Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert 9783110863390, 3110134152, 9783110134155


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German Pages 397 [400] Year 1992

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Table of contents :
Einleitung
0.1 Methodische Vorbemerkungen
0.2 Problemstellung
0.3 Ansatz der Untersuchung
0.4 Systematische Leitfragen
0.5 Bemerkungen zur Terminologie
1. Was heißt ,wahr‘?
1.1 Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles
1.2 Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs
1.3 Der Wahrheitsbegriff im Kontext der Wissenschaftstheorie und der Metaphysik
1.4 Zusammenfassung
2. Was ist ein wahrer Satz?
2.1 Die Satzdefinition
2.2 Die Satzglieder
2.3 Die Prädikation
2.4 Die Supposition der Termini als Wahrheitsbedingung eines Satzes
2.5 Zusammenfassung
3. Wie wird ein wahrer Satz verstanden?
3.1 Die mentalen Wahrheitsbedingungen eines Satzes
3.2 Der mentale Satz
3.3 Der Verstehensakt
3.4 Die Evidenz des Verstehensaktes
3.5 Zusammenfassung
4. Was bezeichnet ein wahrer Satz?
4.1 Ontologische Voraussetzungen
4.2 Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Voraussetzungen
4.3 Das significatum eines objektsprachlichen Satzes
4.4 Das significatum eines selbstbezüglichen Satzes
4.5 Zusammenfassung
Schluß
Literatur
Index Nominum
Index Rerum
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Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert
 9783110863390, 3110134152, 9783110134155

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Dominik Perler Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert

W G DE

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Günther Patzig, Wolfgang Wieland

Band 33

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992

Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert

von

Dominik Perler

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1992

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Perler, Dominik: Der propositionale Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert / von Dominik Perler. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 33) Zugl.: Freiburg (Schweiz), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-11-013415-2 NE: G T

© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Meinen Eltern

Vorwort „Was in den Begriff der Wahrheit eingreift (wie in ein Zahnrad), das ist ein Satz." L. Wittgenstein, Philosophische

Untersuchungen,

§ 136

Die Philosophie des 14. Jahrhunderts ist in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren immer mehr in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses gerückt. Besonders die logisch-semantischen Debatten in den beiden intellektuellen Zentren Oxford und Paris finden sowohl in historischer als auch in philosophisch-systematischer Hinsicht immer größere Beachtung. Im Rahmen dieser regen Forschungstätigkeit wurde auch das Wahrheitsproblem teilweise behandelt. Verschiedene Studien untersuchten die Verknüpfung der spätmittelalterlichen Wahrheitstheorien mit der Lehre von den proprietates terminor um, indem sie von folgender Leitfrage ausgingen: Welche semantisch-syntaktischen Bedingungen müssen gemäß den Autoren des 14. Jahrhunderts die Termini eines Satzes erfüllen, damit ein Satz wahr ist? Die vorliegende Arbeit versucht, diese sehr spezifische Frage nach den Wahrheitsbedingungen auf die grundlegendere Frage nach dem Wahrheitsbegriff zurückzuführen. Bevor bestimmt werden kann, welche Bedingungen die Termini eines Satzes erfüllen müssen, ist grundsätzlich zu klären, im Rahmen welcher Wahrheitskonzeption diese Bedingungen zu formulieren sind. Da die Autoren des 14. Jahrhunderts zur Erarbeitung einer Wahrheitskonzeption stets vom Satz ausgingen, ist zu fragen: In welchem Verhältnis steht der Satz zum Wahrheitsbegriff, oder — mit Wittgenstein gesprochen — wie greift der Satz in den Wahrheitsbegriff ein? Ziel dieser Arbeit ist es, diesen zahnradartigen Mechanismus des „Eingreifens" in semantische, erkenntnistheoretische und ontologische Problembereiche näher zu betrachten. Die vorliegende Studie ist die überarbeitete, leicht gekürzte Fassung meiner Dissertation, die im Januar 1991 von der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg auf Antrag der Professoren R. Imbach (erster Gutachter) und G. Küng (zweiter Gutachter) angenommen wurde.

VIII

Vorwort

Mein besonderer Dank gilt Prof. Imbach, der die Entstehung dieser Arbeit auf vielfältige Weise gefördert hat. Seine kompetente Betreuung und seine ermunternden Kommentare waren mir stets eine wertvolle Hilfe. Ich danke auch Prof. Küng, der mich durch anregend-kritische Detailbemerkungen zur Überprüfung verschiedener Argumente angespornt hat. Des weiteren danke ich den Professoren K. Jacobi (Freiburg i.Br.), L. Krüger (Göttingen), L.M. de Rijk (Leiden) und PD Dr. P. Schulthess (Zürich), die frühere Fassungen dieser Arbeit ganz oder teilweise gelesen und mir hilfreiche Korrektur- oder Ergänzungsvorschläge unterbreitet haben. Ferner danke ich dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der mir durch die Gewährung eines Stipendiums für das akademische Jahr 1988/89 einen in vielfacher Hinsicht anregenden Studienaufenthalt an der Universität Göttingen ermöglicht hat. Die Professoren G. Patzig und L. Krüger haben mich am Philosophischen Seminar äußerst gastfreundlich empfangen und stets wohlwollend unterstützt. Ebenso herzlich wurde ich an der „Sage School of Philosophy" der Cornell University empfangen. Ich danke Prof. N. Kretzmann, der mir hier in einer äußerst stimulierenden Umgebung ideale Arbeitsbedingungen geschaffen hat. Den Herausgebern der „Quellen und Studien zur Philosophie" danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Buchreihe. Dr. Daniel Deckers (Köln) danke ich für die freundschaftliche Hilfe bei den Druckvorbereitungen. Cornell University Ithaca N.Y., im Dezember 1991

D.P.

Inhalt Einleitung 0.1 Methodische Vorbemerkungen 0.2 Problemstellung 0.3 Ansatz der Untersuchung 0.4 Systematische Leitfragen 0.5 Bemerkungen zur Terminologie

1 1 9 14 19 24

1. Was heißt ,wahr'? 1.1 Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles 1.2 Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs 1.3 Der Wahrheitsbegriff im Kontext der Wissenschaftstheorie und der Metaphysik 1.4 Zusammenfassung

28 28 34

2. Was ist ein wahrer Satz? 2.1 Die Satzdefinition 2.2 Die Satzglieder 2.3 Die Prädikation 2.3.1 Die Zusammensetzung der Satzglieder in der Prädikation 2.3.2 Die syntaktisch-semantische Analyse der Prädikation . 2.3.3 Die ontologischen Voraussetzungen und Implikationen der Prädikation 2.3.4 Konsequenzen für das Wahrheitsproblem 2.4 Die Supposition der Termini als Wahrheitsbedingung eines Satzes 2.4.1 Die syntaktisch-semantische Definition der Supposition 2.4.2 Lücken und Probleme der Suppositionstheorie 2.4.3 Die Supposition in Sätzen über Vergangenes und Zukünftiges 2.4.4 Die Supposition in Sätzen über fiktive Gegenstände . . 2.4.5 Die Supposition in Sätzen mit intentionalen Verben . . 2.5 Zusammenfassung

63 66 75 80

50 59

80 82 91 106 109 109 125 129 139 149 157

X

Inhalt

3. Wie wird ein wahrer Satz verstanden? 3.1 Die mentalen Wahrheitsbedingungen eines Satzes 3.2 Der mentale Satz 3.2.1 Ausgangspunkt und Problemstellung 3.2.2 Die Funktion der mentalen Termini 3.2.3 Die Relation zwischen den mentalen, den gesprochenen und den geschriebenen Termini 3.2.4 Der ontische Status der mentalen Termini 3.2.5 Die Struktur des mentalen Satzes 3.3 Der Verstehensakt 3.3.1 Erfassen und Urteilen 3.3.2 Sensitives und intellektives Verstehen 3.3.3 Die Konstituierung eines Verstehensaktes 3.4 Die Evidenz des Verstehensaktes 3.4.1 Evidenz und Intuition 3.4.2 Intuitive und abstraktive Kenntnis 3.5 Zusammenfassung

160 162 169 169 173 179 185 196 208 208 216 226 237 237 244 258

4. Was bezeichnet ein wahrer Satz? 261 4.1 Ontologische Voraussetzungen 263 4.1.1 Die Objekte eines Satzes mit einstelligem Prädikat . . . 264 4.1.2 Die Objekte eines Satzes mit zweistelligem Prädikat . . 271 4.2 Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Voraussetzungen 279 4.3 Das significatum eines objektsprachlichen Satzes 292 4.3.1 Die complexum-Theorie 294 4.3.2 Die rw-Theorie 308 4.3.3 Die complexe significabile-Theotie 317 4.4 Das significatum eines selbstbezüglichen Satzes 326 4.5 Zusammenfassung 342 Schluß

349

Literatur

366

Index Nominum

379

Index Rerum

383

Einleitung 0.1 Methodische

Vorbemerkungen

Wenn jede Betrachtung der Wahrheit gleichzeitig schwer und leicht ist, weil sie angesichts der umfassenden, kaum abgrenzbaren Thematik einerseits ihr Ziel nie vollständig erreicht und andererseits auch nie ganz verfehlt, so daß sie die angepeilte Türe zwar irgendwie im ganzen, aber nicht im einzelnen zu treffen vermag 1 , muß von Anfang an bestimmt werden, welcher Teil der Türe eigentlich ins Visier genommen werden soll. Die größte Schwierigkeit beim Wahrheitsproblem besteht nämlich darin, daß es das Wahrheitsproblem gar nicht gibt, so daß sich eine diesbezügliche Untersuchung nicht auf einen genau abgegrenzten Fragenbereich konzentrieren kann. Es lassen sich höchstens verschiedene — teils miteinander verflochtene, teils disparate — Problemaspekte erkennen. Deshalb kann eine „Wissenschaft der Wahrheit" nicht Aussagen über die Wahrheit schlechthin treffen, als ob es sich bei der Wahrheit um ein unmittelbar zu untersuchendes Objekt handeln würde, sondern lediglich Theorien über bestimmte Wahrheitsaspekte ausarbeiten. Doch auch die Rede von Wahrheitsaspekten ist trügerisch. Sie legt nahe, daß es ein umfassendes Wahrheitsproblem gibt, das sich in verschiedene Teilprobleme gliedert und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden kann. Somit müßte sich aus der Zusammenfassung aller Einzeluntersuchungen das ganze Wahrheitsproblem prinzipiell lösen lassen. Um die aristotelische Metapher in freier Form aufzunehmen: Wenn die Türe an jeder Stelle getroffen würde, könnte die Wahrheit erkannt werden. Dieses Bild verdeutlicht in aller Klarheit eine grundsätzliche Gefahr, der jede Untersuchung über das Wahrheitsproblem ausgesetzt ist: Man geht stillschweigend davon aus, daß es etwas — einen ganz besonderen Gegenstand — zu entdecken und erkennen gibt. .Wahrheit' ist aber kein Gegenstand, sondern zunächst nur ein Wort, genauer gesagt: ein vom Adjektiv ,wahr' abgeleitetes abstraktes Substantiv. 1

Vgl. Met. II, 1 (993a30-b7).

2

Einleitung

Das sogenannte Wahrheitsproblem besteht zunächst nur in der Frage, was der Terminus .Wahrheit' bedeutet, wie und wozu er verwendet wird. Somit gibt es nichts zu entdecken, sondern nur etwas zu erklären. Nicht „Was ist Wahrheit?", sondern „Was heißt ,Wahrheit'?" lautet deshalb die Ausgangsfrage. Gegen diesen methodischen Ansatz kann sogleich ein Einwand erhoben werden: Das Ziel einer Untersuchung über Wahrheit besteht nicht in einer Erläuterung des Sprachgebrauchs. Eine genaue Erklärung des Terminus ,Wahrheit' ist zwar hilfreich, um eine begriffliche Präzision und eine intersubjektive Verständigung zu erreichen. Dies ist aber lediglich eine Voraussetzung für die Untersuchung, nicht die Untersuchung selbst. Wichtig und interessant ist vielmehr die Frage, wofür der Terminus ,Wahrheit' verwendet wird. Das grundsätzliche Problem lautet also: Von welcher Sache sprechen wir, wenn wir von Wahrheit reden? Dieser Einwand weist zu Recht darauf hin, daß wir uns hier nicht mit einem bloßen Sprachproblem auseinandersetzen. Wir fragen nicht nach einer Erklärung von ,Wahrheit', wie wir nach einer Erklärung für einen unbekannten fremdsprachigen Ausdruck fragen. Wir verfügen bereits über ein gewisses Vorverständnis von der Verwendung dieses Terminus, und wir gehen davon aus, daß .Wahrheit' wie jeder bedeutungshaltige Terminus für etwas Bestimmtes verwendet wird — vage ausgedrückt: daß er für etwas steht. Dies heißt aber nicht, daß wir sogleich nach der „Sache Wahrheit" fragen können. Zunächst ist es unmittelbar einsichtig, daß ,Wahrheit' nicht wie ζ. Β. ,Tisch' für eine Sache im Sinn eines greifbaren Gegenstandes steht. Ebenso wenig steht ,Wahrheit' für eine Tätigkeit oder für ein Ereignis. Offensichtlich ist unklar, was unter der „Sache Wahrheit" genau zu verstehen ist. Somit ist zu fragen: In welche ontologische Kategorie fallt die „Sache Wahrheit"? Diese Frage ist allerdings gefährlich, denn sie geht von der Voraussetzung aus, daß Wahrheit zu einer bestimmten ontologischen Kategorie gehört. Doch ist es möglich und sinnvoll, diese Annahme zu treffen? Eine genaue Betrachtung der Sprachverwendung erweist sich hier als hilfreich. Wir gebrauchen verschiedene Ausdrücke — ζ. B. ,Zeit' oder ,Bewegung' — als bedeutungshaltige Termini, und dennoch neigen wir nicht dazu, in jedem Fall sogleich eine ontologische Kategorie zu postulieren. Von etwas reden heißt nicht immer, von einer Sache reden, die genau einer ontologischen Kategorie zugeordnet werden kann. Ein bedeutungshaltiger Terminus kann je nach Verwendung auf verschiedene Kategorien Bezug nehmen. Es empfiehlt sich deshalb, beim

Methodische Vorbemerkungen

3

Terminus ,Wahrheit' von der Suche nach einer distinkten Sache (im strengen ontologischen Sinn) abzusehen und zunächst nur nach einer Erklärung des Terminus zu fragen. Die Frage nach der „Sache Wahrheit" erweist sich zudem als gefährlich, weil sie davon ausgeht, daß es eine solche Sache gibt. Bereits eine flüchtige Betrachtung der verschiedenen Verwendungsweisen von ,Wahrheit' oder ,wahr' wirft aber die Frage auf, ob überhaupt von einem einzigen Referenzobjekt gesprochen werden kann. Dieser Terminus kann nicht nur von mehreren Personen in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich verwendet werden. Sogar ein und derselbe Sprecher kann ihn auf unterschiedliche Weise gebrauchen, ζ. B. in prädikativer Stellung (,Diese Aussage ist wahr') oder in attributiver Stellung (.Dies ist wahres Gold'), in Identitätsaussagen (,Gott ist die Wahrheit') oder in einer Metapher (,1m Wein liegt die Wahrheit'). Je nach Verwendung des Terminus sind verschiedene Bedeutungen und verschiedene Erklärungen der Referenz möglich. Es wäre anmaßend und unsinnig, ein Urteil zu fällen, wann .wahr' richtig oder falsch verwendet wird, solange keine Verletzung der Sprachkonventionen vorliegt. Damit soll nicht behauptet werden, ,Wahrheit' werde immer und notwendigerweise äquivok verwendet. Die Vielfalt an Verwendungsmöglichkeiten legt aber den Verdacht nahe, daß kaum von einer einzigen „Sache Wahrheit" gesprochen werden kann. Angesichts dieser Probleme empfiehlt es sich, bei einer Untersuchung des Terminus ,Wahrheit' anzusetzen. Doch was heißt dies, wenn nicht einfach eine Liste von Sätzen, die ,Wahrheit' oder ,wahr' enthalten, erstellt werden soll? Gilt es, einen Wahrheitsbegriff zu definieren, Wahrheitskriterien aufzustellen oder Wahrheitsbedingungen festzulegen, um schließlich zu einer befriedigenden Erklärung von ,Wahrheit' zu gelangen? In Anbetracht dieser Schwierigkeit, das Ausgangsproblem überhaupt verständlich zu formulieren, sind terminologische Klärungen erforderlich 2 . Zunächst ist festzuhalten, daß eine Erklärung von ,wahr' oder Wahrheit' nicht unmittelbar zu einer Wahrheitstheorie im strengen Sinn von ,Theorie' führt, obwohl in der diesbezüglichen Literatur meistens der wohlklingende Ausdruck ,Theorie' verwendet wird. Wenn hier überhaupt von einer Theorie die Rede sein kann, so nur in einem weiten Sinn, d. h. von einer Auffassung oder Konzeption von Wahrheit. Der erste Schritt bei einer Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsproblem besteht nicht in 2

Vgl. zu diesem methodischen Problem die luziden Unterscheidungen in Puntel 1983, 1 - 5 und Puntel 1987, 2 - 1 9 .

Einleitung

4

einer Theoriebildung, sondern in der Formulierung eines Wahrheitsbegriffs, auf dessen Grundlage eine bestimmte Konzeption von Wahrheit ausgearbeitet werden kann. Erst in einem zweiten Schritt können dann im Rahmen einer allgemeinen Wahrheitskonzeption bestimmte Wahrheitskriterien und Wahrheitsbedingungen aufgestellt werden. Diese müssen im Hinblick auf den Wahrheitsbegriff konsistent und relevant sein 3 . Drittens können dann ausgehend von den Wahrheitskriterien bestimmte Klassifizierungen und Typologisierungen von Wahrheitsaspekten oder von verschiedenen Wahrheitsreden vorgenommen werden. Viertens schließlich kann nach der inner- und außerphilosophischen Relevanz dieser verschiedenen Wahrheitsaspekte gefragt werden. Dieser letzte Schritt führt wiederum zum Ausgangspunkt zurück, denn er wirft die Frage auf, welche Funktion und Bedeutung dem Wahrheitsbegriff in einem philosophischen oder außerphilosophischen Kontext zukommt, d. h. er fordert eine Antwort auf die Frage, warum und wozu ein bestimmter Wahrheitsbegriff gewählt wird. Bereits der erste Schritt, die Ausarbeitung eines Wahrheitsbegriffs, ist indessen problematisch: Aus welcher Perspektive und mit welchem Interesse soll ein Wahrheitsbegriff bestimmt werden? In welchem Kontext ist das Wahrheitsproblem zu behandeln? Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, welcher methodische und inhaltliche Zugang Wahrheitsproblem gewählt werden soll, denn je nach Perspektivenwahl verändert sich die Verwendung von ,wahr' und damit auch der Wahrheitsbegriff. Dieses Problem wird in der neueren Literatur selten oder gar nicht aufgeworfen, denn es scheint selbstverständlich, daß in philosophischen Diskussionen ein philosophischer Zugang gewählt wird. Diese Voraussetzung mag in heutigen Untersuchungen legitim sein (obwohl eine präzise Bestimmung und Abgrenzung des diffusen Begriffs .philosophisch' häufig wünschenswert wäre), da das Wahrheitsproblem offensichtlich nur in einem philosophischen Kontext — meistens sogar nur von Fachphilosophen — behandelt wird. Die Bestimmung des spezifischen Zuganges ist in einer Untersuchung über mittelalterliche Wahrheitsbegriffe jedoch unerläßlich, denn in dieser Epoche wurde ,Wahrheit' auf sehr vielfältige Weise verwendet, so daß ganz unterschiedliche — nicht nur philosophische — Wahrheitsbegriffe

3

Vgl. zu dieser wichtigen Bedingung Skirbekk 1977, 11 — 12.

Methodische Vorbemerkungen

5

entstanden. Die Rede vom „traditionellen Wahrheitsbegriff' 4 ist somit inhaltsleer, wenn nicht expliziert wird, auf welche (mittelalterliche) Tradition man sich beruft. Die genaue Definition und Abgrenzung einer Tradition ist allerdings mit großen Schwierigkeiten verbunden. Einer Untersuchung der mittelalterlichen Wahrheitsbegriffe stellt sich zunächst das Hindernis in den Weg, daß angesichts der engen Verflechtung von Philosophie und Theologie nicht immer genau erkannt werden kann, ob und wie sich der spezifisch philosophische Zugang bestimmen läßt. Natürlich könnte man von vornherein sämtliche theologischen Texte eliminieren, um sich auf einen „reinen" philosophischen Wahrheitsbegriff zu konzentrieren. Dieses Vorgehen erweist sich aber in zweierlei Hinsicht als problematisch. Erstens entwickelten zahlreiche mittelalterliche Autoren in einem theologischen Kontext einen philosophischen Ansatz, so daß sich die philosophische Bedeutung von ,Wahrheit' nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen theologischen Wahrheitsbegriff erkennen läßt. Anselm von Canterbury veranschaulicht dieses komplexe Verhältnis sehr deutlich in seiner Schrift De veritate. Der Schüler eröffnet den Dialog mit folgender Fragestellung: „Da wir glauben, daß Gott die Wahrheit ist, und da wir sagen, daß noch in viel anderem Wahrheit ist, möchte ich wissen, ob wir überall dort, wo von Wahrheit gesprochen wird, zugestehen müssen, dies sei Gott."5 Dem Glaubenssatz kommt hier eine ambivalente Funktion zu. Einerseits stellt er den Orientierungspunkt für jede Erörterung des Wahrheitsproblems dar, andererseits konfrontiert er den Leser mit einem Dilemma: Wenn Gott tatsächlich die Wahrheit schlechthin ist, sind ,Gott' und ,Wahrheit' synonym. Dann müßte aber jedesmal, wenn von Wahrheit oder wahr die Rede ist, auch von Gott die Rede sein. ,Dies ist ein wahrer Satz' hieße 4

Meistens werden in einem Atemzug Aristoteles und Thomas von Aquin als die klassischen Vertreter des traditionellen Wahrheitsbegriffs genannt. Tarski hält explizit fest, seine semantische Wahrheitsdefinition sei nur eine Präzisierung des traditionellen Wahrheitsbegriffs (vgl. Tarski 1935, 265; Nachdruck in Berka/Kreiser 1986, 448). Dabei bleibt allerdings erstens der systematische Zusammenhang zwischen den klassischen Autoren unerklärt. Aristoteles und Thomas haben äußerst vielschichtige Wahrheitstheorien entwickelt, die in verschiedenen Punkten voneinander abweichen (vgl. zur Einführung Ruello 1969, Weidemann 1975, im Hinblick auf Tarski Leal Carretero 1983). Zweitens wird nicht expliziert, warum die Wahrheitstheorien anderer einflußreicher Autoren (ζ. B. Augustin, Anselm) nicht als klassisch zu betrachten sind.

5

Ed. Schmitt 1968, 176: „Quoniam deum veritatem esse credimus, et veritatem in multis aliis dicimus esse, vellem scire an ubicumque veritas dicitur, deum eam esse fateri debeamus."

