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German Pages 381 Year 1982
Johannes Hengstschläger
· Der Rechnungshof
S c h r i f t e n zum ö f f e n t l i c h e n Band 426
Recht
Der Rechnungshof O r g a n i s a t i o n und F u n k t i o n der obersten F i n a n z k o n t r o l l e i n Ö s t e r r e i c h
Von
Prof. Dr. Johannes Hengstschläger
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Hechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 05214 5
Meiner Mutter in Dankbarkeit gewidmet
Vorwort I m Handschreiben der Kaiserin Maria Theresia vom 23. Dezember 1761 betreffend die Errichtung der Hofrechenkammer — der Vorläufer i n des österreichischen Rechnungshofes — steht der Satz: „Die Wichtigkeit dieses Amtes fallet von selbsten i n die Augen". Dies gilt heute in noch verstärktem Maße. Der daseinsvorsorgende Sozial- und Leistungsstaat der Gegenwart beansprucht immer mehr an finanziellen Mitteln, u m seine Aufgaben und die i n ihn gesetzten Erwartungen erfüllen zu können. Die Staatsquote, d. h. der A n t e i l der öffentlichen Hand am Bruttonationalprodukt, hat sich seit der Jahrhundertwende mehr als verdreifacht und heute die vierzig-Prozent-Marke bereits überschritten. Dazu kommt noch, daß die öffentliche Hand i n Österreich eine reichhaltige eigenwirtschaftliche Unternehmertätigkeit entwickelt hat, sei es durch die Führung von Einzelunternehmen oder durch den Erwerb und die Ausübung von A n teilsrechten an Kapitalgesellschaften. Je mehr aber der Staat M i t t e l seiner Bürger i n Anspruch nimmt und darüber treuhänderisch verfügt und je mehr er sich am Wirtschaftsprozeß selbst beteiligt, desto sensibler werden seine Bürger für die Frage, was mit ihrem Geld geschieht und wie der Staat damit w i r t schaftet. Daher ist es nur verständlich, wenn die wirksame Kontrolle der öffentlichen Finanzen und der staatlichen Wirtschaftstätigkeit heute für notwendiger denn je gehalten w i r d und die Öffentlichkeit des öfteren aus finanzpolitischen und -wirtschaftlichen Erwägungen ihre Ausdehnung, etwa i n Richtung der „begleitenden Kontrolle", fordert. I m Zentrum der finanziellen Kontrolle, die zu den grundlegenden Strukturprinzipien des Verfassungs- und des politischen Systems der Republik Österreich gehört, steht der Rechnungshof. Das B.-VG. widmet i h m ein eigenes Hauptstück und beruft ihn „zur Uberprüfung der Gebarung des Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden" einschließlich ihrer Unternehmungen. Obwohl der österreichische Rechnungshof auf Maria Theresia zurückgeht und schon seit über 220 Jahren besteht, sind eine Reihe von Fragen — sowohl was seine Organisation als auch was seine Aufgaben anbelangt — bis heute entweder nicht aufgegriffen oder nicht hinlänglich geklärt worden. Die letzte — und i n Wahrheit auch einzige — Monographie über den öster-
Vorwort
8
reichischen Rechnungshof hat Rudolf Hoenig 1951, also vor mehr als dreißig Jahren, veröffentlicht. Inzwischen haben sich nicht nur die an den Rechnungshof herangetragenen Kontrollanliegen, sondern — korrespondierend dazu — auch seine rechtlichen Grundlagen teilweise geändert. Die vorliegende rechtswissenschaftlich konzipierte Arbeit ist zwar primär auf die rechtsdogmatische Bearbeitung von Organisation und Funktion des österreichischen Rechnungshofes ausgerichtet. I h r zentrales Anliegen bilden die Deutung und das Verständnis des geltenden Rechts, vor allem des fünften Hauptstückes des B.-VG. und des Rechnungshofgesetzes. Die rechtlichen Probleme sind aber vielfach m i t speziellen, insbesondere finanz- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen derart verknüpft, daß nur eine entsprediende methodische Breite und Vielfalt der Betrachtungsweisen zu akzeptablen und plausibel begründbaren Ergebnissen führen konnte. Besonders wertvoll und fördernd für meine Arbeit war die kritische Anteilnahme von Seiten der Praxis. Vor allem dem Präsidenten des österreichischen Rechnungshofes, Herrn Dr. Tassilo Broesigke, und Herrn Sektionschef Honorarprofessor Dkfm. DDr. Walter Schwab schulde ich dafür aufrichtigen Dank. Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek, M i t glied des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, bin ich für seine Diskussionsbereitschaft und so manchen weiterführenden Hinweis besonders dankbar. Mein Dank gilt auch dem Jubiläumsfonds der österreichischen Nationalbank für die finanzielle Unterstützung der Arbeit. Herrn Ministerialrat a. D. Senator E. h. Prof. Dr. Johannes Broermann schulde ich dafür Dank, daß er auch diese Untersuchung — nach der Arbeit über „das Budgetrecht des Bundes" — i n sein Verlagsprogramm aufgenommen hat. Linz, i m J u l i 1982 Johannes Hengstschläger
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Entstehung und Entwicklung der Finanzkontrolle in Österreich I. Erste Institutionalisierungen II. Die Hofrechenkammer III. Der Rechnungshof
17
Maria
Theresias
in der konstitutionellen
19 Ära
23
1. Die „oktroyierte Märzverfassung"
23
2. Die „Oberste-Rechnungs-Control-Behörde" (1854)
23
3. Der oberste Rechnungshof (1866)
24
IV. Der Übergang
zur Republik
28
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Rechnungs- und Gebarung skontrolle im B.-VG. und ihre Ausführung durch das Rechnungshofgesetz
29
1. Das B.-VG. 1920
29
2. Die B.-VG.-Novelle 1925 u n d das Rechnungshofgesetz
32
3. Die „ Z w e i t e Bundes-Verfassungsnovelle" 1929
37
4. Die Verfassung 1934
38
5. Der „Anschluß" 1938
40
6. Die Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich 1945
40
7. Die Neufassung des V. Hauptstückes des B.-VG. u n d das Rechnungshofgesetz 1948
44
8. A u f w e r t u n g der Stellung des Vizepräsidenten
48
9. Veröffentlichungsverbot f ü r den Bundesrechnungsabschluß u n d den Tätigkeitsbericht des Rechnungshofes 48 10. Neuerungen i n den Beziehungen des Rechnungshofes zum N a tionalrat
49
11. Vereinheitlichung der Unternehmensprüfung
50
Zweites
Kapitel
Die Stellung des Rechnungshofes im System des B.-VG. I. Der Rechnungshof
als selbständiges,
parlamentarisches
Kontrollorgan
52
1. Die Notwendigkeit der ge walten teilungsmäßigen Einstufung
52
2. Die Zugehörigkeit des Rechnungshofes zum Nationalrat und zu den Landtagen
54
Inhaltsverzeichnis
10
a) A u f G r u n d des Wortlautes der maßgeblichen Verfassungsbestimmungen
54
b) Teleologische Gesichtspunkte c) Historische Argumente
58 59
II. Überblick über die verfassungsrechtliche Regelung Rechnungshofes gegenüber anderen Organen
der Stellung
des
60
1. Die Position des Rechnungshofes gegenüber dem Nationalrat u n d den Landtagen 60 a) Nationalrat 60 b) Landtage 62 2. Die Beziehungen des Rechnungshofes zur Bundesregierung u n d zu den Landesregierungen a) Bundesregierung
63 63
b) Landesregierungen 3. Rechnungshof u n d Gemeinden Drittes
64 65 Kapitel
Die Organisation des Rechnungshofes I. Bestandsgarantie
66
1. Verfassungsgesetzliche Absicherung der I n s t i t u t i o n „Rechnungshof"
66
2. Garantie einer personellen u n d sachlichen Mindestausstattung
70
II. Die Mitglieder
des Rechnungshofes
1. Präsident u n d Vizepräsident
75 75
a) Beginn u n d Ende des Amtes 75 aa) W a h l u n d Abberufung durch den Nationalrat 75 bb) Qualifikationserfordernisse 89 cc) R ü c k t r i t t 92 dd) Verlust der Wählbarkeit 96 ee) Sonstige Endigungsgründe 98 b) Stellvertretung 98 aa) Verhinderung oder Erledigung des Amtes des Präsidenten 98 bb) Stellvertretung i m Nationalrat 111 2. Beamte u n d H i l f s k r ä f t e
118
a) Ernennung b) Die Beiziehung v o n Sachverständigen c) A m t s t i t e l
118 123 130
d) Diensthoheit e) Weisungsrecht
131 135
III. Inkompatibilität
140
1. Präsident u n d Vizepräsident
140
2. Mitglieder des Rechnungshofes
144
Inhaltsverzeichnis IV. Verantwortlichkeit
151
1. Staatsrechtliche Verantwortlichkeit
151
a) Personenkreis
151
b) Umfang
152
c) Geltendmachung
156
d) Sanktion 2. Disziplinäre
157 Verantwortlichkeit
a) Beamte b) Vertragsbedienstete 3. Strafrechtliche
(Hilfskräfte)
Verantwortlichkeit
4. Zivilrechtliche Verantwortlichkeit a) Amtshaftung u n d Organhaftung b) H a f t u n g nach Privatrecht c) Resümee V. Monokratische
Struktur
158 158 159 159 161 161 162 164 163
1. Geltende Rechtslage
163
2. Reformtendenzen
163 Viertes
Kapitel
Die Kontrollaufgaben des Rechnungshofes I. Prüfungsgegenstände 1. Die Staatswirtschaft der Gebietskörperschaften a) B u n d b) Länder c) Gemeinden aa) Gemeinden m i t mindestens 20 000 Einwohnern bb) Kleingemeinden cc) Gemeindeverbände 2. Stiftungen, Fonds, Anstalten a) Zuständigkeitsvoraussetzungen b) Begriffsabgrenzung aa) S t i f t u n g bb) Fonds cc) A n s t a l t 3. Unternehmungen a) Begriff b) Eigenbetriebe c) Rechtlich selbständige Unternehmungen d) Beherrschte Unternehmungen aa) Finanzielle Beherrschung bb) Wirtschaftliche Beherrschung cc) Organisatorische Beherrschung
172 172 172 179 186 186 188 189 192 192 197 197 198 200 203 203 206 211 219 222 225 227
12
Inhaltsverzeichnis e) Subbeteiligungen und Subbeherrschungen aa) Subbeteiligungen bb) Subbeherrschungen f) Überlagerte Zuständigkeiten
229 229 233 235
g) Wirtschaftskörper
236
4. Körperschaften
237
5. Andere durch Gesetz bestimmte Rechtsträger a) Begriffsabgrenzung b) Kollisionsfragen
243 243 246
6. Träger der Sozialversicherung
249
I I . Prüfungsinitiative
250
1. Amtswegige u n d obligatorische Überprüfungskompetenzen a) Die Staatswirtschaft des Bundes u n d der Länder b) Stiftungen, Fonds u n d Anstalten des Bundes u n d der Länder c) Wirtschaftskörper
250 250 250 250
2. Amtswegig wahrzunehmende Überprüfungszuständigkeiten a) Großgemeinden b) Unternehmungen c) Körperschaften d) Sozialversicherungsträger
251 251 252 253 253
3. Ersuchensprüfungen a) Kleingemeinden
254 254
4. Besondere A k t e der Gebarungsprüfung 256 a) Beschluß oder Verlangen des Nationalrates 257 b) Ersuchen der Bundesregierung oder eines Bundesministers .. 258 c) Ersuchen einer Landesregierung 260 III. Kontrollverfahren
264
1. Z u m Begriff der K o n t r o l l e
264
2. Überprüfungsunterlagen u n d -methoden a) Einschau an O r t u n d Stelle b) Lokalerhebungen c) Prüfungen am Amtssitz des Rechnungshofes d) Einbindung der aktienrechtlichen Pflichtprüfungen
265 265 268 269 272
3. Selbständige Mitteilungspflichten an den Rechnungshof a) Qualitative u n d quantitative Budgetüberschreitungen b) Finanzwirksame Vorschriften des Bundes c) Wirtschaftspläne u n d Jahresrechnungen der Wirtschafts*körper d) Geschäftsunterlagen über die Unternehmungen des Bundes . . e) Bericht des Abschlußprüfers f) Voranschläge u n d Rechnungsabschlüsse der Länder u n d Großgemeinden
275 275 276 277 277 278 279
Inhaltsverzeichnis 4. Relationspflichten
280
a) Staatswirtschaft des Bundes
280
b) Besondere A k t e der Gebarungsüberprüfung 281 aa) Beschluß oder Verlangen des Nationalrates 281 bb) Ersuchen der Bundesregierung oder eines Bundesministers 282 cc) Ersuchen einer Landesregierung 282 c) Wirtschaftskörper 283 d) Unternehmungen des Bundes 284 e) Gebarung der Länder 284 f) Gebarung der Gemeinden 286 g) Gemeindeverbände 287 h) Körperschaften öffentlichen Rechts u n d sonstige Rechtsträger 288 aa) Gebarung m i t M i t t e l n des Bundes 288 bb) Gebarung m i t M i t t e l n der Länder 289 cc) Gebarung m i t M i t t e l n der Gemeinden 290 i) Sozialversicherungsträger
290
5. Kollisionsfragen
292
6. Rechnungshofberichte
293
a) Jahrestätigkeitsbericht b) Sonderberichte c) Parlamentarische Behandlung d) Veröffentlichung 7. Geheimhaltungspflichten a) Amtsverschwiegenheit b) Geschäfts- u n d Betriebsgeheimnisse aa) Mitglieder des Rechnungshofes bb) Sachverständige
293 295 296 297 299 299 304 304 304
c) Besondere Geheimhaltungspflichten
306
IV. Prüfungsziele 1. Ziffernmäßige
310 Richtigkeit
310
2. Ubereinstimmung m i t den bestehenden Vorschriften
311
3. Wirtschaftlichkeit
314
4. Sparsamkeit
319
5. Zweckmäßigkeit
321
6. Zielkonflikte
322 Fünftes
Kapitel
Mitwirkung des Rechnungshofes an Verwaltungsaufgaben I . Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses Bundesschulden 1. Bundesrechnungsabschluß
.
