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German Pages 290 Year 1999
BURGHARD HILDEBRANDT
Der Planergänzungsanspruch
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 787
Der Planergänzungsanspruch Zum Vorrang des Anspruchs auf Planergänzung gegenüber dem Anspruch auf Planaufhebung bei unvollständigen Planfeststellungsbeschlüssen
Von Burghard Hildebrandt
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hildebrandt, Burghard: Der Planergänzungsanspruch : zum Vorrang des Anspruchs auf Planergänzung gegenüber dem Anspruch auf Planaufhebung bei unvollständigen Planfeststellungsbeschlüssen / von Burghard Hildebrandt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 787) Zugl.: Halle, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09706-8
Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09706-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Für Uta
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1998 an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zur Promotion angenommen. Ich möchte an dieser Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Markus Heintzen, danken: Er gab die Anregung zu dem Thema, leistete vielfaltige Hilfestellungen und ließ mir als Wissenschaftlichem Assistenten an seinem Lehrstuhl den erforderlichen Freiraum, diese Arbeit anzufertigen. Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Michael Kilian von der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg fur die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Professor Dr. Philip Kunig von der Freien Universität Berlin fur die Anfertigung des Drittgutachtens. Weiterhin bedanke ich mich bei Herrn Professor Norbert Simon, der großzügig die Aufnahme der Arbeit in die Reihe Schriften zum Öffentlichen Recht ermöglichte. Besonderer Dank gebührt meiner Frau, Uta Hildebrandt, die mich während all der Monate ertragen hat: Ihr widme ich diese Arbeit.
Berlin/Stuttgart, im Oktober 1998
Burghard Hildebrandt
Inhaltsverzeichnis Einführung: Problemstellung und Ziel der Arbeit
17
Erster Teil Beschreibung und Einordnung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
25
1. Kapitel
Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in Rechtsprechung und Gesetzgebung I. Beschreibung der zu untersuchenden Konstellation II. Erste Phase: Prozessuale Einschränkung der Fehlerfolge 1. Ausgangslage
25 25 28 28
2. Anlaß zur Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs 30 3. Reaktion des BVerwG
33
4. Schlußpunkt der prozessualen Phase
36
III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge 1. Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
37 38
2. Ausweitung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs .. 39 a) „Interne" Ausweitung
40
b) „Externe" Ausweitung
42
aa) Vorrang des „Genehmigungsergänzungsanspruchs"
42
bb) Vorrang des „Vorhabenergänzungsanspruchs"
44
3. Ausformung des Grundsatzes a) Abgrenzung zwischen Planergänzungsanspruch und Planaufhebungsanspruch
46 47
Inhaltsverzeichnis
10
b) Inhalt des Planergänzungsanspruchs aa) Allgemeines
51 52
bb) Besonderheiten des § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG 4. Dogmatische Begründungsversuche in der Rechtsprechung IV. Regelungen durch den Gesetzgeber V. Zusammenfassung
56 60 62 64
2. Kapitel
Einordnung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in die Fehlerfolgensystematik des Fachplanungsrechts I. Formelle Fehler
67 68
1. Heilung gemäß § 45 VwVfG
69
2. Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG
70
II. Materielle Fehler
75
1. Unbeachtlichkeit von Abwägungsfehlern
75
2. Vorrang der Planergänzung bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß 79 a) Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich Festsetzungen zugunsten des Betroffenen („subjektive" Planergänzung) 80 b) Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich sonstiger Festsetzungen („objektive" Planergänzung) 81 3. „Ergänzendes Verfahren"
85
4. Heilung gemäß § 114 Satz 2 VwGO?
92
III. Zusammenfassung
94
3. Kapitel
Einordnung des Planergänzungsanspruchs und des Planaufhebungsanspruchs in das System der materiellen Ansprüche I. Planergänzungsanspruch und Planaufhebungsanspruch als materielle Ansprüche II. Darstellung des Systems der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht
99
99 104
Inhaltsverzeichnis 1. Abgrenzung zwischen Leistungs- und Reaktionsansprüchen
104
2. Abgrenzung zwischen Abwehr- und Schutzansprüchen
108
III. Einordnung des Planaufhebungsanspruchs in das Anspruchssystem
111
IV. Einordnung des Planergänzungsanspruchs in das Anspruchssystem
116
1. Planergänzungsanspruch als Reaktionsanspruch
116
2. Planergänzungsanspruch als Abwehranspruch
121
V. Zusammenfassung
122
4. Kapitel
Übersicht über die Erklärungsmöglichkeiten des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch I. Hinweis zur Systematik
123 123
II. Tatbestandlicher Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs
127
III. Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken
128
IV. Planaufhebung als überschießende Rechtsfolge
130
V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung
131
Zweiter Teil Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch
135
5. Kapitel
Der Planaufhebungsanspruch als materiell-rechtlicher Aufhebungsanspruch I. Rechtsgrundlage des Aufhebungsanspruchs II. Tatbestand des Aufhebungsanspruchs
135 137 143
1. Objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
144
2. Subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen
144
a) Verstoß gegen ein subjektives Recht
145
Inhaltsverzeichnis
12
b) Rechtswidrigkeitszusammenhang III. Schranken des Aufhebungsanspruchs
146 148
1. Tatsächliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
150
2. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
150
3. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
151
4. Möglichkeit der nachträglichen Legalisierung
151
5. Mitverschulden des Anspruchstellers (§ 254 BGB analog)
152
6. Bestandskraft des Verwaltungsakts
153
IV. Reichweite und Ziel des Aufhebungsanspruchs
153
6. Kapitel
Tatbestandlicher Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs? I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses 1. Rechtmäßigkeitskriterien des Fachplanungsrechts
157 158 158
2. Klassifizierung des Fehlers der Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen .... 160 3. Fehlerfolge
163
4. Ergebnis
166
II. Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen
167
1. Verstoß gegen ein subjektives Recht
167
2. Rechtswidrigkeitszusammenhang
169
3. Ergebnis
170
4. Exkurs: Planaufhebungsanspruch eines unmittelbar Betroffenen
171
III. Ergebnis
175
7. Kapitel
Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken?
177
I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung: Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers? 177 1. Problemaufriß
178
Inhaltsverzeichnis 2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
179
a) Vorhabenträger als Teil der öffentlichen Verwaltung
180
b) Funktion der Planfeststellung
183
c) Planerische Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde
184
3. Ergebnis
187
II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung: Grundsatz der Planerhaltung?
187
1. Problemaufriß
188
2. Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit
190
a) Beschreibung der kollidierenden Interessen
192
b) Auflösung der Interessenkollision
195
3. Umsetzung der Schranke der Unzumutbarkeit
196
4. Ergebnis
199
8. Kapitel
Planaufhebungsanspruch als überschießende Rechtsfolge I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen 1. Inhalt der Rechtsposition a) Umfassende Rechtsposition aus Artikel 2 Absatz 1 GG? b) Einzelne Grundrechtsverbürgungen
203 204 206 206 210
aa) Artikel 14 GG
211
bb) Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit)
211
cc) Subsidiäre Anwendung des Artikel 2 Absatz 1 GG
213
c) Einfachgesetzliche Ausgestaltung der Grundrechtsverbürgungen aa) Gesetzliche Anordnung des Abwägungsgebots
214 217
(1) Subjektives Recht auf Abwägung
218
(2) Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde
224
bb) § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG (1) Begrenzung der planerischen Gestaltungsbefugnis (2) Ermöglichung der Vorhabenrealisierung
226 226 228
Inhaltsverzeichnis
14
2. Inhaber der Rechtsposition
230
a) Nachbar im baurechtlichen Sinne
231
b) Nachbar im umweltrechtlichen Sinne
232
3. Zusammenfassung
235
II. Konsequenzen fur die Rechtsfolge des Abwehranspruchs 1. Abstrakt: Beschreibung der Reichweite der Rechtsfolge eines Abwehranspruchs
237 238
2. Konkret: Bestimmung der Rechtsfolge in der vorliegenden Konstellation ... 239 III. Ergebnis
240
Dritter
Teil
Umsetzung und Grenzen des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch
243
9. Kapitel
Prozessuale Umsetzung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs I. Verurteilung zur Planergänzung und gerichtliche Kontrollkompetenz II. Vereinbarkeit des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs mit § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO III. Planergänzung und Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses
243 244 247 249
10. Kapitel
Grenzen des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs I. Planergänzungsanspruch und Gesamtkonzeption der Planung II. Grundrechtliche Begrenzung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs
253 254 255
1. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 14 GG
257
2. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 2 Absatz 2 GG
259
III. Ergebnis
261
Inhaltsverzeichnis
15
Ergebnis und Thesen
263
Literaturverzeichnis
269
Sachregister
287
Einführung: Problemstellung und Ziel der Arbeit Das Fachplanungsrecht ist eine komplexe Materie: Es hat diejenige vorhabenbezogene Planung zum Gegenstand, die mit dem Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses abschließt1. Hierbei hat der Gesetzgeber das einschlägige Verwaltungsverfahren wie auch die an Planungsentscheidungen zu stellenden materiellrechtlichen Anforderungen in diffiziler Weise ausgestaltet. Das bedeutet fur Planfeststellungsbeschlüsse eine erhöhte Fehleranfalligkeit, da sie in vielfaltiger Hinsicht der Gefahr formeller und bzw. oder materieller Rechtswidrigkeit ausgesetzt sind. Dieser Fehleranfälligkeit steht das praktische Interesse gegenüber, am Bestand eines einmal erlassenen Planfeststellungsbeschlusses festzuhalten, selbst wenn er rechtswidrig sein sollte. Denn die gerichtliche Aufhebung eines rechtswidrigen Planfeststellungsbeschlusses als prozessuale Konsequenz des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO bedeutet, daß das gesamte Planfeststellungsverfahren erneut durchgeführt werden muß, um das jeweils festzustellende Vorhaben realisieren zu können2. Gerade diese Konsequenz wird aber angesichts der Komplexität des Verfahrensablaufs zunehmend als Übel empfunden. Denn ein Planfeststellungsverfahren ist in der Regel ausgesprochen zeitaufwendig und steht einer raschen Verwirklichung planfestzustellender Vorhaben im Wege. Vor diesem Hintergrund ist die seit nunmehr etwa 20 Jahren sich abzeichnende Tendenz zu sehen, die Fehlerfolgen im Fachplanungsrecht zu reduzieren. Insbesondere die Rechtsprechung bemüht sich, die weitestreichende Konsequenz der Rechtswidrigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen, nämlich die Aufhebung gemäß § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO, einzuschränken: Nicht mehr jeder Fehler soll zur Kassation des Beschlusses fuhren. Diese Reduzierungsbemühungen lassen
1
Die folgenden Ausführungen gehen insofern von einem engen, formalen Begriff des Fachplanungsrechts aus. Zu den verschiedenen Inhalten des Planungsbegriffs vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 4 ff.; Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 1 m.w.N. 2 Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rdnr. 53 (dort in FN 328); Steinberg,, NVwZ 1988, 1095/1099. 2 Hildebrandt
18
Einfuhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit
sich grob in zwei Kategorien unterteilen3: Zum einen betreffen sie die Beachtlichkeit von Fehlern, zum anderen die Möglichkeit ihrer Heilung. Zur ersten Gruppe gehören solche Fehler, die die materielle Entscheidung der Planfeststellungsbehörde, also den Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses, nicht beeinflußt haben. Sie gelten als unbeachtlich und fuhren damit im Ergebnis nicht zur Aufhebung eines angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses durch das Gericht. Hierunter fallen vor allem formelle Mängel, z.B. Begründungs- oder Verfahrensfehler, aber auch einige materiell-rechtliche Defizite, wie etwa bestimmte Verstöße gegen das das Fachplanungsrecht maßgeblich bestimmende Abwägungsgebot. Die zweite Kategorie der Instrumente zur Reduzierung von Fehlerfolgen umfaßt die Heilung formeller und materieller Fehler etwa mittels Durchführung eines ergänzenden Verfahrens 4, vorrangig aber die Heilung durch eine nachträgliche Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll ein Institut der letztgenannten Kategorie sein: die Vorrangigkeit eines Planergänzungsanspruchs gegenüber einem Planaufhebungsanspruch. Wie die meisten der oben genannten Mechanismen zur Reduktion von Fehlerfolgen ist auch der Vorrang des Planergänzungsanspruchs durch das BVerwG entwickelt5 und — wie noch zu zeigen sein wird mittlerweile vom Gesetzgeber nachvollziehend geregelt worden6. Dieses Vorrangverhältnis betrifft Planfeststellungsbeschlüsse, die eine an sich gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG (bzw. entsprechender Vorschriften einzelner Fachplanungsgesetze) notwendige Festsetzung von Schutzmaßnahmen nicht enthalten, aus der Perspektive des von diesem Mangel Betroffenen also unvollständig sind. Der Vorrang des Planergänzungsanspruchs als Institut zur Reduktion von Fehlerfolgen läßt sich dabei auf folgende Formel bringen: Der vom Fehlen einer ihn begünstigenden Festsetzung, z.B. einer Lärmschutzmaßnahme, Betroffene hat 3
Eine Systematisierung der einzelnen Institute zur Reduzierung von Fehlerfolgen wird im 2. Kapitel vorgenommen. 4 Vgl. z.B. § 75 Absatz 1 a Satz 2, 2. Alt. VwVfG in der Fassung des Gesetzes vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354). 5 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56, 110/132 f. = Buchholz 442.40 § 8 LufitVG Nr. 2 = DVB1. 1978, 845 = DÖV 1978, 804 = NJW 1979, 64 (mit Anmerkung von Bichel) = BauR 1979,211. 6 Bundesgesetze: § 36 d Absatz 6 Satz 2 BBahnG, § 17 Absatz 6 c Satz 2 FStrG, § 19 Absatz 4 Satz 2 WaStrG, § 10 Absatz 8 Satz 2 LuftVG, § 29 Absatz 8 Satz 2 PBefG, jeweils in der Fassung des Planungsvereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2123); § 5 Absatz 7 Satz 2 Magnetschwebebahnplanungsgesetz vom 23. November 1994 (BGBl. I, S. 3486); § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG in der Fassung des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354). Landesgesetze: z.B. § 37 Absatz 9 Satz 2 StraßenG-LSA vom 06. Juli 1993 (GVB1. S. 334).
Einfuhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses, sondern nur einen Anspruch auf dessen Ergänzung um die jeweils unterbliebene Festsetzung. Ein Aufhebungsanspruch besteht lediglich dann, wenn das Fehlen der Schutzmaßnahme für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht ist, daß dadurch die Gesamtkonzeption der Planung in einem wesentlichen Punkte berührt wird. Der in der Unvollständigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses liegende Fehler soll also grundsätzlich nicht durch Aufhebung des Beschlusses beseitigt, sondern wenn möglich im Wege seiner Ergänzung geheilt werden. Maßgeblich ist damit ein Vorrangverhältnis: Planergänzung soll den Vorrang genießen gegenüber der Planaufhebung. Bezogen auf die Reaktionsmöglichkeiten des Planbetroffenen drückt sich dies in einem Vorrang des Anspruchs auf Planergänzung gegenüber dem auf Planaufhebung aus. Zur Verdeutlichung sei folgender typischer Beispielsfall angeführt: X ist Eigentümer eines Grundstücks, in dessen Umgebung eine Bundesfernstraße gebaut werden soll. Die zuständige Planfeststellungsbehörde erläßt nach Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens einen Beschluß, mit dem sie das Vorhaben feststellt. In diesem Beschluß verabsäumt sie es, zugunsten des X Lärmschutzmaßnahmen anzuordnen, obwohl dies nach §§ 41, 42 BImSchG in Verbindung mit § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG erforderlich gewesen wäre. Als Reaktion auf diesen Mangel wird dem X grundsätzlich kein Anspruch auf Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses zugebilligt, sondern lediglich ein Anspruch auf dessen nachträgliche Ergänzung um die zunächst unterbliebene Festsetzung von Lärmschutzmaßnahmen. Eine gegen den Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage des X hat demnach keinen Erfolg, wohl aber eine auf Planergänzung gerichtete Verpflichtungsklage. Die Analyse des Planergänzungsanspruchs und insbesondere die Erklärung seines Vorrangs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch soll Gegenstand der folgenden Untersuchungen sein. Anlaß hierfür ist die auffällige Diskrepanz zwischen der praktischen Bedeutung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs einerseits und dem Fehlen seiner dogmatischen Klärung andererseits: Der Vorrang der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung hat sich in der Praxis zu einem „Erfolgsmodell" entwickelt, durch welches in einer Vielzahl von Fällen die Kassation unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse und damit die nochmalige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens vermieden wurde. Insofern handelt es sich bei dem Topos vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs um ein gängiges Argumentationsschema. Dem steht der überraschende Befund gegenüber, daß eine Einordnung dieses Vorrangverhältnisses in das System des allgemeinen Verwaltungs-, des Staatshaftungs- sowie des Fachplanungsrechts noch nicht gelungen ist. In Rechtsprechung und Literatur herrscht
20
Einfuhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit
mittlerweile vieleher die Tendenz vor, anstelle einer genauen rechtlichen Analyse der Konstellation des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses in geradezu stereotyper Weise die fur den Vorrang der Planergänzung grundlegenden Ausführungen des Urteils des BVerwG vom 07. Juli 19787 wiederzugeben. Eine Aufarbeitung des Phänomens in der Literatur fehlt. Insgesamt findet sich im Schrifttum nur selten eine Auseinandersetzung mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Vorrang des Planergänzungsanspruchs: Teilweise wird dabei diese Konstruktion abgelehnt und dem von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen (zumindest auch) ein mit der Anfechtungsklage durchzusetzender Aufhebungsanpruch zugebilligt 8 . Es überwiegen die Stimmen, welche sich um eine dogmatische Absicherung der Rechtsprechung bemühen; dies erfolgt aber durchweg nur in Ansätzen und zumeist am Rande9. In der Regel erschöpfen sich die einschlägigen Ausführungen in der Wiedergabe der Rechtsprechung, oft unter dem Hinweis, daß diese zu praxisgerechten Ergebnissen führe 1 0 . Die Diskussion um den Vorrang des Planergänzungsanspruchs scheint seit seiner gesetzlichen Anordnung verstummt zu sein. Dies kann aber nicht als Beleg dafür gewertet werden, daß mit Tätigwerden des Gesetzgebers das Bedürfnis nach einer Erklärung dieses Instituts entfallen sei. Vieleher stellt sich etwa vor dem Hintergrund des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO auch weiterhin die Frage, weshalb das Fehlen von Schutzmaßnahmen zwar zur objektiven Rechtswidrig-
7
S.o. in FN 5. Engelhardt, BayVBl. 1981, 389/396 ff.; Hermann, Fluglärm, S. 333; Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 36; Sieg, Schutzauflage, S. 212 und passim; kritisch auch Steinberg, NVwZ 1988, 1095/1100; ders., Fachplanung, § 7 Rdnr. 83 ff.; zuvor schon Meins, BayVBl. 1979, 10/13; ebenso Papier, NJW 1977,1714/1717. 9 Bichel NJW 1979, 71; Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 265 f.; Keller, NJW 1979, 1490; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 422; Michler, Verkehrsimmissionsschutz, S. 174; Quaas, NVwZ 1991, 16/21; Ronellenfltsch, Beschleunigung und Vereinfachung, S. 131; in der Sache dem BVerwG zustimmend, aber mit Kritik an der Begründung Mößle, BayVBl. 1982,231/234 ff.; ähnlich Broß, VerwArch 77 (1986), 193/206, der dem BVerwG zwar inhaltlich folgt, ihm aber vorhält, durch seine Rechtsprechungsänderungen im Fachplanungsrecht die Rechtssicherheit in Frage zu stellen. 10 Dürr, VB1BW 1992, 321/328; Friesecke, WaStrG, § 19 Rdnr. 22; Gegner, Abschnittsweise Planfeststellung, S. 231; Heinze, BayVBl. 1981, 649/652; Jarass, BImSchG, § 41 Rdnr. 44; Johlen, DVB1. 1989, 287/289; Paetow,, DVB1. 1985, 369/372; Schweriner in Kunig/Schwermer/Versteyl, AbfG, § 8 Rdnr. 69; Laubinger, FS Menger, S. 443/448 f.; Roeser, FS Schlichter, S. 479/494; Stüer, DVB1. 1997, 326/331; Wahl, NVwZ 1990, 923/924; Menke, BayVBl. 1981,298/299. 8
Einfhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit keit des Planfeststellungsbeschlusses führen soll 1 1 , hingegen (grundsätzlich) nicht zu seiner Aufhebung im Anfechtungsfalle. Ebenso erklärungsbedürftig bleibt das Phänomen des Umschlagens eines Ergänzungs- in einen Aufhebungsanspruch: Dieses soll in dem Moment erfolgen, in welchem der Fehler ein bestimmtes Gewicht erreicht, nämlich die Gesamtkonzeption der Planung berührt. Hieran ist bemerkenswert, daß das Bestehen eines Aufhebungsanspruchs nicht von der Intensität der subjektiven Beeinträchtigung des Betroffenen, sondern allein von einem objektiven Kriterium abzuhängen scheint, nämlich von der Relation zwischen Fehler und dem Planfeststellungsbeschluß insgesamt. Schließlich ist der vorliegende grundsätzliche Ausschluß des Aufhebungsanspruchs aus systematischen Gründen eher atypisch; denn in der Sache werden hierdurch bereits vor Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses gegen ihn gerichtete Beseitigungsansprüche ausgeschlossen, was zu einer zeitlichen Vorverlagerung des ansonsten im Anlagenzulassungsrecht geltenden Bestandsschutzes12 führt. Es erscheint also nach wie vor lohnend, nach dem Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs zu forschen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des „Entwurfs der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch" vom Juli 1997 (UGB-KomE): Dieser führt für die überwiegende Zahl derzeit planfeststellungsbedürftiger Vorhaben die Zulassungsform der „planerischen Vorhabengenehmigung" ein (§§ 101 ff., 81 Absatz 3 UGBKomE), enthält aber keine dem Vorrang der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung entsprechende Regelung (§ 102 Absatz 2 UGB-KomE). Da ein subsidiärer Rückgriff auf § 75 Absatz 1 a Satz 2 V w V f G wegen der fehlenden Identität von „planerischer Vorhabengenehmigung" und Planfeststellungsbeschluß ausscheidet 13 , bedarf es einer genauen Analyse des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs, w i l l man an diesem Institut auch im Falle einer gesetzlichen Umsetzung des UGB-KomE festhalten 14 . Die vorliegende Untersuchung w i l l daher die rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten desjenigen herausarbeiten, der von einem Planfeststellungsbeschluß betroffen ist, welcher nicht die zur Wahrung seiner Rechtsposition erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 V w V f G anordnet. Methodisch bietet sich hierzu die Übertragung der für das Recht des sogenannten 11
Dazu unten im 6. Kapitel unter I. Z.B. § 75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, § 14 Satz 1 BImSchG, § 7 Absatz 6 AtomG oder § 11 Absatz 1 Satz 1 WHG. 13 Argument aus §§ 101, 99 Absatz 1 Satz 2 UGB-KomE. 14 Zum UGB-KomE und dessen gesetzlicher Umsetzung vgl. etwa Dolde, NVwZ 1997, 313/319 f.; Kloepfer/Durner, DVB1. 1997, 1081 ff.; Schölten, DÖV 1997, 701 ff. 12
22
Einfhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit
Folgenbeseitigungsanspruchs in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze auf den gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachten Aufhebungsanspruch an: Denn erstens sind nach nunmehr ganz herrschender Meinung der Folgenbeseitigungsanspruch und der gegen einen Verwaltungsakt gerichtete Aufhebungsanspruch lediglich unterschiedliche Erscheinungsformen ein und desselben materiellen Abwehranspruchs15. Zweitens erinnern die Argumente, die in der vorliegenden Konstellation für den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs angeführt werden, an die Dogmatik des Folgenbeseitigungsanspruchs16. Und schließlich bietet sich diese Übertragung deshalb an, weil die Behandlung des hier einschlägigen, gegen Verwaltungsakte gerichteten Aufhebungsanspruchs in Literatur und Rechtspechung bislang im Schatten des Verwaltungsprozeßrechts steht, seine materiell-rechtliche Fundierung hingegen erstaunlich defizitär zu sein scheint. Dies gilt nicht für den Folgenbeseitigungsanspruch, der Gegenstand einer Fülle von Abhandlungen ist 17 und dessen Konturen dementsprechend als einigermaßen gesichert gelten dürfen. Die vorliegende Arbeit ist vor dem Hintergrund der aktuellen Tendenz im Fachplanungsrecht zu sehen, die ganz im Zeichen der „Beschleunigung" von Planfeststellungen und sonstiger Anlagenzulassungen steht. Nicht erst seit der deutschen Wiedervereinigung mit ihren spezifischen Folgeproblemen gerade bei der Realisierung dringend benötigter Infrastrukturvorhaben in den neuen Ländern ist der Ruf laut geworden nach einer Vereinfachung des bestehenden Anlagenzulassungsrechts18. Diesem Ruf ist der Gesetzgeber in jüngerer Zeit wiederholt gefolgt, wobei entsprechende Regelungen zur „Beschleunigung" einer An-
15
Engler, Der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch, S. 37; Gassner, DÖV 1981, 615/616; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 94 f.; Horn, Aufhebung, S. 47; ders., DÖV 1990, 864/866 (insbesondere dort in FN 20); Laubinger, VerwArch 80 (1989), 261/299; Krebs, DVB1. 1984, 109; Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, S. 73 ff.; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 60 ff. (insbesondere S. 83); Rupp, Grundfragen, S. 251; Schenke, DVB1. 1990, 328/330; ders., NJW 1997, 81/89; Schleeh, AöR 92 (1967), 58/76; Schneider, Folgenbeseitigung, S. 16; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/38; Weyreuther, Gutachten B, S. 47. 16 Hierzu näher im 4. Kapitel. 17 Vgl. an Monographien allein aus neuerer Zeit z.B. Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht; Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch; Schneider, Folgenbeseitigung. 18 Z.B. Busse, DÖV 1996, 389/393; Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten; Hofmann-Hoeppel, Die Verwaltung 27 (1994), 391; Kleinschnittger, Die abfallrechtliche Planfeststellung; Ronellenfitsch, Beschleunigung und Vereinfachung; Schulte, Beschleunigung baulicher Vorhaben.
Einfuhrung: Problemstellung und Ziel der Arbeit
lagenzulassung durch eine Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens 19, die Reduzierung der Rechtsschutzmöglichkeiten des von einer Anlagenzulassung Betroffenen 20 und die genannten Regelungen des planungssichernden Vorrangs der Planergänzung im Vordergrund standen. Eine Analyse, inwieweit sich diese Neuerungen in vorhandene Strukturen einfügen, kommt dabei mitunter zu kurz 21. Die folgenden Ausführungen wollen hier ansetzen: Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist es nicht, neue Möglichkeiten einer weiteren Beschleunigung oder Vereinfachung des Fachplanungsrechts aufzuzeigen. Es soll vieleher der Versuch unternommen werden, den Vorrang des Planergänzungsanspruchs als ein seit über 20 Jahren in der Praxis angewandtes, dogmatisch bisher weitgehend unbehandeltes Instrument der Planungssicherung zu beschreiben, zu erklären und in ein systematisches Gefüge einzuordnen. Ausgangspunkt hierfür ist die Darstellung der Genese des Instituts vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs: seine stufenweise Entwicklung durch die Rechtsprechung und anschließende Übernahme durch den Gesetzgeber (1. Kapitel). Auf dieser Grundlage wird der Untersuchungsgegenstand abzugrenzen (2. und 3. Kapitel) und der Gang der Bearbeitung weiter darzulegen sein (4. Kapitel).
19
Z.B. Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz vom 16. Dezember 1991 (BGBl. I, S. 2174); Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 25. März 1993 (BGBl. I, S. 466); Planungsvereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2123); Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354); Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 09. Oktober 1996 (BGBl. I, S. 1498). Vgl. für das Bauplanungsrecht auch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 vom 18. August 1997 (BGBl. I, S. 2081). 20 Z.B. 6. Gesetz zur Änderung der VwGO vom 01. November 1996 (BGBl. I, S. 1626). 21 Vgl. in diesem Zusammenhang Erbguth, NVwZ 1997, 116, der sich kritisch zur gegenwärtigen Tendenz des Gesetzgebers äußert, „infrastrukturelle Fachplanung allein nach dem Gesichtspunkt der Ökonomie zu regeln"; gegen einen Selbstzweck „Schnelligkeit des Zulassungsverfahrens" Bohne, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 41.
Erster Teil
Beschreibung und Einordnung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
1. Kapitel
Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in Rechtsprechung und Gesetzgebung1
I. Beschreibung der zu untersuchenden Konstellation Die Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch ist ein Verdienst der Rechtsprechung des BVerwG. Sie läßt sich als ein Beispiel der fur das Planungsrecht charakteristischen schöpferischen Kraft dieses Gerichts begreifen 2. Der Planergänzungsanspruch und seine Genese sind dabei im Zusammenhang zu sehen mit der gegenwärtigen Tendenz, die Folgen von Fehlern, mit denen ein Planfeststellungsbeschluß behaftet sein kann, zu begrenzen. Anwendungsbereich des Planergänzungsanspruchs sind solche Fehler, die aus der unterlassenen Anordnung gebotener Schutzmaßnahmen resultieren. Er hat die nachträgliche Anordnung einer Schutzmaßnahme nach § 74 Absatz 2 Satz 2 1
Ein kurzer Überblick findet sich bei Steinberg, Fachplanung, § 7 Rdnr. 83 ff.; vgl. auch Sieg, Schutzauflage, S. 16 ff. 2 Zur Bedeutung der Rechtsprechung des BVerwG fur die Entwicklung einer eigenständigen Dogmatik des Fachplanungsrechts vgl. Broß, VerwArch 77 (1986), 193/195; Fouquet, VerwArch 87 (1996), 212/214; Tzschaschel, Rechtfertigungserfordernisse, S. 16 (m.w.N. dort in FN 9); Wahl, NVwZ 1990,426 ff.
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1. Kap., I. Beschreibung der zu untersuchenden Konstellation
VwVfG (oder ihres auf Entschädigung in Geld gerichteten Surrogats gemäß Satz 3 der Norm) bzw. nach entsprechenden Vorschriften der einzelnen Fachplanungsgesetze zum Gegenstand. Unter dem Begriff „Planergänzungsanspruch" soll daher im folgenden der Anspruch auf Vervollständigung eines bereits erlassenen Planfeststellungsbeschlusses um eine erforderliche Schutzmaßnahme verstanden werden. Inhaber dieses Anspruchs ist die von einem Planfeststellungsbeschluß „mittelbar" betroffene natürliche Person3: Der Beschluß entfaltet dieser gegenüber keine enteignende Vorwirkung, welche darin besteht, daß auf ein Grundstück zugegriffen und dieses für die Verwirklichung des Vorhabens in Anspruch genommen werden soll („unmittelbare" Betroffenheit). Die mittelbare Beeinträchtigung entsteht vieleher als Folge der zugelassenen Planung und der mit ihr verbundenen Situationsveränderung in der Umgebung des Planvorhabens. Klassisches Beispiel eines mittelbar Betroffenen ist der Nachbar, welcher Immissionen ausgesetzt ist, die von dem planfestzustellenden Vorhaben bzw. von dessen Betrieb ausgehen. Diese begriffliche und sachliche Differenzierung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Betroffenheit durch einen Planfeststellungsbeschluß prägt das gesamte Fachplanungsrecht und liegt auch der weiteren Untersuchung zugrunde. Sie ist hervorgegangen aus der Rechtsprechung des BVerwG4 und von der Literatur weitgehend übernommen worden5. Die Terminologie „mittelbare" bzw. „unmittelbare" Betroffenheit ist zwar nicht ganz korrekt 6, an ihr soll im folgenden aber festgehalten werden. Die Entwicklung des Planergänzungsanspruchs durch die Rechtsprechung ging von der Frage aus, welche Reaktionsmöglichkeiten einem mittelbar Betroffenen für den Fall zukommen sollten, daß die Planfeststellungsbehörde es rechts3
Die Problematik fachplanungsrechtlich betroffener Gemeinden soll aus den folgenden Untersuchungen ausgeklammert bleiben; vgl. hierzu statt vieler Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 200 ff. 4 Ursprünglich im Baurecht, z.B. BVerwG, Urteil vom 26. März 1976 - IV C 7.74 - , BVerwGE 50, 282/287 f.; diese Terminologie ist dann auf das Fachplanungsrecht übertragen worden, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 09. März 1979 - 4 C 41.75 —, BVerwGE 57, 297/303 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/259; BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 4 C 34.79 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 34, S. 113; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 - 4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478. 5 Z.B. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Teil 2 Rdnr. 123 ff.; Breuer, FS Sendler, S. 357/388 f.; Jarass, FS Lukes, S. 57/59 f.; Mößle, BayVBl. 1982, 193/199; Steinberg/Lubberger, Aufopferung — Enteignung und Staatshaftung, S. 121 f. (m.w.N. dort in FN 355); Stüer, DVB1. 1991, 1333/1338 (m.w.N. dort in FN 33). 6 Dazu s.u. im 6. Kapitel unter II 4.
1. Kap., I. Beschreibung der zu untersuchenden Konstellation widrigerweise verabsäumt hatte, zu seinen Gunsten eine Schutzmaßnahme im Planfeststellungsbeschluß anzuordnen. Grundsätzlich sind in dieser Konstellation zwei Möglichkeiten denkbar: Zum einen könnte man dem Betroffenen einen Aufhebungsanspruch gegen den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß zubilligen; dieser Anspruch müßte prozessual mit der Anfechtungsklage durchgesetzt werden. Folge wäre die Aufhebung des Beschlusses, soweit er den Betroffenen belastet (§113 Absatz 1 Satz 1 VwGO). Zum anderen ist aber auch ein Ergänzungsanspruch auf Vervollständigung des Planfeststellungsbeschlusses um die zunächst unterbliebene Festsetzung einer Schutzmaßnahme denkbar. Als prozessuale Konsequenz dieser Konstruktion müßte der Betroffene eine Verpflichtungs-, genauer: eine Bescheidungsklage (§113 Absatz 5 Satz 2 VwGO) auf Planergänzung erheben. Der Unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegt auf der Hand: Folge eines stattgebenden Anfechtungsurteils ist die (zumindest teilweise) Kassation des Planfeststellungsbeschlusses. Will der Vorhabenträger das jeweilige Projekt gleichwohl realisieren, muß er erneut dessen Planfeststellung beantragen. Diese könnte erst nach nochmaliger Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens erfolgen. Bei einem stattgebenden Bescheidungsurteil hingegen bedürfte es nicht der nochmaligen Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens; vieleher könnte das Vorhaben unmittelbar nach Vervollständigung des Beschlusses um die vom Betroffenen eingeklagte Schutzmaßnahme in die Praxis umgesetzt werden. Vor diese Alternative gestellt, hat das BVerwG in der Tendenz die Möglichkeit einer Aufhebung unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse immer weiter zurückgedrängt und die Betroffenen zunehmend auf die Geltendmachung von Planergänzungsansprüchen verwiesen. Diese Festlegung des Gerichts auf eine vorrangig zu betreibende Planergänzung erfolgte schrittweise. Hierbei lassen sich drei Phasen unterscheiden: Die erste Phase der Entwicklung des Planergänzungsanspruchs hat ihren Schwerpunkt im Prozeßrecht (dazu unter II): Sie ist geprägt durch die Frage nach der statthaften Klageart, die der von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffene erheben muß. Das BVerwG unternimmt hier erste Schritte zur Erhaltung von fehlerhaften Planfeststellungsbeschlüssen, indem es sich der Ansicht einiger Instanzgerichte entgegenstellt, derzufolge in der vorliegenden Konstellation allein die auf Aufhebung des Beschlusses gerichtete Anfechtungsklage der statthafte Rechtsbehelf sei; diese Exklusivität der Anfechtungsklage verneint das Gericht und hält auch die auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses zielende Verpflichtungsklage für statthaft. Als Schlußpunkt dieser Entwicklung räumt das BVerwG dem von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen ein Wahlrecht zwischen beiden prozessualen Möglichkeiten ein. In der zweiten Phase wendet das BVerwG, auf diesem
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1. Kap., II.
te Phase: r e l e Einschränkung der Fehlerfolge
prozessualen Wahlrecht aufbauend, sich der materiellen Rechtslage zu (dazu unter III): Die auf Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Anfechtungsklage soll zwar zulässig, aber in der Regel unbegründet sein. Das Gericht billigt dem Betroffenen grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufhebung, sondern lediglich einen Anspruch auf Ergänzung des Beschlusses zu. In der Sache erfolgreich soll daher grundsätzlich nur die - nach Möglichkeit hilfsweise zur Anfechtungsklage zu erhebende — auf Planergänzung gerichtete Verpflichtungsklage sein. In dieser zweiten Phase entwickelt das BVerwG also den Vorrang des Planergänzungs- gegenüber dem Planaufhebungsanspruch, der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist. Die dritte und letzte Phase der Entwicklung des Planergänzungsanspruchs ist geprägt von der Übernahme dieser Rechtsprechung durch den Bundes- und Landesgesetzgeber (dazu unter IV). Diese drei Phasen gilt es im folgenden darzustellen.
II. Erste Phase: Prozessuale Einschränkung der Fehlerfolge Mit dem hier verwendeten Schlagwort der prozessualen Einschränkung von Fehlerfolgen sollen Bestrebungen des BVerwG umschrieben werden, das Problem der planschonenden gerichtlichen Reaktion auf die Unvollständigkeit von Planfeststellungsbeschlüssen über die Wahl der statthaften Klageart zu lösen. Diese Frage spitzt sich zu auf die prozessuale Alternative zwischen zwei denkbaren Klagearten: zum einen die auf Aufhebung des fehlerhaften Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Anfechtungsklage, zum anderen die Verpflichtungsklage auf dessen Ergänzung um die unterbliebene Schutzmaßnahme.
1. Ausgangslage In der frühen Rechtsprechung des BVerwG finden sich noch keine näheren Ausführungen zu der Frage, welche Klageart in der Konstellation eines hinsichtlich gebotener Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses die statthafte sei. Soweit ersichtlich, stellt das BVerwG in den hier einschlägigen Entscheidungen keine Überlegungen zur statthaften Klageart an, die der Kläger als Reaktion auf den ihn betreffenden unvollständigen Planfeststellungsbeschluß erheben muß. Diese anfangliche Indifferenz des BVerwG bezüglich der vorliegenden Konstellation soll anhand dreier Entscheidungen beispielhaft verdeutlicht werden: In
1. Ausgangslage
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seinem Urteil vom 14. April 1967 vertritt das Gericht die Ansicht, daß ein Planfeststellungsbeschluß, der wegen Fehlens einer Anordnung gebotener Schutzmaßnahmen den Kläger in seinen Rechten verletze, „aufzuheben oder zu ändern" sei 7 . Zur statthaften Klageart äußert das Gericht sich nicht, obwohl der Kläger in der Ausgangsinstanz eine Anfechtungsklage gegen den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß erhoben, im Wege der Klageänderung vor dem Berufungsgericht aber seine Klage auf ein Verpflichtungsbegehren auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die gebotenen Schutzmaßnahmen umgestellt hatte8. Auch in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 19679 findet sich noch keine Problematisierung der Frage der bei Rechtsschutz gegen unvollständige Planfeststellungsbeschlüsse statthaften Klageart. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil die Klägerin eine Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluß erhoben hatte, in welchem eine Anordnung gemäß § 17 Absatz 4 FStrG 1961 zu ihren Gunsten unterblieben war 10 . Das BVerwG legt das klägerische Begehren dahingehend aus, daß die Klägerin „die Auflage an den Träger der Straßenbaulast begehrt" 11 , hält aber die Anfechtungsklage ausdrücklich fur zulässig. Eine Problematisierung der Frage der statthaften Klageart — etwa durch Aufwerfen der prozessualen Alternative zwischen einer gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten Anfechtungsklage und einer auf Planergänzung zielenden Verpflichtungsklage - findet sich in den Entscheidungsgründen nicht. Letztes hier anzuführendes Beispiel für die anfängliche Indifferenz des BVerwG in der Frage der statthaften Klageart bei unvollständigen Planfeststellungsbeschlüssen ist sein Urteil vom Ol. Juli 1968 12 : Zwei Kläger hatten „vor dem Verwaltungsgericht geklagt und haben die Aufhebung bzw. Abänderung des Planfeststellungsbeschlusses, entsprechend ihrem Begehren, erreicht." 13 Obwohl beide Kläger in gleicher Weise durch die im Planfeststellungsbeschluß unterbliebene Anordnung von Schutzmaßnahmen gemäß § 17 Absatz 4 FStrG 1961 betroffen waren, der eine Kläger aber eine Anfechtungsklage gegen den Planfest7
BVerwG, Urteil vom 14. April 1967 - I V C 42.65 - , BVerwGE 26, 302/303. UA, S. 3; der Abdruck der Prozeßgeschichte ist in BVerwGE 26, 302 insoweit unvollständig. 9 BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 1967 - IV C 229.65 - , BVerwGE 28, 139. 10 UA, S. 3/5; der Abdruck der Prozeßgeschichte in BVerwGE 28, 139 ist unvollständig. 11 BVerwGE 28, 139/144 f. 12 BVerwG, Urteil vom 01. Juli 1968 - IV C 99.66 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 7. 13 UA, S. 3 (in Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 7 insoweit nicht abgedruckt); Hervorhebungen durch den Verfasser. 8
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1. Kap., II.
te Phase: r e l e Einschränkung der Fehlerfolge
stellungsbeschluß, der andere hingegen eine Verpflichtungsklage auf Planergänzung erhoben hatte, sieht das BVerwG keine Veranlassung, zur Frage der statthaften Klageart Stellung zu nehmen. Eine Tendenz zur Einschränkung der Fehlerfolgen findet sich demnach in der frühen Rechtsprechung des BVerwG noch nicht.
2. Anlaß zur Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
Diese offene Ausgangslage ändert sich durch die Rechtsprechung einiger Obergerichte, die im Falle fehlender Schutzmaßnahmen als alleinig statthafte Klageart die Anfechtungsklage gegen den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß ansehen. Beispielhaft für diese Tendenz ist eine Entscheidung des VGH Kassel, in der ausgeführt wird, daß der Kläger sich gegen einen Planfeststellungsbeschluß, der nicht die gebotenen Schutzmaßnahmen zu seinen Gunsten anordne, mit der Anfechtungsklage wenden müsse. Eine Verpflichtungsklage auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die fraglichen Schutzmaßnahmen könne insofern keinen Erfolg haben14. Als „leading case" für diese den Betroffenen ausschließlich auf die Anfechtungsklage verweisende Ansicht kann die Entscheidung des VGH Mannheim vom 22. Februar 1972 gelten15. In diesem Beschluß setzt sich das Gericht ausführlich mit der Rechtsfrage der statthaften Klageart auseinander, die im Falle eines wegen Fehlens gebotener Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses zu erheben sei. Der VGH sieht die Anfechtungsklage gegen den fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß als einzig statthafte Klageart an. Zur Begründung seiner Ansicht führt das Gericht im wesentlichen vier Argumente ins Feld: Erstens trage nur die Anfechtungsklage der Rechtsnatur des Planfeststellungsbeschlusses Rechnung. Dieser sei als Einheit zu beurteilen, was zur Folge habe, daß er insgesamt rechtswidrig sei, wenn ein notwendiger Bestandteil — hier die erforderlichen Schutzmaßnahmen - fehle. Zweitens stehe einer Verpflichtungsklage auf Planergänzung die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses im Wege. Diese trete notwendigerweise ein, wenn der Planfeststellungsbeschluß nicht mit einer Anfechtungsklage angegriffen werde. Die Erhebung einer 14
VGH Kassel, Urteil vom 15. Juli 1975 - II OE 40/72 - , UA, S. 17 f. mit Hinweis auf die „ständige Rechtsprechung des Senats"; diese Entscheidung ist, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht. 15 VGH Mannheim, Beschluß vom 22. Februar 1972 - V 1167/70 - , DÖV 1972,642.
2. Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
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auf Planergänzung gerichteten Verpflichtungsklage könne den Eintritt der Bestandskraft nicht verhindern. § 17 Absatz 6 FStrG 1961 schließe aber Änderungsansprüche bei bestandskräftig festgestellten Vorhaben aus. Mit dem dritten Argument zielt der VGH auf den Grundsatz der Gewaltenteilung: Dem Planungsträger werde mit einer nachträglichen Anordnung von Schutzmaßnahmen seitens des Gerichts ein ihm fremdes Vorhaben aufgedrängt. Viertens und letztens argumentiert der VGH mit dem klägerischen Begehren, das in der Regel gegen das Vorhaben überhaupt, nicht aber auf die Anordnung von Schutzmaßnahmen gerichtet sei. Diesem Begehren werde nur die Anfechtungsklage gerecht: „Überdies ist die Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO regelmäßig nur gegeben zur Erstreitung eines beantragten Verwaltungsakts. Das anzunehmen würde in einem Fall wie dem vorliegenden aber auch der gegebenen Lage nicht gerecht. Denn der von einem Planfeststellungsbeschluß Betroffene wehrt sich-wie auch hier-gegen das Vorhaben überhaupt und beantragt nicht nur, Schutzvorkehrungen zu treffen." 16 Seine hier vertretene Ansicht einer ausschließlichen Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständige Planfeststellungsbeschlüsse hat der VGH Mannheim in einer Reihe von späteren Entscheidungen bestätigt17. Dieser Entscheidung des VGH Mannheim vom 22. Februar 1972 kommt für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand deshalb eine herausragende Bedeutung zu, weil mit ihr die gesamte Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs durch das BVerwG ihren Anfang nimmt. Der VGH zitiert zwar zum Beleg seiner Aussage, daß gegen den wegen Fehlens notwendiger Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß allein die Anfechtungsklage einschlägig sei, eine Reihe von Entscheidungen anderer Gerichte und erweckt somit den Eindruck einer gefestigten Rechtsprechung. Bei näherer Be16
BA, S. 21 (in DÖV 1972, 642 insoweit nicht abgedruckt). Vgl. z.B. VGH Mannheim, Urteil vom 15. September 1972 - V 927/70 - , UA, S. 10 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht) und VGH Mannheim, Urteil vom 30. Mai 1974 - V 43/96 - , UA, S. 12 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); zwar sieht der VGH in dieser letztgenannten Entscheidung eine neben der gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten Anfechtungsklage erhobene Verpflichtungsklage auf dessen Ergänzung um Schutzmaßnahmen gemäß § 17 Absatz 4 FStrG 1961 als zulässig an. Dies wird aber ausdrücklich auf den konkreten Fall beschränkt, in dem das planfestgestellte Vorhaben bereits verwirklicht war. Nach Ansicht des VGH führt in dieser Konstellation ein Folgenbeseitigungsanspruch der Kläger nach § 113 Absatz 1 Satz 2 VwGO selbst bei erfolgreicher Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses nicht zur Beseitigung des Vorhabens. Folglich könne nur die Anordnung von Schutzmaßnahmen begehrt werden, sofern hierdurch die Beeinträchtigung der Kläger auf ein erträgliches Maß vermindert werde (UA, S. 12 f.). 17
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1. Kap., II.
te Phase: r e l e Einschränkung der Fehlerfolge
trachtung erweisen sich diese Zitate aber nicht als Stütze der genannten Aussage: Das Urteil des VGH München vom 10. September 1965 18 hat eine Anfechtungsklage gegen eine ohne erforderliche Lärmschutzauflagen erlassene Baugenehmigung durch einen Dritten zum Gegenstand. Das Urteil des OVG Münster vom 17. Februar 1966 19 bezieht sich auf die erfolgreiche Anfechtung einer ohne Schutzauflage erlassenen Bewilligung nach dem WHG durch einen betroffenen Dritten. Das Urteil des VGH Mannheim vom 07. Mai 1969 20 entscheidet über die Anfechtungsklage gegen eine bauordnungsrechtliche Zustimmung und über die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Erteilung von Schutzauflagen. Diesen drei Entscheidungen ist gemeinsam, daß sie nicht einen fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß betreffen. Die hier relevante These des VGH - „Gegen den wegen Nichtanordnung notwendiger Schutzmaßnahmen fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß ist allein die Anfechtungsklage statthafter Rechtsbehelf." — vermögen sie also gerade nicht zu bekräftigen. Das weiterhin vom VGH Mannheim zum Beleg fur seine Rechtsansicht in Anspruch genommene Urteil des BVerwG vom 14. April 1967 21 betrifft ebenfalls eine andere Konstellation: Das BVerwG hatte hier über die Revision gegen ein Berufungsurteil zu entscheiden, welches nach Klageänderung im Berufungsverfahren gerade eine Verpflichtungsklage auf Ergänzung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses zum Gegenstand hatte 22 . Ähnliches gilt fur das schließlich angeführte Urteil des VGH Kassel vom 16. Oktober 1964 23 : In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte der Kläger während des Berufungsverfahrens eine „Klageerweiterung" vorgenommen, so daß Gegenstand der Entscheidung des VGH Kassel nicht mehr die in der Ausgangsinstanz erhobene Anfechtungsklage gegen den mangels erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß war. Der Klageantrag zielte vieleher zum ersten auf die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses und zum zweiten (kumulativ !) auf die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts 24 . Das klägerische Begehren zielte also nicht auf die Beseitigung, sondern auf den Erlaß ei18
VGH München, Urteil vom 10. September 1965 - Nr. 179 I 65 - , BayVBl. 1966,
242.
19
OVG Münster, Urteil vom 17. Februar 1966 - VII A 1287/63 - , DÖV 1966, 870. VGH Mannheim, Urteil vom 07. Mai 1969 - III 905/68 - (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht). 21 BVerwG, Urteil vom 14. April 1967 - IV C 42.65 - , BVerwGE 26, 302. 22 Vgl. UA, S. 3; der Abdruck in BVerwGE 26, 302 ist insofern unvollständig. 23 VGH Kassel, Urteil vom 16. Oktober 1964 - OS II 97/64 - , DVB1. 1965, 607. 24 UA, S. 6; der Abdruck in DVB1. 1965, 607 ist insofern unvollständig. 20
3. Reaktion des BVerwG
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nes (ergänzenden) Planfeststellungsbeschlusses, der die Belange des Klägers angemessen berücksichtigte. Diese als Verpflichtungsklage zu behandelnde Klage hat der VGH Kassel als unbegründet abgewiesen, also gerade die Zulässigkeit der erhobenen Verpflichtungsklage auf Planergänzung bejaht. Da also die vom VGH Mannheim zitierten Entscheidungen seine Rechtsausfuhrungen zur alleinigen Statthaftigkeit der Anfechtungsklage in der hier relevanten Konstellation nicht stützen, liegt die Folgerung nahe, daß es sich bei dem vorliegenden Beschluß des VGH um richterliches „Neuland" handelt und ihm insofern für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ein besonderes Gewicht zukommt.
3. Reaktion des BVerwG Ist die Analyse der Rechtsprechung des BVerwG zur Frage der für den Rechtsschutz gegen unvollständige Planfeststellungsbeschlüsse statthaften Klageart vor dieser Entscheidung des VGH Mannheim unergiebig, so ändert sich der Befund für die nachfolgenden Judikate des BVerwG grundlegend: Das Gericht gibt seine anfängliche Indifferenz hinsichtlich der an die Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen anzuknüpfenden Sanktion auf und beginnt, stufenweise die Möglichkeit der erfolgreichen Anfechtung unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse einzuschränken. Der Beschluß des VGH Mannheim stellt sich somit als Anstoß zu einer Rechtsprechungsentwicklung dar, die sich konsequent von der durch den VGH postulierten (Extrem-)Position der Kassation des Planfeststellungsbeschlusses als einzig mögliche gerichtliche Sanktion seiner Unvollständigkeit entfernt. Unmittelbare Reaktion des BVerwG auf den vorstehend genannten Beschluß des VGH Mannheim ist das Urteil vom 17. November 1972 25 , dem ersten seiner der für die Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs wesentlichen Judikate. Hier entscheidet das BVerwG, daß der von der Planfeststellung nachteilig Betroffene einen geltend gemachten Anspruch auf Erteilung von Schutzmaßnahmen selbständig mit der Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage verfolgen könne 26 . Es setzt sich eingehend mit den Entscheidungsgründen des VGH Mannheim auseinander und verwirft sie: Zunächst wendet es sich gegen das Argument, Planfeststellungsbeschluß und in ihm anzuordnende Schutzmaßnahmen bildeten eine untrennbare Einheit. Das BVerwG ver25 26
BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 - IV C 21.69 - , BVerwGE 41,178. BVerwG a.a.O., S. 180 ff.
3 Hildebrandt
3 4 1 .
Kap., II.
te Phase: r e l e Einschränkung der Fehlerfolge
tritt statt dessen die Ansicht, daß es sich bei Schutzmaßnahmen27 um „Auflagen in der rechtlichen Bedeutung dieses Begriffs" handele. Sie stellten lediglich eine Ergänzung zur Planfeststellung, nicht aber deren integrierenden Bestandteil dar, da sie das Vorhaben nicht modifizierten, sondern zu dessen Genehmigung als besondere Leistungsverpflichtung hinzuträten. Dieses Argument hat zweierlei Stoßrichtungen: Zum einen folgert das BVerwG aus dieser rechtlichen Trennung von Schutzmaßnahme einerseits und eigentlicher Planfeststellung (im Sinne einer Vorhabengenehmigung) andererseits, daß das Fehlen von jener auf die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses insgesamt keinen Einfluß habe. Zum anderen legt das Gericht mit der Annahme einer rechtlichen Trennung zwischen einzelnen Bestandteilen des Planfeststellungsbeschlusses das klägerische Begehren eines durch unterlassene Schutzmaßnahmen Betroffenen in eine auf die Verpflichtungsklage auf Planergänzung zielende Richtung aus, da die eigentliche Vorhabengenehmigung (in den Worten des BVerwG: die Planfeststellung) den Kläger überhaupt nicht tangiere. Weiterhin wendet sich das BVerwG gegen das Argument des VGH Mannheim, daß der Eintritt der Bestandskraft eines nicht mit der Anfechtungsklage angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses dessen nachträglicher Ergänzung durch die gebotenen Schutzmaßnahmen im Wege stehe. Das BVerwG vertritt hierzu die Ansicht, daß auch die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Planergänzung den Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses verhindere. Denn das Leistungsbegehren dieser Verpflichtungsklage schließe voraussetzungsgemäß die Anfechtung des leistungsversagenden Teils des Verwaltungsakts ein. Mit diesem zweiten Argument geht das BVerwG also von einer im Planfeststellungsbeschluß — dennoch bestehenden — rechtlichen Verbindung von eigentlicher Planfeststellung (als Vorhabengenehmigung) und der Entscheidung über die Anordnung von Schutzmaßnahmen aus. Dieses Urteil ist fur die Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs insofern von Bedeutung, als das BVerwG hier zum ersten Male fur den Fall der Unvollständigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses ausdrücklich eine Verpflichtungsklage auf Planergänzung für statthaft hält. Diese Ansicht vertritt es seitdem in ständiger Rechtsprechung 28. Unklar ist hingegen, ob dem genannten Urteil vom 17. November 1972 darüber hinaus entnommen werden kann, daß das Gericht eine gegen einen wegen Fehlens notwendiger 27
Hier im Sinne des § 17 Absatz 4 FStrG 1961. Aus der folgenden Zeit z.B. BVerwG, Urteil vom 02. November 1973 - IV C 20.73 - , UA, S. 8 f. (unter Berufung auf das Urteil vom 17. November 1972 - in BVerwGE 44, 148 insoweit nicht abgedruckt); BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 38.74 - , BVerwGE 51,6/9; BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 49-52.74 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 23; BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 24.75-, BVerwGE 51, 35. 28
3. Reaktion des BVerwG
35
Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß gerichtete Anfechtungsklage fur unstatthaft hält. Darauf deutet insbesondere folgender Satz hin, mit dem das BVerwG seine Ausführungen einleitet: „Der erkennende Senat vermag der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte nicht zu folgen, nach welcher der Streit um die Ablehnung oder Unterlassung begehrter Schutzanordnungen im Wege der gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten und auf seine Aufhebung zielenden Anfechtungsklage auszutragen sei."29 In der Tat haben in der Folgezeit einige Instanzgerichte diese Entscheidung des BVerwG so verstanden, daß das Gericht in der hier einschlägigen Konstellation eine Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluß als unstatthafte Klageart ablehne30. Andere Entscheidungen des BVerwG lassen eine derartige Auslegung dieses Urteils vom 17. November 1972 nicht eindeutig zu, sondern enthalten eher Andeutungen, daß das Gericht sich lediglich gegen die alleinige Statthaftigkeit der Anfechtungsklage wendet, diese aber möglichwerweise neben der Verpflichtungsklage auf Planergänzung als prozessuale Alternative zuläßt: So legt beispielsweise das Gericht in seinem Urteil vom 02. November 1973 einen als Anfechtungsklage gegen den wegen Fehlens von Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß formulierten Antrag gemäß §§82 Absatz 1 Satz 1,88 VwGO als Verpflichtungsklage auf Planergänzung aus, da das von den Klägern verfolgte Ziel nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, sondern gerade dessen Ergänzung sei 31 . Hieraus läßt sich folgern, daß das Gericht eine Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluß zugelassen hätte, wenn das klägerische Begehren erkennbar auf dessen Aufhebung gerichtet gewesen wäre. Einen deutlicheren Hinweis auf die Statthaftigkeit auch der Anfechtungsklage gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß (neben der Verpflichtungsklage auf Planergänzung) enthält die „B 42"-Entscheidung des BVerwG 32 : In einem obiter dictum führt das Gericht hier aus, daß die gegen einen Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage erfolgreich und dessen 29
BVerwGE 41,178/180; Hervorhebungen durch den Verfasser. Z.B. VGH Mannheim als Vorinstanz zu BVerwG, Urteil vom 15. April 1977 - IV C 100.74 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 25, S. 58 (in BVerwGE 52,237 insoweit nicht abgedruckt); vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Mai 1978 - Nr. R/N 62 V 78 - , BayVBl. 1978, 643/644, wobei allerdings nicht ganz deutlich wird, ob das VG unter Berufung auf BVerwGE 41, 178 die gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage wegen UnStatthaftigkeit bzw. wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig oder aber als unbegründet ("In der Sache kommt es entscheidend darauf an,..."; Hervorhebung durch den Verfasser) zurückweist. 31 BVerwG, Urteil vom 02. November 1973 - IV C 55.70 - , UA, S. 8 f. (in BVerwGE 44, 148 insoweit nicht abgedruckt). 32 BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56. 30
36
1. Kap., II.
te Phase: r e l e Einschränkung der Fehlerfolge
(Teil-)Aufhebung dann „geboten" sei, wenn die Planfeststellungsbehörde die Anordnung gemäß § 17 Absatz 4 FStrG erforderlicher Schutzmaßnahmen unterlassen habe 33 .
4. Schlußpunkt der prozessualen Phase Die eben genannten Andeutungen bestätigt das BVerwG in einem Urteil vom 21. Mai 1976, dem zweiten grundlegenden Judikat in der hier interessierenden Konstellation des Rechtsschutzes bei unvollständigen Planfeststellungsbeschlüssen 34 . In dieser Entscheidung fuhrt das BVerwG aus, daß ein Planfeststellungsbeschluß auch wegen des Fehlens einer notwendigen Schutzanordnung rechtswidrig sein könne. Es stehe dem von einem solchen Fehler Betroffenen frei, eine auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Anfechtungsklage oder eine auf Anordnung von Schutzmaßnahmen gerichtete Verpflichtungsklage zu erheben. Die Wahl zwischen diesen Möglichkeiten bestimme im Einzelfall der Kläger bzw. sein Klageziel. Der Kläger sei aber weder aus materiell-rechtlichen noch aus verfahrensrechtlichen Gründen auf nur eines der beiden genannten Rechtsschutzziele beschränkt 35. Mit dieser Entscheidung findet die erste Phase der Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ihren Abschluß. Ihr zentrales Element ist die Rechtsprechung des BVerwG, die Anfechtungsklage gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß sei nicht die alleinig statthafte Klageart des Planungsbetroffenen. Dies bedeutet allerdings nicht, daß das BVerwG in der vorliegenden Konstellation eine gegen den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage für grundsätzlich unzulässig hält. Es geht vieleher seitdem in ständiger Rechtsprechung von einem (prozessualen) Wahlrecht des Betroffenen zwischen einer auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zielenden Anfechtungsklage und einer auf seine Ergänzung gerichteten Verpflichtungsklage aus. Diese Ansicht ist seit der genannten Entscheidung vom 21. Mai 1976 zwar nur vereinzelt ausdrücklich bestätigt worden 36 ; doch läßt 33
BVerwG a.a.O., S. 69. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976-IV C 80.74-, BVerwGE 51,15. 35 BVerwG a.a.O., S. 21 f. 36 Z.B. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 49-52.74 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 23; BVerwG, Urteil vom 15. April 1977 - IV C 100.74 - , Buchholz 407 § 17 FStrG Nr. 25 (in BVerwGE 52, 237 insoweit nicht abgedruckt); BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 4 C 34.79 - , Buchholz § 17 FStrG Nr. 34, S. 115 f.; BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 44, S. 33 f. 34
4. Schlußpunkt der prozessualen Phase
37
sich der ständigen Rechtsprechung des Β VerwG entnehmen, daß das Gericht zumindest stillschweigend von der Statthaftigkeit sowohl der konkret erhobenen Anfechtungs- als auch der Verpflichtungsklage ausgeht, indem es sich auf Ausfuhrungen zur Begründetheit der jeweiligen Klage beschränkt 37. Die Instanzgerichte sind dem Β VerwG in dieser Rechtsprechung durchweg gefolgt. 38 Das eigentlich Bemerkenswerte an dieser Konstruktion eines Wahlrechts zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist die Gleichrangigkeit beider Rechtsschutzmöglichkeiten, deren Abgrenzung das Gericht allein nach dem klägerischen Begehren vornimmt. Ein eventuelles prozessuales Stufenverhältnis zugunsten der Verpflichtungsklage auf Planergänzung als die „planschonendere" Klageart oder ein materiell-rechtlicher Vorrang der Planergänzung vor der Planaufhebung lassen sich in diesem Stadium der Entwicklung der Rechtsprechung (noch) nicht finden.
III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge Läßt sich die erste Phase der Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs umschreiben als das Bemühen des BVerwG, die Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses mit prozessualen Mitteln, also auf 37 Z.B. BVerwG, Urteil vom 15. April 1977 - IV C 3.74 - , BVerwGE 52, 226 (Verpflichtungsklage auf Planergänzung); BVerwG, Urteil vom 14. April 1978-4 C 68.76 - , Buchholz 407.4 § 18 FStrG Nr. 7 (Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluß). Der Beschluß des BVerwG vom 27. Januar 1988 - 4 Β 7.88 - , Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1, S. 1 f., stellt keine Abweichung von diesem Befund dar: Die vom Gericht verwendete Formulierung, daß eine gegen den Planfeststellungsbeschluß im Ganzen erhobene Anfechtungsklage nur unter engen Voraussetzungen zulässig sei, ist mißverständlich; tatsächlich bezieht sie sich auf die später vom Gericht entwickelten materiell-rechtlichen Einschränkungen der Begründetheit einer Anfechtungsklage; da das Gericht die erhobene Anfechtungsklage als unbegründet abweist, ist es offensichtlich von ihrer Zulässigkeit ausgegangen. 38 Z.B. VGH München, Urteil vom 29. März 1977 - Nr. 264 VIII 70 - BayVBl. 1977, 568; VGH München, Urteil vom 22. Februar 1978 - 140 VIII 76 - , DÖV 1978, 766; VGH München, Beschluß vom 06. Juli 1978 -Nr. 117 VIII78 - , BayVBl. 1979,18; VGH München, Beschluß vom 20. Februar 1979-8 CS 209/76 - , DÖV 1979, 527; aus neuerer Zeit etwa VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991,252.
38
1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
der Ebene der Zulässigkeit der Klage, einzuschränken, so verlagert sich die Entwicklung einer planschonenden gerichtlichen Behandlung unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse mit dem Urteil des BVerwG vom 08. Juli 197839 in den Bereich der Begründetheit der Klage und damit in das materielle Recht.
1. Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
In dieser fur den vorliegenden Zusammenhang dritten wesentlichen Entscheidung bestätigt das Gericht zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum prozessualen Wahlrecht des von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen zwischen einer auf Aufhebung des Beschlusses zielenden Anfechtungsklage und einer auf Planergänzung gerichteten Verpflichtungsklage 40. Das eigentlich Neue dieser Entscheidung sind die sich anschließenden Ausführungen zur Begründetheit einer Anfechtungsklage in der hier interessierenden Konstellation: Hat das BVerwG bisher aus dem Fehlen erforderlicher Schutzmaßnahmen grundsätzlich die Rechtswidrigkeit und damit auch Aufhebbarkeit des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses gefolgert 41, so schränkt das Gericht nunmehr diese Rechtsprechung aus-wie es hervorhebt-„materiell-rechtlichen" Gründen ein: „Jeder Planfeststellungsbeschluß muß im Hinblick auf das der Planfeststellung materiell gesetzte Ziel, unter Bewältigung der mit ihr aufgeworfenen Probleme eine inhaltlich abgewogene Planung zu erreichen, unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 LuftVG (oder vergleichbarer Vorschriften anderer Planungsgesetze) die notwendigen Schutzauflagen anordnen. Fehlt es hieran, so bleibt ein von der Planung ausgelöster Interessenkonflikt offen. Das macht den Plan insoweit objektiv rechtswidrig. Zu einem Anspruch auf Aufhebung bzw. Teilaufhebung des Planfeststellungsbeschlusses kann ein solcher Mangel allerdings nur dann führen, wenn der Mangel für die Planungsentscheidung insgesamt von so großem Gewicht ist, daß dadurch nicht nur der einzelne Betroffene benachteiligt, sondern die Ausgewogenheit der Gesamtplanung bzw. eines abtrennbaren Planungsteils überhaupt in Frage gestellt wird. Ob das der Fall ist, hängt wesentlich von der Größe des Planvorhabens ab. Läßt sich eine im Planfeststellungsbeschluß nicht angeordnete Schutzauflage nachholen, ohne daß dadurch die Gesamtkonzeption der Planung in einem wesentlichen Punkt berührt und ohne daß in dem Interessengeflecht der Planung nunmehr andere Belange nachteilig betroffen
werden, so korrespon-
diert der objektiven Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht ein subjek39
BVerwG, Urteil vom 08. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110. BVerwGE 56, 110/132 mit Hinweis auf BVerwGE 51,15/21 f. 41 Z.B. BVerwG, Urteil vom 14. April 1978 - 4 C 68.76 - , Buchholz 407.4 § 18 FStrG Nr. 7, S. 6 f. 40
2.
wiung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
39
tiver Anspruch des Betroffenen auf Planaufhebung, sondern allein ein Anspruch auf Planergänzung
42
Diese Ausführungen des Gerichts lassen sich als ein Regel-Ausnahme-Verhältnis verstehen: Im Regelfall hat der von dem Fehlen einer notwendigen Schutzvorkehrung Betroffene lediglich einen Anspruch auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses. Nur wenn diese Ergänzung nicht möglich ist, nämlich weil das Fehlen der Schutzmaßnahme die Gesamtkonzeption der Planung berührt bzw. die Ausgewogenheit der Gesamtplanung überhaupt in Frage stellt, steht dem Betroffenen ausnahmsweise ein Aufhebungsanspruch zu. Als prozessuale Umsetzung dieses Vorrangs des Planergänzungsanspruchs vor dem Planaufhebungsanspruch empfiehlt das BVerwG in der Entscheidung vom 07. Juli 1978 die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluß, hilfsweise (für den Fall des Nichtbestehens eines Aufhebungsanspruchs) die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf dessen Ergänzung 43. Seitdem ist diese objektive Klagehäufüng in der vorliegenden Konstellation gängige Praxis 44 . Dieser Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch entbehrt in der maßgeblichen Entscheidung vom 07. Juli 1978 jeglicher Begründung. Dennoch wird er seitdem in ständiger Rechtsprechung vom BVerwG unter Wiederholung der oben zitierten Passage vertreten 45 .
2. Ausweitung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs Die Rechtsprechung des BVerwG, aber auch die der Instanzgerichte, hat den Anwendungsbereich des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsan42
BVerwGE 56, 110/133; Hervorhebungen durch den Verfasser. BVerwG, DVB1. 1978, 845/852 (in BVerwGE 56, 110 insofern nicht abgedruckt). 44 Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979 - 4 C 8.76 - , BVerwGE 58, 154; BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256; BVerwG, Urteil vom 06. März 1987 - 4 C 36.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 65; aus neuerer Zeit etwa BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - 4 C 11.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 96. 45 Z.B. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979 - 4 C 8.76 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 29, S. 87 (insofern in BVerwGE 58, 154 nicht abgedruckt); BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 4 C 34.79 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 34, S. 115 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 - 4 C 4.78 - , BVerwGE 61, 295/306; BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 44, S. 33 f.; BVerwG, 43
40
1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
spruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch in der Folgezeit konsequent ausgedehnt und auf weitere Konstellationen übertragen. Hierbei läßt sich eine „interne" von einer „externen" Ausweitung unterscheiden.
a) „ Interne " Ausweitung
Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch wurde vom 4. Senat des BVerwG für den Bereich der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung entwickelt46. Er hat insofern eine „interne" Ausweitung erfahren, als er mittlerweile innerhalb des gesamten Fachplanungsrechts von allen zuständigen Senaten des BVerwG und auch von den Instanzgerichten angewendet wird. Hierzu kurz im einzelnen: Der „Geburtsort" des Planergänzungsanspruchs liegt in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung, genauer: bei einem Fall, in welchem ein Planfeststellungsbeschluß nicht die nach § 9 Absatz 2 LuftVG 1968 erforderlichen Schutzmaßnahmen enthält. Das BVerwG beschränkt aber in der grundlegenden Entscheidung vom 07. Juli 1978 seine Ausführungen nicht auf die nach dem LuftVG erforderlichen Schutzmaßnahmen, sondern öffnet sich von vorneherein fur ver-
urteil vom 22. März 1985 - 4 C 63.80 - , BVerwGE 71, 150/160; BVerwG, Urteil vom 13. September 1985 - 4 C 64.80 - , BauR 1986, 59/61; BVerwG, Urteil vom 06. März 1987-4 C 36.83 - , UPR 1987, 379/380; BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 1988-4 Β 7.88 - , Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1, S. 2; BVerwG, Urteil vom 25. März 1988-4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 73, S. 32; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989 - 4 C 12.87 - , BVerwGE 84, 31/45; BVerwG, Beschluß vom 03. April 1990 - 4 Β 50.89 u.a. - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 86, S. 71 f.; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990-4 C 25.90 (4 ER 302.90)-, BA, S. 28 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - , BVerwGE 90, 42/53; BVerwG, Urteil vom 14. September 1992 - 4 C 34-38.89 - , BVerwGE 91, 17/20; BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992-7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22, S. 45; BVerwG, Beschluß vom 21. Januar 1993-4 Β 206/92 - , NVwZ 1993, 884/886; BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 15; BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1995 - 4 C 4.94 - , NVwZ 1996, 381/ 383; BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995-4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 45; BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389/389 f.; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/168; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 1 1 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/ 901; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 28.95 - , NJW 1996, 2113/2114; BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/905. 46 BVerwG, Urteil vom 08. Juli 1978-4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110/133.
2.
wiung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
41
gleichbare Vorschriften anderer Fachplanungsgesetze47. Insofern ist es konsequent, wenn das Gericht in der folgenden Zeit den Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs auch bei Planfeststellungsbeschlüssen anderer Fachplanungsgebiete anwendet48. Die Kreation des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ist dem 4. Senat des BVerwG zuzuschreiben. Dessen Rechtsprechung wird in der Folgezeit auch von allen anderen Senaten des Gerichts übernommen, soweit das Fachplanungsrecht zu ihrem jeweiligen Geschäftsbereich zählt 49 . Schließlich haben sich die Instanzgerichte - soweit ersichtlich - durchweg der Rechtsprechung des BVerwG angeschlossen und wenden in der hier einschlägigen Konstellation nunmehr den Vorrang des Planergänzungsanspruchs an 50 . Zweifel an diesem Institut wurden dabei nicht geäußert: So kritisiert z.B. der 47
BVerwGE 56,110/133: „... § 9 Absatz 2 LuftVG (oder vergleichbarer Vorschriften anderer Planungsgesetze) ..."-Hervorhebungen durch den Verfasser. 48 Vgl. z.B. fur die femstraßenrechtliche Planfeststellung: BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979 - 4 C 8.76 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 29, S. 87 (in BVerwGE 58, 154 insoweit nicht abgedruckt); für die Planfeststellung nach dem PBefG: BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 1988, - 4 Β 7.88 - , Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1; für die Planfeststellung nach dem BBahnG: BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992 - 7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22; für die Planfeststellung nach dem AbfG: BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - , BVerwGE 90, 42/53; für die Planfeststellung nach dem AEG: BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389. 49 Dies gilt vor allem für den 7. Senat; vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - , BVerwGE 90,42/53; BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992 7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22, S. 45. Auch der 11. Senat vertritt den Vorrang des Planergänzungsanspruchs, vgl. etwa BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389/389 f. 50 Z.B. VGH München, Urteil vom 22. Januar 1980 - 207 VIII 73 - , DÖV 1981, 233 (Leitsatz b); OVG Münster, Urteil vom 28. September 1981 - 9 A 976/79 - , AgrarR 1982, 191/192; OVG Münster, Urteil vom 19. September 1983 - 13 A 1888/82 - , NVwZ 1984,385/387; nach VGH Mannheim, Beschluß vom 04. März 1987 - 5 S 231/87 - , NuR 1988, 289, entspricht der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs der „inzwischen gesicherten Praxis aller Verwaltungsgerichte." Vgl. weiterhin VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1989 - 8 Β 86.3162 u.a. - , BayVBl. 1990, 148/151; VGH München, Urteil vom 06. Februar 1990 - 8 Β 88.1654 u.a. - , UA, S. 14 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991, 252; VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig); VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994, 197/198 mit Hinweis auf die „ständige Praxis" des Gerichtshofs; OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993-1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189/191.
42
1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
VGH München in einer neueren Entscheidung zwar sehr umfassend die Rechtsprechung des BVerwG im Bereich des Fachplanungsrechts; der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs wird in diese Kritik aber nicht einbezogen51.
b) „Externe" Ausweitung
Bei der eben skizzierten Erweiterung der Rechtsprechung zum Vorrang des Planergänzungsanspruchs handelt es sich um einen „internen" Vorgang, der die Behandlung unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse betrifft und somit den ursprünglichen Bereich dieses Grundsatzes nicht verläßt. Im Gegensatz hierzu können all diejenigen Ausdehnungen des Anwendungsgebietes des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs als „extern" bezeichnet werden, deren Gegenstand nicht mehr ein solcher Beschluß ist. Die Vorrangigkeit bezieht sich hier also streng genommmen auf keinen „Plan"-, sondern auf einen sonstigen Ergänzungsanpruch. Eine derartige Übertragung des hier zu untersuchenden Grundsatzes hat die Rechtsprechung in zwei verschiedenen Konstellationen vorgenommen: Zum einen betrifft sie Genehmigungen mit planerischem Einschlag (dazu unter aa), zum anderen planfeststellungsbedürftige, im konkreten Fall aber — rechtswidrigerweise - nicht planfestgestellte Vorhaben (dazu unter bb).
aa) Vorrang des „ Genehmigungsergänzungsanspruchs "
Bei einigen Instanzgerichten52 läßt sich die Tendenz feststellen, den vom BVerwG entwickelten Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs auf solche Verwaltungsentscheidungen zu übertragen, die nicht nur eine reine Unternehmergenehmigung darstellen, sondern auch Planungsfunktion besitzen. Solche Genehmigungen mit planerischem Einschlag stehen systematisch zwischen der Kontrollerlaubnis als einer gebundenen Entscheidung einerseits und der Vorhabengenehmigung durch Planfeststellung andererseits53. Klassisches Beispiel ist 51
VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig). 52 Vgl. insbesondere VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994, 197/198; OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993 - 1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189/191. 53 Grundlegend zu dieser Mischform zwischen Planungsentscheidung und Kontrollerlaubnis Wahl, DVB1. 1982, 51/57 ff.
2.
wiung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
43
die sogenannte „isolierte" Genehmigung eines Flughafens nach § 6 LuftVG, die die Anlagenzulassung fur solche Flughäfen darstellt, die nicht unter § 8 LuftVG fallen und somit keiner Planfeststellung bzw. Plangenehmigung bedürfen. Bei ihr handelt es sich zwar gerade nicht um eine Planfeststellung; dennoch steht sie in einem engen sachlichen Zusammenhang mit planerischen Erwägungen. Auch bei einer solchen Entscheidung sind - insofern vergleichbar mit der Planfeststellung - die abwägungserheblichen Belange der von der Genehmigung Betroffenen zu ermitteln und die widerstreitenden Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzugleichen54. Enthält eine solche Genehmigung nach § 6 LuftVG keine Schutzmaßnahmen, die an sich erforderlich wären, um Beeinträchtigungen mittelbar Betroffener auf ein zumutbares Maß zu reduzieren, so bewältigt sie nicht alle von dem Vorhaben hervorgerufenen Konflikte und ist insofern unvollständig. Nach der zitierten Rechtsprechung einiger Instanzgerichte soll aber der vom Fehlen erforderlicher Schutzmaßnahmen Betroffene grundsätzlich keinen Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung, sondern lediglich einen Anspruch auf ihre Ergänzung haben. Ein Aufhebungsanspruch bestehe nur dann, wenn die Ergänzung ausnahmsweise nicht erfolgen könne, weil sie die Gesamtkonzeption des Vorhabens berühre. Dies ergebe sich aus den vom BVerwG fur unvollständige Planfeststellungsbeschlüsse entwickelten Grundsätzen, die auch bei der isolierten Flughafengenehmigung nach § 6 LuftVG Geltung beanspruchten: „Es ist kein überzeugender Grund erkennbar, warum diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf die sogenannte isolierte Genehmigung keine Anwendung finden sollen."55
Diese Konstruktion eines Vorrangs des „Genehmigungsergänzungsanspruchs"56 ist demnach inhaltsgleich mit dem Grundsatz des BVerwG vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs. Das BVerwG hat zu dieser externen Ausdehnung seiner Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bisher noch nicht Stellung genommen.
54
BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 77. 79 - , Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 13, S. 3; BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1989 - 4 C 35.88 - , BVerwGE 82, 246/249 m.w.N. 55 OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993 - 1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189/19. 56 Diese Terminologie findet sich bei OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993-1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189 (Leitsatz 3).
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge bb) Vorrang des „ Vorhabenergänzungsanspruchs
"
Eine weitere externe Ausdehnung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs betrifft planfeststellungsbedürftige Vorhaben, die rechtswidrigerweise ohne Planfeststellung realisiert worden sind. In einem Beschluß vom 04. März 1987 vertritt der VGH Mannheim die Ansicht, daß der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs „selbstverständlich" auf diese Konstellation entsprechend anzuwenden sei 57 . Der Entscheidung liegt ein Sachverhalt zugrunde, in welchem der Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutz einen Unterlassungsanspruch gegen eine bereits betriebene Krananlage der Deutschen Bundesbahn geltend machte, die unzulässigerweise nicht planfestgestellt worden war. Der VGH verneint einen solchen Unterlassungsanspruch und verweist den Betroffenen auf einen vorrangig geltend zu machenden Anspruch auf Anordnung von Schutzmaßnahmen: „Läßt sich das Vorhaben bei entsprechenden Schutzauflagen ohne rechtswidrige Beeinträchtigung der Rechte Dritter realisieren, so steht diesen nur ein Rechtsanspruch auf deren Vornahme zu. Würden dagegen durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen die Grundzüge der Planung verändert, so ergibt sich in Entsprechung zum Aufhebungsanspruch ein Anspruch darauf, das Vorhaben zu unterlassen." Zur Begründung fuhrt der VGH aus, der Betroffene dürfe durch den Umstand, daß eine erforderliche Planfeststellung rechtswidrigerweise unterblieben sei, nicht besser gestellt werden, als er bei Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens stünde. Bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf hätte der Betroffene nach dem Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs auch nicht die Aufhebung des — möglicherweise unvollständigen — Planfeststellungsbeschlusses, sondern lediglich dessen Ergänzung um Schutzmaßnahmen beanspruchen können. Gegenstand des hier vorrangig geltend zu machenden Ergänzungsanspruchs ist demnach nicht ein Planfeststellungsbeschluß - oder, wie beim „Genehmigungsergänzungsanspruch", eine Genehmigung mit planerischem Einschlag-, sondern das bereits realisierte Vorhaben als solches. Insofern kann er als „Vorhabenergänzungsanspruch" bezeichnet werden. Diese Entscheidung des VGH Mannheim betrifft zwei verschiedene Rechtsprobleme, die es auseinanderzuhalten gilt: Zum einen geht es um die Frage, ob Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG oder vergleichbarer Vorschriften der Fachgesetze auch außerhalb eines rechtswidrigerweise unter57
VGH Mannheim, Beschluß vom 04. März 1987 - 5 S 231/87 - , NuR 1988,289.
2.
wiung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs
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bliebenen Planfeststellungsverfahrens, also unabhängig von einem Planfeststellungsbeschluß angeordnet werden dürfen („isolierte" Anordnung von Schutzmaßnahmen). Nach anfanglichen Schwankungen58 bejaht die Rechtsprechung mittlerweile diese Frage59. Zur Begründung heißt es, daß dem durch ein rechtswidrigerweise nicht planfestgestelltes Vorhaben Betroffenen diejenigen materiellen Rechte zustehen müßten, welche er durchgesetzt hätte, wenn das gesetzlich vorgeschriebene Verwaltungsverfahren durchgeführt worden wäre 60. Hiervon zu trennen ist der vom VGH Mannheim in dem genannten Beschluß vom 04. März 1987 behandelte Aspekt, in welchem Verhältnis ein solcher „isolierter" Anspruch auf Anordnung von Schutzmaßnahmen zu eventuell weitergehenden Ansprüchen des Betroffenen auf Beseitigung des rechtswidrigerweise nicht planfestgestellten Vorhabens bzw. auf Unterlassen von dessen Betrieb steht. Hinsichtlich des von ihm vertretenen Vorrangs des „Vorhabenergänzungsanspruchs" beruft der VGH sich auf die Entscheidung des BVerwG vom 22. Februar 198061. Tatsächlich fuhrt das BVerwG in diesem Urteil aus, daß der Betroffene nicht die Beseitigung eines rechtswidrigerweise nicht planfestgestellten Vorhabens, sondern lediglich dessen Ergänzung um Schutzmaßnahmen verlangen könne. Letzteres Begehren sei im Vergleich zu ersterem fur den Vorhabenträger „das mildere Mittel und daher... gerechtfertigt." Zwarfinden sich in der Begründung des Urteils vom 22. Februar 1980 keine Ausführungen zum Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs. Auch hatte dort der Kläger in der Sache nicht die Beseitigung des nicht planfestgestellten Vorhabens verlangt, sondern die nachträgliche Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens, was das BVerwG mangels eines hierauf gerichteten Anspruchs zurückwies. Doch könnte in der Tat der Eindruck entstehen, daß das BVerwG entsprechend der Konstellation des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses auch die Vorrangigkeit von „Vorha58
In BVerwG, Urteil vom 08. Oktober 1976 - VII C 24.73 - , Buchholz 442.01 § 28 PBefG Nr. 3, S. 6 läßt das Gericht die Möglichkeit einer isolierten Anordnung von Schutzmaßnahmen ausdrücklich offen. Dezidiert gegen eine solche Verselbständigung der Schutzmaßnahmen gegenüber dem Planfeststellungsbeschluß VGH München, Urteil vom 22. Februar 1978 - 140 VIII 76 - , DÖV 1978, 766/768. 59 Erste Ansätze hierzu bei BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - IV C 50.71 - , BVerwGE 44, 235/241 (im Ergebnis aber offengelassen); ausdrücklich bejahend BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1980 - 4 C 24.77 - , DÖV 1980, 516/518; BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1981 - 4 C 97.77 - , BVerwGE 62, 243/248 f.; BVerwG, Urteil vom 21. September 1984-4 C 51.80-, NJW 1984,1481. 60 Erstmalig BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - IV C 50.71 - , BVerwGE 44, 235/241 ; diese Begründung nimmt BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1980 - 4 C 24.77 - , DÖV 1980, 516/518 auf. 61 BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1980-4 C 24.77 - , DÖV 1980, 516/518.
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
benergänzungsansprüchen" gegenüber „Vorhabenbeseitigungsansprüchen" vertritt. Bei näherer Betrachtung weiterer Judikate des BVerwG zum Problem des rechtswidrigerweise nicht planfestgestellten Vorhabens bestätigt sich dieser erste Eindruck jedoch nicht: So betont das Gericht in einer Reihe von weiteren Entscheidungen, daß die - zulässige — Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung von Schutzmaßnahmen weitergehende Ansprüche des Betroffenen auf Abwehr, Unterlassung bzw. Beseitigung des nicht planfestgestellten Vorhabens nicht ausschließe62. Derartige Ansprüche seien beim Fehlen eines gebotenen Planfeststellungsbeschlusses gerade nicht gemäß § 75 Absatz 2 Satz 2 VwVfG (bzw. den entsprechenden Vorschriften des jeweiligen Fachplanungsrechts) gesperrt. Der genannte Beschluß des VGH Mannheim vom 04. März 1987 zum Vorrang des „Vorhabenergänzungsanspruchs" ist also vom BVerwG nicht übernommen worden und in der Rechtsprechimg damit ein Einzelfall geblieben63. Die hier dargestellten „externen" Ausweitungen des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruches betreffen nicht den Schwerpunkt der vorliegenden Fragestellung. Auf sie soll deshalb im folgenden nicht weiter eingegangen werden. Sie zeigen aber die Dynamik des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs auf.