6

Einleitung

folglich ,Dies ist ein göttlicher Satz', und ,Dies ist ein wahrer Freund' würde ,Dies ist ein göttlicher Freund' bedeuten. Diese Ableitung ist aber nicht unmittelbar einsichtig. Da die Gleichsetzung von ,Gott' und ,Wahrheit' also problematisch ist, muß die Bedeutung von ,Wahrheit' genauer untersucht werden. Der ursprünglich theologische Ansatz erweist sich somit als Ausgangspunkt für eine philosophische Untersuchung, denn der Zusammenhang zwischen ,Gott ist die Wahrheit' und der Bedeutung von ,Wahrheit' in unterschiedlichen Kontexten (ζ. B. in Aussagen über Gedanken, Handlungen, Sätze) ist kaum einsichtig und kann nur durch philosophische Untersuchungen geklärt werden. Deshalb darf nicht voreilig die Schlußfolgerung gezogen werden, ein grundsätzlich theologischer Zugang zum Wahrheitsproblem führe ausschließlich zu einem theologischen Wahrheitsbegriff und sei deshalb für philosophische Untersuchungen irrelevant. Trotz des theologischen Ausgangspunktes — oder vielmehr: herausgefordert durch die Schwierigkeiten, die ein theologischer Ausgangspunkt aufwirft — hat Anselm einen philosophischen Wahrheitsbegriff entwikkelt 6 . Eine ähnliche Verflechtung von theologischem Ausgangspunkt und philosophischer Fragestellung läßt sich auch bei den Autoren des 14. Jahrhunderts feststellen. Wilhelm von Ockham eröffnet den Senteni(enkommentar mit der klassischen theologischen Frage 7 : Kann der Mensch eine evidente Kenntnis von den theologischen Wahrheiten besitzen? Eine Antwort auf diese komplexe Frage erfordert die Klärung einiger Begriffe. Was ist unter einer evidenten Kenntnis zu verstehen? Wie wird eine theologische Wahrheit definiert? Noch grundsätzlicher gefragt: Was heißen ,evident' und ,Wahrheit'? In welcher gegenseitigen Relation stehen diese Termini? Zur Klärung dieser Fragen ist offensichtlich eine Reflexion auf philosophische Grundbegriffe notwendig, und die ursprünglich theologische Fragestellung tritt in den Hintergrund. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß Ockham zunächst in sechs ausführlichen Quaestionen die philosophischen Grundlagen — unter anderem auch den Wahrheitsbegriff — untersucht und erst am Ende des Prologs wieder auf die theologische Ausgangsfrage zurückkommt. Zweitens würde die Eliminierung sämtlicher theologischer Schriften eine philosophische Untersuchung einerseits zwar erheblich erleichtern, da 6

7

Dies hat Henry 1967 exemplarisch verdeutlicht. In I Sent., prol. (OT I, 3): „Utrum sit possibile intellectum viatoris habere notitiam evidentem de veritatibus theologiae."

Methodische Vorbemerkungen

7

dadurch die Konzentration auf „rein" philosophische Texte (AristotelesKommentare, Logik-Handbücher, philosophische Traktate und Quaestionen) gefördert würde. Andererseits könnten nur unvollständige, ja verzerrte oder gar falsche Resultate erzielt werden. Im scholastischen Lehrbetrieb ergänzten sich nämlich theologische und philosophische Ausbildung, d. h. theologische und philosophische Textkommentierung und Diskussion, so daß genuin philosophische Fragen häufig in theologischen Texten (ζ. B. in Senten^enkommentaren oder Quodlibeta) erörtert wurden 8 . Deshalb bedeutet der auf den ersten Blick theologische Zugang zu einem Thema in einem theologischen Text keineswegs, daß notwendigerweise eine theologische Fragestellung vorliegt. Die Diskussion des philosophischen Wahrheitsbegriffs erfolgte oft in einem theologischen Text. Besonders der Sentenzenkommentar, eine theologische Textgattung, ist eine reiche Quelle für philosophische Diskussionen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß eine Beschränkung auf rein philosophische Schriften aufgrund des Diskussionskontextes, in dem die mittelalterlichen Autoren das Wahrheitsproblem erörterten, unangebracht wäre und zudem eine unzulässige Reduktion der relevanten Texte zur Folge hätte. Die Bemerkungen zum methodischen Verhältnis von Philosophie und Theologie verdeutlichen jedoch, daß bei der Bestimmung des mittelalterlichen Zuganges zum Wahrheitsproblem zwischen einem inhaltlichen und einem kontextuellen Zugang unterschieden werden muß: Nicht jeder kontextuell theologische Zugang ist auch inhaltlich theologisch ausgerichtet. Beispielsweise finden sich in zahlreichen Texten über die Erkenntnis Gottes Ausführungen, die prinzipiell — nicht nur in bezug auf Gott — die Frage nach den Erkenntnisbedingungen aufwerfen. In diesem Fall stellt die theologische Fragestellung nur den Ausgangspunkt und den äußeren Rahmen für eine philosophische Untersuchung dar. Es empfiehlt sich deshalb, von der häufig verwendeten, ebenso konzisen wie irreführenden Kurzformel fides quaerens intelkctum abzusehen, da diese 8

Vgl. zur Struktur des universitären Lehrbetriebs im 13. und 14. Jahrhundert (vor allem 2um Verhältnis von Artistenfakultät und Theologischer Fakultät) Glorieux 1966 und 1968. Zu den gegenseitigen Einflüssen der verschiedenen Textgattungen vgl. Les genres litteraires 1982. Es muß einschränkend festgehalten werden, daß eine gegenseitige Ergänzung von Philosophie und Theologie zwar häufig, aber nicht notwendigerweise bestand. Es gab einige Autoren (ζ. B. Johannes von Jandun, Johannes Buridan), die ausschließlich an der Artistenfakultät lehrten und somit keine theologischen Texte kommentierten. Zudem wurden auch außerhalb des universitären Lehrbetriebs einflußreiche philosophische Diskussionen geführt (ζ. B. von Raimundus Lullus, Dante), die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit universitär-theologischen Debatten standen.

8

Einleitung

unterstellt, daß der (christliche) Glaube den kontextuellen und inhaltlichen Bezugspunkt für philosophische Untersuchungen im Mittelalter darstellte. Nach diesen Präliminarien stellt sich nun die Frage, wie im mittelalterlichen Kontext ein inhaltlich philosophischer Zugang zum Wahrheitsproblem bestimmt werden kann. In einem einflußreichen Aufsatz 9 vertrat Gilson die These, die mittelalterlichen Autoren hätten vor allem in Auseinandersetzung mit der augustinischen Illuminationstheorie — bis ins 13. Jahrhundert in Anlehnung an diese Theorie, ab Mitte des 13. Jahrhunderts in zunehmender Kritik — einen spezifischen Wahrheitsbegriff entwickelt. Diese weit verbreitete These wurde in der neueren Forschung einer gründlichen Kritik unterzogen. Erstens schränkte Gilson die mittelalterlichen Diskussionen zum Wahrheitsproblem auf einen inhaltlich theologischen Ansatz ein, indem er sie einseitig auf einen bestimmten Aspekt der augustinischen Theorie ausrichtete, der eng mit der Gotteslehre verknüpft ist. Die mittelalterlichen Wahrheitstheorien wurden zwar weit über das 13. Jahrhundert hinaus von augustinischen Einflüssen geprägt, diese waren aber keineswegs dominierend und umfaßten auch andere Aspekte als die Illuminationstheorie10. Zweitens blendete Gilson wichtige Autoren, die sich nicht an Augustin orientierten — weder in Anlehnung noch in Abgrenzung — einfach aus. Bereits Wilhelm von Auvergne und Robert Grosseteste wählten im Rahmen der aristotelischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie einen genuin philosophischen Zugang 11 . Drittens berücksichtigte Gilson in ungenügender Weise die wichtige Rezeption der aristotelischen Logik, die im ganzen Mittelalter einen sprachphilosophischen Zugang zum Wahrheitsproblem ermöglichte. Besonders einflußreich war dabei die Rezeption der Schrift De interpretatione, die dank der Übersetzung und der Kommentierung des Boethius seit dem Frühmittelalter in direkter Überlieferung vorlag 12 . Sie bildete die Textgrundlage für viele Satz- und Wahrheitstheorien. Viertens überging Gilson auch die genuin mittelalterlichen Beiträge zur Ausarbeitung eines Wahrheitsbegriffs, nämlich die logisch-semantischen Diskussionen in der logica moderna des 12. und 13. Jahrhunderts (ζ. B. die Theorien über die Terminuseigenschaften und über die Funktion der Synkategoremata), die für die Entwicklung von Wahrheitstheorien eine entscheidende Rolle spielten. 9 10 11 12

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. von

Gilson 1926/27. zum Einfluß Augustins im 14. Jahrhundert Courtenay 1980 und Eckermann 1978. ausführlich Marrone 1983; explizite Kritik an Gilson ibid. 3 — 23. zur Rezeptionsgeschichte Isaac 1953 sowie die ausführliche historische Einleitung Gauthier in Thomas von Aquin, Expositio libri Peryermeneias (Leonina 1/1, 64*-84*).

Problemstellung

9

Diese knapp formulierten Einwände reichen sicherlich nicht aus, um Gilsons reichhaltige These in allen Aspekten zu widerlegen 13 . Sie sollen lediglich darauf hinweisen, daß bereits Gilsons Problemstellung in hohem Maße problematisch ist, weil sie von einem eingeschränkten Zugang zum Wahrheitsproblem ausgeht und in ungenügender Weise zwischen einem philosophischen und einem theologischen Zugang unterscheidet. Deshalb soll Gilsons Ansatz in der vorliegenden Untersuchung nicht weiter berücksichtigt werden.

0.2 Problemstellung

In dieser Arbeit wird ausschließlich der inhaltlich philosophische Zugang untersucht. Bei der Auswahl des Textmaterials wird allerdings auch der kontextuell theologische Zugang berücksichtigt. Diese thematische Festlegung hat zunächst zwei wichtige Konsequenzen. (a) Das inhaltliche Verhältnis von philosophischem und theologischem Ansatz ist nicht Gegenstand der Untersuchung. Die spätmittelalterlichen Diskussionen über die Konvergenz oder Divergenz von „Glaubenswahrheit" und „VernunftWahrheit", die gelegentlich in das historiographische Schema einer Theorie der doppelten Wahrheit eingeordnet werden, sollen somit nicht behandelt werden 14 . (b) Ebenso unberücksichtigt bleibt die Frage, ob und wie zur Ausarbeitung eines umfassenden Wahrheitsbegriffs — vorausgesetzt, ein solches Unternehmen ist überhaupt möglich — der philosophische Zugang theologisch zu fundieren ist oder umgekehrt. Es handelt sich also nicht darum, nach einer „integralen Struktur der Wahrheit" 15 , die beide Ansätze umfaßt, zu suchen. Vielmehr soll eine klare methodische Trennung zwischen diesen Ansätzen angestrebt werden. Die Beschränkung auf einen philosophischen Zugang ist freilich immer noch eine äußerst unscharfe Bestimmung, denn erstens bleibt dabei 13

14

15

Van Steenberghen hat sich bereits 1946 in einer frühen Arbeit ausführlich und kritisch mit Gilsons These auseinandergesetzt. Vgl. zur Einführung in diese Fragestellung, bei der freilich das historische Problem von der historiographischen Legende genau zu unterscheiden ist, Hödl 1987. Bianchi/Randi 1990 (besonders 3 — 31 und 57 — 85) verdeutlichen, daß zwischen philosophischem und theologischem Ansatz keineswegs ein Verhältnis der Über- oder Unterordnung herrschte. Speer glaubt, eine solche integrale Struktur in Bonaventuras Theorie der dreifachen Wahrheit feststellen zu können; vgl. Speer 1987, 42 — 52.

10

Einleitung

ungeklärt, welche Art von philosophischem Zugang (logisch, ethisch, ästhetisch usw.) gemeint ist, und zweitens wirft der Ausdruck philosophisch' grundsätzliche Schwierigkeiten auf, weil seine mittelalterliche und moderne Verwendung nicht immer übereinstimmen 16 . Deshalb sind weitere Präzisierungen erforderlich. (c) In dieser Studie steht der sprachphilosophische Zugang im Vordergrund. Damit wird zwar keineswegs behauptet, dieser Zugang sei der einzig mögliche oder sogar der einzig adäquate im Rahmen der mittelalterlichen Philosophie. Dennoch soll nicht diskutiert werden, ob und wie dieser Zugang in Konkurrenz zu anderen philosophischen Zugängen (ζ. B. zu einem ästhetischen oder moralphilosophischen) steht 17 . Eine solche Untersuchung würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. (d) ,Sprachphilosophie' wird im weiten, mittelalterlichen Sinn verstanden, nämlich als logica, die formale Logik, Philosophie der Logik und Semantik umfaßt 18 . Die engere Bedeutung von ,Sprachphilosophie' läßt sich nur anhand von Textanalysen für jeden Autor individuell bestimmen 19 . (e) Nach dieser thematischen Einschränkung ist eine weitere in historischer Hinsicht erforderlich. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf sprachphilosophische Wahrheitstheorien im frühen 14. Jahrhundert, vornehmlich in den intellektuellen Zentren Oxford (ca. 1317 — 1332: von Ockhams Vorlesungen zu den Sentenzen bis zur Auseinandersetzung zwischen Robert Holcot und Crathorn in den conferentiae) und Paris (ca. 1327 — 1348: von Buridans frühen Aristoteles-Kommentaren bis zu Hugolin 16

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Vgl. zu den Schwierigkeiten, einen mittelalterlichen Philosophiebegriff zu definieren, de Rijk 1985, 1 - 2 4 . Damit soll keineswegs unterstellt werden, daß ein solcher Vergleich nicht von Bedeutung wäre. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die offensichtlich nur den sprachphilosophischen Zugang als relevant erachten und keinen anderen erwähnen (ζ. B. Nuchelmans 1973, Freddoso 1980), halte ich es für unerläßlich, mindestens auf die Möglichkeit anderer Zugänge hinzuweisen. Bei einer Erörterung des Wahrheitsproblems sollte stets verdeutlicht werden, daß ein Zugang unter mehreren gewählt und nicht einfach als vorgegeben akzeptiert wird. Pinborg hat in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß sich die moderne Definition der formalen Logik nicht unmittelbar auf die mittalterliche logica übertragen läßt (vgl. Pinborg 1972, 11); zum Semantikbegriff ausführlich Enders 1975. Ich verzichte auf die Ausdrücke ,semantischer' bzw. .sprachanalytischer Zugang zum Wahrheitsproblem', um eine voreilige Gleichsetzung oder gar Vermischung eines spezifisch mittelalterlichen Zugangs mit Wahrheitstheorien des 20. Jahrhunderts zu vermeiden. Nach der heute vorherrschenden Terminologie bezeichnet der Ausdruck ,semantische Wahrheitstheorie' die Theorie Tarskis, der Begriff ,sprachanalytische Wahrheitstheorie' hingegen verschiedene Ansätze von formal- und normalsprachlichen Sprachphilosophen (ζ. B. Ramsey, Strawson, Davidson usw.); vgl. einen Überblick in Puntel 1983, 41—141.

Problemstellung

11

von Orvietos Senten^enkommentar). In allgemeinen philosophiegeschichtlichen Abhandlungen wird diese Periode mit dem sogenannten Nominalismus, meistens sogar mit der Person Ockhams identifiziert. Von dieser groben Charakterisierung 20 soll hier abgesehen werden, denn eine Kontrastierung von (ontologischem oder erkenntnistheoretischem) Nominalismus und Realismus ist häufig mit einer impliziten Bewertung verbunden. Die via moderna Ockhams wird entweder als Zersetzung und Auflösung der mittelalterlichen Philosophie (vor allem des 13. Jahrhunderts) verurteilt oder gegenüber der via antiqua als innovative Bewegung gepriesen. Neuere Forschungen haben deutlich gezeigt, daß die äußerst vielfältigen philosophischen Diskussionen des 14. Jahrhunderts kaum auf derart starre Oppositionen reduziert werden können 21 . Auch die sogenannten Nominalisten knüpften in hohem Maße an verschiedene Traditionen an (vor allem an die terministische Logik des 13. Jahrhunderts), und von den sogenannten Realisten (ζ. B. von Walter Burleigh und Walter Chatton) gingen entscheidende Impulse aus, die selbständige, keineswegs immer traditionell ausgerichtete Theorien darstellten. Deshalb werden in dieser Arbeit pauschale Etikettierungen wie ,Nominalist', ,Konzeptualist', ,Realist' usw. vermieden 22 . (f) Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet Ockham, in geringerem Maße teilweise auch Buridan. Dieser Ansatz empfiehlt sich einerseits angesichts der Textgrundlage, die bei Ockham im Gegensatz zu anderen Autoren gesichert ist 23 , andererseits vor allem aufgrund der wichtigen 20

Vgl. eine scharfe Kritik an der „Nominalismus-Legende" in Hübener 1983a, vor allem 110 — 111: „Ich würde mir nach quälenden Erfahrungen mit schlecht justierter Nominalismusliteratur wünschen, daß die Interpreten der geschichtlichen Wirkung des Nominalismus für eine Weile ein wenig Deutungsaskese aufbringen und dem Patienten, wie ein guter Seelenarzt, die abschließende Diagnose erst stellen, nachdem sie sich von ihm so viel wie möglich über ihn selbst haben berichten lassen." Freilich sollte trotz dieser berechtigten Forderung nach einer „Berichterstattung" die philosophische Auseinandersetzung mit dem Nominalismus — wie vage auch immer er historisch bestimmt sein mag — nicht vergessen werden. Eine Deutungsaskese fördert zwar die historische Genauigkeit, nicht aber die philosophische Kreativität.

21

Vgl. zur Einführung Courtenay 1972, 1983 und 1984a; Vignaux 1977; Hoffmann 1984. Courtenay weist nachdrücklich darauf hin, daß die philosophischen Theorien des 14. Jahrhunderts vor allem als Produkte individueller Denker und nicht als Manifestationen genau abgegrenzter Denkrichtungen zu verstehen sind (vgl. Courtenay 1987a, 30 und 190-192). Eine kritische Edition liegt freilich erst von Ockhams theoretischen Werken vor. Im Hinblick auf andere Autoren bestehen trotz intensiver Editionstätigkeit in den letzten Jahren noch große Lücken. Für wichtige Schriften Buridans muß immer noch auf Wiegendrucke zurückgegriffen werden; vgl. ein vollständiges Werkverzeichnis in Michael

22

23

12

Einleitung

Stellung, die Ockham in den Oxforder und Pariser Diskussionen des 14. Jahrhunderts sowie in der späteren Rezeption einnahm. Ockham prägte in den meisten philosophischen Disziplinen nachhaltig die Fragestellungen, die methodischen Prinzipien und die Wahl der Problemlösungen. Dieser Ansatz bedarf allerdings sogleich einiger Präzisierungen in historischer Hinsicht: Erstens darf die Philosophie des frühen 14. Jahrhunderts keineswegs auf eine Opposition zwischen Ockhamismus und Anti-Ockhamismus reduziert werden. Auch zahlreiche Autoren des 13. Jahrhunderts (vor allem Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus) prägten entscheidend die Problemstellungen und Diskussionen im 14. Jahrhundert. Zudem erlebte der Augustinismus einen neuen Aufschwung, die deutsche Dominikanerschule erreichte mit Meister Eckhart einen Höhepunkt, und der italienische Humanismus begann sich zu entfalten. In allen diesen Strömungen und Schulen kam dem Wahrheitsproblem ebenfalls eine wichtige Bedeutung zu. Obwohl sich die neuere Forschung in hohem Maße auf Ockham und den Ockhamismus konzentriert, dürfen die übrigen — teils ergänzenden, teils kontrastierenden — philosophischen Bewegungen nicht unterschätzt werden. Zweitens darf keineswegs eine Zäsur zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert angesetzt werden, wie dies in der älteren Mittelalter-Forschung üblich war. Ockham bildete weder einen eigenwilligen Abschluß noch einen radikalen Neuanfang der mittelalterlichen Philosophie. In kritischer Auseinandersetzung mit Vorgängern und Zeitgenossen übernahm er traditionelle Fragestellungen, die er freilich in innovativer Weise behandelte. Deshalb dürfen seine begrifflichen und argumentativen Voraussetzungen, aber auch seine Problemlösungen, nicht isoliert betrachtet werden. Dieser Tatsache soll durch eine kurze Situierung der jeweiligen Problemstellung im historischen Kontext und durch eine verstärkte Berücksichtigung der zeitgenössischen Kritiker Ockhams (vor allem Walter Burleigh und Walter Chatton) Rechnung getragen werden. Diese Autoren haben 1985, 407 — 940. Auch die Werke Burleighs liegen nur teilweise in kritischer Edition vor; vgl. die Bibliographie in Kunze 1988, X L V - X L V I I . Von den zahlreichen Oxforder und Pariser Sentenzenkommentaren des 14. Jahrhunderts wurden bislang nur jene von Ockham, Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto vollständig ediert. (Eine Gesamtedition der Werke Adam Wodehams wird vom Franciscan Institute in Bonaventure vorbereitet.) Für alle anderen Autoren liegen nur Handschriften, Inkunabeln oder Neueditionen vereinzelter Quaestionen vor. Einen Überblick über den neueren Forschungsstand bietet de Libera 1985 und 1987; eine unentbehrliche bibliographische Einführung stellt Lohr 1988 dar.

Problemstellung

13

Ockham entscheidend zu einer Weiterentwicklung seiner Ausgangspositionen veranlaßt, teilweise auch zu einer Revision. Drittens schließlich kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wie stark und wie nachhaltig Ockham die Diskussionen in Oxford und Paris prägte. Neuere Arbeiten haben gezeigt, daß die Schüler und Nachfolger Ockhams nicht nur entscheidend dazu beitrugen, die Lehren ihres Meisters kritisch auszuarbeiten, sondern daß sie auch eigene kreative Ansätze entwickelten 24 . Aus dem Oxforder Kreis - von einer Schule im engeren Sinn kann kaum die Rede sein — werden die Dominikaner Robert Holcot und Crathorn sowie die Franziskaner Walter Chatton und Adam Wodeham berücksichtigt, aus dem Pariser Umfeld Johannes Buridan, die Augustiner Gregor von Rimini und Hugolin von Orvieto. Diese Auswahl vermag sicherlich nicht den gesamten Diskussionskontext zu rekonstruieren. Im Vordergrund steht jedoch nicht eine umfassende historische Aufarbeitung des überlieferten Textmaterials 25 , sondern eher eine philosophische, an bestimmten Einzelfragen orientierte Auseinandersetzung mit ausgewählten Texten. (g) Die Sprachphilosophie des 14. Jahrhunderts zeichnet sich durch eine präzise Terminologie und Argumentation aus, die durch die Aristotelesrezeption und die terministische Logik geprägt sind. Besonders wichtig ist der Einfluß von Petrus Hispanus, Wilhelm Sherwood und Lambert von Auxerre. Deshalb wird es notwendig sein, trotz der Periodenabgrenzung immer wieder auf diese Autoren zurückzugreifen. Im Hinblick auf die ontologischen Voraussetzungen und Implikationen der sprachphilosophischen Debatten dienten häufig Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus als Ausgangspunkt, so daß diese Autoren gelegentlich in die Darstellung und kritische Diskussion einbezogen werden müssen. Zudem erweist sich manchmal ein Vorgriff auf Autoren des ausgehenden 14. und 24

Besonders zu erwähnen ist die reichhaltige Studie v o n Tachau 1988, die sich ausführlich zahlreichen Autoren und Texten im intellektuellen Umfeld Ockhams widmet. Vgl. auch Courtenay 1978 und Weisheipl 1984; zur Rezeption in Paris Courtenay 1984a, in O x f o r d Courtenay 1987b. Wichtige Beiträge stammen v o n H o f f m a n n (Editionen zu Luttereil 1959 und Crathorn 1988, Studien 1971 und 1972), Gäl 1977 (zu A d a m Wodeham), Schepers 1970 und 1972 (zu Robert Holcot und Crathorn); vgl. auch die Sammelbände Oberman 1981; Maierü 1982; Hudson/Wilks 1987; Vossenkuhl/Schönberger 1990.

25

Für diese zweifellos wichtige Aufgabe hat Maierü Pionierarbeit geleistet. Vgl. die Zusammenstellung der wichtigsten Autoren im Hinblick auf die logisch-semantischen Debatten des 14. Jahrhunderts in Maierü 1972, 22 — 38. Zu den italienischen Logikern, die in dieser Arbeit weitgehend unbeachtet bleiben ( v o n Gregor v o n Rimini und H u g o l i n v o n Orvieto werden nur die Senten^enkommentare berücksichtigt, die während der Pariser Studien- und Lehrzeit entstanden), vgl. Maierü 1982.