und
Nachweisung
der 324 324
14
Inhaltsverzeichnis a) Erstellung b) Parlamentarische
324 326
Behandlung
2. Bundesschulden I I . Ordnung
330
des Rechnungswesens
330
1. Vorschriften f ü r ein einfaches Verrechnungsverfahren
330
2. Vorschriften wesen
330
u n d Anordnungen i m Rechnungs- u n d Kassen-
3. Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten
331
4. Verfassungsrechtliche
332
I I I . Vereinheitlichung der Gebietskörperschaften I V . Begründung
Bedenken
Voranschläge
und
Rechnungsabschlüsse
von Finanzschulden
der
334 335
1. Gegenzeichnung der Schuldurkunden durch den Rechnungshofpräsidenten 335 2. Überwachung der Eintragung i n das Bundesschuldbuch V. Teilnahme
an Beratungen
V I . Mitwirkung
der Bundesregierung
in der Statistischen
Zentralkommission
340 341 343
Sechstes Kapitel Kompetenzfeststellung durch den Verfassungsgerichtshof I. Gegenstand
des Verfahrens
344
1. „Zuständigkeit" des Rechnungshofes
344
2. K o n k r e t e Meinungsverschiedenheit
347
I I . Antragslegitimation
348
1. Bundesregierung
348
2. Landesregierung
349
3. Rechnungshof
350
III. Prozeßvoraussetzungen
und Antragsfrist
350
1. A n t r a g der Bundesregierung oder einer Landesregierung
351
2. A n t r a g durch den Rechnungshof
352
3. Sonderfragen a) K o n t r o l l e der Gemeindegebarung
352 352
b) Unternehmenskontrolle I V . Aufschiebende
Wirkung
354 355
V. Erkenntniswirkungen 1. Rechtskraft
355 355
2. Verbindlichkeit
356 Literaturverzeichnis
358
Sachwortverzeichnis
374
Abkürzungsverzeichnis a. Α. Abs. a. E. AHG AktG Anm. AnwBl. Aufl.
= = = = = = = =
anderer Ansicht Absatz am Ende Amtshaftungsgesetz Aktiengesetz 1965 Anmerkung Anwaltsblatt Auflage
Bd., -e BDG BG BGBl. BHO Budw. B.-VG. BVG
= = = = = = = =
Band, Bände Beamten-Dienstrechtsgesetz Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Erkenntnisse des k k . Verwaltungsgerichtshofes Bundesverfassungsgesetz i. d. F. von 1929 Bundesverfassungsgesetz
DSG DVB1.
= Datenschutzgesetz = Deutsches Verwaltungsblatt
ERP EuGRZ
= European Recovery Program = Europäische Grundrechtezeitung
f. ff.
= u n d der (die) folgende = u n d die folgenden
G. GB1Ö GeoNR GewO GewStG GP
= = = = = =
HdWSW HdWW hrsg.
= Handwörterbuch der Sozialwissenschaften = Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften = herausgegeben
insbes.
= insbesondere
JB1. JGS
= Juristische Blätter = „Justizgesetzsammlung" (1780 - 1848)
KAG KDZ KGSt.
= Krankenanstaltengesetz = Kommunalwissenschaftliches Dokumentationszentrum = M i t t e i l u n g e n der kommunalen Gemeinschaftsstelle Verwaltungsvereinfachung = Körperschaftssteuergesetz 1966
KStG
Gesetz Gesetzblatt f ü r das L a n d Österreich Geschäftsordnung des Nationalrates Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz 1953 Gesetzesperiode
für
Abkürzungsverzeichnis
16 leg. cit. Lfg. lit.
=
MOG MRK
—
Nr. ÖAKR ÖGZ ÖHW ÖIGG ÖJZ OrgHG ÖS ÖVA ÖVB1. Pol.G.S. PPBS PPES Präs. RGBl. RHG RZ S Stbg. sten. Prot. NR StGB StGBl. SWA u. a. m. u. dgl. UStG UWG VEG vgl. VerwArch. VfGG V f G H Slg. V-ÜG V w G H Slg. WipolBl. Ζ ζ. Β . ZfV ZÖR ZnStrR ZParl.
= =
legis citatae Lieferung litera
=
Marktordnungsgesetz 1967 Europäische Menschenrechtskonvention
=
Nummer
_ = = = = = =
= =
= =
= =
= =
=
_ = = = = =
_ = = =
österreichisches Archiv für Kirchenrecht österreichische Gemeindezeitung Das öffentliche Haushaltswesen ÖIG-Gesetz, BGB1.1967/23 (ÖIG = österreichische I n d u strieverwal tungs-Gesellschaft) österreichische Juristenzeitung Organhaftpflichtgesetz öffentliche Sicherheit österreichisches Verwaltungsarchiv österreichisches Verwaltungsblatt Politische Gesetzessammlung Planning-Programming-Budget-System Program-Planning and Evaluation System Präsident Reichsgesetzblatt Rechnungshofgesetz österreichische Richterzeitung Seite Staatsbürger (Beilage zu den „Salzburger Nachrichten") stenographische Protokolle des Nationalrates Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft u n d anderes mehr u n d dergleichen Umsatzsteuergesetz 1959 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
=
Verwaltungsentlastungsgesetz vergleiche Deutsches Verwaltungsarchiv Verfassungsgerichtshofgesetz Erkenntnisse u n d Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes Verfassungs-Überleitungsgesetz Erkenntnisse u n d Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes
=
Wirtschaftspolitische Blätter
= = = ==
= =
_ = =
= = =
Ziffer zum Beispiel Zeitschrift f ü r V e r w a l t u n g Zeitschrift f ü r öffentliches Recht Z u m neuen Strafrecht Zeitschrift für Parlamentsfragen
Erstes Kapitel
Entstehung und Entwicklung der Finanzkontrolle in Österreich I . Erste Institutionalisierungen
Die historischen Wurzeln der Finanzkontrolle reichen weit zurück. Noch ehe überhaupt schriftliche Aufzeichnungen und Bücher über die Staatsfinanzen geführt wurden und lange vor dem Budget i m modernen Sinn, gab es institutionalisierte Formen öffentlicher Finanzkontrolle. Schon i n den alten außereuropäischen Kulturkreisen, wie i m alten China und Indien 1 , bei den Assyrern und Ägyptern 2 , aber auch bei der hochstehenden Maya-Kultur Mittelamerikas 3 kannte man Einrichtungen zur Kontrolle des öffentlichen Finanzwesens. Auch i n den griechischen Stadtstaaten 4 und i n der römischen Staatsverwaltung 5 fanden sich spezielle Kontrollbehörden. Dies darf nicht weiter verwundern, denn die Funktion der Finanzkontrolle gehört zu den unentbehrlichen Voraussetzungen eines geordneten öffentlichen Finanzwesens. Wo immer über fremde M i t t e l verfügt wird, wo fremde Gelder verwaltet und verausgabt werden, entsteht das Bedürfnis nach Verantwortlichkeit und Kontrolle. Dies gilt für eine absolute oder konstitutionelle Monarchie genauso wie für die demokratische Republik. Auch der internationale Vergleich zeigt, daß die Errichtung weitgehend selbständiger Finanzkontrolleinrichtungen nicht an 1 Hans Reger, Bemerkungen zur Finanzkontrolle. Theorie, allgemeine Sach- und Rechtsfragen, Reform, V e r w A r c h . , Bd. 66, 1975, S. 198. 2 Die Rechnungsführung u n d Rechnungsprüfung oblag der Tempelverwaltung. Vgl. Michael Bachmann, Der Bundesrechnungshof, Bonn 1967, S.9. « Friedrich Karl Viaion, Budget I I I , Budgetkontrolle, HdSW, Bd. 2, G ö t t i n gen 1959, S. 442 u n d Walter Schwab, öffentlicher Haushalt I I I : Kontrolle, H d W W , 25. Lfg., Göttingen 1980, S. 584. 4 Etwa i n Gestalt des Ephorats i n Sparta oder des Logisterion i n Athen. Vgl. Fritz Bauer, Die neue Gewalt. Die Notwendigkeit eines Kontrollorgans i n der Bundesrepublik Deutschland, München 1964, S. 7 ff. und Michael Bachmann, Bundesrechnungshof, S.O. « z.B. das Volkstribunal und die Quästoren, die nach A b l a u f ihres A m t s jahres dem Senat Rechnung zu legen hatten. Siehe auch Hans Reger, Bemerkungen, S. 198.
