolierten, sich selbst reflektierenden Individuum aus, sondern zeichnete sich durch die ›Heterologie‹6 aus: Das Individuum definierte sich durch seine Verhältnisse zu anderen Menschen und zu Gott. Obgleich sehr inspirierend, bietet die historische Anthropologie jedoch nur die halbe Antwort. Denn diese Studien definieren oft die frühneuzeitliche Auffassung von Identität mittels unserer heutigen Begriffe.7 Deswegen charakterisierten sie die frühneuzeitlichen Vorstellungen von Identität nur ex negativo: Im Gegensatz zur modernen, anomistischen Gesellschaft, war die Person in der frühen Neuzeit kein isoliertes Individuum. Um die frühneuzeitlichen Auffassungen des Ich bzw. der Person näher zu historisieren und 4
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»Virtually all the occasions for talking or writing about the self involved a relationship«. Davis: Boundaries and the Sense of Self in Sixteenth-Century France. In: Reconstructing Individualism: Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought. Hgg. von Thomas C. Heller, Morton Sosna, David E. Wellbery. Stanford 1986, S. 53–63, hier 53. Thomas Willard Robisheaux: The Last Witch of Langenbuch. Murder in a German Village. New York 2009. Mit diesem Terminus bezeichnet Eva Kormann die Gottesbezogenheit des Menschen in der Frühen Neuzeit. Vgl. Kormann. Zu der sozialen Dimension der Tagebücher, vgl. auch Gabriele Jancke: Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum. Köln/Weimar u.a. 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 10). Vgl. dazu Groebner (2007).
Abb. 13: Albrecht Dürer: Traumgesicht, 1525. Wasserfarben und Handschrift auf Papier, 30,5 mal 42,5 cm, Kunsthistorisches Museum Wien.
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348 analysieren, muss man die zeitgenössischen, wenngleich zumeist gelehrten Debatten über die persönliche Identität berücksichtigen. Demnach können die Ansätze der historischen Anthropologie durch eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive ergänzt werden. Dieses Kapitel wird also keine Geschichte der Subjektivität entwickeln, sondern die bei der Niederschrift des Traumes benutzten rhetorischen Techniken und Wissenschaften erforschen. Im Mittelpunkt der folgenden Analyse steht also nicht die Frage der ›Echtheit‹ oder ›Unwahrheit‹ von Traumberichten, sondern die Frage der Wissensvermittlung:8 Wie wurde das Wissen über den Traum in Texten autobiographischer Prägung benutzt und auf welchem (medizinischen, rhetorischen, theologischen) Wissen beruhten Traumberichte? Als Beispiel einer allzu modernisierten Interpretation frühneuzeitlicher Quellen soll an dieser Stelle ausnahmeweise der Umgang mit einem Bild dienen: das im Juni 1525 entstandene Aquarell von Dürer, das in der Literatur unter dem Titel Traumgesicht kursiert [Abb. 13]. Im Gegensatz zum damals üblichen Kanon deutet das Blatt eine in blassem Ocker und Graublau gehaltene, weiträumige Landschaft nur an, in der lediglich einige, sich verlierende Bäume und Buschgruppen (links und rechts) sowie die lilafarbene Silhouette einer Stadt im Mittelpunkt identifizierbar sind. Am Merkwürdigsten ist der graublaue Himmel mit seinen dreizehn Wasserstürzen und einer riesigen Wassersäule in der Mitte. Das Zerstörungswerk einer Flut scheint im Gange zu sein. Wie auch gelegentlich Leonardo versah Dürer nicht selten seine Gemälde mit erklärenden Beitexten. Die von Dürer selbst stammende Beschriftung dieses Traumgesichts lautet: Im 1525 Jor nach dem pfinxtag zwischn dem Mitwoch und pfintzdag in der nacht im schlaff hab ich dis gesicht gesehen wy fill großer wassern vom himell fillen Und das erst traff das erthrich ungefer 4 meill fan mir mit einer solchen grausamkeitt mit einem uber großem raüschn und zersprützn und ertrenckett das gantz lant In solchem erschrack ich so gar schwerlich das ich doran erwachett e dan dy andern wasser filn. Und dy wasser dy do filn dy warn fast gros [= sehr groß] und der fill ettliche weit etliche neher und sy kamen so hoch herab das sy im gedancken gleich langsam filn [= scheinbar gleichmäßig langsam fielen]. aber do das erst wasser das ertrich traff schie herbey kam do fill es mit einer solchen geschwindigkeit wy[n]t [= mit Wind] und braüsen das ich also erschrack do ich erwacht das mir all mein leichnam [= Körper] zittrett und lang nit recht zu mir selbs kam. Aber do ich am morgen auff stund molet ich hy oben wy Ich gesehen het. Got wende alle ding zu[m] besten. Albrecht dürer9 8
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Diese Fragestellung wurde bisher kaum verfolgt, trotz der aufschlussreichen Untersuchung von Kaspar von Greyerz über die kosmologischen Vorstellungen in englischen Selbstzeugnissen der Frühen Neuzeit: Kaspar von Greyerz: Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts. Göttingen/ Zürich 1990 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 25). Vgl. [Albrecht] Dürer: Schriftlicher Nachlaß. Autobiographische Schriften. Briefwechsel. Dichtungen. Beischriften, Notizen und Gutachten. Zeugnisse zum persönlichen Leben. Hg. von Hans Rupprich. Berlin 1956, Bd. 1, S. 214–215.
349 Diese Landschaft bebilderte einen Traum, den Dürer in der Nacht vom 7. zum 8. Juni 1525 hatte. Im Schlaf sah er gewaltige Wassermassen vom Himmel herabstürzen, manche weit entfernt, manche nah (4 Meilen, d. h. ca. 6,5 km). Diese hätten sich mit einer derart vernichtenden Gewalt über die Erde ergossen, dass Dürer zweimal »erschrack« und zitternd aufgewacht sei. Dieses Aquarell, das ein eigenes Traumerlebnis in einen Bildgegenstand verwandelte, ist und bleibt einmalig. »Es ist der Punkt, wo ein Traumbild erstmals zu einer eigenen und authentischen Darstellungsform in der bildenden Kunst gelangt, so daß sich Dürers kleines Aquarell auch in dieser Hinsicht als ein wichtiges künstlerisches Dokument des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit erweist«.10 Bisher nämlich hatten sämtliche Traumbilder den Träumenden und seine Vision auf derselben Ebene, ohne Trennung zwischen der imaginären Vision und dem schlafenden Menschen dargestellt.11 Im Laufe der Frühen Neuzeit konzentrierten sich die Malereien zunehmend auf die Vision zuungunsten des Schlafenden.12 Mit Dürer wurde zum ersten Mal die Traumvision an sich, mit Freuds Begrifflichkeit: der »Traumtext« – allerdings ohne die expliziten Assoziationen des Träumers – dargestellt.13 Dürer zeichnete oft in die dunklen Pupillen seiner Porträtierten ein helles Fenster, um die seelischen Qualitäten, die sonst nicht ins Bild gerückt werden konnten, anzudeuten.14 Im Traumgesicht fehlt das Seelenfenster: Wir blicken in das Innere des Malers. Ist jedoch das Traumgesicht als ein Zeugnis des Aufkommens der Modernität (»ein wichtiges künstlerisches Dokument des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit«), genauer: der Geburt des modernen Individuums zu interpretieren?15 Zu der Zeit, als Dürer sein Blatt malte, befand sich gerade das Schwärmertum in Nürnberg auf seinem Höhepunkt; seine Niederschlagung wurde eifrig betrieben. Karlstadt, der von Wittenberg aus seine Schrift über den
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Joachim Poeschke: Dürers »Traumgesicht«. In: Traum und Träumen. Inhalt. Darstellung. Funktionen einer Lebenserfahrung in Mittelalter und Renaissance. Hg. von Rudolf Hiestand. Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 24), S. 187–206, hier 205. In diesem Sinne vgl. auch Horst Bredekamp: Traumbilder von Marcantonio Raimondi bis Giorgio Ghisi. In: Zauber der Medusa. Europäische Manierismen. Hg. von Werner Hofmann. Wien 1987, S. 62–71, hier 62. Bis auf die allegorischen Träume wie der Traum Melanchthons (Vgl. oben S. 68, Anm. 38 und unten S. 476–478). Vgl. dazu Träume im Mittelalter. Vgl. dazu Zehnpfennig, S. 15–16. Wiesen die Wassersäulen auf die flüssige Natur der Körpersäften hin? Diese Frage bleibt offen. Vgl. dazu Peter-Klaus Schuster: Individuelle Ewigkeit: Hoffnungen und Ansprüche im Bildnis der Lutherzeit. In: Biographie und Autobiographie in der Renaissance, S. 121–173, insbesondere 129–131. Folgende Überlegungen basieren auf dem anregenden Aufsatz von Harmut Böhme: Albrecht Dürers Traumgesicht von 1525. In: Grenzüberschreitungen. Friedenspädagogik, Geschlechter-Diskurs, Literatur-Sprache-Didaktik. Festschrift für Wolfgang Popp zum 60. Geburtstag. Hg. von Gerhard Härle. Essen 1995, S. 17–33.
350 rechten Gebrauch des Abendmahls Dürer gewidmet hatte, musste fliehen. Hans Denck, den Dürers Freund Willibald Pirckheimer (1470–1530) nach Nürnberg geholt hatte, wurde der Stadt verwiesen. Die drei Maler der Stadt, die Brüder Barthel, Sebald Beham und Georg Pencz wurden öffentlich verbannt.16 Als Karlstadt die Maler und Bildhauer kritisiert hatte, nahm Dürer Abstand von ihm: Die Herstellung von schönen Bildern ähnele der Schöpfung; deshalb sei sie eine gottgefällige Kunst. Dürer malte nun Werke, die einerseits seine künstlerische Virtuosität und andererseits den ›rechten Glauben‹ beweisen sollten. So entstand die heute in der Alten Pinakothek München befindliche Darstellung der vier Apostel, die eigentlich Johannes, Paulus, Markus und Petrus als Verkörperungen der vier Temperamente und mithin der Einheit von Mikro- und Makrokosmos zeigt. In eine am unteren Rand des Bildes beigefügte Schrifttafel plazierte Dürer eine Mahnung aus dem 2. Buch Petri (nach der Übersetzung von Luthers Septembertestament)17 an die »weltlichen Regenten« und wandte sich damit an den Rat der Stadt Nürnberg, sich vor den Irrlehren der »falschen Propheten« in Acht zu nehmen.18 Dürer, der dieses Gemälde ohne konkreten Auftrag malte, übergab es dem Nürnberger Rat als Geschenk und bat im Begleitschreiben zu seiner Schenkung, der Rat möge diese Tafeln als Denkmal für ihn (den Künstler Dürer) annehmen und im Rathaus aufhängen lassen. Der herangezogene biblische Text aus dem Buch Petri warnte weiter vor einer »Sintflut über die welt der gottlosen«. Der dem Traumgesicht beigefügte Text kann ebenfalls als eine Paraphrase biblischer Stellen gelesen werden – oder umgekehrt: Dürer konnte seinen Traum als der Bibel gemäß interpretieren.19 Die politisch16 17
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Vgl. oben S. 218. So lautet 2 Petr. 2:1–3: »Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die neben einführen werden verderbliche Sekten, und verleuken den herren, der sie erkauft hat. Und werden über sich führen ein schnell Verdamnüs, – und viele werden nachfolgen ihrem Verderben. Durch welche wird der Weg der Wahrheit verlästert werden, – und durch Geiz mit erdichten Worten, werden sie an euch hantieren, über welche das Urteil von lange her nit säumig ist, und ihr verdamnüs schläft nicht«. Zitiert nach: Böhme (1995), S. 23–24. Man hat darin eine entschiedene Stellungnahme Dürers für Luther gesehen. Erwin Panofsky glaubte dies von der Temperamententonart her stützen zu können. So habe Dürer den cholerischen Markus auf der rechten Seite und den phlegmatischen Petrus auf der linken in den Hintergrund treten lassen, während er den melancholischen Paulus rechts und den sanguinen Johannes links, die beiden Lieblingsapostel Luthers und zugleich die Vertreter der ausgezeichnetsten Temperamente, groß in den Vordergrund gestellt habe. Freilich sind auf anderen Bildern Dürers, so auf dem Weltkreis der Celtisphilosophie, alle Temperamente gleichwertig und harmonisch veranschaulicht. Dürers Komposition zielt offenbar eher auf Harmonie und Versöhnung in der Nachfolge Christi ab. Vgl. dazu Erwin Panofsky: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers. Frankfurt am Main 1995; Carl C. Christensen: Art and the Reformation in Germany. Athens (Ohio)/Detroit 1979 (Studies in the Reformation 2), S. 181–200; Schuster (1983), S. 144–147. So beispielsweise aus Hiob 4:13–14, wo es die Rede von den Gedanken ist, die »in der nacht/ wenn der schlaf auff die leute fället« kommen und Gott begegnet wird: »da kam mich furcht und zittren an/ und all mein Gebein erschraken«. Und weiter: »Wer hat das
351 kulturelle Aktualität war tatsächlich mit Sintflutprognosen und -ängsten geradezu übersättigt. Mehrere Flugblätter erschienen in Nürnberg, die vor einer Planeten-Konjunktion im Zeichen Saturns warnten, da diese Sintflut und Bauernaufruhr ankündigen sollte.20 Ebenso kursierten in der mittelfränkischen Stadt viele Flugschriften wider den Bauernkrieg, jedoch auch einige zugunsten der Bauern und der Lehre des Thomas Müntzer.21 Dieser verweilte im Oktober 1524 in Nürnberg und pries den Traum als Offenbarungsquelle.22 Im Januar 1525 erfolgte die Verhaftung des Rektors an der Sebaldus-Schule, Hans Denck, und der drei Maler aus Dürers Werkstatt. Öffentlich ergriff der patrizische Künstler Dürer für keine Seite Partei. Er entwarf jedoch eine Gedächtnissäule für den Bauernkrieg, die von einem im Rücken erstochenen Bauern gekrönt wurde23 – von hinten erstochen, d. h. durch Verrat. Die Säule war also derart gestaltet, als ob Dürer zu den ›bäurischen Nikodemiten‹24 zählte. Zeugnis der ›Geburt des Individuums‹ also oder Angst und Strafe für seine Heimlichkeit? Im Folgenden wird keine ontologische Vorstellung des modernen Ich und keine Archäologie von dessen Entstehung entfaltet, sondern es sollen die Schreibweisen des Traums und die entsprechenden Vorstellungen der leibseelischen Verfassung des Menschen untersucht werden. Dabei werden gut dokumentierte Traumberichte exemplarisch analysiert. Es sei darauf hingewiesen, dass Träume nicht unbedingt in Tagebüchern aufgezeichnet wurden, sondern in einer Vielfalt von Quellen, die von den
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meer mit seinen thüren verschlossen/ da es erausbrach wie aus mutter leibe/ da Ich mit wolcken kleidet und im tunckel einwickelt wie jnn windeln/ da ich jm den lauff brach mit meinem tham/ und setzet jm riegel und thür/ und sprach/ Bis hieher soltu komen und nicht weiter« (Hi 38:8–11). Vgl. Johannes Carion: Prognosticatio vnd Erklerung der grossen Wesserung … so sich begeben … 1522. Leypßigk 1524. Für die Nürnberger Produktion, Vgl. Leonhard Rynmann: Practika vber die großen und manigfeltigen Conjunktion der Planeten, die imm jar 1524 erschienen. Nürnberg 1523. Vgl. dazu Heike Talkenberger: Prophetie und Zeitgeschehen. Texte und Holzschnitte astrologischer Flugschriften zur ›Sintflutdebatte‹ 1520–1524. In: Reformation und Revolution: Beiträge zum politischen Wandel und den sozialen Kräften am Beginn der Neuzeit. Festschrift für Rainer Wohlfeil zum 60. Geburtstag. Hgg. von Rainer Postel, Franklin Kopitzsch. Stuttgart 1989, S. 195–223. Flüchtlinge oder Hans Hut selbst brachten dem Nürnberger Drucker Hans Hergot die müntzerische Schrift »Ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens« zum Drucken. Einer der Überlebenden aus Frankenhausen, Simon Hofmann, sollte sich in Nürnberg verstecken. Dort erschien ein Flugblatt von ihm: Der Fürstenüberfall zu Frankenhausen. Thomas Müntzer starb am 15. Mai 1525 in Mühlhausen, drei Wochen vor Dürers Traum. Vgl. oben S. 61–64. Albrecht Dürer: Entwurf einer Gedächtnissäule für den Bauernkrieg. Montage der Abbildungen von Sockel und Säule. In: Ders.: Underweysung der Messung mit dem Zirckel un[d] Richtscheyt in Linien, Ebnen unnd gantzen Corporen. Nördlingen 21983 (Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1525). Zu den Nikomediten, d. h. die heimlichen Anhänger der ›neuen Lehre‹, vgl. Carlo Ginzburg: Il nicodemismo. Simulazione religiosa nell’ Europa del’ 500. Torino 1970 (Biblioteca di cultura storia 107).
352 Traktaten und den offiziellen Chroniken bis hin zu den Tagebüchern reichten und somit auch bezeugen, wie spät und indirekt Träume zum Merkmal des Ich wurden.25 Der Gegenstand des Traums scheint übrigens jedweden ontologischen Gesichtspunkt irrelevant zu machen. Denn in einem Traumbericht erscheinen mindestens drei Figuren des Ich: diejenige des Autors bzw. der Autorin der Schrift, des Erzählers bzw. der Erzählerin im Traumbericht, und des Ich im Traum. Deshalb wird auch auf eine strenge Unterscheidung der fiktiven – oder genauer der fingierten – von den echten Elementen eines Traumberichts verzichtet. Zwischen der Wahrnehmung, der Autosuggestion, der unmittelbaren Interpretation eines vergangenen Traums und der Erinnerung daran durch ein historisches Subjekt kann der Historiker nur schwerlich differenzieren, da ihm lediglich mittelbare Quellen, nämlich Traumberichte zur Verfügung stehen. Oft fehlen Angaben zu Zeitpunkt und Autorschaft, dessen Niederschrift oder die vorhandenen Angaben erweisen sich als problematisch, insbesondere wenn die Traumberichte veröffentlicht wurden. Die Träume und Visionen der Christina Poniatowski wurden zum Beispiel erst im Jahre 1657, d. h. dreißig Jahre später, von Comenius und in lateinischer Sprache verlegt.26 Die verspätete Niederschrift war sogar konstitutiv für sämtliche sogenannten göttlichen Träume, da ein Beweis für ihren göttlichen Charakter in ihrer Erfüllung a posteriori lag. So wie der Historiker – Rankes Vorstellungen entgegen –, das vergangene Erlebte, »wie es eigentlich gewesen ist«, nicht nachweisen kann, kann der Historiker das Ich, »wie es eigentlich gewesen ist«, nicht rekonstruieren. Übrigens galt das allgemeine Raster zur Unterscheidung der göttlichen von den natürlichen und den teuflischen Träumen ebenso für die ›echten‹ wie für die ›fingierten‹ Träume. Schließlich, als Träume zunehmend anhand eines ästhetischen Interpretationsmodells hinterfragt wurden, tauchte die Frage der fiktiven Natur von Traumberichten auf. Dem Spruch Quintus’ in Ciceros De divinatione (I, 42) folgend könne die Poesie Träume derart erfinden, dass sie ›echt‹ wirkten und ›authentisch‹ erschienen. Im 18. Jahrhundert erkannten Gelehrte die doppelte Natur eines Traumberichtes: Imaginär sei der Traum, insofern er keine direkte Spiegelung der Wirklichkeit, sondern das »Gesetz der Einbildung« darstelle; fiktiv sei er als Bericht bzw. literarischer Text, insofern er auf eine ästhetische Illusionsbildung abziele, deshalb auf bestimmten
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26
Allgemein zur Autobiographie im 16. Jahrhundert, vgl. Anette Völker-Rasor: »Wenn unter ›Individualität‹ allgemein ›die eigenart des einzelnen Wesens, die Gesamtausprägung seiner eigentümlichen Eigenschaften‹ verstanden werden kann, dann handelt es sich bei den Autoren selbstverständlich um individuelle Personen. Doch die Individualität ist nicht ihr Thema, anders als es für ihre ›klassischen‹ Nachfolger des 18. und 19. Jahrhunderts der Fall ist.« Anette Völker-Rasor: Arbeitsam, obgleich etwas verschlafen … Die Autobiographie des 16. Jahrhunderts als Ego-Dokument. In: Ego-Dokumente, S. 107–120, hier 111. Vgl oben S. 256–257.
353 Gattungsgesetzen und und Gestaltungsmustern beruhe.27 Den Paradoxien des Traumberichts und sogar der Traumerfahrung folgend werden in dieser Arbeit demnach nicht nur freiwillige Ego-Dokumente bzw. Selbstzeugnisse und andere Quellen selbiger Autorschaft, sondern auch Texte fiktiver Natur herangezogen. Anstelle des Topos der ›Erfindung des (träumenden) Individuums‹ wird hier das Problem der Psychologisierung der Auffassungen vom Traum aufgeworfen. Dieser Ansatz wurde bisher nur in einem Aufsatz von Sebastian Leutert verfolgt, worin er unter Zuhilfenahme frühneuzeitlicher Tagebücher, Autobiographien und Lebensläufe die anregende These einer Psychologisierung des Ich vertritt. Darunter verstand Leutert jedoch nicht die zunehmend psychische Interpretation der Seele und deren Verhältnisse zum eigenen Körper, sondern die »Säkularisierung der Introspektion«, die er auf eine Säkularisierung der Vorsehung beschränkte.28 Durch sukzessive Bedeutungsverschiebungen von Psychologisierung zu Säkularisierung und Vorsehungsglaube skizzierte er eine Geschichte der Psychologisierung, die nicht nur die damaligen psychologischen Begriffe, sondern auch die Auffassungen von Seele und Körper außer Betracht ließ. Im Folgenden werden dagegen gerade diese Aspekte und deren Dynamisierung in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückt.
6.1
Präliminarien
6.1.1
Der Umgang mit wahrsagenden Träumen
In der Sekundärliteratur wird häufig angenommen, dass der Hauptunterschied zwischen der frühneuzeitlichen Traumdeutung und jener Freuds in der Zeitrichtung liege: während Erstere sich auf die Zukunft und deren Vorhersage richtete, beschäftigten sich Freuds Analysen mit der Vergangenheit des Patienten. Ein derart starker Kontrast besteht allerdings nicht. Wenngleich sich die Zeitvorstellungen in der Frühen Neuzeit grundlegend veränderten, behielten prophetische Träume ihren Reiz – sowohl bei den Katholiken als auch bei Calvinisten und Lutheranern. Im Eichsfeld, einer katholischen Exklave des Kurfürstentums Mainz, wurden die katholischen Vorbereitungen auf den Tod oft zum Gegenstand voraussagender Träume, die jeglicher mystischer Prägung beraubt waren. Diese Träume wurden dann in der offiziellen Jesuitenchronik aufgezeichnet. So verstarb beispielsweise im Jahre 1605 die achtzehnjährige Barbara Faupels an Nierensteinen, nach wöchentlichen Beichten und einem auf ihren Tod hinweisenden 27
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Vgl. Albrecht Koschorke: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 22003 (11999), S. 276–277. Vgl. Leutert.
354 tröstlichen Traum – der Schluss der Erzählung lautete: »Der Traum täuschte sie nicht«.29 Im Jahre 1630 starb ein Jesuit aus den calvinistisch geprägten Vereinigten Provinzen, der eine »außerordenttilche(n) Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter« an den Tag gelegt hatte, nach zwei »Traumgesichte[n]«, die er selbst als eine Ankündigung seines nahen Todes ausdeutete.30 Übertritte zum Katholizismus bildeten den zweiten Anlass bzw. Auslöser für göttliche Träume. Dabei zeigten sich die üblichen Übergänge zwischen Traum, Gespenstererscheinung, Verzückung und Wunder. Dem landläufigen Aufgabenbereich des Klerus entsprechend handelten entweder Priester oder Beichtväter als Traumdeuter. So hatte im Jahre 1605 ein Mädchen folgende, zum Teil erotisch geprägte Versuchungsträume: Bei einem katholischen Bürger diente ein Mädchen, das von frühester Jugend an nur Luther und das lutherische Abendmahl kannte, aber durch den Umgang mit Altersgenossinnen wandte sie sich vom Unglauben dem Glauben zu und erregte mit ihrer ersten Beichte den Haß des Teufels. In schweigender Nacht machte sich dieser Nachtgeist an sie heran, während sie mitten zwischen 2 [sic] Mädchen schlief. Er riet ihr immer wieder von diesem Religionswechsel ab und zum Festhalten an der alten Religion. Obendrein schüchterte er sie noch ein und drohte ihr mit allen möglichen Dingen, wenn sie sich nicht gefügig zeige. Aber danach sah sie das Nachtgespenst nicht mehr und hörte nur seine Stimme, sodaß sie glaubte, es spreche ein Mensch. Voll Angst verbarg sie ihr Gesicht unter der Bettdecke und sprach nichts. Sie betete unterdessen zu Gott und der hl. Jungfrau und verhielt sich ruhig. Die andere Nacht zeigte einen schönen Mann, strahlend in purpurnen Licht, der sie immer wieder ermahnte, doch zu gehorchen, hielt ihr kleine Geschenke hin und versprach sie ihr, wenn sie zu ihrer gewohnten Religion zurückkehre. Doch sie haßte das Gespenst, verbarg sich von neuem und verjagte den Spuk durch Gebet. Am nächsten Tage berichtete sie den Vorfall durch einen Vermittler dem Priester.31
Im selben Jahr erklärte ein »Landmann bei reichlichem Alkoholgenuß«, dass er ein Heiratsversprechen nicht halten würde. Dann erschien ihm im Traum ein schreckliches Gespenst, das ihn trotz des Kreuzzeichens »des Gebrauchs der Zunge beraubt(e)«. Nachts in der Kirche träumte er von einem Engel und erlangte seine Stimme wieder. Daraufhin nahm er sich fest vor, fortan »seine Zunge nur zu guten Werken zu gebrauchen«.32 Noch im Jahre 1706 träumte ein lutherischer Offizier, der zum Katholizismus übergetreten 29
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Bernhard Opfermann: Die Geschichte des Heiligenstädter Jesuitenkollegs. Bd. 1. Duderstadt 1989. Bd. 1, S. 74–75, Zitat S. 75. Ich danke Christophe Duhamelle für den Hinweis auf diese Chronik. Zum Eichsfeld in der frühen Neuzeit, vgl. Christophe Duhamelle: La frontière au village. Une identité catholique allemande au temps des Lumières. Paris 2010 [im Druck]. Opfermann. Bd. 1, S. 150–151: »Das 2. Gesicht legte er so aus, daß er aus dem Merkmal der Albe schloß, er werde nur als Priester sterben, und weil dieses das letzte Traumgesicht gewesen war, vermutete er, er werde auch nach dem Eintritt in den Priesterstand nicht mehr lange leben. Diese Vermutung traf das Richtige, da er diese Würde nur 7 Monate bekleidete und dann starb. Übrigens war er von Natur und durch die Gnade überaus begabt …« Ebd. Bd. 1, S. 73–74. Ebd. Bd. 1, S. 75–76, Zitate S. 76.
355 war, bevor er zum Luthertum zurückkehren (weil er sich davon eine Beförderung erhoffte) von dem Priester, der ihn in den katholischen Prinzipien unterrichtet hatte – worüber er erschrak. Da er diesen Traum nicht als Hirngespinst ansah, sondern ihn für eine Schickung des Himmels hielt, eilte er bei der ersten besten Gelegenheit nach Heiligenstadt und entsühnte die beabsichtigte Sünde in den Sakramenten der Buße und Eucharistie. Er war zwar entschlossen zu den Häretikern zurückzukehren, aber in der bestimmten Absicht immer standhaft zu bleiben und lieber jede Widerwärtigkeit zu ertragen, als fürderhin die Treue gegen die wahre Kirche auch nur im geringsten zu verletzen.33
Zwischen dem, was die Kleriker als ›Aberglauben‹ verwarfen, und der von ihnen geforderten ›wahren‹, ›reinen‹ Religion, bestanden jedoch eher Übergänge als Gegensätze, und dies nicht nur bei den Bauern, sondern auch unter den Priesten. Offensichtlich konnten aus diesem Grund daher Wahrsagerinnen ihren Beruf ohne Einschränkung ausüben.34 Im Jahre 1682, als St. Franciscus Xaverius als Wundertäter galt, schrieben die Bewohner eines von Gespenstern heimgesuchten Hauses auf kleine Zettel »abergläubische Namen« und hefteten sie an die Zimmertüren. Als ein Priester diese Zettel entdeckte, nahm er sie mit und brachte sie ins Jesuitenkolleg, in sein Schlafzimmer. In der folgenden Nacht wurde er durch schreckliche Träume, plötzlich anstürmende Gedanken und ein Geräusch um sich herum so beunruhigt, daß er kein Auge schließen konnte. Da fielen ihm mitten in der Nacht die abergläubischen Zettel ein, er stand auf, zerriß sie und warf sie zum Fenster heraus. Darauf hatte er einen ganz ruhigen Schlaf. Er ließ nun ein Bild des hl. Franciscus gegen den nächtlichen Spuk in das Haus bringen. Es wurde an die Tür geheftet und der Spuk hatte ein Ende.35
Was als »abergläubisch« bezeichnet wurde, war also nicht eine abweichende Glaubensüberzeugung, sondern die Zettel mit magischen Formeln. Diesen wurde solch eine Macht zugeschrieben, dass sie dem Priester schreckliche Träume bereiten konnten und dass ein Bild des hl. Franciscus als Gegenmittel gegen diese verwendet werden musste. Religiöse und lebensentscheidende Träume lassen sich jedoch auch in protestantischen Tagebüchern finden. Der Elsässer Zinngiesser Augustin Güntzer aus Colmar, ein überzeugter Calvinist, schrieb im Jahre 1650, einige Jahre vor seinem Tod, eine Autobiographie. Er entnahm zwei Träumen von Kämpfen gegen den Teufel und der Rettung durch Engel aus dem Jahre 1606 gar den Sinn seines Lebens.36 33 34 35 36
Ebd. Bd. 2, S. 1706. Ebd. Bd. 1, S. 74 (Jahr 1605). Ebd. Bd. 1, S. 309–310. »Ich dachte aber offt daran, ob Job sein Kampff oder mein Kampff der groeßiste seye, so mihr mit dißem hoeliscen Hunde außstehen mießen. Es woehret mit mihr von Jugent auff, meine Kiindtheidt an, daß ich mit ihme streitten undt koempffen muß mit meinem inerlichen Kampff der Gedancken, welches mihr in meiner Jugent in einem Traum fihrkam. Ich muß mit ihme einen Kampff undt Streitt außstehen, zu finden in dißem Bichlin in 13 Platt.« Augustin Güntzer: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die
356 In anderen Diarien, etwa denjenigen des Basler Arztes Felix Platter (1536–1614) oder des Goldschmieds Wolfgang Vincentz, wurden Träume zwar als Vorhersagen der Zukunft, jedoch im profanen Sinne des persönlichen Glücks, interpretiert. Im Jahre 1554 habe Felix Platter geträumt, dass er aufgrund von Beschwerden mit der Hand in das Basler Scherhaus ginge; dort habe ihm die Tochter des Scherers, Platters künftige Frau, etwas auf die Hand gelegt, worauf die Schmerzen verschwunden seien. Platter habe diesen Traum sofort als Anzeichen für eine künftige Ehe interpretiert.37 Im selben Jahr hatte der aus Breslau stammende Goldschmied Wolfgang Vincentz »einen seltsamen Traum«, als er anzweifelte, dass er zum Meisterrecht gelangen werde. Dreimal griffen anonyme Feinde sein Haus an. Er rettete sich nur mittels seiner Laute, die plötzlich Töne in Form von bunten »Feuerküglein« erklingen ließ. Aufgrund dieses Hör- und Seherlebnisses sei der Hauptfeind verschwunden. Ein Traumdeuter, »der alte Doktor Hanisch«, von dem Vincentz leider nichts Genaueres berichtete, interpretiere diesen Traum als eine wahrhaftige Anzeigung meines künftigen Wandels. Also, daß wer im Traume durch seine Beständigkeit eine Gefahr überwindet, solches tut er auch künftig im Wachen, und ist seines Glückes eigener Schmied. Also wurde ich ganz ruhig und getröstete mich eines guten Anfangs.38
37
38
Autobiographie eines Elsässer Kannenngießers aus dem 17. Jahrhundert. Hgg. und kommentiert von Fabian Brändle und Dominik Sieber. Köln/Weimar u.a. 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 8), S. 280 [Fol. 218 r°, 1650]. Die beiden Träume aus dem Jahre 1606 sind S. 94–95 [Fol. 13 r° – 15 v°] berichtet. Zu Güntzer, vgl. Dominik Sieber: Calvinistische Passionen, konfessionalisierte Körper. Zur Autobiographie des Zinngiessers Augustin Güntzer (1576–1657?). In: Sozialwissenschaftliche Informationen 24 (1995), S. 5–11; Leutert, S. 255; Kaspar von Greyerz: Religion in the Life of German and Swiss Autobiographers (Sixteenth and Early Seventeenth Centuries). In: Religion and Society in Early modern Europe 1500–1800. Hg. von Kaspar von Greyerz. Boston 1984, S. 223–241; Peter G. Wallace: Communities and conflict in early modern Colmar, 1575–1730. Atlantic Highlands 1995; Wolfgang Kaiser: Vicini stranieri. L’uso dei confini nell’area di Basilea (secolo XVI–XVII). In: Quaderni storici 30/3 (1995), S. 601–630. Wolfgang Kaiser: Régions et frontières: l’espace frontalier de Bâle, XVIeXXe siècles. In: Regional and National Identities in Europe, 19th–20th centuries – Les identités régionales et nationales en Europe aux XIXe et XXe siècles. Hgg. von Heinz Gerhard Haupt, Michael G. Müller, Stuart J. Woolf. The Hague/London u.a.: Kluwer Law International. 1998, S. 379–410; Wolfgang Kaiser: Der Oberrhein und sein ›konfessioneller Grenzverkehr‹. Wechselbeziehungen und Konfessionskonflikte im 16. Jahrhundert. In: ›Eidgenössische Grenzfälle‹: Mülhausen und Genf. En marge de la Confédération: Mulhouse et Genève. Hgg. von Wolfgang Kaiser, Claudius SieberLehmann, Christian Windler. Basel: 2001 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 172), S. 155–185. Felix Platter: Tagebuch (Lebensbeschreibung). Hg. von Valentin Lötscher. Basel/Stuttgart 1976. S. 202. S. 67: Er habe als Kind oft geträumt, dass er in einem bestimmten Hof in Basel schlafe, den er später tatsächlich erwarb. Die Goldschmiede-Chronik. Die Erlebnisse der ehrbaren Goldschmiede-Ältesten Martin und Wolfgang, auch Mag. Peters Vincentz. Hg. von Curt Rudolf Vincentz. Hannover [1918], S. 252–253, Zitat S. 253. Vgl. dazu die knappen Bemerkungen in: Leutert, S. 251, 256–257.
357 27 Jahre später erschienen ihm dreimal im Traum sein verstorbener Bruder sowie mehrere Feinde, die ein mächtiges im Bau befindliches Haus (Babel?) zu zerstören und die Bauarbeiter zu erschlagen versuchten. Dieser Traum blieb offen. Vincentz schloss dennoch: Und die Gesichte dieses Traumes habe ich viele Tage in meinem Herzen bewegt. Es sind der Träume mancherlei, eitle und betrügliche, etliche aus natürlichen Ursachen, darauf man sich nicht verlassen kann, etliche, die zur Sünde reizen, etliche, die von Gott herrühren und etliche, die die Zukunft wahrhaft anzeigen, wie insbesondere im Propheten Daniel Kapitel 4 und 7 klärlich und herrlich gezeigt wird. Ich wußte aber niemand, der mir diesen Traum hätte deuten können und begnüge micht mit dem 90. Psalm …39
Wie Melanchthon neben den göttlichen, natürlichen und teuflischen Träumen den mantischen Träumen einen Platz eingeräumt hatte, schrieb der Lutheraner Vincentz wahrsagenden Träumen eine hervorgehobene Stellung zu. Dem protestantischen Habitus entsprechend suchte er den Schlüssel hierzu in einem Psalm. Wenngleich die Epistemologie der Zeichen im Laufe der Zeit veraltete, wurde wahrsagenden Träumen, einige Aufmerksamkeit geschenkt, wenn auch bisweilen im ironisch-scherzhaften Ton. Zwar wurden seit Anfang des 17. Jahrhunderts die Traumbücher dem ›Pöbel‹ zugewiesen und abwertend als Veranschaulichung des ›Aberglaubens‹ angesehen.40 Jedoch wurde das Traumbuch Artemidors mit der Einleitung Melanchthons bis in die 1750er Jahre hinein (allerdings mit einer zweiten, aktualisierten Einleitung) immer wieder neu aufgelegt.41 Die Säkularisierung der Vorhersehung trug zu einer allmählichen, relativen Betonung des Zufalls bei. Das Modell des göttlichen Traums verschwand jedoch nicht gänzlich, zumindest nicht in der pädogogischen Unterhaltungsliteratur.42 6.1.2
Schlaf und Traum
Ein zweiter Unterschied zwischen der frühneuzeitlichen und der modernen Traumauffassung könnte im Umgang mit dem Schlaf liegen. Mit Hilfe zahlreicher englischer, französischer und italienischer Tagebücher sowie ikonographischer Dokumente aus den Niederlanden hat der amerikanische Historiker A. Roger Ekirch die These vertreten, dass die Vorstellung des Schlafes 39 40 41
42
Die Goldschmiede-Chronik, S. 479–480, Zitat S. 480. Zu Cunrad Dieterichs Position, vgl. oben S. 74–75. Vgl. oben S. 51 Anm. 101 und unten S. 437–439. In den 1760er Jahren bedauerten zahlreiche Akteure in England die stete, nach deren Aussagen sogar zunehmende Beliebtheit der Traumbücher. Vgl. dazu A. Roger Ekirch: Sleep We Have Lost: Pre-industrial Slumber in the British Isles. In: American Historical Review 106 (2001), S. 343–386. Wie im Theater der Aufklärung. Lessing empfahl beispielsweise die herkömmlichen Götterfiguren durch Darstellungen von Träumen, in denen »etwas orakelmäßig« mitschwingt, zu ersetzen. Vgl. Alt (2002), S. 149.
358 in der Frühen Neuzeit von zwei Phasen ausging, die von einer einstündigen (oder längeren) wachen Zwischenzeit um Mitternacht unterbrochen würden. Während der konfusen schläfrigen Unterbrechung (damals auf Englisch »first waking« oder »twixt sleepe and wake«, auf Französisch »dorveille« genannt) erzählten die Zeitgenossen von ihren Träumen.43 Es wurden auch kleine Amulette, etwa Kuchenstücke oder Zwiebeln unter dem Kissen, eingesetzt, um Träume zu steuern44 – wie solche Praktiken verbreitet wurden, und welchen Sinn sie für die Akteure hatten, kann allerdings an dieser Stelle nicht weiter erforscht werden. Nach Ekirch kursierte im England des 17. Jahrhunderts ein doppelter Topos: Einerseits sei der Schlaf ein Segen, weil er dazu führe, dass man seiner selbst vergesse,45 andererseits erfahre der Mensch im Traum, wie seine Seele beschaffen und wer er eigentlich sei.46
6.2
Träume eines ›begabten‹ Mediziners: Girolamo Cardano (1501–1576)
Der Mailänder Arzt Girolamo Cardano schilderte um 1575–7647 einen Traum, den er bereits vierzig Jahre zuvor geträumt hatte:
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Ekirch (2001), S. 364–379, insbesondere 379, wo Ekirch das Gemälde »Midnight« (1765) von Henry Fuseli kommentiert: In einem Zimmer berichten sich zwei liegende Männer gegenseitig ihre Träume. Über eine Unterbrechung des Schlafs um Mitternacht berichtet Birgit Emich nichts. Vgl. Birgit Emich: Zwischen Disziplinierung und Distinktion: Der Schlaf in der Frühen Neuzeit. In: WerkstattGeschichte 34 (2003), S. 53–75. Von einer solchen Zweiteilung des Schlafs habe ich allerdings keinen direkten Nachweis im Heiligen Römischen Reich gefunden, bis auf vielleicht folgende Sätze aus dem Artikel »Traum« im Zedlers Lexikon: »Daher koemmt es, daß wir in dem sogenannten ersten Schlaf selten traeumen […]. Hingegen in dem Morgen- oder letztern Schlafe werden wir meistens mehr [sic] staercker und haeuffiger traeumen, und solches viel leichter behalten; welches die Erfahrung einen jeden Gesunden lehret, und ihn hiervon ueberzeuget.« Traum. In: Grosses Universal-Lexicon. Bd. 45. Leipzig/Halle 1745, Sp. 173–208, hier Sp. 176. Ekirch (2001), S. 381. Agrippa von Nettesheim sprach auch von einem Traumring. Vgl. Nettesheim (1992), S. 557–558. Nach einem Zeitgenossen (Cowper, im Jahre 1712) bedeutete das Einschlafen »to forget oneself« und sei deshalb ein Segen; nach einem anderen Zeugnis ermöglichte es uns, »to forget our sorrows«. Vgl. Ekirch (2001), S. 347, 362. Der Essayist Owen Feltham schrieb im Jahre 1628: »The wise man learnes to know himselfe as well by the nights blacke mantle, as the searching beames of day« … »in sleepe, wee have nakes and naturall thoughts of our soules«, und Tryon im Jahre 1691: »let the Night teach us what we are, and the Day what we should be«. Vgl. Ebd., S. 375. Einmal in seiner Autobiographie taucht an einer Stelle das Datum deren Niederschrift auf: »… sondern heute noch, das ich dies niederschreibe, am 16. November 1575, unter der Feder«. Vgl. Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung. München 1969 (Lebensläufe, Erinnerungen, Briefe 18), S. 184. Später: »… das konnte ich erst nach meinem vollendeten 74. Lebensjahr erfahren, damals als ich anfing, diese meine Lebensbeschreibung zu verfassen«. In: Ebd., S. 202.
359 Im Jahre 1536, da ich als Arzt im Hause der Borromei verkehrte, sah ich in der Morgendämmerung im Traum eine Schlange von außerordentlicher Größe und hatte Angst, von ihr getötet zu werden. Und kurz darauf kam ein Bote, ich möge den Sohn des Grafen Camillo Borromei, eines sehr erlauchten und vornehmen Herrn, besuchen. Ich gehe hin und sehe, daß der Knabe (er war etwa sieben Jahre alt) nur ganz leicht erkrankt ist; doch als ich ihm den Puls fühle, merke ich, daß dieser immer nach dem vierten Schlage aussetzte. Die Mutter, Gräfin Corona, fragte mich, wie die Sache stehe. Ich gab zur Antwort, ich sehe kein großes Fieber, fürchte aber trotzdem irgendein unbekanntes Übel, weil der Puls immer nach dem vierten Schlag aussetzte. Ich kannte nämlich damals Galens Bücher über die Erkenntnis der Krankheiten aus dem Pulsschlag noch nicht. Und als nun die Krankheit auch am dritten Tag noch unverändert blieb, verordnete ich, daß der Kleine eine Arznei, genannt Diarob, vermischt mit Turbit, in kleinen Mengen trinken solle. Ich hatte das Rezept schon aufgeschrieben, und ein Bote wollte damit zur Apotheke gehen, da fiel mir plötzlich mein Traum ein. »Wer weiß«, sage ich zu mir selbst, »vielleicht ist das Aussetzen des Pulsschlags ein Anzeichen des nahen Todes? (Und später, als man die Bücher des Galen fand, erwies sich das als zutreffend.) Und die mir so feindlich gesinnten hiesigen Ärzte werden dann die Ursache des Todes in der starken Arznei sehen. Sofort rief ich den Boten zurück, der noch keine vier Schritte vom Hause entfernt war, und sage, es fehle noch etwas im Rezept, was ich hinzufügen wolle, zerreiße dann das vorher Geschriebene in aller Stille und schreibe ein anderes Rezept auf, ein Pulver aus Perlen, Einhornbein, Edelsteinen. Man gibt das Pulver dem Kranken; er schluckt es. Nun sehen die Umstehenden, daß es dem Knaben sehr übel gehe, und man ruft noch drei hervorragende Ärzte hinzu. […] Obwohl zwei von ihnen mich aufs Äußerste haßten, lobten sie nicht nur meine Verordnung, sondern ließen die Arznei dem Kranken von neuem reichen. Dieser Umstand rettete mich. Als ich am Abend wieder kam, ward mir alles klar. Am andern Morgen in aller Frühe ruft man mich wieder, und ich sehe, daß das Kind in den letzten Zügen liegt. […] Ich kann nicht glauben, daß dieser Traum, ebenso wie auch das andere, was ich vorher erzählte, bloßer Zufall gewesen sei, sondern, wie deutlich zu sehen ist, eine Mahnung, die Gott einer frommen, von vielem Unglück heimgesuchten Seele, die er nicht verlassen will, zukommen läßt. Bin ich ja doch auch erst durch diesen Stachel zu ernster Arbeit angefeuert worden! Auch stimmte der Traum von der Schlange vollständig mit dieser ganzen Sache zusammen: das Haus der Borromei an der Piazza von Santa Maria Pavone, worin die ganze Angelegenheit abspielte, ist völlig mit Schlangen bemalt, weil nämlich die Borromei in ihrem alten Wappen eine Viper haben. – Wir Cardani hatten früher eine rote betürmte Burg auf weißem Grund im Wappen …48
Dieser Traum schien Cardano derart entscheidend, dass er ihn in mindestens drei seiner Schriften – darunter zwei autobiographischer Prägung49 – nieder48 49
Ebd., S. 117–119. Dazu vgl. Grafton: Humanism, magic, Science, S. 112. Nach Philippe Lejeune sind Cardanos »De vita propria« und die »Vita« (1559/63) seines Zeitgenossen Benvenuto Cellini die ersten Autobiographien. Cardano verfasste sie in einem leidlichen Latein, Cellini auf Italienisch. Cardanos Autobiographie erschien zum ersten Mal in der ersten Gesamtausgabe seiner Werke im Jahre 1663, Cellinis »Vita« erst im Jahre 1728. Cardano bezieht sich dabei auf antike Muster: Mark Aurel, Galen, Sulla, Caesar und Augustus, um sein Projekt einer Autobiographie zu rechtfertigen. Jedoch entspricht es diesen Vorbildern nur in der allgemeinen Absicht, nicht in Inhalt und Form. Cardano will »ein Menschenleben, keine großen Staatsaktionen« schildern. Vgl. Étienne Wolff: Préface. In: Cardan (1501–1576). Ma vie, Traduction du latin par Jean Dayre, révisée et éditée par Étienne Wolff. Paris 1991 (Un savant, une époque), S. 5–23, hier 16; Werner Friedrich Kümmel: Aspekte ärztlicher Selbstverständnisses im Spiegel von Autobiographien des 16. Jahrhunderts. In: Biographie und Autobiographie, S. 103–120, hier 103.
360 schrieb, die deutlich später, zwischen 1557 und 1576 erschienen.50 Der Vorfall regte ihn sogar dazu an, einen eigenen Traktat über die Traumdeutung zu verfassen, den er nach dem Traumbuch des Synesios von Kyrene benannte.51 Dieser Traum soll tatsächlich ein entscheidender Wendepunkt in Cardanos Lebenslauf gewesen sein. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, Mitglied des Ärztekollegiums zu werden, genoss er, trotz der oben genannten gescheiterten Heilung eines Grafensohnes, die Gunst und Unterstützung der Familie Borromeo. Dann begann seine wissenschaftliche Karriere – trotz des verfehlten Horoskops, das er im Jahre 1552 für den jungen englischen König Eduard VI. erstellte, in dem er dem König, kurz vor dessen frühzeitigem Tod, ein langes Leben voraussagte. Mit der Veröffentlichung seines Traktates De subtilitate (1550) und seiner Zusätze, De rerum varietate (1557), wurde er dank außerordentlicher medizinischer Erfolge sogar recht wohlhabend. Ab 1560 erlitt er jedoch harte Rückschläge, als sein erster Sohn, Giovanni Battista, wegen der Vergiftung seiner Frau verhaftet und hingerichtet wurde (10. April 1560), und als sein zweiter Sohn Aldo nicht nur bei ihm einbrach, sondern ihn vermutlich bei der Inquisition anzeigte (6. Oktober). Bereits im Traum von 1536 ging es um den Tod eines Sohnes. Dessen retrospektive (der Tod des Sohnes) und weissagende (die Voraussage des Todes und Anfertigung eines Rezepts) Dimensionen waren nicht gegensäztlich, sondern komplementär. Cardano entfaltete sofort eine Ausdeutung, die sich auf die Schlange als Symbol (auf dem Wappen der Familie Borromeo) und Allegorie (als Zeichen des Todes und der Schuld) richtete. Der Beweis für den außerordentlichen Charakter dieses Traums liege zunächst in der eigenen Überzeugung, dann in der Übereinstimmung zwischen der Vision einer Schlange und dem Wappen der Betroffenen. Daher sei der Traum eine göttliche, tröstende Mahnung. Cardano zeichnete in seiner Autobiographie 13 und im letzten Buch seines Traumbuches 54 weitere (eigene oder tradierte) Träume auf 52 – er merkte jedoch an: »Ich habe auch noch viele andere wunderbare und ganz
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Girolamo Cardano [Cardanus Hieronymus]: Synesiorum Somniorum Omnis Generis Insomnia Explicantes, Libri IV [1562]. In: Ders.: Opera omnia. Mit einer Einleitung von August Buck. Stuttgart/Bad Cannstatt 1966 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe Lyon 1663), Bd. 5, S. 593–727, hier 723–724; De vita propria, liber, Kap. 33. Und: De libris propriis, eorumque usu (1557). In: Ders.: Opera omnia. Bd. 1, Kap. 25 (deutsche Übersetzung oben) und 65. Vgl. dazu Nancy G. Siraisi (1997), S. 174, Anm. 2. Vgl. oben S. 118 Anm. 26. Dazu vgl. oben S. 21 Anm. 22. In seiner Autobiographie schildert er zwölf Träume. Er habe um 1534 begonnen, »im Traum alles vorauszusehen, was in der nächstfolgenden Zeit eintreten sollte«, und werde »öfter im Traume dazu ermuntert«, Traktate zu verfassen. Vgl. Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 140, 188. Das gesamte letzte Buch seines Traumbuches »Somniorum Synesiorum libri« ist eine Sammlung von Traumberichten mit deren Ausdeutung.
361 unglaubliche Träume gesehen, doch ich unterdrücke sie hier mit Willen.«53 Diese Fähigkeit, alles im Traum vorhersehen zu können, habe im Jahre 1534 begonnen und 33 Jahre lang angedauert.54 Bereits im Jahre 1549 (27 Jahre vor seinem Tod) ließ er eine Bildnismedaille prägen. Auf der Rückseite über der Inschrift ONEIRON ließ er einen Traum abbilden. In diesem Traum von einer großen Menschenschar, die sich im Vordergrund auf einen Baum mit Weinranken zubewegt, während sich in hügeliger Landschaft rechts ein Mann und ein Junge einer Hütte nähern, erkannte er sein Leben in Kurzform.55 Immer wieder tauchten dieselben Motive auf: der Tod seines Sohnes Giovanni Battista, sein eigener Familienehrgeiz, sein Streben nach einer ärztlichen Karriere, die Verfolgung seitens anderer Ärzte und seine außerordentliche Begabung. In dieser Hinsicht bildet jedoch der Traum von 1536 eine Ausnahme. Denn in den restlichen Traumberichten verband Cardano seine wunderbare Begabung eher mit einem eigenen Schutzgeist (spiritus familiaris) als mit Gott. Diese Besonderheiten lenken die Aufmerksamkeit auf die extravaganten, ungewöhnlichen, jedoch gewissermaßen für die ärztliche Kultur des 16. Jahrhunderts typischen Facetten der Person Girolamo Cardanos. In dieser Arbeit soll die baldige und intensive deutsche Rezeption Cardanos Werke via Basel und Nürnberg, vorwiegend in lutherischen Kreisen untersucht werden. 6.2.1
Träume und Lebensbeschreibung
Cardano hat seine Träume über lange Jahre hinweg niedergeschrieben und die Aufzeichnungen mehrfach umgestaltet und manipuliert.56 Nancy Siraisi hat bereits darauf hingewiesen,57 dass Cardano dies mit zwei Hauptabsichten tat: einer autobiographischen und einer medizinisch-theoretischen, die beide der Rechtfertigung seiner Ansprüche und seines Werks dienten. In seiner sehr ungeordneten Autobiographie, die nicht chronologisch, sondern thematisch, in heterogenen Rubriken (vermutlich unter dem Einfluss von den Leben der zwölf Cäsaren des Sueton) vorgeht und zahlreiche Wiederholungen enthält (Cardano las nicht durch, was er geschrieben hatte),58 dienen die Traumberichte als roter Faden. Sämtliche Wendungen in 53 54 55 56
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Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 138. Ebd., S. 140. Vgl. Bredekamp (1987), S. 62. »Hätte ich diese Episode nicht sehr oft und auch an verschiedenen Stellen schriftlich erzählt …« In: Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 93. Vgl. die erhellende Analyse von Siraisi (1997), S. 174–191. So behandeln die Kapitel XVII und XXX dasselbe Thema. Die Rubrikenfolge ist zudem ganz willkürlich. Cardano las nicht durch, was er geschrieben hatte: Man findet oft folgende Eintragung: »wie ich oben bereits geschrieben habe«, die sich auf keine konkrete Stelle bezieht.
362 seinem Leben wurden durch einen Traum angekündigt: seine Heirat (Kapitel XXVI und XXVII), die Behandlungen von Kranken (Kapitel XXXIII) und die Bewältigung der Trauer (Kapitel XLV). Vor allem seine Träume hätten ihn zur Niederschrift zahlreicher Traktate sowie seiner Autobiographie angeregt (Kapitel IX, XLV). Traumberichte ermöglichten oder erleichterten zumindest das Projekt, von sich selbst in einer Zeit zu schreiben, in der die Autobiographie als Gattung noch nicht bestand – obwohl Cardano seine Vita nicht veröffentlichte, spickte er sie mit Apostrophen an den Leser, die von seinem Wunsch, gelesen werden zu wollen, zeugen.59 Traumberichte hätten darüber hinaus dem mailändischen Mediziner, der sein schlechtes Gedächtnis beklagte,60 geholfen, sein Erinnerungsvermögen deutlich zu verbessern. Demnach waren Traumberichte eindeutig mit der Gedächtniskunst bzw. ars memoriae verknüpft.61 Die festgehaltenen Träume zeichneten sich dementsprechend durch ihren wiederholenden und selbstreferenziellen Charakter aus. Im Jahre 1562 zum Beispiel vermochte Cardano in einem Schüler, der sich im Jahre 1558 seinem Haushalt zugewandt hatte, einen zwölfjährigen Jungen wiederzuerkennen, den er bereits in einem Traum des Jahres 1534 gesehenen hatte. Um 1575/76 interpretierte er denselben Knaben als sein Enkelkind (geboren im Jahre 1560) oder auch als einen guten Geist.62 In Cardanos Traumbuch dienten die Traumberichte als exempla für eine allgemeine Theorie des Traums. Entsprechend fügte er den drei ersten Büchern (in denen er sich mit allgemeinen Fragen zur Bedeutung des Traums (I), der Traumtypen (II) sowie der Traummotive beschäftigte) ein viertes Buch von Beispielen hinzu, in dem er sowohl eigene als auch aus der Antike stammende Träume wiedergab und ausdeutete. Überdies – und konsequenterweise – spielten Träume eine außerordentlich wichtige Rolle in seiner Auffassung von der Wissenschaft.63 Die Verwendung des Traum-Motivs in seinen Abhandlungen über die Physiognomie des menschlichen Gesichts (Metoscopia) und über den Substanz- und Subtilitätsbegriff (De subtilitate, De rerum varietate) sowie seine Kommentare zu Hippokrates (insbesondere seine Commentarii in libros Prognosticorum Hippocratis, 1568) offenbaren das intensive Streben nach einer Reform der Medizin bzw. des medizinischen Unterrichts. Cardano bestritt Galens Interpretation der hippokratischen Werke 59
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Vgl. Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 19–20, 36, 180, 188, 196, 241, 242. Ebd., S. 76, 175, 143. »Aber ich zeigte mich für diese Gedächtniskunst nicht im mindesten begabt«, in: Ebd., S. 123. Zur Gedächtniskunst, vgl. unten S. 367–372. Vgl. De libris propriis et eorum usu, S. 101. De Vita propria, liber, S. 29. Deutsche Übersetzung: Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 135. Vgl. Siraisi (1997), S. 176. Peter-André Alts Behauptung, dass Träume in dem wissentschaftlichen Werk Cardanos eine nebensächliche Rolle gespielt hätte, ist nicht haltbar. Vgl. Alt (2002), S. 62.
363 und betonte statt der allgemeinen Regel die Relevanz der Besonderheiten, des Zufalls, der eigenen Erfahrung sowie der Subtilität.64 Zweck seines Œuvres war die Begründung einer Naturphilosophie und Medizin, die genau dies berücksichtigen und untersuchen könne, wie sämtliche scheinbar zufällige Phänomene vorhergesehen werden könnten. Demzufolge legte er auch großen Wert auf Hasardspiele, die Physiognomie, die Astrologie und die Träume.65 Cardano wollte die Medizin und die Traumdeutung als disciplinae in genere coniecturalium begründen.66 Dafür vertauschte er den Kanon der Divinationskünste. Nicht die Astrologie, sondern die Traumdeutung sollte den ersten Platz einnehmen: Weil dise weißsagu[n]g so ga[n]tz gemein/ ist sy die frünt lichest/ un[n] daru[m]b das si schlecht und bereit allenthalbe[n]/ ist si eine[m] Philosopho wirdig zuegebrauche[n]. Dz si nit mit gewalt um[m]gehet/ ist si from[m]/ un[n] weil wor si zueletst allenthalben/ unnd on sondere Ce remonien bekommen moegen/ ist si derenthalben auch die Goetlichest. Dise kunst ist bey uns/ unnd gleitet uns/ wann wir reisen/ wan wir schiffen/ kriegen/ oder auff dem feldt sind. Si kan auch mit keinem gesatz verbotten werden/ oder vonn einem Tyrannen/ er troewe jr wie er well. […] Die Mathematick/ Necroma[n] tey/ Astrologey/ und andere geschlecht der War sageren/ sind jren meisteren schaedlich gewesen/ unnd haben sie etwan umb das laeben gebracht/ dieser aber ist alzeit sicher/ weil sie keines dieners/ keines hauses bedarff. […] Sy hat auch fur andere allein dise wirdigkeit/ daß sie in der seel/ und von der seel alle ding hat. Ich mein jren ursprung/ unnd ort/ da sie haerkompt/ also das die allein die gewüsse st ist. […] Es ist kein exempel/ weder bey de[n] Christen/ noch bey den Juden oder Türcken/ weder der Astrologey/ od’ der Vogelschawung nach der Inge weit besichtigu[n]g/ od’ der Physiognomey/ od’ etwa[n] einer andere[n]/ noch vil weniger d’ Weissagere[n] ku[n]st/ sond’ allein der traeume[n]. […] Wz ist nu[n] d[er]halbe[n] Goettlicher/ da[n] zueku[n]fftige ding naturlicher weis wüssen? Unnd was in vil künsten/ mit wenigem/ unnd kurtz begriffen/ jn diser alles allein finde[n]? Die Artzney lernet/ natürli cher weiß vo[n] laebe[n] un[n] todt weissage[n]. Die ackerbaw ung vo[n] korn gewechß/ un[n] allerley früchten. Die Schiffku[n]st/ vo[m] stille/ un[n] ungewitter/ die Physiognomey/ un[n] sitte[n] vo[n] gerberde[n]. Die kunst d’ troeume[n]/ kan vo[n] disem alle[n] rede[n]. Derhalben sie auch bes ser gege[n]wirtige/ un[n] zuekünfftige ding brauche[n] ka[n]. Die gege[n]wirtige[n]/ un[n] wissenheit ku[n]fftiger dinge[n]/ welches nach zue Gottlich/ deßgleiche[n] die hoffnu[n]g braucht sie also.67
Weissagende Träume spielten folglich eine zentrale Rolle. Sie seien darüber hinaus sicherer als astrologische Prognosen, da sie auf einem unmittelbaren Einfluss des Gestirns auf die Seele, nicht auf menschlichen Spekulationen 64
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Vgl. Nancy G. Siraisi: Cardano, Hippocrates, and Criticism of Galen. In: Girolamo Cardano. Philosoph, Naturforscher, Arzt, S. 131–155. Unter ›Subtilität‹ verstand Cardano jene rätselhaften Kategorien wie ›Substanz‹, ›Zufall‹ (accidens) und ›Darstellung‹ ›Repräsentation‹ (repraesentatio). Vgl. Céard (1996/1997), S. 251. »Est igitur haec disciplina [sc. cognitio somniorum] in genere coniecturalium, qualis est medicina, agricultura est ars navigandi«, in: Girolamo Cardano: Somniorum Synesiorum libri, Liber 1, Caput 6. In: Opera omnia. Bd. 5, S. 602. Zitiert nach: Siraisi (1997), S. 310 Anm. 12. Deutsche Übersetzung (1563) der Somniorum Synesiorum libri (1562): [Girolamo Cardano]: Traumbüch Cardani … Basel: Heinrich Petri. [1563], Fol. xxix-xxx.
364 (wie die Sterndeutekunst) beruhten.68 Dazu bezog er sich vorwiegend auf das von Marsilio Ficino ins Lateinische übersetzte Traumbuch des Synesios von Kyrene. Um den Vorwurf des Aberglaubens zu vermeiden, wies er dem Traum physiologische Begleitphänomene zu. Diese bestanden aus der Bewegung der spiritus animales und bestimmter ›Feuchtigkeiten‹.69 Beiläufig erwähnte er die aristotelische Traumauffassung, um die Beteiligung besonderer Engel an der Entstehung der Träume auszuschließen.70 Auch Gott spielte kaum eine Rolle in Cardanos Traumdeutung. Sogar der Teufel war jedweden Einflusses auf die Träume beraubt. Ebenso schenkte der Mediziner auch erotischen Träumen kaum Aufmerksamkeit. Er ließ sie entgegen der langen Tradition ihrer Verteufelung unkommentiert.71 Cardano hielt sich allerdings in Bezug auf die religiöse Orthodoxie nicht immer derart zurück. Im XI. Buch seiner Abhandlung De subtilitate betrachtete er den Judaismus, den Islam und das Christentum als gleichwertig und gab Pomponazzis Äußerungen über die Unbeweisbarkeit der Unsterblichkeit der Seele wieder. In seinem Werk De animi immortalitate behauptete er, das Dogma der Unsterblichkeit der Seele könne sogar schädlich sein, da es die Menschen zur Verachtung der irdischen Welt verleite; die Ungläubigen seien am Ehrlichsten, da sie sich tugendhafter und sorgfältiger als andere Menschen verhalten müssten, um von den Mitmenschen ertragen zu werden. Mit seinem Neronis Encomium (»Lob des Neron«) entwarf er zwar einen Text im Stil des damals beliebten paradoxen Lobs, dieses aber über Nero, den ersten Verfolger der Christen. In seinen Commentarii in Ptolemeum, de Astrorum judiciis (1554) erstellte er ein Horoskop Christi. Und in der gedruckten Fassung seines Werkes De rerum varietate war neben Vorbehalten bezüglich der Wirklichkeit der Wunder ohne sein Wissen ein Angriff auf die Dominikaner 68
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Siraisi weist darauf hin, dass andere Astrologen des 16. Jahrhunderts großen Wert auf die Traumdeutung legten. Cardanos Rivale, Luca Gaurico, fügte Sprüche aus dem hippokratischen Text betitelt »Träume« (»Regimen«, 4. Teil) in seinem astrologischen Lehrbuch ein. Vgl. Siraisi (1997), S. 179. Zu Cardanos Zeitgenossen, vgl. Anthony Grafton: Cardanos Kosmos (1999); Markus Fierz: Girolamo Cardano (1501–1576). Arzt, Naturphilosoph, Mathematiker, Astronom und Traumdeuter. Basel/Stuttgart 1977 (Poly 4), S. 97–120. [Cardano] [1563], Kapitel III, »Von ursach der Tröumen«, Fol. vij-xviij. »Ettlich haben wöllen spreche[n]/ Demones/ das seind die geyst/ oder Engel/ seyend ein ursach der Traeumen/ wir sehe[n] aber dz vyl Traeum vertuncklet seind/ wann sie nun von geistern kemen/ wurden sie nit also sein. Aristoteles gibts der richtung zu«. In: Ebd., Fol. xviij. Vgl. beispielweise folgender Traumbericht: »Als einem auff ein zeit traumt/ das mennlich glid stuend ihm/ unnd zue oberst am spitz/ wer ein loch darin/ fragt er mich was er bedeüt. Sagt ich/ es bedeüt scha[n]d un[n] laster. Dan[n] so eim traumt/ wie ihm das mennlich glid steth/ bedeüt es ehren und wirdigkeit/ nun aber wz ein loch darin/ das bedeüt schand. Dann so ein loch in die ehren kommen/ so ist ein schand vorhanden. Den selbigen tag ist er in grossen zanck und hader gefallen/ also das er vermeint/ er wurde von allen ehren gestossen/ und ist wid’ alle hoffnung daruo[n] kom[m]en.« [Cardano] [1563], Fol. dclvj.
365 enthalten. Der calvinistische Philologe Julius Caesar Scaliger, der sowohl das schlechte Latein des Mailänders als auch dessen extravagante religiöse Ideen anprangerte, war nur einer der heftigsten der zahlreichen Feinde Cardanos.72 Weder in seiner Autobiographie noch in seinem (dem Cardinal Borromeo gewidmeten) Traumbuch äußerte sich Cardano in dieser Art und Weise. Stattdessen betonte er ständig seine außerordentliche Begabung. Bereits mit 20 schrieb er, er habe »eine etwas schwere, stammelnde Zunge und dazu eine geistige Neigung« in Form einer »unbewußte(n) Sehergabe«.73 Er listete die Anzeichen seiner »anormalen Natur« sowie die in seinem Leben entscheidenden »wunderbare[n] Erscheinungen«, darunter etliche Träume, auf.74 Diese hätten seine »Fähigkeit des Voraussehens in beruflichen und anderen Dingen«75 ermöglicht: Er sei ein begabter Mediziner. Darauf begründete Cardano seine Autorität als Erneuer der akademischen Medizin. Diese außerordentliche Gabe verdanke er nämlich der »dauernde[n] Hilfe« eines persönlichen »Schutzgeistes«, so wie andere herausragende Männer, namentlich »Sokrates, Plotin, Synesius, Dion, Flavius Josephus und auch ich.«76 Dieses »unkörperliche, von Gott abhängende« dunstartige Wesen sei »die wirkende Ursache« seiner Visionen und Träume.77 Damit spielte er auf seinen Schutzgeist in seinen biographischen Traumberichten an.78 Wie benutzte der Mediziner Cardano diesen Anspruch auf eine besondere, eigene Begabung? Wie lässt sich sein Umgang mit dem Traum charakterisieren? Bei der Behandlung seiner Patienten, so wie er sie schilderte, bezog er sich kaum auf diese vermeintliche Begabung. Der hippokratische Arzt möge die Träume der Kranken berücksichtigen, da sie Heilmittel anregen könnten.79 Galen hatte diese Idee einer semiotischen Medizin übernommen und sie in seine Körpersäftelehre eingebettet; er lieferte aus seiner eigenen Praxis auch 72 73
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Vgl. dazu Wolff: Préface (1991), S. 13; Grafton (1999). Beide Zitate in: Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, S. 13. Später fingierte er Beteuerungen: »Auch brachten sie mir ihre Nativitäten, ich sollte ihnen daraus ihr Schicksal verkünden, als wäre ich ein Wahrsager oder Prophet, nicht Professor der Medizin«. In: Ebd., S. 117. Ebd., Kapitel XXXVII. Zitate S. 125 und 131. S. 134 schreibt er: »Darf nicht auch die Art, wie ich von Träumen heimgesucht wurde, die alle so durchaus wahr gewesen sind, als höchst wunderbar bezeichnet werden? […] Und doch waren diese Träume so sonnenklar einleuchtend und haben über die wichtigsten Dinge in meinem Leben entschieden«. S. 139 schildert er fünf »bewunderswerte[n] und wunderbare[n]« Eigentümlichkeit, wie die Gabe, Stimmen zu hören und weissagende Träume zu bekommen. Ebd., Titel des Kapitels XLII, S. 167. Ebd., S. 201. Zitate in: Ebd., S. 201, 206. Ebd., S. 135, 136, 162, 201 (»Daß ich einen solchen Schutzgeist besitze, davon war ich längst überzeugt«), 205–206, 242. Hippocrates: Regimen. Bd. IV. Nature of man. Regimen in health. Humours. Aphorisms. Regimen I–III. Dreams. Hg. und übersetzt von William Henry Samuel Jones. Cambridge (Mass.) 1967 (Loeb classical library 150), S. 438.
366 einige Beispiele von Diagnosen anhand von Träumen seiner Patienten.80 Obwohl Cardano der Diät große Bedeutung beimaß, wandte er jedoch das hippokratische Raster auf keinen einzigen der im 4. Buch seines Traumbuches gesammelten 65 Träume von Verstorbenen oder Zeitgenossen und 55 eigenen Träume an. Von konkreten Diagnosen oder Verordnungen, die sich auf die Träume der Patienten bezogen hätten, war keine Rede. Die Traumberichte basierten auf eigenen Träumen, auf Erzählungen von Seiten anderer, aktueller oder vergangener Mediziner, oder aber auf der literarischen Überlieferung antiker Geschichten, ohne dass Cardano deren Status differenziert hätte. Ebenso schenkte er der physiologischen Natur dieser Träume kaum Aufmerksamkeit. Sein Augenmerk richtete sich vorwiegend auf den wahren, weissagenden Traum des begabten und frommen Mediziners. Deshalb las er das Werk Galens, dieses Arztes, der ein Buch über seine eigenen Bücher verfasst, der in seinen Abhandlungen ausführliche Analysen einiger eigener Fälle eingefügt und Träumen großen Wert beigemessen hatte, besonders gründlich. In Galens Fall wie in seinem eigenen schien sich die Gabe der Traumdeutung in der Familie zu übertragen. Cardano beschrieb Galens Traumberichte sorgfältig. Er beschäftigte sich besonders mit Galens Traum von Asklepios, der diesem die Lösung einer Behandlung nahe gelegt hatte.81 Der medizinische Traum, so Cardano, biete medizinisches Wissen und schütze den Arzt vor ärztlichen Irrtümern. Nach einem Jahrzehnt Arbeit veröffentlichte Cardano sein Traumbuch im Jahre 1562. Bereits ein Jahr später erschien in Basel eine deutsche Übersetzung bei dem berühmten humanistischen Drucker Heinrich Petri, der auch die Kosmographien des Ptolemäus und Sebastian Münster veröffentlicht hatte. Diese wortgetreue Übersetzung wurde von dem Basler Mediziner Johann Jacob Huggelin mit einem Vorwort versehen.82 Neben Basel wurde Nürnberg zum Hauptverbreitungszentrum von Cardanos Gedankenguts. Cardano erwähnte daher auch mehrmals Kontakte mit Nürnberger Humanisten. Er nannte insbesondere Andreas Osiander »aus Nürnberg, Theologe, unser Freund«, der einen Briefwechsel mit ihm begonnen habe. Osiander fragte ihn um Rat bezüglich imaginärer Ängste, die er als Kind bei Abwesenheit seines Vaters gehabt hätte.83 Osiander seinerseits hatte als ›orthodoxer‹ Lutheraner die Ausweisung des ›Schwärmers‹ Hans Denck aus Nürnberg veran-
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Steven M. Oberhelman: Galen, »On Diagnosis from Dreams«. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 38 (1983), S. 36–47; Ders.: The Diagnostic Dream in Ancient Medical Theory and Practice. In: Bulletin of the History of Medicine 61 (1987), S. 47–60. Vgl. Siraisi (1997), S. 181. Girolamo Cardano: Somniorum Synesiorum libri. Liber 4, Caput 2. In: Opera omnia. Bd. 5, S. 706. Vgl. Siraisi (1997), S. 314 Anm. 54. Zu Heinrich Petri, vgl. Zedler. Bd. 27, Sp. 1114. Zu Johann Jacob Huggelin gibt es weder in Zedlers noch in Jöchers Lexikon Einträge. Hieronymus Cardanus: L ES LIVRES DE H IEROME C ARDANVS , Fol. 372 v° – 373 r°.
367 lasst. Mit anderen Worten: Die ersten Rezipienten von Cardanos Werk waren jene humanistisch-melanchthonischen Kreise, die damals soeben eine ›orthodoxe‹ Fassung des Traumbuches von Artemidor veröffentlicht hatten.84 Der Mailänder und die Wittenberger teilten tatsächlich die Hochschätzung der mantischen Träume. Caspar Peucers Faszination für den Traum und seine Neuordnung der Divinationskünste85 entsprach den Auffassungen Cardanos. Die Übersetzung von Johann Jacob Huggelin orientierte sich eng am lateinischen Original und zeigte keinerlei Bearbeitungstendenzen. Um das Ganze ›christlicher‹ erscheinen zu lassen, versah er das Werk mit einem Vorwort, das die Gottesgefälligkeit der Astronomie sowie die Allmacht Gottes, der die Zeicheninterpretation obliegen sollte, hervorhob – zwei lutherische Leitmotive.86 6.2.2
Ars interpretandi und ars memoriae
In seinem Traumbuch hob Cardano hervor, dass die Autoren von Traumbüchern, insbesondere Artemidor von Daldis, bislang zwar nützliche Auskünfte geliefert, jedoch keine kohärente Methode vorgeschlagen hätten.87 Hierin sollte Cardanos Traumbuch sich von allen seinen Vorgängern unterscheiden.88 Laut Cardano hatte Synesios einen richtigen Weg angeregt, indem er auf die Individualität der Träume hingewiesen hatte. Dies betonte Cardano noch ausdrücklicher: Derhalben so mag auch die handlung unnd lehr von den traeumen/ zue keinem end gefuert werden/ auch nit in gewüsse reglen vergriffen/ unnd ein end habe[n]. Daru[m]b sie auch die schwereste kunst sein mueß/ und weil unendtliche ding/ in endtlichen begriffen werden/ so ist es schwer daruon zue handlen/ jedoch so moegend unendtliche ding mit vilen begriffen werden/ gleich als wenige mit we nigen/ under einem anfang allein.89 84 85 86
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Vgl. oben S. 80–83. Vgl. oben S. 120–127. Johann Jacob Huggelin, Dem Hochwürdigen Fürsten vnd herren/ herrn Johan[n] Rudolphen/ Abten der Stifft Murbach und Luders/ seinem gnaedigen Herrn. In: [Cardano] [1563], Fol. a ij r°-v°. »Es hat auch Synesius wol für an dere darzu ermant/ aber nichts darin geschriben/ von dessen wege[n] wirs auch der Synesische[n] traeume[n] außlegung genannt haben/ wiewol er gar nichts daruon geschriben. Aber die anderen/ fürnemlich Artemidorus/ und der Jud/ habend vyl nutzlIch gelernet. Weil sie aber kein Methodum und ordnung hieltend/ ist es alles unorde[n]lich un[n] zerströwt zu uns kommen/ un[n] für falsch angesehen worden/ es ist auch ettlIch falsch. Daru[m]b hab ich mir fürge nom[m]en daruo[n] zuschreiben / dz ich lernte/ wz für ein goettliche und wichtige kunst so es lesend/ gewarnet haben / und anzeigt/ das die kunst den felenden so sie mißbrauchend/ als schedlich sey/ als nutzlich sie disen ist/ so sie recht lernen/ unnd ergreiffend«. In: [Cardano] [1563], Fol. iiij. Vgl. dazu Jacques Le Brun: Jérôme Cardan et l’interprétation des songes. In: Girolamo Cardano. Philosoph, Naturforscher, Arzt, S. 185–205, insbesondere 186; Werner Kutschmann: Der Wissenschaftler und sein Körper. Die Rolle der ›inneren Natur‹ in den experimentellen Naturwissenchaften der frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1986, S. 336–350. [Cardano] [1563], Fol. ccccxxij.
368 Synesios hatte die Niederschrift der eigenen Träume empfohlen. Cardano bekräftigte diesen Rat und betonte die Nützlichkeit von Aufzeichnungen, sogar für den privaten Gebrauch.90 Vor allem hob er hervor, dass der Träumende, wenn ihm kein Traumdeuter hatte helfen können, seine eigenen Träume auslegen solle.91 Cardanos Praxis entsprach allerdings nicht immer seinen Prinzipien. Zwar beurteilte er Artemidors Traumdeutung als zu allgemein. Jedoch entnahm er ihr zahlreiche Symbole und Analogien92 sowie die Idee, dass die Ausdeutung auch vom Alter, Geschlecht und sozialen Stand des Träumenden abhinge.93 Sogar seine eigenen Träume ordnete Cardano nach drei der vier von Synesios unterschiedenen Kategorien, besonders diejenigen über seine medizinische Karriere, nämlich in vor einer Gefahr warnendem Traum, literarischer oder wissenschaftlicher Eingebung und ärtzlichem Rat. Cardano habe versucht, solche ›professionellen‹ Träume herbeizuführen. Das ausführlichste Beispiel dafür sei, laut Nancy Siraisi, ein Traum, von dem Cardano in seinem Traktat über die Nützlichkeit des Unglücks berichtete. Am 3. September 1554 sei er krank geworden. Nach sechs Tagen stieg das Fieber derart stark, dass er merkte, wie ihn sein Herz und seine Kräfte verließen. Er habe gedacht, er sei vergiftet worden. Nach einem entsprechenden Heilmittel wurde er wieder gesund, jedoch fühlte er sich abends immer noch schwach. Da er von der ärztlichen Diagnose eines Wechselfiebers (febris tertiana, Malaria) nicht überzeugt gewesen sei, habe er zu Gott gebetet, ihm im Traum die Lösung zu zeigen. Er sei bei der Kirche San Michele alla Chiusa, früher als gewohnt, aufgewacht. Er habe daraus geschlossen, dass er nichts im Traum gesehen habe, dass er jedoch früher aufgewacht sei, um sich beraten zu lassen. Er habe sich den Canon des Avicenna bringen lassen und entdeckt, dass er kein einziges der geschilderten Symptome der Malaria hatte. Seine Symptome hätten eher dem Eintagsfieber (oder Ephemera, ursprünglich eine Pathologie der Rinder) entsprochen. Er habe daraufhin adäquate Heilmittel bestellt und seine Entdeckung zwei Medizinern enthüllt. Der erste habe die Diagnose des Eintagsfiebers bestritten, der zweite diese Selbstdiagnose aufgrund eines Traums einfach 90 91 92
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Ebd., Fol. xxxvj. Ebd., Fol. xvij. Wie beispielsweise folgende Stelle: »Das hertz/ die augen/ nieren/ dz men[n]lich glid/ und zweyg/ bedeueten ein son/ aber je mit andern und andern eygenschafften. Das hertz bedeüt ein weisen/ und der den vatter lieb hab. Das aug bedeüt/ ein leiblichen/ angenemen/ fürsichtige[n]. Die niere[n] ein arbeitsame[n]. Die scham/ ein unuerschampten aenckel/ der mit unmessigkeit gar verderbt ist. Ein zweyg oder schoß/ bedeüt ein dollen und unnützen kunden«. In: Ebd., fol. lxxij. Zu diesen Analogien vgl. Oberhelman (1987). Ders.: The Interpretation of Prescriptive Dreams in Ancient Greek Medicine. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 36 (1981), S. 416–424. Vgl. [Cardano] [1563], Fol. xxiv.
369 für verrückt gehalten. Die Medizin habe jedoch sofort eine bedeutende Besserung bewirkt.94 Derartige von Gott erregte Träume seien jedoch, wie Cardano ständig wiederholt, äußerst selten. Desgleichen teuflische Träume, die Cardano auch kaum interessierten. In Bezug auf die natürlichen Träume entfaltete Cardano die übliche Analyse: sie resultierten aus der Konkurrenz zwischen der Wirkung der verdauten Speisen und Körpersäfte, der Tagesrestbilder und der in der Gedächtniskammer bleibenden Bilder. Sein Augenmerk konzentrierte sich auf die weissagenden Träume, d. h. Bilder, die aufgrund astralischer Einflüsse in der Imagination entstünden. Diese gliederte er in zwei Arten, die idola oder »bildtnueße« sowie in die auf Resten aus dem Langzeitgedächtnis beruhenden »gedaechtlichen Troeume«.95 Beide Genera unterschieden sich in mehrfacher Hinsicht. Erstere tradierten ihre Bedeutung unmittelbar, beruhten nicht auf Affekten (außer dem ganz besonderen Affekt der Verwunderung) und offenbarten dem Träumenden etwas Zukünftiges. Das heißt, mit Foucaults Begrifflichkeit: Zwischen dem Signifikant und dem Signifikat bestand ein Verhältnis der Ähnlichkeit.96 Letztere hingegen würden einen verschlüsselten Sinn in sich bergen, Schrecken und Angst erwekken, und bezögen sich auf die Vergangenheit. Der Sinn trete erst allegorisch oder sinnbildlich und ganz wirr zu Tage.97 Diese Charakterisierung der ›reinen‹ Weissagung als Vehikel eines Gefühls der Verwunderung kann als Anzeichen eines epistemischen Wandels interpretiert werden. Seit Sokrates wurde das Gefühl des Erstaunens als Ansporn des Denkens gesehen. Über etwas erstaunt sein, d. h. die gewohnte Welt in Frage zu stellen, war nach Sokrates der Anfang der Philosophie. Als in der Renaissance das Vorbild der Wissenschaft mit der Weissagung gleichgesetzt wurde, trat die Verwunderung (die admiratio) an die Stelle des Staunens. In den Affektenlehren der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die Verwunderung als erste Leidenschaft der 94
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Girolamo Cardano: De utilitate ex adversis capienda (1561). Liber II, Caput II. In: Opera omnia. Bd. 2, S. 46. Zitiert nach: Siraisi (1997), S. 186–189. Vgl. [Cardano] [1563], Fol. xlvij, lxxxvij-cxviij, dxiij-dxxvij. Vgl. dazu Thomas Rahn: Traum und Gedächtnis. Memoriale Affizierungspotentiale und Ordnungsgrade der Traumgenera in der Frühen Neuzeit. In: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400–1750. Hgg. von Jörg Jochen Berns, Wolfgang Neuber. Tübingen 1993 (Frühe Neuzeit 15), S. 331–350, insbesondere 338–339. Vgl. dazu Michel Foucault: Histoire de la sexualité. Bd. 3. Le Souci de soi. Paris 1984, S. 16–29. So beispielsweise: »Die Collision und zuesammen schlahu[n]g/ ist der fürnempst ma[n]gel in den gedaecht lichen traeume[n]/ und auß der Collision/ kompt die Concision und außschneidung. Dan[n] weil sie von der gedaechtnuß her kommen/ und die bildtnussen anderstwo her/ dann auß Goettlicher ursach/ einfallen unnd in sinn kommend/ so mo[e]gend die vorgehnden nicht außgemacht werden/ darumb ist kein gedaechtlicher traum vollkommen. Aber solche zeigend gemeinklich die Complexion und gesundtheit an«. In: [Cardano] [1563], Fol. dxviij.
370 Seele definiert, da sie die einzige sei, die sich rein geistig, ohne körperliche Beteiligung entfalte.98 Ziel der durch Staunen vertieften Wissenschaft waren allgemeine, universale Regeln. Die durch Verwunderung erworbene Wissenschaft zielte dagegen auf das Verständnis der Besonderheiten, der Irregularitäten, der Ausnahmen oder Irrtümer der Natur – die in den entstehenden Wunderkammern des Wissens sorgfältig gesammelt wurden.99 Wie tauchten diese Begriffe konkret in Cardanos Traumdeutung auf? Cardano erklärte, das die »Bildtnußen« äußerst selten seien. In der Regel seind auch alle dise bildtnussen/ mit gesichten [d. h. Bildern der »gedächtlichen Tröume«] vermischet/ also das man kein reine vnnd saubere bildtnuß sicht/ sonder in allen manglet etwas/ oder sie seind ver kert/ oder verdüncklet. Als wan[n] mir traumt (wel ches mir zwar offt begegnet) ich stieß auff einen freünd/ welche[n] ich nit gesehe[n]/ und den nachgehnden tag sich ich jn/ und umbfach jn/ wie mir getraumt/ auch eben an dem selbigen ort/ an wel chem er mir im traum erschine[n] (wie mir dan[n] auch solches wid[er]faren.)100
In diesem Beispiel hatte der Traum den Gegenstand unverschlüsselt gezeigt. Der Träumende blieb jedoch nur überrascht und war nicht imstande, ihn richtig auszudeuten. In den 65 Traumberichten aus externen Quellen (aus der antiken Überlieferung, von Verwandten und Bekannten) und in seinen 55 eigenen Traumberichten schilderte Cardano entsprechend unterschiedliche Träume, deren Bedeutung meist unsicher war. So beispielsweise bei einen Traum, den sein Vater im Jahre 1456 gehabt habe: Ich kan auch nit wissen/ ob diser traum mehr sein glück und heil/ dan[n] sein unglück bedeüt hat.101
Andere Träume erwiesen sich als gleichermaßen schwierig zu entziffern. Ein eigener Traum aus dem Jahre 1561 von Cardinal Borromeo »betrübte« ihn zunächst, bevor er sich als »wunderbarlich« entpuppte.102 Andere eigene Träume bargen zwar einen einfachen, rein allegorischen Symbolismus, »wunderten« den Rezipienten dennoch.103 Über andere gestand Cardano seine Unschlüssigkeit, äußerte jedoch a posteriori eine Interpretation bezüglich des Todes seines Sohnes und seiner Aufnahme ins Collegium medicum.104 98
99 100 101 102 103 104
Vgl. beispielsweise immer noch René Descartes: Les Passions de l’âme. In: Œuvres de Descartes. Hgg. von Charles Adam, Paul Tannery. Paris 1986, Bd. XI, S. 291–497, hier 373, 380–381. Vgl. dazu Daston, Park; Theatrum naturae et artis. [Cardano] [1563], Fol. dxx. Ebd., Fol. dcxlij. Ebd., Fol. dclxj-dclxij. Ebd., Fol. dclxiiij-dclxv. Vgl. beispielsweise: »Anno M. D. vl. den zehenden Hornungs/ traumt mir/ wie ich im beth wer/ un[n] darob schein die Son[n] gantz schwertzer dann dinten. Es bedu[n]ckt mich diser tag/ wer d[er] sechßt Aprelle[n]s/ des nechst künfftigen/ an welchem ein finsternuß der Sonnen solt werden. Ich sach auch die sternen scheinig verwundert. Da ich nun erwacht/ vermeint ich es wer ein toedtlicher traum/ ich ko[n]t aber doch sein bedeütung nit finden. Dann ich wz der kunst noch nit so wol bericht/ es was auch nit
371 Die in dem theoretischen Teil seines Traumbuches postulierten Leidenschaften der Seele – Schrecken oder Verwunderung – lassen sich ebenfalls in den Traumberichten finden. Oft schrieb Cardano, dass er »mit grossem schrecken […] von wegen des traums«105 aufstand. Im Jahre 1544 hatte er einen »wunderbarlichen Traum«. Dieser, schrieb er, »wirt ein herrlich exe[m]pel eines speculierenden traums sein/ welcher an dere[n] traeum alle (wie droben angezeigt) inn seiner art/ und mit subteiler außlegu[n]g weit übertrifft.«106 Damals habe er drei Söhne gehabt, von denen der älteste zehn Jahre alt gewesen sei und der jüngste in dem Jahr geboren sei, als seine medizinische Tätigkeit in Mailand begann. Am 8. Januar in der Frühe – Morgenträume wurden seit der Antike als die reinsten angesehen, da morgens die Verdauung als abgeschlossen betrachtet wurde – träumte er, dass er den verstorbenen Prosperus Marion sah, der ihn anrief und bat, seine Hand zu ergreifen. Der Erzähler (Cardano) habe gehorcht. Zu seinem Schrecken jedoch sei ihm sein ältester Sohn gefolgt. Im Traum sei er »von (dieser) ungewissen sach« aufgeweckt und habe sich gefreut, dass es sich lediglich um einen Traum gehandelt habe. Er habe zunächst versucht, etwas zu lesen, dann eine offene Tür erblickt, »verwund[er]t und erschrack«, da Prosperus an der Tür gestanden habe. Er habe diesem dann so viele Schläge versetzt, dass der Tote daraufhin geflohen sei. Er habe gedacht, er sei in ein anderes Haus verschwunden, und habe nun seinen eigenen Körper gesucht. Dann sei er wirklich eingeschlafen und habe wieder geträumt, dass ein schwarzer Hund unter seinem Bett »sein kurtzweil trib«. Am Morgen sei er wirklich erwacht und habe den Ruf des Verstorbenen als Ausdruck der vergeblichen Hoffnung, eine Professur an der dortigen Universität zu bekleiden, interpretiert. Die vom Toten gereichte Hand nehme jedoch seine Aufnahme ins Ärztekollegium in diesem Jahr vorweg – wie diejenige seines Sohnes, der ihm im Traum gefolgt sei. Cardano deutete ferner (selbstverständlich retrospektiv) den Traum als Ankündigung des Todes seines Sohnes zehn Jahre später, da dies sicherlich nicht geschehen wäre, wenn er den Ruf der Universität nicht angenommen hätte. Da dieser Traum deutlich in drei Sequenzen gegliedert sei (erster Traum, Aufwachen im Traum, Fortsetzung des Traums, Einschlafen, dritter Traum), berge er eine sonderbare Bedeutung. Cardano interpretierte deshalb das Verjagen des Toten mithilfe seiner eigenen und erfolgreichsten Bücher,
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Gottes will. Die verfinstere Sonn bedeüt den todt mei nes sons/ welcher schon in die versamlung der Ar tzet auffgenommen war/ darumb solchs nit kont bescha[e]hen/ biß erst über vil jaren. Von welches verfinsterung/ das ist/ von welches todt die sternen/ das seind die schlechte[n] Artzt/ welche sonst nit wol galten/ und verdünckelt herfür gezogen war den und erscheinen/ auch ein namen bekommen. Das mich aber bedaucht es wer d[er] sechst Aprelle[n]s/ hatt es disen todt unnd verderbnuß meines sons warhafftig bedeüt/ unnd kein zuekünfftigen abscheid oder ellend«. In: Ebd., Fol. dcxvij-dcxviij. wie beispielsweise in: Ebd., Fol. dclxix. Ebd., Fol. dclxx.
372 des De subtilitate und des De varietate rerum, die er auf den Verstorbenen geworfen hätte, als Ankündigung seines ewigen Ruhms als gelehrter Mediziner. Anschließend skizzierte Cardano eine endgültige Auslegung. Die kurze dreiphasige Anordnung des Traums deute entweder eine kurze Zeit bis zur Erfüllung des Traumes oder die Unausdeutbarkeit jener Sequenz an. Der schwarze Hund unter dem Bett weise eher auf das berufliche Glück oder aber auf die Anwesenheit eines Feindes in seinem Haus hin. Der erste Traum sei vom Schrecken beherrscht gewesen. Dass er in der dritten Sequenz nicht den Toten, sondern nur seinen eigenen Körper suchte, bedeute jedoch die Befreiung von jeglicher Angst bezüglich der Rezeption seiner Bücher. Der Schrecken, der ihn durchfahren habe, als er zu lesen versuchte, beziehe sich auf sein »begird«, Bücher zu schreiben.107 Dieser von der Furcht der vana gloria beherrschte Traum beruhte auf starken Affekten – meist »Schrecken«, teilweise jedoch »Verwunderung«: es handelte sich nicht um eine reine mantische Botschaft, um ein idolum, sondern um eine typische gemischte Vision, ein »gesicht«. Was diesen Traum unvergesslich werden ließ, war gerade das Gefühl der Verwunderung, das dessen fiktiven, jedoch wahrhaften Charakter enthüllte. Dieser Traum beeindruckte den Träumenden und prägte sich tief ein. Er verwunderte sich über den Inhalt als auch über die geordnete Folge der sukzessiven allegorischen Bilder und der dreimaligen Wiederholung der Sequenzen vom Wach- und Schlafzustand. Die Verwunderung blieb noch im Wachzustand erhalten, so dass die außerordentliche Bedeutung jenes Traums weiter hervorgehoben wurde. Mit anderen Worten: Der Traumbericht wurde genau nach den Prinzipien der ars memoriae aufgebaut. Nach dieser auf das 5. Jahrhundert vor Christus zurückgehenden Tradition verstärkte man das natürliche Gedächtnis und memorierte komplexe und abstrakte Reden durch deren Zergliederung in Elemente, die man an bestimmten, imaginären ›Orten‹ (loci) ablegte. Diese sollten dann mittels starker emotionaler Bilder in Erinnerung gerufen werden. In der Gedächtniskunst der Frühneuzeit wirkten Schrecken und Verwunderung als Gedächtnisaffekte par excellence.108 Von einer subjektbezogenen Untersuchung der Seele lässt sich dabei allerdings nicht sprechen.
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Ebd., Fol. dclxx-dclxxv. Vgl. dazu Frances A. Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. Berlin 1990; Paolo Rossi: Logic and the Art of Memory. The Quest for a Universal Language. Chicago/London 2006; Ars memorativa; Seelenmaschinen. Gattungstraditionen, Funktionen und Leistungsgrenzen der Mnemotechniken vom späten Mittelalter bis zum Beginn der Moderne. Hgg. von Jörg Jochen Berns, Helmut Neuhaus. Wien/Köln u.a. 2000 (Frühneuzeit-Studien NF 5); Gedächtnislehren und Gedächtniskünste in Antike und Frühmittelalter [5. Jahrhundert v. Chr. bis 9. Jahrhundert n. Chr.]. Dokumentsammlung mit Übersetzung, Kommentar und Nachwort. Hg. von Jörg Jochen Berns. Tübingen 2003 (Documenta Mnemonica I.1), insbesondere sein Vorwort. Vgl. oben S. 294.
373
6.3
Archive des Lebens: Sigmund von Birkens Tagebücher (1660–1679)
Im autobiographischen Schrifttum des 17. Jahrhunderts bilden die Tagebücher des Nürnberger Dichters Sigmund Betulius (1626–1681), ab 1654 von Birken genannt, zweifelsohne eine Ausnahme – dies nicht nur, weil er mit Unterbrechungen von 1660 bis 1679109 alle Arten von alltäglichen Begebenheiten sorgfältig aufzeichnete, sondern auch, weil diese Eintragungen privater Natur waren. In einer flüchtigen, teilweise schlechterdings unentzifferbaren Schrift notierte er akribisch Einnahmen und Ausgaben (darunter viele Ausgaben für Tabakkäufe)110 des täglichen Lebens sowie Eintragungen über Kirchgang, Beichte und Kommunion, Spaziergänge, Begegnungen und Gespräche mit Bekannten, Besuche, Mahlzeiten, Trinkereien und über seinen Verlagsvertrieb. Seine körperliche Gesundheit bildete einen wesentlichen Bestandteil seiner Notizen. Die Nacht tauchte darin häufig als die Zeit des Schmerzes auf. Oft litt er nachts unter Kopfschmerzen, Katarrhen, Schlaflosigkeit und gelegentlich unter Melancholie.111 Das Auffälligste bleibt dennoch Birkens Gewohnheit, Träume aufzuschreiben. Er berichtet von mehr als 50 Träumen, dem Stil der gesamten Tagebücher entsprechend knapp und nüchtern, zumeist auf Deutsch, seltener auf Latein, manchmal in einer Mischung beider Sprachen. Dabei handelt es sich sowohl um seine eigenen Träume als auch um diejenigen seiner Frau – dies zeugt auch von dem Brauch, seine Träume zumindest im Haus-
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Folgende Jahrgänge fehlen: Anfang 1661 bis Ende 1663, 1670 und 1674. Vgl. Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Hg. von Joachim Kröll. 2 Bde. Würzburg 1971 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VIII.5/6), Bd. 1, S. 7 (12. Mai 1660), 20 (19. Juli 1660), 34 (13. August 1660), 38 (4. September 1660), 43 (27. September 1660), 59 (31. Dezember 1660), usw. Diese Edition erregte Kritik von Seiten der Barockspezialisten. Ihre Einwände betreffen jedoch ausschließlich den kritischen Apparat, nicht die philologische Transkription der Handschrift. Vgl. Klaus Garber: Die Tagebücher Sigmund von Birkens, einige Erwägungen anläßlich ihrer Edition. In: Euphorion 68 (1974), S. 88–96; Hans-Erik Krummacher: Die Tagebücher des Sigmund von Birken. Zur Ausgabe und Kommentierung durch Joachim Kröll. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 112 (1983), S. 125–147. Vgl. auch Joachim Kröll: Sigmund von Birken, dargestellt aus seinen Tagebüchern. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 32 (1972), S. 111–150. Im Folgenden werde ich mich auf Krölls Edition sowie auf Birkens Handschrift beziehen. GNM N A: PBLO 2.1.1.-B.2.1.10: Birken Sigmund von, Tagebücher. Vgl. auswahlsweise Ebd., Bd. 1, S. 7 (9. Mai 1660), 20 (20. Juni 1660), Bd. 1, 39 (4. September 1660), Bd. 1, 136 (Oktober 1661), Bd. 1, 304 (28. Juli 1667), Bd. 1, Bd. 1, 361 (26. April 1668), Bd. 1, 366 (4. Mai 1668), Bd. 1, 484 (18. Juli 1669), Bd. 1, 494 (4. September 1669), Bd. 1, 494 (5. September 1669), Bd. 2, S. 2 (2. Januar 1671), 101 (4. März 1671), 188 (19. März 1673), 241 (30. September 1673), 255 (2. Dezember 1673), 335 (25. Februar 1676), 357 (4. und 5, 7. und 8. Dezember 1676), 361 (11.–12. und 16. Dezember 1676), 391 (29. Mai und 24. April 1677) 402 (8. August 1677), 406 (10. und 20. Juni 1677).