14

Einleitung

des beginnenden 15. Jahrhunderts als hilfreich, weil in dieser Epoche zahlreiche Diskussionen weitergeführt und ausgefeilt oder kompendienhaft zusammengefaßt wurden. Zur Verdeutlichung und genaueren Analyse von Detailproblemen werden Vinzenz Ferrer, Richard Brinkley, Richard Ferrybridge u. a. beigezogen. Als wichtigstes kompilatorisches Werk wird die Logica Magna des Paulus Venetus berücksichtigt. (h) Angesichts der Fülle an Autoren und Texten empfiehlt sich eine quantitative Beschränkung, um die Konzentration auf thematische Schwerpunkte nicht durch überbordende historisch-philologische Bemerkungen zu beeinträchtigen. Deshalb werden nur gedruckte Quellen (Wiegendrucke und kritische Editionen) berücksichtigt. Vier Textgruppen stehen dabei im Vordergrund: die Perihermeneias-Kommentare, einzelne Abhandlungen zur Logik (Traktate und Summen), Senten^enkommentare, Quodlibeta.

0.3 Ansatz der

Untersuchung

Die bisherigen Bemerkungen haben zwar den Zugang zum Wahrheitsproblem in bezug auf Thematik, Autoren und Texte skizziert, doch weder in historischer noch in systematischer Hinsicht zu einer spezifischen Fragestellung geführt. Wenn der reichhaltigen Literatur zur spätmittelalterlichen Logik und Semantik 26 nicht einfach eine weitere Untersuchung hinzugefügt werden soll, müssen die Zielsetzungen dieser Arbeit genauer bestimmt werden. Bereits eine nähere Prüfung der Sekundärliteratur führt zu einem erstaunlichen Ergebnis. Es gibt zwar eine kaum zu überblickende Menge an Untersuchungen zu semantischen Einzelproblemen, vor allem zu den proprietates terminorum, jedoch nur vereinzelte Arbeiten zum Wahrheitsproblem im 14. Jahrhundert. Die einzigen Arbeiten, die explizit dieses Thema behandeln (abgesehen von vereinzelten Ausführungen in Gesamtdarstellungen 27 ), stammen meines Wissens von Boehner (1945 und 1946)28, Maieru (1966), Nuchelmans (1973), Kunze (1980) und Freddoso (1980). 26

27

28

Vgl. als Überblick die Bibliographie Ashworth 1978a; zur neueren Forschung de Libera 1985 und 1987 sowie die Kapitel zu Logik und Semantik in Lohr 1988. Eine gute Einführung bieten auch die zahlreichen Beiträge zur Logik in Kretzmann/Kenny/Pinborg 1982. Vgl. besonders die knappen, aber präzisen Bemerkungen in Pinborg 1972, 65 — 66, 1 3 5 - 1 3 6 , sowie Biard 1989, 1 5 1 - 1 6 1 und 1 9 2 - 1 9 7 . Nachdruck in Boehner 1958a-c.

Ansatz der Untersuchung

15

Das Wahrheitsproblem wird zwar auch in anderen Beiträgen erwähnt, doch meistens nur marginal behandelt. Diese quantitative Diskrepanz ist um so erstaunlicher, als es sich hier nicht um ein philosophisches Randproblem handelt. Die offensichtliche Unterbewertung oder Vernachlässigung des Wahrheitsproblems in der neueren Forschung beruht auf zwei Annahmen, die meistens stillschweigend vorausgesetzt werden. Erstens wird unterstellt, daß im 14. Jahrhundert keine selbständigen Ansätze zu einer Wahrheitstheorie vorhanden waren. Diese These geht vor allem auf Boehner zurück, der nachzuweisen glaubte, daß Ockhams Auffassung von Wahrheit sich in den Rahmen der überlieferten Wahrheitstheorien (von Aristoteles bis Duns Scotus) einfüge. Ockhams Verdienst bestehe nicht in der Ausarbeitung einer eigenen Theorie, sondern in der semantischen Präzisierung des tradierten Wahrheitsbegriffs29. Während Boehner noch festhält, Ockham habe mindestens auf eine überlieferte Definition von ,wahr' zurückgegriffen, behauptet Freddoso, Ockham habe nicht einmal über eine präzise Definition verfügt, sondern einfach „so etwas wie die aristotelische Wahrheitsdefinition" übernommen30. Deshalb bemüht sich Freddoso nicht um eine Klärung des Wahrheitsbegriffs, sondern geht gleich zum zweiten Schritt über, nämlich zur Formulierung von Wahrheitsbedingungen für verschiedene Satzarten31. Angesichts dieses leichtfertigen Umgangs mit dem Wahrheitsproblem drängen sich verschiedene Fragen auf: Inwiefern reihen sich Ockham und andere Autoren des 14. Jahrhunderts in die sogenannte scholastische Tradition ein, zumal nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird, daß die unterschiedlichen Definitionen von Wahrheit, ζ. B. als rectitudo (Anselm) oder adaequatio (Thomas von Aquin), überhaupt eine einheitliche Tradition bilden? Übernahmen diese Autoren genau den aristotelischen Wahrheitsbegriff oder „so etwas wie" den aristotelischen Wahrheitsbegriff — vorausgesetzt, der aristotelische Wahrheitsbegriff läßt sich überhaupt mit Exaktheit bestimmen32? Worin besteht der spezifische Beitrag zur Präzisierung des sogenannten traditionellen Wahrheitsbegriffs? 29 30

31

32

Vgl. Boehner 1958a und 1958c. Freddoso 1980, 15: „However, a more serious objection to Boehner's claim is this: there is simply no good reason to believe that in Part II [of the Summa Logicae] Ockham is trying to define the term ,true' at all. It seems more likely that he accepts something like the Aristotelian definition, e.g. ,proposition signifying of what is that it is or of what is not that it is not'." Ähnlich auch Broadie, der eine ausführliche Untersuchung über das Problem der Wahrheitsbedingungen lediglich mit folgendem Satz einleitet (Broadie 1987, 15): „.Proposition' was commonly defined in terms of truth." Vgl. zu den diesbezüglichen Schwierigkeiten Leal Carretero 1983.

16

Einleitung

Zweitens dient die These, das Wahrheitsproblem lasse sich auf das Problem der Terminuseigenschaften reduzieren, häufig als Ausgangspunkt für Untersuchungen zur Sprachphilosophie im 14. Jahrhundert. Auch diese Annahme, die vielen Arbeiten unausgesprochen zugrunde liegt, geht hauptsächlich auf Boehner zurück, der die Wahrheitsfrage mit der Frage nach der Supposition und der Bezeichnung von Termini identifizierte33. Zweifellos ist eine Untersuchung der Terminuseigenschaften für eine Klärung der Wahrheitsbedingungen von Sätzen unerläßlich, doch sie geht implizit bereits von einem propositionalen Wahrheitsbegriff aus (Wahrsein ist die Eigenschaft eines Satzes) und wendet diesen ohne weitere Erklärung auf die Termini eines Satzes an (ein Satz ist genau dann wahr, wenn seine wahrheitsrelevanten Teile, die kategorematischen Termini, bestimmte syntaktisch-semantische Eigenschaften haben). Diese Annahmen mögen zwar korrekt sein, sind aber nicht ohne weiteres verständlich. Deshalb stellen sich zunächst folgende Fragen: Was ist unter einem propositionalen Wahrheitsbegriff genau zu verstehen? Welche Relation zwischen Satz und Satztermini muß vorausgesetzt werden, damit die Wahrheitsbedingungen in Form von Suppositionsbedingungen formuliert werden können? Sind die Wahrheitsbedingungen mit einer Analyse der Terminuseigenschaften bereits hinreichend geklärt? Bislang beschränkte sich der Ansatz der Untersuchung auf logischsemantische Fragen 34 . Man könnte gerade in dieser Beschränkung auf die „logische Wahrheit" die besondere Leistung der Autoren des 14. Jahrhunderts sehen: Indem die sogenannten Realisten und Nominalisten in gleicher Weise von einem propositionalen Wahrheitsbegriff ausgingen und sich um eine rein „formalsemantische" Analyse der Wahrheitsbedingungen bemühten, konnten sie einerseits die „psychologistischen" Wahrheitstheorien des 13. Jahrhunderts überwinden und andererseits von den unterschiedlichen ontologischen Annahmen absehen, um zu einem rein formalen Wahrheitsbegriff zu gelangen. Diese These ist vor allem von Kunze mit Nachdruck vertreten worden 35 und verdient in verschiedener Hinsicht Beachtung. 33

34

35

Boehner 1958b, 201: „ T h e Venerabiiis Inceptor is in agreement with his predecessors in maintaining that the relation which constitutes the truth of propositions is a relation o f correct signification or supposition; but he disagrees with them — in different degrees — regarding the exact specification o f this relation." Vgl. ausführlich Boehner 1958c. Boehner hält explizit fest, er beschränke sich bei der Untersuchung des Wahrheitsproblems auf die Analyse v o n Sätzen und konzentriere sich somit nur auf die „logische Wahrheit" (vgl. Boehner 1958c, 254). E s handelt sich u m die Hauptthese seiner Dissertation; vgl. besonders K u n z e 1980, 1 — 16 und die Z u s a m m e n f a s s u n g 349 — 356. Siehe zudem K u n z e 1988, V I I - X L I I .

Ansatz der Untersuchung

17

Erstens betont sie zu Recht das gemeinsame formalsemantische Interesse der verschiedenen Parteien und weist damit auf wichtige, in der Forschung meistens vernachlässigte verbindende Elemente zwischen Ockham und Burleigh hin. Zweitens hält sie ausdrücklich fest, daß die Autoren des 14. Jahrhunderts keineswegs bloß den „traditionellen" Wahrheitsbegriff ausfeilten, wie Boehner behauptete, sondern in wichtigen Fragen auch in Opposition zu Wahrheitstheorien des 13. Jahrhunderts standen 36 . Drittens schließlich stellt sie das Problem der Wahrheitsbedingungen, das im 14. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewann, in den Mittelpunkt der Untersuchung und verdeutlicht dadurch, daß sich die formalsemantische Absicht vor allem in einer immer genaueren und detaillierteren Formulierung von Wahrheitsbedingungen manifestierte. Dennoch darf Kunzes These nicht kritiklos übernommen werden. Sie beruht nämlich auf der nicht explizierten Annahme, daß sich das Wahrheitsproblem als rein formalsemantisches Problem, unabhängig von ontologischen und erkenntnistheoretischen Annahmen, stellen läßt. Gemäß Kunze besteht das besondere Verdienst Burleighs gerade darin, daß er von den Differenzen mit Ockham im Bereich der Ontologie absieht, um „nach einer ,schulneutralen' und damit ontologisch wertfreien Theorie der Wahrheit" 37 zu suchen. Hier gilt es grundsätzlich zu fragen, ob überhaupt ontologisch wertfreie Wahrheitstheorien möglich sind. Jede (philosophische) Wahrheitstheorie muß über ontologische Kategorien verfügen, um überhaupt etwas erklären zu können. Selbst die einfachste Korrespondenztheorie setzt eine ontologische Unterscheidung zwischen Wort und Gegenstand, Satz und Sachverhalt, Vorstellung und Vorgestelltem usw. voraus, wenn sie eine Korrespondenz von zwei Gliedern behauptet. Auch eine sprachphilosophische Korrespondenztheorie, die sich an einem propositionalen Wahrheitsbegriff orientiert, muß ontologische Annahmen treffen. Wenn ζ. B. die Wahrheitsbedingung ,Ein Satz ist genau dann wahr, wenn Subjekt und Prädikat für denselben Gegenstand supponieren' gilt, muß die ontologische Annahme gemacht werden, daß es Gegenstände gibt, und es muß spezifiziert werden, um welche Art von Gegenständen

36

37

Vgl. Kunze 1980, 15: „Gegenüber den von ihrem Grundansatz her formalen Theorien der Veritas propositionis dieser Zeit [sc. des 14. Jahrhunderts] bemühen sich die Verfasser der Logikhandbücher des 13. Jahrhunderts um eine .philosophische' Begründung der significatio termini, wobei sie sich weniger dem Ziel ihrer kontextuellen Analyse als vielmehr dem ontologischen bzw. epistemologischen Aspekt der sprachlichen Zeichenfunktion verpflichtet wissen." Siehe auch Kunze 1988, X X X V I - X L 1 I und 8 4 - 1 8 5 . Kunze 1988, VIII-IX.

18

Einleitung

es sich handelt. Die Rede von Wahrheit setzt immer die Annahme und die Unterscheidung von verschiedenen Seinsarten voraus. Selbst wenn man die mittelalterliche Logik ausschließlich als formale Logik versteht38 und somit die Satz- und Wahrheitstheorien als formalsemantische Theorien interpretiert, darf man die für jede logische Untersuchung notwendigen außerlogischen, d. h. ontologischen und erkenntnistheoretischen, Voraussetzungen nicht außer acht lassen39. Diese allgemeine Feststellung gilt im besonderen für die Rede von Wahrheit im 14. Jahrhundert. Wenn es gemäß dem propositionalen Wahrheitsbegriff ausschließlich die Eigenschaft eines Satzes ist, wahr zu sein (diese vorläufige Definition muß noch genauer untersucht werden), so läßt sich fragen: Worin besteht das Wahrsein des Satzes — in seiner inneren (syntaktischen oder semantischen) Struktur oder in seinem ontischen Korrelat? Was ist dieses Korrelat: ein extramentaler Gegenstand, eine bestimmte Anordnung der Gegenstände in einem Sachverhalt oder lediglich eine mentale Vorstellung von diesen Gegenständen? Auch wenn man wie Boehner und seine Nachfolger das Wahrheitsproblem ausschließlich als das Problem der Terminuseigenschaften (vornehmlich der Supposition) auffaßt, stellt sich unweigerlich die Frage: Wofür müssen Subjekt und Prädikat eines Satzes supponieren, damit der Satz wahr ist? Schließlich muß auch folgende grundsätzliche Frage aufgeworfen werden: Welchen ontischen Status hat der Satz selbst, der die Eigenschaft besitzt, wahr zu sein? Existiert er nur im jeweiligen Sprecher oder Hörer, oder besitzt er eine — wie auch immer definierte — intersubjektive Existenz? Es ist offensichtlich, daß ein Satz nicht aufgrund dessen wahr ist, daß die Buchstaben oder Laute in einer bestimmten Weise angeordnet werden. Entscheidend ist vielmehr, welche Bedeutungseinheiten die geschriebenen oder gesprochenen Zeichen bilden, und wie diese Bedeutungseinheiten beim Aussprechen, Hören oder Lesen eines Satzes miteinander 38

39

In Anlehnung an Pinborg (vgl. Anm. 18) lehne ich diese Interpretation als zu eng gefaßt ab. Vgl. zu dieser Frage die differenzierte Stellungnahme von Maieru 1972, 38 — 43, vor allem 41: „,E da chiedersi percio fino a che punto i risultati dello sforzo compiuto per identificare strutture linguistiche sulle quali fosse possibile operare validamente da un punto di vista logico autorizzino a parlare di 'logica formale' nel medioevo; o, in altri termini, se le ,strutture' siano autentiche .forme', siano trattate senza far riferimento al significato delle parole e al senso delle espressioni. Quando si cerca una risposta, la difficolta maggiore s'incontra, come si sa, nel fatto che la proposizione studiata dai medievali ha un ileminabile importo esistenziale, per cui elementi extralogici (ontologici, gnoseologici) finiscono per condizionare la trattazione della logica."

Systematische Leitfragen

19

verknüpft werden, so daß der ganze Satz verstanden wird. Dieser Verstehensakt ist nur möglich, wenn gleichzeitig mit den geschriebenen oder gesprochenen Termini des Satzes mentale Termini (Begriffe) gebildet werden. Eine Untersuchung der Terminuseigenschaften trägt nur dann zur Klärung der Wahrheitsfrage bei, wenn gleichzeitig auch die Struktur der korrespondierenden Begriffe analysiert wird, denn ein Terminus kann nur dann für einen Gegenstand supponieren, wenn er als bedeutungshaltiger Terminus und nicht bloß als eine Ansammlung von Buchstaben oder Lauten aufgefaßt wird. Selbst wer die Frage nach den Wahrheitsbedingungen auf die Frage nach den formalsemantischen Wahrheitsbedingungen der Satztermini beschränkt, muß die mentalen Voraussetzungen für die Bildung solcher Termini berücksichtigen. Diese zahlreichen Fragestellungen müssen in den Textanalysen sicherlich noch präzisiert und genauer strukturiert werden. Sie sollen in diesem Zusammenhang lediglich verdeutlichen, daß das Wahrheitsproblem im 14. Jahrhundert ein zentrales semantisches, ontologiscbes und im Hinblick auf die Frage nach der mentalen Begriffsbildung auch ein erkenntnistheoretisch40 psjchologisches Problem ist, obwohl es in der Forschung häufig nicht als Problem erkannt oder auf andere Probleme reduziert wird.

0.4 Systematische

Leitfragen

Wenn die Erforschung der mittelalterlichen Philosophie ein historischphilologisches Ghetto 41 vermeiden will und den Anspruch auf philosophische Relevanz erhebt, muß sie sich in erster Linie an philosophischen Maßstäben messen, indem sie die philosophiegeschichtlichen Arbeitsziele 40

41

Der Ausdruck psychologisch' ist hier ausschließlich im Kontext einer philosophischen, nicht einer empirischen Psychologie zu verstehen. Die enge Verbindung von Logik und Psychologie im Mittelalter beruht unter anderem auf der intentionalistischen Definition der Logik, gemäß der die Logik von den intentiones secmdae handelt (vgl. zur Einführung Pinborg 1974 und Knudsen 1982). Vgl. die programmatische, in der neueren Forschung viel beachtete Aussage Kretzmanns 1982b, 3: „By combining the highest standards of medieval scholarship with a respect for the insights and interests of contemporary philosophers, particularly those working in the analytic tradition, we hope to have presented medieval philosophy in a way that will help to end the era during which it has been studied in a philosophical ghetto, with many of the major students of medieval philosophy unfamiliar or unsympathetic with twentieth-century philosophical developments, and with most contemporary work in philosophy carried out in total ignorance of the achievements of the medievals on the same topics."

20

Einleitung

und -ergebnisse einer kritischen philosophisch-systematischen Prüfung unterzieht. Freilich besteht dann die Gefahr, daß entweder die historische Arbeit bloß als zwar notwendiges, aber untergeordnetes Propädeutikum für die philosophische Arbeit betrachtet wird, oder daß umgekehrt vereinzelte systematische Thesen lediglich als Dekoration für eine vorwiegend historische Untersuchung dienen42. Deshalb soll in der vorliegenden Untersuchung der historischen Problemstellung nicht einfach eine systematische hinzugefügt werden. Es wird vielmehr eine „immanente Interpretation" im Sinn Pinborgs43 angestrebt; die Darstellung und Diskussion der spätmittelalterlichen Debatten orientiert sich nahe an den Texten und entwickelt aus diesen heraus die einzelnen Problemstellungen. Obwohl sicherlich interessante Anknüpfungspunkte zu den heutigen sprachanalytischen Wahrheitstheorien bestehen, verzichte ich weitgehend auf eine Verknüpfung oder gar Gleichsetzung von mittelalterlichen und modernen Diskussionen. Nur zur genaueren Erklärung einiger Spezialprobleme wird gelegentlich auf moderne Autoren (vor allem auf Frege) verwiesen. Dies bedeutet freilich nicht, daß ein systematisches Interesse zugunsten eines historischen ausgeblendet wird. Erstens soll in den Textanalysen stets der sachliche Gehalt der Argumente und weniger ihre Entwicklung oder Rezeption im historischen Kontext betont werden. Daher wird ein Schwergewicht auf die Diskussion der dargestellten Positionen gelegt, indem teilweise historisch belegte Argumente und Gegenargumente erörtert werden, teilweise aber auch systematisch motivierte Einwände gegen einzelne Thesen formuliert werden. Zweitens läßt sich im historischen Ausgangspunkt bereits ein systematisches Interesse erkennen, wie die Kritik am methodischen Ansatz Boehners, Kunzes u. a. gezeigt hat. Eine rein suppositionstheoretische Explikation jenes Wahrheitsbegriffs, der sich an der propositio orientiert, ist unvollständig und beruht auf Voraussetzungen, die geklärt werden müssen. Für eine adäquate Darstellung der Wahrheitsdiskussionen im 14. Jahrhundert sind in gleicher Weise semantische, ontologische und erkenntnistheoretisch-psychologische Aspekte zu berücksichtigen. Allerdings stellen sich nun die Fragen, wie diese verschiedenen Aspekte miteinander verknüpft sind, und in welcher Relation sie zum Wahrheitsbegriff stehen. Für eine Beantwortung dieser Fragen muß die 42

43

Vgl. zu diesem methodischen Dilemma Krüger 1984, im Hinblick auf die mittelalterliche Philosophie Flasch 1987, 3 5 - 3 7 . Vgl. Pinborg 1967, 10.

Systematische Leitfragen

21

Ausgangsproblematik — die Frage, wie das Wahrheitsproblem überhaupt zu stellen ist — wieder kurz aufgenommen werden. Wie in den methodischen Vorbemerkungen bereits festgehalten wurde, geht es bei einer Auseinandersetzung mit dem Wahrheitsproblem zunächst nur um die Erklärung der Verwendung eines spezifischen Wortes. Eine solche Erklärung ist aber philosophisch unbefriedigend, wenn sie nicht eine Reflexion auf die Intentionen und Implikationen des Explikationsprozesses beinhaltet. Es reicht nicht aus, die Verwendung eines Wortes bloß zu beschreiben. Gleichzeitig muß auch erklärt werden, wozu dieses Wort verwendet wird und worin sein spezifischer Gehalt besteht, denn jede Erklärung geht von bestimmten Voraussetzungen und Interessen aus und hat auch bestimmte Folgen für die Erklärung anderer Wörter 44 . Eine mögliche Antwort auf die Frage nach den besonderen Voraussetzungen für die Erklärung des Wahrheitsbegriffs im 14. Jahrhundert kann in der Berücksichtigung des spezifischen Diskussionskontextes gefunden werden. Die Oxforder und Pariser Autoren, die in der vorliegenden Untersuchung herangezogen werden, erörterten den Terminus ,wahr' stets im Rahmen der logica. Diese Disziplin umfaßte aber nicht nur formale Logik im modernen Sinn, sondern auch eine Philosophie der Logik, d. h. eine Reflexion auf die semantischen, ontologischen und epistemologischen Voraussetzungen der formalen Logik 45 , und überdies eine allgemeine Theorie des wissenschaftlichen Argumentierens. Die Logik bzw. Dialektik wurde als „die Kunst, die den Zugang zu den Prinzipien aller Methoden hat", ja sogar als „die Wissenschaft der Wissenschaften" bestimmt 46 . Somit 44

45

44

Dies hat in der neueren Wahrheitsdiskussion vor allem Dummett verdeutlicht. Dummett 1978, 3: „We cannot in general suppose that we give a proper account of a concept by describing those circumstances in which we do, and those in which we do not make use of the relevant word, by describing the usage of that word; we must also give an account of the point of the concept, explain what we use the word for. Classifications do not exist in the void, but are connected always with some interest which we have, so that to assign something to one class or another will have consequences connected with this interest." Vgl. dazu die grundlegenden Arbeiten von Pinborg und Maierü (zitiert in Anm. 18 und 39) sowie Michaud-Quantin 1970. Die These Moodys, die historische Bedeutung der mittelalterlichen Logik bestehe vornehmlich in der Analyse der semantischen Voraussetzungen der aristotelischen Logik (vgl. Moody 1975b, 385 — 390), halte ich für korrekt, aber unvollständig. Erstens werden dabei die wichtigen ontologischen und epistemologischen Aspekte vernachlässigt, und zweitens bleiben die platonischen Elemente unberücksichtigt. Die Reichweite der mitteltalterlichen logica verdeutlicht exemplarisch de Rijk 1970. Petrus Hispanus, Tractatus I, η. 1 (de Rijk 1972, 1): „Dialetica est ars ad omnium methodorum principia viam habens." Im Codex Vaticanus Reginensis 1205, der aus dem

22

Einleitung

muß eine Erklärung des Wahrheitsbegriffs im Rahmen der logica auch alle Aspekte berücksichtigen, die in den Forschungsbereich der logica fallen. Bereits in der Ausgangsposition findet sich also eine enge Verknüpfung von semantischen, ontologischen, epistemologischen und wissenschaftstheoretischen Fragen. Freilich stellt sich nun sogleich die Frage, wie die Verknüpfung verschiedenster Aspekte konkret zu verstehen ist. Den Ausgangspunkt bildet die (im folgenden noch zu erläuternde) These, daß ,wahr' ausschließlich zur Qualifizierung eines Satzes verwendet wird. Somit kann die Bedeutung von ,wahr' nur verstanden werden, wenn der Satz, der die Eigenschaft des Wahrseins besitzt, verstanden wird: Wer verstehen will, was ein wahrer Satz ist, muß zunächst verstehen, was ein Satz ist. Nun gibt es aber verschiedene Satzformen und dementsprechend verschiedene Verstehensweisen. Es empfiehlt sich, bei der einfachsten Grundform anzusetzen, nämlich beim assertorischen, prädikativen Satz. An dieser Grundstruktur des Satzes orientierte sich bereits Aristoteles und nach ihm die mittelalterliche logica. Die propositio categorica singularis de inesse, die sich aus Subjekt, Kopula und Prädikat zusammensetzt, wurde in den Logik-Handbüchern immer als die einfachste und grundlegende Satzform diskutiert 47 . Das einfachste Subjekt in einem solchen prädikativen Satz ist ein singulärer Terminus (ζ. B. ,Sokrates'), das einfachste Prädikat ein Adjektiv oder ein Prädikatsnomen (ζ. B. ,weiß', ,ein Mensch'), die einfachste Kopula jene im Indikativ Präsens (,ist'). Somit lautet die einfachste Satzform: ,a ist Ρ, ζ. Β. ,Sokrates ist weiß' oder ,Sokrates ist ein Mensch'. Die Frage, wie ein Satz verstanden wird, gliedert sich nun in mindestens vier Teilfragen: Wie wird das Subjekt verstanden? Wie wird das Prädikat verstanden? Wie wird die Kopula verstanden? Wie wird die Zusammensetzung aller Termini zu einem ganzen Satz verstanden? Diese Fragen können in verschiedener Hinsicht aufgeworfen und in Teilfragen gegliedert werden. Man kann das Verstehen erstens in syntaktisch-semantischer Hinsicht erklären: Die Termini eines Satzes werden genau dann verstanden, wenn man weiß, wie man sie korrekt miteinander verknüpfen und zur Bezugnahme auf einen Gegenstand oder auf eine Menge von Gegenständen verwenden muß. Dies bedeutet im Hinblick auf die einzelnen Termini des

47

frühen 14. Jahrhundert stammt, findet sich bezeichnenderweise die Hinzufügung: „ars artium et scientia scientiarum" (vgl. den Variantenapparat in de Rijk 1972, 1). Die Autoren des 14. Jahrhunderts rezipierten wohl diese erweiterte Definition des einflußreichsten Logik-Handbuches. Vgl. ausführlich dazu Kapitel 2.1.