2 Hengstschläger
18
1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
bestimmte Staats- und Regierungsformen gebunden ist, sondern unabhängig von diesen allgemein für notwendig erachtet wird 6 . Daher haben die Institutionen der staatlichen Finanzkontrolle auch die grundlegenden Änderungen der Verfassungsrechtslage relativ unbeeinträchtigt überdauert Sicherlich wurde durch die Ausdehnung des öffentlichen Sektors i m daseinsvorsorgenden Leistungsstaat die Bedeutung der Kontrolle verstärkt und m i t neuen Akzenten versehen. Dennoch sind die obersten Kontrollbehörden, insbesondere die Rechnungshöfe, i n Status und Organisation wie kaum eine andere staatsrechtliche Institution von ihren historischen Vorbildern geprägt. Auch i n Österreich ist der Rechnungshof eine der traditionsreichsten Behörden 7 . U m seine Stellung i m Verfassungsgefüge, sein Wesen und seine Organisation, seine Aufgäben und seine Wirkungskraft zu ergründen, muß daher das geschichtliche Erbgut i n die Betrachtung miteinbezogen werden. Die i m fünften Hauptstück des B.-VG. zusammengefaßten Bestimmungen über die Rechnungs- und Gebarungskontrolle sind nur vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des Rechnungshofes verständlich 8 . Es soll hier aber nicht eine Geschichte des österreichischen Rechnungshofes verfaßt werden. Vielmehr werden nur jene initiativen und repräsentativen Momente der Entwicklung aufgegriffen, die die historischen Wurzeln der öffentlichen Finanzkontrolle freilegen und die für das Verständnis der geltenden Rechtsvorschriften von besonderer Bedeutung sind. Erste Versuche, i n Österreich die Kontrolle der öffentlichen Finanzen zu institutionalisieren, reichen bis auf Maximilian I. zurück. I m Jahre 1491 errichtete er i n Innsbruck, dem Sitz der Verwaltung, eine kollegiale Kammer, die jährlich einen „Auszug alles Ausgebens und Einnehmens" — also eine A r t Rechnungsaibschluß — zu verfassen und dem Generalschatzmeister vorzulegen hatte 9 . Ferner sollten „Umreiter" i n den Kammergütern nach dem Rechten sehen 10 . 6 Siehe dazu die rechtsvergleichende Darstellung von Peter Beran / Zdenko Konvicka, Finanzkontrolle international gesehen, Wien 1967. 7 Z u seiner Geschichte Helmuth Tesar , Die oberste Rechnungskontrollbehörde Österreichs. E i n Streifzug durch die Geschichte des Rechnungshofes, i n : 200 Jahre Rechnungshof, Wien 1961, S. 1 ff. 8 So auch Ferdinand O. Kopp, Der Rechnungshof als gemeinsames „föderatives" Bund-Länder-Organ, Wien / K ö l n / Graz 1978, S. 13. 9 Dazu Hans Frenzel, Die F u n k t i o n des Rechnungshofes i n gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen, ÖGZ 1959, Heft 4, S. 1; Josef Marschall, Öffentliche Finanzkontrolle i m Wandel, Ö H W 1974, S. 13 u n d Walter Schwab, Die finanzieUe Kontrolle, i n : Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, hrsg. v o n Herbert Schambeck, B e r l i n 1980, S. 585, 10 Walter Schwab, Haushalt, S. 584.
I I . Die Hofrechenkammer M a r i a Theresias
19
Schon das Schicksal dieser ersten „Rait- oder Rechenkammer" 11 ist typisch für die geschichtliche Entwicklung des Rechnungshofes 12. Die Institutionalisierung der Finanzkontrolle stieß immer wieder auf Ablehnung bei der Verwaltung, der es über weite Strecken auch gelang, i n dieser Auseinandersetzung m i t dem Herrscher die Oberhand zu erringen. Die kollegiale Innsbrucker Kammer stellte nach wenigen Jahren ihre Tätigkeit wieder ein. Damit war der erste Versuch, eine zentrale Institution zur Kontrolle der öffentlichen Finanzen einzurichten, vorerst gescheitert. II. Die Hofrechenkammer Maria Theresias Der heutige Rechnungshof der Republik Österreich geht historisch, wenn auch nicht i m Sinne einer verfassungsrechtlichen Kontinuität, auf die Hofrechenkammer Maria Theresias zurück. M i t i h r beginnt die Geschichte des österreichischen Rechnungshofes. Zwei Gründe waren für die Errichtung der Hofrechenkammer ausschlaggebend : Erstens lag die staatliche Finazverwaltung derart i m argen, daß es beispielsweise völlig unmöglich war, nur einigermaßen gesicherte Angaben über den Stand der Staatsfinanzen oder über die Höhe der Staatsschulden zu erlangen. Nicht nur, daß die von den einzelnen Buchhaltereien erstellten Gebarungsergebnisse miteinander nicht vergleichbar waren, auch die einzelnen Hofstellen waren selbst nicht i n der Lage, ihre eigene Finanzwirtschaft zu überblicken 13 . Zweitens waren die Staatskassen schon kurz nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges i m Jahre 1756 fast völlig erschöpft. Eine Sanierung setzte voraus, daß endlich Ordnung i n das staatliche Finanz-, insbesondere das Rechnungswesen kam und daß die Verwaltung zur W i r t schaftlichkeit und Sparsamkeit angehalten wurde. Immer wieder sind und waren es Notsituationen, die große Reformen i n Gang bringen. Zur „Verbesserung" des „ganzen Finanz- und Credit-Weesens" errichtete Kaiserin Maria Theresia m i t Handschreiben 14 vom 23. Dezember 1761 drei voneinander unabhängige Verwaltungsstellen, nämlich: 1. Die „Hof-Cammer", vergleichbar m i t dem heutigen Finanzministerium. « Walter Schwab, Kontrolle, S. 585. 12 Näher dazu Helmuth Tesar, Rechnungskontrollbehörde, S. 1 ff. 13 So heißt es beispielsweise i n einem Schreiben des Vizekanzlers Freiherr von Bartenstein, m a n habe 1748 „nicht verläßlich inne werden können, ob die genannten Kameralschulden n u r etliche 50 M i l l i o n e n oder aber 80 M i l lionen Gulden betragen". Z i t i e r t nach Helmuth Tesar, Rechnungskontrollbehörde, S.3. 14 Abgedruckt in: 200 Jahre Rechnungshof, Wien 1961, S'. 117. 2*
20
1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
2. D i e „Caihse g e n e r a l e " , also d i e G e n e r a l - K a s s e n - D i r e k t i o n . 3. D i e „ R e c h e n - C a m m e r " als V o r l ä u f e r des Rechnungshofes, „ v o n w e l cher d i e B e m ä n g e l u n g a l l e r R e c h n u n g e n z u besorgen, u n d z u g l e i c h a l l e i m F i n a n z - W e e s e n besonders aber b e y der A u s g a b
wahrneh-
m e n d e Gebrechen anzuzeigen w ä r e n " . I m einzelnen w a r die Hofrechenkammer
m i t umfangreichen
Kom-
petenzen, z u d e n e n auch das Recht z u r P r ä v e n t i v k o n t r o l l e zählte, ausg e s t a t t e t 1 5 . A u ß e r d e m u n t e r s t a n d sie u n m i t t e l b a r der K r o n e , w a r d e n Z e n t r a l s t e l l e n gleichgestellt u n d k o n n t e sich i n w i c h t i g e n F r a g e n d i r e k t an die Kaiserin wenden. Diese ü b e r m ä c h t i g e P o s i t i o n d e r H o f r e c h e n k a m m e r , insbesondere das Recht z u r P r ä v e n t i v k o n t r o l l e 1 6 , welches sogar die M ö g l i c h k e i t eröffnete, Beschlüsse ü b e r w i c h t i g e Finanizangelegenheiten z u suspendieren, stieß a l s b a l d a u f h e f t i g e n W i d e r s t a n d b e i d e r V e r w a l t u n g 1 7 . Diese erreichte auch 1768, daß d i e P r ä v e n t i v k o n t r o l l e w e s e n t l i c h b e s c h r ä n k t w u r d e u n d 1772 ü b e r h a u p t wegfiel. Schon e i n J a h r später, n ä m l i c h 1773, h a t t e d i e V e r w a l t u n g e n d g ü l t i g w i e d e r die O b e r h a n d i n dieser A u s e i n a n d e r setzung g e w o n n e n . D i e H o f r e c h e n k a m m e r w u r d e d e r F i n a n z h o f s t e l l e 15 Z u den Aufgaben der ersten Hofrechenkammer, die m i t 15.5.1765 durch eine Reihe weiterer Befugnisse erweitert wurde, Helmuth Tesar, Rechnungskontrollbehörde, S. 4 f. 16 I n oben zitiertem Handschreiiben M a r i a Theresias an Graf Zinzendorf v o m 23.12.1761 heißt es diesbezglich: „Was aber insbesondere die neu zu errichtende Rechen-Cammer anbetrifft; So sollen i n dieselbe alle Rechnungen zur Bemängel- und Berichtigung einfließen, und unter i h r Meine bisherige Haupt-Buchhaltereyen vereiniget, auch diesem weitläufigen, u n d w i c h t i gen Werk ein Praesident vorgesetzt werden; Dessen hauptsächlichste Beschäftigung darinnen zu bestehen hätte, daß Er fördersamst von der A r t , u n d Weis, w i e bishero alle Meine Gefälle, w i e auch deren Einnahm, und Ausgab verwaltet, u n d die Berechnungen geführet worden, w i e nicht weniger von der Anzahl, dem Stand, u n d der Beschafenheit aller, u n d jeder Cahsen eine gründliche Känntnüss einzuziehen sich befleisse, nach eingeholter hinlänglicher Nachricht die M i t t e l , wie das ganze Rechnungs-Weesen auf den k ü r zesten, leichtesten und besten Fuß gesetzt werden könne, überdenke, und an Hand gebe, desfalls die erforderliche Anweisungen, u n d Instructionen f ü r alle Rechnungs-Führer entwerfe, diese zu ihrer Schuldigkeit, u n d richtigen Rechnungs-Legung, die unterhabende Rechen-Cammer aber i n der besten Ordnung zu beständigen Fleiß, ohngesäumter Bemängelung, und A b n a h m aller Rechnungen anhalte, die i n der Verwaltung, Einnahm, und 1 Ausgabe w a h r nehmende Mängel, und Gebrechen M i r anzeige, wegen deren Verbesserung die dienlich erachtende Vorschläge an Hand gebe über alle außerordentliche, u n d i n dem jahrlich zu verfassenden Erfordernüs-Entwurf nicht begrifene Ausgaben sein Gutachten noch v o r Meiner Entschließung erstatte, und überhaupt das jenige pflichtmäßig befolge, was seine künftige Instruction von Ihme erfordern w i r d . " 17 Z u m Folgenden siehe insbes. Gustav Seidler, Der Staatsrechnungshof Österreichs, Wien 1884, S. 5 ff.; Richard Hager, Die Entwicklung der Rechnungshofkontrolle v o n der ersten Hofrechenkammer bis zum Rechnungshof (Verfassung 1Θ34), ÖVB1. 1936, S. 55 ff-; Hans Frenzel, Funktion, S. 1 ff. und Helmuth Tesar, Rechnungskontrollbehörde, S. 4 ff.
I I . Die Hofrechenkammer M a r i a Theresias
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unmittelbar untergeordnet und auch an die Weisungen der anderen Hofstellen gebunden. Damit hatte sie ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit wieder eingebüßt. Es wurde aber bald klar, daß diese tiefgreifende Schwächung der Rechnungskontrolle zu weit ging. Bereits i m darauf folgenden Jahr 1774 war die Hofrechenkammer wieder als unmittelbare und weitgehend unabhängige Hofstelle organisiert und m i t einem Teil ihrer früheren Befugnisse betraut. Ihre ursprüngliche, relativ mächtige Position gewann sie aber erst unter dem Nachfolger Maria Theresias, Josef II, zurück. Er stattete die Hofrechenkammer allmählich m i t allen ihren früheren Befugnissen wieder aus und stellte darüber hinaus das gesamte Rechnungs- u n d Kontrollwesen aller zur österreichischen Monarchie gehörigen Länder unter ihre einheitliche Leitung. Schon unter Kaiser Leopold II begann sich der Einfluß der Verwaltung allmählich wieder zu verstärken. Die Hofrechenkammer mußte Beschneidungen ihrer Befugnisse hinnehmen. Die Rechenkammern i n Brüssel und Mailand wurden ihrem Einflußbereich entzogen und der Hof- und Staatskanzlei untergeordnet. Auch die ungarischen und siebenbürgischen Buchhaltungen wurden den betreffenden Länderstellen unterstellt und die ständischen Buchhaltungen fielen i n die Herrschaft der Stände zurück. Schließlich löste Kaiser Franz II 1792 die Hofrechenkammer überhaupt auf. Als unmittelbarer Grund für diese radikale Maßnahme w u r den organisatorische und verfahrensmäßige Mängel des bestehenden Rechnungs- und Kontrollwesens angegeben, die zu bürokratischen Auswüchsen und großen Verzögerungen geführt hätten. Die Kontrolle wurde dem Staatsrat bzw. dessen „Central-Control-Departement" übertragen. Zur Überwachung des Rechnungsdienstes wurde eine Staatshauptbuchhaltung eingerichtet, die dem „Direktorium i n cameralibus et i n publico politicis" 1 8 zugehörte, ihre Aufträge aber direkt vom Staatsrat erhielt. Wie zu erwarten, kam es schon nach kurzer Zeit wieder zu einem Umschwung i n der Entwicklung. Bereits i m Jänner 1794 richtete Kaiser Franz I I die Oberste Staatskontrolle ein, die nicht mehr den administrierenden Hofstellen unterstand, sondern unmittelbar seiner Anordnungsgewalt unterworfen war und die Aufsicht über sämtliche Hof- und Provinzialbuchhaltungen innehatte. Diese Aufwertimg und Verselbständigung des Rechnungs- und Kontrollwesens dauerte aber nur kurze Zeit. Die neuerliche Umgestaltung 18 Es sollte die ungarisch-siebenbürgischen und die deutsch-erbländischen Kameralien m i t den politischen Angelegenheiten der deutschen und galizischen Erblande vereinigen.