3. Ausformung des Grundsatzes Wie beschrieben, vertritt die Rechtsprechung seit dem grundlegenden Urteil des BVerwG vom 07. Juli 1978 64 durchgängig den Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch in der Konstellation, daß ein Planfeststellungsbeschluß nicht die gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG gebotenen Anordnungen enthält. Dieser Grundsatz selbst ist nicht mehr verändert worden. Die Rechtsprechung hat sich vieleher darauf konzentriert, Einzelheiten herauszuarbeiten und ihn so zu einem wirksamen Instrument des schonenden Umgangs mit fehlerhaften Planfeststellungsbeschlüssen auszugestalten. Der Schwerpunkt dieser Ausformung liegt dabei zum einen in der Abgrenzung von Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch (dazu unter a) und 62
BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1981 - 4 C 97.77 - , BVerwGE 62, 243/248 f.; BVerwG, Urteil vom 21. September 1984-4 C 51.80-, NJW 1984, 1481. 63 Zu diesem Befund kommt auch Steinberg, Fachplanung, § 17 Rdnr. 12. 64 BVerwGE 56, 110.
3. Ausformung des Grundsatzes
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zum anderen in der Konturierung des Gegenstands eines Planergänzungsanspruchs (dazu unter b).
a) Abgrenzung zwischen Planergänzungsanspruch und Planaufhebungsanspruch
In seiner Entscheidung vom 07. Juli 1978 nennt das BVerwG die Kriterien, von denen in der hier relevanten Konstellation das Bestehen eines Planaufhebungsanspruchs abhängen soll: Dieser sei nur dann gegeben, wenn durch eine nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen die „Ausgewogenheit der Gesamtplanung" überhaupt in Frage gestellt, die „Gesamtkonzeption" der Planung in einem wesentlichen Punkt berührt, in dem Interessengeflecht der Planung nunmehr „andere Belange nachteilig betroffen" würden. Ob durch den Mangel die Ausgewogenheit der Gesamtplanung überhaupt in Frage gestellt werde, hänge wesentlich von der Größe des Vorhabens ab 65 . Klärungsbedürftig ist zunächst das systematische Verhältnis der Begriffe „Ausgewogenheit der Gesamtplanung", „Gesamtkonzeption" und „nachteilige Betroffenheit anderer Belange im Interessengeflecht": Das BVerwG läßt es in der genannten Entscheidung offen, ob diese Kriterien im konkreten Fall fakultativ oder kumulativ vorliegen müssen, um ausnahmsweise den Planaufhebungsanspruch auszulösen. Eine nähere Betrachtung der weiteren Judikate des BVerwG und der Instanzgerichte zum Planergänzungsanspruch legt den Schluß nahe, daß die Rechtsprechung zumindest den Begriffen „Ausgewogenheit der Gesamtplanung" und „Gesamtkonzeption" keine jeweils eigenständige Bedeutung zumißt, sondern sie im konkreten Fall als Synonyme verwendet und dementsprechend beliebig einsetzt: So wiederholen die einschlägigen Entscheidungen entweder die gesamte für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs grundlegende Passage des Urteils vom 07. Juli 1978 66 oder stellen allein auf das Kriterium der „Ausgewogenheit der Gesamtplanung"67, das der „Berührung der Gesamtkonzeption der
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BVerwGE 56, 110/133. Z.B. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 73, S. 32; BVerwG, Urteil vom 14. September 1992-4 C 34-38.89-, BVerwGE 91, 17/20; BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992-7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22, S. 45. Vgl. auch OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993 - 1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189/191. 67 Z.B. BVerwG, Urteil vom 27. März 1980 - 4 C 34.79 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 34, S. 115; BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz 66
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
Planung"68 oder die Kombination beider Kriterien ab69, ohne daß dies auf die rechtlichen Erwägungen des konkreten Falles Einfluß nimmt. Wenn also in der Literatur Versuche unternommen werden, mit den Begriffen „Ausgewogenheit der Gesamtplanung" und „Gesamtkonzeption" jeweils gesonderte Voraussetzungen und Rechtsfolgen zu verbinden70, so läßt sich dies zumindest mit der Rechtsprechung des BVerwG nicht belegen. Im folgenden wird daher in Anlehnung an das BVerwG nicht zwischen diesen beiden Termini differenziert, da dies wenig gewinnbringend erscheint. Insofern soll vieleher als Kriterium zur Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch vereinheitlichend auf die „Gesamtkonzeption" der Planung abgestellt werden: Nur wenn diese durch die nachträgliche Anordnung der zunächst fehlenden Schutzmaßnahme berührt wird, räumt die Rechtsprechung dem Betroffenen einen Anspruch auf Planaufhebung ein. Etwas anderes gilt fur das dritte in der Leitentscheidung des BVerwG vom 07. Juli 1978 genannte Kriterium, bei dessen Vorliegen ausnahmsweise ein Planaufhebungsanspruch vorliegen soll: das „nachteilige Betreffen anderer Belange". Im Gegensatz zu den beiden anderen Termini, die die Rechtsprechung weitge407.4 § 17 FStrG Nr. 44, S. 33; BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - 4 C 63.80 - , BVerwGE 71, 150/160; BVerwG, Urteil vom 06. März 1987 - 4 C 36.83 - , UPR 1987, 379/380; BVerwG, Beschluß vom 27. Januar 1988 - 4 Β 7.88 - , Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1, S. 2; BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389/389 f.; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/901; BVerwG, Beschluß vom 14. Juni 1996 - 4 A 3.96 - , NVwZ-RR 1997, 340/341. Vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 28. September 1981 - 9 A 976/79 - , AgrarR 1982, 191/192; VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991, 252; VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig); VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994,197/198. 68 Z.B. BVerwG, Urteil vom 13. September 1985 - 4 C 64.80 - , BauR 1986, 59/61; BVerwG, Beschluß vom 21. Januar 1993 - 4 Β 206/92 - , NVwZ 1993, 884/886; BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 15; BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1995 - 4 C 4.94 - , NVwZ 1996, 381/383; BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995-4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 45. 69 Z.B. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989-4 C 12.87-, BVerwGE 84, 31/45 f. und 48; BVerwG, Beschluß vom 03. April 1990-4 Β 50.89 u.a. - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 86, S. 71; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990 - 4 C 25.90 (4 ER 302.90) - , BA, S. 28 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/905. Vgl. auch VGH Mannheim, Beschluß vom 04. März 1987 - 5 S 231/87 - , NuR 1988, 289 („Gesamtes Planungsgefuge"; „Grundzüge der Planung"; „Infragestellung der Planung als Ganzes"). 70 So etwa Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 423 ff; ihm folgend Michler, Rechtsprobleme des Verkehrsimmissionsschutzes, S. 173 ff.
3. Ausformung des Grundsatzes
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hend als Synonyme verwendet, spielt dieser Topos in den weiteren einschlägigen Judikaten so gut wie keine eigenständige Bedeutung, taucht dort zur konkreten Abgrenzung von Planaufhebung und -ergänzung nicht einmal mehr auf 71. Es kann also aus den folgenden Untersuchungen ausgeblendet werden. Einzig maßgebliches Abgrenzungskriterium ist damit die „Gesamtkonzeption der Planung". Weiterer Schwerpunkt der Entwicklung der Rechtsprechung zum Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ist die inhaltliche Konturierung des Begriffs der „Gesamtkonzeption" der Planung. Hierbei fällt auf, daß das BVerwG zwar die mit Urteil vom 07. Juli 1978 entwickelte Ansicht vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in ständiger Rechtsprechung vertritt, zunächst aber keine allgemeingültigen Überlegungen darüber anstellt, wie der Schlüsselbegriff der Gesamtkonzeption subsumtionsfahig definiert werden könnte. Stattdessen beschränkt das Gericht sich in seinen frühen Judikaten darauf, im jeweiligen Fall ohne nähere Begründung eine Berührung der Gesamtkonzeption der Planung anzunehmen oder abzulehnen. Typisch sind hierbei unscharfe Formulierungen wie die folgenden: Es liege auf der Hand, daß die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses nicht nachgeholt werden könne, ohne daß dadurch die Gesamtkonzeption der Planung in einem wesentlichen Punkt berührt werde72; ein Planergänzungsanspruch scheide aus, wenn ihm „unüberwindliche Hindernisse" entgegenstünden73; er scheide aus bei „etwaiger Unmöglichkeit" eines faktischen Ausgleichs durch Lärmschutzmaßnahmen74; die Gesamtkonzeption der Planung sei in Frage gestellt, wenn sie die Belange des Lärmbetroffenen „grundsätzlich vernachlässige"75. Erst allmählich zeichnet sich in der Rechtsprechung des BVerwG, und zwar vorrangig zur fernstraßenrechtlichen Planfeststellung, eine nähere Konturierung 71
Ausnahmen bilden hier zwei Entscheidungen des VGH München: In den Urteilen vom 03. Oktober 1989 - 8 Β 86.3162 u.a. - , BayVBl. 1990, 148/151 und vom 06. Februar 1990 - 8 Β 88.1654 u.a. - , UA, S. 14 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht) stellt das Gericht unter anderen auch auf die „nachteilige Betroffenheit anderer Belange im Interessengeflecht" ab. 72 BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979 - 4 C 8.76 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 29, S. 87 (in BVerwGE 58,154 insoweit nicht abgedruckt); im konkreten Fall ging es um die Schaffung von Ersatzzufahrten. 73 BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1981 - 4 C 68.77 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 39, S. 23; diese Äußerung bezog sich auf die Unmöglichkeit der Anbringung von Lärmschutzwällen aus räumlichen Gründen. 74 BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 44, S. 34. 75 BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256/274 (obiter dictum). 4 Hildebrandt
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
des Begriffs der Gesamtkonzeption der Planung ab. Das Gericht stellt im konkreten Fall auf Gewicht und Bedeutung des Fehlens der Schutzmaßnahme im Verhältnis zum gesamten Vorhaben ab. Die Gesamtkonzeption des Vorhabens ist hiernach berührt, wenn der jeweilige Mangel im Rahmen des gesamten Vorhabens von so großem Gewicht ist, daß er nur durch Wahl einer anderen Trassenführung bzw. eines anderen Streckenverlaufs 76 oder durch Verzicht auf das gesamte Vorhaben77 vermieden werden kann. Dieses somit für die Frage der Gesamtkonzeption maßgebliche Kriterium des Streckenverlaufs bzw. des Verzichts macht das BVerwG in der Folgezeit dadurch handhabbar, daß es seiner Entscheidung einen hypothetischen, verobjektivierten Willen der Planfeststellungsbehörde zugrundelegt: Der Mangel berührt die Gesamtkonzeption dann, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, daß die Planfeststellungsbehörde sich bei Kenntnis des Mangels und ihrer daraus folgenden Pflicht zur Planergänzung für eine andere Streckenführung oder für den Verzicht auf das Vorhaben entschieden hätte78. Besonders deutlich formuliert das BVerwG dies in einem Urteil vom 20. Oktober 1989: Die Gesamtkonzeption sei berührt, wenn bei „verständiger Würdigung der tatsächlichen Umstände" eine konkrete Möglichkeit dafür erkennbar sei, daß die Planfeststellungsbehörde sich von der gebotenen Planergänzung „hätte beeindrucken lassen"79.
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BVerwG, Urteil vom 22. März 1985-4 C 63.80-, BVerwGE 71,150/160. BVerwG, Urteil vom 13. September 1985 - 4 C 64.80 - , BauR 1986, 59/61. 78 Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988-4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 73, S. 32; BVerwG, Beschluß vom 03. April 1990-4 Β 50.89-, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 86, S. 71 f.; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990 - 4 C 25.90 (4 ER 302.90) - , BA, S. 27 f. (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - 4 C 11.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 96, S. 116; BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 15; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/168; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/901; BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/905. Parallel hierzu die Rechtsprechung der Instanzgerichte, z.B. VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1989 - 8 Β 86.3162 u.a. - , BayVBl. 1990, 148/151; besonders deutlich VGH München, Urteil vom 06. Februar 1990 - 8 Β 88.1654 u.a. - , UA, S. 14 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht): Der Mangel stelle die Gesamtkonzeption in Frage, wenn bei zutreffender Entscheidung der Planfeststellungsbehörde auf das Projekt insgesamt verzichtet worden wäre, die Trassenwahl insgesamt, die Feintrassierung oder wesentliche Bauwerke anders gestaltet worden wären; VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991, 252; VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig). 79 BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989-4 C 12.87-, BVerwGE 84, 31/45 f. 77
3. Ausformung des Grundsatzes
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Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das Fehlen einer Schutzmaßnahme nach der Rechtsprechung des BVerwG die Gesamtkonzeption der Planung dann berührt, wenn anzunehmen ist, daß die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis ihrer Pflicht zur Planergänzung von dem Vorhaben insgesamt Abstand genommen oder aber es örtlich derart verlagert bzw. in seiner Größe verändert hätte, daß eine Beeinträchtigung des Betroffenen ausgeschlossen wäre. Liegen diese Voraussetzungen vor, so räumt das BVerwG dem vom unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen einen Aufhebungsanspruch ein; eine gegen den Beschluß erhobene Anfechtungsklage hat dann Erfolg. Ist hingegen anzunehmen, daß die Planfeststellungsbehörde auch in Kenntnis des Mangels am Vorhaben selbst, seiner grundsätzlichen Lage und Proportionierung festgehalten hätte, so scheidet ein Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses aus; der Betroffene ist dann auf einen mit der Verpflichtungsklage durchzusetzenden Planergänzungsanspruch verwiesen, eine Anfechtungsklage wäre unbegründet. Zur Verdeutlichung ein Beispielsfall, der einer frühen Entscheidung des OVG Münster zugrunde liegt 80 : Die Planfeststellungsbehörde erläßt einen straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschluß, der zugunsten eines lärmbetroffenen Grundstückseigentümers keine an sich erforderliche Schutzmaßnahme festsetzt. Die einzig mögliche Schutzmaßnahme wäre - entsprechend dem Antrag des Betroffenen — die Anordnung der Übernahme seines Grundstücks gegen Entschädigung durch den Vorhabenträger gewesen81. Dieser Mangel berührt die Gesamtkonzeption der Planung: Denn es besteht die konkrete Möglichkeit, daß die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis von der Pflicht zur Anordnung dieser Maßnahme einen anderen Trassenverlauf gewählt hätte, nämlich einen, der nicht um das fragliche Grundstück herum-, sondern darüber hinwegführt. Folglich kommt dem Betroffenen kein Planergänzungs-, sondern ein Planaufhebungsanspruch zu. Seine gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichtete Anfechtungsklage ist begründet.
b) Inhalt des Planergänzungsanspruchs Der Planergänzungsanspruch hat die Anordnung einer Schutzmaßnahme oder ihres auf Entschädigung in Geld gerichteten Surrogats zum Inhalt. Seine Grundlage findet sich in § 74 Absatz 2 Sätze 2 und 3 VwVfG bzw. in entsprechenden 80
OVG Münster, Urteil vom 28. September 1981 - 9 A 976/79 - , AgrarR 1982, 191. Zur Behandlung einer solchen Festsetzung als Schutzmaßnahme im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG s.u. unter 3 b bb. 81
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
Vorschriften des jeweiligen Fachplanungsgesetzes82. Da inhaltlich zwischen dem VwVfG und den Fachplanungsgesetzen insoweit kein Unterschied besteht und der Gesetzgeber im Zuge der Rechtsbereinigung ohnehin fur eine Vielzahl von Planfeststellungsverfahren die Anwendbarkeit der §§73 bis 78 VwVfG angeordnet hat83, soll im folgenden allein auf § 74 Absatz 2 VwVfG abgestellt werden.
aa) Allgemeines Liegen die Voraussetzungen des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vor (Beeinträchtigung abwägungserheblicher Belange des Betroffenen; Erheblichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Beeinträchtigung; Ursächlichkeit des planfestgestellten Vorhabens fur die Beeinträchtigung), so steht dem Betroffenen ein Rechtsanspruch auf Anordnung einer Schutzmaßnahme zu. Diese soll die Beeinträchtigung entweder gänzlich ausschließen oder zumindest auf ein zumutbares Maß reduzieren. Die Auswahl der konkret anzuordnenden Maßnahme steht im planerischen Ermessen der Planfeststellungsbehörde 84. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 74 Absatz 2 und 3 VwVfG sind von Rechtsprechung und Literatur mit hinreichender Deutlichkeit herausgearbeitet worden85. Eine nähere Darstellung kann hier also weitgehend unterbleiben. Wegen der besonderen Bedeutung fur die vorliegende Untersuchung sind lediglich Inhalt und Funktion hervorzuheben, die das BVerwG der Schutzmaßnahmevorschrift zumißt86: „Die - weittragende - Bedeutung dieser Vorschrift liegt... darin, daß sie Einwirkungen der festgestellten Planung auf (von ihr nicht im Sinne des § 19 FStrG in Anspruch ge82
Z.B. § 17 Absatz 4 FStrG in der Fassung vom 06. August 1961 (BGBl. I, S. 1741) bzw. § 17 Absatz 4 Satz 1 und 2 FStrG in der Fassung vom 01. Oktober 1974 (BGBl. I, S. 2413); ebenso § 9 Absatz 2 LuftVG vom 04. November 1968 (BGBl. I, S. 1113) bzw. vom 14. Januar 1981 (BGBl. I, S. 61); ebenso § 29 Absatz 2 PBefG vom 21. März 1961 (BGBl. I, S. 241); mit etwas anderem Wortlaut, in der Sache aber identisch § 19 Absatz 2 Satz 1 und 2 WaStrG vom 02. April 1968 (BGBl. I, S. 173). 83 3. Rechtsbereinigungsgesetz vom 28. Juni 1990 (BGBl. I, S. 1221); zur Vereinheitlichung des Fachplanungsrechts vgl. Busch in Knack, VwVfG, Anm. 4.1 vor § 72. 84 BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256/276 f.; BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 CB 1.90 - , Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 10, S. 15 f. 85 Hierzu allgemein Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 2 ff. und Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 249 ff., jeweils m.w.N.; speziell zu Geschichte und Reichweite der Schutzmaßnahmevorschriften Blümel, VerwArch 83 (1992), 146/151 ff. 86 Ausfuhrlich zu den einzelnen Funktionen der Schutzmaßnahmevorschriften s.u. im 8. Kapitel unter 11 c bb.
3. Ausformung des Grundsatzes
53
nommene) Grundstücke äußerste, mit einer gerechten Abwägung4 nicht mehr überwindbare Grenzen setzt: Macht die Planfeststellung zur Verwirklichung der mit dem Plan verfolgten Ziele Festsetzungen erforderlich, die sich in ihrer Auswirkung auf Nachbargrundstücke als Gefahren oder Nachteile... darstellen, so darf der dadurch hervorgerufene Interessenkonflikt nicht im Wege einer die privaten Belange zurückstellenden Abwägung zu Lasten des betroffenen Grundstückseigentümers gelöst werden und damit in Wahrheit zu dessen Lasten unbewältigt bleiben; § 17 Abs. 4 FStrG fordert unter solchen Umständen vielmehr zwingend einen physisch-realen Ausgleich durch die Anordnung von Schutzanlagen zu Lasten des Trägers der Straßenbaulast."87 Das BVerwG behandelt damit die Belange des mittelbar Betroffenen zweistufig, sofern sie eine bestimmte (Erheblichkeits-)Schwelle überschreiten: Auf der ersten Stufe werden diese Belange mit den für das Vorhaben sprechenden Belangen abgewogen. Kommt die Planfeststellungsbehörde dabei zu dem Ergebnis, daß letztere überwiegen, die Belange des Betroffenen also hintanzustellen sind, so ist diese Entscheidung grundsätzlich von ihrem planerischen Ermessen gedeckt. Ein fehlerfreies Abwägungsergebnis liegt aber erst dann vor, wenn die Behörde nunmehr auf einer zweiten Stufe zum Ausgleich fur die zuvor im Wege der Abwägung vorgenommene Überwindung der Belange des Betroffenen eine Schutzmaßnahme anordnet, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vorliegen 88 .
87 BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - I V C 21.74-, BVerwGE 48, 56/68 f.; seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/26 f.; BVerwG, Urteil vom 14. April 1978 - 4 C 68.76 - , Buchholz 407.4 § 18 FStrG Nr. 7, S. 5 f.; BVerwG, Urteil vom 09. März 1979 - 4 C 41.95 - , BVerwGE 57, 297/303 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/260; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 69.78 - , BVerwGE 64, 270/272. 88 Vgl. zur zweistufigen Behandlung der Belange des mittelbar Betroffenen BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979-4 C 10.77-, BVerwGE 59, 253/260 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 - 4 C 4.78 - , BVerwGE 61, 295/305; BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 44, S. 33 und 35; besonders deutlich BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FstrG Nr. 73, S. 32: „Müssen also die öffentlichen Belange eines verkehrsgerechten Ausbaus der Ortsdurchfahrt gegenüber den von den Klägern geltend gemachten Schutzinteressen zwar nicht zurückstehen [1. Stufe; der Verfasser], so bleibt dennoch offen, ob den klägerischen Belangen durch Schutzauflagen ... Rechnung zu tragen ist [2. Stufe; der Verfasser]." Deutlich auch BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89, BVerwGE 87, 332/341 f., wo das Gericht ausdrücklich zwischen der eigentlichen Abwägung der Belange des mittelbar Betroffenen und einer Anordnung von Schutzmaßnahmen differenziert; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - , BVerwGE 90, 42/49 und 53; BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
Der hier zu untersuchende Planergänzungsanspruch betrifft allein diese zweite Stufe, also Fälle, in denen die Planfeststellungsbehörde die Belange des Betroffenen zwar zutreffend in die Abwägung eingestellt, es anschließend aber verabsäumt hat, zu seinen Gunsten eine Schutzmaßnahme festzusetzen. Dies wird deutlich in der fur den vorliegenden Gegenstand grundlegenden Entscheidung des BVerwG vom 07. Juli 1978: In dem dort angefochtenen Planfeststellungsbeschluß waren die Lärmschutzbelange der Kläger ordnungsgemäß erkannt und ihre objektive Bedeutung in vertretbarer Weise gewichtet worden89. Das Gericht stellt ausdrücklich fest, daß das Abwägungsergebnis keinen rechtlichen Bedenken begegne, soweit die Planfeststellungsbehörde die vom Fluglärm betroffenen Belange der Kläger überhaupt hinter die für die Planung sprechenden öffentlichen Belange zurückgesetzt habe90. Der in dieser Entscheidung erstmals vorrangig angewendete Planergänzungsanspruch bezieht sich allein auf Lärmschutzmaßnahmen gemäß § 9 Absatz 2 LuftVG, die infolge der rechtmäßigen Hintanstellung der Belange der Kläger notwendig, im Planfeststellungsbeschluß aber nicht angeordnet worden sind. Diese beiden Stufen der Behandlung der Belange eines mittelbar Betroffenen gilt es auseinanderzuhalten. Denn es liegen unterschiedliche Fehlertypen mit jeweils differenziert zu behandelnden Rechtsfolgen vor, wenn die Planfeststellungsbehörde einmal die Belange des mittelbar Betroffenen überhaupt nicht bzw. § 17 FStrG Nr. 99, S. 15; BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995 - 4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 45; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/168; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 28.95 - , NJW 1996,2113/2113 f.; BVerwG, Beschluß vom 14. Juni 1996-4 A 3.96-, NVwZ-RR 1997, 340/341; BVerwG, Urteil vom 25. September 1996 - 11 A 20.96 - , DVB1. 1997, 706/708. Vgl. auch VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1989 - 8 Β 86.3162 u.a. - , BayVBl. 1990, 148/151; deutlich VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089-UPR 1993,235: Der Anspruch aufgerechte Abwägung [1. Stufe; der Verfasser] unterscheide sich strukturell von Planergänzungsansprüchen [2. Stufe; der Verfasser]; OVG Bremen, Beschluß vom 05. November 1993 - 1 (G) Τ 2/93 - , NVwZ-RR 1994, 189/192; deutlich ebenfalls VGH München, Beschluß vom 12. Oktober 1995-20 Β 94.1188 - , NVwZ 1996, 1125/1127: Die Belange des Betroffenen seien im Rahmen der planerischen Abwägung zu berücksichtigen [1. Stufe; der Verfasser] und unter den Voraussetzungen des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG abzugleichen [2.Stufe; der Verfasser]. Die Zweistufigkeit der Behandlung der Belange eines mittelbar Betroffenen entspricht auch der herrschenden Ansicht im Schrifttum: Z.B. Heinze, BayVBl. 1981, 649/ 652; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 428; Mößle, BayVBl. 1982, 193/198; Schechinger, DVB1. 1991,1181/1186 f. (dort insbesondere in FN 61); Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 18 und 68; im Ergebnis ebenfalls wohl Sieg, Schutzauflage, S. 157 ff. 89 BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110/126 ff. 90 BVerwG, a.a.O., S. 129.
3. Ausformung des Grundsatzes
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nicht richtig abwägt (Fehler auf der 1. Stufe) und ein andermal nach einer ordnungsgemäßen Abwägung den erforderlichen Ausgleich gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG nicht vornimmt (Fehler auf der 2. Stufe): Unter Verwendung der gebräuchlichen Terminologie91 handelt es sich im ersten Falle um ein Abwägungsdefizit (in die Abwägimg werden nicht alle Belange eingestellt, die nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden mußten), im zweiten Fall um eine Abwägungsdisproportionalität (der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten privaten und öffentlichen Belangen wird in einer Weise vorgenommen, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht). Der erste Fehler hat Bedeutung für die Rechtswidrigkeit und damit für den Tatbestand des Planaufhebungsanspruchs. Lediglich der zweite Fehler betrifft die hier interessierende Abgrenzung zwischen Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch92. Hat also die Planfeststellungsbehörde die Situation des Planbetroffenen nicht oder nur unzureichend erfaßt und damit auch unzulänglich gewichtet, stellt sich die Frage der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen erst gar nicht93. Auf diese Zweistufigkeit der Behandlung der Belange des mittelbar Betroffenen wird hier deshalb besonders hingewiesen, weil die Rechtsprechung das für die Abgrenzung von Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch maßgebliche Kriterium der „Gesamtkonzeption" der Planung nicht nur bei der Überprüfung der zweiten Stufe, sondern mitunter auch bei der der ersten Stufe der planerischen Problembewältigung heranzieht, ohne diese an sich systemwidrige Übertragung aber immer deutlich zu machen. Sofinden sich in einigen Judikaten Ausführungen zu der Frage, ob die gänzlich fehlende Einbeziehung der Belange des mittelbar Betroffenen zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses fuhrt. Dieses solle nur der Fall sein, wenn der Mangel die Gesamtkonzeption der Planung berühre, also wenn die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis und richtiger Gewichtung der einzustellenden Belange diesen gegenüber den fur das Vorhaben streitenden Belangen den Vorrang eingeräumt, von der Feststellung des Plans
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Grundlegend zur Fehlertypologie im Planungsrecht BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 - , BVerwGE 34, 301/308 f.; allgemein hierzu statt vieler Hoppe / Grotefels, Öffentliches Baurecht, S. 273 ff. Eine genaue Analyse des Fehlers der Nichtanordnung gebotener Schutzmaßnahmen in diese Typologie erfolgt im 6. Kapitel unter 12. 92 Eine Systematisierung der Fehlerfolgen im Fachplanungsrecht und der bestehenden Möglichkeiten zu ihrer Reduzierung erfolgt im 2. Kapitel. 93 So ausdrücklich BVerwG, Beschluß vom 10. Februar 1989 - 7 Β 171.88 - , NVwZRR 1989, 619/620.
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
also insgesamt oder zumindest in seiner grundsätzlichen Dimensionierung Abstand genommen hätte94. Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs des Begriffs der „Gesamtkonzeption" darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß der hier zu untersuchende Planergänzungsanspruch nicht das Abwägungsmaterial bzw. die Begründung einer getroffenen Abwägungsentscheidung betrifft. Eine Planergänzung ist hier nur ausnahmsweise erforderlich, etwa nach Durchführung eines „ergänzenden Verfahrens" 95; es handelt sich dann aber nicht um einen PlanergänzungsßwsprwcA im Sinne der vorliegenden Untersuchung. Dieses Institut bezieht sich nur auf nachträgliche Festsetzungen im verfügenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses, zu dem neben der eigentlichen Feststellung des Plans auch die Anordnung von Schutzmaßnahmen zählt96, nicht aber die Begründung der Planungsentscheidung oder die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials97.
bb) Besonderheiten des § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG Nach § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG hat der mittelbar Betroffene einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld, wenn Schutzmaßnahmen nach Satz 2 „untunlich" oder „mit dem Vorhaben unvereinbar" sind. Diese Norm hat eine große Bedeutung im Fachplanungsrecht: Ohne sie sähe sich nämlich die Planfeststellungsbehörde immer dann, wenn die Anordnung von Schutzmaßnahmen nach Satz 2 faktisch unmöglich wäre, vor die Alternative gestellt, entweder das Vorhaben in der geplanten Form überhaupt scheitern zu lassen oder - sofern dafür die 94
Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 73, S. 31 f.; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989 - 4 C 12.87 - , BVerwGE 84, 31/45 ff.; BVerwG, Beschluß vom 03. April 1990-4 Β 50.89 u.a. - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 86, S. 71; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990-4 C 25.90 (4 ER 302.90) - , BA S. 28 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992-7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22, S. 45; BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389; BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/904 f.; ähnlich auch VGH München, Urteil vom 06. Februar 1990 - 8 Β 88.1654 u.a. - , UA S. 14 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht). 95 Hierzu s.u. im 2. Kapitel unter II 1 und 3. 96 Zum Begriff des „verfügenden Teils" eines Planfeststellungsbeschlusses vgl. VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 9 (Der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig.); Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 43 Rdnr. 11.2 und 13.1. 97 BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 40,44,45.81 - , BVerwGE 67, 206/213.
3. Ausformung des Grundsatzes
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übrigen Voraussetzungen gegeben sind - die durch Einwirkungen belasteten Grundstücke im Wege der Enteignung in Anspruch zu nehmen98. Diese Konsequenz wird durch § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG vermieden. Stimmen in der Literatur vertreten deshalb die Ansicht, wegen dieser Norm könne eine Planfeststellung nicht an der Unmöglichkeit der Anordnung physisch-realer Schutzmaßnahmen scheitern99. Die Geldentschädigung des Satzes 3 ist nach der Rechtsprechung des BVerwG ein Surrogat fur eine an sich nach Satz 2 erforderliche Schutzmaßnahme100. Aus dem Surrogatcharakter der Entschädigung nach Satz 3 folgt dreierlei: Erstens müssen auch im Falle des Satz 3 die Voraussetzungen für die Anordnung einer Schutzmaßnahme, insbesondere eine Beeinträchtigung des Betroffenen oberhalb der Erheblichkeits- bzw. Zumutbarkeitsschwelle, vorliegen. Die Anordnung einer Schutzmaßnahme muß lediglich „untunlich" oder mit dem Vorhaben „unvereinbar" sein. „Untunlich" ist eine Schutzmaßnahme entweder dann, wenn ihre Kosten außer Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck stehen101, oder-und hierbei handelt es sich um die in der Praxis bedeutsamere Alternative - , wenn ein physisch-realer Ausgleich technisch unmöglich ist, also keine Schutzmaßnahmen getroffen werden können, vermöge derer die Belastungen ganz beseitigt oder zumindest unter die Zumutbarkeitsschwelle des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG gesenkt werden können102. Mit dem Vorhaben „unvereinbar" sind solche Schutzmaßnahmen, die seinem Zweck zuwiderlaufen würden 103. Dieses letztgenannte Kriterium spielt in der Rechtsprechung und Literatur eine lediglich untergeordnete Rolle. 98
So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/69 für § 17 Absatz 4 FStrG 1961, der eine dem § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG entsprechende Regelung nicht enthielt; hierzu auch Papier, NJW 1977,1714/1717. 99 Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 425; auf diesen Aspekt wird unten im 10. Kapitel unter II näher eingegangen. 100 BVerwG, Urteil vom 11. November 1988 - 4 C 11.87 - , NVwZ 1989, 255/257; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89 - , BVerwGE 87, 332/384; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992-4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478; BVerwG, Urteil vom 27. November 1996 - 1 1 A 27.96 - , NVwZ 1997,917/918. 101 Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 48 a, mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Norm; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 178 f.; Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 70. 102 Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 48 a (m.w.N.); Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 179; Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 72; a.A. Marschall / Schroeter / Kastner, Bundesfernstraßengesetz, § 17 Rdnr. 158 ff.: technische Unmöglichkeit als Fall der Unvereinbarkeit. 103 Herrschende Meinung, z.B. Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 179 m.w.N.; Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 72; a.A. Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 298: Eine Schutzmaßnahme sei unvereinbar mit dem Vorhaben, wenn durch sie dessen Gesamtkonzeption in Frage gestellt werde.
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1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
Zweitens folgt aus dem Surrogatcharakter des Entschädigungsanspruchs nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, daß dieser ebenso wie die primär anzuordnende Schutzmaßnahme Gegenstand eines Planergänzungsanspruchs sein kann104. Und drittens hat der Entschädigungsanspruch des Satz 3 dieselbe dogmatische Natur wie der Anspruch auf Anordnung einer Schutzmaßnahme nach Satz 2. Hieraus wiederum folgt, daß es sich unabhängig von der Intensität der Beeinträchtigung des Betroffenen bei der Entschädigung nach § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG niemals um eine Enteignungsentschädigung im Sinne des Art. 14 Absatz 3 GG handeln kann105. Selbst wenn also die Beeinträchtigung des mittelbar betroffenen Grundstückseigentümers „schwer und unerträglich" sein und damit nach der überkommenen Eigentumsdogmatik oberhalb der „Enteignungsschwelle" liegen sollte, beinhaltet § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG keine Enteignungsentschädigung106. Denn nach der neuen Konzeption des BVerfG zu Artikel 14 GG setzt eine Enteignung einen hoheitlichen Eingriff in der Form eines Rechtsaktes voraus, derfinal auf eine vollständige oder zumindest teilweise Entziehung konkreter, durch Artikel 14 GG geschützter Rechtspositionen gerichtet ist 107 . § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG betrifft aber ausschließlich sogenannte „mittelbare" Beeinträchtigungen, die mangels Finalität keine Enteignung darstellen, sondern sich
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Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 99 und 171; Heinze, BayVBl. 1981,649/652. 105 Ständige Rechtsprechung seit BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 17-19.84 - , BVerwGE 75, 295/297; vgl. z.B. BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 CB 1.90-, NVwZ-RR 1991, 129/133; BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1991 - 4 C 51.87 - , BVerwGE 87, 332/380; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 - 4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478 f. Dies entspricht auch der herrschenden Meinung im Schrifttum: z.B. Berkemann, DVB1. 1986, 768/770; Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/527; Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 171; Kastner, VerwArch 80 (1989), 74/89 f.; Maurer, DVB1. 1991, 781/783; Steinberg,, Fachplanung, § 5 Rdnr. 9; ders., DVB1. 1992, 1501/1506; Wahl NVwZ 1990,426/440. 106 So aber noch die frühere Rechtsprechung des BVerwG, etwa BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976-IV C 80.74-, BVerwGE 51,15/29; BVerwG, Urteil vom 09. März 19794 C 41.75 - , BVerwGE 57, 297/304; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77-, BVerwGE 59, 253/260 f.; BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986-4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/259 f.; besonders deutlich BVerwG, Urteil vom 06. März 1987-4 C 36.83 - , UPR 1987, 379/380. 107 BVerfG, Beschluß vom 12. Juni 1979- 1 BvL 19/76-, BVerfGE 52,1/27; BVerfG, Beschluß vom 15. Juli 1981 - 1 BvL 77/78-, BVerfGE 58,300/330 f.; BVerfG, Beschluß vom 19. Juni 1985 - 1 BvL 57/79 - , BVerfGE 70, 191/199 f.; BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - , BVerfGE 74, 264/279 f.; BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988-1 BvR 1301/84-, BVerfGE 79, 174/191.
3. Ausformung des Grundsatzes
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stets als Konkretisierung eines inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetzes im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG beschreiben lassen108. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die neuere Rechtsprechung in den Fällen als systematisch korrekt, in welchen ein Grundstückseigentümer durch eine Planung „schwer und unerträglich" - nach der alten Dogmatik also mit enteignender Wirkung - mittelbar betroffen wird, eine Vermeidung oder Reduzierung dieser Beeinträchtigung auf ein zumutbares Maß aber aus technischen Gründen unmöglich ist: Die Rechtsprechung gewährt hier dem Betroffenen auf dessen Antrag hin einen Anspruch gegen den Vorhabenträger auf Übernahme des Grundstücks gegen Entschädigung. Erfolgte die dogmatische Einordnung dieses Übernahmeanspruchs anfanglich noch uneinheitlich109, so stützt die Rechtsprechung ihn nunmehr auf § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG 110 und weist ihn damit dem Anwendungsbereich des Planergänzungsanspruchs zu. Ebenso konsequent ist es dann, wenn das BVerwG Festsetzungen zur Regelung der Folgen einer Enteignung, die auf der Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses durchgeführt wurde, also etwa Fragen der Enteignungsentschädigung oder einer Folgeenteignung entsprechend § 92 Absätze 2 bis 4 BauGB, nicht dem Regelungsbereich des § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG zuweist. Entscheidungen hierüber gehören nicht in das Planfeststellungsverfahren, sondern in das die-
108
Hierzu s.u. im 6. Kapitel unter II 4 und im 10. Kapitel unter II 1. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/68 f. und Urteil vom 07. Juli 1978-4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110/134: Enteignung nach den Landesenteignungsgesetzen; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 — 4 C 4.98 —, BVerwGE 61, 295/305 f.: Abstellen auf „allgemeine enteignungsrechtliche Grundsätze"; BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/260: Anspruch aus „rechtsstaatlichen" Gründen; BVerwG, Urteil vom 06. März 1987 — 4 C 36.83 - , UPR 1987, 379/380: Zuordnung in den Bereich des Artikel 14 Absatz 3 GG. 110 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 17-19.84 - , BVerwGE 77, 295/298; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 CB 1.90 - , NVwZ-RR 1991,129/132 f.; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.87-, BVerwGE 87, 332/ 383; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 9.95 - , NVwZ 1996, 1003/1006. Vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 06. Juni 1990 - 23 AK 3/87 - , NVwZ 1991, 389/390. Auch die h.M. im Schrifttum verortet den Übernahmeanspruch bei § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG, z.B. Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 106; Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 162; Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 47 und 48 b; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 190 und 302; ders., DVB1. 1989, 221/230; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rdnr. 2215; Wahl, NVwZ 1990, 426/440 (dort in FN 212); kritisch hierzu Kleinlein, DVB1. 1991, 365/367 f.; Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1185 (dort in FN 41). 109
60
1. Kap., III. Zweite Phase: Materiell-rechtliche Einschränkung der Fehlerfolge
sem nachfolgende Enteignungsverfahren 111. Derartige enteignungsbezogene Festsetzungen können demnach nicht Gegenstand eines Planergänzungsanspruchs sein. Auch hierin zeigt sich wieder die Beschränkung des Planergänzungsanspruchs auf Festsetzungen zugunsten des mittelbar Betroffenen.
4. Dogmatische Begründungsversuche in der Rechtsprechung
Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs hat sich als Institut der Reduktion von Fehlerfolgen in der Rechtsprechung durchgesetzt und stellt mittlerweile ein gängiges Argumentationsschema dar. Dem steht der Befand gegenüber, daß seine dogmatische Absicherung nie erfolgte: Soweit ersichtlich, enthält die Judikatur des BVerwG überhaupt keine Erklärungsversuche far den Vorrang des Planergänzungsanspruchs und die der Instanzgerichte nur vereinzelt. Derartige Entscheidungen der Instanzgerichte sind eher neueren Datums112. Sie verfolgen mitunter jeweils verschiedene Begründungsansätze far den grundsätzlichen Ausschluß eines gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachten Aufhebungsanspruchs bzw. far die Unbegründetheit einer in dieser Konstellation erhobenen Anfechtungsklage. Ein bestimmtes Erklärungsmuster hat sich dabei (noch) nicht durchgesetzt. So wird als ein Argument far die Erfolglosigkeit der Anfechtungsklage die fehlende Rechtsverletzung des Betroffenen ins Feld geführt: Bestehe die Möglichkeit einer Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die zunächst unterblie-
111
Grundlegend BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 - 4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 472/ 478; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. November 1996 - 11 A 27.96 - , NVwZ 1997, 917/918. Zustimmend hierzu M. Bauer, NVwZ 1993, 441 ff.; ähnlich schon BVerwG, Beschluß vom 13. Januar 1989 - 4 Β 249.88 - , BA, S. 6 f. (der Abdruck in Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 81 ist insoweit unvollständig.). 112 Insbesondere VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UPR 1993, 235; VGH München, Urteil vom 30. Juni 1993 - 8 A 90.40067 - , NVwZ 1994, 186; VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994, 197 für den vom Gericht insoweit parallel behandelten Fall der Genehmigung mit planungsrechtlichem Einschlag; VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 u.a. - , DVB1. 1994, 1198; VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 40087 u.a.-, BayVBl. 1995, 497.
4. Dogmatische Begründungsversuche in der Rechtsprechung
61
bene Festsetzung einer Schutzmaßnahme, so scheitere ein Planaufhebungsanspruch mangels einer Verletzung von subjektiven Rechten113. Weiterhin wird auf das „Integritätsinteresse" des Klägers verwiesen, welches einer Aufhebung im Wege stehe, wenn eine Ergänzung des Beschlusses um Schutzmaßnahmen möglich sei: Der Kläger solle allein die Wiederherstellung der Integrität seiner durch die hoheitliche Maßnahme beeinträchtigten Rechtsposition verlangen können, aber auch nicht mehr. Die positiv-rechtliche Verankerung dieses Integritätsinteresses ergebe sich aus dem Merkmal des „soweit" in § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO 114 . Das Argument des Integritätsinteresses des Klägers wird mitunter kombiniert mit dessen Rechtsschutzziel: Dieses sei nicht auf die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtet, sondern nur auf die Wiederherstellung seiner Rechtsposition. Eine dennoch erfolgende Aufhebung des Beschlusses — etwa weil Ausgleichsmaßnahmen nicht angeordnet werden könnten - sei „rechtsschutzzielüberschießend, aber gewissermaßen planungsrechtlich vorgegeben"115. Es läßt sich insgesamt festhalten, daß Entscheidungen selten sind, in denen der Versuch unternommen wird, den Vorrang des Planergänzungsanspruchs zu begründen1 1 6 . In der Regel beschränken die Gerichte sich auf die — mitunter schon 113
VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 3 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig), wo die gesamte Darlegung der Unbegründetheit der Anfechtungsklage unter dem Obersatz erfolgt, daß der angefochtene Planfeststellungsbeschluß den Kläger nicht in seinen Rechten verletze (§113 Absatz 1 Satz 1 VwGO); ebenso VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 40087 - , BayVBl. 1995, 497; VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994, 197/198: „Ist nach alledem eine Verletzung eigener Rechte der Kläger... auszuschließen,... 114 VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig); VGH München, Urteil vom 30. Juni 1993 - 8 A 90.40067 - , NVwZ 1994,186; VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 u.a. - , DVB1. 1994,1198/1203; VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 92.40087 - , BayVBl. 1995, 497/500 (m.w.N., die die genannte Ansicht des VGH allerdings nicht belegen, da sie thematisch nicht einschlägig sind). 115 VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig); VGH München, Urteil vom 30. Juni 1993 - 8 A 90.40067 - , NVwZ 1994, 186; ähnlich auch VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994, 197 (fur den vom Gericht insoweit parallel behandelten Fall der Genehmigung mit planungsrechtlichem Einschlag): Die Kassation des unvollständigen Beschlusses sei im Falle seiner Ergänzbarkeit um Schutzmaßnahmen „nicht die angemessene gerichtliche Reaktion". 116 Die in der Literatur vorhandenen Begründungsansätze zum Vorrang des Planergänzungsanspruchs werden im 4. Kapitel systematisch dargestellt.