Systematische Leitfragen

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prädikativen Satzes: Wie werden Subjekt, Prädikat und Kopula miteinander verküpft? In welcher Form nehmen sie auf Gegenstände Bezug? Und hinsichtlich des ganzen Satzes lautet die Fragestellung: Welche Art von Einheit bildet ein prädikativer Satz, wie nimmt er auf einen Gegenstand oder auf eine Menge von Gegenständen Bezug? Das Verstehen kann zweitens auch als ein mentaler Akt interpretiert werden: Die gesprochenen oder geschriebenen Termini eines Satzes werden genau dann verstanden, wenn sie mental mit Begriffen verknüpft werden. Wie ist indessen die Bildung eines Begriffs für Subjekt, Prädikat und Kopula sowie die Verbindung dieser Begriffe zu erklären? Und da ein ganzer Satz genau dann verstanden wird, wenn eine Menge von Begriffen oder ein komplexer Begriff erfaßt wird, lautet eine weitere Frage: Wie ist die Bildung eines solchen komplexen Begriffs zu erklären, und in welcher Relation stehen die einfachen Begriffe zu dem komplexen Begriff? Drittens kann das Verstehen auch in ontologischer Hinsicht bestimmt werden: Die Termini eines Satzes werden genau dann verstanden, wenn man weiß, auf welche Gegenstände sie referieren und um welche Art von Gegenständen es sich dabei handelt. Wie ist nun das Referenzobjekt verschiedener Termini (ζ. B. singulärer und allgemeiner, absoluter und konnotativer Termini) zu erklären? Und da ein Satz genau dann verstanden wird, wenn man weiß, was der Sachverhalt ist, auf den Bezug genommen wird, lautet die Zusatzfrage: Wie kann ein solcher Sachverhalt genau definiert werden? Entscheidend ist nun, daß nicht das Verstehen irgendeines Satzes erklärt werden soll, sondern das Verstehen eines wahren Satzes. Somit müssen für jeden der drei Problembereiche bestimmte Bedingungen definiert und diskutiert werden. Syntaktisch-semantisch gefragt: Wie müssen die Termini eines prädikativen Satzes miteinander verknüpft werden, und wie müssen sie auf Gegenstände Bezug nehmen, damit vom ganzen Satz gesagt werden kann, er sei wahr? Psychologisch-erkenntnistheoretisch gefragt: Wie müssen die Begriffe gebildet und miteinander verknüpft werden, damit man von einer wahren Begriffsverknüpfung sprechen kann? Ontologisch gefragt: Auf welche Art von Gegenständen müssen die Termini Bezug nehmen, damit man weiß, daß sich der Satz auf einen wirklich bestehenden Sachverhalt bezieht? Diese Fragen umreißen grob zusammengefaßt den Diskussionskontext, der im 14. Jahrhundert zur Erklärung des Terminus ,wahr' gewählt wurde. Um ausführliche historisch-philologische Erörterungen (Fragen zur Begriffsgeschichte, Datierung und Authentizität der Texte usw.) zu

24

Einleitung

vermeiden, soll das ganze Textmaterial anhand von vier systematisch motivierten Leitfragen untersucht werden: 1. Kapitel: Was heißt ,wahr'? Zunächst müssen die historischen Voraussetzungen der Wahrheitsdiskussionen im 14. Jahrhundert kurz betrachtet werden. Danach soll der spezifisch propositionale Wahrheitsbegriff definiert und gegenüber anderen Wahrheitsbegriffen abgegrenzt werden. 2. Kapitel: Was ist ein wahrer SatHier gilt es, die syntaktische und semantische Struktur des ganzen prädikativen Satzes sowie die Funktion seiner einzelnen Glieder zu untersuchen, um zu klären, warum und wie der Satz die Eigenschaft besitzen kann, wahr zu sein. 3. Kapitel: Wie wird ein wahrer Sat% verstanden? Hier muß analysiert werden, wie in epistemologisch-psychologischer Hinsicht die Zusammensetzung des Satzes zu einer einzigen Bedeutungseinheit erfolgt. Deshalb werden die Bildung eines mentalen Satzes im Erkenntnisakt und die Beziehung dieses mentalen Satzes zum gesprochenen oder geschriebenen Satz untersucht. 4. Kapitel: Was bezeichnet ein wahrer Sat%? Diese Frage greift den ontologischen Aspekt des Wahrheitsproblems auf: Was macht einen Satz wahr — die bezeichneten Gegenstände, der ausgedrückte Sachverhalt oder ein mentales Korrelat? Es sollen verschiedene Theorien zum significatum propositionis kurz dargestellt und kritisch diskutiert werden. Die Erörterung dieser Fragen erfolgt stets anhand von Textanalysen. Dabei soll nicht der Anspruch erhoben werden, alle relevanten Texte zu berücksichtigen. Es ist vielmehr das Ziel, die wichtigsten Thesen und Argumente anhand besonders deutlicher und aussagekräftiger Texte darzustellen und zu diskutieren.

0.5 Bemerkungen %ur Terminologie Die mittelalterliche Philosophie zeichnet sich durch eine äußerst subtile, meistens sehr präzise Terminologie aus, die einerseits auf die Texte des antiken Erbes zurückgeht (das freilich nur in lateinischer Übersetzung rezipiert wurde 48 ), andererseits aber auch verschiedenste mittelalterliche — arabische oder lateinische — Wurzeln hat. Angesichts dieser Verbindung mehrerer Traditionen ist es nicht erstaunlich, daß der terminologischen 48

Ich stütze mich deshalb im folgenden stets auf den griechischen Originaltext und auf den Aristoteles latinus. Vgl. zur komplexen Aristoteles-Rezeption Dod 1982.

Bemerkungen zur Terminologie

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Präzision meistens auch eine hohe Komplexität entspricht, die zur Folge hat, daß die mittelalterlichen Texte einem heutigen Leserpublikum nur schwer zugänglich sind. Zudem erschwert ein äußerst technischer, komplizierten Regeln folgender Argumentationsstil das Textverständnis. Aus diesen Gründen ist es unmöglich, in einer Untersuchung zur mittelalterlichen Philosophie den Texten terminologisch vollständig treu zu bleiben und gleichzeitig den Sinn dieser Texte zu erschließen. Im folgenden wird versucht, einen Mittelweg zwischen diesen beiden Anforderungen an eine Textinterpretation zu finden. Einerseits werden bestimmte Ausdrücke wörtlich wiedergegeben (ζ. Β. ,Habitus', ,intellektiv') oder wörtlich übersetzt (ζ. Β. ,komplex bezeichenbar' für ,complexe significabile'), andererseits wird gelegentlich eine freie Übersetzung gewählt, wenn eine wörtliche Wiedergabe allzu verwirrend ist (ζ. B. .etwas meinen' für ,aliquid importare'). Bei der Erklärung terminologisch schwieriger Stellen und bei wörtlichen Zitaten wird in den Anmerkungen stets der Originaltext angeführt, so daß der Übersetzungsvorschlag überprüft werden kann. Besondere Vorsicht ist bei termini technici geboten, die einer ausführlichen Erklärung bedürfen. Ich werde sie im folgenden entweder wörtlich wiedergeben (ζ. B. ,supponieren' für ,supponere') oder etymologisch möglichst wortnah übersetzen (ζ. B. .bezeichnen' für ,significare')49. Zwei zentrale Ausdrücke, deren Übersetzung zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte, sollen kurz erläutert werden. (1) Ich werde ,propositi immer mit ,Satz' wiedergeben. Diese Wortwahl mag Erstaunen auslösen, denn in der neueren (vorwiegend sprachanalytischen) Literatur wird ,Satz' meistens als Bezeichnung für das Wortmaterial verwendet und streng von ,Aussage' unterschieden. Wahr oder falsch ist somit nicht der aus Wörtern bestehende Satz, sondern das, was der materiale Satz ausdrückt, nämlich die Aussage. Trotz dieses heute vorherrschenden Sprachgebrauchs habe ich mich aus folgenden Gründen für die durchgehende Verwendung von ,Satz' entschieden, (i) Zunächst soll grundsätzlich eine voreilige Gleichsetzung von mittelalterlichem und modernem Sprachgebrauch vermieden werden. ,Satz' ist genau wie ,propositi' als mittelalterlicher terminus technicus zu verstehen 50 , (ii) In Anlehnung an Aristoteles unterscheiden die mittelalterlichen Autoren zwischen 49 50

Eine hilfreiche Einführung in die spezifische Terminologie Ockhams bietet Baudry 1958. Vgl. eine Erklärung dieses Terminus in Kapitel 2.1. In der englischsprachigen Literatur hat sich die Übersetzung proposition' durchgesetzt, wobei die Interpreten allerdings immer betonen, daß es sich hier nur um eine Annäherung an den mittelalterlichen Fachausdruck handelt. Vgl. Kretzmann 1970, 767; Nuchelmans 1982, 197.

26

Einleitung

einer gesprochenen, einer geschriebenen und einer mentalen propositio. Je nach Kontext ist unter der propositio also das Wortmaterial {propositio scripta vel prolata) und/oder die durch das Wortmaterial ausgedrückte mentale Aussage {propositio mentalis) zu verstehen. Eine strenge Unterscheidung zwischen Satz und Aussage würde diese Dreiteilung der propositio mißachten. (iii) Die mittelalterlichen Autoren gehen meistens davon aus, daß die ausgedrückte Aussage nicht vom Wortmaterial getrennt werden kann. Robert Holcot behauptet sogar explizit, eine propositio sei nur dann wahr, wenn sie aktuell geschrieben, gesprochen oder gedacht wird. Auch Ockham hält fest, daß es keine wahren Sätze „an sich" gibt; nur einem konkret geäußerten oder gedachten Satz (in moderner Terminologie: einem token) kann ein Wahrheitswert zugeschrieben werden. Diese wichtige These bedarf sicherlich einiger Erläuterungen 51 . Hier soll nur festgehalten werden, daß eine scharfe Trennung zwischen dem, was aus Wörtern gemacht wird, und dem, was durch Wörter gemacht wird, nicht dem mittelalterlichen Ansatz entspricht, (iv) Die Grundthese der modernen, an Frege anknüpfenden Sprachphilosophie, jeder Satz drücke eine Aussage (Freges „Gedanke") aus, darf der mittelalterlichen Sprachphilosophie nicht von vornherein unterstellt werden. Wie sich noch zeigen wird 52 , werden gerade im 14. Jahrhundert die Fragen diskutiert, was eine propositio ausdrückt und welchen ontischen Status dieses Ausgedrückte besitzt. (2) ,Begriff ist die Übersetzung für eine Fülle von lateinischen Ausdrücken {,conceptus\ ,intentio\ ,.similitude' usw. 53 ), immer ist damit aber das mentale Korrelat eines geschriebenen oder gesprochenen Terminus gemeint, d. h. ein terminus mentalis. Die Erklärung der Genese und Funktion eines Begriffs war in der spätmittelalterlichen Sprachphilosophie umstritten 54 , unumstritten war aber — im Gegensatz zur modernen Sprachphilosophie — die These, daß der mentale Terminus die primäre Spracheinheit darstellt. Mit einem gesprochenen oder geschriebenen Terminus kann nur dann auf einen Gegenstand Bezug genommen werden, wenn gleichzeitig ein mentaler Terminus bzw. ein Begriff gebildet wird. Die heute übliche Unterscheidung zwischen der Verwendung und Erwähnung eines Terminus war auch den mittelalterlichen Autoren als Differenzierung zwischen suppositio personalis und suppositio materialis geläu51 52 53

54

Vgl. Vgl. Vgl. plura Vgl.

Kapitel 3.1. Kapitel 4.3. eine Liste mit Synonyma für ,conceptus' quam seit (Courtenay 1971, 17). ausführlich Kapitel 3.2.

in Robert Holcot, Utrum Deus possit

scire

Bemerkungen zur Terminologie

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fig. Zur Kennzeichnung der suppositio materialis diente gelegentlich die Silbe ,ly\ die dem erwähnten Wort vorangestellt wurde. Gemäß den heutigen Konventionen erwähne ich einen Terminus — und zwar einen gesprochenen, geschriebenen und/oder mentalen Terminus — immer mit einfachen Anführungszeichen (Bsp.: der gesprochene Terminus ,Sokrates'; der Begriff ,habitudo'). Doppelte Anführungszeichen werden für Zitate und zur Verdeutlichung einer metaphorischen, ironischen oder anderen uneigentlichen Terminusverwendung (mittelalterlich gesprochen: einer suppositio impropria) gebraucht.

1. W a s h e i ß t , w a h r ' ? 1.1 Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles Die Wahrheitsdiskussionen im 14. Jahrhundert nahmen bei Aristoteles ihren Ausgang. Dies zeigt sich nicht nur in der Fülle an expliziten Kommentaren zu jenen Stellen der Metaphysik und des Organon, in denen das Wahrheitsproblem thematisiert wird, sondern auch im impliziten Bezug auf Aristoteles in genuin mittelalterlichen Werken, ζ. B. in den Senten^enkommentaren, die nicht in einer aristotelischen Texttradition stehen. Die bloße Wiederholung der verba magistri in textnahen Kommentaren begründete allerdings noch keinen Aristotelismus, wie Minio-Paluello mit Nachdruck festgestellt hat 1 . Der mittelalterliche Aristotelismus entstand vielmehr durch die Anknüpfung an verschiedenste, teilweise disparate Texte und durch ihre Verbindung mit anderen Traditionselementen, so daß er gerade dort philosophische Originalität gewann, wo er Aristoteles in einem veränderten Kontext interpretierte. Diese allgemeine Feststellung ist im Hinblick auf das Wahrheitsproblem von besonderer Bedeutung. Es empfiehlt sich, zunächst nicht nach der spätmittelalterlichen Rezeption eines „reinen" aristotelischen Wahrheitsbegriffs zu fragen, sondern einige Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung eines Wahrheitsbegriffs zu bestimmen. Anhand von Ockhams Position — teilweise wird auch jene Buridans berücksichtigt — soll diese komplexe Rezeption der aristotelischen Vorlage verdeutlicht werden. Ein erster, von mittelalterlichen Autoren häufig zitierter Wahrheitsbegriff geht auf die wissenschaftstheoretische Verwendung von ,wahr' zurück. In den Zweiten Analytiken untersucht Aristoteles die Bedingungen für Beweisprämissen und kommt zum Schluß: „Wenn nun das wissenschaftliche Verstehen solcherart ist, wie wir ansetzen, dann erfolgt notwendig die beweisende Wissenschaft aus [Prämissen], die wahre, erste, unmittelbare, bekanntere, frühere und ursächliche sind in bezug auf die 1

Vgl. Minio-Paluello 1968, 316.

Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles

29

Konklusion." 2 Besondere Bedeutung kommt hier der ersten Bedingung zu: „Wahr müssen die Prämissen sein, weil man Nichtseiendes nicht wissen kann." 3 Diese offensichtliche Gleichsetzung von „wahre Prämissen wissen" und „das Seiende wissen" wurde im 14. Jahrhundert immer wieder zitiert, um den Begriff,wissen' zu definieren. Ockham unterscheidet im Prädesiinationstraktat4 und im Senten^enkommentar5 ausdrücklich zwei verschiedene Bedeutungen von ,wissen'. (i) In einem weiten Sinn heißt ,wissen': irgend etwas wissen, also Wahres und Falsches, Komplexes und Unkomplexes, Notwendiges und Kontingentes. Dabei bleibt noch unbestimmt, ob es sich um wahre bzw. falsche Sätze oder um Sachverhalte handelt. (ii) In einem strengen Sinn bedeutet,wissen': das Wahre wissen. Doch was ist darunter genau zu verstehen? Ockham beantwortet diese Frage im Prolog zum Physik-Kommentar, wo er verschiedene Bedeutungen von g i s sen' unterscheidet. Im strengsten Sinn ist Wissen nichts anderes als die evidente Kenntnis von notwendig Wahrem, die durch die evidente Kenntnis von notwendigen Prämissen erzeugt werden kann 6 . Das notwendig Wahre ist also ein notwendiger, korrekter Schlußsatz in einem Syllogismus. Entscheidend ist nun, daß jede evidente Kenntnis durch eine unkomplexe Kenntnis der Termini bewirkt wird 7 . Und die Kenntnis der Termini setzt eine Kenntnis der bezeichneten Gegenstände voraus, denn der Intellekt kann nur dann einen Satz erfassen und einem Satz zustimmen, wenn er zuvor das singulär Seiende erfaßt, auf das sich die einzelnen Termini des Satzes beziehen8. Die evidente Kenntnis von notwendigen Prämissen beruht also letztlich auf dem Erfassen des singulär Seienden, so daß , wissen' im Sinn von , Seiendes wissen' zu verstehen ist. Besonders bemerkenswert ist hier die Ambiguität des Begriffs ,wahr'. Wenn ,Wahres wissen' äquivalent mit , Seiendes wissen' verwendet wird, 2 3 4 5 6

7

8

Anal. Post. I, 2 ( 7 1 b l 9 - 2 2 ) (Übers. Seidl). Ibid. 71b25 —26. Vgl. Tract, de praedestinatione, q. 1 (OP II, 518). Vgl. In I Sent., d. 39, q.u. (OT IV, 589). In Phjs., prol. (OP IV, 6): „Quarto modo dicitur scientia notitia evidens veri necessarii nata causari ex notitia evidenti praemissarum necessariarum applicatarum per discursum syllogisticum." In I Sent., prol., q. 1 (OT I, 5): „... notitia evidens est cognitio alicuius veri complexi, ex notitia terminorum incomplexa immediate vel mediate nata sufficienter causari." In I Sent., prol., q. 1 (OT I, 21): „... intellectus nullam propositionem potest formare, nec per consequens apprehendere, nisi primo intelligat singularia, id est incomplexa." Das Verstehen von Singulärem darf allerdings nicht mit dem unmittelbaren Wahrnehmen singulärer Gegenstände gleichgesetzt werden. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3.3.2.

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Was heißt ,wahr'?

hat ,wahr' eine ontologische Bedeutung: Wahres ist wirklich Existierendes. Diese These der Konvertibilität von ,wahr' und ,seiend' geht einerseits auf Metaphysik IX, 10 zurück, wo Aristoteles festhält, daß auch beim nicht zusammengesetzten, singulär Seienden von Wahr und Falsch gesprochen werden kann. In diesem Falle wird mit dem Ausdruck ,wahr' nicht etwas vom Seienden ausgesagt, sondern das Seiende selbst wird gleichsam berührt 9 . Andererseits stützt sich die ontologische Interpretation auf Augustin, der explizit behauptet, das Wahre scheine nichts anderes zu sein als das, was ist 10 . Wenn ,Wahres wissen' gleichbedeutend mit ,wahre Prämissen wissen' gebraucht wird, liegt eine logische Bedeutung vor: Wahres ist das in einem logischen Schluß bzw. in seinen Prämissen Ausgesagte. Freilich bleibt damit noch unbestimmt, was genau das Wahre an den wahren Prämissen ist: die Prämissen selbst als bloße Sätze, die den Sätzen korrespondierenden Begriffe oder die durch die Sätze bezeichneten Dinge und Sachverhalte? Ein zweiter Wahrheitsbegriff knüpft an die Einleitungskapitel der Metaphysik an, wo die Metaphysik als die erste und höchste Wissenschaft bestimmt wird, weil sie nach dem im höchsten Sinn Erkennbaren, nämlich nach den ersten Prinzipien und Ursachen, sucht 11 . Im Anschluß an diese Definition fragen zahlreiche mittelalterliche Autoren, ζ. B. Buridan 12 : Ist die erste und höchste Wissenschaft auch jene, die am meisten Gewißheit vermittelt 13 ? Diese Frage läßt sich erst beantworten, wenn geklärt ist, was unter Gewißheit zu verstehen ist. Buridan hält deshalb fest: „Erstens ist zu bemerken, daß für jede Gewißheit Wahrheit erforderlich ist." 14 Diese Bestimmung bedarf einer Erläuterung. Buridan behauptet, daß eine „Gewißheit der Wahrheit" in fünf verschiedenen Hinsichten bestimmt werden kann 15 : (i) hinsichtlich der Beständigkeit und Unveränderlichkeit der untersuchten Dinge {propter earum firmitatem et immutabilitatem); (ii) hinsichtlich der geringen Zahl von Zweifeln in bezug auf den Untersuchungsgegenstand (circa suum scibile pauciores relinquere dubitationes)·, (iii) hinsichtlich 9 10 11 12

13

14 15

Vgl. Met. IX, 10 (1051bl7—25). Vgl. Sotiloquia, lib. II, V 8 (CSEL 89, 56): „nam verum mihi videtur esse id quod est." Vgl. Met. I, 2 (982a30-b2). Vgl. zum wissenschaftstheoretischen Kontext der Metaphysik-Diskussion Zimmermann 1965, zu Buridan explizit 3 3 9 - 3 5 1 . Vgl. Buridan, In Met. I, q. 3 (fol. 4rb): „Utrum metaphysica sit omnium scientiarum certissima." Ibid. fol. 4va: „Notandum est primo quod ad omnem certitudinem requiritur veritas." Vgl. Ibid. fol. 4va: „Deinde notandum est quod certitudo veritatis potest dici quinque modis prout spectat ad presens."

Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles

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der Evidenz der Prinzipien (ex evidentia principiorum)·. (iv) hinsichtlich der evidenten Beweisart (ex evidenti modo demonstrandi)·, (v) hinsichtlich der Leichtigkeit, mit der Wissen gewonnen wird (ex facilitate'). Die wissenschaftstheoretische Bedeutung dieser fünf Aspekte soll hier nicht eingehender untersucht werden. Es gilt nur festzuhalten, daß man hier kaum von einem eigentlichen Wahrheitsbegriff sprechen kann. Wahrheit' wird nicht mit einer selbständigen Bedeutung, sondern eher als Verstärkung von .Gewißheit' verwendet. Die Hauptfrage lautet nämlich: Wie wird in einer Wissenschaft Gewißheit vom Untersuchungsgegenstand erworben? Darunter wird implizit verstanden: Wie wird in einer Wissenschaft ein sicheres Wissen darüber erworben, daß es sich so verhält, wie die wissenschaftlichen Sätze die untersuchten Sachverhalte beschreiben? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, um was für Sachverhalte es sich handelt (ζ. B. um beständige und unveränderliche) und mit Hilfe welcher Prinzipien die wissenschaftlichen Sätze formuliert werden (ζ. B. mit Hilfe evidenter Prinzipien). Entscheidend ist aber, daß unter der Gewißheit der Wahrheit stets der Grad an Übereinstimmung zwischen den wissenschaftlichen Sätzen und dem durch die Wissenschaft Untersuchten verstanden wird. Ein dritter Wahrheitsbegriff knüpft an die aristotelische Bestimmung von Wahrheit im engeren Sinn an, nämlich an die sogenannte Korrespondenztheorie der Wahrheit. Als Autoritätsargument wurde im Mittelalter meistens folgende klassische Stelle zitiert: „to men gar legein to on me einai e to me on einai pseudos, to de to on einai kai to me on me einai alethes." 16

Bereits die sprachliche Formulierung dieser knappen Definition wirft verschiedene Probleme auf. Die für die mittelalterlichen Autoren maßgebende Übersetzung lautet: „Dicere namque ens non esse aut non ens esse falsum est, et ens esse et non ens non esse verum est." 17

Hier stellen sich mindestens zwei Fragen: (a) Was ist unter einem ens und non-ens zu verstehen — Seiendes bzw. Nicht-Seiendes als Gegenstand oder als Sachverhalt? Bereits ein Übersetzungsversuch verdeutlicht dieses Problem. Bonitz und Seidl übersetzen (ausgehend vom griechischen Original): 16 17

Met. IV, 7 (1011b26—27). Aristoteles latinus X X V 2, 80.

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Was heißt ,wahr'? „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr." 1 8

Tugendhat hingegen, der die gegenstandstheoretische Konnotation von „das Seiende" bzw. „das Nicht-Seiende" zu vermeiden versucht, gibt diese Stelle folgendermaßen wieder: „Denn zu sagen, daß, was der Fall ist, nicht der Fall ist, oder daß, was nicht der Fall ist, der Fall ist, ist falsch: daß aber das, was der Fall ist, der Fall ist und das, was nicht der Fall ist, nicht der Fall ist, wahr." 1 9

Hier soll nicht die Korrektheit der Übersetzung in philologischer Hinsicht diskutiert werden, da die mittelalterlichen Autoren ohnehin nicht den griechischen Text als Vorlage benutzten. Entscheidend ist vielmehr die Problemstellung: Sowohl in der griechischen wie in der lateinischen Formulierung bleibt ungeklärt, was unter dem on bzw. ens zu verstehen ist. Wie sich noch zeigen wird, gewinnt gerade dieses ungelöste Problem in den Diskussionen des 14. Jahrhunderts an zentraler Bedeutung. Es weist nämlich auf die ontologischen Implikationen der korrespondenztheoretischen Wahrheitsdefinition hin. Die Grundfrage lautet: Worauf beziehen sich wahre Reden oder Sätze — auf Dinge, auf extramentale Sachverhalte oder auf bloß begrifflich erfaßte Sachverhalte 20 ? (b) Schwierigkeiten bereitet auch das Verständnis des Ausdrucks ,legein' (,dicere'). Bereits bei Aristoteles finden sich mindestens zwei Interpretationsansätze. Zunächst kann darunter ein mentales Reden, d. h. ein Denkakt, verstanden werden, so daß gilt: „Denn das Falsche und das Wahre liegt nicht in den Dingen, so daß etwa das Gute wahr und das Böse sogleich falsch wären, sondern im Denken." 21 Dieses Denken ist stets ein begriffliches Zusammensetzen oder Trennen, „so daß der die Wahrheit sagt, der vom Getrennten urteilt, es sei getrennt, von dem Zusammengesetzten, es sei zusammengesetzt, der dagegen im Irrtum ist, welcher anders denkt, als die Dinge sich verhalten." 22 Zudem kann unter legein das Formulieren von vollständigen Sätzen im Gegensatz zu bloßen Wörtern verstanden werden, so daß gilt: „Denn Falschheit und Wahrheit ist an Verbindung und Trennung der Vorstellun18 19 20 21 22

Bonitz/Seidl 1980, 171. Tugendhat 1976, 249. Vgl. zu dieser Problemstellung de Rijk 1987c, 3 3 - 3 9 . Met. VI, 4 (1027b25 —27) (Übers. Bonitz/Seidl). Met. IX, 10 (1051b3 —5) (Übers. Bonitz/Seidl).

Wahrheitsbegriffe im Anschluß an Aristoteles

33

gen geknüpft. Die Nomina und Verba für sich allein gleichen nun dem Gedanken ohne Verbindung und Trennung." 23 Die beiden Erklärungen sind eng miteinander verknüpft: Wenn jener wahr redet, der vom Zusammengesetzten sagt, daß es zusammengesetzt ist bzw. vom Getrennten, daß es getrennt ist, und wenn das Zusammensetzen und Trennen nur im mentalen und verbalen Verbinden und Trennen von einzelnen Wörtern bestehen kann, folgt, daß ,wahr reden' nichts anderes bedeutet, als beim Reden über die zusammengesetzten oder getrennten Dinge in adäquater Weise, d. h. durch mentale und verbale Wortzusammensetzung und -trennung, Sätze zu bilden. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies: ,Wahr reden' heißt, mit Hilfe von mental gebildeten Sätzen genau so über die Dinge reden, wie sie sind. Bei diesem scheinbar einfachen Verständnis der Korrespondenztheorie setzen die Autoren des 14. Jahrhunderts an. Dabei knüpfen sie einerseits an den aristotelischen Ansatz an, andererseits an die umgangssprachliche Definition von Wahrheit. Buridan verdeutlicht dieses Vorgehen, indem er zu Beginn des Kapitels über die Wahrheitsbedingungen von kategorischen Sätzen feststellt: „Folgendes wird aufgrund der umgangssprachlichen Redewendung allgemein zugestanden und gemeint: Wenn es uns scheint, jemand habe wahr geredet, behaupten wir, daß es so ist, wie er gesagt hat. Wenn es uns aber scheint, er habe falsch geredet, behaupten wir, daß es nicht so ist, wie er gesagt hat. Und deswegen hält Aristoteles im fünften und sechsten Buch der Metaphysik fest, daß gemäß einer Bedeutung von ,seiend' und ,nicht seiend' ,seiend' bezeichnet, was wahr ist, und ,nicht seiend', was falsch ist. Offensichtlich können keine anderen Ursachen für die Wahrheit und Falschheit von Sätzen angegeben werden." 24 Es gilt nun erstens zu prüfen, wie dieser weit gefaßte, noch ungenaue propositionale Wahrheitsbegriff auf dem Hintergrund der Satz- und Bedeutungstheorien im Detail zu verstehen ist. Zweitens ist abzuklären, in welchem Verhältnis dieser Wahrheitsbegriff zu den vorher skizzierten steht. Liegt hier ein äquivoker Gebrauch von ,wahr' vor, oder umfaßt der

23 24

De int., 1 (16al2 —14) (Übers. Rolfes). Buridan, Sophismata, 2 (Scott 1977, 36): „Hoc communiter conceditur et persuadetur hoc per vulgarem locutionem, cum enim apparet nobis aliquem vere dixisse, dicimus quod ita est sicut ipse dixit. Sed si apparet nobis quod dixit false, dicimus quod non ita est sicut ipse dixit. Et ob hoc Aristoteles quinto et sexto Metapbysicae dicit quod in una significatione entis et non entis, ens significat quod verum est et non ens significat quod falsum est. Nec apparet quod aliae causae veritatis et falsitatis propositionum possent assignari."

34

Was heißt .wahr'?

propositionale Wahrheitsbegriff auch den wissenschaftstheoretischen (,Wahres wissen' als ,das Wirkliche wissen' in einem ontologischen Sinn und ,die wahren Prämissen wissen' in einem ausschließlich logischen Sinn) und den epistemologisch-metaphysischen Wahrheitsbegriff (,wahr' als verstärkendes Moment zur Kennzeichnung der Gewißheit von Wissen)? Drittens schließlich ist der spezifischen Verwendung und Bedeutung von .seiend' besondere Beachtung zu schenken. Ist Seiendes als ein singulärer Gegenstand oder als das, was der Fall ist, zu verstehen?

1.2 Die Definition des propositionalen

Wahrheitsbegriffs

Bereits die Bestimmung des Kontextes, in dem Ockham, Buridan u. a. die Wahrheitsfrage erörtern, ist für ein Verständnis des Wahrheitsbegriffs entscheidend. Diese Autoren beschränken sich auf den Rahmen der Logik: Es ist die erste und wichtigste Aufgabe der Logik, zwischen Wahrem und Falschem zu unterscheiden 25 . Diese These ist freilich keine Novität des 14. Jahrhunderts. Sie geht auf Aristoteles zurück und ist spätestens seit Abaelard ein Topos der mittelalterlichen Logik 26 . Die Logik erreicht ihr Ziel durch die Analyse von Sätzen und Satzverknüpfungen. Indem sie ein methodisches Verfahren entwickelt, um von den ersten, notwendigen Sätzen in geordneter Reihenfolge Folgesätze abzuleiten, gibt sie eine Anleitung zur Bestimmung dessen, was wahr ist 27 . Was ist nun das Wahre oder Falsche an den Sätzen? Ockham unterscheidet im Hinblick auf gesprochene und geschriebene Sätze zwei Bedeutungen von ,wahr'. (a) „Auf eine Weise wird jenes das Wahre genannt, dem genau im Geist Wahres entspricht." 28 In diesem Sinn ist das Wahre dasjenige, das 25

26

27

28

Vgl. Ockham, Prooem. in libr. artis logicae (OP II, 3); Buridan, Comp, totius logicae, tract. I (Venedig 1499, fol. lva-lvb). Vgl. Dialectics tract. I, vol. I, üb. III (de Rijk 1970, 121). Zu Funktion und Aufgabe der Logik gemäß Abaelard vgl. ibid. XXIII-XXVIII und Beonio-Brocchieri Fumagalli 1969, 1 3 - 2 7 . Prooem. in libr. artis logicae (OP II, 6): „Nam ista scientia perfecte habita, faciliter iudicatur quid verum et quid falsum, et hoc quantum ad ilia quae per propositiones per se notas possunt sciri. Cum enim in talibus non oporteat nisi ordinate procedere a propositionibus per se notis ad ultima quae consequuntur ex eis, et talem discursum et processum docet logica, sequitur quod per eam faciliter in talibus verum invenitur, et eadem ratione faciliter verum a falso discernitur." In Periherm. I, 6 (OP II, 413): „Uno modo dicitur verum illud cui praecise in mente correspondet verum."

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

35

ein wahres mentales Korrelat besitzt. An einem Beispiel verdeutlicht heißt dies: Das Wahre ,Sokrates sitzt' hat das aus mentalen Termini bestehende Korrelat ,Sokrates sitzt'. Diese These ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Erstens betont sie die notwendige Beziehung zwischen einem gesprochenen oder geschriebenen Satz und etwas Mentalem, wie auch immer die Struktur dieses Mentalen verstanden wird. Kein Satz ist als bloße Ansammlung von Lauten oder Schriftzeichen wahr. Er muß stets von jemandem aktuell gedacht werden. Somit ist ein Satz, der irgendwo in einem Buch steht und von niemandem gelesen und gedacht wird, im strengen Sinn weder wahr noch falsch. Wahrheitsfähig wird er erst in dem Moment, in dem er ein mentales Korrelat hat. Wie sich noch zeigen wird 29 , wurde dieser Grundgedanke von einigen Nachfolgern Ockhams radikalisiert. Gemäß Robert Holcot gibt es genau so viele wahre Sätze, wie wahre mentale Sätze existieren. Da zu jedem Zeitpunkt aber unterschiedlich viele mentale Akte erfolgen und somit auch unterschiedlich viele mentale Sätze existieren, gibt es nie gleich viele wahre Sätze. Zweitens fällt auf, daß nicht explizit ein extramentales Korrelat für das Wahre erwähnt wird. Man könnte daher vermuten, daß es beispielsweise für die Wahrheit von ,Sokrates sitzt' unwesentlich ist, ob Sokrates wirklich sitzt oder nicht, solange das mentale Korrelat besteht. Diese Schlußfolgerung ist freilich absurd; sie beruht auf einem ungenauen Verständnis dessen, was ein verum in mente ist. Im Anschluß an Aristoteles 30 hält Ockham nämlich fest, daß Begriffe und Vorstellungen Seeleneindrücke (passiones animae) sind, die von Sinneswahrnehmungen hervorgerufen werden 31 . Jeder Begriff wird entweder direkt aufgrund der Wahrnehmung gebildet oder indirekt aufgrund einer Überlegung. Und die ersten Prämissen einer Überlegung werden — mit Ausnahme der analytischen Grundprinzipien — durch direkte Wahrnehmung gewonnen. Abgesehen von Sinnestäuschungen ist es also unmöglich, den Gedanken zu fassen, daß Sokrates sitzt, ohne wahrzunehmen, daß Sokrates wirklich sitzt. In diesem Sinn vertritt Ockham ausdrücklich einen direkten Erkenntnisrealismus: Jedem mentalen Begriff muß eine evidente Kenntnis von wirklich Existierendem entsprechen 32 .

29 30 31 32

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kapitel 3.1. De int., 1 (16a6-8). In Periherm., prooem. (OP II, 347) und Summa Logicae I, 1 (OP I, 7 - 8 ) . zu diesem erkenntnistheoretischen Grundsatz ausführlich Kapitel 3.4.

36

Was heißt ,wahr'?

(b) „Auf eine andere Weise wird unter dem wahren Gesprochenen oder Geschriebenen all jenes verstanden, dem ein wahrer Satz im Geist entspricht, mag ihm auch Falsches bzw. anderes Wahres entsprechen oder nicht." 33 In diesem Sinn kann dem Wahren etwas falsches Mentales entsprechen. Ockham betont freilich, daß dieses Verständnis von ,wahr' auf die Sophistischen Widerlegungen34 zurückgeht, nämlich auf die Untersuchung über die Amphibolien, die gerade dadurch entstehen, daß der (gesprochene, geschriebene oder mentale) Satz nur in seinem wörtlichen Sinn, nicht aber in seiner Relation zum bezeichneten Sachverhalt verstanden wird. Erst wenn diese Relation berücksichtigt wird, kann der Wahrheitswert des Satzes ermittelt werden 35 . Deshalb ist das sophistische Verständnis von ,wahr' ungenügend. Die Trugschlüsse, die entstehen, verdeutlichen vielmehr, daß ,wahr' immer auch im Hinblick auf das, was extramental durch den Satz bezeichnet wird, definiert werden muß. Diese Korrelation von Satz und extramental Bezeichnetem thematisiert Ockham im Kategorien- und im Perihermeneias- Kommentar1**. Der wahre gesprochene und mentale Satz ist deshalb wahr, weil er etwas genau so bezeichnet, wie es ist. Doch dieses So-sein (sic esse) der Dinge ist kein Teil des Satzes. „Wahrheit und Falschheit sind keine Dinge, die dem Reden und Meinen inhärieren, so wie die Weißheit und die Schwarzheit Dinge sind, die einem Körper inhärieren, und wie die Wärme und die Kälte einem Körper inhärieren." 37 Wenn ζ. B. Sokrates aufsteht, wird der Satz ,Sokrates sitzt' falsch, und dennoch bleibt der Satz als Satz unverändert, da die Handlung des Aufstehens dem Satz nicht inhäriert. Wahrsein ist im strengen Sinn also keine Eigenschaft eines Satzes. Eine Eigenschaft ist nämlich das spezifische Wie-sein (quale esse) eines Gegenstandes. In Anlehnung an Aristoteles unterscheidet Ockham vier Arten von Eigenschaften 38 : (i) Habitus und Disposition, (ii) natürliches Vermögen, (iii) passive Qualitäten, (iv) Figur und Form. Jede Eigenschaft ist die spezifische Bestimmung einer Substanz. Da ein Satz keine Substanz 33

34 35 36 37

38

In Periherm. I, 6 (OP II, 413): „Aliter aeeipitur verum prolatum vel scriptum pro omni illo cui correspondet aliqua vera propositio in mente sive etiam sibi correspondeat falsum vel aliud verum sive non." Vgl. Soph. El., 4 (166al4—21). Vgl. Exp. super libr. Elench. I, 3 (OP III, 31 - 4 1 ) . Vgl. In Praedicam., 9 (OP II, 201) und In Periherm., prooem. (OP II, 376). In Praedicam., 9 (OP II, 201): „... Veritas et falsitas non sunt aliquae res orationi et opinioni inhaerentes, sicut albedo et nigredo sunt res inhaerentes corpori et sicut calor et frigus inhaerent corpori." Vgl. In Praedicam., 14 (OP II, 268-288).

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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im strengen Sinn ist (abgesehen von der materiellen Substanz der Laute oder Schriftzeichen), kann er auch keine Eigenschaft im strengen Sinn besitzen. Dennoch wird Wahrsein von einem Satz ausgesagt und muß deshalb in einer bestimmten Relation zum Satz stehen. Buridan nennt deshalb das Wahrsein die passio eines Satzes. Darunter darf allerdings nicht die dritte Art von Eigenschaft verstanden werden, denn eine passio im strengen Sinn kann ausschließlich einer Substanz inhärieren, und sie muß entweder mit einem der fünf Sinne (ζ. B. Kälte, Weiße, Bitterkeit) oder durch innere Wahrnehmung (ζ. B. Zorn, Freude, Angst) erkennbar sein 39 . Die passio eines Satzes hingegen ist in keiner Weise wahrnehmbar, sondern vielmehr ein semantisches Merkmal. „Es ist das eigentliche Merkmal des Satzes, daß er wahr oder falsch ist. Jeder Satz ist nämlich wahr oder falsch, und alles Wahre oder Falsche ist ein Satz." 40 Ockham vermeidet sogar diese weit gefaßte Bestimmung. Er verzichtet vollständig auf den Ausdruck ,passio', um eine allfällige Analogie zwischen ontischer Eigenschaft und semantischem Merkmal zu vermeiden; die Wahrheit inhäriert in keiner Weise dem Satz, wie die Eigenschaft einer Substanz innewohnt. Deshalb formuliert Ockham folgende Definition: ( D ^ „Was sind also Wahrheit und Falschheit? Ich behaupte: Aristoteles würde sagen, daß Wahrheit und Falschheit keine v o n einem wahren oder falschen Satz wirklich verschiedenen Dinge sind. Wenn die Abstrakta ,Wahrheit' und ,Falschheit' keine Synkategoremata oder entsprechende Ausdrücke enthalten, muß man deshalb zugestehen: Wahrheit ist ein wahrer Satz, und Falschheit ist ein falscher Satz." 41

Diese These verdient trotz ihrer Klarheit eine genauere Betrachtung. Erstens ist zu fragen, ob Ockham hier wirklich nur, wie er vorgibt, die Meinung des philosophus referiert, (i) Aristoteles behauptet lediglich, daß „zu sagen..." wahr ist und daß dieses Sagen immer in Form von Begriffsverknüpfungen und -teilungen erfolgt. Er hält aber nicht ausdrücklich fest, daß genau jenes Sagen, das die Struktur einer propositio aufweist, wahr 39 40

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Vgl. Buridan, Quaest. in Praedicam., q. 16 (Schneider 1983, 1 2 1 - 1 2 3 ) . Tract, de supp. I (Reina 1957, 182): „... propositionis propria passio est esse veram vel falsam. Omnis enim propositio est vera vel falsa et omne verum vel falsum est propositio." Vgl. ausführlicher Sophismata, 2 (Scott 1977, 3 6 - 4 7 ) . Summa Logicae I, 43 (OP I, 131): „Quid igitur est veritas et falsitas? Dico quod Aristoteles diceret quod veritas et falsitas non sunt res distinctae realiter a propositione vera vel falsa. Et ideo nisi ista abstracta .veritas' et ,falsitas' includant aliqua syncategoremata vel aliquas dictiones aequivalentes, haec est concedenda ,veritas est propositio vera et falsitas est propositio falsa'."

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Was heißt ,wahr'P

sein kann. Er bestimmt in viel allgemeinerer Weise die oratio enuntiativa als 42 Träger von Wahrheit und Falschheit , (ii) Zudem läßt Ockham offensichtlich die Bestimmung des Aristoteles außer acht, daß Wahrheit und Falschheit nur im Denken sind 43 . Er interpretiert an dieser Stelle ,legem' (,dicere') ausschließlich in einem sprachlichen Sinn, indem er das Sagen mit dem sprachlichen Produkt selbst, dem Satz, identifiziert, (iii) Des weiteren macht Ockham von der Unterscheidung zwischen kategorematischen und synkategorematischen Termini Gebrauch, die Aristoteles fremd war und auf Priscian zurückgeht 44 . Kategorematische Termini haben eine selbständige, unveränderliche Bezeichnung. Synkategorematische Termini hingegen sind entweder logische Funktoren (//', ,aut\ ,omnis' usw.) oder temporale Bestimmungen ( j n c i p i t 1 , ,desinif usw.), die nur in Verbindung mit 45 kategorematischen Termini bezeichnen , (iv) Schließlich ist zu bemerken, daß in Ockhams Definition ein expliziter Bezug auf das Seiende oder Nicht-Seiende fehlt. Es bleibt noch ungeklärt, in welcher Weise ein wahrer Satz mit den Gegenständen oder mit dem, was der Fall ist, verknüpft ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Ockham zwar eng an Aristoteles anknüpft, dessen Wahrheitsdefinition aber nicht bloß wiederholt. Er beharrt ausschließlich auf dem propositionalen Aspekt der vielschichtigen Vorlage: Nur in bezug auf einen wahren Satz ist es sinnvoll, von Wahrheit zu sprechen. Zweitens fällt auf, daß die Definition offensichtlich zirkulär ist. Das Definiendum ,Wahrheit' erscheint im Definiens, wenn auch in anderer syntaktischer Verwendung, nämlich als Adjektiv ,wahr'. Diese Tatsache läßt sich in verschiedener Hinsicht interpretieren. Einerseits könnte sie als Indiz dafür gelesen werden, daß es sich hier gar nicht um eine Definition im strengen Sinn, sondern lediglich um eine Umschreibung des Begriffs ,Wahrheit' handelt. Als Logiker erkennt Ockham die Zirkularität und will gerade damit verdeutlichen, daß ,Wahrheit' bloß paraphrasiert werden kann. Gemäß dieser Interpretation befände sich Ockham nicht nur in Gesellschaft mit modernen Logikern (ζ. B. Frege 46 ), die ,Wahrheit' als

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De int., 4 (17al—4), Aristoteles latinus II 1—2, 8: „Est autem oratio omnis quidem significativa non sicut instrumentum, sed (quemadmodum dictum est) secundum placitum; enuntiativa vero non omnis, sed in qua verum vel falsum inest." Vgl. oben Anm. 21. Vgl. Institutionum Grammaticarum lib. II, 4, n. 15 (Hertz 1855, 66); zur Begriffsgeschichte Maierü 1972, 2 2 4 - 2 3 2 . Vgl. Summa Logicae I, 4 (OP I, 1 5 - 1 6 ) ; Diskussion in Adams 1987, 3 1 7 - 3 1 9 . Vgl. den 7. Kernsatz zur Logik in Frege 1978, 23.