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1. Kap. : Entstehung u n d E n t w i c k l u n g der Finanzkontrolle
fügte i h m einen vernichtenden Schlag zu. M i t kaiserlicher Entschließung vom 26. August 1801 wurde nämlich die Oberste Rechnungskontrolle gänzlich aufgehoben. Die Hof- und Länder-Buchhaltereien w u r den den Verwaltungsstellen untergeordnet und das Centrai-RechnungsDepartement k a m zum Staatsministerium. M i t der Beseitigung der selbständigen und unabhängigen Kontrollbehörde und der völligen Dezentralisierung der Kontrolle war schließlich wieder jener Zustand erreicht, der Kaiserin Maria Theresia 1761 zur Errichtung der ersten Hofrechenkammer bewog. Die Entwicklung war aber bereits zu weit fortgeschritten und die sachlichen Gründe, die für die Errichtung einer obersten unabhängigen Kontrollinstanz sprachen, ließen es nicht zu, daß sich der kontrollose Zustand auf Dauer hätte halten können. Immerhin vergingen etwas mehr als vier Jahre, bis Kaiser Franz I I m i t allerhöchster Entschließung vom 19. September 1805 wieder eine oberste Kontrollbehörde, das „General-Rechnungs-Direktorium" errichtete. I h m waren sämtliche Hof- und Landesbuchhaltungen untergeordnet 19 , ausgenommen die Kameral-Landesbuchhaltereien i n Ungarn, Siebenbürgen und i m Banat, die der ungarischen Hofkammer und Finanzhofstelle unterstanden. Dieses „General-Rechnungs-Direktorium" blieb — abgesehen von einigen nicht besonders gravierenden Modifikationen 2 0 — fast 50 Jahre, nämlich bis 1854, i n dieser Form bestehen. Die Revolution i m Jahre 1848 brachte erwartungsgemäß auch für das Rechnungs- und Kontrollwesen neue Impulse. Die Öffentlichkeit war nicht nur der staatlichen Verwaltungstätigkeit gegenüber sensibler geworden, sie zeigte auch ein besonderes Interesse an einer sauberen und korrekten Bewirtschaftung der Staatsfinanzen. U m dies zu gewährleisten, bedurfte es entsprechender budgetmäßiger 21 und kontrollrechtlicher Einrichtungen. Noch i m Jahre 1848 kam es zu ersten Schritten: Der Staats-Zentralrechnungsabschluß, der vom General-Rechnungs-Direktorium zu erstellen war, enthielt nicht mehr bloß summarische Übersichten über die Staats-Nettokassengebarung und über die Gefallserträgnisse, sondern ein exaktes und detailliertes Gebarungsbild, gegliedert nach Verwaltungszweigen und innerhalb dieser nach Rubriken.
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A l l e i n i n Disziplinarangelegenheiten unterstanden sie den Landeschefs. Siehe dazu Gustav Seidler, Staatsrechnungshof, S. 8 ff. u n d Helmuth Tesar , Rechnungskontrollbehörde, S. 12 ff. 21 Dazu Johannes Hengstschläger, Das Budgetrecht des Bundes, B e r l i n 1977, S. 25 ff. 20
I I I . Der Rechnungshof i n der konstitutionellen Ä r a
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Π Ι . D e r Rechnungshof i n der konstitutionellen Ä r a 1. Die „oktroyierte Märzverfassung"
Die erste von den i n der konstitutionellen Bewegung ab 1848 erstellten Verfassungsurkunden, die über den Rechnungshof eine Aussage traf, war die 1849 „oktroyierte Märzverfassung" 22 . Sie proklamierte i n § 112: „ E i n besonderes Gesetz w i r d die Einrichtung und Befugnisse des obersten Rechnungshofes feststellen". Außerdem verpflichtete sie den obersten Rechnungshof, „die allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt des Jahres . . . nebst einer Ubersicht der Staatsschulden . . . dem Reichstage" vorzulegen 23 . Diese Bestimmungen erlangten jedoch keine praktische Bedeutung, denn die Märzverfassung wurde durch das sogenannte „Silvesterpatent" 24 m i t Ende 1851 als „weder i n ihren Grundlagen den Verhältnissen des österreichischen Kaiserstaates angemessen, noch i n dem Zusammenhange ihrer Bestimmungen ausführbar" aufgehoben. 2. Die „Oberste-Rechnungs-Control-Behörde" (1854)
Obwohl die durch das Silvesterpatent wiederhergestellte absolute Regierungsform bis zum Oktoberdiplom 1860 anhielt, kam es i m Bereich der Rechnungs- und Gebarungskontrolle schon 1854 zu einer Reform. M i t allerhöchstem Handschreiben vom 27. März 185428 wurde an Stelle des General-Rechnungs-Direktoriums die „fc. k. Oberste RechnungsControls-Behörde" eingerichtet. Sie unterstand unmittelbar dem Kaiser und war den Ministerien gleichgestellt. Unter Bedachtnahme auf die Reformpläne, die schon i n den Jahren 1829 und 1848 entworfen worden waren 2 6 , wurde diese „Oberste Rechnungs-Controls-Behörde" m i t sehr weitreichenden Kontrollbefugnissen ausgestattet. Die Buchhaltungen, die von den Verwaltungsbehörden völlig unabhängig waren, wurden ausschließlich und unmittelbar ihr unterstellt. Sie hatte für die Ordnung und Richtigkeit des gesamten Rechnungs22 Reichsverfassung f ü r das Kaisertum Österreich, Kaiserliches Patent v o m 4. März 1849., RGBl. Nr. 150; abgedruckt bei Edmund Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, 2. Aufl., Wien 1911, S. 150 ff. u n d Heinz Fischer / Gerhard Silvestri , Texte zur österreichischen Verfassungs-Geschichte, Wien 1Ö70, S.47ff. 2 « § 111 der „oktroyierten Märzverfassung". 2 * Kaiserliches Patent v o m 31.12.1851, RGBl. N r . 2 f ü r 1852 sowie die K a i serlichen Patente v o m 31.12.1851, RGBl. Nr. 3 und Nr. 4 f ü r 1852. Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 208 ff. und Heinz Fischer / Gerhard Silvestri, Texte, S. 64 ff. 25 Kaiserliche Verordnung v o m 27.3.1854, RGBl. N r . 71/1854. 26 Dazu Gustav Seidler, Staatsrechnungshof, S. 8 f.
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
wesens zu sorgen und dazu den Buchhaltungen bei ihrer Kontrolltätigkeit beiseite zu stehen. Andererseits konnte sie sich auch selbst von der ordnungsgemäßen Geschäftsführung der Buchhaltungen an Ort und Stelle überzeugen. Vorschriftswidrigkeiten, von denen sie über die Buchhaltungen oder sonst Kenntnis erlangte, hatte sie i m Einvernehmen m i t den zuständigen Zentralstellen abzustellen. Bei der Erstellung des Rechnungsabschlusses oblag es i h r zu prüfen, ob und inwieweit qualitative oder quantitative Budgetüberschreitungen gerechtfertigt waren. Schließlich hatte sie bei der Ordnung des Rechnungswesens umfassende Mitwirkungsrechte. 3. Der oberste Rechnungshof (1866)
Der Ubergang zur konstitutionellen Regierungsform setzte auch für die Rechnungs- und Gebarungskontrolle neue Akzente. Schon das Oktoberdiplom 27 aus 1860 garantierte dem Reichsrat, also der Volksvertretung, i m Bereich des Finanzwesens wesentliche Mitwirkungsrechte. Unter anderem war vorgesehen, daß „die Prüfung und Feststellung der Voranschläge der Staatsauslagen für das zukünftige Jahr, sowie die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und der Resultate der jährlichen Finanzgebarung unter M i t w i r k u n g des Reichsrates zu erfolgen hat". Das i m Konstitutionalismus intendierte Konzept einer gewissen Aufteilung der staatlichen Gewalt zwischen Exekutive und Parlament mußte sich auch auf die Stellung der Finanzkontrolle auswirken. War — wie der kursorische Blick auf die Entwicklung der Rechnungskontrolle bisher gezeigt hat — die oberste Kontrollbehörde i n Österreich von der ersten Hofrechenkammer an eigentlich eine Verwaltungsbehörde m i t Sonderstatus, gelangte sie nun i n der konstitutionellen Ä r a allmählich i n ein Naheverhältnis zum neugeschaffenen Parlament. I n der absoluten Monarchie nahm sie zwei Funktionen gleichzeitig wahr. Einerseits übte sie die oberste Kontrolle über die staatliche Finanzgebarung aus, andererseits war sie gleichzeitig m i t der Leitung des gesamten Rechnungswesens, also m i t reinen Verwaltungsgeschäften betraut. Diese janusköpfige Doppelrolle war sicherlich einer der Gründe für die fortwährend schwelende Auseinandersetzung u m die Stellung der obersten Kontrollbehörde. Als Kontrollorgan des Monarchen sollte sie diesem möglichst direkt unterstehen und von der Verwaltung un27 Kaiserliches D i p l o m v o m 20.10.1860, RGBl. Nr. 226, zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie, bei Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 223 ff. u n d Heinz Fischer / Gerhard Silvestri , Texte, S. 69 ff.
I I I . Der Rechnungshof i n der konstitutionellen Ä r a
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abhängig sein. Die Exekutive aber war verständlicherweise immer bestrebt, sie als Verwaltungsorgan unter ihre Herrschaft zu bringen. M i t Errichtung des Parlaments änderte sich das Kräftefeld. Der Verwaltung stand weniger der Monarch gegenüber, der m i t Hilfe einer unabhängigen Kontrollbehörde für Ordnung und Sauberkeit i m staatlichen Finanzwesen zu sorgen trachtete, sondern die Volksvertretung. Der Rechnungshof wurde allmählich zum Hilfsorgan des Parlaments, dem er bei der Kontrolle der Exekutive dienen sollte. I n der Auseinandersetzung u m die Stellung und Funktion der obersten Kontrollbehörde standen sich nun nicht mehr Monarch und Exekutive, sondern Parlament und Regierung gegenüber. Bis heute gehört es zu den legitimen Interessen der Volksvertretung, die parlamentarischen Kontrollrechte gegenüber der Exekutive auszubauen und zu intensivieren und bis heute versuchen die Regierungen, verständlicherweise, externe Überprüfungn abzuwenden. I n der geschichtlichen Entwicklung des österreichischen Rechnungshofes w i r d diese aus dem geänderten Kräfteverhältnis resultierende Tendenzwende nur sehr zögernd wirksam. Auch das Februarpatent 28, welches schon nach vier Monaten dem Oktoberdiplom folgte, übertrug dem Reichsrat „alle Angelegenheiten der Reichsfinanzen überhaupt; insbesondere die Voranschläge des Staatshaushaltes, die Prüfimg der Staatsrechnungsabschlüsse und der Resultate der Finanzgebarung" 29 . Ferner wurde die Staatsschuld „unter die Controle des Reichsrathes gestellt". Eine ausdrückliche Regelung über den Rechnungshof war auch i m Februarpatent bzw. i m dazugehörigen Grundgesetz über die Reichsvertretung nicht enthalten. Der Reichsrat selbst aber forderte auf Grund der i h m i m Bereich des Finanzwesens zugewiesenen Kompetenzen einen zentralen, von der Regierung unabhängigen und primär i h m zur Seite stehenden Rechnungshof. So faßte das Abgeordnetenhaus anläßlich der Budgetberatungen 1862 folgenden Beschluß: „Endlich w i r d noch erklärt, daß für die dem Reichsrate zustehende Feststellung des Staatsvoranschlages und Prüfung der Staatsrechnung, somit für die Kontrolle des Reichsrates über die Gebarung mit den Staatsgeldern und allfällige Ministerverantwortlichkeit die Einsetzung eines selbständigen, neben den M i n i stern stehenden Rechnungshofes, dem auch die Evidenzhaltung des Staatsvermögens zu übertragen wäre, als unentbehrlich betrachtet und 28 Kaiserliches Patent v o m 26.2.1861, RGBl. N r . 20, bei Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 255 ff. u n d Heinz Fischer / Gerhard Silvestri , Texte, S. 72 ff. 29 § 10 Ht. c des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, das dem Februarpatent angeschlossen war.