374 halt zu erzählen.112 Um die Wende von 1676 über 1677 zeichnet Birken einige Träume auf: [24. Dezember 1676] In dieser Nacht meiner Herzliebstin getraumet, wie sie mit andern Frauen beym Kindheben des H[eiligen] Christkindleins gewesen, es endlich auf den Arm genommen, u. mit ihm davon gefahren. Ach liebes Jesulein! Laß mir meinen Ehe Schatz, entführe mir sie nicht, oder laß mich kranken Simeon auch in Frieden mit abfahren. Um d[einer] Liebe Willen. Amen. […] [3. Januar 1677] Diese Nacht vom Sot sehr gelitten. Somn[ium] Bin auf die Canzel getretten zu predigen, aber nicht gekonnt: ita etiam Pastor Johannaeus. Somn[ium]. Man hat mir den Kopf abgehauen, den ich vorwarts auf ein Küßen gelegt.113
Hier handelt es sich nicht, wie bei Cardano, um eine außerordentliche Begabung und die eigene Karriere rechtfertigende Träume, sondern um Ängste und Frömmigkeit. Nach dem Traum, seine Frau könne die Welt verlassen, sah er im Schlaf seine religiöse Machtlosigkeit und seinen eigenen, gewaltsamen Tod.114 Diese Züge charakterisieren die gesamten Tagebücher. Deshalb gelten sie für »das vergleichbare autobiographische Schrifttum des 17. Jahrhunderts (als) außergewöhnlich.«115 Nun gilt Birken, der vom 18. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre hinein nahezu vergessen war, im Kontrast zu dem hohen Ansehen, das er zu Lebzeiten genoss, als der manieristische Barockdichter par excellence, der zwar die ›Natur‹ gesucht, sie jedoch unter allegorischen ›Schäfereien‹ entnaturalisiert hätte. Weiterhin wurde ihm vorgeworfen, er habe aufgrund seiner höfischen Servilität die pastorale und die heroische Tradition im Medium des Fürstenspiegels verschmolzen und nichts Authentisches vermittelt. Wie aber lassen sich Birkens Tagebücher und die darin enthaltenen Traumberichte interpretieren? 6.3.1
Schreiben, ordnen, sammeln
Das gedruckte Werk Birkens, darauf hat Klaus Garber bereits hingewiesen, ist von persönlichen Zügen durchdrungen. In seinen Vorreden bemüht er sich, die ausgewählte Gattung zu charakterisieren und zu legitimieren. Birken benutzt häufig die humanistische Lizenz, um Ort, Zeit und Umstände 112
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Birken schreibt offensichtlich »Somn[ium] de Ux[ore]« (beispielsweise Anfang 1665, Bd. 1, S. 153), wann er von seiner Frau träumt, und »Ux[oris] Somn[ium]«, wann er einen Traum seiner Frau berichtet (beispielsweise am 18. Februar 1669, Bd. 1, S. 445, oder am 1. Februar 1677, Bd. 2, S. 371). Die Tagebücher des Sigmund von Birken, S. 362–363. Das Wort »Küßen« bezeichnet ohne jegliche erotische Konnotation ein Kissen; der Traum weist auf eine Enthauptung hin. Inge Bernheiden: Individualität im 17. Jahrhundert. Studien zum autobiographischen Schrifttum. Frankfurt am Main/Bern u.a. 1988 (Literaturhistorische Untersuchungen 12), S. 255.
375 der Entstehung des Werkes fest- und Querverbindungen zu anderen eigenen Werken herzustellen. Angesichts der entscheidenden Rolle der großen höfischen Aufträge für Birkens Karriere und der Tatsache, dass viele Werke aufgrund ihres immensen Ausmaßes unvollendet blieben, boten diese Vorreden die Gelegenheit, das geplante Œuvre mit allen seinen Zweigen darzustellen und zusammenzufassen. Diese biographische Neigung lässt sich ebenso in Birkens Erstlingswerk, der Fortsetzung der Pegnitz-Schäferei (1645) als auch in seinen Prosaeklogen, Gelegenheitsgedichten und geistlichallegorischen Dramen feststellen.116 Offensichtlich hielt Birken sein Werk für den Sinn seines Lebens und sein Leben für die Grundlage seines Werks. Im Gegensatz zu den anderen Nürnberger Dichtern seiner Zeit, etwa dem promovierten Mediziner Johann Helwig oder dem Pfarrer in Kraftshof Martin Limburger, widmete Birken tatsächlich sein ganzes Leben der Schriftstellerei. Infolge der Opitzschen Reform, die mit der erstmaligen Veröffentlichung einer Poetik in deutscher Sprache im Jahre 1624 (das Buch der teutschen Poeterey) begonnen hatte, hoben die Literaten die Würde der Literatur und die Stellung des Schriftstellers in der Gesellschaft hervor. Zum ersten Mal machte Birken die Literatur zu seinem täglichen Geschäft. Dies war damals nicht zuletzt aus finanziellen Gründen nicht selbstverständlich. Birken genoss beträchtliche Vorteile und hatte eine entsprechend gute Ausgangslage. Als Sohn des Pfarrers Daniel Betulius gehörte er zur sozialen Trägerschicht des Großteils der damaligen Literatur. Als seine Familie aufgrund der Rekatholisierung Böhmens im Jahre 1629 in die Heimatstadt seiner Mutter nach Nürnberg ausgewandert war, knüpfte die Familie daraufhin zahlreiche Kontakte mit dem nach Nürnberg emigrierten Adel und mit dortigen Gelehrten, etwa den Dichtern Johann Michael Dilherr (1604–1669) und Georg Philipp Harsdörffer oder dem Drucker Wolfgang Endter dem Älteren (1612?-1659), später Michael Endter (1613/1644–1682). Die kurzfristigen Arbeitsaufträge als Erzieher von Patriziersöhnen oder als Korrektor und Berater in der Druckerei Endters sicherten dem mittellosen Schriftsteller keine ausreichenden Einkünfte. Deshalb nahm er im Herbst 1645 Harsdörffers Einladung an, im Dienst Herzog Augusts als Prinzenerzieher am Wolfenbütteler Hof tätig zu werden. Die dadurch gestifteten Verbindungen zum Welfenhaus fanden in der Guelfis (1669) einen späten Niederschlag. Nach zwei Wanderjahren in Norddeutschland kehrte Birken nach Nürnberg zurück. Die Friedensfeste zur Feier des Nürnberger Exekutionsrezesses im Juni und Juli 1650117 boten ihm Gelegenheit für seinen sozialen Aufstieg. Im 116
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Vgl. dazu Klaus Garber: Private literarische Gebrauchsformen im 17. Jahrhundert: Autobiographica und Korrespondenz Sigmund von Birkens. In: Briefe deutscher Barockautoren. Probleme ihrer Erfassung und Erschließung. Hg. von Hans-Henrik Krummacher. Hamburg 1978 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 6), S. 107–138, hier 112. Vgl. dazu Gantet (2001), S. 175–186.
376 Gegensatz zu seinem Kollegen Johann Klaj (1616–1656) verfasste Birken nicht nur Lobgedichte und Theaterstücke für die protestantische Partei, sondern auch für die kaiserliche Delegation unter Ottavio Piccolomini. Für Letztere führte er mit Nürnberger Schülern sein Friedensspiel Teutscher Kriegs Ab- und Friedens-Einzug auf. Infolge der Unterstützung einflussreicher Förderer aus dem niederösterreichischen Adel am Wiener Hof wurde er im Jahre 1654 in den Adelsstand erhoben und zum Hofpfalzgrafen ernannt – eine willkommene Einnahmequelle. Obwohl stark von kaiserlichen Aufträgen in Anspruch genommen – er verfasste insbesondere einen Ehrenspiegel für das Kaiserhaus –, ließ sich Birken nicht an eine Macht binden. Zeitgleich intensivierte er seine Kontakte mit dem lutherischen Fürstentum BrandenburgBayreuth. Die Vermittlung des niederösterreichischen Adels führte im Jahre 1658 zu seiner Aufnahme in die Fruchtbringende Gesellschaft. Seit 1644 war Birken bereits Mitglied der Deutschgesinnten Genossenschaft. Die Sprachgesellschaft, die maßgeblich zu Birkens Erfolg beitrug, war jedoch der Nürnberger Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz. Ab 1662 war er beinahe 20 Jahre lang dessen Präsident. Diese Dichtergesellschaft, die im Jahre 1644 von Georg Philipp Harsdörffer und Johann Klaj gegründet worden war, stagnierte in ihrer Bedeutung seit den späten 1640er Jahren. Birken nutzte deren Leitung strategisch, um seine persönlichen ehrgeizigen Pläne durchzuführen. Dabei erreichte er allerdings lediglich mäßige Erfolge. Das Ansehen des Nürnberger Hirten- und Blumenordens blieb gering. Er wurde weder vom Adel noch vom Patriziat und der Kaufmannschaft wirklich anerkannt; die von Birken geförderten Dichter waren in der Regel auch nur mittelmäßig. Ungeachtet dessen hatte Birken früh verstanden, dass die Reichsstadt allein die erhofften Aufträge nicht bieten konnte, und sich zielstrebig auf die Höfe ausgerichtet. Als »Literaturstratege«118 war er unaufhörlich planend, entwerfend, archivierend und zusammenfassend tätig. Jahrzehntelang verfasste er parallel Gedichtsammlungen unterschiedlichen Typs, dutzende Werkentwürfe und Abschnitte. Ständig verspürte er das Bedürfnis, das verstreute Material in bestimmte Gattungen und thematische oder dynastische Schriftenreihen zu ordnen. Da die Prinzipien seiner Klassifizierungen wechselten, musste er häufig den gesamten Stoff reorganisieren. Dafür brauchte er ein Tagebuch. Die Übermittlung der Tagebücher selbst zeugt von diesem Selbstbewusstsein und dieser Ordnungs- und Sammlungsfreude. In seinem Testament überließ Birken dem Pegnesischen Blumenorden seine gedruckten Werke und 118
Klaus Garber: Sigmund von Birken: Städtischer Ordenspräsident und höfischer Dichter. Historisch-soziologischer Umriß seiner Gestalt – Analyse seines Nachlasses und Prolegomenon zur Edition seines Werkes. In: Sprachgesellschaften, Sozietäten, Dichtergruppen. Hgg. von Martin Bircher, Ferdinand van Ingen. Hamburg 1978 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 7), S. 223–254, hier 230.
377 seinen gesamten handschriftlichen Nachlass – nicht nur Korrekturen und Varianten seiner gedruckten Werke, sondern auch seine gesamte Korrespondenz (ca. 1650 an Birken gerichtete und erhaltene, eigene Briefe) sowie sämtliche Konzepte und Werke autobiographischer Natur. Sein Archiv wurde im Jahre 1948 aus dem Stadtarchiv bzw. der Stadtbibliothek Nürnberg als Depositum in das Archiv und die Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums überführt. 6.3.2
Das Leben festhalten und deuten
Nichtsdestotrotz: Birkens drei autobiographische Werke zeigen ganz andere Züge als der Rest seines Œuvre. Birken verfasste zunächst eine Biographie in lateinischer Sprache, welche die Jahre 1626 bis 1656 umfasst.119 In diesem zumindest teilweise für die Publikation gedachten Werk stellte sich Birken als Mitglied einer alten Familie, deren Genealogie er anhand von Quellen exakt rekonstruierte, und vor allem als Literat bzw. als Dichter vor. Ausführlich listete er seine 27 ersten Schriften auf. Von Träumen war jedoch außer an einer einzigen Stelle keine Rede. In dieser Passage tauchte Birken ohne Überraschung in allegorisch-ländlicher Verkleidung im Zusammenhang mit der Definition der Realität und des Schlaf- bzw. Wachzustands auf.120 In einem ganz anderen Stil setzten die Konzepthefte oder Brieftagebücher und die Tagebücher das Bemühen Birkens um, sein Werk zu registrieren und sein Leben in der Schrift festzuhalten. Im Gegensatz zu der Autobiographie waren die Konzepthefte offensichtlich nur für den privaten Gebrauch bestimmt. In dieser im Januar 1653 begonnenen Art von Tagebuch – in dem er allerdings nicht täglich Eintragungen notierte – sammelte Birken in größter Unordnung erbauliche Betrachtungen, profane Reflexionen, Sprichwörter, gelungene Sentenzen, Einfälle und Kuriosa, vor allem jedoch Anekdoten und schwankhafte Geschichten, als habe er sich, der ars memoriae entsprechend, ein Reservoir von Gedanken, augenblicklichen Eindrücken, vielleicht auch 119
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Vgl. Sigmund von Birken: Prosapia, Biographia. Hgg. von Dietrich Jöns, Hartmut Laufhütte. Tübingen 1988 (Werke und Korrespondenz 14). »Doch allmählich erobert wieder der Schlummer die Glieder, die noch nicht genug geruht hatten. Ich habe mich dem Schlaf hingegeben, mögen die schweifenden Träume spielen! Und ohne Verzug – ich hab’s gewollt – fordert ein Hirtenpaar mit ganz trauergefärbter Miene mein trauertönendes Lied. […] Was spielst du mit mir, Amor? So sprach ich. Dein Name ist mir nicht liebenswert. Schick ruhig deine Scherze, deine Anstrengungen sind umsonst, Nacht, die du zu den eingebildeten, kalten Gaukelspielen des Morpheus rufst: wachend wird betrogen, so fahre ich fort, wer sich um Träume kümmert. Erinnere ich mich denn nicht? Doch: Es war Syrenus, ein ländlicher Sänger, ach, Syrenus war es. (Wachend habe ich Traumbilder gesehen. Wahres hat mir der Schlummer vorgegaukelt, wahr sind diese Traumbilder, wenn sie denn sind.) Und Sylvanus war es. Ach, Diana hat sie vergessen! Städtische Muse, leb wohl! Ländliche Musik, sei gegrüßt!« Ebd., S. 78; Kommentar auf Birkens Eidullion (1645), S. 25–27.
378 literarischen Stoffes schaffen wollen. Der stets auf sein Werk blickende Literat zeichnete darin vorwiegend besondere, eigenartige Vorkommnisse und insbesondere obszöne Details in einem knappen, frappierenden, umgangsprachlichen, oft sogar satirischen Stil auf.121 Im Laufe der Jahre vernachlässigte Birken die Tagesnotizen zugunsten seiner Korrespondenz, weshalb dieses Werk quasi zu einem Brieftagebuch wurde. Birkens Tagebuch war dagegen frei von jeglichem schwankhaften Stoff. Seit seinem (irrtümlicherweise auf den 25. März statt auf den 25. April datierten) 30. Geburtstag – dem damals häufig vermuteten Todesalter Christi – schrieb Birken in einer engen und häufig kaum lesbaren Schrift fast tägliche Notizen in seinen Tagebüchern nieder. Begegnungen und Austausch mit Kollegen und Verwandten sowie erbaulich-religiöse Gedanken notierte er sowohl auf Lateinisch als auch auf Deutsch. Das Vorangehen seines Werkes (oft vermerkte er, dass er an einem Tag eine Seite für ein bestimmtes Werk geschrieben hatte) und Tagesgeschäfte (Abrechnungen, Einkäufe und Ausgaben, Zinsen, Taschengeld für seine Frau) schrieb er fast nur auf Deutsch. Diese Eintragungen zeigten seine Ängste und einen trostlosen Alltag. Birken notierte auch sämtliche schlaflose Nächte, Kopfschmerzen, Erkältungen, »Herzenängste«, Streitigkeiten mit seiner Frau und die darauffolgende Schwermut.122 Obwohl die Emigration der Familie Betulius nach Nürnberg, als Sigmund drei Jahre alt war, ein Sprungbrett für dessen Karriere bedeutet hatte – dort fand er, wie oben schon angedeutet, in Dilherr und Harsdörffer einflussreiche Förderer und in Endters Buchdruckerei günstige verlegerische Bedingungen, Kontakte mit den adligen Emigranten und ein publizistische Wirkungsfeld – schilderte er in den Tagebüchern dennoch lediglich Religionsverfolgung und Flucht, wie beispielsweise in seinem Traum vom 9. Februar 1678.123 Die Angst vor dem eigenen Tod und demjenigen sei121 122
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Vgl. Garber: Private literarische Gebrauchsformen (1978), S. 115. Beispielsweise: Schlaflose Nächte: Oktober 1661, 28. Juli 1667, 4. April 1668, 4. und 5. September 1669, 2. Januar 1671, 4. März 1672, 10. März 1673, 30. September 1673, 8. Januar 1676, 4., 8., 9. und 12. Dezember 1676, 3., 10.–11. Januar 1677, 24. April 1677, 10. Juni 1677, 8. und 12. August 1677. In: Die Tagebücher des Sigmund von Birken, Bd. 1, S. 136, 304, 366, 494, Bd. 2, S. 2, 101, 188, 241, 305, 357, 361, 363, 371, 391, 402, 406. Kopfschmerzen: 9. Mai 1660, 20. Juni 1660, 28. April 1668, 18. Juli 1669, 4. März 1672, Nacht vom 29. Mai 1673, in: Ebd., Bd. 1, S. 7, 20, 361, 484, Bd. 2, S. 101, 391. Erkältungen: Oktober 1661, 9. Oktober 1665, 1. März 1669, 4. September 1669, 2. Dezember 1673, Februar 1675, 8. Januar 1676, 11. und 16. Dezember 1676, in: Ebd. Bd. 1, S. 136, 204, 447, 494, Bd. 2, S. 255, 268, 305, 361, 362. »Herzenangst«: 25. Juli 1676, in: Ebd. Bd. 2, S. 335. Streiten mit seiner Frau oder seiner Frau mit dem Haushalt: 10. und 13. August 1660, 18. und 20. September 1660, 16. Januar 1669, 13. Mai 1669, in: Ebd. Bd. 1, S. 33–34, 41, 424–425, 463. Darauffolgende Traurigkeit bzw. Schwermut: 9. September 1660, 9. Januar 1677, in: Ebd., Bd. 1, S. 39, Bd. 2, S. 371. »Somn[ium]. Ego cum Ux[ore] wegen Religionsverfolgung, Fluchtfärtig«, in: Ebd., Bd. 2, S. 438. Der Traum vom 9. April 1667 betraf ebenfalls die Emigration. Vgl. Ebd. Bd. 1, S. 286.
379 ner Frau bildete die Grundlage zahlreicher Träume. An Weihnachten 1676 zum Beispiel sah er seine Frau im Traum mit dem Christkindlein verschwinden.124 Birkens genaue Beachtung seiner eigenen Träume und derjenigen seiner Frau resultierte weniger aus mystischen Erfahrungen und dem Wunsch, die Zukunft vorherzusehen, als vielmehr aus seiner wahrgenommenen krankhaften und ängstlichen Verfassung. Wahrsagende Träume tauchen äußerst selten auf. Birken notierte die Daten unter Verwendung astrologischer Zeichen und maß auch den morgendlichen Träumen eine weitaus größere Bedeutung zu. Dies entsprach den damaligen Konventionen und der literarischen Überlieferung. Ein einziger Traum könnte vielleicht die Benutzung eines Traumbuches nachweisen: am 14. November 1677 träumte Birken von Würmen, die Wohlstand ankündigen sollten.125 Die anderen weissagenden Träume beziehen sich ausschließlich auf die private Beziehung zu seiner Frau. Vielleicht aus Scham berichtete er sie vorwiegend auf Latein: [12. Martius 1673] Somn[ium] Coitus cum Ux[ore] suavi[ssi]mus, cum voto, ach daß es doch ewig wärete. Praesagium gaudij coelestis, quia licitus cum Ux[ore] concubitum. [2. Decembr. 1677] Somnium, tripudium cum Ux[ore]. Begehung unsers EheJahrtags.« [23. Februar. 1678] Somn[ium] Ego in Ux[oris] Funus proditurus, et tr … si recte …, cum eô superstite collocutus. O Deus! Serva mihi eam.126
Eine eindeutige Ausdeutung seiner Träume wurde von Birken selten festgehalten. Einmal spielte er mit der Homophonie der Wörter – ein später bei Freud sehr beliebtes Verfahren – um eine Bedeutung nahezulegen. So in einem Traum vom 9. April 1667, in dem er mittels einer Assonanz zwischen dem Vornamen Mauritius und einem lateinischen Terminus auf den möglichen Tod seiner Frau hinwies: [9. Aprilis 1667] Somn[ium] matut[inum]. Als wir Zur Beicht giengen, liefe Ux[or] von mir Zu H[errn] Mauritio (mortuo) heulte, weinte u. klagte eine lange Klage wider mich, die man mich nachm[ittags] lesen liese. Ein Senator gabe ihr folgends, in meiner Praesenz eine Maulschelle, weil sie wider ihn geredt. Ich packte u. truge hierauf zusammen, Zu emigrieren. Ach Godt! Wann soll ich meines Jammers auf dieser Welt rein ende sehen. Ach spanne aus, liebster Godt, u. führe mich durch Tod aus Noht!127
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»[24. Decembr. 1676] In dieser Nacht meiner Herzliebstin getraumet, wie sie mit andern Frauen beym Kindheben des H[eiligen] Christkindleins gewesen, es endlich auf den Arm genommen, u. mit ihm davon gefahren. Ach liebes Jesulein! Laß mir meinen EheSchatz, entführe mir sie nicht, oder laß mich kranken Simeon auch in Frieden mit abfahren. Um d[einer] Liebe Willen. Amen«. Ebd. Bd. 2, S. 362. Birken träumte auch von Überwachung (25. April 1665), Folter (9. Oktober 1665), Enthauptung (12. Dezember 1666), Neid (22. August 1667) und Hunger (7. Januar 1668). Vgl. Ebd. Bd. 1, S. 178, 204, 260, 308, 331. »Somn[ium]. Es krochen braune Würmer aus etwas, davon man sagte, wenn das geschehe, würde man Gelde genug haben«, in: Ebd. Bd. 2, S. 427. Ebd. Bd. 2, S. 189, 430, 439. Ebd. Bd. 1, S. 286.
380 In der Regel jedoch enthielt er sich jeglicher Interpretation. Dabei spielte weniger die Furcht vor der Macht der Imagination eine Rolle als der Wille, sein Leben so nah wie möglich in der Schrift festzuhalten und zu deuten. Nicht selten besaßen Birkens Traumaufzeichnungen zudem eine gewisse Ambivalenz, wie im Folgenden: [1. Febr. 1677] Ux[oris] Somn[ium] Ux[oris] Wir gefahren, und oben an der Höhe Dornbüsche mit R[oten] Rosen und Kuöpfen gesehen.128
Nicht der Ehrgeiz also, seinen Ruf als begabter Schriftsteller für die Nachwelt zu sichern, sondern das Bestreben, seine eigenen augenblicklichen Besonderheiten als potentielles Reservoir künstlerischer Schaffung zu sammeln und ordnen, führte Birken zur Niederschrift seiner Träume. Er schenkte dem ambivalenten Zustand des Aufwachens dabei eine besondere Aufmerksamkeit. Er fühle sich manchmal schwermütig, spüre gelegentlich Schmerzen in allen seinen Gliedern.129 Auch in einem Traum sah er sich einmal aufwachen.130 Er berichtete ebenfalls zahlreiche erotische Träume ohne teuflische Konnotationen. Am 8. Dezember 1669 sah er zum Beispiel im Traum das blutige Öffnen seiner menschlichen Organe, die jedoch sogleich heilten, ohne dass er verdammt wäre.131 In seinem auf die Öffentlichkeit gerichteten literarischen Werk schlug Birken eine Analogie zwischen Imagination und literarischer Schöpfung vor. Unter dem Begriff der Einbildungskraft verstand er das rein technische Vermögen des Fingierens, das ihn in die Lage versetze, seine Erfindungen darzustellen, »als wenn er gegenwärtig alles sähe/ und als ob er alles selber thäte«132 , kurzum, eine Nachahmung der bildlichen Sprache der göttlichen Schöpfung. Wie »Gott selbst/ und sein Sohn unser Heiland/ […] auf Erden/ mit den Profeten und Aposteln durch Gleichniße und Sinnbilder geredet«133 hätten, überführe der Dichter seine Imagination in anschauliche Zeichen. Ebenso wie das göttliche Wort die Dinge durch ihre Benennung hervorge128 129 130 131
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Ebd. Bd. 2, S. 371. Ebd., Bd. 1, S. 331 (7. Januar 1668), 425 (17. Januar 1669). Ebd., Bd. 1, S. 345 (8. Oktober 1676). »[8. Decembr. 1669] Somn[ium] habe mir das vas testium geöffnet und viel Blut ausgelassen, doch sine damno sanit«, in: Ebd., Bd. 1, S. 516. Weitere erotische Träume: 30. Dezember 1666, 28. Januar 1667, 8. Mai 1667, 11. November 1672, 16.–17. Februar 1673, 12. und 24. März 1673, 18. Februar 1675, 15. September 1678, 2.–3. Jan. 1679, 20. und 27. Mai 1679, 6. Juni 1679. In: Ebd. Bd. 1, S. 263, 272, 292, Bd. 2, S. 157, 183, 189, 192, 269, 453, 456, 460. Parallele lassen sich mit Samuel Pepys’ Tagebüchern ziehen, obwohl die Niederschrift in diesen viel sorgfältiger als in Birkens trockenen Tagebüchern. Vgl. Samuel Pepys: Die geheimen Tagebücher. Hgg. von Volker Kriegel, Roger Willemsen. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Deggerich. Frankfurt am Main 2004. Sigmund Birken: Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst (1679). Hildesheim/New York 1973 (Faksimile-Neudruck), S. 186. Zitiert nach: Alt (2002), S. 388. Vgl. Ders., S. 88. Birken (1973/1679), S. 213. Zitiert nach: Alt (2002), S. 388.
381 bracht habe, schaffe der Literat neue Bedeutungen, indem er neue Verbindungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem erzeuge. Diese biblisch inspirierte Auffassung der literarischen Arbeit als mimesis war in Birkens autobiographischen Werken nicht zu erkennen. In den Tagebüchern hatten seine Aufzeichnungen eine ausschließlich memoriale, dagegen keine ästhetische Funktion.
6.4
Biblisch-leibgeistliche Träume im pietistischen Umfeld
Um die Wende des 17. zum 18. Jahruhundert nahm die Polemik gegen neue ›Enthusiasten‹ an Häufigkeit und Schärfe zu. Nach den englischen Quäkern,134 die Jakob Böhmes Schriften übersetzt und rezipiert hatten,135 bildete die innerlutherische Erneuerungsbewegung des Pietismus die Hydra der ›Rechtgläubigen‹. Mit den ersten Schwärmern des 16. Jahrhunderts hatten nämlich diese ›Pietisten‹ die spöttische Bezeichnung,136 die Hervorhebung des ›inneren Leben‹ und der ›lebendigen‹ Erkenntnis Gottes und die Beachtung der Wunder (nicht zuletzt der eigenen Bekehrung) gemein. Außerdem schätzten sie Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum, die zu einer Art Identitätszeichen wurden137 und teilten die Überzeugung, dass Gott 134
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Infolge der englischen Kontroversen um die Quäker-Bewegung verbreitete sich im Heiligen Römischen Reich den Fanatismus-Begriff, der wiederum gegen die Pietisten verwendet wurde. Zu den Quäkern und deren Beurteilung um die Mitte des 18. Jahrhunderts vgl. den Artikel »Quacker«. In: Zedler. Bd. 30. 1741, Sp. 8–10: »Quacker, ist eine bekannte fanatische und Enthusiastische Secte, welche 1649 in Engelland entstanden, und sich von dar [sic] sehr ausgebreitet hat. […] Die vornehmsten besonderen Lehren darunter sind: daß den Menschen von Natur ein innerliches Licht eingepflantzt worden, welches eine von der Vernunfft unterschiedene Substantz, ein Stück des göttlichen Wesens, und die eintzige Regel unserer Handlungen, und unsers Glaubens sey. […] Es ist also der Quackerismus ein rechter Inbegriff und Zusammenfluß aller Ketzereyen«. Das Werk Böhmes, das eine englische Übersetzung in den Jahren 1645 bis 1663 erfuhr, beeinflusste ausser den Quäkern zahlreiche Mystiker und Visionäre. Die Gruppen wurden abwertend ›English Behmemists‹ (englische Anhänger von Jacob Böhme) genannt. Vgl. von Greyerz (1990), S. 126. Die Worte ›Pietisten‹ und ›Pietismus‹ hatten ursprünglich vorwiegend eine spöttische Dimension. Sie tauchten vereinzelt um 1674 als Bezeichnung für die Anhänger Philipp Jakob Speners auf, verbreiteten sich zunächst in Süddeutschland und während der Leipziger Unruhen um Hermann August Francke ab 1689 in ganz Deutschland. Vgl. dazu Johannes Wallmann: Der Pietismus. Göttingen 2005 (UTB 2598), S. 22. Zur Verachtung der Pietisten, vgl. Valerio Marchetti: L’Orthodoxie luthérienne et le piétisme. In: Les Piétismes à l’âge classique. Crise, conversion, institutions. Hg. von Anne Lagny. Villeneuve-d’Ascq 2001 (Racines et modèles), S. 167–203, hier 169; Schings, S. 82. Dieses Werk erfuhr zwischen 1605 und 1740 123 Auflagen, die Imitatio Christi des Thomas von Kempen zwischen 1600 und 1740 744 Ausgaben. Vgl. Wolfgang Sommer: Johann Arndt und Joachim Lütkemann, zwei Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur in Niedersachsen. In: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 84 (1986), S. 124–144. Das Tagebuch des pietistischen
382 sich bestimmten Menschen durch Träume immer noch offenbaren könnte. Dabei spielte das Erscheinen der Unpartheiischen Kirchen- und Ketzerhistorie in den Jahren 1699–1700 von Gottfried Arnold (1666–1714) eine nicht unerhebliche Rolle. Darin entwarf Arnold eine pietistische Kirchengeschichte, die auf der Voraussetzung basierte, dass die Kirche seit der Antike sämtliche Heterodoxen und Schwärmer im Sinne eines theologischen Irrtums beurteilt, deren Gemütsverfassung hingegen niemals berücksichtigt hätte.138 Die Hervorhebung des Traums als Medium der Offenbarung war jedoch selten und wurde nur von radikalen Kreisen vertreten. Die theologische Fakultät der Universität Halle erklärte, dass Träume keine Grundlage der Lehre bilden sollten. Jedoch besaß der Traum für Pietisten einen gewissen Reiz. So bemerkte der Superintendent Jacob Friedrich Reimmann (1668–1743) in seiner Lebens-Beschreibung: Es sind etliche Traeume […] von GOtt gesand [sic] […] Es ist eine ausgemachte Sache, schreibt die Theologische Facultaet zu Halle, […] ob man gleich auf Traeume, sonderlich in Lehrsachen sich nicht gruenden soll; dennoch der liebe GOtt nach seiner Weisheit bey den Traeumen immerhin was Goettliches mit unterlaufen laesset, welches die Exempel des seligen Lutheri, Arndii und anderer beweisen. Dahero auch solche Traueume oder natuerliche Vorstellungen, die mit besonderm Nachdruck auf das Herze fallen, nicht zu verachten, oder in den Wind zu schlagen, sondern auf die Probe zu setzen, und zu einem guten Gebrauch anzuwenden.139
Reimmann war jedoch vorsichtig. Bezüglich der Vorhersehungskraft der Seele blieb er zurückhaltend: Es sey in den Menschen ein Vermoegen, kuenftige Dinge zu erkuendigen, es sey aber bis dato noch niemand gefunden, der die eigentliche Beschaffenheit derselben recht erklaeren koennen […]. Ich habe niemahls auf einen besondern Traum gebauet, aber denselben auch niemahlen verachtet. Und hatte die besonder Gabe sofort zu wissen, ob der Traum natuerlich oder goettlich sey, und was er bedeute.140
Einige radikale Pietisten bezogen sich erneut auf Joel 3:1–2, übersetzten eschatologische Schriften des 16. Jahrhunderts, edierten Schriften von
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thüringischen Böttchermeisters bezeugt, wie die Lektüre von Arndts Werk (das aufgrund seines Preises ausgeliehen werden musste) entscheidend sein könnte. Vgl. Hans Ludwig Nehrlich: Erlebnisse eines frommen Handwerkers im späten 17. Jahrhundert. Hg. von Rainer Lächele in Verbindung mit dem Archiv der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Tübingen 1997 (Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien 1), S. 95. Gottfried Arnold: Unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie vom Anfang des Neuen Testaments bis auf das Jahr Christi 1688, I. 1. 2., II. 3. 4. Hildesheim 1967; Fortsetzung und Erläutung oder dritter und vierdter Theil der Kirchen- und Ketzer-Historie bestehend in Beschreibung der noch übrigen Streitigkeiten im XVIIden Jahrhundert. Frankfurt am Main o. O. 1700. Vgl. dazu u.a. Marchetti (2001), S. 173–183; Sicco LehmannBrauns: Weisheit in der Weltgeschichte. Philosophiegeschichte zwischen Barock und Aufklärung. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 99). Jacob Friederich Reimmann: Eigene Lebens-Beschreibung, Oder Historische Nachricht von Sich Selbst, Nahmentlich von Seiner Person und Schriften … Braunschweig: Schroederische Buchhandlung. 1745, S. 99–101. Ebd., S. 101.
383 Schwärmern aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges neu oder bezogen sich sogar auf Enthusiasten des Konfessionalisierungszeitalters.141 Trotz ihrer relativen Seltenheit zogen Berichte über pietistische Visionäre und Träumer das Feuer der Kritik auf sich. Die polemische Aufmerksamkeit zahlreicher Zeitgenossen richtete sich vor allem auf die visionäre Einstellung und weniger auf die Suche nach der Praxis des evangelischen Ideals, auf die institutionalisierte Dimension der Bewegung in den Collegia Pietatis und auf die komplexen Verhältnisse (des Konflikts, des Nebeneinanderbestehens, der gegenseitigen Durchdringung) zwischen Pietisten und Landeskirchen. Im Brennpunkt der Auseinandersetzung standen insbesondere die chiliastischen Schriften des Theologen Johann Wilhelm Petersen (1649–1726) und seine im Jahre 1691 erschienene Veröffentlichung der millenarischen Visionen eines Mädchens, Rosamunda Juliane von Asseburg (1672 – nach 1708), die er für göttlich erklärte.142 Petersen war bereits Ende 1672 in 141
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Vgl. SLUB D: Msc. Dresd. N 44: deutsche Übersetzung um 1680 einer lateinischen Schrift von Paul Greber, »Sericum mundi filum sive Vaticinium mutatio, hoc est, Antichristi pontificis occidentalis, et Mahometi orientalis horribilis interitus atque ecclesiae Dei in tot terranum orbe ex septentrione per verbum et linguas laetissima restitutio …« aus dem Jahre 1574, die dem Pietisten Johann Wilhelm Petersen zugeschrieben wird und eine Ätiologie des Traums entwickelt. Die Visionen des Braunschweiger Tuchmachers Hans Engelbrecht aus den Jahre 1639 bis 1642 wurden in pietistischen Kreisen neu ediert. Sie wurden auch zitiert in: Friedrich Christoph Oetinger: Swedenborgs irdische und himmlische Philosophie. Hg. von Karl Chr. Eberhard Ehmann. Stuttgart: J. F. Steinkopf. 1977 (Sämtliche Schriften 2), S. 118–119. Zu Engelbrecht, vgl. Gantet: Hans Engelbrecht’s (1599–1642) ›miracles‹ [im Druck]. Oetinger bezog sich ausdrücklich auf Caspar von Schwendkfeld und Jakob Böhme. Das gesamte Werk Jakob Böhmes wurde 1682, mit Kupferstichen versehen, von Johann Gichtel in Amsterdam herausgegeben. Diese Veröffentlichung löste eine Kontroverse aus, an der sich Petersen, Rosamunda Julianes Vater und unterschiedliche Theologen (darunter Spener) beteiligten. An dieser Stelle kann ich nur einige der ausgetauschten Flugschriften zitieren: [Johann Wilhelm Petersen]: Send-Schreiben/ An einige Theologos und GOttes-Gelehrte/ Betreffend die F RAGE / Ob Gott nach der Auffahrt Christi nicht mehr heutiges Tages durch goettliche Erscheinung den Menschenkindern sich offenbahren wolle und sich dessen gantz begeben habe? … o. O. 1691; Achtzehen Theologische Fragen/ Die/ Wegen der neuen und unmittelbahren Offenbahrungen/ Und Erscheinungen/ In Statu controversiæ Zu beantworten vorgekommen. o. O. 1692; Kurtze Beantwortung/ Derer Achtzehen Theologischen Fragen/ Die/ Wegen der neuen und unmittelbahren Offenbahrungen und Erscheinungen/ Zu beantworten vorgekommen. o. O. 1692; Heinrich von der Asseburg: Vertheidigungs-Schrifft/ Der Christl. Warnung Hrn. M. Treuers/ Von Adl. Fraeul. Offenbarung … o. O. 1692; Christoph Heinrich Löber: I.F.N.A. Historische Erzehlung und Bedencken von etlichen Offenbarungen/ So vor Goettlich haben wollen gehalten werden … Rudolstadt 1692; Philipp Jacob Spener, Theologisches Bedencken ueber einige Puncten/ Nahmentlich: 1. Die geruehmte Offenbahrungen eines Adelichen Fraeulein … o. O. 1692; Johann Friedrich Mayer: P RÜFUNG des Geistes/ so sich durch ein Adeliches Fraeulein/ itzo offenbahren soll … Hamburg: Schultzischer Buchladen. [1692]; [Gerhard Walter Molanus]: Antwort-Schreiben/ Eines Vornehmen Beruehmten
384 Kontakt mit Philipp Jakob Spener (1635–1705) getreten, bevor er im Juni 1678 zum Pfarrer am Eutiner Hof und im Jahre 1688 Superintendent in Lüneburg wurde. Um 1679 begann er, über das Tausendjährige Reich am Ende der Welt vor der Wiederkehr Christi zu predigen, so dass er in den Verdacht von »Schwärmertum, Heterodoxie, Weigelianismus« geriet.143 Ab 1689 leugnete er unter dem Einfluss der Visionärin Adelheid Sibylla Schwartz, dass die Ära der göttlichen Offenbarung mit der Fixierung des biblischen Kanons geschlossen sei, und ab 1694 verbreitete er die auf die englische ›Träumerin‹ Jane Lead(e) zurückzuführende Lehre der allgemeinen Versöhnung.144 Im Anschluss an die Veröffentlichung der Visionen Rosamunda Juliane von Asseburgs erregten zahlreiche Visionärinnen – es handelte sich tatsächlich ausschließlich um Frauen und Mädchen – von Mitteldeutschland bis hinauf nach Lübeck die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Einige wurden durch pietistisch gesinnte Kleriker geschützt, so beispielsweise die Halberstädterinnen Catharina Reineke und Margarethe Jahn, die den nahen Untergang der Kirchen und des Staates ankündigten und vom Diakon Andreas Achilles, einem Freund August Hermann Franckes (1663–1727) unterstützt wurden; oder Anna Eva Jacobs und Magdalena Elricks in Quedlinburg, die die Zu-
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Theologi, und Hochwuerdigen Abtes/ In dem Hannoeverischen Fuerstenthum/ Auff das/ An einige Theologos und Gottes Gelehrte von einem Lueneburgischen Superintendenten abgelassene und publicirte Sende-Schreiben … o. O. 1692; Johann Winckler: Schrifftmaeßiges wohlgemeintes Bedencken ueber das Send-Schreiben an einige Theologos. Betreffend die Frage: Ob Gott nach der Auffahrt Christi nicht mehr heutiges Tages durch Goettliche Erscheinung den Menschen-Kindern sich offenbahren wolte? [Hamburg]: Gottfried Liebezeit. 1692; Nach genauer Untersuchung/ Abgefassetes/ End-Urtheil/ In Sachen wegen D. Johann Wilhelm Petersen … o. O. 1692. [Johann Wilhelm Petersen]: Copia Send-Schreibens/ Eines Academischen Freundes An Einen guten Freund in Magdeburg/ Den Chiliasmum/ Oder/ Das Tausend-jaehrige Reich/ S. Petersen betreffend. Basel: Michael Brodhagen. 1692. Johann Wilhelm Petersen: Untersuchung Der Gruende/ Die ein Prediger zu Essen/ Gegen den mittlern Zustand der Seelen nach dem Tode/ Und gegen die Wiederbringung aller Dinge herbeygebracht. o. O. 1705.; Ders.: Die schon für Gott geschehene Wiederbringung aller Dinge. Frankfurt am Main 1715. Deutsche Übersetzungen von Jane Lead(e)s Werken: Jane Lead: Offenbahrung/ Der Offenbahrungen; Vornemlich/ Als ein Muster und Probe/ Zur Sieben Siegel sieben Donner und eigentlicher Beschaffenheit und Zustands des Neuen Jerusalems … Amsterdam 11695; Dass. Amsterdam: R. und G. Wettstein. 21718; Dies.: Neue Offenbahrung der Fr. Jane Lead von Stepney am 6 Decembris 1695. o.O. 1696; Dies.: Der Himmlische Bottschaffter eines Allgemeinen Friedens … Amsterdam: Wetstein. 1698; Dies.: Der Aufgang zum Berge des Schauens … Amsterdam 1699; Dies.: Die Nun brechende und sich zertheilende Himmlische Wolcke. Amsterdam: Wetstein. 1700. Interessanterweise hatte Jane Lead einen Lebenslauf und ein Tagebuch geführt, die ebenfalls eine deutsche Übersetzung erfuhren: Jane Lead: Sechs Unschätzbare Durch Göttliche Offenbarung und Befehl ans Licht gebrachte Mystische Tractätlein …,. Amsterdam 1696; Dies.: Ein Garten-Brunn Gewässert durch die Ströhme der göttlichen Lustbarkeit … Oder Ein rechtes Diarium und ausführlich Tag-Verzeichnus alles desjenigen, was sich mit dieser theuren Autorin/ in Ihrem hohen Beruffe vom Jahre 1670 her zugetragen … 4 Bde. Amsterdam: Wetstein. 1697–1701.
385 stimmung des Hofpredigers Johann Heinrich Sprögel gefunden hatten.145 Die schriftliche Streitkultur, die sich um den Pietismus herum und im Pietismus selbst entwickelte,146 vermehrte sicherlich die Resonanz auf einige besonders spektakuläre Fälle, die Frauen oder sogar Mädchen betrafen. Inwiefern schlossen sich diese Geschehnisse an die Tradition des visionären Schwärmertums der Jahre 1560 bis 1650 an? An dieser Stelle wird anhand obrigkeitlicher Berichte und Pamphleten ein Beispiel kurz erläutert, ein in der Sekundärliteratur noch nicht behandelter Fall aus Württemberg,147 der zudem die Beteiligung der politischen Obrigkeit veranschaulicht. Christina Regina Bader, Tochter des Simmersfelder Pfarrers (verdankte sie ihren Vornamen der Tochter des schwedischen Königs Gustav Adolf?), war 1678 geboren worden und noch ledig, als in den Jahren 1698 und 1699 folgende Vorkommnisse eintraten. Die beteiligten Richter schilderten in einem anonym erschienenen Bericht, dass sie von »vielen Visionen/ Englischer fast taeglicher Gespraeche/ Traeumen/ Propheceyungen/ wie auch hefftigem Kampff mit dem Teuffel/ taeglicher in den Ohren schallender Wehe-Stimme/ und grausamen simulirten Fascinationen«148 betroffen sei, was sofort zahlreiche Gerüchte und Gespräche belebt habe. Die herbeiströmenden Zuschauer genössen diese Begebenheiten und zögen den Schluss, dass sie wahrscheinlich nicht unbedeutend seien. Reginas Vater erwähnte sie gegenüber dem Superintendenten und schrieb dazu, dass seine Tochter unermüdlich die Bibel und theologische Bücher las. Der Darstellung des Inhalts solcher Träume und Visionen ging der Bericht über die gesundheitliche Verfassung des Mädchens voraus. Sie sei immer schwach und kränklich gewesen, sei manchmal der Epilepsie und der Hysterie verfallen und habe seit langer Zeit keine Menstruation mehr, kurzum: sie sei melancholisch und habe eine verdorbene Einbildungskraft.149 Da Beweise für den krankhaften Zustand der Imagination Reginas fehlten, war die physiologische Diagnose vorsichtig. Der Bericht behandelte im Anschluss an diese Diagnose unterschiedliche Typen von Offenbarungen. Christina Regina habe zunächst in einem Traum aus dem Jahre 1693 ihre verstorbenen Geschwister in Form von Engeln gesehen, dann am 27. Dezember 1698 sei ihr während eines ungewöhnlich langen Schlafs eine Vision von einem En145 146 147
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Dazu vgl. Wallmann (2005), S. 114–115. Vgl. Gierl. Er wird auch in der erhellenden Habilitationsschrift von Ulrike Gleixner nicht erwähnt: Ulrike Gleixner: Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit, Württemberg 17.–19. Jahrhundert. Göttingen 2005 (Bürgertum NF. Studien zur Zivilgesellschaft 2). [Johann Wolfgang Jäger]: Larva mendaci angelo detracta. Das ist: Entdeckung des Lugenhafften Geistes des Satans/ wie er sich in einen Engel des Liechts verwandelt … Stuttgart: Melchior Gerhard Lorber. 1700, Fol. A 2 r°. Ebd., S. 5–6.
386 gel erschienen. Fünf weitere Visionen von Engeln, Blut, Sünden und Strafen, von der Dreieinigkeit, einem blutbefleckten Kelch, dem Niedergang der Städte und des Landes sowie von ihrem Ruhm folgten darauf. Am 1. Januar 1699 sah sie im Traum zuerst einen Kampf mit Satan, der sie mit zahlreichen Einwänden gegen ihren Glauben erschrak, dann Engel, die sie die Zukunft vorhersehen ließen. Schließlich vernahm sie einen Schwefelgeruch, der traditionell auf die Hölle hinwies. Diese Pfarrerstochter redete und schrieb, teilweise sogar auf Latein. Ihre Äußerungen waren spröde, sporadisch, durch Ohnmachtsanfälle unterbrochen. Sie sprach vorwiegend von und mit ihrem Leib. Der überlieferten Hexenliteratur entsprechend stieß zum Beispiel ihr Leib ein stumpfes Messer, zahlreiche Glasstücke und Nadeln aus.150 Angesichts der andauernden Unsicherheit bezüglich des natürlichen oder übernatürlichen Charakters der Träume und Visionen Christinas reiste der Herzog von Württemberg, der damals eine Kur in Göppingen machte, persönlich an. Die »Wahrheit«, die er ebenso wie die Kleriker sehen wollte, würde sich aus dem Verhalten Christinas und der Kohärenz ihrer Äußerungen ebenso wie derjenigen ihres Vaters erweisen. Dabei unterschieden die Kleriker im Hinblick auf den Wahrheitsstatus nicht zwischen Träumen und Visionen. Der Herzog übertrug den Fall schließlich der jährlichen Synode. Im Gericht erschien Christina vor dem Hofprediger eine weitere Vision von einem unsichtbaren Engel, der ihr ein Buch bringe. Dieses Buch, ebenso wie das stumpfe Messer, die Glasstücke und die Nadeln, seien eigentlich nicht aus ihrem Leib ausgestoßen, sondern, so der synodale Bericht, unter dem Kleid des Mädchens versteckt gewesen. Im Gefängnis wurde Christina 46 weiteren Verhören unterzogen, bevor sie schließlich ›erkannte‹, dass ihre Träume nichts anderes als Lügen seien.151 Sie wurde jedoch nicht als Hexerin bestraft. Da sie die Tochter eines Pfarrers war, da sie ihre ›Irrtümer‹ erklärt hatte und schon seit sieben Monaten inhaftiert war, wurde sie nur zu öffentlicher Reue, Haft und weiblichen Hausarbeiten (»zu Weiblichen Geschaefften angehalten«)152 verurteilt. Der Inhalt der Träume und Visionen Christinas entsprachen dem Reservoir von Bildern und Motiven der Schwärmer seit spätestens dem Dreißigjährigen Krieg, mit einer Anspielung auf die Hexerei (das stumpfe Messer, die Glasstücke und Nadeln) – dies vielleicht um das Mädchen leichter verurteilen und bestrafen zu können. Christinas Schicksal veranschaulicht, dass diese Indizien in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts immer noch zur Verfügung standen. Von pietistischen Motiven war keine Rede, bis auf die »Chiliastische Secte«, die insbesondere dem »Fraeulein von Assenburg« zugeschrieben wurde. Über Rosamunda Juliane von Asseburg wurde also die 150 151 152
Ebd., S. 6–13. Ebd., S. 14–26, Fol. )( r°-)()( v° (Verhör und Bekenntnis). Ebd., S. 25.
387 Visionärin implizit mit dem radikalen Pietismus des Johann Wilhelm Petersen in Verbindung gebracht. Der Bericht der Theologen band sie noch enger in die Tradition der Schwärmerei ein, indem sie mit dem berühmtesten Visionär der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Württenberg, dem Winzer Hans Keil, assoziiert wurde.153 Das von Christina während der Gerichtsverhandlung vor dem Hofprediger empfangene Buch war darüber hinaus der Glaubens-Kampff von »Fr. Petersen«.154 Es handelte sich dabei nicht um ein Werk von Johann Wilhelm Petersen, sondern um die im Jahre 1689 in Anhang zu einem Erbauungsbuch erschienene Autobiographie von »Frau Petersen«, Johanna Eleonora Petersen, geborene von und zu Merlau (1644–1724). Mit der Anspielung auf das Leben, von ihr selbst mit eigener Hand aufgesetzet, wurde Christina also nicht nur in die Tradition des württembergischen Schwärmertums, sondern auch in den weiblichen Chiliasmus im Umfeld von Petersen eingebunden. Der eigentliche Autor dieses Berichts, derjenige also, der ihn zu veröffentlichen und zu verbreiten beschloss, war Johann Wolfgang Jäger (1647– 1720), Superintendent im Stift Tübingen und zudem seit 1699 Mitglied des Stuttgarter Kirchenvorstands. Seit einigen Jahren hatte er seine einflussreichen Beziehungen mit dem württembergischen Hof benutzt, um jedwede mystische und separatistische Bewegung niederzuschlagen und die Verbreitung der Schriften der Quietisten und Pietisten Antoinette de Bourignon, Pierre Poiret, Jakob Böhme, Gottfried Arnold und Johann Wilhelm Petersen zu verhindern, ohne übrigens das Werk Speners miteinzubeziehen. Die Autobiographie Johanna Eleonora Petersens in den Händen der ungebildeten Christina Regina Bader war wahrscheinlich eine Erfindung Jägers, um sie eindeutig als Pietistin und Schwärmerin zu diskreditieren – ob die Angeklagte wirklich eine Pietistin war, ist übrigens nicht nachgewiesen. Diese Strategie verrät einiges über den Erfolg von Petersens Autobiographie sowie über die Furcht der Landeskirchen, dass Christina Bader eine weibliche prophetische Tradition auslösen oder bestärken könnte. Jägers Anliegen war schließlich, dass die Öffentlichkeit nicht »leichtgläubig« werde und die Visionen des Mädchens für ein Zeichen Gottes halte. Christina Regina Baders Geschichte zeigt letztlich, wie die herkömmliche Sprache der Besessenheit und der Schwärmerei im Kontext der Polemik gegen den Pietismus wieder-
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Ebd., S. 18. Zu Hans Keils Visionen zwischen Februar und April 1648, vgl. David Warren Sabean: A Prophet in the Thirty Years War: Penance as a Social Metaphor. In: Ders., Power in the Blood. Popular Culture and the Village Discourse in Early Modern Germany. Cambridge/London 1984, S. 61–93. Es wäre lohnenswert, diese Akten erneut zu sichten und zu erforschen, wie Hans Keil pathologisiert wurde und wie die Protagonisten die Grenze zwischen den natürlichen und übernatürlichen Bereichen bestimmten, d. h. nicht eine Mentalitäts- (wie David W. Sabean), sondern eine Wissenschaftshistorische Untersuchung dieses Falls zu entwickeln. Ebd., S. 17.
388 belebt wurde. In diesem Fall wurden dem Traum in keiner Weise neuen Bedeutungen zugewiesen. Die Bestimmung des Traums und der Vision als göttliche Offenbarungsmodi wurde vielmehr im Werk des bereits erwähnten Johann Wilhelm Petersens erneut betont. In seiner im Jahre 1717 erschienenen (und zwei Jahre später erneut aufgelegten) Lebens-Beschreibung schilderte er nach seinem religiösen »Durchbruch« aufgrund theologischer Gespräche im Spenerschen Kreis eine Reihe von theologischen apokalyptischen Visionen, die er erst in einem Anhang als göttliche Botschaften und Mysteria charakterisierte.155 Diese jedoch fungierten ausschließlich als Voraussage seines weltlichen Schicksals, d. h. der Feindschaft und Intrigen gegen ihn, oder als göttlich begründete Selbstverteidigung. Eine Analyse seiner inneren geistigen Verfassung, eine Psychologie des Glaubens, befand sich darin nicht. Freilich hat der Pietismus an sich keine Psychologierung des Traums vollzogen, sondern eher ältere Auffassungen und Verwendungen des TraumMotivs wiederbelebt und neu kombiniert. Jedoch schenkten zahlreiche Pietisten der Kontrolle des eigenen Glaubens- und Gnadenstandes (sie behielten nämlich die lutherische Rechtfertigungslehre) eine größere Aufmerksamkeit, da sie ihn der physiognomischen Tradition entsprechend anhand der von den Merkzeichen des Leibes enthüllten Zustände und Stimmungen der Seele bzw. des Gemüts ablasen. Es handelte sich nicht um eine Neubewertung der barocken ›Aufrichtigkeit‹, sondern häufig eher um eine Art religiöse simulatio156 – die Pietisten hoben ihre Traurigkeits-, Furcht- und Betrübnisgefühle hervor, versuchten gar einen Zustand der Zerknirschung und Demütigung zu erfahren, in dem die erniedrigte Seele der Gnadenerteilung würdig werden könne und schilderten vor allem ihr »pietistisches Ich«.157 Diese Suche nach Spuren der göttlichen Einwirkung im eigenen Leben die Niederschrift motivierte jedoch zahlreiche Schriften autobiographischer Natur. Ungeachtet der unterschiedlichen Nuancen von Bekehrungsschriften,
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Lebens-Beschreibung J OHANNIS W ILHELMI P ETERSEN , Der Heiligen Schrifft Doctoris, vormahls Professoris zu Rostock/ nachgehends Predigers in Hanover an St. Egidii Kirche/ darnach des Bischoffs in Lübeck Superintendentis und Hoff-Predigers endlich Superintendentis in Lüneburg … o. O. 21719, S. 343–367 (§ 68–74), Zitat S. 346. Vgl. dazu Günter Niggl: Zur Säkularisation der pietistischen Autobiographie im 18. Jahrhundert (1974). In: Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Hg. von Günter Niggl. Darmstadt 21998 (11988), S. 367–391, hier 377. Zur pietistischen ›Aufrichtigkeit‹, vgl. Claudia Benthien: Hypertrophie als Demut. Paradoxien der Codierung von Aufrichtigkeit in der Barockmystik. In: Die Kunst der Aufrichtigkeit, S. 93–108; Marie-Thérèse Mourey: Gibt es eine Aufrichtigkeit des Körpers? Zu den deutschen Tanzlehrbüchern des späten 17. Jahrhunderts. In: Ebd., S. 329–341. Nach dem Ausdruck von Ulrike Gleixner, insbesondere S. 119–391.
389 Lebensläufen, Autobiographien und Tagebücher158 wiesen sie alle auf die Selbsterkenntnis hin, so beispielsweise auch Johanna Eleonora Petersen in ihrer Autobiographie: Hingegen aber kan ich in Demuth meines Hertzens versichert seyn, daß noch viele hin und wieder im Leben sind, die mein Leben und Wandel von Jugend auf gesehen, und die Gnade Gottes an mir gepriesen haben. Was ich aber in meinem Büchlein gesetzet, das zielet auf gantz andere Dinge, und redet von dem verdorbenen Grunde des Hertzens, den man einsehen muß, so man Christum Jesum und sein heiliges Verdienst und die grosse Erlösung von unsern Sünden recht erkennen will. Denn wie will der, so den Zustand, darinnen der Mensch durch den Fall Adams gerathen, nicht weiß, den Heyland erkennen? Oder, wie kan er die Nothwendigkeit der theuren Erlösung glauben, wo er nicht die Noth gefühlet, darinnen wir gesteckt, ein jeglicher nach dem Maaß, als er Theil an Christo hat, oder als er nöthig hat zu seiner Selbst-Erkänntniß, und zur wahren Hertzens-Demuth, die aus der Selbst-Erkänntniß entstehet und gegründet wird. Ich dancke meinem Gott, daß er seine Gnade einen kleinen Augenblick vor mir verborgen, und mir mein Unvermögen zu allem Guten, und das verderbte Wesen des menschlichen Hertzens einsehen lassen …«159
In manchen pietistischen Selbstzeugnissen wurden autobiographische Erzählung, Selbstbeobachtung, Traumbericht und Selbsterkenntnis miteinander verflochten. Der somit aufgezeigte Weg zur Selbsterkenntnis wurde als Introspektion bestimmt, im Gegensatz zur Methode der Beobachtung und des Experiments, die gleichzeitig in der empirischen Psychologie des Christian Wolff (1679–1754) ihre Ausprägung fand und durch zahlreiche Fallstudien verbreitet wurde.160 Von nun an entwickelten sich mindestens zwei streng voneinander getrennte Diskurse über die Seele, ein literarischer, empathischer und theologischer, und ein akademischer, analytischer und deduktiver. Eine zweite Unterscheidung ist jene zwischen akademischer Untersuchung und pietistischer Verwendung des Traums. Seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts und noch mehr seit der Rezeption der zweiten Auflage des Essay Concerning Human Unterstanding (1694) von John Locke wurde die 158
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Eine Bekehrungsschrift konzentriert sich auf die Bekehrung, verstanden einerseits als eine persönliche Erfahrung Gottes in einem begnadeten Augenblick, andererseits als allgemeine Reformation des Lebens, Abkehr von der Welt und Hinwendung zum frommen Leben. Ein Lebenslauf ist ein erst anlässlich der eigenen Beerdigungsfeier vor versammelter Trauergemeinde zu eröffnender Text, in dem der Autor von dem Standpunkt post mortem, rückblickend, vorwiegend die für seine Familie relevanten Daten und Personen schildert. Eine Autobiographie geht sparsam mit den genauen Geschehnissen, Daten und Namensangaben um. Ein Tagebuch soll regelmäßig, täglich oder fast täglich, geführt werden und die Einzelheiten des Alltagslebens darlegen. Johanna Eleonora Petersen geb. von und zu Merlau: Leben, von ihr selbst mit eigener Hand aufgesetzet. Autobiographie. Hg. von Prisca Guglielmetti. Leipzig 2003 (Kleine Texte des Pietismus 8), § 3, S. 7–8. Im Sinne der Selbsterkenntnis, Vgl. auch Friedrich Christoph Oetinger: Selbstbiographie. Genealogie der reellen Gedanken eines Gottesgelehrten. Hg. von J. Roessle. Metzingen 1961, S. 76. Zu der rationalistisch-empirischen Psychologie Wolffs sowie den zahlreichen sensualistischen Fallstudien, vgl. Vidal (2006), S. 103–112, 144–150.
390 persönliche Identität psychisch charakterisiert, d. h. ›entkörpert‹ (was keineswegs gleichbedeutend mit ›entmaterialisiert‹ ist).161 Der Mensch wurde nicht mehr als Zusammenhang von Körper und Seele, sondern zunehmend durch seine Seele, gar sein Gehirn charakterisiert. Die meisten Wissenschaftler vertraten folgerichtig eine eklektische Definition des Traums, wie sie in Zedlers Lexikon exemplarisch dargelegt wurde: Der Artikel »Traum« (1745) definierte letzteren zuerst religiös (lutherisch-orthodox) als Produkt des Schlafes, der seinerseits eine Wirkung des Sündenfalls sei, dann physiologisch als »Unordnung der Vorstellungen« bzw. der Einbildungskraft, dann psychologisch »per associationem idearum«; die Seele wurde ihrerseits als »ein unsichtbares, einfaches und vernünfftig denckendes Wesen, und also mit Recht ein Geist« charakterisiert.162 Mit Herder beschäftigten sich die Wissenschaftler mit der »leibgeistlichen Menschheit«163 . Die große Mehrheit der Pietisten verachtete den Leib hingegen. Dementsprechend betrachteten sie die Imagination gelegentlich als Medium der Offenbarung angesichts ihrer leiblichen Komponente, öfters jedoch als mögliche Ursache einer Unordnung des Gemüts und Instanz einer sündhaften, gar teuflischen Versuchung. Die Imagination wurde erst spät und nur sehr vereinzelt als »bildende Kraft der Seele«,164 als Erkenntnismittel zur Veranschaulichung des rätselhaften Zusammenhangs zwischen Seele und Körper verstanden. Träume als leibgeistlicher Vorgang wurden vorwiegend von Gelehrten, die am Rande des pietistischen Spektrums standen und von der Aufwertung der Tagebücher jedoch beeinflusst waren, geschätzt und ›beobachtet‹.
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Locke charakterisierte die persönliche Identität als eine Kontinuität des Denkens und des Gedächtnisses im Buch 2. Kap. 27 seines »Essay«. Er verwandte die Begriffe Person (eine juristische Kategorie, jeden freihandelnden, deshalb verantwortlichen Menschen bezeichnend) und Selbst undifferenziert. Vgl. John Locke: Versuch vom Menschlichen Verstande. 2 Bde. Hg. von Konstantin Pollok. Chippenham 2004 (Locke in Germany: Early German Translations of John Locke 1709–1761 4–5) (Nachdruck der Ausgabe Albenburg 1757), Buch 2. Kapitel 27, »Von der Einerleyheit und Verschiedenheit«, Bd. 1, S. 332–355, insbesondere 353. Zu Lockes Bewusstseins- und Identitätsbegriff, vgl. Udo Thiel: Lockes Theorie der Personalen Identität. Bonn 1983; Ders.: Personal Identity. The Cambridge History of Seventeenth-Century Philosophy. Hgg. von Daniel Garber, M. Ayers. Cambridge 1998, S. 868–912; Étienne Balibar: John Locke. Identité et différence. L’invention de la conscience. Paris 1998; Edwin McCann: Locke’s Philosophy of Body. In: The Cambridge Companion to Locke. Hg. von Vere C. Chappell. Cambridge 1994; Nicholas Jolley: Leibniz and Locke. A Study of the New Essays on Human Understanding. Oxford/New York 1984, Kapitel 7. »Traum, Lat. Somnium, Insomnium, Frantz. Songe«. In: Zedler. Bd. 45. Leipzig/Halle 1745, Sp. 173–208, hier 173–182, Zitate Sp. 176, 179, 182. Vgl. unten S. 439–442 Ernst Bloch schrieb Herder diesen Ausdruck zu in: Ernst Bloch: Christian Thomasius, ein deutscher Gelehrter ohne Misere. Frankfurt am Main 1961 (11953) (Edition Suhrkamp 193), S. 44. Friedrich Christoph Oetinger: Biblisches und emblematisches Wörterbuch. Hg. von Gerhard Schäfer. Bd. 3. Berlin/New York 1999 (Texte zur Geschichte des Pietismus VII), S. 288, 393.
391 6.4.1
Neue göttliche Träume
Nicht alle Pietisten bezogen sich auf Träume. Bei dem Gründer der Bewegung, Philipp Jakob Spener, findet sich meines Wissens kein traumbezogener Eintrag. Francke stützte sich zwar zweimal auf Träume in seinen Lebensnachrichten, jedoch ausschließlich in einem konventionellen Sinne als Voraussage seines von Gott gewollten Rufs nach Erfurt.165 Denn die Pietisten, die es wagten, Träume zu erzählen bzw. aufzuzeichnen, verbreiteten auf ihrer Suche nach Spuren der göttlichen Einwirkung in ihrem Leben vorzugsweise göttliche Träume. Deshalb erfuhr die Thematik der discretio spirituum eine drastische neue Aktualität. Die Kategorie der natürlichen Träume verschwand aus den Selbstzeugnissen.166 Somit blieb die pietistische Einschätzung der Einbildungskraft unklar.167 Dies war nicht nur für prominente Figuren wie Francke, sondern auch für unbekannte Pietisten, die gerade aufgrund ihrer ›Einfachheit‹ göttliche Träume beanspruchten, charakteristisch. Der thüringische Böttchermeister Hans-Ludwig Nehrlich (1653 – nach 1722) berief sich auf seine Frömmigkeit, um die Niederschrift seiner Autobiographie zu rechtfertigen.168 Er lieh sich von seinem Bruder, einem Schulmeister, die Vier Bücher vom wahren Christenthumb aus und bat 1686 den Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg um eine Bibel, da sich in seinem Dorf nicht mehr als eine Bibel (außer der Bibel des Pfarrers) fand.169 Was ihn bei Arndt besonders faszinierte, war die Betonung der Wunder der Natur, die er entweder wörtlich170 165
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Lebensnachrichten über A. H. Francke, von ihm selbst zusammengestellt. In: Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s, enthaltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s. Hg. von G. Kramer. Halle 1861, S. 56–79, hier 78. Zitiert nach: Magdalene Maier-Petersen: Der »Fingerzeig Gottes« und die »Zeichen der Zeit«. Pietistische Religiosität auf dem Weg zu bürgerlicher Identitätsfindung, untersucht an Selbstzeugnissen von Spener, Francke und Oetinger. Stuttgart 1984 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 141), S. 225. Der Fall des Nürnbergers Johannes Tennhardt im Jahre 1709 ist das einzige von mir bekannte Beispiel eines natürlichen Traums in einem pietistischen Selbstzeugnis. Vgl. Schriften aus Gott, durch Johannes Tennhardt, Bürger in Nürnberg. Nunmehr, da ihre Zeit sich erfüllt, unter Dolmetschung der göttlichen Wahrzeichen darin wortgetreu wieder ausgegeben von Ludwig Hofacker im Jahre 1838. Grüningen: J. Wirz. 1894. Bd. 2, S. 13. Vgl. dazu Valerio Marchetti: Controllo e disciplinamento dell’immaginazione religiosa nella Chiesa evangelica tedesca. In: Disciplina dell’anima, disciplina del corpo e disciplina della società tra medioevo ed età moderna. Hg. von Paolo Prodi. Bologna 1993 (Annali dell’Istituto storico italo-germanico. Quaderno 40), S. 295–356. Eine Autobiographie schreiben wäre sowieso ein Zeichen des Atheismus: »… denn ich schämete mich solches zu erzelen, meine gedancken waren, möchten sie sagen, Vgl., wildu so ein frommer Man sein, da magst in deinen glauben wol ein ateist sein …« Nehrlich, S. 80. Ebd., S. 26–27, 29. »dieses wil ich itzo geistliger weise verstehen, wen er sagt die sonne gibt aller weld licht, ist wahr, den die nadürlige sönne erquicket und erwärmet die gantze weld, alle gewächße bäume und kreuter«, in: Ebd., S. 63.
392 oder »geistlicher weise«171 , d. h. analogisch oder metaphorisch verstand – er las Arndt ungeachtet der Tatsache, dass dieser immer noch unter dem Verdacht der Ketzerei und des »Schwarms« stand.172 Dieser schwermütige Mann, dessen Leben im Zeichen dreier »Lebensgefahren«173 stand, der schon in seiner Kindheit »oft schwermühtig gewesen, oft auch über böse treume aufgewacht«174 sei, zeichnete zwei besondere Träume auf, die er beide er als göttlich ansah. Den ersten empfing er, als er nach Erfurt zurückkehrte, wo er den pietistischen Prediger Joachim Justus Breithaupt gehört habe. Im Traum führte ihn jemand in eine dunkle Stube, wo unter einer Bank Kohle in Brand geriet. Dem klassischen Schema entsprechend erschrak Nehrlich im Traum, wachte auf und erzählte ihn aus Furcht vor einer Unglücksvoraussage gleich darauf seiner Frau. Sofort entwickelte er folgende Deutung: Joseph sprach zu dem obersten schencken, und becker, auslegen der treume gehöret Gott zu, so hab Ich auch meinem Gott überlaßen der am besten wuste, was dieser traum bedeuten wird, nur nach meiner Einfald habe ich recht von einen Göttlichen traum gehalden, und wil eine geistliche deutung draus machen, sind wir nicht arme und Elende menschen von der Erb und wirckligen sünde so sehr verderbet, das wir gleichsam kohlschwartz, […] eine glaubige seele, welche durch Gottes gnade den bußweg gangen, und im glauben Jesum geschmecket, die kan mit warheit singen …175
Der klassische Zusammenhang zwischen Verwunderung (admiratio) und göttlichem Ursprung wurde hier umgestürzt. Das Erschrecken fungierte als Signal einer Besonderheit, die über den Einschub der Gott allein zustehenden Traumauslegung (Gen. 40) und unter Bezugnahme auf die »Einfald« des Träumers eine religiöse Paraphrase entfaltete. Diese wiederum beschäftigte rückblickend die göttliche Bestimmung des Traums und damit auch die Frömmigkeit des Träumers. Der zweite Traum geschah in einem Kontext der beruflichen, privaten und konfessionellen Besorgnis, als er sich von seiner Frau vernachlässigt
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Ebd., S. 65. Ebd., S. 40–41: Die Einwohner versammelten sich bei ihm, um die »Vier Bücher vom wahren Christenthumb« zu lesen. Der Inspektor der Untergrafschaft Gleichen Johannes Quirinus Hedenus (1633–1712) habe gesagt, »das der selige Johann Arnd ein frommer Man und kein ketzer gewesen Man könde sein buch gar wol in kirchen und schulen lesen …« (nicht sosehr jedoch zu Hause). Er wurde bald verdächtig, ein »pietist« zu sein, »es were in Erffurth so beschaffen das alle 20 Jahre sich ein neuer schwarm da erhiebe« … »…das ist ein schwarm, wens irrige lehrer gibt, die allerley sonderlige und neue redensahrten vorgeben, und dergleichen, die sind itzund in Erffurt, habt ihrs nicht gehört, das Man zwey vornehme Bürger in Erffurht in verhaft genommen, die auch den schwarm zugedahn sind, die sollen verwisen werden und ihr seid so ein einfäldiger Man, und last euch so betöhren.« Nehrlich erzählte drei solcher »Lebensgefahren« während seiner Lehr- und Wanderzeit in: Ebd., S. 24–26. Ebd., S. 28. Ebd., S. 33.
393 fühlte und als ein neuer, orthodoxer Superintendent ernannt wurde. Gleich nach einem angespannten Gespräch mit dem orthodoxen Pfarrer ging Nehrlich »untter solchen vielen trubeln vor matt und midigkeit« schlafen und sah im Traum einen starken Mann vor seinem Bett, der ihm sagte: »fürchte dich nicht, den ich bin dein Gott, ich stärcke dich, ich erhalde dich, ich helffe dir auch durch die rechte hand meiner gerechtigkeit«. Darüber erschrak Nehrlich und wachte auf. Als er dem Traum nachsann, sei er »mit solcher liebligkeit in aller stille nach dem inwendigen menschen recht freudig« geworden, dass es sein »hertz mit vielen liedern, sprüchen und psalmen erfüllet« habe.176 Diesen auf einer Zusammenstellung biblischer Verse basierenden Traum erklärte er folgendermaßen: Ein Christlicher leser dem dieses zu lesen vorkömbt, der sol nicht meinen, als hielte ich sonderlich auf die träume, oder wolte meine sache mit trä[u]men bestärcken, Nein. aber doch gleich wol kan ich sie auch allerding nicht verwerffen, den haben wir nicht im alden und neuen testamend recht herlige exempel das sich Gott oft in treumen und gesichten hat offenbaret. […] hir bey habe ich auch zu beseufzen, das mir auch oft (wie Ich den mercklich gespirt) von Satan recht greulige und unflattige treume sind eingeraunet worden, und wen ich mich des tages über meinem beruff mit gebet verwahret, und auf guter huth gestanden, das ich mich vom Satan, der weld und meinen eigenen gedancken, und allen bösen plicken verwahren können, so ist des Satans geschwinde list gewesen, itzt schläft er, itzt kanst du ihm bey kommen mit solcher annehmliger lockung, und hat mir doch Gott in dieser grösten gefahr beybracht, diß ist Ja wider sein gebod, und bin erschrocken, ach ach, das doch dieses nur nicht wahr were, und als ich erwacht so ist es nichts anders als des Satans einraunen und schrecken [gewesen] …177
Das Interpretationsraster entsprach der Bestimmung des bedeutenden Traums im Luthertum seit dem 16. Jahrhundert, mit einer noch stärkeren Betonung der tröstenden und stärkenden Rolle der Psalmen.178 Diese ganz traditionelle Einschätzung des religiösen Traums beruhte jedoch auf einer neuen Anthropologie. Diese kann am Beispiel der Autobiographie des Nürnberger ›Enthusiasten‹ Johannes Tennhardt (1661–1720) untersucht werden. Dieser aus Sachsen stammende Bauernsohn erlernte das Handwerk des Perückenmachers. Er erhielt im Jahre 1688 das Nürnberger Bürgerrecht. Nach dem Tod seiner Frau im Jahre 1695 verstärkten sich seine Selbstzweifel derart, dass er seinen Beruf aufgab und in Armut verfiel. Im Jahre 1704 hatte er ein Berufungserlebnis. Ein Jahr später begann er, seine Träume und Visionen, meist in unregelmäßigen Reimen, aufzuzeichnen. Aufgrund seiner scharfen Kritik an der Orthodoxie und dem Nürnberger Kirchenamt wurde er im Winter 1709–1710 inhaftiert. Zahlreiche Schriften 176
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Alles Zitate in: Ebd., S. 60. Die Worte des Mannes stammen aus Jes 41:10 und die Psalmen, die er sang, aus dem Evangelischen Gesangbuch 275 »In dich hab ich gehoffet«. Ebd., S. 60–61. Zu dieser Funktion der Psalmen bereits im Dreißigjährigen Krieg, vgl. Patrice Veit: Musik und Frömmigkeit im Zeichen des Dreißigjährigen Krieges. In: Zwischen Alltag und Katastrophe, S. 507–529.
394 erschienen jedoch ab 1710, verlegt von einer kleinen Druckerei, vielleicht Idstein im Taunus.179 Obwohl er sich von den ›Inspirierten‹, die eine Separation von der etablierten Kirche verlangten, abgrenzte, vertrat Tennhardt eine marginale, radikale Stellung im Pietismus. Gemeinsam mit den meisten Pietisten hatte er jedoch das Streben nach einer Reinigung des Herzens als Sitz der Affekte und der »lebendigen Krafft«180 (hier hieß er wie seine Zeitgenossen die medizinischen Entdeckungen über die Rolle des Herzens im Kreislauf gut), nach dem »Saame von der neuen Geburth«181, weiterhin nach der Erleuchtung der oberen Seelenkräfte182 . Dieses Bestreben fand fast täglich in nächtlichen Träumen, Visionen und Stimmen Ausdruck – Tennhardts Autobiographie zählt über hundert solcher Träume und Visionen auf. Alle waren als göttlich bestimmt worden,183 sei es, dass Tennhardt eine Bitte Gottes vernahm,184 nachdem er wie zahlreiche Pietisten bei der Lektüre bestimmter Psalmen oder Verse eingeschlafen war und entsprechend im Traum biblische Stelle hörte,185 oder religiöse Objekte sah,186 wie das Neue Testament oder ein blutiges Cruzifix. Nicht selten tauchte im Traum der göttliche Befehl auf, all seine Träume und Visionen niederzuschreiben,187 was seiner Autobiographie eine willkommene Rechtfertigung verlieh. Tennhardt zog aus diesen Erlebnissen die Überzeugung, dass er auserwählt sei.188 Außerordentlicher Träume zeichneten sich zudem durch die Gefühlen des Erschreckens (im Herzen) und der Verwunderung (der Seele) bereits im Traum,189 und durch deren Ausdeutung entweder im Gebet beim Aufwachen oder noch im Traum aus.190 Die herkömmliche Bestimmung des göttlichen Traums als Voraussage künftiger Ereignisse tauchte hingegen nicht auf. 179
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Vgl. »Tennhardt, Johannes«. In: Zedler. Bd. 42, Sp. 868–891; Friedrich Braun: Johannes Tennhardt. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus. München 1934 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 17). Schriften aus Gott, durch Johannes Tennhardt. Bd. 1, S. 50. Dazu vgl. Marchetti (2001), S. 188–192. Schriften aus Gott, durch Johannes Tennhardt. Bd. 1, S. 50. »… sondern mein Herz zu reinigen von allen wissentlichen Sünden, damit mein Seelen-Bräutigam eine reine Wohnung haben möchte«, in: Ebd. Bd. 1, S. 92 – dies unter Bezugnahme auf Tauler. Bis auf einige »böse Träume« vor seiner Bekehrung: »Der Teuffel und andere unzüchtige Weibes-Bilder oder Hexen plagte mich auf abscheulicher weise, daß ich immer im Schlaffe auch zu kämpffen und zu streitten hatte, sowohl als wann ich wachte mit bösen Gedancken.« Erotische Träume scheinen verdrängter als dreißig Jahre früher. Vgl. Ebd. Bd. 1, S. 52. Ebd. Bd. 1, S. 111. Ebd. Bd. 1, S. 62–63. Ebd. Bd. 1, S. 57 und S. 119. Ebd. Bd. 1, S. 111, 157, 164, 158, 171. Ebd. Bd. 1, S. 171. Ebd. Bd. 1, S. 53. Ebd. Bd. 1, S. 93, 110.
395 Als Zeichen für die definitive Abgeschlossenheit der Episteme der divinatio war nun die göttliche Dimension der Seele nicht mehr mit einer voraussagenden Kraft verknüpft. Als Witwer sah Tennhardt im Traum einen schlecht gekleideten Mann, der ihn als guter Engel in die Kirche führte. Er dachte im Traum, dies könne ein Vorzeichen einer möglichen neuen Verheiratung sein. Im Traum verschwand jedoch diese Interpretation zugunsten der Betonung von Gottes Allmacht über die Zeit.191 Träume seien nur Zeichen und Medium der Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen, dem ganzen Menschen. Die Betonung des Zusammenwirkens von Seele und Körper war ein Novum. Träume fanden nicht mehr der aristotelischen Lehre gemäß in einem Zustand der Abschaltung der fünf äußeren Sinne statt. Im Gegenteil waren Träume nun äußerst sinnlich, so dass die Grenze zwischen Schlaf- und Wachzustand zuweilen verschwand.192 Tennhardt hörte weitere Stimmen »innerlich und äußerlich«193 An göttlichen Träumen war der ganze Mensch, Seele und Körper, beteiligt: Den 10. dito [1709] sah ich im Gesichte Feuer glimmen, da fragte ich: Herr, was soll dieß glimmende Feuer bedeuten, welches ich sehe? Da sprach der HErr: Mein Feuer glimmet in dir, darum stehe auff und schreibe, mein Geist soll mit und bei dir seyn. Als ich nun aufgestanden, so opfferte ich mich meinem GOtt gäntzlich auff, meine Sinnen, Glieder, Gedancken und Verstand zu gebrauchen nach seinem Willen und Wohlgefallen …
Die Sinne, genauer deren Veränderung, waren nun ein notwendiger Bestandteil der Traumaktivität. Denn sie richteten die Aufmerksamkeit auf die geistigen Prozesse194 – auf die »süsse[n] Empfindungen in meiner Seelen«195 – und lenkten die Selbstbeobachtung.196 Somit ermöglichten sie eine innere Heiligung: so werdet ihr nicht allein in das Paradies durch einen seeligen Tod eingehen, sondern es wird das Paradies oder Reich GOttes noch in dieser Zeit, aufgehen in euren Hertzen.197
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197
Ebd. Bd. 1, S. 170–171. So in dieser Textpassage: »Den 16. Nov. 1705. Darauf hörete ich im Schlaff wunderschön anfangen zu singen, von einem gantzen Chor mit mancherley schönen und süßen angenehmen Stimmen: ›Wachet auf, rufft uns die Stimme, der Wächter sehr hoch an der Zinnen. Wach auf! Du Stadt Jerusalem.‹ Als ich nun geschwind auffuhr zu sehen, wer um mein Bette eine so schöne Music anstimmte, so hörete ich eben wachend noch: ›Mitternacht heißt diese Stunde.‹ Und war auch die Mitternachtsstunde, und kam mir recht verwunderlich vor.« Ebd. Bd. 1, S. 113. Es handelt sich um den bekannten Choral von Philipp Nicolai. Ebd. Bd. 1, S. 92. Ebd. Bd. 1, S. 112. Ebd. Bd. 1, S. 63. So in dieser Stelle: »… so müste ich mich mit meinen Sinnen, Verstand, Gedächtniß und Willen zu ihm, als dem rechten Endzweck aller Dinge, wenden, und der stillen Sabbaths-Ruhe an ihn innigst gedencken«. Ebd. Bd. 2. S. 28. Ebd. Bd. 1, S. 90. Dementsprechend zeichnete Tennhardt zunehmende geistige Bilder ohne deren Status (Traum? Vision?) zu präzisieren, als ob Gott unmittelbar präsent wäre.
396 Den Spruch Joels interpretierte Tennhardt entsprechend im Sinne einer Ausgießung des Geistes »über alles Fleisch«.198 Die religiöse Selbstbeobachtung führte jedoch zu keiner Analyse der Seele oder deren Stimmungen. 6.4.2
Eine biblische ars memoriae: Traumberichte in Johanna Eleonora Petersens Autobiographie (1689)
Johanna Eleonora Petersen war keine unbekannte Pietistin.199 Zwei Besonderheiten begründeten ihren Ruf: dass sie als Frau ihre Autobiographie schrieb und dass sie sich darin auf Träume bezog. Trotz des unmittelbaren, dann historiographischen Echos des persönlichen Engagements zahlreicher Frauen im Pietismus und Speners Erklärung, dass auch Frauen das Pfarramt bekleiden könnten,200 war der Pietismus eine hauptsächlich männliche Bewegung. Die Pietisten förderten weibliche Ambitionen zum Pfarramt nicht, sondern betonten stattdessen nur ihre tiefe Frömmigkeit.201 Frauen wurden erst spät in pietistische Kreise aufgenommen. Es wurde ihnen kein generelles Rederecht eingeräumt. Nur in besonderen Räumen wurde ihnen Gehör geschenkt.202 Trotz der Verbreitung von 198 199
200
201
202
Ebd., Bd. 2, S. 9. Vgl. dazu Martin Schmidt: Biblisch-apokalyptische Frömmigkeit im pietistischen Adel. Johanna Eleonora Petersens Auslegung der Johannesapokalypse. In: Text, Wort, Glaube. Studien zur Überlieferung, Interpretation und Autorisierung biblischer Texte. Hg. von Martin Brecht. Berlin 1980 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 50), S. 344–358; Jeanine Blackwell: Herzensgespräche mit Gott. Bekenntnisse deutscher Pietistinnen im 17. und im 18. Jahrhundert. In: Deutsche Literatur von Frauen 1 (1988), S. 265–289, hier 279–283; Prisca Guglielmetti: Kommentar, Nachwort. In: Petersen geb. von und zu Merlau (2003), S. 49–114; Barbara Becker-Cantarino: Pietismus und Autobiographie. Das »Leben« der Johanna Eleonora Petersen (1644–1724). In: »Der Buchstab tödt, der Geist macht lebendig«. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-Gert Roloff von Freunden, Schülern und Kollegen. Hgg. von James Hardin, Jörg Jungmayr. Bern u.a. 1992, Bd. 2, S. 917–936; Dorothea von Mücke: Experience, Impartiality, and Authenticity in Confessional Discourse. In: New German Critique 79 (2000), S. 5–35. Philipp Jakob Spener: Das geistliche Priesterthum auß göttlichem Wort/ Kuertzlich beschrieben und mit einstimmenden Zeugnüssen gottseliger Lehrer bekräfftiget. Franckfurt: Zunner. 31687 (11677). Auf die Frage, ob »Christliche weibespersonen auch theil an solchen priesterlichen ämtern« haben, gab er eine affirmative Antwort. Er behauptete zudem, dass Frauen in nichtöffentlichen Zusammenkünften lehren dürften. Wie beispielsweise Christian Kortholt in seiner Vorrede zu Johanna Eleonora Petersens Werk »J. N. J. Hertzens-Gespräche mit G OTT …«. Dies wurde von Johann Heinrich Reitz in der Zuschricht zu seiner »Historie der Wiedergebohrnen« wörtlich übernommen: die besondere Frömmigkeit der Frauen ließ er aus deren »zärterem Affect […] von ihrem Gehorsam und Unterwuerffigkeit« ableiten: Johann Heinrich Reitz: Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698–1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auflagen. Hg. von Hans-Jürgen Schrader. Tübingen 1982 (Deutsche Neudrucke 65. Reihe Barock 29/1). Bd. 1 (Offenbach 1698), S. 5–6. Vgl. dazu Wallmann (2005), S. 78.
397 (stark stereotypischen) Kurzbiographien englischer Puritanerinnen, die ab den 1670er Jahren als Übersetzungsliteratur im Heiligen Römischen Reich kursierten,203 war es nicht üblich, dass Frauen zur Feder griffen. Autobiographien von Pietistinnen, die bereits zu ihren Lebzeiten erschienen, sind selten und meist anonym oder nur mit Initialen unterschrieben. Der »LebensLauff«204 von Johanna Eleonora Petersen bildet also eine bedeutende Ausnahme. Diese erklärt sich sofort durch das Standes- und Selbstbewusstsein der Autorin. Nie versäumte sie die Zugabe ihres Mädchennamens: »Gebohrnen von und zu Merlau« auf dem Titelblatt ihrer Werke zu verzeichnen. Sie stellte sich stets als gebildete und selbstsichere Frau dar. Jedoch konnte auch die Autobiographie einer adligen und gebildeten Frau, die zudem Gattin eines Superintendenten war, nicht als eigenständiges Werk erscheinen. Sie wurde erstmalig im Jahre 1689 (mit einer Vorrede von 1687 datiert) als Anhang eines Meditations- und Erbauungsbuches mit der Vorrede eines Theologen sowie ein weiteres Mal 1718 als Anhang zu der Autobiographie ihres Mannes veröffentlicht.205 In ihrer Autobiographie definierte sich die Verfasserin nicht primär als Autorin oder Frau, sondern als passive »Thäterin solcher [biblischen] Worte.«206 Diese göttlichen Gespräche nahm sie fast ausschließlich im Traum wahr. Sie waren also keine weiblichen, sondern göttliche Träume, die eben nur von einer Frau empfangen wurden. Johanna Eleonora Petersens Lebenslauf stand ihrer Autobiographie zufolge von vornherein unter dem Zeichen des Wunders. Bereits im ersten Satz rechtfertigte sie die Niederschrift ihrer Autobiographie mit ihrem wunderbaren Verhältnis zu Gott: Damit du, geliebter Leser, wissen mögest, wie wunderbahr mich der Höchste von Jugend auf geführet, und durch so mancherley Gelegenheit zu sich gezogen, als habe meinen Lebens-Lauff nur mit kurtzem hiebey fügen wollen …207
Das Adjektiv »wunderbahr«208 charakterisierte entweder Gott oder Petersens Beziehung zu Gott. Mittels einer außergewöhnlichen praxis pietatis übertrug 203
204
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207 208
Zur Rezeption des Werks von Jane Lead(e), vgl. oben S. 384 Anm. 144 und unten S. 400 Anm. 222. nach ihrem Ausdruck. Vgl. Petersen geb. von und zu Merlau (2003), S. 5. Ihrem Gebrauch folgend werde ich in diesem Absatz Autobiographie und Lebenslauf als Synonym verwenden. Dies rechtfertigt völlig Hans-Jürgen Schraders Kategorisierung solcher Autobiographien als Erbauungsliteratur. Vgl. dazu Hans-Jürgen Schrader: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus. Johann Heinrich Reitz’ »Historie Der Wiedergebohrnen« und ihr geschichtlicher Kontext. Göttingen 1989 (Palaestra 283), S. 27. Ebd., S. 6. Zu dieser Rhetorik der bewußten Zurückhaltung vgl. Peter-André Alt: Reinigung des Stils oder geistlicher Manierismus. Zur pietistischen Bildsprache. In: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. Hg. von Dieter Breuer. Bd. 2. Wiesbaden 1995, S. 563–577. Petersen geb. von und zu Merlau (2003), S. 5. Ebd., S. 5, 19, 25. »Wunder«: Ebd., S. 21.
398 sich Gottes Eigenschaft (das Wunderbare) auf die fromme Frau. Dementsprechend empfand diese ein Gefühl der Verwunderung, als sie die Sicherheit einer göttlichen Kommunikation bzw. ›göttliche Träume‹ wahrnahm.209 Johanna Eleonora Petersens Welt entsprach der Epistemologie der Verwunderung der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wie zahlreiche Autobiographien begann auch Petersens Schrift mit der Erwähnung einer Gefahr und ihrer Überwindung.210 Selbstsicher wies sie die Vorwürfe der Melancholie, einer teuflischen Besessenheit und eines Wahns im Namen der »Wahrheit«211 ihrer göttlichen Kommunikation, ihrer eigenen »Einfalt«212 und ihres persönlichen »Gewissens«213 grundsätzlich zurück.214 Auf den 44 Seiten ihrer Autobiographie berichtete Petersen sechs eigene Träume, alle göttlichen Ursprungs. Sie erwähnte anfangs nur vage und pauschal, dass sie Erquickung »bald im Schlaffe durch göttliche Träume« fand, als sie bei der Lektüre der Bibel einschlief und später erwachte.215 Mit dem Bericht über die Begegnung mit Spener und Schütz vermehrten sich auch die Traumberichte. Von nun an wurden sie ausführlich geschildert und als eindeutig göttlich bestimmt. In einigen Träumen begegnete Petersen biblischen Figuren oder sie identifizierte sich mit diesen. Die lutherische Rechtfertigungslehre (aus dem Römerbrief 13) habe sie über einen Traum kennengelernt, in dem sie Paulus sah und auf einer grünen Wiese bis zu einem Baum folgte, wo ihr ein Engel einen Kelch voller Wein reichte. Beim Aufwachen fand sie ihr Herz »davon recht […] erquicket«, und als sie die Epistel an die Römer las, verstand sie, dass der Traum Gottes Gnade veranschaulicht habe.216 Ferner identifizierte sie sich mit Augustinus, als dieser nach einer spätmittelalterlichen Überlieferung von einem das Meer in ein Loch einfüllenden Knaben träumte, woraus er den Schluss zog, dass ein Traktat über die Dreieinigkeit die Aufgabe eines Demiurgs sei.217 Weitere Träume bezogen sich auf eine dringende Gefährdung der Kirche und auf ihre eigene Rolle in
209 210 211 212 213 214
215 216 217
Ebd., S. 18, 28 (zweimal). »Verwundert«: Ebd., S. 28. Ebd., S. 14–15. Ebd., S. 8, 43, 45. Ebd., S. 6, 27. Ebd., S. 19, 23, 24, usw. Ebd., S. 24: »Als dieses geschehen, sagten sie es den Hertzog, der war mit meinem Vornehmen nicht zufrieden, meynete, daß Melancholey wäre und kriegte mich hart vor, sprechende, es wäre vom Teuffel, ich wäre eine solche junge Dame, die bey Hohen und Niedern beliebt wäre, und wolte mich nun in solche Verachtung stürtzen, daß man mich vor eine Thörin halten würde, was die Meinen dazu sagen wolten? Jch antwortete aber gantz getrost, daß mein Vornehmen nicht nach eigenen Gutdüncken vorgenommen wäre, sondern nach dem Wort meines Heylandes, der die Wahrheit wäre«. Ebd., § 15, S. 17. Ebd., § 34, S. 38–39. Zitat S. 38. Ebd., § 37, S. 46. Es handelt sich dabei um eine literarische Überlieferung, die zum ersten Mal im Jahre 1493 in der Sammlung des Petrus de Natalibus nachgewiesen ist.
399 deren Errettung. Der biblische Charakter dieser Träume war offensichtlich, da biblische Verse den Stoff solcher Träume lieferten. So bewirkte bereits in ihrer Kindheit ein Psalm einen Traum und anschließend eine Vision: … als ich nun im Schlaff kam, träumete mir der Spruch Psal. 14. Der Herr schauet vom Himmel auf die Menschen-Kinder usw. womit ich erwachete, und als ich schon wachete, kam mirs vor, als ob ein grosser Sturm-Wind käme, und das Schiff umdrehete, da erschrack ich, und dachte, du wachest ja, wie ist dir denn zu Muthe? …218
Im Anschluss an den Psalm 14,2 (»Der Herr schauet vom Himmel auf die Menschen-Kinder«) wird die Metapher des sinkenden Schiffs der Kirche und dessen Rettung durch die Erzählerin entwickelt, die sich als eine Art neue alttestamentarische Prophetin (vgl. Jer 1:9 und Ez 3:27) stilisierte: Da that Gott mein Mund auf, daß ich ihnen zeigete, was vor Angst die Gefahr des Todes machen könte, und wie sie zuvor den Namen Christi unnützlich geführet …219
Die folgende Schilderung der Kirchenrettung entfaltet eine Paraphrase weiterer alttestamentarischer Verse. Die biblische Durchdringung erreicht ihren Höhepunkt im letzten berichteten Traum, der im Jahre 1685 geträumt wurde. Sie sah sich in einem Haus gefangen, in dem sich 24 rätselhafte, jedoch höchst bedeutende Bilder frei bewegten: 12 gingen herunter, 12 hinauf. Bereits im Schlaf habe sie deren wichtigen Inhalt vergessen, bis auf denjenigen des letzten Bildes, das eine Nachtigal darstellte. Als sie deren Stimme vernahm, öffnete sich eine Tür, worauf sie aufwachte. Sie deutete diesen Traum wie folgt: Jch habe es einiger massen, was die vielen Bilder belanget, darauf gedeutet, daß meinem lieben Mann und mir, noch in demselbigen Jahre, das Geheimniß von dem Reiche aufgeschlossen, darüber wir vieles haben leyden und tieff in Demuth hinabsteigen müssen, und auch mit unsern Vertrauen in die Höhe zu dem HErrn hinaufsteigen müssen, der uns in allen Trübsalen gnädiglich beygestanden.220
Der Traum veranschaulichte nicht nur Johanna Eleonora Petersen als Sprachrohr Gottes, sondern auch die theologischen Überlegungen ihres Mannes als prophetisch bzw. biblisch verankert. Dem warnenden Ton zufolge kündigten einige Träume zukünftige Ereignisse an. 1662 sah sie im Traum die goldenen Ziffern ›1685‹ im Himmel; ein Mann sagte ihr, dass zu diesem Zeitpunkt »grosse Dinge« vorkommen würden und ihr »etwas eröffnet werden« würde. Ihr Mann berichtete 1717 in seiner Lebensbeschreibung denselben Traum.221 Im Jahre 1685 interpretierte sie den Traum retrospektiv als Voraussage der Aufhebung des Edikts von Nantes und des Anfangs des Milleniums. Dieser auf unterschiedlichen Apo-
218 219 220 221
Ebd., § 24, S. 28. Ebd., § 24, S. 28. Ebd., § 38, S. 48. Lebens-Beschreibung Johannis Wilhelmi Petersen … o. O. 21719 (1717), S. 74.