62
1. Kap., IV. Regelung durch den Gesetzgeber
formelhaft wirkende-Wiedergabe der für die Entwicklung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs entscheidenden Passage in BVerwGE 56, 110/133. Da diese aber ihrerseits einer eigentlichen Begründung entbehrt, befriedigt ein derartiger Verweis nicht das Bedürfnis nach einer dogmatischen Absicherung des hier zu untersuchenden Instituts.
IV. Regelung durch den Gesetzgeber In neuerer Zeit ist in einer Reihe von planungsrechtlichen Gesetzen eine - jeweils weitgehend gleichlautende - Vorschrift eingefügt worden, die das Verhältnis von Planaufhebung und Planergänzung zum Gegenstand hat: „Erhebliche Mängel [der Abwägung] führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ..., wenn sie nicht durch Planergänzung ... behoben werden können." 117
Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber kein neues Rechtsinstitut geschaffen, sondern gerade auch die Rechtsprechung zum Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch aufgegriffen und normiert 118 . Dies ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut der Regelungen: Anders als z.B. § 46 VwVfG, der unmißverständlich an einen Aufhebungsanspruch des durch Verwaltungsakt Betroffenen anknüpft, enthalten die genannten Vorschriften den hier interessierenden Begriff des „Aufhebungsanspruchs" nicht. Doch läßt sich der Entstehungsgeschichte der genannten Regelungen ein entsprechender Rezipierungswille des Gesetzgebers entnehmen. Hierzu im folgenden: 117
Bundesrecht: § 36 d Absatz 6 Satz 2 BBahnG; § 17 Absatz 6 c Satz 2 FStrG; § 19 Absatz 4 Satz 2 WaStrG; § 10 Absatz 8 Satz 2 LuftVG; § 29 Absatz 8 Satz 2 PBefG (jeweils in der Fassung des Planungsvereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1993, BGBl. I, S. 2123); § 20 Absatz 7 Satz 2 AEG (vom 27. Dezember 1993, BGBl. I, S. 2378); § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG (in der Fassung des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 12. September 1996, BGBl. I, S. 1354). Landesrecht: z.B. § 37 Absatz 9 Satz 2 StrG-LSA (vom 06. Juli 1993, GVB1. S. 334). 1,8 So die einhellige Meinung im Schrifttum; vgl. etwa Bonk, NVwZ 1997, 320/330 (dort in FN 80); Dolde, NVwZ 1996, 209/211 (dort in FN 14); Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26; Gromitsaris, SächsVBl. 1997,101/ 106; Haedrich, FS OLG Jena, S. 293/303; Hoppe / Henke,, DVB1. 1997, 1407/1410; Jarass, DVB1. 1997, 795/801; Kuschnerus, UPR 1992, 167/171; Pietzcker in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rdnr. 139; Ramsauer, Nachtrag zu Kopp, VwVfG, § 75 Rdnr. 111; Sendler, UPR Special 7, S. 9/29; Stüer, DVB1.1997, 326/ 331 (dort in FN 42).
1. Kap., IV. Regelung durch den Gesetzgeber
Die einschlägigen Gesetzgebungsmaterialien sind spärlich. Rollt man die Entwicklung der Normierung des Vorrangs der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung ausgehend von seiner jüngsten gesetzlichen Fassung bis zum Ausgangspunkt nach hinten auf, so ergibt sich ein Einstieg bei der amtlichen Begründung des Entwurfs der Bundesregierung des § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG, der in dieser Form auch verabschiedet wurde: Diese Begründung rekurriert auf den entsprechenden Wortlaut des § 17 Absatz 6 c Satz 2 FStrG in der Fassung des Planungsvereinfachungsgesetzes, dessen Regelung nunmehr für das „allgemeine Planfeststellungsverfahren" gelten solle119. Die Neuerungen des Planungsvereinfachungsgesetzes, auf die somit verwiesen wird, begründet dessen Regierungsentwurf seinerseits wie folgt: Zum einen handele es sich bei dem zu kodifizierenden Vorrang der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung um einen Grundsatz, der „von der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch auf den Vorgang der Abwägung öffentlicher und privater Belange bei Planfeststellungsbeschlüssen angewendet worden" sei. Zum anderen habe man die Formulierung des Entwurfs dem Musterentwurf fur die Landesstraßengesetze entnommen120. Zumindest der erste Begründungsansatz liefert damit einen direkten Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG. Der zweite Begründungsansatz zum Planungsvereinfachungsgesetz (Verweis auf den Musterentwurf der Länderstraßengesetze) bestätigt ebenfalls den Schluß, daß der Gesetzgeber den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs aufgegriffen hat: Der einschlägige „Musterentwurf des Länderfachausschusses — Straßenbau — für die Neufassung der Allgemeinen Bestimmungen der Länderstraßengesetze" vom 17./18. September 1991 enthält in § 38 Absatz 8 Satz 2 den Vorrang der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung: „Erhebliche Mängel führen nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ..., wenn sie nicht durch Planergänzung behoben werden können."121
Dieser Entwurf wird wiederum begründet mit einem wortgleichen Gesetzesantrag Bayerns zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz122. Der auch mit seiner Begründung wörtlich in die Materialien zum Musterentwurf einbezogene Gesetzesantrag Bayerns sah einen § 17 Absatz 6 a Satz 2 FStrG vor:
119 120 121 122
BT-Drucksache 13/3995 vom 06. März 1996, S. 10. BT-Drucksache 12/4328 vom 11. Februar 1993, S. 20. Zitiert nach Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, S. 440. Zitiert nach Kern, Verkehrswegeplanung in Deutschland, S. 75/95 f.
64
. Kap.,
. Zusammenfassung
„Erhebliche Mängel fuhren nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie nicht durch Planergänzung behoben werden können."123
Dieser Entwurf, der sich letztlich im Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz124 nicht durchsetzen konnte, wurde seinerseits wie folgt begründet: „In der Praxis führten Entscheidungen der Gerichte zu unvertretbarem und vermeidbarem Verwaltungsaufwand, wenn sie auch in solchen Fällen zur Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen kommen, in denen festgestellte Mängel der Abwägung durch bloße Nachbesserung des Planfeststellungsbeschlusses behoben werden könnten, etwa durch die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen.... Der Vorrang der Planergänzung vor der Planaufhebung wird auch in der neueren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zunehmend berücksichtigt; die Entwicklung in der Rechtsprechung wird durch die vorgeschlagene Kodifikation aufgegriffen" 125
Bei diesem Entwurf Bayerns handelt es sich um den ersten Versuch eines Gesetzgebers, die Nachrangigkeit der Planaufhebung zu normieren. Er verweist ausdrücklich auf die Rechtsprechung zur Planergänzung durch eine nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen. Diese Rechtsprechung zu rezipieren war damit expressis verbis Intention der bayerischen Initiative. Da sich - wie gezeigt alle hier interessierenden Regelungen zumindest mittelbar auf diesen Entwurf stützen, steht fest, daß sämtliche der genannten Vorschriften und insbesondere § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG auch126 den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs hinsichtlich unterlassener Schutzmaßnahmen zum Inhalt haben. Es handelt sich also nicht um eine originäre Kreation des Gesetzgebers, sondern um ein bloßes Aufgreifen richterlich geschaffener Strukturen.
V. Zusammenfassung Das von der Rechtsprechung des BVerwG geschaffene Institut des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch dient der Eingrenzung von Fehlern bei Planfeststellungsbeschlüssen: Hierdurch soll verhindert werden, daß ein Planfeststellungsbeschluß, der eine nach § 74 Absatz 2 123
BR-Drucksache 294/91 vom 14. Mai 1991, S. 3. Gesetz vom 16. Dezember 1991 (BGBl. I, S. 2174). 125 BR-Drucksache 294/91 vom 14. Mai 1991, S. 33 und 34; Hervorhebungen durch den Verfasser. 126 Der weitere Regelungsgehalt der Vorschrift wird im 2. Kapitel dargestellt. 124
. Kap., . Zusammenfassung
Satz 2 und 3 VwVfG erforderliche Schutzmaßnahme nicht anordnet, auf eine Anfechtungsklage des durch diesen Mangel Betroffenen aufgehoben wird. Voraussetzung fur den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs ist die Möglichkeit einer nachträglichen Ergänzung: Diese besteht, wenn der Mangel nicht die Gesamtkonzeption der Planung berührt. In diesem Falle hat der Betroffene lediglich einen Anspruch auf Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die zunächst unterlassene Festsetzung. Inhalt des Planergänzungsanspruchs ist allein eine Schutzmaßnahme nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG bzw. im Falle ihrer „Untunlichkeit" oder „Unvereinbarkeit" das Surrogat nach Satz 3 der Vorschrift (Entschädigung in Geld). Anspruchsinhalt ist hingegen nicht eine unterbliebene oder unvollständige Begründung der Abwägungsentscheidung. Diese von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Konturen hat der Gesetzgeber zunächst in einzelnen Fachplanungsgesetzen und dann umfassend in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG normiert. Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gilt damit im Falle einer entsprechenden Anpassung in den Verfahrensgesetzen der Länder fur das gesamte Fachplanungsrecht127. Hervorzuheben bleibt, daß der Planergänzungsanspruch keinen Einzug in das Bauplanungsrecht gefunden hat. Dies erklärt sich vorrangig aus den unterschiedlichen Handlungsformen der planenden Verwaltung der Fachplanung einerseits und der Bauleitplanung andererseits. Letztere ist verknüpft mit der Rechtsschutzform der Normenkontrolle nach § 47 VwGO als einem objektiven Beanstandungsverfahren, in welchem sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen verschiedenen subjektiven Reaktionsansprüchen nicht stellt128. Hieran hat die Neufassung des § 47 Absatz 2 Satz 1 VwGO durch die 6. VwGO-Novelle129 nichts geändert: Zwar muß der Antragsteller nunmehr eine subjektive Rechtsverletzung geltend machen; hierbei handelt es sich aber allein um eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die keinen Einfluß nimmt auf Umfang und Maßstab der gericht-
127
Vgl. etwa § 75 Abs. 1 a Satz 2 VwVfG des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung vom 21. November 1997 (GVB1. S. 1018); zum Zusammenspiel zwischen den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder s.u. im 3. Kapitel unter I. 128 So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 03. November 1988 - 7 C 115.86 - , BVerwGE 80, 355/363: Das Verfahren nach § 47 VwGO sei fur Ansprüche auf rechtmäßige Ausübung der Normsetzung oder auch unmittelbar auf Normerlaß „schlechterdings ungeeignet"; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/217 f.; Korbmacher, DÖV 1978, 589/596. 129 Gesetz vom 01. November 1996 (BGBl. I, S. 1626). 5 Hildebrandt
66
. Kap.,
. Zusammenfassung
liehen Kontrolle 130. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreben des Gesetzgebers zu sehen, auch in das Bauplanungsrecht planungssichernde Elemente aufzunehmen 131 , da diese sich nicht bereits aus der Rechtsprechung des BVerwG zum fachplanungsrechtlichen Grundsatz des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs ergeben. Den hier beschriebenen Planergänzungsanspruch gilt es im folgenden näher zu analysieren: Dazu soll sein Vorrang gegenüber dem Planaufhebungsanspruch zunächst von sonstigen Instituten zur Reduzierung von Fehlerfolgen im Fachplanungsrecht abgegrenzt werden (2. Kapitel). Es folgt eine Einordnung des Planergänzungs- und des Planaufhebungsanspruchs in das System materieller Ansprüche (3. Kapitel). Auf dieser Grundlage soll der 1. Teil der Arbeit mit einer Übersicht über die theoretisch denkbaren Rechtsgrundlagen seines Vorrangs schließen (4. Kapitel).
130
Kritisch zu dieser Inkongruenz von Prozeßrecht und materiellem Recht Kuhla / Hüttenbrink, DVB1. 1996, l\H12\\Redeker, NVwZ 1996, 521/526; Schenke, NJW 1997, 81/82 ff.; Schlichter, DVB1. 1995, 173/178. Zur Antragsbefugnis gemäß § 47 Absatz 2 VwGO n.F. vgl. auch Hüttenbrink, DVB1. 1997, 1253 ff. 131 Bau- und Raumordnungsgesetz vom 18. August 1997 (BGBl. I, S. 2081); vgl. hierzu Dolde, NVwZ 1996, 209/211; Krautzberger, NVwZ 1996, 1047/1051; Stüer, DVB1. 1996, 177/181; ders., DVB1. 1997,1201/1204; dazu auch im 7. Kapitel unter II 4.
2. Kapitel
Einordnung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in die Fehlerfolgensystematik des Fachplanungsrechts Nach dem Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs soll ein wegen Nichtanordnung gebotener Schutzmaßnahmen unvollständiger Planfeststellungsbeschluß nur im Ausnahmefalle aufgehoben werden. Es werden damit die Fehlerfolgen im Fachplanungsrecht reduziert. Die gleiche Zielrichtung haben eine Reihe weiterer Institute, die in der Regel von der Rechtsprechung entwickelt und in neuerer Zeit vom Gesetzgeber rezipierend normiert worden sind. Es läßt sich insofern von einem System der Fehlerfolgenreduzierung sprechen. Diese einzelnen „planungssichernden Instrumente"1 gilt es im folgenden darzustellen und zu strukturieren. Dabei soll zwischen formellen (dazu unter I) und materiellen Fehlern (dazu unter II) differenziert werden, an denen ein Planfeststellungsbeschluß leiden kann. Für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist eine solche Darstellung in zweierlei Hinsicht wichtig: Zum ersten kann eine Analyse des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs sinnvoll nur dann erfolgen, wenn der hier interessierende Untersuchungsgegenstand mit hinreichender Klarheit von verwandten Regelungsmechanismen der fachplanungsrechtlichen Fehlerfolgensystematik abgegrenzt wird. Dies erscheint um so notwendiger, als Rechtsprechung und Literatur weder terminologisch noch in der Sache stets sauber zwischen den einzelnen planungssichernden Instrumenten unterscheiden. Zum zweiten läßt gerade die Beschreibung der Wirkungsweise anderer planungsrechtlicher Fehlerfolgenregelungen Rückschlüsse auf die des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs zu. Es wird dabei zu zeigen sein, daß gerade dieses Institut sich einer schnellen Erklärung entzieht, wohingegen andere planungssichernde In-
1 Diese Terminologie geht - soweit ersichtlich - auf die Beschlußempfehlung des Bundestagsausschusses fur Verkehr zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz zurück, BT-Drucksache 12/5284 vom 28. März 1996, S. 33.
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2. Kap., I. Formelle Fehler
strumente relativ problemlos in Dogmatik und Struktur des gegen Verwaltungsakte gerichteten Aufhebungsanspruchs eingeordnet werden können.
I. Formelle Fehler Die Planfeststellung wird wesentlich durch das Verfahren geprägt, welches dem Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses vorangeht. Dies hat seinen Grund nicht zuletzt in der Ergebnisoffenheit der Planungsentscheidung, deren Inhalt der Gesetzgeber selbst nur schwach vorgezeichnet und deren Ausgestaltung er vorrangig der Planfeststellungsbehörde überantwortet hat. Dieses planungsspezifische materiell-rechtliche Regelungsdefizit soll durch die Förmlichkeit des Verwaltungsverfahrens kompensiert werden, welches insbesondere in § 73 VwVfG sehr detailliert normiert ist. Damit ergibt sich die „Richtigkeit" der Planungsentscheidung mangels inhaltlicher Vorgaben vorrangig aus der ordnungsgemäßen Durchführung des Planfeststellungsverfahrens: Diese indiziert jene; umgekehrt begründet ein Verfahrensfehler die (widerlegliche2) Vermutung der materiellen Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Gerade in dieser Förmlichkeit des Verfahrens liegt eine Ursache seiner Komplexität und damit auch Fehleranfälligkeit 3: In der Praxis möglich und häufig sind zum einen Fehler im Anhörungsverfahren, etwa eine unzureichende Bekanntmachung des Vorhabens, mangelhafte Planauslegung (§ 73 Absatz 3 VwVfG), unzureichende Akteneinsicht (§ 72 Absatz 1 VwVfG), nicht ausreichende Behördenbeteiligung (§ 73 Absatz 2 VwVfG) oder eine den Vorgaben des § 73 Absatz 6 und 7 VwVfG nicht entsprechende Durchführung des Anhörungstermins; zum anderen auch Fehler im sich anschließenden Beschlußverfahren, so z.B. eine unzureichende Bestimmtheit des Beschlusses (§ 37 Absatz 1 VwVfG) oder seine mangelhafte bzw. fehlende Begründung (§ 39 Absatz 1 VwVfG) 4. Angesichts dieser Fehleranfälligkeit sind in der Praxis zwei Institute von Bedeutung, mittels derer die Aufhebung eines formell rechtswidrigen Planfeststel2
Dazu s. u. unter 12. Andere Ursachen bestehen etwa in der Masse des im Planfeststellungsverfahren zu verarbeitenden Tatsachenstoffs oder in der Einbindung der Planfeststellung in andere Verfahrensstufen, z.B. in Raumordnungsverfahren. Vgl. hierzu und zum folgenden Breuer, FS Sendler, S. 357 ff.; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 370 ff.; Steinberg, Fachplanung, § 3 Rdnr. 164 ff. 4 Eine Übersicht der häufigsten Fehlerkonstellationen findet sich bei Breuer, FS Sendler, S. 357/365 ff. 3
1. Heilung gemäß § 45 VwVfG
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lungsbeschlusses vermieden werden kann: zum einen die Heilung von Fehlern nach § 45 VwVfG; zum anderen deren Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG 5.
1. Heilung gemäß § 45 VwVfG Formelle Fehler, etwa eine unterbliebene oder nur unzureichend durchgeführte Erörterung im Rahmen des Anhörungsverfahrens gemäß § 73 Absatz 6 VwVfG, sind einer Heilung im Regelfall zugänglich6. Die Grundlage hierfür bietet § 45 VwVfG, der im Planfeststellungsverfahren gemäß § 72 Absatz 1 VwVfG grundsätzlich anwendbar ist7. Bei der ursprünglichen Fassung des § 45 VwVfG verblieb der Möglichkeit zur Heilung formeller Mängel nach Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses nur ein geringer Anwendungsbereich8; dieses lag an der kurzen Frist des § 45 Absatz 2 VwVfG a.F. und dem Fehlen eines Widerspruchsverfahrens bei der Planfeststellung (§§ 74 Absatz 1 Satz 2,70 VwVfG). Dies wird sich durch die Neufassung der Norm voraussichtlich ändern9; denn nunmehr kann eine Fehlerheilung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgen. Die Heilung formeller Fehler ist unter entsprechender Anwendung des § 45 VwVfG auch schon vor Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses möglich: 5
Ein drittes Instrument zur Reduzierung der Folgen formeller Fehler im Fachplanungsrecht stellt das „ergänzende Verfahren" dar, welches nach dem Planungsvereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2378) in einige Fachgesetze eingeführt wurde (vgl. z.B. §17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG). Hauptanwendungsbereich dieser Regelung liegt allerdings bei der Heilung materiell-rechtlicher Fehler. Das „ergänzende Verfahren" soll deshalb im Kontext mit diesen abgehandelt werden (dazu unter II 3). Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des „ergänzenden Verfahrens" in § 75 Abs. 1 a Satz 2 VwVfG allein auf Abwägungs-, also auf materiell-rechtliche Fehler beschränkt hat. 6 BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/227; BVerwG, Urteil vom 31. März 1996 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 14; a.A. noch VGH München, Urteil vom 22. Februar 1978 - 140 VIII 76 - , DÖV 1978, 766/768: Die Heilung der formellen Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses könne nicht erfolgen, da hierfür das Planfeststellungsverfahren zu gewichtig sei. 7 Hiervon ging auch der Gesetzgeber bei Erlaß des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes aus, vgl. BT-Drucksache 13/3995 vom 06. März 1996, S. 10. 8 Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 389; § 45 Absatz 2 VwVfG lautete ursprünglich: „Handlungen des Absatzes 1 ... dürfen nur bis zum Abschluß eines Vorverfahrens oder, falls ein Vorverfahren nicht stattfindet, bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nachgeholt werden." 9 Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354).
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2. Kap., I. Formelle Fehler
Der Planfeststellungsbehörde steht es hier frei, einen erkannten Verfahrensfehler jederzeit durch Nachholung des jeweiligen Verfahrensschrittes zu beheben; einer Wiederholung des bisherigen Planfeststellungsverfahrens bedarf es nicht10. Die Heilung des formellen Fehlers nach § 45 VwVfG fuhrt dazu, daß der ursprünglich rechtswidrige Planfeststellungsbeschluß ex nunc rechtmäßig wird. Bezogen auf den für die vorliegende Untersuchung relevanten Aufhebungsanspruch folgt daraus, daß dieser Anspruch mangels objektiver Rechtswidrigkeit bereits tatbestandlich nicht entsteht1 Κ
2. Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG Die Folgen solcher formeller Fehler, die nicht über § 45 VwVfG geheilt worden sind, regelt § 46 VwVfG. Diese fuhren unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen nicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts. Die Anwendbarkeit der Norm im Fachplanungsrecht war bis zu ihrer Neufassung 12 stark umstritten13: Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum verneinte die Möglichkeit, unter Anwendung des § 46 VwVfG die Aufhebung eines formell rechtswidrigen Planfeststellungsbeschlusses zu umgehen14. Denn den Anwendungsbereich der Norm sah man auf inhaltlich gebundene Verwaltungsakte beschränkt; alle anderen Verwaltungsakte, die unter Ausübung eines Entscheidungsspielraums der Verwaltung ergangen seien, könnten dem § 46 VwVfG selbst dann nicht unterworfen 10
BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/227; BVerwG, Urteil vom 31. März 1996 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 14. Breuer, FS Sendler, S. 357/374, spricht hier plastisch von einer „unechten" Heilung. 11 Die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als tatbestandliche Voraussetzung des Aufhebungsanspruchs wird im 5. Kapitel unter II 1 behandelt. 12 Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354); bis dahin hatte die Norm folgenden Wortlaut: „Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache
hätte getroffen werden können." - Hervorhebungen durch den Verfasser. 13 Übersicht über den Streitstand bei Breuer, FS Sendler, S. 357/377 ff. 14 Bettermann, FS H.P. Ipsen, S. 271/294 f.; Breuer, FS Sendler, S. 357/381ff.; Goerlich, NVwZ 1982, 607/608; Hoppe / Schiarmann, Rechtsschutz bei der Planung, Rdnr. 95 a; Steinberg, Fachplanung, § 3 Rdnr. 169 ff.; Wahl, NVwZ 1990,426/432; vermittelnd Hien, NVwZ 1997, 422/424: Die Anwendung des § 46 VwVfG a.F. im Fachplanungsrecht sei zwar dogmatisch schwer zu begründen, führe im Ergebnis aber zu „einem ökonomischen Umgang mit der »Ressource Gerichtsbarkeit'".
2. Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG
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werden, wenn die Verwaltung auch bei Vermeidung des formellen Fehlers in der Sache tatsächlich dieselbe Entscheidung getroffen hätte. Diese Beschränkung galt angesichts der planerischen Gestaltungsfreiheit auch für den Planfeststellungsbeschluß. Hauptargumente fur diese Lesart des § 46 VwVfG a.F. waren Entstehungsgeschichte und Funktion der Norm, wonach deren Voraussetzung die rechtliche, nicht aber bloß tatsächliche Alternativlosigkeit der Sachentscheidung gewesen ist. Dieser Ansicht stand die gefestigte Rechtsprechung des BVerwG gegenüber, welche die Anwendbarkeit des § 46 VwVfG auch bei nichtgebundenen Verwaltungsakten und damit auch im Fachplanungsrecht bejahte15. Voraussetzung hierfür war die tatsächliche Alternativlosigkeit der Verwaltungsentscheidung. Diese wurde angenommen, wenn der formelle Fehler sich auf die Entscheidung in der Sache faktisch nicht ausgewirkt hatte. Den für den Ausschluß des § 46 VwVfG erforderlichen und damit zur Aufhebbarkeit des Verwaltungsakts fuhrenden Kausalzusammenhang bejahte die Rechtsprechung, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit bestand, daß ohne den angenommenen Mangel die Entscheidung inhaltlich anders ausgefallen wäre; die bloß abstrakte Möglichkeit sollte hierzu nicht ausreichen. Zur Begründung verwies das BVerwG auf „allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts", die auch in § 46 VwVfG ihren Niederschlag gefunden hätten16. Eine nähere Erläuterung dieser Ansicht lieferte das Gericht allerdings nicht. Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die im Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz erfolgte Neufassung des § 46 VwVfG zugunsten der letztgenannten Ansicht entschieden. Nunmehr ist ausdrücklich geregelt, daß eine 15
BVerwG, Urteil vom 13. September 1978 - 8 C 18.78 - , BVerwGE 56, 230/233 (nicht zum Fachplanungsrecht); BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256/269; BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/228; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - , NVwZ 1988, 527/530 (der Abdruck in BVerwGE 78, 347/356 ist insoweit unvollständig); BVerwG, Beschluß vom 23. Februar 1994 - 4 Β 35.95 - , DVB1. 1994, 763 m.w.N.; BVerwG, Beschluß vom 30. August 1995 - 4 Β 185.95 - , NVwZ-RR 1996, 253 m.w.N.; BVerwG, Beschluß vom 02. Februar 1996 - 4 A 42.95 - , NVwZ 1996, 905/906; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996-4 A 27.95 - , NVwZ 1996, 1011/1012; BVerwG, Beschluß vom 30. Dezember 1996 - 11 VR 24.95 - , LKV 1997, 209; vgl. auch VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 u.a. - , DVB1. 1994, 1198/1199. Weitere Nachweise zur Rechtsprechung bei Steinberg, DÖV 1996, 221/228 (dort in FN 76). 16 BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256/269; BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986-4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/228; ähnlich auch VGH München, Urteil vom 08. März 1985 - Nr. 20 Β 81 D. I - , BayVBl. 1985, 399/ 402 m.w.N.
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2. Kap., I. Formelle Fehler
Aufhebung des formell mängelbehafteten Verwaltungsakts dann nicht beansprucht werden kann, wenn der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht be-
einflußt hat. Damit werden jetzt von der Norm auch solche Ermessensentscheidungen erfaßt, in denen zwar keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, in denen die Behörde aber bei Vermeidung des Verfahrens- oder Formfehlers dieselbe - materiell rechtmäßige - Entscheidung getroffen hätte17. Problematisch hingegen ist nach wie vor die Frage nach der dogmatischen Wirkungsweise des § 46 VwVfG. Auch hier stehen sich bislang zwei Auffassungen gegenüber18: Nach der einen Ansicht ist ein Verwaltungsakt, der unter § 46 VwVfG fällt, objektiv rechtswidrig und verletzt den Betroffenen auch in seinen subjektiven Rechten. Der somit tatbestandlich „an sich" gegebene Aufhebungsanspruch19 werde aber durch § 46 VwVfG ausgeschlossen20. Worauf dieser Ausschluß letztlich basiert, wird dabei nicht einheitlich beantwortet: Teilweise nimmt man an, dem Betroffenen fehle es im Falle des § 46 VwVfG an dem erforderlichen „Aufhebungsinteresse" 21; teilweise wird vertreten, der Geltendmachung des Aufhebungsanspruchs stehe der Einwand rechtsmißbräuchlichen Verhaltens entgegen, wenn die Verwaltung in der Lage und auch verpflichtet sei, nach der Aufhebung des formell rechtswidrigen Verwaltungsakts einen neuen Verwaltungsakt gleichen Inhalts zu erlassen22; andere Stimmen in der Literatur wiederum wollen eine Aufhebung des Verwaltungsakts in der Konstellation des § 46 VwVfG an der „Unbeachtlichkeit" des formellen Fehlers scheitern lassen23. 17
Vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der Neufassung des § 46 VwVfG in BT-Drucksache 13/3995 vom 06. März 1996, S. 8, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die in der Literatur bis dahin „überwiegende Auffassung" von der rechtlichen Alternativlosigkeit der Sachentscheidung als Voraussetzung des § 46 VwVfG a.F.; ausfuhrlich zur Entstehungsgeschichte der Novellierung des § 46 VwVfG Ronellenfitsch, Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, S. 51/64 f. 18 Übersicht über den Streitstand bei Breuer, FS Sendler, S. 357/373 f. 19 Die Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Aufhebungsanspruchs werden im 5. Kapitel unter II dargestellt. 20 Bettermann, FS H.P. Ipsen, S. 271/288 ff.; Eibert, Formelle Rechtswidrigkeit, S. 131; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 102 ff; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 566 f.; Schenke, DÖV 1986,305/306 f.; Schoch, Die Verwaltung 25 (1992), 21/ 45 (dort in FN 138). 21 Bettermann, FS H.P. Ipsen, S. 271/288 ff. 22 Schenke, DÖV 1986, 305/314; ähnlich der Bundesrat in der Begründung des Entwurfs einer Novellierung des § 46 VwVfG (BT-Drucksache 13/1445 vom 31. März 1995, S. 7): Die Vorschrift sei Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes der Unzulässigkeit rechtsmißbräuchlicher Geltendmachung von Rechten; kritisch zu dieser Argumentation Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 42. 23 Eibert, Formelle Rechtswidrigkeit, S. 131.
2. Unbeachtlichkeit gemäß § 46 VwVfG
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Auf der anderen Seite wird die Meinung vertreten, daß der von einem formell rechtswidrigen, inhaltlich aber rechtmäßigen und „alternativlosen" Verwaltungsakt Betroffene bereits nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt werde, der Aufhebungsanspruch also bereits tatbestandlich nicht vorliege24. Dieser Streit dreht sich letztlich um die Bewertung der dogmatischen Bedeutung des Verfahrensrechts: Mißt man diesem eine selbständige Funktion zu, die eigene subjektive Rechtspositionen vermittelt, so fuhrt jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die zumindest auch dem Schutz des Betroffenen dient (drittschützende Norm), zu einer subjektiven Rechtsverletzung25. Auf eventuelle Auswirkungen dieses Verfahrensverstoßes auf die materielle Rechtsposition des Betroffenen kommt es dann nicht an. Geht man hingegen von einer akzessorischen Funktion des Verfahrensrechts aus, welches grundsätzlich keinen Selbstzweck verfolgt, sondern der Durchsetzung und Absicherung bestehender materieller Rechtspositionen dient, so fuhrt ein Verfahrensverstoß für sich genommen noch nicht zu einer subjektiven Rechtsverletzung (als Tatbestandsvoraussetzung des materiellen Aufhebungsanspruchs). Hierzu bedarf es vielmehr zusätzlich der Beeinträchtigung der materiellen Rechtsposition des Betroffenen gerade durch den Verfahrensverstoß: Der Verfahrensfehler begründet also nur dann eine subjektive Rechtsverletzung, wenn die materielle Rechtsbeeinträchtigung ohne ihn unterblieben wäre 26. Im Ergebnis ist der letztgenannten Auffassung der Vorzug zu geben: Die Beachtung des Verfahrensrechts stellt in aller Regel keinefinale Aufgabe der Verwaltung dar, sondern soll die Erfüllung einer solchen erst ermöglichen, indem es den Rahmen bietet, innerhalb dessen eine rechtmäßige, insbesondere die materi24 Berger, Grundfragen, S. 195; Breuer, FS Sendler, S. 357/387 ff.; Held, Grundrechtsbezug, S. 239 ff; Krebs, DVB1. 1984, 109/110 f.; Schmidt-Aßmann in Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 158; in diesem Sinne auch BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1995 - 4 C 4.94-, BVerwGE 98,339/361 f. (m.w.N.); vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 10 S 822/82 - , NVwZ 1986, 663/664. 25 Deutlich Schenke, DÖV 1986, 305/308: Ein unter Verletzung (drittschützender) Verfahrensvorschriften zustandegekommener Verwaltungsakt impliziere „rechtslogisch" eine subjektive Rechtsverletzung beim Betroffenen. 26 BVerwG, Urteil vom 03. Mai 1982 - 6 C 60.79 - , BVerwGE 65, 287/289 f.; BVerwG vom 18. März 1983 - 4 C 80.79 - , BVerwGE 67, 74/77; BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1995 - 4 C 4.94 - , BVerwGE 98, 339/361 f.; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 27.95 - , NVwZ 1996, 1011/1012: Auch soweit ein von einem Planfeststellungsbeschluß enteignend Betroffener sich umfassend auf die Einhaltung von Verfahrensvorschriften berufen könne, sei die Aufhebung des formell rechtswidrigen Beschlusses ausgeschlossen, wenn das Eigentum auch bei Wahrung besagter Verfahrenserfordernisse in Anspruch genommen worden wäre.
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2. Kap., I. Formelle Fehler
elle Rechtsstellung des Betroffenen wahrende Sachentscheidung getroffen werden kann. Es handelt sich bei Verfahrensvorschriften um keinen Wert an sich, der losgelöst vom materiellen Recht und den durch dieses begründeten Rechtspositionen zu sehen wäre. Dieser Grundsatz besteht auch im Fachplanungsrecht trotz der besonderen Bedeutung, die der Gesetzgeber gerade dem Planfeststellungsverfahren eingeräumt hat27. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn sich aus Zielrichtung und Schutzzweck der Verfahrensvorschrift ergibt, daß die Regelung des Verwaltungsverfahrens nicht allein der Ordnung des Verfahrensablaufs dient: Der Verstoß gegen eine Verfahrensnorm begründet dann automatisch eine subjektive Rechtsverletzung, wenn diese Norm dazu bestimmt ist, dem Betroffenen in spezifischer Weise eine Rechtsposition zu gewähren, die gerade nicht an die materielle Rechtslage anknüpft, sondern ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache die Aufhebung der verfahrensfehlerhaften Entscheidung gebietet28. Konkret für das Fachplanungsrecht hatte das BVerwG dem anerkannten Naturschutzverband eine solche eigenständige verfahrensrechtliche Rechtsposition eingeräumt, auf Grund derer jedweder Verstoß gegen dessen Beteiligungsrecht unabhängig von der Entscheidung in der Sache zu einer subjektiven Rechtsverletzung beim Verband und damit auch zur Aufhebung des formell rechtswidrigen Planfeststellungsbeschlusses führte 29. Diese Rechtsprechung sieht das Gericht allerdings durch die Einfuhrung der Fehlerheilung durch ein „ergänzendes Verfahren" in den Fachplanungsgesetzen insoweit als überholt an, als der Verfahrensverstoß nun nicht mehr zur Aufhebung des Beschlusses fuhren soll 30. 27
So auch die ständige Rechtsprechung: Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1980-7 C 84.78-, BVerwGE 61, 256/275; BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1981 - 4 C 97.77 - , BVerwGE 62, 243/246; BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1982 - 4 C 26.78 - , BVerwGE 64, 325/331; BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1986 - I C 29.85 - , BVerwGE 75, 285/291; BVerwG, Urteil vom 07. Juni 1991 - I C 43.90 - , BVerwGE 88, 286/288; BVerwG, Beschluß vom 21. Juli 1994 - 4 VR 1.94 - , BVerwGE 96, 239/245; BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996 - 4 C 5.95 - , NVwZ 1996, 788/792; eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat das BVerwG bisher allein im Atomrecht zugelassen, vgl. BVerwG, Urteil vom 09. März 1990 - 7 C 23.89 - , BVerwGE 85, 54/56 m.w.N. 28 BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1972 - IV C 107.67 - , BVerwGE 41, 58/64 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - IV C 50.71 - , BVerwGE 44, 235/239 f. (m.w.N.); BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1981 - 4 C 26.78 - , BVerwGE 64, 325/331 f.; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 10 S 822/82 - , NVwZ 1986, 663/664 (m.w.N.). 29 BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 4 C 7.88 - , BVerwGE 87,62/71. 30 BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 C 19.95 - , DVB1. 1997, 714/716 f.; BVerwG, Urteil vom 07. März 1997-4 C 10.96-, NVwZ 1997, 914/917; dazu s.u. unter 113.
1. Unbeachtlichkeit von Abwägungsfehlern
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Konsequenz dieser Annexität des Verfahrensrechts zum materiellen Recht ist in der Konstellation des § 46 VwVfG die fehlende subjektive Rechtsverletzung eines von einem formell rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffenen. Der Verwaltungsakt bleibt zwar rechtswidrig, da der Fehler-anders als bei § 45 VwVfG - nicht geheilt wird 31 ; der Verstoß gegen die (drittschützende) Verfahrensvorschrift fuhrt aber nicht zu einer subjektiven Rechtsverletzung, da auch bei Wahrung der Verfahrenserfordernisse die Beeinträchtigung der materiellen Rechtsposition des Betroffenen erhalten bleibt. Es fehlt also an dem Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Normverstoß und materieller Rechtsstellung32.
II. Materielle Fehler Der Schwerpunkt der Fehleranfälligkeit von Planfeststellungsbeschlüssen liegt im materiellen Recht. Im Vordergrund stehen dabei weniger Verstöße gegen die materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen der Planrechtfertigung und der Beachtung von Planungsleitsätzen, sondern solche, die das das Planungsrecht maßgeblich prägende Abwägungsgebot betreffen 33. Dementsprechend beziehen sich die meisten der planungssichernden Institute auf Verstöße gegen das Abwägungsgebot.
1. Unbeachtlichkeit von Abwägungsfehlern Das Abwägungsgebot umfaßt zwei Aspekte, nämlich den „Abwägungsvorgang" und das „Abwägungsergebnis": Der Abwägungsvorgang bezieht sich darauf, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt eine Abwägung stattfindet 31 Ganz herrschende Meinung: Badura in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 38 Rdnr. 31; Breuer, FS Sendler, S. 357/373 (m.w.N. dort in FN 84); Klappstein in Knack, § 46 VwVfG, Rdnr. 6m.w.N. 32 Der Rechtswidrigkeitszusammenhang als Voraussetzung einer subjektiven Rechtsverletzung und damit Tatbestandsmerkmal des materiellen Aufhebungsanspruchs wird im 5. Kapitel unter II 2 b behandelt. 33 Zu den materiell-rechtlichen Anforderungen an einen Planfeststellungsbeschluß vgl. statt vieler die Übersicht bei Steinberg, Fachplanung, § 4 Rdnr. 1 ff.; grundlegend für die Entwicklung einer Dogmatik des materiellen Fachplanungsrechts BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/59; eine Darstellung der materiellen Rechtmäßigkeitsanforderungen an einen Planfeststellungsbeschluß erfolgt im 6. Kapitel unter 11.
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2. Kap., II. Materielle Fehler
und daß bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden. Das hiervon zu trennende Abwägungsergebnis hingegen beinhaltet das, was bei dem Abwägungsvorgang „herauskommt", konkret: die im Planfeststellungsbeschluß getroffenen Festsetzungen34. Das Abwägungsgebot erstreckt sich damit auf das Abwägen selbst als auch auf das Abgewogensein35. Beide Elemente sind nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern deuten daraufhin, daß Planung einen einheitlichen Prozeß darstellt, bei dem der Plan das Ergebnis des Planens bildet. Sie hängen insofern miteinander zusammen, als ein fehlerhafter Abwägungsvorgang ein rechtswidriges Abwägungsergebnis indiziert-ebenso wie ein ordnungsgemäßer Vorgang auf ein korrektes Ergebnis schließen läßt. Im Topos des Abwägungsvorgangs liegt damit ein Korrektiv zur inhaltlichen Offenheit des Planungsergebnisses; ihm kommt also eine ähnliche Funktion wie die strenge Förmlichkeit des Planfeststellungsverfahrens zu. Diese vom BVerwG herausgearbeitete Unterteilung des Abwägungsgebots hat der Gesetzgeber mittlerweile anerkannt und übernommen: zunächst für das Bauplanungsrecht (§214 Absatz 3 Satz 2 BauGB bzw. ursprünglich § 155 b Absatz 2 Satz 2 BBauG 1979) und neuerdings — zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß36 — auch für das Fachplanungsrecht (§ 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG 37 bzw. entsprechende Vorschriften einzelner Fachplanungsgesetze38). Grundsätzlich ist dem Abwägungsgebot erst dann Genüge getan, wenn sowohl Vorgang als auch Ergebnis der Abwägung frei von Fehlern sind39. Die Ansicht, wonach die Abwägungskontrolle allein auf den Vorgang des Abwägens zu be-
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Grundlegend (jeweils für die Bauleitplanung) BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1972 - IV C 14.71 - , BVerwGE 41, 67/71 und BVerwG, Urteil vom 05. Juli 1974 - IV C 50.72 - , BVerwGE 45, 309/315; für die Fachplanung: BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - I V C 21.74-, BVerwGE 48, 56/64; die Aufspaltung des Abwägungsgebots in die Bestandteile Abwägungsvorgang und -ergebnis entspricht auch der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum; vgl. etwa Hoppe / Schiarmann, Rechtsschutz bei der Planung, Rdnr. 179 a ff.; Ibler, DVB1. 1988,469/471 und 472; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 177; Steinberg, Fachplanung, § 4 Rdnr. 58 ff., jeweils m.w.N. 35 BVerwG, Urteil vom 01. November 1974 - IV C 38.71 - , BVerwGE 47, 144/146. 36 Sendler, UPR Special 7, S. 9/25. 37 In der Fassung des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354). 38 Z.B. § 36 d Absatz 6 Satz 1 BBahnG, § 17 Absatz 6 c Satz 1 FStrG, § 19 Absatz 4 Satz 1 WaStrG, § 10 Absatz 8 Satz 1 LuftVG, § 29 Absatz 8 Satz 1 PBefG, jeweils in der Fassung des Planungsvereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2123). 39 So die herrschende Meinung; vgl. statt vieler Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 177.