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1. Kap.: Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
die k. k. Regierung aufgefordert werde, die nötigen Vorlagen i n der nächsten Session einzubringen 30 ." Dem Anliegen des Reichsrates wurde erst vier Jahre später und da nur zum Teil Rechnung getragen. A m 21. November 1866 erließ der Kaiser die Verordnung über die Regelung des Staats-, Rechnungs- und Kontrolldienstes 31 und errichtete an Stelle der Obersten Rechnungskontrollbehörde den „Obersten Rechnungshof". Die kaiserliche Verordnung organisierte zwar den Rechnungshof als „selbständige, von den Ministerien unabhängige und m i t diesen gleiche Stellung einnehmende Behörde, welche die Kontrolle über den gesamten Staatshaushalt zu führen hat", unterstellte i h n aber — wie seine Vorgänger — unmittelbar dem Kaiser. Z u den Parlamenten gab es institutionalisierte Beziehungen nur über den Rechnungsabschluß. Eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung erfuhr der Inhalt der Kontrollkompetenz. § 7 der kaiserlichen Verordnung wies ausdrücklich darauf hin, daß sich die Kontrolle „nicht bloß auf die ziffermäßige Richtigstellung der einlangenden Rechnungen zu beschränken, sondern ihr Hauptaugenmerk auf die Prüfung der Gebarung m i t dem Staatsvermögen zu richten" hat. Außerdem Oblag dem Rechnungshof, die Übereinstimmung der Gebarung m i t den bestehenden Vorschriften und Verwaltungsgrundsätzen zu beurteilen. Dazu erhielt er das Redit, sich die Rechnungsbelege und Verhandlungsakten der Verwaltungsbehörden vorlegen zu lassen 32 sowie unmittelbare Amtsuntersuchungen vorzunehmen. „Anstände" und „Bedenken" hatte er i m Einvernehmen m i t der betroffenen Administrativbehörde auszuräumen und wenn dies nicht gelang, dem Kaiser zur Entscheidung vorzulegen 33 . Schließlich gehörte es zu den Obliegenheiten des Rechnungshofes, jährlich einen Zentralgebarungsausweis für das vergangene und den Zentral-Rechnungsabschluß für das vorletzte Jahr zu erstellen 34 . Gemäß § 14 der kaiserlichen Verordnung war der Zentral-Rechnungsabschluß für jedes Verwaltungsjahr i m Laufe des zweiten darauffolgenden Jahres der verfassungsmäßigen Prüfung und Abfertigung zuzuführen. Wie bereits erwähnt, übertrug das Grundgesetz über die Reichsvertretung 30 Z i t i e r t nach Helmuth Tesar , Rechnungskontrollbehörde, S. 16, w o auch auf den Wunsch des Herrenhauses verwiesen w i r d , „daß das Staatsrechnungs- und Kontrollwesen . . . einer Reorganisierung unterzogen werden möge". 31 RGBl. Nr. 140/1866; auszugsweise abgedruckt bei Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 357 ff. I n Ergänzung dazu w u r d e auch eine Geschäftsordnung für den Obersten Rechnungshof erlassen, Edmund Bernatzik, V e r fassungsgesetze, S. 362 ff. 32 § 12 der kaiserlichen Verordnung. 33 § 9 der kaiserlichen Verordnung. 34 § 13 der kaiserlichen Verordnung.
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die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und der Resultate der Finanzgebarung dem „gesamten Reichsrate" 85 . Damit war erstmals dem sachlichen Zusammenhang zwischen parlamentarischer Budgethoheit und Finanzkontrolle institutionell Rechnung getragen 86 . Die „Dezemberverfassung" 186787 behielt dieses System bei. Auch sie übertrug die wesentlichen Befugnisse i m Bereich des öffentlichen Finanzwesens dem Reichsrat. Dazu zählten etwa „die Feststellung der Voranschläge des Staatshaushaltes, und insbesondere die jährliche Bewilligung der einzuhebenden Steuern, Abgaben und Gefälle, die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse und Resultate der Finanzgebarung" sowie ausdrücklich „die Erteilung des Absolutorums" wie auch M i t wirkungsrechte bei der Schulden- und Vermögensverwaltung 38 . Eine ausdrückliche Regelung bezüglich der Organisation und der Aufgaben des Rechnungshofes enthielt auch die Dezemberverfassung nicht. Es blieb der durch die kaiserliche Verordnung aus 1866 geschaffene Rechtszustand aufrecht 39 . Vieles von der rechtlichen Struktur und der Funktion des heutigen Rechnungshofes wurde bereits durch die Verordnung 1866 grundgelegt. Es spricht ohne Zweifel für die Qualität des damals verwirklichten Konzepts der staatlichen Finanzkontrolle, daß es sich bis zum Zusammenbruch der Monarchie nach dem ersten Weltkrieg, also mehr als 50 Jahre ohne wesentliche Abänderungen gehalten hat. 35 § 10 lit. c des dem Februarpatent angeschlossenen Grundgesetzes über die Reichsvertretung. Dazu näher Johannes Hengstschläger, Budgetrecht, S. 32 ff. 36 Die kaiserliche Verordnung t r a t m i t Beginn des Jahres 1867 i n K r a f t . Dem Reichsrat w a r jedoch schon durch das Sistierungspatent v o m 20.9.1865, RGBl. Nr. 89 die Rechtsgrundlage entzogen worden, Erdmung Bernatzik, V e r fassungsgesetze, S. 3171 u n d Heinz Fischer / Gerhard Silvestri, Texte, S.. 84 f. 37 A l s „Dezemberverfassung" werden die am 21.12,1867 beschlossenen fünf Staatsgrundgesetze zusammenfassend bezeichnet. Es handelt sich dabei u m das Gesetz v o m 2L12.1867, RGBl. Nr. 141/1867, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung v o m 26.2.1861 abgeändert w i r d ; Staatsgrundgesetz v o m 21.12.1867, RGBl. N r . 142/1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die i m Reichsrate vertretenen Königreiche u n d Länder; Staatsgrundgesetz v o m 21.12.. 1867, RGBl. N r . 143/1867, über die Einsetzung eines Reichsgerichtes; Staatsgrundgesetz v o m 21.12.1967, R G B l . Nr. 144/1867, über die richterliche Gewalt; Staatsgrundgesetz v o m 21.12., 1867, RGBl. N r . 145/ 1867, über die Ausübung der Regierungs- u n d der Vollzugsgewalt; bei Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 390 ff. u n d Heinz Fischer / Gerhard Silvestri , Texte, S. 86 ff. «β §11 l i t e des Gesetzes v o m 21.12.1867, RGBl. Nr. 141, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung v o m 26.2.1861 abgeändert w i r d . 39 Bedenken wegen Widerspruchs zu A r t . 2 des Staatsgrundgesetzes über die Ausübung der Regierungsi- u n d Vollzugsgewalt hegte Rudolf Herrnritt, Handbuch des österreichischen Verfassungsrechtes, Tübingen 1909, S., 133 und Edmund Bernatzik, Verfassungsgesetze, S. 439; siehe aber Josef Ulbrich, Das österreichische Staatsrecht, 3.. Aufl., Tübingen 1909, S..235f. und Gustav Seidler, Staatsrechnungshof, S. 11 ff.
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
IV. Der Übergang zur Republik Die 1918 neu entstandene Republik hat den obersten Rechnungshof aus der Monarchie übernommen. § 16 des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt 40 erklärte: „Insoweit Gesetze und Einrichtungen, die i n den i m Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern i n K r a f t stehen, durch diesen Beschluß nicht aufgehoben oder abgeändert sind, bleiben sie bis auf weiteres i n vorläufiger Geltung." Da der Beschluß bezüglich des Rechnungshofes keine Regelung enthielt, wurde dieser i n der durch die kaiserliche Verordnung aus 1866 festgelegten Form rezipiert. Das auf die Monarchie zugeschnittene Konzept, insbesondere die Unterordnung des Rechnungshofes unter die Gewalt des Kaisers kollidierte m i t der neuen Verfassung. Da durch Gesetz vom 12. November 191841 alle Rechte, welche nach der Verfassung der i m Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder dem Kaiser zustanden, einstweilen auf den deutschösterreichischen Staatsrat übergingen, wurde davon ausgegangen, daß auch der Oberste Rechnungshof dem Staatsrat unterstand 42 . U m möglichst bald Klarheit zu schaffen, wurde schon am 6. Februar 1919 durch das Gesetz über den Staatsrechnungshof eine Neuregelung getroffen 43 . § 1 unterstellte den Staatsrechnungshof unmittelbar und ausschließlich der Nationalversammlung 44 . Der Rechnungshof verkehrte m i t der Nationalversammlung unmittelbar 4 5 , und nicht wie andere Staatsorgane über die Staatsregierung. Der Präsident wurde zwar vom Staatsrat ernannt, war aber der Nationalversammlung verantwortlich und konnte von ihr durch Beschluß abberufen werden 4 6 . Damit war der Wendepunkt i n der Entwicklung der Finanzkontrolle markiert. Die schon i n der konstitutionellen Monarchie erwartete Ent40 StGBl. Nr. 1/1918. StGBl. Nr. 5/1918. 42 Vgl. dazu Richard Hager, Entwicklung, S. 59 und Felix Ermacora, Der österreichische Rechnungshof i m System der Staatsgewalt, in: 200 Jahre Rechnungshof, W i e n 1961, S. 73. « StGBl. Nr. 85/1910. 44 § 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Staatsrechnungshof, StGBl. Nr. 85/1919. 45 § 5 Abs. 1 leg.cit. 4« § 3 Abs. 1 und 4 und § 4 l e g x i t . Jedoch w u r d e n m i t den Gesetzen v o m 14. 3.1919, StGBl. N r . 179 über die Volksvertretung u n d StGBl. N r . 180 über die Staatsregierung der Staatsregierung die Geschäfte des Staatsrates und des Staatsdirektoriums übertragen. Ausgenommen waren die hinsichtlich des Staatsrechnungshofes eingeräumten Befugnisse, die an den Präsidenten der Nationalversammlung übergingen. Dieser hatte auf Vorschlag des H a u p t ausschusses der Nationalversammlung den Präsidenten des Staatsrechnungshofes zu ernennen.