400 kalypseversen (Apk 1:16–20, 12:1, 20:3–7, 12:17) sowie auf Reminiszenzen aus Jane Leades Werken beruhende Traum endete mit einer Rechtfertigung des Traums als Medium der Offenbarung.222 Im Jahre 1664 wurde ihr im Traum ein »andere[s] Geheimniß« eröffnet, nämlich »die noch künfftige Bekehrung der Juden und Heyden«. Sie sah sich in einem von den 12 Aposteln getragenen Haus. Jeder Apostel spielte Musik, was ihr Herz erfreute. Das Dach des Hauses öffnete sich und sie wurde mit ihrem Körper in die Wolken getragen, worauf sie fünf Sonnen im Himmel erblickte. Im Traum interpretierte die drei ersten Sonnen als die drei christlichen (somit gleichrangigen und -wertigen) Konfessionen und die zwei weiteren als Zeichen der Bekehrung der Juden und Heiden. Dass sie den Traum unterschiedlichen Theologen berichtete und diese ihrer Deutung zustimmten, überzeugte sie weiter von dessen göttlicher Dimension.223 Der göttliche Charakter eines Traums resultierte also ganz konventionell aus seinem biblischen Stoff, aus dem Gefühl der Verwunderung und aus der übereinstimmenden Meinung mehrerer Personen. Ebenfalls traditionell waren seine allgemeine und persönlichweissagende Komponente sowie der Wille, ihn aufzuschreiben, damit er der Vergessenheit entkomme. Petersens Bezug zur mystischen Literatur ist ungeklärt. Ihre Hauptlektüren waren die Bibel (sie hatte sogar einige Hebräischkenntnisse) und zeitgenössische Erbauungsliteratur deutscher, englischer und holländischer Herkunft.224 Nicht einmal auf Tauler oder Johann Arndt bezog sie sich. In ihrem Traum von 1664 fuhr sie mit ihrem »Leib«225 in die Wolken auf. Im Jahre 1662 hatte sie den Eindruck gehabt, dass ihr »alle Sinnen weggiengen« und sie mit ihrem »Geist in die Vollendung aller Ding gesetzt« worden sei.226 Manchmal nehme sie Verse aus der Apokalypse in ihre leiblichen Augen und in ihr Herz auf, wo sich jene tief einprägten. Vom Herzen, wo die biblischen Passagen »lebendig« würden, seien sie in ihr »Gemüth« eingetreten und hätten daraufhin Verwunderung erzeugt.227 Manchmal betraf der Traum aus222
223 224
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226 227
Petersen geb. von und zu Merlau (2003), § 35, S. 40–41. Zu Jane Leade, vgl. oben S. 384 Anm. 144 und 397. Ebd., § 33, S. 37–38. Petersen war in brieflichem Kontakt mit der Holländerin Anna Maria van Schurman (1607–1678) und mit Jane Lead(e). Petersen geb. von und zu Merlau (2003), § 33, S. 37. Diese Teilhabe des »Leibes« am mystischen Traum könnte aus einer allgemein Besorgnis um den Leib resultieren. Vgl. dazu die detaillierte und erhellende Untersuchung von Gudrun Piller: Private Körper. Spuren des Leibes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. Köln u.a. 2007 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 17); Dies: Der jugendliche Männerkörper. Das Jugendtagebuch Johann Rudolph Hubers 1783/1784 als Medium der Selbstkontrolle. In: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich, S. 213–320; Dies: Private Körper. Schreiben über den Körper in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts. In: Selbstzeugnisse in der Frühen Neuzeit, S. 45–60. Alle Zitate in: Petersen geb. von und zu Merlau (2003), § 36, S. 41–42. Ebd., § 35, S. 39.
401 schließlich das Herz, das »mit dem Lichte Gottes gantz durchdrungen worden«228 sei. Allgemein scheint Petersen die herkömmliche ars memoriae in einem biblischen Sinne wiederbelebt zu haben. Nach der Offenbarung des Milleniums im Jahre 1685 erkannte sie in einer Vision Verse aus der Apokalypse. Nach ihrem Gebet wollte sie sie aufschreiben. Ich nahm einen Bogen Papier, und schrieb die Oerter auf, so damit harmonisierten, was ich in Apocalypsi fand, denckende, es möchte mir wieder entfallen …229
Somit schuf sie sich ein Reservoir von göttlichen Gedanken, aus dem sie bei Gelegenheit stets von Neuem schöpfen konnte. Es ist daher kein Zufall, dass sie ständig von biblischen »Orten« statt »Stellen« oder »Versen« sprach. Erst nach dem Einsetzen biblischer ›Örter‹ bzw. loci in Körperglieder, vorzugsweise im Herzen, war die Bibel lebendig im Menschen bzw. wurde zum Lebensprinzip: Als ich aber nach einiger Zeit nicht mehr daran gedachte, wurde mir der Ort Mich. 5, 3. so lebendig in meinem Herzen, daß Ich nicht sagen kan …230
6.4.3
Selbstbeobachtungen eines Kranken: Adam Bernds Eigene Lebens-Beschreibung (1738)
Der Magister Adam Bernd (1676–1748) war wie Johannes Tennhardt, auf den er sich expressis verbis bezog,231 ein Einzelgänger. Er kam aus dem habsburgischen, jedoch von protestantischen Fürsten regierten Schlesien, genauer aus dessen lutherischer Hauptstadt Breslau, in der die Jesuiten zunehmend Kirchen, Gymnasien und Theater errichteten. Er nannte seine Mutter eine »eifrige Lutheranerin, und dem Leben nach eine rechte Pietistin, obwohl dieser Name damals noch nicht bekannt war«, sein Vater hingegen »ein 228
229 230 231
Petersen geb. von und zu Merlau (2003), § 35, S. 40. Zum Vokabular des göttlichen Eindringens in die Seele, vgl. August Langen: Der Wortschatz des deutschen Pietismus. Tübingen 1968, S. 93–106. Luther hatte betont, dass die Ohren das göttliche Wort vernähmen, das Herz es glaube. Vgl. Luther: Werke WA. Bd. XIII, S. 308. In der Apologie des Augsburger Bekenntnisses charakterisierte Melanchthon den Glauben als ein motus cordis, der aus der Kenntnis im Herzen des Wortes entstehe. Vgl. dazu Valerio Marchetti: Gv 4, 23–24 nell’Apologia melantoniana della Confessione d’Augusta. In: In spirito e verità. Letture di Giovanni 4,23–24. Hg. von Pier Cesare Bori. Bologna 1996 (Epifania della parola. Nuova serie 6), S. 163–175. Die Pietisten behaupteten, dass sie durch die Hervorhebung des Herzens die Tradition der protestantischen Gründer erneuerten. Viel weniger als Luther und Melanchthon unterstrichen sie jedoch die Rolle der Bibel und der Predigt. Sämtliche mystische Bewegungen des 17. und 18. Jahrhunderts betonten sie ebenfalls das Herz als ›Ort‹ der Kommunikation mit Gott. Hier bestätigt sich noch die These einer Beeinflussung des Schwärmertums bzw. des Pietismus durch allgemeine mystische Bewegungen. In diesem Sinne, vgl. Marchetti (2001), S. 189–197. Petersen geb. von und zu Merlau (2003), § 35, S. 40. Ebd., § 37, S. 46. Adam Bernd: Eigene Lebensbeschreibung. Hg. von Volker Hoffmann. München 1973, S. 100.
402 vollkommener Indifferentiste«.232 Mit den Pietisten teilte er den anthropologischen Pessimismus, die Überzeugung von den unauslöschbaren Folgen des Sündenfalls, die Kritik an der lutherischen Orthodoxie sowie allgemein an der Konfessionalisierung der Kirchen, die Suche nach einer theologia experimentalis und die Erfahrung einer »Wiedergeburt«,233 jedoch nicht den Bußkampf. Er bezog sich vorwiegend – im Laufe der Zeit allerdings immer weniger – auf pietistische Autoren wie Joachim Lange, den Gegner Wolffs. In seiner Autobiographie übernahm er von ihnen die Form der »eigenen Lebens-Beschreibung«, suchte jedoch offensichtlich einen gewissen Abstand.234 Vehement kritisierte er diejenigen, die »in dem Wahn gestärket [waren], daß ich der Hällischen Partei zugetan wäre«.235 In seiner Lebensbeschreibung schilderte er zwanzig Träume. Diese besaßen zwei konstitutive Merkmale. Bernd begann den Bericht über einen Traum seiner Schwester aus dem Jahre 1689, in dem er im Kot lag, mit generellen Äußerungen: Die traditionelle Einteilung in natürliche, teuflische und göttliche Träume »läßt sich leichter sagen, als hernach in der Praxi appliciren«236 . Denn wie könne man mit Sicherheit den Ursprung eines Traumes feststellen und durch welche Wege erhalte die Seele eine Weissagungsgabe? In der Seele des Menschen gebe es nichts, »aus welchem man den Schluß machen könne, daß sie eine natürliche Kraft habe zu weissagen, und zukünftige, NB. [= oder] Zufällige Dinge vorher zu wissen.«237 Gott übe seinen Einfluss in der Seele des Menschen nicht unmittelbar durch übernatürliche Wunder, sondern durch sein Wort aus. Bernd schloss demnach keinesfalls die Möglichkeit göttlicher Träume aus. Laut seinem Bericht hatte er solche Träume. Wie bei etlichen Pietisten wurden biblische Verse (sogar biblische Verse über den Traum) zum Stoff von Träumen, so im Jahre 1704: »Dachte ich, mein Lager sollte mirs hindern, so erschreckte mich Gott durch Träume«.238 Im selben Jahr, als er »mystische Bücher« entdeckte, sah er sich im Traum im Höllenfeuer. Er betete, schlief tief ein, wachte auf und interpretierte den Traum als »eine handgreifliche Hülfe Gottes und Merkmal […], daß mich Gott noch nicht gantz verworfen hätte«.239 Er träumte wieder, dass er sich in einer tiefen Grube befand, sich aber plötzlich neben einem schönen jungen Knaben oben neben der Grube gerettet fand. Daraus zog er folgenden Schluss: 232 233 234
235 236 237 238 239
Beide Zitate in: Ebd., S. 19. Ebd., S. 21. Zu Bernds Autobiographie, vgl. Schings, S. 91–126; Rolf Wintermeyer: Adam Bernd et les débuts de l’autobiographie en Allemagne au XVIIIe siècle. Bern 1993 (Contacts Études et documents 23). Bernd (1973), S. 210. Ebd., S. 45. Ebd., S. 46. Ebd., S. 124. Es handelt sich um ein Zitat aus Hiob 7:13–14. Ebd., S. 141.
403 Nun dieser Traum, den ich stets vor einen göttlichen Traum gehalten, wurde Sonntags nach der [Pfingst-]Feiertagen, oder an Trinitatis-Feste erfüllet […]. Ich hatte bisher lange Zeit vor großer Herzens-Angst keine Tränen vergießen können; denn es schiene, als ob der Himmel, und mein Herz eisern wären; und nun, da ich beichten sollte, konnte ich anfangs kein Wort vorbringen, sondern fieng vor Betrübnis meiner Seele an zu weinen. Ich kann mich nicht mehr besinnen, ob ich fähig gewesen, meine Beichte ordentlich abzulegen; so viel erinnere ich mich doch, daß mich bald anfangs der Herr Doctor versicherte, diese Tränen wären vom Geiste Gottes gewürket, und eine Anzeige einer aufrichtigen Buße.240
Merkmal des göttlichen Ursprungs war hier das Selbstgefühl, physiologische Begleitphänomene (die Tränen)241 und das zusätzliche Zeugnis eines »Herrn Doctor«. Ein Jahr später, als er Breslau verließ und sich bei Bautzen aufhielt, wo er sechs Jahre früher »irre« gewesen sei, träumte er, er läge auf Stroh und sähe einen wunderschönen hellen und glänzenden Himmel. Ich war über diese leiblichen Gestalt [= das sinnliche Traumbild] außer mir selber gesetzet, fieng an im Traum über diesen Glanz, und angenehmen Sonnenschein an Gott mich zu erquicken, meine Betrachtungen über Gottes Güte anzustellen, mit Gott mich zu unterreden, an den Glanz der zukünftigen Welt, und des himmlichen Jerusalems [= Hebr. 12:22, Apk 21] zu gedenken, und mich damit zu trösten, ob ich gleich mein irdisches Jerusalem, die Stadt Breslau, auf ewig mit dem Rücken ansehen mußte. Die geistlichen Betrachtungen, wo man des Nachts im Traum anstellet, und die Lieder, so man träumend anstimmet, greifen auf eine viel durchdringlichere und lieblichere Weise das Herze an, als bei Tage, und wenn man wachet. Die Imagination ist alsdenn stärker, und kommt der Sension [= Sinneswahrnehmung] nahe …242
Dieser göttliche Traum, der eine unmittelbare Kommunikation mit Gott bedeutete, setzte auch die Tätigkeit des Leibes voraus: er griff das ›Herz‹ an und verstärkte die Imagination, weshalb er einen Status der Quasi-Realität erlangte. Der Beweis des göttlichen Charakters lag hier im Inhalt des Traums und in der Veränderung des Leibes des Träumenden. All diese Träume hatten eine offenbar rechtfertigende Funktion. Der Bauernsohn Bernd war ohne einschlägige Ausbildung und eher Autodidakt. Im Jahre 1711 wurde er zum Prediger an der Peterskirche in Leipzig ernannt. Siebzehn Jahre später löste er jedoch einen Skandal aus, als er unter dem Pseudonym Christian Melodius einen Traktat über den Einfluß der göttlichen Wahrheiten in den menschlichen Willen veröffentlichte, in dem er die dogmatischen Unterschiede zwischen den Konfessionen relativierte.243 Er bekam 240 241
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Ebd., S. 142. Zur Bedeutung der Tränen als Zeichen Gottes gegen Ende des Mittelalters, vgl. Nancy Caciola: Mystics, Demoniacs, and the Physiology of Spirit Possession in Medieval Europe. In: Comparative Studies in Society and History 42/2 (2000), S. 268–306. Bernd (1973), S. 215. Johann Georg Walch zum Beispiel verwandte mehr als 300 Seiten auf die Widerlegung von Bernds Behauptungen in seiner »Historische[n] und theologische[n] Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der evangelisch-lutherischen Kirche«. Bd. III. Jena 1734, S. 534–848. Vgl. dazu Rolf Wintermeyer: Adam Bernd et sa relation au piétisme, considérée à partir de son traité Einfluß der göttlichen Wahrheiten in den menschlichen Willen (1728). In: Les Piétismes à l’âge classique, S. 205–237, insbesondere S. 210.
404 striktes Predigt- und Lehrverbot, behielt jedoch seine Bezüge und verwandte seine Zeit auf die Niederschrift zahlreicher weiterer Traktate. Seine Autobiographie stand ganz unter dem Zeichen der Rechtfertigung. Insbesondere die ›göttlichen Träume‹ sollten seine ausgewählte Frömmigkeit beweisen. Im Hinblick auf die traditionellen ›göttlichen Träume‹ zeigen Bernds Eingebungen einige Besonderheiten auf. Ihr charakteristisches Merkmal war nicht wie bislang, dass sie Verwunderung erweckten. Sie wurden eher als »merkwürdig«, »seltsam« und »curieus« beschrieben – die Erosion jener Epistemologie der Zeichen bezeugend. Überdies bezogen sich alle nicht auf die Zukunft von Kirche und Staat, sondern auf ihn selbst. Ihr Horizont war also nicht mehr allgemein, sondern individuell. Bernd fügte ironisch oder ernüchtert hinzu, dass die richtige Ausdeutung solcher Träume ihre ungünstigen Folgen nicht vermeiden konnte.244 Das zweite konstitutive Element von Bernds Träumen bestand in ihrer leiblichen Komponente. Angst und Streit lieferten stets den Traumstoff. Bereits mit sechs oder sieben Jahren wurde Bernd nachts mit »erschrecklichen Träumen geängstiget«: Da waren grausame Tiere, die mich zerreißen, abscheuliche Männer, die mich umbringen wollten, und andere entsetzliche Larven [= Gespenster] und Bilder mehr, mit denen ich fast die ganze Nacht gequälet wurde, dessen ich mich noch auf eine dunkele Weise, und nur wie im Traume erinnere, wie es dann auch nur ein Traum war.245
Sein letzter, im Jahre 1728 eingetragener Traum drückte ebenfalls Angstgefühle aus.246 Bernds Träume wurden derart intensiv und häufig von Angst geprägt, dass die Grenze zwischen Schlaf- und Wachzustand sich aufzulösen schien. Traum und Wahn näherten sich einander gefährlich an: Wie ich schon eines guten Teils meines Verstandes also wohl mochte beraubet sein: so kam dieses noch dazu, daß ich einen Traum, der mir oftmals geträumet, beinahe mit der Tat, die ich doch nur im Traume begangen, confundiret hätte.247
Schlaflose Nächte hätten dazu seinen Verstand beeinträchtigt.248 Bernds brachte seine Träume oft mit seinem melancholischen Temperament und dem Gefühl der Furcht in Verbindung. Von vornherein stellte sich 244 245 246
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Bernd (1973), S. 180. Ebd., S. 25–26. »Ich bin zweimal in meinem Leben in Jena, Anno 1708, und 1711 gewesen, und habe mit keinem Menschen ein böse Wort geredet, vielweniger mich mit demselben in Zank und Duell eingelassen; und doch hat mich nach der Zeit um ein leichtes geträumet, als ob ich da einen Purschen im Duell erstochen, und als ob man mich aufsuche, so daß ich im Traume immer in Angst gewesen, entdecket, und erhaschet zu werden. Wenn ein Traum einem vielmal träumet, obschon zu weit unterschiedenen Zeiten, so kanns geschehen, daß man auf die letzte [= zuletzt], insonderheit, wenn man in andere [= neue] Not und Angst gerät, sich kaum mehr zu besinnen weiß, ob es wahrhaftig geschehen, oder ob es nur ein Traum gewesen.« Ebd., S. 358. Ebd., S. 358. Ebd., S. 137, 312, 352, 395.
405 Bernd als ein Melancholiker vor, oder schlimmer noch, »als Temperamentum Sanguineo-melancholicum, als welches recht des Teufels Nest ist«,249 und skizzierte eine prozentuale Messung seiner seelisch-leiblichen Verfassung. Er sei zu 30 % »cholerisch und hochmütig«, zu 50 % »sanguinisch und wollüstig [= lebensfroh]« und zu 60 % »melancholisch oder furchtsam und traurig« (woraus man schließen kann, dass Bernd nicht gut rechnen konnte!). Bernd brachte sein unglückliches Temperament in Beziehung mit der Ängstlichkeit seiner Mutter, als sie mit ihm schwanger war. Die schwedischen Angriffe in Brandenburg um 1676 hätten die angstvolle Erinnerung an die schwedischen Einfälle während des Dreißigjährigen Krieges (den sogenannten Schwedentrunk) wiederbelebt.250 Wichtiger ist, dass die Melancholie hier einerseits im traditionellen Sinne als balneum diaboli, andererseits als körperliche Pathologie charakterisiert wurde: … so sind Furcht, Angst, und Schrecken, Mißtrauen und Verzweifelung rechte Teufel, mit denen ein solcher Mensch wegen seines Temperamenti Melancholici kämpfen und streiten muß. Sind ja da auch Würkungen eines guten Geistes mit darunter, so wendet der Satan doch alsdenn allen Fleiß an, wie er dieselben verhindern möge, damit sie nicht den guten Endzweck erhalten, welchen der Geist Gottes zu erhalten suchet […]; so wissen doch diejenigen, so mich kennen, mehr als zu wohl, […] daß ich in Freud und Scherz, und lustigen Einfällen, jederzeit zu viel, als zu wenig getan […]. Das ist die elende Beschaffenheit meines Leibes.251
Für diese ambivalente Bezeichnung der Melancholie sprechen weitere Angaben. Für das Jahr 1694 notiert er, dass er seinen affektbeladenen Körper stets mit Medikamenten heilen müsse.252 Dadurch verband er zwei Interpretationsraster miteinander, nämlich zum einen die Melancholie als körperliche Pathologie und zum anderen als Affekt. Die Koppelung des herkömmlichen galenischen Temperamentensystems mit der neueren Affektenlehre im Sinne einer psychischen Gradmessung hatte bereits der Jurist und Philosoph Christian Thomasius, Professor an der Universität Halle seit deren Gründung im Jahre 1694 vollzogen, indem er die Fakultäten von Theologie, Rechtsprechung und Philosophie voneinander trennte, vollzogen. Thomasius hatte zahlreiche Werke von Schwärmern gelesen, insbesondere dasjenige Jakob Böhmes, über welches er 1694 auch eine Dissertation schrieb, und dasjenige Pierre Poirets, für welches er zunächst im Jahre 1694 eine zustimmende Vorrede schrieb, bevor er es in 249
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Ebd., S. 17. Vgl. Ebd., S. 118: »Ich war weicher Natur, wie die zu sein pflegen, die eine Vermischung vom Temperamento Sanguineo und Melancholico haben.« Ebd., S. 23–24. »Diese Bestie, der Jach-Zorn, hat in mir zu wüten auch nicht eher aufgehöret, bis Gott endlich einen Affect mit dem anderen vertrieben, und durch scheckliche Furcht und Melancholei dem Zorn ein Ende gemacht, oder denselben doch sehr geschwächet; und bis ich die Wurzel der unmäßigen Affecten im Leibe gefunden, und durch Medicamente dem feurigen und hitzigen Geblüte des Leibes widerstanden habe.« Ebd., S. 17–18. Ebd., S. 69.
406 Anlehnung an John Lockes Kritik am Enthusiasmus in der 4. Auflage seines Essay concerning human understanding harsch kritisierte. Er machte sogar eine kurze Phase von pietistischer Begeisterung durch.253 Gegen die Philosophie Descartes’, die er als mechanistisch und atheistisch verurteilte, hob er die Rolle des Leibes in der Erkenntnis und folglich der sinnlichen Empfindung als Wahrheitskriterium hervor.254 Schon in seiner Introductio ad philosophiam aulicam (1687) hatte er behauptet, dass der Mensch zu keiner Vorstellung seines Wesens gelangen könne, ohne über seinen Leib nachzudenken. Den Anstoß zu seiner Neudefinition der Erkenntnis verdankte er dennoch der Moralistik. Selbstbewusst kündigte er im Jahre 1691 »die neue Erfindung einer wohlgegründeten und für das gemeine Wesen höchstnötigen Wissenschaft, das Verborgene des Herzens anderer Menschen auch wider ihren Willen aus der täglichen Konversation zu erkennen«,255 an. Ganz im Sinne der politischen Philosophie des 17. Jahrhunderts256 nannte er diese Wissenschaft eine philosophia aulica und schätzte sie als »das vornehmste Stück der Politik«257. Fasziniert von Regenten wie Richelieu und Mazarin, strebte er nach einer exakten Methode der Gemütserforschung, die zur Menschenkenntnis und Menschenbeherrschung herangezogen werden könnte. Er verband dabei die galenische Medizin und die Affektenlehre mit einem quantifizierten Ansatz. Dieses Werk löste eine Flut von Temperamentenlehren, Anweisungen zur Gemütsforschung und Klugheitstheorien aus. Infolgedessen wurde die vollkommene Erkenntnis als Selbsterkenntnis und diese als Erkenntnis des Gemüts bestimmt. Bereits im Jahre 1691 entfaltete Thomasius diese Neudefinition der Erkenntnis bzw. Selbsterkenntnis und des Denkens als innere Rede mit sich selbst.258 Er unterschied zwischen den Ideen (aktiven Gedanken des Verstands) und den Affekten (passiven Ge253
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Vgl. dazu Max Wundt: Die deutsche Schulphilosophie im Zeitalter der Aufklärung. Tübingen 1945 (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte 32), S. 41–42 und 52; Francis Brown: John Locke and the religious Aufklärung. In: The Review of Religion 13 (1948), S. 126–154, hier 134–136; Manfred Kuehn: Kant. A Biography. Cambridge 2001, S. 25, 35–39. Vgl. unten S. 455. »Was mit denen ideis, die der Menschliche [sic] Verstand von denen in die Sinne imprimirten Dingen macht, übereinkömmt, das ist wahr, und was ihnen zu wieder [sic] ist, das ist falsch«. Christian Thomasius: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle 1691, S. 176 (6. Hauptstück, § 100). Vgl. auch Ebd.: S. 139–142 (5. Hauptstück, § 13–17, 20–23) und 155–157 (6. Hauptstück, § 20, 26). Zitiert nach: Schings (1976), S. 27. Vgl. oben S. 288–309. Christian Thomasius: Die neue Erfindung einer wohlgegründeten und für das gemeine Wesen höchstnötigen Wissenschaft, das Verborgene des Herzens anderer Menschen auch wider ihren Willen aus der täglichen Konversation zu erkennen. o. O. 1691, S. 73. Zitiert nach: Schings, S. 27. Christian Thomasius: Einleitung zur Vernunftlehre. Mit einem Vorwort von Werner Schneiders. Hildesheim 1968 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1691). Ders.: Ausübung der Vernunfftlehre. Mit einem Vorwort von Werner Schneiders. Hildesheim 1968 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1691).
407 danken des Verstands). Affekte seien daher keine Herz-, sondern »GemütsNeigungen«: sie resultierten aus dem Schwanken des Willens zwischen Vernunft und Wahn sowie dem vom Willen erzeugten »Trieb«; diese ständige Schwankbewegung nannte er eine »Neigung«. 259 Im Zusammenhang mit diesem eklektischen Ansatz betonte Bernd in seiner Autobiographie die physiologische und affektbeladene Natur seiner Melancholie. Den Anstoß gab die Krankheit eines Dienstmädchens, die es an Selbstmord denken ließ, dann Bernds eigene Anfechtungen, die er in einem langen Exkurs minutiös schilderte.260 … So schnell entstund ein dergleichen schreckliches Bild in meinem Gehirne. So stark, so unvermutet, und lebhaftig diese Idée und Einbildung war, so tief schnitte sie in das Gehirne ein, und legte einen Grund zu den Gedanken, und zu der Furcht, das zu tun, wofür [= wovor] ich doch den größten Abscheu hatte, mit der ich hernach lange Zeit bin geplaget worden. Je mehr ich vor diesem Selbst-mörderischen Bilde erschrak: je tiefer imprimierte es sich [= drückte es sich ein], und je öfterer mußte es mir hernach natürlicher Weise wieder einfallen. Doch es blieb nicht bloß bei dieser Gattung und Specie; sondern ich wurde eben so stark hernach mit den Idéen von Stürzen, Ersäufen und Hängen gemartert, worbei ich im Leibe abzehrte, und ganz zu verdorren anfieng. […]. Sintemal die große Gewissens-Angst hernach desto leichter die durch das Aderlassen geschwächte Lebens-Geister verwirren, und den Menschen seines Verstandes berauben kann, so daß derselbe hernach ohne Verstand nach dem erschrecklichen Bilde würket, was in seinem Haupte entstanden, und selbst Hand an sich leget. […] Mir war es damals kein sonderlicher Trost, ob ich gleich diese Zufälle aus der Pneumatic, und aus der Lehre de Connexione Idearum und Influxione spirituum in poros cerebri per istos meatus facillima, per quos cum vi & vehementia vel semel tantum, vel aliquoties jam alio tempore influxerunt, herleiten kunte, wie ich solches auch besser unten deutlicher erklären werde. Genug, daß die unaussprechliche Furcht da war, daß nicht dergleichen noch geschehen möchte, und durch diese Furcht aus Aberglauben die festere Einbildung entstand, es werde noch geschehen, und dazu kommen.«261
Bernd registrierte die komplexen Mechanismen der Bildung von Ideen und Affekten, ihre Einprägung im Gehirn und Übertragung auf den Körper. Im Gegensatz zur üblichen Erkenntnistheorie ließ Bernd den Ursprung dieser geistigen Bilder außer Betracht – er setzte nicht voraus, dass sie durch Wahrnehmung und Vermittlung äußerer Reize durch die Nerven in die Seelenkräfte gelangten. Im Gegenteil tauchten die geistigen Bilder autonom auf. Dieser ihnen eigenen Macht mussten sich Verstand und Vernunft beugen. Diese Bilder würden anschließend über die Nerven und als Kanäle voller Lebens-Geister konzipierten Fibern vom Gehirn als dem Sitz der Seele zu 259
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Vgl. Christian Thomasius: Ausübung der Sittenlehre. Mit einem Vorwort von Werner Schneiders. Hildesheim 1968 (Nachdruck der Ausgabe Halle 1696). Ders.: Versuch vom Wesen des Geistes oder Grund-Lehren so wohl zur natürlichen Wissenschaft als der Sitten-Lehre. Hg. von Kay Zenker. Hildesheim/Zurich u.a. 2004 (Ausgewählte Werke 12) (Nachdruck der Ausgabe Halle 1699). Zum Selbstmorddiskurs im 18. Jahrhundert, vgl. Andreas Bähr: Der Richter im Ich. Die Semantik der Selbsttötung in der Aufklärung. Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 180). Bernd (1973), S. 126–129.
408 den Sinnesorganen wandern.262 Mehr noch: Die Autonomie geistiger Bilder leite sich nicht nur aus deren äußerst affektbeladenem Charakter – der Abscheu vor Selbstmord –, sondern auch aus dem inneren Mechanismus der Erkenntnis ab. Die normalen Empfindungen der fünf Sinne hinterließen im Gehirn Spuren, die Bernd nach Nicolas Malebranche »Plicæ, Vestigia und Fußstapfen«263 nannte. Bernd dynamisierte diese starre Auffassung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, indem er sie mit der Leibnizschen Theorie der verwirrten Perzeptionen264 und der Wolffschen Entdeckung der Assoziationen von Ideen kombinierte. Damit wurden Ideen und Gedanken nicht mehr nach dem Muster des Syllogismus als ein logischer Vorgang, sondern als ein psychologischer Prozess angesehen. Daraus folgte, dass nicht alle Ideen gewollt werden könnten. Durch die Einprägung ins Gehirn erhalte die Psyche eine Trägheit, die zur Entstehung affektvoller Gedanken führen könne. Die Gehirnfalten und -spuren könnten sich also willentlich oder unwillentlich vereinen, mithin bestimmte Erinnerungen hervorrufen, ohne dass der Verstand Anteil daran hätte.265 Aus den Empfindungen entstünden weiterhin 262
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Ebd., S. 152: »Denn ich wüßte sonst nicht, warum die Nerven und Fibren [= Nervenfasern], welche durch die Lebens-Geister, oder durch das Fluidum nerveum [= Nervenflüssigkeit], wie es etliche nennen, das in denselben ist, beweget, aufgeblasen, und ausgedehnt werden, von den Organis sensoriis und sinnlichen Werkzeugen an, (welche durch die äußerlichen Objecta, durch Licht, Luft und andere subtile materialistische Ausflüßungen der Dinge berühret werden,) bis in das Gehirn hinauf giengen, und sich bis dahin erstreckten, so daß diese Nerven und Fibren alle im Gehirne oben zusammen stoßen, und sich endigen.« Ebd.: S. 153. Vgl. Malebranche: Recherche de la Vérité. Paris 1991, insbesondere S. 181–196: »I. De la liaison des idées de l’esprit avec les traces du cerveau, II, De la liaison réciproque qui est entre ces traces«. Bernd hatte deren lateinische Fassung gelesen. Als Entgegnung auf Locke, der aus dem Beispiel des Schlafes ohne Träume schloss, dass die Seele nicht ständig tätig war, behauptete Leibniz in seinen »Nouveaux Essais concernant l’entendement humain« (1703–1705, erschienen 1764), dass jede Substanz eine Tätigkeit habe; die Tätigkeit der Seele sei die deutliche oder undeutliche Perzeption. In seiner »Theodizee« (1710) vertrat er die These, dass der Körper und die Seele aus Monaden, d. h. aus einfachen Substanzen, bestanden. Die körperlichen Monaden seien jedoch endlich und nur zu verwirrten Perzeptionen fähig, während die seelischen Monaden bewusste und vernünftige Perzeptionen, die von Gedächtnis begleitet seien, formten. Die Seele wurde daher zur forma substantialis, d. h. zu Form und Bewegungsprinzip des Körpers. Über beide herrschte dennoch eine göttliche Harmonie, auf welcher die Verbindungen zwischen Seele und Körper beruhten. Die Übereinstimmung zwischen Seele und Körper sei eine Folge von Ursachen, die ihren Ursprung und ihren Zweck in Gott fanden. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Essais de théodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal. Hg. und übersetzt von Herbert Herring. Frankfurt am Main 1996 (Philosophische Schriften 2/1–2) (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft). Bernd hatte wahrscheinlich die leibnizsche Philosophie nur indirekt kennengelernt. Vgl. unten S. 416. Ebd., S. 153: »Und da wir uns bei Gelegenheit eines Dinges, so wir gegenwärtig mit den Sinnen wahrnehmen, vieler andern Dinge erinnern können, so nicht mehr gegenwärtig, und die wir doch auch ehemals gegenwärtig empfunden und wahrgenommen; so siehet man nicht, wie solche Recordation [= Erinnerung] und Imagination bei der Seelen im Gehirne vorgehen könne, es sei denn, daß bei dem ersten Eindruck der ge-
409 Affekte: Wenn der Verstand urteilte, ob sie gut und begehrenswert oder schlecht und hassenswert (Bernd sprach von appetitio und adversario) seien, bewege er den Willen, der dem gesamten Körper Affekte vermittle.266 Die positiven Affekte erweiterten die Organe und Gefäße, insbesondere das Herz, die negativen zögen sie hingegen zusammen. Dies könne unmäßige Reaktionen, Krankheiten, sogar den Tod bewirken.267 Bernd bedauerte zunehmend sein »dickes und schwarzes Blut«, seine »verstopffte Viscera, Spasmos und Contractiones Nervorum«, sein »zusammengepreßtes Herze« und seine »kränklich verderbte übele Leibes-Disposition«.268 Für das Jahr 1694 stellte er beide Interpretationsraster – göttlicher und leiblicher Ursprung der Affekte – nebeneinander.269 Bald stellte er jedoch die herkömmliche teuflische Erklärung in Frage: Allein, wie ich oben bewiesen, so entstehet die Furcht und Einbildung eines selbsterwählten Todes nicht allemal aus Sünden-Angst, und Furcht der Verdamnis, sondern auch aus einem kranken Leibe, schwachen Haupte, natürliche Schwermut, und Melancholia hypochondriaca, oder auch wohl angesteckter Phantasie …270
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genwärtigen Dinge im Gehirne einige Merkmale, Plicæ, vestigia [= Falten, Spuren] und Fußstapfen, müssen sein gemacht, und auch diese Plicæ, Vestigia und Fußstapfen so müssen sein connectiret, und an einander gehänget worden; so daß, wenn eine Plica und Merkmal von diesen beweget wird, das andere Merkmal, so damit verknüpfet, auch beweget werde, und also die Seele bei Erinnerung des einen sich auch des andern erinnern könne. Daß aber solche Plicæ, Vestigia, Fußstapfen und Merkmale zusammen verknüpft und an einander gehänget sind, kann freilich nirgends anders, als daher kommen, weil bei und Menschen, wenn wir gegenwärtige Dinge vor unsern Augen haben, nicht nur dasjenige, worauf hauptsächlich unser Absehen gerichtet, die sinnlichen Werkzeuge berühret, und sich ins Gehirne eindrucket; sondern auch viel andere Dinge, so zugleich gegenwärtig, ohne daß wir insonderheit darauf Achtung geben, sich zugleich mit eindrücken.« Diese Auffassung war damals verbreitet (vgl. oben S. 300–309). Ihre Koppelung mit der These des gegenseitigen Einflusses von Seele und Körper übereinander verdankte er vielleicht Bernd Georg Ernst Stahl (der übrigens Bernd einen »eingebildeten Kranken« nannte). Ebd., S. 156–157: »… so entstehet in unserm Willen entweder eine Liebe und Begierde nach dem guten, oder eine Verabscheuung des Bösen; mit einem Worte, die beiden bekannten Bewegungen im Willen, welche wir appetitionem [= Zuneigung, Lust] und aversationem [= Abneigung, Unlust] nennen. Diese Bewegungen sind in unserem Willen mäßig, wenn ein Gut und Übel nur als unser geringes und kleines Übel erkannt, und geurteilet wird. […] Die heftigen Bewegungen und Affecten erregen einmal stark unsere Lebens-Geister […] und die Organa corporis, oder die Gefäße des Leibes, dilatiren und ausbreiten, wenn das Gut groß ist, welches wir als unser Gut beurteilet, und hingegen die sinnlichen Werkzeuge, ja auf gewisse Weise das Herze, und den ganzen Leib, und allerhand Gefäße desselben, Milz, Leber, Senn-Adern [= Nerven], und Fibren constringiren und zusammen ziehen, wenn das Übel groß ist, das wir vor das unsrige entweder gegenwärtige, oder zukünftige angesehen und beurteilet haben …« Vgl. auch Ebd., S. 134. Sämtliche Zitate in: Ebd., S. 23. Ebd., S. 69. Ebd., S. 149. Vgl. auch »… so traf ich die Ursache seiner Melancholie mehr in seiner unordentlichen Diaet, als in seinem sündigen Leben an.« In: Ebd., S. 329.
410 Er vermutete sogar einen physiologischen Determinismus: »Der Milz ist der schärfste Moraliste auf Erden.«271 Die Melancholiker litten nicht mehr unter einer teuflischen Anfechtung, sondern seien Patienten, die wegen der Verstopfung in Milz, Gekrös-Magen, und auch wohl in der Pfort-Ader, und wegen der daher rührenden Spasmorum und Contractionum Nervorum nicht nur mit Furcht, Ansgt, Bangigkeit und Traurigkeit geplaget werden […], die auch ein corruptes Acidum, und versauertes dickes hitziges Geblüte im Leibe haben.272
Einer verbreiteten Tendenz um 1700 folgend tendierte Bernd dazu, den Teufel als eine Metapher für das Böse zu interpretieren.273 Jedoch behielt Bernd ein herkömmliches asketisches Ethos bei und wies dem Leib eine ambivalente Stellung zu, denn er reize zur Sünde ebenso wie zur Tugend: So Vgl.t der eine von meinen geistlichen Feinden, nämlich der Leib aus, den Gott und die Natur mir gegeben, oder vielmehr nach dem Falle [= Sündenfalle] durch die ordentliche Zeugung auf mich kommen lassen, nicht sowohl ein Gefängnis der Seelen zu sein, wie Plato unserm menschlichen Leib angesehen, sondern eine Gelegenheit der Tugend, und desjenigen geistlichen Kriegs …274
Die Melancholie sei eine Krankheit des Körpers und der Seele und müsse entsprechend mit einer Doppelstrategie geheilt werden: Weil Leib und Seele in solchem Zustande krank ist, und sich bei denselben sowohl ein Morbus idealis, als corporalis findet; so müssen geistliche und leibliche Arznei-Mittel mit einander verknüpfet, und zugleich gebraucht werden.275
In seiner Vorrede behauptete Bernd, seine »teuflischen Versuchungen« in »Leibes- und Gemüts-Plagen« verschleiert zu haben, da »die heutige philosophische, naturalistische, und irreligionistische Welt« sich nur mit physiologischen Übeln beschäftige und über göttliche sowie teuflische Anfechtungen lustig mache. Seit dem Letter concerning Enthusiasm von Shaftesbury (1708) hatten tatsächlich viele Gelehrte eine solche Schwärmerei ironisiert.276 Bernd stellte jedoch die »leiblichen, und geistlichen Ärzte«277 auf die gleiche Stufe. 271
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Ebd., S. 170. Vgl. auch »Der Leib öfters verursacht solche Plagen und Bilder«, in: Ebd., S. 181. Ebd., S. 187. Vgl. dazu Claire Gantet: »Bloß ein Schein: ein Schein denn, der aber dennoch etwas thut, der den Menschen peiniget …« Gespenster, Autorität und Metaphorisierung des Teufels im Heiligen Römischen Reich um 1700. In: Gespenster und Politik, S. 79–102. Bernd (1973), S. 18. Ebd., S. 190–191. Vgl. Anthony Ashley Cooper of Shatesbury: An old-spelling, critical edition of Shaftesbury’s »Letter concerning enthusiasm and Sensus communis. An essay on the freedom of wit and humor«. Hg. von Richard B. Wolf. New York 1988 (Garland publications in American and English literature). Vgl. dazu Heyd (1995), S. 211–240. Vgl. unten S. 456. Bernd (1973), S. 5.
411 Später entdeckten zahlreiche Aufklärer, die die Anthropologie zur führenden Wissenschaft machten und Ärzte als ihre Lehrmeister betrachteten,278 in Bernds Autobiographie einen ersten Entwurf ihres Programms. Das Werk erschien in Auszügen im aufklärerischen Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde von Karl Philipp Moritz und Carl Friedrich Pockels.279 Ihnen fiel in Bernds Autobiographie besonders seine Schilderung der Macht der Einbildungskraft auf. Geistige Bilder setzten sich nach Bernd mit einer solcher Präsenz durch, dass sie den Menschen »mechanice, und brutaliter [= stumpfsinnig]«280 zwangen, bestimmte Handlungen zu tun. Dieser kognitive Prozess beraube Verstand und Vernunft jeglicher Kontrolle. Die Einbildungskraft wurde zur gefährlichen Potenz im Menschen. Als Veranschaulichung der Imagination stand der Traum daher neben der Krankheit281 und dem Wahn. … so werden sie doch durch Träume vielmal ganz irre gemacht, daß sie wohl gar den Mondensüchtigen ähnlich werden, und wegen starker Imagination im Traum aufstehen, und Taten vornehmen, welche sie wachend nicht vornehmen würden. Oder wenn sie aufstehen im Traum, und nachdem sie aufgestanden, zu träumen aufhören, so sehen sie die Dinge in der Kammer ganz verkehrt an …282
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So definierte Herder die Ärzte in seiner Schrift »Vom Erkennen und Empfinden des menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume«. Vgl. Schings, S. 16. NOI AYTON [Gnothi Sauton] oder Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde als ein Lesebuch fuer Gelehrte und Ungelehrte. Bd. 5. Berlin: August Mylius. 1787, S. 17–40. Bernd (1973), S. 137. Dies ist der Hauptunterschied mit Bernds Quelle (auf die er sich auf S. 63 ausdrucklich bezieht), Malebranches Werk »La Recherche de la vérité« (1651, S. 291–298): Malebranche bezeichnete die Visionäre »malades en religion« (»krank an Religion« übersetzte Bernd): »Ils ne sont pas visionnaires des sens, mais seulement visionnaires d’imagination. Les fous sont visionnaires des sens, puisqu’ils ne voient pas les choses comme elles sont; et qu’ils en voient souvent qui ne sont point; mais ceux dont je parle ici sont visionnaires d’imagination, puisqu’ils s’imaginent les choses tout autrement qu’elles ne sont, et qu’ils en imaginent même qui ne sont point. Cependant il est évident que les visionnaires des sens et les visionnaires d’imagination ne diffèrent entre eux que du plus ou moins, et que l’on passe souvent de l’état des uns à celui des autres.« Malebranches implizite Quelle war Johannes Wiers Werk über die Täuschungen des Teufels (vgl. dazu oben S. 143–149), nicht eine Analyse der Affekte und Assoziationen von Ideen. Vgl. beispielsweise folgende, im Jahre 1704 eingetragene Träume: »Dachte ich, mein Lager sollte mirs lindern, so erschreckte mich Gott durch Träume [= Hiob 7:13–14]. Bald schwamm ich in großen Wassern, daß mich die Flut ersäufen wollte: bald brannte mir mein Haupt-Küssen [= Kopfkissen], oder befand mich sonst in Feuers-Not: bald soff ich die allerabscheulichsten Getränke im Traum. Überaus oft träumte mir, als ob ich meinen Ofen heizte, und mit Holz das größte Feuer darinnen machte. Und, wenn ich dergleichen ängstliche Träume des Nachts gehanbt hatte, so wurde hernach allemal des Tages die Anfechtung noch größer. Ich fieng an abscheulich im Gesicht auszusehen …« In: Ebd., S. 124. Ebd., S. 186.
412 Logischerweise sah sich Bernd im Traum in Wahn geraten.283 Ähnliche pathologische Zustände wurden auch im Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde geschildert. Zahlreiche Gelehrte behielten vor allem Bernds Methode der präzisen Beschreibung innerer Stimmungen im schlichten ›niederen Stil‹284 bei. Bernd schenkte Zwischenzuständen zwischen Schlaf- und Wachzustand besondere Aufmerksamkeit, da sie eine besonders dichte Analyse erlaubten.285 Ziel seiner Beobachtungen sei, dass jeder imstande sein solle, eine solche »Anatomirung des menschlichen Hauptes mit seinen Augen«286 zu unternehmen. Damit erhielt der pathologische Körper einen neuen Status als Mittel zur Beobachtung der Seele.287 Für Bernd lag ebenso wie später für das Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde die Selbsterkenntnis im Horizont der dichten Beschreibung eigener »seltsamen Leibes- und Gemüts-Plagen«288
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»… so träumte mir so gar zuweilen, als ob ich unter Menschen ohne den rechten Gebrauch meines Verstandes mich befände, und von ihnen vorhöhnet würde […]. Das Bild eines törichten Menschen, oder auch nur eines Patienten, der im Fieber raset, und seltsame Dinge redet, drücket sich so tief in mein Gehirne, daß ich es etliche Tage nicht heraus bringen kann, und immer eodem modo, und auf gleiche Weise agiren will.« Ebd., S. 312. »die schlechte und niederträchtige Schreib-Art«, in: Ebd., S. 13. So beispielsweise folgende Eintragung für das Jahr 1704: »Des Nachts deuchte ich mich oft halb wachende und halb schlafende, als ob die Klammer ganz voller Messer, und als wenn ich sie klitschen [= klappern] hörte. Ich wußte wohl, daß es nur Einbildung; es mergelte mich aber doch ab, daß ich anders nicht, als mit Herz-Klopfen schlafen kunte …« In: Ebd., S. 131. Ebd., S. 152. Ebd., S. 263: »Glaube mir, ich wollte dir an meinem Leibe zeigen, wie ich von An. 1709 an, bis hieher je mehr und mehr vom Fleische gekommen, und wie in dem einem Jahre hier, und in dem folgenden, oder in einem andern Jahre an einem andern Orte das Fleisch vom Leibe successive und augenscheinlich weggefallen, als der ich in meinem Leben auf nichts so sehr, als auf das, was in meinem Leibe, und in meiner Seele vorgehet, Achtung zu geben, bin gewohnet gewesen.« Bernds Autobiographie beginnt mit folgenden Sätzen: »Ich habe im Tractate, Leben des Glaubens genannt, in der Vorrede mit wohlbedachtem Rate versprochen, meine seltsamen Leibes- und Gemüts-Plagen, mit denen ich in meinem Leben bin behaftet gewesen, in einem besondern Buche zu beschreiben, um den leiblichen, und geistlichen Ärzten Materie an die Hand zu geben, bei erbärmlichen Leibes- und Seelen-Zufällen [= Seelen-Krankheiten], so ihnen vorkommen, weiter nachzudenken, und desto geschickter zu sein, ihre Patienten zu curiren, und sie von ihrem Jammer-vollen Zustande zu befreien: […] so halte ich, daß er [= ein jeder Christ] auch verbunden sei, von solchen Leibes- und Seelen-Anliegen, und solchen wunderbaren Plagen, zu deren Erkenntnis er durch eigene Erfahrung gelanget, dem Nächsten Nachricht zu geben …« In: Ebd., S. 5. Der Wunsch, dass jedermann sich selbst beobachten, somit zur Selbsterkenntnis gelangen könnte, wurde von Aufklärern geteilt.
413
6.5
Träume eines wachenden Wissenschaftlers: Johann Gottlob Krügers Träume (1754) und Experimental-Seelenlehre (1756)
In einer Untersuchungen über die Niederschrift des Traums bilden Johann Gottlob Krügers Träume, die zum ersten Mal 1754 in Halle verlegt wurden, zweifelsohne einen Grenzfall. Ihr Anliegen war dennoch wissenschaftlich: Diese Sammlung fiktiver Träume sollte nicht nur den Traumprozess, sondern auch die Natur des Traums beleuchten, d. h. eine Wissenschaft vom Traum vorschlagen.289 Zwei Probleme wurden somit aufgeworfen. Erstens: Wie könnte eine emprirische Psychologie im Sinne einer Wissenschaft vom Traum begründet und definiert werden? Zweitens: Da Wissenschaft auf einem Abstand zwischen Gegenstand und Beobachter beruht, wie waren ›echte Träume‹ zu beurteilen und bearbeiten? Das implizite Postulat jener Sammlung fiktiver Träume war der Zerfall der aristotelischen Kategorien. Statt abstrakter Prinzipien betonte der Verfasser die »Erfahrung«, d. h. die »Wahrnehmung« (observationes, die über die inneren Sinne verliefen) und den »Versuch« bzw. das Experiment (experimenta, mittels der äußeren Sinne) als methodologische Grundregeln.290 Obwohl er keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Christian Wolff machte,291 vertrat der Professor für Medizin und Philosophie in Halle, dann Helmstedt, Johann Gottlob Krüger (1715–1759), entschieden nicht die Metaphysik oder die syllogistische Beweisführung der Seelenkräfte, sondern den Empirismus. Wie aber könnte eine empirische Psychologie entwickelt werden?
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Zu Krüger und seinen »Traeumen«, die drei Auflagen erfuhren, vgl. Wolfram Mauser: Johann Gottlob Krüger, der Weltweise als Arzt. Zur Anthropologie der Frühaufklärung in Deutschland. In: ›Vernünftige Ärzte‹. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung. Hg. von Carsten Zelle. Tübingen 2001 (Hallesche Beiträge zur europäische Aufklärung 19), S. 48–67; HansWalter Schmidt-Hannisa: Johann Gottlob Krügers geträumte Anthropologie. In: Ebd., S. 156–171. Folgende Beurteilung von Peter-André Alt trifft nicht zu: »Die Traumberichte erfüllen keinen didaktischen Zweck, sondern stehen als belanglose Nichtigkeiten für sich selbst. Weder demonstrieren sie die Stimmigkeit einer Theorie, noch verdeutlichen sie eine Topik der Imagination. Selbst der erzählerische Wert des Kompensiums wird von Krüger mit grundsätzlichen Argumenten in Frage gestellt. […] Es [= Krügers Traumbuch] bildet, nach einem berühmten Wort Flauberts aus einem Brief an Louise Colet vom Januar 1852, ›un livre sur rien‹.« In: Alt (2002), S. 165. Flauberts »livre sur rien« erwies sich übrigens als ein großes Buch … »So wohl Wahrnehmungen als Versuche (observationes et experimenta) sind Erfahrungen …« In: Johann Gottlob Krüger: Versuch einer Experimental-Seelenlehre. Halle/ Helmstädt: Carl Hermann Hemmerde. 1756, § 6, S. 14. Krüger widmete Wolff seine medizinische Dissertation »De sensatione« (1742). In seinem »Versuch einer Experimental-Seelenlehre« lob er »den großen Wolff«.
414 Krügers erster Untersuchungsgegenstand war die Empfindung (sensatio). Anhand einiger überlieferter Hundesektionen292 behauptete er in seiner Naturlehre, dass die Empfindung auf der Bewegung von Nervenfasern beruhe.293 Aufgrund der Elastizität der »Nervenhäute« und der Ähnlichkeit des Nervs mit einer »gespannte[n] Seyte« brachte Krüger die Elastizität einer solchen ›Schnur‹ mit der Stärke ihrer Spannung in Verbindung. Er schlug folgende »mathematische Gesetze« für die Verhältnisse zwischen dem Stoß eines äußeren Dings auf die Nerven, der Nerventätigkeit und der Lebhaftigkeit der bewirkten Empfindung vor: »S:s = VT:vt«, wobei S und s die Stärke oder Intensität von zwei Empfindungen, V und v die Stärke des Reizes, T und t die Spannung jeder Nervenfaser bezeichneten. Mit anderen Worten ausgedruckt: Angenommen die Sinnesnerven hätten dieselbe Spannung, so wachse die Intensität einer Empfindung im gleichen Verhältnis zum Anstieg des Reizes. Die aufgrund des Stoßes eines Objektes gespürte Empfindung stehe demnach im Verhältnis zu deren durchlaufener Distanz oder dessen Gewicht.294 Die Wissenschaften von der Seele seien demnach ebenso legitim wie die Naturwissenschaften. Einige Jahre später wandte Krüger das Experimentieren direkt auf die Seelenlehre an. Zwar könne man die Seele weder sehen noch beobachten. Sie könne jedoch angesichts der gegenseitigen Verflechtung von Körper und Seele anhand außerordentlicher Veränderungen untersucht werden.295 Solche Experimente beschränkte Krüger allerdings ganz traditionell auf verurteilte Straftäter und Tiere. Er bezog sich vorwiegend auf ältere Berichte – ohne jegliche Quellenkritik – und auf medizinische Falluntersuchungen. Krüger, der eine deistisch inspirierte Aufklärung vertrat, fügte seinem Versuch einer Experimental-Seelenlehre einen Anhang von »Wahrnehmungen« hinzu, die zum Teil aus zeitgenössischen Gelehrtenmagazinen oder Abhandlungen der Akademien der Wissenschaften, aber auch aus Cardanos Werken, aus Besessenheitsfallgeschichten des 16. und 17. Jahrhunderts und aus der mirabilia-Literatur herangezogen und als empirische 292
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Krüger führte keine eigenen Sektionen durch, sondern bezog sich auf diejenigen, die im Werk »De fibra motrice et morbosa« von Giorgio Baglivi (1702) beschrieben wurden. Dieses nur halb empirische Verfahren unter Bezugnahme auf ältere Literatur ist typisch für Krügers Eklektizismus. Johann Gottlob Krüger: Naturlehre. Zweyter Theil, welcher die Physiologie oder Lehre von dem Leben und der Gesundheit der Menschen in sich fasset. Halle: Carl Hermann Hemmerde. 1743. Ich beziehe mich hier auf Vidal (2006), S. 150–151. Vgl. auch dazu Carsten Zelle: Experimentalseelenlehre und Erfahrungsseelenkunde. Zur Unterscheidung von Erfahrung, Beobachtung und Experiment bei Johann Gottlob Krüger und Karl Philipp Moritz. In: ›Vernünftige Ärzte‹, S. 173–185; Ders.: Experiment, experience and observation in eighteenth-century anthropology and psychology. The examples of Krüger’s »Experimental-Seelenlehre« and Moritz’s »Erfahrungsseelenkunde«. In: Orbis litterarum 56 (2001), S. 93–105. Krüger (1743), § 317 (Mathematische Gesetze der Empfindung). Krüger: Versuch (1756), § 6, S. 18.
415 Quellen betrachtet wurden.296 Dabei betonte er die Verwandtschaft zwischen Philosophen und Ärzten,297 bediente sich aber zugleich literarischer Stoffe als wissenschaftlicher Quellen und medizinischer Berichte als literarischer Erzählungen. Träume nahmen in dieser medizinisch-philosophischen wie literarischen Untersuchung eine besondere Stellung ein. Krüger verwarf zwei in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und am Anfang des 18. Jahrhunderts übliche Auffassungen vom Zusammenhang zwischen Seele und Leib: einerseits diejenige einer göttlichen Ursache der Bewegungen von Körper und Seele (den Okkasionalismus, vertreten von Malebranche), andererseits die Leibnizsche These einer Ähnlichkeit von Seele und Körper mit zwei Uhren, die von einer prästabilierten Harmonie geregelt seien.298 Stattdessen richtete er sein Augenmerk auf deren gegenseitige physiologische Einflüsse, ohne sich dem Determinismus zu ergeben. Am Beispiel des Traumes könne die Übereinstimmung von Seele und Körper veranschaulicht werden. Träume zeigten nämlich die »wunderbare Krafft der Einbildung«299 und die rätselhafte Natur der Seele an. Mehr noch: Das sie in einem halbbewussten Zustand entstünden, ermöglichten sie eine wissenschaftliche Beobachtung der unsichtbaren Seele. Zwei Herausforderungen bedingten die Untersuchung des Traumes. Nach Krüger war der Traum immer noch »die Pforte […], durch welche alle Menschen aus dieser Welt in die Ewigkeit gehen«.300 Krüger äußerte sich jedoch nicht über das Schicksal der Seele nach dem Tod.301 Nach der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Naturwissenschaften entwickelten Korpuskularphilosophie bestand die Materie aus Teilchen, deren mechanische Bewegungen sämtliche Naturphänomene verursachten. Diese Philosophie wurde bald auf die christliche Auffassung der leiblichen Auferstehung angewandt. Dies bedeutete, dass der auferstandene Leib (folglich die Person) nicht unbedingt aus der Materie des irdischen Körpers bestehen musste, um ›derselbe‹ zu sein.302 Die materielle Kontinuität wurde nicht mehr zum Bestandteil der persönlichen Identität.303 Deshalb machte sich 296
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Johann Gottlob Krüger: Anhang verschiedener Wahrnehmungen, welche zur Erlaeuterung der Seelenlehre dienen (1756), 288 S. Cardano wird auf S. 17–18 und 96, van Helmont auf S. 102 und Delrio auf S. 98–99 besonders herangezogen. Ebd.: S. 18–21. Krüger wollte sich auch auf Patientenbriefe bzw. -berichte stützen. Leibniz (1998), S. 54–57. Krüger: Anhang (1756), S. 140 (vgl. S. 96–98, 199–200). Nachtwanderergeschichten in: Ebd., S. 35–37, 44–51, 76–83, 98–102, 188–190, usw. Das herkömmliche Thema des Einflusses der Imagination schwangerer Frauen auf ihren Fötus wurde auch mehrmals erörtert. Krüger: Versuch (1756), S. 203. Ebd.: S. 124. Vgl. Locke (2004/1757). Bd. 1, § 15, S. 346–347. Vgl. dazu Fernando Vidal: Le sujet cérébral: une esquisse historique et conceptuelle. In: Psychiatrie, Sciences humaines, Neurosciences III/11 (2005), S. 37–48.
416 Krüger über den Körper, der seine Seele nach dem Tod wieder erhalten würde, sogar lustig.304 In der christlichen Tradition war die Seele als imago Dei und geistige Substanz ständig tätig. Im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhundert wurde der Substanzbegriff von John Locke in seinem Essay Concerning Human Understanding vehement bezweifelt. Die Menschen formten sich die Idee der Substanz, indem sie einfache Gedanken über die Eigenschaften der Dinge kombinierten und ihnen eine an sich nicht erkennbare Grundlage zuwiesen. Insbesondere die Seele sei keine Substanz.305 Die persönliche Identität beruhe ferner nicht auf Materie, sondern bestehe aus einer Kontinuität von Gedächtnis und Bewusstsein. Das Träumen sei demnach keine Form des Denkens, sondern lediglich sinnlose Bilder.306 Diese Einsichten lösten eine polemische Debatte Leibniz ein ganzes Werk auf die Widerlegung dieser Definition der persönlichen Identität verwandte. Er postulierte in seinen Nouveaux Essais concernant l’entendement humain (1703–1705, erschienen 1764), dass jede Substanz eine Tätigkeit habe, und dass die Seele nicht ohne (deutliche oder undeutliche) Perzeption sein konnte; der Traum als auf sich selbst verweisendes Geflecht von Bezügen habe wie das Denken eine eigene Struktur. Wie Locke charakterisierte er die persönliche Identität durch das Bewusstsein bzw. »das innere reflektierende Gefühl auf das, was sie ist«.307 Die Verbindung zwischen Seele und Körper, die nicht physisch, sondern metaphysisch sei, »bewirkt, dass Seele und Körper ein Zugrundeliegendes oder das bilden, was man eine Person nennt«.308 In dieser Debatte ergriffen die Empiristen nicht Partei für die von Leibniz propagierte metaphysische Definition der Person, sondern bestanden auf einer psychischsinnlichen Definition. Wie ließen sich jedoch die Auffassungen der persönlichen Identität als Kontinuität von Gedächtnis und Bewusstsein und der unbeständigen Tätigkeit der Seele vereinen? In seinem Anhang der »Wahrnehmungen« gab Krüger ausführliche »Betrachtungen ueber die Seele in der Erstarrung und Schlafwanderung« aus dem Hamburger Magazin wieder, deren Ausgangspunkt ein Bericht der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Paris aus dem Jahre 1742 war. Dieser Bericht über mehrere Anfälle eines Mäd304
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Krüger: Versuch (1756), S. 186; Joh. Gottlob Krüger: Traeume. Halle im Magdeburgischen: Carl Hermann Hemmerde. 31785 (1754), S. 26. Vgl. Locke (2004/1757). Bd. 1, Kapitel 23, S. 292–322. Vgl. oben S. 408 Anm. 264. Ebd. Bd. 1, S. 332–355; Gehring, S. 69–70. »Ils confondirent l’indestructibilité avec l’immortalité, par laquelle on entend dans l’homme, non seulement que l’âme, mais encore que la personnalité subsiste: c’està-dire en disant que l’âme de l’homme est immortelle, on fait subsister ce qui fait que c’est la même personne, laquelle garde ses qualités morales, en conservant la conscience ou le sentiment réflexif interne de ce qu’elle est.« Leibniz (1996), S. 338; Gehring, S. 307. Leibniz (1996), S. 294.
417 chens in Montpellier erhielt in der deutschen Fassung einen langen Kommentar über die Natur der Seele und des Bewusstseins.309 Wie könne das Mädchen während einer Ohnmacht vernünftige Worte äußern? Wenn weiter, »nichts gewißer und unzweiffelhaffter (sei), als daß die Seele kein koerperliches oder materialistisches unverstaendiges Wesen sey noch seyn koenne«,310 wie verlief die Übereinstimmung mit dem Körper? Nachdem der Autor eine mechanistisch-cartesianische Erklärung zurückgestellt und auf die Grenzen des Wissens verwiesen hatte, formulierte er die (auf Locke zurückzuführende) Hypothese eines doppelten Bewusstseins: Daraus folget, daß es zweyerley Art deutlicher und richtiger Gedancken in der Seele gebe, deren einer sie ihr bewußt ist, der andern aber unbewußt ist und bleibet. Oder man muß sagen, es gebe zweyerley Bewußtseyn in ihr, das eine, so nicht vollstaendig und dauerhaft oder wiedererinnerlich ist. […] Allein dieses scheint zu viel gesagt zu seyn, weil es nicht wohl zu begreiffen ist, wie die Seele im Schlafe und dergleichen Zustande leben und eine vernuenfftige Seele seyn koenne, wenn sie keine vernuenfftige Thaten uebete. Es ist wahr, man hat bey tieffem Schlafe wenig Beweise von ihren deutlichen und ordentlichen Gedancken. Die Traeume sind wohl etwas, so davon zeugen, aber die Unordnung, welche dabey mit vorlaeufft, entkraefftet zum Theile diesen Beweis […]. Man wird durch solche Begebenheiten berechtiget, zu schließen, die Seele habe immerfort eine Art vernuenfftiger Vorstellungen und Verrichtungen, bey welchen sich nur ein fluechtiges Bewußtseyn finde, dadurch keine Erlangung einer Fertigkeit, sich derselben wieder zu erinnern, statt findet. Dieses alles ist auch im Schlafe geschaefftig, es gehoeret dergestalt zum Leben der Seele, daß es nie von ihr getrennet wird; und dadurch laeßt es sich begreiffen, daß ihr Leben nie unterbrochen wird, daß sie immer vernuenfftig sey und bleibe.311
In dieser Verteidigung der Rationalität der Seele auch in nur halbbewusstem Zustand bildet der Traum mit seiner »Unordnung« ein Rätsel. Da sich der Wolffschen Philosophie zufolge Wachzustand und Schlaf sich nur graduell unterschieden,312 rückte der Traum als Übergangsphänomen in den Mittelpunkt weiterer Untersuchungen. Die aristotelischen Kategorien erwiesen sich dabei als obsolet: Seele und Körper bildeten zwar ein Ganzes, dieses sei jedoch nicht als Entelechie zu verstehen, da die Seele weder ›Form‹, noch ›Substanz‹ sei. Die Übereinstimmung zwischen beiden sei nicht ontologisch, sondern empirisch zu erforschen. Im Schlaf ziehe sich die Seele nicht völlig auf sich zurück, sondern 309
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»Betrachtungen ueber die Seele in der Erstarrung und Schlafwanderung«. In: Krüger: Anhang (1756), S. 209–237, insbesondere 225–235. Ebd., S. 229. Krüger: Anhang (1756), S. 231–234. Vgl. Locke (2004/1757), Bd. 1, § 23, S. 351. In der »Deutschen Metaphysik« beschrieb Wolff den Unterschied zwischen Schlafund Wachzustand anhand einer Stufenmodells. Die von der Imagination im Traum hervorgebrachten Bilder unterschieden sich von den Vorstellungen des Tagesbewusstseins vorwiegend durch ihre mangelnde innere Ordnung. Vgl. Christian Wolff: Vernünfftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt [= Deutsche Metaphysik]. Mit einer Einleitung und einem kritischen Apparat von Charles A. Corr. Hildesheim u.a. 1983 (Gesammelte Werke 1.2) (Nachdruck der Ausgabe Halle 1751), S. 76 (§ 143), 497 (§ 799).
418 nehme weiter bestimmte Empfindungen auf. Bilder im Schlaf bzw. Träume könnten daher als Gedanken charakterisiert werden. Zwischen ›Normalzustand‹ und Wahn gebe es keine eindeutige Grenze. Die Einbildungskraft könne nicht lediglich als Vermittlungsvermögen zwischen den fünf äußeren und den drei inneren Sinnen bestimmt werden. Krügers Träume beruhten auf diesen Überzeugungen. Sämtliche Träume entfalteten sich in Kontinuität zu den sinnlichen Gedanken des Tages. Das Vergnügen an einer schönen Landschaft oder der Schreck oder das Streben nach einer wissenschaftlichen Selbstbeobachtung seien für die meisten Träume verantwortlich. So beispielsweise der erste Traum der Sammlung, der Überlegungen über die Empfindlichkeit und die Menschlichkeit entfaltete: Es war einer der schoensten Tage, dergleichen ich mir kaum jemals gesehen zu haben erinnere, als ich in einem Garten spatzieren gieng, welcher mit einer grossen Menge der seltensten Gewaechse von allerley Art prangte; der Gaertner zeigte mir sie, und insonderheit die, so er selbst gezogen hatte, mit einer triumphierenden Mine. Ich betrachtete sie mit besonderem Vergnuegen, unter allen aber gefiel mir keines mehr, als das, dessen Blaetter sich den Augenblick zusammengezogen, wenn man sie beruehrte, und sich darauf erst nach und nach wieder ausdehnten, und in ihre vorige Gestalt versetzten. Ich erinnerte mich gelesen zu haben, daß dieses Zusammenziehen der Blaetter von den Naturkuendigern den Ausduenstungen unserer Haende zugeschrieben werde, und dieses bewog mich mit einem Stocke darauf zu schlagen […]. Kurz darauf schloß ich meine Augen wuerklich und schlief ein. Waehrend dem Schlafe befand ich mich in einem Garten, welcher so kostbar war, als ich ihn jemals gesehen habe, was mich aber am meisten in Verwunderung setzte, war dieses, daß ich Baeume darinnen antraf, welche reden konnten, und was noch wunderbarer schien, so redeten sie eine Sprache, die ich verstand, ob sie schon mit keiner menschlichen Rede verglichen werden konnte …313
Ausgehend von der Wärme der Blätter entwickelte der ›Traum‹ Überlegungen über die Grenze zwischen Mensch, Tier und Pflanze und über die Empfindlichkeit als mögliches bzw. fragwürdiges Charakteristikum des Menschen. Damit wurde die aristotelische Dreiteilung der menschlichen Seele in eine ausschließlich den Menschen eigene rationale, eine auch mit den Tieren geteilte sinnliche und eine den Menschen, Tieren und Pflanzen gemeinsame vegetative Seele in Frage gestellt. Träume dienten weiter als Anlass, sich über bestimmte philosophische Behauptungen lustig zu machen, mithin eigene Aussagen implizit zu begründen. Es ist kaum verwunderlich, dass Krügers Hauptfeinde diejenigen Gelehrten waren, die Seele und Leib deutlich unterschieden, d. h. Descartes und mehr noch Leibniz. Im zweiten ›Traum‹ befand sich einem Motiv des 313
Krüger (1785), S. 1–3. Zum Thema der Empfindungen der Tiere, vgl. den 7. ›Traum‹), in: Ebd.: S. 30–33; Krüger: Versuch (1756), S. 332–336 (als Widerlegung von Descartes und seiner ihm zugeschriebene Behauptung, Tiere wären Maschinen ähnlich). Ironisch hatte Descartes selber die Lebhaftigkeit der Traumbilder betont. In seinem »Discours de la Méthode« schrieb er: »Car d’où sait-on que les pensées qui viennent en songe sont plutôt fausses que les autres, vu que souvent elles ne sont pas moins vives et expresses?« René Descartes: Discours de la méthode & Essais. In: Œuvres de Descartes. Hgg. von Charles Adam, Paul Tannery. Bd. VI. Paris 1982, S. 38.
419 17. Jahrhunderts folgend der Ich-Erzähler auf einer Reise und übernachtete in einem Wirtshaus. Sein Traum sei von den Flöhen und deren Stichen bewirkt worden, denn das dortige Bett sei voll von diesen gewesen. Er sehe sich auf eine Fläche von Nadelspitzen herunterfallen, über die »blassen und abgezehrten Gesichter« der Unterwelt, »deren Glanz nicht viel staercker als der Glanz der Johanneswuermchen war«. Sie erklärten ihm, dass sie »Weltweise [d. h. Philosophen seien], welche die Monade des unvergleichlichen Leibnizen bewachen«.314 Diese lobten die als abstrakte, empirisch nicht nachweisbare und körperfeindliche verurteilte Leibnizsche Philosophie: Die anschauende Erkenntniß ihrer Vollkommenheiten erregt in uns ein bestaendiges Vergnuegen, sie ist die Quelle unserer Glueckseligkeit, und bringt in uns ein Bemuehen hervor, dieser Monade, dieser vortreflichen, dieser unsterblichen, dieser seraphinischen Monade, aehnlich zu werden. Eine vorherbestimmte Uebereinstimmung unserer Leiber macht, daß sie sich nach unserem Wunsche richten, und, indem sie dieses thun, bestaendig abnehmen, wodurch bereits einige unserer Mitglieder zu einem solchen Grade der Vollkommenheit gediehen sind, daß man sie kaum durch die Vergroesserungsglaeser erblicken kann. Es ist wahr, wir hungern und dursten, aber wir hungern mit Vergnuegen, weil wir hoffen einer Monade dadurch immer aehnlicher zu werden. […] Gnaedige Herren! Verzeichen sie mir, ich bin keine Monade, und also unwuerdig, mit ihnen in der Unterwelt zu hungern […]. Sogleich sprung mir einer [d. h. ein Geist bzw. eine Monade] von ihnen, der durch vieles Abstrahiren so klein als ein Floh geworden war, ins Gesichte, und biß mich dergestalt, daß ich erwachte, und zu meinem groeßten Vergnuegen wahrnahm, daß ich einen Leib hatte, welcher keine blosse Erscheinung war.315
Wie flüchtig die Eigentümlichkeiten des Menschen im Vergleich zu denen von Tieren und Pflanzen auch sein mochten, so bestehe der Mensch dennoch in einem lebendigen Zusammenhang von Seele und Körper.316 Im Gegensatz zu Leibniz’ Definition der Psychologie als Wissenschaft der Monaden vertrat Krüger weiter eine vermutlich von den Untersuchungen Albrecht von Hallers (1708–1777) beeinflusste sensualistische Auffassung persönlicher Identität.317 Seine gesamten Träume können als Variationen über die mit314 315
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Sämtliche Zitate in: Krüger (1754), S. 10. Ebd., S. 10–12. Zur kritischen Einschätzung der leibnizschen Monadologie, vgl. auch Krüger: Versuch (1756), S. 165. Im folgenden ›Traum‹ handelte es sich um streitende Bauern. Ein Richter beweise, dass »des Bauers Seele eine Monade sey«. Folglich wurde die Frage aufgeworfen, »ob der Leib oder die Seele solches [den Totschlag] begangen haette«. Da angeblich in Folge der leibnizschen Philosophie der Leib als »ein Rad an der Weltmaschine« und die Seele als eine »Reihe von Begriffen« angesehen wurden, fand man keine Antwort und legte man »alle Philosophie bey Seite«. Krüger: Traeume (1756), S. 13–17. In einem Fragment, das nach 1696 geschrieben wurde, bestimmte Leibniz die Psychologie als die Wissenschaft der Monaden und teilte sie in eine Theorie der Perzeption und eine Theorie der Geister. Die Pneumatologie wurde zwar in die Psychologie integriert, deren Inhalt schöpfte sich aber aus der Physik und der Metaphysik. Vgl. dazu Fernando Vidal: La Place de la psychologie dans l’ordre des sciences. In: Revue de Synthèse 3–4 (1994), S. 327–353, hier 331. Ein halbes Jahrhundert später wurde nicht mehr eine metaphysische, sondern eine physiologische Definition der Seele vorge-
420 einander verflochtenen Themen von Traum, Schlaf, Bewusstsein, Körper, Seele und Wahrheit318 gelesen werden. Dadurch wurden zahlreiche herkömmliche Postulate in Frage gestellt. Als der Ich-Erzähler in seiner Einsamkeit schläfrig wurde und Betrachtungen über die Schläfrigkeit zum Gegenstand seiner »mueßigen Beschaeftigung« wurden, stieß er auf das Problem des Schlafs. Wenn der Schlaf nichts sei und jede Nacht acht Stunden im Schlaf verloren gingen, hätte ein Mann, der mit 60 Jahren gestorben wäre, tatsächlich nur 40 Jahre gelebt. Da der Tod dem Schlaf ähnlich sei, sei es »eine vergebliche Bemuehung, den Zustand der Seele nach dem Tod erforschen zu wollen«. Die einzigen Unterschiede bestünden in der Ungewißheit der »Zeit des Erwachens« und der Traumtätigkeit im Leben.319 Die Grenze zwischen normalem und pathologischem Zustand wurde ebenso hinterfragt. Ein wegen »Raserey« angeklagter Mörder wurde nach folgendem philosophischen Motto freigelassen: »Irren ist menschlich«320 Wie nicht anders zu erwarten, stießen Krügers Versuche auf vielfache Aporien. Nach van Helmont erwies sich die Frage der Erkenntnis der Seele als heikel, sogar gefährlich. Als der Ich-Erzähler beim Nachdenken über das Träumen einschlief, kam er zu den Gedanken, dass man im Traum eine irreale Welt sehe, die ein Werk der mal schöpferischen, mal ungeheuerlichen Einbildungskraft sei: Wenn es nur angienge, daß man zugleich wachte und traeumte, so koennte man doch vielleicht einmal hinter die Schlieche der Seele kommen. Kaum war ich in diesen Gedanken eingeschlafen, als ich zu traeumen anfieng, und zugleich wußte, daß ich traeumte. Ich nahm mir vor genau auf meine Seele Achtung zu geben, und mir deuchte, daß ich sie endlich sahe. Sie war kein einfaches Ding, sie war auch kein Koerper. Was war sie denn? Herzlich gerne wollte ich es sagen, wenn uns nicht in den Traeumen Sachen vorkaemen, die man niemanden wieder erzaehlen kann. […] Die Bilder, welche sich auf dieser dunkeln Seite vorstellten, und bestaendig mit einander abwechselten, sahen fast aus, als wie die Kupferstiche, von denen man sagt, daß sie durch die schwarze Kunst gemacht sind. Sie schienen aus dem Innersten der Seele so zu sagen hervorzuquillen. Ich sahe diesem Schauspiele lange mit Vergnuegen zu, bis ich endlich nach und nach die glaenzende Seite der Seele zu sehen bekam. Ich erblickte darauf mein eigen
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schlagen. Albrecht von Haller behauptete: »Unsere Seele ist dasjenige Wesen, welches sich sein selbst bewußt ist, und sich seinen Leib und durch Hilfe desselben die ganze Welt vorstellet. Ich bin deswegen derselbe Ich, und kein andrer, weil dasjenige, was der Ich genennet wird, von allem demjenigen veraendert wird, was meinem Leibe und dessen Theile wiederfaehrt«. Abhandlung des Herrn von Haller von den empfindlichen und reizbaren Theilen des menschlichen Leibes. Verdeutscht und geprueft von Carl Christian Krausen. Leipzig: Carl Ludwig Jacobi. 1756, S. 22. Haller lokalisierte die Reizbarkeit im Herzen, die Empfindlichkeit jedoch im Gehirn. Vgl. insbesondere den erstaunlichen 129. Traum, einen Dialog zwischen der Personifikationen des Traums und seiner Stiefschwester, der Wahrheit. Krüger (1785), S. 547–557. Ebd., S. 24–30. 137. Traum. In: Ebd., S. 586–590, Zitat S. 590.
421 Bildniß so klein, dabey aber so natuerlich abgemahlt, daß ich recht darueber erschrack, und wuenschte, daß ich einmal zu traeumen aufhoeren moechte.321
Ein halbes Jahrhundert später erschien in der Folge Caprichos das berühmte Blatt des spanischen Malers Francisco de Goya »Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer«. In der ersten Fassung dieses Blattes – einer 1798 entstandene Radierung – schlief ein Mensch in der Gestalt Goyas, den Arm auf einem von Schreibgerät und Papier bedeckten Tisch liegend, vor einem männlichen Gesicht im Hintergrund: Einem herkömmlichen ikonographischen Muster gemäß wurden Träumender und Vision auf derselben Ebene dargestellt. In den ein Jahr später angefertigten Caprichos wurde die Figur von gespenstischen Nachtgestalten umgeben, quasi durchdrungen, wodurch der Blick des Betrachters auf das Schauspiel der Seele gelenkt wurde. Goya fügte dem Blatt noch einen beiliegenden Kommentar bei: »Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder.« Ob dieses Blatt den Schlaf der Vernunft – folglich die Imagination als eine irrationale, destruktive Kraft – oder den Traum der Vernunft – d. h. die schöpferische Dimension des Traums und der Imagination (daher das Schreibgerät und Papier auf dem Tisch) – darstellt, bleibt unklar.322 Jedoch hatte vor ihm bereits Krüger eine ähnlich ambivalente Bewertung des Traums bzw. der Imagination vorgeschlagen. Darüber hinaus stützte sich Krüger auf medizinische und philosophische Untersuchungen, die er in seinem Versuch einer Experimental-Seelenlehre entfaltete. Die befremdende schöpferisch-zerstörerische Natur der Einbildungskraft liege in ihrem »Gesetz«, d. h. in der nur halb kontrollierten Assoziation von Ideen: Die Seele ist also in dem Traume einer Marionettenspielerin aehnlich, die ihre eigene Puppen bewegt, und dieses thut sie, ohne zu wißen, daß sie es thut: indem sie sich einbildet die Zuschauerin eines Schauspiels zu seyn, davon sie die Werckmeisterin ist. Man soll sagen, wie dieses zugehet? Nun waere es freylich sehr gut, wenn man die Feder genauer kennte, wodurch die Seele ihre Puppen regieret, und wenn man den Ursprung des entsetzlichen Irrthums entdecken koennte, welcher macht, daß sie ihre eigene Wercke fuer fremde Geschoepfe haelt. Da man aber dieses nicht wißen kann, indem es ein unzertrennlicher Charakter einer Seele zu seyn scheinet, daß sie sich selber nicht kennet […]. Sie bekoemmt einen mehr oder weniger klaren Begriff davon [= von den sinnlichen Eindrücken ihres Körpers], und das Gesetze der Einbildungskraft leitet sie nach Aehnlichkeiten von einer Vorstellung zu der anderen. Hieraus entstehet eine gantze Reihe von Vorstellungen, die gemeiniglich sehr seltsam ist; weil die Vernunfft so wenig Theil daran nimmt, und bloß eine oeffters sehr weit hergeholte Aehnlichktit [sic] der Grund ist, von 321 322
136. Traum. In: Ebd.: S. 584–586. Interessanterweise verdankte Goya den Entwurf dieses Blattes der »Sueños« Quevedos aus dem Jahre 1627. Vgl. dazu Werner Hofmann, Edith Helman, Martin Warnke: Goya »Alle werden fallen«. Frankfurt am Main 1981 (Syndikat 93); Robert Hughes: Goya. Der Künstler und seine Zeit. München 2004; Helmut C. Jacobs: Der Schlaf der Vernunft. Goyas »Capricho« 43 in Bildkunst, Literatur und Musik. Basel 2006.
422
Abb. 14: Francisco Goya: »Der Schlaf/Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer« (»El sueño de la razon produce monstruos«). Blatt 43 aus der 80 Graphiken umfassenden Folge der Caprichos (1799). Radierung und Aquatinta, Plattengröße 18,3 cm × 12,1 cm
423 der einen auf die andre zu verfallen. Weil nun die Vorstellungen der Einbildungskrafft zu einer solchen Zeit die eintzigen und folglich die lebhafftesten sind, welche man hat; so haben sie das Kennzeichen an sich, durch welches wir unsre Einbildungen von wuercklichen Dingen unterscheiden. Ist es wohl also anders moeglich, als daß man sich einbilden muß, daß alles wuercklich sey, was man sich im Traume vorstellet?323
Vor Mesmer, vor dem Magnetismus, hinterfragte Krüger also bereits die elektrische Komponente der Seele bzw. der Wahrnehmungreize.324 Im Hinblick auf die Fragestellung der ›Psychologisierung des Ich‹ vertrat Krüger eindeutig eine psychologische Auffassung der Seele. Er bezog sich zwar implizit auf das cogito ergo sum, begründete es jedoch mit Hilfe erkenntnistheoretischer Überlegungen. Die Seele als Ort des Bewusstseins sei das Identitätsmerkmal des Menschen (und zwar im Gegensatz zum Gehirn, das sich seines selbst nicht bewusst werden könne).325 Sie könne mittels rauschhafter Zustände (Opium und Tabak)326 oder halbbewusster Träume ›beobachtet‹ werden. Den Auffassungen des 16. und 17. Jahrhunderts entsprechend empfange die Seele zwar Bilder. Sie sei sich ihrer jedoch mehr oder weniger bewusst. Die herkömmliche Auffassung der Gedanken und Begriffe als Bilder327 erfuhr darüber hinaus eine Neuinterpretation. Nun wurde der Akzent auf die malerische Tätigkeit der Seele, folglich auf die schöpferisch-künstlerische Natur der Vorstellungs- bzw. Einbildungskraft der Seele gelegt. »Wercke der Dichtungskrafft« entstünden, wenn die Imagination bisweilen Begriffe, die sich sehr wohl zusammen schicken, und aus deren Zusammensetzung ein neues Gantzes entsteht, das sich unsern Sinnen, unsrer Einbildungskrafft, oder dem Verstande darstellet. Durch eine so glueckliche Verbindung entwirfft der Mahler eine Landschafft, die vielleicht nirgends in der Welt anzutreffen ist, die aber doch darinnen seyn koennte.328
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Krüger: Versuch (1756), S. 197–199. Vgl. auch Ebd., S. 134–139; Ebd., Vorrede, Fol. B 3 r° mit einem interessanten Verweis auf die Chemie: »Sie ist eine Schoepferin, in dem Verstande, wie man solches von der Chymie sagen kann, welche durch Vermischung derer Coerper, die ihr Natur darreicht, neue hervorbringt, welche die Natur nicht hervorgebracht haben wuerde.« Vgl. Ebd., S. 73, 192; Ders.: Traeume (1785), 139. Traum, S. 594–604. Zur Elektrizität im 18. Jahrhundert, vgl. Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen 2003. Krüger: Versuch (1756), S. 17, 33. Krüger definierte das Bewusstsein als »eine innere Empfindung und Gefühl«, in: Ebd., S. 23. Ebd., S. 29. »Man nennt diese Bilder der Seele Begriffe, und das Vermoegen sich dergleichen zu machen, das Vorstellungs- oder Erkaenntnißvermoegen, und eine Vorstellung, die mit dem Bewustseyn begleitet wird, ist ein Gedancke. Woraus also erhellet, daß man zu der Zeit nichts dencke, wenn man sich seiner nicht bewust ist.« In: Ebd., S. 40. Ebd., S. 178. Vgl. auch Ebd., S. 176: »Wir sind nicht nur im Stande, Sachen die wir empfunden haben, uns durch die Einbildungskrafft wieder vorzustellen, sondern wir haben auch ein Vermoegen, diese Vorstellungen mit einander zu verknuepfen, oder sie von einander zu trennen, und dieses nennt man das Vermoegen zu dichten. Hierdurch wird die Einbildungskrafft zu einer Schoepferin; indem sie Bilder von Sachen hervorbringt, die in der Welt keinen wuercklichen Gegenstand haben.«
424 Es gebe daher eine eigene, eigenständige Sprache der Seele. Eine Empfindung bewege bestimmte Nerven, verändere daraufhin einige ›Nervensäfte‹ und berühre dann das Gehirn, wo sie so viel verschiedene Buchstaben vorstellen, die in das Alphabet der Sprache der Seele gehoeren, einer Sprache, welche sie fertig lieset, und vermittelst der Einbildungskrafft redet, ohne sagen zu koennen, wie die Buchstaben derselben aussehen. Allein, es hoeren nicht bloß die Empfindungen im Schlafe auf, sondern es verschwinden auch alle uebrige Vorstellungen dergestalt, daß sich die Seele ihrer nicht mehr bewußt ist, und aufhoert ein Spiegel der Welt zu seyn: oder eigentlicher zu sagen, in den Stand gesetzet wird darinnen sich ein Spiegel in einer dunckeln Stube befindet.329
Folglich wandte Krüger ein erkenntnistheoretisches und ästhetisches Interpretationsraster auf Träume an. Ein schoener Geist, welcher sich vorsetzt, die Welt durch Traeume zu ergetzen und zu belehren, muß fuer allen Dingen darauf bedacht seyn, seinen Vortrag der Natur gemaeß einzurichten. Nun bestehen die Traeume in lauter Bildern; er muß also, wenn er Traeume schreiben will, die Gegenstaende recht lebhaft zu schildern wißen; er muß Schloeßer und praechtige Gegenden beschreiben; er muß seine Personen vom Kopfe bis auf die Fuesse abmahlen, daß es das Ansehen hat, als wenn er sie anatomirt haette. Kurz, der Traeumer muß mahlerische Ideen haben. Findet man diese wohl in den vorhergehenden Traeumen? Gewiß nichts weniger. Trockene Erzaehlungen, und weitlaeuftige Gespraeche von den abstractesten Dingen, sind gewiß nicht von dieser Art. […] Ich sehe den Vorwurf voraus, welchen man mir hierueber machen wird. Man wird sprechen, sind diese Traeume nicht natuerlich, so mueßen sie ein Werk der Kunst seyn. Allein hierauf dienet zur Antwort, daß sich die Traeume nach dem Temperamente und den Umstaenden der Persohnen richten.330
Die Vorstellung vom Traum als halb kontrollierter Assoziation von Bildern führte zu einer neuen Ästhetik der mimesis. Zwar sollte der Beschreiber eigener Träume die Natur nachahmen. Jedoch handelte es sich dabei eher um eine Übersetzung oder Umsetzung denn um eine Wiederspiegelung. Um die Bilder des Traums und ihre Lebhaftigkeit wiederzugeben, solle der SchreiberMaler eigene lebhafte, fiktive Bilder entwerfen: Alles solle aussehen, »als wenn« er die Figuren »anatomirt« hätte. Die Frage nach deren Wahrheit oder Authentizität erwies sich daher als kaum angebracht.331 Da Träume eine andere Wahrheit als die wohlgeordnete Rationalität böten, sollte auch deren Niederschrift die Anstandsregeln nicht berücksichtigen. Fiktion und Wahrheit bildeten nach Krüger keinen schroffen Gegensatz. 329 330 331
Ebd., S. 183. Ebd. (1756): »Beurtheilung der Traeume«, Fol. Tt 2 r°-v°. »Es mueßen ferner Traeume, welche geschrieben sind, die Welt zu unterrichten und zu vergnuegen, nutzliche Wahrheiten auf eine Art vortragen. […] Ja es mangelt ihnen das sicherste Kennzeichen der Wahrheit, nemlich die Ordnung, indem alles untereinander gemischt ist, und man nicht begreift, wie der Verfaßer von einer Materie auf die andere faellt, die damit nicht den geringsten Zusammenhang hat. […] Ich habe wider dieses alles nichts einzuwenden, denn es beweißt weiter nichts, als daß dieses wuerkliche und keine erdichtete Traeume sind, und wer will mir zumuthen klueger zu traeumen als andere Leute?« Ebd., Fol. Uu 2 v° – Uu 3 r°, Uu 3 v° – Uu 4 r°.
425 Mittel des Fassens und der Entzifferung solcher Bilder der Seele sei die »Aufmercksamkeit«.332 Diese könne am Besten mittels wachender Träume vollzogen werden. Das Stereotyp des träumenden Gelehrten erfuhr dabei eine Neuinterpretation.333 Wachende Traeumer sind Menschen, denen eben so wie den wuerklich Traeumenden eine Empfindung zum Denken Anlaß giebt, die sie hernach nach den Gesetzen der Einbildungskraft dergestalt fortsetzen, daß sie sich dessen, was um und neben ihnen geschiehet, nicht mehr bewust sind. Weil sich nun dergleichen Personen, mehr mit ihren Gedanken als ihren Empfindungen beschäftigen; so pflegt man von ihnen zu sagen, daß sie immer in Gedanken waeren. […] Andere sind wuerkliche Traeumer, und fallen, ohne selber zu wissen warum, durch die Einbildungskraft, deren Fuehrung sie sich gaenzlich ueberlassen, von einem ungewissen und ungereimten Gedanken immer auf den andern. Endlich giebt es noch eine dritte Art wachender Traeumer, denen man zu viel Ehre erweißt, wenn man sie mit diesem Namen belegt, indem ihr Zustand einem Schlafe aehnlicher als einem Traume ist; weil sie sich zu dieser Zeit fast gar nicht bewust sind, und wenn man sie fragt, warum sie in Gedanken sitzen, antworten, sie haben gar nichts bedacht. […] Niemand ist der Krankheit, wachend zu traeumen, mehr unterworffen, und mehr dazu geneigt, als die Gelehrten. Was ist das Meditiren anders als ein vernuenftiger Traum eines Wachenden? Nur ist es schlimm, daß man diese Art zu traeumen sich dergestalt angewoehnen kann, daß es das Ansehen bekoemmt, es sey die Uebereinstimmung der Seele mit dem Leibe aufgehoben worden, weil diese immer anderswo ist, als da sich der Koerper befindet. Ja man kann endlich sogar in die letzte Art wachenden Traeumens gerathen, welche nur fuer Schlaefrige und fuer Kranke gehoert.334
Eine wissenschaftliche Selbstbeobachtung setze also eine halb geführte Träumerei voraus, die auch zum Wahn führen könne. Bereits um 1750 wurde im Heiligen Römischen Reich die schöpferische und zerstörische Natur der Einbildungskraft erkannt. Träume wurden dadurch anhand eines psychischen und ästhetischen Rasters hinterfragt, das den eindeutigen Gegensatz von ›echt‹ und ›fiktiv‹ aufhob. Die Psychologisierung der Seelentätigkeit ging also nicht unbedingt mit der Niederschrift eigener ›authentischer‹ Träume einher, sondern stützte sich auf eine halb reflektierte, halb imaginäre Träumerei. Dem Postulat einer sinnlichen Kontinuität zwischen Wachzustand und Schlaf folgend versuchte Krüger, einige wissenschaftliche Überlegungen im Traum weiterzuführen. Weil ich meistentheils der Traum mit den Gedanken beschaeftiget, mit welchen man eingeschlafen ist, so moechte man meynen, daß es sehr wohl gethan sey, mit solchen Gedanken einzuschlafen, die man gerne behalten, oder besser entwickeln wollte. Ich muß gestehen, daß dieses ein Mittel sey, etwas besser ins Gedaechtniß zu fassen, oder
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»Daß die Seele aufhoert Bilder vorzustellen, davon kann die Schuld an ihr selber oder auch an ihrem Koerper liegen. An ihr selber liegt es, wenn sie nicht aufmercksam genug ist, die Schrift zu lesen, welche ihr die Natur in dem Gehirne vorzeichnet«. In: Ebd.: S. 184. Zur mittelalterlichen Auffassung der acedia, vgl. Larchet. Vgl. oben S. 136. Krüger: Traeume (1756), »Beurtheilung der Traeume«, Fol. c 2 r° – c 3 r°.
426 auch eine Sache durch den Verstand desto eher zu bearbeiten. Ich habe mich desselben selbst in meinen jüngern Jahren bedient, und wahrgenommen, daß mir der Traum so gar behuelflich gewesen, mathematische Aufgaben aufzuloesen. Es ist dieses desto weniger zu bewundern, da alle mathematische Beweise und Erfindungen nach dem Gesetze der Einbildungskraft fortgehen. Ein Schluß ist nichts anders als ein Spiel der Einbildungskraft mit dem Mittelworte, und bloß durch die Aehnlichkeit koemmt man von einem Schlusse auf den andern. Ja weil man im Traume auf Vorstellungen verfallen kann, auf die man wachend nicht gerathen seyn würde; so wollte ich den Traeumen nicht allen Anspruch auf die menschlichen Erfindungen absprechen …335
Wie der Traum beruhe die wissenschaftliche Beweisführung auf dem »Gesetz der Einbildungskrafft«. Der Unterschied besteht nach Krüger in der Gefährlichkeit der Imagination im Traum. Krüger steht damit an Ende einer bestimmter Tradition wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Traum.
6.6
Fazit
Als Kepler sein erst posthum erschienes Werk über die Mondflecken, das die kopernikanische Lehre bestätigte, in Form eines Traums verfasste, bediente er sich des Traummotivs vor allem als Instrument gegen die Zensur.336 Die Auseinandersetzungen über die Hexerei in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lenkten das Augenmerk auf die politische Dimension der Grenzziehungen zwischen den natürlichen, über- und außernatürlichen Bereichen. Auch die Natur der Täuschung, die Unterschiede zwischen Schlaf und Wachzustand und die physiologische Komponente des Traums wurden hinterfragt.337 In seinem Discours de la méthode (1637) und seinen Méditations (1641) stützte sich Descartes auf den Traum als Instrument zur Widerlegung skeptischer Argumente. Dabei entfaltete er weder eine Theorie noch auch nur eine einheitliche Auffassung vom Traum.338 Leibniz schloss seine Theodizee (1710) mit einem Traumbericht: In Athen schlief Theodorus im Tempel der Göttin Pallas. Durch ihre Berührung mit einem Olivenzweig erhielt er die Sehergabe und sah daraufhin nicht nur tatsächliche Ereignisse, sondern auch sämtliche möglichen Ereignisse, denn alle möglichen Welten exis-
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Ebd., Fol. a 8 r°-v°. Vgl. Kepler’s Somnium. The Dream, or Posthumous Work on Lunar Astronomy. Translated with a commentary by Edward Rosen, Madison, Milkwaukee. London 1967 (The University of Wisconsin Press). Im selben Sinne stützt sich Balthasar Bekker auf Träume in: Balthasar Bekker: Die bezauberte Welt (1693), Mit einer Einleitung herausgegeben von Wiep van Bunge. 2 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt 1997 (Freidenker der europäischen Aufklärung, Abteilung I.7), Bd. 2. l. IV, S. 22–26; Ebd., Bd. 2. l. IV, S. 68–81 (Fall Clauß Claussens); Ebd., Bd. 2. l. IV, S. 89–96 (Rezeption der Fall Grandiers aus Loudun). Unter einer sehr reichen, jedoch sehr ungleichen Sekundärliteratur zu Descartes’ Träumen vom Jahre 1619 und seinem Rekurs auf Träume im »Discours de la Méthode« und in den »Méditations«, vgl. vor allem Dumora (2005), S. 183–217.