1. Unbeachtlichkeit von Abwägungsfehlern
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schränken sei40, hat sich durch die genannten Novellierungen des Planungsrechts in § 214 Absatz 3 Satz 2 BauGB und § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG ebenso erledigt wie die teilweise vertretene Meinung, die Rechtmäßigkeit einer Abwägungsentscheidung bestimme sich allein nach dem Abwägungsergebnis41. Das BVerwG hat aber von dem Grundsatz der kumulativen Bedeutung von Abwägungsvorgang und -ergebnis eine Ausnahme entwickelt, die an die oben skizzierte Unbeachtlichkeit bestimmter Verfahrensfehler im Sinne des § 46 VwVfG erinnert: So ist das Abwägungsgebot dann nicht verletzt, wenn ein Fehler im Abwägungsvorgang, etwa die Verkennung oder Vernachlässigung abwägungserheblicher Belange, sich nicht auf das Abwägungsergebnis ausgewirkt haben kann, die durch den Fehler im Abwägungsvorgang bewirkte Indizierung eines fehlerhaften Ergebnisses im konkreten Fall also widerlegt wird 42 . Ein solcher Abwägungsfehler ist unerheblich (unbeachtlich). Hinsichtlich der Frage, wann ein Fehler im Abwägungsvorgang für das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen ist, orientiert sich die Rechtsprechung erkennbar an § 214 Absatz 3 Satz 2 BauGB: Hiernach liegt die für die Erheblichkeit eines Fehlers erforderliche Kausalität vor, wenn die Möglichkeit besteht, daß ohne den Mangel im Abwägungsvorgang anders geplant worden wäre. In diesem Sinne reicht aber eine bloß abstrakte Möglichkeit nicht aus; es muß vieleher nach 40
H.-J. Koch, DVB1. 1983,1124/1132; modifizierend ders., DVB1. 1989,399/403 ff.; kritisch hierzu Erbguth, DVB1. 1986, 1230/1233 sowie Ibler, DVB1. 1988,469/470 ff. 41 Heinze, NVwZ 1986, 87/89. 42 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/251: Die Planfeststellungsbehörde hatte hier das durch den Betrieb des planfestzustellenden Flughafens hervorgerufene Unfallrisiko in ihrer Abwägung fehlgewichtet; der somit vorliegende Fehler im Abwägungsvorgang war aber nach den Feststellungen des Gerichts ohne Einfluß auf die Wahl der planfestzustellenden Bahnkonfiguration und damit auf das Abwägungsergebnis. Vgl. weiterhin z.B. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 1.85 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 73, S. 31 f.; BVerwG, Beschluß vom 03. April 1990 - 4 Β 50.89 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 86, S. 72; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990 - 4 C 24.90 (4 ER 302.90) - , BA, S. 27 ff. (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht): Die Planfeststellungsbehörde hatte den Umstand, daß durch die festzustellende Fernstraße die wirtschaftliche Struktur des betroffenen Gebietes maßgeblich verändert würde, nicht ausreichend in ihre Abwägung einbezogen; dieser Fehler [Abwägungsdefizit, BA, S. 28] sei aber nicht erheblich, wenn auch bei ordnungsgemäßer Berücksichtigung dieses Umstands die Behörde das Vorhaben festgestellt hätte, ohne weitere Festsetzungen zu treffen. Weiterhin BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 27.95 - , NVwZ 1996, 1011/1012; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 1.95 - , DVB1. 1996, 915/916; vgl. auch VGH München, Urteil vom 08. März 1985 - Nr. 20 Β 81 D. I - , BayVBl. 1985, 399/406; VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1990 8 Β 86.3162 - , BayVBl. 1990, 148/150; VGH München, Urteil vom 06. Februar 1990 8 Β 88.1654 u.a. - , UA, S. 14 f. (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht).
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2. Kap., II. Materielle Fehler
den Umständen des jeweiligen Falles die konkrete Möglichkeit bestehen, daß ohne den Mangel im Vorgang die Planung anders ausgefallen wäre 43. Insofern galt letztlich der in § 214 Absatz 3 Satz 2 BauGB niedergelegte Rechtsgedanke bereits vor seiner oben genannten Normierung auch im Fachplanungsrecht44. Bei der Novellierung der Fachplanungsgesetze bzw. des VwVfG wiederum hat sich der Gesetzgeber an die Rechtsprechung des BVerwG angelehnt45, so daß im Ergebnis die Erheblichkeitsregeln für Abwägungsfehler im Bau- und im Fachplanungsrecht inhaltlich identisch sind46. Hieraus folgt, daß Mängel bei der Abwägung, insbesondere eine unzureichende oder fehlerhafte Berücksichtigung abwägungserheblicher Belange, dann unerheblich bzw. unbeachtlich sind, wenn auch bei Vermeidung dieses Fehlers die Planfeststellungsbehörde kein anderes Abwägungsergebnis getroffen hätte; ein erheblicher Abwägungsmangel liegt danach nur vor, wenn sie entweder von dem Vorhaben insgesamt Abstand genommen oder aber weitere Festsetzungen im verfügenden Teil 47 des Planfeststellungsbeschlusses getroffen hätte.
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Grundlegend für § 155 b Absatz 2 Satz 2 BBauG 1979: BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 - 4 C 57.80-, BVerwGE 64,33/39; für eine entsprechende Handhabung der Kausalitätsprüfung im Fachplanungsrecht z.B. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989 4 C 12.87 - , BVerwGE 84, 31/45; BVerwG, Beschluß vom 16. Juni 1996 - 4 A 3.96 - , NVwZ-RR 1997, 340/341 m.w.N. 44 So auch Dürr,, VB1BW 1992, 321/327. 45 Vgl. die amtliche Begründung der Bundesregierung zu dem in dieser Fassung auch verabschiedeten Entwurf des § 36 d Absatz 6 BBahnG vom 11. Februar 1993, BT-Drucksache 12/4328, S. 20: „Absatz 6 übernimmt Rechtsgedanken, die in §§ 214 und 215 BauGB ... Niederschlag gefunden haben.... Es handelt sich um Grundsätze, die von der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch auf den Vorgang der Abwägung öffentlicher und privater Belange bei Planfeststellungsbeschlüssen angewendet worden sind." 46 BVerwG, Beschluß vom 16. August 1995 - 4 Β 92.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 104, S. 50; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 1.95 - , UA, S. 14 f. (insoweit in DVB1. 1996, 915 nicht abgedruckt); VGH München, Beschluß vom 04. Februar 1994-8 AS 94.4007 - , BayVBl. 1994, 436/438; ebenso Friesecke, BWaStrG, § 19 Rdnr. 21; Jarass, DVB1. 1997, 795/802; Ramsauer, Nachtrag zu Kopp, VwVfG, § 75 Rdnr. 108; Schulze / Stüer, ZfW 1996, 269/273; zweifelnd Vallendar, UPR 1995, 296/298, allerdings ohne Begründung. Unterschiede zwischen Bau- und Fachplanungsrecht bestehen insoweit lediglich hinsichtlich des Kriteriums der „Offensichtlichkeit" des Mangels, was für die vorliegende Untersuchung aber ohne Bedeutung ist - vgl. dazu Sendler, UPR Special 7, S. 9/26. 47 Zu diesem Begriff s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa.
2. Vorrang der Planergänzung bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß
Ein unerheblicher Fehler fuhrt zu keiner Verletzung des Abwägungsgebots, der Planfeststellungsbeschluß ist insoweit also rechtmäßig48. Der Aufhebungsanspruch scheidet in einem solchen Fall bereits tatbestandlich aus49.
2. Vorrang der Planergänzung bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß Ein in der Praxis der Fachplanung häufig anzutreffender Fehler ist die Unvollständigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses: Dieser enthält in seinem verfugenden Teil nicht alle Festsetzungen bezüglich des „Ob" und des „Wie" der Realisierung des festzustellenden Vorhabens, die erforderlich sind, um eine Ausgewogenheit der Planung und eine Bewältigung sämtlicher durch diese hervorgerufener Konflikte zu gewährleisten. Bei einem solchen Mangel stellt sich die Frage nach einer Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die unterlassenen Festsetzungen, damit eine ansonsten eventuell erforderliche Planaufhebung vermieden werden kann. Diese Unvollständigkeit unterscheidet sich von dem eben beschriebenen Fehlertyp, welcher eine Unvollständigkeit hinsichtlich des in die Abwägung einzustellenden Materials, mithin der Begründung des Beschlusses betrifft: Dieser letztgenannte Mangel bei der Abwägung ist nur dann erheblich, wenn er auf das Abwägungsergebnis durchschlägt, also die im Planfeststellungsbeschluß zu treffenden Anordnungen beeinflußt. Fehlt es an einer solchen kausalen Verknüpfung zwischen Mangel und Ergebnis, so stellt sich nach dem oben Gesagten die Frage einer Ergänzung erst gar nicht, da der Beschluß bereits rechtmäßig ist, seine Aufhebung also nicht vermieden zu werden braucht. Hinsichtlich der von der Unvollständigkeit betroffenen Festsetzungen läßt sich differenzieren: einerseits Festsetzungen zugunsten des vom Planfeststellungsbeschluß Betroffenen —die hier relevante Planergänzung soll als „subjektive" Planergänzung bezeichnet werden (dazu unter a); andererseits sonstige Festsetzungen, die nicht der Rechtsposition des Betroffenen selbst zugute kommen, sondern zugunsten Dritter oder des öffentlichen Interesses erfolgen sollen - sie sind Gegenstand der im folgenden so bezeichneten „objektiven" Planergänzung (dazu unter b). Diese Unterscheidung ist deshalb dienlich, weil die Rechtsfolgen einer Unvollständigkeit je nach ihrem Gegenstand unterschiedlich sind. 48
BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/251; Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rdnr. 51; Gromitsaris, SächsVBl. 1997, 101/106; Heinze, NVwZ 1986, 87/90; ders., NVwZ 1989, 121; Ibler, DVB1. 1988,469/473. 49 Zu den Voraussetzungen des Aufhebungsanspruchs s.u. im 5. Kapitel unter II.
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2. Kap., II. Materielle Fehler a) Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich Festsetzungen zugunsten des Betroffenen („ subjektive " Planergänzung)
Unter Festsetzungen, die ein Planfeststellungsbeschluß zugunsten eines von ihm Betroffenen enthalten muß, sollen hier diejenigen Anordnungen verstanden werden, die geeignet sind, eine Beeinträchtigung seiner Rechtsposition auszuschließen oder zumindest auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. Hierfür kommen nur Festsetzungen zugunsten des mittelbar, nicht aber des unmittelbar Betroffenen in Betracht: Denn die Beeinträchtigung des letztgenannten besteht in der Entziehung seines Eigentums durch den Planfeststellungsbeschluß, genauer: durch dessen enteignungsrechtliche Vorwirkung 50. Diese Beeinträchtigung des unmittelbar Betroffenen kann nicht durch irgendwelche Festsetzungen beseitigt oder zumindest gemildert werden, denn das Eigentum wird durch den Planfeststellungsbeschluß insgesamt tangiert; die einzige Möglichkeit, diese Beeinträchtigung zu beseitigen, bestünde darin, den fraglichen Planfeststellungsbeschluß überhaupt nicht zu erlassen51. Auch scheidet es aus, als Anordnungen zugunsten des unmittelbar Betroffenen solche im Zusammenhang mit den Folgen der Enteignung anzusehen, also etwa Festsetzungen zur Entschädigung oder zu eventuell erforderlichen Folgeenteignungen. Denn derartige Regelungen sind nicht Bestandteil der Planfeststellung, sondern Gegenstand des ihr nachfolgenden Enteignungsverfahrens. Sie können daher nicht in einem Planfeststellungsbeschluß angeordnet werden, so daß dieser insofern auch nicht unvollständig sein kann52. Damit geht es hier allein um Festsetzungen zugunsten des vom jeweiligen Planfeststellungsbeschluß mittelbar Betroffenen, mithin um Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG. Diesbezüglich ist eine Unvollständigkeit des Beschlusses denkbar, die die Rechtsposition des Betroffenen beeinträchtigt und durch eine Planergänzung beseitigt werden kann. Damit handelt es sich bei der vorliegenden Variante der Unvollständigkeit um die im 1. Kapitel beschriebene Konstellation, für die der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs entwickelt wurde: Diese subjektive Planergänzung führt im Ergebnis dazu, daß ein Eingriff in die Rechte des Betroffenen gänzlich vermieden oder zumindest unter die Zumutbarkeitsschwelle gesenkt wird. 50
Zur enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses vgl. statt vieler Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 91 ff. (m.w.N.); zur Abgrenzung zwischen mittelbar und unmittelbar Betroffenen s.o. im 1. Kapitel unter I sowie unten im 6. Kapitel unter II 4. 51 Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 413. 52 S.o. im 1. Kapitel unter III 3 b bb.
2. Vorrang der Planergänzung bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß
Eine Planergänzung ist hier deshalb erforderlich, weil es sich vorliegend um einen Fehler handelt, der erheblich im Sinne des § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG ist. Denn die Abwägung leidet an dem Mangel, daß die Planfeststellungsbehörde die für das Vorhaben sprechenden Belange und die des mittelbar Betroffenen nicht in einen angemessenen Ausgleich gebracht hat (Abwägungsdisproportionalität) 53. Dieser Mangel hat Einfluß auf das Abwägungsergebnis, da die Behörde bei angemessener Abwägung die Belange des Betroffenen zwar auch hintangestellt, gleichzeitig aber eine Schutzmaßnahme zu seinen Gunsten festgesetzt hätte, mithin im verfugenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses zu einem anderen Abwägungsergebnis gelangt wäre.
b) Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich sonstiger Festsetzungen („ objektive " Planergänzung)
Wie oben dargelegt, beziehen sich die „sonstigen Festsetzungen" in der hier verwendeten Terminologie nicht auf die Rechtsposition des von dem Planfeststellungsbeschluß Betroffenen, also desjenigen, der sich gegen einen solchen Beschluß wehrt. Es handelt sich vieleher um Anordnungen, die entweder zugunsten Dritter oder aber im öffentlichen Interesse erforderlich sind, um die Ausgewogenheit der Planungsentscheidung zu gewährleisten. Unter die erstgenannte Konstellation (Anordnung zugunsten Dritter) fallen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG, die zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf die Rechte nicht des Betroffenen selbst, sondern eines anderen geboten sind (Beispiel: A wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluß, der die zugunsten des Β erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht enthält, insofern also unvollständig ist.). Die zweitgenannte Fallgruppe (Anordnung zugunsten eines öffentlichen Interesses) erfaßt Planfeststellungsbeschlüsse, die Festsetzungen nicht enthalten, welche im objektiven Interesse hätten erfolgen müssen (Beispiel: A wendet sich gegen einen Planfeststellungsbeschluß, der eine nach § 8 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG notwendige naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme nicht festsetzt.). Hieraus folgt, daß eine Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses hinsichtlich sonstiger Festsetzungen nur dann problematisch werden kann, wenn der Beschluß dem Betroffenen gegenüber eine enteignende Vorwirkung entfaltet. Denn allein der auf diese Weise unmittelbar Betroffene kann in umfassender Wei53
Dazu s.u. im 6. Kapitel unter 12.
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2. Kap., II. Materielle Fehler
se die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses rügen, also auch solche Mängel geltend machen, die nicht seine eigene Rechtsposition, sondern die eines Dritten betreffen oder einen Verstoß gegen objektives Recht darstellen. Dies ergibt sich aus Artikel 14 Absatz 3 Satz 1 GG, wonach eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit erfolgen kann; das Wohl der Allgemeinheit verlangt aber, daß die Enteignung in umfassender Hinsicht mit der Rechtsordnung vereinbar ist 54 . Die neuere Rechtsprechung bejaht die Möglichkeit einer gegenüber der Planaufhebung vorrangigen objektiven Planergänzung und schränkt so die Aufhebbarkeit fehlerhafter Planfeststellungsbeschlüsse weiter ein: Eine Unvollständigkeit hinsichtlich einer sonstigen, also nicht der Rechtsposition des Betroffenen selbst dienenden Festsetzung führe nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn der Mangel durch Planergänzung nicht behebbar sei. Eine solche Planergänzung scheide lediglich dann aus, wenn die konkrete Möglichkeit bestehe, daß die Planfeststellungsbehörde zur Vermeidung des Mangels eine andere Entscheidung getroffen hätte, die im Ergebnis das Eigentum des Betroffenen nicht mehr beeinträchtigt, sie also auf das Vorhaben insgesamt verzichtet oder zumindest eine räumliche Verortung gewählt hätte, die eine Inanspruchnahme des Grundstücks des Betroffenen ausschließt55. Diese Voraussetzungen decken sich also inhaltlich mit dem Kriterium der „Gesamtkonzeption der Pla54
Grundlegend BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 - 4 C 80.79 - , BVerwGE 67, 74/ 76; zur subjektiven Rechtsposition des unmittelbar Betroffenen im Fachplanungsrecht s.u. im 6. Kapitel unter II 4. 55 BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995 - 4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 47 (Ergänzung um naturschutzrechtliche Ersatzmaßnahme); BVerwG, Beschluß vom 15. September 1995 - 11 VR 16.95 - , NVwZ 1996, 396 (Ergänzung um „Entscheidungsvorbehalte" zugunsten des Vorhabenträgers); BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/899 (Ergänzung um naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme) und 901 (Ergänzung um Lärmschutzmaßnahmen zugunsten einer am Gerichtsverfahren nicht beteiligten Gemeinde); BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996-4 C 5.95 - , NVwZ 1996, 788/793 (Ergänzung um fehlerfreie Abschnittsbildung); BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 27.95 - , NVwZ 1996, 1011/1014 (Ergänzung um naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme); unklar noch BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 Β 249.89 - , NVwZ-RR 1991, 118/127 f.; für eine objektive Planergänzung auch OVG Münster, Urteil vom 10. November 1993-23 D 52/92.AK-, NVwZ-RR 1995, 10/12 (Ergänzung um naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme); OVG Koblenz, Urteil vom 29. Dezember 1994 - 1 C 10893/92 - , UA, S. 51 (Ergänzung um fehlerfreie Abschnittsbildung; der Abdruck in DVB1. 1995, 1026 ist insoweit unvollständig); die Möglichkeit einer objektiven Planergänzung wird noch nicht gesehen vom VGH Kassel, Beschluß vom 28. August 1986-5 TH 3071/84 - , NVwZ 1987, 987; kritisch zur Planergänzung bei einem mit enteignender Vorwirkung Betroffenen noch VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1989-8 Β 86.3162-BayVBl. 1990, 148/151.
2. Vorrang der Planergänzung bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß
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nung", welches die Rechtsprechung zur Abgrenzung von Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch beim mittelbar Betroffenen heranzieht56. Die Meinungen im Schrifttum über eine gegenüber der Planaufhebung vorrangige Planergänzung auch bei unmittelbarer Betroffenheit sind geteilt: Einerseits wird die Ansicht vertreten, der Vorrang der Planergänzung könne nur gegenüber dem mittelbar, nicht aber dem mit enteignender Vorwirkung Betroffenen gelten57. Andererseits wurde schon früh die Planergänzung als Möglichkeit zur Reduzierung von Fehlerfolgen auch in den hier beschriebenen Fällen gefordert 58. Dieser letztgenannten Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen: Denn der mit enteignender Vorwirkung Betroffene wird durch einen Planfeststellungsbeschluß, welcher hinsichtlich sonstiger Festsetzungen unvollständig ist, dann nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt, wenn auch bei Vermeidung des Fehlers sein Grundstück unverändert in Anspruch genommen würde. Es fehlt insofern an dem fur eine subjektive Rechtsverletzung konstitutiven Element des Rechtswidrigkeitszusammenhangs59, so daß ein Aufhebungsanspruch bereits tatbestandlich ausscheidet60. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine Übertragung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch 61: Denn die Wirkungsweise der subjektiven unterscheidet sich von der der objektiven Planergänzung insoweit, als zum einen im Anwendungsbereich der erstgenannten der fur den Aufhebungsanspruch erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang und damit eine subjektive Rechtsverletzung des mittelbar Betroffenen sehr wohl besteht, der Aufhebungsanspruch aber aus anderen Gründen nicht durchgreift 62. Zum anderen läßt sich die subjektive Planergänzung — wie noch zu zeigen sein wird 63 — nur als ein Vorrangverhältnis zwischen zwei Abwehransprüchen beschreiben, nämlich zwischen Planaufhebungsund Planergänzungsanspruch. Dies gilt nicht fur die objektive Planergänzung: 56
S.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. Z.B. Friesecke, BWaStrG, § 19 Rdnr. 22; Schwermer in Kunig / Schwermer / Versteyl, AbfG, § 8 Rdnr. 69, allerdings jeweils ohne Begründung. 58 Z.B. Kühling,, Fachplanungsrecht, Rdnr. 413; Steinberg,, NVwZ 1988, 1095/1100. 59 Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 411, spricht insoweit von einem „Ursachenzusammenhang zwischen einem Fehler der Entscheidung und der Rechtsstellung des Betroffenen". 60 Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang als Tatbestandsmerkmal des materiellen Aufhebungsanspruchs s.u. im 5. Kapitel unter II 2 b; zum Aufhebungsanspruch eines unmittelbar Betroffenen bei unvollständigem Planfeststellungsbeschluß s.u. im 6. Kapitel unter II 4. 61 So aber Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 413. 62 Dazu s.u. im 6. Kapitel unter II 2 und im 8. Kapitel. 63 Dazu s.u. im 3. Kapitel. 57
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2. Kap., II. Materielle Fehler
Hier korrespondiert dem Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs kein Planergänzungsanspruch, da der unmittelbar Betroffene keine materielle Rechtsposition innehat, die Festsetzung von solchen Maßnahmen zu verlangen, die nicht ihm selbst, sondern einem Dritten oder der Allgemeinheit zugute kommen sollen64. Ein Planfeststellungsbeschluß, der eine erforderliche „sonstige" Festsetzung nicht enthält, ist objektiv rechtswidrig. Dies ergibt sich bei Festsetzungen, die dem Abwägungsgebot unterliegen, also insbesondere solchen zugunsten Dritter, aus dem oben Gesagten: Jeder Mangel im verfugenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses ist erheblich im Sinne des § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG, betrifft er doch gerade das Abwägungsergebnis65. Insoweit fallt die objektive Planergänzung auch unter den Anwendungsbereich des § 75 Absatz 1 a Satz 2,1. Alt. VwVfG: Stellt die Unvollständigkeit die Gesamtkonzeption der Planung nicht in Frage, hätte also die Planfeststellungsbehörde zur Vermeidung des Fehlers nicht von dem Vorhaben insgesamt Abstand genommen oder es anders dimensioniert bzw. verortet, so kann der Mangel durch eine Planergänzung behoben werden; eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses scheidet damit aus. Dieser Ausschluß der Aufhebbarkeit erfolgt insoweit aber nicht in konstitutiver Weise durch § 75 Absatz 1 a Satz 2,1. Alt. VwVfG; denn ein Aufhebungsanspruch des unmittelbar Betroffenen scheitert hier bereits-wie dargelegt-tatbestandlich, da der unvollständige Beschluß ihn nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt. Die genannte Norm ist insoweit lediglich deklaratorischer Natur. Fehlt hingegen etwa die Anordnung einer gemäß § 8 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG gebotenen naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahme, so handelt es sich um den Verstoß gegen zwingendes Recht, der den Planfeststellungsbeschluß automatisch rechtswidrig werden läßt. Denn nach der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des BVerwG stellt § 8 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG einen sogenannten Planungsleitsatz dar, der einer planerischen Abwägung generell entzogen ist 66 . § 75 Absatz 1 a Satz 1 und 2 VwVfG kann daher auf diesen Mangel nicht angewendet werden, da die Vorschrift nur fur erhebliche Abwägungsfehisr gilt 67 . Einer normativen Regelung dieser Konstellation bedarf es aber auch gar 64
Das wird auch eingeräumt von Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 416; ebenso Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/536; Peschau, FS Kriele, S. 1213/1227. 65 S.o. unter a sowie unter 1. 66 Grundlegend BVerwG, Beschluß vom 30. Oktober 1992 - 4 A 4.92 - , Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 13, S. 36; vgl. weiterhin BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/899; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 27.95 - , NVwZ 1996,1011/1014; vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 10. November 1993-23 D 52/92.AK—, NVwZ-RR 1995, 10/12 m.w.N. 67 Peschau, FS Kriele, S. 1213/1223.
3. „Ergänzendes Verfahren"
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nicht: Denn der unmittelbar Betroffene ist-wie gezeigt-nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt, wenn die Möglichkeit einer objektiven Planergänzung besteht. Der Ausschluß der Aufhebbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses ergibt sich also bereits aus allgemeinen Grundsätzen, so daß eine konstitutive Wirkung des § 75 Absatz 1 a Satz 2,1. Alt. VwVfG auch hier nicht erforderlich ist.
3. „Ergänzendes Verfahren" Durch das Planungsvereinfachungsgesetz 68 und das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz69 ist neben der Planergänzung das „ergänzende Verfahren" als weitere Möglichkeit, die Aufhebung fehlerhafter Planfeststellungsbeschlüsse zu vermeiden, in das Fachplanungsrecht eingeführt worden. Anders als die bisher genannten planungssichernden Institute handelt es sich hierbei um eine originäre Rechtsschöpfung des Gesetzgebers, da insoweit zuvor keine entsprechende verwaltungsgerichtliche Praxis bestand. Dementsprechend sind der Anwendungsbereich des ergänzenden Verfahrens, seine verfahrensrechtliche und prozessuale Umsetzung sowie die Abgrenzung insbesondere zur Planergänzung noch nicht abschließend geklärt. Das ergänzende Verfahren als Möglichkeit zur Behebung von Verfahrens- und insbesondere von Abwägungsfehlern war im Regierungsentwurf zum Planungsvereinfachungsgesetz noch nicht vorgesehen, sondern gelangte erst auf Vorschlag des zuständigen Bundestagsausschusses für Verkehr in die Novellierungen der Fachplanungsgesetze70; dem zeitlich vorangehenden Musterentwurf für ein Länderstraßengesetz, welches die Vorrangigkeit der Planergänzung gegenüber der Planaufhebung in seinem § 38 Absatz 8 71 anordnete, war ein ergänzendes Verfahren noch unbekannt. Die amtliche Begründung des Änderungsvorschlags des Bundestagsausschusses ist hinsichtlich des Anwendungsbereiches des ergänzenden Verfahrens verwirrend: Dieses diene dazu, die Verletzung von „Verfahrensvorschriften, z.B. über Beteiligungsrechte" zu bereinigen72. Hieraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, das ergänzende Verfahren betreffe allein die Korrektur von Fehlern im Planfeststellungsver/aAre«. Denn zum einen spricht die Systematik der 68 69 70 71 72
Gesetz vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2123). Gesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I, S. 1354). BT-Drucksache 12/5284 vom 28. Juni 1993, S. 8 (zu § 36 Absatz 6 BBahnG). Zitiert nach Blümel (Hrsg.), Verkehrswegeplanung in Deutschland, S. 440. BT-Drucksache 12/5284 vom 28. Juni 1993, S. 35.
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2. Kap., II. Materielle Fehler
gesetzlichen Neufassung dafür, daß ein ergänzendes Verfahren gerade auch bei erheblichen Mängeln der Abwägung, mithin bei materiell-rechtlichen Fehlern einschlägig sein soll. Zum anderen ergibt sich die Reduzierung der Folgen reiner Verfahrensfehler bereits aus § 46 VwVfG in seiner extensiven Auslegung durch das BVerwG bzw. seiner Neufassung durch den Gesetzgeber. Des ergänzenden Verfahrens als eines zusätzlichen planungssichernden Instruments bei Verfahrensfehlern bedarf es deshalb grundsätzlich nur insoweit, als diese auf die materielle Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses durchschlagen, also zu einem fehlerhaften Abwägungsergebnis führen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung in dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren rechtswidrigerweise unterbliebe und hierdurch die von dem planfestzustellenden Vorhaben berührten Umweltbelange nicht oder nur unzureichend ermittelt und in die Abwägung eingestellt würden. Raum für das ergänzende Verfahren bei reinen Verfahrensfehlern ohne materiell-rechtliche Konsequenzen bleibt daher nur dort, wo die Rechtsordnung dem Betroffenen ausnahmsweise ein subjektives Verfahrensrecht einräumt, welches losgelöst vom materiellen Recht besteht und dessen Beeinträchtigung daher unabhängig von der Geltendmachung einer materiellen Rechtsverletzung gerügt werden kann (z.B. die Beteiligungsrechte eines anerkannten Naturschutzverbandes73). Konsequenterweise weist das BVerwG einen Verstoß gegen die Beteiligungsrechte eines anerkannten Naturschutzverbandes nunmehr dem Anwendungsbereich des ergänzenden Verfahrens zu 74 . Insofern ist das ergänzende Verfahren systematisch eher den Instituten zuzurechnen, die die Rechtsfolgen materieller Fehler im Fachplanungsrecht reduzieren sollen. Unerheblich ist dabei, ob diese Fehler aus einer Verletzung von Verfahrensvorschriften oder direkt aus einem Verstoß gegen materielles Recht, etwa die Anforderungen an den Abwägungsvorgang als Bestandteil des Abwägungsgebots, resultieren. Als Anwendungsbereich des ergänzenden Verfahrens kommen damit vorrangig solche Fälle in Betracht, in denen die Planfeststellungsbehörde das der Abwägung zugrundezulegende Tatsachenmaterial überhaupt nicht, unzureichend oder fehlerhaft zusammengestellt und bewertet hat (Abwägungsdefizit oder Abwägungsfehleinschätzung) 75. Derartige Fehler führten bisher, sofern sie erheblich in dem oben beschriebenen Sinne gewesen sind, stets zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses; denn das BVerwG hat es grundsätzlich abgelehnt, 73
BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 4 C 7.88 - , BVerwGE 87, 62/72; dazu s.o. unter I 2. 74 BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996-4 C 19.95 - , DVB1. 1997, 714/717. 75 Zur Systematik der Abwägungsfehler s.u. im 6. Kapitel unter 11.
3. „Ergänzendes Verfahren"
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das in die Abwägung einzustellende Material während des gegen den Planfeststellungsbeschluß anhängigen Verwaltungsprozesses zu vervollständigen oder seine Ermittlung in sonstiger Weise nachzubessern76. Eine Ausnahme hiervon hat das Gericht lediglich dort gemacht, wo es Überlegungen anstellte, ob nicht schon die fehlende Einbeziehung der Belange des mittelbar Betroffenen in die Abwägung die Gesamtkonzeption der Planung berühre 77. Sieht man davon einmal ab, so bestand bis zur Einfuhrung des ergänzenden Verfahrens durch den Gesetzgeber in dem vorliegenden Bereich eine Lücke im System der planungssichernden Instrumente. Das ergänzende Verfahren betrifft damit Fälle, in denen der eigentliche Planungsvorgang noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Hieraus folgt seine Ergebnisoffenheit: Es steht zu Beginn des ergänzenden Verfahrens gerade noch nicht hinreichend fest, zu welchen Erkenntnissen es fuhren wird. Denkbar ist insofern, daß nach seiner Durchführung die Planfeststellungsbehörde von dem Vorhaben insgesamt Abstand nimmt, es unverändert feststellt, ein vollkommen neues Planfeststellungsverfahren durchführt oder eine Planergänzung vornimmt 78. Problematisch und noch nicht hinreichend geklärt ist die verfahrensrechtliche Umsetzung eines ergänzenden Verfahrens 79. Auch hier erweisen sich die Vorstellungen des Gesetzgebers, soweit sie sich anhand der Gesetzgebungsmaterialien ermitteln lassen, als unergiebig: Falls aufgrund des ergänzenden Verfahrens und dessen Ergebnissen eine Änderung oder Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses erforderlich werde, könne dem durch ein Änderungs- oder Ergänzungsplanfeststellungsverfahren oder eine Entscheidung nach § 76 VwVfG Rechnung getragen werden80. Diese Ausführungen sind insofern wenig hilfreich, als sie lediglich das mögliche Procedere nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens betreffen, nicht aber dieses Verfahren selbst. Auch das VwVfG enthält kein unmittelbar passendes Instrumentarium zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens: § 73 Absatz 8 VwVfG regelt das Verfahren lediglich im Falle der Änderung eines Plans vor seiner Feststellung und kommt daher für einen zu ändernden Planfeststellungsbeschluß zumindest nicht direkt in Betracht. § 76 VwVfG 76
Z.B. BVerwG, Urteil vom 11. April 1986 - 4 C 53.82 - , NVwZ 1986, 834/835; BVerwG, Urteil vom 25; Februar 1988 - 4 C 32 u. 33.86 - , Buchholz 407.56 NStrG Nr. 2, S. 2 f.; weitere Nachweise zu dieser Rechtsprechung bei Dürr, VB1BW 1992, 321/327 (dort in FN 95) sowie bçi Stüer, DVB1. 1997,326/331 (dort in FN 44). 77 S.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa. 78 BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 - , BVerwGE 100, 370/372; BVerwG, Beschluß vom 15. Mai 1996 - 1 1 VR 3.96 - , DVB1. 1996, 925/928. 79 Vgl. hierzu Jarass, DVB1. 1997, 795/801 f. (m.w.N.). 80 BT-Drucksache 12/5284 vom 28. Juni 1993, S. 35.
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2. Kap., II. Materielle Fehler
hilft auch nicht weiter: Die Regelung knüpft verfahrensrechtliche Konsequenzen an das Kriterium der Wesentlichkeit der Änderung. Ob der Planfeststellungsbeschluß überhaupt oder unter Umständen sogar einer wesentlichen Änderung bedarf, ist zu Beginn des ergänzenden Verfahrens - wie dargelegt - noch offen. Die Frage, wie die gesetzliche Vorgabe des ergänzenden Verfahren verfahrensrechtlich umzusetzen ist, kann daher nur unter Heranziehung allgemeiner planungsrechtlicher Grundsätze beantwortet werden. Hierbei ist zweierlei in Rechnung zu stellen: zum einen das Ziel des Gesetzgebers, die Kassation eines Planfeststellungsbeschlusses und insbesondere deren Konsequenz, nämlich die erneute Durchführung eines kompletten Planfeststellungsverfahrens, zu vermeiden; zum anderen die Besonderheit der Planfeststellung als einer umfassenden und vor allem einheitlichen Entscheidung zur Lösung der von dem Vorhaben aufgeworfenen Probleme und Konflikte 81. Hieraus folgt erstens, daß der Verwaltungsaufwand des ergänzenden Verfahrens geringer sein muß als der eines vollständig neuen Planfeststellungsverfahrens. Und zweitens scheidet es aus, das ergänzende Verfahren als einen selbständigen, vom übrigen Planfeststellungsverfahren isolierten Verwaltungsablauf zu begreifen. Statt dessen muß es sich als integrierter Bestandteil des gesamten Planfeststellungsverfahrens darstellen, welches eine Einheit bildet. Am nähesten liegt somit die Erwägung, mit dem ergänzenden Verfahren bei dem Punkt in das Planfeststellungsverfahren wieder einzusteigen, bei welchem der festgestellte Fehler verursacht wurde, und die folgenden Bestandteile der Planung erneut vorzunehmen; die vor diesem Punkt liegenden Verfahrensschritte bedürfen hingegen keiner Wiederholung, da sie durch den Fehler nicht infiziert worden sind82. Ebenfalls problematisch ist zunächst die prozessuale Umsetzung des ergänzenden Verfahrens als Möglichkeit zur Heilung von Abwägungsmängeln gewesen: Insbesondere der VGH München hatte zunächst die Ansicht vertreten, daß auf eine gegen einen Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage hin die Planfeststellungsbehörde im Wege eines Bescheidungsurteils zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens verurteilt werden müsse, wenn aufgrund einer gerichtlichen Prognose die Heilung des Abwägungsmangels auf diesem Wege zu
81
Vgl. zum letztgenannten Punkt etwa BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 C 19.95 - , DVB1. 1997, 714/715; zur Einheitlichkeit der Planungsentscheidung s.u. im 6. Kapitel unter 13. 82 Ähnlich Stüer, DVB1. 1997, 326/331, der plastisch den Vergleich mit einer fehlerhaft zugeknöpften Weste anstellt: Diese werde nicht ganz, sondern nur bis zu demjenigen Knopf wiederaufgeknöpft, an dem sie fehlerhaft zugeknöpft wurde.
3. „Ergänzendes Verfahren"
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erwarten sei83. Dies konnte aus mehrerlei Gründen nicht überzeugen: Zum einen überschreitet das Gericht seine Kompetenz, wenn es die Planfeststellungsbehörde zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens verpflichtet, obwohl diese möglicherweise aufgrund der aufgezeigten Abwägungsmängel möglicherweise gar nicht mehr an dem Vorhaben festhalten will. Zum zweiten wird das Auslegen des Anfechtungsbegehrens als Antrag aufVerpflichtung zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens nicht notwendigerweise der Interessenlage des Klägers gerecht: Zumindest der unmittelbar Betroffene, der auf der Grundlage des Artikel 14 Absatz 3 Satz 1 GG gerade die unzureichende Durchführung des Planfeststellungsverfahrens und die mangelhafte Ermittlung und Gewichtung des Tatsachenmaterials umfassend rügen kann, will mit seiner Klage nicht die Herbeiführung der Rechtmäßigkeit der Enteignung erreichen, sondern diese Enteignung insgesamt verhindern. Zum dritten setzte die Verurteilung der Planfeststellungsbehörde zur Durchführung eines ergänzenden Verfahrens eine entsprechende materielle Rechtsposition beim klagenden Betroffenen voraus. Die Konstruktion eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Durchführung eines Verwaltungsverfahrens, insbesondere eines Planfeststellungsverfahrens, stellte aber einen Fremdkörper in der Rechtsordnung dar und ist vom BVerwG daher auch in ständiger Rechtsprechung abgelehnt worden84. Insofern ist dem BVerwG zuzustimmen, wenn es diese Ansicht des VGH München abgelehnt hat. Es vertritt seinerseits die Ansicht, daß bei Vorliegen eines Abwägungsfehlers, der den Anwendungsbereich des ergänzenden Verfahrens eröffnet, auf die Anfechtungsklage hin die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses festzustellen sei85. Voraussetzung hierfür sei die konkrete Möglichkeit, daß der Fehler in einem ergänzenden Verfahren behoben werden könne. Das setze voraus, daß der Abwägungsmangel nicht von solcher Art und Schwere sei, daß er die Planung als
83
VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 - , DVB1. 1994, 1198/ 1203 unter Berufung auf VGH München, Beschluß vom 04. Februar 1994 - 8 AS 94.40007 - , BayVBl. 1994,436/437; im Ergebnis ebenso Pasternak, BayVBl. 1994, 616/ 618; ablehnend hierzu OVG Koblenz, Urteil vom 29. Dezember 1994 - 1 C 10893/ 92.0VG —, UA, S. 67 ff. (in DVB1. 1995, 1026 insoweit nicht abgedruckt). 84 BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - IV C 50.71 - , BVerwGE 44, 235/239 f.; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1980-4 C 24.77-, DÖV 1980,516/517 f.; BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1981 - 4 C 97.77 - , BVerwGE 62, 243/247; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 10 S 822/82 - , NVwZ 1986, 663/664. 85 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 - , BVerwGE 100, 370/372 f. und Leitsatz 1; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 1.95 - , UA, S. 16 (der Abdruck in DVB1. 1996, 915/916 ist insoweit unvollständig); BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996-4 C 19.95 - , DVB1. 1997, 714/717.
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2. Kap., II. Materielle Fehler
ganze von vorneherein in Frage stelle86. Diese Konstruktion trägt zum einen den oben genannten Bedenken Rechnung, denen die Ansicht des VGH München begegnet; zum anderen ist sie dogmatisch gut begründbar, läßt sich doch die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts als ein prozessuales Minus deuten, welches in jedem Aufhebungsantrag einer Anfechtungsklage enthalten ist 87 . Abschließend sollen noch die planungssichernden Institute des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch („subjektive" Planergänzung) einerseits und das ergänzende Verfahren andererseits voneinander abgegrenzt werden: Das ergänzende Verfahren betrifft eine Konstellation, in welcher die Planfeststellungsbehörde bei ihrer Abwägungsentscheidung von einem unzureichend ermittelten oder unzutreffend bewerteten Sachverhalt ausgegangen ist. Der Fehler ist also eher dem tatsächlichen Bereich der Abwägung zuzuordnen. Dem stehen die Fälle gegenüber, in welchen typischerweise ein Planergänzungsanspruch in Betracht kommt: Hier hat die Planfeststellungsbehörde die relevanten Belange korrekt ermittelt und in die Abwägung eingestellt - ein Vorgang, der oben als die erste Stufe der planerischen Bewältigung der Situation des mittelbar Betroffenen bezeichnet wurde 88; der Fehler wurzelt in dem unterbliebenen Ausgleich der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange - also in der hier verwendeten Terminologie auf der zweiten Stufe der planerischen Bewältigung —, mithin im rechtlichen Bereich. Angesichts dieser unterschiedlichen Fehlerkonstellationen kann es nicht zu Überschneidungen zwischen der subjektiven Planergänzung und dem ergänzenden Verfahren kommen: Dieses ist jener quasi vorgelagert; es kann gerade erst zu der Erkenntnis führen, daß es einer Planergänzung um Schutzmaßnahmen bedarf 89. Die Ansicht, wonach die Planfeststellungsbehörde ein Wahlrecht zwischen Planergänzung und Durchführung eines ergänzenden Verfahrens habe, wenn ein erheblicher Abwägungsmangel im Sinne des § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG
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BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 19.94-, BVerwGE 100, 370/372 f.; im Ergebnis ebenso Schulze / Stüer, ZfW 1996,269/276. 87 Detterbeck, Streitgegenstand, S. 291; Schenke, FS Mühl, S. 571/581 (m.w.N. dort in FN 47); BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 - 7 C 24.91 - , BVerwGE 89, 354/355. 88 S.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa. 89 Für eine Exklusivität von ergänzendem Verfahren und Planergänzung auch Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/537.
3. „Ergänzendes Verfahren"
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vorliege90, wird diesen unterschiedlichen Anwendungsbereichen beider Institute nicht gerecht. Sie verkennt überdies die Verschiedenartigkeit der gerichtlichen Reaktionen auf die jeweiligen Mängel: Abweisung der Anfechtungsklage undim Falle eines entsprechenden Antrags — Stattgabe der auf Planergänzung gerichteten Verpflichtungsklage beim Vorrang der Planergänzung einerseits91; Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses beim ergänzenden Verahren andererseits. Es liefe der Intention des Gesetzgebers, die Realisierung von planfestzustellenden Vorhaben möglichst reibungslos und zügig zu ermöglichen, zuwider, wollte man die Entscheidung zwischen Planergänzung und ergänzendem Verfahren in das Belieben der Planfeststellungsbehörde stellen. Denn die Rechtsfolge „ergänzendes Verfahren" ist, bezogen auf den Plan, gravierender als die Abweisung einer Anfechtungsklage wegen der Möglichkeit der Fehlerheilung durch Planergänzung. Im zweiten Falle kann der Plan in der Regel sofort, spätestens aber mit Anordnung der nachzuholenden Schutzmaßnahmen in die Praxis umgesetzt werden. Dies ist bei einem ergänzenden Verfahren nicht möglich, da hier der Planfeststellungsbeschluß bis zur Beseitigung des Fehlers nicht vollzogen werden kann.
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So Jarass, DVB1.1997,795/801 unter Berufung auf BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 19.94 - , BVerwGE 100, 370/372 f.; diese Entscheidung deckt aber seine Ansicht nicht, da das BVerwG sich dort ausdrücklich nur auf das ergänzende Verfahren bezieht, die Planergänzung selbst aber gar nicht behandelt. Zumindest die für die vorliegende Untersuchung relevante subjektive Planergänzung war in dem vom BVerwG zu entscheidenden Fall auch gar nicht einschlägig, da das Gericht sich mit der Klage eines unmittelbar Betroffenen zu befassen hatte. 91 An dieser prozessualen Umsetzung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs hält die Rechtsprechung auch nach seiner Normierung im Fachplanungsrecht fest: vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1996 - 4 C 4.94 - , NVwZ 1996, 381/ 382 f. (insoweit in BVerwGE 98, 339 nicht abgedruckt); BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389/389 f.; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1996 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/168; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/901; BVerwG, Beschluß vom 26. Februar 1996 - 1 1 VR 33.95 - , LKV 1996,246; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 4 A 28.95 - , NJW 1996, 2113/2113 f.; vgl. auch VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 92.400056 u.a. - , UA, S. 64 ff. (in DVB1. 1994, 1198 insoweit nicht abgedruckt).