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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Wicklung ist m i t Errichtung der demokratischen Republik eingetreten. Als Kehrseite der parlamentarischen Budgethoheit wurde nun auch die Kontrolle über die Staatsfinanzen dem Parlament anvertraut. Der Rechnungshof wurde zum Hilfsorgan der i m demokratisch-republikanischen Staat herrschenden Gewalt, der Vertretung des Volkes 4 7 . Nicht nur die Stellung und Organisation des Rechnungshofes wurde dem neuen Verfassungskonzept angepaßt, sondern auch der Wirkungskreis und der Inhalt der staatlichen Finanzkontrolle erfuhren eine Erweiterung. Der Staatsrechnungshof war nun zur Überprüfung der Gebarung der gesamten Staatswirtschaft einschließlich der Staatsschuld 48 befugt 49 . Auch gewisse Stiftungen, Fonds und Anstalten sowie Rechtsträger, an denen der Staat finanziell beteiligt war, fielen unter die Prüfungskompetenz des Staatsrechnungshofes 60 . Gemäß § 10 hatte der Staatsrechnungshof zu prüfen, ob die Gebarung den Gesetzen und sonstigen Vorschriften entsprach sowie — und das war neu — ob sie ökonomisch und zweckmäßig war. I m übrigen wurde auch die kaiserliche Verordnung vom 21. 11. 1866, soweit sie m i t dem Gesetz über den Staatsrechnungshof vereinbar war, in K r a f t gesetzt 61 .
V . D i e verfassungsrechtliche V e r a n k e r u n g der Rechnungs- u n d Gebarungskontrolle i m B . - V G . und ihre Ausführung durch das Rechnungshofgesetz 1. Das B.-VG. 1920
Das Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. Oktober 192062 widmet der Rechnungskontrolle ein eigenes Hauptstück und sichert sie darin i n ihren wesentlichen Grundzügen verfassungsrechtlich ab. I m großen und ganzen übernimmt das fünfte Hauptstück des B.-VG. 1920 jenes Konzept, das bereits i m Gesetz über den Staatsrechnungshof vom 6. Februar 1919 grundgelegt wurde. 4
7 Felix Ermacora, Rechnungshof, S. 73. Die i n der Monarchie bestehende Staatsschuldenkommission wurde nicht übernommen. I h r e Befugnisse gingen auf den Rechnungshof über. Vgl. dazu Adolf Merkl, Die Verfassung der Republik Deutschösterreich, W i e n und L e i p zig 1919, S.. 151 ff. und Walter Henrich, Der österreichische Rechnungshof, ZÖR, Bd. V I , 1927, S. 546. 49 Gemäß § 9 Abs. 4 leg.cit. oblag dem Präsidenten des Staatsrechnungshofes die Gegenzeichnung der Schuldurkunden. m §9 Abs.2 u n d 3 leg.cit. " § 18 leg.cit. «2 Gesetz v o m 1. Oktober 1920, BGBl. Nr. 1, w o m i t d!ie Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet w i r d . Es ist am 10. Oktober 1920 i n K r a f t getreten. 48
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
A r t . 122 A b s . 1 u n t e r s t e l l t d e n Rechnungshof u n m i t t e l b a r d e m N a t i o n a l r a t 5 8 . D e r P r ä s i d e n t des Rechnungshofes w i r d a u f V o r s c h l a g des Hauptausschusses v o m N a t i o n a l r a t g e w ä h l t u n d k a n n d u r c h Beschluß des N a t i o n a l r a t e s a b b e r u f e n w e r d e n 6 4 . Diese enge B e z i e h u n g der Finanzkontrolle zur Volksvertretung w a r i n allen Verfassungsentwürf e n v o r g e s e h e n 5 5 u n d s t a n d auch i n d e n B e r a t u n g e n des Verfassungsunterausschusses außer S t r e i t 5 · . U n t e r s c h i e d l i c h e A u f f a s s u n g e n gab es i n d e r Frage, ob auch d i e Geb a r u n g d e r Länder d e r K o n t r o l l e d u r c h d e n Rechnungshof u n t e r w o r f e n w e r d e n sollte. O b w o h l i n d e n V e r f a s s u n g s e n t w ü r f e n d e r Rechnungshof als gemeinsames K o n t r o l l o r g a n f ü r B u n d u n d L ä n d e r k o n z i p i e r t w a r 5 7 , b e g n ü g t e sich das B . - V G . 1920 m i t e i n e r abgeschwächten L ö s u n g . I m A r t . 127 w u r d e es d e m Landesverfassungsgesetzgeber f r e i g e s t e l l t , d e m R e c h n u n g s h o f auch i m B e r e i c h des L a n d e s j e n e K o n t r o l l b e f u g n i s s e z u ü b e r t r a g e n , die i h m a u f Bundesebene z u s t a n d e n 5 8 . Ä h n l i c h u n e i n i g w a r m a n sich i n d e r Frage, o b d e r Rechnungshof auch Unternehmungen ü b e r p r ü f e n soll, a n d e n e n d e r B u n d finanziell b e t e i l i g t ist. A u c h h i e r sah A r t . 121 A b s . 1 l e d i g l i c h eine E r m ä c h t i g u n g a n d e n Gesetzgeber v o r , d e m Rechnungshof diese K o n t r o l l e z u ü b e r tragen. D i e R e g e l u n g des § 9 des Gesetzes v o m 6. F e b r u a r 1919 ü b e r d e n 53 A r t . 122 Abs. 1 B.-VG. 1920. w A r t . 122 Abs. 3 und A r t . 123 Abs. 2 B.-VG. 1920. M A r t . 97 des Privatentwurfes D r . Mayr, abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen zum österreichischen Verfassungsrecht (1920), W i e n 1967, S. 59 L — A r t . 100 des Entwurfes der Großdeutschen Vereinigung; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 104 f. — A r t . 99 des Linzer Entwurfes, w o auch eine Unterordnung unter den Bundesrat vorgesehen w a r ; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 129. — A r t . 28 des zweiten Entwurfes der christlichsozialen Partei; w o der Rechnungshof der Bundesversammlung unterstellt wurde; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 150. — A r t . 108 des Entwurfes der sozialdemokratischen Partei; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 176. — A r t . 128 des Renner-Mayr-Entwurfes, der ebenfalls den Rechnungshof der Bundesversammlung unterordnete; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 227. Siehe das Protokoll der 11. Sitzung des Unterausschusses des Verfassungsausschusses v o m 25. August 1920; abgedruckt bei Felix Ermacora, Quellen, S. 357 ff., insbes. 370 ff. δ7 So etwa i n A r t . 97 ff. des Privatentwurfes Mayr, Felix Ermacora, Quellen, S. 59; i n A r t . 99 des Entwurfes der Großdeutschen Vereinigung, Felix Ermacora, Quellen, S. 104; i n A r t . 98 des Linzer Entwurfes, Felix Ermacora, Quellen, S. 129; i n A r t . 28 des zweiten Entwurfes der christlichsozialen Partei, Felix Ermacora, Quellen, S. 150; i n A r t . 107 de9 Entwurfes der sozialdemokratischen Partei, Felix Ermacora, Quellen, S. 176 u n d i n A r t . 127 des Renner-Mayr-Entwurfes, Felix Ermacora, Quellen, S. 226 f. 58 V o n dieser Ermächtigung hat lediglich die f ü r das Burgenland durch Bundesverfassungsgesetz v o m 7.4.1922, BGBl. Nr. 202/1922 erlassene „Einstweilige Landesordnung" i n § 47 Gebrauch gemacht. Diese Bestimmung wurde jedoch sofort nach dem Zusammentritt des ersten gewählten Landtages durch Landesverfassungsgesetz v o m 12.10.1922, LGB1. Nr. 36/1922 aufgehoben.
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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Staatsrechnungshof, worin diesem bereits die Überprüfung der Gebarung jener Institute und Gesellschaften übertragen war, an denen der Staat i n irgendeiner Form finanzielle Anteile besaß, schien mangels Begrenzung der Prüfungsbefugnis — etwa i n Gestalt einer M i n destbeteiligung der öffentlichen Hand — offenbar als zu weitgehend 69 . Uberhaupt unberücksichtigt blieb die Stellung der Gemeinden i m System der Rechnungshofkontrolle 60 . Auch traf das B.-VG. 1920 keine Vorsorge für den Fall, daß zwischen dem Rechnungshof und der zu überprüfenden Stelle Meinungsverschiedenheiten etwa über die Zuständigkeit des Rechnungshofes entstehen. I n den Entwürfen war die Schlichtung solcher Konflikte dem Bundespräsidenten 61 bzw. dem Präsidenten des Bundestages 62 übertragen. Die Verfassung hat keines der vorgeschlagenen Konfliktlösungsmodelle übernommen. Art. 128 B.-VG. 1920 verwies auf ein eigenes Bundesgesetz, welches die nähere Regelung der Tätigkeit des Rechnungshofes treffen sollte. Dieses Ausführungsgesetz kam vorerst nicht zustande. Vielmehr blieb das Gesetz vom 6. Februar 1919 über den Staatsrechnungshof 63 , soweit es nicht durch das fünfte Hauptstück des B.-VG. 1920 abgeändert wurde, weiterhin maßgebend. Die Geltung dieses Gesetzes über den Staatsrechnungshof kann aber wohl nicht m i t dem Argument begründet werden, welches Kelsen / Froehlich / Merkl dafür ins Treffen führen, nämlich „daß sonst für die Tätigkeit des Rechnungshofes nicht genügend grundlegende Bestimmungen bestehen würden" 6 4 . Nur § 35 Verfassungsübergangsgesetz 192065, der erklärt, daß der bisherige Staatsrechnungshof zum Rechnungshof i m Sinne des Bundes-Verfassungsgesetzes wird, kann bei extensiver Interpretation als Rezeptionsnorm dienen 66 . Vgl. Hans Kelsen / Georg Froehlich / Adolf Merkl, Die Verfassungsgesetze der Republik Österreich, 5. Teil, Wien u n d Leipzig 1922, S. 234. «o Wie aus dem Protokoll der 11. Sitzung des Verfassung s Unterausschuss es hervorgeht, hielt Kelsen die Frage, w i e die Gemeinde zu stellen wäre „ a m schwierigsten". „Sie seien bisher ohne Kontrolle gewesen. Bei Ortsgemeinden spiele dies keine Rolle, i m m e r h i n aber bei den größeren Kreisgemeinden"; abgedr.: Felix Ermacora, Quellen, S. 370. A r t . 103 des Entwurfes der Groß deutschen Vereinigung, Felix Ermacora, Quellen, S. 105; A r t . 134 des Renner / Mayr-Entwurfes, Felix Ermacora, Quellen, S. 228. 62 A r t . 114 des sozialdemokratischen Entwurfes, Felix Ermacora, Quellen, S. 177. «3 StGBl. N r . 85/1919. «4 Hans Kelsen / Georg Froehlich / Adolf Merkl, Verfassungsgesetze, s . m «5 Verfassungsgesetz v o m 1. Oktober 1920, BGBl. Nr. 2/1920 betreffend den Ubergang zur bundesstaatlichen Verfassung. «6 Dazu Leopold Werner, V o m Rechnungshof, JB1. 1949, S. 226 und Hans René Laurer, Ist der Rechnungshof ein Verwaltungsorgan? Die Einordnung des Rechnungshofes i n die Typen der Staatsorgane und deren rechtliche Bedeutung, Ö V A 1969, S. 14.