427 tierten als Ideen. Jede Wohnung des Tempels wies auf eine mögliche Welt hin. Das Ganze bildete eine Pyramide, an deren bis zum Unendlichen reichende Spitze die Beste aller möglichen Welten stehe. Der Schluss des Textes lautet: Mich dünkt, diese Weiterführung der Fabel kann die Schwierigkeit beheben, an die Valla nicht hat rühren wollen. Wenn Apollo das göttliche Wissen als Wesensschau (das das Seiende betrifft) gut repräsentiert hat, so hoffe ich, daß Pallas auch das sogenannte Wissen als einfache Einsicht (das alle Möglichkeiten betrifft) nicht schlecht dargestellt haben wird: denn in ihm ist schließlich die Quelle aller Dinge zu suchen.339
Theodorus’ Traum begann ganz konventionell wie eine Allegorie, die sich nicht auf Leibniz’ Überlegungen in den Nouveaux Essais sur l’entendement humain über die aus mnesischen Spuren hervorgehenden Träume, sondern auf Wahrsagung stützte. Allerdings ermöglichte der Traum Leibniz die Meditation über die Logik des Möglichen. Vor allem trat am Ende Pallas und damit die »einfache Einsicht« anstelle von Apollo und dem »göttlichen Wissen« auf. Bei Bernd und Krüger wurde der Traum zum Gegenstand der Analyse. Der träumende Krüger sah keine allgemeinen ›Traumgesichter‹. Seine eigenen, persönlichen Traumbilder waren zu inneren Repräsentationen geworden. Sie enthielten keine verschleierte Bedeutung, sondern zeichneten sich durch ihre semiotische Obskurität aus. Infolge der schöpferischen wie zerstörischen Natur der Einbildungskraft wurden die Träume in doppelter Hinsicht zum Gegenstand der Ästhetik. Traumberichte bezogen sich nun ausdrücklich auf die Traumtheorie – medizinische Fallberichte wurden sogar als Quelle benutzt. Angesichts der Quasi-Unmöglichkeit einer unmittelbaren Erfahrung des Traums und der Notwendigkeit, die Sprache der Seele zu übersetzen, zeichnete Krüger fiktive Träume auf. Die Gattung der empirisch-wissenschaftlichen Traumtagebücher entstand erst später. Der Visionär Emanuel Swedenborg verfasste zwar ein Traumtagebuch in den Jahren 1743 und 1744, in dem er Eindrücke, Einsichte und Träume knapp aufzeichnete. Jedoch handelte es sich dabei zunächst um ein Reisetagebuch, das er im Heiligen Römischen Reich (1733–1736), später während seiner Aufenthalte in Holland, Flandern, Frankreich und Italien (1736–1739) auf Schwedisch führte und nie veröffentlichte.340 Im Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde empfahl der Mit339
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»Il me semble que cette continuation de la fiction peut éclaircir la difficulté à laquelle Valla n’a point voulu toucher. Si Apollon a bien représenté la science divine de vision (qui regarde les existences), j’espère que Pallas n’aura pas mal fait le personnage de ce qu’on appelle la science de simple intelligence (qui regarde tous les possibles), où il faut enfin chercher la source des choses.« Leibniz (1996). Bd. 2, S. 260–269, Zitat S. 269. Vgl. dazu Emanuel Swedenborgs Journal of Dreams 1743–1744. Hg. von Wilson van Dusen. New York 1986.
428 herausgeber Carl Friedrich Pockels (1757–1814) 1787 seinen Lesern, zwar »Tagebuecher der Einbildungskraft« zu führen, die nicht nur allgemeine Einsichten über seelische Vorgänge vermitteln, sondern auch zur Disziplinierung und Kontrolle der Einbildungskraft beitragen sollten.341 Wir haben aber keinen Nachweis, ob solche Tagebücher wirklich verfasst wurden. In Frankreich gab es wissenschaftliche Traumtagebücher erst Mitte des 19. Jahrhunderts.342 Die Psychologisierung der Seelentätigkeit, und damit der Auffassungen von persönlicher Identität, fand im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts keinen unmittelbaren Niederschlag in wissenschaftlichen Tagebüchern. Nach damals vertretener Anschauung konnte die Selbstbeobachtung und deren Fixierung in Tagebüchern sogar zum Wahn führen, wie Kant hervorhob: Beobachten (observare) seiner selbst […] ist eine methodische Zusammenstellung der an uns selbst gemachten Wahrnehmungen, welche den Stoff zum Tagebuch eines Beobachters seiner selbst abgiebt und leichtlich zu Schwärmerei und Wahnsinn hinführt.343
Der Selbstbeobachter richtet sein Augenmerk so sehr auf außerordentliche Phänomene wie Träume, Wahn und Visionen, dass er in die Gefahr einer empathischen Ansteckung gerate. Krügers Antwort bestand in der Niederschrift selbstreflektierender, doch fiktiver Träume. Fast scheint es, als ob es sich bei der Psychologisierung der Seelenvorgänge eher um eine anthropologische als um eine rein medizinische oder philosophische Wende gehandelt habe.
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Carl Friedrich Pockels: Ueber den Einfluß der Finsterniß in unsere Vorstellungen und Empfindungen, nebst einigen Gedanken ueber die Traeume. In: NOI AYTON. Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde 5 (1787), 2. Stück, S. 91: »Vielleicht wuerden wir viel groeßere Schritte in der Seelenlehre thun, wenn uns mehrere aufgeklaerte Maenner richtige und wahrhafte Tagebuecher ihrer Einbuldungskraft mit den jedesmali Localumstaenden einzelner Bescheinungen derselben mittheilen wuerden.« Vgl. dazu Carroy. Ich schliesse hier das Beispiel des Genfers Pierre Frémont aus, da es sich nicht um ein Tagebuch, sondern um eine handschriftliche Fassung eines Traumbuches in der Tradition der Wahrsagung Artemidors handelt. Vgl. (mit fragwürdigem Kommentar) Michel Porret: L’homme aux pensées nocturnes. Pierre Frémont, libraire et explicateur de rêves à Genève au siècle des Lumières. Genève 2001. Immanuel Kant: Gesammelte Werke. Bd. VII, S. 132. Zitiert nach: Schings (1977), S. 37. Kant dachte vor allem an das »Geheime Tagebuch. Von einem Beobachter seiner selbst« (1771/1772) von Johann Caspar Lavater.
429
7
Bewusstsein, Einbildungskraft und persönliche Identität um 1750
Johann Gottlob Krügers wissenschaftliche Vorsicht, gar Unsicherheit bezüglich der Definition der Seele, seine bange Behauptung, die Seele sei »im Traum einer Marionettenspielerin aehnlich, die ihre eigene [sic]Puppen bewegt, und dieses thut sie, ohne zu wißen, daß sie es thut: indem sie sich einbildet die Zuschauerin eines Schauspiels zu seyn, davon sie die Werckmeisterin ist«1 waren aufschlussreich hinsichtlich des Wissensstandards über den Traum um die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die breite Palette von Traumkonzepten war um 1750 primär von Angst geprägt. Dabei spielte in erster Linie die Mechanisierung des Weltbildes infolge der sogenannten wissenschaftlichen Revolution der Naturwissenschaften vorwiegend in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine große Rolle. Im Zuge der Aufwertung des Neuen, der Betonung von Experiment und Erfahrung für den Gewinn neuer Kenntnisse und der Heranziehung der Mathematik für die Beschreibung des Beobachteten waren neue epistemische Werte aufgetaucht: Tatsache, Experiment, Erfahrung, Beobachtung,2 die auch auf seelische Vorgänge angewendet wurden und zu einer ›Psychologisierung‹ und ›Anthropologisierung‹ bestimmter Kategorien aus der Logik, der Metaphysik und der Sittenlehre beitrugen.3 Die Erkenntnis wurde nicht mehr statisch nach dem rigiden aristotelischen Modell, sondern dynamisch verstanden. Inwiefern konnten dennoch Methoden der Naturwissenschaften auf die Erkenntnis der Seele übertragen werden? Das 18. Jahrhundert wurde von einem ›Methodenstreit‹ durchzogen.4 1 2
3 4
Krüger: Traeume (1756), S. 197–198. Vgl. Einleitung Anm. 5 und 6 sowie Simon Shaffer: Making Certain. In: Social Studies of Science 14/1 (1984), S. 137–152; Peter Dear: Cultural History of Science. An Overview with Reflections. In: Science, Technology, & Human Values 2 (1995), S. 150– 170; Ders.: Discipline and Experience. The mathematical way in the Scientific Revolution. Chicago/London 1995 (Science and its conceptual Foundations); Simone De Angelis: Von Newton zu Haller. Studien zum Naturbegriff zwischen Empirismus und deduktiver Methode in der Schweizer Frühaufklärung. Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit 74); Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hgg. von Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach. Köln/Weimar u.a. 2004, S. 151–465. Vgl. dazu Vidal (2006), S. 311–353. Vgl. dazu Fernando Vidal: Le discours de la méthode dans la psychologie des Lumières. In: L’Homme et la société 2008 (167–169), S. 53–82.
430 Grundlegend war Christian Wolffs Bezeichnung der psychologia empirica sowie der Medizin als eine ars observandi, d. h. als eine Beobachtung bzw. ein Experiment (experientia) bezüglich natürlicher und von jedwedem Eingriff unabhängiger Tatsachen.5 Wolff ging davon aus, dass sich der Wille und somit auch die menschlichen Handlungen aus einem Vergnügen (voluptas) oder einer Abneigung (taedium) herleiteten. Er charakterisierte sie als Intuition bzw. intuitive Kenntnis (intuitus, seu cognitio intuitiva) einer wirklichen oder scheinbaren Vollkommenheit oder Unvollkommenheit. Die nicht unerhebliche Rolle dieser Definitionen in der Ästhetik wird hier ausgeklammert. Stattdessen wird betont, wie Wolff und einige seiner Schüler versuchten, sie zu messen: Das Vergnügen und die Abneigung stünden im gleichen Verhältnis zu den Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, deren wir uns bewusst seien. Wolff strebte auch nach einer mathematischen Bestimmung der »Aufmerksamkeitsgrade«.6 Eine mathematische Erkenntnis der Freiheit der Seele und der menschlichen Handlungen könnte zur Herausbildung eines mathematisch exakten Justizwesens führen. Das Streben, geistige Kräfte zu messen, durchdrang das 18. Jahrhundert und leistete methodischen Überlegungen zur Erforschung der Seele Vorschub. Die Gelehrten spalteten sich in zwei Gruppen. Mit Wolff warfen einige einen philosophischen, analytischen und abstrakten Blick auf die Seelenkräfte. Sie widmeten dem Traum kaum Aufmerksamkeit und wiederholten in der Regel Wolffs Definitionen: Wenn der Mensch sich nicht im Tiefschlaf befinde, erhalte seine Seele bestimmte Vorstellungen, die Träume. Diese rührten von der Einbildungskraft her und ihr Charakteristikum sei die Unordnung.7 Zahlreiche Gelehrte, die sich mit dem Traum beschäftigten, bekannten sich eher als Anhänger Lockes und dessen Empirismus. Wie Krüger schenkten sie medizinischen Fallberichten, die sie für empirische Quellen hielten, besondere Aufmerksamkeit. Dabei erregte das Nachtwandeln besonderes Interesse.8
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Christian Wolff: Psychologia empirica (1732). Vgl. Vidal (2006), S. 145–146. Wolff: Psychologia empirica, § 243–248. Vgl. Vidal (2006), S. 147. Christian Wolff: Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt. Mit einer Einleitung und einem kritischen Apparat von Charles A. Corr. Hildesheim/Zürich 1983 (Gesammelte Werke 1/2), § 239–240 und 795–805, S. 133–134 und 495–500. Da den Träumen die Ordnung fehle, könne die Vernunft Traum und Wachen zuverlässig unterscheiden. Vgl. dazu Sonia Carboncini: Transzendentale Wahrheit und Traum. Christian Wolffs Antwort auf die Herausforderung durch den Cartesischen Zweifel. Stuttgart 1991. Vgl. Georg Friedrich Meier: Versuch einer Erklaerung des Nachtwandelns. Halle 1758. Justus Christian Hennings: Von den Traeumen und Nachtwandlern. Weimar: Hoffmann. 1784; Ders.: Von Geistern und Geistersehern. Leipzig 1780. Interessanterweise hat Meier auch Abhandlungen über Träume, Gespenster und den Status der Seele nach dem Tod. In: Ders.: Diss. philos. de somno morali, Ge. Frid. Meier. Def. Jo. Jos. Sucro,
431 An der Diskussion über die Natur des Traums nahmen Philosophen, Ärzte und Theologen teil. Neben der beruflichen Tätigkeit spaltete auch das jeweilige berufliche Ethos die Wissenschaftler. Einige entfalteten abstrakte Fragestellungen über die Willensfreiheit, andere konzentrierten sich auf die Analyse der Seelenkräfte, andere betonten die Nervenphysiologie. Alle jedoch gaben sich mit den aristotelischen, ontologischen oder metaphysischen Bestimmungen der Seele nicht mehr zufrieden und hinterfragten stattdessen den leibseelischen Zusammenhang (commercium). Obwohl Philosophen, Mediziner und Theologen, Mechanisten und Sensualisten, Theoretiker und Empiristen nicht dieselbe Sprache verwendeten, trotz zahlreicher Abweichungen bezüglich der physiologischen Vorgänge,9 obwohl die Bestimmung der Seele und des commercium animae et corporis umstritten blieben und sämtliche Überlegungen keine homogene Gesamtheit bildeten, setzten sich die Konturen eines allgemeinen Traumdiskurses durch. Dieser Traumdiskurs trat insbesondere in Halle um 1750 zutage, als einige philosophische Mediziner in Anlehnung an Johann Gottlob Krüger sich um eine produktive Vermittlung von Philosophie und Medizin bemühten. Dafür vereinten sie die Wolffsche Psychologie mit der sensualistischen Philosophie und der sich ausbildenden Nervenphysiologie. Diese ›Psychomediziner‹ verbanden scheinbar gegensätzliche Einsichten. Mit Wolff verwarfen sämtliche Mediziner und Philosophen die cartesianischmechanistische Interpretation des Schlafs als ausschließliches Produkt der Tätigkeit von Lebensgeistern.10 Ebenso wie die Sensualisten hoben sie die Rolle der Empfindungen als Ansporn zum Traum hervor. Mit Wolff charakterisierten sie den Traum als »mittleren Zustand« zwischen Schlafen und Wachen, in dem der Mensch klare, jedoch undeutliche Gedanken erhielt.11 Letztlich motivierte die Angst vor der Macht der Einbildungskraft sowohl die rational-analytischen Darlegungen der Seelenkräfte als auch die medizinischen Fallberichte. Zwar wurde allgemein anerkannt, dass der Mensch in einem leibseelischen Zusammenhang stehe. Wer jedoch war befugt, die eigenen Träume oder deren Bedeutung eindeutig zu entschlüsseln?
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aut. Halae 1750; Ders.: Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern. Halle 1748; Ders.: Gedanken von dem Zustande der Seelen nach dem Tode. Halle 1746; Ders.: Vertheidigung seines Beweises des ewigen Lebens der Seele und seiner Gedancken von der Religion. Halle 1752; Georg Friedrich Meiers Beweis daß die Menschliche Seele ewig lebt. Halle: Hemmerde. 21754; Ders.: Abermalige Vertheidigung seines Beweises daß die Menschliche Seele ewig lebe. Halle: Hemmerde. 1753. Vgl. dazu Michael Stolberg: Body language. Dreaming in Eighteenth-Century Practical Medicine. In: The Dream and the Enlightenment, S. 71–87. Vgl. René Descartes: Traité de l’homme [im Jahre 1632 verfasst, posthum im Jahre 1664 erschienen]. In: Ders.: Treatise of man. French Text with Translation and Commentary by Thomas Steele Hall. Cambridge (Ma.) 1972, S. 67–71. Wolff: Vernünfftige Gedancken (1983), § 801, 803, 805, S. 498–500.
432
7.1
Eine Säkularisierung der Traumdeutung?
Obwohl die Historiker heute die Aufklärung nicht mehr als Synonym für Rationalismus und Öffentlichkeit betrachten,12 kursiert immer noch ein Stereotyp, wonach der ›aufklärerische Traum‹ für göttliche Eingebungen keinen Raum mehr gelassen habe.13 Wäre dies der Fall, wie ließe sich die zunehmende Sensibilität für Schwärmerei interpretieren? 7.1.1
Eine Götterdämmerung des ›übernatürlichen Traums‹?
Schriften zugunsten eines göttlichen Ursprungs der Seele und Beweisführungen ihrer Unsterblichkeit erschienen und waren bis Ende des 18. Jahrhunderts Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.14 Dieses Themenfeld bedarf tatsächlich einer Differenzierung. Denn die Tätigkeit des Teufels, die Kategorie teuflischer Träume also wurde im Laufe der Zeit zunehmend in Zweifel gezogen. Da Traumbücher unter dem Verdacht des Aberglaubens standen, wurden sie zwar nicht vernachlässigt, jedoch selektiv wahrgenommen und benutzt. Die Frage der Auferstehung des Leibes löste jedoch immer noch viele Unsicherheiten in Hinsicht auf die Seele und deren Verhältnis zum Leib aus. Der aufsehenerregende Erfolg des Buches von Balthasar Bekker, Die bezauberte Welt (niederländisch 1691, deutsch 1693) mag genau darin begründet liegen, dass die Macht des Teufels damals allgemein hinterfragt 12
13
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Vgl. beispielsweise Aufklärung und Esoterik. Hg. von Monika Neugebauer-Wölk. Hamburg 1999 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 24); Arkanwelten im politischen Kontext. Hg. von Monika Neugebauer-Wölk. In: Aufklärung. Interdisziplinäres Jahrbuch zur Erforschung des 18. Jahrhunderts und seiner Wirkungsgeschichte 15 (2003); Monika Neugebauer-Wölk: Praktische Anthropologie für ein utopisches Ziel. Menschenbeobachtung und Menschenbildung im Geheimbund der Illuminaten. In: Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung. Anthropologie im 18. Jahrhundert. Hgg. von Jörn Garber, Heinz Thoma. Tübingen 2004 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 24), S. 323–338; Thomas Biskup, Esther Kilchmann: Aus Preußens Geisterfabrik: Medien politischer Kritik und Spektren nationaler Entwürfe im ausgehenden 18. Jahrhundert. In: Gespenster und Politik, S. 201–219. Vgl. beispielsweise Alt (2002), S. 131: »Verdächtig ist der prophetische Traum zumal deshalb, weil er die Vorstellung einer selbstreferentiellen menschlichen Vernunft durchkreuzt. Die durch die Aufklärung vorangetriebene Konzeption der Individualität stützt sich wesentlich auf Selbstbezug und, damit verbunden, auf den Aufbau eines geschlossenen psychischen Apparates. Die Konstruktion dieses Apparates läßt jedoch Formen der Fremdbestimmung und Außensteuerung des Menschen, wie sie die Vorstellung vom göttlichen Traum notwendig voraussetzt, nicht mehr zu. […] Weder die humoralpathologisch begründete Lehre der natürlichen Träume noch die Auffassung von den übersinnlichen Eingebungen spielen im aufgeklärten Denken eine bestimmende Rolle.« Vgl. beispielsweise P. Friedrich Sturmlerner: Die Seele des Menschen in ihrer Geistigkeit und Unsterblichkeit … Kempten 1790; Charles Bonnet: Essai de psychologie, o. O. Zitiert nach: Vidal (2006), S. 364.
433 wurde.15 Der ursprünglich aus Westfalen stammende holländische, calvinistische Pfarrer Balthasar Bekker (1634–1698) bestritt, einer radikalen Interpretation von Descartes’ Definition der Seele als res cogitans und des Leibes als res extensa folgend, die Möglichkeit einer Einwirkung des Teufels als Geist auf menschliche Körper, d. h. auf Materie. Er setzte auf die Erfahrung als Beweismodus und die Vernunft als Bollwerk gegen »Vor-Urtheile«16. Die Streitigkeiten zwischen den gemäßigten und den radikalen Pfarrern trugen in den Vereinigten Provinzen zum Erfolg dieses Buches bei.17 Im Heiligen Römischen Reich, wo es bereits vor dessen deutscher Übersetzung rezipiert worden war, wurde es zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte, als der Hallesche Jurist Christian Thomasius im Jahre 1701 eine Dissertation betitelt De crimine magiae (resp. Johannes Reiche) verteidigte, in der er die Hexerei als imaginäres Verbrechen behandelte. Zwar bestritt er keineswegs die Existenz des Teufels per se. Da dieser jedoch keinen Einfluss auf materielle Körper ausüben könne, könne er weder eine körperliche Gestalt annehmen, noch körperliche Bündnisse mit den Hexen eingehen. Ihre Geständnisse seien lediglich auf den Wahn oder die Folterqualen zurückzuführen. Dieser Text wurde 1702 zum ersten Mal ins Deutsche übertragen (Kurtze Lehrsaetze von dem Laster der Zauberey). Darin lehnte Thomasius die cartesianische Philosophie aufgrund ihrer Radikalität ab, bestritt die Abgrenzungen zwischen natürlichem, außernatürlichem und übernatürlichem Bereich als scholastisch-metaphysische »Geschwaetze«,18 leugnete jedoch keinesfalls, dass Gott sich durch Träume und unsichtbare Medien offenbaren könne.19 Diese Stellungnahme war offensichtlich tonangebend in der gemäßigten aufklärerischen Öffentlichkeit. Noch im Jahre 1704 jedoch veröffentlichte der Hallesche Medizinprofessor Friedrich Hoffmann (1660–1742), Autor einer 15
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Balthasar Bekker: De Betoverde Weereld. Friesland 1691 (Amsterdam 21691). Deutsche Übersetzung im Jahre 1693 unter dem Titel »Die bezauberte Welt«. Zu Balthasar Bekker, vgl. Jonathan, I. Israel: Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of the Modernity 1650–1750. Oxford 2001, S. 382–405; Claire Gantet: »Bloß ein Schein …«. Balthasar Bekker: Die bezauberte Welt (1693). Mit einer Einleitung hg. von Wiep van Bunge. 2 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt 1997 (Freidenker der europäischen Aufklärung I.7/1–2). Bd. 1, Fol. a 2 r°. Die zwei ersten Bände, die über 400 Seiten umfassen und in zwei Auflagen 1691 in einer Ausgabe von 5750 Exemplaren erschienen, waren innerhalb von zwei Monaten vergriffen. Nach Bekker, der persönlich die Kopien prüfte und mit seiner Unterschrift beglaubigte, waren im Januar 1693 bereits mehr als 8000 Exemplare verkauft. Schon im Frühjahr 1692 veröffentlichten die Acta Eruditorum eine dreizehnseitige Buchbesprechung, die das Buch als eine völlige Verneinung der magischen und teuflischen Macht und dessen Autor als Anhänger von Baruch de Spinoza darstellte. Christian Thomasius: Vom Laster der Zauberei. Über die Hexenprozesse. De Crimine Magiae. Processus Inquisitorii contra Sagas. München 21987 (1986), Zitat S. 56. Christian Thomasius: Erinnerung Wegen seiner künftigen Winter-Lectionen, So nach Michaelis dieses 1702. Jahres ihren Anfang nehmen werden. Halle [1702]. In: Ebd., S. 219–224, insbesondere 222.
434 ersten Dissertation über die Macht der Einbildungskraft und einer zweiten über das Schlafwandeln,20 eine Philosophische und Medicinische Untersuchung Von Gewalt und Wuerckung des Teufels In/ Natuerlichen Coerpern. Darin bestätigte er die Existenz des Teufels und seine geistige Natur, beschränkte traditionell seine Macht auf die »Bewegungs-Geister« (spiritus animales), die Einbildungskraft nämlich, und erklärte ihn als Ursache geistiger Krankheiten. Den Alptraum schrieb er teuflischen Ansteckungen oder physiologischen Störungen (einer Verstopfung des Bluts in der Lunge und im Gehirn) zu.21 Es scheint, als bestehe die Säkularisierung eher in einer Einteilung der wissenschaftlichen Bereiche und deren Aufgaben als im Triumph einer atheistischen Hinterfragung des Menschen. Ein Wissenschaftler wie Christian Wolff, zum Beispiel, schloss die Existenz übernatürlicher Träume keineswegs aus: Wenn ein Traum sich auf solche Weise ereignet [d. h. als Folge einer Empfindung oder Einbildung]; so ist er in dem Wesen und der Natur der Seele gegruendet (§ 755. 756), und daher natuerlich (§. 757.). Hingegen wenn ein Traum entweder ohne eine Empfindung entstuende, oder auch wider die Regel der Einbildungen (§ 238) fortgesetzet wuerde; so waere er im Wesen und der Natur der Seele nicht gegruendet (§ 755. 756.) und daher uebernatuerlich (§ 758.) und ein Wunder-Werck an der Seele (§. 759).22
Manches Mal waren die Gelehrten auch geteilter Meinung. So verfasste beispielsweise der Hallesche Medizinprofessor und ausgebildete Philosoph, Schüler und Nachfolger von Georg Ernst Stahl, Michael Alberti (1682– 1757), im selben Jahr (1740) einige Philosophische Gedancken von Dem Unterschied der Kraeffte der Seelen nach dem Unterscheid [sic] der Menschen und eine Medicinische Betrachtung von den Kraefften der Seelen nach dem Unterscheid [sic] des Leibes und dessen Natuerlichen Gesundheit oder Krankheit, Als eine Fortsetzung der Philosophischen Gedancken. Im ersten Werk ging Alberti davon aus, »geistliche Dinge muessen geistlich erklaeret«23 werden, weshalb er sowohl den Mechanismus als auch die Versuche einer Messung und Quantifizierung seelischer Vorgänge verwarf. Unter Bezugnahme auf Philipp Jakob Spener behauptete er, dass Gott die Temperamente austeile24 und nannte die Herausbildung »unzehlige[r] ideen« im 20
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Fridericus Hoffmann: Disputatio physica, De imaginationis natura ejusque viribus … Præse M. Fridericus Hoffmann, Regiom. Borussus. Respondente Magno Petro Oldekop. Ex Insulâ Livonus. Ad diem 7. Maji Anni 1687. Jenæ: Krebsianus. [1687]; Friedrich Hoffmann: De Somnambulatione. Resp.: Johannes Christophorus Hofsteter. Halæ Magdeburgicæ: Zeitler. [1695]. Zu Hoffmann, vgl. Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 12, S. 583–587. Friedrich Hoffmann: Philosophische und Medicinische Untersuchung/ Von Gewalt und Wuerckung des Teuffels In Natuerlichen Coerpern. Franckfurt/Leipzig 1704. Wolff: Vernünfftige Gedancken (1983), §. 800, S. 498. Alberti Michael: Philosophische Gedancken von Dem Unterscheid der Kraeffte der Seelen nach dem Unterscheid der Menschen … Halle im Magdeburgischen: Christian Hendel. 1740, S. 4. Ebd., S. 6–7.
435 Gehirn sowie deren Ordnung ein »Wunder Gottes«.25 In Anlehnung an Luther charakterisierte er die Seele als »Uberbleibsel des goettlichen Ebenbildes«.26 In dieser Abhandlung wurde jedoch die Seele nicht mehr statisch nach dem aristotelischen Muster, sondern dynamisch als »Krafft« verstanden. Im zweiten Werk erwähnte er zwar die Schaffung der Seele nach der »goettlichen Ordnung«.27 Sein Hauptthema war jedoch das Gehirn, dessen Ordnung, Organisation und Vollkommenheit. Obwohl alchemistisch-mystische Strömungen die Verschmelzung religiöser und wissenschaftlicher Ansätze nachhaltig förderten,28 tendierten die meisten Wissenschaftler dazu, ihre Identitäten voneinander abzukoppeln. Einst hatte Melanchthon als Theologe medizinische Traktate verfasst. Die philosophischen Ärzte des 18. Jahrhunderts interessierten sich gleichermaßen für Philosophie und Medizin. Insofern bestätigt die Klassifizierung der Wissenschaften eine gewisse Trennung der Subidentitäten des Subjekts. Wenngleich manche Theologen gegen die Wolffsche Seelenlehre einwendeten, dass sie nicht zu Gott führe,29 stützten sie sich dennoch auf dessen Interpretation des natürlichen Traums. Einige Wissenschaftler, wie der Professor für Logik und Metaphysik in Königsberg, Martin Knutz/Knutzen (1713–1751), hoben die Definition der Seele durch »das Bewußtsein unserer selbst und anderer Dinge« hervor, um die Seele als immateriell zu charakterisieren.30 Andere bezogen sich nur teilweise auf die philosophisch-medizinischen und theologischen Ansätze und kombinierten diese mit christlichen und traditionellen Einsichten. So entwarf der sächsische Pfarrer Johann Ambrosius Hillig eine Anatomie der Seelen (1737), die er in Form eines Katechismus schrieb, damit junge Leser ihren Inhalt besser behalten könnten.31 Um die christliche Lehre bezüglich des Zustands der Seele nach dem Tod 25 26 27
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Ebd., S. 10. Ebd., S. 13. Ders.: Medicinische Betrachtung von den Kraeften der Seelen nach dem Unterscheid des Leibes und dessen Natuerlichen Gesundheit oder Krankheit. Als eine Fortsetzung der Philosophischen Gedanken … Halle im Magdeburgischen: Christian Hendel. 1740, S. 4. Vgl. beispielsweise Johann Joachim Becher: Psychosophia Oder Seelen-Weißheit Wie nemlich ein jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst allein alle Wissenschafft und Weißheit gruendlich und bestaendig erlangen koenne. Hamburg/Lauenburg: Christian Liebezeit/Christ. Albr. Pfeiffer. 21705; Joh[ann] Christian Kundmann: Kurtze Abhandlung vom Verstande des Menschen vor und nach dem Falle … Budissin: David Richter. 1716. Vgl. beispielsweise Joh. Ambrosius Hillig: Anatomie der Seelen … Leipzig: Theophilus Georg. 1737, Fol. a 4 v°. Lateinische Fassung: Martin Knutzen: Philosophische Abhandlung von der immateriellen Natur der Seele, darin theils überhaupt bewiesen wird, daß die Materie nicht denken könne und daß die Seele unkörperlich sey, theils die vornehmsten Einwürfe der Materialisten deutlich beantwortet werden. Aus dem Lateinischen übersetzt. Königsberg: Hartung. 1744 [erste lateinische Fassung von 1741, deutsche Übersetzung von Georg Heinrich Püschel], Zitat S. 8. Hillig, Fol. A 3 r°.
436 mit den zeitgenössischen philosophisch-medizinischen Ansätzen vereinen zu können, behandelte er zunächst das Wesen der Seele als geistliche Substanz, »die ohne den Leib bestehen kann«,32 dann die Vereinigung zwischen Seele und Körper. Der erste Teil, der nur 17 Seiten umfasste, skizzierte unter anderem eine Geschichte der Leugner der substanziellen Natur der Seele seit Thomas Hobbes.33 Der über 300 Seiten lange Hauptteil des Buches beschäftigte sich mit der sinnlichen Seele, hier als eine »Krafft« bezeichnet. Wie sämtliche philosophische Ärzte charakterisierte Hillig den Wachzustand durch die Ordnung der Ideen und Einbildungen. Der Tiefschlaf sei von einer Traumlosigkeit geprägt. Träume entstünden nur in einem Zustand der »halbe[n] Ruhe der(er) Sinnen«34 und, wenn sie natürlich seien, d. h. gegenwärtige oder vergangene Dinge darstellten, aus einer Empfindung oder durch die von der malerischen, ungezähmten Einbildungskraft bewirkte ungeordnete Assoziation von Ideen. Zukunftsenthüllende Träume folgten jedoch ganz anderen Regeln, insofern nämlich als sie dem Träumenden, ob unmittelbar, ob symbolisch in Form von Bildern, Eingebungen von Gott oder von den Engeln vermittelten.35 Diese Nebeneinanderstellungen religiöser und philosophisch-medizinischer Einsichten erwies sich als problematisch für das Verständnis des Gedächtnisses, das ebenso als sinnliche Kraft der Seele als auch als Komponente der unsterblichen Seele (welche sich an das irdische Leben erinnern sollte) verstanden wurde. Das Problem der ersten Definition war, dass der Tod die Verwesung des Gehirns verursachte.36 Hillig löste diese Schwierigkeit, indem er das Denken der Seele zuwies und das Gehirn nur als physiologisches Vehikel der Seele bezeichnete: … doch muessen wir gestehen, daß alles leichte aus der Seele herzuleiten sey, daß solche Ideen die Seele mache, nach dem Modell derer aeußerlichen Dinge, daß also keine Bilder in dem Gehirne, sondern in der Seele, also nicht leiblicher, sondern geistlicher Art waeren, weil alles so schnell wie in einem Blitz geschehe, das Gehirne also eine bloße Werckstatt sey in diesen Verrichtungen. […] Das Gehirn ist erst ein Observatorium, da man sich umsiehet, Himmel und Erden beschauet, hernach eine Werckstatt derer Mahler und Bildhauer, da man Bilder machet, endlich ein verschlossener BilderSaal, da die Bilder hingestellet wird.37
Übernatürliche Träume verschwanden auch in der Aufklärung nicht. Im Zuge der Ablehnung des als heimlich wachsenden wahrgenommenen Materialismus erlebten sie eine neue Aktualität mit Neuinterpretationen. In seinem Werk Von Traeumen, ihren Gattungen und Kennzeichen, zur Vertheidigung der goettlichen und der durch dieselben geschehenen Offenbarung (1753) erläuterte der sächsische Pfarrer Adam Friedrich Wilhelm Saalfeld 32 33 34 35 36 37
Ebd., S. 11. Ebd., S. 11–14. Ebd., S. 96. Ebd., S. 100–101. Ebd., S. 124–125, insbesondere 125. Ebd., S. 109, 112.
437 (1711 – nach 1757) den natürlichen Traum nach sämtlichen zeitgenössischen und wissenschaftlichen Kriterien: Träume seien »Gedancken«, die in einem leichten Schlaf vorkämen, in dem der Mensch sich der Geschehnisse noch deutlich bewusst sei. Einige Menschen entfalteten deutliche, d. h. lebhafte, andere jedoch nur dunkle Bilder. Ihre Unordnung folge aus dem »Gesetz der Einbildung«.38 Die Traumtätigkeit veranschauliche, dass die Seele, sogar im tiefen Schlaf, wache und ihre »gedenkende Kraft« behalte.39 Die Träume entsprächen der »Gemueths-Neigung« des Träumenden.40 Saalfeld zog jedoch nicht den Schluss, dass sie deshalb einen Zugang zur persönlichen Identität des Träumers bildeten. Neben dieser Kennzeichnung der natürlichen Träume unterschied der sächsische Pfarrer jene »Gattungen«, die er traditionell je nach »Ursprung« (natürliche oder übernatürliche Träume), »Inhalt« (gut oder »boese«, d. h. Alpträume), »Endzweck« (die »Glueckseligkeit« oder »Unglueckseligkeit« – eine neue Kategorie) und »Ausgang« (bedeutende oder unbedeutende Träume) einteilte.41 Folglich behauptete er, dass die »leibeigenen Träume« eine »blosse Beschaeftigung der EinbildungsKraft« seien und nichts bedeuteten.42 In den Bereich der natürlichen Träume fielen jedoch nicht nur die, die von einer Empfindung oder der Tätigkeit der Seele herrührten, sondern auch die teuflischen Träume, einer Unterkategorie der Natürlichen. ›Engelische‹ (d. h. von Engeln bewirkte) Träume kämen ausschließlich in der Bibel vor. Folglich seien einzig und allein die göttlichen Träume übernatürlich.43 Ihre Kennzeichen seien ihre Wahrheit, Ordnung und Endzweck der Glückseligkeit des Menschen. Im 16. Jahrhundert hatten zahlreiche lutherische Theologen zur Widerlegung des ›Schwärmertums‹ die Physiologie der seelischen Vorgänge und des Ausströmens des heiligen Geistes hervorgehoben. Im 18. Jahrhundert hingegen kämpften sie gegen die Beschränkung geistlicher Prozesse auf die Physiologie. 7.1.2
Traumbücher gegen den Aberglauben?
Die Traumbücher erlebten ab 1750 im Heiligen Römischen Reich wie in ganz Westeuropa eine neue Blüte. Dies kann auf zwei Faktoren zurückgeführt werden: das entstehende Ideal der Glückseligkeit – man suchte dem-
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Adam Friedrich Wilhelm Saalfeld[t]: Von Traeumen, ihren Gattungen und Kennzeichen, zur Vertheidigung der goettlichen und der durch dieselben geschehenen Offenbarung. Erfurt: Tobias Heinrich Schroeder. 1753, S. 3–6. Zitat S. 6. Ebd., § 34, S. 19. Ebd., § 19, S. 10. Ebd., § 14, S. 7–8. Zitate in: Ebd., § 53, S. 25. Ebd., § 42–43, S. 21, Kap. 3, »Von uebernatuerlichen Traeumen und ihren Kennzeichen«, S. 30–47.
438 entsprechend die Kunst, sich durch Traeume gluecklich zu machen44 – und die Lotterie – der kompetente Traumdeuter könnte die guten Zahlen erraten und dadurch gewinnen.45 Die lutherische Fassung des Traumbuches von Artemidor erlebte hingegen eine letzte Auflage im Jahre 1753. Die letzte Ausgabe des Traumbuches Artemidori enthielt, wie bislang immer, die unveränderte »Erinnerung Des Hoch-gelehrten Herrn, Herrn Philippi Melanchtonis. Von mancherley Geschlechtern der Traeume, samt ihrer Bedeutung«.46 Neben ihr wurde jedoch ein neuer, fast dreimal längerer »Summarischer Bericht, Was man von Traeumen, natuerlicher und goettlicher Weise halten solle; Aus der H. Schrift und andern beruehmten Philosophischen Buechern zusammen gezogen«47 eingefügt. Ziel dieses Textes war es, die Traumdeutung endgültig zu christianisieren und vor deren abergläubischer Anwendung zu warnen. Der anonyme Autor gab zunächst zu, dass Träume jeden Christen beunruhigen könnten. Diese sollten deshalb Gott zu Hilfe rufen.48 Er unternahm eine Dekonstruktion der Wahrsagungskünste und deren Epistemata, auf welchen die Traumbücher des 16. Jahrhunderts beruhten.49 Träume könnten nicht von den Sternen bewirkt werden: …die Astrologi, welche aus dem Gestirn von mancherley Haendeln pflegen zu urtheilen, allwege von maenniglich an ihr selbst vor ungewiß und ungezweifelt gehalten worden In Summa darvon zu reden, so ist zu schliessen, daß solche Einbildung und Gleichnisse, welche kuenftigen Effect und Ausgaenge anzeigen sollen, also ungewiß, zweifelhaft und schluepferig stehen, daß man aus ihnen nichts kuenftiges, gewisses und ungezweifeltes erweisen kan.50 44
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Vgl. beispielsweise L’Art de se rendre heureux par les songes c’est à dire en se procurant telle espèce de songes que l’on pvisse désirer conformément à ses inclinations. Francfort et Leipsic 1746; Die Kunst, sich durch Traeume gluecklich zu machen. Aus dem Franzoesischen uebersetzt. Breslau und Leipzig: Johann Ernst Meyer. 1775. Vgl. beispielsweise Francesco Manconi: Uralt-approbirte, auf alle Lotterien anwendbare Auslegung aller Traeume. Eingerichtet nach dem Italienischen des weltbekannten Signore Francesco Manconi. Durchaus verbesserte Auflage. Linz: Linien- und Bilderdruckerey. [ca. 1750]; Vollstaendiges Traumbuechlein, worin ein jeder Lotteriefreund seine Traeume in Zahlen finden und dadurch glücklich werden kann. Nürnberg: Th. Schiefer. o. J. Zu Lotterie und Zufall, vgl. Jean Le Clerc: Reflexions sur ce que l’on apelle bonheur et malheur en matière de lotéries, et sur le bon usage qu’on en peut faire. Amsterdam: Gallet. 1696. »Christlich aber und Gottes Wort gemaeß davon zu reden, muß man das in alle wege vor rathsam erkennen, daß so wir bisweilen mit abscheulichen und schrecklichen Traeumen angefochten und bekuem[m]ert werden, wir den allmaechtigen Gott, auf daß er alles Unglueck von uns gnaedig abwenden wolle, mit Ernst und Andacht anruffen und beten sollen«. In: Des Griechischen Philosophen Artemidori Grosses und vollkommenes Traum-Buch, S. 17–29. Dieser Text ist inhaltlich unverändert. Die Rechtschreibung wurde hingegen stark modernisiert. Zu den Auflagen des 16. Jahrhunderts, vgl. oben, S. 76–83. Ebd., S. 30–61. Ebd., S. 43. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verdankten die Traumbücher ihren Reiz deren inhaltlicher ›Curiositaet‹. Ebd., S. 44–45.
439 Zwischen einem Faktor und einem Ergebnis bestehe zunächst nicht unbedingt immer ein Kausalzusammenhang. Dass einige Träume in Erfüllung gingen, sei zunächst auf den Zufall zurückzuführen.51 Einzig das Wetter könne vorhergesehen werden.52 Der logische Schluss lautete: Folget derowegen unwidersprechlichen, daß von Traeumen alleine eine Muthmassung und argwoehnische Vorbildung bey den Menschen verbleibe, und dieselbige sehr klein und gering. […] Dann keinem Christen gebuehren will, daß er sich zu viel auf gefaehrliche und ungewisse Muthmassung verlasse, dann indem er sich auf solches begiebt, umgeht er das, daran ein viel groessers und wichtigers gelegen ist.53
Derjenige, der einen besonderen Traum wahrnehmen würde, »daraus [er] etwas vortrefliches abnehmen und erlernen will«,54 sollte seine »Phantasey« überwinden, das Traumgesicht seinem »Verstand« unterlegen55 und »ordentlich erw[ie]gen und vergl[ei]chen«56. Die menschliche Seele besitze eindeutig keine Fähigkeit, »von ihr selbst und ihrer natuerlichen Eigenschafft kuenfftige Dinge vermoege zu erkundigen«.57 Ob die Zeit der Offenbarung endgültig abgeschlossen sei, stehe dennoch noch nicht eindeutig fest.58 Neben dieser vorsichtigen Bejahung der Möglichkeit göttlicher Träume fallen in diesem »Bericht« zwei Besonderheiten auf. Erstens verschwindet die Kategorie der teuflischen Träume. Zweitens stammen natürliche Träume aus einer schwachen Empfindung und aus der Einbildung.59 Die lutherischen Theologen hatten sich die zeitgenössischen Ansätze zu eigen gemacht.60 Der Artikel »Traum« in Zedlers Lexikon fasste breit anerkannte Einsichten in der Mitte des 18. Jahrhunderts prägnant zusammen. Er gliedert sie in 51 52 53 54 55 56 57 58
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Ebd., S. 36. Ebd., S. 44. Ebd., S. 45, 46. Ebd., S. 47. Ebd., S. 46. Ebd., S. 47. Ebd., S. 59. »… so nun die Traeume von GOtt und seinen Engeln denen Menschen zugeschickt werden, solle man gewißlich nicht verachten, sondern in grossen Ehren halten.« In: Ebd., S. 60. Ebd., S. 41. In ihrem Kampf gegen den ›Aberglauben‹ wurden sie von zahlreichen Popularaufklärern gefolgt. Zum Aberglaubenbegriff, vgl. Martin Pott: Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik. Tübingen 1992 (Studien zur deutschen Literatur 119); Gantet: ›Superstition‹ (Aberglaube). Zur Popularaufklärung, vgl. den Überblick von Silvia Serena Tschopp: Popularisierung gelehrten Wissens im 18. Jahrhundert. Institutionen und Medien. In: Macht des Wissens, S. 469–489. Zu den Lexika des 18. Jahrhunderts als repräsentativ für das um 1750 verfügbare Wissen, vgl. Yvonne Wübben: Gespenster und Gelehrte. Die ästhetische Lehrprosa G. F. Meiers (1718–1777). Tübingen 2007 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 34), S. 16.
440 drei Teile, in denen nach einer Einleitung (eine Spalte), die natürlichen (Spalten 177 bis 182), anschließend die übernatürlichen (ebenso sechs Spalten, bis zur Spalte 188), letztlich Beispiele von angeblich wahrsagenden Träumen behandelt werden. Die Kategorie der übernatürlichen Träume wurde also beibehalten, die Wahrsagung jedoch verworfen. Genauso wie in der philosophisch-medizinischen Literatur wird der Traum durch die Beibehaltung einer »schwachen Empfindung«, das Spiel der »Einbildungs-Krafft« (das die ständige Tätigkeit der Seele, sogar im Schlaf beweisen sollte, »per associationem idearum« laufe, dadurch »etwas neues [sic] erfinden« könne) und die »Unordnung der Vorstellungen«61 gekennzeichnet. Im Hinblick auf den Ursprung des Traums verwirft der Autor des Artikels sämtliche philosophische Traditionen – die platonische, die arabische, die aristotelische, die stoische, die patrizistische – als »lauter erdichtete Dinge«62 und erkennt einzig den physiologischen Ansatz an. Im gesamten Artikel ist übrigens nicht vom (beseelten) »Leib«, sondern nur vom »Coerper« die Rede.63 Der Artikel endet mit einem langen Zitat aus Pierre Bayles Historischem und Critischem Wörterbuch (1740), das Träume von der Zukunftsvorhersage völlig trennt.64 Er enthält auch eine verhüllte Kritik an den Traumbüchern, die verächtlich dem »gemeinen Pöbel« zugeordnet werden.65 Zwei insbesondere im Luthertum tradierte Traumberichte werden als fiktiv beurteilt: Der Traum Churfürst Friedrichs des Weisen vom 30./31. Oktober 1517, eine zunächst handschriftlich, gegen Ende des 16. Jahrhunderts als Flugblatt
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Alle Zitate in: Traum. In: Zedler, Bd. 45 Sp. 173–208, hier Sp. 176 und 179. Vgl. dazu Manfred Engel: The Dream in Eighteenth-Century Encyclopaedias. In: The Dream and the Enlightenment, S. 21–51. Vgl. oben S. 390. Traum. In: Zedler. Bd. 45, Sp. 199–200. Der Terminus ›Körper‹ bezeichnete ursprünglich den entseelten Leichnam nach dem Tod. Ein ›Leib‹ war dagegen beseelt. Die Ersetzung vom ›Leib‹ durch ›Cörper‹ lässt sich als Zeichen des Zerfalls der aristotelischen Seelenlehre interpretieren. Zu diesen Definitionen, vgl. Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm [http://www.dwb.uni-trier.de/index.html], Leib, Körper. Vgl. auch T. Borsche, Th. Rentsch, R. Specht: Leib-Seele-Verhältnis. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hgg. von Joachim Ritter (†), Karlfried Gründer. Bd. 5, L-Mn. Darmstadt. 1980, Sp. 185–206. H.. Dubiel: Identität, Ich-Identität. In: Ebd. Bd. 4, I-K. 1976, Sp. 147– 151. F., Kaulbach: Leib, Körper. In: Ebd. Bd. 5, L-Mn. 1980, Sp. 173–185. H. K. Kohlenberger, B. Schrott: Geist. In: Ebd. Bd. 3, G-H. 1974, Sp. 154–190; E. Scheerer: Seele. In: Ebd. Bd. 9, Se-Sp. 1995, Sp. 1–89. Traum. In: Zedler. Bd. 45, Sp. 201–207; Pierre Bayle: Historisches und Critisches Wörterbuch. Nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen versehen von Johann Christoph Gottsched. 4 Bde. Nachdruck Hildesheim/Zürich u.a. 1997. »Welches aber ein vernuenfftiger Mensch gleich erforschen und heraus bringen kan, und also bald genung die Nichtigkeit und Nichtswürdigkeit der natürlichen Träume erkennen, und nicht mit dem gemeinen Poebel nach dem Schatten greiffen wird.« Traum. In: Zedler. Bd. 45, Sp. 181.
441 verbreitete Allegorie der Göttlichkeit der lutherischen Reformation66 und das Somnium vaticinum, de Obsidione Urbis Mageburgensis ex libro secundo, Elegiarum quarta desumtum Anno 1561 Petrus Lotichius Secundus’, das im Kontext der Belagerung Magdeburgs im Jahre 1551 entstand und im Jahre 1631 als ›Vorhersage‹ der Zerstörung der Stadt durch die kaiserlichen Truppen unter Tilly erneut erschien.67 Dies bedeutete keineswegs eine generelle Hinterfragung der Existenz übernatürlicher Träume. Bereits die Definition des Traums begann mit religiösen Überlegungen. Der protestantisch-aufklärerischen Anthropologie folgend betonte der Autor die negativen Auswirkungen des Sündenfalls und die Nützlichkeit der Arbeit, von denen der Schlaf eine Folge sei: Traum, Lat. Somnium, Insomnium, Frantz. Songe, ist ueberhaupt die erregte Einbildung eines Schlaffenden [sic]. Durch die Suende und den Fall ist der Mensch nicht nur des Ebenbildes GOttes der Seelen nach verlustig geworden, und hat die Geistes-Staercke und Kraeffte verlohren; sondern sein Coerper wurde auch nackend, elend, schwach und sterblich. […] Durch die suendlichen Begierden und daraus entstehende Unordnungen wird die Natur noch immer mehr geschwaecht, und fast bey allen Menschen verderbet, daß gar wenige auf Erden Mosis bestimmtes Ziel erreichen, noch weniger aber uebersteigen. Der Mensch ist im leiblichen zur Arbeit erschaffen, und nach dem SuendenFalle ist ihm dieselbe nicht nur von GOtt ernstlich befohlen, sondern auch hoechstnoethig und nuetzlich. Er ist aber seiner suendlichen geschwaechten Natur nach nicht im Stande, die von GOtt, ihm aufgelegte Arbeit, in einem bestaendigen Zusammenhange oder immerwaehrendem Fort-Dauer zu verrichten, sondern ist gezwungen, dieselbe oeffters zu unterlassen, und auf eine Zeit damit einzuhalten, damit sich die zur Arbeit angewendeten Leibes- oder Seelen-Kraeffte wieder einfinden und ersetzet werden koennen; und solches heisset man Ruhen. Dieses Ruhen oder die Ruhe ist zweyerley, entweder des Coerpers oder der Seelen.68
Aus der zeitgenössischen Bestimmung der Seele als »denckendes Wesen« schloss der Autor, dass sie ein Geist sei, der mit einem menschlichen Coerper aufs allergenaueste vereiniget lebet. Wir wissen und glauben aber auch als vernuenfftige und glaeubige Christen, daß ausser unsere Seelen noch andere unsichtbare vernuenfftige Wesen vorhanden, die nicht mit einem menschlichen Coerper vereiniget, oder nach menschlicher Weise mit diesem sichtbaren Theile verbunden leben, und also nicht Seelen zu nennen, sondern bloß Geister. […] Alle diese Geister [d. h. Engel und der Teufel] samt der Seele des Menschen dependiren von GOtt, dem unerschaffenen Geiste, und dieser allmaechtige Schoepffer kan in allen gewisse Vorstellungen hervorbringen.69
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Vgl. dazu Ernst Benz: Der Traum Kurfürst Friedrichs des Weisen. In: Humanitas, Christianitas. Festschrift für Walther von Loewenich zum 65. Geburtstag. Hgg. von Karlmann Beyschlag, Gottfried Maron, Eberhard Wölfel. Witten 1968, S. 134–149; Hans Volz: Der Traum Kurfürst Friedrichs des Weisen vom 30./31. Oktober 1517. Eine bibliographisch-ikonographische Untersuchung. In: Gutenberg Jahrbuch 45 (1970), S. 174–211; Rahn (2000); Gantet: Visions et visualisations de la Réforme (2005), S. 149–170. Lotichius Secundus (1631). Dazu vgl. oben S. 316 Anm. 125. Traum. In: Zedler. Bd. 45, Sp. 173–174. Ebd., Sp. 182.
442 Der Glaube an übernatürliche Träume beruhe auf keinem Aberglauben, sondern auf der Ausübung der »Vernunft«. Als göttliche Träume werden dennoch ausschließlich die biblischen anerkannt. Sie könnten in einer »ordentliche[n] Rede des Schlaffenden« (einer direkten Erleuchtung), oder in »eine[r] Rede und eine[r] Geschichte zugleich« (einem Gleichnis) oder »nur [in] eine[r] bildliche[n] verdeckte[n] Vorstellung« (einer Allegorie) bestehen, worauf eine lange Liste von biblischen Zitaten folge.70 Teuflische Träume seien dennoch kaum nachweisbar: Der Teufel ist ein Geist, und hat das Vermoegen in unsere Seele, die auch ein Geist ist, zu wuercken. Daher es moeglich, daß er durch die Seele Traeume hervorbringen kan. Es laeßt sich aber nicht so leicht erweisen, daß es wuercklich dergleichen Traeume gebe. Die Sache koemmt auf die Erfahrung an, die aber sehr ungewiß ist, weil keine deutlichen Kennzeichen vorhanden, wodurch sich die teuflischen Traeume von denen natuerlichen unterscheiden lassen.71
Sogar die Träume der Schwärmer seien nicht unbedingt teuflisch. Diese Bezeichnung sei eher ein Resultat der konfessionellen Polemik. Die Träume der Schwärmer ließen sich eigentlich natürlich bzw. physiologisch erklären.72 Der Artikel »Traum« aus Zedlers Lexikon beweist den Zerfall der aristotelischen Kategorien, die Rezeption der zeitgenössischen philosophischmedizinischen Literatur, den Zweifel an der Existenz des Teufels, jedoch nicht die Verleugnung übernatürlicher Träume. Im Hintergrund stand immer noch das Problem der Schwärmerei. 7.1.3
Variationen über die leibliche Auferstehung
Viele Gelehrte teilten die Einsicht, dass die Seele, sogar das Gehirn als Identitätsmerkmal des ganzen, hierarchisch gegliederten Menschen73 mit der christlichen Auffassung der leiblichen Auferstehung des Menschen kollidieren konnte.74 Wie oben angedeutet waren seit dem 17. Jahrhundert un70 71 72
73
74
Ebd., Sp. 183. Ebd., Sp. 197. »Weiter sollen die Traeume der Ketzer, als Wiedertaeuffer und anderer Schwaermer, die darauf viel halten, zum Beweis dienen, daß es teuflische Traeume gebe. Jedoch sie lassen sich ebenfalls gantz natuerlich erklaeren. Die Sache kommt darauf, daß die Schwaermer viel auf ihre Traeume halten, und sie fuer Goettlich ausgeben.« In: Ebd., Sp. 199. Zu dieser Auffassung, wonach der Mensch zwar in einem leibseelischen Zusammenhang bestehe, jedoch über hierarchisierte Kräfte verfüge, vgl. Johann Gottfried Herder: Zurücksicht von der Organisation des menschlichen Haupts auf die niedern Geschöpfe, die sich seiner Bildung nähern. In: Ders.: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Hg. von Martin Bollacher. Frankfurt am Main 1989 (Werke 6; Bibliothek deutscher Klassiker 41), S. 132–136. Herder beschrieb darin die Organisation der Natur, die ihrer Höhepunkt mit dem menschlichen Kopf bzw. dem menschlichen Gehirn erreiche. Es handelte sich meines Wissens um die erste ästhetische Beschreibung des Gehirns. Vgl. dazu S. 23–32.
443 terschiedliche wissenschaftliche Strömungen aufgetaucht, die die zentrale Stellung der physischen, numerischen Gleichheit bei der leiblichen Auferstehung in Frage gestellt hatten, sei es, dass sie wie der englische Chemiker Robert Boyle (1627–1691) eine qualitative Übereinstimmung hervorhoben, sei es, dass sie wie Locke die persönliche Identität nicht mit dem Körper, sondern mit einer Kontinuität von Gedächtnis und Bewusstsein verbanden. Die darauffolgende potentielle Entmaterialisierung der leiblichen Auferstehung wurde im Heiligen Römischen Reich unterschiedlich aufgefasst. Niemand negierte kategorisch das christliche Dogma der leiblichen Auferstehung. Die Wissenschaftler vermieden meist diese heikle Frage. Meines Wissens ist der Zürcher Johann Caspar Lavater (1746–1801) der erste Wissenschaftler, der sich traute, Überlegungen über die Natur der losgelösten Seele und des verklärten Körpers am Jüngsten Tag zu veröffentlichen – er stand allerdings im Briefwechsel mit dem Genfer Wissenschaftler Charles Bonnet (1720–1793), dessen Werk über die Zukunft der Seele er übersetzte.75 Einige Gelehrte reagierten vehement gegen diese Überlegungen. Der Pietist Joachim Lange zum Beispiel kritisierte Christian Wolff mit der Begründung, er habe eine metaphysische und nicht physische Definition der Übereinstimmung von Seele und Körper vorgeschlagen.76 Dies würde der Seele eine Autonomie gegenüber dem Körper zuschreiben. Die Vereinigung von Seele und verklärtem Körper sei vor allem rein metaphysisch zu verstehen – d. h. quasi irreal.77 Die gegen Anfang des 16. Jahrhunderts aufsehenerregende Frage nach dem Zustand der Seele zwischen Tod und Jüngstem Tag wurde ebenfalls erneut erörtert. Anlässlich einer Trauerrede um 1700 stützte sich Johann Christoph Cramer (†1765), Professor für Philosophie an der Sachsen-Coburgischen Akademie, auf die neuesten Einsichten hinsichtlich des Bewusstseins und der Seele, die er der wolffschen Philosophie entsprechend als eine Kraft, sich selbst und die Welt vorzustellen charakterisierte. Somit 75
76
77
Herrn C. Bonnets, verschiedener Akademien Mitglieds, Philosophische Palingenesie. Oder Gedanken über den vergangenen und kuenftigen Zustand lebender Wesen: Als ein Anhang zu den letzten Schriften des Verfassers, und welcher insonderheit das Wesentliche seiner Untersuchungen über das Christenthum enthält, Aus dem Frantzoesischen uebersetzet und mit Anmerkungen versehen herausgegeben von Johann Caspar Lavater [La Palingénésie, deutsch]. 2 Bde. Zuerich: Orell, Geßner, Füeßli und Compagnie. 1769–1770. Vgl. Johann Kaspar Lavater: Aussichten in die Ewigkeit. 3 Bde. Zürich 21770–1773. Wolff behauptete tatsächlich, dass die Ursache der Übereinstimmung der Seele mit dem Leib »eine schwere Frage« sei (Vernünfftige Gedancken (1983), § 760, S. 470–471), verwarf die cartesianische Lösung (Ebd., § 763–764, S. 475–478), schrieb dennoch von der leibnizschen vorherbestimmten Harmonie, dass sie »kein leeres Wort« sei und sei sogar »möglich« (Ebd., § 765–767, S. 478–480). Joachim Lange: Bescheidene und ausfuehrliche Entdekung Der falschen und schaedlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico … Halle: Buchladen des Waysenhauses. 1724, S. 129.
444 definierte er den Status der abgeschiedenen Seele. Laut Lockes Essay Concerning Human Understanding (nach seiner zweiten Ausgabe im Jahre 1694) brauche die Seele keinen Körper, um denken zu können. Sie denke unablässig, auch nach dem Tod. Haben […] die letzten Empfindungen der scheidenden Seele ihre Einbildung rege gemacht, so ist es möglich, daß sie nach dem Tode des Leibes noch eine einem Traume nicht unaehnliche Vorstellung der Koerperwelt wirken wird. So gewiß aber kann sie von keiner anhaltenden Dauer seyn, so gewiß es ist, daß die Seele in diesem Zustande aller Empfindungen beraubet wird. Ich sage noch mehr. Die noch regen Vorstellungen koennen kein Traum, sondern diesem nur aehnlich seyn, weil auch die Moeglichkeit der symbolischen Erkenntnißart nach dem Tode nicht ausser Zweifel ist, die nach deutlichen Erfahrungen dem Traum nicht selten ein neues Leben giebt.78
Manche Lutheraner des 18. Jahrhunderts konzipierten genauso wie Luther den Interimszustand der Seele zwischen Tod und Jüngstem Gericht als einen Traum bzw. Schlaf. Nach Luther schlafe die Seele des Gläubigen, da sie sich des göttlichen Schutzes sicher sei und vertrauensvoll auf die leibliche Auferstehung warte. Calvin bekämpfte diese Einsicht, da seiner Meinung nach die Seele als Substanz stets denke, d. h. wache.79 Für manche Lutheraner des 18. Jahrhunderts befand sich die Seele nach dem Tod in einem dem Traum ähnlichen Zustand, weil sie keine Substanz sei und deshalb ohne Körper denken könne; infolge der empfindsamen Natur der Seele, könne eine scheidende Seele eine Einbildung behalten, die dem ›Gesetz der Einbildungskraft‹ gemäß zu Träumen führe. Dabei handelte es sich nicht um richtige, natürliche Träume, da die abgeschiedene Seele die Wahrheit nur unmittelbar durch Anschauung oder Erleuchtung wahrnehmen könne. Luthers Äußerungen basierten auf erbaulichen Absichten, wohingegen Cramers Abhandlung auf eine wissenschaftlich gestützte Apologetik abzielte.
7.2
Bewusstsein, Halbbewusstsein und persönliche Identität
Jenseits sämtlicher thematischer Ähnlichkeiten hatte sich um 1750 die Auffassung vom Traum grundlegend verändert. Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses stand nun nicht mehr der Substanz-, sondern der Bewusstseinsbegriff und dessen Einschätzung. Die Schwierigkeit, seine eigenen Träume aufmerksam zu betrachten und zu analysieren und dabei eine deutliche Grenze zwischen Gesundheit und Wahn zu ziehen, vermehrte die Angst vor der Einbildungskraft. Die zentrale Frage lautetet wie die innere Natur des Menschen aufgrund seiner eigenen Träume bestimmt werden 78
79
Johann Christoph Cramer: Gruende der Wahrheit Daß die abgeschiedene Seele in dem Zustande des Denkens ununterbrochen fortdauren kann. Jena: Johann Friedrich Schill. [ca. 1700], S. 11. Vgl. S. 39–47.
445 könne. Die Debatte konzentrierte sich zunehmend auf die pathologischen Aspekte und – wiederum – auf die Schwärmerei. 7.2.1
Das Halbbewusstsein im Traum
René Descartes hatte in seinem Traité de l’homme den Schlaf als Resultat des Verbrauchs der esprits animaux (Lebensgeister) während des Wachzustands bezeichnet. Da er zudem die Vorstellungskraft an das Denken bzw. das Bewusstsein (res cogitans) knüpfte, leugnete er jegliche Tätigkeit der Seele während des Schlafs.80 Wolff hatte diese Äußerungen nuanciert, indem er die Seelentätigkeit, sogar das eigene Bewusstsein von der Existenz klarer und deutlicher Gedanken getrennt hatte: Die Seele bleibe im Schlaf tätig, verfüge jedoch nur über »dunckele und undeutliche Empfindungen«81. Dies setzte voraus, dass differenzierbare Bewusstseinsgrade existieren.82 Die Bestimmung solcher Bewusstseinsstufen war insbesondere das Anliegen der Halleschen philosophischen Ärzte und Schüler von Johann Gottlob Krüger. Dieser hatte ihnen empfohlen, essayistische Abhandlungen über Seele und Traum zu verfassen, um aufklärerische Ideen zu verbreiten. So erschienen im Jahre 1746 in lockerem Stil einige Gedancken vom Schlafe und denen Träumen, deren anonymer Autor tatsächlich der Hallesche Medizinstudent Johann August Unzer (1727–1799) war.83 Unzer vereinte die physiologische Betonung des ›Nervensaftes‹84 mit der philosophischen Bestimmung des Traumes als Übergangszustand zwischen Wachen und Tiefschlaf. Den Tod bezeichnete er als »höchste[n] Grad vom Schlaf«.85 Wie könne jedoch der Träumende im Schlaf dunkle Vorstellungen wahrnehmen, ohne sich seiner selbst bewusst zu sein? Oder wie könnte man erklären, dass »ich mir meiner im Schlafe sehr wenig bewust«86 bin? Dieses geringe Bewusstsein warf komplexe Probleme auf. Laut Unzer war das Erste und Größte, dass »wir […] ebenso wenig was unsre Sele sey, als uns die Beschaffenheit ihrer
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Descartes: Traité de l’homme (1664/1972), S. 67–71. Wolff: Vernünfftige Gedancken (1983), § 795, S. 496. Wolff war übrigens in diesem Punkt nicht eindeutig. Er behauptete auch, dass die Dunkelheit der Empfindungen das Bewusstsein aufhebe. Vgl. Ebd. § 731, S. 457. Zu Unzer, der ab 1759 durch die Herausgabe der Wochenschrift »Der Arzt« berühmt wurde, vgl. Stefan Bilger: Üble Verdauung und Unarten des Herzens. Hypochondrie bei Johann August Unzer (1727–1799). Würzburg 1990 und vor allem Matthias Reiber: Anatomie eines Bestsellers. Johann August Unzers Wochenschrift »Der Arzt« (1759–1764). Göttingen 1999 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 8). Dazu Vgl. Johann Georg Walch: Philosophisches Lexicon. Hildesheim 1968 (FaksimileNachdruck der Ausgabe Leipzig: Gleditsch. 1775). Bd. 1, Sp. 2225–2226. Johann August Unzer: Gedanken vom Schlafe und denen Träumen. Nebst einem Schreiben an N. N. dass man ohne Kopf empfinden könne. Hg. von Tanja van Hoorn. Röhrig 2004 (Kleines Archiv des achtzehnten Jahrhunderts 43), § 8, S. 19. Ebd. § 10, S. 21.
446 denckenden Kraft bekandt ist«87 wissen. Unzer drehte anschließend die Frage um. Das Problem sei nicht, dass wir uns im Schlaf des ›normalen‹, wachenden Lebens kaum bewusst seien, sondern dass wir viele Träume vergäßen: Wir theilen unser gantzes Leben nicht in Schlafen und Wachen, sondern vielmehr in Wachen und Träumen ein. Was wir den Schlaf nennen, das ist in der That nichts anders als ein purer Traum. […] Weil wir uns vieler Träume nicht bewust sind; so kan der Zustand eines Träumenden nicht mit einem Wachenden übereinkommen.88
Die Auffassung des geringen Selbstbewusstseins im Schlafzustand und des Halbbewusstseins im Traum führte zu einer Überlagerung der Schlaf- durch die Traumkategorie. So verstanden war der Traum zwar noch ein ›Schatten‹, wie man ihn im 17. Jahrhundert bezeichnete. Er lüge jedoch nicht, sondern teile lediglich eine andere Wahrheit mit. Traum und Wachzustand seien also qualitativ unterschiedlich. Nun solle jeder Mensch sich selbst, d. h. vor allem seine eigene Seele kennen.89 In den Naturwissenschaften seien bestimmte Regeln nicht bekannt gewesen, die erst durch Beobachtung, d. h. konzentrierte Aufmerksamkeit, entdeckt wurden. Ein solches Verfahren solle auf die Seele und den Traum angewendet werden.90 Einige Jahre später veröffentlichte ein anderer Schüler Krügers, Ernst Anton Nicolai (1722–1802),91 ähnliche Einsichten. Wie sämtliche Gelehrte warf er einen sehr zurückhaltenden Blick auf die Traumbücher und bemühte sich eifrig, die Vorhersage (d. h. Träume von zukünftigen Dingen, die er für möglich hielt) von der Wahr- und Weissagung zu trennen.92 Ebenfalls unternahm er eine ausführliche historisch-physiologische Erklärung des Alptraums.93 Stärker als Unzer betonte er die Klarheit der Traumbilder, also das Bewusstsein im Schlaf.94 Die Analyse von Nachtwandler-Berichten, 87 88 89
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93 94
Ebd. § 10, S. 21. Ebd. § 16 und 19, S. 32–33. »da ferner ein jeder Mensch verbunden ist, sich selber erst vollkommen kennen zu lernen zu suchen.« In: Ebd., § 1, S. 8. »Wir sind der Gesetze der Bewegung und Schwehre nicht bewust und dennoch beobachten wir sie bey jedem Schritte, den wir thun auf das genaueste«. In: Ebd., § 2, S. 9. Zu Nicolai, vgl. Heike Elisabeth Lauer: Ernst Anton Nicolai (1722–1802): Untersuchungen zu Leben und Werk, seiner Zeugungslehre und Auffassung vom Versehen der Schwangeren unter besonderer Berücksichtigung der Entstehung von Mißbildungen. Tübingen 1996 (Diss.). Ernst Anton Nicolai: Gedancken von den Wuerckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Koerper. Halle: Carl Hermann Hemmerde. 21751, § 69 und 79, S. 145 und 161. Ebd. § 83–88, S. 171–184. »Da man nun im Traume Vorstellungen hat und zwar solche, deren man sich bewust ist, Vorstellungen aber, deren man bewust ist, Gedancken sind §. 1, so sind die Traeume nichts anders als Gedancken, die man im Schlafe hat, und derjenige traeumt also, welcher im Schlafe denckt. Da man nun ferner sich derjenigen Vorstellungen bewust ist, die man von andern unterscheidet, klar sind §. 2, so kan man auch sagen, daß die Traeume klare Vorstellungen sind, die man im Schlafe hat und daß daß [sic] derjenige traeume, welcher im Schlafe klare Vorstellungen hat.« In: Ebd., § 65, S. 137–139.
447 deren Tätigkeit ganz traditionell auf eine »starke Einbildungskraft«95 zurückgeführt wurde, nuancierte jedoch die postulierte Transparenz der Seele: Indessen erhellet hieraus offenbar, daß die Seele etwas thun koenne, ohne daß sie sich dessen bewust ist. Diesen Satz moegen sich insonderheit diejenigen mechanischen Aertzte wohl mercken, welche behaupten, daß keine Wuerckung von der Seele herruehren koenne, deren sie sich nicht bewust seyn solte.96
Die ›Schwärmer‹ könnten ihre Einbildungskraft derart trainieren, dass sie jederzeit »nach ihrem Gefallen« in eine Entzückung geraten könnten: §. 17. Durch den Gebrauch der Aufmercksamkeit werden die Einbildungen lebhafter. Die Aufmercksamkeit macht die Vorstellungen, auf die sie gerichtet wird, lebhafter, und die andern Vorstellungen, von denen sie abgelencket wird, verlieren ihre Lebhaftigkeit §. 5. Die Empfindungen sind so starck, daß sie die Einbildung schwaechen und unterdruecken §. 12. Wenn demnach einer von seinen Empfindungen und seinem gegenwaertigen Zustande seine Aufmercksamkeit ablencket und sie auf die Einbildungen alleine richtet, so muessen nothwendig die Einbildungen einen sehr grossen Grad der Lebhaftigkeit erreichen. Wenn wir traeumen, so ist es uns nicht anders zu Muthe, als wenn wir mit gegenwaertigen Dingen zu thun haetten und wir halten alsdenn die Einbildungen fuer Empfindungen. Das macht, wenn wir traeumen, so sind die sinnlichen Werckzeuge geschlossen und wir haben keine Empfindungen, welche als staerckere Vorstellungen die Einbildungen, so im Schlafe und vorkommen, schwaechen und unterdruecken §. 4. 12. Unsere Aufmercksamkeit beschaeftigt sich lediglich mit den Bildern der Phantasie und daher ist es kein Wunder, daß sie einen so grossen Grad der Lebhaftigkeit haben und wir sie fuer Empfindungen halten §. 5. Die Schwaermer, Quaecker, Enthusiasten, Inspirierten, kurtz, alle diejenigen, die sich nach ihrem Gefallen in eine Entzueckung setzen koennen, nehmen entweder vorher gewaltsame und heftige Bewegungen vor, damit sie dadurch muede und ihre sinnlichen Werckzeuge geschlossen werden, oder sie haben schon vorher ihre sinnlichen Werckzeuge so geschwaecht, daß es ihnen gar nicht schwer faelt, dieselbe zur Ruhe zu bringen, daher kan alsdenn ihre Einbildungskraft ihre Wuerckungen ungehinderter fortsetzen und ihre Bilder erhalten dadurch eine weit groessere Lebhaftigkeit, daß es diesen Leuten nicht anders zu Muthe ist als wenn sie alle die Sachen, so ihnen doch nur die Einbildungskraft vorgestellt hat, wuercklich empfunden haetten.97
Die »Aufmerksamkeit« war also ein zweischneidiges Schwert. Sie sei einerseits der unabdingbare Weg, um schillernde Phänomene wie den Traum wissenschaftlich zu untersuchen, andererseits, wenn sie unkontrolliert wäre, ein Mittel der Belebung bestimmter Bilder, mithin der Erzeugung einer lebhaften, sogar pathologischen Einbildungskraft. Der zunehmende Pessimismus der Wissenschaftler kann am Beispiel der Abhandlung Von dem Bewußtsein und seinem Einfluße in unsere Urtheile (1764) des Philosophen und Kunsttheoretikers Johann George Sulzer erhellt werden. Sulzer war 1720 in Winterthur in der Schweiz geboren und wirkte als Professor an der École militaire in Berlin, wo er im Jahre 1779 starb. Die 95 96 97
Vgl. Malebranche (1991), S. 291–298; Leibniz (1996), Bd. 3–4, Kap. XIX, S. 602–630. Nicolai. § 96, S. 202. Ebd., S. 29–30.
448 Philosophie David Humes, die er ins Heilige Römische Reich einführte,98 führte ihn dazu, die verborgene Dimension der Seele, gar des Ich hervorzuheben. Denn Hume hatte in einem anonym erschienenen Essay on Consciousness (1728) das Bewusstsein im Traum negiert. Gegen Leibniz’ und Wolffs Auffassungen leugnete Hume, dass der Mensch sich im Traum bewusst als Träumender erlebe, weil der Traum als Spielraum der Einbildungskraft die empirische Wirklichkeit nur als irreal nachahmen könne. Da das Bewusstsein durch die Vermittlung einer »untrügliche[n] Gewißheit der Realität unseres eigenen Daseins und unserer eigenen Existenz« charakterisiert wurde, sei der Träumende seiner selbst nicht bewusst; folglich könnte er »beim Träumen nicht wissen, daß er träumt, wie er, wenn er wacht, weiß, daß er wach ist«.99 Dabei geriet Hume in ein Zirkelproblem: Würde der Traum erst durch die Suspension des Bewusstseins ermöglicht, wäre er auch der Reproduktion der Wirklichkeit, also seines Stoffes, beraubt. Sulzer untersuchte entsprechend Tiefschlaf- und Ohnmachtzustände, in denen das Bewusstsein »erloschen«100 und »das Vermoegen zu denken« vom Bewusstsein getrennt sei.101 Aus der Angst vor der flüchtigen Natur der persönlichen Identität extrahierte er wissenschaftliche Prinzipien. Bereits im Jahre 1758 hatte er die Ursache menschlicher Affektiertheit folgendermaßen definiert: Das sind die in dem Innersten der Seele verborgenen Angelegenheiten, die uns zuweilen auf einmal, ohne alle Veranlassung und auf eine unschickliche Art, handeln oder reden, und ohne dass wir daran denken, Dinge sagen lassen, die wir schlechterdings verbergen wollten.102
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Er übersetzte Humes »Essay Concerning Human Understanding«: David Hume: Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß … nach der 2. vermehrten Ausgabe aus dem Englischen uebersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers [Johann George Sulzer] begleitet. Hamburg u.a.: Gaud u.a. 1755. »Consciousness, as it gives us infallible Assurance of the Reality of our own Being and Existence […] To make appear therefore the Difference between Dreaming and Waking,/ there needs only to shaw that a Man, when he dreams, is not Conscious; and consequently, in dreaming, cannot know that he dreams, as, when wake, he knows himself to be awake«. Pseudo-Mayne: Über das Bewußtsein [1728]. Englisch-Deutsch. Übersetzt und hg. von Reinhard Brandt. Hamburg 1983 (Philosophische Bibliothek 358), S. 48–49. Vgl. Peter-André Alt: Der Schlaf der Vernunft. Traum und Traumtheorie in der europäischen Aufklärung. In: Das achtzehnte Jahrhundert 25 (2001), S. 55–82, hier 63. Johann George Sulzer: Von dem Bewußtseyn und seinem Einfluße in unsre Urtheile (1764). In: Vermischte philosophische Schriften. Aus den Jahrbuechern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gesammelt. Hildesheim u.a. 1974 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1773–81). Erster Teil, S. 199–224, hier 202–203. Peter-André Alt bezieht sich irrtümlich auf diese Passage, um Sulzer die Negierung jeglichen Bewusstseins im Traum zuzuschreiben. Vgl. Alt (2002), S. 166. Sulzer (1764), S. 206. Johann George Sulzer: Lobrede auf den König. Berlin 1758. Vgl. auch Ders.: Theorie der angenehmen und unangenehmen Empfindungen. Berlin 1762.
449 Die besonderen Bedingungen des Menschen und der Unterschied zwischen Menschen und Tier geriet ins Zentrum der Forschungen. In seinem Kurze[n] Begriff aller Wissenschaften und andern Theile der Gelehrsamkeit (1759) empfahl er, »die dunkeln Gegenden der Seele«103 zu untersuchen, außerordentliche psychologische Fälle, die sich durch die bekannten Eigenschaften der Seele nicht erklären ließen (wie Ahndungen, Träume, Wahn), zu sammeln – eine Aufforderung, der er im Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde nachkam. 7.2.2
Einbildungskraft und persönliche Identität
Seit Ende des 16. Jahrhunderts wurde der Imagination als Innenraum der Versuchung mit Zurückhaltung begegnet.104 Gegen Anfang des 18. Jahrhunderts wurde eine solche Vorstellung durch neue Auffassungen erweitert. So der moralische Diskurs des Theologen Johannes Ambrosius Hillig im Jahre 1737: Qv. 12. Hat die Einbildung Gewalt ueber uns selbst? Sie ist eine Delila, welche die Seelen und Leibes-Kraeffte ins Verderben setzet, verfuehret den Verstand, Willen, Affecten etc. Wo Ideen und Bilder der Rache, des Geitzes, des Hochmuths, u. der Unzucht sind, handelt man leider darnach. Sie hat einen Influxum ueber die fuenff Sinnen [sic], daß man eine Sache nicht recht empfindet. Wir haben gehoeret, daß, wer den Kopff voller Gespenster hat, Baeume, Hunde, Schatten vor Gespenster ansiehet, immer dencket, sie kaemen auf ihn los, da sie doch aus dessen Gehirne kommen. Sie hat auch Gewalt ueber den Leib, denn es kan bisweilen geschehen, daß, wenn man sich einbildet kranck zu seyn, ob man gleich frisch und gesund, man in der That koenne kranck werden, indem sich die Natur sehr laest betruegen, und solche Motus erwecket, gleichwie auch die Phantasie vielmahls kan gesund machen, wenn man seine Kranckheit sich leichte machet, indem die Natur von denen hefftigen Bewegungen nachlaesset, und da solche irre gewesen a peripheria ad centrum auf eine schaedliche Art gegangen, a centro ad peripheriam geleitet wird: dahero ein Medicus gluecklich ist, wenn ein Patient ein gut Vertrauen zu ihm hat, und hingegen aus diesen Ursachen ungluecklich, wenn das Vertrauen wegfaellt. […] Qv. 13. Hat die Imagination eine Krafft ueber andere?
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J. G. Sulzer: Kurzer Begriff aller Wissenschaften und andern Theile der Gelehrsamkeit, worin jeder nach seinem Inhalt, Nuzen und Vollkommenheit kuerzlich beschrieben wird. Leipzig: Johann Christian Langenheim. 21759, § 206, S. 158–159, hier 159: »Da nun die Kenntnis der menschlichen Seele der edelste Theil der Wissenschafften ist, so ist die Erweiterung der empirischen Psychologie den Liebhabern der Weltweisheit bestens zu empfehlen. Insonderheit moechten wir sie erinnern, die genaueste Aufmerksamkeit auf die dunkeln Gegenden der Seele (wenn man so reden kann) zu richten; wo sie durch sehr undeutliche und dunkele Begriffe handelt. Wolf [sic] hat die Wuerkungen des Verstandes beym deutlichen Denken und Urtheilen fuertrefflich beschrieben. Wenn man auf eben diese Weise das Betragen der Seele bey der undeutlichen Erkenntnis und bey den schnellen Urtheilen, welche aus der anschauenden Erkenntnis folgen, bey allerley Arten der Faelle genau aus einander sezte, so wuerde dieser Theil der Philosophie noch sehr erweitert werden.« Vgl. oben S. 143–149.
450 Ja. Damit wir uebergehen, was von denen Muettern angefuehret worden, daß sie denen Kindern mit der Imagination einen Eindruck am Leibe und Gemuethe geben, wovon die Muetter-Maehler und Gemueths-Neigungen zeigen, so sagen wir ueberhaupt, daß allerdings ein Mensch von einer starcken Imagination in andere Menschen viel koennen wuercken. Wie denn Lutherus mit seiner lebhafften Imagination vieles in Predigten und sonst in Conversation hat ausrichten koennen …105
Die Anatomen und Mediziner des 18. Jahrhunderts wiesen ihrerseits darauf hin, dass die Seele keinen »Ort« (nach dem Ausdruck Kants) habe.106 Nach Albrecht von Haller sei das Seelenorgan nicht in einer bestimmten Struktur des Gehirns lokalisierbar, sondern auf die gesamte weiße Substanz verteilt. Haller bezeichnete als Haupteigenschaften des Menschen die ›Reizbarkeit‹ und die ›Irritabilität‹, die das mechanische Modell des homme-machine durch jenen des homme sensible ersetzten. Somit wurde jedwede dualistische Auffassung von Körper und Seele zunichte gemacht.107 Welcher Mensch geriet denn unter das Messer der Anatomen? Auf der einen Seite gingen die Gelehrten immer noch davon aus, dass der Mensch ein selbstbewusstes, unteilbares Ich besäße. Auf der anderen Seite gerieten seine Affekte und Neigungen, seine Phantasie und Einbildung in ihr Blickfeld.108 Die zunehmend skeptischen, gar düsteren Vorstellungen bezüglich der Einbildungskraft ab Mitte des 18. Jahrhunderts resultierten weiterhin einerseits aus der Wahrnehmung, dass die ›Schwärmer‹ ihre Träume, Visionen und Entzückungen nicht nur für Erfahrungen, sondern für die Wahrheit hielten. Andererseits überzeugte man sich allgemein, dass keine Wissenschaft die Leidenschaften und die Einbildungskraft beherrschen könnte.109 Die Entdeckung des Bewusstseins gegen Ende des 17. Jahrhunderts, die zunehmende Betonung der Existenz von Bewusstseinsgraden und die Rückkehr der Thematik des Schwärmertums trugen zur raschen Verbreitung gras105 106
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Hillig, S. 117–119. Über Thomas Willis und seine Entdeckung des ›Kreises‹, vgl. Robert G. Frank: Thomas Willis and His Circle: Brain and Mind in Seventeenth-Century Medicine. In: The languages of Psyche. Mind and Body in Enlightenment Thought. Hg. von George S. Rousseau. Berkeley/Los Angeles u.a. 1990 (William Andrews Clark Memorial Library UCLA 12), S. 107–146. Albrecht von Haller: De partibus corporis humani sensibilibus et irritabilibus. Commentarii Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis 2 (1753), S, 114–158. Zitiert nach: Michael Hagner: Aufklärung über das Menschenhirn. Neue Wege der Neuroanatomie im späten 18. Jahrhundert. In: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert. Hg. von Hans-Jürgen Schings. Stuttgart/Weimar 1994 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 15), S. 145–161, hier 146–147. Ebd., S. 149. Zu dieser Thematik, vgl. Götz Müller: Die Einbildungskraft im Wechsel der Diskurse. Annotationen zu Adam Bernd, Karl Philipp Moritz und Jean Paul. In: Der ganze Mensch, S. 697–723. Vgl. Johanna Geyer-Kordesch: Passions and the Ghost in the Machine: or What not to ask about Science in seventeenth- and eighteenth-century Germany. In: The Medical Revolution of the Seventeenth Century. Hgg. von Roger French, Andrew Wear. Cambridge 1989, S. 145–163.
451 sierender Angst bei. Christian Wolff hatte schon im Jahre 1720 hervorgehoben, wie Einbildungen sich auf nicht empfundene Dinge beziehen könnten und sich der Kontrolle des Menschen teilweise entzögen. Die ›EinbildungsKraft‹110 fördere unter kontrollierter Anwendung das künstlerische Schaffen.111 Gegen Descartes’ Philosophie hatte Wolff das Ich und das Bewusstsein getrennt: Träume seien die Theaterbühne dunkler, jedoch bewusster Vorstellungen. In seiner Psychologia empirica siedelte Wolff 18 Jahre später die Einbildungskraft allerdings eher in direkter Nachbarschaft zur Schwärmerei (sie flattere extravagant umher) und zum Wahn an.112 Auf der ängstlichen Suche nach einem autonomen und bewussten Menschen beschäftigten sich die Gelehrten intensiv mit Träumen. Mit der Zunahme von psychologischen und anthropologischen Zeitschriften in den 1780er und 1790er Jahren, die sich an ein aufklärerisches Publikum richteten und bemüht waren, die Psychologie als empirische Wissenschaft aus moralischen und philanthropischen Gründen zu etablieren,113 erschien das oben bereits genannte Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Sein Ziel war es, die Umrisse einer ›moralischen Medizin‹ zu skizzieren, welche die Menschheit durch Selbsterkenntnis verbessern könnte. Deshalb trug es den eigentlichen Titel NOI AYTON [Gnothi Sauton] oder Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde als ein Lesebuch fuer Gelehrte und Ungelehrte. Dem Titel entsprechend wandte es sich von der abstrakten Überlegung über die Seelenkräfte zugunsten konkreter Fallberichte ab. Der erste Herausgeber, der Erzieher und einstige Pietist Karl Philipp Moritz (1756–1793), äußerte 110
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Zum Begriff, vgl. beispielsweise der Pietist Friedrich Christoph Oetinger in seinem Wörterbuch: »Imagination, Phantasia: Diß Wort kommt vor Apgesch. 25, 23, da Agrippa und Berenice mit viel in die Augen fallenden Prunk und Pracht erschienen. Es wird also dort genommen ausser dem Gesicht. Es wird aber heut zu Tag genommen innerhalb dem Gesicht als eine Kraft, sich abwesende Dinge als gegenwaertig zu machen. […] In der That muß die Einbildungs-Kraft der Seele, die Phantasie, da man ausser sich etwas siehet mit oder ohne Subsistenz, zu recht gestellt werden durch die wahre Ordnung der Dinge ausser uns. […] Die Bildungs-Kraft kan Anfangs seyn als ein Gedank ohne Wesen; hernach aber macht sie sich Wesen und ist nicht ein Nichts, sondern ein erwachsenes, doch selbst gebohrnes Etwas; dafuer huete dich.« Friedrich Christoph Oetinger: Biblisches und emblematisches Wörterbuch. Hg. von Gerhard Schäfer. In: Texte zur Geschichte des Pietismus. Abt. VII. Bd. 3/1. Berlin/New York 1999, S. 194–195. Wolff: Vernünfftige Gedancken (1983). § 242–247, S. 134–138. Französische Übersetzung aus dem Jahre 1745: »Tantôt importune, elle [d. h. die Einbildungskraft] nous remet continuellement les mêmes choses devant les yeux; tantôt inconstante, elle voltige des uns aux autres; tantôt extravagante et folle, elle les enchaîne sans choix«. In: [Christian Wolff]: Psychologie ou traité sur l’âme. Contenant les Connoissances, que nous en donne l’Expérience. Hildesheim/Zürich u.a. 1998 (Materialien und Dokumente 46), S. 90. Vgl. beispielsweise Psychologisches Magazin. Hg. von Carl Christian Erhard Schmid. 1796–1798; Allgemeines Repertorium für empirische Psychologie und verwandte Wissenschaften. Hg. von David Mauchart. 1792–1793, 1798–1799, 1801; Neues allgemeines Repertorium … Hg. von David Mauchart. 1802–1803.
452 den Wunsch, dadurch zahlreiche ›empirische‹ Fälle für eine künftige Traumtheorie sammeln zu können und den Autoren sowie den Kommentatoren bei der Entzifferung der inneren Kräften der Seele zu helfen.114 Die Zeitschrift, die dreimal jährlich von 1783 bis 1793 erschien, hatte also eine moralische und therapeutische Absicht. Da Träume eine Selbstbeobachtung forderten, machten sie den größten Teil der Beiträge aus. Die Mehrheit der von den Autoren des Magazins berichteten Träume waren warnende Vorzeichen eines künftigen Ereignisses. Ein junger Mann nehme im Traum das genaue Datum seines Todes wahr.115 Eine Frau sehe im Traum die Umstände des gewaltsamen Todes ihres Ehemannes.116 Ein Apothekerlehrling wohne im Traum der Ziehung der Lotterie bei und entdecke, dass er die Gewinnnummer besitze; sein Traum erfülle sich am folgenden Tag. »Hat die Seele ein Vermoegen, kuenftige Dinge vorher zu sehen?«117 fragte Moritz daraufhin. Zunächst schätzte er die Annahme einer solchen Kraft nicht als völlig abwegig ein.118 Drei Jahre später jedoch deutete er an, dass die Wünsche dieses Apothekerlehrlings seine Einbildungskraft zur angenehmen Aussicht eines Gewinns geführt hätten. Übrigens sei es wirklich verwunderlich, dass unter hundert Träumen sich nur einer erfülle.119 Deshalb ersetzte er zur Deutung der Träume die Wahrsagerei durch psychologische Erklärungen.120 Vor allem beunruhigte die Korrespondenten die – gar »mechanische«121 – Bewegungsfreiheit der Vorstellungen im Traum, deren Inkohärenz und Absurdität den Träumenden sogar nicht einmal überraschten. Zahlreichen Traumberichten war die Angst vor einem Ungleichgewicht der Seelenkräfte, 114
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Vgl. dazu Doris Kaufmann: Dreams and Self-Consciousness. Mapping the mind in late eighteenth and early nineteenth Centuries. In: Biographies of scientific objects. Hg. von Lorraine Daston. Chicago/London 2000, S. 67–85, hier 71; Dies.: Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung und die ›Erfindung‹ der Psychiatrie in Deutschland, 1770–1850. Göttingen 1995 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 122), insbesondere S. 25–109. Als allgemeine Einführung in die Zeitschrift und deren Herausgeber, vgl. Hans Joachim Schrimpf: Das »Magazin zur Erfahrungsseelenkunde« und seine Herausgeber. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980), S. 161–187; Raimund Bezold: Popularphilosophie und Erfahrungsseelenkunde im Werk von Karl Philipp Moritz. Würzburg 1984. Todesahnung. In: Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Bd. 2, 1. Stück, S. 72–75. Ein Traum. In: Ebd. Bd. 4, 3. Stück, S. 75–78. Ebd. Bd. 1, 1. Stück, S. 70–84. Ebd. Bd. 1. 1. Stück, S. 81. Ebd. Bd. 4, 1. Stück, S. 13–14. Vgl. auch Roland Krebs: La question du rêve dans l’anthropologie des Lumières. L’exemple du Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. In: Cahiers d’Études germaniques 33/2 (1997), S. 41–50, hier 44. Dabei bezeigte Moritz eine bestimmte Vorsicht. Gegen Pockel, der sich wahrsagender Träume als Waffe gegen den Aberglauben bedienen wollte, bemühte er sich nach seiner Rückkehr aus Italien im Jahre 1789 eine wissenschaftliche Neutralität zu gewährleisten. Salomon Maimon: Über Selbsttäuschung. In: Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Bd. 8, 3. Stück, S. 38–40; Ders.: Ueber den Traum und ueber das Divinationsvermoegen. In: Ebd., Bd. 9, 1. Stück, S. 70–88.
453 die Möglichkeit einer moralischen Verantwortlichkeit der Träumenden für ihre erschreckenden Traumbilder und die Hinterfragung der persönlichen Identität gemeinsam. Wie der Philosoph Joseph Veit anlässlich einer Debatte mit Salomon Maimon (1753–1800) über Träume und Täuschungen schrieb, könne man im Traum sein eigenes Selbst vergessen.122 Pathologische Fälle von Trennung des Selbst, wie die »Erfahrung« des aufklärerischen Theologen Johann Joachim Spalding (1714–1804), der plötzlich die Sprache und die Fähigkeit des Schreibens verlor, rückten in den Mittelpunkt der Zeitschrift.123 In solchen Fällen sei die Seele zu bestimmten Handlungen gezwungen gewesen oder an diesen gehindert worden. Auch in ganz banalen Fällen verwischten die Grenzen zwischen Wachzustand und Schlaf, Gesundheit und Wahn. So zum Beispiel dieser nüchternde Bericht: Ich erinnere mich hiebei eines aehnlichen Falles, da ich als ein Knabe, von ohngefaehr zwoelf Jahren, mich einige Tage lang fest ueberredete, daß eine junge Kaufmannsfrau in unsrer Nachbarschaft todt sey, bis ich sie einmal vor der Thuere stehn sahe, und ueber ihren Anblick sehr erschrack. Nachdem ich aber etwas nachdachte, fiel es mir ploetzlich ein, daß mir vor einigen Tagen von dem Tode dieser Frau getraeumt hatte, so daß ich sie in einem Sterbekittel im Sarge liegen sahe. Die Ideen vom Traume hatten sich nicht gehoerig verdunkelt, und sich daher mit den Ideen von der Wirklichkeit vermischt. Im obigen Falle kann gleicherweise ein solcher Traum vorhergegangen seyn, dessen sich aber die Seele nicht wieder erinnern, und folglich auch nicht wissen konnte, woher sie zu einer ihr ganz fremdscheinenden Idee gekommen war. Dauert ein solcher Zustand lange und anhaltend fort, so kann er in Wahnwitz ausarten.124
Im Traum verschwände jene innere moralische Zensur, die im Wachzustand aktiv sei: Mangel an Scham, wilde Affecten, Verachtung religiöser Gegenstaende, Blasphemien, und andre abscheuliche Gedanken und Empfindungen, die uns im Wachen nicht beunruhigen, bemerken auch die vortrefflichsten Menschen an sich, wenn sie traeumen.125
Aufgrund der Angst und der moralischen Zensur drückten die unterschiedlichen Beiträge nur Diskurse über die Unordnung aus, dagegen keine direkte Erforschung eigener Träume, die ein zweites Ich enthüllt hätten. Die erotischen Eindrücke wurden ebenso abstrakt und allgemein geschildert: 122
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Joseph Veit: Schreiben über Täuschung und besonders vom Träume. In: Ebd. Bd. 8. 1791, S. 204. Vgl. Kaufmann (2000), S. 73. Johann Joachim Spalding: Ein Brief an Sulzern ueber eine an sich selbst gemachte Erfahrung. In: Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Bd. 1. 1783, S. 117–121; Selbsterfahrung des Herrn Kirchenrath Stroth in Gotha. In: Ebd. Bd. 2. 1784, S. 59–60; Ernestine Christiane Reiske: Parallel zu der Selbstbeobachtung des Hr. O. C. R. Spalding im 2ten Stück der ersten Bandes. In: Ebd. Bd. 3, S. 218–220; Auszug aus einem Briefe, von Hrn. K. Gemeinheits-Commissarius Gädicke zu Cammin. In: Ebd. Bd. 4, S. 207–208; Anmerkungen und Berichtigungen zu dem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, von Herrn van Goens. In: Ebd. Bd. 8, S. 239–240. M. [Moritz]: [ohne Titel]. In: Ebd. Bd. 1. 1783, S. 55. Ebd. Bd. 6, 3. Stück, S. 85.