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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undefinierbar erachten. Bereits einige seiner Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolger (ζ. B. Wilhelm Heytesbury) stellten die Definierbarkeit von ,Wahrheit' durch ,wahrer Satz' in Frage. In einer solchen Definition wird lediglich ein unbestimmter Ausdruck durch einen noch unbestimmteren ersetzt. Was Wahrheit oder ein wahrer Satz ist, kann nur definiert werden, wenn die semantische Relation zwischen dem Satz und dem durch den Satz Bezeichneten erklärt wird. Genau diese Erklärung fehlt aber bislang in Ockhams Definition, wie oben in Bemerkung (iv) festgehalten wurde. Heytesbury behauptet deshalb: Da die Rede von wahren Sätzen immer voraussetzt, daß eine Relation zwischen den Sätzen und dem bezeichneten Seienden besteht, muß man bereits wissen, daß man sich auf ein bestimmtes Sich-Verhalten oder ein Irgendwie-sein (aliqualiter esse) des Seienden bezieht, wenn man einen wahren Satz bildet. Heytesbury bestreitet jedoch, daß ein solches aliqualiter esse existiert; nur singuläre Gegenstände existieren. Man kann jedoch nicht sagen, ein Gegenstand sei wahr; also ist ,wahr' streng gesprochen undefinierbar: „So gibt es tatsächlich keine Definition des wahren Satzes, denn uns werden keine Termini oder Begriffe bekannt, durch die wir eine Definition des wahren Satzes gewinnen könnten. Der Grund dafür ist, daß alle Begriffe, die uns bekannt werden, eine Definition bilden, die ein Irgendwie-sein einschließt; und ein Irgendwie, wie es ein Satz bezeichnet, gibt es nicht." 47 Heytesburys Kritik verdeutlicht, daß Ockhams Wahrheitsdefinition erst dann befriedigend ist, wenn sie auch erklärt, worauf sich der wahre Satz bezieht, d. h. wenn sie expliziert, was unter dem bezeichneten ens oder aliqualiter esse zu verstehen ist. Andererseits könnte die These im Sinn der Redundanztheorie verstanden werden: Wahrheit fügt weder dem Sachverhalt noch dem Satz etwas hinzu, sondern ist bereits im Behauptungsmodus des Satzes enthalten. Beispiel: ,Es ist wahr, daß es schneit' heißt nichts anderes als ,Es schneit' im Sinn von ,Es schneit tatsächlich/wirklich'. Man könnte sogar behaupten, daß Ockham gerade in der Betonung des Redundanzcharakters einen wichtigen Aspekt der aristotelischen Vorlage hervorhebt, der von

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De veritate et falsitate propositionis, zitiert nach Maieru 1966, 55: „Ita verum non est aliqua diffinitio propositionis verae, quia non innotescunt nobis aliqui termini vel conceptus per quos poterit haberi diffinitio propositionis verae. Et causa est: quia quilibet conceptus qui innotescunt nobis constituunt diffinitionem includentem aliqualiter esse: et non est aliqualiter sicut aliqua propositio significat."

40

Was heißt ,wahr'?

früheren Aristoteles-Interpreten vernachlässigt worden ist 48 . Auch diese Erklärung ist allerdings unbefriedigend, da nach wie vor ungeklärt bleibt, was darunter zu verstehen ist, daß es sich tatsächlich so verhält, wie der Satz aussagt. Hier wird lediglich der Terminus ,wahr' durch .tatsächlich' ersetzt, ohne daß der Zusammenhang zwischen dem wahren Satz und dem tatsächlich Seienden geklärt wird. Beide Interpretationsansätze besitzen für die zitierte Wahrheitsdefinition in der Summa Logicae Plausibilität. Sie verdeutlichen aber auch, daß diese Definition noch erklärungsbedürftig bleibt. Ockham gibt im Kategorien- und im Peribermeneias-Kommentar eine erweiterte Definition, die einige der aufgeworfenen Probleme berücksichtigt 49 . In diesen Schriften hält Ockham fest: ( D 2 ) „ A b e r ,wahr' und ,falsch' sind von einer Rede aussagbar und konnotieren etwas seitens der Sache. Daher wird eine Rede wahr genannt, weil sie das Sosein seitens der Sache be2eichnet, wie es ist. Und deshalb wird eine Rede ohne jede Veränderung seitens der Rede zuerst wahr und dann falsch genannt, weil sie zuerst so bezeichnet, wie es sich seitens der Sache verhält, und dann aufgrund der Veränderung der Sache so bezeichnet, wie es sich seitens der Sache nicht verhält." 5 0

Die Ausdrücke ,wahr' und ,falsch' sind also in gewisser Weise definierbar, nämlich als praedicabilia de oratione, und sie haben als connotantia aliquid α parte rei eine bestimmte Funktion. Diese Definition ist gegenüber (Dj) nicht nur expliziter, sondern auch näher an der aristotelischen Vorlage. Sie berücksichtigt nämlich erstens mit dem Sachbezug α parte rei den ontologischen Aspekt und schränkt zweitens dicere nicht auf den Satz ein, sondern schließt jede Form von Rede ein. Bei näherer Betrachtung wirft sie jedoch verschiedene Fragen auf. 48

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Es ist kein Anachronismus, bereits bei Aristoteles von Ansätzen einer Redundanztheorie zu sprechen. Tugendhat betont, die aristotelische Definition erweise sich zunächst „als identisch mit der Redundanztheorie: eine Aussage, daß etwas der Fall ist, ist wahr, wenn es der Fall ist." (Tugendhat 1976, 250) Hier kann allerdings nicht von einer werkimmanenten Entwicklung gesprochen werden, da sowohl die Aristoteles-Kommentare als auch die Summa Logicae in der Londoner Zeit (1321—23) entstanden sind. In Praedicam., 9 (OP II, 201): „Sed verum et falsum sunt quaedam praedicabilia de oratione, connotantia aliquid a parte rei. Unde oratio dicitur vera quia significat sic esse a parte rei sicut est, et ideo sine omni mutatione a parte orationis, ex hoc ipso quod primo significat sicut est a parte rei, et postea, propter mutationem rei, significat sicut non est a parte rei, dicitur oratio primo vera et postea falsa." Ahnlich In Pertherm., prooem. (OP II, 376); Quodl. VI, q. 29 (OT I X , 697).

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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Zunächst gilt es zu untersuchen, was unter der Bestimmung praedicabilia genau zu verstehen ist. Hier ist nur das Prädikabilien-Problem im Hinblick auf die logische Prädikation relevant51. Die praedicabilia sind demnach alles sprachlich Prädizierbare, d. h. alles, was in der Prädikationsformel ,a ist F für ,F eingesetzt werden kann 52 . Nun stellt sich das Problem, daß das Prädikat ,wahr' nicht von einem isolierten Terminus ,a', sondern von einer ganzen oratio ausgesagt wird. Eine Rede umfaßt aber stets mindestens ein Subjekt und ein Prädikat53. Wie kann also das Prädikat .wahr4 von ,a ist F ausgesagt werden? Ockham geht in der Definition des Terminus auf dieses Problem ein54. Unter .Terminus' können erstens Subjekt und Prädikat eines Satzes, zweitens jeder beliebige Teil eines Satzes und drittens ein ganzer Satz verstanden werden. Die dritte Verwendung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung; sie wird mit folgendem Beispiel begründet: „[Der Satz] „,Der Mensch ist ein Lebewesen' ist ein wahrer Satz" ist wahr. Hier ist der ganze Satz ,Der Mensch ist ein Lebewesen' Subjekt, und ,ein wahrer Satz' ist Prädikat." 55 Aus dieser Erklärung geht hervor, daß es nicht nur Prädikate gibt, die von einem einfachen Terminus ,a' ausgesagt werden können, sondern auch Prädikate, die von einem ganzen Satz ,a ist F, der an Subjektstelle steht, ausgesagt werden. Das Prädikat ,wahr' gehört offensichtlich zur zweiten Klasse von Prädikaten. Ockham belegt diesen Unterschied zwischen zwei Klassen von Prädikaten nur mit einem Beispiel, ohne eine terminologische Differenzierung einzuführen. Ich werde im folgenden aber folgende Unterscheidung verwenden, um eine begriffliche Klarheit zu schaffen: Wird ein Prädikat von einem einfachen Terminus ,a ausgesagt, handelt es sich um ein Prädikat ersten Grades. Wird ein Prädikat (in diesem Zusammenhang: ,wahr') von einem komplexen Terminus ,a ist F ausgesagt, der seinerseits ein Prädikat aufweist, handelt es sich um ein Prädikat zweiten Grades. Diese wichtige Unterscheidung bedarf einiger Erläuterungen: 51

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54 55

Wie Bos mit Recht festgestellt hat, darf die logische Prädikation jedoch nicht als die Prädikation schlechthin verstanden werden. Im Senten^enkommentar erörtert Ockham auch die praedicatio rei; vgl. Bos 1987. Vgl. zur Definition von ,praedicatum' Summa Logicae I, 31 (OP I, 93 — 94). Dies gilt in gleicher Weise für die gesprochene, geschriebene und gedachte Rede; vgl. Summa Logicae I, 1 (OP I, 7). Hier verwendet Ockham ,oratio' als synonymen Ausdruck für ,propositio\ Zur genaueren Unterscheidung vgl. Kapitel 2.1. Vgl. Summa Logicae I, 2 (OP I, 9). Summa Logicae I, 2 (OP I, 9): „Haec enim vera est ,homo est animal: est propositio vera', in qua haec tota propositio ,homo est animal' est subiectum, et .propositio vera' est praedicatum."

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Was heißt .wahr'?

Eine terminologische Präzision drängt sich hier erstens auf, weil Boehner durch eine unklare Begriffsverwendung Verwirrung gestiftet hat. In seiner Pionierarbeit zu Ockhams Wahrheitstheorie behauptet er, die Prädikate ,wahr' und ,falsch' seien zweite Intentionen, die von Sätzen (oder von Nomina, die Sätze bezeichnen) prädiziert werden und deshalb nicht von sich selber prädizierbar sind. Darin sieht Boehner die Erklärung der selbstbezüglichen Sätze56. Zunächst ist festzuhalten, daß Ockham die Unterscheidung von erster und zweiter Intention in keiner Weise auf selbstbezügliche Sätze anwendet; Boehners vermeintliche Lösung bezieht sich gar nicht auf das zu lösende Problem57. Noch schwerer wiegt aber die Tatsache, daß Boehners Erklärung in sich bereits falsch ist. ,Wahr' und ,falsch' sind keine zweiten Intentionen, sondern Nomina einer ersten Intention, wie Ockham ausdrücklich festhält58. Sie bezeichnen also eine res und nicht eine andere Intention. Wie läßt sich nun die oben eingeführte Klassifizierung von ,wahr' als Prädikat zweiten Grades mit dieser klaren Aussage vereinbaren? Eine vorläufige Antwort läßt sich nur durch eine kurze Darstellung der Klassifizierung von Nomina gewinnen 59 . Ockham unterteilt alle zeichenhaften, konventionellen Nomina erstens in Nomina erster Einsetzung, die Dinge bezeichnen, und in Nomina zweiter Einsetzung, die Zeichen bezeichnen. Nomina erster Einsetzung sind ζ. Β. ,Tisch' und ,Sokrates', Nomina zweiter Einsetzung sind ,Verb' und ,Substantiv'. Zweitens gliedert Ockham die Nomina erster Einsetzung in Nomina erster Intention und in Nomina zweiter Intention. Nomina erster Intention bezeichnen jene Dinge, die selber keine Zeichen sind; solche Nomina sind ζ. Β. ,Mensch' und ,Lebewesen'. Nomina zweiter Intention hingegen sind entweder zur Bezeichnung von Seelenintentionen eingesetzt, oder sie sind die Seelenintentionen selbst. Auf jeden Fall 54

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Boehner 1958c, 257: „Since the predicates verum and falsum, being second intentions, are predicated about propositions or names of propositions, it follows that they cannot be predicated about themselves or about any proposition in which they are contained without reference to other propositions." Dies hat Spade bereits verdeutlicht; vgl. Spade 1981, 55. Zu Ockhams wirklicher Lösung der Insolubilia vgl. Summa Logicae III-3, 46 (OP I, 744—746); ausführlich dazu Kapitel 4.4. Summa Logicae I, 11 (OP I, 40): „Nomina autem primae intentionis vocantur omnia alia nomina a praedictis, quae videlicet significant aliquas res quae non sunt signa, nec consequentia talia signa, cuiusmodi sunt omnia talia ,homo', .animal', ,Sortes', .Plato', .albedo', ,album', .ens', .verum'..." Vgl. ausführlich Summa Logicae I, 11 (OP I, 38 — 41), die gut kommentierte Übersetzung Imbach 1984, 4 6 - 5 3 , sowie Spade 1981a.

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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bezeichnen sie Dinge, die ihrerseits natürliche Zeichen sind; zu dieser Klasse gehören ζ. B. die Nomina ,Gattung', ,Art', ,Universale'. Diese wichtige Unterteilung der Nomina bedeutet im Hinblick auf das Prädikat ,wahr': Da ,wahr' ein Nomen erster Intention ist, handelt es sich nicht um das Zeichen eines Zeichens. Dieses Prädikat wird vielmehr von einem Satz ausgesagt und bezeichnet auf konnotative Weise Seiendes, genauer gesagt ein aliquid α parte rei. Ockhams Einteilung der Nomina weist auf den ersten Blick jedoch eine Lücke auf. Er nennt konkrete singuläre Termini (ζ. B. ,Sokrates'), konkrete generelle Termini (ζ. B. ,weiß'), abstrakte singuläre Termini (ζ. B. ,Tapferkeit' in ,Tapferkeit ist eine Tugend') und abstrakte generelle Termini (ζ. B. .Tugend' in ,Tapferkeit ist eine Tugend') unterschiedslos Nomina erster Intention, d. h. Nomina, die Dinge und nicht Zeichen bezeichnen. Es ist unmittelbar einsichtig, daß konkrete singuläre Termini singuläre Entitäten bezeichnen 60 . Als problematisch erweist sich jedoch die Bezeichnung der (konkreten oder abstrakten) generellen Termini. Nur aufgrund einer Identitätstheorie der Prädikation, die Ockham an dieser Stelle unerwähnt voraussetzt 61 , kann er behaupten, daß diese Termini nichts anderes als eine singuläre Entität bezeichnen, nämlich genau jene Entität, die auch durch das Subjekt des Satzes bezeichnet wird. Beispiel: In ,Sokrates ist weiß' bezeichnet ,weiß' an erster Stelle ebenso wie ,Sokrates' das Individuum namens Sokrates, und erst an zweiter Stelle bezeichnet es die individuelle Weißheit, die Sokrates inhäriert 62 . Damit bleibt aber immer noch ungeklärt, auf welche Weise das Prädikat ,wahr' irgendein Ding bezeichnet. ,Wahr' bezeichnet ja nicht in unmittelbarer Weise einen Gegenstand, wie das Prädikat ,weiß' den weißen Sokrates bezeichnet. ,Wahr' wird vielmehr von einem ganzen Satz ausgesagt. Zur Klärung dieser Schwierigkeit empfiehlt es sich, die genannte Unterscheidung von Prädikaten ersten und zweiten Grades einzuführen: ,Weiß' ist ein Prädikat ersten Grades in der Prädikation ,a ist F', ,wahr' hingegen ein Prädikat zweiten Grades in der Prädikation „,a ist Fc ist wahr". Da ,wahr' nicht unmittelbar von ,a' prädiziert wird, bezeichnet dieses Prädikat nicht direkt und in gleicher Weise wie ,F' die singuläre Entität a 63 . 60

61 62 63

Von logisch komplexeren Termini, die nicht existierende Entitäten oder Klassen von Entitäten bezeichnen, soll hier abgesehen werden. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2.3. Vgl. Summa Logicae II, 2 (OP I, 2 4 9 - 2 5 0 ) ; ausführlicher dazu Kapitel 2.4. In diesem Sinn kann ich Spade, der in seiner Interpretation eine Unterscheidung von

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Was heißt ,wahr'?

Eine zweite terminologische Präzisierung ist im Hinblick auf die Supposition einer Prädikation vorzunehmen. Nuchelmans hat überzeugend nachgewiesen, daß Ockham in seiner Prädikationstheorie deutlich zwischen einer Prädikation erster Stufe, dem actus exercitus, und einer Prädikation zweiter Stufe, dem actus significatus, unterscheidet 64 . In einem actus exercitus verbindet die Kopula Subjekt und Prädikat miteinander in dem Sinn, daß das Prädikat wirklich, d. h. mit einer persönlichen Supposition, vom Subjekt ausgesagt wird. An einem Beispiel verdeutlicht heißt dies: In ,Der Mensch ist ein Lebewesen' stehen ,Mensch' und ,Lebewesen' für einen individuellen, konkreten Gegenstand. Es muß noch genauer untersucht werden, wie eine solche gleichzeitige Supposition von Subjekt »«(/Prädikat möglich ist 65 . In diesem Zusammenhang gilt es lediglich festzuhalten, daß jedes Prädikat erster Stufe einen individuellen Gegenstand als Referenzobjekt hat. Im actus significatus hingegen werden Subjekt und Prädikat durch Ausdrücke wie ,prädiziert werden' oder ,verifiziert werden' verbunden, so daß diese Termini bloß eine einfache oder materiale Supposition haben. Beispiel: Im Satz ,„Lebewesen' wird von .Mensch' prädiziert" ist nicht von einem konkreten Lebewesen bzw. Menschen die Rede, sondern entweder von den Begriffen, die den Termini .Lebewesen' und ,Mensch' entsprechen (einfache Supposition) oder nur von den Termini selbst (materiale Supposition) 66 . Bereits die doppelte Verwendung von Anführungszeichen (bzw. die Einfügung des Partikels ,/j' im lateinischen Text) verdeutlicht, daß hier nicht eine Aussage über Dinge, sondern über den Gebrauch von Termini und Begriffen gemacht wird. Ockham wendet die Unterscheidung von actus exercitus und actus significatus zwar nicht ausdrücklich auf das Wahrheitsproblem an, doch sie fügt sich offensichtlich in diesen Kontext ein. Die Verwendung von ,ist wahr' bewirkt nämlich, daß — wie bereits erwähnt — ein ganzer Satz zum Subjekt eines Satzes mit einem Prädikat zweiten Grades wird, ζ. B. „,So-

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zwei Sprachebenen kategorisch ablehnt, nicht zustimmen (vgl. Spade 1981, 55). Obwohl Boehner die Trennlinie zwischen den zwei Ebenen falsch gezogen hat — die Unterscheidung von erster und zweiter Intention ist hier unangebracht —, hat er mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ,wahr' keineswegs mit Prädikaten ersten Grades wie ζ. B. ,weiß' gleichgesetzt werden darf. Vgl. Nuchelmans 1987, besonders 56 — 59. Zur Entstehung und vielfältigen Verwendung der Opposition actus exercitus — significatus ausführlich Nuchelmans 1988a. Vgl. ausführlich Kapitel 2.4.1. Vgl. zur Unterscheidung der Suppositionsarten, die hier nicht diskutiert werden soll, Summa Logicae I, 6 4 - 6 5 (OP I, 1 9 5 - 1 9 9 ) ; ausführliche Analysen in Adams 1987, 327-382.

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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krates ist ein Lebewesen' ist wahr". Die Verbindung von Subjekt und Prädikat erfolgt hier nun nicht im Sinn eines actus exercitus, da ,wahr' nicht für einen konkreten Gegenstand supponiert. Das Prädikat qualifiziert vielmehr das komplexe Subjekt ,Sokrates ist ein Lebewesen', und zwar als einen wahren Satz. Auch ,Sokrates ist ein Lebewesen' steht somit als Subjekt des prädikativen Satzes zweiten Grades nicht für einen individuellen Gegenstand, sondern bezeichnet dasselbe, was auch ,wahr' bezeichnet, nämlich daß a F ist. Im actus significatus wird das komplexe Subjekt ,Sokrates ist ein Lebewesen' also nicht mit einer persönlichen Supposition verwendet, obwohl die Termini ,Sokrates' und .Lebewesen' im prädikativen Satz ersten Grades durchaus für den konkreten Gegenstand Sokrates supponieren. Nun läßt sich fragen: Wird das Prädikat ,wahr' tatsächlich nur im Sinn eines actus significatus mit einfacher oder materialer Supposition verwendet? Es scheint kaum überzeugend, daß ζ. B. ,wahr' nur vom Satz , Sokrates ist ein Lebewesen' ausgesagt wird, nicht aber von den Supposita dieses Satzes. Es wird nämlich nicht nur behauptet, daß hier die Termini korrekt miteinander verknüpft werden, sondern daß es wirklich der Fall ist, daß Sokrates ein Lebewesen ist. ,Wahr' bezieht sich also gleichzeitig auf die prädikativ verbundenen Termini ,Sokrates' und ,Lebewesen' und auf den Sachverhalt, daß Sokrates ein Lebewesen ist. Diese Feststellung verdeutlicht, daß trotz einer mangelnden persönlichen Supposition von ,wahr' ein gewisser Sachbezug bestehen muß. Zur Klärung dieses Problems muß wieder die Definition (D 2 ) aufgenommen werden: ,Wahr' und .falsch' sind nicht nur praedicabilia, sondern gleichzeitig auch connotantia aliquid α parte rei. Diese Ausdrücke sind also nicht nur als Termini im Hinblick auf ihre Prädizierbarkeit zu verstehen, sondern gleichzeitig auch als Nomina mit einer Bezeichnungsfunktion. In der kurzen Analyse der Klassifizierung von Nomina wurde bereits auf diese wichtige Funktion hingewiesen. Wird ,wahr' nicht in der propositionalen Funktion als Prädikat, sondern zunächst nur als Nomen betrachtet, gehört dieser Ausdruck zu den nomina connotativa. Konnotativ ist ein Nomen genau dann, wenn es etwas an erster Stelle und etwas an zweiter Stelle bezeichnet und deshalb keine Real- sondern nur eine Nominaldefinition besitzt 67 . ,Weiß' beispielsweise kann nominal definiert werden als ,etwas, das durch Weißheit bestimmt ist' oder als .etwas, das Weißheit besitzt'. 67

Vgl. Summa Logicae I, 10 (OP I, 36); zur Unterscheidung von absoluten und konnotativen Nomina ausführlich Spade 1975b.

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Was heißt .wahr'?