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2. Kap., II. Materielle Fehler
4. Heilung gemäß § 114 Satz 2 VwGO? Durch das 6. Gesetz zur Änderung der VwGO 92 ist § 114 VwGO ein Satz 2 angefügt worden, der die Ergänzung der Ermessenserwägungen eines Verwaltungsaktes noch während des gerichtlichen Verfahrens ermöglichen soll. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien wollte der Gesetzgeber mit dieser Norm die Beseitigung inhaltlicher Begründungsmängel in Gestalt einer unzutreffenden oder unvollständigen, den formellen Anforderungen des § 39 Absatz 1 VwVfG aber genügenden Begründung ermöglichen; § 114 Satz 2 VwGO betrifft also nicht die formelle, sondern die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts93. Im Ergebnis enthält § 114 Satz 2 VwGO kein weiteres planungssicherndes Institut, welches über die Wirkungsweise der bisher beschriebenen Möglichkeiten der Reduzierung von Fehlerfolgen im Fachplanungsrecht hinausginge. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Zum einen bestehen hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit der Norm insofern Zweifel, als hier der Gesetzgeber im Prozeßrecht eine Regelung zur materiellen Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts getroffen hat. Diese bestimmt sich aber allein nach Maßgabe des einschlägigen Fachrechts94. Der Bund hatte zum Erlaß des § 114 Satz 2 VwGO daher nur insoweit die Gesetzgebungskompetenz, als er auch zur Regelung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des jeweiligen Verwaltungsakts befugt ist. Sofern das jeweils einschlägige materielle Fachrecht in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fallt, kann der Bund hingegen nicht die Voraussetzungen festlegen, die zur inhaltlichen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts gehören95. Eine entsprechende Regelung gehörte systematisch nicht in die VwGO, sondern in die 92
Gesetz vom Ol. November 1996 (BGBl. I, S. 1626). So ausdrücklich die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 06. März 1996, BT-Drucksache 13/3993, S. 21; zur Wirkungsweise der Norm vgl. weiterhin Gromitsaris, SächsVBl. 1997, 101; Kuhla / Hüttenbrink, DVB1. 1996, 717/718 f.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rdnr. 40; Redeker, NVwZ 1997, 625/626; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 529 ff.; Schmitz / Wessendorf, NVwZ 1996, 955/957; mißverständlich Schmieszek, NVwZ 1996, 1151/1152: § 114 Satz 2 VwGO sei eine ergänzende verfahrensrechtliche Vorschrift zu den Fehlerheilungsvorschriften der §§ 45,46 VwVfG. 94 Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1990 - 8 C 48.88 - , BVerwGE 85,163/166: Ob die Behörde eine Ermessensentscheidung noch während des Verwaltungsstreitverfahrens ergänzen oder nachholen dürfe, ergebe sich in erster Linie aus dem jeweiligen Fachrecht. An dieser Aussage hat sich durch die vorliegende Änderung des Prozeßrechts nichts geändert. 95 Ebenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 114 VwGO in kompetenzieller Hinsicht äußern Millgramm, SächsVBl. 1997, 107/110 und insbesondere Schenke, NJW 1997, 81/88 ff.; a.A. Redeker, NVwZ 1997,625/626 (m.w.N. dort in FN 7) und 627. 93
4. Heilung gemäß § 114 Satz 2 VwGO ?
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Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, etwa in Form eines § 40 Satz 2 VwVfG als materiell-rechtliche Entsprechung zu § 45 Absatz 2 VwVfG. Insoweit ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 114 Satz 2 VwGO in dem Sinne angezeigt, daß hier lediglich die prozessuale Umsetzung bestehender materiell-rechtlicher Heilungsmöglichkeiten von Ermessensentscheidungen normiert wird 96 . Es überzeugt auch nicht, den Regelungsgehalt der Vorschrift allein im Prozeßrecht und damit umfassend als von Artikel 74 Absatz 1 Nr. 1 GG gedeckt zu sehen97. Denn dies wird zumindest den Besonderheiten des Fachplanungsrechts nicht gerecht. Die Zusammenstellung des für die Planungsentscheidung maßgeblichen Materials, seine Gewichtung und Abwägung obliegt der Planfestellungsbehörde; es handelt sich hierbei nicht nur um die bloße Begründung eines Verwaltungsakts, sondern um den eigentlichen planerischen Vorgang als Ausdruck der vom Gesetzgeber der Verwaltung übertragenen Planungsbefugnis. Insofern ist die Ergänzung der Ermessenserwägungen einer Planungsentscheidung primär dem materiellen (Fachplanungs-) Recht, nicht aber dem Prozeßrecht zuzuordnen. Es bleibt damit bei den geäußerten kompetenziellen Bedenken. Dies leitet zum zweiten Argument über, das gegen eine selbständige Bedeutung des § 114 Satz 2 VwGO als planungssicherndes Instrument spricht: Die Norm ermächtigt lediglich zu Ergänzungen der Ermessenserwägungen, nicht aber zu einer vollständig neuen Betätigung des Ermessens. Anders als die nachträgliche Ergänzung des verfügenden Teils um einzelne Festsetzungen widerspricht aber eine gesonderte Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um einzelne Aspekte des Ermessens dem Wesen einer Planungsentscheidung; denn diese muß aus einem einheitlichen Planfeststellungsverfahren und einer einheitlichen Abwägung hervorgehen. Dies verdeutlicht die Regelung eines ergänzenden Verfahrens zur Nachbesserung unvollständiger Ermessensbetätigungen: Nach dem oben Gesagten kann dieses ergänzende Verfahren nicht isoliert vom übrigen Planfeststellungsverfahren erfolgen, sondern muß in dieses eingebunden werden,
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Ebenso Schmieszek, NVwZ 1996, 1151/1155: § 114 Satz 2 VwGO enthalte selbst keine materielle Heilungsregel. 97 In diesem Sinne wohl Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 529, nach dem die Vorschrift die Reichweite des derrichterlichen Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachenstoffs regelt; nach Redeker, NVwZ 1997, 625/626, betrifft die Norm den Streitgegenstand des Verfahrens und ist somit von der Bundeskompetenz gedeckt.
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2. Kap., III. Zusammenfassung
um die Einheitlichkeit der planerischen Abwägung zu gewährleisten98. § 114 Satz 2 VwGO würde diese Einheitlichkeit in unzulässiger Weise aufsprengen. Nach alledem ist § 114 Satz 2 VwGO für die vorliegende Untersuchung planungssichernder Instrumente ohne eigenständige Bedeutung. Es bedarf daher im folgenden keiner weiteren Abgrenzung zum Vorrang des Planergänzungsanspruchs.
I I I . Zusammenfassung Die obigen Ausführungen haben die Vielfalt der vorhandenen Institute aufgezeigt, welche Rechtsprechung und Gesetzgeber erarbeitet haben, um die extreme Folge von Fehlern im Fachplanungsrecht, nämlich die Kassation eines Planfeststellungsbeschlusses, zu reduzieren. Trotz all ihrer beschriebenen Eigenheiten lassen sie sich grob in zwei Kategorien unterteilen: zum einen in die Regeln der Unbeachtlichkeit, zum anderen in die der Heilung von Fehlern. Die erstgenannte Kategorie - Unbeachtlichkeitsregeln - umfaßt solche Konstellationen, in denen ein Fehler nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führt, gleichzeitig aber bestehen bleibt, also nicht geheilt werden soll. Hierunter fallt hinsichtlich formeller Mängel § 46 VwVfG in seiner Anwendung durch die Rechtsprechung bzw. in seiner diese rezipierenden Neufassung seitens des Gesetzgebers: Unbeachtlich sind solche Verfahrensfehler, die auf den Inhalt der Planungsentscheidung, insbesondere die materielle Rechtsstellung des Planbetroffenen keinen Einfluß genommen haben. Der Planfeststellungsbeschluß ist wegen des Verfahrensfehlers zwar objektiv rechtswidrig, verletzt den Betroffenen aber mangels RechtsWidrigkeitszusammenhangs nicht in seinen subjektiven Rechten. Die Unbeachtlichkeit materieller Mängel ergibt sich aus dem ebenfalls durch die Rechtsprechung entwickelten und vom Gesetzgeber in § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG übernommenen Erfordernis der Kausalität zwischen Abwägungsfehler 98 Zur allgemeinen Konnexität zwischen Begründung und Inhalt einer Ermessensentscheidung vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1990 - 8 C 48.88 - , BVerwGE 85, 163/ 165 f.; Weyreuther, DÖV 1985, 126/130. Zum problematischen Zusammenhang zwischen § 114 Satz 2 VwGO und förmlichen Verwaltungsverfahren vgl. auch Redeker, NVwZ 1997, 625/628. Johlen, FS Redeker, S. 487/493, weist zutreffend daraufhin, daß es mit dem Wesen des Planfeststellungsverfahrens grundsätzlich nicht vereinbar sei, fehlendes Abwägungsmaterial erst während des Prozesses zusammenzustellen.
2. Kap., III. Zusammenfassung und Abwägungsergebnis. Hat ein Abwägungsmangel auf das Abwägungsergebnis keinen Einfluß, so ist er unbeachtlich und der Planfeststellungsbeschluß insofern (objektiv) nicht rechtswidrig. Eine Heilung des Fehlers ist jeweils nicht vorgesehen. Die Heilungsregeln als zweitgenannte Kategorie der planungssichernden Instrumente grenzen sich von den Unbeachtlichkeitsregeln insofern ab, als die Rechtsordnung hier Mechanismen bereithält, die eine Beseitigung des Mangels zumindest ermöglichen sollen. Hierzu zählt hinsichtlich formeller Fehler § 45 VwVfG: Die zunächst bestehende objektive Rechtswidrigkeit wird durch Behebung des Fehlers beseitigt; zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses kommt es also deshalb nicht, weil eine Heilung tatsächlich stattgefunden hat. Es läßt sich insofern von einer „echten" Heilungsvorschrift sprechen. Weiteres Institut zur Heilung formeller Mängel ist — wenn auch mit nur geringem Anwendungsbereich - das „ergänzende Verfahren", soweit es einzelne Fachplanungsgesetze vorsehen (z.B. § 17 Abs. 6 c Satz 2 FStrG). Die Heilung materieller Mängel ist gemäß § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren möglich. Die Planergänzung wiederum kann sich sowohl auf unterbliebene Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 und 3 VwVfG - „subjektive" Planergänzung - als auch auf sonstige Festsetzungen beziehen, die zugunsten eines Dritten oder aus öffentlichem Interesse erforderlich sind - „objektive" Planergänzung. Im letztgenannten Falle führt die Unvollständigkeit zwar zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses, mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs aber nicht aber zu einer subjektiven Rechtsverletzung des (unmittelbar) Betroffenen, da dessen Eigentum auch bei einem vollständigen Beschluß in Anspruch genommen worden wäre. Insofern korrespondiert der möglichen Planergänzung kein Planergänzungsanspruch. Anders bei der „subjektiven" Planergänzung um unterbliebene Schutzmaßnahmen: Wie noch zu zeigen sein wird, führt die Unvollständigkeit hier sowohl zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses als auch zu einer subjektiven Rechtsverletzung beim (mittelbar) Betroffenen". Es besteht ein Anspruch auf subjektive Planergänzung, den es im weiteren Verlauf der Untersuchung vom Planaufhebungsanspruch abzugrenzen gilt. Von der Planergänzung unterscheidet sich das ergänzende Verfahren hinsichtlich Anwendungsbereich und Rechtsfolge, da es ergebnisoffen ist. Bei Planergänzung und ergänzendem Verfahren handelt es sich freilich um solche Heilungsvorschriften, die sich von der Wirkungsweise einer „echten" Hei99
Dazu im 6. Kapitel.
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2. Kap., III. Zusammenfassung
lungsvorschrift wie etwa des § 45 VwVfG unterscheiden: Die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Mangel bereits behoben wurde, sondern weil er behoben werden kann, § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG. Diese Besonderheit ist wichtig fur die hier interessierende subjektive Planergänzung: Der Ausschluß des Anspruchs auf Aufhebung eines hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses erfolgt nicht wegen der Heilung des Mangels durch Planergänzung, sondern allein durch die Möglichkeit zu einer solchen. Der tatsächliche Eintritt der Heilung hängt davon ab, ob der Betroffene den ihm zustehenden Planergänzungsanspruch geltend macht. Unterläßt er dies, so bleibt der Planfeststellungsbeschluß unvollständig, ohne daß sich am Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs etwas änderte100. Im Ergebnis läßt sich die Tendenz feststellen, daß die aufgezeigten planungssichernden Instrumente die Rechtsfolgen von Fehlern stets von Kausalitätserwägungen abhängig machen: nämlich die Kausalität zwischen Fehler und Planungsergebnis bzw. zwischen Fehler und Gesamtkonzeption der Planung. Hierdurch erfolgt eine starke Akzentuierung des Inhalts des Plans, also der in ihm getroffenen Festsetzungen bzw. des Abwägungsergebnisses. Dies ist in zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen liegt hierin insofern ein planungsrechtlicher Systembruch, als der inhaltlichen Offenheit von Planungsentscheidungen nicht hinreichend Rechnung getragen wird. Die starke Betonung des Abwägungsergebnisses unter Zurückdrängung der Bedeutung des Abwägungsvorgangs bzw. des Planfeststellungsverfahrens reißt den planungsspezifischen Zusammenhang zwischen Abwägungsvorgang und -ergebnis auseinander. Die „Richtigkeit" einer Planungsentscheidung ergibt sich nicht allein aus ihrem gesetzlich (ohnehin nur schwach) determinierten Inhalt, sondern auch und vor allem aus ihrem Zustandekommen101. Zum anderen birgt die starke Ausrichtung auf die Rechtmäßigkeit allein des Plans als Produkt des Planens die Gefahr schwindender Akzeptanz von Planungsentscheidungen in sich: Diese Akzeptanz soll gerade angesichts der notwendigerweise lückenhaften gesetzlichen Vorgaben an den Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses durch die Förmlichkeit des Planfeststellungsverfahrens und 100
BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995 - 4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 46; BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/ 905. 101 Kritisch zur Abwertung des Verwaltungsverfahrens durch die Novellierungen von VwGO und VwVfG auch Schenke, NJW 1997, 81/87; Steinberg,, NuR 1996, 6/11; Stüer, DVB1. 1997,1201/1204 (auch zu entsprechenden Tendenzen im Bauplanungsrecht in seiner Fassung der Baurechtsnovelle 1998 vom 18. August 1997 [BGBl. I, S. 2081]).
2. Kap., III. Zusammenfassung die Betonung des Abwägungsvorgangs als eines wesentlichen Bestandteiles des materiellen Abwägungsgebots erzeugt werden. Sie ist gefährdet, wenn Fehler im Entscheidungsprozeß, der gerade der Rechtsstellung des Bürgers zu dienen bestimmt ist, nicht mehr sanktioniert werden. Akzeptanz staatlichen Handelns ist aber nicht nur ein rechtspolitisches, sondern auch ein originär rechtsstaatliches Problem 102 .
102
Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 532 m.w.N.; allgemein zur rechtspolitischen Dimension der Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen Kuhla / Hüttenbrink, DVB1. 1996, 717/718. Konkret zur Akzeptanz staatlichen Handelns im Fachplanungsrecht: Bullinger, DVB1. 1992,1463/1467; Sieg, ZUR 1993, 61/65; Wahl, NVwZ 1990, 426/431; BVerwG, Urteil vom 11. April 1986-4 C 51.83 - , BVerwGE 74, 124/ 130. Kritisch zur Tendenz der Ergebnisorientierung im Fachplanungsrecht auch Breuer, FS Sendler, S. 357/375; Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rdnr. 54; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 25 Rdnr. 43. Zum Problem der Akzeptanz von Planfeststellungsbeschlüssen s.u. im 7. Kapitel unter II 2 b. 7 Hildebrandt
3. Kapitel
Einordnung des Planergänzungsanspruchs und des Planaufhebungsanspruchs in das System der materiellen Ansprüche Im folgenden gilt es, den Planaufhebungs- und den Planergänzungsanspruch in das Gefüge der materiellen Ansprüche des öffentlichen Rechts einzuordnen, um hieraus Erkenntnisse über ihre Eigenart und den Rechtsgrund für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs zu gewinnen. Dabei soll zunächst nachgewiesen werden, daß die beiden genannten Ansprüche materiell-rechtlicher und nicht prozessualer Natur sind (dazu unter I). In einem zweiten Schritt wird kurz das System der materiellen Ansprüche des Verwaltungsrechts dargestellt (unter II) sowie anschließend der Planaufhebungsanspruch (unter III) und der Planergänzungsanspruch hierin eingeordnet (unter IV). Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß es sich bei beiden Ansprüchen um materielle Abwehransprüche handelt, mit denen der Betroffene sich gegen eine Beeinträchtigung seiner Rechtsposition unmittelbar durch die Planfeststellungsbehörde zur Wehr setzt. Hierbei wird auffallen, daß gerade die Einfügung des Planergänzungsanspruchs in das Anspruchssystem des öffentlichen Rechts nicht unproblematisch ist. Es deutet sich hier bereits die Eigenart dieses Anspruchs an. Die letztlich aber bestehende Parallelität beider Ansprüche als Abwehransprüche ist für den weiteren Verlauf der Untersuchung von erheblicher Bedeutung, insbesondere für das im 2. Teil der Arbeit zu analysierende Vorrang Verhältnis zwischen ihnen.
I. Planergänzungsanspruch und Planaufhebungsanspruch als materielle Ansprüche Der erste wesentliche Schritt bei einer Systematisierung von Planergänzungsund Planaufhebungsanspruch ist ihre Einordnung in das materielle und nicht in
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3. Kap., I. Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch
das Prozeßrecht. Dies bedeutet konkret, daß es sich - möglicherweise entgegen einem ersten Eindruck - in beiden Fällen um materielle und nicht um prozessuale Ansprüche handelt. Dieser Befund ist von großer Bedeutung für den weiteren Verlauf der Untersuchung: Denn hierdurch läßt sich das Prozeßrecht aus den kommenden Darstellungen weitgehend ausklammern, da es auf das materielle Recht grundsätzlich keinen Einfluß auszuüben vermag, ihm statt dessen diesem gegenüber eine lediglich dienende Funktion zukommt. Als prozessualer Aufhebungsanspruch soll hier die Rechtsfolge des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO verstanden werden, die eintritt, wenn der Tatbestand dieser Norm erfüllt ist. Sein Adressat ist allein das angerufene Gericht, welches durch ihn verpflichtet wird, den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben. Der prozessuale Aufhebungsanspruch ist damit nicht Voraussetzung, sondern Konsequenz der Begründetheit der Anfechtungsklage. Er stellt einen Ausfluß des allgemeinen Justiz- bzw. Rechtsgewährungsanspruchs des Bürgers gegen den Staat dar, der darauf gerichtet ist, die zur Durchsetzung materieller Rechte erforderlichen gerichtlichen Mechanismen zu schaffen. Seine einfachgesetzliche Grundlage findet er damit in § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO, seine verfassungsrechtliche in Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 GG1. Er ist nicht identisch mit dem in der Literatur mitunter ebenfalls als „prozessualer Aufhebungsanspruch" bezeichneten Streitgegenstand der Anfechtungsklage: Hierbei soll es sich um den vom Kläger gerichtlich geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts handeln, der sich sowohl gegen das Gericht (deshalb „prozessualer" Anspruch) als auch gegen die Verwaltung richte, die den Verwaltungsakt erlassen hat2. Da es für die vorliegende Untersuchung auf die prozessuale Frage nach dem Streitgegenstand einer Anfechtungsklage nicht unmittelbar ankommt, braucht auf diese begriffliche Differenz nicht näher eingegangen zu werden. Hiervon zu unterscheiden ist der materielle Aufhebungsanspruch, der die eigentliche Voraussetzung der Begründetheit einer Anfechtungsklage darstellt. Die Existenz dieses materiellen Aufhebungsanspruchs ergibt sich aus der Konzeption der Anfechtungsklage als Anspruchsklage: Die Anfechtungsklage findet nämlich ihre materielle Fundierung in einem Aufhebungsanspruch, dessen prozessualer
1
Zum allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch aus Artikel 19 Absatz 4 GG vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 16 ff. 2 Detterbeck, Streitgegenstand, S. 53 (m.w.N. in FN 19) und S. 156; ähnlich BVerwG, Beschluß vom 30. April 1980-7 C 91.79-, BVerwGE 60, 123/125.
3. Kap., I. Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch
Durchsetzung sie dient3. Dieser Anspruch bestimmt sich nach dem einschlägigen materiellen Recht, ist also seinerseits materiell-rechtlicher Natur. § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO ist insofern mißverständlich formuliert, als die Norm nicht die eigentliche Begründetheitsvoraussetzung einer Anfechtungsklage (Bestehen des materiellen Aufhebungsanspruchs), sondern lediglich dessen Voraussetzungen (objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und subjektive Rechtsverletzung des Klägers) nennt4. Auf das Verhältnis zwischen dem materiellen Aufhebungsanspruch und § 113 Absatz 1 Satz VwGO wird noch weiter unten einzugehen sein5. Entsprechendes gilt für die Differenzierung zwischen prozessualem und materiellem Verpflichtungsanspruch: Der erstgenannte ist Konsequenz einer erfolgreichen Verpflichtungsklage und löst die in § 113 Absatz 5 VwGO niedergelegte Rechtspflicht des Gerichts aus, die Behörde zu einem entsprechenden Verhalten zu verurteilen. Hiervon zu trennen ist der materielle Anspruch auf Erlaß des begehrten Verwaltungsakts bzw. auf rechtmäßige Ausübung des Ermessens; dieser Anspruch richtet sich gegen die Verwaltung und ist die eigentliche Begründetheitsvoraussetzung einer Verpflichtungsklage. Auch bei § 113 Absatz 5 VwGO liegt insofern eine mißverständliche Formulierung vor 6. In diesem Sinne ist sowohl der Planergänzungs- als auch der Planaufhebungsanspruch ein materieller Anspruch. Dies ergibt sich insbesondere aus der nunmehr erfolgten Regelung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch gerade im VwVfG: Das VwVfG ist aus Gründen der Gesetzgebungskompetenz strukturell ungeeignet, prozessuale Rechte zu gewähren, auszuschließen oder zu modifizieren. Denn der Anwendungsbereich des VwVfG des Bundes beschränkt sich auf die Verwaltungstätigkeit von Bundesbehörden (§ 1 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 3 VwVfG). Sofern die Länder eigene Verfahrensgesetze erlassen haben, ist es für die Verwal3
Badura, AöR 122 (1997), 162/164; Faber, Verwaltungsrecht, S. 220; Horn, Drittanfechtung, S. 122 f.; Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 11 und 31; Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, S. 74 f.; Remmert, VerwArch 88 (1997), 112/135; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 80; Rupp, Grundfragen, S. 251; Schock, VerwArch 79 (1988), 1/38 (m.w.N. dort in FN 215); Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/24; ders., Gutachten B, S. 46 f. und 67. 4 Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 f., spricht anschaulich von der „Vorgeschichte" des materiellen Aufhebungsanspruchs, die § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO zum Inhalt habe; ähnlich Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und Rechtsweggarantie, S. 279 (m.w.N. in FN 45); zu den Voraussetzungen des materiellen Aufhebungsanspruchs s.u. im 5. Kapitel unter II. 5 9. Kapitel unter II. 6 Weyreuther, FS Menger, S. 681/684 ff.
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3. Kap., I. Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch
tungstätigkeit von Landesbehörden nicht anwendbar7. Die Konsequenzen dieser Überlegung werden gerade im hier interessierenden Fachplanungsrecht deutlich, das überwiegend durch eine Verwaltungstätigkeit der Länder geprägt wird: Hier ist das VwVfG des Bundes auf entsprechende Regelungen der Länder in ihren Verfahrensgesetzen angelegt. Die erfolgte Anordnung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG des Bundes erlangt damit erst bei einer Anpassung der Verfahrensgesetze der Länder ihre angestrebte Wirkung8. Diese somit erforderliche und vom Bundesgesetzgeber letztlich auch intendierte Änderung der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder kann aber Bundesrecht nicht modifizieren, insbesondere den in § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO verankerten prozessualen Aufhebungsanspruch nicht zugunsten eines prozessualen Verpflichtungsanspruchs einschränken. Denn der Bundesgesetzgeber hat im Bereich des Verwaltungsprozeßrechts von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nr. 1 GG abschließend Gebrauch gemacht. Verwaltungsprozessuale Regelungen der Länder wären daher mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig 9. Diese Rechtsfolge kann auch nicht durch die in der Literatur vereinzelt vertretene Konstruktion einer „konkordanten Gesetzgebung zwischen Bund und Ländern" im Bereich des Verwaltungsverfahrensgesetzes vermieden werden: Hiernach folge aus dem Willen des Gesetzgebers, eine einheitliche Regelung in Bund und Ländern herbeizufuhren, eine Erklärung des Bundes, daß die Inanspruchnahme des Kompetenztitels aus Artikel 74 Absatz 1 Nr. 1 GG nicht abschließend gewesen sei, den Ländern also eine Befugnis zur eigenen Gesetzgebung im Rahmen des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO verbleibe10. Diese Ansicht überzeugt schon deshalb nicht, weil der 7
Etwas anderes gilt lediglich in den Ländern, deren Verwaltungsverfahrensgesetze eine dynamische Verweisung auf das VwVfG des Bundes enthalten, also in Berlin (§ 1 Bin VwVfG in der Fassung vom 19. Juni 1996, GVB1. S. 320), Rheinland-Pfalz (§ 1 Absatz 1 RhPfVwVfG, GVB1. 1976, S. 308) und in Sachsen (§ 1 SächsVwVfG, GVB1. 1993, S. 74), nicht hingegen in Niedersachsen, dessen VwVfG in der Fassung vom 29. Mai 1995 (GVB1. S. 126) lediglich statisch auf das VwVfG des Bundes in seiner Fassung des Änderungsgesetzes vom 12. September 1990 verweist. 8 Hierauf weist auch der Entwurf der Bundesregierung zum Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz hin, BT-Drucksache 13/3995 vom 06. März 1996, S. 2: „Die zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung notwendige Wahrung des Gleichklangs von Bundes- und Landesverwaltungsverfahrensgesetzen erfordert eine Übernahme der Regelungen des vorliegenden Entwurfs in die Landesverwaltungsverfahrensgesetze." Dieser Zusammenhang zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung wird auch hervorgehoben von Redeker, NVwZ 1997, 625/627 (dort in FN 13); Schenke, NJW 1997, 81/87 (dort in FN 50); Stüer, DVB1. 1997,326/332. 9 Bettermann, FS Ipsen, S. 271/295; Kopp, VwVfG, § 47 Rdnr. 4; Schenke, DÖV 1986, 305/313; Weyreuther, DÖV 1985, 126/127. 10 Meyer in Meyer / Borgs, VwVfG, § 46 Rdnr. 6.
3. Kap., I. Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch
Bundesgesetzgeber in § 97 VwVfG eine Änderung des § 113 VwGO nicht vorgesehen hat11; die Modifizierung dieser Vorschrift und damit des prozessualen Aufhebungsanspruchs durch das VwVfG des Bundes und folglich auch der Länder war daher überhaupt nicht intendiert. Eine Freigabe des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO zur Ausgestaltung durch die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder läßt sich also nicht begründen12. Eine prozessuale Wirkungsweise von Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch läßt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, daß der Bundesgesetzgeber das hier zu untersuchende Vorrangverhältnis zwischen beiden Ansprüchen zuerst im Planungsvereinfachungsgesetz 13 angeordnet hat. Dieses stellte zwar als abschließende Regelung im Kompetenzbereich des Bundes im Verhältnis zur VwGO eine dieser vorgehende lex posterior dar und hätte damit auch den prozessualen Aufhebungsanspruch des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO modifizieren können. Hierfür spräche immerhin auch Artikel 10 Satz 2 des Planungsvereinfachungsgesetzes, wonach die Normierung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch in verwaitungsgerichtlichen Verfahren auch dann gelte, wenn der angefochtene Planfeststellungsbeschluß vor Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes erlassen worden sei. Hieraus könnte man in der Tat schließen, daß die relevante Regelung sich an die Verwaltungsgerichtsbarkeit richte, was wiederum auf einen prozessualen Charakter der genannten Vorrangregelung deuten könnte. Diese Erwägungen erweisen sich aber im Ergebnis als nicht durchgreifend: Aus der amtlichen Begründung zu § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG ergibt sich nämlich eindeutig, daß die einzelnen Kodifizierungen des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in den verschiedenen Gesetzen (Planungsvereinfachungsgesetz; VwVfG; Landesrecht) eine Einheit darstellen sollen14. Es wäre eine unsinnige Aufspaltung des Fachplanungsrechts, wollte man die Normierung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs durch das Planungsvereinfachungsgesetz an den prozessualen, seine Normierung im VwVfG hingegen an den materiellen Aufhebungsanspruch anknüpfen. Überdies führte aus den genannten kompetenziellen Erwägungen die Einordnung von Planergänzungs- und Planaufhebungsanspruch als prozessuale Institute 11
BGBl. 1976 I, S. 1253/1275. Im Ergebnis ebenso Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 104 (m.w.N. in FN 55); Krebs, DVB1.1984,109/110 (insbesondere in FN 15). 13 Gesetz vom 17. Dezember 1993 (BGBl. I, S. 2123). 14 S.o. im 1. Kapitel unter IV; ebenso Wahl, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 83/103, der auf die Notwendigkeit hinweist, die durch das Planungsvereinfachungsgesetz in einzelne Bereiche des Fachplanungsrechts eingefügten Neuerungen im VwVfG zusammenzufuhren. 12
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3. Kap., II. System der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht
im Ergebnis dazu, daß die entsprechenden Regelungen durch den Landesgesetzgeber (z.B. in einzelnen Straßengesetzen der Länder) mangels Gesetzgebungskompetenz formell verfassungswidrig und damit nichtig wären. Diese Konsequenz erscheint gerade vor dem Hintergrund unsinnig, daß der Bundesgesetzgeber bei der Normierung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs ausdrücklich auf die entsprechenden Regelungen in den Landesgesetzen Bezug genommen hat15. Letztes Argument für den materiell-rechtlichen Charakter von Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch sind schließlich die Ausführungen des BVerwG in seiner für den vorliegenden Zusammenhang grundlegenden Entscheidung vom 07. Juli 197816: Das Gericht nimmt hier eine Einschränkung der bisherigen Rechtsprechung aus „materiell-rechtlichen" Gründen vor.
IL Darstellung des Systems der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht In Anlehnung an § 194 Absatz 1 BGB wird im folgenden unter dem Begriff eines materiellen Anspruchs im öffentlichen Recht die Befugnis des Bürgers verstanden, vom Staat ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Solche Ansprüche lassen sich von ihrem Inhalt her in Leistungs- und Reaktionsansprüche unterteilen (dazu unter 1), die letztgenannten wiederum in Abwehr- und Schutzansprüche (dazu unter 2). Dabei sollen vor dem Hintergrund des Untersuchungsziels dieses Kapitels — Beschreibung und Einordnung zweier Ansprüche im Bereich des Fachplanungsrechts - Gegenstand der Einteilung lediglich Ansprüche gegen die Verwaltung sein, nicht aber solche gegen den Gesetzgeber.
1. Abgrenzung zwischen Leistungs- und Reaktionsansprüchen
Die materiellen Ansprüche des Verwaltungsrechts lassen sich in zwei Kategorien einteilen, nämlich in Leistungsansprüche und Reaktionsansprüche. Abgrenzungskriterium ist das Begehren des Anspruchstellers. Zielt dieses auf eine Erweiterung seiner Rechtssphäre, auf Einräumung eines derzeit noch künftigen 15
BT-Drucksache 12/4328 vom 11. Februar 1993, S. 20; hierzu näher oben im 1. Kapitel unter IV. 16 BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978-4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110/133.
1. Abgrenzung zwischen Leistungs- und Reaktionsansprüchen
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Rechts, so handelt es sich um einen Leistungsanspruch; dieser stellt damit die rechtlich gesicherte Vorstufe einer weiteren Rechtsposition dar. Sein Bezugspunkt ist - in Anknüpfung an den Zeitpunkt seiner Geltendmachung - der status quo post. Zielt das Begehren hingegen auf die Verteidigung der Rechtssphäre gegen Übergriffe auf diese, so liegt systematisch ein Reaktionsanspruch vor, dessen Bezugspunkt der status quo ante ist 17 . Wollte man die beiden Ansprüche im Sinne der Statustheorie Georg Jellineks verorten, so schirmte der Reaktionsanspruch, zumindest soweit er gegen staatliche Übergriffe gerichtet ist, den status negativus ab, welcher die Freiheit des einzelnen vom Staat beschreibt. Der Leistungsanspruch hingegen wurzelte im status positivus, der die Rechte des einzelnen auf Schaffung und Erhaltung seiner freien Existenz durch staatliche Zuwendungen beinhaltet18. Grundlegend für das Verständnis des Reaktionsanspruchs und seiner Abgrenzung zum Leistungsanspruch ist die Trennung zwischen primärem und sekundärem subjektiven Recht: Ersteres ist eine materielle (nicht notwendigerweise materiell-rechtliche) Rechtsposition; bei letzterem handelt es sich um das aus einer Verletzung dieser primären Rechtsposition fließende Verteidigungsmittel, welches ihrer Wiederherstellung bzw. Bewahrung dient19. Zur Veranschaulichung dieses Zusammenhangs zwischen primärem und sekundärem Recht läßt sich auf das vergleichbare, dogmatisch dem öffentlichen Recht allerdings nicht völlig entsprechende zivilrechtliche Verhältnis zwischen dem Eigentumsrecht im Sinne des § 903 BGB als primärem Recht und dem bei seiner Verletzung entstehenden Abwehrrecht aus § 1004 BGB als sekundärem Recht verweisen: Der Beseitigungsanspruch des § 1004 BGB dient der Verteidigung der durch § 903 BGB geschützten Rechtssphäre des Eigentümers, die durch eine rechtswidrige Handlung des Störers beeinträchtigt wurde.
17 Ebenso, wenn auch mit teilweise anderer Terminologie, Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 192 f.; Murswiek, WiVerw 1986, 179/185 f.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 74; ähnlich Bettermann, Gedenkschrifìt Imboden, S. 37/55. Zur Abgrenzung von Eingriffs- und Leistungsverwaltung vgl. auch Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 131; Löwer, Staatshaftung für unterlassenes Verwaltungshandeln, S. 15 f.; LübbeWolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 205 ff.; Stern, Staatsrecht III/l, S. 697 ff. 18 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 94 ff. Diese Projektion ist insofern nicht ganz korrekt, als Reaktionsansprüche sich auch gegen nichtstaatliche Übergriffe richten können (Schutzansprüche), welche den status negativus im Sinne Jellineks nicht berühren; zu den Schutzansprüchen s.u. unter 2. 19 Die terminologische Trennung zwischen primärem und sekundärem Recht geht soweit ersichtlich — auf Raiser, JZ 1961,465/466, zurück.
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3. Kap., II. System der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht
Im Rahmen der vorliegenden Systematisierung verwaltungsrechtlicher Ansprüche handelt es sich bei den Reaktionsansprüchen um sekundäre Rechte. Projiziert man die Begriffe primäres und sekundäres Recht auf die im Verwaltungsrecht „klassische" Konstellation des Eingriffs durch rechtswidrigen Verwaltungsakt, so handelt es sich bei dem primären Recht des Verwaltungsaktbetroffenen um das „verletzte Recht" im Sinne der §§42 Absatz 2, 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO und bei dem sekundären Recht um den mit der Anfechtungsklage geltend zu machenden materiellen Aufhebungsanspruch, welcher durch die Beeinträchtigung der primären Rechtsposition entsteht20. Der (sekundäre) Reaktionsanspruch stellt damit keinen Selbstzweck dar, sondern hat eine rein instrumentale Funktion, als er allein der Verteidigung der primären Rechtsposition dient21. Sein Entstehen ist dabei kein mit der Verletzung des primären Rechts verbundener Automatismus, sondern dogmatisch im Wesen des subjektiv öffentlichen Rechts begründet22. Wesentliches Element des Reaktionsanspruchs ist damit die vorangegangene Verletzung eines primären Rechts. Nach heute ganz herrschender Meinung ist es dabei unerheblich, wie diese Verletzung rechtstechnisch erfolgt. Der Reaktionsanspruch steht dem Betroffenen unabhängig davon zur Seite, ob seine Rechtsposition durch Verwaltungsakt oder durch eine tatsächliche Handlung beeinträchtigt wird: Der materielle Aufhebungsanspruch im ersten und der sogenannte Folgenbeseitigungsanspruch im zweiten Fall sind lediglich Erscheinungsformen ein und desselben Phänomens, ohne daß ein dogmatisch konstruktiver Unterschied zwischen ihnen bestünde23. 20
Diese Differenzierung zwischen primärer Rechtsposition und sekundärem Reaktionsanspruch im öffentlichen Recht ist mittlerweile allgemein anerkannt: Vgl. etwa Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 236 f. (insbesondere in FN 40); Au, Anspruch auf Beseitigung, S. 39; Heidenhain, JZ 1968, 487/490; Held, Grundrechtsbezug, S. 230; Horn, Aufhebung, S. 45 ff.; Morlok, Die Verwaltung 25 (1992), 371/376; Papier, DÖV 1972, 845/847; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 28 f.; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 63; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 71 ff.; Rupp, Grundfragen, S. 158, 171 f. und 221; Schenke, DÖV 1986, 305/310 und 319; Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 281; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/ 37 (dort in FN 209); Weyreuther, FS Menger, S. 681/687; etwas anderer Ansatz bei K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, S. 311 ff. und H. Koch, Prozeßfuhrung im öffentlichen Interesse, S. 184 ff., die die Funktion des sekundären Rechts (auch) im Schutz objektiver Rechtspositionen sehen. 21 Deutlich Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers und Rechtsweggarantie, S. 53 und 280 (m.w.N. in FN 51). 22 Hierzu und zur Bedeutung der primären Rechtsposition für die dogmatische Begründung des Reaktionsanpruchs s.u. im 5. Kapitel unter I. 23 Vgl. die Nachweise in der Einfuhrung, FN 15.
1. Abgrenzung zwischen Leistungs- und Reaktionsansprüchen
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Die das Wesen des Reaktionsanspruchs prägende Trennung zwischen materieller Rechtsposition und dem ihrer Bewahrung dienenden Verteidigungsmittel findet sich beim Leistungsanspruch hingegen nicht: Dieser trägt seine materielle Grundlage in sich selbst, ist mit ihr identisch. Anders als der Reaktionsanspruch stellt er also einen Selbstzweck dar. Dies äußert sich darin, daß seine rechtswidrige Negierung keinen von ihm getrennten Sicherungsmechanismus auslöst, sondern den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch selbst grundsätzlich unverändert bestehen läßt24. Lediglich dann, wenn dieser infolge der Nichterfüllung erlischt, etwa durch eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage zu Lasten des Inhabers, wird in der Literatur die Möglichkeit eines an die Verweigerung anknüpfenden Reaktionsanspruchs diskutiert25. Reaktions- und Leistungsanspruch unterscheiden sich ferner hinsichtlich ihres jeweiligen Verhältnisses zu den Grundrechten: Der Reaktionsanspruch dient in erster Linie der Wiederherstellung grundrechtlich erfaßter Schutzgüter in ihrer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Seine dogmatische Grundlage ist daher im Bereich der Grundrechte zu suchen26. Anders die Leistungsansprüche: Grundsätzlich basieren sie allein auf einfachgesetzlich normierten „Vergünstigungen", welche ihrerseits keine grundrechtliche Fundierung aufzuweisen brauchen. Nur in Ausnahmefallen kann unmittelbar aus Grundrechten ein originärer Leistungsanspruch gegen die Verwaltung, also ein Titel auf Erweiterung des Rechtskreises des Anspruchstellers hergeleitet werden27. Grund hierfür ist, daß Ziel und Umfang eines Leistungsanspruchs sich in der Regel nicht aus den Grundrechten ermitteln lassen. Denn hierfür fehlt diesen zumeist der erforderliche Grad an Bestimmtheit. Insofern bedürfen Leistungsansprüche der einfachgesetzlichen Konkretisierung bzw. gar Konstituierung. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zu den Reaktionsansprüchen: Deren Ziel (Verteidigung der primären Rechtsposition) und Umfang (Durchführung des hierzu Erforderlichen) ergibt sich unmittelbar aus dem verletzten primären Recht als ihrem Entstehungsgrund, ohne daß es einer näheren Ausformung des Anspruchs durch den Gesetzgeber bedürfte. 24
Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 50; Schock, VerwArch 79 (1988), 1/41 (m.w.N. in FN 238); Steinberg / Lubberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, S. 379 (m.w.N. in FN 26); Weyreuther, Gutachten B, S. 95 f.; ders., FS Menger, S. 681/685. 25 Baumeister, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 140 ff.; Ivo, Folgenbeseitigungslast, S. 50 ff.; Papier, DÖV 1972, 845/846 ff.; Schneider, Folgenbeseitigung, S. 101 ff.; Schock, VerwArch 79 (1988), 1/41 f. Hier setzt auch die Konstruktion des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs an; vgl. dazu statt vieler Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 303 ff. 26 Hierzu s.u. im 5. Kapitel unter I. 27 BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 7 C 34.91 - , BVerwGE 91, 135/138; vgl. auch Schapp, Das subjektive Recht, S. 180.
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3. Kap., II. System der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht
Beispiele fur Leistungsansprüche sind etwa Ansprüche auf Gewährung von finanzieller oder sächlicher Unterstützung. Rechtstypologisch zählen auch Ansprüche auf Aufhebung sogenannter „repressiver Verbote mit Befreiungsvorbehalt" hierunter: Eine diese Verbote aufhebende Ausnahmebewilligung erweitert den Rechtskreis des Bürgers um eine Vergünstigung, da der Gesetzgeber das sie betreffende Verhalten als generell sozial schädlich oder unerwünscht verbietet28. Anders aber, wenn der Betroffene sich gegen die rechtswidrige Weigerung der Verwaltung wendet, eine Erlaubnis zu erteilen, die ein sogenanntes „präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" aufzuheben soll (z.B. eine Baugenehmigung nach § 74 Absatz 1 BauO-LSA): Hier handelt es sich um einen Reaktionsanspruch. Denn eine auf diese Weise durch den Gesetzgeber verbotene Handlung soll nicht generell unterbunden, sondern lediglich von einer vorherigen Prüfung abhängig gemacht werden. Die (Kontroll-)Erlaubnis erweitert hier nicht den Rechtskreis des Betroffenen, sondern stellt ihn wieder her, so daß es sich bei ihrer rechtswidrigen Versagung um eine Beeinträchtigung primärer Rechtspositionen handelt29.