454 Aus eben dieser Alleinwuerksamkeit der Phantasie lassen sich nun vornehmlich die wolluestigen Bilder erklaeren, welche uns des Nachts beunruhigen und unsere Schamhaftigkeit beleidigen. Wenn der menschliche Koerper von den Arbeiten des Tages frei der Ruhe genießt, und die Seele mit ihrem Nachdenken sparsamer zu Werke geht, führt die Einbildungskraft die Bilder der sinnlichen Beduerfnisse naeher vor uns vorbei, einmahl, weil sie immer die oeftern Vorstellungen der Seele in ihrem ruhigen Zustande zu seyn pflegen, und durch die Gewalt der Gewohnheit die staerksten geworden sind, und denn zweytens, weil durch die Entkleidung des menschlichen Koerpers, durch die weiche Lage auf dem Bette, und durch das Erinnern an verliebte naechtliche Zusammenkuenfte, vielleicht aus lange vergangenen Zeiten, unsere Phantasie sehr leicht und lebhaft gereizt werden kann; – sehr leicht, weil, wie ich schon gezeigt habe, sie nicht von sinnlichen Eindruecken des Nachts so oft gehindert wird; sehr lebhaft, weil sie sich, wenn unsere Augen geschlossen sind, gewisse Nuditaeten viel deutlicher, als sonst, vorzustellen pflegt.126
Als Merkmal der Gesundheit im Gegensatz zum Wahn wurden die bewusste Unterscheidung zwischen Wach- und Schlafzustand und die Fähigkeit, einen Traum zu unterbrechen oder sich selbst als Träumender zu erleben, festgelegt. Manche Autoren bemühten sich, eine wissenschaftliche Erklärung durch die Beobachtung der physischen Vorgänge, die die Traumtätigkeit begleiten könnten und zähmen würden,127 zu liefern. Wie dem auch sei – das Träumen rief die Existenz eines zweiten, wilden inneren Ich hervor, das in gefährlicher Nachbarschaft zum Wahn existierte. 7.2.3
Schwärmerei und Wissen
Zedlers Lexikon kann als Zeugnis allgemein geteilter Überzeugungen herangezogen werden. Der anonym verfasste Artikel »Schwaermer« (1743) lautet: Schwaermer, werden diejenigen Fanatici genennt, welche aus Mangel der Beurtheilungskraft allerley der Christlichen Religion und bisweilen der Vernunfft selbst, widersprechende Meynungen gehen, und dadurch oeffentliche Unruhen anrichten. Es erhellet hieraus der Unterscheid zwischen ihnen und den Fanaticis, von welchen im IX Bande, p. 212 gesagt worden; da nehmlich die letzteren bey ihren ungereimten Einbildungen stehen bleiben, die die Schwaermer hingegen noch weiter gehen, und entweder aus Verderbnis des Willens, besonders durch Stoltz und Hartnaeckigkeit, oder 126 127
Ebd. Bd. 5, 2. Stück, S. 96. Zitiert auch in: Krebs, S. 48. Vgl. beispielsweise Fischer: Staerke des Selbstbewußtseyns. In: Ebd. Bd. 1. 1783, S. 39–41; Moses Mendelssohn: Psychologische Beobachtung auf Veranlassung einer von dem Herrn Oberkonsistorialrath Spalding an sich selbst gemachten Erfahrung. In: Ebd., Bd. 1, S. 211–232. Vgl. Kaufmann (2000), S. 75–76. Vgl. auch folgende Beobachtung von Pockels: Revision. In: Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Bd. 6, 1. Stück, S. 53: »Man darf dann vollends ein empfindliches Nervensystem haben, so werden aus eignen Gedanken Stimmen, aus einer aufgebrachten Circulation, Schlaege und Donner und Geraeusche, und Gott weiß, was noch. Man frage Hypochondristen; melancholische, Fieberpatienten. In einem so von allen Seiten turbirten Zustand der Denk- und Vorstellungskraft aeußert sich nicht selten die facultas divinandi, und trifft nicht selten ziemlich richtig, ohne Dazwischenkunft einer hoeheren Offenbarung«. Vgl. dazu Krebs, S. 45–46.
455 auch aus vermeynter Pflicht, ihre Irrthuemer zu Stoehrung der Ruhe und zu allerley Verwirrungen anwenden. Ferner wird hieraus klar, daß man zwar jeden Schwaermer den Nahmen eines Fanatici; aber nicht jedem Fanatico den Nahmen eines Schwaermers beylegen koenne. Es kan demnach wider dergleichen Leute, nicht so ferne sie irren, sondern so ferne sie die aeusserliche Ruhe der Kirche und der republick stoehren, die obrigkeitliche Gewalt gebraucht werden. Weil der Nahme eines Schwaermers vielerley Gattungen von Sectirern und Letzern zukoemmt, so kan der Ursprung derselben nicht genau bestimmt werden. Doch sind diejenigen ohne Zweiffel zuerst mit diesem Nahmen beleget worden, welche unter der Anfuehrung Thom. Muentzers, Marc. Stuebners, Mart. Cellarii, und Pfeiffers, im Jahre 1522 erst zu Zwickau oeffentliche Unruhe erregten; und bald darauf diejenigen, welche gleichfalls unter gedachten Muentzers Anfuehrung im Jahre 1525 sich zu den damahls in Schwaben rebellirenden Bauern schlugen, und den 15 Maertz desselben Jahres nebst jenen eine blutige Niederlage erlitten …128
Die Schwärmer gehörten der gefährlichen Gruppe der Fanatiker an, die nicht nur mangelnde Urteilskraft und verletzte Vernunft besäßen, sondern »oeffentliche Unruhen« gegen Kirche und Staat anzettelten. Der Autor stützte sich auf die rebellischen Zwickauer Propheten und Thomas Müntzer, betonte die Vielfalt schwärmerischer Strömungen und deren Heterogenität, die sich in kein System bringen ließe. Seit Anfang des 18. Jahrhunderts war die Schwärmerei-Polemik wieder aufgekommen. Zunächst wurden Pietisten als Melancholiekranke gebrandmarkt. Da orthodoxe Theologen das Wort hatten, gebrauchten sie den Schwärmerei-Begriff undifferenziert.129 In der vierten Auflage seines Essay Concerning Human Understanding (1700) fügte John Locke ein Kapitel »Of Enthusiasm« (IV, 19), das den Enthusiasmus erstmalig als Gegenstand einer Erkenntniskritik darstellte. Locke stellte konventionell das innere Licht der Enthusiasten dem natürlichen Licht der Vernunft gegenüber. Während er die Melancholie auf eine erhitzte Einbildungskraft zurückführe, skizzierte er ex negativo die Umrisse einer vernünftigen Religion.130 Leibniz übernahm diese Analyse, betonte darüber hinaus die Vielfalt (von den Quäkern und Jacob Böhme bis zu Antoinette Bourignon, Quirinus Kuhlmann und den Labadisten) und die Uneinigkeit zwischen solchen Fanatikern.131 Für die politische Dimension solcher Überzeugung sorgte ein
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Zedler. Bd. 35. 1743, Sp. 1795–1796. Hervorhebungen im Original. Die Polemik Schwärmerei verschmelzte sich jedoch nie völlig mit der Kontroverse gegen den Atheismus. Für englische Beispiele, vgl. Michael Hunter: Science and Heterodoxy: An early modern problem reconsidered. In: Reappraisals of the Scientific Revolution. Hgg. von David C. Lindberg, Robert S. Westman. Cambridge u. a. 1990, S. 437–460. John Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, ins Deutsche übersetzt von C. Winckler. 2 Bde. Hamburg 41981 (Philosophische Bibliothek 75/76), hier Bd. 2, Buch IV, Kap. XIX »Über die Schwärmerei«, S. 404–417. Vgl. oben S. 405–406 Gottfried Wilhelm Leibniz: Nouveaux Essais sur l’entendement humain / Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, Frankfurt am Main 1996 (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft 1266), XIX. De l’enthousiasme (Schwarmgeisterei),
456 weiterer Leser Lockes, Christian Thomasius: jede schwärmerische Autorität sei eine direkte Bedrohung der geistigen wie politischen Freiheit.132 Diese Themen wurden unverändert bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts behandelt. Die Gefahr, die von den Fanatikern für die öffentliche Ordnung ausgehe,133 und der Irrationalismus und abergläubische Charakter des Pietismus134 beherrschten die Kontroversen. Der Artikel »Schwaermer« im Zedler-Lexikon verwies dennoch auf eine Unterscheidung zwischen Schwärmerei und Fanatismus. Nur Erstere verursache politische Verwirrungen. In diesem Zusammenhang, auch infolge der Rezeption der englischen Publizistik gegen die Quäker, insbesondere des Letter Concerning Enthusiasm von Shaftesbury (1708), der neben den verrückten einen wahren und göttlichen Enthusiasmus schilderte,135 unterschied Wieland im Jahre 1775 zwischen Schwärmerei – »eine Erhitzung der Seele von Gegenstaenden, die entweder gar nicht in der Natur sind, oder wenigstens das nicht sind, wofuer die berauschte Seele sie ansieht« – und Enthusiasmus: eine Erhitzung der Seele, die nicht Schwaermerei ist, sondern Wirkung des unmittelbaren Anschauens des Schoenen und Guten, Vollkommenen und Goettlichen in der Natur und unserm Innersten, ihrem Spiegel! Eine Erhitzung, die der menschlichen Seele, sobald sie mit gesunden, unerschlafften, unverstopften, aeußern und innern Sinnen sieht, hoert und fuehlt, was wahrhaft schoen und gut ist, eben so natuerlich ist, als dem Eisen im Feuer gluehend zu werden.136
Die Schwärmerei sei eine Krankheit der Seele, während der Enthusiasmus auf das wahre Leben der Seele hinweise. Als Wieland eine Jahr später die berühmte Frage aufwarf,
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S. 601–630. Leibniz wünschte eine »auf der Vernunft gegründete Religion« (»une religion fondée en raison«). Vgl. Christian Thomasius: Dissertatio (nova) ad Petri Poireti libros de Eruditione solida, superficiaria et falsa. o. O. 1708. Diese Idee bildete das Leitmotiv der in deutscher Übersetzung (1752) betitelten »Warnung vor dem Fanaticismus« des holländischen Mennonitenpredigers Johannes Stingstra. Vg. dazu Schings, S. 185–190. Vgl. Johann Joachim Spalding: Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum. Leipzig: Weidmann. 1761. Spalding übersetzte ein Werk Shaftesburys: Die Sitten-Lehrer. Aus dem Engl. uebersetzt [von Johann Joachim Spalding]. Berlin 1745. Vgl. Henry More: Enthusiasmus triumphatus (1662). New York 1993 (Augustan Reprint Society 188); Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury: A Letter Concerning Enthusiasm (1708). Nach: Ders.: Complete works, selected letters and posthumous writings. In English with parallel German translation. Edited, translated and commented by Gerd Hemmerich and Wolfram Benda. Standard Edition. Bd. I. 1. Ästhetik. Stuttgart/Bad Cannstatt 1981, S. 302–375. Shaftesbury empfahl den »test of ridicule« als Methode zur Heilung der Schwärmer. Vgl. oben S. 410. Christoph Martin Wieland: Enthusiasmus und Schwaermerei. In: Der Teutsche Merkur (1775). Bd. IV, S. 151–155. Hier nach: Ders.: Sämtliche Werke. Leipzig 1840, Bd. 35, S. 134–137, hier 134–135. Zitiert nach: Manfred Engel: Die Rehabilitation des Schwärmers. Theorie und Darstellung des Schwärmens in Spätaufklärung und früher Goethezeit. In: Der ganze Mensch, S. 469–498.
457 Wird durch die Bemühungen kaltblütiger Philosophen und Lucianischer Geister gegen das was sie Enthusiasmus und Schwaermerey nennen, mehr Boeses oder Gutes gestiftet? Und, in welchen Schranken mueßten sich die Anti-Platoniker und Luciane halten, um nuetzlich zu seyn?137
drückte er einen doppelten Zweifel aus, dass weder die Aufklärer, die sich auf die Wollfschen Philosophie und Vermögenspsychologie bezogen, noch die Satiriker in Anlehnung an Shaftesbury die Schwärmer von ihrem Irrtum überzeugen bzw. heilen könnten. Im selben Jahr und in derselben Zeitung erschien der Artikel Herders »Philosophei und Schwaermerei, zwo Schwestern«, der eine ähnliche Ratlosigkeit verriet. Herder organizistisches Modell setzte nämlich das warme Schwärmen und das kalte Philosophieren gleich. Wielands strenge Unterscheidung zwischen Schwärmerei und Enthusiasmus ist, so Manfred Engel, auf eine generelle relative Aufwertung der ›erhitzten Einbildungskraft‹ zurückzuführen, die sich vorwiegend in der Literatur entfaltete. An dieser Stelle wird nicht die Literatur, die von Hans-Jürgen Schings und Manfred Engels vorzüglich untersucht wurde,138 sondern deren Grundlage, die epistemologische Verschiebung der Einbildungskraft und des Traums skizziert. Als der junge Immanuel Kant Pläne zu einer Vernunftkritik entwarf und die Schriften des schwedischen Visionärs Emanuel Swedenborg zur Kenntnis nahm,139 ließ er sich so beeindrucken, dass er begann, ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Aus der langen Beschäftigung mit ihnen entstanden die Traeume eines Geistersehers (1766). Ganz im Geiste Shaftesburys war er Swedenborg zunächt mit Spott begegnet.140 Ziel seiner Schrift Träume eines Geistersehers war dennoch die Brandmarkung der rationalistischen Metaphysik cartesianischer und Leibnizscher Prägung. Da diese die Welt grundsätzlich als Materie ansehe, lasse sie hinter den Phänomenen Raum für geistige Sub-
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Christoph Martin Wieland: Der teutsche Merkur (1776), I, S. 82. Zitiert nach: Engel (1994), S. 469. Vgl. Schings, S. 185–291; Engel (1994), insbesondere S. 477–493. Vgl. auch dazu Jutta Heinz: Mechanical Association of ideas or ›games of dice‹ of the soul? Anthropological Concepts of the Dream in the Late Enlightenment. In: The Dream and the Enlightenment, S. 89–103; Bernard Dieterle: La métaphore du rêve dans les écrits de Herder. In: Ebd., S. 169–184; Wilhelm Graeber: »Ces songes méthodiques qu’on ne trouve que dans les livres«. Le rêve dans les hebdomadaires moraux. In: Ebd., S. 207–233; vgl. auch Wübben, S. 161–224. Diese waren insbesondere von dem Pietisten Friedrich Christoph Oetinger verbreitet worden. Vgl. Friedrich Christoph Oetinger: Swedenborgs irdische und himmlische Philosophie. In: Friedrich Christoph Oetinger, Sämtliche Schriften, Gesammelt und hg. von Karl Chr. Eberhard Ehmann. Eingeleitet und neu hg. von Erich Beyreuther. 2. Abteilung. Theosophische Schriften. Bd. 2. Swedenborgs irdische und himmlische Philosophie. Stuttgart 1977. Vgl. Briefe von und an Kant. Hg. von Artur Buchenau. Teil I: 1749–1789. Hildesheim 1973 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912–1922 hg. von Ernst Cassirer), S. 56.
458 stanzen.141 Was Kant in den Überlegungen Swedenborgs bestritt, war nicht unmittelbar der Glaube an die Existenz von Geistern an sich, sondern der kommunikative Zugang zu den Geistern und deren Wahrnehmung. Nach dem schwedischen Visionär besäßen nur einige hervorragende Menschen eine solche Gabe. Hingegen seien die spekulativen Orthodoxen die echten Schwärmer und Fanatiker.142 Aus diesem Grund schrieb er seine Visionen in einem nüchternen, schmucklosen, aber und doch verwirrenden Stil: Dem Stil nach könnte man nicht vermuten, dass es sich um »spekulative Hirngespinste einer verkehrtgruebelnden Vernunft«143 handle. Ohne Pathos stellte Swedenborg das Leben in den Himmeln in allgemeiner wie politischer und sozialer Hinsicht als eine Fortsetzung des irdischen Lebens dar; trotz des Verlustes seines irdischen Leibes behalte der Mensch im Jenseits seine Sinne, seine Begierden und seine Beschäftigungen.144 Ganz konventionell siedelte Kant Swedenborgs Einsichten unter dem Thema des Wahns an. Als Motto stellte er folgendes Horaz-Zitat voran: »[W]ie Träume eines Kranken werden Täuschungen erdichtet«145 Kant erklärte weiter, dass diese Krankheit nicht die Vernunft oder den Verstand (dann würde sie »Wahnwitz« heißen), sondern sein Anschauungsvermögen, d. h. seine getäuschten Sinne, seine Einbildungskraft betreffe: es handle sich um einen »Wahnsinn«.146 Im Gegensatz zur Entwicklung seit Ausgang des 16. Jahrhunderts wurden Schwärmer nicht mehr als Vernunfts-, sondern wie in der Mitte des 16. Jahrhunderts als Imaginationskranke angesehen.147 Die Auffassung von der Einbildungskraft als quasi autonomes Vermögen, das ihrem 141
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Immanuel Kant: Traeume eines Geistersehers, erlaeutert durch Traeume der Metaphysik. Erlangen 1988 (Kant im Original 7) (Nachdruck der Ausgabe Koenigsberg: Johann Jacob Kanter. 1766.). Vgl. dazu Schings, S. 11–13; Lewis White Beck: Did the Sage of Königsberg Have No Dreams? In: Ders.: Essays on Kant and Hume. New Haven/London 1978, S. 38–60; Hartmut Böhme, Gernot Böhme: Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants. Frankfurt am Main 1983, S. 231–274; Friedrich Balke: Wahnsinn der Anschauung. Kants »Träume eines Geistersehers« und ihr diskursives Apriori. In: Gespenster. Erscheinungen, Medien, Theorien. Hgg. von Moritz Baßler, Bettina Gruber, Martina Wagner-Egelhaaf. Würzburg 2005, S. 297–313; Gehring, S. 94–101. »Menschen, die viel ueber religioese Dinge nachdenken, und darueber in solchem Maße gruebeln, daß sie sie gleichsam inwendig in sich sehen, fangen auch an, Geister mit sich reden zu hoeren. Denn religioese Ideen, welcher Art sie auch sein moegen, dringen, wenn ihnen der Menschen von sich aus nachgruebelt und sich nicht zwischenhinein mit im Leben nuetzlichen Dingen beschaeftigt, ins Innere ein, setzen sich hier fest und nehmen den ganzen Geist des Menschen gefangen. Sie dringen in die geistige Welt ein und bringen dort die Geister in Bewegung. Allein solche Menschen sind Schwaermer und Fanatiker.« Emanuel Swedenborg: Himmel und Hölle. Visionen & Auditionen (De coelo et eius mirabilibus, et de inferno, ex auditis et visis, dt.). Aus dem Lateinischen von Friedemann Horn. Zürich 21992 (11977), S. 157. Vgl. auch Balke, S. 303. Kant (1766/1988), S. 99. Vgl. dazu Balke, S. 304. Swedenborg (1992), S. 249–323. Vgl. dazu Balke, S. 304–305. »… velut aegri somnia, vanae Finguntur species« Kant (1766/1988), S. 54, 66–71, 100. Vgl. dazu Balke, S. 305. Vgl. oben S. 148–149, 151–163.
459 ›Gesetz‹ gemäß Gegenstände assoziativ ohne jegliche Kontrolle der Vernunft oder der Urteilkraft verknüpfen könnte, hatte zu einer Rückkehr der Kategorie der Imaginationskrankheit geführt. Charakteristikum des Schwärmers sei also seine ausufernde Einbildungskraft.148 Kant bestimmte diese geistige Krankheit weiter in Übereinstimmung mit der Auffassung vom Wahnsinn des 18. Jahrhunderts. Die Nähe der Einbildungskraft zum Wahn brachte auch die TraumThematik ins Spiel. Kant nannte Swedenborgs Spekulationen pejorativ »Träume«, obwohl er eigentlich Träumereien oder Wachträume schilderte. Denn Ziel seiner Darstellung war deren grundlegende Abwertung. Die klassische Metaphysik – und Kant verstand darunter auch die rationale Wolffsche Vermögenspsychologie – habe nämlich mit dem Geisterseher die Heausbildung einer eigenen, privaten Welt gemeinsam.149 Der Traum wurde in dieser Schrift implizit durch Lückenhaftigkeit, den Mangel an Zusammenhang und vor allem die Privatheit charakterisiert. Als Kriterien der Wahrheit galten der Zusammenhang (die »Ordnung«) der Vorstellungen und die Öffentlichkeitsfähigkeit. Erkenntnisse seien erst durch deren Mitteilung gesichert. Swedenborg sei gerade deshalb irre, weil er sich selbst als einzelner, hervorragender Geisterseher stilisiert und seine Eingebungen an die Öffentlichkeit gebracht habe. Kant hielt den Traum jedoch nicht für eine Art Wahn, sondern betrachtete ihn als einen Teil ästhetischen Urteilens. Ein Erkenntnisurteil bestehe in der Zuordnung eines intuitiven Bildes zu einem empirischen Begriff. Dadurch ließ sich die Einbildungskraft der Urteilskraft (als Vermögen der Begriffsbildung) zuordnen. Die ästhetische Erfahrung und die Gültigkeit solcher ästhetischen Urteile wie Täuschungen und Illusionen seien jedoch nicht kognitiv. Kant wies den Traum nicht der Philosophie, sondern eindeutig der Ästhetik zu. Zwischen der Philosophie Kants und den Dichtern gab es eine intellektuelle Kluft. Diese erwarten ihrerseits von autobiographischen Schriften und der Poesie neue Einsichten über die Seele und trugen somit zur Aufwertung der Einbildungskraft in den drei letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts 148
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»Blendwerk der Einbildung«, Kant (1766/1988), S. 53. Im selben Sinne bestimmte Adelung den Schwärmer darin, dass er Empfindungen und Einbildungen für Wahrheiten hielt. Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Wien: Bauer. 1811. Bd.3, Sp.1717–1718. http://mdz.bib-bvb.de/ digbib/lexika/adelung/images/ade3/@Generic__BookView;cs=default;ts=default;lang=de »Aristoteles sagt irgendwo: ›Wenn wir wachen, so haben wir eine gemeinschaftliche Welt, traeumen wir aber, so hat ein jeder seine eigne.‹ Mich duenkt, man solte wohl den letzteren Satz umkehren und sagen koennen: wenn von verschiedenen Menschen ein jeglicher seine eigene Welt hat, so ist zu vermuthen, daß sie traeumen«. In: Ebd., S. 58. Es handelt sich eigentlich nicht um ein Zitat von Aristoteles, sondern von Heraklit. Gegen die Metaphysik schlug Kant die kritische Philosophie vor. Diese sollte nicht die Dinge an sich, sondern nur Dinge, die uns erscheinen und deshalb, laut Kant, erkennbar seien, behandeln.
460 bei. Dessen ungeachtet behandelten alle Gelehrten den Traum eindeutig als ästhetischen Gegenstand und begegneten der Einbildungskraft mit ambivalenten Gefühlen. In einem Artikel des Magazins zur Erfahrungs-Seelenkunde aus dem Jahre 1787 wurden beide Ansätze sogar kombiniert. Der Autor des Beitrags »Ueber die Schwaermerey und ihre Quelle in unseren Zeiten«, Daniel Jenisch (1762–1804), ging von der Kantschen Definition der Wahrnehmung aus, um den Geist nicht als (unkennbares) ›Ding an sich‹, sondern als Wahrnehmungsvermögen zu definieren.150 Er schilderte den Schwärmer als Kranken, der zunächst unter dem Diktat des ausgeprägten Assoziationsvermögens seiner Einbildung lebe, dann mit deren Hilfe die Vernunftideen versinnliche. Die Schwärmerei kompensiere ein Grundbedürfnis, das die Philosophie nicht mehr befriedigen könne: … wie höchst eingeschränkt [ist] unsere Erkenntnis der Natur, und wie unzulänglich für die Befriedigung der wichtigsten und letzten Erkenntnis-Bedürfnisse […]. Von der ersten Ursache der Natur, ihrem Wesen, Eigenschaften, Einflusse auf die Welt und Zusammenhange mit uns – welcher Neuton, oder Haller, oder Leibniz kann […] befriedigende Antwort geben? Und eben so unsern großen Wunsch für Fortdauer und Unsterblichkeit, welcher Socrates, welcher Mendelssohn kann ihn hinlänglich begründen und stärken?151
Solche Unsicherheiten begleiteten die politischen Verwirrungen der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Im Schlussteil ihres Werkes De l’Allemagne (1810) bestimmte Madame de Staël Deutschland als charakteristisches Land des Enthusiasmus, des Sinnes für das Unendliche, der Liebe des Schönen gegenüber dem napoleonischen Frankreich, das vom Fanatismus, d. h. von den privaten Leidenschaften beherrscht sei.152 Damit fasste sie jene vorsichtige Neuwertung der Einbildungskraft mit ihrem philosophischen und öffentlichpolitischen Potential zusammen.153 150
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»Der Geist des Menschen ist kein sich selbst bestimmendes, oder ursprünglich und aus sich selbst handelndes Wesen. Er sieht, denkt, will und handelt immer so, wie er von außen her, durch Umstand und Zufall bestimmt wird. Er ist sehr wenig an sich selbst, er wird allemal, was er ist. Er gleicht einer Pflanze, die in ihrem Keim Geschmack, Geruch und Farbe desjenigen Erdreichs aufnimmt, auf welchem sie wächst. Er ist an sich selbst ein Leeres, und ist nur damit versehen, womit Zeit, Raum und Zufälligkeit seiner Existenz ihn versorgen, – und hat daher auch allemal, daß ich so sage, Geruch und Duft seines Zeitalters, seines Jahrhunderts.« Daniel Jenisch: Ueber die Schwärmerey und ihre Quellen in unsern Zeiten. In: Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde. Bd. 5, 3. Stück, S. 211–224, hier 212. Ebd., S. 223. Anne Germaine de Staël: Über Deutschland. Vollständig und neu durchgesehene Fassung der Erstausgabe von 1814, mit einem Register, Anmerkungen und einer Bilddokumentation. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Monika Bosse. Frankfurt am Main 1985 (Insel-Taschenbuch 623), S. 732–736. Während der Revolutionszeit politisierten sich die Anklagepunkte gegen die Schwärmer. Im Heiligen Römischen Reich wurde zum Beispiel ein Münchner Illuminatenverbot in den Jahren 1784 und 1785 erlassen. In England wurden Radikale und Reformatoren als wilde Schwärmer angeprangert. Vgl. dazu Simon Shaffer: States of Mind: Enlightenment and Natural Philosophy. In: The Languages of Psyche, S. 233–290.
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Schlusswort Warum war im Heiligen Römischen Reich in der frühen Neuzeit die Bestimmung der Traumdeutung und -analyse so präsent und so heikel? Als Schwellenphänomen – zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Teufel, Prophetie und Aberglauben, Leib und Seele, Imagination und Realität, oder zwischen Wahrheit und Irrtum –, ließ es in einem von Reformation, Konfessionalisierung, Pietismus sowie Hexenverfolgung und Schwärmerei durchzogenen Land, in einem Land, wo die Diskussion über Natur und Funktion der Seele besonders lebhaft war, niemanden gleichgültig. Eine Vielfalt von Personen und Kreisen beteiligten sich mit Leidenschaft und Akribie, mit Gelehrsamkeit und großer Argumentationskraft an diesen Debatten. Dies nicht nur in der kleinen Welt der Gelehrten, sondern darüber hinaus – da es schließlich um die letzten Dinge ging – in breiten Kreisen der Gesellschaft. Das Wissen über den Traum war jedoch bruchstückhaft und widersprüchlich; schon vor der Reformation wurde der Traum teils mit Zustimmung, teils mit Vorbehalt und Zweifel, oder gar mit Ablehnung betrachtet. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte bei der Intensität und Widersprüchlichkeit der Debatten über den Traum die im ausgehenden 15. Jahrhundert stattfindende Rezeption der aus Italien kommenden neuplatonischen Strömungen, die den durch Aristoteles und Galen geprägten sensus communis über den Traum in Frage stellten. Viel von dem, was sich nach 1530 im Reich entwickelte, stand in der Kontinuität der Diskussionen der vorreformatorischen Zeit. Zweifelsfrei wirkte die Reformation als Triebfeder für die Einschätzung der Traumdeutung – wie man den Werken von Melanchthon sowie seinem Schwager Peucer und der Verbreitung ihrer Traktate entnimmt –, jedoch wurde die Traumdeutung nie völlig von den Konfessionen vereinnahmt. Bei den Debatten und Auseinandersetzungen über den Traum spielten drei Herausforderungen bei den Debatten und Auseinandersetzungen über den Traum eine Rolle – je weniger eine völlig überzeugende Antwort gefunden werden konnte – die sogenannte Schwärmerei (Ist der Traum ein privilegierter Zugang zu Gott und zur Wahrheit?), das Hexenwesen (Inwiefern und unter welchen Bedingungen kann der Teufel durch die Vermittlung des Traumes wirken?) und die Politik (Inwiefern gibt es politische Träume und wenn ja, wie lassen sie sich am besten deuten?). Diese Herausforderung hatte eine zweifache Sichtweise zur Folge: einerseits die mit Faszination ver-
462 bundene Bedeutung des Traums als ein zu lösendes Rätsel (daher der Erfolg der Traumbücher); andererseits das Unbehagen gegenüber dem Traum und der zunehmende Zweifel an der Vorstellung, der Traum könne einen privilegierten Zugang zur Wahrheit (zunächst im Sinne der divinatio, der Wahrsagung, dann zur Kenntnis der eigenen Seele und seiner selbst) vermitteln. Schließlich ging es um die Bestimmung der persönlichen Identität. Bereits um 1600 – und nicht um 1800, wie es üblich behauptet wird1 – wurde der Mensch nicht mehr als Zusammenhang von Körper und Seele, sondern zunehmend durch seine Seele, gar sein Gehirn charakterisiert. Inwiefern und wie könnte das Träumen bzw. der Traum einen Zugang zur Beobachtung der eigenen Seele bilden? Um 1780 Jahren notierte der Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai in seiner Reisebeschreibung durch Deutschland in die Schweiz Folgendes: Vor wenigen Jahren konnte Gaßner noch mit den unsinnigsten Gaukeleyen viele Tausende von Menschen zusammen ziehen. Dem Segen des Papstes liefen eben so viel Tausende in Wien nach. Der Urinprophet Schuppach zog von allen Enden von Europa leichtglaeubige Menschen zusammen. Mesmer machte in Wien mit Magnetkuren die groeßten Charlatanerien, geht von da nach Paris, macht noch groessere Charlatanerien mit einem Magnetismus der nicht einmal magnetisch ist […] Saint Germain ward fuer einen Gott ausgegeben, und erregte die Aufmerksamkeit vieler Fuersten und anderer gar nicht geistlosen Koepfe. Cagliostro wuste mit offenbaren Gaukeleyen in ganz Europa, und auch bey Lavatern sich den Anstrich eines ausserordentlichen Mannes zu geben, und setzte Maenner von der groeßten Bedeutung in Bewegung. Ziehens unsinnige Prophezeyhungen erregen, was auch die Vernunft und Lichtenberg sagen mag, noch immer die groeßten Besorgnisse bey vielen Tausenden. […] Ja, Lavater behauptet sogar diese Wunderkraft des Gebets, und die uebernatuerlichen Kraefte solcher Christen wie er, so heftig, daß er alle, die nicht Christen auf die Art sind wie er, fuer Atheisten schilt […] Die Anhaenger von Swedenborgs tollen Schwaermereyen vermehren sich taeglich, Geisterbanner und Geisterseher sind an sehr viel Orten im groeßten Ansehen […] Das Buch des Erreurs et de la Verité [sic] wird von Claudius uebersetzt und empfohlen, ob er’s gleich selbst nicht versteht, und viele tausende Protestanten sprechen von diesem aus dem katholischen Frankreich gekommenen unverstaendlichen hinterlistigen Buche, als von einer neuen Bibel und Quelle des geheimsten Christenthums. Die geheimen Gesellschaften und die dunkelen Erwartungen auf große Aufschluesse, die von unbekannten Vaetern erfolgen sollen, nehmen allenthalben ueberhand …2
Die Schwärmerei mit ihren vielen Gesichtern schien ihm sämtliche Aspekte einer ›Anti-Aufklärung‹ zu verkörpern. Hinter dem Pessimismus und der Angst vor einem Scheitern aufklärerischer Ideale stand ein banges Hinterfragen nach den Errungenschaften der ›wissenschaftlichen Revolution‹, der geistigen Bewegungen und der Macht der Einbildungskraft. War die Welt entzaubert worden?
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So Hagner (2000). Friedrich Nicolai: Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. 12 Bde. Berlin/Stettin 1783–1796, hier Bd. 7, Anhang, S. 109–110. Zitiert nach: Schings, S. 144.
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Wissenschaftliche Revolution und ›Entzauberung der Welt‹
Lange bevor zahlreiche Historiker der Reformationszeit, in Anlehnung an die im Jahre 1920 posthum erschienene Fassung der Schrift Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus von Max Weber, das Paradigma der ›Entzauberung der Welt‹ entwickelten, war dieser Ausdruck geprägt worden – wie bei Weber in Bezug auf den Glauben an die Magie, an Träume, Geisterund Gespenstererscheinungen.3 Bereits vor der konfessionellen Spaltung hatte Pietro Pomponazzi den Erfolg von Heilungen, Zaubereien (fascinationes) und religiöser Wunder einer physiologisch bedingten Äußerung der Imagination durch Bildung einer besonderen Flüssigkeit in den Lebensgeistern zugewiesen.4 Neben diesen Ansätzen standen die konfessionellen Forderungen, die sie partiell umdeuteten. Nicht von ungefähr tauchte der Ausdruck von der ›Verzauberung der Welt‹ in der Polemik der Protestanten gegen die postulierten katholischen Missbräuche und deren angeprangerten ›Aberglauben‹ auf. So brandmarkte im Jahre 1584 die Dämonologie des Reginald Scots die katholische Auffassung der Transsubstantiation, dass sie die Welt »bewitched« hätte.5 Ein Jahrhundert später erschien Balthasar Bekkers aufsehenerregendes Buch Die bezauberte Welt. Bekker ›entkonfessionalisierte‹ das Thema und kehrte es polemisch gegen den Klerus: Der ›Aberglaube‹ sei nicht ein Merkmal der ›falschen Religion‹, sondern Resultat der Ausübung von Macht durch Pfarrer und Kleriker. Außerdem band der Amsterdamer Pfarrer die Fragestellung der Existenz von Geistern in die Macht der Imagination ein: Zu allen den/ was vorher gemeldet ist/ komt die Krafft der Einbildung/ davon uns die Erfahrung wunderliche Dinge lehret; die ist gleichsam aeusserliche Wirckung der Sinnen (auff das schlechteste also zu reden) der Geister/ das ist/ die vorgemeldten Daempfungen oder Außduenstgungen [sic] der aller subtielsten Theile/ die aus dem Hertzen nach dem Gehirn sich auffwerts ziehen/ allda ein dergleichen Gemaehlde vorstellen/ als den gemeinen Sinn des Menschen vermittelst der Sinnen/ so sonsten nur von aussen zugebracht werden. Nachdem die Gehirne denn weich oder haerter/ oder auch feuchter oder trockener sind/ oder daß Menschen alt oder jung/ oder Mann oder Frau/ oder Kranck oder Gesunde sind/ darnach wird leichter oder schwerlicher in dem Gehirne etwas gepraeget; die Geister durch das Ein- und Außdaempfen der allersubtielsten Theile/ die mehr oder weniger Gemeinschafft mit denen von eines andern seines gleichen Leibe haben […]. Die Erfahrung beweiset mein Sagen allerdinges.6
Als die Affekte des Menschen zunehmend hinterfragt und von Christian Thomasius mit den galenischen Kategorien, insbesondere mit der Melancholie-Tradition und der politischen Moralistik verknüpft wurden, geriet das
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Vgl. Claire Gantet, Fabrice d’Almeida: Einleitung, in: Gespenster und Politik, S. 17–48, insbesondere S. 40–47. Siehe Pomponazzi (1930). Reginald Scot: Discouerie of Witchcraft. Amsterdam/New York 1971 (The English Experience 299) (Nachdruck der Ausgabe 1584), S. 4. Bekker (1693/1997), III. Buch, XXII. Hauptstueck, Bd. 2, S. 184.
464 Thema des Aberglaubens als eine Form fehlerhafter Urteilskraft ins Visier der Gelehrten. Die »bezauberte Welt«, d. h. die Existenz und Wirklichkeit des Teufelspakts und der Einfluss geistiger Substanzen auf die menschliche Seele, wurde auf krankhafte Imagination, oder auf voreilige Urteilskraft zurückgeführt. Im 18. Jahrhundert, als der Substanzbegriff in Zweifel gezogen wurde, gewann diese pathologische Argumentation an Überzeugungskraft. In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts entstanden erneut esoterische Verbände unter den Aufklärern und Adepten einer ›magischen‹ Medizin oder sogar ›neue Propheten‹ unter den ›Laien‹. Parallel dazu entwickelten sich ambivalente Einstellungen der zerstörerischen oder kreativen Einbildungskraft. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts interpretierte Alexander von Humboldt (1769–1859) die Weltgeschichte als Rationalisierung des Kosmos und Abkehr von der Magie: Wenn nun der Mensch, indem er die verschiedenen Entwicklungsstufen seiner Bildung durchläuft, minder an den Boden gefesselt, sich allmählig zu geistiger Freiheit erhebt, genügt ihm nicht mehr ein dunkles Gefühl, die stille Ahndung von der Einheit aller Naturgewalten. Das zergliedernde und ordnende Denkvermögen tritt in seine Rechte ein […] Ich kann daher der Besorgniß nicht Raum geben, zu welcher Beschränkung oder eine gewisse sentimentale Trübheit des Gemüths zu leiten scheinen: der Besorgniß, daß, bei jedem Forschen in das innere Wesen der Kräfte, die Natur von ihrem Zauber, von dem Reize des Geheimnißvollen und Erhabenen verliere. Allerdings wirken Kräfte, im eigentlichen Sinne des Worts, nur dann magisch, wie im Dunkel einer geheimnisvollen Macht, wenn ihr Wirken außerhalb des Gebietes allgemein erkannter Naturbedingungen liegt […] Das Gefühl des Erhabenen, insofern es aus der einfachen Naturanschauung der Ausdehnung zu entspringen scheint, ist der feierlichen Stimmung des Gemüths verwandt, welche dem Ausdruck des Unendlichen und Freien in den Sphären ideeller Subjectivität, in dem Bereich des Geistigen angehört. Auf dieser Verwandtschaft, dieser Bezüglichkeit der sinnlichen Eindrücke beruht der Zauber des Unbegrenzten […] Sie wissen, daß auch in dieser Verhüllung ein geheimnisvoller Zauber liegt, daß eine duftige Ferne den Eindruck des Sinnlich-Unendlichen hervorruft: ein Bild, daß (wie ich schon oben erinnert habe) im Geist und in den Gefühlen sich ernst und ahndungsvoll spiegelt.7
Humboldt reflektierte über jene Nostalgie, die befürchtet, rationelle Erforschung könne das Gefühl des Erhabenen, das »der feierlichen Stimmung des Gemüths verwandt« sei und in dem der Zauber der Natur bestehe, zerstören. An dieser Stelle wird die Hypothese skizziert, dass hinter der sogenannten wissenschaftlichen Revolution jene wechselnden Vorstellungen der Einbildungskraft und der geistigen Substanzen, also des Traums und des Zaubers der Natur lag. Zwischen der Auffassung von der Natur und der Vorstellung der Einbildungskraft jeweils mit ihren Gesetzen gäbe es demnach Parallelen. 7
Alexander von Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Mit einer biographischen Einleitung. Hg. von Bernhard von Cotta. Bd. 1. Stuttgart 1869, S. 16–17, 19–20, 38.
465 In seiner Abhandlung Traeume eines Geistersehers, erlaeutert durch die Traeume der Metaphysik wies Kant auf die Aporien der wissenschaftlichen Revolution hin: Die todte Materie, welche den Weltraum erfuellet, ist ihrer eigenthuemlichen Natur nach im Stande der Traegheit und der Beharrlichkeit in einerley Zustande, sie hat Soliditaet, Ausdehnung und Figur, und ihre Erscheinungen, die auf allen diesen Gruenden beruhen, lassen eine physische Erklaerung zu, die zugleich mathematisch ist und zusammen mechanisch genannt wird. Wenn man anderer Seits seine Achtsamkeit auf diejenige Art Wesen richtet, welche den Grund des Lebens in dem Weltganzen enthalten, die um deswillen nicht von der Art seyn, daß sie als Bestandtheile den Klumpen und die Ausdehnung der leblosen Materie vermehren, noch von ihr nach den Gesetzen der Beruehrung und des Stoßes leiden, sondern vielmehr durch innere Thaetigkeit sich selbst und ueberdem den todten Stof der Natur rege machen, so wird man, wo nicht mit der Deutlichkeit einer Demonstration, doch wenigstens mit der Vorempfindung eines nicht ungeuebten Verstandes, sich von dem Daseyn immaterieller Wesen ueberredet finden, deren besondere Wirkungsgesetze pneumatisch, und so ferne die koerperliche Wesen Mittelursachen ihrer Wirkungen in der materiellen Welt seyn, organisch genannt werden. Da diese immaterielle Wesen selbstthaetige Principien sind, mithin Substanzen und vor sich bestehende Naturen, so ist diejenige Folge auf die man zunaechst geraeth, diese: daß sie untereinander unmittelbar vereinigt vielleicht ein großes Ganze ausmachen moegen, welches man die immaterielle Welt (mundus intelligibilis) nennen kann.8
Kant fasste sämtliche Prinzipien der wissenschaftlichen Revolution – die Erforschung der physischen Gesetze der Natur, als ob sie ein Mechanismus wäre – zusammen und deutete ihre Grenzen gegenüber den Lebensprinzipien, die er in der akademischen Tradition des 17. Jahrhunderts ›pneumatisch‹ und indirekt bezugnehmend auf Georg Ernst Stahl ›organisch‹ nannte. Die immaterielle Welt umfasse daher Geist, Empfindlichkeit und sämtliche Prinzipien des Lebens.9 Daraus schloss er Folgendes: Die menschliche Seele wuerde daher schon in dem gegenwaertigen Leben als verknuepft mit zweien Welten zugleich muessen angesehen werden, von welchen sie, so ferne sie zu persoenlicher Einheit mit einem Koerper verbunden ist, die materielle allein klar empfindet, dagegen als ein Glied der Geisterwelt die reine Einflueße immaterieller Naturen empfaengt und ertheilet, so daß, so bald jene Verbindung aufgehoert hat, die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen Naturen stehet, allein uebrig bleibt, und sich ihrem Bewustseyn zum klaren Anschauen eroefnen mueste.10
Dieser Einsicht nach bestehe die lebendige Person aus der Vereinigung und der Einheit von Seele und Leib, empfinde nur klar die materielle Welt, empfange jedoch gleichzeitig ›Einflueße‹ aus der immateriellen Welt. Mit dem Tod trennten sich Leib und Seele und dabei trete das Bewusstsein als Merkmal des lebendigen Menschen hinter der Anschauung Gottes zurück. Diese Auffassung verwarf Kant jedoch als »hypothetisch« und aus keiner »wirklichen und allgemein zugestandenen Beobachtung« begründet.11 Denn der 8 9 10 11
Kant (1766/1988), S. 29–30. Ebd., S. 35–36. Ebd., S. 36–37. Sämtliche Zitate in: Ebd., S. 39.
466 Zweifel an der Natur der Substanz, folglich am Geistbegriff 12 führte ihn zu einer kritischen Revision der cartesianischen und leibnizschen Metaphysik, sogar der Auffassung von der persönlichen Identität. Von der Erklaerung, was der Begriff eines Geistes enthalte, ist der Schritt noch ungemein weit zu dem Satze, daß solche Naturen wirklich, ja auch nur moeglich seyn. Man findet in den Schriften der Philosophen recht gute Beweise darauf man sich verlassen kann: daß alles eine jede vernuenftig denkende Substanz eine Einheit der Natur sey, und das untheilbare Ich nicht koenne in einem Ganzen von viel verbundenen Dingen vertheilt seyn. Meine Seele wird also eine einfache Substanz seyn. Aber es bleibt durch diesen Beweiß noch immer unausgemacht, ob sie von der Art derjenigen sey, die in dem Raume vereinigt ein ausgedehntes und undurchdringliches Ganze geben und also materiell, oder ob sie immateriellund folglich ein Geist sey, ja so gar, ob eine solche Art Wesen als diejenige so man geistige nennet, nur moeglich sey.13
Deshalb nannte Kant die Metaphysik eine »Wissenschaft von den Grenzen der Vernunft«.14 Wie oben angedeutet entfaltete Kant zwar die metaphysischen, jedoch nicht die psychologischen Konsequenzen bei der Hinterfragung des Geistes. Seine Interpretation der »Schwaermereyen« Swedenborgs bezog sich nicht auf die zeitgenössischen Fragestellung des Bewusstseins und dessen Stufen.15 In dem oben zitierten Artikel des Magazins zur ErfahrungsSeelenkunde (1787) beschrieb Daniel Jenisch den Schwärmer als im »Zustande des Halbwachens« und die graduellen Übergänge von der Schwärmerey zum Wahnsinn (»eine continuirliche Schwärmerey«).16 Schwärmer seien vielseitig: einfache Phantasten, durch die Erhitzung ihres Kopfes durch Kleinigkeiten charakterisiert, oder ehrgeizigere Enthusiasten, durch übertriebene Wärme und großzügige, lebhafte Ideen gekennzeichnet, oder sie seien gar Fanatiker, wenn der Schwärmende religiöse Ideen aufwerfe.17 Der stufenweise Verfall in Wahn sei auf das psychologische Gesetz der Ideenverknüpfung zurückzuführen. Der Schwärmer extrahiere eine Idee und bilde daraus vielfache imaginäre Assoziationen, die ihn in »die unwiderstehliche Bezauberung für das Product seines Geistes« versinken ließe.18 Der Wahn sei deshalb eine Krankheit der Imagination. Diese wurde wie folgt definiert:
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»Ich weiß also nicht ob es Geister gebe, ja was noch mehr ist, ich weiß nicht einmal, was das Wort Geist bedeute.« In: Ebd., S. 9. Ebd., S. 14–15. Ebd., S. 115. Vgl. oben S. 457–460. Beide Zitate in: Jenisch, S. 213, 214. Ebd., S. 215. Ebd., S. 219, 215–217. Folglich charakterisierte Jenisch das Gehirn des Schwärmers als »Faser« und »Spinnengewebe«, in: Ebd., S. 217. Zitat S. 217.
467 Die Imagination, diese immer rege Energie und gleichsam ewig gebärende Zeugungskraft der Seele läßt dieselbe wegen jenes idealischen Überganges von der Würklichkeit zur Möglichkeit, von der Ursach zur Würkung nicht lange in Unruhe, und weis das leere des sich eröffnenden neuen Feldes der Erkenntniß mit ihren Schöpfungen nur zu leicht auszufüllen.19
Das Zauber der Welt sei also auf die Abwesenheit einer überzeugenden Philosophie von Seele und Natur und auf den daraus resultierenden Spielraum der Einbildungskraft zurückzuführen: So wie also über diese unzurücktreiblichen Probleme die Vernunft von der Natur selbst zu einem ewigen Scepticismus verurtheilt zu seyn scheint; so greift sie um ihrer endlichen Selbstbefriedigung willen gleichsam zu gewaltsamen Mitteln, und will der Natur ihre großen, unenthüllbaren Geheimnisse selbst abzwingen; tritt ihre eigene Fackel mit Füßen, um in einer undurchdringlichen Nacht desto heller zu sehen, wähnt jede gewöhnliche Erkenntniß nach Naturgesetzen für blind, oder wenigstens kurzsichtig; findet mehr Beruhigung in Unbegreiflichkeiten, als im Begreiflichen; läßt statt der Urtheils- die Einbildungskraft würken; ahndet und muthmaßt, statt zu sehen, glaubt, statt zu prüfen. Und so entsteht dann eine Welt von Unbegreiflichkeiten, Wunderkräften, die man durch den Schleier, den die Natur wenigstens vor unser gegenwärtiges Auge darüber geworfen zu haben scheint, in jeder natürlichen, ja als ganz alltäglichen Erscheinung sichtbar hervortreten sieht: – glaubt Gott zu verehren, und kniet vor Affen, traut auf Wunder, uns läßt sich durch Unwissenheit und mißbrauchende List hintergehen; sieht Geister aus der andern Welt, und merkt nicht auf die Taschenspielerkünste des Geisterbeschwörers.20
Fast scheint es, als habe die wissenschaftliche Revolution des 17. Jahrhunderts einerseits zu einer Abkehr von jeglichem ontologischen Gesichtspunkt und zu einer neuen Methode zur Erforschung der Seele – Beobachtung, Experiment – angeregt, oder beim Hinterfragen von Naturgesetzen und Materie zunehmende Unsicherheiten hinsichtlich der geistigen Natur des Menschen und eine wachsende Sensibilität für die sogenannte Schwärmerei21 ausgelöst. Dabei spielte der Traum als Indikator solcher Veränderungen eine Schlüsselrolle. In der frühen Neuzeit, in jener Epoche der »Vernunftphilosophien« war der Traum keineswegs »ein eher abgelegener Gegenstand«.22 Die wissenschaftliche Revolution erfolgte nicht in einem raschen Bruch mit der Vergangenheit23 und beruhte auch nicht auf der endgültigen Trennung der Wissenschaft von der Religion. Im Heiligen Römischen Reich, in dem die Naturwissenschaften später in Akademien angesiedelt wurden, übten kulturelle und religiöse Ansätze einen großen Einfluss aus. Die Religion 19 20 21
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Ebd., S. 221. Ebd., S. 223. »Es läßt sich zum wenigsten so viel daraus schließen, daß entweder neue und gefährliche Quellen der Schwärmerey sich geöffnet; oder auch, daß die gewöhnlichsten Ursachen derselben mit verstärkter Kraft auf unsere Zeitgenossen würken.« In: Ebd., S. 212. Zitate in: Gehring, S. 59. Vgl. dazu die Einleitungen von Shapin (1998) und Dear: Discipline & Experience (1995).
468 prägte die Wissenschaft zur Zeit der Debatte zwischen Johannes Wier und Jean Bodin, oder gegen Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts bei den Rosenkreuzern und Johann Baptista van Helmont, mit Zielsetzung und Methoden der Wissenschaftler. Bei den Anhängern der ›Frömmigkeit‹ nahm die Religion ein wissenschaftliches Kolorit. Religiöse Themen wie Schwärmerei und Auferstehung beschäftigten zahlreiche Gelehrte um 1500 wie um 1750, ohne dass sie durchgehend dieselbe Bedeutung behalten hätten. Wissenschaftliche Gegenstände wie die Definition des Wahns änderten sich anlässlich der konfessionellen Kontroversen – obwohl die Stellung der Religion in der Einordnung der Wissenschaften sowie die Bedeutung des religiösen Glaubens für die wissenschaftlichen Ziele und Methoden an Einfluss einbüßten. Parallel dazu verschoben sich auch die Vorstellungen vom Traum. Um 1500 befassten sich die Gelehrten mit dem übernatürlichen Traum und dessen Abgrenzung zum natürlichen Traum, also mit der Bestimmung der Seele als imago Dei. Um 1750 war dagegen der natürliche, halbbewusste Traum als Enthüller eines zweiten Ich in das Blickfeld von Medizinern, Philosophen und Theologen gerückt. Schließlich spielten politische Entwicklungen eine nicht unerhebliche Rolle bei der Abgrenzung der Wahrsagungskünste und der Definition der Selbsterkenntnis. Aus allen diesen Gründen ist die Geschichte von Träumen im Heiligen Römischen Reich eine kulturell und anthropologisch verankerte Wissenschaftsgeschichte.
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Eine Psychologisierung des Traums?
An dieser Stelle sei ein Rückgriff auf die einleitende Frage zum sechsten Kapitel erlaubt: Wurde der Traum im Laufe der frühen Neuzeit, als sich die Auffassung von der Seele tiefgreifend veränderte, in Zusammenhang mit psychologischen Erkenntnissen gebracht? Um 1500 wurde der Traum aufgrund einer physiologischen Auffassung der Imagination im Rahmen eines hierarchisch eingestuften Kosmos interpretiert und in gelehrten Abhandlungen über die Seele erörtert. Um 1530 geriet er in das Kreuzfeuer der konfessionellen Polemik. Streitpunkt war die Definition des genuinen Mittels der Offenbarung und damit die Bestimmung der legitimen Kirche. Gelehrte und konfessionelle Zugänge zum Traum entwickelten sich nebeneinander, jedoch in unterschiedlichen Rhythmen. Der Traum wurde zwar mit dem individuellen Tod und der persönlichen Identität des Menschen, als Vereinigung von Seele und Leib, jedoch nicht mit Selbsterkenntnis verbunden. Die Traumdeutung brachte besonders die Protestanten in Bedrängnis. Um die Todesstrafe gegen die Schwärmer zu rechtfertigen, verfasste Melanchthon den erfolgreichsten akademischen Traktat über die Seele des 16. Jahrhunderts. Wegen der Vorliebe Philipp Melanchthons und Caspar Peucers
469 für Astrologie und Traumdeutung gestatteten die Protestanten den Vertrieb ›rechtgläubiger‹ Traumbücher, die den Buchmarkt eroberten, vor allem aber die täuferischen Editionen in die Bedeutungslosigkeit drängen sollten. Es fehlte jedoch eine definitive Aussage über die Figur des Beichtvaters, dem in der katholischen Kirche die konkrete Traumdeutung übertragen worden war. Das Spiel mit den Regeln war zudem ein inhärenter Bestandteil des Traums. Traumberichte nutzte auch die konfessionelle Polemik, um dem durch die Fiktion angeregten Leser die verschiedenartigsten Variationen einer angespannten jedoch unentschiedenen Situation spielend vorzustellen. Der Umgang mit dem Traum belebte einen Buchmarkt, der ebenso auf religiösen Überzeugungen fußte als auch Inhalte des konfessionellen und medizinischen Diskurses vermittelte und bloße Geschäftsangelegenheit wurde. Als in der Mitte des 16. Jahrhunderts religiös motivierte Gewalt ausbrach und sich die Hexenverfolgungspraxis ausbreitete, galt die Imagination nicht mehr als passive Vermittlungsinstanz zwischen den fünf äußeren und den drei inneren Sinnen, sondern als eine Täuschungspotenz, die auf einen gefährlichen psychischen Versuchungsraum verwies. Vor allem Hexen und Fanatiker waren Imaginationskranke. Als sich physiologische Ansätze entwickelten, wurde die Seele nicht ontologisch, den aristotelischen Kategorien folgend erforscht, sondern auf ihre Tätigkeit hin. Zunächst wurde der Sehsinn hinterfragt. Einige Gelehrte tendierten dazu, die Identität des Menschen mit dessen Seele, sogar dessen Gehirn, gleichzusetzten. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Imagination verstanden als das Vermögen, ein Bild in Abwesenheit eines realen Gegenstandes, darstellen zu können. In der zweiten Jahrhunderthälfte bezeichnete sie zunehmend die psychische Veranschaulichung eines fiktiven Objektes in dessen Abwesenheit. Nun verwies sie auf die vanitas, auf eine Nichtigkeit, die jedoch einen unmittelbaren transzendenten Zugang zu Gott würde ermöglichen können. Die Heraustellung der fiktiven Kraft der Imagination signalisierte die Verschiebung des Traums von der Hermeneutik der Wahrsagungskünste zur Ästhetik. Im Laufe der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Realität nicht mehr als ein Muster von Zeichen, sondern von Tatsachen angesehen. Damit büßten die okkulten Wissenschaften und die Visionen ihre Glaubwürdigkeit ein. Die Problematik der Traumdeutung verschob sich langsam von der Ätiologie des Traums und dessen geistiger oder körperlicher Natur hin, zu dessen Verhältnis zur Realität, bisweilen zum Wachzustand. Anlässlich der Auseinandersetzungen um die göttliche Natur schwärmerischer Träume oder Visionen rückte die Frage der Wahrnehmung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Schwärmer verankerten ihre Träume in sogenannten inneren Augen, die sowohl die Wahrnehmung der Erleuchtung, als auch die Kodierung äußerlicher Eindrücke in geistige Bilder der Imagination ermöglichten und zunehmend metaphorisch konzipiert wurden. Träume verwiesen
470 nun eindeutig auf die Seele, als ›Ort‹ der persönlichen Identität, und eine dynamisch verstandene Selbsterkenntnis. Im 17. Jahrhundert, nach dem dreißigjährigen Krieg und infolge der Rezeption einer vorwiegend spanischer und französischen Hofliteratur, weckten die Fragen der Verinnerlichung der Autorität und der Übertragung der Affekte auf Andere das Interesse zahlreicher Gelehrter und Höflinge. Seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts hatten Mediziner die Rolle der Nerven in der Physiologie der Seele betont. Nun wurden anthropologische Untersuchungen der Seele als Grundlage politisch geprägter Ethikbücher vorgelegt, die die von den Nerven bewirkten menschlichen Affekte in Kommunikationssituationen darstellten. Denn die affekterregende Tätigkeit des Willens und die daraus resultierende sinnliche Verwirrung des Gemüts stellte die Möglichkeit einer durchsichtigen Selbsterkenntnis in Frage. Die Wissenschaft der Seele wurde daher nicht mehr der spekulativen, sondern der praktischen Philosophie zugerechnet. Die Wahrnehmung des Menschen als reizbares Wesen war nicht abstrakt, sondern quasi greifbar. Der Begriff, unter dem die existentielle menschliche Gemütserregung subsumiert wurde, war der Geschmack, der als sinnliche Befriedigung ebenso wie im ästhetischen Sinne als literarischer Kanon verstanden wurde. Der ›neugierige‹ bzw. ›curiöse‹ Leser politischer Nachrichten und fiktiver Träume wurde nicht mehr in Versuchung des Allwissens geführt, sondern durch nervöses Interesse an neuen Gegenständen erregt. Sobald der Traum mit rauschhaften Zuständen assoziiert und als zeitgleich ein weiterer Akzent auf die separaten Phasen des Traums gelegt wurde, rückten die Diskontinuitäten des Ich in den Mittelpunkt. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich ein bis Ende des Jahrhunderts ausschlaggebendes Standardwissen über den Traum. Infolge der Einordnung der Wissenschaften beschäftigten sich zunehmend Philosophen und Mediziner (beide Ansprüche waren übrigens oft miteinander vermischt vorzufinden) mit dem physiologischen Traum, ohne die Existenz übernatürlicher Träume unmittelbar in Zweifel zu ziehen. Traumbücher wurden zum Gegenstand widersprüchlicher Ansichten. Einerseits sollten sie nicht zum ›Aberglauben‹ führen. Andererseits bildeten sie, wenn sie mit einer Lotterie verbunden wurden, willkommene öffentliche Einkünfte. Auf die heikle Frage nach der leiblichen Auferstehung wurden radikale Antworten vermieden. Der Traum rückte ins zentrale Interesse zahlreicher Gelehrter, weil er die Tätigkeit der Seele – die sich im normalen Zustand kaum beobachten ließ – enthüllen könne. Träume tauchten nicht im Tiefschlaf, sondern in einem Zustand des Halbbewusstseins auf und waren durch das freie Spiel der Ideenverknüpfungen der Einbildungskraft charakterisiert. Dies erwies sich sowohl als Quelle künstlerischen Schaffens, als auch als zerstörerische Kraft gegenüber jener Ordnung, die das gesellschaftlichen Wachleben beherrschen sollte. Unter
471 diesen Bedingungen wurde der Traum nicht der intellektuellen Erkenntnis, sondern der ästhetischen Erfahrung zugeordnet. An die Stelle des corpus phantasticum waren um 1750 die Ideenverknüpfung und ein graduelles Bewusstsein getreten – d. h. psychologische Begriffe. Das Traumwissen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war jedoch nicht homogen. In Halle beschäftigten sich die Psychomediziner mit dem leibseelischen Zusammenhang, in Göttingen waren die Akademiker um Albrecht von Haller um eine rein physiologische Erklärung bemüht.24 Der therapeutische Wert von Träumen bei der Heilung bestimmter Krankheiten der Seele wurde allmählich anerkannt.25 Die damalige Auffassung von Bewusstsein ist aber weit von unserem entfernt. Zwar erkannte man in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, dass es unbewusste Vorstellungen gibt, dass Prozesse der Bewusstwerdung nicht nur auf ein Noch-nicht-Gewusstes, sondern auf ein ›Unbewusstes‹ hindeuten. Jedoch wurde im 18. Jahrhundert der Unbewusstsein-Begriff nicht als Triebkraft angesehen.26 Das Wissen über den Traum blieb fragmentiert und teilweise widersprüchlich. Unter diesen Vorbehalten kann man von einer gewissen Psychologisierung des Traums sprechen. Traumberichte behielten jedoch eine bestimmte Autonomie. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden sie nach den rhetorischen Regeln der ars memoriae verfasst. Erst im 18. Jahrhundert, nachdem die Pietisten die Niederschrift von Tagebüchern zum Weg der Selbsterkenntnis ihres ›pietistischen Ich‹ vorgelegt hatten, begann man, anhand eigener Traumberichte sich selbst zu suchen. Traumberichte als Kompensation für eine
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26
In seinen »Elementa physiologiae« (1757–1766) widmete Albrecht von Haller den Träumen und dem Schlaf mehrere Kapitel. Im Traum bediene man sich der Vernunft und des Willens. Haller berichtete eigene Träume, ohne den Inhalt zu analysieren, um Topoi aufzuzeichnen, wie beispielsweise, dass er Tote wiedersehe oder Samenergüsse erlebe. Träume seien manchmal von gegenwärtigen Empfindungen bewirkt worden. Allgemeinen Vorstellungen des 18. Jahrhunderts gemäß schreibt er, dass das Gehirn dem Gesetz der Ideenverknüpfung gehorche; der Träumer könne auch Verse schreiben oder Probleme lösen. Die Verwirrtheit der Träume resultiere aus der Vermischung mehrerer Empfindungssysteme. Manchmal kämen unverständliche Vorstellungen vor. Siehe Albrecht von Haller: Elementa physiologiae Corporis Humani. Bd. 5. Sensus Externi Interni. Lausannae: Bousquet. 1763, insbesondere S. 621–624. Das entscheidende Werk dazu erschien jedoch erst im Jahre 1808. Es handelt sich um Friedrich August Carus: Psychologie. In: Nachgelassene Werke. Hg. von Ferdinand Hand. 7 Bde. Leipzig: Barth & Kummer. 1808–1810, hier Bd. 2, 1808, S. 186–193. Vgl. auch Ders.: Geschichte der Psychologie. Berlin u.a. 1990 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1808). Dazu vgl. Kaufmann, Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung (1995). Als Erstbeleg für die Termini »Unbewusstsein« und »bewusstlos« gilt Ernst Platner: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. 2 Bde. Leipzig: Schwickert. 1776/1782, § 50, 63, 65. Vgl. zur Begriffsgeschichte vom ›Unbewusstes‹ Margret Kaiser-El-Safti: Unbewußtes, das Unbewußte. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11. Basel 2001, Sp. 124–133; Gehring, S. 132.
472 soziale Marginalisierung waren jedoch selten.27 Traumtagebücher gab es nicht, trotz der Empfehlung Carl Friedrich Pockels’, Tagebücher der Einbildungskraft zu führen.28 Angesichts der Unmöglichkeit einer unmittelbaren Erfahrung des Traums und der Notwendigkeit, die Sprache der Seele zu übersetzen, zeichnete der Arzt und Philosoph Johann Gottlob Krüger fiktive Träume auf. Um 1760 notierte der Mediziner Johann George Sulzer folgenden eigenen, typischen Traum auf: Einmal begegnete mir etwas noch Sonderbares. Ich war ueber dem Lesen in einem Dichter eingeschlafen; bey meinem Erwachen, welches fast eine ganze Stunde nachher, als ich eingeschlafen war, erfolgte, wiederholte ich auf eine mechanische Art einen Vers, welcher gerade der letzte war, den ich beym Einschlafen gelesen hatte.29
Der Traum, von der Erregung der Einbildungskraft durch die Lektüre der Poesie inspiriert, verlief »auf eine mechanische Art« und blieb unkommentiert. Das »Sonderbare« dabei lag in der deutlichen Erinnerung an den Traum, der ein Halbbewusstsein bezeugte, nicht an dessen Inhalt und Niederschrift. Die theoretische Diskussion über die passende Methode der Traumanalyse war vor der praktischen geschehen.
27
28 29
Die jüdische Schriftstellerin Rahel Varnhagen von Ense zum Beispiel zeichnete eigene Träume in ihrem Tagebuch und in Briefen an Freunde auf und schilderte ihre wachsenden Gefühle einer Marginalität. Vgl. »Im Schlaf bin ich wacher«. Die Träume der Rahel Levin Varnhagen. Hg. von Barbara Hahn. Frankfurt am Main 1990. Vgl. S. 428 Anm. 341. Sulzer, Von dem Bewußtseyn (1764/1994), S. 205.
A NHANG
475
1
Einige graphische Darstellungen des Traums
Abb. 15: Jakob und die Himmelsleiter
Jakob und die Himmelsleiter, ca. 1523 Dieser kolorierte Holzschnitt ist typisch für die mittelalterlichen Darstellungen des Traums, die den Träumenden und die Traumvision auf derselben Ebene und ohne graphische Unterscheidung zeigen. Ursprünglich findet sich diese Abbildung des Traums Jakobs von der Himmelsleiter (1. Mose 27–20) in der lutherischen Übersetzung der Bibel (Das Alte Testament Deutsch, 1523), wurde allerdings daraufhin in vielen protestantischen
476
Abb. 16: Lucas Cranach d. J.: Imago somnii Philipp. Melantho. Impressum Vuittebergae: Nicolaus Schirlentz. 1547. 35,3 × 26,6 cm. Kunsthistorisches Museum Wien.
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Abb. 17: Cesare Ripa: »Traum«. In: Des beruehmten italiaenischen Ritters Caesaris Ripae allerley Kuensten und Wissenschafften dienliche Sinnbilder und Gedancken … Augsburg: Johann Georg Hertel. ca. 1760, Nr. 55.
478 Schriften aufgenommen – beispielsweise in den ›rechtgläubigen‹ Traumbüchern von Samuel Emmel (Straßburg 1554) und Theodosius Rihel (Straßburg 1560). Vgl. S. 81–83. Lucas Cranach d. J.: Imago somnii Philipp. Melantho, 1547 Der Wortkommentar zu diesem Holzschnitt berichtet, dass der griechische Krieger Ajax mit Lanze und dem typischen Schutzschild Philipp Melanchthon im Traum erschienen ist. Auf seinen Schultern habe Ajax einen grasbewachsenen Hügel getragen, auf dessen Spitze die Gestalt des auferstandenen Christus erschien. An den Füßen Christi stellten drei Engel das »goldene Kreuz« auf. Dem Kommentar zufolge sollten bald zahlreiche Kriege ausbrechen, die Gotteskirche jedoch, genau wie Christus auf der Bergspitze, unversehrt bleiben. Denn sie werde ebenso wie Christus von dem tapferen Ajax verteidigt. Wer war aber in jener Zeit, kurz nach der entscheidenden Niederlage des Schmalkaldischen Bundes bei Mühlberg, befugt, den heldenhaften Beschützer Ajax zu verkörpern? Hierfür kamen weder der besiegte sächsische Kurfürst Johann Friedrich, noch sein Bezwinger, der sächsische Fürst Moritz, dessen politische Wende sich noch nicht abzeichnete, in Frage. Als neuer Ajax erscheint eher Kaiser Karl V., der den gemäßigten Lutheranern mit dem Leipziger Interim vom Dezember 1548 entgegenkam. Der Traum Melanchthons dokumentiert die religiösen Hoffnungen auf eine baldige Einheit des Reiches. Vgl. S. 68 Anm. 38. Cesare Ripa: »Traum« Es handelt sich um eine Neuedition der (erstmals im Jahre 1618 mit Bildern versehenen) Iconologia Cesare Ripas, die in Augsburg in der Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen ist. Diese Allegorie des Traums stellt mehrere Interpretationsmuster nebeneinander. Zunächst wird traditionell die Scala Jakobs dargestellt: Jakob ist über die Engel mit Gott verbunden. Das lateinische und deutsche Motto betont die religiöse Bedeutung dieses biblischen Traums. Im Vordergrund sieht man jedoch einen alten Mann, der halb lebendig, halb Skelett auf das Thema der vanitas und des memento mori verweist. Die Attribute des Mannes, Äskulapstab und Fackel, spielen ferner auf die antike divinatorische Deutung des Traums an. Jacob Jordaens: Nächtliche Erscheinung, ca. 1650 Nur wenige Gemälde der frühen Neuzeit dokumentieren unmittelbar den erotischen Traum. Diese Nächtliche Erscheinung zeigt einen jungen Mann, der sich in seinem Bett wälzt und die Arme sehnsuchtsvoll nach einer nackten jungen Frau emporstreckt. Der Wolkenkranz, der sie umgibt, charakterisiert die Szene als Traumbild. Zwei Gestalten mit einer Kerze beobachten die geträumte Szene (oder nur den unruhig Schlafenden?). Die Gesichtszüge
479
Abb. 18: Jacob Jordaens (1593–1678): Nächtliche Erscheinung. ca. 1650, Leinwand, 133,0 × 144,0 cm. Staatliches Museum Schwerin.
der Beobachter und der riesige Schatten ihrer Hände lassen eine Bedrohung erahnen. Das Gemälde bleibt dennoch hinsichtlich des Motivs rätselhaft. Es könnte sich beispielsweise um den Traum Machates, Gast in der Familie Demostrates, der von der jüngst verstorbenen Tochter der Familie, Philinion, des nächtens heimgesucht wird, handeln. Die junge Frau im Gemälde wäre dann Philinion, die dem jungen Mann als Vampir erscheint. Die Beobachter wären folglich ihre Mutter und ein Dienstmädchen, die erschrocken der Szene beiwohnen. Das Bild könnte aber auch die junge Byzantinerin Cleonice darstellen, die ihrem Mörder Pausanias im Traum erscheint. Die Ausstattung des Raumes und der Figuren weisen allerdings eher auf eine moderne Umgebung hin. Die Unmittelbarkeit des Frauenaktes, ihre lebensnahe Darstellung legen nahe, dass Jordaens zunächst den Akt ge-
480 malt, die umgebende Szene jedoch erst später zur Vervollständigung der Leinwand hinzugefügt hat.1
1
Erste Interpretation nach Phlegon von Tralleis. Zitiert nach: Erwin Bielefeld: Jordaens’ »Night Vision«. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 23/1–2 (1960), S. 177–178. Zweite Interpretation nach Plutarch, in Vita Cimonis. Zitiert nach: Julius Held: Jordaens’ »Night Vision« – A Rejoinder. In: The Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 25 (1962), S. 131–134. Letzte Interpretation nach: Gero Seelig: Jan Brueghels Antwerpen. Die flämischen Gemälde in Schwerin. Schwerin 2003, S. 62–63, 138. Ich danke Gero Seelig ganz herzlich für die Zusendung der entsprechenden Sekundärliteratur.
481
2
Quellenverzeichnis
2.1
Siglen und Abkürzungen
BM L: British Museum London BM P: Bibliothèque Mazarine, Paris BN F: Bibliothèque Nationale de France BNU S: Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg BP G: Bibliothèque Publique Genève BSB M: Bayerische Staatsbibliothek München BUS P: Bibliothèque Universitaire de la Sorbonne, Paris EO S: Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart ESB T: Evangelisches Stift, Bibliothek, Tübingen FLB G: Forschungs- und Landesbibliothek Gotha FSB H: Franckesche Stiftungen Bibliothek Halle GNM N A: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Archiv GNM N B: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Bibliothek HAAB W: Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar HAB W: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel HLB F: Hochschul- und Landesbibliothek Fulda HLB W: Hochschul- und Landesbibliothek Wiesbaden LBMV S: Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern Schwerin LB O: Landesbibliothek Oldenburg MPIWG B: Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin PG E: Peutinger Gymnasium, Lehrerbibliothek, Erlangen SB B1: Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden SB B2: Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße SLUB D: Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden SStB A: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg StA A: Stadtarchiv Augsburg StB TW: Stadtbibliothek Trier Wederbach SUB B: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen SUB G: Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen SUB H: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg TULB J: Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena UB A: Universitätsbibliothek Augsburg UB B: Universitätsbibliothek Basel UB E: Universitätsbibliothek Erlangen UB Gi: Universitätsbibliothek Gießen UB Gr: Universitätsbibliothek Greifswald UB K: Universitätsbibliothek Kiel UB L: Universitätsbibliothek Leipzig (Albertina) UB M: Universitätsbibliothek München UB Ma: Universitätsbibliothek Mannheim UB Mainz: Universitätsbibliothek Mainz UB O: Universitätsbibliothek Osnabrück UB R: Universitätsbibliothek Rostock
482 UB Tr: Universitätsbibliothek Trier UB Tü: Universitätsbibliothek Tübingen UFB E: Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt ULB D: Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt ULB M: Universitäts- und Landesbibliothek Münster ULBSA H: Universitäts- und Landesbibliothek Halle (Saale) USHI S: Universität des Saarlandes, Historisches Institut Saarbrücken UStB K: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln WLB S: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
2.2
Handschriften
4.2.1. SLUB D Msc. Dresd. B 266: Allens, R.: Vindiciae Pietatis. Oder Ein Verthädigung der Gottsäligkeit … wider die Aufflagen und lästerungen als wan sie nichts were als Thorheit und Einbildung … 1688. Msc. Dresd. N 44: Greber, Paul: Der Seidener Weltfaden oder Weißagung … 17. Jhd. 248 Fol. Th. Ev. Asc. 371m: Musaeus, Simon: Etliche predigten geprediget durch Simonem Musæum Doctorem und Süperintendenten zu Breßlaw im 1556. jar. vnd 1557.