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1. Kap.: Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle 2. Die B.-VG.-Novelle 1925 und das Rechnungshofgesetz
Die erste einschneidende Novellierung des B.-VG. 1920 i m Jahre 192567 brachte auch eine Abänderung des fünften Hauptstückes über die Rechnungskontrolle. Die Reform verfolgte i m wesentlichen zwei Ziele: Erstens sollte nun auch die Gebarung der Länder der obligatorischen Kontrollbefugnis des Rechnungshofes unterworfen werden und zweitens wurde eine Ausdehnung der Rechnungshofkontrolle i m Bereich der Bundesgebarung angestrebt. Beide Anliegen waren getragen von den Forderungen der Völkerbundkontrolle, genügend verfassungsund gesetzmäßige Garantien für eine effektive und reibungslose Tätigkeit des unabhängigen Rechnungshofes zu schaffen sowie dessen Kontrollrechte auszugestalten 68 . Dem ersten Anliegen, der Einbeziehung der Bundesländer i n die obligatorische Rechnungshofkontrolle, wurde durch die Neufassung des Art. 127 B.-VG. Rechnung getragen. A n Stelle der fakultativen Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Prüfung der Ländergebarung bestimmte nun Art. 127 Abs. 1 B.-VG. i n der novellierten Fasssung: „Der Rechnungshof hat auch die Gebarung der Länder zu überprüfen." Von diesem Grundsatz gab es jedoch zwei Ausnahmen: Erstens fand die Regelung des A r t . 127 B.-VG. auf das Bundesland Wien keine Anwendung 6 0 . Wie aus dem Bericht des Verfassungsausschusses hervorgeht, wurde diese Sonderstellung m i t der Doppelrolle Wiens als Land und zugleich Gemeinde begründet 70 . Da die gemeinsame Führung des Haushalts des Landes und der Gemeinde Wien eine gesonderte Prüfung der Landesgebarung unmöglich macht, hätte sich die Zuständigkeit des Rechnungshofes zwangsläufig auch auf die Gemeindegebarung erstreckt. Man hielt es für unangebracht, daß Wien als einzige Gemeinde Österreichs vom Rechnungshof geprüft werden könnte. Auch eine freiwillige Unterwerfung Wiens unter die Kontrolle des Rechnungshofes war damit ausgeschlossen. «7 Bundesverfassungsgesetz v o m 30. J u l i 1925, BGBl. N r . 268/1925. «8 Die Forderungen resultierten aus den i n Genf übernommenen Verpflichtungen i m Zusammenhang m i t der Völkerbundanleihe. Vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 327 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, I I . GP und Ludwig Adamovich, Die Reform der österreichischen Bundesverfassung, ZÖR, Bd. V, 1926, S. 258 und Georg Froehlich, Die Änderungen der österreichischen Bundesverfassung v o m 30. J u l i 1925, österreichisches J a h r buch 1925, 7. Folge, Wien 1926, S. 37 f. «9 A r t . 127 Abs. 7 B.-VG. i n der Fassung 1925. 70 422 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, I I . GP; Adolf Merkl, Der rechtliche Gehalt der österreichischen Verfassungsreform v o m 7. Dezember 1929, ZÖR, Bd. 10, 1931, S. 210 hält dies für eine eine bloß „parteipolitisch erklärliche Exemtion".
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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Die zweite Ausnahme bezog sich auf den Umfang der Prüfungszuständigkeit, der davon abhängig war, ob das Land ein eigenes Kontrollorgan besaß oder nicht. Hatte ein Land selbst eine Kontrolleinrichtung, durch die auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Landesgebarung laufend überprüft wurde, und deren Unabhängigkeit von der Landesregierung dadurch gesichert war, daß der Vorstand dieser Stelle vom Landtag bestellt und abberufen wurde und nur diesem verantwortlich war, so hatte sich der Rechnungshof auf die Uberprüfung des jährlichen Rechnungsabschlusses, auf seine ziffernmäßige Richtigkeit und darauf, ob die Gebarung und die Rechnungsergebnisse i n Übereinstimmung m i t den bestehenden Vorschriften stehen, zu beschränken. Bestand eine solche Kontrolleinrichtung nicht, so hatte der Rechnungshof auch die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Landesgebarung zu überprüfen 7 1 . A r t . 127 Abs. 1 B.-VG. hat i m Hinblick auf die Stellung des Rechnungshofes auf Bundesebene konsequenterweise festgelegt, daß der Rechnungshof bei seiner Prüfungstätigkeit i m Breich der Länder jeweils als Organ des betreffenden Landtages „funktioniert". Dadurch sollte auch gewährleistet sein, daß die Stellung der Bundesländer als selbständige Gliedstaaten durch die Unterwerfung unter die Rechnungshofkontrolle nicht berührt w i r d 7 2 . Dem entsprechend war auch der Präsident des Rechnungshofes dem Landtag und nicht dem Nationalrat verantwortlich. Der Rechnungshof konnte auch die Betätigung des Landes als Teilhaber oder Bürge von Unternehmungen, an denen das Land finanziell beteiligt war oder für die es eine Ausfallhaftung trug, überprüfen. Voraussetzung war aber ein entsprechendes Ersuchen der Landesregierung, der er auch das Prüfungsergebnis mitzuteilen hatte 7 3 . Zur Unterstützung des Rechnungshofes bei der Prüfung der Landesgebarung sah A r t . 127 Abs. 3 und 4 besondere Vertrauensmänner vor. Sie waren von der Landesregierung jährlich namhaft zu machen, durften aber dieser nicht angehören. Der Rechnungshof hatte sie bei jeder Amtshandlung beizuziehen und ihnen seine Berichte vorzulegen 74 . Das zweite Reformanliegen, der Ausbau der Rechnungskontrolle gegenüber der Gebarung des Bundes, brachte auf Verfassungsebene nur Vgl. dazu Walter Henrich, Rechnungshof, S. 552 u n d Felix Ermacora, österreichischer Föderalismus, V o m patrimonialen zum kooperativen B u n desstaat, Wien 1076, S. 70 f. 72 So die Erläuternden Bemerkungen, 327 der Beilagen zu den sten·. Prot. NR, I I . GP. ™ A r t . 127 Abs. 5 B.-VG. 1925, 74 Näher dazu Ludwig Adamovich, Reform, S. 263 u n d Georg Froehlich, Änderungen, S. 38 f. 3 Hengstschläger
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
nähere Anordnungen hinsichtlich des Verkehrs des Rechnungshofes m i t der Bundesregierung. A n der grundsätzlichen Stellung des Rechnungshofes als Organ des Nationalrates hatte sich jedoch nichts geändert. Der neu eingefügte A r t . 126 a verpflichtete den Rechnungshof, besondere — i n seinen Wirkungsbereich fallende — Akte der Gebarungsprüfung durchzuführen, wenn i h n die Bundesregierung oder ein Bundesminister darum ersuchten. Bis dahin stand es nämlich i m Belieben des Rechnungshofes, ob er einem derartigen Ersuchen Folge leisten wollte oder nicht. Eine wesentliche Neuerung der B.-VG.-Novelle 1925 war die Regelung über die Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und der Bundesregierung oder einem Bundesminister. Durch A r t . 126 b wurde der Verfassungsgerichtshof dazu berufen, Konflikte zwischen diesen Organen u m die Auslegung der Bestimmungen über die Zuständigkeit des Rechnungshofes i n nichtöffentlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Antragslegitimation wurde sowohl der Bundesregierung als auch dem Rechnungshof eingeräumt. Die dritte neu eingeführte Verfassungsbestimmung, A r t . 126 c B.-VG. 1925, brachte nähere Regelungen über die Vorlage der Berichte an den Nationalrat. Während bis dahin der Rechnungshof direkt m i t dem Nationalrat verkehrte, wurde durch die Novelle die Bundesregierung miteinbezogen. Jeder Bericht des Rechnungshofes war nun vor der Vorlage an den Nationalrat dem Bundeskanzler mitzuteilen. Die Bundesregierung erhielt das Recht, binnen drei Wochen Äußerungen zum Bericht zu erstatten 75 . Schließlich wurde durch Art. 126 c Abs. 2 B.-VG. 1925 noch für die Verhandlung der Berichte des Rechnungshofes i m Nationalrat der Rechnungshofausschuß als ständiger, nach dem Grundsatz der Verhältniswahl einzurichtender Ausschuß verfassungsgesetzlich abgesichert. Alle drei neuen Verfassungsbestimmungen, also sowohl die Verpflichtung hinsichtlich der besonderen Akte der Gebarungsprüfung wie auch die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Streitschlichtung sowie die Regelung über die Vorlage der Rechnungshofberichte galten auf Grund ausdrücklicher Anordnung des A r t . 127 Abs. 1 B.-VG. 1925 auch für die Gebarungsprüfung i m Bereich der Länder sinngemäß 76 . Bei Meinungsverschiedenheiten bezüglich der subsidiären Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Prüfung der Gebarung eines Bun75
Z u den Konsequenzen dieser Einschaltung der Bundesregierung für die Rechnungshofberichte siehe Ludwig Adamovich, Reform, S. 260. ™ A r t . 127 Abs. 1 B.-VG. 1925.
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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deslandes konnte sowohl von der Landesregierung als auch vom Rechnungshof der Verfassungsgerichtshof angerufen werden 7 7 . Neben diesen organisations- und verfahrensrechtlichen Verfassungsbestimmungen erfolgte der materielle Ausbau der Rechnungskontrolle gegenüber der Gebarung des Bundes auf einfachgesetzlicher Ebene. Das schon von Art. 128 B.-VG. 1920 verheißene Rechnungshofgesetz wurde i m Zuge der Verfassungsreform am selben Tage zusammen m i t der B.-VG.-Novelle erlassen 78 . Es traf i n Ausführung des fünften Hauptstückes des Bundes-Verfassungsgesetzes die nähere Regelung u n d Ausgestaltung der Tätigkeit des Rechnunghofes. Gemäß dem Wirkungsbereich des Rechnungshofes 79 war das Gesetz i n drei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt, der „die Aufgaben des Rechnungshofes hinsichtlich der Gebarung des Bundes" regelte, befaßte sich neben der Gebarungskontrolle m i t der Ordnung des Rechnungswesens, der Erstellung des Bundesrechnungsabschlusses sowie m i t der Gegenzeichnung der Schuldurkunden. Der zweite Abschnitt betraf die „Aufgaben des Rechnungshofes hinsichtlich der Gebarung des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder", und der dritte Abschnitt gestaltete „die Stellung des Rechnungshofes und seines Präsidenten" näher aus. Soweit es die verfassungsrechtlichen Grundlagen zuließen, übernahm das Rechnungshofgesetz vielfach die Bestimmungen des Gesetzes über den Staatsrechnungshof 80 vom 6. Februar 191981. Für die angestrebte Ausgestaltung der Rechnungshofkontrolle auf Bundesebene waren vor allem die §§ 6 und 7 des Rechnungshofgesetzes von Bedeutung. Gemäß Art. 121 Abs. 1 B.-VG. oblag dem Rechnungshof 77 A r t . 126 b i n Verbindung m i t A r t . 127 Abs. 1 B.-VG. 1925. 78 Bundesgesetz v o m 30. J u l i 1925, B G B l . Nr. 290/1925, w o m i t i n A u s f ü h rung des A r t i k e l s 128 des Bundes-Verfassungsgesetzes v o m L, Oktober 1920, BGBl. N r . 1, nähere Bestimmungen über die Tätigkeit des Rechnungshofes getroffen werden, 7» Die Erläuternden Bemerkungen zum Rechnungshofgesetz, 325 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, I I . GP, sprechen v o n folgenden drei sachlich zwar zusammenhängenden, begrifflich jedoch vollkommen getrennten T ä tigkeitsbereichen des Rechnungshofes: 1. die Kontrolle der Gebarung des Bundes u n d der Gebarung des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder; 2. die Rechnungslegung des Bundes u n d als notwendige Voraussetzung hief ü r die ressortmäßige Einflußnahme des Rechnungshofes auf die geordnete u n d zweckmäßige Handhabung des staatlichen Rechnungsdienstes u n d 3. die M i t w i r k u n g beim staatlichen Sehuldendienst, die durch die verfassungsmäßig vorgesehene Gegenzeichnung der staatlichen Schuldurkunden durch den Präsidenten des Rechnungshofes ihren sichtbaren Ausdruck findet. 80 StGBl. Nr. 85/1Θ19. 81 Siehe auch die Erläuternden Bemerkungen, 325 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, I I . GP. 3*
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
die Überprüfung der Gebarung von Unternehmungen, an denen der Bund finanziell beteiligt war, nur dann, wenn i h m die Prüfungszuständigkeit ausdrücklich eingeräumt war. Von dieser Ermächtigung, den Rechnungshof m i t der Prüfungsbefugnis gegenüber solchen Unternehmungen zu betrauen, haben die §§6 und 7 des Rechnungshofgesetzes Gebrauch gemacht. Diese beiden Bestimmungen unterschieden zwei Gruppen von Unternehmungen, die sie je nach A r t und Umfang einer verschieden gestalteten Kontrolle unterwarfen. Zur ersten Gruppe gehörten jene Unternehmungen, bei denen der Bund alleiniger Teilhaber am Gewinn und Verlust war 8 2 . Die Kontrolle des Rechnungshofes bestand i n der Uberprüfung ihrer Jahresrechnungen 83 . Außerdem hatte er die Möglichkeit, zu den Beratungen ihres obersten Uberwachungsorgans ständig oder fallweise einen Vertreter zu entsenden 84 . Die zweite Gruppe umfaßte jene Unternehmungen, an denen der Bund gemeinsam mit anderen Rechtsträgern finanziell beteiligt war oder eine Ausfallhaftung trug 8 6 . Sie wurden nur dann an Ort und Stelle und durch Einsicht i n die Bücher überprüft, wenn der Bundesanteil mindestens ein Drittel des Grundkapitals betrug 8 6 . Traf diese Voraussetzung nicht zu, konnte der Rechnungshof nur auf Grund der Bilanzen und Rechnungen diese Unternehmungen prüfen, die ihm vom zuständigen Ministerium 8 7 zu übermitteln waren. Das Rechnungshofgesetz ging offenbar davon aus, daß zur Wahrung der Interessen des Bundes primär „die ressortmäßig zuständigen Bundesministerien berufen" 8 8 sind. Die Rechnungshofkontrolle erstreckte sich bei diesen Minderbeteiligungen nicht auf die Geschäftsführung der Unternehmungen selbst, sondern auf die pflichtgemäße Wahrung der Bundesinteressen durch das Ministerium 8 9 . 82 §6 Rechnungshofgesetz 1925. Gemäß den Erläuternden Bemerkungen k a m hier vorläufig n u r der selbständige Wirtschaftskörper österreichische Bundesbahnen i n Betracht. Ludwig Adamovich, Reform, S. 261, f ü h r t noch die „österreichischen Bundesforste" an. 08 A u f Grund der Einsichtnahme i n die Bücher u n d sonstigen Rechnungsbelege sowie durch Einholung von Aufklärungen. 84 Er konnte sich gem. § 6 Abs. 2 an den Beratungen beteiligen, Auskünfte verlangen u n d Anregungen vorbringen. 85 § 7 Abs. 1 Rechnungshofgesetz 1925. ββ N u r i n diesem F a l l wurde eine staatliche Beteiligung v o n „maßgebendem" Umfang angenommen, die erhöhte Prüfungsbefugnisse des Rechnungshofes erforderlich machte. 87 Also v o n jenem Ministerium, das die Interessen des Bundes bei diesem Unternehmen vertrat. (§ 7 Abs. 2 Rechnungshofgesetz 1925). es So die Erläuternden Bemerkungen, 325 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, Π . GP.