Der Ausdruck bezeichnet also an erster Stelle einen konkreten Gegenstand (ζ. B. Sokrates) und an zweiter Stelle dessen Bestimmt-sein durch Weißheit bzw. dessen Besitzen von Weißheit (Sokrates, insofern er weiß ist). Gleiches gilt für alle kategorialen Ausdrücke außer ,Substanz' und ,Qualität'. Ockham hält nun fest, daß auch die transzendenten Bestimmungen nichts anderes als konnotative Nomina sind. ,Wahr', ,gut', ,eines' und ,seiend' müssen nominal im Hinblick auf eine direkte und eine indirekte Bezeichnung definiert werden68. Was bezeichnet nun ,wahr' als konnotatives Nomen an erster und zweiter Stelle? Aufgrund der oben getroffenen Unterscheidung zwischen Prädikation ersten und zweiten Grades kann eine vorläufige Antwort formuliert werden: An erster Stelle bezeichnet ,wahr' nichts anderes als den Satz, der in der Prädikation zweiten Grades an Subjektstelle steht, ζ. Β. ,Sokrates ist ein Lebewesen' in „,Sokrates ist ein Lebewesen' ist wahr". Bei dieser ersten Bezeichnung wird das Prädikat ,wahr' im Sinn eines actus significatus mit dem Subjekt verbunden und hat somit keine persönliche Supposition. Es steht für keinen konkreten Gegenstand, sondern wird lediglich von einem Satz, dessen Termini persönlich supponieren, ausgesagt. An zweiter Stelle hingegen bezeichnet ,wahr' dasselbe, was auch die Prädikation ersten Grades ,Sokrates ist ein Lebewesen' bezeichnet, nämlich den Sachverhalt, daß Sokrates ein Lebewesen ist. Zusammengefaßt heißt dies: (D3) ,Wahr' ist ein konnotatives Nomen, das als Prädikat zweiten Grades vom Satz ,a ist f ausgesagt wird. Es bezeichnet an erster Stelle ,a ist F* und an zweiter Stelle das Seiende, das durch ,a ist F bezeichnet wird. Diese Definition besitzt als Explikation von (D 2 ) eine gewisse Plausibilität, sie findet sich in dieser expliziten Form aber nicht in Ockhams Werken. Zudem wirft sie die Schwierigkeit auf, daß ,wahr' gleichzeitig ohne persönliche Supposition (in bezug auf die erste Bezeichnung) und mit persönlicher Supposition (in bezug auf die zweite Bezeichnung) aufgefaßt wird. An verschiedenen Stellen des Senten^enkommentars gibt Ockham eine Erklärung der Konnotation von ,wahr', die diese Schwierigkeit vermeidet. Er hält fest, ,wahr' bezeichne Seiendes und konnotiere den Verstehensakt69. 68 69

Vgl. Summa Logicae I, 10 (OP I, 3 6 - 3 8 ) . In III Sent., q. 10 (OT VI, 348): „Nunc autem passiones entis, puta verum, bonum et huiusmodi, non significant unum sed multa, quia verum significat illud quod significat ens et connotat actum intelligendi." I Sent., prol., q. 2 (OT I, 127): „Quando ergo dicitur ,unum, verum, bonum etc. dicunt distinctos conceptus et tarnen non distincta entia', dico quod connotant distincta: quia verum connotat actum intelligendi..." Siehe auch Quaestiones variae, q. 6, art. 5 (OT VIII, 230).

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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Die These, daß ,wahr' als Prädikat verwendet wird, bleibt dabei unangefochten, so daß offensichtlich zwei Funktionen von ,wahr' zu unterscheiden sind: Syntaktisch betrachtet wird ,wahr' von einem prädikativen Satz ausgesagt; semantisch betrachtet bezeichnet ,wahr' Seiendes und konnotiert den Verstehensakt, mit dem Seiendes begriffen wird. Somit gilt: (D4) ,Wahr' ist ein konnotatives Nomen, das syntaktisch als Prädikat zweiten Grades vom Satz ,a ist F' ausgesagt wird, semantisch jedoch das Seiende bezeichnet, das durch ,a ist F' bezeichnet wird, und gleichzeitig den Verstehensakt für dieses Seiende mitbezeichnet. Nun lassen sich die zwei Wahrheitsdefinitionen (Di) und (D 2 ), die zunächst unvereinbar schienen, in Einklang bringen. Das Wahre ist mit dem wahren Satz selbst identisch, wenn ,wahr' in seiner syntaktischen Funktion verstanden wird, d. h. insofern dieses Nomen von einer Prädikation ersten Grades ausgesagt wird, dieser aber in ihrer Bezeichnung nichts hinzufügt. (D t ) ist weder zirkulär noch redundant, weil ,wahr' im Definiens und im Deflniendum auf zwei verschiedenen Ebenen verwendet wird: In einer Prädikation zweiten Grades kann ,wahr' von einem prädikativen Satz ersten Grades ausgesagt werden. Gleichzeitig hat ,wahr' aber auch noch die semantische Funktion, die (D 2 ) ausdrückt, nämlich die Bezeichnung des Seienden und die Konnotation des Verstehensaktes. Zudem wird nun besser verständlich, inwiefern Ockham die aristotelische Definition „Zu sagen, daß Seiendes ist, ist wahr" im Sinn eines propositionalen Wahrheitsbegriffs aufgreift: ,Wahr' ist nicht irgendein Terminus, sondern ein Prädikat, das ausschließlich einen Satz charakterisiert. Diese Feststellung ist entscheidend, denn der propositionale Wahrheitsbegriff steht in den mittelalterlichen Diskussionen stets in Konkurrenz mit einem psychologischen und einem ontologischen. Bereits Abaelard verdeutlicht diese Koexistenz von drei unterschiedlichen Wahrheitsbegriffen im zweiten Traktat der Dialectica, wo er folgende Bedeutungen von ,wahr' unterscheidet70: (i) ,Wahr' und ,falsch' sind zunächst Ausdrücke, die einen intellectus charakterisieren, denn wenn wir vom intellectus verus vel falsus sprechen, meinen wir einen bestimmten mentalen Habitus in bezug auf das, was der Fall ist. Dieser Habitus, der sich in einem Verstehensakt konkretisiert, wird durch das Hören eines Satzes erzeugt. ,Wahr' ist somit die Bezeichnung für einen mentalen Vorgang, der durch einen sprachlichen Akt ausgelöst wird, (ii) ,Wahr' und ,falsch' sind aber auch Ausdrücke für 70

Vgl. Dialectica, tract. II, lib. I (de Rijk 1970, 154).

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Was heißt ,wahr'P

das, worüber ein Satz spricht. Wenn wir sagen ,Es ist wahr oder falsch, daß Sokrates läuft', meinen wir: Es ist der Fall {ita est in re), daß Sokrates läuft oder nicht läuft. ,Wahr' bezeichnet somit einen bestehenden Sachverhalt. (iii) Schließlich sind ,wahr' und ,falsch' Ausdrücke, die einen Satz charakterisieren. Wie Abaelard geht auch Ockham von der dritten, propositionalen Auffassung von Wahrheit aus, die umfassender ist als die beiden ersten, weil sie die psychologischen und ontologischen Aspekte einschließt. Jeder Satz muß nämlich in einer dreistelligen semantischen Relation verstanden werden: Er ist (a) eine Zusammensetzung sprachlicher Zeichen, die sich (b) auf Dinge beziehen und (c) im Hörer und/oder Sprecher Begriffe erzeugen. Allerdings ist die Beziehung zwischen den Zeichen und Begriffen bislang noch weitgehend unerörtert geblieben. Erst eine genaue Untersuchung des Verhältnisses von konventionellen Termini (gesprochene oder geschriebene Sprachzeichen) und mentalen Termini (Begriffe) wird hier Klarheit schaffen. Schließlich ist nun verständlich, wie Ockham den mehrdeutigen Ausdruck ,legein1 (,dicere') in der aristotelischen Definition versteht. Er interpretiert das Sagen als das Formulieren eines prädikativen Satzes und versteht ,wahr' primär im Hinblick auf die Prädikation: ,Wahr' wird von ,a ist F* ausgesagt und bezeichnet die Supposita von Subjekt und Prädikat dieses prädikativen Satzes. Daraus ergibt sich, daß ,wahr' erst verstanden wird, wenn ,a ist F* verstanden wird. Der propositionale Wahrheitsbegriff führt also unmittelbar zur Frage nach der Struktur und Bedeutung eines prädikativen Satzes. Diese Resultate vermögen den propositionalen Wahrheitsbegriff indessen noch nicht hinreichend zu erklären. Verschiedene Problembereiche wurden in den bisherigen Untersuchungen übergangen oder nicht im ganzen Ausmaß erfaßt. Zunächst bleibt immer noch ungeklärt, warum der Terminus ,wahr', der gemäß (D 2 ) von einer Rede (oratio) aussagbar ist, nur von einem Satz (propositio) prädiziert werden kann. Im Kommentar zu den Kategorien hält Ockham ausdrücklich fest, daß gemäß Aristoteles nur Komplexes wahr oder falsch sein kann 71 . Komplexes wird lediglich als das bestimmt, was eine Bejahung oder Verneinung sein kann. Die

71

In Praedicam., 7 (OP II, 161 — 162): „... cum omnis affirmatio sit vera vel falsa, et complexum poterit esse affirmatio, sequitur quod complexum sit verum vel falsum. Sed nullum incomplexum est verum vel falsum, sicut patet de istis: homo, album, animal, currit, et sic de aliis."

Die Definition des propositionalen Wahrheitsbegriffs

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bisherigen Ausführungen gehen von der noch unbegründeten These aus, daß das Komplexe eine propositio ist, und zwar stets ein prädikativer Satz, so daß ,a ist F die Grundform jeden Redens ist. Diese Behauptung bedarf einer Erklärung und wird deshalb im zweiten Kapitel ausführlich diskutiert. Des weiteren muß die Struktur eines solchen prädikativen Satzes noch näher betrachtet werden. Wie bereits erwähnt, ist eine Prädikation ersten Grades genau dann wahr, wenn die Termini des prädikativen Satzes korrekt supponieren. Diese Erklärung ist jedoch erklärungsbedürftig. Sie erhält erst dann einen argumentativen Wert, wenn feststeht, was eine Supposition ist und wie — d. h. unter welchen propositionalen Bedingungen — die Termini eines Satzes korrekt supponieren. Ockham diskutiert diese Problematik, die den engen Zusammenhang zwischen Wahrheitsbegriff und Wahrheitsbedingungen verdeutlicht, ausführlich im zweiten Teil der Summa Logicae, wo er von folgender These ausgeht: Es ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für die Wahrheit eines Satzes, daß Subjekt und Prädikat für dasselbe supponieren 72 . Diese These soll im zweiten Kapitel erläutert werden. Ebenfalls ungeklärt bleibt bislang die Frage, was unter der Bezeichnung des Seienden genau zu verstehen ist. Offensichtlich bezieht sich ,wahr' semantisch betrachtet nicht auf die Einzeldinge als solche, sondern auf etwas an diesen Dingen (aliquid α parte rei). Gemäß der aristotelischen Definition ist dieses „etwas" „daß Seiendes ist" bzw. „daß etwas der Fall ist" und nicht etwa das Seiende schlechthin. Auch in der umgangssprachlichen Definition ist vom So-sein der Dinge, nicht einfach von den Dingen die Rede. Bislang ist noch nicht deutlich geworden, wie Ockham diesen Unterschied erklärt; in (D 2 ) hält er fest, ,wahr' bezeichne etwas seitens der Sache, in (D 4 ) hingegen behauptet er, ,wahr' bezeichne an erster Stelle die Sache (res). Eine genauere Betrachtung dieses Problems im vierten Kapitel wird zeigen, daß gerade dieser Teil der Definition die größten Kontroversen in den Wahrheitsdiskussionen des 14. Jahrhunderts ausgelöst hat. An dieser Stelle sei bloß festgehalten, daß der propositionale Wahrheitsbegriff erst dann geklärt ist, wenn auch der ontologische Aspekt und nicht nur die Frage nach der Struktur des prädikativen Satzes untersucht ist. Schließlich muß auch untersucht werden, welche Struktur und Funktion der Verstehensakt besitzt, den ,wahr' konnotiert. Offensichtlich ist eine Bezeichnung des Seienden nur dann möglich, wenn das Seiende 72

Vgl. Summa Logicae II, 2 (OP I, 2 4 9 - 2 5 0 ) .

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Was heißt ,wahr'?

gleichzeitig mental begriffen wird. Eine Erklärung der rein semantischen Relation zwischen significans und significatum ist also unzureichend. Stets muß die mentale Vermittlung des Bezeichneten berücksichtigt werden. Dieses Problem soll im dritten Kapitel ausführlich erörtert werden. Nachdem nun die verschiedenen Probleme nicht gelöst, aber mindestens verdeutlicht und strukturiert sind, müssen die drei am Ende des vorangehenden Kapitels aufgeworfenen Fragen, die den propositionalen Wahrheitsbegriff in einem größeren Kontext situieren, wieder aufgenommen werden.

1.3 Der Wahrheitsbegriff im Kontext der Wissenschaftstheorie und der Metaphysik Umfaßt der propositionale Wahrheitsbegriff den an die Analytica Posteriora anschließenden Wahrheitsbegriff 73 ? Wie ist die Ambiguität von ,das Wahre wissen' im Sinn von ,wahre Prämissen wissen' und ,das Seiende wissen' zu verstehen? Mit Hilfe der Unterscheidung von syntaktischer und semantischer Funktion läßt sich hier eine befriedigende Antwort finden, (a) Syntaktisch betrachtet wird ,wahr' vom Satz ,a ist F' ausgesagt. Wenn dies ein korrekt formulierter prädikativer Satz ist, kann er als wahre Prämisse in einem Syllogismus verwendet werden. Beispiel: In ,„Sokrates ist ein Lebewesen' ist wahr" kann ,Sokrates ist ein Lebewesen' als wahre Prämisse in einem beliebigen Syllogismus gebraucht werden. In diesem Sinn heißt ,„a ist F ist wahr" also nichts anderes als: ,a ist F ist ein syntaktisch korrekt gebildeter Satz, der die Bedingungen für eine Prämisse in einem Syllogismus erfüllt. Wer das Wahre weiß, weiß somit auch eine wahre Prämisse 74 , (b) Semantisch betrachtet bezeichnet ,wahr' das So-sein der Dinge. Beispiel: In .„Sokrates ist ein Lebewesen' ist wahr" bezeichnet ,wahr' stets das Individuum Sokrates und dessen individuelle Eigenschaft Lebewesen-sein. In diesem Sinn kann man behaupten: Wer das Wahre weiß, weiß auch das Seiende, nämlich die durch den Satz bezeichnete Entität. ,Seiend' und 73

Vgl. Kap. 1, Anm. 2.

74

Freilich wird dabei vorausgesetzt, daß erstens gewußt wird, wann ein Satz syntaktischsemantisch korrekt gebildet ist (diese Bedingung untersucht Ockham im ersten Teil der Summa Logicae), und zweitens, wie er als materia syllogismi in einer bestimmten syllogistischen Figur zu verwenden ist (dieses Problem wird ausführlich im Teil III-l der Summa Logicae erläutert).

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,wahr' sind also konvertibel, freilich mit der Einschränkung, daß ,seiend' ein absolutes Nomen ist, das direkt Seiendes bezeichnet, ,wahr' hingegen ein konnotatives Nomen, das zusätzlich den Verstehensakt mitbezeichnet 75 . Ockham hält also in Übereinstimmung mit Thomas von Aquin daran fest, daß sich ,wahr' als transzendenter Terminus in gewisser Weise von ,seiend' unterscheidet. Im Gegensatz zu Thomas gibt er jedoch keine ontologische Erklärung für das Wahre (das Wahre fügt dem Seienden etwas hinzu, nämlich die Angleichung des Intellekts an das Seiende 76 ), sondern er beschränkt sich auf eine rein semantische Bestimmung des Terminus ,wahr' 77 . Weiter kann gefragt werden: Umfaßt der propositionale Wahrheitsbegriff auch den im Rahmen der Metaphysik erörterten Wahrheitsbegriff, nämlich die Auffassung, nach der die Metaphysik eine spezifische Gewißheit der Wahrheit verleiht? Diese Frage scheint zunächst zu unterstellen, daß es neben dem semantischen Wahrheitsbegriff noch einen spezifisch metaphysischen gibt. Wie die kurze Untersuchung der Frage nach der Gewißheit der Wahrheit bei Buridan jedoch gezeigt hat, steht hier eher das Problem der Gewißheit im Mittelpunkt. Die Hauptfrage lautet: Wie kann mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden eine Gewißheit darüber erworben werden, daß es sich so verhält, wie die wissenschaftlichen Sätze die Dinge oder Sachverhalte 75

76

77

Vgl. (D 4 ) in Kapitel 1.2. Dieser Unterschied gilt auch für die übrigen termini transcendentes\ vgl. Summa Logicae I, 10 (OP I, 38). De veritate, q. 1, art. 1 (Leonina XXII, 6): „Hoc est ergo quod addit verum super ens, scilicet conformitatem sive adaequationem rei et intellectus, ad quam conformitatem ut dictum est, sequitur cognitio rei: sie ergo entitas rei praecedit rationem veritatis sed cognitio est quidam veritatis effectus." Freilich handelt es sich hier nur um einen Aspekt der Adäquationstheorie. Vgl. zu der vielschichtigen Definition von ,wahr' bei Thomas Garceau 1968, 1 4 3 - 1 5 1 . Leider wird diese grundlegende Feststellung in heutigen Darstellungen und Kritiken der mittelalterlichen Transzendentalienlehre nicht immer gebührend berücksichtigt. So erhebt ζ. B. Tugendhat den pauschalen Vorwurf gegen die mittelalterliche Philosophie, sie habe die Frage nach dem veritativen Sein vollständig ausgeblendet. „Statt dessen wurde im Mittelalter die Problematik, die Aristoteles wenigstens berührt hat, unkenntlich gemacht, indem sie rezipiert wurde in Gestalt der sachfremden Lehre vom verum als weitere „transzendentale" Bestimmung des ens neben unum und aliquid, eine Lehre, durch die dieser Sinn von ,ist' gegenüber den anderen nivelliert und damit endgültig vergegenständlicht wurde." (Tugendhat 1976, 72) Gegen diesen Vorwurf, der nur mit einem Thomas-Zitat belegt wird, ist einzuwenden, daß es keine einheitliche mittelalterliche Transzendentalienlehre gab. Ob die Kritik auf Thomas zutrifft, müßte anhand von detaillierten Textstudien geprüft werden. In bezug auf die Autoren des 14. Jahrhunderts, vor allem aber im Hinblick auf Ockham, muß jedoch deutlich festgehalten werden: , Verum' ist ein transzendenter Terminus, keine ontologische Bestimmung eines ens.

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Was heißt .wahr'?

beschreiben? Nach der Gewißheit der Wahrheit fragen heißt also, nach dem Grad der Übereinstimmung zwischen einem wissenschaftlichen Satz und dem durch den Satz Bezeichneten fragen. In diesem Sinn kann in jeder Wissenschaft auf der Grundlage der Korrespondenztheorie der Wahrheit das Problem der Gewißheit aufgeworfen werden. Der spezifisch metaphysische Aspekt besteht nun allerdings darin, daß sich die Metaphysik in ihrem Gegenstand von allen übrigen Wissenschaften unterscheidet, denn sie untersucht das Seiende als Seiendes. Somit stellt sich die Frage, ob und wie eine Gewißheit von den Sätzen über das Seiende als Seiendes möglich ist. Und da eine solche Gewißheit die höchste Gewißheit darstellt, ist die Wissenschaft, die zu dieser Gewißheit führt, auch die höchste Wissenschaft. Es stellt sich also die Frage, ob und wie eine höchste Wissenschaft möglich ist. Es scheint nun, daß Ockham nicht auf diese Fragestellung eingeht, denn er versucht in keiner Weise, die Metaphysik als erste und höchste Wissenschaft zu bestimmen, und er untersucht folglich auch nicht, welche Art von Gewißheit der Wahrheit durch die Metaphysik gewonnen wird. Es ist deshalb auf den ersten Blick nicht erstaunlich, daß Ockham lange Zeit als Metaphysikkritiker, ja als Metaphysikfeind galt, der angeblich einen spezifisch metaphysischen Aspekt der Wahrheitsfrage leugnet 78 . Neuere Arbeiten haben jedoch gezeigt, daß dieser Vorwurf unhaltbar ist. Hier soll nicht die Forschungsgeschichte der Rehabilitierung von Ockhams Metaphysikverständnis aufgerollt werden 79 . Es gilt lediglich festzuhalten: Die Tatsache, daß die logisch-semantische Diskussion von ,wahr' nicht unmittelbar an die Frage nach dem Seienden als Seienden anknüpft, bedeutet keineswegs, daß ein Bezug zur spezifischen Fragestellung der Metaphysik fehlt. Die logische Erörterung verdeutlicht vielmehr eine Transformation des Metaphysikverständnisses. Ockham bemüht sich nicht primär, die Wahrheit von Sätzen über das Seiende als Seiendes oder die transzendente Bestimmung des Seienden als Seienden zu untersuchen. Er fragt vielmehr: Wie kann auf Seiendes — und zwar auf konkret Seiendes — sprachlich Bezug genommen werden, und welche Funktion hat in diesem sprachlichen Bezug der Terminus ,wahr'? 78

In der neueren Forschung hat Alferi die These von der Zerstörung der Metaphysik wieder erneuert, jedoch nicht überzeugend begründet; vgl. Alferi 1989, 454 — 462. Die Tatsache, daß Ockham traditionelle Metaphysikbegriffe — vor allem jene des Thomas von Aquin und des Duns Scotus — verwirft, ist noch kein Beweis dafür, daß er jede Form von Metaphysik bestreitet.

79

Vgl. vor allem Beckmann 1977, de Rijk 1987a und 1987b. Siehe auch Perler 1991.

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Das Wahrheitsproblem stellt sich also nicht mehr im Rahmen einer Metaphysik, deren Gegenstand bereits als gegeben vorausgesetzt wird, sondern im Rahmen der grundsätzlicheren Aufgabe, die sprachlichen Bedingungen der Möglichkeit einer Metaphysik zu ermitteln 80 . In diesem Sinn muß auch die Frage nach der Gewißheit der Wahrheit, die durch die Metaphysik vermittelt wird, neu gestellt werden. Kriterien für die Bestimmung einer solchen Gewißheit können nicht mehr gemäß der Beständigkeit und der Unveränderlichkeit des Untersuchungsgegenstandes festgelegt werden. Objekt jeder Wissenschaft, auch der Metaphysik, ist primär der gewußte Satz 81 . Deshalb stellt die Metaphysik im strengen Sinn keine zahlenmäßige Einheit dar; sie umfaßt viele Sätze und kann im Hinblick auf einige Sätze gewußt, im Hinblick auf andere Sätze nicht gewußt werden 82 . Wenn also die Gewißheit der Wahrheit bestimmt werden soll, ist stets nach der Gewißheit der Wahrheit von Sätzen zu fragen. Da es indessen zahlreiche Sätze gibt, die keine Einheit bilden, kann nicht die Gewißheit der Wahrheit von Sätzen gesucht werden. Es ist lediglich möglich, anhand konkreter, einzelner Sätze eine jeweilige Gewißheit zu bestimmen. Und eine solche Bestimmung läßt sich nur durch eine syntaktisch-semantische Analyse der einzelnen Sätze gewinnen. Somit führt die Frage „Wie kann eine Gewißheit der Wahrheit erreicht werden?" unweigerlich zur Frage „Wie kann eine Gewißheit darüber, daß ein konkreter Satz wahr ist, erreicht werden?". Dies ist aber genau die Frage nach den Wahrheitsbedingungen von Sätzen und beruht auf einem propositionalen Wahrheitsbegriff. Wer nach der Gewißheit der Satzwahrheit fragt, setzt voraus, daß ,wahr' von einem Satz ausgesagt werden kann. Diese Rückführung der Veritas rei auf die Veritas propositions, die sich bei Ockham aufgrund der wissenschaftstheoretischen und der semantischen Grundthesen bloß rekonstruieren läßt, findet sich explizit bei Buridan. Er eröffnet das zweite Buch des Metaphysik-Kommentars mit der Frage: „Ist es uns möglich, von den Dingen ein Verständnis der Wahrheit zu gewinnen" 83 ? Zunächst führt er nicht weniger als siebzehn Argumente an, die 80

81 82

83

Vgl. prägnant Beckmann 1977, 1: „Jetzt geht es nicht mehr um die Metaphysik an sich, sondern um die Bedingungen der Möglichkeit einer konkreten Metaphysik." Siehe auch Perler 1988b, 3 0 7 - 3 1 1 . Vgl. In Phys., prol. (OP IV, 9); ausführlich dazu Kapitel 4.2. In Phys., prol. (OP IV, 6 — 7): „... metaphysica [...] non est una scientia secundum numerum illo modo quo haec albedo est una numero et iste calor et iste homo et iste asinus. Hanc probo. Quia metaphysica comprehendit multas conclusiones circa quarum unam potest aliquis errare et ipsemet eodem tempore aliam scire..." In Met. II, q. 1 (fol. 8ra-9va): „Utrum de rebus sit nobis possibilis comprehensio veritatis."