4.2.2. StA A Urgichten 356–360
4.2.3. GNM N A PBLO 2.1.1.-B.2.1.10: Birken Sigmund von, Tagebücher.
2.3
Drucke
[Abd-ar-Rahm an Ibn-Nasr as, Saizar i]: Der Musulmannische Traumdeuter/ Oder sonderbahres Traum-Buch … Hamburg: Benjamin Schiller. 1702. BSB M: A. or. 442 d; SLUB D: 3.A.8528 Abhandlung des Herrn von Haller von den empfindlichen und reizbaren Theilen des menschlichen Leibes. Verdeutscht und geprueft von Carl Christian Krausen, der Philosophie und Medicin Doctor aus der Universitaet zu Leipsig. Leipzig: Carl Ludwig Jacobi. 1756. BSB M: 4° Res. Anat. 86o Abicht, Ioannes Georgius: Dispvtatio theologica De animabvs hvmanis post mortem corporis vivis … Vitembergae: Ex officina Eichsfeldiana. 1735. SB B: 1 in: Bd 8603 Abraham a S. Clara: Wunderlicher Traum Von einem grossen Narren-Nest/ Welches Gaudentius Hilarion wider alles Veroffen gefunden/ und ausgenommen … Saltzburg 1738. SB B1: Db 8786 – Wunderwuerdiges/ gantz neu ausgehecktes Narren-Nest/ oder/ Curieuse Officin und Werckstatt mancherley Narren und Naeerrinnen [sic]/ zu nuetzlicher und kurtzweiliger Zeit Vertreibung/ sittlicher Lehr und Nachricht … Erster Theil/ worinnen 24. Narren vorkommen. Wienn: Krauß. 21751. SB B1: Bibl. Dietz. 8° 5990
483 Abuhali, Ben-Omer: Astrologia terrestris oder Irrdische Sterndeutungs-Lehre, nebst einer deutlichen Art gruendlich zu punctiren, aus dem Arabischen Mst. des beruehmten Abuhali Ben-Omer in das Teutsche uebersezt, und mit einer Zugabe von der Sympathie und Antipathie, auch Oniromantie vermehret. Freystadt [Tübingen: Cotta]. 1767. HAB W: Ne 195 Achtzehen Theologische Fragen/ Die/ Wegen der neuen und unmittelbahren Offenbahrungen/ Und Erscheinungen/ In Statu controversiæ Zu beantworten vorgekommen. o. O. 1692. SB B1: 4 in: Cs 16001 A CTA und Schrifften zum C ONCORDI Buch gehoerig und noetig. Darinnen zwischen den Fuerstlichen Braunschweigischen/ und Wuertenbergischen Theologen gestritten wirdt I. Ob die V BIQVITET und Lehr von der Alllenthalbenheit deß Leibs oder Menschheit Christi im Concordibuch statuirt und begriffen II. Und ob solche Lehre der Vbiquitet in Gottes Wort grund habe/ oder nicht. In welchen beyden Fragen/ die Braunschweigischen die negatiuam, das ist das nein/ die Wuertenbergischen aber affirmatiuam, oder/ das ja vertheidigen thun … o. O. 1589. SB B1: Be 2610a Angeb. 2 Adelung, Johann Christoph: Geschichte der menschlichen Narrheit, oder Lebensbeschreibungen beruehmter Schwarzkuenstler, Goldmacher, Teufelsbanner, Zeichen- und Liniendeuter, Schwaerrmer, Wahrsager und anderer philosophischer Unholden. Leipzig: In der Weygandschen Buchhandlung. 1787–1788. SB B1: N 190 Rara; BSB M: Film P91.33-f33 Agrippa von Nettesheim, Henricus Cornelius: De incertitudine & vanitate scientiarum & artium: atq[ue] excellentia verbi Dei declamatio De incertitudine & vanitate scientiarum & artium. Antuerpiae: Ioan. Graphevs excvdebat. 1530. MPIWG B: Landmarks of Science – 17–24 Ain Sendbrieff/ an ain gotfoerchtige frawe[n]/ etc. Wider das falsch erdichte außschreyen etlicher Predicanten zue Straßburg/ gegen Herr Caspar Schwenckfelden ein zeitlang geübt. o. O. o. D. BSB M: Res. Catech. 381,7 Alberti, Michael: Medicinische Betrachtung von den Kraeften der Seelen nach den Unterscheid des Leibes und dessen Natuerlichen Gesundheit oder Krankheit, Als eine Fortsetzung der Philosophischen Gedanken … Halle im Magdeburgischen: Christian Hendel. 1740. HAB W: Mx 42 (6) – Philosophische Gedancken von Den Unterscheid der Kraeffte der Seelen nach den Unterscheid der Menschen … Halle im Magdeburgischen: Christian Hendel. 1740. HAB W: Mx 42 (5) – Dissertatio inauguralis medica de noctibus agrypnis … Halae Magdeburgicae o. D. [1745]. SB B2: 24 in: Ja 7739 Alberti, Valentin: Heilsamer Gebrauch Der Kranckheit Gesundheit/ Dem ruehmlichen Exempel Des Edlen/ GroßAchtbarn und Rechts-Wohlgelahrten Hn. Melchior Stieglitz … Leipzig: Christoph Balthasar Lampe. 1692. SLUB D: 14: Biogr. erud. D. 159. Di. misc. 2 Albertinus, Aegidius: Von Beschwerligkeit vnd Vberdruß des Hofflebens: vnd Lob deß Feldbaws oder Landsitzes. Das ist: Wie das Hoffleben zuuerlassen/ vnd hergegen ein ruhig privat Leben auff dem Lande zuerwehlen sey … Lübeck 1600. HAB W: Microfilm 1:259 Albrecht, Bernhard: M AGIA , Das ist: Christlicher Bericht von der Zauberey und Hexerey ins gemein und dero zwoelfferley Sorten und Arten insonderheit … Leipzig: Johann Albrecht Mintzel. 1628. SLUB D: Jus. crim. 156. m Alerm-Posaun welche der Postilion deß grossen Loewens vom Geschlecht Juda in einem Gesicht im Traum hat hoeren blasen … den 18. Novembris deß 1623. Jahrs. o. O. 1624. SLUB D: Magica 147, 126 Alethophili Sendschreiben an Herrn M.R.O. Von unterschiedlichen Etliche Jahre her vorgegebenen Neuen Propheten und Prophezeyungen … Coelln 1712. HAB W: Ts. 61 (1) Al-Koranum Mahumedanum: Das ist/ Der Tuercken Religion/ Gesetz/ und Gottslaesterliche Lehr/ Mit einer Schrifftmaessigen Widerlegung der Juedischen Fabeln/ Mahume-
484 dischen Traeumen; naerrischen und verfuehrischen Menschenstands … Nuernberg: Endter. 1659. BSB M: A. or. 7396 n – Nuernberg: Johann Andreas und Wolffgang Endter der Juenger. 1664. SB B1: Bibl. Dietz 4° 432 (Rara); SB B1: 655 387 R; FLB G: Theol 4° 1000/3 (unvolls.); ULBSA H: AB 67 061 unvollst.; BSB M: 4 A. or. 423 Das allte Testament deütsch [Übers.: Martin Luther]. Augspurg: Ottmar: 1523. SStB A: 2 Th B VII 5 Alsted, Johann Heinrich: Systema mnemoticvm dvplex. I. Minvs, Succincto præceptorum ordine Quatuor libris adornatum. II. Maivs, pleniore præceptorum Methodo, & Commentariis scriptis præceptorum illustrationem adornatum Septem libris … Francoforti Paltheniana 1610. SB B1: 8° Nn 8316; SB B1: 8° Bibl. Diez. 6145 Alter und Neuer Traum-Calender/ Darinnen/ Eine warhaffte und vielfaltig-zugetrofne Außlegung Unterschiedlicher Traeume/ befindlich/ Die einem Menschen gar leichtlich widerfahren und begegnen koennen … Nuernberg 1679. HAB W: Ne Kapsel 5 (15) Amerbach, Veit: Qvatvor Libri de Anima. Argentorati: Mylius. 1542. BSB M: Ph. Sp. 26; SStB A: Phil 79; SStB A: Phil 79a – De Anima Libri IIII. Basileae 1552. SStB A: Phil 4008, Beidr. 1 [S. 290–486] Amsdorff, Niclas von: Offentliche Bekentnis der reinen Lehre des Euangelij/ Und Confutatio der jtzigen Schwermer … Jhena: Thomas Rewart. 1558. SB B1: Cu 441 Rara; SB B1: Cu 440; SB B1: 7 in: Dm 3 Rara; BSB M: 4 Polem. 61 [Andreae, Johann Valentin:] Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreuetz Anno 1459 … Straßburg: Lazarus Zetzner. 1616. BSB M: H.g.hum. 59 Beibd. 9 Andreae, Tobias: De conjugio mentis et corporis. [Resp.:] Clemens Joseph Brecht. [Frankfurt an der Oder]: Eichhorn. 1679. HAB W: Mx 357 (15) Angelus Silesius [Scheffler, Johannes]: Der Lutheraner und Calvinisten/ Abgott der Vernunfft entbloesset dargestellt/ samt dem Bildnueß des wahren G OTTES … Neyß: Ignatius Constant, Schubart. 1665. SB B1: Dh 6430; SB B1: Dh 6440; SB B1: Dh 6444,3 – Johannes Schefflers/ Gruendliche Außfuehrung/ Daß die Lutheraner auf keine weise noch wege jhren Glauben in der Schrifft zu zeigen vermoegen/ und jhr Gott ein blosser Wahn Bild oder Ding jhrer Vernunfft sey … Neyß: Ignatius Constant, Schubarth. 1667. SB B1: Dh 6460 Anhorn von Hartwiss, Bartholomäus: Magiologia. Christliche Warnung fuer dem Aberglauben un[n] Zauberey: Darinnen gehandlet wird Von dem Weissagen/ Tagwellen und Zeichendeuten/ von dem Bund der Zauberer mit dem Teufel: von den geheimen Geisteren/ Waarsagen/ Loosen und Spielen … Basel: Meyer. 1674. HAB W: A: 767.1 Theol; HAB W: Microfilm 1:394 Anleitung zu denen curiösen Wissenschaften. Nehmlich der Physiognomia, Chiromantia, Astrologia, Geomantia, Oniromaia, Onomatia, Teratoscopia, und Antipathia. Worinnen Denen Curiösen Gemuethern aufs deut- und gruendlichste gezeiget wird, wir man aus der Menschen Gesichte, Haenden und Geburts-Stunden, nach der Sonnen- Mondund Sternen-Lauf, durch Punctiren, Traeume, Nahmen und erscheinende WunderZeichen … Franckfurt und Leipzig: Nicolai. 1747. SUB G: DD92A 33719 Appelius, Johann Wilhelm: Historisch-Moralischer/ Entwurff/ der/ Temperamenten,/ und/ der hieraus entstehenden Neigungen/ des Gemueths, der Sitten und des/ Naturel der Menschen. Hamburg 21737. SUB G: k. 8 Phil. IV, 582 (2) [Aristoteles]: Aristotelis De Anima libri 3. Una cum Jacobi Fabri Stapulensis [Jacques Lefèvre d’Étaples] in eosdem introductione: Et Themistii Peripatetici commentatiuncula. Basilea: Platter. 1538. HAB W: 134. 1 Phys. (2) Arndt, Johann: Das Vierdte Buch vom wahren Christenthumb/ Liber Naturæ. Wie das grosse Weltbuch der Natur/ nach Christlicher Außlegung/ von GOtt zeuget/ und zu Gott fuehret/ wie auch alle Menschen Gott zu lieben/ durch die Creaturen gereitzet/ und durch ihr eigen Hertz uberzeuget werden. Magdeburg: Franck. 1615. SB B1: 2 in: Es 7518 – Das Dritte Buch vom wahren Christenthumb/ vom Inwendigen Menschen … Magdeburg: Franck. 1618. SB B1: 1 in:Es 7518
485 –
Vorrede Johann Arndt Diener der Kirchen Christi zu Quedelburg ueber die Teutsche T HEOLOGIA , Gedruckt zu Halberstadt durch Georg Koden/ Anno 1597. Auff frommer Christen Begehren zum andernmahl auffgeleget Anno 1660. o. O. o. D. [1693]. BSB M: Res/4 Polem. 3356,7 Beibd. 1 Arnold, Gottfried: Fortsetzung und Erläutung oder dritter und vierdter Theil der Kirchenund Ketzer-Historie bestehend in Beschreibung der noch übrigen Streitigkeiten im XVIIden Jahrhundert. Frankfurt am Main o. O. 1700. BSB M: 2 H.eccl. 21–3/4. L’Art de se rendre heureux par les songes c’est à dire en se procurant telle espèce de songes que l’on pvisse désirer conformément à ses inclinations. Francfort et Leipsic 1746. BSB M: Rem.IV 1270; BSB M: Phys.m. 13 f [Artemidor von Daldis]: De somniorum interpretatione libri V. Venetia 1518. BSB M: A.gr.b.1036 – Artemidori Daldiani Excellentissimi. De Somniorum interpretatione libri Quinq[ue]. Iam primum a lano Carnario [Janus Cornarius] medico physico Francofordensi, latina lingua conscripti. Basileae: Hieronymus Frobenius & Nicolaus Episcopius. 1539. TULB J: 8 Phil.V,13/1; SUB G: 8 Auct Gr V, 3741; HAAB W: 8° VIII: 38; FLB G: Phil 8° 00203/02 – Warhafftige/ Ge wisse/ und unbetrügliche underweisung/ wie alle Troeum/ Erscheinungen/ unnd Naechtliche gesicht/ die von uns der seelen/ wan[n] sich der leib zue ruegen begeben hat/ eingebildt und fürbracht wer den/ wie solche natürlich und recht erklaert/ unnd außgelegt werden sollen …Newlich durch Gualterum H. Ryff inn truck verordnet. Straßburg: Beck. 1540. HAB W: 565. 2 Quod (3–4); BSB M: Phys.m. 248 – De somniorum interpretatione libri V. Basilea 1544. BSB M: A.gr.b.1044; BSB M: A.gr.b.1044a – Artemidori Daldiani De somniorum Interpretatione libri 5. A Iano Cornario [Cornarius] Lat. lingua conscripti. Lugduni: Gryphius. 1546. HAB W: N 100 8° Helmst. – Dell’interpretatione de segni. Vinegia 1547. BSB M: A.gr.b.1302 – Warhafftige/ Ge wisse/ und unbetrügliche underweisung/ wie alle Troeum/ Erscheinungen/ unnd Naechtliche gesicht/ die von uns der seelen/ wan[n] sich der leib zue ruegen begeben hat/ eingebildt und fürbracht wer den/ wie solche natürlich und recht erklaert/ unnd außgelegt werden sollen … Straßburg: Beck. 1551. BSB M: 4 Phys.m. 77 u – Troumbuechlin. Darin[n] warhafftig, auß Natürlichen ursachen/ auch der alten Philosophen/ und Weissagern der Heyden/ langwirigem brauch un[n] fleissiger nachtrach tung/ erklaert und außgelegt werden/ alle Troeum/ Erscheinungen unnd Naechtliche gesicht/ die dem menschen von der Seelen/ wan[n] sich der Leib zuer rueg begeben hatt/ eingebildet und fuerbrach werden … Alles durch M. Gualtherum H. Ryff in Truck verordnet … Straßburg: Emmel. 1555. SLUB D: Magica. 164 – Troumbüchlin, darinn warhafftig auß natürlichen ursachen, auch der alten Philosophen unnd Weyssagern der Heyden, langwirigen brauch … erklärt und außgelegt werden alle Tröum, Erscheinungen … alles durch Gualtherum H[ermannum] Ryff. Jetzundt aber von neuwem uberlesen, corrigiret und mit einem Register sampt kurtzer aber sehr nutzlicher Erinnerung Von mancherley Geschlechten der Tröum und ihrer bedeutung gezogen auß den Schrifften des Philippi Melanthonis gemehrt und gebessert. [Straßburg: Emmel. 1560]. HAB W: 136. 2 Phys. – Troumbuechlin/ Darinn warhafftig auß Natürlichen ursachen/ auch der alten Philosophen/ unnd Weyssagern der Heyden/ langwirigem brauch/ und fleissiger nachtrachtung/ erklaert und außgelegt werden/ alle Troeum/ Erscheinungen unnd Naechtliche gesicht/ die dem menschen von der Seelen/ wann sich der Leib zuer rueg begeben hat/ eingebildet und fürbracht werden/ dar durch künfftige zuefell/ glücks unnd unglücks erfaren und erlernet werden moegen/ ohn eynige entziehung oder abbruch der krafft Gottes. Alles durch M. Gualtherum H. Ryffium Truck verordnet. Jetzund aber von neüwem uberlesen/ corrigiret/ und mit einem ordenlichen Register/ sampt kurtzer/ aber sehr nutzlicher Erinnerung/ von mancherley ge schlechten der Troeum und irer bedeüttung/ gezogen auß den Schrifften des Hochgelehrten Herren/ Philippi Melanthonis/ gemehret unnd gebessert. Straßburg: Emmel. 1563. BSB M: Rar. 4302
486 – Traumbuech/ Artemidori deß Griechischen Philosophi/ darinnen von ursprung/ unterscheid und bedeutung/ allerhand Traeume/ wie dieselben einen im Schlaff fuerkommen moegen auß Natuerlichen Ursachen gruendlich außgelegt und erklaert werden … Straßburg: Rihel. [1570]. BSB M: A.gr-b. 1042 – Trauembuech Artemidori des Griechischen Philosophj/ vorweilen durch M. Gualtheru[m] H. Ryff verteutscht. Jetzund und von newem uberlesen/ gebessert/ mit vilen Capitel und dem Fuenfften Buch so zuuor nie verdolmetscht/ gemehrt. Samt einer erin[n]erung Philippi Melanchthonis/ von underscheid der Traeum/ und angehencktem Bericht/ was von Traeumen zuhalten seie. Straßburg: Thedosium Rihel. 1572. HAB W: 123 Physica – Artemidori et Achmetus senerini Oneirocritica. Lutetia 1603. BSB M: 4 A. gr.b.504 – Traumbuch Artemidori des Griechischen Philosophi underscheyd/ unnd bedeutung allerhandt Traeume/ wie denselben einem im Schlaaff fuerkom[m]en moegen/ auß natuerlichen ursachen grundtlich außgelegt und erklaeret werden. Jetzt von newem auß Alten und Newen kuenstlichen Traumbuechern gemehrt/ dergleichen vor nie außgangen. Basel: Johann Schroeter. 1617. HAB W: Lg 433 – Traumbuech/ Artemidori deß Griechischen Philosophi/ darinnen von ursprung/ unterscheid und bedeutung/ allerhand Traeume/ wie dieselben einen im Schlaff fuerkommen moegen auß Natuerlichen Ursachen gruendlich außgelegt und erklaert werden … Straßburg: von der Heyden. 1624. SLUB D: Lit. Graec. B. 3246 – A RTEMIDORI des Griechischen P HILOSOPHI großes und vollkommnes Traum-Buch darinnen Vom Ursprunge/ Unterscheid und Bedeutung allerhand Traeume / wie dieselben einem im Schlaffe vorkommen moegen … Samt Einer Erinnerung P HILIPPI M ELANCHTHONIS Vom Unterscheid der Traeume und Angehendtem Berichte Was von Traeumen zu halten sey … Leipzig 1666. SUB G: 8 Auct. Gr. V, 3749 – Artemidor des Griechischen Philosophi Groesseres und Recht vollkommnes TraumBuch … Leipzig: Fromman. 1677. BSB M: A.gr.b. 1043 – Artemidori Griechischen Philosophi Grosses und vollkommnes Traum-Buch, Darinnen Vom Ursprunge, Unterscheid und Bedeutung allerhand Traeume, wie dieselben einem im Schlaffe vorkommen moegen, Aus Natuerlichen Ursachen gruendlich ausgelegt und erklaeret … Leipzig: Martinus. 1713. SLUB D: Lit. Graec. B. 3248 – A RTEMIDORI des Griechischen P HILOSOPHI großes und vollkommnes Traum-Buch darinnen Vom Ursprunge/ Unterscheid und Bedeutung allerhand Traeume / wie dieselben einem im Schlaffe vorkommen moegen […] Samt Einer Erinnerung P HILIPPI M ELANCHTHONIS Vom Unterscheid der Traeume und Angehendtem Berichte Was von Traeumen zu halten sey … Leipzig 1721. SUB G: 8 Auct. Gr. V, 3751 – Oneirocritica. 2 Bde. Lipsiae: Lebrecht. 1805. BSB M: A.gr.b.1037–1/2 Asseburg, Heinrich von der: Vertheidigungs-Schrifft/ Der Christl. Warnung Hrn. M. Treuers/ Von Adl. Fraeul. Offenbarung … o. O. 1692. SB B1: 10 in: Cs 16001 Auffwecker der Teutschen vom Schlaff jhrer biß dahero gehabten Sicherheit. Das ist Was alle Evangelische unnd Teutsche Staende/ wegen deß/ in der ChurPfaeltzischen Sachen … Friedenshandlung … o. O. 1623. SUB G: MA 95–111:573 (2975); SLUB D: Hist. Germ. C. 527, 24 Der/ Aus der untern Welt hervorkommende R ATIO S TATUS … o. O. o. D. [1685]. BSB M: 4° J publ. e. 207 Beibd. 1 Außlegung des Propheten Daniel/ von den Troemen. Die er gegeben hat dem großmech tigisten Künige Na buchodonosor. Augspurg: Schoensperger. 1521. BSB M: Res. 4° Phys. m. 110,15 o Außlegung des Propheten Daniel/ von den trömen. Die er gegebenn hat dem großmechtigsten künig Nabuchodonosor. o.O. [Augsburg] o. D. [ca. 1517]. BSB M: Res. Phys. m. 442 i Außlegung des prophetten Daniel/ von den trömen. Die er gegeben hat dem großmechtigisten Künige Nabuchodonosor. Augspurg: Schoensperger. 1511. BSB M: 4 Phys.m. 28 m Die außlegu[n]g der Treüme Danielis des Propheten: der da ist gewesen bey den tage Nabuchodonosor eyns Künigs Babylonie/ Auch mit ettlich Vogel geschrey/ durch Meyster Michaelem Scotum von der natur der Voegel. o. O. 1537. HAB W: N 97 Helmst. 4° (17) Azor, Juan: Institutiones morales. 2 Bde. Colonia Agrippina 1613/18. BSB M: 2 Mor. 11
487 Baier, Johann Wilhelm: De Praesagiis animi. Von Andungen [Resp.:] Jacobus Descazalz. Jenae: Ehrich. 1699. HAB W: Mx 357 (18) Baringius, Nicolaus: Trewhertzige Warnung an alle fromme Christen/ sich zu hueten/ Fuer den newen Propheten/ Darinn nicht allein auß der Kirchen Histori klaerlich außgefuehret wird/ wie der leydige Sathan … Hannover: Glaser. 1646. HAB W: J 106 Helmst. 4° (19) Barnstorff, Eberhard: Q. D. B. V. Disqvisitio inauguralis medica, de imperio phantasiæ in sensus. Gryphiswaldiæ: Starckius. [1707]. SUB G: 8° Diss. 248,17 [Baumgarten, Johann]: Ein ser Troestlich und auch erschreckliches gesicht/ von Gottes Juengstem gericht/ So am Himmel des abends Visitationis Marie/ Anno 1556. augenscheinlichen gesehen ist worden. mit einer kurtzen unnd Christlichen erklerung und vermanung. Magdeburgk: Pangratz Kempff. o. D. [1556?]. SB B1: Na 7732 Baxter, Richard: Die Gewißheit Der Geister gruendlich dargethan durch unlaugbare Historien von Erscheinungen, Wuerckungen, Zaubereyen, Stimmen, etc. Zum Beweiß der Unsterblichkeit der Seele … Nuernberg: Monaht. [1730]. SB B1: 2 in: N51 Bayerische Kranckheit beneben Geschwulst deß Magens An welcher J. Fuerstl. Durchl. in Bayern Todtkranck/ und hart darnieder ligen/ zu sampt derselben Chur … Prag: Matz. 1632. HAB W: 68. 10 Pol. (15); HAB W: 68. 10 Pol. (16); HAB W: 68.10 Pol. (15a); HAB W: T 553.4° Helmst. (9); ULBSA H: an 78 L 1648 (13) verfilmt; ULBSA H: AB 56 880 (16); ULBSA H: an Pon IIn 6037 (5); ULBSA H: an 78 L 1648 (13); FLB G: Hist. 8° 1297–1300 (7) R Bayerischer Mercurius: Anzeygende die Bayerische Kranckheit/ beneben dero Geschwulst deß Magens: An welcher J. Fuerstl. Durchl. in Bayern Todt kranck/ und hart darnider ligen/ sampt deroselben Chur … o. O. o. D. [1632]. HAB W: 218. 21 Quod. (25) Becher, J[ohann] J[oachim]: Machiavellus Gallicus, Das ist: Metempsychosis Machiavelli in Ludovico XIV. Galliarum Rege. Oder Einhundert Politische Frantzoesische Axiomata … o. O. 1674. HAB W: A: 107.30 Hist. (2); HAB W: Xb 6928; ULB D: an Gü 10706; HLB F: D 31/3o (VI); HLB F: Gesch. D 31/30 – o. O. 1675. HAB W: Xb 3260; UB Gi: M 15 760 (5) – M ACHIAVELLUS GALLICUS , Das ist: Verwandelung und Versetzung der Seele Des Machiavelli in Ludovicum XIV. dem Koenig von Franckreich Vorgestellet durch hundert Politische Frantzoesische A XIOMATA … o. O. 1675. HAB W: H: T 1042.4° Helmst. (1); BSB M: Res. 4° Eur. 374,3 – Hauß-Vater und wohlerfahrner Land-M EDICUS , Das ist/ Vortheilhafftiger Unterricht/ wie man nicht allein in allen und ieden Haußhaltungs-Geschaefften/ geschickt verfahren/ und mit Erspahrung grosser Unkosten seine Nahrung gluecklich fortsetzen … Leipzig: Reinh. Waechtlers Wittib. 1691. HAB W: Xb 4406 – Psychosophia Oder Seelen-Weißheit Wie nemlich ein jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst allein alle Wissenschafft und Weißheit gruendlich und bestaendig erlangen koenne. Hamburg/Lauenburg: Liebezeit/Pfeiffer. 21705. HAB W: Vc 6 Becker, Johann Heinrich: Kurtzer/ doch gruendlicher/ Unterricht/ von den/ Temperamenten,/ Darinn so wol von denen Temperamenten ueberhaupt, als auch von einen jedweden insbesondere, derselben Vermischung, ihren/ Kennzeichen, und vielfaeltiger Verschiedenheit/ gehandelt wird … Bremen: Saurmann. 1739. SUB G: k. 8 Phil. IV, 582 (3) Benedictus, Ioannes: De visionibus et revelationibus naturalibus et divinis libellus elegans ac compendiosius … Moguntiae: Franciscus Behem. 1550. BN F: D.13792 (6), Sp. R. Beichtspiegel Den FRom[m]en Bueß würcketen Christen/ zur bekantnus der Sünd/ nutz/ Noettig und Brauchsam. Durch die Franciscaner gestelt/ und von newem Gedruckt. Closter zue Thierhaupten 21595. BSB M: Res. Asc. 5550 p Beibd. 1 Bernhold, Balthasar: S CALA J ACOB : S. Jacobs Layter: Das ist: Ein kurtze Erklaerung der Histori/ Genes. 28. Von Jacobs de H. Patriarchen Traum/ und Gesichte/ Bey der Leichbestattung/ deß Ehrwuerdigen unnd Wolgelaerten/ Herrn Jacob Voegelins … Onoltzbach: Boehem. 1611. HAB W: 385. 13 Th (8)
488 Des beruehmten italiaenischen Ritters Caesaris Ripae allerley Kuensten und Wissenschafften dienliche Sinnbilder und Gedancken … Augsburg: Johann Georg Hertel. ca. 1760. SStB A 4 Kst 1002 Biblia, niederdeutsch. Köln [: Bartholomäus von Unkel, Heinrich Quentell?] ca. 1478. HAB W: Bibel-Sammlung S 2° 103 Bibliander, Theodor: De fatis monarchiae Romanae somnium vaticinum Esdrae prophetae: quod interpretatus est … Basilea 1553. BSB M: 4 Exeg. 85; BSB M: 4 Exeg. 85 a; BSB M: 4 Exeg. 85 b; BSB M: 4 Exeg. 86 Dis biechlin saget wie sich ein yegklich mensch halten sol durch das gantz jar/ mit essen/ trincken/ schlaffen/ wachen und baden … Freyburg im Breyßgaw: Johannes Woerlin. 1523. SB B1: Ji 389 Rara Böhem, Michael: Historia de somniis, eorvmqve eventibvs ad Henricvm Ranzovivm Regis Daniæ in Ducatibus Holstatiæ, &c. præsidem. Cuius Elegia de somnijs in finc huius opusculi adiecta est … o. O. 1587. SStB A: 4° Phil 35 Böhme, Jacob: Der Weeg zu Christo/ Verfasset in Sechs Buechlein. Das 1. Von wahrer Busse. 2. Vom heiligen Gebet. 3. Ein Schluessel Goettlicher Geheimnuesse. 4. Von wahrer Gelassenheit. 5. Von der Wiedergeburt. 6. Vom uebersinnlichen Leben … Altona: Stobwasser. 1700. SB B1: Cs 11853 Boehmischer Warheitsager/ Daß ist/ Wahrer und Klarer beweiß/ das es mit Boehmen also hat ergehen muessen/ unnd wie es demselben in kuenfftigen Jahren nich ergehen werde. Genummen auß den Uralten und vor 149. Jahren hinderlassenen Schrifften Thomae Praelij D. und zu der zeit Husitischer Feldprediger. o. O. 1621. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (10) Bohem, Carolus: Schrifftmaeßige Und Vernuenfftige Gedancken Von Gespenstern … Halle: Joh. Christian Hilliger. 1731. SB B1: 2 in: N51 Bohmen, Jakob: Trost-Schrift, Von vier Complexionen. Daß ist: Vnterweisung in zeit der anfechtung, fur ein stetzt trauriges angefochtenes Heitze … o. O. 1621. SB B1: Cs 11 710 Rara Bolten, Joachim Friederich: Ausfuehrlich beschriebene Krankengeschichte der Jungfer Marianna Brandon. Hamburg: Heroldische Buchhandlung. 1775. HAB W: Mx 4° 20 (3) [Bonnet, Charles:] Herrn C. Bonnets, verschiedener Akademien Mitglieds, Philosophische Palingenesie. Oder Gedanken über den vergangenen und kuenftigen Zustand lebender Wesen: Als ein Anhang zu den letzten Schriften des Verfassers, und welcher insonderheit das Wesentliche seiner Untersuchungen über das Christenthum enthält, Aus dem Frantzoesischen uebersetzet und mit Anmerkungen versehen herausgegeben von Johann Caspar Lavater [La Palingénésie, deutsch]. 2 Bde. Zuerich: Orell, Geßner, Füeßli und Compagnie. 1769–1770. SUB-FB G: DD2000 A 280:1, Signatur BSB M: Film P 91.33–8228/8255. Bontekoe, Kornelis [Cornelis]: Kurtze Abhandlung Von dem Menschlichen Leben/ Gesundheit/ Kranckheit und Tod/ In Drey unterschiedenen Theilen verfasset/ Davon das/ I. Unterricht giebet von dem Leibe/ und desselben zur Gesundheit dienlichen Verrichtungen/ II. Von der Kranckheit/ und derselben Ursachen. III. Von denen Mitteln/ das Leben und die Gesundheit zu unterhalten […] Wobey noch angehaenget/ Drey kleine Tractätlein I. Von der Natur II. Von der Experienz oder Erfahrung/ III. Von der Gewißheit der Medicin, oder Heil-Kunst. Erstlich in Hollaendischer Sprach beschrieben […] Anitzo aber in die Hoch teutsche Sprache versetzet Von R. J. H. Budissin: Friedrich Arnst. o. O. 1685. HAB W: 85. 8. Med. (1) – Auserlesene Ergoetzlichkeiten vom Tabac … Leipzig 1715. SB B2: an: Jp 7490; LB O: NW III 10 B74; HAAB W: 33,3:61 Bouillus, Carolus [Bovelles, Charles de]: Que hoc volumine continentur, Liber de intellectu, Liber de sensu, Liber de nichilo, Ars oppositorum, Liber de generatione, Liber de sapiente, liber de duodecim numeris, Epistole complures … Paris: Stephanus. 1510. SStB A: 2 Phil 16 – De Animae immortalitate, Dialogus unus. De Resurrectione, Dialogi duo. De Mundi
489 excidio, Dialogus unus. Parisiis: Reginaldus Calderius. 1551/52. FLB G: Theol 4° 00421/01 (02) Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch- und Historisch-Eroerterte Curiositæten; Oder: Entlarvter Teufflischer Aberglaube von Wechselbaelgen … Franckfurth am Mayn: Jung. 1737. HAB W: Microfilm 1:398 [Brahe, Tycho]: Merckliche Geistreiche Weissagung/ Deß weiland Woledlen/ Gestrengen Herrn Tychonis Brahe … o. O. 1632. HAB W: 48. 2 Pol. (24) Buchanan, David: Historia animae humanæ. o. O. [Paris] 1636. HAB W: 60. 6 Phys.; SB B: Nn 1770 Bueching, Godofredus: Disputatio inauguralis medico-philosophica, De Potentia Diaboli in corpora … Halæ: Gruner. [1703]. SUB G: 8° Philos. V 4276, 8 Eyns bulers Traum in reimen gesetzt/ kurtzweilig zulesen, o. O. [Simmern: Rodler] o. D. [ca. 1533]. SB B1: Yh 916 Rara [Bullinger, Heinrich]: Von dem[m] unuer schampte[n] fraefel/ ergerlichem verwyrren/ unnd unwarhafftem leeren/ der selbstgesandten Widertoeuffern/ vier gespraech Buecher/ zue verwarnenn den einfalten … Zürich: Christoffel Froschouer. 1531. SB B1: 1 in: Co 2530 Rara – Adversus Anabaptistas Libri VI. Nunc Primum e Germanico sermone in Latinu[m] conversi, per Iosiam Simlerum Tigurinum … Tiguri: Froschoverus. 1560. BSB M: Polem. 414. – Der Widertoeufferen ursprung/ fürgang/ Secten … Zürych 1560. BSB M: 4 H.ref. 150; BSB M: 4 Polem. 488; BSB M: 4 H.ref. 150 b. – Zürych 1561. BSB M: 4 Exeg. 121, Beibd. 1. Burgdorff, Samuel Hubern von: Erklaerung des grossen Abentheurlichen Abentheurs/ Welchs die Wuertzburgische Jesuiter/ in einem beseßnen Schmidknecht/ zu Heidingsfeld/ im Bistumb Wuertzburg/ getriben/ unnd fuer ein Wunderwerck außgeben haben: Nach laut juengst außgespreiten Buechlins/ M. Johan Schnabels/ Pfarrers daselbsten … Tuebingen: Gruppenbach. 1590. HAB W: Alvensleben Ec 47 (2) Caesius, Georg: Prognosticon Astrologicum, Oder Teutsche practick auff das Jahr/ nach unseres Heil. Und Seligmachers Jesu Christi Geburt 1596. Nürnberg 1596 (11586). HAB W: A: 44.10 Astron. (2) Camerarius, Joachim: Norica, sive de ostentis libri dvo … Vitebergae: Rhav. 1532. SB B1: N 772; TULB J: 8 Enc.I,1(8); HAB W: H: M 319a.8° Helmst. [Camerarius, Joachim oder Stolz, Johann]: Querela Martini Lutheri, seu Somnium. Basileæ: Oporinus. 1554. SB B1: Dk 1410; SB B1: Dk 1410a; BSB M: Liturg. 179; HAB W: Li 5648; BSB M: Res/Conc. 356 Beibd. 3; BSB M: Polem. 2709 Beibd. 2 – o.O. 1555. BSB M: Polem. 2709 Campanella, Thomas: Von der Spannischen Monarchy Erst unnd ander Theyl. Oder Außfuehrliches Bedencken/ welcher massen von dem Koenig in Hispanien/ der gantzen Weltbeherrschung/ so wol ins gemein/ als auff jedes Koenigreich unnd Land besonders/ allerhand Anstalt zu machen seyn moechte … o. O. 1623. SB B1: Qt 3773 Rara – Universalis Philosophiæ seu metaphysicarum rerum iuxta propria dogmata partes 3, libri 18 … suorum opera tomus 4. Parisiis 1638. SB B1: 2° Nl 6442; ULBSA H: Fa 2424, 2°; TULB J: 2 Ph.III,6; BSB M: 2 Ph.u. 16–4 Campe, Joachim Heinrich: Die Empfindungs- und Erkenntnißkraft der menschlichen Seele/ die erstere nach jhren Gesetzen, beyde nach jhren urspruenglichen Bestimmungen, nach ihrem gegenseitigen Einflusse auf einander und nach ihren Beziehungen auf Charakter und Genie betrachtet. Leipzig: Weygand. 1776. HAB W: Microfiche 437:59 Canisius, Petrus: Meditationes qvotidianae. Coloniae: Maternus Cholinus. [31575] (11568). HAB W: A: 1244 Theol. – Manuale catholicorum, in usum pie precandi collectum. Ingolstadium 1587. BSB M: Asc. 944 Capito, Wolffgang: Ein wu[n]derbar geschicht/ und ernstlich warnung Gottes/ so sich an eim Widertaeuffer/ genant Claus Frey zuetragen … Straßburg: Apiarus. 1534. SB B1: 2 in: Co 2530 Rara
490 Cardano, Girolamo: L ES LIVRES DE H IEROME C ARDANVS MEDECIN MILANNOIS , INTITVLES D E la Subtilité, & subtiles inuentions, ensemble les causes occultes, & raisons d’icelles. Traduits de Latin en Francois, par Richard le Blanc. Paris: Le Noir. 1556. BUS P: R XVI b 18 in 8° – La Métoscopie de H. Cardan, medecin milanois. Comprise en treize livres, et hvit cens figyres de la face hvmaine … Paris: Thomas Iolly. 1658. BN F: Gallica – Somniorvm Synesiorvm, omnis gene ris insomnia explicantes, Li bri IIII … Basel: Heinrich Petri. o. D. [1562]. SB B1: Na 4911; SB B1: HA 2 Tm 7670: E1156 – Traumbüch Cardani. Warhafftige/ gewüsse und unbetrügliche underweisung/ wie allerhandt Traum/ Erscheinungen unnd Nächtliche gesicht/ welche uns von der seelen/ wann sich der leib zu ruwen begeben/ eingebildet und recht erklärt unnd außgelegt werden sollend/ dardurch künfftige zufal glücks unnd unglücks erfaren und erlernet werden mögen/ on einige entziehung/ oder abbruch des gewalts unnd der krafft Gottes … [= Somniorum Synesiorum, omnis generis insomnia explicantes libri 4. [Übersetzer:] Johann Jacob Huggelin] Basel: Heinrich Petri. [1563]. GNM N B: 8° Vs 157/1, N693; HAB W: 24 Phys.; SB B1: Na 4920 Rara; BNU S: B. 111. 989; BSB M: 4 Phys. m 24; BSB M: Fiche 4 Phys. m 24; SLUB D: 1.Fi.485-E247/E249; SStB A: 4 Kult 100 – Somniorvm Synesiorvm, omnis gene ris insomnia explicantes, Li bri IIII …Basel: Sebastian Henricpetri. o. D. [1585]. SB B1: 4° Bg 2232/10 %a; SB B1: HA 2 Tm 7670:I216-I218 Carion, Johannes: Prognosticatio vnd Erklerung der grossen Wesserung… so sich begeben… 1522. Leypßigk 1524. BSB M: Res/4 Astr.p.510,43; BSB M: Res/4 Astr.p.510,44; BSB M: Res/4 Astr.p.90 h, Beibd.10. – o. O. 1524 BSB M: Res/4 Astr.p. 525,11 m; BSB M: Res/4 Astr.p. 525,11 n; BSB M: Res/4 Astr.p. 510,45. – Außlegung der verbor genen weissagung D. Johan. Cari onis/ von veraenderung un[n] zuefelligem glück d’ hoech/ sten Potentaten deß Roemischen Reichs … Straßburg: Wendel Riehel. 1549. BNU S: B. 111. 990 réserve; BNU S: R. 101. 162 Carolstat, Andres [Karlstadt, Andreas Bodenstein von]: Ob man mit heyliger schrifft erueysen müge/ das Christus mit leyb/ bluet und sele im Sacrament sey. o. O. 1524. BSB M: Res. 4° Polem. 3342,1; BSB M: 4 Polem. 556 Carpzov, Benedict: Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium … Wittebergae 1646 (11635). BSB M: 2 Crim. 13; BSB M: 2 Crim. 13a. – Peinlicher sächsischer Inquisition- und Achts-Proceß. Leipzig 1673. BSB M: 4 Crim. 31; BSB M: 4 Crim. 32; BSB M: 4 Diss. 1135, Beibd.4. Cariero, Alessandro: De somniis deque divinatione per somniaicos. Brevis consideratio. Padua 1575. UB L: Philos.207-bm Cartesus, Renatus [Descartes, René]: Tractat Von den Leidenschafften Der Seele. Aus dem Lateinischen ins Teutsche uebersetzet Und mit Anmerckungen versehen Von Balthasar Heinrich Tilesio. Franckfurth/Leipzig: Ernst Gottlieb Krugen. 1723. SB B: No 9784 Carus, Friedrich August: Psychologie. In: Nachgelassene Werke. Hg. von Ferdinand Hand. 7 Bde. Leipzig: Barth & Kummer. 1808–1810. BSB M: Ph.u. 88–2. Casmann, Otto: Psychologia anthropologica; siue animæ humanæ doctrinis … Hanovae: Guilielmus Antonius. 1594. SB B1: Nn 1578; SLUB D: Phil.B.981.b,misc.1; SLUB D: Phil.B.981; SUB G: 8 ZOOL XIII, 3833; SUB G: 8 ZOOL XIII, 3834 (1); HAB W: A: 104.3 Phys. (2) Celestinus, Johan. Fr.: Pruefung/ Des Sacramentirischen Geists/ Das ist/ Starcke/ Goettliche und Natuerliche Beweisung/ aus welchen alle Christen und vernuenfftige Menschen/ gruendlich abnemen und schliessen koennen … o. O. o. D. [ca. 1567]. BSB M: Res/4 Polem. 3345,16 Chemnitz, Christianus: Jm Namen der Heiligen Dreyeinigkeit! Kurtzer Bericht und Antwort Auff J OHANN Schefflers/ Philosophiæ und Medicinæ Doctoris, wie auch der Roemischen Kirchen Priesters Traum und Triumph Welchen er gehabt und sich eingebildet in seinem so genanten Triumph-Blate/ Ueber den ueberwundenen Chemnitium …
491 Jehna: Johann Nisius. 1664. SB B1: Dh 6432; FLB G: Theol 4° 581/4 (9); FLB G: Diss.theol.8° 62 (5a); BSB M: 4 Polem. 600 verfilmt – o. O. 1664. UB L: Polem. 151-f [Chesne, Joseph Du]: I OSEPHI Q VERCETANI M.D. D IETETICON POLY-H ISTORICUM Das ist Natuerliche Fechtmaessigung deß gantzen menschlichen Lebens: wie nemlich es in jederley anligen/ in Essen und Tricnken/ in aenderung deß Luffts/ in wachen und schlaffen/ in Leibsubungen und in gebuehrenden laerungen der Vernunfft gemaeß/ umb vermeidung mancherley Seuchen koenne und solle angestelt werden … Straßburg: Eberhard Zetzner. 1626. SBB 1: 50 MA 23 434; HAB W: 38.8 Med. (3) Film Christliche Bekantnus von der Erbsuende/ fuer die Einfeltigen. Jonas Franck/ Predicant zum Bernstein in Österreich. De Amnistia. Was von des newen Concordien Buchs verschweygen der Stiffter unnd Buecher der Irrthumen/ so man billich Schwermer und Schwarmbuecher mit Namen nennen/ straffen/ und die Leute dafuer warnen solte/ zu halten sey. Nicolaus Sinceliu Exul. Christi … o. O. 1582. BSB M: Res. 4° Polem. 3346,7 DEr Churfürstl. Durchl. Hertzog Ferdinand Mariæ in Bayern/ etc. Unsers Genaedigsten Chur- und Lands-Fuersten auch Herrens. Erneuerte Land-Gebott Wider die Aberglauben/ Zauberey/ Hexerey und andere straeffliche Teufelskuensten. Muenchen 1665. BNU S: B. 10. 419 DEr Churfürstl. Durchleucht Hertzogs Maximilian Joseph in Bayern etc. etc. Unsers Gnaedigisten Chur- und Lands-Fuerstens/ auch Herrns Erneuerte Land-Gebott, Wider die Aberglauben, Zauberey, Hexerey, und andere straeffliche Teufels-Kuensten. Muenchen: Johann Jacob Voetter. 1746. BNU S: B. 10. 421 [Clairvaux, Bernard de]: Meditationes, Das ist/ andechtige Betrachtungen zue erkandtnuß Menschlicher Condition/ aigenschafft und wesens/ welchs genennt wirt: Das Buech von der Seel … Dilingen: Sebaldus Mayer. 1557. SStB A: 8° Ink adl 5; SB B: 1 an: Eq 12635 Claussnicer, T. [Clausnitzer, Tobias]: Friedens-Traum Des Meißnischen Zions/ Aus dem 126. Psalm. Leipzig: Koeler. 1645. HAB W: 202. 67 Quodl. (9); SLUB D: Hist. Sax. H. 391.,1.vm; ULBSA H: Pon Vc 4484, Qk [Clers, Andreas]: Curiosa, nec non politica vaga-bundi per Europam, vulgo sic dicti, R ATIONIS -S TATUS , de præsenti tempore N UGÆ - SOMNIA . Das ist: Des in der Europaeischen Welt/ ueberall zu Hause sich einfindenden/ so genannten R ATIO - STATUS , Wegen jetziger Zeit Laeuffte, nachdenckliche und Politische traeumende Schwaetz-Gesichter, Pars prima-quarta. Falso-Veronæ [Nürnberg] 1675–1677. SB B1: Qe 1333 Rara; BSB M: 4 J publ. e 177 [1675]; BSB M: 4 J publ. e. 207a [1676] – Curiosorum, nec non politicorum, vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, RATIONIS STATUS , de præsenti tempore, nugæ-somniorum classis posterior, Das ist: Die Andere Classe/ Des in der Europaeischen Welt ueberall zu Hause sich einfindenden/ so genannten RATIO - STATUS , Wegen jetziger Zeit Laeufften nachdencklicher und Politischtraeumender Schwaetz-Gesichter, Pars prima-quarta. Falso-Veronæ 1677–1680. SB B1: Qe 1336–2, 1–4 Rara; SB B1: Qe 1339 Rara; BSB M: 4 Diss. 2296 Beibd. 9–2,1/2; BSB M: 4 J publ. e. 178–2,1/2; BSB M: 4 J publ. e 179–1,1/2; BSB M: 4 J publ. e 180–1/2 – Curiosorum, nec non politicorum, vagabundi per Europam, vulgo sic dicti, RATIONIS STATUS , de præsenti tempore, nugæ-somniorum classis prioris, pars prima-quarta. Nurnberg: Loschge. 1678. SB B1: Qe 1336–1 Rara; SB B1: Qe 1339 Rara: BSB M: 4 Diss. 2296 Beibd. 9–1 bis 4; BSB M: 4 J publ. e. 178–1, 1 bis 4; BSB M: 4 J publ. e 179–1, 1 bis 4; BSB M: 4 J publ. e 180- 1 bis 4 Clug, Christian Gottlieb: Anmerckungen über den Vorbericht und die Vorrede zu den Reinbeckischen Gedancken vor der vernünfftigen Seele und der Unsterblichkeit derselben, in welchen wider die Verfasser, wie auch überhaupt wider die neuere Weltweißheit, Verschiedenes offenhertzig erinnert wird. Theil 1. Wittenberg 1740. SB B 1: 8° Nq 9388 Colberg, Ehregott Daniel: Das Platonisch-Hermetische Christenthum, begreiffend Die Historische Erzehlung vom Ursprung und vielerley Secten der heutigen Fanatischen
492 Theologie, Unterm Namen der Paracelsisten, Weigelianer, Rosencreutzer, Quäcker, Böhmisten, Wiedertäuffer, Bourignisten, Labadisten, und Quietisten. Leipzig: Gleditsch/Weidmann. 1710. BSB M: Bibl.Sud. 1653–1/2. [Comenius, Jan Amos]: Zwey wunder Tractaetlein/ Deren das Erste begreiffet Englische Erscheinungen und Reden Christoph Koettern/ Weißgerbern zur Sprotta in der Schlesien/ einem frommen/ einfaeltigen Mann/ zum oefftern in unterschiedlichen Gesichten widerfahren … o. O. 1632. HAB W: 48. 2 Pol. (21) – Revelationum divinarum, In usum Seculi nostri qvibusdam nuper factarum, Epitome … o. O. 1663. BSB M: Phys. m. 36 w Copia Send-Schreibens/ Eines Academischen Freundes An Einen guten Freund in Magdeburg/ Den C HILIASMUM / Oder/ Das Tausend-jaehrige Reich/ S. Petersen betreffend. Basel: Michael Brodhagen. 1692. SB B1: Cz2116 Cramer, Johann Christoph: Gruende der Wahrheit Daß die abgeschiedene Seele in dem Zustande des Denkens ununterbrochen fortdauren kann. Jena: Johann Friedrich Schill. [ca. 1700]. SB B1: 6 in: Bd 8603–18 Crato, Adam: Rettung Des Christlichen Tauffbuechleins Herrn D. Martini Lutheri unnd der Augspurgischen Confessions verwandten Kirchen. Item Bestendiger reicher Trost vor schwanger Frawen und vor Christliche Eltern/ denen jhre Kinderlein absterben/ ehe sie die heilige Tauffe erlangen. Zur Widerlegung/ Der Newen Schwermer und Propheten/ der Amlingiten im Fuerstenthumb Anhalt/ und jhrer vermeinten ursachen/ darumb der Exorcismus abzuschaffen sein solle. o. O. 1590. SB B1: Eë 710–170 Angeb. 12 Rara [Crautwald, Valentin]: Der Schwermer. o. O. 1544. BSB M: Asc. 4308; BSB M: Res/Liturg. 442 Creuz, Friederich Carl Casimir Freyherr von: Versuch ueber die Seele. Frankfurt und Leipzig: Knoch- und Eßlingerische Buchhandlung. 1754. SB B1: 8° Bibl. Diez. 6375; BSB M: Ph.sp. 173 Culpeper, Nicolaus: C ULPERERS T ESTAMENT Oder Letzter Wille Welches er seiner Ehegemahlin dem gemeinen Nutzen zum besten hinterlassen und anbefohlen. Darinnen Außerlesene und sehr nuetzliche Heimligkeiten entdecket sind/ die unter seinem Hertzen verborgen lagen/ weil er noch im Leben war/ und die er vor seinem Tode nicht hat wollen oeffentlichen an den Tag kommen lassen. Begreiffende in sich allerhand seltzame und wunderbahre Experimenten in unterschiedenen Kuensten/ sonderlich in der Artzney- und Heile-Kunst … Hamburg: Schultz. 1675. HAB W: QuN 396 (2) Curioeses Traum-Gesicht, oder Gedicht Von Anfang und Erfindung Der Edlen HoechstNutzbaren Buchdrucker Kunst …, o. O. [München]: Voetter. o. D. [1740]. BSB M: 2° P.o.germ. 57,34 Darinnen eine gründliche Erklärung von des Menschen Leib, Gliedmassen vnd der Seele […] In XXV Predigten abgehandelt, in Martin Bohemus, Theologia contemplatio. Wittenberg: Berger. 1624. SB B: 8° (4°) Ea 2828 Davidson, Wolf: Ueber den Schlaf. Eine medizinisch-psychologische Abhandlung. Berlin: Felisch. 1796. UBG: k. 8. H. N. Zool. IV, 8919 – Versuch ueber den Schlaf. Berlin: Belitz und Braun. 21799. SUB G: 8° Zool. IV, 8921 Delrío, Martín: Disquisitionum magicarum libri sex Disqvisitionvm Magicarvm libri sex. Qvibvs continetvr accvrata cvriosarvm artivm, et vanarvm svperstitionum confutatio, utilis Theologis, Iurisconsultis, Medicis, Philologis. Mogvntiae: Sumptibus Petri Henningii. 1617 (11599–1600). BN F: Gallica – Coloniae Agrippinae: Henningius. 1633. BSB M: Res/4 Phys.m. 30 DEr Fürstl. Durchl. Hertzog Maximilians in Bayern/ etc. unsers gnaedigsten Landtsfuersten und Herrens. Landtgebott wider die Aberglauben Zauberey Hexerey und andere straeffliche Teufelskuenste. Muenchen: Anna Bergin Wittib. 1611. BNU S: B. 10. 420; BSB M: 2 Num.rec. 45 Beibd. 2 [Detry, Peter Friedrich]: Betrachtung des Menschen nach Geist, Seel und Leib. o. O. 1725. BSB M: 4 Path. 290 – 21732. HAB W: Ma 708a; SB B: 4 in: Nh 9700
493 Deus est, qui transfert & stabilisit regna. VI. Prognostica/ Von Verenderung unndt zufaelligem Glueck und unglueck der hoechsten Potentaten im Roemischen Reich/ Auch deß Tuercken unnd Pabsts: Und sonderlich was es mit der Sacra Liga vor einen Außgang haben werde … o. O. 1621. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (9) Dieterich, Cunrad: Ulmische Cometen Predigte/ Von dem Cometen/ so nechst abgewichenen 1618. Jahrs im Wintermonat sich erstenmahls in Schwaben sehen lassen/ Darinn nachfolgende drey Puncten gehandelt werden 1. Was Cometen seyen. 2. Was Sie bedeuten. 3. Was uns gegen deren bedeutung vorzunehmen … Ulm: Johann Meder. 1619. SUB G: Astron. II, 4820. – Ulmischer Regenten Baum; Von dem Hohen/ grossen/ aestigen Baum/ welchen Nebucadnezar der Koenig zu Babel im Traum gesehen/ Daniel. 4 v. 8. seqq. So bey vorgehendem gewonlichem Schwoertag/ Sontags den 11. Augusti 1621. Jahrs/ zu Ulm im Muenster erklaert unnd außgelegt. Ulm: Johann Meder. 1621. BSB M: Res/4 Hom.1901.43,42 – Quæstiones theologicæ, Das ist/ Theologische Fragen/ von dem Schwarm der Schwenckfelder/ und andern: Betreffend das geschriebene und gepredigte Wort GOttes … Zuvor zu Ulm gedruckt/ An jetzo ins Teutsche versetzet/ unnd wieder gedruckt zu Alten Stettin … Alten Stettin: Nicolaus Barthelt. 1623. BSB M: Polem. 1911 Angeb. 2 – Philosophischer und theologischer Traum discurß/ von naechtlichen Traeumen … gestellt u. dem gemeinen Man zu gutem … begehren in … Truck geben durch Cunrad Dieterich. Ulm: Ursula Meder. 1624. HAB W: 43 Phys. (1); FLB G: LP Z 8° 10 (18); ULBSA H: AB 153 350 (4); SStB A: 4 Phil 103 – Philosophischer und Theologischer Traum Discurß/ Von den Naechtlichen Traeumen. Darinnen Bericht geschiehet/ I. Was Naechtliche Träume seyn. II. Woher sie ins gemein kommen. III. Wie mancherley diselbige seyn. IV. Was von ihnen zuhalten. V. Wie deren allerseyts recht Christlich zugebrauchen … Franckfurth/Ulm: Unckels/Jonam Saur. 1625. HAB W: N 185. 4° Helmst. (2); HAB W: 231. 73 Theol. (3); SLUB D: Magica.162; SB B1: Ky 18065 Dissertatio philologica De dæmonibus, quam indultu ampliss. facult. philosophicæ d. XXX. Jun. MDCCVI. publice defendent M. Gustus Gotthart Rabener, Lips. et Christianus Frider. Reineccius, Isleb. Thur. Lipsiæ: Goez. [1706]. SUB G: 8° Philos. V 4276, 1 D. J. F. R.: Physikalische Abhandlung von der Gewalt des Teufels in die Coerper worinne Die Fragen und Untersuchungen vorkommen: Ob der Teufel Wunderwerke thun koenne? Ob er die Leute holen, und durch die Luft fort, und in andere Orte schleppen koenne? Ob er allerhand Art von Ungeziefer in der Luft hervorzubringen vermoege? Ob er den Menschen Krankheiten zuziehen koenne? Was von Hexen, Zaubereyen, Gespenstern und Geistern zu halten? Von Beschwoerung der Geister etc. mit vielen wichtigen Anmerkungen. Nuernberg: Zimmermannische Buchhandlung. 1753. SUB G: 8° Philos. V 4378 [Djafar, Ibn Mohammed (Abû Mashar) al Bakhi]: Apomasaris Apotelesmata, siue De significatis et eventis insomniorvm, ex Indorum, Persarum, Ægyptiorumque disciplina. Depromptuis exIo. Sambvci V. C. bibliotheca liber, Io. Leunclaio interprete. Francofvrti: Andreas Wechelus. 1577. BM P: 34 447 3e p. Döbeln, Johann Jacob von: Liber de erroribus vulgi Circa Medicinam & Medicos. D. i. Die Vertheidigte Artzney-Kunst/ Und Der Vertheidigte Artzt/ Wider die heutige Unart und Veraechter Derselben. Lunden in Schonen: Abraham Habereger. 1700. HAB W: Xb 3977; ULBSA H: Ua 1662; SStB A: Med 955 Donner, Johann: Christlicher Kinder Catechismus. Wie solcher in den Euangelischen Kirchen und Schulen deß Ertzbist: und Churfuerstenthumbs Meintz/ auch andern angrentzenden: Und von Ihrer Koen: Maj: zu Schweden G VSTAVO A DOLPHO , Hoch: und lobseeligster Gedaechtnuß/ durch Gottes starcken Arm/ eroberten Euangelischen Orten/ mit der Jugend geuebt und getrieben wird, Auß Herrn D. Luthero und Brentio seeligen verfast und zusammen getragen. Franckfurt: Johann Friderich Weiß. 1633. BSB M: Res Polem. 3124 v
494 Dorsch, Jo. Georg: Dissertatio de horrenda et miserabili Satanæ obsessione, Ejusdemq[ue] ex obsessis Expulsione, multorum votis expetita, Juventutis Studiosæ commodo iterum prodit. o. O. 1681. SUB G: 8° Philos. V 4276, 4 Dreier, Christian: Gruendliche Eroerterung Etzlicher schwerer Theologischer Fragen Bey unterschiedenen Stuecken/ Der Christlichen Lehre … Darin etzliche die Theologos zu Koenigsberg in Preussen gar grosser Irrthuember … Koenigsberg: Johann Reusner. 1651. SB B1: Dm 6170 Dresser, Matthaeus: De Partibus corporis humani et anima, eiusque potentijs libri 2. Witebergae: Crato. 1581. HAB W: 119. 1 Phys. (3) Dresser, Noa[ch]: D. J OHANNIS S CHEFFLERI CURRUS TRIUMPHALIS CONFRACTUS , Das ist D. Johann Schefflers zerbrochene Triumphs-Wagen auff welchem er Uber die Lutheraner/ und sonderlich zwei vornehme und wohlverdiente Theologos triumphirend einzufahren/ ihm im Traum vorgenommen lassen. o. O. o. D. [1664]. SB B1: Dh 6434; SB B1: Dh 6434/1; ULBSA H: AB 155 166 (12) verfilmt Dreyfaches Hermetisches Kleeblat/ in welchem begriffen dreyer vornehmer Philosophorum herrliche Tractaetlein … Durch Vigilantium de Monte Cubiti. Nuernberg: Endter. 1667. BSB M: Res/Alch. 309 Drey Neue/ Curieuse Tractaetgen Von Dem Trancke Cafe, Sinesichen The, und der Chocolata … in die Hoch-teutsche Sprache uebersetzet … Budissin: Arnst. 1686. HAB W: 85. 8 Med. (2) Dromboekcken. Wo men nachtlike Gesichte/ vorbildinge unnd Droeme/ beduedinge erkennen und lehren mach/ uth Olden und Nyen kuenstliken Drohmboekeren/ flytich upt koerteste thosamende getagen und gestellet deßgelyken voerhen nywerle im Drucke uthgeghan. Hamborch: Henrick Binder. 1594. SB B1: Na 4934 Durante, Castore: T HESAVRVS SANITATIS . Das ist: Bewerter Schatz/ und gueldenes Kleinodt der Gesundtheit … Franckfurt am Mayn: Lvcas Iennis. 1623. BSB M: Path. 356 Die Durch einen Brieff entdeckte N EUE Schwaermer-L IGUE wieder Herr D. Spenern. Jehna 1695. BSB M: Res. 4° H. ref. 812,17 E. D.: Kurtzer Entwurf Einiger Anmerckungen Uber Den unterschiedenen Zustand Der menschlichen Seelen/ Nach hrer Schoepfung/ Nach ihrem Fall/ Nach ihrer Wiederbringung. Zum Gemeinen Nutz und gruendlichen Beweiß der Wahrheit Christlicher Religion ans Licht gegeben, Hamburg: Christian Liebezeit. 1707. SUB G: Th. thet. II 676/5 Beibd. 2 Eberken, Johann: Wolgegruendte Ablehnung/ des ubel gegruendten/ Schwarm Bedenckens/ Welches H. Herman Rathman/ Diacon zu S. Marien in Dantzig uber D. Cunrad Dietrichs/ Ulmischer Kirchen Superintendenten Disputation, von der Schwenckfelder und anderer Schwermerey so sie von dem beschriebenen und gepredigten Wort Gottes haben/ ohnlangts außgesprenget … Leipzig: Thomæ Shuerers S. Erben. 1624. SLUB D: 3.A.10089 Eine Entschueldigung/ Mattthiae Flaccij Illyrici/ an einen Pfarherr. Item derselben/ was da sey die Kirchen verlassen odder nicht verlassen. Item zween Trewme Philippi … o. O. 1549. HAB W: 236. 50 Theol. (11) Einfeltige und kurtze Erinnerung vom Sabbathsteuffel/ Gasparis Fabri Farinopolitani … o. O. 1572. SB B1: Db 3311b Rara Angeb. 3 Einhorn, Paul: Außfuehrlicher/ Warhafftiger Bericht/ Was sich zwischen den Pastoren der Teutschen Gemeine zur Mykaw/ als nemlich Paulum Einhorn/ Churlaendischen Superintendenten, und seinen Collegam, Iohannem Adolphi, eines/ und Laurentium Matthæum, Georg Reichards amanuensem oder Copiisten/ andern Theils … Luebeck: Schmalhertz. 1649. HAB W: H:Yk 6.4° Helmst. (14) Einige Weissagungen/ so auf die Umstaende gegenwaertiger Zeit zu deuten scheinen/ und gestellte Propheceyungen ueber das Koenigreich Boehmen und andere benachbarte Laender/ von nachfolgenden Scribenten beschrieben … Franckfurth und Leipzig. 1758. BSB M: Bibl. Sud. 1411 [Einzinger von Einzig, Johann Martin Maximilian]: Gedanken vom geistichen [sic] Wesen der menschlichen Seele m.k. o. O. [München] o. D. [1766]. BSB M: Ph. sp. 573 Beibd. 1 – Muenchen: Maria Magdalena Mayrin. 1766. BSB M: Ph. sp. 573 Beibd. 2
495 Elvering, Gabriel: Disputatio Physica De Intellectu, Quam Favente Præside Viro præclarissimo atque excellentissimo, Dn: Johanne Sperlingen/ Physices in incluta Academia Wittebergensi, Professore Publ. longe celeberrimo & meritissimo, nec non Facultatis Philosophiæ p. t. Decano Spectabili … Wittebergæ: Röhner. 1649. SUB G: Diss. 248, 4 Engelische Erscheinungen/ Offenbahrungen und Gesichte/ so dreyen Christlichen Personen/ einem Schulmeister in der Pfaltz/ einem Pfarrherren im Marggrafftumb Anspach/ und einer Jungfrawen zum Greßlas in Boehmen/ zu unterschiedlichen Zeiten wiederfahren … o. O. 1630. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (16) Engerd, Joannes: Preseruatiu/ Cur unnd SeelenArtzney/ wider die gifftige jetzoschwebende Seuch der New Euangelischen Secten/ bevorab deß hochschaedlichen L UTHERTHUMBS … Ingolstatt: Weissenhornische Truckerey. 1581. SB B1: 3 in: Ci 4192 Rara Erastus, Thomas: Disputationum de Medicina nova Philippi Paracelsi Pars secunda. Basileae: Perna. 1572. SB B1: Jb 4330; BSB M: Bibl.Sud. 920–1/2 Erkantnus/ Der grossen Phantasterey. Das ist/ Der WiderChristischen Verblendung derer/ so sich und andere ihres gleichen auß lauter falscher Jmagination und Phantastischer Einbildung fuer Christen/ Geistliche/ und Christi Statthalter und Mundbotten halten … o. O. 1628. HAB W: 466. 37 Th. (3) Erschroeckliche Prophecey: und Weissagungen/ anzeygend/ deß gantzen Teutschlands Untergang/ wegen verachtung deß heyligen Wort Gottes und dessen trewe Diener/ Lehrer und Prediger/ Gezogen auß den Schrifften: Herrn D. Martini Lutheri S. Gedaechtnuß. o. O. 1628. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (4) Erwiesene Unmöglichkeit Der Vor möglich gehaltenen und so genannten Harmoniae Praestabilitae, Oder vorher verordneten Ubereinstimmung Zwischen dem Leibe und der Seele des Menschen. o. O. o. D. [ca. 1724]. SB B2: 2 in: Nl 18701 Essche, Nicolas van: Margarita Evangelica, incomparabilis thesaurus divinae sapientiae. Colonia 1545. BSB M: Asc. 3055. F. O. D.: Perennander Oder/ Von der Unsterblichkeit der Seele/ Und der Auferstehung des Leibes. Mit einigen Anmerckungen, Amsterdam: Christian von Hagen. 1678. SB B: Yi 7856 [Fabricius, Jacobus]: Goettliches Wunder-Buch/ Darinnen auffgezeichnet und geschrieben stehen/ I. Himlische Offenbahrungen und Gesichte/ einer gottfuerchtigen Jungfrawen auß Boehmen/ vom Zustand der Christlichen Kirchen/ derer Erloesung/ und schrecklichen Untergang jhrer Feinde … o. O. [1630]. SB B1: Na 8200 Rara – Etliche Gebet/ So in Koenigl. Majest. zu Schweden Kriegsheer/ neben den Palmen Davids und der Christlichen Litaney/ von den FeldPredigern gebrauchet/ und der Soldatesca fuergebettet werden. Nuernberg: Endter. 1632. BSB M: Res/ Polem. 3124 Beibd. – Probatio Visionum, Das ist: Christliches/ in G OTTES Wort unnd bewaehrten Schrifften reiner Theologen/ wolgegruendetes Bedencken Von Gesichtern/ Deren etliche koennen Goettliche Offenbarungen/ etliche aber Teufflische Verfuehrungen seyn … Nuernberg: Endters. 1642. BNU S: B. 111. 924 – Geburmessige Ablehnung Der gantz unverdienten Schmach/ Welche M: Jacobus Stolterfoth/ Prediger zu Luebeck/ in seiner sehr grewlichen Schmaehe-Charte/ unter dem ertichteten titul: Warheit- und Ehrenrettung/ wieder die Invictam Visionum Probationem, hat freventlich ausgespeyet … Alten Stettin: Goetzk. 1647. UB G: Th. thet. 256/61 Fama Fraternitatis, Oder Endeckung der Bruederschafft deß loeblihen Ordens deß Rosencreutzes … Cassel 1616. BSB M: H.g.hum. 59 Beibd. 8. Faust, Georg: Scala Nostræ Salutis. Oder/ Der Kinder Gottes Himmel- und HeilLeiter/ neben jhren Sprossen/ Welche erkleret und außgeleget worden ist mit verleihung Goettlicher Huelffe Anno Christi 1609. den 3. Februarii zu Reichenbach … Lignitz: Schneider. o. D. [1609]. HAB W: Xa1: 27 (11) Faust, Lorenz: A NATOMIA S TATVÆ D ANIELIS . Kurtze und eigentliche erklerung der grossen Bildnis des Propheten Danielis, Darin ein historischer außzug der vier Monarchien/ und aller jhrer HauptRegenten/ auff die glieder des Bildnis … Leipzig 1585. SLUB D: Hist. Sax. A.209 Rara; SLUB D: Hist.univ.A.391
496 – o.O. 1586. HAB W: 91. 1 Quod. (1); HAB W: Alv.: Ll 263; HAB W: T 241. 4° Helmst. (1) – Leipzig: Steinmann. 1586. BSB M: 4 Chron. 100a; BSB M: Res/4 H.un.53 Felgenhauer, Paul: Decisio Prophetica Belli Bohemici. Eine sehr nothwendig und nuetzliche Frage zu diesen letzten zeiten/ Darinnen decidiret wird/ Mit wem man es (das Boehmische Wesen betreffend) halten oder nicht halten solle? … o. O. 1620. SB B1: Flugschr. 1620. 18 – Apologeticus contra invectivas æruginosas Rostij. Kurtze Verantwortung/ Auff das Heldenbuch vom Rosengarten oder gruendtlichen Apologetischen Bericht von den Newen Himmlischen Propheten Rosencreutzern/ Chiliasten/ Enthusiasten … o. O. 1622. SB B1: 11 in: Cs 2 – Alerm-Posaun/ welche der Postilion deß grossen Loewens … o. O. 1624. HAB W: 37 Pol. (25); HAB W: T 553.4° Helmst. (22); HAAB W: 7,2:2: HAAB W: 7,2:54; SLUB D: Hist. germ. C 527, 21; SLUB D: Magica 147, 126 (Mikrofiche) – , Das ist: Eine Rede von der wahren Menschheit Darinnen dargethan und erwiesen wird/ beydes aus der h. Schrifft und auch aus der wahren Vernunfft/ daß G OTT in Christo ein warer Geistlicher Adam und Himlischer Mensch sey … o. O. [Amsterdam: Fabel.] 1650. SB B1: 8° Cs 13576 [Felseckers, Johann Jonathan]: Deß Aus dem Grabe der Vergessenheit wieder erstandenem S IMPLICISSIMI , Mit kostbaren/ zu dieser Zeit hochwerthen und dero Liebhaber fest an sich ziehenden Waaren- an und ausgefuellter Staats-Kram/ statt deß auf seinen juengsthin hervor gegebenen Lebens-Wandel/ nunmehr ordentlich folgenden Dritten und letzten Theils … Nuernberg: Felseckers see. Erbe. 1695. BSB M: Rar. 4597,3; FLB G: 05-Lg.8° 01911 Feyens, Thomas: De formatrice foetus liber, in quo ostenditur animam rationalem infundi tertia die. Antverpia 1620. BSB M: Res/Anat. 163. – De viribvs imaginationis tractatvs. Lugduni Batavorum: Elsevir. 1635 (11608). BN F: Gallica; BSB M: Ph.sp. 1028 k; SUB G: kl. 8 Philos. IV 6835 Figken, Benedict: Historia Fanaticorum. Oder eine vollkomne Relation und Wissenschafft von den Alten Anabaptisten und Newen Quaeckern … Dantzig: Verlegung des Autoris. 1664. BSB M: Exeg. 462 Beibd. 1 Fincelius, Jobus: Wunderzeichen. Warhafftige beschreibung und gruendlich verzeichnus schrecklicher Wunderzeichen und Geschichten/ die von dem Jar an M. D. XVII. bis auff jtziges Jar M. D. LVI. geschehen und ergangen sind/ nach der Jarzal. Jhena: Roedinger. 1556. SB B1: N 4405 Rara [Flacius Illyricus, Matthias]: Eine entschueldigunng Mathiae Flacij Illiricy/ an einen Prafherr. Item desselben/ was da sey die Kirchen verlassen odder nicht verlassen. Item zween Trewme Philipp … o. O. 1549. SLUB D: Hist.eccl.E.261,4 – Epistola Apologetica Matthiae Flacij Illiryrici ad quendam Pastorem. Item Dvo Somnia Philippi. o. O. [Magdeburg] o. D. [1549]. BSB M: Res/Polem. 3040,4 – Von der h. Schrifft und jrer wirckung/ widder Caspar Schwenckfeld … Magdeburg: Michael Lotther. 1553. BSB M: 4° Polem. 1232 – Verlegung des unwarhafftigen ungegruendten berichts Hansen Funckens/ von der Osiandrischen schwermerey. o. O. o. D. [1554]. BSB M: Res/4 Polem. 3344,20 – Gründtliche verlegung etlicher newer Donatistischer schrifften des Stenckfelts … Nuernberg: Johann vom Berg unnd Ulrich Newber. 1555. SB B1: 2 in: Cs 7720 Rara – Gründliche ver legung aller schedlichen Schwermereyen des Stenckfelds/ zu unterricht und warnung der einfeltigen Christen … o. O. o. D. [Magdeburg 1557]. SB B1: 3 in: Cs 7720 Rara; BSB M: Polem. 1001 Fludd, Robert: Utriusque Cosmi, Maioris scilicet et Minoris, metaphysica, physica, atque technica Historia. Bd. 2: De supernaturali, naturali, praeternaturali et contranaturali microcosmi historia. Tractatus primi, Sectionis II, Portio III: De animæ memorativæ scientia, quæ vulgo ars memoriæ vacatur. http://digital.slub-dresden.de/sammlungen/ titeldaten/277597579/. Franck, Sebastian: Chronica zeitbuech unnd Geschichtbibell von anbegyn bis in dis gegenwertig M. D. xxxvi. iar verlengt/ Darinn bede Gottes und der welt lauff/ haendel/ art/
497 wort/ werck/ thuen lassen/ kriegen/ wesen/ und leben ersehen un[n] begriffen wirt … [Ulm]: [Varnier]. 1536. SB B1: Px 7876a Rara – Die Guldin Arch darein der kern und die besten hawptsprüch/ der heyligen schrifft/ alten Lerer vnnd Väter der Kirchen/ Auch der erlaeuchen Heyden vnnd/ Philosophen/ … verfasset und eingeleybt seind … Augspurg: Steyner. 1538. SB B1: 4° Cs 6694; SUB G: 4 TH TH I, 662/43; HAB W: A: 352 Theol. 2°; HAB W: H: G 60.2° Helmst. (1); HAAB W: 4, 1: 25; ULBSA H: AB 65124; LBMV S: Ob V 5,4925 – Handbüchlin/ Siben Haubt Puncten auß der Bibel ge zogen und zusamen bracht/ darin[n] angezeygt ist/ leben und todt/ Himel unnd Hell … Item von der Bekerung und Buß der Sünder darzu gemacht. Franckfurth: Cyracus Jacob zum Bart. 1539. HAB W: 1183.3 Theol. (1) Frankivs, Io. Christianvs: Svb rectoris magnificentissimi Regii Principis Serenissimi Friderici Avgvsti Sax. Electoratvs Heredis Dissertationem pnevmaticam De animae divinandi facvltate … Vitembergæ: Literis Crevsigianis. [1713]. SUB G: Diss. 248, 8 Freudius, Michael: Gewissens-Fragen von Processen wieder die Hexen Insonderheit denen Richtern hochnoetig zuwissen … Gustrow: Christian Scheippel. 1667. HAB W: 48. 1 Jur. (6) Freytag, Johann: Kurtzer Bericht von der M ELANCHOLIA H YPOCHONDRIA ca. Nebenst zwoelff Curiosen Fragen/ und einer Analogia er grossen Welt mit der kleinen. Darbey deß Wundersteins der Weißheit und Reichthumbs nicht vergessen wird. Franckfurt am Mayn: Caspar Roetel. 1643. SStB A: Med 1328 – Bericht Von der M ELANCHOLIA Hypochondria. Franckfurt am Mayn: Zunner. 1644. SStB A: Med 1328 Fridrich, Sigemund: Von wunderlicher Verzueckung etlicher Menschen/ Welche bißweilen mit Leib und Seele/ Bißweilen allein mit der Seele one den Leib/ an diesen und jenen Orth verzueckt werden/ Und wohin? Auch was sie daselbst sehen und sagen. Alles voller seltzamer Historien … Neben einem kurtzen Appendice von Treumen/ was daruon zu halten sey? … o. O. 1592. HAB W: 26 Phys. (5) Friedtlieb, Christian Warner [Warner, Christian]: Prudentia Politica Christiana, Das ist: Beschreibung einer Christlichen/ Nuetzlichen und guten Policey/ wie dieselbe beschaffen sein solle/ auch mit Gottes huelffe in gutem Zustandt erhalten werden koenne: Durch Vergleichung deren mit dem Menschlichen Coerper und dessen vornembsten Gliedmassen und Eigenschafften. Goßlar: Voigt. 1614. SB B1: Nb 9230 Rara; FLB G: Th 8° 03055 (01); BSB M: Pol.g. 983, Beibd. 1; HAB W: 95.7 Pol.; HAB W: 107.10 Pol. (1); HAB W: O 315 8° Helmst. – Hamburg: Venus. 1634. HAB W: O 316.8o Helmst. Fröschel, Sebastian: Von den Heiligen Engeln. Vom Teuffel. Und des Menschen Seele. Drey Sermon/ Mit des Herrn Philippi Melanthon Definition und erklerung. Witteberg: Lorentz Schwenck. 1563. SB B1: Cx 150a Angeb. 3; BSB M: Exeg. 391 Frommann, Johann Andreas: Hypotyposis Juris Furiosorum singularis quam Deo ter opt. max. miserabilium eiusmodi personarum defensore justissimo dirigente. Tubingae 1655. HLB W: N 5004 (36) – Argentinae: Staedel. 1656. HLB F: RW B 35/30 Galen: De symptomatum differentiis liber unus. Eiusdem de symptomatum causis libri tres, T. Linacro interprete. London: Pynson. 1524. BSB M: Film R 360–79. Gallus, Nicolaus: Proba des Geists Osiandri von der rechtfertigung/ durch die eingegossne wesentliche gerechtigkeit Gottes. Magdeburgk: Lotther. 1552. HAB W: 511. 32 Th. (12) – Von[n] Irrthum[m]en un[n]d Secten Theses und Hypotheses/ das ist gemeine erwiesene Sprueche/ auff gegenwertige zeit und hendel gezogen/ zu erhaltung wares verstands/ unser Christlichen Augspurgischen Confession/ und absonderung der Secten Dieser zeit noetig … Jhena: Rewart. 1558. SB B1: 23 in: Dm 3 Rara Gauckel, Johann Faust: Dritter Theil: D. Johann Fausten Gauckel Tasche. Von allerley unerhoerten/ verborgenen/ listigen KunstStuecken/ Geheimnuessen und Erfindungen/ dadurch ein Mensch Traeum außlegen/ weissagen/ verschlossene Thueren oeffnen/ Podogra vertreiben/ Ehebrecher und Hurer erkennen/ sich selbst auff etliche Elen groesser/
498 unsichtbar und Eysern machen in andere Gestalt verwandlen/ Donner unnd Blitz erwecken/ Schlangen versamlen und vertreiben/ Tauben/ Fisch und andere unzehliche/ unglaubliche/ sonderbare/ beides lustige und nuetzliche Stueck zu wercke richten kan … o. O. 1621. HAB W: 138. 12 Med. (4) Gedanken von dem Einfluße des Coerpers in die Seele und der Seele in ihren Coerper. Langensalza: Joh. Christian Martini. 1771. BSB M: Anthr. 42 p Geier Joh., Christoph: I. N. I. Schrifftmäßige Engels-Probe. Das ist: Unterschiedener vornehmer/ Hochgelahrter reiner Lutherischer Theologen geistreiche und in Gottes Wort gegruendete Judicia und Bedencken Was heutiges Tages von Englischen Gesichten und Erscheinung zu halten? Ob ihnen zu trauen? solche zu begehren/ und zu hoeren? Bey Gelegenheit des Von Weynachten biß aufs Johannis-Fest In einer Tauben-Gestalt erschienenen Geistes oder vermeynten Engels zu Ober-Crossen im Uhlstaedtischen Kirch-Spiel … Jena: Johann Meyer. 1695. UB G: Th. Pol. 148/1, 55 Der Geist J OHANNIS III. verstorbenen Koenigs in Polen/ Nebst andern Traum-Gesichtern Des R ATIO S TATUS : als die II. C ONTINUATION Der Polnischen Begebenheiten vorgestellet durch C ASSANDERN . Breßlau [1697]. HAB W: Go Kapsel 3 (19); BSB M: 4 Eur. 385, 74; SLUB D: 6.A.9159, angeb.14; ULBSA H: AB 152985 (13); ULBSA H: AB 153203 (10); ULBSA H: AB 153732 (42) – Breßlau: Seydel. 1697. FLB G: Hist 8° 5707/1 (32); ULBSA H: AB 155201 (14) Geistlichs Tagwerck. Oder Form unnd Weiß sein Gewissen taeglich zuerforschen ehe man schlaffen gehet/ fuer die Weltlichen Personen fuernem[m]lich angestellt … Ingolstatt: Haenlin. 1620. BSB M: Asc. 2635 Angeb. 2 Geller, Ernst: Melancholeÿ/ worinn Die schluepffrige Unbestaendigkeit des Gluekks/ Die anmuhtige Lust des Fruehlings/ Die gefaehrliche Veraenderung des Kriegs und Siegs/ Die unbewaegliche Standhafftigkeit im Umfall/ und endlich/ Das feste Vertrauen der Hoffnung/ Neben/ Vielen andren nuetz- und ergetzlichen Sachen in gebundener Rede fuergestaellet/ und mit fueglichen Anmerckungen erklaeret/ wird. Dreßden 1659. HAB W: Wa 1607 Gemma-Frisius, Cornelius: De naturae divinis characterismis … Antwerpen 1575. BSB M: Phys.g. 135–1/2 Gerber, Christian: Geistlicher Himmels-Wagen/ Gottseeliger Alten Bestehend/ I. IN Morgen- und Abend-Seegen/ auch andern Gebeten/ auf allerhand Zufaelle vor alte Personen: II. In einen Vorrath von heiligen Nacht-Gedancken bey Schlafflosen Naechten/ III. In einer ausfuehrlichen Beschreibung des Alters/ mit seinen Pflichten und Trost … Dresden: Joh. Jacob Winckler. 1702. HAB W: Th 919. – Theologisches Bedencken und deutliche auch in GOttes Wort gegruendete Antwort/ Auff die wichtige Frage: Ob die Seele eines Glaeubigen/ nach dem Abschied von dem Leibe/ alsobald zu Christo in die ewige Freude komme/ GOTT schaue/ und also noch vor dem Juengsten Tag die Seeligkeit geniesse? … Franckfurth: Johann Jacob Winckler. 1705. SUB G: Th. thet. II 676/5 Beibd. 1 Gericke, Peter: De Insomniis, Resp., Carolus Fridericus Uden, Med. Diss. v. 29. Dez. 1742. Helmstadii: Schnorr. 1742. HAB W: Mx 94 (18) Gerlach, Johannes Gerlach: Status animæ separatæ, Ex Lumine Naturali succincte & perspicuè … Coloniæ ad Spream: Typis B. Georgii Schultzens Viduæ. 1685. SB B: 4 in: Bd8603 Gesner, Conrad: Physicarum Meditationum, annotationum & Scholiorum lib. V. Tiguri: Froschover. 1586. SStB A: 2 Phil 39 Gespraech Zwischen Orthodoxo Und Alethophilo, Von Ketzern und Ketzerischen Schriften/ Pro memoria aufgezeichnet und allen Verstaendigen zu beurtheilen uebergeben von H. B. o. O. o. D. HAB W: Ts 61 (38) Gewissens-Buch: Von Processen Gegen die Hexen An Alle Hohe Obrigkeiten in Teudtschlandt auß nothtringenden motiven geschrieben […] Jetzo in die Teudtsche Ubergesetzet Durch Johan Seiferten … Bremen: Koehler. 1647. HAB W: 697. 63 Th. (1) Gigas, Johannes: Von Schwenckfeldes Schwermerey und Calumnien/ eine Predigt. Budissin: Wolrab. 1569. BSB M: Polem. 3130c
499 Glanvil [Glanvill], Joseph Ranulph: Saducismus triumphatus, Oder Vollkommener und klarer Beweiß Von Hexen und Gespenstern Oder Geister-Erscheinungen … Hamburg: Gottfried Liebernickel. 1701. SBB1: 8° N 8673; SUB G: 8° Phys I, 353; SUB G: MC 8 Phys I, 353 (Mikrofiche); SUB G: MA95–111:217; HAB W: M: Hr 137 (2); HAB W: M: Hr 167; HAB W: XFilm 1:217; FSB H: 171 K 5; UB G: 520/Hd 157 adn 2; HAAB W: 3, 7: 15 [b]; UFB E: Phil. 8° 00321a/05; SUB H: A/152188; SUB H: a 1946/2392; SUB B: ja 4113–217; UB K: Film 827–217; UB O: 9890–692 5:217 Glaubens-Bekaentnues Vom Sathan, Das ist/ Was ein jeder Christ vor Erkaentnues vom Sathan haben muß und zu glauben noethig hat … o. O. 1699. SB B1: Cx 6325 Goclenius, Rudolf: YXO OIA: hoc est, De Hominis perfectione, animo, et in primis ortu hujus, commentationes ac disputationes quotundam Theologorum & Philosophorum nostræ ætatis, quos versa pagina ostendit … Marpurgi: Ex Officina Typographica Pauli Egenolphi. 1594. BSB M: Ph.sp. 316 – Propositiones has de anima cum cæteris appendicibus, Dei ter optimi maximi avxilio: Et M. Rod. Goclenii in inclyta Hassorvm Acad. Professoris celeberrimi praesidio, Publicè ad libram philosophicam revocandas propono Engelhardvs Wagenervs Allendorph. Sodanus, Hassus, 5. Idus Decrembris. Marpvrgi: Ex officina Caspari Schefferi. 1598. SB B1: Ah 8953, Nr. 101 Rara Goclenius, Rudolf d. J.: Apologeticus pro Astromantia Discursus. Marpurgum 1611. BSB M: 4 Astr.p. 163 Gödelmann, Johann Georg: Tractatus de magis, veneficis et lamiis deque his recte cognoscendis et puniendis, in tres libros distributus. Francofurtum 1591. BSB M: 4 Crim. 60 Goettliches Wunder-Buch/ Darinnen auffgezeichnet und geschrieben stehen/ I. Himlische Offenbahrungen und Gesichte/ einer gottfuerchtigen Jungfrawen auß Boehmen/ vom Zustand der Christlichen Kirchen/ derer Erloesung/ und schrecklichen Untergang jhrer Feinde … o. O. 1629. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (15) Goldschmid, Peter: Hoellischer Morpheus, Welcher kund wird Durch Die geschehene Erscheinungen Derer Gespenster und Polter-Geister … Hamburg: Liebernickel. 1698. HAB W: M: Hr 170; HAB W: XFilm 1:221; SUB G: MA 95–111:221 (1132) – Verworffener Hexen- und Zauberer-Advocat. Das ist: Wolgegruendete Vernichtung Des thoerichten Vorhabens Hn. Christiani Thomasii J. U. D. & Professoris Hallensis, und aller derer/ welche durch ihre Super-kluge Phantasie-Grillen dem teufflischen Hexen-Geschmeiß das Wort reden wollen … Hamburg: Liebernickel. 1701. SUB G: MA 95–111:221 (1133) Goldwurm, Caspar: Wunderwerck und Wunderzeichen Buch. Darinne alle fuernemste Goettliche/ Geistliche/ Himlische/ Elementische/ Irdische und Teuflische wunderwerck/ so sich in solchem allem von anfang der Welt schoepfung biß auff unser jetzige zeit/ zugetragen und begeben haben/ kuertzlich unnd ordentlich verfasset sein/ Der gestalt vor nie gedrucklt worden. Franckfurt am Mayn: Zephelius. 1557. HAB W: S:Alv.:El 223 (2); BSB M: Res/4 H. misc. 105 – Wunderzeichen: Das ist/ Warhafftige Beschreibunge aller fuernemen/ seltzamen/ ungewoenlichen/ Goettlichen und Teuffelischen/ guten und boesen/ heilsamen und verfuehrischen zeichen/ gesichte unnd mißgeburt/ so von anfang der Welt im Himmel/ Lufft/ Wasser und Erden/ wider den gemeinen lauff der Natur auß sonderlichem rath des Allmechtigen Gottes/ zu warnung des Menschlichen Geschlechts geoffenbaret … Franckfurt am Mayn 1567. SUB G: 2° Hist. un. I, 1583. Goulart, Simon: Schatzkammer/ UberNatuerlicher/ Wunderbarer und Woldenckwuerdiger geschichten und faellen/ so sich jnner abgeloffener hundert jaerigen/ auch unserer zeit/ begeben und zugetragen … Jetzt aber gemeinem Nutz zum besten/ menniglich zur Warnung: Lehr und besserung: In unser Teutsche sprach uebergesetzt … Straßburg: Ledertz. 1613. HAB W: 459.1 Hist. Graebner, Paul: Prognosticon und Erklaerung/ Uber den Anno 1618. erschienenen Comet Stern/ dessen Operation sich biß in Anno 1640. erschrecket/ Von Veraenderung der hoechsten Potentaten und Herren der Welt/ und vom Untergang deß Tuerckischen Kaeysers. o. O. [Magdeburg] 1632. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (23)
500 Grave, Georg: YPNO OIA, Das ist/ Etliche Fragen und darauf gethane Antworten von dem Schlaf darinnen Unterricht gegeben wird/ nicht allein was der Schlaff sey woher er entstehe/ was vor Nutzen er bringe/ sondern auch was noch mehr bey dem selben zu betrachten sey? … Jena: Bielcke. 1688. SLUB D: Diaet. 513 Gratian, Balthasar [Baltasar Gracián y Morales zugeschrieben]: Politische Traeume/ Auff jetzige Zeiten/ Auß der Spanischen Sprach ins Hochteutsch uebersetzet Von Georg Martzi. Franckfurt am Mayn: Erythropel. 1692. SUB G: MA 88–57:599 (1683); HAB W: Microfilm 1:599; SUB B: ja 4111–599; UB K: Film 842:599; UB O: 9890–691 2:599 Grezel, Wolfgang: Christliche betrachtung/ der Goettlichen Miracul und Wunderwerck Jesu Christi/ und aller Reysen/ so der Ewige Sohn Gottes/ von seiner Menschwerdung/ biß auff sein heyligs Leyden/ Sterben/ Aufferstehung und Himmelfahrt vollbracht hat … Augspurg: Schultes. 1595. HAB W: A:218.8 Quod. (1); BSB M: Res/4 Asc. 1231,6 Grim, Joh. Caspar: Ein außerlesenes Hand-Buechlein/ oder rare und sonderbahre Artzneyen/ so wohl innerlich als aeußerlich mit grossen Nutzen zugebrauchen/ Ehemahls zusam[m]en getragen und durch Huelffe beruehmter Medicorum practiciret von der hochseel. Verstorbenen Hochgebohrnen Graeffin von Kent in Engelland/ welches daselbst 9.mahl aufgeleget worden/ Jetzo aus dem Englischen in das Hochteutsche uebersetzet … Leipzig: Joh. Caspar Meyer. 1700. SLUB D: Diaet. 694 Grimmelshausen, Hans Jacob: Simplicianischer Zweykoepffiger R ATIO S TATUS , lustig entworffen Unter der Histori des waidlichen Koenigs Saul/ des sanfftmuetigen Koenig Davids des getreuen Printzen Jonahtæ [sic]/ und deß tapffern Generalissimi Joabi. Nuernberg: Felßeckern. 1670. HAB W: Lo 2306; BSB M: Rar. 570 Groß und Neu-vermehrtes Traum-Buch/ Darinnen man Naechtliche Gesichte oder Traeume der Menschen nach Art und Lehr der Indianer/ Persianer/ Egyptier/ auch der Uhr-Alten beruehmten Araber deutlich erklaeret und außleget/ und mit vielen aus Apomasaris und anderen fuertrefflichen Philosophen warhafft befundenen Außlegungen vermehret befinden wird … Hamburg: Arnold Lichtenstein. 1677. HAB W: QuN 396 (3) Gross, Jacobus: Summarischer Inhalt des Geistreichen Propheten Daniels/ Von desselben Denckwuerdigen unnd Warhafftigen Propheceyungen auff diese unruhige Hochbetruebte letzte Zeiten der Welt. Hamburg: Jacob Rebelein. 1638. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (29) Groß, Johann Georg: Christliche Predigt/ Von dem Wahrsagen/ der Aberglaeubigen. Gehalten Zu S. Leonhardt/ in Basel … Basel: Johann Jacob Genaths. o. D. [1619]. SLUB D: Theol. ev. asc. 449.f, misc. 12 [Große, Henning]: Magica. Seu mirabilium historiarum de spectris et apparitionibvs spiritibus … Eisleben: [Hörnig]. 1597. SB B1: N 5940 – M AGICA , Daß ist: Wunderbarliche Historien Von Gespensten und mancherley Erscheinungen der Geister/ von zauberischen Beschwerungen/ Beleidigungen/ Verbiendungen und dergleichen Gauckelwerck. Item von Oraculis Verkuendigungen und Weissagungen zukuenfftiger dinge/ Von Treumen/ Gesichten unnd Offenbarungen … Eißleben: Grosianus [Bartholomaeus Hörnig]. o. D. [1600]. UBG: gr 8° Phys I, 683; SB B1: N 5948 – Verworffener Hexen- und Zauberer-A DVOCAT . Das ist: Wolgegruendete Vernichtung Des thoerichten Vorhabens Hn. Christiani Thomasii J. U. D. 1 Professoris Hallensis, und aller derer/ welche durch ihre Super-kluge Phantasie-Grillen dem teuffelichen Hexen-Geschmeiß das Wort reden wollen … Hamburg 1705. SUB G: 8° Phys I, 353:3 Gotthart, Justus: Q. D. B. V. Dissertatio philologica secunda De Dæmonibus, quam indultu ampliss. Facult. philosophicæ in vicem prioris pro loco d. XXIX. Octobr. anno M DCC VII. Lipsiæ: Goez. o. D. [1706]. SUB G: 8° Philos. V 4276, 2 Grügerner, Michael: M ATERIA P ERLATA . Das ist: Edle und bewehrte Artzeney/ Wider Malum Hypochondriacum, Miltz-Kranckheit/ oder windige Melancholey genannt … Regenspurg: Dalnsteiner. 1676. HAB W: Xb 2469
501 Grün, Johannes: Liber de anima Dn. Philippi Melanthonis in diagrammata methodica digestus … Vitebergae: Simon Gronenbergius. 1580. SB B1: 4° Nn 1316a Rara; HAB W: A: 125.1 Quod. 2° (3); HAB W: S: Alv.: Nb 39 (5) 2°; SStB A: 2 Phil 39, Beibd. [Grünbeck, Joseph]: Ain nutzliche betrachtung der Natürlichen/ hymlichen und prophetischen/ ansehungen aller truebsalen angst/ un[n] not/ die über alle staende/ geschlech te/ und gemainden der Christenhait/ in kurtzen tagen geen werden. Augspurg: Hanns Schoensperger. 1522. BNU S: B. 112. 004 Rés.; BNU S: R. 104. 515 Gualtperius, Othonus: De astrologorum prognosticis & quae illorum certitudo cum sacris literis conveniens? Marpurgum: Egenolphus. 1591. BSB M: 4 Diss. 1078; BSB M: 4 Polem 2260 Beibd. 3 Haenichen [Haenisch], Daniel: Scala Jacobi, Das ist: Die wunderbare Farth oder Leiter/ welche dem Patriarchen und Ertzvater Jacob im Traum fuerkommen/ jhme/ Christi des newgebornen Jesuleins Person/ Ampt und Wolthaten anmuthig und troestlich fuergebildet … Leipzig 1615. SLUB D: Theol. ev. asc. 255.b, misc. 1; SLUB D: Theol. ev. asc. 255,1; FLB G: Theol 4° 864/5 (1) – Leipzig: Lamberg. 1615. HAB W: Th. 1100; FLB G: Theol. 4° 864/5 (1) Haller, Albrecht von: Anfangsgruende der Phisiologie [sic] des menschlichen Koerpers, Aus dem Lateinischen uebersezt von Johann Samuel Haller. Erster Band: Die Faser; die Gefaesse; der Umlauf des Blutes; das Herz. Berlin: bei Christian Friedrich Voß. 1759. BSB M: Res. Anat. 196–1 – Elementa physiologiae Corporis Humani. Bd. 5. Sensus Externi Interni. Lausannae: Bousquet. 1763. BSB M: 4 Anat. 86–5 [Hamelmann, Hermann]: Der Teufel selbs/ Das ist/ Warhafftiger/ be stendiger und wolgegruendter bericht von den Teufeln/ Was sie sein/ Woher sie gekomen/ Und was sie teglich wircken … Ursel: Henricus. 1568. SB B1: 8° Cx 6260; SB B1: 8° Cx 6260
Hammer, Matthæus: V ISIONES / Oder Offenbahrungen/ Auch sonderliche WunderZeichen So vor der Leipzigischen Haupt-Schlacht/ als zu Prag/ Gravenwerth in der ObernPfaltz/ Sunderburg/ in der Graffschafft Oldenburg/ zu Sagan in der Schlesien … o.O. 1632. HAB W: 48. 2 Pol. (23); SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (20) [Harsdörffer, Georg Philipp:] Mr. D U R EFUGE Kluger Hofmann: Das ist Nachsinnige Vorstellung deß untadelichen Hoflebens/ mit vielen lehrreichen Sprüchen und denkwürdigen Exempeln gezieret … Franckfurt/Hamburg 1655. SUB G: 8° Polit. II, 3447; BSB M: Ph.pr. 373 m Hartung, Nicolaus: Kurtze/ einfeltige/ aber doch Christliche Leichpredigte/ so bey dem Begrebnis/ des Edlen/ Erbarn und Ehrntugentsamen Jungfrewleins/ seligern Dorotheae Kotzen … Magdeburg: Johan Francken. 1585. HAB W: Alv. V 418 (9) Hauber, Eberhard David: Bibliotheca, acta et scripta magica. Gruendliche Nachrichten, und Urtheile Von solchen Buechern und Handlungen, Welche Die Macht des Teufels in leiblichen Dingen betreffen … Lemgo: Meyer. 1741. HAB W: M: Hr 187:3; HAB W: Microfilm 1:397 Haugk, Jörg: Ain christlich ordenung aines warhafftigen Christen zü verantwurtten die ankunfft seines glaubens. o. O. [Wittenberg: Lufft.] o. D. [ca. 1525]. BSB M: 4 Asc. 441; BSB M: 4 Asc. 442 [Helfta, Gertrud von]: Fund grueb/ Der gaistlichen gnaden: Darinn/ Die Gottliebende Seel findet die Süeßsigkait Goettlichs trosts/ und wie sich noch mehr in Lieb Gottes mag enzündet werden/ dann auch den Weg/ dardurch man kompt zue sein selbst erkantnus … Thierhaupten: Closter. 1597. SB B1: Na 6468 Helmont, Johann Baptista van: Ortvs medicinæ. Id est, Initia physicæ inavdita. Progressus medicinæ novus, in morborum ultionem, ad vitam longam. Amsterodami: Elzevir. 1648. UB Gi: G H 369 5a); MPIWG: Sources II [Hennicke, Friedrich August von]: Als Graf von Hennicke die schöne Perlebsch nahm, und der gehabte Traum, zu der Erfuellung kahm, So wolte seine Pflicht gehorsamst darzu schencken, Ein treu ergebner Freund/ Der Wachend voll von DenKen. Dresden: Johann Christoph Krause. [1746]. SLUB D: 1.B.8629, Angeb. 16
502 Hennings, Justus Christian: Von Geistern und Geistersehern. Leipzig 1780. BSB M: Phys.m. 84. – Von den Traeumen und Nachtwandlern. Weimar: Hoffmann. 1784. BSB M: Anthr. 55 b. [Herbst, Nikolaus Friedrich]: Vernunft- und schriftmaeßige Anmerkungen ueber die gegenseitigen Gruende/ fuer und wider den Seelenschlaf, welche theils in dem Sendschreiben des Hrn. Abt Seidels, theils in der ihm entgegen gesetzten Abhandlung eines Ungenannten/ von eben dieser Sache enthalten sind. o. O. 1756. HAB W: Mt 178 [Herder, Johann Gottfried von]: Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Traeume. Riga: Hartknoc. 1778. HAB W: Vc 43; SLUB D: 1.A.537,angeb.2; BSB M: Ph.sp. 355y [Hermanutius, Laurentius]: Antidotum, Gewisse Artzney/ wider die Kranckheit der Seelen/ jetziger zeit Irrthumben und Ketzereyen/ auffs kuertzest allen liebhabern der Warheit/ zu nutz und ewiger Wolfahrt/ zugericht. Von newem gebessert und gemehrt … Prag: Michael Peterle. 1587. SB B1: 2 B 86 Rara Hermetischer Rosenkrantz/ Das ist: Vier schoene/ außerlesene Chymische Tractaetlein … Hamburg: Michael Pfeiffer. 1682. BSB M: Alch. 103 c Beibd. 2 Heupoldt, Bernhardt: Ein Künstlich/ Lustig unnd sehr Kurtzweylig Loßbüchlin. Sampt Einer angehenckten Tafel von Träumen/ darinnen zuerkündigen/ was uff jeden tag die Träum zubedeuten. Vor niemals gesehen/ und jetzt erstmals in truck gegeben, Durch Bernhardt Heupoldt der Lateinischen Schul bey S. Anna in Augspurg Præceptorem. Franckfurt 1595. GNM N B: 8° Nw 3093 Das Hexen Buch. Der Ander Theil. Von den Bezauberten/ verunreinigten und verblenten/ wie jnen zu rathen/ Item/ wie man die Zauberer unnd Gifftbereiter straffen/ wie man auch mit den Hexen oder Unholden handlen solle. Erstlichen durch D. Johannem Weyer in Latein beschrieben/ nachmalen verteutscht von Johanne Fueglino/ und jetzt widerumb nach dem Original ubersehen/ und mit einem nuetzlichen Register gemehret. Franckfurt am Mayn: Peter Schmidt. 1569. SB B1: N 7549–2 Heydenreich, Karl Heinrich: Psychologische Entwickelung des Aberglaubens und der damit verknüpften Schwärmerey. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. 1798. SUB G: kl. 8° Philos. IV 7244; SB B2: N 1416 Hillig, Joh. Ambrosius: Anatomie der Seelen darinne derselben Logicalische und Moralische Natur des Verstandes, Willens Mental-Gedaechtnis der Phantasie, Affecten, Sensual-Gedaechtnis des Leibes, so fern er moraliter in die Seele wuercket, der Welt welche in die Sitten einfließet, nebst einer Betrachtung G OTTES , in dem wir leben und sind. Leipzig: Georg. 1737. SUB G: k. 8 Phil. IV, 582 (1); BSB M: Ph.sp.364c Himmelfart/ Eines verzuckten Jesuwiters/ etc. Allen Liebh der warheit/ die Bepstische Irthumb zuuermeiden/ zu sonderrem wolgfallen und lehr/ in gebundene Reimen verfasset … o. O. 1586. HAB W: Alvensleben Ec 47 (6) Historia revelationvm Christophori Kotteri, Christinæ Poniatoviæ, Nicolai Drabicij. & qvæ circa illas variè acciderunt, usqve earundem Anno 1657 publicationem, & post publicationem … o. O. 1659. BSB M: Res. 4° Phys. m. 28 Beibd. 1 Hoffbauer, Fridericvs Wilhelmvs: Qvaestionem an natvrali Homines polleant vaticinandi facvltate? … Halæ Magdeburgicæ: Christian Henckelii. [1698]. SUB G: Diss. 248,6 Hoffman, Daniel: Antwort auff D. C HRISTOPHORI P EZELII Predigers zu Bremen/ falsch gebrauchte Gruende: Worbey man eigentlich die rechten Sacramentirer und Schwermer kennen sol … Helmstadt. Jacobus Lucius. 1589. SLUB D: Theol. ev. pol. 1297 m, misc. 3; SLUB D: Theol. ev. pol. 1259 Hoffman, Melchior: Prophetische gesicht un[n] Offenbarung/ der goetliche[n] würckung zue diser letste[n]zeit/ die vom .xxiiij. jar biß in dz .xxx. einer gottes liebhaberi durch den heilige[n] geist geof fenbart seind/ welcher hie in disem buechlin. lxxvij. verzeich net seindt. o.O. 1530. BSB M: Rar. 4109, Beibd. 6; BSB M: Fiche Rar. 4109, Beibd. 6 Hoffmann, Friedrich: Disputatio physica, De imaginationis natura ejusque viribus … Præse M. Fridericus Hoffmann/ Regiom. Borussus. Respondente Magno Petro Olde-