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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3. Die „Zweite Bundes-Verfassungsnovelle" 1929
Die zweite B.-VG.-Novelle vom 7. Dezember 1929 setzte den Ausbau der Rechnungskontrolle gegenüber den Ländern weiter fort. Erstens wurde die Subsidiarität der Zuständigkeit des Rechnungshofes zur Prüfung der Ländergebarung beseitigt. Unabhängig vom Bestehen eigener Kontrolleinrichtungen erstreckte sich nun die Kontrollbefugnis des Rechnungshofes jedenfalls auch auf die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Ländergebarung® 0. Ausdrücklich wurde festgelegt, daß die Überprüfung „jedoch nicht die für die Gebarung maßgebenden Beschlüsse der verfassungsmäßig zuständigen Vertretungskörper" zu umfassen hat. Diese Bestimmung, die nur für die Gebarungsprüfung der Länder gilt und i m Bereich des Bundes kein Gegenstück hat, findet sich auch heute noch i n Art. 127 Abs. 1 B.-VG. 9 1 . Auch die Unternehmungen der Länder wurden — wie deren übrige Gebarung — der Rechnungshofkontrolle unterstellt, „wenn sie i n der Privatwirtschaft des betreffenden Landes keine Konkurrenz" 9 2 hatten. Die zweite Neuerung betraf die Gemeinden. Der durch die Novelle 1929 eingefügte Art. 127 a B.-VG. unterwarf die Gebarung der Gemeinden m i t über 20 000 Einwohnern der Uberprüfung durch den Rechnungshof. Gemeinden m i t weniger als 20 000 Einwohnern hatte der Rechnungshof auf begründetes Ersuchen der zuständigen Landesregierung fallweise zu überprüfen 93 . I n A r t und Umfang war die Gemeindekontrolle der Uberprüfung der Landesgebarung durch den Rechnungshof nachgebildet 94 . Der Rechnungshof wurde auch bei der Kontrolle der 89 Siehe näher dazu Ludwig Adamovich, Reform, S. 261 ; Georg Froehlich, Änderungen, S.40f.; Walter Henrich, Rechnungshof, S. 550 f. u n d Leopold Werner, Rechnungshof, S. 227. 90 Die bisher mehr formale K o n t r o l l e der Finanzgebarung der Länder wurde zu einer „materiellen Kontrolle" erweitert. Vgl. Adolf Merkl, Gehalt, S. 210 f. »ι Der Passus w u r d e auf Wunsch der Sozialdemokraten eingefügt. Sie v e r langten eine Formulierung, aus der k l a r hervorgehen müsse, daß der Rechnungshof nur die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Gebarung bei Vollziehung v o n Beschlüssen — nicht jedoch die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Beschlusses selbst, zu prüfen habe. Der Vertreter des Rechnungshofes erklärte, daß dies ohnehin der bisherigen Praxis entspräche. Siehe Gernot D. Hasiba, Die Zweite Bundes-Verfassungsnovelle von 1929, Graz 1976, S. 94 f. u n d 113. 9 * A r t . 127 Abs. 6 B.-VG. i n der Fassung der Novelle 1929, BGBl. Nr. 392/ 1929. w Da A r t . 127 a Abs. 1 n u r Gemeinden „ m i t über 20 000 Einwohnern" der obligatorischen u n d amstwegigen Rechnungshofkontrolle u n t e r w a r f u n d A r t . 127 a Abs. 6 eine Prüfung auf Ersuchen der Landesregierung n u r f ü r Gemeinden „ m i t weniger als 20 000 Einwohnern" vorsah, w a r e n streng genommen Gemeinden m i t genau 20 000 Einwohnern der Überprüfung durch den Rechnungshof völlig entzogen.
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1. Kap. : Entstehung u n d Entwicklung der Finanzkontrolle
Gemeindegebarung als Organ des zuständigen Landtages tätig. Kommunale Unternehmungen unterlagen der Rechnungshofkontrolle, wenn sie keine Konkurrenz i n der Privatwirtschaft der Gemeinden hatten. Andere Unternehmungen konnten unter bestimmten Voraussetzungen auf Ersuchen der zuständigen Landesregierung überprüft werden 9 6 . Da das Argument, m i t dem die Sonderstellung Wiens gerechtfertigt wurde, durch die Einbeziehung der Großgemeinden i n die Rechnungshofkontrolle wegfiel 96 , erklärte Art. 127 Abs. 8 die Bestimmungen dieses Artikels für die Uberprüfung der Gebarung (Landes- und Gemeindegebarung) der Bundeshauptstadt Wien als maßgeblich. Neu war ferner, daß der Rechnungshof das Ergebnis der Uberprüfung einer Landesgebarung auch der Bundesregierung zur Kenntnis zu bringen hatte. Diese Berichtspflicht galt gleichermaßen auch für die Gemeindekontrolle. Diese umfassenden Neuerungen und Ausweitungen erforderten eine entsprechende Anpassung der einfachgesetzlichen Rechtslage. Die Rechnungshofgesetznovelle vom 15. J u l i 193097 brachte die durch die Neugestaltung der verfassungsgesetzlichen Grundlagen notwendig gewordenen Änderungen und Ergänzungen 98 . 4. Die Verfassung 1934
Die ständisch-autoritäre Verfassung 1934 widmete i h r elftes Hauptstück der „Rechnungskontrolle". Sie hielt an der Institution „Rechnungshof" fest und übertrug i h m i m wesentlichen jenes Tätigkeitsgebiet, das er schon gemäß dem fünften Hauptstück des B.-VG. 1929 wahrzunehmen hatte 9 9 . Eine Erweiterung erfuhr aber der Bereich der Unternehmensprüfung, da die i m B.-VG. 1929 vorgesehenen Einschränkungen teilweise wegfielen 100 . Eine Ausdehnung, die ebenfalls ins Gewicht fiel, 9* A r t . 127 a Abs. 3 erklärte auch die Bestimmungen des A r t i k e l s 127 A b satz 2 bis 4 f ü r sinngemäß anwendbar. »5 A r t . 127 a Abs. 5 B^-VG. i n der Fassung 1929. ββ Wie oben dargelegt (FN 70), hielt der Verfassungsausschuß die Einbeziehung Wiens i n die Rechnungshofkontrolle f ü r unangebracht, w e i l damit Wien als einzige Gemeinde Österreichs der Überprüfung durch den Rechnungshof unterläge. »7 B G B l . N r . 240/1930; siehe dazu 530 und 544 der Beilagen zu den sten. Prot. NR, III., GP. »s Die novellierte Fassung w u r d e m i t Verordnung v o m 25. 7.1930, BGBl. N r . 251/1930 als Rechnungshofgesetz 1930 wieder verlautbart. 9 ® Georg Froehlich, Die „Verfassung 1934" des Bundesstaates Österreich, Baden bei Wien 1936, S. 184; Adolf Merkl, Die ständisch-autoritäre Verfassung Österreichs, Wien 1935, S. 113 u n d Leopold Werner, Rechnungshof, S. 251.
V. Die verfassungsrechtliche Verankerung i m B.-VG.
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brachte Art. 161, wonach dem Rechnungshof durch Bundesgesetz die Gebarungsprüfung hinsichtlich der Träger der Sozialversicherung sowie — i n bestimmtem Umfang — von öffentlich-rechtlichen Körperschaften eingeräumt werden konnte. § 20 des Rechnungshofgesetzes 1934 hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und die Sozialversicherungsträger der Rechnungshofkontrolle unterworfen. Wesentliche Änderungen gab es i n der Organisation des Rechnungshofes. Sie folgten notwendigerweise aus dem Ubergang vom demokratisch-parlamentarischen zum autoritären Staatsprinzip 101 . Der Präsident des Rechnungshofes wurde vom Bundespräsidenten ernannt und nicht mehr von einem parlamentarischen Vertretungskörper gewählt. Wegen seiner Funktion als Kontrollorgan gegenüber der Exekutive war weder ein Vorschlag der Bundesregierung noch eine Gegenzeichnung vorgesehen 102 . Jedoch konnte er auf Vorschlag des Bundestages vom Bundespräsidenten des Amtes enthoben werden. Ein weiteres Zugeständnis an die parlamentarische Idee war die Verantwortlichkeit des Rechnungshofes gegenüber dem Bundestag für die pflichtgemäße Kontrolle der Bundesgebarung sowie gegenüber dem zuständigen Landtag für die Kontrolle der Landes- und Gemeindegebarung. I m übrigen war aber der Rechnungshof wieder i n die Obhut des Staatsoberhauptes, des Bundespräsidenten, zurückgefallen 103 . Dies unterstreicht auch die i n Art. 158 enthaltene Ermessensbestimmung, die den Verkehr zwischen dem Rechnungshof und dem Bundestag bzw. der Bundesregierung regelt. Dort hieß es: „Der Rechnungshof kann 1 0 4 über seine Tätigkeit oder über einzelne Wahrnehmungen dem Bundestag berichten." „Die Bundesregierung kann 104 . . . Äußerungen zu einem solchen Bericht erstatten." Die nähere Ausgestaltung der i m elften Hauptstück der ständisch-autoritären Verfassung geregelten Rechnungskontrolle erfolgte durch das Rechnungshofgesetz 19341