2. Abgrenzung zwischen Abwehr- und Schutzansprüchen Die verwaltungsrechtlichen Reaktionsansprüche lassen sich weiterhin unterteilen in Abwehr- und Schutzansprüche. Diese Differenzierung kann in Anlehnung an die moderne Grundrechtsdogmatik vorgenommen werden, welche zwischen der Schutz- und der Abwehrfunktion der Grundrechte unterscheidet. Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist hierbei die Verantwortungssphäre, der die Störung der primären Rechtsposition des Betroffenen zuzurechnen ist: Richtet sich der Reaktionsanspruch gegen den Störer selbst, so handelt es sich um einen Abwehranspruch; soll der Adressat des Anspruchs hingegen zur Beseitigung einer Störung, die nicht er selbst, sondern ein Dritter zu verantworten hat, herangezogen werden, liegt ein Schutzanspruch vor 30. Da Adressat des Reaktionsanspruchs stets die Verwaltung, also der Staat ist, folgt aus dieser an die Störungsverantwortlichkeit anknüpfenden Differenzierung, daß aus einer Beeinträchtigung pri28
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdnr. 55. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rdnr. 53; Jarass / Pieroth, GG, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 5 a; Papier, Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, S. 27 m.w.N.; kritisch zur dogmatischen Tragfähigkeit der Topoi von präventiven und repressiven Verboten Gromitsaris, DÖV 1997, 401 ff. 30 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff.; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 37 f.; Richter /Schuppert, Casebook Verfassungsrecht, S. 33. 29
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märer Rechte durch den Staat stets Abwehransprüche, bei einer solchen durch private Dritte stets Schutzansprüche resultieren. Bei der erstgenannten Anspruchskategorie wird der Staat aufgrund seines eigenen Verhaltens verpflichtet; bei der zweitgenannten besteht die Verpflichtung hingegen darin, daß der Staat sich schützend vor die Rechtsposition des Betroffenen stellt und diese gegen Übergriffe Dritter verteidigt. Daraus ergibt sich für das Wesen des Schutzanspruchs die Besonderheit, daß der durch ihn verpflichtete Staat eine Abgrenzung konfligierender Grundrechtspositionen vornimmt. Denn der Grundrechtsposition des betroffenen Anspruchstellers steht die Grundrechtsposition des Störers gegenüber, der sich hinsichtlich seines störenden Verhaltens zumindest auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG berufen kann. Diese grundrechtliche Begünstigung des Störers ist notwendige Voraussetzung für die Konstruktion eines Schutzanspruchs: Nur solches Verhalten scheidet zwingend aus der Verantwortungssphäre des Staates aus, welches die Ausübung grundrechtlich gewährleisteter Freiheiten ist 31 . Die Erfüllung eines Schutzanspruchs durch den Staat sichert damit auf der einen Seite Grundrechte — nämlich die des Anspruchsberechtigten —, auf der anderen Seite führt sie aber gleichzeitig auch zu einer Grundrechtsverkürzung — nämlich beim Störer. Konstruktiv unterscheiden sich also Abwehr- und Schutzansprüche dadurch, daß ersteren ein bipolares Staat-Grundrechtsträger-Verhältnis zugrundeliegt, letzteren hingegen ein Dreieck, bestehend aus dem in seinen Rechten gestörten Anspruchsinhaber, dem zur Störungsbeseitigung verpflichteten Staat als Anspruchsverpflichtetem und dem störenden Dritten, welcher seinerseits Grundrechtsträger ist 32 . Wo ein solches Dreiecksverhältnis nicht vorliegt, kommen auch keine Schutzansprüche zum Tragen. Denn zur Sicherung der primären Rechtsposition des Betroffenen sind sie nur erforderlich, wo nicht bereits Artikel 1 Absatz 3 GG den Störer unmittelbar zur Beachtung der Grundrechte verpflichtet. Wo dies aber der Fall ist, steht dem Betroffenen bereits ein Abwehranspruch zur Verfügung 33. Schutz- und Abwehransprüche unterscheiden sich nicht nur konstruktiv, sondern auch hinsichtlich ihrer grundrechtsdogmatischen Fundierung: Bei Schutz31
Zutreffend Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 210 ff. Depenheuer, ThürVBl. 1996, 270/272; Isensee in Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 111 Rdnr. 86 ff., insbesondere 87 und 91; Jarass, AöR 120 (1995), 345/351; Schmidt-Aßmann / Schock, Bergwerkseigentum, S. 50 (m.w.N.); Stern, Staatsrecht III/l, S. 945 f. (m.w.N.); Wahl/Masing, JZ 1990, 553/556. 33 Deutlich Hermes, Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 37; vgl. auch Determann, NJW 1997, 2501/2502. Unklar hingegen Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 92, wonach Schutzpflichten des Staates auch dann entstehen könnten, wenn die 32
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3. Kap., II. System der materiellen Ansprüche im Verwaltungsrecht
ansprüchen handelt es sich um eine Versubjektivierung der objektiv-rechtlichen Wirkung von Grundrechten, nämlich der aus diesen fließenden Schutzpflicht des Staates34. Anders als Abwehransprüche, die unmittelbar auf der subjektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte beruhen und somit keiner weiteren Legitimierung bedürfen, ist zur Konstituierung eines Schutzanspruchs im Einzelfall eine besondere Herleitung und Darlegung durch den Anspruchsteller nötig: Er muß den Nachweis erbringen, daß der Staat als Anspruchsgegner für ein ihm nicht zurechenbares Verhalten letztlich in Anspruch genommen werden kann35. Konkret für Reaktionsansprüche gegen die Verwaltung bedeutet dies: Wendet sich der Bürger gegen die Störung eines primären Rechts, welche der Verantwortungssphäre der Verwaltung zuzurechnen ist, so macht er einen verwaltungsrechtlichen Abwehranspruch geltend. Typisches Beispiel ist das Begehren des von einer rechtswidrigen Ordnungsverfügung Betroffenen auf deren Aufhebung durch die Behörde, welche die Verfügung erlassen hat. Begehrt der Betroffene hingegen von der Verwaltung das Einschreiten gegen die Beeinträchtigung seiner primären Rechtsposition durch einen privaten Dritten, so ist sein Begehren als Schutzanspruch zu klassifizieren. Ein Beispiel wäre hier der Antrag des Betroffenen bei der Ordnungsbehörde, gegen das ihn störende, rechtswidrige Verhalten eines privaten Dritten vorzugehen. Zu beachten ist hier, daß Abwehr- und Schutzansprüche sich zwar konstruktiv und dogmatisch sauber trennen lassen, sie aber in der Praxis nicht völlig isoliert voneinander und nebeneinander bestehen; vieleher sind Verschränkungen und Verbindungen insofern denkbar, als beide Anspruchstypen ineinander übergehen
abzuwehrende Grundrechtsverletzung von ihm selbst herrühre; mißverständlich auch BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 9.95 - , BVerwGE 101, 1/10: Die grundrechtliche Schutzpflicht treffe den Staat erst recht, wenn der Eingriff auf seinem eigenen Verhalten beruhe. 34 Zur Ableitung der Schutzpflicht aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte vgl. z.B. BVerfG, Beschluß vom 14. Januar 1981-1 BvR 612/72 - , BVerfGE 56, 54/73; BVerfG, Beschluß vom 29. Öktober 1987 - 2 BvR 624, 1080, 2029/83 - , BVerfGE 77, 170/214 m.w.N.; BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988 - 1 BvR 1301/84 - , BVerfGE 79, 174/201 f.; auf die dogmatischen Schwierigkeiten, subjektivrechtliche Grundrechtspositionen aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte abzuleiten, weist Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 69 ff. (m.w.N.), hin; grundlegend hierzu Isensee, Grundrecht auf Sicherheit; ausführlich zu diesem Problemkreis Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 133 ff; vgl. auch Wiegand, BayVBl. 1994, 609 u. 647/651 ff. 35 Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 39.
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oder sich in ihrer gemeinsamen Zielrichtung - Sicherung der Integrität der primären Rechtsposition des Betroffenen - ergänzen können. Dies ist etwa der Fall, wenn die Verwaltung einer sie treffenden, gesetzlich angeordneten Schutzpflicht nicht nachkommt und damit einen Schutzanspruch des Betroffenen negiert: Gegen diese Negation kann der Betroffene sich mit einem Abwehranspruch zur Wehr setzen36. Abschließend sei eingeräumt, daß aus Gründen der Veranschaulichung die hier vorgenommene Systematisierung der materiellen Ansprüche bewußt grobmaschig angelegt ist. Sie blendet zum Beispiel die im bereits Vorfeld einer Rechtsbeeinträchtigung wirksamen Unterlassungsansprüche aus, die strukturell mit den Reaktionsansprüchen zwar verwandt sind, deren dogmatisches Verhältnis zu diesen aber nicht unumstritten ist 3 7 . Da aber weder der Planergänzungsanspruch noch der Planaufhebungsanspruch ein solcher Unterlassungsanspruch ist, brauchen die mit diesem verbundenen Probleme hier nicht erörtert zu werden. So soll es ausreichen, als Gegenstand des Unterlassungsanspruchs die originäre Verpflichtung des Staates zu begreifen, jegliche Übergriffe auf die Rechtssphäre des Einzelnen zu vermeiden bzw. zu verhindern. Da es mittlerweile allgemein anerkannt ist, daß dem Betroffenen im Falle der rechtswidrigen Beeinträchtigung seiner primären Rechtsposition ein Reaktionsanspruch zur Seite steht, kann es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung offen bleiben, diesen als einen angepaßten Unterlassungsanspruch 38, dessen Surrogat 39 oder ein bloßes Mittel zu seiner nach wie vor möglichen Erfüllung 40 zu konstruieren.
I I I . Einordnung des Planaufhebungsanspruchs in das Anspruchssystem In der hier zu untersuchenden Konstellation eines Planfeststellungsbeschlusses, welcher erforderliche Schutzmaßnahmen nach § 74 Absatz 2 Satz 2 V w V f G nicht enthält, soll dem von diesem Mangel Betroffenen ein Anspruch auf Aufhe36
Hierzu und zu anderen Formen einer Anspruchsverschränkung vgl. Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 38 und 39 f.; gegen die Annahme einer Exklusivität der Kategorien Abwehr und Schutz auch Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 73 ff. 37 Übersicht über den Streitstand bei Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/35 f. 38 Weyreuther, Gutachten B, S. 85. 39 M. Redeker, DÖV 1987, 194/197. 40 W. Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, S. 58 ff; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/36; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 198 f.
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3. Kap., I .
nrnung d Planaufhebungsanspruch
bung des Planfeststellungsbeschlusses zustehen, wenn der Fehler die Gesamtkonzeption des Planung berührt 41. Bei diesem Planaufhebungsanspruch handelt es sich um einen Abwehranspruch im Sinne der oben dargestellten Systematik: Seine Qualifizierung als Leistungsanspruch scheidet von vornherein aus. Denn der Betroffene begehrt mit der Aufhebung des Beschlusses keine Erweiterung seiner Rechtssphäre, sondern setzt sich gegen ihre Verkürzung zur Wehr. Die vom Betroffenen abzuwehrende Störung ist weiterhin dem Verantwortungsbereich der Planfeststellungsbehörde und damit dem Staat zuzurechnen. Insofern handelt es sich nicht um einen Schutz-, sondern um einen Abwehranspruch. Leuchtet die Zuordnung in den Bereich der Reaktionsansprüche ohne weiteres ein, so bedarf die Verneinung eines Schutzanspruchs einer näheren Begründung. Denn in der Regel wird die Planfeststellung dem öffentlichen Nachbarrecht zugewiesen und mit der Baugenehmigung verglichen42. Der Gedanke liegt somit zumindest nicht fern, auch im Bereich der Planfeststellung ein für das Bestehen von Schutzpflichten und -ansprüchen charakteristisches Dreiecksverhältnis, bestehend aus dem Planbetroffenen, dem Vorhabenträger und der Planfeststellungsbehörde, anzunehmen43. Dementsprechend werden mitunter auch im Bereich der Planfeststellung staatliche Schutzpflichten gegenüber dem vom planfestzustellenden Vorhaben Betroffenen ins Feld gefuhrt 44. Die Frage, wie im allgemeinen die Rechtsbeziehungen in einem öffentlichrechtlichen Nachbarverhältnis zu beurteilen sind und ob im besonderen der auf Aufhebung einer Genehmigung zielende Reaktionsanspruch des durch sie beeinträchtigten Nachbarn einen Schutz- oder aber einen Abwehranspruch darstellt, ist noch nicht abschließend geklärt. Teilweise wird auf den abwehrrechtlichen Charakter eines solchen Genehmigungsbeseitigungsanspruchs abgestellt. Zur Begründung heißt es, daß die behördliche Genehmigung auch gegenüber dem vom Vorhaben betroffenen Nachbarn verbindlich feststelle, was rechtens sei. Die Störung des Nachbarn sei unmittelbar der genehmigenden Verwaltung zuzurechnen, 41
Dazu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. Z.B. Pietzner /Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 15 Rdnr. 19; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 10. 43 Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1980 - 4 C 24.77 - , DÖV 1980, 516: Differenzierung zwischen dem Vorhabenträger als dem Adressaten eines in § 17 Absatz 1 FStrG enthaltenen präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, der Planfeststellungsbehörde und dem vom Vorhaben betroffenen Dritten; in diesem Sinne z.B. auch Jarass, FS Lukes, S. 57; Johlen, FS Redeker, S. 487 f. 44 Z.B. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 9.95 - , BVerwGE 101, 1/10: Die grundrechtliche Schutzpflicht gebiete dem Staat, sich schützend vor den einzelnen zu stellen, wenn für diesen durch das planfestzustellende Vorhaben die Gefahr einer Schädigung bestehe. 42
3. Kap., III. Einordnung des Planaufhebungsanspruchs
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denn diese habe eine „Garantenstellung" eingenommen, welche ihrer Entscheidung und nicht der privaten Umsetzung derselben das Hauptgewicht beilege45. Für die Konstruktion eines Anspruchs des Nachbarn auf Schutz gegen das staatlich genehmigte Verhalten Dritter besteht nach dieser Ansicht keine Veranlassung. Diese Ansicht sieht sich gerade in neuerer Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt: Die primäre Rechtsposition des Nachbarn werde letztlich nicht durch die behördliche Genehmigung, sondern durch das diese umsetzende Verhalten des begünstigten Genehmigungsadressaten beeinträchtigt. Zwar sei für dessen Betätigung die Genehmigung im rechtlichen Sinne eine notwendige Voraussetzung; doch konstituiere sie das störende Verhalten nicht, da dieses Ausdruck einer grundrechtlich geschützten Freiheitsbetätigung sei, welche durch das Genehmigungserfordernis nur gehemmt werde und mit Genehmigungserteilung auflebe 46. Diese stark vereinfachend dargestellte Kontroverse erinnert an die Diskussion um die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Nachbarschutz im Baurecht 47. Sie betrifft in ihrem Kern Voraussetzungen und Reichweite des Eingriffsbegriffs als Bestandteil der allgemeinen Grundrechtsdogmatik: Nur wenn ein 45
Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 172; zurückhaltender noch ders., AöR 106 (1981), 205/215; deutlich Schwabe, NVwZ 1983, 523/524; Steinberg,, NJW 1984, 457/461; Pietzcker in FS Bachof, S. 131/142 f.; wohl auch Breuer, DVB1. 1983, 431/437: Dem Nachbarn stehe ein negatorischer Störungsbeseitigungsanspruch zu, wenn die Genehmigungsbehörde gegen eine Vorschrift verstoße, die den nachbarlichen Interessenausgleich gebiete; anders hingegen ders., Festgabe 25 Jahre BVerwG, S. 89/109: Genehmigungsabwehransprüche seien zwar äußerlich negatorische Abwehransprüche, der Sache nach gehörten sie jedoch zur Typik des positiven Schutzes grundrechtlicher Freiheit im Rahmen der sozialstaatlichen Gestaltung der Lebensverhältnisse; vgl. auch Laubinger, Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, S. 45 ff, der in der rechtswidrigen Vorhabengenehmigung einen staatlichen Eingriff in die Rechte des Nachbarn sieht. In diesem Sinne auch BVerfG, Beschluß vom 20. Dezember 1979 — 1 BvR 385/77 - , BVerfGE 53, 30/75 (abweichende Meinungen Simon und Heußner), wonach zumindest die atomrechtliche Genehmigung den Betreiber zu Handlungen ermächtige, die weit über dessen eigene Rechtssphäre hinauswirken könnten. 46 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 415 ff.; Bender /Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 11; Enders, AöR 115 (1992), 610/625 (fur eine Beeinträchtigung des Grundrechts des Nachbarn aus Artikel 2 Absatz 2 GG); Hermann, Fluglärm, S. 83 f.; Jarass, FS Lukes, S. 57/66; Schwerdtfeger,, NVwZ 1982, 5/7; Wahl, DVB1. 1996, 641/646; wohl auch König, Drittschutz, S. 237; kritisch zu einer Eingriffsqualität staatlicher Genehmigungen auch Böhm, Normmensch, S. 101; weitere Nachweise zum Streitstand bei Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 178 ff. 47 Vgl. hierzu Breuer, DVB1. 1983,431 ff, sowie aus neuerer Zeit ausfuhrlich Haag, Öffentliches und Privates Nachbarrecht, S. 14 ff. 8 Hildebrandt
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3. Kap., I .
nrnung d Planaufhebungsanspruch
grundrechtsverkürzendes Verhalten dem Staat zuzurechnen ist, liegt ein Eingriff vor und stellen sich die Fragen nach dessen Rechtfertigung und nach Abwehrrechten des Betroffenen. Fehlt einer Grundrechtsbeeinträchtigung-genauer: der Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Rechtsgutes - hingegen schon die Eingriffsqualität, ist ein staatsgerichteter Reaktionsanspruch nur über den dogmatisch schwierigen Umweg einer versubjektivierten, aus dem objektiven Gehalt der Grundrechte abgeleiteten Schutzpflicht zu konstruieren. Die hiermit verbundenen Unklarheiten bezüglich der alternativen Begründung des Drittschutzes über Schutzpflichten oder Abwehrrechte brauchen aber im folgenden nicht vertieft zu werden. Denn selbst wenn man mit der zuletzt referierten Meinung den gegen eine Genehmigung geltend gemachten Aufhebungsanspruch eines Dritten als Schutzanspruch charakterisieren wollte, ließe sich diese Konzeption aus zwei Gründen nicht auf den Planaufhebungsanspruch übertragen: Zum ersten verlangt die Annahme eines Schutzanspruchs notwendigerweise die Kollision grundrechtlich geschützter Betätigungen, nämlich die des Genehmigungsbegünstigten einerseits und die des betroffenen Nachbarn andererseits. Eine derartige Kollisionslage besteht aber im Bereich der (gemeinnützigen) Planfeststellung typischerweise nicht. Denn Vorhabenträger ist hier in aller Regel der Staat, der grundsätzlich nicht Träger von Grundrechten sein kann48. Die Realisierung planfestzustellender Vorhaben stellt damit keine grundrechtliche Freiheitsbetätigung des Vorhabenträgers dar, sondern die Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Selbst wenn der Vorhabenträger ausnahmsweise eine Privatperson und damit prinzipiell grundrechtsfahig sein sollte, wie etwa bei der abfallrechtlichen Planfeststellung 49, ist dessen subjektive Rechtsposition im Fachplanungsrecht nur schwach ausgeprägt: Die Planfeststellung erfolgt nicht vorrangig im subjektiven Interesse des Vorhabenträgers, sondern im öffentlichen Interesse, dem das festzustellende Vorhaben dient. Entscheidungsmaßstab der Planfeststellungsbehörde ist daher primär die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Gemeinwohl und eventuell kollidierenden privaten Interessen. Vor diesem Hintergrund erschiene die Annahme einer Rechtsposition des Vorhabenträgers im Sinne eines Anspruchs auf Planfeststellung bzw. auf Betreiben des planfestzustellenden Vorhabens als ein Fremdkörper im Fachplanungsrecht50. Die vorliegende Konstellation 48
So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG, Beschluß vom 16. Januar 1963- 1 BvR 316/60 - , BVerfGE 15, 256/262; BVerfG, Beschluß vom 02. Mai 1967- 1 BvR 578/63 - , BVerfGE 21, 362/369 f.; BVerfG, Beschluß vom 31. Oktober 1984-1 BvR 35, 356, 794/82 - , BVerfGE 68, 193/205 f. (m.w.N.). 49 Vgl. z.B. § 3 Absatz 3 AbfG-LSA, der die Abfallentsorgung durch Dritte, das heißt Private zuläßt. 50 Zur Rechtsstellung des Vorhabenträgers s.u. im 7. Kapitel unter 12.
3. Kap., III. Einordnung des Planaufhebungsanspruchs
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unterscheidet sich daher insofern nicht grundlegend von dem „klassischen" bipolaren Rechtsverhältnis zwischen Grundrechtsträger und Staat, als der Rechtsposition des Planbetroffenen nur einseitig das öffentliche Interesse an der Realisierung des Vorhabens gegenübersteht51. Der Planaufhebungsanspruch wirkt daher nicht in einem „echten", d.h. durch kollidierende Grundrechtspositionen geprägten Dreieck, was bereits seine Einordnung als Schutzanspruch ausschließt. Zum zweiten steht der Beschreibung des Planaufhebungsanspruchs als Schutzanspruch eine weitere Besonderheit des Fachplanungsrechts im Wege: die vom Gesetzgeber der Verwaltung übertragene Planungs- und Gestaltungskompetenz. Den Inhalt einer Planungsentscheidung, insbesondere das Ergebnis der Abwägung der für und gegen den Plan sprechenden öffentlichen und privaten Interessen, zeichnet das Gesetz nicht vor. Durch die Normierung des Abwägungsgebots als der Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde zur umfassenden Ermittlung, Bewertung und abschließenden Abwägung aller vom Vorhaben berührten Belange überträgt der Gesetzgeber die einzelfallbezogene Schlichtung von Interessenkonflikten auf die Verwaltung. Insofern unterscheidet sich die Planfeststellung von sonstigen Formen der Anlagenzulassung, bei denen das Gesetz die Genehmigungsvoraussetzungen bzw. die Versagungsgründe selbst abschließend erfaßt — wie etwa hinsichtlich der Baugenehmigung oder der Genehmigung nach dem BImSchG-und der Verwaltung lediglich die Funktion des schlichten Gesetzesvollzugs zuweist. Der Planfeststellungsbeschluß hingegen entscheidet nicht nur über die Zulässigkeit des Vorhabens, sondern gestaltet auch die öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen der Betroffenen zu diesem (§ 75 Absatz 1 Satz 2 VwVfG). Selbst wenn also unter Hintanstellung der oben geäußerten Bedenken § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG als gesetzliche Anordnung einer Schutzpflicht interpretiert werden könnte, mit welcher der Gesetzgeber sich schützend vor den vom Plan Betroffenen stellte, um Übergriffe auf dessen Rechtsposition seitens des Vorhabenträgers abzuwehren, so führte die fehlerhafte Anwendung dieser Norm durch die Planfeststellungsbehörde zu einer originären Beeinträchtigung
51 Hierauf wird im neueren Schrifttum zunehmend hingewiesen: grundlegend Löwer, DVB1. 1981, 528/533; ihm folgend z.B. Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 215; Hermes, Grundrecht auf Schutz, S. 84 (dort in FN 31); Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 238; Enders, AöR 115 (1992), 610/626 (dort in FN 87: kein öffentlicher Nachbarstreit, wenn der Störer der Staat sei). Voraussetzung für diese Bipolarität des Rechtsverhältnisses zwischen planendem Staat und planbetroffenem Bürger ist freilich seine entsprechende Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber; dazu s.u. im 8. Kapitel unter I 1 a und c.
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3. Kap., IV. Einordnung in das Anspruchssystem
der Rechtssphäre des Nachbarn52. Denn diese Beeinträchtigung besteht angesichts der Gestaltungswirkung der Planfeststellung und der umfassenden Raumverantwortung der Behörde nicht in den vom Vorhaben ausgehenden Belastungen, sondern unmittelbar in dem Planfeststellungsbeschluß selbst, der diese Belastungen ermöglicht und mit Eintritt der Bestandskraft den Betroffenen unwiderruflich zu ihrer Duldung verpflichtet (§ 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG). Beim Planaufhebungsanspruch handelt es sich damit um einen Abwehranspruch 53.
IV. Einordnung des Planergänzungsanspruchs in das Anspruchssystem Auch der Planergänzungsanspruch läßt sich als ein Abwehranspruch verstehen. Denn mit ihm verteidigt sich ein Planbetroffener, zu dessen Gunsten ein Planfeststellungsbeschluß eine nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG erforderliche Schutzmaßnahme nicht enthält, gegen eine dem Staat zuzurechnende Rechtsbeeinträchtigung. Hierzu im einzelnen:
1. Planergänzungsanspruch als Reaktionsanspruch
Gegen die Einordnung des Planergänzungsanspruchs als ein Reaktions- und nicht als ein Leistungsanspruch scheint zu sprechen, daß der in der vorliegenden Konstellation relevante Fehler in der Nichtanordnung gebotener Schutzmaßnahmen, prima facie also in einem Unterlassen liegt. So zielt der Planergänzungsanspruch, anders als der Planaufhebungsanspruch, nicht auf eine negative, sondern auf eine positive Handlung, nämlich die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen; nicht auf Aufhebung, sondern gerade im Gegenteil auf Erlaß eines (Ergänzungs-)Planfeststellungsbeschlusses. 52
Auf die Differenzierung zwischen der gesetzlichen Umsetzung einer verfassungsrechtlich gebotenen Schutzpflicht und der rechtswidrigen Anwendimg dieses Gesetzes durch die Verwaltung weist zutreffend Wiegand, BayVBl. 1994, 606 u. 647/653 f., hin. 53 In diesem Sinne auch Bender / Sparwasser / Engel, Umweltrecht, Abschnitt 2, Rdnr. 128; Berkemann, DVB1. 1986, 768/770; Hermes, Grundrecht auf Schutz, S. 84 f. (m.w.N. in FN 30 und 31), der den das Vorhaben planfeststellenden Staat mit der Figur des „Zweckveranlassers" beschreibt; Ramsauer, NuR 1990, 349/353 f. (m.w.N. in FN 39); Schmidt-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 26; ders., JuS 1986, 833/ 836 (zur umfassenden Raumverantwortung der Planfeststellungsbehörde); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 214 f.
1. Planergänzungsanspruch als Reaktionsanspruch
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Eine solche allein auf das äußere Erscheinungsbild des Planergänzungsanspruchs abstellende Betrachtungsweise kann aber seine treffende Einordnung als Reaktions- oder Leistungsanspruch nicht tragen. Maßgeblich hierfür ist nämlich nicht die Frage, ob das beanspruchte Verhalten der Verwaltung sich formal als positives Tun oder als Unterlassen beschreiben läßt, sondern der Einfluß dieses Verhaltens auf die materielle Rechtsposition des Anspruchstellers 54: Wie oben dargestellt, zielt der Leistungsanspruch durch die Geltendmachung einer einfachgesetzlich gewährten Vergünstigung auf eine Erweiterung des Rechtskreises des Betroffenen, der Reaktionsanspruch hingegen auf dessen Verteidigung. Entscheidendes Gewicht für die hier vorzunehmende Systematisierung des Planergänzungsanspruchs muß damit der Funktion der festzusetzenden Schutzmaßnahme, und zwar bezogen auf die materielle Rechtsstellung des Betroffenen, zukommen55. Die Anordnung einer Schutzmaßnahme nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG dient ausweislich des klaren Wortlauts der Norm der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen des Vorhabens auf Rechte des mittelbar Betroffenen, nämlich auf dessen Eigentum, körperliche Unversehrtheit und allgemeine Handlungsfreiheit 56. Hierin kommt die grundsätzliche Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde zum Ausdruck, keinen Planfeststellungsbeschluß zu erlassen, der oberhalb der planungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle den Betroffenen beeinträchtigt und damit die genannten Rechte verletzt. Dieser Verpflichtung kann sie auf verschiedene Weise Rechnung tragen: Sie ist zunächst gehalten, eine Beeinträchtigung des Betroffenen von vornherein auszuschließen, etwa indem sie eine konfliktvermeidende Lage und Dimensionierung des Vorhabens anregt. Nur wenn dies nicht möglich ist und bei der Abwägung die für das Vorhaben sprechenden Belange die des von ihm negativ Betroffenen überwiegen, ist sie verpflichtet, dessen Beeinträchtigung durch entsprechende Schutzmaßnahmen abzugleichen, wobei dieser Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde ein subjektives Recht des Betroffenen aus § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG korrespondiert 57. 54
Papier, Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, S. 19; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 77 f.; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/40; Stern, Staatsrecht III/l, S. 697. 55 Zu den verschiedenen Funktionen des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG s.u. im 8. Kapitel unter 11 c bb. 56 Zu diesen Rechtspositionen als „Rechte anderer" im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/28; BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1979 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/222; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Mai 1984 - 5 S 668/84 - , UPR 1985, 376/377 m.w.N.; Steinberg,, Fachplanung, § 2 Rdnr. 50; ausführlich hierzu im 8. Kapitel unter 11 b. 57 Zur zweistufigen Behandlung der Belange des mittelbar Betroffenen s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa; dessen subjektive Rechtsposition wird im 8. Kapitel unter I 1 analysiert. Zum Vorrang der Konfliktvermeidung durch planerische Gestaltung gegenüber einer Konfliktlösung durch Anordnung von Schutzmaßnahmen vgl. z.B. BVerwG,
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3. Kap., IV. Einordnung in das Anspruchssystem
Der maßgebliche Zweck von Schutzmaßnahmen besteht damit in der Sicherung der materiellen Rechtsposition des Planbetroffenen vor Übergriffen durch die Planfeststellung; das auf ihre Anordnung gerichtete subjektive Recht ist daher kein selbständiges Recht auf Leistung, sondern vielmehr abhängig von den genannten absoluten Rechtsgütern des status negativus des Betroffenen. Es hat einen flankierenden Charakter, da es der Sicherung der materiellen Rechtsposition des Betroffenen dient. Ihm kommt nur eine Komplementärfunktion dafür zu, daß die Planfeststellungsbehörde im Rahmen der Abwägung die Belange des mittelbar Betroffenen hintangestellt hat. Hieraus folgt für den Fall der pflichtwidrigen Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen nicht nur ein Verstoß gegen das subjektive Recht des Betroffenen aus § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, sondern auch und vor allem ein Eingriff in dessen (primäre) materielle Rechtsposition, die zu schützen gerade Funktion der anzuordnenden Maßnahmen ist. Wegen der Hilfsfunktion des subjektiven Rechts auf Anordnung von Schutzmaßnahmen tritt der in ihrer rechtswidrigen Nichtanordnung liegende Verstoß gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG hinter dem dadurch erfolgenden Eingriff in den status negativus des Betroffenen zurück 58. Der von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffene verfolgt daher die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen durch Geltendmachung eines Planergänzungsanspruchs nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern zur Abwendung einer mangelhaften, ihn belastenden Planung59. Stellt man also auf das materielle Begehren des von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen ab, so handelt es sich bei dem Planergänzungsanspruch um einen Reaktionsanspruch. Diesem Befund kann nicht die prozessuale Erwägung entgegengehalten werden, daß eine Verpflichtungsklage - die der Betroffene zur Geltendmachung seines Planergänzungsanspruchs erheben muß — nicht der Durchsetzung eines Reaktionsanspruchs dienen könne. Namentlich Weyreuther hat die Ansicht vertreUrteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89-, BVerwGE 87, 332/342. In diesem Sinne auch Badura, FS Lukes, S. 3/17 (m.w.N. dort in FN 34); Kuschnerus, Schutz vor Lärm, S. 93/ 93 f.; Mößle, BayVBl. 1982,193/195 (m.w.N. dort in FN 42); Peine, DÖV 1988,937/941 ff.; Ramsauer, NuR 1990, 349/351 (jeweils zu dem entsprechenden immissionsschutzrechtlichen Vorrang einer Belastungsvermeidung gemäß § 50 BImSchG gegenüber einem Belastungsausgleich gemäß §§ 41 f. BImSchG). 58 Allgemein zur unselbständigen Bedeutung von subjektiven Rechten auf Vornahme positiver Handlungen im Bereich des status negativus Papier, Forderungsverletzung im öffentlichen Recht, S. 26 ff., insbesondere 33 f. 59 Ähnlich Hoppe, DVB1. 1977, 136/137 (dort in FN 6); Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1186; deutlich VGH Mannheim, Beschluß vom 22. Februar 1972 - V 1167/70 - , DÖV 1972, 642: Der Betroffene empfinde nicht das Fehlen von Schutzmaßnahmen als belastend, sondern den Eingriff, der nicht durch solche gemildert werde.
1. Planergänzungsanspruch als Reaktionsanspruch
119
ten, einer Verpflichtungsklage liege stets ein materieller Leistungsanspruch, niemals aber ein aus der Verletzung primärer Rechtspositionen entstehender Reaktionsanspruch zugrunde60. Das Bemühen der Wissenschaft, Verpflichtungs- und Anfechtungsklage als „Anfechtungssachen im weiteren Sinne" zusammenzuhalten, sei inzwischen überholt61. Diese Ansicht überzeugt nicht: Sie verkennt die gegenüber dem materiellen Recht lediglich dienende Funktion des Prozeßrechts; die materiell-rechtliche Qualität des einer Klage zugrundeliegenden Anspruchs wird durch die Ausgestaltung seiner prozessualen Durchsetzbarkeit nicht beeinflußt. Das obige Beispiel einer rechtswidrig nicht erteilten Baugenehmigung verdeutlicht, daß auch Reaktionsansprüche mittels Verpflichtungsklage geltend gemacht werden können; weiteres Beispiel hierfür wäre etwa die Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückgängigmachung einer Enteignung, wenn deren Voraussetzungen nachträglich weggefallen sind62. Weyreuther begründet seine Ansicht mit dem Argument, die grundsätzliche Divergenz von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ergebe sich aus den für beide Klagearten unterschiedlichen Zeitpunkten hinsichtlich der Beurteilung der Sachund Rechtslage, welche der Begründetheitsprüfimg zugrundezulegen sei63. Diese Erwägung kann die hier vorgenommene Einordnung des Planergänzungsanspruchs als Reaktionsanspruch aus drei Gründen nicht widerlegen: Zum ersten impliziert Weyreuthers Ansicht einen prozessualen Grundsatz, wonach für die Begründetheit einer Anfechtungsklage immer die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich sei, für die einer Verpflichtungsklage hingegen die Lage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung. Hieraus zu folgern, Anfechtungs- und Verpflichtungsklage lägen stets nicht kompatible materielle Ansprüche zugrunde, stellt einen sachlich unzulässigen Schluß vom Prozeßrecht auf das materielle Recht dar: Dieses bestimmt jenes, nicht umgekehrt. Zum zweiten besteht ein prozessualer Grundsatz der genannten Art bezüglich der jeweiligen Zeitpunkte einer Begründetheitsprüfimg bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht, zumindest nicht im Sinne 60
Weyreuther, FS Menger, S. 681/684 ff.; ihm folgend Schneider, Folgenbeseitigung, S. 100 f. 61 Weyreuther, FS Menger, S. 681/686, mit Hinweis in FN 17 auf entsprechende Ansätze bei Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 193 ff, dems., Der Schutz der Grundrechte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 732 ff. und 740 ff., sowie bei dems., Gedächtnisschrift W. Jellinek, S. 347/351. 62 Morlok, Die Verwaltung 25 (1992), 371/380. Gegen eine statische Zuordnung der Verpflichtungsklage in den Bereich der Leistungsverwaltung auch Pietzcker in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnr. 92; ähnlich Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/40 (m.w.N. dort in FN 233). 63 Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 (dort in FN 19).
120
3. Kap., IV. Einordnung in das Anspruchssystem
eines Rechtssatzes mit normativer Wirkung. Die von Weyreuther als Argument ins Feld geführten Zeitpunkte sind lediglich Regelzeitpunkte; es handelt sich also eher um eine „Faustregel" als um einen rechtlichen Grundsatz. Ausschlaggebend für die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist allein das jeweils einschlägige materielle Recht. Nicht das Prozeßrecht, sondern nur das materielle Recht kann nämlich für den konkreten Fall eine Aussage ermöglichen, ob eine eventuelle Veränderung der Sach- und Rechtslage Einfluß auf den jeweiligen Prozeß hat, also ob ihrer Beachtlichkeit etwa Aspekte des Vertrauensschutzes entgegenstehen64. Zum dritten schließlich ist gerade für den hier in Rede stehenden Planergänzungsanspruch die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses maßgeblich65: Dies ergibt sich aus dem Wesen der Planfeststellung als einer einheitlichen Entscheidung, die sämtliche durch das Vorhaben ausgelösten Konflikte erfassen und regeln muß66. Die von Weyreuther befürchteten Friktionen können hier also wegen der materiellen Besonderheiten des einschlägigen Fachrechts nicht eintreten. Weyreuthers Ansicht zur materiell-rechtlichen Divergenz von Anfechtungsund Verpflichtungsklage orientiert sich damit erkennbar an der Konstellation, daß einer Verpflichtungsklage ein Leistungsanspruch zugrundeliegt. Die zur Absicherung seiner These von der strukturellen Unterschiedlichkeit beider Klagearten angeführten Belege haben bezeichnenderweise Fälle zum Gegenstand, in denen der Kläger gerade nicht die Verteidigung, sondern die Erweiterung seines Rechtskreises begehrt und damit einen Leistungsanspruch geltend macht67. In diesem Bereich mag die These von den unterschiedlichen Zeitpunkten zutreffen.
64
Die Bestimmung des Zeitpunkts der maßgeblichen Sach- und Rechtslage nach dem materiellen Recht entspricht der nunmehr herrschenden Meinung: Vgl. für die Anfechtungsklage BVerwG, Urteil vom 25. November 1981 - 8 C 14.81 - , BVerwGE 64, 218/222; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1989 - 7 Β 21.89 - , NVwZ 1990, 653/ 654 mit Hinweis auf die „ständige Rechtsprechung des BVerwG"; Johlen, FS Redeker, S. 487/493; für die Verpflichtungsklage BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 - 9 C 58.88 - , NVwZ 1990, 654/655; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 786. Umfassend zu dieser Problematik in neuerer Zeit Mager, Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten, S. 61 ff. 65 BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/25 f.; BVerwG, Urteil vom 23. April 1997 - 11 A 7.97 - , DÖV 1998, S. 300 (LS f); OVG Koblenz, Urteil vom 29. Dezember 1994 - 1 C 10893/92.0VG - , UA, S. 24 f. (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); von Heyl t DÖV 1976, 792; Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Abschnitt L, Rdnr. 252 m.w.N. 66 Dazu s.u. im 6. Kapitel unter 13.
. Planergänzungsanspruch als
eanspruch
121
2. Planergänzungsanspruch als Abwehranspruch Bei dem Planergänzungsanspruch handelt es sich um einen Abwehranspruch. Denn der von dem Fehlen der Schutzmaßnahmen Betroffene setzt sich gegen eine Beeinträchtigung seiner primären Rechtsposition zur Wehr, die in den Verantwortungsbereich der anspruchsverpflichteten Planfeststellungsbehörde fallt. Enthält der Planfeststellungsbeschluß nämlich keine Anordnung von Schutzmaßnahmen, so sind diese stillschweigend von der Behörde abgelehnt worden. Die Ausschluß- und Duldungswirkung des § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG erstreckt sich damit auch auf diese Entscheidung68. Hinsichtlich der Differenzierung zwischen Schutz- und Abwehransprüchen ergeben sich hier gegenüber dem Planaufhebungsanspruch keinerlei Abweichungen. Denn dieser unterscheidet sich vom Planergänzungsanspruch nicht hinsichtlich der Abgrenzung der Verantwortungssphären von Planfeststellungsbehörde und Vorhabenträger, sondern allein hinsichtlich der Relation zwischen dem geltend gemachten Mangel und dem Vorhaben insgesamt (Gesamtkonzeption der Planung). Insofern ist es widersprüchlich, wenn in der Literatur mitunter der Planaufhebungsanspruch zwar zutreffend als Abwehranspruch, der Planergänzungsanspruch aber als Schutzanspruch bezeichnet wird 69 .
67
Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 (dort in FN 18): In BVerwG, Beschluß vom 29. April 1981 - 8 Β 14.81 - , Buchholz 401.47 Nr. 4, S. 1, begehrt der Kläger eine ausnahmsweise zu erteilende Grunderwerbsteuerbefreiung; und Menger, VerwArch 55 (1964), 275/278 bezieht seine Äußerungen auf einen Fall, in dem „Ziel der Klage ... ist, die Verwaltungsbehörde zu einer Tätigkeit verpflichtet zu wissen, die eine Erweiterung des Rechtskreises des Bürgers zur Folge hat." 68 BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 17-19.84 - , BVerwGE 77, 295/296 f.; BVerwG, Beschluß vom 07. September 1988 - 4 Ν 1.87 - , BVerwGE 80, 184/192 m.w.N.; Johlen, DVB1. 1989,287/288 (m.w.N. dort in FN 16). 69 So etwa Bender / Sparwasser / Engel, Umweltrecht, Abschnitt 2, Rdnr. 127 ff.; Hermann, Fluglärm, S. 113 einerseits (Abwehranspruch), S. 333 andererseits (Schutzanspruch); Bender, DVB1. 1984, 301/309 und 311 (allgemeine schutzrechtliche Qualifizierung des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG). Der Planergänzungsanspruch wird wie hier als ein Abwehranspruch charakterisiert von Badura, FS Lukes, S. 3/8; Heinze, BayVBl. 1981, 649/651; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 384 (Planergänzungsanspruch als Ausprägung des Folgenbeseitigungsanspruchs); Pietzcker in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rdnr. 140; Steinberg, FS Schlichter, S. 599/611.
122
. Kap., . Zusammenfassung
V. Zusammenfassung Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch lassen sich beide als materiellrechtliche Abwehransprüche charakterisieren. Denn sie stellen Reaktionsmöglichkeiten auf eine unzureichende Behandlung der primären Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen durch die Planfeststellungsbehörde dar. Aus dieser strukturellen Parallelität folgt aber noch nicht automatisch, daß beide Ansprüche in der vorliegenden Konstellation gleichberechtigt nebeneinander bestünden, dem Betroffenen also ein Wahlrecht zukäme, welchen Anspruch er geltend macht. Zwar sind beide Ansprüche im Ergebnis geeignet, die durch den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß verursachte Verletzung des Eigentums (Artikel 14 GG), der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) zu beseitigen70. Doch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen im übrigen stark: Der Planaufhebungsanspruch fuhrt dazu, daß überhaupt keine, der Planergänzungsanspruch hingegen dazu, daß eine den Belangen des Betroffenen Rechnung tragende Planung erfolgt. Die Frage der Abgrenzung zwischen beiden Ansprüchen und nach einem eventuellen Vorrangverhältnis zugunsten des Planergänzungsanspruchs drängt sich damit auf. Ihr soll im zweiten Teil der Arbeit nachgegangen werden. Der erste Teil soll schließen mit einer Übersicht über die denkbaren Erklärungsmöglichkeiten des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs (Kapitel 4).
70
Vgl. Breuer, NJW 1977, 1025/1030, fur den insofern vergleichbaren Fall einer Genehmigung nach dem BImSchG: Hier könne der betroffene Nachbar einer Verletzung von Gesundheit und Eigentum mit der Anfechtung, aber auch mit der Ergänzung der Genehmigung um Maßnahmen nach § 12 Absatz 1 BImSchG begegnen. Zu den durch die rechtswidrige Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen betroffenen Grundrechten s.u. im 8. Kapitel unter 11 b.