503 kop/ Ex Insulâ Livonus. Ad diem 7. Maji Anni 1687. Jenæ: Krebs. [1687]. SUB G: Diss. 248, 13 – De Somnambulatione. Resp.: Johannes Christophorus Hofsteter. Halæ Magdeburgicæ: Zeitler. o. D. [1695]. HA B W: Mx 93 (23) – Philosophische und Medicinische Untersuchung Von Gewalt und Wuerckung des Teufels/ In/ Natuerlichen Coerpern. Franckfurt/Leipzig 1704. UBG: 8 Phil V, 4276 (11) Hoghelande, Theobald van: De Alchemiae difficultatibus Theobaldi de Hoghelande Mittelburgensis Liber, Coloniae Agrippinae, Apud Henricum Falckenburg, 1594. HAB W: A: 121.2 Phys. (1); HAB W: H: QuH 127.4 (1); FB G: Math 8° 00911/01; TULB J: 8 Alch.20(1); SB B1: 4° Mu 2256; BSB M: Alch. 84 – Von den Irrwegen der Alchemisten, Aus dem Lateinischen uebersetzt von Joh. Hippodamo Chemsco. Franckfurt am Mayn 1600. BSB M: Res / 4 Alch. 110,3 Hollonius, Ludovicus: Somnium Vitæ Humanæ, Das ist: Ein Newes Spiel Darin/ Aus einer lustige[n] geschicht von Philippo Bono, für hundert unnd acht unnd dreissig Jahren/ einem Weisen/ Fromme und Mechtigen Hertzogen der Burgunder unnd Niederlaender etc. Gleich in einem Spiegel gezeiget wird/ das unser zeitlichs leben mit all seiner Herrligkeit nur ein nichtiger und betrieglicher Traum sey. Alten Stettin: Rheten. 1605. HAB W: Xb 5243 Rara Hoppendsted, Helmodus: V ISIO E ZECHIELIS de ossibus redivivis. Das ist/ Daß wunderbare und trostreiche Gesicht von den zerstreweten und verdorreten/ und wiederumb zusammengebrachten und lebendiggemachten Todtenbeinen: Welches der Sohn Gottes dem Propheten Ezechiel im Geist hat sehen lassen … Braunschweig: Andream Duncker. 1627. HAB W: J 71c. 4° Helmst (23) Horapollo, Fasanini Filippo: Hieroglyphica, interpr. Phil. Phasianino. Bononia 1517. BSB M: 4 A.gr.b. 788; BSB M: Fiche 4 A.gr.b. 788 Horst, Gregor: De Natura humana libri 2 … Francof. a. M.: Berger/Kempfer. 1612. HAB W: 36. 2 Phys. [Horst, Jacob]: Jacobii Horstii Zwey Buecher: Eins [De aureo Dente maxillari pueri Silesii, Dt:] Von dem güldenen Zahn so einem Knaben in Schlesien gewachsen … Vorhin im Latein geschrieben, Jetzt … verdeutscht Durch Georgium Coberum. Das Ander [De noctambularum Natura, Dt:] Von den Nachtwanderern welche im schlaff umbgehen … Leipzig: Voegelin. 1596. HAB W: 115. Phys. (1). 2. Ex.: Mn 7 Hossmann, Abraham: D E NATURA ET NATIVITATE HOMINIS , Das ist: Natuerlicher Geburhts lauff der Menschen Kinder/ welcher durch Christliches bedencken erklaeret wird … Altenburg: Henning Gross der Aelter. 1613. SUB G: Hist. un. I, 1303:2 – Utilis nocturnorum somniorum consideratio. Das ist: Christlicher/ hochnoetoger/ und nuetzlicher Bericht/ von den naechtlichen Traeumen der Menschen/ so einem bey der Nacht fuerzukommen pflegen … Leipzig: Johan Eyering und Johan Perfert. 1613. SB B1: Na 4951 Rara; SB B1: 5 in: Fw 8811 Rara; BSB M: 40.3861; SLUB D: Magica. 163 Huber, Samuel: Erklaerung des grossen Abentheurlichen Abentheurs/ Welches die Wuertzburgische Jesuiter/ ob und mit einer Legion Teufeln/ in einem beseßnen Schmidknecht/ zu Heidingsfeld/ im Bistumb Wuertzburg/ getriben unnd fuer ein Wunderwerck außgeben haben … Tuebingen: Georg Gruppenbach. 1590. HAB W: S:Alv.:Ec 47 (2); HAB W: A: 193.2 Theol. (1); HAB W: A:223.4 Theol. (5); SB B1: 4° Dg 9040 – Christliche Predigten/ Uber den CXXIX. Psalm Dauids. DArinne[n] angezeiget wird/ wie die Caluinische Schwermer/ der Kirch zu Wittemberg/ unnd im gantzen Churkreiß/ seyen mit jhrem Heillosen Pflug uber den Ruecken gefahren … Wittemberg: Wolffgang Meißner. 1594. SLUB D: Theol. ev. pol. 348 Hume, David: Philosophische Versuche über die Menschliche Erkenntniß … nach der 2. vermehrten Ausgabe aus dem Englischen uebersetzt und mit Anmerkungen des Herausgebers [Johann George Sulzer] begleitet. Hamburg u.a.: Gaud u.a. 1755. BSB M: Opp. 597–3,2. Hunnius, Nicolaus: Außfuehrlicher Bericht/ Von Der Newen Propheten/ (die sich Erleuchtete/ GOttesgelehrte und Theosophos nennen) Religion/ Lehr unnd Glauben/ damit der
504 Satan die Kirche Gottes auffs newe zu verunruhigen sich unterstehet … Luebeck: Valtin Schmalhertz. 1634. SB B1: Cs 1570 Ibn-Sirin, Ahmad: Apomasaris Apotelesmata, sive De Significatio et eventis insomniorum … [Übersetzer: Johannes Leunclavius]. Francofurti: AndreasWechel. 1577. HAB W: 62. 2 Phys. (2); SB B1: Na 4846 Ibn-Sirin, Mûhammad [Abu-Ma’sar Ga’far Ibn-Muhammad Ibn-Umar al-Balhi]: Traumbuch Apomasaris, Das ist: Kurtze Außlegung und bedeutung der Traewme/ nach der Lehr der Indianer/ Persianer/ Egypter unnd Araber … Erstlich auß Griechischer Sprach ins Latein bracht/ durch Herr Johan Lewenklaw/ jetzund aber dem gemeinen Mann so das Latein nicht verstehet/ zum besten verteutschet/ etc. Wittemberg: Paul Helwig. o. D. BM P: 4° 15 934 – Franckfurt: Kämpffer, 1645. BSB M: Oecon. 13–1/2 Beibd. 1; UB L: VII 6066 – Traumbuch Apomasaris, Das ist: Kurtze Außlegung unnd Bedeutung der Träume/ nach der Lehr der Indianer/ Persianer/ Egypter und Araber … In: Johannes Colerus: O ECONOMIA R VRALIS ET DOMESTICA / Hiebeuor von Johanj Colero beschrieben. o. O. 1651. UB L: Ökon. 67-z:2 – o. O. [Maintz] 1665. SUB G: Alt. 96 C 2 Rara – Bd. 2. 1680. SLUB D: ZwB Forstwissenschaft – o. O. 1692. UB L: Ökon. 68:2 Der Im Traum entzuckte F ONTANAROSA Oder dessen Gethane Reiß/ In die Andere Welt/ Worinnen/ Er aus besonderm Fuerwitz die drey Cardinaele Richelieu, Mazarin und Portocarero durch Hoell/ Himmelreich und Fegfeuer gesuchet/ nirgends aber/ als endlich durch Entdeckung des Lucifers im Berge Caucaso gefunden/ da eben von ihnen ein Send-Schreiben an den Grossen Ludwig abgefertiget wurde. o. O. o. D. [ca. 1711]. SB B2: Qk 3466; BSB M: Res4/ Ded.145.a, Beibd. 37 In lateinisch und teutsch gebundner Red-Art Vorgestelltes Traum-Gesichte/ In welchem sich zeiget/ Der durch Sanct Peter von der Himmels-Porten abgewisene Frantzoß … o. O. o. D. [ca. 1650]. BSB M: Res. 4° P. o. lat. 756, 34 Indagine, Johannes ab [Hagen, Johannes von]: Chiromantia. Argentoratum 1531. BSB M: Res/2 Anthr. 4. Ioannis Lodovici Vivis Valentini de Anima & vita Libri tres. Eivsdem Argvmenti Viti Amerbachii de Anima Libri IIII. Philippi Melanthonis Liber vnus. Hic accedit nunc primùm Conradi Gesneri de Anima liber, sententiosa breuitate, velutique per tabulas & aphorismos magna ex parte conscriptus, philosophiæ, rei medicæ ac philologiæ studiosis accommodatus: in quo de tactilibus qualitatibus, saporibus, odoribus, sonis, & coloribus, copiose accurateque tractatur. Tigvri: Gesner. o. D. SB B1: Nn 1416 R; SStB A: Pjil. 4008, Beidr. 1 Irenäus, Christoph: Wasserspiegel. Eisleben 1566. BSB M: Asc. 2596 – De monstris: Von seltzsamen Wundergeburten … o. O. [Ursel] 1584. BSB M: Res/4 Anat. 103 [Jäger, Johann Wolfgang]: Theologia naturalis Sive Controversiæ illustres De Deo, prout Naturaliter Cognoscibili, Adjecta est Doctrina de Angelis & Anima Separata. Tubingæ: Impensis Philiberti Brunni. Typis Joh. Henrici Reisi. 1684. SB B1: Na 1715; SLUB D: 6. A. 958, misc. 14 verfilmt; BSB M: 4 Diss. 2218 Beibd. 36/37; SStB A: Stw 8562 Beibd. – L ARVA MENDACI LUCIS ANGELO DETRACTA . Das ist: Entdeckung des Lugenhafften Geistes des Satans/ wie er sich in einen Engel des Liechts verwandelt Vorgestellet In einer warhafftigen und gruendlichen Erzehlung dessen/ was sich mit Christina Regina Baderin Die sich vieler Goettlichen Visionen faelschlich geruehmet/ zugetragen … Stuttgart: Lorber. 1700. BSB M: 4 Diss. 2218 Beibd.36 Jan Josephs Traum/ Welchem beygefugt ist ein Gesprech angehend den Traum zwischen ihme und einem Gommaristischen Prædicanten … o. O. 1620. HAB W: 862. 6 Th. (3) Johannis Gersonis/ Ehemahls Fuernehmen Theologi zu Paris, Zwey fuertreffliche Tractaetchen: Die Wahrafften Erscheinungen von den Falschen zu unterscheiden/ Und die Geister zu pruefen … Helmstaetdt: Georg-Wolffgang Hamm. 1692. HAB W: QuN 547 (1)
505 Juditium oder Urtheil von C. Schwenckfeldts Leere und dem innhalt seiner buecher … o. O. o. D. SB B1: 6 in: Cs 7716 Rara; BSB M: Res. Catech. 381,6 Julian, Ancerme: De l’Art et ivgement des songes & visions nocturnes. Auec la Physionomie des Songes & visions fantastiques des personnes, & l’exposition d’iceux selon le cours de la Lune. Lyon 1619. HAB W: 150. 15 Physica. Kampff, Johann: Wunderbare Weissagung/ und Propheceyung/ Uber das Koenigreich Boehmen/ und andern benachbarten Laendern … Aus dem Boehmischen in hoch Deutsche Sprache ubergesetzt/ und in Druck gegeben Von M. Abrahamo Schoenwettern/ Pragensem; Jetziger Zeit vertriebenen Exul. Prag: Sessen. 1631. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (17) Karlstat, Andreas von Bodenstain von: Ain Sermon von dem stand der Christglaubige[n] Seelen von Abrahams schoß und Fegfeür der abgeschydnen Selen. Wittenberg [/Augspurg: Nadler.] 1523. BSB M: 4 Hom. 339 Keßler, Johann Elias: Detectus ac a Fuco Politico Repurgatus Candor & Imperium indefitim, vastum & immensum Rationis Status, Boni Principis, das ist Reine vnd vnverfaelschte Staats-Regul/ Christlicher Staats-Fuersten vnd Regenten … Nuernberg: Hoffmann. 1678. BSB M: Pol.g.466 Kirchbach, Petrus: Nachdencklicher und goettlicher Wunder-Traum, Welchen F RIDERICUS III Sapiens/ Churfuerst zu Sachsen/ in der Nacht vorher war der 30. October, da D. M. L UTHERUS gleich darauff den 31. ejusdem Anno 1517. Seine Theses wieder Tetzels Ablaß-Kram zu Wittenberg angeschlagen … Leipzig: Zschau. 1717. SLUB D: Biog. erud. D. 1612,88 Kircher, Athanasius: Ars magna sciendi, in XII libros digesta, qua nova & universali methodo per artificiosum combinationum contextum de omni re proposita plurimus & propre infinitis rationibus disputari, omniumque summaria quaedam cognitio comparari potest. Amstelodami: Waesberge & Weyerstraet. 1669. MPIWG B: Rara Großformat 00–3421 – Amstelodami: Jansson. 1669. SStB A: 2 Phil 43 [Kirchner, Timotheus, Nikolaus Selnecker, Martin Chemnitz]: Das die zwey und vierzig Anhaltische Argument/ wider der Ubiquisten Trewme/ noch fest stehen … Zerbst: Schmidt. 1584. HAB W: S 75 Helmst. 4° (4); SB B1: Df 7016; SLUB D: Theol.ev.pol.52.f,misc.1 Kisner, Johannes: Disputatio academica De imaginatione ejusque viribus. Quam Jehova Clementer Annuente Amplissimo Senatu Philosophico permittente in almâ Salana. Sub Præsidio viri præ-clarissimi Dn. M. Johannis Christophori Hundeshagen/ Molhusa-Thuringi … Jeniæ: Bauhofer. 1665. SUB G: Diss. 248,12 Knobloch, Tobias: De facultatibus animae disputatio philosophica. Witebergae: Meißner. 1602. HAB W: H: G 141. 4° Helmst. (38) – De anima in genere, eius definitionem, originem, sedem & immortalitatem. [Resp.:] Nicolaus Olschlegelius. Witebergae: Gorman. 1607. HAB W: 46. 18 Med. (2, 21); HAB W: Mx 247 (1, 21); SStB A: 4 Med. 35 Beibd. – De facultatibus animae in genere & de facultate vegetativae [Resp.:] Ioannes Ientschius [Jentsch]. Wittebergae: Gorman. 1607. HAB W: 46. 18 Med. (2, 22); HAB W: Mx 247 (1, 22) – Disputationes anatomicæ explicantes mirificam corporis humani fabricam & usum … Witebergæ: Typis Cratianis, per Iohannem Gorman, Impensis Pauli Helwigij. 1608. HAB W: A:46.18 Med. (2); SStB A: 4 Med. 35, Beibd. – Disputationes anatomicae et psychologicae … [Wittenberg]: Helwigius/Meisner. 1612. HAB W: 92. 14 Phys. (2); HAB W: Mx 349 (1); SLUB D: Anat.A.378; SLUB D: Hist.nat.A.758.x,misc.2; FLB G: Med 8° 47/1 (3); FLB G: Med 8° 47/4; ULBSA H: Ub 662 a; UB Gr: Ua55; SStB A: Med. 2350 Knopf, Johann: V ERA M AGISTRATUS PY IDEA . Das ist Hell-Polierter R EGENTEN -S PIEGEL Fuer Alle Christliche Ober-Herren/ und Gottfuerchtige Unterthanen … Quedlinburg: Ockelin. o. D. [1667]. HAB W: Th 1464 (2) – Das ist/ Wachsames Regenten-Auge/ Oder/ Kurtzer Abriß trewer Christlichen Obrigkeit/ Wie nemblich dieselbe sich recht zuerzeigen/ damit sie jhr Ambt wohl fuehren/
506 und also nechst Gott ein gutes Gewissen behalten moege … Quedlinburg o. D. [1668]. HAB W: Th 1464 (3) – Gehorsamer Rubeniter/ Oder/ Auffmercksahmes Unterthanen Ohr/ Das ist/ Schrifftmaessige Betrachtung frommer und getreuer Unterthanen/ wie dieselbige nach dem loeblichen Exempel der unterthaenigen Rubeniter Ihrem Josuæ, oder einer jeglichen Obrigkeit sollen gehorsamb seyn/ zuthun alles das jenige/ Was ihnen Christbilliger weise geboten/ und dagegen zu lassen was ihnen ernstlich verboten wird … Quedlinburg: Ockell. o. D. [1669]. HAB W: Th 1464 (4) – Wachsames Regenten Auge; Und Auffmercksahmes Unterthanen Ohr! Oder Vera Magistratus pii Idea, i. e. Hell-polierter Regenten-Spiegel/ Darin[n] so wohl Christliche Obrigkeit/ als Gottfuerchtige Unterthanen/ sich taeglich koennen besiegeln/ und durch fleissiges Einsehen/ jhre beyderseits Ambts-Pflicht und schuldige Gebuehr erlernen … o. O. [Quedlinburg: Ockell] o. D. [ca. 1670]. HAB W: Th 1464 (1) Knutzen, Martin: Philosophische Abhandlung von der immateriellen Natur der Seele, darinnen theils ueberhaupt erwiesen wird, dass die Materie nicht denken koenne und dass die Seele uncoerperlich sey, theils die vornehmsten Einwuerffe der Materialisten deutlich beantwortet werden. Aus dem Lateinischen uebersetzet. Koenigsberg: Hartung. 1744. MPIWG B: 98–525 Deß Koenigs in Franckreich Traum/ Sammt dessen Auslegung. o. O. o. D. BSB M: 4 Gall.g. 96 Beibd. 8 Krüger, Johann Gottlob: Gedanken vom Caffee, Thee und Toback. Halle im Magdeburgischen: Carl Herrmann Hemmerde. 1743. BSB M: M.med. 533q – De Somnio morborum patre et filio. [Resp.:] Georg[ius] Christoph[orus] Scheibnerus. Helmstadii: Schnorr. 1754. HAB W: Mx 90 (2) – Traeume. Halle im Magdeburgischen: Hemmerde. 1754. HAB W: Lo 4062; SB B1: Yy 5011 – Versuch einer Experimental-Seelenlehre. Halle/Helmstaedt 1756. MPIWG B: Sou III K94v – Traeume. Halle im Magdeburgischen: Hemmerde. 21758. UB M: 8° Maassen 2786 – Mit einer Vorrede von Joh. Aug. Eberhard. Halle 1785. BSB M: P. o. germ. 777 d Kunat, Andreas: Theses adversus Balth. Bekkerum circa operationes daemonum in lobro, quem vocat Die bezauberte Welt … Wittebergae: Literis Hakianis. 1697. SLUB D: Coll. diss. A. 66, 21; SLUB D: Magica. 138, 12; SLUB D: Coll. diss. B. 45, misc. 68 Die Kunst, sich durch Traeume gluecklich zu machen. Aus dem Franzoesischen uebersetzt. Breslau und Leipzig: Johann Ernst Meyer. 1775. BSB M: Phys.m. 125 Ein Kurtze vnderweysung wie man bychte[n] sol: gezogen vß der wolmeinu[n]g Martini Luther. Basel: Adam Petri. 1519. SB B1: Luth. 594a Kurtze Untersuchung Von Kobold In so ferne gewisse phænomena unter diesem Nahmen Dem Teuffel zugeschrieben werden Auff Veranlassung einer besondern Begebenheit Wobey ueberhaupt von denen Sichtbaren Wuerckungen des Teuffels in und durch die natuerlichen Coerper gehandelt … Roterdam 1719. BSB M: Res. 4° Phys. m 100, Beibd. 1 Kurtzer Bericht/ Daß die Jenigen/ so sich Lutherisch nennen/ im wenigsten nicht/ wie sehr sie sich auch eines solchen beruehmen/ bey der Ordnung und den Worten der Einsatzung deß Abendmals deß H ERREN Christi verbleiben … Beyneben/ Einer kurtzen und einfaeltigen Errinnerung/ Daß sich ein Christ der die Warheit erkannt und angenommen hat/ deß Namens S CHWERMER und anderer derogleichen … Heildeberg: Abraham Smesman. 1591. SB B1: Be 2610a Angeb. 3 La Mothe Le Vayer, François: Du sommeil, et des songes. In: Œuvres de François de La Mothe Le Vayer, Conseiller d’Etat, &c. Nouvelle Edition revuë & augmentée. Tome II partie II. Pfœrten/Dresde: Groell. 1706. BN F: Gallica Lang, Rudolph: Die von mir auf das hoechst gebrachte Natuerliche Zauberey, Welche von vilen Tausend vor wuerckliche Zauberey ist gehalten und angesehen worden. 3 Bde. Augspurg: Caspar Mantz. 1740. BSB M: Res. Phys.m. 127 h-1 bis 3
507 Lange, Joachim: Bescheidene und ausfuehrliche Entdekung Der falschen und schaedlichen Philosophie in dem Wolffianischen Systemate Metaphysico Von GOtt, der Welt, und dem Menschen Und insonderheit von der so genannten harmonia præstabilita des commercii zwischen Seel und Leib … Halle: Buchladen des Waysenhauses. 1724. HAB W: Li 4748 [Lange, Johann]: Ain nützlicher Dialogus oder gesprechbuechlein/ zwischen aine[m] Münzerischen Schwermer un[n] aine[n] Eua[n] gelische[n] fru[m]men Bauern/ Die straff der auffruerischen Schwermer zue Franckehausen geschlagen/ belangende. o. O. [Augspurg: S. Ruff] 1525. SLUB D: H. Germ. B. 178,72; BSB M: Res/4 Eur. 332,25; BSB M: Res/4 Eur. 332,25a Lange, Samuel: Traum und Nacht-Gesichte/ und/ deßen erfolgete Deutung damit Er Die weyland WohlErbare und Viel-Ehren-Tugendreiche Matrone/ Frau Marien Elisabethen Eine gebohrne Bekkerin … Leipzig: Samuel Spoerel. [1667]. UB L: Fam. nob. et civ. 1093-i/31; FLB G: LP E 8° III,22 (45) Langen, Joachim: Lebenslauf, Zur Erweckung seiner in der Evangelischen Kirche stehenden, und ehemal gehabten vielen und wehrtesten Zuhoerer, Von ihm selbst verfaßet, und mit einigen Erlaeuterungen, auch eingeschalteten Materien, ausgefertiget … Halle/Leipzig: Francken. 1744. SUB: H. lit. biogr. IV 6700 Lappius Rhembdanus, Nicolaus: Scala Jacobæa: Das ist/ Die Himmels-Leiter Jacobi/ Aus dem 12. Vers. des 28. Cap. Genes. Bey der Christlichen unnd Adelichen Sepultur und Leichbestattung/ der weiland Edlen und viel Ehr und Tugendsamen Frawen Eleonoræ … Jehna: Johan Weidner. 1614. HAB W: Xa1:22 (19) Laurens, André Du: A discourse of the preservation of the sight. London: Jacson. 1599. BSB M: Film R 360–290 – De morbis melancholicis tractatus. In Latinam conversus studio T[homas]. Moundefordi/Londonum u.a. 1599. BSB M: Film R 360–1201 – Discovrs de la conservation de la veve: Des maladies melancoliques, des catharres, & de la vieillesse. Roven: Clavde Le Villain. 1608. HAB W: Me 23a – Reueuz de nouueau & augmentez de plusieurs chapitres. Paris: Iamat Mettayer. 1617. HAB W: 146.4 Phys. – Discursus de visus nobilitate et conservandi modo, A Ioanne Theodoro Schönlino … ex clariss. Andreae Laurentii … libello latio adscriptus. Monachi: Berg. 1618. BSB M: Path. 722, Beibd.1; BSB M: Path. 424, Beibd.2; BSB M: Anat. 387 y; BSB M: Anat. 388. – Discursus philosophicus et medicus de melancholia et catarrho, in quo de eorum differentiis, causis, signis, et curandi ratione accurate disseritur, a Ioanne Theodoro Schönlino. Ex Andreae Laurentij libello Latio adscriptus. Augustae Vindelicorum: Aperger u. a. 1620. BSB M: Path. 722, BSB M: Path. 1153 hm, BSB M: Pol.g. 469, Beibd.1. – Tovtes Les Oevvres de Me. André Dv Lavrens Sieur de Ferrieres, Con.er & premier Medecin du Tres-chrestien Roy de France & de Nauarre, Henry le Grand, & son Chancelier en L’vniuersité de Montpellier: Reveillies Et traduittes en francois Par Me. Theophile Gelée medecin ordinaire de la ville de Dieppe. Paris: Raphael dv Petit. 1621. HAB W: M:Li 2° 44 Lavater, Johann Kaspar: Aussichten in die Ewigkeit. 3 Bde. Zürich 21770–1773. BSB M: Film P 91.33–19401/19423 Lavater, Ludwig: De Spectris, lemuribvs et magnis atqve insolitis fragoribus … Genevæ: [Jean] Crespin. 1570. SB B1: N 5901; UB Gi: an Rara Kr 5/48 – Von Gespaenten unghüren/ faelen/ un[n] anderen wunderbare[n] dingen. Zürych: Christoffel Froschouwer. 1578. BNU S: B. 112. 357 – Schriftmaessiger Bericht Von Gespenstern/ Nachtgeistern/ mancherley wundersamen Erscheinungen/ und merkwuerdigen Vorbedeutungen … Zuerich: Bodmer. 1670. BNU S: B. 112. 360; SB B1: 50 MA 9212 Lazarus, Dyonisius: Tractatulus de Somnijs. Venetijs: Ex Typographia Rampazettana: 1606. HAB W: 104. 6 Phys.; SStB A: Pal 17a,4
508 Lead(e), Jane: Offenbahrung/ Der Offenbahrungen; Vornemlich/ Als ein Muster und Probe/ Zur Sieben Siegel sieben Donner und eigentlicher Beschaffenheit und Zustands des Neuen Jerusalems … Amsterdam 11695. BSB M: Exeg. 599 – Neue Offenbahrung der Fr. Jane Lead von Stepney am 6 Decembris 1695. o.O. 1696. BSB M: Res/4 Phys.m. 112,4 – Sechs Unschätzbare Durch Göttliche Offenbarung und Befehl ans Licht gebrachte Mystische Tractätlein … Amsterdam 1696. BSB M: Asc. 2777 – Der Himmlische Bottschaffter eines Allgemeinen Friedens: oder Eine dritte Bottschafft an die Philadelphische Gemeinde. Amsterdam: Wetstein. 1698. BSB M: Asc. 2777, Beibd.4 – Der Aufgang zum Berge des Schauens … Amsterdam 1699. BSB M: Asc. 2777, Beibd.2 – Die Nun brechende und sich zertheilende Himmlische Wolcke. Amsterdam: Wetstein. 1700. BSB M: Asc. 2777, Beibd.1. – Offenbahrung/ Der Offenbahrungen … Amsterdam: R. und G. Wettstein. 1718. SUB G: Theol. thet. I, 758/73 (2) – Ein Garten-Brunn Gewässert durch die Ströhme der göttlichen Lustbarkeit, und hervorgrünend in mannichfaltigem Unterschiede geistlicher Pflantzen, die durch den reinen Anhauch zu einem Paradiese Aufgeblasen, und nunmehro ihren anmuthig süssen Geschmack und starcken Geruch zur Seelen-Erquickung von sich geben. Oder Ein rechtes Diarium und ausführlich Tag-Verzeichnus alles desjenigen, was sich mit dieser theuren Autorin, in Ihrem hohen Beruffe vom Jahre 1670 her zugetragen … 4 Bde. Amsterdam: Wetstein. 1697–1701. BSB M: Asc. 2776–1/2 und Asc. 2776–3,1/2. Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, Der Heil. Schrifft Doctoris, Vormahls Professoris zu Rostock, nachgehends Predigers in Hannover an St. Egidii Kirche, darnach des Bischoffs in Luebeck Superintendentis und Hof-Predigers, endlich Superintendentis in Lueneburg … o. O. 1717. SUB G: 8° H. lit. biogr. IV 5915; SUB G: MM 95–153; BSB M: Biogr. C. 440 k Beibd.1 – o. O. 21719. BSB M: Biogr. 884 q Lebens-Beschreibung Johannis Wilhelmi Petersen, Der Heiligen Schrifft Doctoris … o. O. 1719. SB B: 8° Ct 3722; BSB M: Biogr. 884 q; SLUB D: Biogr. Erud. D 4796,1; UB M: 0001/8 H.lit. 2401; WLB S: MC Kirch. G. oct. 4184; WLB S: Kirch. G. oct. 4184; PG E: s224; USHI S: S Petersen 10; ESB T: 8° 3553; UB T: Kg 2058a; UB E: H00/THLVIII 411; UFB G: Biogr. 8° 00401/03 (01); UB G: 520/Fj 919; UB G: 520/Fj 919+2; FS H: S/THOL:XIII 465; ULB J: 8 Bud. Hist. Lit. 115 (1); ULB J: 8 Hist. Lit. IV, 40 (3); ULB J: 8 Hist. Lit. IV, 45 (7); UB R: Ff-3336.1; UB R: MK-14640.1; LBMV S: Iz II. 3053 Le Clerc, Jean: Reflexions sur ce que l’on apelle bonheur et malheur en matière de lotéries, et sur le bon usage qu’on en peut faire. Amsterdam: Gallet. 1696. BSB M: Ph.sp. 470 o. Le Loyer, Pierre: IIII. Ljvres des spectres ov apparitions et visions d’esprits, anges et demons se monstrans sensiblement aux hommes. Angers: Georges Neuveu. 1586. HAB W: 18. 3 Phys.; SB B1: 2 N 34; StB TW: W VI 16 8° – Discours et histoire des spectres, visions et apparitions des esprits … Paris: Nicolas Buon. 1605. SUB G: 8° Phys. I, 690 [Le Noble, Eustache]: Le songe de pasquin, O U L’ ETAT DE L’E UROPE AU BAL DE M ONTECAVALLO , En Décembre 1688. Rome: Francophile Alethophile. 1688. SUB G: 8° Poet. Dram. II, 5112 [Lemnius, Levinus]: Levini Lemnii medici Zirizæi Occulta naturæ miracula, ac varia rerum documenta, probabili ratione atque artifici coniectura duobus libris explicata, quæ studioso auidoq[ue] Lectori non tam vsui sunt futura, quàm oblectamento. Antverpiæ: Guilielmus Simo. 1559. MPIWG B: Landmarks of Science – Occulta naturae Miracula, ac varia rerum documenta, probabili ratione atque artifici coniectura explicata … Antverpiae: Simon. 1564. SB B1: Lg 35 568; SB B1: Lg 35 568
509 –
Occulta naturae miracula: Wunderbarliche Geheimnisse der Natur in des Menschen Leibe vnd Seel, auch in vielen andern natürlichen dingen, als Steinen, Ertzt, Gewechß vnd Thieren; Allen frommen Haußwirthen/ verstendigen Haußfrawen, fleissigen Naturkuendigern, guten Haußartzten/ liebhaber der gesundheit/ vnd gemeinem Vaterland zum besten/ nicht allein aus dem Latein in Deutsche Sprach gebracht/ sondern auch zum dritten mal vermehret/ vnd eines grossen theils von newen selbs geschrieben/ Durch Iacobvm Horstivm der freyen Künst und Artzney. o. O. [Helmstedt]: Voegelinus. 1605. SB B: HA 2 Tm 7670: E1534-E1536 – Das ist, Wunderbarliche Geheimnuesse der Natur in deß Menschen Leibe und Seel … Aus dem Lateinischen zum vierten mal vermehret/ und eines grossen Theils von newen selbs geschrieben/ Durch Iacobum Horstium … Franckfurth/Hamburg: Gut. 1672. SB B1: 7 L 1516 Lercheimer von Steinfelden, Augustin: Christlich bedencken und erjnnerung von Zauberey … Heidelberg: Jacob Müller und Heinrich Auenæ. 21585. SLUB D: Magica. 68, 15 m – Basel: Petri. 31627 (11584). HAB W: 82. 4 Phys. (2) Lessius, Lucas: Kurtze und Gruendtliche Verlegung auß Goettlichem Wort/ Dreyer Epicurischer Irthumb und Mißuerstand von der verstorbenen Seele des Menschen nach diesem Leben … Franckfurt am Mayn: Peter Braubach. 1557. BSB M: Polem. 2975 Beibd. 4 Libavius, And[reas]: D.O.M.A. Wolmeinendes Bedencken/ Von der F AMA , und Confession der Bruederschafft deß RosenCreutzes … Franckfurt: Egenolff Emmel. 1616. BSB M: H.g.hum. 59 Beibd. 5 Liceti, Fortunio: YXO OIA ANOPINH, siue de ortu animæ humanæ libri III. In quibus multa Arcana ac Secreta Naturae, tum de Semine, tum de Foetu, ut & assimilatione parentum & liberorum, panduntur ac reuelatur … Francoforti: Johann Saur. 1606. SB B1: Nn 1648; SB B1: 1 an: Bibl. Diez oct. 6207; FLB G: 03 – Ps. 8° 00048 (01); SUB G: 8 PHIL IV, 1716; HAB W: 459.10 Quod. (1); HAB W: 92.10 Phys. (5); SLUB D: Phil.B.1017 [Lichtenberger, Johannes]: Die weissagunge Johannis Lich tenbergers deudsch zugericht mit vleys. Sampt einer nutzlichen vorrede und unterricht D. Martini Luthers/ Wie man die selbige und der gleiche[n] weissagunge vernemen sol. Wittemberg: Hans Lufft. 1527. BNU S: B. 112. 065 Rés.; BNU S: R. 103. 052 Lindner, Cornelius: Dissertatio philosophica De imaginatione qvam Rectore Magnificentissimo … Gvilielmo Henrico Dvce Saxoniæ … Præses M. Cornelivs Lindnervs Ratisbonensis, Respondente Christ. Iacobo Oesterlino Ratisbonensi S.S. Theol. et philos. stvd. Ieniæ: Werther. 1719. SUB G: Diss. 248,11 Lipsius, Justus: Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, qui ad principatum maxime spectant. Lugdunum Batavorum: Plantin. 1589. BSB M: Pol.g. 525 – Von Unterweisung zum Weltlichen Regime[n]t: Oder/ von Burgerlicher Lehr/ Sechs Buecher Iusti Lipsii. So fuernemlich auff den Principat oder Fuerstenstand gerichtet … Erstlich durch den Autorn in Lateinischer Sprach beschrieben … Anjetzo aber … in unsere Hochteutsche Sprach, transferirt und ubergesetzet. Durch Melchiorem Haganæum, Churfuerstlicher Pfaltz Secretarium zu Amberg. Amberg: Forster. 1599. BSB M: Res/Pol.g. 1171 x. – Neustadt a H. 1618. BSB M: 4 Pol.g. 142 Löber, Christoph Heinrich: I.F.N.A. Historische Erzehlung und Bedencken von etlichen Offenbarungen/ So vor Goettlich haben wollen gehalten werden … Rudolstadt 1692. SB B1: 8 in: Cs 16001 Löhneyss, Georg Engelhard: Aulico Politica. Darin gehandelt wird/ I. Von erziehung und Information Junger Herrn. II. Vom Ampt Tugend vnd Qualitet der Fuersten und bestellung derselben Raeht und Officiren. III. Von bestellung der Concilien/ die ein Fuerst in seinem Lande haben mus … Remlingen 1625 (11622). BSB M: Res/2 Pol.g. 46 a; BSB M: 2 Pol.g. 46 a. Löscher, Valentin Ernst: Auserlesene Sammlung der besten und neuern Schrifften vom Zustand der Seele nach dem Tode … Dreßden: Sauereßig. 1735. SB B1: 8° Cz 2832
510 Lohenstein, Daniel Casper von: Grossmuethiger Feldherr Arminius oder Herrmann … 2 Bde. Leipzig 1689. BSB M: Film P 91.33-f 16507 Longolius, Johannes Daniel: Dissertatio medica inauguralis De organica intellectus humani ratione … in Academia Fridericiana Pro licentia Summos in Arte Medica Honores, Jura & Privilegia Doctoralia, rite ac legitime capessendi … Halæ Magdeb.: Chr. Henckelius. [1709]. SUB G: 8° Diss. 248, 5 Lorich, Jodocus: A BERGLAUB Das ist/ kurtzlicher bericht Von Verbottenen Segen/ Artzneyen/ Kuensten/ vermeinten Gottsdienst/ und andern spoettlichen beredungen/ darin vil Christen/ wissentlich oder unwissentlich wider das erst und ander gebott Gottes/ schwerlich unnd verdamlich suendigen. Von newem ubersehen und gemehrt … Freyburg im Preißgaw: Martin Boeckler. 1593. SB B1: N 825 Rara Lorry, Annaeus Carl: Von der Melancholie und den melancholischen Krankheiten/ Aus dem Lateinischen uebersetzt von M. C. A. W. [De Melancholia, Dt:] … 2 Bde. Frankfurt/Leipzig: Andreaeische Buchhandlung. 1770. HAB W: Mt 121 Lotichius, Petrus: S OMNIUM VATICINUM de Obsidione Urbis Magdeburgensis ex libro secundo, Elegiarum quarta desum[p]tum Anno 1561. Heidelbergæ excusso … o. O. 1631. HAB W: 67. 2 Pol. (14); HAB W: Yv 2444 8° Helmst. (22); SLUB D: Hist. Germ. C. 548, 111; ULBSA H: an Pon Yd 302 b (24); ULBSA H: an Pon Vc 4000 (5); BSB M: 4 Germ. sp. 290 l-6 – Erffurt 1631. SLUB D: Hist. Germ. C. 548, 108 – Erffurt: Hertz. 1631. SB B1: Te 7880; HAB W: Yv 148. 8 Helmst. (91); SLUB D: Hist. Germ. C. 548, 108; ULBSA H: an Pon Yd 302 b (25); ULBSA H: AB 67 5/c, 12 (4); ULBSA H: AB 67 5/c, 12 (4); ULBSA H: an Pon Yd 302 b (25); BSB M: 4 Germ.sp. 290 I-6; HAAB W: Aa: 628 [c] Stück 6 [Lucianus Samosatensis]: Eyn schöner warhafftiger Trawm Luciani des Kriechen verteuedtscht/ wider den grossen mißprauch Teudtscher Nation … übersetzt von Johann Musler. Nuermberg: Georg Wachter. o. D. [1530]. HAB W: P 928. 8° Helmst. (3); SLUB D: Theol.ev.cat.48,misc.16; SB B1: 8° Vy 1850; SB B1: vy 1851 Luden, Lorenz: De Informatione Prudentiæ ad usum liber, Partibus tribus, secundum tria Prudentiæ præcepta … Greifswald 1627. SB B2: A 5000; SB B2: A 5000 [Luder, Johann Gottlieb]: Merckwuerdiges Leben Des Durchlauchtigsten Fuersten u. Herrn, H ERRN Moritz Wilhelms, Hertzog zu Sachsen, Juelich/ Cleve und Berg, auch Engern und Westphalen etc … Franckfurt 21720. SB B1: Tf 7601–1/2 Lupsius, Jakob: Schatzkammer der Natur: Gruendliche Erklaerung Dreyer grossen Geheimnuessen Und Erstlichen/ Die Extractio der spiritualischen Mumiæ des Menschen und anderer Thier/ etc. Auch wie Sie zu Abwendung vieler Kranckheiten/ und anderer mehr Magischer operation ihrer Krafft und Wirckung unsichtbarlich vollbringen thut. Zum andern/ von dem grossen Mysterio Magico, des Baums Erkaentnueß Gutes und Boeses … Zum dritten/ Sonderbares jedoch Natuerliches Arcanum durch Traeume etwas zu erfahren … o. O. 1651. FLB G: Math 8° 817b/1 (1) – 1681. HAB W: Xb 5734; ULBSA H: AB 153 361 (3) verfilmt; ULBSA H: AB 40 29/h, 16 (1) – Grosses und sonderbares Traumbuch Darinnen die nächtlichen Gesichte und Träume der Menschen nicht allein nach den Grundsätzen der uralten berühmten Araber, Egyptier, und anderer Rabbinen deutlich erkläret und ausgeleget sondern auch mit den fleißigen und langwierigen Observationen des Apomasaris, Cardani, Artemidori, Senecii und anderer grossen Weltweisen bestätiget worden. Leipzig 21763. SUB G: DD 96 A 482; GNM N B: Nw 3089d Lux in tenebris. Hoc est Prophetiæ donvm quô Deus Eccesiam Evangelicam (in Regno Bohemiæ & incorporatis Provinciis) sub tempus horrendæ ejus pro Evangelio perseqvutionis, extremæqve dissipationis, ornare, ac paternè soladri, dignatus est … o. O. 1657. BSB M: Res. 4° Phys. m. 28 Lykosthenes [Wolff, Conrad]: Wunderwerck/ Oder/ Gottes unergründtliches vorbilden/ das er inn seinen gschoepffen allen/ so Geystlichen/ so leyblichen in Fewr/ Lufft/ Wasser/ Erden/ auch auß den selben vier urhaben/ in[n]eingfuegtem stuck dem Menschen …
511 Auß Herrn Conrad Lycosthenis Latinisch zuesam[m]en getragner beschreybung/ mit grossem fleiß/ durch Johann Herold/ uffs treüwmichst inn vier Buecher gezogen unnd Verteütscht [Prodigiorum Ac Ostentorum Chronicon, Dt.]. Basileae: Petri. 1557. HAB W: H:QuH 22.2 (1); HAB W: H:QuH 30.1 (1); BSB M: Res/2 H. misc. 14 Lysius, Johannes: Bescheidene Schutz-Schrifft/ Wider Die falsche Beschuldigungen Und unbescheidene Zunoethigungen/ damit der Wittenbergische Professor, Hr. D. Martinus Chladenius Seine neuliche Disputatio De Inspiratis sine Spiritu, angefuelet hat. Berlin: Christoph Gottlieb Nicolai. 1715. HAB W: Ts 61 (32) – Wahrhafftige Erzehlung Dessen/ Was daselbst mit einigen so genandten Inspirirten vorgegangen/ Auf Guthbefinden der Obern/ Andern zur Warnung und Vorsichtigkeit aufgesetzet … Berlin: Christoph Gottlieb Nicolai. 1715. HAB W: Ts 61 (31) Männlingen, Joh. Christoph: Außerlesenster Curiositäten/ Merck-würdiger TraumTempel/ Nebst seinen Denck-würdigen Neben-Zimmern/ Von allerhand Sonderbahren Träumen. Welche Durch die Auslegung der Zeit/ ihre Erklärung gefunden/ Aus Denckwürdigkeiten aber auffgezeichnet sind. Denen Liebhabern der Antiquität als auch Curiosität zum gefallen und Nutz/ Als einen vollkommenen L OCVM COMMVNEM , Mit galanten Beysätzen aufgeführet. Franckfurth und Leipzig: Bey Michael Rohrlachs / sel. Wittib und Erben. 1714. GNM N B: 8° Nw 3089 März, Angelus: Kurze Vertheidigung der Thaetigen Hex- und Zauberey/ wider eine dem heiligen Kreuz zu Schreyn nachtheilig-Akademische Rede … Freysing: Philip Ludwig Boeck. [1766]. BSB M: Res. 4 Hom. 1901–39 Beibd. 5 – Ingolstadt: Johann Karl Gran. o. D. [21766]. SUB G: 8° Theol. thet. 230/11:4; BNU S: B. 112. 392 – Urtheil ohne Vorurtheil ueber die wirkend- und thaetige Hexerey abgefasset von einem Liebhaber der Wahrheit. Sterzingen in Tyroll 1766. BSB M: Res. 4 Hom. 1901–39 Beibd. 5 – Vertheidigung wider die geschwulstige Vertheidigung der betruegenden Zauberkunst und traumenden Hexerey verfasset von einem Liebhaber der Wahrheit. o. O. 1767. BSB M: 4 Bavar. 1681–2,5; BSB M: Res. 4 Hom. 1901–39 Beibd. 4; BSB M: Res. 4 Phys. m. 113,10 – Vorgaengiger Versuch zu Erwuerkung eines Vertrages zwischen den in dem bisherigen Hexerei-Kriege verwickelten Gelehrten, Wie auch zum nutzbaren Unterrichte, wie man von der Zauber- und Hexerey weder zu wenig, noch zu viel glauben soll. Maynstrome 1767. BSB M: Res. 4° Phys.m. 113,9 [Mancini, Celso]: De Somniis, ac synesi per somnia. De risu, ac ridiculis. Synaugia Platonica. Ferrariae: Baldinus. 1591. HAB W: 33. 1 Phys.; BSB M: 4 Ph.u. 97, Beibd.2 – Francofurti: Palthenius. 1598. HAB W: N 101 8° Helmst. Manconi, Francesco: Uralt-approbirte, auf alle Lotterien anwendbare Auslegung aller Traeume. Eingerichtet nach dem Italienischen des weltbekannten Signore Francesco Manconi. Durchaus verbesserte Auflage. Linz: Linien- und Bilderdruckerey. o. D. [ca. 1750]. SB B1: Na 5116 Rara Mandat des Raths der Stadt Nürnberg an die Bürgerschaft, 16. Junij 1536. o. O [Straßburg] o. D. [1536]. BNU S: B. 112. 388 Massard, J]ean]: E XPLICATION de quelques S ONGES PROPHETIQUES , & THEOLOGIQUES Qu’il a plû à Dieu d’envoier à quelques D AMES REFUGIEES Pour nôtre instruction, & pour nôtre consolation, dans ces tems de deuil, d’iniquité, & d’ignorance, lesquels ont été réprésentez par les ténébres épesses de l’Egypte, comme par un type fort exprez. Amsterdam 1691. SUB G: 8° Phys. I, 1587 (2) Meier, Georg Friedrich: Gedanken von dem Zustande der Seelen nach dem Tode. Halle 1746. BSB M: Ph.sp. 142 Beibd.1 – Vertheidigung der Gedanken von Gespenstern. Halle 1748. BSB M: Phys.m. 175 Beibd.2 – Diss. philos. de somno morali, Ge. Frid. Meier. Def. Jo. Jos. Sucro, aut. Halae 1750. BSB M: 4 Diss. 704 Beibd.56 – Vertheidigung seines Beweises des ewigen Lebens der Seele und seiner Gedancken von der Religion. Halle 1752. BSB M: Ph.sp. 543 Beibd.1
512 – Abermalige Vertheidigung seines Beweises daß die Menschliche Seele ewig lebe. Halle: Hemmerde. 1753. BSB M: Ph.sp. 543 Beibd.2. – Georg Friedrich Meiers Beweis daß die Menschliche Seele ewig lebt. Halle: Hemmerde. 21754. BSB M: Ph.sp. 543 – Versuch einer Erklaerung des Nachtwandelns. Halle 1758. BSB M: Path. 1422,10. Meine Ahnungen und Traeume. In drei und zwanzig Thatsachen vorgestellt. Ein Beitrag zur Erfahrungsseelenkunde. Leipzig 1820. SUB G: 8° Phil. IV 9350 Meister Leonard [Pseud.]: Ueber die Schwermerei. Eine Vorlesung. Bern: Typographische Gesellschaft. 1775. SUB G: 8° Phil. IV 7287 – Ueber die Einbildungskraft in ihrem Einfluß auf Geist und Herz. Ganz umgearbeitete Ausgabe der beyden Schriften: Ueber die Einbildungskraft, und die Schwaermerey. Zuerich: Orell, Fueßli und Comp. 1795. SB B1: 3 in: X 2 Rara Melanchthon, Philipp: Commentarius de anima. Vittebergae: Seitz. 1540. HAB W: 115. 14 Phys. (1); SB B1: 2 in Ni 3989 – Epilogvs de Qverela somnii, sev dramatos oniropoletici catastrophe. Oo. O. [Basileæ: Oporinus.] o. D. [ca. 1554]. SB B1: Bt 74a Angeb. 3 – Liber de anima, recogn. ab autore. Vitebergae: Crato. 1560. HAB W: M 238. 8° Helmst. (2) Merkwuerdige Prophezeyhungen von dem jetzigen Zustande der vornehmsten Europaeischen Staaten … Coelln am Rhein 1760. SUB G: 8° H Germ. un. IX, 317: 26–26a Milich, Ludouicus: Der Zauber Teuffel. Das ist/ Von Zauberei/ Warsagung/ Beschwehren/ Segen/ Aberglauben/ Hexerey/ und manchetley Wercken des Teuffels … Franckfurt am Mayn 1563. BSB M: Res. Phys. 442 k – 21564. SB B1: Db 3231; SLUB D: 1.Fi.485-F3669/F3670 (Mikrofiches) Miracula Lutheri exorbitantis. Das ist: Wunder-Werck Des Teuffel austreibenden Martin Luthers. GedrVCkt zV. In DIeseM Iahr ChrIstI. o. O. o. D. BSB M: Res/4 P.o.lat. 749,13 Miracvla San-Raspini, Das ist: Historische Beschrei bung der Wunderli chen Mirackel oder Wunderwerck/ so in der weitberhuembten Kauff- und HandelStatt Amsterdam/ an einem Orth auff dem heiligen Weg gelegen/ so gemeiniglich das ZuchtHauß genannt wirdt/ an vielen fuergangen/ und noch taeglich fuergehen … o. O. 1614. HAB W: 50. 11. Pol. (12) Mira-Wundriorum Fasciculi, C ONTINUATIO I. Das ist: Ein Medicin-Politisch Bedencken/ Daß Dem Hertzog in Bayern Maximiliano, die Chur-Pfaltz zu restituieren, dann Selbige seinem eigen Herrn vorzuenthalten/ viel nutzlicher und rathsamer sey: Auch mit solcher allzeitigen Restitution, seinem vor Augen schwebenden grossen Schaden/ wolbedaechtlich und reifflich vorkommen/ und gar abwenden koenne/ moege und billich solle … o. O. 1624. HAB W: 218. 21 Quod. (26) [Mirus, Martin]: Des Hocherleuchteten Theologi, Herrn. D. Martini Miri … Geist- und Schrifftmaeßiges Bedencken … Ein nachdenckliches Gesicht vom Mitternaechtischen Loewen/ welches bereits in Anno 1583. einem Raths-Herrn zu Schmalkalden in unterschiedlichen Vorstellungen im Traum vorkommen … Dreßden: Johann Friedrich Schroetell. 1699. SLUB D: 3.A.10002, angeb.20; SLUB D: 7.A.1877,angeb.22 Deß Mitternaechtigen Post-Reutters/ Adeliches und untadeliches/ dreyfaches Paßport/ Darinnen seine bißher unterschiedliche abgelegte Frewdenposten … Weissagungen und Wunderzeichen außfuehrlich beglaubet unnd bestaercket werden. Magdeburg o. D. [1631]. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (19) Molinos, Michael de: Geistlicher Weg-Weiser/ Die Seele von den sinnlichen Dingen abzuziehen … In dieser dritten Ausfertigung aber mit einer Anleitung zu unanstoeßiger Lesung dieses Buchs vermehret Von Gottfried Arnold. Frankfurt: Joh. Christian Koenig. 1712. SB B1: Do 7968 Molitoris, Ulrich: Hexen Meysterei. Deß hochgebornen Fürsten/ Hertzog Sigmunds von Osterreich mit D. Ulrich Molitoris und herr Cunrad Schatz/ weiland Burgermeister zue Costentz/ ein schoen weiber/ hagel/ reiffen/ und ander ongefell/ den menschen zueschaden/ machen koennen. Auch sunst ihrem gantzen Hexen handel/ waher der kumpt/
513 und was dauon zuehalten sey/ Und zuem letsten/ das sie auß K. Rechten abzuethun seyen … o. O. 1544. BNU S: B. 112. 406 Rés.; BNU S: R. 104. 079 – Von Hexen und Unholden. Ein Christlicher/ nutzlicher und zue disen unsern gefaehrlichen Zeiten notwendiger Bericht/ auß Gotttes wort/ Geistlichen unnd Weltlichen Rechten/ auch sunst allerley Historien gezogen. Anfenglich vor 114. Jaren durch Vlricum Molitoris, von Costnitz der Rechten Doctor Lateinisch in form eines gesprechs/ gestellet und jetz newlich […] [t]rewlichst verteutschet/ und in gewisse Dialogos […] getheilet. Durch Conradum Lautenbach/ Pfarharrn zue Hunaweyler. o. O. [Costnitz] 1575 [Vorwort vom 10. Januar 1489]. BNU S: B. 112. 407 Rés.; BNU S: R. 103. 044 Monathliche Unterredung Von dem Reiche der Geister, Oder: Gruendliche Untersuchung von dem Wesen der Geister, deren Fall, und was dieselben fuer Eigenschaften vor und nach dem Falle bekommen … Leipzig: Samuel Benjamin Walther. 1731. SB B1: 1 in: N51 M ORPHEI Englische Schau-Buehne/ Oder/ Des Traumenden rationis status Curiose und Politische Schwaetz-Gesichter. Uber den gegenwaertigen Statum Engelands. Hg. von Iriniphilus Nugaeserius Freymund. o. O. 1690. SLUB D: Hist. Brit. B. 478,42; SLUB D: Hist. Brit. E. 319–1, misc. 7 Moscherosch, Hanß Michael: V ISIONES DE D ON Q VEVEDO . Wunderliche und Warhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. In welchen/ Aller Welt Wesen/ Aller Maenschen Haendel/ mit jhren natuerlichen Farben/ der Eitelkeit/ Gewalts/ Heuecherley und Thorheit/ bekleidet offentlich auff die Schauw gefuehret/ als in einem Spiegel dargestellet/ und von Maenniglichen gesehen werden. Straßburg: Mülben. 31643. GNM N B: 8° L 1982 h – Fünffter theill Visionu[m] Phillanders Von Sitterwalt/ Oder/ Satirische Gesichter Don de Queuedo. O. O. 1646. HAB W: 139. 20 Ethica – L ES V ISIONES De Don D E Q UEVEDO . S ATYRISCHE Gesichte Philanders vom Sittewalt. III und IIII theil. Leÿden: Adrian Wÿngarten. 1646. GNM N B: 8° L 1983; HAB W: 139.19 Ethica – L ES V ISIONES Don de Quevedo. S ATYRISCHE Gesichte. Philanders vonn Sittewalt/ Erster u: 2. Theil. Francofurti 1647. SUB G: Satirae I, 9030; HAB W: 139. 18 Eth. – Les visions De Don Qvevedo. Das ist: Wunderliche Satyrische und Warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald, 6, Darinnen Was sich so wol in Regiments- Politischen als auch Kriegs vnd vielen andern Sachen auch deren Verenderung … Durch Philanders gehabte Traeume … o. O. 1647. BSB M: P. o. germ. 954–6/7 – P HILANDER I NFERNALIS Vivo, Redivivus Apparens. Das ist: Seltzame Wunderbarliche/ Visiones, Formen, Gesichter und leiblicher Gestalt. Philanders von Sittewalt/ Jn welchen er nach toedtlichem Hintrit seinem Freund und eyß-Gesellen Experto Roberto erscheinen … Franckfurt: Schoenwetter. 1648. HAB W: 137.24 Eth. – Philander von Sittewald/ weitberuehmbten Ritters/ S OMNIVM SIVE I TINERARIVM H ISTORICO -P OLITICVM Von Wundergeschichten der Welt … [= Wunderliche … th. 6]. Franckfurt: Schoenwetter. 1649. HAB W: 139.20.1 Ethica – Gespräch zwischen dem Protector, Oxenstirn und Lilienström in den erebeischen Wohnungen auff jener Unter-Welt in Plutonis Residentz gehalten. o. O. [ca. 1650]. SLUB D: Hist. Suec. 385,28 – Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald/ Das ist/ StraffSchrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstaedt … Straßburg: Mülben/Städeln. 1650. GNM N B: 8° L 1984 – Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald/ Das ist/ StraffSchrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstaedt … 2 Bde. Straßburg: Mülben/ Städeln. 1650/1665. GNM N B: 8° Lö 243 – Philander von Sittewalt/ Visionum oder Gesichter: siebender und letzter Theil. Das ist: Seltzame Wunderbarliche/ Visiones, Formen, Gesichter und leibliche Gestalt. Philanders von Sittewalt/ In welchen er nach toedtlichem Hintritt seinem Freund und eyßGesellen Experto Roberto erschienen … Franckfurt: Schoenwetter. 1654. HAB W: 139. 20. 2.
514 Moses Mendelssohns Abhandlung von der Unkoerperlichkeit der menschlichen Seele. Izt zum erstenmal zum Druck befoerdert. Wien: Hartl. 1785. BSB M: Ph. sp. 573 Mueller, Herman: Anatome diaboli. Das ist: Christliche Michaels Gedancken/ von des Teuffels des Großfuersten Michaels unnd seinem streitenden Heer allhie in dieser Welt abgesagten unauffhoerlichen Feindes Ursprung/ Wesen und Wercken/ etc. Einfaeltigst in Teutsche Reimen verfasset. Luebeck: Schmalhertz. 1651. SUB G: 8° Philos. V 4276, 3 [Müller, Johann]: Quaecker-Grewel/ Das ist/ Abscheuliche/ auffruerische/ verdamliche Irrthumb der Neuen Schwermer/ welche genennet werden Quaecker/ Wie sie dieselbige in ihren Scartecken/ Allarm/ Standarte/ Pannier/ Koenigreich/ Eckstein/ und sonst schrifftlich und muendlich mit grossem Ergebnis außgebreitet … o. O. [Hamburg]: Michael Pfeiffer. 1661. SUB G: 8° H. E. E. 858/6; HAB W: 404. 1 Quod. (1); HAB W: Xb 115 (1); BSB M: Polem. 2212; ULBSA H: AB 59 935 (3); ULBSA H: AB 154 279 (2); BSB M: Polem. 2212 (verfilmt). Mvndi miracvla Oder Wunder Thier: Das ist Bericht von der Grossen Forcht/ welche dem Tuerckischen Kayser/ durch die zu Wien/ new entstandene Rittersleut/ genandt von der Heerscharen Jesu/ eingejagt/ und sein grosser Prophet Mahomet Wunderzeichen zuthun/ ja verursacht worden … Constantinopel 1619. HAB W: Alvensleben Ec 47 (11) Muratori, Ludovico Antonio: Della forza della fantasia umana. Trattato. Venezia: Pasquali. 41766. SUB G: kl. 8° Philos. IV 6858 – Ueber die Einbildungskraft des Menschen, Mit vielen Zusaetzen herausgegeben von Georg Hermann Richerz. Zwey Theile. Leipzig: Weygandsche Buchhandlung. 1785. SUB G: kl. 8 Philos. IV 6861 Musæus, Simon: Nuetzlicher Bericht/ unnd heilsammer Rath aus Gottes Wort/ wider den Melancholischen Teuffel/ Allen schwermuetigen unnd trawrigen hertzen zum sonderlichen beschwerten trost Labsall unnd Ertzney. o. O. 1569. SB B1: Da 5130 Angeb. 1 – Melancholischer Teufel/ Nuetzlicher bericht un[n] heilsamer Rath/ Gegruendet aus Gottes Wort/ wie man alle Melancholische/ Teuflische gedancken/ von sich treiben sol/ Jnsonderheit allen Schwer muetigen hertzen zum sonderlichen Trost gestellet. Tham in der Newenmarck [Neudamm]: Christoff Runge [d. Ä.]. 1572. SB B1: Db 3352 Rara – Speculationischer Teuffel/ Darin heilsamer Bericht und Rhat aus Gottes Wort zusamen gefasst/ und gezogen/ womit man die Melancholische Teuffelische gedancken von sich treiben sol/ Allen bekuemmerten und schwermuetigen Hertzen zu Trost. o. O. [Magdeburg: Simon Hüter] 1579. SB B1: Db 3353 Rara Musastræus dell Montunione [Pseud.]: Das an der Teutschen Colica Danieder liegende Franckreich … Freystatt 1690. HAB W: Xb 387; BSB M: 4 J.publ.e. 247; BSB M: Res/4 Eur. 382,22 Nach genauer Untersuchung/ Abgefassetes/ End-Urtheil/ In Sachen wegen D. Johann Wilhelm Petersen … o. O. 1692. SB B1: 6 in: Cs 16001 Naechtliche Gesichte/ Welches einem Teutschen/ der Kirchen des Roemischen Reichs und des Hauses Oesterreich besondern Liebhabern/ im Schlaaff fuerkommen/ Uber dieser/ neulich aus Franckreich herkommenden Propheceyung/ Gallus ab Hispana toti dominabitur Orbi … o. O. 1647. HAB W: Xb 3798 (3) Naturalia & prophetica de anima coeli omni attentione digna adversus Eckium examina. Lepida & litere undique concinna in psalmum beatus vir meditatio. Concisa & arcana de modo orandi in nomine tetragrammaton responsio. Naturalia et prophetica de anima coeli omni attentione digna adversus Eckium, in Paulus Ricius, Pauli Ricii Talmudica novissime in Latinum versa periocunda commentariola. Augustae Vindelicorum: Grimm/Wirsung. 1519. SStB A: 4 Jud 119 Nausea, Friedrich: Mirabilia, Libri mirabilium septem. Coloniae: Quentel. 1532. BSB M: 4 Polem. 2205 Beibd. 10 Nazari, Giovanni Battista: Il Metamorfosi metallico et humano. Brescia 1564. BSB M: 4 H.lit.p.167, Beibd. 1; BSB M: 4 Alch. 58; BSB M: Hbh/ Bs 870 – Della Tramutatione Metallica. Brescia. Marchetti. 1572. BSB M: Bibl. Sud. 765 – Della tramutatione metallica sogni tre. Brescia 1599. BSB M: 4 Eur. 123, Beibd. 2; BSB M: Res. 4 Alch. 48.
515 Nemesius: De Natura hominis liber utilissimus. Georgio Valla interprete. Lugduni: Gryphius. 1538. HAB W: 36. 4 Phys. – De Natura hominis liber unum. Nunc primùm & in lucem ed. & Lat. conversus à Nicasio Ellebodio. Antverpiae: Plantin. 1565. HAB W: 126. Phys. (1) Neue Schwarmgeister-Brut/ Oder Historische Erzehlung/ I. Von den Quakern … o. O. 1661. BSB M: Exeg. 462 Beibd. 2 [Neumark, Georg]: Davidischer Regentenspiegel/ Das ist/ Muhtmaßliches und unvorgreifliches Nachsinnen/ Was der Koenigliche Prophet David bey Auffsetzung seines 101. Psalms vor Gedancken muß gehabt/ und vor Gott ausgeschuettet haben … Jena: Sengenwald. 1655. HAB W: Ts 251 (3); SB B1: Yi 4101 Rara; SB B1: Eh 7444b Rara, Angeb. 5 – Christlicher Potentaten Ehren-Krohne. In derer erstem Theile/ Die viel-vermehrte Davidische Rede/ Oder ausfuehrliche Poetische Gedanken ueber den 101sten Psalm … Weinmar/Jehna: Mueller/Birkner. 1675. SB B1: Yi 4121 Rara New unerhoertes Wunderwerck Von einer Blind-Gesehenden/ welche viel sehende Blind gemacht hat. o. D. [Speyr] 1655. BSB M: Rar. 4311 Beibd. 66 Eyn newes Traum Büchlein. Von allerhandt Treumen/ auß heid nischen und Goetlichen geschrifften/ warhaff tige/ lustige und fabulische historien/ sampt Dani els des Propheten außlegung uber die Treum/ NebucadNezars des kuenigs zue Babi lonien. Dan. ij. iiij. vij. viij. Eyn Summarium des traums Scipionis auß dem vj. Buech Ciceronis vom Gemeinen Nutz. Straßburg: M. Jacob Cammerlander. o. D. [ca. 1535]. HAB W: N 97 Helmst. 4° (18) – 1538. BSB M: 4 Phys.m.114,2 Nicolai, Christopher: Qvaestio an mortvorvm animae sciant nvm relictis in his terris bene vel male sit? … Editio novissima. Lipsiae: Apud Christian. Schroetervs. 1742. SB B1: Bd. 8603–5 Nicolai, Ernst Anton: Gedancken von den Wuerckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Koerper. Halle: Carl Hermann Hemmerde. 1744. SB B2: 4 in: Nu 852 ; SB B2: 4 in: Nh 268 – Wirckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Coerper aus den Gruenden der neuern Weltweißheit hergeleitet. Halle: Hemmerde. 1744. SUB G: 8 Phil IV 6851 – Gedancken von den Wuerckungen der Einbildungskraft in den menschlichen Koerper. Halle: Carl Hermann Hemmerde. 21751. HAB W: Mt 199 Nifo, Agostino: De auguriis libri II … Ori Apollinis Niliaci de hieroglyphicis notis libri II … Basilea: Hervagius. 1534. SLUB D: Phil.A.260.b.misc.2; SLUB D: Lit.Graec. B.3061.m.misc.4; WLB S: HB 830 Nosseni, Johannes [Giovanni] Maria: Zeit Register Auff die S TATVAM N ABVCHODONORIS . Darinnen auch viel andere Figuren und Schrifften zu sehen/ welcher erklerung hernach zu befinden … Dresden: Hieronymus Schuetz. 1602. SUB G: Hist. un. I, 1303:1a – C HRONOLOGIA Und Beschreibung des grossen Bildes/ welches dem Koenig Nebuchadnezar im Traum erschienen/ dessen Bedeutung der Prophet Daniel offenbaret/ nach den vier Monarchien und fuernemsten Regimenten der Welt … Dreßden: Hieronymus Schuetz. 1611. SLUB D: 32.4.404; ULBSA H: AB 170 005 (1); HAAB W: 2° XVIII: 13 – Statua Nabuchodonosoris. Das grosse Bild, so dem Koenig Nebuchadnezar zu Babel im Traum erschinen/ dessen bedeutung der Prophet Daniel offenbaret und erkleret hat nach den vier Monarchien/ und fuernemsten Regimenten der Welt … Dresden: Hieronymus Schuetz. 1611. SB B1: 37 MB 1953; HAB W: 239.4 Hist. 2°; SLUB D: Hist.univ.A.152.m; ULBSA H: AB 170 005 (2); ULBSA H: AB 96 321 (2); UB L: Allg. Gesch. 28; HAB W: 239.4 Hist. 2° – C HRONOLOGIA Und Beschreibung des grossen Bildes … Dreßden: Hieronymus Schuetz. 1612. BSB M: Res. 2 Chron. 56 – Dreßden: Schütz. 1612. SB B1: 37 MB 1953; SLUB D: Hist.univ.A.152.m; SLUB D: 1. Fi.485-C414/C422 (Mikrofiches); ULBSA H: AB 96 321 (1); HAB W: 239. 4 Hist. 2°
516 Obsequens, Iulius: Prodigiorum liber ab urbe condita usque ad Augustum Caesarem Basileae. Oporinus. 1552. BSB M: A.lat.b. 1370 Oetinger, Friederich Christoph: Gedanken von den zwo Faehigkeiten zu empfinden und zu erkennen, und dem daraus zu bestimmenden Unterschiede der Genien. Frankfurt/Leipzig 1775. UB A: V.2 8° 349 Oheim, Johannes: De Incubo … Altdorffi: Typis Henrici Meyeri. 1678. GNM N B: 4° Nw. 3095 Oldecop, Justus: Observationes Criminales Practicae congestae et in quinque titulos … tributae. Bremae: Koehleri. 11654. SB B2: Fu 3821; SB B2: Fu 3821a; SB B2: Fu 3821b; UB K: Ka 3238; SUB G: 8 J CRIM III, 1910; HAB W: M: QuN 108 (2); ULBSA H: AB 58348 (1); Olearius, Johannes: Treuhertzige Warnung/ vor dem verfuehrrischen Geist der neuen Schwermer/ Offenbarungs-Traeumer und falschen Propheten … Leipzig: Johann Wittigau. 1669. SLUB D: Theol.ev.pol.600 – o. O. 1692. SLUB D: 3.A.10207, misc.1; BSB M: 4. Hom. 376 [Olvenstet, Jacob]: Von der Natuerlichen und erleuchteten vernunfft/ was nach der heiligen Goettliche Schrifft darvon zu halten/ Brevis Com-mendatio. Adornata in gratiam Nobiliss. viri, Heinrich Albrecht Muesingers von Frundeck … Magdeburgk: Wilhelm Roß. 1612. HAB W: J 268 i 4° Helmst. (21) O MINA Franckreichs Untergang betreffend. o. O. o. D. BSB M: 4 Gall.g. 96 Beibd. 7 Origanus, David: Astrologia Naturalis sive tractatus de Effectibus Astrorum absolutissimus. Massilia: Io. Baptiata Senius. 1645. SB B1: 4° Ok 3306; BSB M: 4 Astr.p. 322 d Osiander, Jo. Adamus: Dissertatio psychologica de transmigratione animarum humanarum ex suis corporibus in alia corpora … Tubingae: Typis Christiani Godofredi Cottae. [1749]. SB B: 3 in: Bd8603 Osiander, Lucas: De Enthusiasmo sive fictitis, imaginiariis, affectatis et deceptorijs, nostri huius & quorundam superiorum seculorum, Fanaticorum hominum, prætensis divinis (falsò sic dictis) Revelationibus, Disputatio … Tubingæ: Theodoricus Vverlin. 1623. BSB M: 4 Diss. 3437,33 P. R. O. A de Prague: L’abaissement de la France Presagé par le Songe de son Roi. Le Songe est ici expliqué selon sa vraye & naturelle signification, ainsi qu’on le peut voir en confrontant le Songe avec son interprétation. Prague: Le Roy. 1690. BSB M: Res. 4° Eur. 383,43 Pansa, Martin: Kurtzer Bericht Von der Melancholeykranckheit/ sonsten Melancholia Hypochondriaca genant/Darinnen die Beschreibung/Ursachen und Zeichen dieser Kranckheit klaerlich angedeutet werden: Deßgleichen wie man sich von deselbigen durch gute Diæt und ArtzneyMittel entledigen soll … o. O. o. D. SStB A: Med 1330,4 Par-novorvm I. Mirandum. Ist ein Offenbarung deß nie geoffenbarten jederman verschlossenen/ jetzt aber aller Welt endeckten Wunders. II. Rimandum … o. O. 1621. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (11) Partlicius, Simeones: Prognosticon divinum et verum, Das ist: Wahre und klare Propheceyung/ wie es noch in der Welt werde zugehen genommen auß dem grossen WunderBuche G OTTES / und dann auß etlicher Hochbegabter und Fuertrefflichen Maenner Schrifften … Alckmar 1635. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (27) Pellikanus, Konrad: Commentaria Biblioru[m], id est XXIIII. Canonicorum veteris testamenti librorum, & illa brevia quidem & catholica, Bd. 5, In Quo Continentur Omnes Libri Veteris Instrumenti Qui Sunt Extra Canonem Hebraicum, perperam Apocryphi, rectius autem Ecclesiastici appellati, puta Tobiae, Judith, Baruch, Sapie[n]tiae, Ecclesiastici, libri singuli, Ezrae duo, Machabaeorum duo, cum fragmentis Danielis & Esther, Commentariis Chuonradi Pellicani Rubeaquensis expositi. o. O. 1535. BSB M: 2 Exeg. 425–4/5 – In Libros Historicos, Puta Josue, Iudicum, Ruth, Samuelis, Regum, Paralipomenon, Ezdrae, Nehemiae & Hester Conradi Pellicani sacrae linguae in schola Tigurina professoris Commentarii. Accessit Index Rerum Et Verborum Memorabilium, de quibus in his tractatur. Tiguri: Froschoverus. 1582. BSB M: 2 Exeg. 428–2.
517 Pereyra [Pereira], Benito: Aduersus fallaces & superstitiosas artes. Id est, De Magia, De obseruatione Somniorum, & de Diuinatione Astrologica. Libri tres. Lvgdvni. Ex officina Ivntarvm. 1592. BN F: Numm-79270 Pescheck, Christian Friedrich: Ein Traum-Gedichte ueberlieferte bey der erfreulichen EheVerbindung/ Tit. Hon. Plen. Hrn. Heinrich Wilhelm Friedrich Wentzels … Zittau 1749. SLUB D: Mscr. Dresd. App. 2077, 1, 55 [Petersen, Johann Wilhelm]: Send-Schreiben/ An einige Theologos und GOttes-Gelehrte/ Betreffend die F RAGE / Ob Gott nach der Auffahrt Christi nicht mehr heutiges Tages durch goettliche Erscheinung den Menschenkindern sich offenbahren wolle und sich dessen gantz begeben habe? … o. O. 1691. SB B1: 1 in: Cs 16001 – Copia Send-Schreibens/ Eines Academischen Freundes An Einen guten Freund in Magdeburg/ Den C HILIASMUM / Oder/ Das Tausend-jaehrige Reich/ S. Petersen betreffend. Basel: Michael Brodhagen. 1692 – Untersuchung Der Gruende/ Die ein Prediger zu Essen/ Gegen den mittlern Zustand der Seelen nach dem Tode/ Und gegen die Wiederbringung aller Dinge herbeygebracht. o. O. 1705. HAB W: XFilm 1:403; SUB G: 8 Th Th II, 676/5 (1); SUB G: MA95–111:403; SLUB D: 4.A.5570, angeb. 2; WLB S: Theol. Oct. 13687; UB Mainz: MF-Schrank 3/Jantz, Rolle 403; ULBSA H: an Ik 217 b (2); ULBSA H: AB 40 17/I, 7; FS H: 37H7 [1]; SUB B: MF-Schrank 4113–403; UB K: Film 827–403; UB O: 9890–692 5:403 – Die schon für Gott geschehene Wiederbringung aller Dinge. Frankfurt am Main 1715. BSB M: Asc. 3740. – Das Zeugniß Jesu/ Aus dem Koeniglichen Propheten Iesaiæ: Durch den Geist der Weissagung/ von Capitel zu Capitel erklaehret … Franckfurth: Johann Maximilian von Sand. 1719. SB B1: Bo 13 – Die Gleichnisse des Herrn/ darinnen die Heimlichkeiten von Anfang der Welt durch Christentum ausgesprochen seyn/ und viele andere Wunder erklaehret. Franckfurth [: Brönner] 1722. SLUB D: 3.A.7253; HAAB W: 19 A 14891; HLB F: Theol Cc 25/58 Peucer, Caspar: Commentarivs De praecipvis Divinationvm Generibvs. Wittebergae: Crato. 1553. UB L: Philos. 1040; SB B1: Na 2040; BSB M: Phys. m. 195 – Commentarius, de praecipuis divinationum generibus, in quo a prophetiis, authoritate divina traditis … Witteberga: Crato. 1560. BSB M: Phys.m. 441 s – Wittebergae: Lufft. 1572. BSB M: Phys.m. 195 d – Witebergae: Jo. Schwertel. 1576. UB L: V 5955; BNU S: B. 112. 091 – Wittebergae 1580. BSB M: Phys.m. 195f. – L ES D EVINS , OV C OMMENTAIRE DES PRINCIPALES SORTES DE DEVINATIONS … Anvers: Hevdrik Connix. 1584. UB B: A.g.I.6; BP G: O d 174; BM L: 863I.i.2; BN F: R 8226 – Lyon: Barthelemus Honoratus. 1584. SLUB D: Magica, 545; Bibl. Nat. Paris: R 8227 – Commentarius, de praecipuis divinationum generibus, in quo a prophetiis, authoritate divina traditis … Sevesta 1591. BSB M: Phys.m. 195 n; BSB M: Phys.m. 195 o – Francofurti: Wechel. 1593. HAB W: 76 Phys.; BSB M: ESlg/Phys.m. 196 Peycht Spigel der sünder. Nuernberg: Hanss stuechs. 1510. SB B1: Ds 16 966 Rara; HAB W: Yv 472 8° Helmst. [Pfeffinger, Johan]: Antwort: D. Johan Pfeffingers/ Pastoris der Kirchen zu Leiptzig. Auff die Offentliche Bekentnis der reinen Lere des Euangelij/ und Confutation der itzigen Schwermerey/ Niclasen von Ambsdorff. Wittemberg 1558. BSB M: Res/4 Polem. 3344, 27 Pfeiffer, Augustus: Anti-Melancholicus, oder Melancholey-Vertreiber … Leipzig: Gleditsch. 1684. SB B1: Bibl. Diez. 8° 7968 Rara – Antienthusiasmus, Oder: Schrifftmaeßige Offenbahrung/ Was von denen Enthusiasten/ neuen Propheten und Visionisten/ und ihren Offenbahrungen insgemein/ so wol auch von denen dieser Zeit In einem Send-Schreiben Ausgesprengten Offenbarungen einer adel. Person insonderheit zu halten sey … o. O. 1692. SB B1: Cs 16060
518 Pfeiffer, Sigismund August: Disqvisitio inauguralis medica, De imperio phantasiæ in sensus … Gyphiswaldiæ: Typis Danielis Benjaminis Starckii. [1707]. SUB G: Diss. 248, 17 – Programma, Qvo Facultatis Medicæ h. t. Decanus Eberhardus Barnstorff/ D. & Prof. Publ. Ordin., Facultatis Suæ Senior, nec non Physicus Civitatis & Academiæ hodie Rector, Ad audiendam Disputationem Inauguralem, Qvam De viribus phantasiæ in sensus, pro licentia Summos in arte Medica honores & privilegia Doctoralia solemniter impetranda … Gryphiswaldiæ: Typis Danielis Benjaminis Starckii. [1708]. SUB G: Diss. 248, 18 Pfitzer, Joh. Nicolaus: Des bekandten Ertz-Zauberers Doctor Joh. Fausts aergerliches Leben und Ende/ Vor vielen Jahren der boesen Welt zum Schrecken beschrieben von Georg Rudolph Widmann/ Nachgehends mit neuen Erinnerungen vermehrt … Nuernberg: Wolfgang Moritz Endterische Buch-Laden. 1726. SB B1: Na 293 Rara Philosophische Geschichte des Aberglaubens. Hg. von dem Verfasser des Hierokles. Mainz: Vollmer. 21800. SUB G: 8° Philos. IV 7223d Philothea hoc est, anima Deo dilecta sive admirandvs Dei amor in animam hominis, ex sacris litteris depromptvs, et Modulis Musicis expressus in Scena ocvlis, avribvsqve proponitvr, Olim Anno 1643. Nunc iterum 1658 … Muenchen: Johann Jaecklin. 1658 (1643). BSB M: 4° Bavar. 2193/I Pistorius, Ioannes: A NATOMIA L VTHERI P ARS PRIMA . Das ist/ Auß den Siben boesen Geistern des vil Seelen verlustigen und also tewren Manns D. Martini Lutheri, die Drey erste Geister. I. Der Fleischlich geist. II. Der Lester geist. III. Der Lotter geist/ Darinnen/ wie auch in den ubrigen vier Geistern/ der Luther auß seinen eigenen Worten dermassen lebendig abgemahlt wirdt/ daß maniglich Jhn also bald kennen/ und ob er ein Prophet Gottes oder etwas anders gewesen/ ohnfehlbarlich greiffen und spueren kan … Coeln: Arnoldus Quentel. 1595. SUB G: 8° Mulert Stiftung 226 Pitzschmann, Georg Gottlob: Mit Gottes Gnaden-Pfande! Die in einen Traum vorgestelte Geistliche Vermaehlung/ I. Denen Personen nach/ so sich vermaehlet/ II. Dem TrauRinge nah/ der darzu erwehlet … Budissin: Richter. 1686. HAB W: Xa 1:21 (28) (Film); SLUB D: 6. A. 6189,32; ULBSA H: Pon Zf 3525, FK Plan einer Akademie, zu Bildung des Verstandes und Herzens junger Leute. Nebst Gedanken ueber den patriotischen Traum, von einem Mittel, die veraltete Eidgenoßschaft wieder zu verjuengern. o. O. 1758. SB B2: Nc 3004 Angeb. 3 Plaster, Samuel: Gruendliche Gegen-Antwort Auff die newlich außgeflogene Antwort Damit J. Stolterfoth seinen ihm fuer Augen gestelleten irrthumb zu verkleistern sich vergeblich bearbeitet hat/ zu stewr der rechten und unverfaelschten Warheit. Alten Stettin: Georg Goetschen. 1646. SUB G: Theol. thet. II 256/65, 2 – Kurtze Entdeckung und hintertreibung des Irrthumbs/ welchen M. Jacobus Stolterfoth, Prediger zu Luebeck/ in seiner Consideratione Visionum Apologeticâ, hat außgesprenget … Alten Stettin: George Goetsche. 1646. SUB G: Theol. thet. II 256/65, 1 Platner, Ernst: Philosophische Aphorismen nebst einigen Anleitungen zur philosophischen Geschichte. Leipzig: Schwickert. 1776/1782. SB B2: Nh 8690 Pleix, Scipion Du: Les cavses de la veille et dv sommeil, des Songes, & de la Vie & de la Mort. Paris 1606. HA B W: 149. 6 Phys.; SB B2: Ky 17550; SUB G: 8° Zool. IV, 8915; SLUB D: Physiol. 818 – Paris: Salis. 1606. HAB W: A. 149.6 Phys. – Lyon: Rigaud. 1620. HAB W: Schulenb. P 85 (2) – Genève 1627. UB T: Aa 115 Plitt, Ioannes Iacobus: Specimen onirologiae. Marbvrgi: Weldig. 1752. SUB G: 8° Phil. IV, 9340 Pomarius, Samuel: De Noctambulis Disputatio prior. o. O. [Wittenberg:] Wendt. 1670. HAB W: Mx 132 (12) [Ponzetti, Ferdinando]: Tertia pars naturalis phylosophie Ferdinandi Ponzetti Camare Apostolice Presidentis Primatis. Romae: Iacobus Mazochius. 1515. BSB M: 2 Phys g 20; BSB M: 2 Path 23
519 Porta, Io. Baptista [Porta, Giambattista della]: Magia naturalis, sive de miraculis rerum naturalium libri IIII. Antverpiae: Plantin. 1560. BSB M: Phys.m. 203; BSB M: A.lat.a. 2108 Beibd. 1. Postel, Johannes: Sciagraphiam Virium imaginationis, Indultu Superiorum Præside Dn. M. Gottlob Friedrich Seligmann/ Hîc Metaphys. & Phys. Prof. Publ.; Lipsiæ … Rostochii: Jacobus Richelus. o. D. [1682]. SUB G: Diss. 248,20 Prambhofer, Joanne: Wunderseltsame/ Wahrhaffte/ beynebens Laecherliche TraumGesichter Von unterschiedlichen Stands- und Ambts-Theils Lob- Theils Schelt-wuerdigen Persohnen … Augspurg: Schlueter/Happach. 1712. BSB M: Res/Phys.m.418y Des Printz Conti Traeumende Gedancken im Closter Olive. Dantzig 1697. HAB W: Go Mischbd. 5 (1); BSB M: Res. 4° Eur. 386, 6; BSB M: Res. 4° Eur. 386, 7 – [ca. 1700]. BSB M: 4. Polon. 33 f-1 Prognosticon, Wegen Des kuenfftigen Außgang und Effect. Deß Leipzigischen Schluß. Sampt angeheffter Vermahnung an die Evangelische Staende. o. O. 1631. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (16a) Propheceien und Weissa gungen. Vergangene/ Gegenwertige/ und Künfftige Sachen/ Geschicht unnd Zuefaell/ Hoher unnd Niderer Staende. Den frommen zue ermanung/ und trost/ Den boesen zum schrecken und warnung/ biß zum end/ verkuendende. Nemlich: Doctoris Paracelsi/ Johan Liechtenbergers/ M. Josephi Grünpeck/ Joan. Carionis … Straßburg: Jacob Cammer Lander. o. D. BM P: 4° 15952–1 Propheceyen vnd Weissagungen/ jetzt gegenwertig und kueenfftige [sic] sachen/ Geschicht und Zufaell/ biß zum Ende der Welt ankuendend. Als nemblich:/ M. Johann Liechtenbergers/ Johann Carionis/ M. Josephi Grumpeck/ Der Sibyllen/ und vil anderer. o. O. 1620. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (6) Puetscher, Christian: Exercitio physica De phantasia Quam Autoritate Inclytæ Facultatis Philosophicæ Lipsiensi Academia publicæ censuræ subijcit M. Christianus Puetscher/ Ehrenfridist. Respondente Tobia Schmidt Cygneo Phil. Baccal. & Alum. Elect. Ad diem 14. Octobris. Lipsiæ: Ritzsch. 1626. SUB G: Diss. 248,9 Quaecker Quackeley/ Das ist/ Elende Lumperey/ Huemplerey/ Stuemplerey/ auch Bueberey/ welche die neuen Schwermer/ die man Quaecker nennet/ in Ihrer letzten Schartecke unter dem Titul der Alten Warheit/ an Tag gegeben. Kuertzlich entdecket und gruendlich wiederleget. Hamburg: Michael Pfeiffer. 1662. SB B1: Bibl. Diez. 8° 5459 Angeb. 2 Rara; HAB W: Yv 1149 8° Helmst. (2) Film; ULBSA H: AB 152 975 (1a); ULBSA H: AB 124 831 – 1663. BSB M: Polem. 2212 Querela Martini Lutheri, seu Somnium. Basileæ: Ioannes Oporinus. 1554. SB B1: Dk 1410; BSB M: Liturg. 179 Querela Martini Lvteri, seu Somnium. Brevis defensio Martini Lutheri … Basileæ: Ioannes Oporinus. 1555. SB B1: Bt 74a Angeb. 2 [Quevedo y Villegas, Francisco:] Les visions de dom Francisco de Qvevedo Villegas, chevalier de l’Ordre de S. Iaques. Augmentées de l’Enfer Reformé ou Sedition Infernale, Traduictes d’Espagnol par le Sieur de la Geneste. Lyon: Pierre Bailly. 1638. HAB W: 130. 19 Eth. – Traum/ Der entdeckten Warheit/ Von einem Hund und dem Fieber. Betreffend Die Mißbraeuche/ Laster/ Meuchel-List und Truegerey der Weltlinge ins gemein … gedolmetscht auf gut Pantagruelich/ Durch Silenum Alcibiadis. o. O. [Nürnberg] o. D. [1654]. HAB W: 165. 19 Ethica R. P. Tr. R. C. [Révérend Père Tranquille de Saint-Rémi]: Veritable relation des ivstes procedvres obseruées au fait de la possession des Vrsulines de Loudun, & au procés de Grandier. Paris: Martin. 1634. HAB W: A:507.1 Hist. (1). R AIMVNDI . L VLII M AIORI P HILO sophi acutissimi, mediciq; celeberrimi, De secretis naturæ siue Quinta essentia libri duo … [Hg. von Walther Hermann Ryff]. Argentorati: Balthassar Beck. 1541. SLUB D: Hist.nat.A.923; SStB A: Nat. 314 Beidr. 1 Ram, Johannes Paul: Dispvtatio Philosophica II. Quam De corporis cvm anima in sententiendo commercio … Praeses M. Johannes Pavlvs Ramvs Freiberg. Misn. Et respon-
520 dens Caspar Abraham Weisivs Bettena misnicvs … Vitembergae: Literis Vidvae Gerdesiae. 1726. SStB A: Diss. Phil. 1083 R ATIO S TATUS , Oder/ Der itziger Alamodesieren-rechter Staats-Teufel/ In einem neuen Schauspiele abgebildet. o. O. 1668. HAB W: Lo 6280 [Refuge, Eustache de]: Traicté de la Covr, ou instruction des Courtisans. Par Monsieur Du Refuge, Dernière Edition. Amsterdam: Elzeviers. 1656. BSB M: Ph.pr. 372 [Regiomontanus, Johannes]: Temporal. Deß weytberuempten M. Johan Kuenigspergers/ natuerlicher Kunst der Astronomey kurtzer Be griff/ von Natuerlichem eynfluß der Gestirn/ Planeten/ unnd Zeichen/ etc. Von den vier Complexionen/ Natur und eigenschafft der Menschen … Franckfurdt am Mayn: Weygand Han. o. D. [ca. 1560]. SB B1: 50 MA 17119 Rara Regius, Urbanus: Widder den newen irfall Thomas Muentzers/ D. Andreas Karlstadt/ un[n] anderer schwuermer des Sacraments halben/ warnung. o. O. 1525. SUB G: 8° Th. polem. 514/61; SB B1: Cu 5351 Rara [Reichard, Georg]: Ein Wahrhafftiges Gesicht/ und wunderliche Geschicht/ Welches mir Georgio Reicharten/ Schulmeister zu Seehausen/ benebenst einem Bawersmanne von der Heyda/ am Firmament oder an den Wolcken deß Himmels/ ist fuer unsere Augen gestellet worden … o. O. 1638. HAB W: O 93 Helmst. 4° (3) – Dieses wird genandt Der Engel-Sieg/ Wieder die jenigen/ welche die Engelischen Gesichter oder Geister (ungepruefet und ungelesen) verwerffen wollen […] Dieses habe ich George Reichard/ aus Antrieb des Guten Geistes schreiben muessen … o. O. 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (8) – Eine Schoene Vision Und Goettliche Offenbahrung von der Rechten Pruefung der Guten- und Boesen-Geister/ Welche mir Georgio Reicharden Schul- unnd KirchenDienern zu Roesa/ vom Engel des HErrn ist angekuendiget und geoffenbahret worden … o. O. 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (7); SB B1: Na 8368 – Vierdter Theil/ Etzlicher sehr Nachdencklicher Visionen Und Offenbahrungen/ Welche Mir George Reicharten/ anjetzo Schulmeistern zu Roesa/ uff meiner Flucht in die Stad Eylenberg/ des 1637. Jahres (durch den Geist des H ERREN )/ sind kunt gethan … o. O. 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (1) – Eine Warhafftige Vision Oder Offenbahrung uber die Stadt und Landt Lueneburg: Welche mir Georgio Reicharten/ Schulmeistern zu Seehausen/ ein Meilweges von der Stadt Leipzig (in derselbigen) durch den G EIST oder Engel des H ERRN ist kundt gethan … Gedruckt zum Andernmahl. o. O. 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (2) – Zwey Schoene Warhafftige Visiones Und Offenbahrungen/ Welche mir George Reicharten/ (anjetzo Schul- und KirchenDienern zu Roesa) sind durch den Geist des HErren fuergestellet worden/ an Drey schoenen Weissen hellglaentzenden Tauben … o. O. 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (5) – Zwey warhafftige Visiones/ Gesichter und Offenbahrungen/ welche Georgio Reicharten an jtzo Schul- un[n] Kirchendienern zu Roesa 3. Meilweges von Leipzig/ durch den Geist des HErrn sind fuer Augen gestellet worden … Hall 1639. HAB W: O 93 Helmst. 4° (4) – Ein Erschreckliches Und Warhafftiges Gesicht/ Welches Jch George Reichard/ anjtzo Schul- und KirchenDiener zu Roesa (im Geist) gesetzen habe uber der Stadt Bremen. Darinnen zu befinden/ die Geistes Außlegung deß grossen Erschrecklichen frewrigen Camel Thiers … o. O. 1640. HAB W: O 93 Helmst. 4° (6) Reiche, Johann: Unterschiedliche Schrifften Von Unfug Des Hexen-Proceßes/ Zu fernerer Untersuchung der Zauberey heraus gegeben … Halle im Magdeburg: Renger. 1703. BSB M: Crim. 455 d-1/2 Reimmann, Jacob Friederich: Eigene Lebens-Beschreibung Oder Historische Nachricht von Sich Selbst, Nahmentlich von Seiner Person und Schriften … Braunschweig: Schroeder 1745. SUB G: H. lit. biogr. IV 6610 Reinbeck, Johann Gustav: Philosophische Gedancken über die vernünfftigen Seele und derselben Unsterblichkeit. Nebst einigen Anmerckungen über ein frantzösisches Schreiben, darin behauptet werden will, daß die Materie dencke. Berlin: Hauden. 1740. SB B 2: Nq 9384
521 Reinkingk, Dieterich [Theodor]: Biblische Policey/ Gewisse/ auß heiliger Goettlicher Schrifft zusammen gebrachte auf die drey Hauptstaende: Als Geistlichen/ Weltlichen/ und Haeußlichen/ gerichtete Axiomata, oder Schlußreden … Franckfurt am Maeyn: Matthæus Kaempffer. 1653. HAB W: 189. 16 Theol. (1) Reisch, Gregor: Margarita philosophica Libri XII. Freiburg im Breisgau: J. Schott. 1503 (11499). SStB A: 4 Phil 301 – [Straßburg]: Schott. 1504. BSB M: 4 Ph.u.116; BSB M: Res/4 Ph.u.116a; BSB M: Hbks/E1h; BSB M: Res/4 Ph.u.116b; BSB M: Res/4 Ph.u.115b Reuden, Ambosius: DRey/ zu dieser letzten gefehrlichen Zeit/ sehr nuetzliche Schrifften: Wie sich ein jeder Christ/ nach anleitung Gottes Worts gegen die schedlichen Sacramentirer und jre falsche Lere verhalten soll … Jhena: Tobias Steinman. 1592. SLUB D: Lit. Lat. rec. A. 303. m, angeb. 12 Richtige Warhafftige und ungefaelschte wunderliche Zeitung. Welche sich am 4. Februarij/ zu Cotbuß in der Marck an der Niederlaußnitzer Grentze/ von eines Buergers Toechterlein daselbst ohne gefehr 11. Jahr alt/ zugetragen … o. O. 1621. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (14) [Ricius, Paulus]: Naturalia & prophetica de Anima cœli omni attentione digna ad uersus Eckium examina, Augustæ Vindelicorum: Sigismundus Grim[m] Medicus & Marcus Vuirsing. 1519. BSB M: Res. 4° Astr. P 525–8 [Riemer, Johann]: Der trunkene Traeumer oder Wahn-thoerichte Selbst-Betrug/ Das ist: Satyrische Beschreibung und Traum-Bildung/ derer heut zu Tag/ meist im Schwang gehenden suendlichen und verdammlichen Laster/ unzimlichen Sitten/ wuesten Gebaerden/ verbottner Werke/ und boesen Lebens-Handlungen … von Erasmo Gritlando. O. O. 1684. HAB W: P 382 12° Helmst.; HAB W: Lo 6435 Ripa, Cesare: Nova Iconologia di Cæsare Ripa Perugino Caualier de SS. Mauritio, & Lazzaro. Nella quale si descriuono diuerse Imagini di Virtù, Vitij, Affetti, Passioni humane, Arti, Discipline, Humori, Elementi, Corpi Celesti, Prouincie d’Italia, Fiumi, tutte le parti del Mondo, ed’altre unfinite materie … Padova: Pietro Paolo Tozzi. 1618. BSB M: 4 L.eleg.m. 178; BSB M: Fiche 4 L.eleg.m. 178 Der Roemischen Kaeyserlichen Majestaet/ Und Des Heil. Röm. Reichs Geist- und Weltlicher Staende/ Reichs-Abschiede und Constitutiones/ desgleichen/ Koenigliche/ Churund Fuerstliche absonderliche E DICTA Wider die Rebellischen Wider-Taeuffer/ neuen einschleischenden Schwaermer/ David Joristen/ Weigelianer/ Rosencreutzer/ Pansophisten, Bœhmisten, Chiliasten, Enthusiasten, Quacker/ Labadisten, Offenbahrungsund Frey-Geister/ Quietisten/ Traeumer … o. O. 1702. SLUB D: 6.A.956, misc.21 – o. O. 1703. SLUB D: 3.A.10213, angeb. 5 Roeper, Johann Andr[eas]: Die Wuerkung der Seele In den Menschlichen Coerper. Nach Anleitung Der Geschichte eines Nacht-Wanderers. Aus vernuenftigen Gruenden erlaeutert. Halberstadt: Friderich. 1748. HAB W: Mx 42 (7) Röser, Jacobus: Dissertatio physico-medica, de phantasiæ efficacia in corpus humanum, Quam Rectore Magnificentissimo, Serenissimo atq[ue] Excelsissimo Principe ac Domino, Domino Friderico Wilhelmo, Regni Prussiæ et Electoratus Brandenburgici hærede … Regiomonti: Reusner. o. D. [1705]. SUB G: Diss. 248,16 Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit, Oder: Vorstellung Wie Christliche und weise Regenten zur Befoerderung ihrer eigenen und ihres Landes Glueckseligkeit Ihre Unterthanen zu beherrschen pflegen. Leipzig: Martini. 1718. BSB M: Pol.g. 816 Rüdinger, Johann: De magia illicita Decas Concionum: Zehen gruendliche Predigten Von der Zauber- und Hexenwerck … 2 Bde. Jehna: Reiffenberger. 1630/35. UB M: 4 Phys. 518. Ryff, Gualtherus [Walther Hermann]: Versehung Leibs und Seel. EIn nützlichs ar tzenei Buechlin/ Leiblich ge sundtheit zuerhalten Daneben wie man allen kranckheiten und gebrechen durch ware artznei rathen und helffen sol … Franckfurt am Meyn: Christian Egenolff. 1541. BSB M: Res. 4° M.m. 202 Beibd. 1 – Prognostico[n] od’ Teütsch Practica auff das M. D. XLIIII. Jar Durch M. Gualtherum
522 H. Ryff. Argentinum/ Medicum der Astronomy liebhaber auß warem lauff des gestirns hymlischer bewegung/ auff dass fleissigst/ unnd kürtzest geschriben auß der leer Ptholomei. Regierende Planeten des XLIIII. Jars. o. O. o. D. [1543]. BSB M: Res. 4° Astr. P. 528,38; SLUB D: Astron. 518s, misc. 3 – Spiegel und Regiment der Gesundtheit. Fürnemlich auff Land/ Gebreuch/ Art/ und Complexion der Teutschen gerichtet. Wie man[n] sich in allem so der mensch inn und eusserlich gebrau chen mueß/ der Gesundtheit nach/ halten und regiren sol … Franckenfort am Meyn: Christian Egenolff. 1544. BSB M: Res. 4° Path. 309 Rynmann, Leonhard: Practika vber die großen und manigfeltigen Conjunktion der Planeten, die imm jar 1524 erschienen. Nürnberg 1523. BSB M: Rar. 4096, Beibd.10; BSB M: 4 Astr.p. 331, Beibd.1. Saalfeld[t], Adam Friedrich Wilhelm: Von Traeumen, ihren Gattungen und Kennzeichen, zur Vertheidigung der goettlichen und der durch dieselben geschehenen Offenbarung. Erfurt: Tobias Heinrich Schroeder. 1753. SB B1: Na 5056; BSB M: Ph. pr. 1126 Beibd. 1; BSB M: Pol. g. 376d Beibd. 4 Saavedra-Fajardo, Diego de: Ein Abriss Eines Christlich-Politischen P RINTZENS / In CI. Sinn-bildern vnd mecklichen Symbolischen Spruechen/ gestelt von A. Didaco Saavedra Facardo Spanischen Ritter etc. Zu vor auss dem Spanischen ins Lateinisch: nun ins Deutsch versetzt. Amsterdam: Jassonius d. J. 1655. BSB M: Res. Pol.g.824 Sattler, Wolfgang: Dianoia astrologia, quae omnium praedictionum astrologicarum veras caussas inquirit, falsas vero examinat et damnat. Montisbelgardi: J. Foillet. 1605]. WLB S: HBF 2558; SLUB D: Astron.964,misc.1; [Scaliger, Julius Caesar]: Hippocra tis Liber de Somniis. Cvm Ivlii Caesaris Scaligeri Commentariis. Lvgdvni: Seb. Gryphivs. 1539. BNF: Gallica – De insomnio Commentarius in librum Hippocratis … Giessae: Chemlinus. 1610. HAB W: 105. 1 Phys. (4) Schatzger, Gaspar: Verwerffung eines ir rigenn artickels das die seel Christi nach abschaidt vom leib in absteigung zu den hellen hab dar inn geliden hellische pein. Mit erklerung der warhayt warumb Christus zue der hellenn gestigenn sey. Landßhuett: Johann Weyssenburger. 1526. SB B1: Cu 5725 Rara [Scheffer, Johannes]: Kurtzer, nothwendiger und wohl-gegruendeter Bericht/ von dem Zauberischen/ Beschwoeren/ Und Segensprechen, Durch den seeligen Hn. Conradum Wolffg. Platzium/ weiland der H. Schrifft Doctorn,/ und Predigern zu Bibrach … o. O. o. D. [ca. 1674]. SB B1: in: Na 293 Rara Scheffer, Melchior: Dissertatio Academica De phantasia ejusque effectibus Cum applicatione Ad Fanaticos, Quam Deo Juvante Inclyto Philosophorum Ordine annuente in Academia Lipsiensi placidæ Eruditorum Disquisitioni submittunt Præses M. Melchior Scheffer, Laub. Lusat, Et respondens Johannes Gottlieb Krause/ Wolavv. Sil. Anno M DCCVI. die V. Maj. [Zschau]: Andr. [1706]. SUB G: Diss. 248,10 Schelguigius, Samuel: De Apparitionibus mortuorum vivis ex pacto factis, Von der agberedeten Erscheinung nach dem Tode. Lipsiæ: in Collegio Paulino. 1709. SUB G: 8° Philos. V 4276, 24 Schencken von Grafenberg, Johann Georg: Wunder-Buch/ VOn Menschlichen unerhoerten Wunder- und Mißgebuhrten/ so wider den gemeinen Lauff der Natur erschroecklich/ fremd/ unnd seltzam gebildet: doch glaubwuerdig in diese Welt gebohren worden … Franckfort: Becker. 1610. HAB W: 82. 22 Quod. (1) S[cherertz], F[riedrich] D.: Perennander Oder/ Von der Unsterblichkeit der Seele/ Und der Auferstehung des Leibes. Amsterdam: Hagen. 1678. SB B1: Yi 7856 Scherertz, Sigismundus: Fuga Melancholiæ cum Speculo Tentationum S. Oder: Zwey Geistreiche Buechlein/ Das Erste: Seelen-Artzney Wider die Melancholey/ Traurigkeit und Schwermuht des Geistes/ etc. Das Ander: Spiegel der Geistlichen Anfechtungen … Lueneburg: Johann und Heinrich Stern. 1652. HAB W: Th 2295 Scherzer, Johann Adam: Breviarium Eustachianum, Cursum Philosophiæ in Compendio exhibens … [Leipzig]. Lanckisch. 1663. HAB W: H: O 5.12° Helmst. (1); UB Gr: 520/Hc 269 12°
523 Schiebel, Johann-Georg: Zweytes Historisches Lust-Hauß/ Darinnen abermahls/ Ein annehmlicher Vorrath Außerlesener Geschichte … Leipzig/Franckfurth: Michael Rußworms Wittbe. 1682. HAB W: Xb 6039 (2) – Neu-erbauetes erbauliches/ Historisches Lust-Hauß … Leipzig: Michael Rußworms Wittbe. 1685. HAB W: Xb 6039 (1) Schlegel, Johann Andreas: Tractatvs Medicvs, Von Natuerlichen/ unnatuerlichen und wider die Natur-lauffenden Dingen/ in Vergleichung der grossen Welt/ mit dem Menschen der kleinen Welt … Nuernberg: Hofmann. 1686. SStB A: Med 3984 [Schmidt, Johann Georg:] Curioese Speculationes bey Schlaf-losen Naechten/ Werden in Unterschiedlichen Gespraechen fuergestellet/ Und handeln von allerhand curioesen/ sowohl politischen/ theologischen/ medicinischen/ physicalischen/ und dergleichen Dingen … Chemnitz/Leipzig: Stoessel. 1707. SUB G: 8° Did. 162/35; SUB G: MA 88–57:559 (1563); SB B1: Ag 7478 Rara Schmidt, Julius: IN. N. J. Christliche Seelen-Apoteck/ Des guetigen lieben GOttes … Bey Volckreicher und Ansehnlicher Leichbegaengnueß/ Der weyland Viel Ehr- und Tugendreichen/ Gottseligen Frawen Anna Magdalena/ Schlichthabers … Bremen: Herman Brauer. 1665. SB B1: Eë 710–161 angeb. 9 Schmidt, Philippus: Geistreiche/ Vortreffliche und Hochwichtige Weissagungen/ Schlußreden und Urtheil/ Auß Herrn D. Lutheri, D. Selnecceri und Philip. Nicolai Schrifften … Wittenberg: Paul Helwig., 1629. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (2) Schnell, Johannes Georgius: Dissertatio de imaginationis in mentem corpusque imperio, quam ampissimi philosophorum ordinis consensu moderante L. Ludovico Christ. Crellio, Philos. Primæ ac Rationalis P. P. Minoris Principp. Collegii Collega, et Scholæ Nicol. Rectore … Lipsiæ: Schedius. [1716]. SUB G: Diss. 248, 15 Schnurr, Balthasar: Kunst- Hauß- und Wunderbuch/ Darinnen allerhand nutzliche Sachen/ Wunder- und Kunststuecke begriffen … Uffs new jetzo verbessert/ vermehrt/ und mit einem nutzlichen Register gezieret. Franckfurt am Mayn: Wilhelm Serlin. 1657. HAB W: 81. 3 Med. (2) Schott, Gaspar [Caspar]: Magia optica, Das ist/ Geheime doch Natur-maessige Gesichtund Augen-Lehr/ In zehen unterschiedliche Bücher abgetheilet/ Worinnen/ Was das Gesicht und dessen Gegen-Stand/ oder wormit dasselbe umbgehet/ anbelangt … Franckfurth am Mayn: Johan Martin Schoenwetter. 1677. BSB M: 4 Math.a. 278 [Schotus, Friedrich]: Ander Theil D. Joh. Fausti Historien … o. O. [in fine: Gerapoli] 1595. SB B1: an: 8° Na 249 Schröter, Johann Conrad: Fest gegruendeter Beweiß und Vertheidigung Daß Die Seele nicht materiell, sondern ein Geistiges Wesen sey, Zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seelen, zur Wiederlegung des Archæi Natur- oder Welt-Geistes, auch zu Beobachtung der Seelen-Pflichten und Beruhigung ans Licht gestellet. Leipzig: Ernst Gottlieb Kruge: 21729. SB B1: Nn 2078 Schubart, Joh. Christoph: Dissertatio De potentia diaboli in sensus […] Respondens Paulus Nicolaus Einert … Erfordiæ: Literis Limprechtianis. [1707]. SUB G: 8° Philos. V 4276, 7 Schubert, G[otthelf] H[einrich] von: Die Symbolik des Traumes. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Bamberg: Carl Friedrich Kunz. 1821. HAB W: Mt 215 Schupp, Johann Balthasar: Von der Einbildung/ Oder vorgefasten eingebildeten Meynunge der Menschen. In: Ders.: S ALOMO / Oder/ Regenten-Spiegel/ Vorgestellt Auß denen eilfff ersen Capituln deß ersten Buchs der Koenigen … o. O. [Hanau] o. D. [1663?], S. 521–563. HAB W: Alvensleben Ad 593 Schwartz, Johannes Henricus: De dispositionibus ad vaticinandum Dissertatio philolphilosophica … Rostochl: Typis Joh. Wepplingii. [1700]. SUB G: Diss. 248,7 Schwenckfeldt, Caspar: Kurtz Bekant nus vonn Christo dem Suende Gottes/ Und Vom Sacrament des Leibs und Bluets Christi. Mit einer Protestation und widersprechung aller Irrthumb. o. O. o. D. BSB M: Res. Catech. 381,3 – Klare Zeugnuß auß den Buechern dess newen Testaments. Von der goettlichen herrligkait der Menschait Christi in der Glorien. o. O. o. D. [1542]. SB B1: 3 in: Cs 7716 Rara