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Was heißt ,wahr'?

gegen eine solche Möglichkeit sprechen. Diese Einwände können in zwei Gruppen zusammengefaßt werden. Einerseits ist ein solches Verständnis der Wahrheit aufgrund der Sinneswahrnehmung (ex parte sensus) unmöglich. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß wir uns in der Wahrnehmung täuschen, ζ. B. wenn wir aufgrund einer Krankheit in unserer Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt sind, wenn wir durch äußere Umstände (ungünstige Lichtverhältnisse, Veränderung der Perspektive usw.) etwas anders sehen, als es wirklich ist, wenn wir aufgrund von Erinnerungsbildern etwas zu sehen glauben, obwohl es nicht gegenwärtig ist usw. Zudem stellen wir fest, daß andere Lebewesen, ζ. B. Hunde, über einen schärferen Geruchssinn verfügen und deshalb besser wahrnehmen. Die Beschränktheit unseres Sinnesvermögens und die leichte Täuschbarkeit verhindern also ein Verständnis der Wahrheit im Sinn einer vollständigen, unfehlbaren Erkenntnis der Dinge. Andererseits ist auch seitens des Intellekts (ex parte intellectus) ein Erfassen der Wahrheit unmöglich, denn der Intellekt hängt in seiner Tätigkeit von der unzuverlässigen Sinneswahrnehmung ab. Er kann zudem durch sogenannte media (ζ. B. Phantasievorstellungen, Gefühle), die sich zwischen Sinneswahrnehmung und Verstandestätigkeit einschieben, beeinträchtigt werden. Und schließlich vermag er nicht Ewiges und Unveränderliches zu erkennen, sondern er bezieht sich nur auf singuläre, kontingente Dinge, so daß er keine absolute Gewißheit erreicht. Buridan versucht nicht, diese Einwände durch eine detaillierte Wahrnehmungs- oder Erkenntnistheorie zu widerlegen. Er lehnt sie vielmehr pauschal ab, indem er die Fragestellung zurückweist. Es ist unsinnig, die comprehensio veritatis direkt auf die Dinge zu beziehen und in der Sinneswahrnehmung oder im Intellekt nach Wahrheitsbedingungen zu suchen. Jeder Mensch hat ein natürliches Bedürfnis nach Wahrheit, das er trotz seines beschränkten Sinnes- und Verstandesvermögens befriedigen kann. Dies vermag er aber nur, wenn er den Ausdruck ,Verständnis der Wahrheit' richtig versteht: „,Verständnis der Wahrheit' heißt nichts anderes als Verständnis eines wahren Satzes'" 84 . Wie ist aber ein solches Verständnis möglich? Diese Frage kann in dreierlei Hinsicht beantwortet werden. Erstens ist die comprehensio veritatis nichts anderes als das Bilden eines Satzes in der Seele. In diesem Sinn ist ein Verständnis des Satzes also nichts anderes als der mentale Satz selbst, aufgrund dessen der gesprochene und der geschriebene Satz gebildet werden. Einen Satz verstehen heißt, einen 84

In Met. II, q. 1 (fol. 8vb): „... nihil aliud est comprehensio veritatis quam comprehensio propositionis vere."

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Satz bilden und somit im Geist besitzen. Und die Wahrheit verstehen heißt folglich, einen wahren Satz bilden und einen wahren mentalen Satz besitzen. Zweitens ist eine comprehensio veritatis dasselbe wie das Begreifen eines wahren Satzes nach der Art des Objekts. In diesem Sinn verstehen wir einen Satz hinsichtlich der durch die Satztermini bezeichneten Sache. Die Wahrheit verstehen heißt somit, die durch die (gehörten oder geschriebenen) Termini bezeichnete Sache erfassen. Drittens schließlich kann die comprehensio veritatis als das Beipflichten oder Zustimmen zu einem Satz verstanden werden. Da ein Mensch aber offensichtlich nicht nur einem wahren, sondern auch einem falschen Satz zustimmen kann, bedarf er für das Verständnis der Wahrheit nicht irgendeiner Zustimmung, sondern einer solchen, die auf einer festen Überzeugung der Wahrheit beruht. Diese Festigkeit erreicht er auf drei Arten: aufgrund des Willens oder einer natürlichen Vorstellung, aufgrund natürlicher Vorstellungen und schließlich aufgrund der Evidenz eines unmittelbar einsichtigen Satzes. Gemäß den ersten beiden Möglichkeiten wird eine Gewißheit der Wahrheit erreicht, denn es ist offensichtlich jedem Menschen, der einer Sprache mächtig ist, ungeachtet seiner Wahrnehmungsfähigkeit möglich, mentale Sätze zu bilden oder gehörte und geschriebene Sätze zu erfassen. Nur gemäß der dritten Interpretation ist die Gewißheit eingeschränkt, weil jemand aufgrund eines Willensaktes oder aufgrund einer falschen Überlegung auch einem falschen Satz zustimmen kann 85 . Freilich bleiben hier noch zahlreiche Fragen ungeklärt: Wie wird ein mentaler Satz gebildet? In welchem Verhältnis stehen mentaler, gesprochener und geschriebener Satz? Wie können die Termini erfaßt werden? Wie erfolgt die Zustimmung zu einem Satz? Buridan erkennt diese Schwierigkeiten und diskutiert sie ausführlich im sechsten Buch des MetaphysikKommentars und in den Sophismata86. Zunächst soll aber nicht die Fülle an Einzelproblemen, sondern die Grundintention der Argumentation im Vordergrund stehen: Nach dem Verständnis der Wahrheit fragen heißt immer, nach dem Verständnis von Sätzen fragen, denn das Prädikat ,wahr' qualifiziert weder die Dinge an sich noch den Erkenntnisvorgang, sondern nichts anderes als die Sätze, mit denen der Erkennende auf die Dinge Bezug nimmt. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für empirisch überprüfbare Sätze, sondern auch für die Sätze der Metaphysik. 85

86

Buridan hält ausdrücklich fest, daß der Mensch in seinen Willens- und Verstandestätigkeiten frei ist, auch einer Häresie zuzustimmen; vgl. ibid. fol. 8vb. Vgl. In Met. VI, qq. 6 - 8 (fol. 37rb-39rb); Sophismata, 2 (Scott 1977, 3 6 - 4 7 ) .

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Was heißt ,wahr'?

Schließlich stellt sich folgende Frage: Welche Verwendung und Bedeutung von .seiend' liegt dem propositionalen Wahrheitsbegriff zugrunde? In dieser allgemeinen Formulierung ist die Frage mehrdeutig und umfaßt verschiedene Aspekte, die voneinander zu unterscheiden, wenn auch nicht vollständig zu trennen sind, (a) Zunächst wurde die Frage im weitesten Sinn aufgeworfen: Was ist in der aristotelischen Definition „Zu sagen, daß Seiendes ist, ... ist wahr" mit ,seiend' gemeint? Freilich ist hier nicht die aristotelische Definition als solche von Interesse, sondern ihre mittelalterliche Rezeption. Wie verstehen Ockham, Buridan u. a. f e i e n des', wenn sie behaupten, wahr sei nichts anderes als der wahre Satz, dessen Termini für Seiendes supponieren? (b) Im Anschluß an Ockhams Definition, ,wahr' bezeichne etwas seitens des Dinges, läßt sich fragen: Was ist „etwas seitens des Dinges" - die einzelnen Supposita der Termini, die Ansammlung dieser Supposita oder ein bestimmes So-sein (sic esse) der Supposita? Diese Frage kann erst beantwortet werden, wenn feststeht, was das significatum propositionis ist, und soll erst im vierten Kapitel ausführlich behandelt werden, (c) .Seiend' bzw. ,ist' kann nicht nur mit existenzieller, sondern auch mit prädikativer Funktion als Kopula verwendet werden. In der Definition von ,wahr' tritt die Kopula sogar zweimal auf, nämlich in der Prädikation ersten Grades ,a ist F* und in der Prädikation zweiten Grades ,„a ist F* ist wahr". Die Kopula kann aber nicht isoliert, sondern nur in ihrem Verhältnis zu Subjekt und Prädikat analysiert werden. Deshalb wird der prädikative Gebrauch von ,ist' erst im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung des prädikativen Satzes im zweiten Kapitel näher betrachtet, (d) Zudem wird ,seiend' bzw. ,ist' in Identitätsaussagen der Form ,a ist V verwendet. Diese Funktion wird von den mittelalterlichen Autoren zwar rege diskutiert (vor allem in der Gotteslehre und in der Naturphilosophie 87 ), besitzt aber für das Wahrheitsproblem nur in jenen Fällen eine Relevanz, wo die Identitätsaussage ein Spezialfall für eine Prädikation zweiten Grades ist: „,a — b' ist wahr". Auch für diesen Fall muß die prädikative Verwendung von ,ist' untersucht werden, so daß eine Analyse der Identitätsaussage zurückgestellt werden kann. Hier soll vorerst nur die Verwendung von ,seiend' im Sinn von (a) diskutiert werden. Erstens ist zu fragen: Was für ein Terminus ist ,seiend'? Wie bereits erläutert wurde, teilt Ockham alle konventionell zeichenhaften Nomina in zwei Hauptgruppen ein, nämlich in Nomina erster Einsetzung, 87

Zu Ockham vgl. Adams 1976b.

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die Dinge bezeichnen, und in Nomina zweiter Einsetzung, die Zeichen bezeichnen. Die Nomina erster Einsetzung gliedert er in Nomina erster Intention, die unmittelbar Dinge oder zusammen mit Zeichen Dinge bezeichnen, und in Nomina zweiter Intention, die Intentionen der Seele bezeichnen. Den Terminus ,seiend' ordnet er ausdrücklich den Nomina erster Intention zu88. Während aber einige Nomina erster Intention genau solche Dinge bezeichnen, die nicht Zeichen sind, bezeichnen andere Nomina — ζ. Β. ,seiend' — Dinge, die auch Zeichen sein können 89 . Der Terminus ,seiend' kann also sowohl ein konkretes Einzelding als auch ein sprachliches Zeichen (das als Laut oder Schriftzeichen auch ein materieller Gegenstand ist) bezeichnen. Offensichtlich bezeichnet ,seiend' aber nicht wie irgendein singulärer Terminus konkret dieses oder jenes Seiende, sondern Seiendes in allgemeiner Weise. Somit muß zweitens gefragt werden: Worin besteht die Allgemeinheit des Terminus .seiend'? Die Antwort Ockhams lautet: ,Seiend' ist insofern allgemein, als diesem Terminus ein allen Dingen gemeinsamer Begriff entspricht, der von allen Dingen washeitlich (in quid) ausgesagt werden kann90. Dieses Bilden eines gemeinsamen Begriffs ist folgendermaßen möglich: Angenommen, es werden die zwei Begriffe ,a und ,b' sowie der umfassendere Begriff , intuitive Erkenntnis Isomorphic (zwischen Satz und Bezeichnetem) 94 Kategoremata —• Terminus Kategorien 2, 233, 2 6 4 - 2 6 7 , 324 —• Substanz, Qualität

Kenntnis —* Erkenntnis Klang (sonus) 66 Konnotation/konnotieren (connotatiojconnotare) 101, 204, 2 7 5 - 2 7 6 — Κ. von 'wahr' 4 6 - 4 7 , 306 —• bezeichnen/Bezeichnung; konnotativer Terminus Kopula 7 8 - 9 1 , 1 0 1 - 1 0 2 — Existenzbedeutung der K. (existential import) 8 4 - 8 6 — existenzielle Funktion der K. (secundum adiacens) 82, 8 4 - 8 5 — mentale K. 8 6 - 9 0 — prädikative Funktion der K. (tertium adiacens) 82, 8 4 - 8 5 , 1 0 1 - 1 0 2 —• Prädikation Laut (vox) 66 — 67 — zeichenhafter L. (vox significativa) 66 — 67 Logik (logica) 10, 18, 21, 34, 363 — formale L. 10, 18, 21 — logica moderna 8, 110 —• Sprachphilosophie Lügner-Paradoxon —• Selbstbezüglichkeit eines Satzes Materie 9 3 - 9 6 , 1 0 6 - 1 0 7 , 209 mental 1 6 2 - 2 0 8 — m. Korrelat 34 — 35 —• mentaler Akt; mentale Grammatik; mentaler Terminus; mentaler Satz; mentale Wahrheitsbedingungen Metaphysik 5 1 - 5 9 , 3 6 4 - 3 6 5 — Wahrheit als Gegenstand der Μ. 1, 3 0 - 3 1 , 5 0 - 5 9 , 364 Nomen 4 2 - 4 3 , 102 — konnotatives N. 45—47 — N. erster Einsetzung 42 — N. zweiter Einsetzung 42 —• Intention; Terminus Nominalismus 11 Objekt — O. eines Satzes 292 — 326 — O. eines Wissensaktes 279 — 292 —> objektives Sein; Wissen Ockhamismus 12, 349 Ökonomieprinzip 1 2 7 - 1 2 8 , 143, 189 passio —> Satz; Seeleneindruck Prädikat 7 8 - 8 0 — disjungiertes P. 1 2 0 - 1 2 1

Index Rerum — einstelliges P. 2 6 3 - 2 7 1 — P. ersten Grades 41, 327 — P. zweiten Grades 41, 327 — zweistelliges P. 263, 2 7 1 - 2 7 9 Prädikation 41, 8 0 - 1 0 6 — Drei-Glieder-Theorie der P. 82 — Identitätstheorie der P. 43, 81—82, 89-91, 98-101 — Inhärenztheorie der P. 8 1 - 8 2 , 8 9 - 9 1 , 98-101 — ontologische Implikationen der P. 92 — 106 — Zwei-Glieder-Theorie der P. 79 Prädizierbares (praedicabile) 40 — 41 Prämisse 2 8 - 2 9 , 50 — wahre P. 2 8 - 2 9 , 50 Qualität 3 6 - 3 7 , 2 3 3 - 2 3 5 , 2 6 6 - 2 7 1 — Arten der Q. 36, 268 — mentale Q. 1 9 1 - 1 9 3 Quantor 119-121, 200 quidditas 211, 217, 219 —• Form ratio veri 351 Realismus/Realist 11 —> Erkenntnisrealismus Rede {oratio) 6 7 - 7 1 , 108 —• Aussage; Satz Referenz 112-113, 136-137, 174 — konventionelle R. 164 — 165 — natürliche R. 165 — opake R. 150, 159 —» Supposition Rektion 88, 2 7 1 - 2 7 9 — Eigenschaften der R. 273—274 — extrinsische R. 270 — intrinsische R. 270 — ontische R. (r. secundum esse) 277 — sprachliche R. (r. secundum dici) 277 — Verstandesr. (r. rationis) 276 — 278 — wirkliche R. (r. reaiis) 2 7 6 - 2 7 8 —» Relationsterminus Repräsentationstheorie 132, 354 res- Theorie 3 0 8 - 3 1 7 — modus rei 315—316 restringentes 331—332 Rhetorik 64 Sachverhalt (sic esse in rebus jaliquid α parte rei) 23, 31, 36, 49, 62, 261-262, 2 9 2 - 3 2 6 , 342-348 — relationaler S. 2 7 1 - 2 7 9

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Satz [propositio) 2 5 - 2 6 , 3 7 - 3 8 — analytischer S. (p. per se nota) 218, 236, 239 — assertorischer S. (p. de inesse) 22, 61, 7 0 - 7 3 , 123 — Definition des S. 66 — 75 — Dictum eines Satzes 281—282 — extrinsischer S. 183 — geschriebener S. 26 — gesprochener S. 26, 69 — hypothetischer S. 214 — kategorischer S. 22 — kontingenter S. 2 1 8 - 2 2 1 — mentaler S. 26, 54, 73, 1 9 6 - 2 0 8 — notwendiger S. (p. necessaria) 162, 221-223 — ontischer S. (p. in re) 94 — 95 — passio eines Satzes 37 — prädikativer S. 22 — sich selbst falsifizierender S. (p. falsificans se ipsam) 333 — S. im Intellekt (p. in intellectu) 95 — S.-token 168, 304 — S.-type 168, 304 — S. über Notwendiges (p. de necessario) 162 — S. über Vergangenes 129 — 139 — S. über Zukünftiges 1 2 9 - 1 3 9 — zusammengesetzter und aufgeteilter Satzsinn (sensus compositus et divisus) 133 —> Aussage; complexum-, Rede scientiae sermocinales —» Grammatik; Logik; Rhetorik Seele — intellektiver Teil der S. 2 1 6 - 2 3 7 — sensitiver Teil der S. 216 — 226 —* Intellekt Seeleneindruck {passio animae) 169 — 171 —* Begriff, mentaler Terminus Seiendes/Sein {ensjesse) 31—33, 56 — 59 — allgemeines S. 57 — 58 — extrakategoriales S. 56 — fiktives S. {fictum, idolum) 99, 141 — 144, 187-190 — kategoriales S. 5 6 - 5 9 , 2 6 4 - 2 7 1 — objektives S. {esse obiectivum) 99, 141, 187-190 — singuläres S. 5 8 - 5 9 , 264-265, 2 0 9 - 2 1 0 Selbstbezüglichkeit eines Satzes 296, 326— 342 — Implikationstheorie für S. 338—341 — S. cum determination privativ a 331 —• Insolubilia

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Sensualismus 184 sensus compositus et divisus 133 —> Satz significatum — s. eines negativen Satzes 298 — 299, 315 — j\ eines objektsprachlichen Satzes 263, 292-326 — s. eines Satzes über Fiktives 311—213 — s. eines selbstbezüglichen Satzes 326 — 342 signifikativ —• bezeichnen/Bezeichnung Skeptizismus 241 species 143, 173, 186, 210, 219, 2 2 5 - 2 2 6 , 2 5 7 - 2 5 8 , 3 0 1 - 3 0 2 , 354 Sprache — Ideals. 198, 208 — konventionelle S. 164-165, 1 7 9 - 1 8 5 — mentale S. 164-168, 1 7 3 - 2 0 8 Sprachphilosophie 358—359 Subjekt 7 7 - 8 0 , 312 Substanz 3 6 - 3 7 , 2 6 6 - 2 7 0 Supposition (suppositio) 1 6 - 1 8 , 97, 109 — 157 — allgemeine S. (s. communis) 119 — Definition der S. 109-111 — einfache S. (τ. simplex) 97, 151, 177 — festgelegte S. (s. determinata) 119 — habituelle S. (/. habitualis) 112 — konfuse S. (s. confusa) 97, 119, 151 — materiale S. (s. materialis) 26 — 27, 112, 177-178 — natürliche S. (s. naturalis) 112 — persönliche S. [s. personalis) 26, 112, 119-121, 151-152, 177-178, 191 — uneigentliche S. (s. impropria) 27. 357 —• Appellation; Bezeichnung; Referenz Suppositionsbedingungen 16, 125 — 157 — S. in Sätzen mit intentionalen Verben 149-157 — S. in Sätzen über fiktive Gegenstände 139-149 — S. in Sätzen über Verganges oder Zukünftiges 1 2 9 - 1 3 9 — syntaktisch-semantische S. 111 — 115 Syllogismus 50 Symbol 1 7 0 - 1 7 1 —• Zeichen Synkategoremata —• Terminus Synonymie 197, 2 0 3 - 2 0 4

— allgemeiner T. (/. communis) 130, 151, 186, 222-223 — Definition des T. 76 — 77 — Extension eines T. 101 — fiktiver T. 1 3 9 - 1 4 9 — genereller T. 43 — geschriebener T. 169, 1 7 9 - 1 8 5 — gesprochener T. 169, 1 7 9 - 1 8 5 — Intension eines T. 101 — kategorematischer T. (/. categorematicus) 38 — komplexer T. (/. complexus) 189 — konnotativer T. (/. connotativus) 40, 45 - 46, 144-145, 204, 275 — konventioneller T. 179—185 — mentaler T. 169 — 196 — Relationst. it. relativus) 2 7 2 - 2 7 6 — singulärer T. 43, 186, 234 — synkategorematischer T. (t. sjncategorematicus) 37, 38, 105, 178-179, 186, 188, 195 — transzendenter T. 46, 51 Begriff Terminuseigenschaften (proprietates terminorum) 14, 110 —» Appellation; Bezeichnung; Supposition; Terminus Transzendentalien 51, 352 —• transzendenter Terminus Trugschluß (fallacia) 85, 110

Terminismus 110 Terminus — absoluter T. (t. absolutus) 144—145

Wahrheit — äußere W. (Veritas rei/in re) 53 — doppelte W. 9

Universale 93—94 — ontischer Status des U. 186 —* allgemeines Seiendes Urteil 161, 208-216, 230 —• Akt; Erkenntnis Verneinung (negatio, diviso) 32 — 33 Verstehensakt (actus intelligendi) 23, 47, 61, 193-196, 200, 206, 2 0 8 - 2 5 8 — komplexer V. 213 — konfuser V. 194, 229 — Konstitutierung eines V. 23, 2 2 6 - 2 3 7 — unkomplexer V. 212 — 213 -»· Akt via antiqua 11 via moderna 11 Vorstellung (imaginatio, conceptio) 146, 173 — 174, 256, 3 1 1 - 3 1 2 —• Begriff

Index Rerum -

logische W. 16 Sache W. 2 - 3 Satzw. (Veritaspropositionis) 53 — 55, 349 — 351 - W. als rectitude 351 —> ratio veri Wahrheitsbedingungen 15 - mentale W. 1 8 - 1 9 , 3 2 - 3 3 , 159, 1 6 2 168, 350 - ontologische W. 1 8 - 1 9 , 159, 350 - semantische W. 19, 163, 350 —* Suppositionsbedingungen Wahrheitsbegriff - ontologisierender W. 30, 351—352 - philosophischer W. 4 - 9 , 358 - propositionaler W. 16, 18, 3 4 - 5 0 , 5 9 62, 349, 357 - theologischer W. 5 - 9 , 3 5 5 - 3 5 8 - wissenschaftstheoretischer W. 30 — 31, 34 Wahrheitsdefinition 1—4 - Anselms W. 5, 15, 351 - Aristoteles' W. 15, 2 8 - 3 3 - Augustins W. 8, 351 - Thomas von Aquins W. 351—355 - Ockhams W. 3 6 - 5 0 , 3 5 1 - 3 6 5 Wahrheitskonzeption 3 — 4

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Wahrheitsproblem 1 - 4 , 1 4 - 1 5 — Zugang zum W. 4 —9 Wahrheitstheorie — Adäquationstheorie 60 — 61, 353—355 — Illuminationstheorie 356 — Korrespondenztheorie 17, 31—32 — 33, 5 9 - 6 2 , 3 4 9 - 3 5 0 , 365 — psychologische W. 16, 47 — Redundanztheorie 39—40 — semantische W. 10, 16 — 17 — sprachanalytische W. 10, 20 Wahrnehmung 2 1 6 - 2 3 7 , 254 —• sensitives Erfassen Wille 2 3 6 - 2 3 7 ->• Willensakt Wissen/Wissenschaft (scientia) — Definition von W. 29, 2 8 3 - 2 8 7 , 290 — Propositionalisierung des W. 359 — 361 — Realw. 2 8 5 - 2 8 7 — Sprachw. 286 —• Objekt eines Wissensaktes Wissenschaftstheorie 5 0 - 5 9 , 2 8 3 - 2 9 2 Zeichen 169-171, 1 7 4 - 1 7 5 , 180 —• Symbol

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QUELLEN UND STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE BERNHARD THÖLE

Kant und das Problem der Gesetzmäßigkeit der Natur Groß-Oktav. XI, 324 Seiten. 1991. Ganzleinen DM 148,ISBN 3 11 012193 X (Band 27) SYBILLE KRÄMER

Berechenbare Vernunft Kalkül und Rationalismus im 17. Jahrhundert Groß-Oktav. X, 431 Seiten, diverse Tabellen. 1991. Ganzleinen DM 196,- ISBN 3 11 012106 9 (Band 28) RALF STOECKER

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Handeln wider besseres Wissen Eine Diskussion klassischer Positionen Groß-Oktav. XIII, 241 Seiten. 1992. Ganzleinen DM 128,ISBN 3 11 013507 8 (Band 30) PETER STEMMER

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Leibniz'Auffassung des menschlichen Verstandes (intellectus) Eine Untersuchung zum Standpunktwechsel zwischen "systeme commun" und "sytfeme nouveau" und dem Versuch ihrer Vermittlung Groß-Oktav. XVIII, 256 Seiten. 1992. Ganzleinen DM 138,ISBN 3 11 013645 7 (Band 32) Preisändeningen vorbehalten