524 – Der Schwermer. o. O. o. D. [ca. 1550]. SB B1: 5 in: Cs 7716 Rara – Summarium des Christlichen Streits/ Und vom gewissen. Wie man den alten menschen außziehe[n] un[n]d das boese gewissen der sünde[n]/ durch Christum sol ablegen/ Dargegen aber den newen menschen und ein guet gewissen anlegen. o. O. o. D. [ca. 1550]. SB B1: 4 in: Cs 7719 Rara – Zwoelff ursach en: das Jesus Christus nach seiner Menschait kaine Creatur sei. o. O. o. D. [1561]. SB B1: 4 in: Cs 7716 Rara – Vom Fleische Christi. Daß der Mensch Jhesus Christus vom ersten blick seines empfencknis ahn/ der ware natuerliche Sohn Gottes sey … o. O. 1584. BSB M: Dogm 911, Beibd. – Von der Aufferstehung/ Erscheinung unnd verclerunge Christi. In was Stand und Wesen der Leib Christi nach seiner Aufferstehung sey. o. O. 1586. BSB M: Dogm. 911, Beibd. – Selbsteigene Beschreibung etzlicher Visionen, welche ihm sind von Gott wegen des Zustandes der Lutherischen Kirchen innerhalb 9 Jahren gezeiget worden, o. O. 1638. BSB M: Res/4 Phys.m. 111,35 d; BSB M: Res/4 Phys.m. 100 m Seckendorff, Veit Ludwig von: Teutscher Fuersten-Stat. Hanau 1656. BSB M: 4 J.publ.g. 1051 Sedelius, Vuolfgangus: Wie sich ain Christenlicher Herr/ so Landt unnd Leüt zue Regieren under jm hat/ vor schedlicher Phantasey verhueten/ unnd in allen noeten troesten soll. o. O. 1547. HAB W: 511. 47 Th. (6) Sennert, Daniel: Epitome naturalis scientiae. Wittenberg 1618. BSB M: Phys.g. 433 – Institutionum medicinæ libri V. Witebergæ: Zacharias Schurerus. 1620. BSB M: 4 Med.g. 189 Shaftesbury [Cooper, Anthony Ashley]: Die Sitten-Lehrer. Aus dem Engl. uebersetzt [von Johann Joachim Spalding]. Berlin 1745. BSB M: Mor. 365 m Beibd.3 Sibenbuergische Prophecey/ Oder/ Copey einer wunderbahren Prophecey/ und Weissagung/ von jetzt gegenwertigen/ und nechtskuenfftigen Zustand deß H. Roem. Reichs … o. O. 1632. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (21) Siegfrid, Thomas: Richtige Antwort auff die Frage: Ob die Zeuberer und Zeuberin mit ihrem zauber Pulfer/ Kranckheiten/ oder den Todt selber beybringen koennen/ was von jhrer Salben/ Zusammenkunfft und Bekaendtnuß zuhalten/ Und ob jhm ein Bezauberter durch Zaeuberey wider moege helffen lassen … Erffordt: Jacobus Singe. 1593. BSB M: Res. 4° Phys.m. 84 Sincelius, Nicolaus: Christliche Bekantnus von der Erbsuende/ fuer die Einfeltigen. Jonas Franck/ Predicant zum Bernstein in Österreich. D E AMNISTIA . Was von des newen Concordien Buchs verschweygen der Stiffter unnd Buecher der Irrthumen/ so man billich Schwermer und Schwarmbuecher mit Namen nennen/ straffen/ und die Leute dafuer warnen solte/ zu halten sey. o. O. 1582. BSB M: Res/4 Polem. 3346,7 [Sinicker, Emanuel]: Kaiser Rudolff/ des andern dises namens Spagyrische Hauß und Reiß-Apothec: Auß Herren Emanuel Sinickers/ Keiserlichen Laboratorij und summi Directoris zu Praag/ Lateinischen und eigner hand geschriebnem Exemplar verteutscht/ und mit den Dolibus und ordenlichen gebrauch der Recepten vermehrt … [= Pharmacopoea spagyrica, Deutsch]. Zuerich: Johann Jacob Bodmer. 1646. HAB W: 81. 3 Med. (1) [Sinold von Schütz, Philipp Balthasar]: Des Traeumenden Pasquini kluger StaatsPhantasien/ Uber den ietzigen verwirreten Zustand der Welt/ Zweyte Erscheinung/ Allen curiesen und Staats-verstaendigen Gemuethern zu fernerem Nachdencken zugeeignet und uebergeben, [erschienen 1. 1697 – 3. 1697?]. Freyberg [= Leipzig]: Johann Georg Wahrmund [= Groschuff]. 1697. BSB M: Eur. 765 – Der Europaeische Niemand/ Welcher Niemanden zu beleidigen/ Jederman aber nuetzlich zu seyn, beflissen ist; Wie er solches in allerhand vertraulichen Gespraechen von neuen und alten Staats-Angelegenheiten/ Hof-Intriguen, Kriegs- und FriedensBegebenheiten/ gelehrten Sachen/ und vielerley andern sonderbaren Materien, zu erkennen gibt. 9. Theil. o. O. 1718. BSB M: Res. Eur. 561, 7–9
525 Somnia Salomonis David regis filii una cum Danielis prophete somniorum interpretatione: novissime ex amussim recognita omnibusque mendis expurgata. Venetiis 1516. BSB M: 4 A.gr.b. 1223 S OMNIUM MATRIS OMEN FILII honoribus annuae memoriae auspicatissimae electionis reverendissimi, perillustris ac amplissimi Domini Domini Josephi Mariae … Straubingae: Betzin. o. D. BSB M: Res. 4° Bavar. 3007. III, 7 S OMNIUM POETICO - PROPHETICUM , Oder: Politische R EFLEXIONES , Uber das Utrechtische Friedens-Werck. o. O. 1712. BSB M: Res. 4° Eur. 393,45 S OMNIUM SAPIENTIS POLITICI . o. O. o. D. BSB M: Res. 4° L.eleg.m. 250,45 Sonderbare und nachdenckliche Propheceyungen/ Visionen und Traeume/ Die in dem itzlauffenden 1800ten Seculo ihren Periodum erreichen und vollenden sollen … o. O. o. D. [1730]. SB B1: Na 8987 Rara; BNU S: B. 112. 108 Sonderbarer und Denckwuerdiger Traum Welchen Se. Aller-Christl. Maj. von Franckreich Am 24. Aprilis, st. n. 1689. zu Nachts gehabt … Coelln 1689. SLUB D: Hist.Germ.D.214,52 Le songe de Louis XVI, et sa conversation avec Henri IV, a Saint-Cloud. Pour faire suite aux entretiens de Louis XIV, Henri IV & Louis XVI. o. O. o. D. [1792]. BSB M: Gall.rev. 1014 o Beibd. 3 Spalding, Johann Joachim: Gedanken über den Werth der Gefühle in dem Christenthum. Leipzig: Weidmann. 1761. BSB M: Ph.sp. 652 o Beibd.2 – 21773. BSB M: Mor. 407. Spener, Philipp Jakob: Das geistliche Priesterthum auß göttlichem Wort/ Kuertzlich beschrieben und mit einstimmenden Zeugnüssen gottseliger Lehrer bekräfftiget. Franckfurt: Zunner. 31687 (11677). BSB M: Asc. 5539 n Beibd.1 [Sperber, Julius]: E CHO Der von Gott hocherleuchten Fraternitet deß löblichen Ordens R. C. Danzig 1615. BSB M: H.g.hum. 59 Beibd. 1. – Mysterium magnum. Das ist/ Das allergroesseste Geheimbnus 1 Von Gott. Von 2 Seinem Sohne. Und von 3 Der Seele deß Menschen. Amsterdam: Benedictus Bahnsen. 1660. SUB G: Th. thet. I 728/19,1; SB B1: Cs 11330 – Isagoge, das ist: Einleitung, Übersetzt von Friedrich Roth-Scholtz. In: Deutsches Theatrum chemicum, auf welchem der berühmtesten Philosophen und Alchymisten Schrifften, die von dem Stein der Weisen … handelen, welche bißhero entweder niemahls gedruckt, oder doch sonsten sehr rar worden sind, vorgestellet werden. Bd. 2. Hg. von Friedrich Roth-Scholtz. Nuernberg: Felßecker. [1730]. BSB M: Alch. 241–2. Spilker, [Heinrich Eberhard]: Abhandlung von den Meynungen der Alten, die Traeume, Gespenster und Zaubereyen betreffend, nebst einigen Gedanken von den Schaustücken oder Gedächtnißmuenzen derselben. Leipzig: Georg Wilhelm Pouillard. 1754. SUB G: Antiq II 1709 Spitzel, [Theophil] Gottlieb: Die Gebrochene Macht der Finsternuß oder Zerstoerte Teuflische Bunds- und Buhl-Freundschafft/ mit den Menschen … Augspurg: Jacob Koppmayer. 1687. SUB G: MA 88–57:395 (1271); FLB G: Theol 8° 00640/01 (01); ULBSA H: AB 51 19/k, 35; EO S: III, 155; WLB S: Theol. Oct. 16953 Sterzinger, Ferdinand: Akademische Rede von dem gemeinen Vorurtheile der wirkenden und thaetigen Hexerey … Muenchen: Maria Magdalena Mayrin. o. D. [1766]. SUB G: 8° Theol. thet. 230/11:1 – Betruegende Zauberkunst und traeumende Hexerey, oder Vertheidigung der akademischen Rede, von dem gemeinen Vorurtheile der wirkenden und thaetigen Hexerey … Muenchen: Akad. Buchh. 1767. SUB G: 8° Theol. thet. 230/11:3; BNU S: B. 112. 490; BSB M: 4 Bavar. 1681–6,3; BSB M: 4 Bavar. 1681–2,4; BSB M: Res. 4 Phys. m 113,7; BSB M: Res. 4 Hom. 1901–39 Beibd. 6 – Der Hexenproceß ein Traum erzaehlt von einer unpartheyischen Feder. o. O. 1767. SUB G: 8° Theol. thet. 230/11:9 – Geister- und Zauberkatechismus. Muenchen: Johann Nepomuck Fritz. 1783. BSB M: Phys. m. 270 – Bemuehung den Aberglaube zu stuerzen. Muenchen: Joseph Lentner. 1785. BSB M: Phys. m. 270 Beibd. 1
526 – Die Gespenstererscheinungen, eine Phantasie oder Betrug, durch die Bibel, Vernunftlehre und Erfahrung bewiesen. München: Joseph Lentner. 1786. BSB M: Phys.m. 271 Stiedenroth, Ernst: Psychologie zur Erklaerung der Seelenerscheinungen. 2 Bde. Berlin: Ferdinand Duemmler. 1824. HAB W: Md 222 Stieff, Johann Ernst: De Morbis ex somno. Lipsiae: Langenheim. 1743. HAB W: Mx 32 (5) Stockhausen, Joh. Friedrich: Mira præsagia mortis. Das ist: Wunderliche Todes-Vorboten/ Welche Einigen Leuten durch uebernatuerliche oder doch offt entsetzliche Vor-Zeichen Ihrer oder der Ihrigen Tod zuvor anzumelden pflegen. Aus heiliger Theologie und wahrer Philosophie betrachtet. Franckfurt und Leipzig: Paul Zeising. 1694. HAB W: M: Hr 404; M: Hr 405; SLUB D: Theol.ev.asc.1642; UB T: Gi 1101; UB Ma: MF-Schank 3/Jautz, Rolle 498 – 1698. SB B1: N 3398; SUB G: MA 95–111:217; HAB W: XFilm 1:498; UB G: 523/He 175; HAAB W: 3, 7:6; UB B: ja 4113–217 (Mikrofilm); UB K: Film 827–217; UB O: 9890–692 5:217; WLB S: Theol. oct. 17317 Stolterfoth, Jacob: Consideratio Visionum, Oder Gruendliches Bedencken Was von Gesichtern heutiges Tages zu halten sey … o. O. [Lübeck]: Valtin Schmalhertz. 1636. BNU S: B. 112. 126 – L. Annæi Senecæ Schoenes Buechlein Von der Goettlichen Providentz/ Vorsehung und Regierung … Luebeck: Johan Meyer. 1641. HAB W: 89. 10 Eth. – Consideratio Visionum Apologetica Das ist/ Schrifftmaessiges Bedencken/ Was von Gesichtern heutiges Tages zu halten sey … Luebeck: Valentin Schmalhertz. 1645. SB B1: 1 in: Na 2130 – Nothwendige/ Hoechstabgedrungene Warheit und Ehrenrettung/ Wieder Die sehr hefftige Schrifft/ so D. Jacobus Fabricius … unter folgendem Titul: Invicta visionum probatio: Das ist/ Wolbefaestigte Wiederlegung der nichtigen Scheingruende/ mit welchen ein Streitsuechtiger Sophist mein hiebevor gedrucktes Buechlein von Pruefung der Gesichter zwar bestuermet/ aber mit nichten ueberwunden hat … Luebeck: Valentin Schmalhertz. 1647. SB B1: 2 in: Na 2130 – Nothwendige/ Hoechstabgedrungener Warheit und Ehrenrettung wieder/ Die sehr hefftige Schrifft/ so D. Iacobus Fabricius … unter dem Titul: Invicta Visionum probatio: Das ist/ Wolbefaestigte Wiederlegung der nichtigen Scheingruende/ mit welchen ein Streitsuechtiger Sophist mein hiebevor gedrucktes Buechlein von Pruefung der Gesichter zwar bestuermet/ aber mit nichten ueberwunden hat … Ander Theil. Luebeck: Valentin Schmalhertz, 1648. SB B1: 3 in: Na 2130 – Nochmahlige kurtze/ jedoch gruendliche Wiederholung der Streitigkeit/ so nun etliche Jahr in der Christlichen Kirchen gefuehret/ von den Newen Gesichtern/ unmittelbar Prophecey- und Offenbarungen … Luebeck: Valentin Schmalhertz. 1649. SB B1: Na 2134 – Conscientia in genere, Das ist Gruendlicher Bericht Vom Gewissen ins gemein Daß es sey; Was es sey; Warumb es sey; und wie es recht zu pruefen und zu forschen sey … Luebeck: Michael Volk. Schmalhertz Erben. 1654. HAB W: A:462.5.4 Quod. (1); HAB W: A:1132.5 Theol. Strigenitz, Gregorius: Ossa redivica. Das ist: Die wunderbarliche unnd gantz Troestliche Geschicht/ Und Geistreiche Gesichte/ von den duerren Todtenbeinen/ die der Prophet Ezechiel im weiten Felde hat sehen liegen/ Und durch den Sohn Gottes wiederumb zusammen gebracht/ und lebendig gemacht worden sind … Leipzig: Barthomomæus Voigt. 1597. HAB W: Th 2605. Sturm, Leonhard Christoph: B ILEAM Abfertigung Oder Gruendliche Wiederlegung Der A STROLOGIE und aller anverwanten Wahrsager-Kuenste Aus der Heil. Schrifft/ der realen Philosophie, der unfehlbaren Mathesi, und der Historie, Inn reinen und deutlichen Beweißthuemern abgefaßet. Braunschweig: Heinrich Keßler. 1699. SLUB D: Astron. 586,36 Sturmlerner, P. Friedrich: Die Seele des Menschen in ihrer Geistigkeit und Unsterblichkeit … Kempten 1790. BSB M: Ph. sp. 812 m
527 Sulzer, Johann George: Lobrede auf den König. Berlin 1758. BSB M: 4 P.o.germ. 201 h Beibd. 5. – Kurzer Begriff aller Wissenschaften und andern Theile der Gelehrsamkeit, worin jeder nach seinem Inhalt, Nuzen und Vollkommenheit kuerzlich beschrieben wird. Leipzig: Langenheim. 21759. MPIWG B: Sou III (001) X – Theorie der angenehmen und unangenehmen Empfindungen. Berlin 1762. BSB M: Ph.sp. 817; BSB M: Fiche Ph.sp. 817. Synesius Cyrenensis: De somniis. Transl. a Marsilio Ficino. Venetia 1516. BSB M: 2 A.gr.c. 14; SB B1: Be 2610e Angeb. 5 Tancke, Joachim: Promptuarium Alchemiae. Leipzig: Groß. 1610. BSB M: Res/Alch. 278 Tandler, Tobias: Dissertatio de Fascino et Incantatione. Witeberga 1606. BSB M: Phys.m. 274 – Dissertationes physicae-medicae: I. De spectris, quae vigilantibus obveniunt, II. De fascino & incantatione, III. De melancholia & hujus amolitione, IV. De melanchorum vaticiniis aliisque mirandis operibus, V. De noctesurgio […] quibus acc. non minus desideratae Hieron. Nymandi, VI. De imaginatione Oratio … Leucoreis Athenis: Schurerus. Meissner 1613. HAB W: Hr 410; SB B: 8° Jc 3776 – Oratio de Spectris, Quae Vigilantibus Obveniunt. Witebergae 1613. SB B: Jc 3776 Tellolot von Chicester, Joseph: Gantz neues und Grund-reiches Traum-Buch/ In welchen aufs gewisseste/ Allerhand Traeume mit ihren wahren Bedeutungen in rechter Ordnung nach dem Alphabet zufinden sind … o. O. 1723. SB B1: Na 5021 Rara Tengler, Christoph: Der neu Layenspiegel von rechtmaeßigen ordnungen in burgerlichen vnd peinlichen Regimenten … Augspurg: Rynmann/Othmar. 1511. SB B: Rara 2° Gl 21705; SB B: Rara Gl 21703 Tengler, Ulrich: Layen-Spiegel. Von rechtmässigen ordnungen in Burgerlichen vnd peinlichen regimenten. Augspurg: Otmar. 1509. BSB M: Res/2 J.pract. 72 a; BSB M: Res/2 J.pract. 73; BSB M: Res/2 P.lat. 876 Beibd.1 Teuetschmann von Waremund, Frantzoesis. Ratio Statûs, Oder/ Rasender Staat Deß Ehrsuechtigen ruchverlohrner LilienKoenigs/ Beruhend Auff 43 Grund-Saeulen … Germanopel 1702. BSB M: Res/4 Eur.388,43 Thiemen, Johann Christoph: Haus- Feld- Arzney- Koch- Kunst- und Wunder-Buch. Das ist: Ausfuerhliche Beschreib- und Vorstellung/ Wie ein kluger Hausvatter und sorgfaeltige Hausmutter/ was Standes und Wuerden sie auch immerdar seyn moegen … Nuernberg: Johann Hofmann: 1682. HAB W: Xb 356 Thomasius, Christian: De jure circa somnium et somnia, Von Recht Des Schlaffs und der Träume. Regiomonti/Lipsiæ: Burgkmann, in Collegio Paulino. 1712. GNM N B: 4° Nw. 3087r; BSB M: 4 Diss. 3593,10; SLUB D: Diss.jur.civ.483,4 – Lipsiæ: Burgkmann. 1715. HAB W: Li 9069; UBG: Jur. Diss. 521: Dissertatio XI, p. 694–800. Thyraeus, Peter: De Prodigiosis viuorum Hominum Apparitionibus Dispvtatio Theologica Bipartita. Et Priori Qvidem Explicantvr Illae, in quibus se viui sub propria forma, nunc vigilantibus, nunc dormientibus exhibent … Ad Vtranque Pro Gradv Responsvrvs est … Ioannes Henricvs Sylvivs SS. Theol. Baccalaureus Biblicus … Wircebvrgi: Henricus. 1591. BSB M: 4 Diss. 3818,17 Titius, Gerhard: Disqvisitio Theologica, Oder Theologische Eroerterung Einer Hochwichtigen Frage/ Von Rechtmessiger Beruff- und Ordinirung der so genandten Lutherischen Prediger … Hildesheim: Jobst Hageman und Hans Wendel Stoertz. 1654. BSB M: 4 Polem. 905 h Tooker, William: Charisma sive donvm sanationis. Sev Explicatio totius quaestionis de mirabilium Sanitatum Gratia, in qua præcipuè agitur de solenni & sacra curatione strumæ, cui Reges Angliæ ritè inaugurati, diuinitùs medicati sunt, & quam Serenissima Elizabetha, Angliæ, Franciæ, & Hiberniæ Regina, ex cælesti gratia sibi concessa, Applicatione manuum suarum, & contactu morbidarum partium, non sine Religiosis ceremonijs, & precibus, cum admirabili & fælici successu indies sanat … Londoni: Iohannes Winder. 1597. BSB M: 4 Phys.m. 93 m; BSB M: Film R 360–334
528 Des Traeumenden Pasquini kluger Staats-Phantasien/ Uber den ietzigen verwirreten Zustand der Welt/ Zweyte Erscheinung/ Allen curieusen und Staats-verstaendigen Gemuethern zu fernerem Nachdencken/ zugeeignet und uebergeben. Freyburg [= Leipzig]: Johann Georg Wahrmund [= Groschuff]. 1697. HAB W: T 268b Helmst. 4°; BSB M: Res. L eleg. m 645 Beibd. 2 – Erste und Zweyte Erscheinung. 2 Bde. Freyburg [= Leipzig]: Georg Wahrmund [=Groschuff]. 1697. BSB M: Res. 4° Eur. 386, 3,1/2 – Freyburg [= Leipzig] 1697. BSB M: Res. 4 Eur. 386,3 Traité des songes et des visions nocturnes, Avec leurs significations, selon la Doctrine des Anciens, expliquées par ordre Alpabétique. o. O. o. D. BM P: Rés. 82 44411 Ein Traum. o. O. o. D. [1754]. SB B1: Al 4362 Angeb. 6 Rara Traum und wahre Geschichte/ Churfuerst Friedrich des Weisen zu Sachsen, von dem Hirsch mit dem gueldenen Geweih, und der Fuerstin/ am Brunnen. o. O. o. D. [1746]. SLUB D: Hist.Sax.B.260 Ein Traum. Viel Großes und viel Kleines, am 3ten November 1760. als am Tage des, von Sr. Majestaet dem Koenig in Preußen Friedrich dem Groeßesten, ueber große Oesterreichische Armee … Sieges. o. O. o. D. [1760]. UBG: 8° H Germ. un. IX, 317: 17; BSB M: 4 P. o. germ. 233, 53 Traumbuch/ Oder erklaerung Naechtlicher Gesicht: Wie dieselbe von den alten weysen und fuertrefflichen Philosophen/ durch fleissige erforschung unnd langwirige erfarung/ gerecht und warhafft erfunden/ unterschieden unnd ordentlich getheilet worden. o. O. 1602. HAB W: 348. 19 Quod. (1) Traum-Buechlein/ Oder Beschreibung/ wie man naechtlicher Gesichten Fuerbildungen/ erkennen und lernen mag. Alles auß Alten und Newen kuenstlichen Traumbuechern/ deßgleichen vor nie außgangen/ fleissiglich in die kuertze getzogen und fuergestelle. In: Balthasar Schnurr: Kunst- Hauß- und Wunderbuch/ Darinnen allerhand nutzliche Sachen/ Wunder- und Kunststuecke/ begriffen … Uffs new jetzo verbessert/ vermehrt/ und mit einem nutzlichen Register gezieret. Franckfurt am Mayn: Wilhelm Serlin. 1657, S. 769–827. HAB W: 81. 3 Med. (2) Traumbuechlein/ Wie man Naecht licher gesichten/ Fuerbildungen/ und Traeumen/ bedeutungen erkennen und erlernen mag/ Auß alten/ unnd neuwen kuenstlichen Traumbuechern/ fleissiglich in die kuertze gezogen und gestellet … Franckfurt am Mayn: Nicolaus Basseus. 1592. HAB W: 540 Quod. (2) Traum-Buechlein, wie man naechtlicher Gesichten, Fuerbildungen, und Traeumen Bedeutungen erkennen und lernen kan. Dermalen von Neuem aus alten und neuen TraumBuecheren vermehret, und in bessere Ordnung gebracht. Moempelgardt: In der Deckherrischen-Buchhandlung. o. D. BN F: R-52716 TraumGesicht Gespraeche Gehalten von einer alten Teutsch Seel/ so da erschienen und im Traum begegnet/ Einem jetzigen Teutschen … o. O. o. D. [ca. 1660]. BSB M: Diss. 76 Beibd. 3; BSB M: H. afr. 3932 Beibd. 1; HAB W: 574.2.1 Quod. (2); SUB G: ALT. 74 A 7843 RARA:1 Traum-Gesicht vom Demokritus und Heraklitus/ da jener den itzigen Zustand in Teutschland belachet dieser aber beweinet. Worinnen denen bedraengten Mit-Bruedern seiner nothleidenden Nation/ treuhertzig alles eroeffnet ist/ die uebrigen aber sich zu bessern/ wolmeynend gewarnet werden. o. O. 1675. HAB W: QuN 182 (18); FLB G: Th 8° 00434 (06) Traum-Gesicht Welches Ben-Adam/ zur Zeit der Regierung Rucharetz/ des Koeniges von Adama/ gehabt/ und an Tag gegeben hat. Floretus â Bethabor. Mit noch einem andern Tractaetlein von der Reise Friederich Galli/ nach der Einoede S. Michael. Hamburg: Johann Nanmann. 1682. BSB M: Alch. 103 c Beibd. 1 Traum-Gespenste Auff des Koeniges von Schweden Geistes Anrede an den Churf. von Sachsen wegen Brechung des Buendnisses/ den 20. May des 1635. Jahrs. Nach dem NiederLaendischen Exemplar. o. O. o. D. [ca. 1635]. SB B1: Yi 1386 Rara Trittenheym, Johansen von: Von den syben Geysten oder Engeln den Got die hymel zu füre[n] vo[n] anfang der welt beuolhe[n] hat … Nüremberg 1522. HAB W: 511. 47 Th. (3)
529 Troumbuechlin/ Darinn warhafftig auß Natürlichen ursachen auch der alten Philosophen/ unnd Weyssagern der Heyden/ langwirigem brauch/ und fleissiger nachtrachtung/ erklaert und außgelegt werden/ alle Troeum/ Erscheinungen unnd Naechtliche gesicht/ die dem menschen von der Seelen/ wann sich der Leyb zuer rueh begeben hatt/ eingebildet und fürbracht werden … Straßburg: Samuel Emmel. 1560. HAB W: 136. 2 Phys. Tschirp[e], Johann Christoph: Der traumende Elpin, welcher in der Einsamkeit seine Glueckseligkeit vergebens suchet. Jena: Marggraf. 1760. HAB W: P 360b 4° Helmst. (13); BSB M: 4 Diss. 1778 Beibd. 11; BSB M: 43 Diss. 907 Beibd. 33 Tuerckische Traum-Gesicht/ Und darauf/ Erfolgte aberglaubische Buß und Andacht bey dem Grab des falschen Propheten Mahomets … Muenchen: Matthias Riedl. 1718. BSB M: Res. 4 Turc. 94,9 – o. O. 1718. BSB M: Res. 4 Turc. 94,8; HAB W: Lo 6434 (2) Unterschiedliche Paßporten/ Deß auß Mitternacht Adelichen und untadelichen/ eylenden im Teutschland ankommenden Post-Reuters … Magdeburg o. D. [1631/32]. HAB W: 48. 2 Pol. (22) Unzer, Johann August: Gedancken Vom Einflueß der Seele in ihren Koerper. Halle: Carl Hermann Hemmerde. 1746. SB B2: 2 in: No 9981 Van Beuningen Sieur: E XPLICATION DU SONGE Que le R OY DE F RANCE A eu en son Carosse allant à Marly. U YTEGGINGE Van den D ROOM Die den Koninck van Vranckrijck gehadt heeft in sijn Carose gaende na Marly. Den Hage 1689. SUB G: Theol. thet. I, 834/65 Vaticinia postremi seculi/ D V O; Das ist/ Zwo wundersame/ unnd verborgene Weissagungen/ von verenderung und zufaelligem Glueck der hoechsten Potentaten deß H. Roemischen Reichs. Eine D. Ioannis Carionis, Die andere Theodorici … Bey diesen letsten gefaehrlichen Zeiten/ den Boehmen/ zum Spiegel und trewhertziger Erinnerung widerumb vor Augen gestellt. Darmbstatt: Balthasar Hoffmann. 1619. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (5) V ATICINIUM PRODIGIOSUM , Anni 1691. Calendis Januarii Avenione inventum. o. O. o. D. BSB M: 4 Gall.g. 96 Beibd. 9 Vaticinium trin-uni-sonum, Das ist/ Dreyerley Propheceyung oder Weissagung gleiches Lauts unnd Inhaldts/ die eine beschrieben Von Sebald: Brand. Anno 1604. Die ander von D. Johann: Carion. Anno 1547. Die dritt von Jacob Hartmann. Anno 1538 … Mittelburg 1620. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (7) Velschius, Georgius Hieronymus: S OMNIUM V INDICIANI . Sive Desiderata Medicinæ. Augustæ Vindelicorum 1676. SUB G: 8° Med. Praec. 88/5 [Venator, Balthasar]: Satyrische Gesicht und Traumgeschicht/ 1. Von Dir und Mir/ 2. Der fliegende Wanders-Mann/ 3. Kurtze und Kurtzweilige Reise-Beschreibung nach der obern neuen Monds-Welt/ Alle lustig und nuezlich zu lesen. o. O. 1660. HAB W: Lo 2303 Rarum – Traum-Geschicht von Dir und Mir/ So dann Kurtze und kurtzweilige Beschreibung Der zuvor unerhoerten Reise Welche Herr Bilgram von Hohen Wandern ohnlaengsten in die Neue Ober-Welt des Monds gethan. Sehr nutzlich/ lustig unn nachdencklich zu lesen. o. O. 1660. UBG: Alt. 74 A 7843 Rara:2; HAB W: Lo 2303 (1) Rarum; HAB W: 152.22 Pol. (1); BSB M: Rar. 563; BSB M: Rar. 563 – Traum-Geschicht von Dir und Mir … o. O. 1665. HAB W: 85.12 Eth. (3) Verard Zeviani, Johann: Neuendeckte Quellen von den Prognostiken oder Vorhersagungen des Erfolgs in Krankheiten. Aus dem Italienischen uebersetzt. Leipzig: Gleditschiche Handlung. 1760. SStB A: Med 4984 Veritable und umstaendliche R ELATION / Von einem Curieusen und remarqvablen Traum/ Welchen der Tuerckische Kaeyser A CHMET / Von Seiner Koenigl. Maj. von Schweden C AROLO den XII. Seit dem Derselbe/ Das Tuerckische Territorium verlassen/ auf seinem Schlosse oder Serail gehabt. o. O. 1715. SLUB D: Hist. Suec. 405, misc. 26; SLUB D: Hist. Suec. 442, 56 Vermigli, Petrus Martyr: In Samuelis Prophetae Libros Dvos D.D. Petri Martyris Vermilii Florentini … Commentarii doctissimi. Tigvri: Wolf. 1595. SB B1: 2 in: 4° Bm 7552; TULB J: 2 Theol.XXIV,7(2); HAB W: S: Alv.: V 339 2°
530 Vertheidigung wider die geschwulstige Vertheidigung der betruegenden Zauberkunst und traumenden Hexerey. o. O. 1767. SUB G: 8° Theol. thet. 230/11:7 Vietore, Iohanne: Dormitorium Christianorum, Das ist/ Christliche Leich und Trostpredigt/ Vom Grad und Rhue-Kaemmerlein der Christen/ daß sich kein frommer Mensch darfuer zufuerchten hab/ Auß dem Propheten Esaia/ Cap. XXVI … Darmbstatt: Hofmann. 1611. HAB W: 385. 13 Theol. (7) Vischer, Christofferus: Einfelltiger vnd in der heiligen Goettlichen Schrifft wolgegruendter bericht wider den aberglaubischen altuette[r]lischen Segen/ damit man Menschen und Vieh wider allerley seuchen/ mit grewlichem missbrauch Goettlichez Worts/ zu helffen vermeinet. Schmalkalden: Kroener. 1571. SB B1: an: N 7549–2 [Vives, Juan Luis]: Somnium. Quæ est præfatio ad Somnium Scipionis Ciceronis. Eiusdem Vigilia. Quæ est enarratio Somnij Scipionis Ciceronis. Et alia nonnulla quæ proxima pagella indicabit. Basilea: Froben. 1521. BSB M: 4° A.lat.b. 256 – De Anima & uita Libri tres. Ejusdem argvmenti Viti Amerpachii de Anima Libri IIII [Straßburg 1542]. Philippi Melanthonis Liber unus. Basileæ: Oporinus. o. D. SB B1: Nn 1412 [Vogtherr, Heinrich]: Ain Fruchtbar buechlin/ wie ain Christnn mensch in Got widerumb neüw ge poren/ un[n] in die jnnerlich erkantnus gots gefuert in got eingelei bt und vergo tett wird, H. Satrapitanus P. [Augsburg] [: Ramminger.] 1523. SLUB: Hist.eccl.E.345,46 Rara Vollstaendiges Traumbuechlein worin ein jeder Lotteriefreund seine Traeume in Zahlen finden und dadurch gluecklich werden kann. Nürnberg: Schiefer. o. D. BSB M: Phys.m. 323,2 Vom Sacra ment der Dancksagung. Von dem waren natuerlichen verstand der worten Christi: Das ist mein Leib/ nach der gar alten Lerern erklaerung/ jm Latein bschriben durch Ioann. Eco lampadium/ verteütscht durch Lvdvigen Haetzer … [Zürich:] Froschouer. 1526. BSB M: Polem. 3014,1 Von den Traeumen und Nachtwandlern. Hg. von Justus Christian Gennings. Weimar: Hoffmann. 1784. BSB M: Anthr. 55 b Von der Goetlichen kindtschaft/ und herr lichait des ganntzen Sones Gottes Jesu Christi C. Schwenckfelds erst Buechlen … Wieder new getruckt. o. O. 1555. SB B1: 2 in: Cs 7716 Rara Waldschmidt, Bernhardus: Pythonissa endorea, Das ist: Acht und zwantzig Hexen- und Gespenstpredigten/ Genommen/ Auß der Histori der Zauberinn zu Endor … Franckfurt: Polich. 1660. HAB W: Th 2737 Walther, Paul: A PPENDIX Dreyer Sonderbarer Predigten: Darinnen das Fastnachtische Verlarven und Mummerey: Die A la mode Tracht und Pracht: Wie auch die vermeinte Englische zur Busse vermahnende Gesichte und Erscheinungen betrachtet und examiniret werden … Luebeck: Schmalhertz. 1637. HAB W: 375. 7 Theol. (8) Warhaffte Prophezeyung/ Dreyer Im Bapstumb Hochberuembter Fuertrefflicher Maenner/ Welche lange vor D. Luthers Seel: zeiten/ von deren jetzo fuer Augen schwebenden Verenderungen im Roemischen Reich Geweissaget … o. O. 1632. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (22) Warhafftige Weissagung des letzten Deutschen Propheten/ D. Martini Luthers/ welcher schon vor hundert Jahren diesen jetzigen erbaermlichen und jaemmerlichen Zustand beklaget und beweinet hat. Auch ist noch eine kurtze Weissagung was D. Philippus Nicolai von Hamburgk dem Roemischen Antichrist im 1629. Jahr fuer ein Urtheil fellet. o. O. 1629. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (3) Warhafftiger Traum/ und Traeumende Warheit/ Betreffend/ Den ietzigen neuen Undeutschen Zustand in gantz Deutschland. o. O. o. D. [ca. 1670]. HAB W: QuN 858 (4) Warner, Johann: Beschreibung etzlicher Visionen, Welche ihm sind von Gott/ wegen des Zustandes der Lutherischen Kirche/ und jhrer Widerwerdigen/ jnnerhalb Neun Jahren gezeiget worden … o. O. 1638. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (28) – J OHAN W ERNERS auß Meissen Schwan-Gesang: Der da in sich begreifft vier Theile/ Als I. Einen nochmaligen Bericht von dem grossen Abgoettischen Babylon sampt sei-
531 nen Helffers-Helffern/ und denen rechten Gliedmassen der Evangelischen Kirchen/ welche nach jhrn Wercken mit Babel huren; II. Drey unterschiedliche Vermanungen/ 1. An das Hochloebliche Hauß Oesterreich/ 2. an das Churfuerstliche Hauß Sachsen/ und 3. an das Koenigreich Schweden sampt den Conjungirien Deutschen; III. Drey sonderbare Warnungen/ 1. An die Evangelische Haupt Armee/ 2. An das Reich Schweden/ und 3. An die Deutschen Fuersten/ sampt denen Deutschen/ so dieser Cron bedienet sind … o. O. 1642. BSB M: Res. 4° Eur. 365, 10 – Carnueffel-Spiel des Teuffels/ Dadurch er als ein Tausentkuenstler/ vielen Millionen Menschen/ bißhero Himmel/ Seel und Seeligkeit abgewonnen hat … Quedlinburg: Ockelln. 1664. SB B: 6 in: Be2984 Weber, Johannes: J ANUS BIFRONS seu S PECULUM PHYSICO - POLITICUM / Das ist/ Natuerlicher Regenten Spiegel. Leutschaw 1662. HAB W: Xb 4° 102. – L ECTIO P RINCIPVM . H OC EST : P OLITICA MANVDVCTIO, QVO PACTO J VVENI GVBERNATORI CHRISTIANO , VERÆ JUXTA PIETATIS AC VIRTUOSÆ VITÆ , L AUDABILIS q[ue] R EGIMINIS ratio præmonstrari commodè queat, Conscripta … Leutschviæ. Hæred. Brev. 1665. HAB W: Xb 4° 102 (2) Weinmann, Johann: De Anima rationali. [Resp.:] Abrahamus Trincker. Altdorphii: Scherff. 1625. HAB W: Mx 357 (14) Weinrich, Georg: Christliche Leichpredigt Aus dem 28. Cap. des Ersten buchs Mose. Von der Leyter/ so der Patriarch Jacob im trawm gesehen/ an welcher die Engel Gottes auff und absteigen. Beym Begraebniß des Erbaren und wolgeachten Balthasaris Esaiæ von Jossa … Leipzig o. D. [1605]. HAB W: J 2. 4° Helmst. (29); HAB W: 318.4 Theol. (4) Weise, Christian: Der kluge Hoff-Meister/ Das ist/ Kurtze und eigentliche Nachricht/ wie ein sorgfaeltiger Hoff-Meister seine Untergebenen in den Historien unterrichten/ und sie noch bey junger Zeit also anfuehren sol/ damit sie hernach ohne Verhindernueß die Historien selbst lesen und nuetzlich anwenden koennen … Franckfurt und Leipzig: Ritzsch. 1677. BSB M: Paed.th. 6185 – Kurtzer Bericht vom Politischen Naescher/ wie nehmlich Dergleichen Buecher sollen gelesen/ und Von andern aus gewissen Kunst-Regeln nachgemachet werden. Leipzig/ Zittau: Weidmann/Hartmann. 1680. BSB M: Paed.th. 6185, Beibd. 1 – Deß Weisen Mannes Politische Traeume worinnen/ Einer klugen Seelen weitaußsehende Gedancken und Bey dieser Zeiten Lauff sich begebenden Menschlichen WeltHaendeln/ In lebendiger Aufffuehrung der Tugenden und Laster herrliche Bilder/ Uberauß anmuthig und erbaulich zulesen/ vorgestellet werden. Franckfurt: Erythropilus. 1683. HAB W: Lo 6434 (2) – Politischer Naescher/ Aus Unterschiedenen Gedancken hervor gesucht/ Und Allen Liebhabern zur Lust/ Allen Interessenten zu Nutz/ Nunmehro in Druck befoerdert. Leipzig: Gleditsch. 1693. BSB M: P.o.germ. 1560m – Neue Proben von der vertrauten Redens-Kunst/ Das ist: drey Theatralische Stuecke … Von dem traeumenden Bauer am Hofe Philippi Boni in Burgundien … Dreßden/Leipzig: Miethien/Zimmermann. 1700. BSB M: P.o.germ. 1560 Beibd. 1 – Ein wunderliches Schau-Spiel vom Niederlaendischen Bauer/ welchem der beruehmte Printz P HILIPPUS B ONUS zu einem galanten Traume geholffen hat. o. O. o. D. [1700]. HAB W: Lo 7877 (5) Weissagung/ oder Prophecey/ Von Untergang/ und Außrottung der Statt Babylon/ unnd grossen Roemischen Huren. Auß den Commentariis R. P. Blasii Viegas, auß Portugall/ der Societet Jesu D. Theologi, und der H. Schrifft in der Eborenser Uniuiersitaet Professoren. Auß deren zu Coeln/ bey Johann Honthemio/ im Jahr Christi 1603. in quarto publicirten Edition. o. O. 1632. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (18) Weller, Hieronimus: Von zweien Wunderbarlichen und erschreckli chen wunderzeichen/ als nemlich/ wie in der Stadt Meyssen ein Kindlein inn Mutter leybe geweynet habe … Mit Erklerung/ Was man von diesen und dergleichen Zeichen/ so am Hymel/ auff Erden/ an Menschen/ und am Viehe geschehen halten solle. o. O. 1551. SUB G: 8° H. Misc. 338/13:2
532 Welper Eberhard, Das Zeit kuertzende Lust- und Speil-Hauß/ In welchen der Curiose Kuenstler/ In etlichen Zim[m]ern allerhand rare Kuenste und Spiele vorstellet … mit mehr als zwey hundert Kupffern und Figuren gezieret/ deme beygefueget/ Des galanten Frauenzimmers curioeses Jahr-Tag-Stunden- und Traum-Buch. Auf Befehl einer hohen Person gedrucket. Kunstburg [Frankfurt?] o. D. [ca. 1694]. SB B1: 316 824 Bd. 1–2 Rara Wendler, Christian Adolf: De Somno. Lipsiae: Tauchnitz. 1805. HAB W: Mx 4 (10) Wenzel, Iohann: Eine Christliche Predigt Von den heutiges Tages außgegebenen Gesichten und Offenbarungen/ Was darauff zuhalten und wie sie zu pruefen … Zell: Elias Holwein. 1633. SUB G: 8 Phil. V, 4276 (25) Westerburch [Westerburg], Gerhard: Vom Fegfewer un[n] stand der verschayde[n] selen/ ain Christliche mainu[n]g nit wie bißher fuergebe[n]. Cölen 1523. BSB M: Res/4 Polem. 7, Beibd. 17; BSB M: Res/4 Polem. 7; BSB M: Res4/ Polem. 3365,33; BSB M: Res/4 Polem. 1867 b; BSB M: Polem. 4° 3191d; Westphal, Johannes-Caspar: Pathologia Dæmonica, id est Observationes & Meditationes Physiologico-Magico-Medicæ circa Dæmonomanias, similesquè Morbos Convulsivos â fascino ortos, Dæmonibus olim Græcorum Ethnicorum ac Judæorum aëreis, hodiè verò Obsessioni aliisque Diaboli infernalis Tentationibus & Operationibus superstitiosè adscriptos … Lipsiæ: Lanckisius. 1707. SUB G: 8° Philos. V 4276, 12; SStB A: 4° Med 186 Beibd. 2 [Westphal, Johann Kaspar, Johann Georg Horheisen]: Zweyer guten Freunde vertrauter Brief-Wechsel vom Wesen der Seelen … Haag: von der Aa. 1713. HAB W: Mt 230 (1) Wezel, Iohannes: Eine Christliche Predigt/ Von den heutiges Tages außgegebenen Gesichten und Offenbarungen/ Was darauff zuhalten wie sie zu pruefen … Zell: Holwein. 1633. SUB G: Philos. V 4276, 25 Wichman, Petrus: Die Unsterblichkeit der Menschlichen Seele, und Auferstehung der Todten … Hamburg: Hertel. 1736. SB B1: 8° Bibl. Diez. 5962 Wideburg, Christoph Tobias: Disputatio theologica inauguralis qua Theologiæ fanaticæ fundamentum de tribus partibus hominis corpore anima et spiritu … Helmstadi: Hammius. [1695]. SUB G: Th. pol. 148/1,18 8° Wideburg, Heinrich: Disputatio Theologica Inauguralis Qua Theologiæ Fanaticæ Fundamentum De tribus Partibus Hominis Corpore Anima Et Spiritu, Præside Henrico Wideburgio … Solenni Eruditorum Examini Submittet M. Christoph. Tobias Wideburgius … Helmestadii: Hammius. [21695]. SStB A: Diss. Theol. prot. 3404 Widerlegung Eines Schwenckfeldischen Buechleins/ in welchem gelehrt unnd gefochten wird/ das die unwirdigen den Leib des Herrn Christi im Abendmal nit empfahen. o. O. o. D. HAB W: 511. 32 Th. (18a); HAB W: QuN 280. 1. 1 (12) Willis, Thomas: Cerebri Anatome, Cui accessit Nervorum Descriptio & Usus. Amstelodami: Commelinus. 1667. SStB A: Med. 5230 Winckler, Johann: Schrifftmaeßiges wohlgemeintes Bedencken ueber das Send-Schreiben an einige Theologos, Betreffend die Frage: Ob Gott nach der Auffahrt Christi nicht mehr heutiges Tages durch Goettliche Erscheinung den Menschen-Kindern sich offenbahren wolte? [Hamburg]: Liebezeit. 1692. SB B2: 11 in: Cs 16001 Winckler, Nicolaus Eberhard: Ein Hohe notwendige Betrachtung und Gruendliche Widerlegung/ deß uberenzigen Mißbrauchs Astrologi, so jetziger Zeyt je laenger unnd mehr/ in Calendern und Practigken/ ohn allen schew/ mit grosser Ergernuß pfleget einzureyssen … Augspurg: Verich Schoenigk. 1615. SStB A: 4° Math 635 Winslovius, Petrus F.: Anima locata, Sive de Sede Animæ rationalis in Corpore Dissertatio … Hafniæ: Schmitgen. 1704. SUB G: 8 PHIL IV 8796 Witteramus, Hermann: Leichpredigt/ Auß dem 12. Cap. Danielis: Viel so unter der Erden schlaffen liegen/ etc. o. O. 1613. ULBSA: AB 44/i, 1(4) Film; HAB W: J 270 4° Helmst. (11) Witzen, Henricus Gottingus: Prophecey- und Weissagung/ VOn dem Boehmichen Kriegswesen/ So wol dem Koenig in Boehmen und saemptlichen Churfuersten/ jetziger schweren Leufften und Ubeln zustands/ fast im gantzen Heiligen Roemischen Reich
533 etc. auch von jhrer veraenderung und mutationibus imperiorum. Deß alten und weitberuembten Astronomi Herrn Johannis Liechtenbergers … o. O. 1620. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (8) Wolfius, Christian Sigismund: Christliche Betrachtung/ Der Chiliastischen V ISIOLOGIE , Was/ Nach der Heil. Schrifft ohne Rhetorication, davon zu halten: Wobey erwiesen wird/ Daß Die Einbildung der Tausend-jaehrigen Welt-Freude auff Erden eine Phantasie … Ratzeburg: Hoffmann. 1692. SB B1: Cz 2118 Wolgemuth, Ernst: Der Traumende Musen-Freund/ Vorstellend in 100. Absaetzen … o. O. o. D. [1668]. SUB G: 8° Fab. Rom. VI, 75:2; BSB M: L eleg. m 833 n Beibd. 1 – 500 Frische und vergueldete Haupt-Pillen Oder: Neugeflochtener MelancholieBesem … Eingeschaechtelt 1669. SUB G: 8° Fab. Rom. VI, 75:1 Würtzer, Heinrich: Dem Preiß-Wuerdigen M AGISTRAT Der Stadt Hamburg præsentirte Auf das von Demselben allhie angeordnete IIte R EFORMATIONS -J UBILÆUM / Anno 1717. […] Hiernechst ist eine Erlaeuterung solcher Anrede/ Wie auch Friedrichs des Weisen/ Weiland Churfuersten zu Sachsen/ Bedencklicher Traum von der Reformation … Hamburg: Stromer. o. D. [1717]. SLUB D: Hist. urb. Germ. 683,44 Das wunderbare Tuerckische Traum-Gesicht, und dessen durch Einen 113. Jaehrigen Tuerckischen Pfaffen aus Egypten gegebene Auslegung … o. O. [Wien] 1718. SLUB D: Hist. Turc. 407,62 Ein wunderliche weissagung/ von dem Bapstum/ wie es yhm bis an das ender der welt gehen sol/ ynn figuren odder gemelde begriffen/ gefunden zu Nuermberg/ ym Cartheuser Kloster und ist seher alt. Ein vorred Andreas Osianders. Mit gutter verstendtlicher auslegung/ durch gelerte lewt/ verklert. Wilche/ Hans Sachs yn Deudsche reymen gefasset/ und darzu gesetzt hat. o. O. 1527. BM P: Rés. 17 752 A 6e p. Der wundersame Traum/ eine wahrhafte Vorherverkuendigung des gegenwaertigen Kriegs. o. O. 1760. SUB G: 8° H Germ. un. IX, 317: 25 Zaeuberische Zeitung/ Wie eine Hexin durch Teuffelßkunst jren Sohn mit sonderlichen Aberglaubischen dingen zum Wildschiessen behuelfflich gewesen/ und wie es hernach wunderbarlich an tag kommen/ jhre Teufflische Kunst geoffenbaret … Coellen: Schreiber. 1589. HAB W: T 875 Helsmt. 4° (10) Ziemer, Martinus: Dissertatione physica de Mirandis phantasiæ viribus, numine divino favente, in celeberrima leucori, Præside Præcellissimo atque Præclarissimo Dn. K. Joh. Wolfio … Wittenberg: Borckard. o. D. [1679]. SUB G: Diss. 248,19 Zimmermann, Johann Georg: Ueber die Einsamkeit. 4 Bde. Frankfurt/Leipzig 1784–1785. BSB M: Res. Ph.pr. 1285–3. Zinck, Ægidius: Die Traum-T HEOLOGIA Des Neuen Sehers Joh. Georg Rosenbachs Sporer-Gesellen … o. O. 1706. SLUB D: 4.A.5615 [Zum Lamb, Marx]: Der Christliche Schwermer. o. O. o. D. [Heidelberg: Smesman. 1591]. SB B1: Be 2610a Angeb. 4 Das Zwantzigste Capitel der Weissagung Joh.: Liechtenbergers/ welche vor Sechs und neuntzig Jahren erstmals gedruckt worden/ ist zu dieser Zeit wol zulesen … o. O. 1621. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (12) Die zwar vielen unangenehme/ Gleichwol aber sehr merck: und Sonderliche Frag: Ob nicht deß Ertzhertzoglichen Hauses Oesterreich Ruin/ Fall/ Auß: und Abschaff: oder Verstossung von deß Roem. Reichs Cron und Scepter dar/ und fuer der Thuer? … o. O. 1633. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (26) Zwey Nachdaenckliche Traum-Gesichte/ Von Deß Tuercken Untergang/ Zweifels ohn von Goettlicher Direction … o. O. 1684. BSB M: 4° J. publ. e. 330,6; ULBSA H: AB 44 13/i,9 (23) Das die zwey und vierzig Anhaltische Argument/ wider der Ubiquisten Trewme/ noch fest stehen/ Notwendige verantwortung uff das vierte Capitel der vermeinten Apologien/ zu Erfurd im Weinfass/ von dreien Theologen … Zerbst: Schmidt. 1684. HAB W: 365 Theol. (2) Zwey wunder Tractaetlein/ Deren/ das Erste begreiffet Englische Erscheinungen und Reden Christoph Koettern/ Weißgerbern zur Sprotta in der Schlesien/ einem frommen/
534 einfaeltigen Mann/ zum oefftern in unterschiedlichen Gesichten widerfahren … Das Ander/ Him[m]lische Offenbarungen und Gesichte einer Gottsfoerchtigen Jungfrawen auß Boehmen/ vom Zustand der Christlichen Kirchen/ deren Erloesung und schrecklichen Undergang jhrer Feinde … o. O. 1632. SUB G: 8° Theol. thet. II, 260/17 (1) [Zwingli, Ulrich]: EIn klare under richtung vom Nachthmal Christi/ durch Huldryche[n] Zuing lin/ Tütsch (als vormals nie) um[m] der Eiualtigen willen/ damit sy mit nyema[n]ts spitzfündigkeyt hindergangen und gund werden/ beschriben … Zürich: Froschouer. 1526. BSB M: Polem. 3014 – Früntlich verglimpfung unnd ableynung über die Predig des treffenlichen Martini Luthers wider die Schwermer/ zue Wittem berg gethon und beschriben … o. O. 1544. BSB M: Polem. 3020,19 Zwoelff Teufelische Traeum/ Einbildungen oder Speculationes, Welche der vermeinte newe Gott und Großfuerst Michael nebenst seinen Adhærenten, (so sich Purianer nennen) mit Ungrund außgeben … Leipzig: Herman. 1614. HAB W: QuN 280. 1. 1 (12)
2.4
Quelleneditionen
Albertinus, Aegidius: Christi Königreich und Seelengejaidt. Hg. von Rainulf A. Stezmann. Bern/Frankfurt am Main u.a.: Lang. 1983 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts17) (Faksimiledruck der Ausgabe von 1618). Albertus Magnus: Summa de homine. In: Opera omnia ex editione Lugdunensi religiose castigata, et pro auctoritatibus ad fidem Vulgatae versionis accuratiorumque patrologiae textuum revocata, auctaque B. Alberti vita ac bibliographia operum a PP. Quétif et Echard exaratis, etiam revisa et locupletata. Cura ac labore Augusti Borgnet. Bd. 35. Parisiis: Vivès. 1896. Alchemomedizinische Briefe 1585 bis 1597 Oswaldius Crollius’. Hg., übersetzt und erläutert von Wilhelm Kühlmann und Joachim Telle (Croll, Oswald, Ausgewählte Werke 2). Stuttgart: Steiner. 1998 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit 6). Alchymia, die Jungfrau im blauen Gewande. Alchemistische Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Hg. von Richard Scherer. Mössingen/Talheim: Talheimer. 1988 (Talheimer Texte aus der Geschichte 1). Alsted, Johann Heinrich: Encyclopaedia [septem tomis distincta]. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Herborn 1630 mit einem Vorwort von Wilhelm Schmidt-Biggemann und einer Bibliographie von Jörg Jungmayr. 4 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt: FrommannHolzboog. 1989. – Clavis artis Lullianae. Hildesheim/New York: Olms. 1983 (Nachdruck der Ausgabe Straßburg 1609). Andreae, Johann Valentin: Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz anno 1459. Ins Neudeutsch übertragen von Walter Weber. Basel: Zbinden. 31978. – Societas Christiana. Hg. von George Henry Turnbull. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 73 (1954), S. 407–432 und 74 (1955), S. 151–185. Aquin Thomas von: Summa theologiae. Latin text and English translation, introduction, notes, appendices and glossaries. 60 Bde. London: Blackfriars. 1694–1975. Aristoteles: Fragmente zu Philosophie, Rhetorik, Poetik, Dichtung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2006 (Werke in deutscher Übersetzung 20/1 und 4). – Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übersetzt und hg. von Eugen Dönt. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1997 (Universal-Bibliothek 9478). – Über die Seele, griechisch-deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hg. von Horst Seidl. Hamburg: Meiner. 1995 (Philosophische Bibliothek 476). Arnauld, Antoine, Pierre Nicole: Die Logik oder die Kunst des Denkens. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 1994 (Bibliothek klassischer Texte).
535 Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie, Vom Anfang des Neuen Testaments Biß auf das Jahr Christi 1688. 2 Bde. Hildesheim: Olms. 1967 (Nachdruck der Ausgabe Franckfurt am Mayn: Thomas Fritschens sel. Erben. 1729). Artemidor von Daldis: Das Traumbuch. Hg. von Karl Brackertz. München: Deutscher Taschenbuch Verlag. 1979 (dtv Bibliothek). Augustinus Aurelius: Bekenntnisse, Übersetzt von Wilhelm Thimme. Mit einer Einführung von Norbert Fischer. Düsseldorf: Artemis/Winkler. 2007 (Bibliothek der alten Welt). – De genesi ad litteram. In: Ders.: Opera omnia post Lovaniensium theologorum recensionem castigata deno ad manuscriptos codices Gallicos, Vaticanos, Belgicos, etc. necnon ad editiones antiquiores et castigatiores. Opera et studio monachorum Ordinis Sancti Benedicti e Congregatione S. Mauri. Accurante J.-P. Migne. Lutetiae Parisiorum: Migne. 1887 (Patrologiae cursus completus 2.34) – De utilitate credendi. In: Opera omina. opera et studio monachorum Ordinis Sancti Benedicti e Congregatione S. Mauri. Accurante et denuo recognoscente Jacques-Paul Migne. Lutetiae Parisiorum: Migne. 1877 (Patrologiae cursus completus 2.47). – Enarratio in Psalmum. In: Ebd. Lutetiae Parisiorum: Migne. 1865 (Patrologiae cursus completus 2.43). Avicenna Latinus: Liber de anima seu sextus de naturalibus IV–V. Édition critique de la traduction latine médiévale par S. van Riet. Hg. von Simone Van Riet. Louvain: Peeters. 1968. Ávila, Theresia von: Das Buch meines Lebens. Vollständige Neuübertragung. Gesammelte Werke. Bd 1. Hgg. von Ulrich Dobhan, Elisabeth Peeters. Freiburg/Basel u.a.: Herder. 32004 (12001) (Herder spektrum 5211). Bacon, Francis: The Advancement of Learning. Hg. von Michael Kiernan. Oxford/New York: Clarendon Press/Oxford University Press. 2000 (The Oxford Francis Bacon general Edition 4). – Neues Organon. Lateinisch-deutsch. 2 Teilbände. Hg. von Wolfgang Krohn. Hamburg: Meiner. 1990 (Philosophische Bibliothek). Bayle, Pierre: Historisches und Critisches Wörterbuch. Nach der neuesten Auflage von 1740 ins Deutsche übersetzt; auch mit einer Vorrede und verschiedenen Anmerkungen versehen von Johann Christoph Gottsched. 4 Bde. Hildesheim/Zürich u.a.: Olms. 1997. – Œuvres diverses. Hg. von Élisabeth Labrousse. 3 Bde. Hildesheim/New York: Olms. 1970–1976. Becher, Johann Joachim: Chymisches Laboratorium, oder Unter-irdische Naturkündigung. Hg. von Hans-Werner Schütt. 2 Bde. Hildesheim/Zürich u.a.: Olms/Weidmann. 2002 (Historia scientiarum, Fachgebiet Chemie) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurth 1680). – Experimentum Chymicum Novum: Oder Neue Chymische Prob, Worinnen die künstliche gleich-darstellige Transmutation, oder Verwandelung/ derer Metallen/ augenscheinlich dargethan: An statt einer Zugabe/ in die Physicam subterraneam … Hg. von Hans-Werner Schütt. 2 Bde. Hildesheim/Zürich u.a.: Olms/Weidmann. 2002 (Historia scientiarum, Fachgebiet Chemie) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurth 1680). Behandlung einer Geisteskranken im Jahre 1575. Hg. von Hugo Brunner. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde NF 24 (1901), S. 403–404. Die Bekenntnisse des seligen Petrus Canisius S. J. und sein Testament. Aus dem Lateinischen übersetzt und hg. von Johannes Metzler. Gladbach: H. Kühlen Kunst- und Verlagsanstalt. 1921. Bekker, Balthasar: Die bezauberte Welt (1693). Hg. von Wiep van Bunge, 2 Bde. Stuttgart/ Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. 1997 (Freidenker der europäischen Aufklärung, Abteilung I Texte 7/1–2). Bernd, Adam: Eigene Lebensbeschreibung. Hg. von Volker Hoffmann. München: Winkler. 1973 (Die Fundgrube 55) (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1738). Biblia sacra iuxta vulgatam versionem. 7 Bde. Hg. von Robert Weber. Stuttgart: Württembergische Bibelanstalt. 1969–1983.
536 Bilder-Katalog zu Max Geisberg: Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts. München: Schmidt. 1930. Binsfeld, Peter: Tractat von Bekanntnuß der Zauberer vnnd Hexen: Ob vnd wie viel denselben zu glauben. Hg. von Hiram Kümper. Wien: Mille Tre Verlag/Schächter. 2004 (Nachdruck der Ausgabe München 1591). Birken, Sigmund von: Werke und Korrespondenz. Bd. 14. Prosapia, Biographia. Tübingen: Niemeyer. 1988. Bodin, Jean: De magorum daemonomania libri IV. Hildesheim/New York u.a.: Olms. 2003 (Volkskundliche Quellen, Reihe 2) (Nachdruck der Ausgabe Basel 1581). – De la Demonomanie des sorciers … Paris: Gutenberg Reprints. 1979 (Nachdruck der Ausgabe Paris 1587). – Vom aussgelasnen wuetigen Teuffelsheer. Übersetzt von Johann Fischart, Vorwort von Hans Biedermann. Graz: Akademischer Druck- und Verlagsanstalt. 1973 (Nachdruck der Ausgabe Straßburg 1591). – Méthode pour faciliter la connaissance de l’histoire (1572). In: Œuvres philosophiques de Jean Bodin. Aus dem Lateinischen von Pierre Mesnard. Paris: Presses Universitaires de France. 1951. Böhme, Jacob: Sämtliche Schriften. Kommentierte Ausgabe von August Faust (†) und neu ediert von Will-Erich Peuckert. 11 Bde. Stuttgart/Bad Cannstatt: FrommannHolzboog. 1956–1986 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe 1730). Bovillus, Carolus [Bovelles, Charles de]: Liber de intellectu. Liber de sensibus. Libellus de nihilo. Ars oppositorum. Liber de generatione. Liber de sapiente. Liber de duodecim numeris. Philosophicae epistolae. Liber de perfectis numeris. Libellus de Mathematicis rosis. Liber de Mathematicis corporibus. Libellus de Mathematicis supplementis. Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog. 1970 (Faksimile der Ausgabe Paris 1510). Brant, Sebastian: Das neue Narrenschiff. Faksimile der Inc. XI 9821 Bibliothèque de la ville de Colmar. Hg. von Loek Geeraedts. Dortmund: Edition XV.-XVI. Jahrhundert. 1981 (Deutsche Wiegendrucke). Briefe von und an Kant. Hg. von Artur Buchenau. Teil I: 1749–1789. Hildesheim: Gerstenberg. 1973 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1912–1922 hg. von Ernst Cassirer). Bruno, Giordano: Gesammelte Werke. Ins Deutsche übertragen von Ludwig Kuhlenbeck. 7 Bde. Leipzig: Diederichs. 1904–1909. Burton, Robert: The Anatomy of Melancholy. 3 Bde. Bd. 1 hg. von Thomas C. Faulkner, Nicolas K. Kiessling, Rhonda L. Blair. Bd. 2 hg. von Nicolas K. Kiessling, Thomas C. Faulkner, Rhonda L. Blair. Bd. 3 hg. von von Thomas C. Faulkner, Nicolas K. Kiessling, Rhonda L. Blair. Oxford: Clarendon Press. 1989–1994. Calderón de la Barca, Pedro: La vida es sueño. Hg. von Ángel L. Cilveti. Salamanca: Anaya. 1970 (Biblioteca Anaya 3). Calvin, Jean: Institution de la religion chrétienne. 2 Bde. Genève: Labor & Fides. [1955]. – Psychopannychia. Hg. von Walther Zimmerli. Leipzig: Deichert. 1932 (Quellenschriften zur Geschichte des Protestantismus 13). – Œuvres françoises de J. Calvin recueillies pour la première fois, précédées de sa vie par Théodore de Bèze et d’une notice bibliographique par S.l. Jacob. Paris: Gosselin. 1842. Cardan (1501–1576). Ma vie, Traduction du latin par Jean Dayre, révisée et éditée par Étienne Wolff. Paris: Belin. 1991 (Un savant, une époque). Cardano, Girolamo [Cardanus, Hieronymus]: De immortalitate animorum. Hg. von José Manuel Carciá Valverde. Milano: FrancoAngeli. 2006 (Filosofia e scienzia nell’età moderna). – De Libris propriis. The editions of 1544, 1550, 1557, 1562, with supplementary material. Hg. von Ian Maclean. Milano: Angeli. 2004 (Pubblicazioni del Centro di Studi del Pensiero Filosofico del Cinquecento e del Seicento in Relazione ai Problemi della Scienza del Consiglio Nazionale delle Ricerche 3/15). – De subtilitate. Libri I–VII. Hg. von Elio Nenci, Milano: Angeli. 2004 (Filosofia e scienza nell’età moderna 3/16).
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Synesiorum Somniorum Omnis Generis Insomnia Explicantes, Libri IV. In: Ders.: Opera omnia. Mit einer Einleitung von August Buck. Bd. 5. Astronomica, astrologica, onirocritica. Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann. 1966 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe Lyon 1663), S. 593–727. – De vita propria, liber. De libris propriis, eorumque usu (1557). In: Ders.: Opera omnia. Mit einer Einleitung von August Buck. Bd. 1. Philologica, logica, moralia. Stuttgart/ Bad Cannstatt: Frommann. 1966 (Faksimile-Neudruck der Ausgabe Lyon 1663). Carpzov, Benedikt: Peinlicher Sächsischer Inquisitions- und Achtsprozess. Goldbach: Keip. 1996 (Bibliothek des deutschen Strafrechts, Alte Meister 5). Carus, Friedrich August: Geschichte der Psychologie. Berlin u.a.: Springer. 1990 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1808). Cicero, Marcus Tullius: Über die Wahrsagung, lateinisch-deutsch, De divinatione. Hg., übersetzt und erläutert von Christoph Schäublin. München u.a.: Artemis-Verlag. 1991 (Sammlung Tusculum). Collectio Vaticiniorum das ist/ Propheceien und Weissagungen Vergangene/ Gegenwaertige/ und Kuenfftige Sachen/ Geschicht und Zufaell/ Hoher und Niderer Stende/ Den Frommen zur ermanung und trost/ Den Boesen zum schrecken und warnung/ biß zum ende/ verkuendende. Als: Doctors Paracelsi/ Johannis Lichtenbergers/ Martini Luthers/ Philippi Melanchthons/ Der Sibyllen/ Hans Sachs/ und andern … Hg. von Albert Ritter. Berlin: Grosser. 1923. Colonna, Francesco: Hypnerotomachia Poliphili. Ed. critica e commento a cura di Giovanni Pozzi e Lucia A. Ciapponi (secondo il testo e con le silografie dell›incunabolo aldino del 1499). Padova: Antenore. 1964. – Le Songe de Poliphile. Fac-similé de la première édition française de 1546 avec les bois attribués à Jean Goujon d’après l’école de Mantegna [Hypnérotomachie. Venise 1499]. Hg. von Albert-Marie Schmidt. Paris: Libraires associés. 1963. Comenius, Johann Amos [Komensk´y, Jan Amos]: Das Labyrinth der Welt und andere Meisterstücke, Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Klaus Schaller. München: Deutsche Verlagsanstalt. 2004 (Tschechische Bibliothek). – Der Weg des Lichtes. Via Lucis. Introduction, Übersetzung und Fußnoten von Uwe Voigt. Hamburg: Meiner. 1997 (Philosophische Bibliothek 484). – Vindicatio fanae et conscientia. Schutzschrift zur Verteidigung von Ruf und Gewissen, lateinisch-deutsch. Hg. von Jürgen Beer. Sankt Augustin: Academia. 1994 (Schriften zur Comeniusforschung 23). – Leben, Werk und Wirken. Autobiographische Texte und Notizen, Ausgewählt, eingeleitet und hgg. von Gerhard Michel, Jürgen Beer. Sankt Augustin: Academia. 1992. – Pampaedia – Allerziehung, Aus dem Lateinischen von Klaus Schaller. Sankt Augustin: Academia-Verlag. 1991 (Schriften zur Comeniusforschung 20). – Ausgewählte Werke. Bd. 1. Hg. von Klaus Schaller. Hildesheim/New York: Olms. 1973. – Ausgewählte Schriften zur Reform in Wissenschaft, Religion und Politik: Allgemeiner Weckruf mit der Vorrede an die Europäer; Geheimes Gespräch Nathans mit David; Das Glück des Volkes. Übersetzt und hg. von Herbert Schönebaum. Leipzig: Kröner. 1924. Corpus Hermeticum. Texte établi par Arthur D. Nock et traduit par André-Jean Festugière. 5 Bde. Paris: Belles Lettres. 1983 (Les universités de France). Corpus Juris Canonici. Hgg. von Justus Henningius Boehmerus, Aemilius Ludovicus Richter. 2 Bde. Lipsiae: Bernh. Tachnitz Jun. 21879 (11839). Corpus Paracelsisticum, Dokumente frühneuzeitlicher Naturphilosophie in Deutschland. 2 Bde. Hgg. von Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle. Tübingen: Niemeyer. 2001/04. Corpus Reformatorum. Philippi Melanthonis Opera quae supersunt omnia. 27 Bde. Hgg. von Carolus Gottlieb Bretschneider, Henricus Ernestus Bindseil. Brunsvigae: Schwetschke et filium. 1963 (Faksimile-Nachdruck der Ausgabe 1834–1860). Crollius, Oswaldus: De signaturis internis rerum. Die lateinische Editio princeps (1609) und die deutsche Erstübersetzung (1623). Hgg. von Wilhelm Kühlmann, Joachim Telle. Stuttgart: Steiner. 1996 (Heidelberger Studien zur Naturkunde der frühen Neuzeit 5).
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539 Erschröckliche und warhafftige Wunderzeichen 1543–1586. Faksimiledruck von Einblattdrucken aus der Sammlung Wikiana in der Zentralbibliothek Zürich. Hg. von Bruno Weber. Zürich: Graf. 1971. Exposicions et significations des songes et Les Songes Daniel (Manuscrits français de la Bibliothèque Nationale de Paris et de la Staatsbibliothek de Berlin, XIVe, XVe et XVIe siècles). Hg. von François Berriot. Genève: Droz. 1989 (Travaux d’humanisme et Renaissance 234). Fama fraternitatis der Brüderschaft des hochlöblichen Ordens des R.C. An die Häupter, Stände und Gelehrten Europas (1614). In: Johann Valentin Andreae: Fama fraternitatis. Hg. von Richard van Dülmen. Stuttgart: Calwer. 31981 (Quellen und Forschungen zur württembergischen Kirchengeschichte 6), S. 15–30. Ficino, Marsilio [Ficin, Marsile]: Theologia platonica de immortalitate animorum XVIII libris comprehensa. Hildesheim/New York: Olms. 1975 (Nachdruck der Ausgabe Parisiis 1559). – Théologie platonicienne de l’immortalité des âmes. Texte critique établi par Raymond Marcel. 3 Bde. Paris: Belles Lettres. 1964. Franck, Sebastian: Paradoxa. Hg. von Siegfried Wollgast. Berlin: Akademie Verlag. 21995. – Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Bd. 4. Die vier Kronbüchlein. Hg. von Peter Klaus Knauer. Bern/Frankfurt am Main u.a.: Lang. 1992 (Berliner Ausgaben). – Kronbüchlein 4: Lob des göttlichen Worts. In: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe mit Kommentar. Hg. von Peter Klaus Knauer. 2 Bde. Bern u.a.: Lang. 1991/92 (Berliner Ausgaben). [Francke, Hermann August]: Récit de la conversion, 1692. Introduction par Dominique Bourel, traduction par Anne Lagny. In: Revue de synthèse 117/3–4 (1996), S. 413– 424. Der Franckforter (Theologia Deutsch). Kritische Textausgabe von Wolfgang von Hinten. München/Zürich: Artemis. 1982 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 78). Fürstenspiegel der frühen Neuzeit. Hgg. von Hans-Otto Mühleisen, Theo Stammen, Michael Philipp. Frankfurt am Main/Leipzig: Insel. 1997. (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 6). Garzoni, Tommaso: Piazza universale: Das ist: Allgemeiner Schauplatz/ Marckt und Zusammenkunfft aller Professionen … Erstmahln durch Thomam Garzonum, Italiaenisch zusammengetragen: Anjetzo aber auffs treulichste verdeutscht, mit zugehörigen Figuren und unterschiedlichen Registern gezieret/ und in Druck gegeben. Nuremberg: Pawlas. 1962 (Chronica, Sonderfolge 6A) (Nachdruck der Ausgabe Franckfurt am Main 1659). Geisberg, Max: The German Single-Leaf Woodcut 1500–1550. Revised and edited by Walter Strauss. Bd. 2. New York: Hacker. 1974. – Lucas Cranach d. Ä. Das gesamte graphische Werk. Mit Exempeln aus dem graphischen Werk Lucas Cranach d. J. und der Cranachwerkstatt. Einleitung von Johannes Jahn. München: Schmidt. 1972. Gerlach, Otto von: Das Alte Testament nach Dr. Martin Luthers Uebersetzung mit Einleitungen und erklärenden Anmerkungen. Bd. 4. Teil 2. Daniel, die zwölf Propheten und die apokryphischen Bücher des Alten Testaments. Bearbeitet von H. E. Schmieder. Berlin: Schlawitz. 21854. Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung (De propria vita). Deutsche Übersetzung von Hermann Hefele. München: Kösel. 1969 (Lebensläufe, Erinnerungen, Briefe 18). Glaubenszeugnisse oberdeutscher Taufgesinnter. Hg. von Lydia Müller. Leipzig: Heinsius Nachfolger. 1938 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 20). [Gnothi Sauton], oder Magazin zur Erfahrungs-Seelenkunde, als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte. 10 Bde. Hg. von Karl Philipp Moritz u.a. Nördlingen: Greno. 1986 (Nachdruck der Ausgabe Berlin: Mylius. 1783–1793).
540 Goclenius, Rudolph: Isagoge. Einführung in die Metaphysik 1598. Übersetzt, mit einer Einleitung, Anmerkungen und einem Verzeichnis von Autoren und Werken versehen von Hans Günter Zekl. Würzburg: Königshausen & Neumann. 2005. – Conciliator Philosophicus. Hildesheim/New York: Olms. 1977 (Nachdruck der Ausgabe Kassel 1609). Die Goldschmiede-Chronik. Die Erlebnisse der ehrbaren Goldschmiede-Ältesten Martin und Wolfgang, auch Mag. Peters Vincentz. Hg. Von Curt Rudolf Vincentz. Hannover: Deutsche Bauhütte. [1918]. Gracián y Morales, Baltasar: Der kluge Weltmann. Aus dem spanischen Original von 1646 ins Deutsche übertragen und mit einem Anhang versehen von Sebastian Neumeister. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag. 2004 (dtv 13254). Gregor der Große: Dialogorum. In: Cognomento Magni, Opera omnia. Bd. 3. Lutetiae Parisiorum: Migne. 1862 (Patrologiae cursus completus. Accurante J.-P. Migne 2.77). Des Griechischen Philosophen Artemidori Grosses und vollkommenes Traum-Buch, In dem Der Ursprung, Unterschied und die Bedeutung allerhand Traeume, die einem im Schlafe vorkommen koennen, aus natuerlichen Ursachen hergeleitet und erklaeret wird, Nebst einer Erinnerung Philipp Melanchtons vom Unterschied der Traeume und angehaengtem Berichte, was von Traeumen zu halten sey. Neue verbesserte und mit einem vollstaendigem Register und einer Astronomischen Traum-Tafel vermehrte Auflage. Darmstadt: Bläschke. o. J. [1973] (Nachdruck der Ausgabe Leipzig: Dyck. 1753). Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Simplianischer Zweykoepffiger Ratio Status. Hg. von Rolf Tarot. Tübingen: Niemeyer. 1968 (Neudruck der Erstausgabe von 1670). Gryphius, Andreas: Dramen. Hg. von Eberhard Mannack. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker-Verlag. 1991 (Bibliothek der frühen Neuzeit 2/3). – »Menschlichen Lebenss Traum«. Leichabdankung auf Marianne Richter, Tochter des Paul Gryphius. Hg. von Gerhard Hay. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 15 (1971), S. 1–23. – Frühe Sonette. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen: Niemeyer. 1964 (Neudruck der Ausgaben von 1637, 1643 und 1650). – Gesamtausgabe der deutschssprachigen Werke. Bd. 1. Sonette. Bd. 2. Oden und Epigramme. Hg. von Marian Szyrocki. Tübingen: Niemeyer. 1963/64 (Neudrucke Deutscher Literaturwerke NF 10). Güntzer, Augustin: Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannenngießers aus dem 17. Jahrhundert. Hgg. von Fabian Brändle, Dominik Sieber. Köln/Weimar: Böhlau. 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 8). Haller, Albrecht von: Tagebuch seiner Beobachtungen über Schriftsteller und über sich selbst (1787). Hg. von Erich Hintzsche. Bern/Stuttgart: Huber. 1971 (Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften N. F. 4). – Albrecht von Hallers Abhandlung über die Wirkung des Opiums auf den menschlichen Körper. Aus dem Lateinischen von Erich Hintzsche und Jörn Henning Wolf. Bern: Haupt. 1962 (Berner Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 19). Hartlieb, Johannes: Das Buch der verbotenen Künste. Aberglaube und Zauberei des Mittelalters. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, kommentiert und mit einem Glossar versehen von Falk Eisermann und Eckhard Graf. Mit einer Einleitung und einem Anhang von Christian Rätsch. München: Diederichs. 1998 (Diederichs Gelbe Reihe 149). Hélin, Maurice: La clef des songes. Fac-similés, notes et liste des éditions incunables. Paris: Droz Nourry. 1925 (Documents scientifiques du XVe siècle II). Helmont, Johann Baptista van: Ortvs medicinæ. Id est, Initia physicæ inavdita. Progressus medicinæ novus, in morborum ultionem, ad vitam longam. Bruxelles: Culture et Civilisation. 1966 (Nachdruck der Ausgabe Amsterodami: Ludovicus Elzevirius. 1648). – Aufgang der Arztney-Kunst. Deutsche Übersetzung von Christian Knorr von Rosenroth. 2 Bde. München: Kösel-Verlag. 1971. Herder, Johann Gottfried: Schriften zu Literatur und Philosophie, 1792–1800. Hg. von Hans Dietrich Irmscher. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag. 1998 (Werke 8. Bibliothek deutscher Klassiker 154).
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549
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Abbildungsnachweis
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Namensregister
Agrippa von Nettesheim Heinrich Cornelius (1486–1535) 26, 35–39, 55, 57–58, 99–101, 129, 138, 200–201, 216–217, 219, 260–261 Alberti Michael (1682–1757) 434–435 Albertinus Aegidius (1560–1620) 304 Albrecht VII., Herzog von Mecklenburg (1486–1547) 78 Albrecht Friedrich, Herzog von Preußen (1553–1618) 159 Albumasar oder Abû Ma’sar [Ja’far ibn Muhammad Abu Ma’shar al-Balkhi] (787–886) 112 Alsted Johann Heinrich (1588–1638) 167, 289 Althusius Johannes (1563–1638) 154 Amerbach Veit (1503–1557) 102–103 Andreae Johann Valentin (1586–1654) 245 Anna Maria von Österreich bzw. von Habsburg, Infantin von Spanien (1601–1666, ab 1615 Königin und von 1643 bis 1651 Regentin von Frankreich) 158 Aquin Thomas von (1125–1274) 22, 42, 111–113, 118, 130, 133, 152, 194, 205, 209 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 1–2, 13–14, 18, 26, 43, 70, 87, 90, 93–94, 97, 125–126, 128, 148, 151, 165, 169, 171, 179–181, 200, 219, 235, 276, 294, 298 Arndt Johann (1555–1621) 195, 241, 246–250, 381, 391, 400 Arnold Gottfried (1666–1714) 382, 387 Artemidor von Daldis (2. Hälfte des 2. Jahrhunderts) 77–78, 81, 89, 125, 187, 357, 367–368, 438 Asseburg Rosamunda Juliane von (1672–nach 1708) 383–384, 386 August von Sachsen (1526–1586, Kurfürst ab 1553) 293, 295 Augustinus Aurelius (354–430) 18, 41, 113, 117, 152, 190–191, 215, 280, 398
Avicenna (Abu ’Ali ibn Sina, ca. 980–1037) 19–20, 97 Ávila Teresa von (1515–1582) 204, 212–213 Bacon Francis (1561–1626) 165–166 Bader Christina Regina (1678–?) 385–387 Bayle Pierre (1647–1706) 440 Becher Johann Joachim (1635–1682) 323–324 Beck Balthasar (16. Jahrhundert) 78, 80–81, 84 Bekker Balthasar (1634–1698) 432–433, 463 Bernd Adam (1676–1748) 401–412 Bernhard von Clairvaux (1091–1153) 203–204 Besold Christoph (1577–1638) 245 Betulius Sigmund [ab 1654 von Birken] (1626–1681) 5, 373–381 Beza Theodor (Théodore de Bèze, 1519–1605) 122, 226 Bibliander Theodor (1505–1564) 65–66 Binsfeld Peter (1545–1598) 157, 164 Bodin Jean (1529–1596) 134–135, 139–145, 147, 149, 152, 154, 164, 290, 467 Böhme Jacob (1575–1624) 195, 234, 246, 273, 381, 387, 405, 455 Boethius (480–524) 233 Boissard Jean Jacques (1527–1602) 111 Bonnet Charles (1720–1793) 443 Bontekoe (Cornelis Dekker, 1640/48–1685) 332 Borromeo Carlo (1538–1584) 117, 370 Bourbon prince de Conti, François Louis de (1664–1709) 328–329 Bovelles Charles de (Carolus Bovillus, ca. 1470–1553) 25–32, 41, 149, 169, 171 Boyle Robert (1627–1691) 443 Brant Sebastian (1457/58–1521) 75 Breithaupt Joachim Justus (1658–1732) 392 Brendel Johannes (1544–1619) 122
617 Bruno Giordano (1548–1600) 22, 41 Brunfels Otto (ca. 1488–1534) 44, 77 Bucer Martin (1491–1551) 66 Bullinger Heinrich (1504–1575) 46, 224–225 Buckhardt Jacob (1818–1897) 345 Cajetan (Thomas de Vio Cajetano, 1468/69–1534) 192 Calvin Jean (1509–1564) 44–50, 52, 198, 216, 444 Campanella Tommaso (1568–1639) 66, 245 Canisius Petrus (1521–1597) 194, 210, 216 Cardano Girolamo (1501–1576) 21, 40, 117, 124, 130, 132–133, 146, 152, 358–372, 414 Carion Johann (1499–1537) 40 Carpzov Benedict (1595–1666) 153–154 Casmann Otto (1562–1607) 273 Champier Symphorien (1471–1538) 151 Cicero Marcus Tullius (106–43 v. Chr.) 46, 57, 69, 111, 127, 171, 219, 268, 352 Clausnitzer Tobias (1619–1684) 316 Clers Andreas (17. Jahrhundert) 326 Clichtowe Josse (1472–1543) 41 Comenius (Jan Amos Komensk´y, 1592–1670) 253–257, 267–271, 352 Cornarius Janus (ca. 1500–1558) 77–79, 81 Cramer Johann Christoph († 1765) 443–444 Cranach Lucas d.J. (1515–1586) 68, 476, 478 Cranevelt [van Cranmer] Francis († 1556) 69 Crautwald Valentin (Cratoaldus, Krautwald, 1465–1545) 214, 222 Croll Oswald (ca. 1560–1608/09) 240–243, 250–252, 275 Czepko von Reigersfeld Daniel (1605–1660) 195 Dante Alghieri (1265–1321) 22, 238 Delrío Martín (1551–1608) 107, 134, 156–157, 160, 180, 251, 278 Denck Hans (1500–1527) 215, 218–219, 350–351, 366 Descartes René (1596–1650) 286, 342, 406, 418, 426, 445, 451 Dieterich Cunrad (1575–1639) 74–75, 187–188, 226–228 Dilherr Michael (1604–1669) 375, 378 Dorn Gerhard (ca. 1530–1584) 250
Drechsel Thomas (16. Jahrhundert) 43 Duchesnes/ Du Chesnes/Quercetanus Joseph (1544–1609) 246, 251 Dürer Albrecht (1471–1528) 348–351 Eck Johannes (1486–1543) 48, 103 Eckhart Johannes (genannt Meister, ca. 1260–1327/28) 199, 204, 206–207, 215, 233 Emmel Samuel (16. Jahrhundert) 80–81, 83–84, 478 Empiricus Sextus (Wirksamkeit um 180–210) 199 Endter Michael (1613/1644–1682) 375, 378 Erasmus von Rotterdam, Desiderius (1465–1536) 41, 48, 91, 199, 202, 216, 219 Erastus Thomas (Thomas Lieber, genannt Erastus, 1524–1583) 110–111, 250 Ewich Johann von (1525–1588) 157 Fabricius Jacob (1593–1654) 258–259, 261–263, 266 Faust Lorenz (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) 293, 295 Ferdinand I. (1503–1564, Kaiser ab 1558) 72–73 Feyens/Fyens/Fienus Thomas (1567–1631) 129–130 Fichard Johann (1512–1581) 164 Ficino Marsilio (1433–1499) 15–17, 19–22, 24–25, 28, 30, 32–35, 38, 87, 99, 136, 148, 176, 216–217, 364 Fincel Job (1526/30–1589) 119 Flacius Illyricus Matthias (1520–1575) 102, 114, 222–224 Fludd Robert (1574–1637) 66, 240–241 Franck Sebastian (1499–1542/43) 80, 201, 215, 218–222, 233 Francke August Hermann (1663–1727) 384, 391 Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1646–1691) 391 Friedrich III. von Sachsen, benannt der Weise (1463–1525, Kurfürst ab 1486) 40, 114–115, 440 Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632, pfälzischer Kurfürst bis 1623, böhmischer König ab 1619) 253–255, 257, 263, 310–311 Friedtlieb Warner Christian (Pseud.) 293–295, 297 Fries Lorenz (1489–1550) 114 Fuchs Leonhart (1501–1554) 79
618 Galen (ca. 129–216) 2, 94–97, 128, 180, 274, 362, 365–366 Galatino Pietro (1460–1540) 34 Garzoni Tommaso (1549–1589) 166, 288 Gauricus Lucas (1475–1558) 39–40, 114 Gesner Conrad (1516–1565) 172–174 Gichtel Johann Georg (1638–1710) 195 Goclenius/Gockel Rudolf (1547–1628) 272 Gödelmann Johann Georg (1559–1611) 153–154, 161 Goldwurm Caspar (1524–1559) 119 Goulart Simon (1543–1628) 120 Goya Francisco de (1746–1828) 421–422 Gracián Baltasar y Morales (1601–1658) 334 Gregor der Große (540–604, Papst ab 590) 41–42 Grimmelshausen Hans Jakob Christoffel von (ca. 1622–1676) 300 Gryphius [Greif] Andreas (1616–1664) 318–320 Grün Johannes (1535–1596) 171 Güntzer Augustin (1576–1657?) 355 Guevara Antonio de (1481–1545) 304 Gustav II. Adolf (1594–1632, König von Schweden ab 1611) 258, 262–263, 310–312 Haller Albrecht von (1708–1777) 419, 450, 471 Harsdörffer Georg Philipp (1607–1658) 302–303, 305–306, 315, 375–376, 378 Heinrich III. von Frankreich (1551–1589, König von Frankreich ab 1575) 68 Heinrich IV. Von Frankreich (1553–1610, König von Frankreich ab 1589) 176, 179 Helmont Johann Baptista van (1579–1644) 196–197, 278–284, 286, 420, 468 Helwig Johann (1609–1674) 375 Herder Johann Gottfried (1744–1803) 191, 457 Heß Tobias (2. Hälfte des 16.–1. Hälfte des 17. Jahrhunderts) 245 Heyden Johann (16. Jahrhundert) 66 Hillig Johann Ambrosius (18. Jahrhundert) 435–436, 449 Hippokrates (460–356) 77, 127, 362 Hobbes Thomas (1588–1679) 1, 286 Hocker Jodocus († 1566) 157 Hoffmann Friedrich (1660–1742) 433–434 Hoffman Melchior (ca. 1500–1543) 66, 80
Hoghelande Theobald van (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) 241, 243–245 Hohberg Wolf Helmhard von (1612–1688) 322 Hossmann Abraham (1561–1617) 74–75, 108–109, 187 Hugo von St. Viktor († 1141) 21–22, 195, 203, 233, 235 Humboldt Alexander von (1769–1859) 464 Hume David (1711–1776) 448 Hutten Ulrich von (1488–1523) 79 Huser Johannes (ca. 1545 – ca. 1594) 194 Iamblichos von Chalkis (ca. 283–ca. 330) 148 Indagine Johannes ab (Rosenbach Johannes, 1467–1537) 115 Institoris Heinrich (1430–1505) 151 Irenäus Christoph (ca. 1522 – ca. 1595) 120 Isidor von Sevilla (ca. 560–636) 57, 118 Jäger Johann Wolfgang (1647–1720) 387 Jenisch Daniel (1762–1804) 460, 466 Joachim I. Kurfürst von Brandenburg (1484–1535, Kurfürst ab 1499) 39 Johann Friedrich Kurfürst von Sachsen (1503–1554) 73, 478 Johann Wilhelm von Jülich-Kleve (1562–1609) 159 Johannes XXII. (Jacques Duèse, 1245–1334, Pabst ab 1316) 42, 147 Jordaens Jacob (1593–1678) 478–480 Joseph Père (Joseph Leclerc du Tremblay, 1577–1638) 323, 329 Jost Lienhart (16. Jahrhundert) 66 Jost Ursula (16. Jahrhundert) 66 Juana la Loca von Kastilien (1479–1555) 159 Kant Immanuel (1724–1804) 191, 229, 428, 450, 457–459, 465–466 Karl III., Herzog von Bourbon-Montpensier genannt Connétable de Bourbon (1490–1527) 62, 138 Karl V. (1500–1558, Kaiser ab 1519) 71, 159, 478 Karlstadt (Andreas von Bodenstein, 1480–1541) 43–44, 47–48, 67, 215, 349–350 Kepler Johannes (1571–1630) 426 Keßler Johann Elias (1631–1726) 305–306
619 Khunrath Heinrich (ca. 1560–1605) 244, 246 Kircher Athanasius (1601–1680) 168–170, 341 Klaj Johann (1616–1656) 376 Knobloch Tobias (1596–1641) 181–184 Knorr von Rosenroth Christian (1636–1689) 194 Knutzen/Knutz Martin (1713–1751) 435 Kotter Christoph († 1647) 254–256 Kotzen Dorothea (1581–1585) 15 Kreuz Johannes vom (Juan de La Cruz, 1542–1591) 211–212, 214 Krüger Johann Gottlob (1715–1759) 413–421, 423–431, 445–446, 472 Kues Nikolaus von (Cusanus Nicolaus, 1401–1464) 25, 41, 160, 199, 216 Kuhlmann Quirinus (1651–1689) 194, 455 Lange Joachim (1670–1744) 443 Las Casas Bartholomé de (1474–1566) 131 Lavater Johann Caspar (1746–1801) 443 Lazarelli Ludovico (1450–1500) 34 Lead(e) Jane (1623–1704) 384 Lefèvre d’Étaples Jacques (Faber Stapulensis, ca. 1450–1537) 25–26, 34, 41 Leo X. (1475–1521, Papst ab 1513) 42, 57 Leibniz Gottfried Wilhelm (1646–1716) 337, 342–343, 416, 418–419, 426–427, 448, 455 Lercheimer Augustin (Hermann Witekind, 1522–1588) 157 Libavius Andreas (ca. 1555–1616) 251 Licetti Fortunio (1577–1657) 272 Lichtenberger Johann (ca. 1440–1503) 40 Limburger Martin (1637–1692) 375 Lipsius Justus (1547–1606) 278, 296, 304 Locke John (1632–1704) 389, 406, 416–417, 430, 443–444, 455–456 Löhneyss Georg Engelhard (1552–1622) 298 Lohenstein Daniel Casper von (1635–1683) 300 Loos Cornelius (Losaeus Callidus, 1546–1595) 152 Lotichius Petrus Secundus (1528–1560) 114, 316, 441 Loyola Ignatius von (1491–1556) 209, 214 Ludwig XIV. von Frankreich (1638–1715, Regierung ab 1661) 323, 325, 337 Lullus Raymundus (1232–1315) 25, 28, 167, 239, 253
Luther Martin (1483–1546) 32–33, 39–41, 43–44, 47–49, 60–64, 66–67, 69, 89, 91–92, 101, 103, 106, 109–110, 114, 116, 139, 149, 157, 169, 171, 192–193, 198–199, 204, 215–216, 219–220, 222, 231, 236, 293, 297, 435, 444 Lykosthenes (Conrad Wolff, ca. 1518–1561) 119 Machiavelli Niccoló (1469–1527) 157, 314, 323 Macrobius Flavius Ambrosius Theodosius (ca. 370 – nach 430) 69, 89, 125 Maimon Salomon (1753–1800) 453 Maine de Biran François Pierre Gauthier (1766–1824) 192 Malebranche Nicolas (1638–1715) 408, 415 Manuce Alde (1450–1515) 77, 94 Maurus Hrabanus (780–856) 35 Maximilian I. (1459–1519, Kaiser ab 1493) 34–35, 114, 304 Maximilian I. von Bayern (1573–1651, Herzog von 1598 bis 1623, dann Kurfürst) 310–311 Mazarin Jules (1602–1661) 323, 329, 406 Melanchthon [Schwarzherdt] Philipp (1497–1560) 40, 61, 67–69, 71, 80–81, 88–99, 101–103, 114–121, 124–125, 127–130, 139, 146, 157, 171, 181, 185, 357, 435, 438, 461, 468–469, 476, 478 Micraelis Johann (1597–1658) 273 Milich Ludwig († 1575) 146 Moritz Herzog von Sachsen (1521–1553) 71–73, 478 Moritz Karl Philipp (1756–1793) 411, 451–452 Moscherosch Johann Michael (1601–1669) 291, 313–315, 321 Müntzer Thomas (1490–1525) 61–62, 104, 260, 351, 455 Musäus Simon (1521–1576) 73 Nazari Giovanni Battista (1533 – nach 1599) 237–238, 245 Nehrlich Hans-Ludwig (1653 – nach 1722) 391–393 Neri Filippo (1515–1595) 209, 211 Nicolai Ernst Anton (1722–1802) 446 Nicolai Friedrich (1733–1811) 462 Nifo Agostino (1473 – nach 1538) 133 Nymann Hieronymus (1560–1629) 177–181
620 Oldecop Justus (1597–1667) 154–155 Osiander Andreas (ca. 1496–1552) 102, 366 Paracelsus (Theophrast von Hohenheim, 1493–1541) 35, 41, 129–130, 132, 138, 141, 146, 152, 166–167, 175–176, 191, 194–195, 200–201, 230–234, 236–238, 240, 243, 245, 249–250, 254, 275, 279 Paul III. (1468–1549, Papst ab 1534) 131 Pellikan Konrad († 1554) 65 Pereira Benito (1535–1610) 106, 176, 186–187 Petersen Johann Wilhelm (1649–1726) 383, 387–388 Petersen Johanna Eleonora, geb. Von und zu Merlau (1644–1724) 387, 389, 396–401 Peucer Caspar (1525–1602) 61, 90, 111, 114, 119–127, 129–130, 140, 152, 155, 171, 367, 461, 469 Pflug Julius (1499–1564) 71, 356 Pico della Mirandola Gianfrancesco (1469–1533) 216 Pico della Mirandola Giovanni (1463–1494) 25, 34–35, 64–65, 115, 199 Piccolomini-Pieri Ottavio (1599–1656) 376 Pistorius von Nidda Johann (1546–1608) 66 Platon (427–347 v. Chr.) 26, 189, 238, 293, 410 Platter Felix (1536–1614) 356 Plotin (203/04–269/70) 20, 365 Plutarchus (ca. 46–127) 314 Pockels Carl Friedrich (1757–1814) 411, 427, 472 Pomponazzi Pietro (1462–1524) 43, 116, 123, 129, 151, 178, 463 Poniatowski/Poniatovia Christina (1610–1644) 256–258, 281, 352 Ponzetti Ferdinand († 1528) 57 Porphyrio Pomponius (2.–3. Jahrhundert n. Chr.) 57 Porta Giambattista della (1535–1615) 87 Ptolemäus Claudius [Ptolemaios Klaudios] (ca. 100 – ca. 175) 112, 366 Quintilian Marcus Fabius (35 – ca. 96) 171 Ramus Petrus (Pierre de La Ramée, 1515–1572) 167, 171, 236 Râzî (Abû Bakr Muhammad ibn Zakatîya’ ar-Râzî, ca. 865–925) 84
Refuge Eustache du (1564–1617) 301–303 Reimmann Jacob Friedrich (1668–1743) 382 Reinhold Erasmus (1511–1553) 114 Reinkingk Theodor von (1590–1664) 291–292 Reisch Gregor (ca. 1467–1525) 118 Reuchlin Johannes (1455–1552) 34–35 Richelieu, Armand-Jean du Plessis (Herzog von, Kardinal ab 1625, 1585–1642) 323, 329, 406 Rihel Theodosius († 1608) 81–84, 86, 478 Ripa Cesare (ca. 1560 – vor 1625) 52–53, 299, 477–478 Rudolf II. (1552–1612, Kaiser ab 1576) 66, 251–253 Rüdinger Johann (1614–1655) 155 Ryff Walther Hermann (ca. 1500–1548) 77–79, 81–83 Saalfeld Adam Friedrich Wilhem (1711–nach 1757) 436–437 Saavedra-Fajardo Diego de (ca. 1584–1648) 298–300 Sales Franz von (1567–1622) 205 Savoranola Girolamo (1452–1498) 65, 111, 199 Scaliger Julius Caesar (1480/90–1558) 77, 181, 276, 365 Scheffler Johannes (Angelus Silesius, 1624–1677) 194, 285 Scherzer Johann Adam (1628–1683) 297 Schott Caspar (1608–1666) 119, 341 Schottelius Justus Georg (1612–1676) 306–308 Schupp Johann Balthasar (1610–1661) 292 Schwenckfeld Caspar (1489–1561) 66, 80, 194, 214–215, 221–225, 260 Scot Reginald (vor 1538–1599) 463 Seckendorff Veit Ludwig von (1626–1692) 298 Sedelius [Seydel] Wolfgang (1492–1562) 290 Seitz Alexander (ca. 1470 – ca. 1543) 103–105 Sennert Daniel (1572–1637) 259, 274–278, 287 Seuse Heinrich (1295–1366) 204, 207 Shaftesbury Anthony Cooper, 3th Earl of (1671–1713) 410, 456–457 Sixtus V. (1520–1590, Papst ab 1585) 106 Spalatin Georg (1484–1545) 40
621 Spalding Johann Joachim (1714–1804) 453 Spee Friedrich von (1591–1635) 157 Spener Philipp Jakob (1635–1705) 384, 387, 391, 396, 434 Sprenger Jacob (ca. 1439–1494) 151 Staël Anne Louise Germaine de (1766–1817) 460 Stahl Georg Ernst (1659–1734) 434, 465 Staupitz Johannes von (1465–1524) 109, 215 Stolterfoht Jacob (1600–1668) 259, 261–262, 266–267 Storch Nikolaus († 1525) 43, 61 Stübner Markus (Thomä) 43 Suárez Franciscus (1548–1617) 182, 186 Sulzer Johann George (1720–1779) 447–449, 472 Synesios von Kyrene (ca. 373 – ca. 414) 21–22, 77, 360, 364–365, 367–368 Swedenborg Emanuel (1688–1772) 427, 457–459, 466 Tandler Tobias (1501–1588/59) 177 Tauler Johannes (ca. 1300–1361) 191, 194–195, 201, 204, 206–207, 215–216, 219, 233, 278, 284, 400 Tengler Christoph (1491–1523) 151 Tengler Ulrich (1435/45–1511) 151 Tennhardt Johannes (1661–1720) 393–395, 401 Thomasius Christian (1655–1728) 162, 335, 405–407, 433, 456, 463 Thurneisser Leonhard (1530–1595/96) 159 Tilly (Johann t’Serclaes Graf von Tilly, 1559–1632) 316 Trithemius Johannes (1462–1516) 26, 34–35
Ulrich von Würtemberg (1498–1550, Herzog 1503–1519 und 1534–1550) 104 Unzer Johann August (1727–1799) 445–446 Vesal Andreas (1514–1564) 94, 181 Vincentz Wolfgang (16. Jahrhundert) 356 Virdung von Haßfurt Johannes (ca. 1463–1538/39) 114 Vives Juan Luis (1492–1540) 69–70, 128–129, 319 Viterbo Egidio da (1465–1532) 34 Wallenstein [Waldstein], Albrecht Wenzel Eusebius von (1583–1634) 257 Warner Johann (1598–1669) 262–264, 310 Weber Johannes (17. Jahrhundert) 292 Weigel Valentin (1533–1588) 195, 216, 228–229, 232–235, 242, 249, 260, 275 Weise Christian (1642–1708) 331, 339–340, 342 Westerburg Gerhard (1486–1558) 43–44 Wier/Weyer Johannes (1515–1588) 134–135, 138–153, 156–158, 160, 163–164, 181, 290, 467 Wieland Christoph Martin (1733–1813) 456–457 Wilhelm V. von Kleve (1539–1592) 134 Wolff Christian (1679–1754) 389, 402, 413, 430–431, 434, 443, 445, 448, 451 Yvelin Pierre (1610–1670?) 158 Zarabella Iacobus (1533–1589) 181 Zimmermann Johann Georg (1728–1795) 12 Zwingli Huldrych (1484–1531) 46–49, 68, 91, 198, 226, 260