4. Kapitel
Übersicht über die Erklärungsmöglichkeiten des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch Im folgenden sollen die theoretisch denkbaren Erklärungsmöglichkeiten des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch vorgestellt werden. Eine nähere Untersuchung dieser einzelnen Ansätze erfolgt dann im zweiten Teil der Arbeit, der sich mit der Herausarbeitung des Rechtsgrundes des hier zu untersuchenden planungssichernden Instituts befaßt.
I. Hinweis zur Systematik Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung ist der Planaufhebungsanspruch. Denn die Wirkungsweise des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs besteht primär darin, im Falle der Ergänzbarkeit des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses um die fehlenden Schutzmaßnahmen den vom Betroffenen geltend gemachten Aufhebungsanspruch auszuschließen. Die Herbeiführung dieser Rechtsfolge war vorrangige Intention der Rechtsprechung des BVerwG und der sie rezipierenden Gesetzgebung1. Die Frage nach dem Rechtsgrund vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs beinhaltet damit auch die nach dem Rechtsgrund für den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn diejenigen Stimmen in der Literatur, welche sich mit dem hier zu untersuchenden Problem befassen, in der Regel beim Planaufhebungsanspruch ansetzen und dessen Nachrangigkeit gegenüber dem Ergänzungsanspruch bejahen bzw. bestreiten. Wie aber noch zu zeigen sein wird, kann für das vorliegende planungssichernde Institut nur ein solcher Begründungsansatz überzeugen, welcher über den negativen Aspekt des Ausschlusses
S.o. im 1. Kapitel.
124
4. Kap., I. Hinweis zur Systematik
des Planaufhebungsanspruchs hinausgeht und auch positiv das Bestehen des Planergänzungsanspruchs zu erklären vermag. Aus der nachfolgenden Übersicht der Erklärungsmuster und damit auch aus dem weiteren Verlauf der Untersuchung werden von vornherein zwei Aspekte ausgeklammert, deren vertiefte Bearbeitung für den vorliegenden Zusammenhang nicht als lohnend erscheint: das Prozeßrecht einerseits und der damit zusammenhängende Problemkreis des Rechtsschutzes bei Auflagen und „modifizierenden Auflagen" andererseits. Der Vorrang des Planergänzungsanspruchs ist nämlich kein prozessuales Problem, läßt sich also nicht damit erklären, daß eine gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß erhobene Anfechtungsklage unzulässig sei2. Denn erstens kommt nach ständiger Rechtsprechung dem von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffenen nach wie vor ein prozessuales Wahlrecht zwischen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu 3 . Und zweitens handelt es sich beim Planaufhebungs- und beim Planergänzungsanspruch nicht um prozessuale, sondern um materiell-rechtliche Ansprüche 4. Weiterhin soll auf die üblicherweise eng mit dem Prozeßrecht verknüpfte Fragestellung, welcher Rechtsschutz im Zusammenhang mit Auflagen und „modifizierenden Auflagen" 5 geboten sei, nicht eingegangen werden. Denn der Vorrang des Planergänzungsanspruchs läßt sich nicht mit der bloßen Feststellung begründen, daß ein Planaufhebungsanspruch nur dann in Betracht komme, wenn der Mangel im Fehlen einer sogenannten „modifizierenden Auflage" bestehe, beim Fehlen einer Auflage im Sinne des § 36 Absatz 2 Nr. 4 VwVfG hingegen allein der Planergänzungsanspruch gegeben sei6. Dieser Ansatz wird hier deshalb nicht weiter verfolgt, weil es sich gerade bei dem Begriff der „modifizierenden Auflage" nicht um eine inhaltlich eindeutig fixierte Kategorie des materiellen Rechts handelt, auf deren Grundlage und von der ausgehend sich gesicherte Erkenntnisse deduzieren ließen. Mit anderen Worten: Die Einordnung einer Schutzmaßnahme als „modifizierende Auflage" läßt keinen Schluß auf die Abgrenzung materieller Ansprüche zu, die dem von ihrem Fehlen Betroffenen zukommen. Diese Abgrenzung ergibt sich allein aus dem jeweils einschlägigen materiellen Fach2 So aber z.B. Bichel NJW 1971, 71/71 f.; Jarass, BImSchG, § 41 Rdnr. 44; VG Regensburg, Urteil vom 29. Mai 1978 - Nr. R/N 62 V 78 - , BayVBl. 1978, 643/644 f. 3 S.o. im 1. Kapitel unter II 4. 4 S.o. im 3. Kapitel unter I. 5 Grundlegend zu diesem Institut und zum Begriff BVerwG, Urteil vom 08. Februar 1972 - IV C 73.72 - , DÖV 1974, 380. 6 In diesem Sinne aber z.B. Bichel, NJW 1979, 71; Keller, NJW 1979, 1490; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 172 ff; Mößle, BayVBl. 1982, 193/195; VG Regensburg, Urteil vom 29. Mai 1978 - Nr. R/N 62 V 78 - , BayVBl. 1978, 643/644.
4. Kap., I. Hinweis zur Systematik
recht, nicht aber aus verfahrensrechtlichen Begriffen. Insofern ist die neuere Tendenz in Rechtsprechung und Literatur zu begrüßen, die Topoi Auflage und „modifizierende Auflage" nicht mehr als Argumentationsschemata zu verwenden, wenn es gilt, Rechtsschutzformen bei Verwaltungsakten mit Nebenbestimmungen herauszuarbeiten, sondern diese Frage allein nach dem materiellen Recht zu entscheiden7. Auf die (umstrittene) Frage, ob Schutzmaßnahmen nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG als Auflagen im Sinne des § 36 Absatz 2 Nr. 4 VwVfG charakterisiert werden können, kommt es deshalb nicht an8. Die nachfolgende Übersicht denkbarer Erklärungsmöglichkeiten des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs setzt - wie eingangs erwähnt -beim Planaufhebungsanspruch an. Dessen Ausschluß in der vorliegenden Konstellation könnte sich erstens daraus ergeben, daß er bereits tatbestandlich nicht gegeben ist, also seine Voraussetzungen gar nicht vorliegen, wenn die Möglichkeit einer Ergänzung besteht (dazu unter II). Zweitens könnte der Tatbestand des Anspruchs zwar erfüllt sein, seiner Geltendmachung aber eine Schranke im Wege stehen (dazu unter III). Drittens ist es denkbar, daß in der vorliegenden Konstellation ein Aufhebungsanspruch nicht die von der Rechtsordnung vorgesehene Reaktionsmöglichkeit des Betroffenen darstellt, die Rechtsfolge Planaufhebung also über das dem Betroffenen zugebilligte Rechtsschutzziel hinausschießt (dazu unter IV). Sollte keines dieser drei Erklärungsmuster überzeugen, so könnte sich viertens und letztens der Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs zugunsten des Planergänzungsanspruchs nur noch aus der gesetzlichen Anordnung dieses Vorrangverhältnisses in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG bzw. in den Fachplanungsgesetzen des Bundes und der Länder ergeben, so daß es sich bei diesen Normierungen um Regelungen mit konstitutiver Wirkung handelte (dazu unter V).
7
Vgl. in diesem Zusammenhang z.B. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 — I C 31.87 - , BVerwGE 81, 185/186 m.w.N.; deutlich auch Remmert, VerwArch 88 (1997), 112/114 ff.; Michler, Verkehrsimmissionsschutz, S. 174 (dort in FN 7). 8 Die Ansicht, bei Schutzmaßnahmen handele es sich um Auflagen im Sinne des § 36 Absatz 2 Nr. 4 VwVfG, wird vertreten von: BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 - IV C 21.69 - , BVerwGE 41, 178/180 („Auflagen in der rechtlichen Bedeutung dieses Begriffs"); Kugel, Planfeststellungsbeschluß, S. 172 f. m.w.N.; Sodan in Sodan / Ziekow, VwGO, § 42 Rdnr. 275. Schutzmaßnahmen werden als Institut sui generis betrachtet von: Fickert, Planfeststellung für den Straßenbau, Nr. 25 Rdnr. 5; Me ins, BayVBl. 1979, 10/12. Gegen eine einheitliche rechtliche Qualifizierung von Schutzmaßnahmen Ule / Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 41 Rdnr. 31; überzeugend Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 92/105 f., der daraufhinweist, daß angesichts der inhaltlichen Bandbreite denkbarer Maßnahmen von der Schutzmaßnahme im Sinne eines Rechtsbegriffs nicht gesprochen werden könne.
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4. Kap., I. Hinweis zur Systematik
Diese Systematisierung der Erklärungsmuster ist rechtlich nicht zwingend, sondern ergibt sich vorrangig aus Zweckmäßigkeitserwägungen. Eine logisch vorgebene Trennlinie im Sinne eines gedanklichen Stufenverhältnisses besteht lediglich zwischen der hier so bezeichneten „Tatbestands-", „Schranken-" und „Rechtsfolgenlösung" (Erklärungsmuster II bis IV) einerseits und der „konstitutiven Gesetzeslösung" (Erklärungsmuster V) andererseits. Denn die erstgenannten Ansätze wirken systemimmanent, da sie von den bestehenden Strukturen des Fachplanungs- und vor allem des Staatshaftungsrechts, namentlich des Folgenbeseitigungsanspruchs, ausgehen. Einer gesetzlichen Regelung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs hätte es also nicht bedurft, wenn sich dieser Grundsatz bereits aus einem dieser drei Erklärungsmuster, mithin aus allgemeinen Erwägungen ergäbe. Seine normative Verankerung wäre dann rein deklaratorischer Natur. Hiervon unterscheidet sich der Ansatz einer konstitutiven Wirkung des § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG grundlegend, da er voraussetzt, daß sich der Vorrang des Planergänzungsanspruchs mit dem vorhandenen Instrumentarium des Fachplanungs- und Staatshaftungsrechts nicht erklären ließe. Aus der „konstitutiven Gesetzeslösung" folgte im Ergebnis zweierlei: Zum einen hätte die Rechtsprechung bis zur Normierung des Vorrangverhältnisses ihre Kompetenzen dadurch überschritten, daß sie contra legem den in der vorliegenden Konstellation gegebenen Planaufhebungsanspruch verweigert hätte. Zum zweiten verschöbe sich im folgenden die Fragestellung weg von einer Analyse der bestehenden Rechtsordnung hin zur Auslotung des Spielraums des Gesetzgebers, in diese gestaltend einzugreifen. Innerhalb dieser strukturellen Zweiteilung ist die weiterhin vorgenommene Differenzierung zwischen „Tatbestands-", „Schranken-" und „Rechtsfolgenlösung" dogmatisch nicht zwingend: Die jeweils anzustellenden Überlegungen gehen ineinander über und ergänzen sich wechselseitig. Für diese Systematik sprechen aber Gründe der Zweckmäßigkeit: Zum einen lassen sich mit ihrer Hilfe die in Rechtsprechung und Literatur vorgebrachten Argumente für und gegen den Vorrang des Planergänzungsanspruchs ordnen und im Zusammenhang betrachten. Zum anderen kann sich diese Einteilung der Erklärungsansätze an der Dogmatik des Folgenbeseitigungsanspruchs orientieren, wie sie in neuerer Zeit von Wissenschaft und Rechtsprechung mit zunehmender Deutlichkeit herausgebildet wurde. Diese Anlehnung ist insofern zulässig, als nach nunmehr gefestigter Erkenntnis der gegen Verwaltungsakte gerichtete Aufhebungsanspruch und der auf tatsächliche Handlungen gemünzte Folgenbeseitigungsanspruch lediglich unselbständige Ausprägungen ein- und desselben materiellen Abwehranspruches
4. Kap., II. Tatbestandlicher Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs
127
sind9. Da sich bei Äußerungen von Rechtsprechung und Literatur zum Folgenbeseitigungsanspruch regelmäßig die Differenzierung zwischen dessen Tatbestand, Schranken und Rechtsfolgen findet 10, liegt eine Übertragung dieser Kategorien auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand nahe. Diese Anlehnung an den Folgenbeseitigungsanspruch hat den Vorteil, die dort herausgearbeitete Systematik für den verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruch fruchtbar zu machen und dadurch ein hier bestehendes Erkenntnisdefizit abzugleichen. Denn bei diesem Anspruch stand — anders als bei jenem — bisher nicht sein materiell-rechtlicher Gehalt im Mittelpunkt des Interesses, sondern seine prozessuale Durchsetzung mittels Anfechtungsklage.
I I . Tatbestandlicher Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs Wie noch zu zeigen sein wird, setzt der materielle Aufhebungsanspruch tatbestandlich die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und die subjektive Rechtsverletzung des von ihm Betroffenen voraus 1 Der gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachte Aufhebungsanspruch schiede also aus, wenn das Fehlen einer erforderlichen Schutzmaßnahme nicht zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses und bzw. oder nicht zu einer subjektiven Rechtsverletzung desjenigen führte, zu dessen Gunsten sie hätte angeordnet werden müssen. Beide Begründungsmuster für den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs in der vorliegenden Konstellation lassen sich in Rechtsprechung und Literatur nachweisen: So findet sich vor allem in einigen älteren Stellungnahmen vereinzelt die Aussage, daß zwischen einer Schutzmaßnahme nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG und der „eigentlichen" Planfeststellung keine rechtliche Konnexität bestehe, das rechtswidrige Fehlen von jener also nicht auf diese durchschlage und somit auch nicht zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbe-
9
S.o. im 3. Kapitel unter II 1 ; vgl. auch die Nachweise in FN 15 der Einführung. Die Heranziehung der für den Folgenbeseitigungsanspruch geltenden Regeln auch für den Abwehranspruch des Betroffenen gegenüber gesetzeswidrigen Verwaltungsakten wird z.B. von Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 95, ausdrücklich befürwortet. 10 Sehr anschaulich z.B. der Prüfungsablauf bei BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 - 4 C 24.91 - , BVerwGE 94, 100; vgl. weiterhin etwaMzwrer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rdnr. 7 ff.; Schock, JURA 1993,478/482 ff. 11 Dazu im 5. Kapitel unter II.
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4. Kap., III. Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken
schlusses fuhren könne12. Etwas häufiger ist die Ansicht verbreitet, der Betroffene werde nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt, wenn die Möglichkeit einer nachträglichen Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die erforderlichen Schutzmaßnahmen bestehe, so daß der Aufhebungsanspruch aus diesem Grunde nicht gegeben sei13. Auf beide Erwägungen wird im 6. Kapitel eingegangen. Es wird sich zeigen, daß sie im Ergebnis nicht durchgreifen, der Planaufhebungsanspruch in der vorliegenden Konstellation also nicht bereits an dem Fehlen einer Tatbestandsvoraussetzung scheitert.
I I I . Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken In der Dogmatik des Folgenbeseitigungsanspruchs ist mittlerweile allgemein anerkannt, daß dieser Schranken unterliegt, also in bestimmten Fallgestaltungen ausgeschlossen ist, obwohl seine tatbestandlichen Voraussetzungen an sich vorliegen. Es handelt sich vorrangig um die Schranken der tatsächlichen und rechtlichen Unmöglichkeit sowie der Unzumutbarkeit der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände. In neuerer Zeit wird diese klassische „Schrankentrias" zunehmend um weitere Elemente ergänzt, etwa um den Ausschlußgrund eines rechtsmißbräuchlichen Verhaltens des Anspruchstellers, wenn die Legalisierung des rechtswidrigen Zustands durch die Verwaltung unmittelbar bevorsteht14. Transponiert man diese Schrankenlehre des Folgenbeseitigungsanspruchs auf die vorliegende Konstellation, so ließe sich in zweierlei Hinsicht eine Schranke des gegen einen unvollständigen, aber ergänzbaren Planfeststellungsbeschluß geltend gemachten Aufhebungsanspruchs konstruieren: Zum einen könnte die Planaufhebung rechtlich unmöglich, zum anderen unzumutbar sein. Die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung betrifft zumeist Fälle in Dreiecksverhältnissen, bei denen die Fehlerbeseitigung in Rechte eines Dritten 12
In diesem Sinne BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 - IV C 21.69 - , BVerwGE 41, 178/180 f.; VG Regensburg, Urteil vom 29. Mai 1978 - , Nr. R/N 62 V 78 - , BayVBl. 1978, 643/645; wohl auch Bichel, NJW 1979, 71. 13 So VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 3 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig); VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 92.40087 - , BayVBl. 1995, 497; VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994,197/198. 14 Hierzu und zu weiteren Anspruchsschranken s.u. im 5. Kapitel unter III.
4. Kap., III. Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken
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eingriffe, die durch den Beseitigungsanspruch verpflichtete Verwaltung also zur Korrektur des von ihr verursachten rechtswidrigen Zustands neues Unrecht — diesmal gegenüber dem Dritten - begehen müßte. Bezieht man dies auf den gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß gerichteten Aufhebungsanspruch, so könnte dieser Anspruch ausgeschlossen sein, wenn dem Begehren des vom Fehlen der Schutzmaßnahme Betroffenen ein Anspruch des Vorhabenträgers auf Feststellung „seines" Plans entgegenstünde. Die Planfeststellungsbehörde als Schuldnerin des materiellen Planaufhebungsanspruchs sähe sich dann insofern zwei gegenläufigen Verpflichtungen ausgesetzt, als sie mit der Erfüllung des Planaufhebungsanspruchs den Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers verletzte. In der Tat wird die Ansicht vertreten, daß der Vorhabenträger dann einen Anspruch gegen die Planfeststellungsbehörde auf Feststellung des Plans habe, wenn einer solchen rechtliche Hindernisse nicht entgegenstünden bzw. durch eine (unter Umständen auch nachträgliche) Anordnung von Schutzmaßnahmen ausgeräumt werden könnten15. Vereinzelt wird in einem derartigen durch Planergänzung um Schutzmaßnahmen modifizierten — Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers explizit der Rechtsgrund für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch gesehen16. Die Möglichkeit eines Ausschlusses des Planaufhebungsanspruchs durch die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Planaufhebung - genauer: durch einen Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers - gilt es weiter unten zu untersuchen17. Es wird sich dabei zeigen, daß in der vorliegenden Konstellation dem tatbestandlich gegebenen Planaufhebungsanspruch nicht die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Planaufhebung in Gestalt eines Planfeststellungsanspruchs des Vorhabenträgers im Wege steht. Als zweite Schranke des gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß gerichteten Aufhebungsanspruchs kommt die Unzumutbarkeit der Planaufhebung in Betracht. Die Schranke der Unzumutbarkeit betrifft im Rahmen der Dogmatik des Folgenbeseitigungsanspruchs Fälle, in denen die durch den tatbestandlich gegebenen Abwehranspruch an sich gebotene Rechtmäßigkeitsrestitution unverhältnismäßig wäre, insbesondere weil ein öffentliches Interesse am Festhalten des rechtswidrigen Zustands besteht, welches den Vorrang genießt gegenüber dem Wiederherstellungsinteresse des Anspruchstellers. Kennzeichnend 15
Z.B. Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 31; Busch in Knack, VwVfG, § 74 Rdnr. 4.2.1; Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 25.32 und 25.4; Kopp, VwVfG, § 73 Rdnr. 5, § 74 Rdnr. 1 und 35; Mößle, BayVBl. 1982, 231. 16 So ausdrücklich Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 452 ff., für die abfallrechtliche Planfeststellung bei privatem Vorhabenträger. 17 Im 7. Kapitel unter I. 9 Hildebrandt
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4. Kap., IV. Planaufhebung als überschießende Rechtsfolge
für diese Schranke ist damit eine Güterabwägung, die der über das Bestehen des Anspruchs entscheidende Rechtsanwender vornimmt zwischen dem Begehren des von dem rechtswidrigen Verwaltungshandeln Betroffenen einerseits und den für die Aufrechterhaltung sprechenden öffentlichen Belangen andererseits. Vor diesem Hintergrund lassen sich diejenigen Äußerungen im fachplanungsrechtlichen Schrifttum, die den Vorrang des Planergänzungsanspruchs als Ergebnis einer Abwägung gegenläufiger Interessen beschreiben18, dahingehend interpretieren, daß der Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs in der Unzumutbarkeit der Planaufhebung liegen, dem Planaufhebungsanspruch also eine entsprechende Schranke entgegenstehen solle. Der Gedanke der überwiegenden öffentlichen Interessen am Bestand des fehlerhaften Plans ist in neuerer Zeit von Hoppe für das Bauplanungsrecht aufgegriffen und zu einem „Grundsatz der Planerhaltung" ausgearbeitet worden. Dieser soll als dogmatisches Fundament verschiedener planungssichernder Institute dienen19. Einige Aspekte dieses Grundsatzes lassen sich auf das Fachplanungsrecht und die vorliegende Konstellation übertragen. Hierauf wird im einzelnen einzugehen sein. Es wird sich dabei zeigen, daß der „Grundsatz der Planerhaltung" den Vorrang des Planergänzungsanspruchs nicht zu erklären vermag, der Planaufhebungsanspruch also im Ergebnis auch nicht an der Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung scheitert20.
IV. Planaufhebung als überschießende Rechtsfolge Als letzte systemimmanente Erklärungsmöglichkeit des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs kommt die hier als solche bezeichnete „Rechtsfolgenlösung" in Betracht. Sie unterscheidet sich von dem soeben kurz skizzierten Schrankenmodell durch eine andere Perspektive: Anders als dieses fragt sie nicht danach, ob eine Planaufhebung mit einem gegenläufigen Interesse 18 Z.B. Degenhart, DVB1. 1981,201/204: Der Planaufhebungsanspruch wegen unterlassener Schutzmaßnahmen hänge ab von dem Verhältnis der hierdurch berührten Schutzinteressen in Relation zur Bedeutung des Gesamtvorhabens; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 266: Eine Planaufhebung verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, solange berechtigten Interessen Dritter durch Planergänzung Rechnung getragen werden könne. - Hervorhebungen durch den Verfasser. 19
Hoppe, FS Schlichter, S. 87 ff.; ders., Symposium, S. 133 ff.; ders., DVB1. 1996,
12 ff. Die Begriffsprägung „Grundsatz der Planerhaltung" geht - soweit ersichtlich zurück auf Sendler, UPR Special 7, S. 9/28 ff. 20 Dazu im 7. Kapitel unter II.
4. Kap., V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung
131
am Bestand des Planfeststellungsbeschlusses (subjektive Interessen des Vorhabenträgers bei der Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit, objektive Interessen der Allgemeinheit bei der Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung) kollidiert. Sie setzt vielmehr bei der durch einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß beeinträchtigten Rechtsposition des Betroffenen an und fragt danach, welcher Maßnahmen es bedarf, diese wiederherzustellen. Weiterhin unterscheidet sich dieser Ansatz von der „Tatbestandslösung", insbesondere von der dort zu behandelnden Frage nach einer subjektiven Rechtsverletzung des Betroffenen, dadurch, als bei letzterer untersucht werden soll, ob der unvollständige Planfeststellungsbeschluß überhaupt ein subjektives Recht des Betroffenen verletzt; die „Rechtsfolgenlösung" baut hierauf auf und fragt, wie das verletzte subjektive Recht beschaffen ist, insbesondere welche Abwehransprüche seiner Verteidigung dienen. Auf dieser Grundlage lassen sich diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur der „Rechtsfolgenlösung" als Erklärungsmuster des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs zuordnen, die auf das „Integritätsinteresse" des vom Fehlen einer Schutzmaßnahme Betroffenen abstellen: Dieses gebe das Ziel des einschlägigen Abwehranspruchs vor und werde mit der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses überschritten 21. Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß dieser Erklärungsansatz einen tragfahigen Rechtsgrund des hier zu untersuchenden planungssichernden Instituts bietet, da die Planaufhebung eine überschießende Rechtsfolge darstellte22.
V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung Sofern keiner der soeben skizzierten Erklärungsmuster den Rechtsgrund für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsan21
VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig); VGH München, Urteil vom 30. Juni 1993 - 8 A 90.40067 - , NVwZ 1994,186; VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 u.a. - , DVB1. 1994,1198/1203; VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 92.40087 - , BayVBl. 1995, 497/500 m.w.N.; ebenso Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26; in der Sache ähnlich, wenn auch mit prozeßrechtlicher Tendenz, Bichel NJW 1979, 71; Heinze, BayVBl. 1981, 649/652; Keller, NJW 1979, 1490: Dem Betroffenen fehle im Falle einer Ergänzbarkeit das Planfeststellungsbeschlusses das „Rechtsschutzbedürfnis" hinsichtlich einer begehrten Planaufhebung. 22 S.u. im 8. Kapitel.
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4. Kap., V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung
spruch liefern sollte, käme den gesetzlichen Anordnungen dieses Vorrangverhältnisses in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG bzw. den Fachplanungsgesetzen des Bundes und der Länder eine konstitutive Wirkung zu: Das hier zu untersuchende planungssichernde Institut ergäbe sich dann nicht bereits aus Rechtsgrundsätzen, die im System des Fachplanungs- und Staatshaftungsrechts angelegt sind, sondern erst aus den genannten Normen23. Da aber im Ergebnis zu zeigen sein wird, daß sich der Vorrang des Planergänzungsanspruchs mit der hier so bezeichneten „Rechtsfolgenlösung" abschließend beschreiben läßt, scheidet dieser letzte theoretisch denkbare Erklärungsansatz aus. Auf seine rechtlichen Implikationen braucht deshalb im weiteren Verlauf der Untersuchung nicht weiter eingegangen zu werden, so daß es mit einem knappen Problemaufriß an dieser Stelle sein Bewenden haben kann. Hierzu kurz im folgenden: Ginge man von einer konstitutiven Wirkung des § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG aus, so würde durch diese Norm ein tatbestandlich an sich gegebener, durch Schranken nicht gesperrter und hinsichtlich seiner Rechtsfolge auch einschlägiger Aufhebungsanspruch zugunsten eines Ergänzungsanspruchs ausgeschlossen. Es stellte sich somit die Frage nach einer entsprechenden Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Eine solche wäre deshalb begründungsbedürftig, weil nach nunmehr herrschender, im Ergebnis auch zutreffender Ansicht der materielle Aufhebungsanspruch dogmatisch aus den Grundrechten folgt und demzufolge auch an deren Verfassungsrang teilhat24. Das Problem konzentrierte sich damit auf die Herausarbeitung derjenigen Grenzen, welche der Gesetzgeber beachten müßte, wollte er Verfassungsrecht beschränken, genauer: in einer bestimmten Konstellation einen verfassungsrechtlichen fundierten Aufhebungsanspruch ausschließen. In der einschlägigen Literatur lassen sich zu diesem Problemkreis zwei gegenläufige Positionen ausmachen: Die erste spricht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung grundrechtlich fundierter Abwehransprüche lediglich die Befugnis zu, eine vorgefundene Kollision von Verfassungswerten aufzulösen und im Wege der Abwägung einem der konfligierenden Güter gesetzlich den Vorrang einzuräumen25. Für die vorliegende Modifizierung des Planaufhebungsanspruchs bedeu23 Diese Ansicht müßten konsequenterweise diejenigen Autoren vertreten, die den durch das BVerwG entwickelten Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs abgelehnt, also mit der älteren Rechtsprechung zumindest ein Wahlrecht des Betroffenen zwischen Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch angenommen haben; vgl. insofern die Nachweise in der Einleitung (dort in FN 8); ausdrücklich in diesem Sinne etwa *Sieg, Schutzauflage, S. 183. Von einer konstitutiven Wirkung des § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG geht anscheinend auch Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 329, aus. 24 Dazu s.u. im 5. Kapitel unter I. 25 So vor allem Schenke, DÖV 1986, 305/314 ff.; ders., DVB1. 1990, 328/335.
4. Kap., V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung
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tete dies, daß Anknüpfungspunkt der gesetzlichen Regelung ihrerseits ein Verfassungswert sein müßte, dem die Einschränkung des Planaufhebungsanspruchs zu dienen bestimmt wäre. Für eine solche verfassungsrechtliche Fundierung planungssichernder Institute-allerdings mehr im Sinne einer Verpflichtung des Gesetzgebers zu ihrer Normierung als einer Beschränkung seiner Ausgestaltungsbefugnis-wird im neueren Schrifttum namentlich ein aus dem Rechtsstaatsprinzip fließender Beschleunigungsauftrag der Verfassung bemüht: Dieser gebiete die gesetzliche Ermöglichung zügiger Genehmigungs- und Planungsverfahren gerade für wirtschaftlich relevante Vorhaben26. Dem steht die Ansicht gegenüber, daß der Aufhebungsanspruch zwar im Verfassungsrecht gründe, seine konkrete Ausgestaltung aber auf der Ebene des einfachen Rechts angesiedelt sei27. Dies hätte einen größeren Spielraum des Gesetzgebers zur Folge, der mit seiner Regelung nicht ein positiv verfassungsrechtlich vorgegebenes Ziel verfolgen, sondern lediglich rein negativ allgemeine verfassungsrechtliche Schranken, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten müßte. Dieser Streit braucht hier nicht weiter vertieft zu werden, da es für die vorliegende Untersuchung letztlich auf ihn nicht ankommt. Im Ergebnis sprechen aber wohl die besseren Argumente für die zweitgenannte Ansicht: Der Gesetzgeber verlöre jeglichen legitimen und auch notwendigen Spielraum, wenn sämtliche Ausgestaltungen verfassungsrechtlich verankerter Institute ebenfalls Verfassungsrang einnähmen. Hierdurch würde überdies der Inhalt des einfachen Rechts in unzulässiger Weise verfassungsrechtlich überhöht, aber auch die Verfassung selbst durch die Suche nach in ihr verankerten Regelungsaufträgen für den Gesetzgeber mit tagespolitischen Erwägungen ausgehöhlt. Hätte es also einer konstitutiven Anordnung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs bedurft,
26 So etwa Bullinger, Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, S. 127/132 m.w.N.; Ronellenfltsch, Beschleunigung und Vereinfachung, S. 133 ff., der aus diesem Verfassungsauftrag auch die Pflicht des Gesetzgebers herleitet, für die abfallrechtliche Planfeststellung unter anderem den Vorrang des Planergänzungsanspruchs zu normieren, ebda., S. 141. Zu der vergleichbaren Problematik einer gesetzlichen Einschränkung des verfassungsrechtlich fundierten Nichtigkeitsdogmas bei rechtswidrigen Bauleitplänen vgl. Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, S. 70 ff. 27 Jeweils für den Folgenbeseitigungsanspruch: Fiedler, NVwZ 1986, 969/971; J. Ipsen, DVB1. 1983, 1029/1035; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 300; Papier, JuS 1985, 184/186; Wallerath, DÖV 1987, 505/513 und 515 m.w.N.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 I.
4. Kap., V. Konstitutive Wirkung der gesetzlichen Regelung so wäre hier dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Ausgestaltungsspielraum zugekommen28.
28
In diesem Sinne Steiner, NVwZ 1994,313/318: Regelung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs als fairer Kompromiß zwischen Bestandsinteresse und Aufhebungsinteresse. Ähnlich Stüer, DVB1. 1996, 177/181: Regelung als sachgerechter Ausgleich zwischen den schutzbedürftigen Interessen nachteilig Planbetroffener und den Vertrauensschutzinteressen vor allem der Investoren.
Zweiter Teil Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch War Gegenstand des 1. Teils die Beschreibung und Systematisierung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs, so soll sich der folgende Teil mit dessen dogmatischer Begründung befassen. Hierbei gilt es zunächst, den Planaufhebungsanspruch zu analysieren (dazu im 5. Kapitel), um anschließend auf dieser Grundlage die einzelnen im 4. Kapitel entfalteten Erklärungsansätze zu untersuchen (dazu im 6., 7. und 8. Kapitel). Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß der Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch sich aus dem Wesen des Abwehranspruchs ergibt: Dieser zielt darauf, die durch staatlichen Eingriff verletzte Integrität der subjektiven Rechtsposition des Betroffenen wiederherzustellen. Angesichts der gesetzlichen Ausgestaltung dieser Rechtsposition erfolgt ihre Wiederherstellung in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich durch Planergänzung, nicht aber durch Planaufhebung. Rechtsgrund ist damit die hier als solche bezeichnete „Rechtsfolgenlösung".
5. Kapitel
Der Planaufhebungsanspruch als materiell-rechtlicher Aufhebungsanspruch Bei dem Planaufhebungsanspruch handelt es sich um einen materiellen Aufhebungsanspruch, der auf Kassation eines Planfeststellungsbeschlusses, also eines Verwaltungsakts zielt1. Wie im 4. Kapitel ausgeführt, erlangt der PlanaufheS.o. im 3. Kapitel unter I.
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5. Kap. Materiell-rechtlicher Aufhebungsanspruch
bungsanspruch fur die Frage nach dem Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs eine besondere Bedeutung: Denn das hier zu untersuchende planungssichernde Institut dient nicht nur der Durchsetzung jenes Anspruchs, sondern zunächst und vor allem dem Ausschluß dieses Anspruchs. Aus diesem Grunde setzen die folgenden Ausführungen bei der Beschreibung des materiellen Aufhebungsanspruchs an. Diese Beschreibung soll beginnen mit einer kurzen Darstellung seiner Rechtsgrundlage und dogmatischen Verankerung (dazu unter I). Sie greift in ihrem weiteren Verlauf die ebenfalls im 4. Kapitel skizzierte Systematisierung der theoretisch denkbaren Erklärungsmuster des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs wieder auf: Die Voraussetzungen des Aufhebungsanspruchs (dazu unter II) erlangen Bedeutung für die „Tatbestandslösung"2, seine Schranken (dazu unter III) für die „Schrankenlösung"3, Reichweite und Ziel des Anspruchs (dazu unter IV) schließlich für die im Ergebnis durchgreifende „Rechtsfolgenlösung" 4. Wegen des Ineinandergreifens beider Ansprüche in der vorliegenden Konstellation5 soll dabei jeweils auch auf den Planergänzungsanspruch und dessen Besonderheiten im Vergleich zum Planaufhebungsanspruch hingewiesen werden; angesichts ihrer übereinstimmenden Systematisierung als Abwehransprüche6 gelten aber die folgenden Ausführungen im wesentlichen für sie gemeinsam. Insgesamt orientiert sich die kommende Beschreibung des verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruchs an dem sogenannten „Folgenbeseitigungsanspruch", welcher auf die Korrektur eines durch rechtswidriges tatsächliches Verwaltungshandeln entstandenen Zustands zielt. Diese Anlehnung ist deshalb zulässig, weil dogmatische Grundlage, Tatbestand, Schranken und Rechtsfolge des Folgenbeseitigungsanspruchs im Wesentlichen nicht durch die konkrete Handlungsform bestimmt werden, derer sich die Verwaltung bedient. Wie bereits angedeutet, ist es heute allgemein anerkannt, daß Folgenbeseitigungsanspruch und der auf Verwaltungsakte gerichtete Aufhebungsanspruch lediglich unselbständige Erscheinungsformen ein und desselben materiellen Abwehranspruchs darstellen7. Deshalb bedarf es im folgenden keiner begrifflichen Differenzierung zwischen Folgenbeseitigungs- und verwaltungsaktbezogenem Aufhebungsanspruch; es soll vieleher einheitlich von dem materiellen Aufhebungsanspruch die Rede sein. Dazu unten im 6. Kapitel. Dazu unten im 7. Kapitel. Dazu unten im 8. Kapitel. Dazu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. Dazu s.o. im 3. Kapitel unter III und IV. Vgl. hierzu die Nachweise in FN 15 der Einführung.
5. Kap., I. Rechtundl
des Aufhebungsanspruchs
I. Rechtsgrundlage des Aufhebungsanspruchs In Abhandlungen zum Staatshaftungsrecht findet sich mitunter der Hinweis, die dogmatischen Grundlagen des materiellen Aufhebungsanspruchs seien noch nicht hinreichend geklärt. Einer solchen Klärung bedürfe es aber letztlich gar nicht, da die Existenz dieses Anspruchs allgemein anerkannt werde und im übrigen die verschiedenen, theoretisch denkbaren Erklärungsmuster zu keinen differierenden Ergebnissen führten 8. Diese These trifft so nicht zu. Denn es kann mittlerweile wohl nicht mehr davon gesprochen werden, daß die Grundlage des Aufhebungsanspruchs nach wie vor im Dunkeln liege. Eine ganze Reihe von Publikationen hat sich in neuerer Zeit mit diesem Problem befaßt und auf überzeugende Weise die Grundrechte als tragfahiges Fundament des Aufhebungsanspruchs herausgearbeitet9. Diese Auffassung scheint sich nunmehr allgemein durchzusetzen und soll auch dieser Untersuchung zugrunde gelegt werden. Die folgende Darstellung der Rechtsgrundlage des materiellen Aufhebungsanspruchs kann sich daher auf das für die hier interessierende Fragestellung Relevante beschränken, weitergehende Ausführungen zu Details und Nuancen seiner dogmatischen Herleitung sollen hingegen bewußt unterbleiben10. Im Wesentlichen lassen sich vier Erklärungsmuster ausmachen, die jeweils für sich oder teilweise auch miteinander kombiniert als Grundlage des materiellen Aufhebungsanspruchs postuliert wurden bzw. werden: Erstens sei hier der grundlegende Ansatz Bachofs genannt, den materiellen Aufhebungsanspruch in seiner Erscheinungsform des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs auf das Rechtsstaatsprinzip und das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, mithin auf Ar-
8
Z.B. Faber, Verwaltungsrecht, S. 219 f.; ähnlich BVerwG, Urteil vom 25. August 1971 - IV C 23.69 - , DVB1. 1971, 858/859; noch weitergehend Rüfner in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 49 Rdnr. 20. 9 Insbesondere Schock, VerwArch 79 (1988), 1/34 ff.; vgl. weiterhin Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 110 ff.; Schneider, Folgenbeseitigung, S. 64 ff. und S. 73 ff.; aus älterer Zeit z.B. Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 18 ff.; Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 57ff; Weyreuther, Gutachten B, S. 83 ff. 10 Weiterfuhrend hierzu insbesondere Schock, VerwArch 79 (1988), 1/15 ff. sowie die sehr gründliche Darstellung der frühen Begründungsansätze bei Weyreuther, Gutachten B, S. 21 ff.
5. Kap., I. Rechtundl
des Aufhebungsanspruchs
tikel 20 Absatz 3 GG zu stützen11. Diese Ansicht begegnet insofern Bedenken, als es sich zum einen bei den in dieser Verfassungsnorm verankerten Rechtssätzen um objektives Recht handelt, welches primär den Staat verpflichtet, zumindest aber nicht vorrangig den Interessen des Einzelnen zu dienen bestimmt ist. Die Herleitung eines subjektiven Rechts des Betroffenen im Sinne eines Anspruchs aus dem Rechtsstaatsprinzip bedarf gerade der Begründung, die zu liefern es ins Feld geführt wird 12 . Zum anderen legt Artikel 20 Absatz 3 GG zwar der Verwaltung die Rechtspflicht auf, sich rechtmäßig zu verhalten, trifft im übrigen aber keine Aussage darüber, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen diese Pflicht auslöst, also ob der Betroffene etwa die Aufhebung der rechtswidrigen Maßnahme, eine Entschädigung oder sonstiges beanspruchen kann13. Gerade der zuletzt genannte Aspekt hat namentlich Bettermann dazu veranlaßt, der Konstruktion Bachofs eine andere Begründung des auf Korrektur rechtswidrigen Verwaltungshandelns gerichteten Abwehranspruchs entgegenzusetzen: der quasinegatorische, auf analoger Anwendung der §§ 1004, 861, 862,12 BGB basierende Folgenbeseitigungsanspruch14. Auch dieses Erklärungsmuster des Aufhebungsanspruchs vermag aber nicht zu überzeugen. Denn zum einen führt der zivilrechtliche quasinegatorische Anspruch lediglich zu einer „Verstopfung der Störungsquelle", wirft als Rechtsfolge also nicht die vom Opfer rechtswidrigen Verwaltungshandelns gerade vorrangig begehrte Wiederherstellung des früheren, 11 Bachof I Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, S. 98 ff., insbesondere S. 117 ff.; in neuerer Zeit ebenso Fiedler, NVwZ 1986, 969/970 f.; Kopp, VwGO, § 113 Rdnr. 38; Wallerath, DÖV 1987, 505/511 f., letztgenannter allerdings mit der ausdrücklich erklärten Zielsetzung, Folgenbeseitigungs- und (sozialrechtlichen) Herstellungsanspruch auf ein einheitliches dogmatisches Fundament stellen zu wollen, weshalb angesichts der Zuordnung des Herstellungsanspruchs in den Bereich der Leistungsverwaltung die Freiheitsgrundrechte als gemeinsame Grundlage ausscheiden müssen. Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 19. Juli 1984 - 3 C 81.82 - , BVerwGE 69, 366/370, ebenfalls Artikel 20 Absatz 3 GG als Grundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs anerkannt. Weitere Nachweise zu dieser Ansicht bei Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 13 (dort in FN 42 und 45) sowie bei Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/33 (dort in FN 187). 12 Kritisch in diesem Sinne auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 25 Rdnr. 2; M Redeker, DÖV 1987, 194/196 m.w.N. 13 Erichsen, VerwArch 63 (1972), 217/219 f.; Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 91 f.; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/33 (m.w.N. in FN 188). 14 Bettermann, DVB1. 1953, 163/164; ders., DÖV 1955, 528 ff., insbesondere 531 und 534 ff.; anders allerdings ders., Die Grundrechte, S. 279/803 f.: Der auf Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands gerichtete restitutorische Anspruch ergebe sich aus Artikel 20 Absatz 3 GG. Weitere Nachweise zur Ansicht, die Grundlage des materiellen Aufhebungsanspruchs des öffentlichen Rechts liege in einer analogen Heranziehung zivilrechtlicher Ansprüche, bei Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 14 (dort in FN 51).
5. Kap., I. Rechtundl
des Aufhebungsanspruchs
1
vor der Beeinträchtigung bestehenden Zustands aus 15 . Zum anderen differiert das System zivilrechtlicher Ansprüche strukturell von dem des öffentlichen Staatshaftungsrechts, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Verschuldenshaftung (z.B. § 823 BGB) und den hier relevanten Ansprüchen für rechtswidriges, aber schuldloses Handeln (also etwa §§ 1004, 861, 862, 12 BGB) 1 6 . Eine Analogie sieht sich also grundlegenden rechtsmethodischen Bedenken ausgesetzt. Ein drittes Erklärungsmodell des materiellen Aufhebungsanspruchs liefert der Ansatz von Rupp, der einen allgemeinen Anspruch auf Beseitigung rechtswidriger hoheitlicher Beeinträchtigungen konstruiert hat, indem er von der prozessualen Norm des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO auf die Existenz eines subjektiven Abwehranspruchs Schloß17. Auch diese Ansicht befriedigt nicht: Zwar bietet der allgemeine Beseitigungsanspruch Rupps eine dem Begehren des Betroffenen eher entsprechende Rechtsfolge als etwa der quasinegatorische Anspruch Bettermanns; doch ist die Fundierung materieller Rechte mit prozessualen Erwägungen grundsätzlich nicht tragfähig. Denn das Prozeßrecht konstituiert keine materiellen Rechtspositionen, sondern dient alleine deren Schutz und effektiver Verteidigung, setzt sie also gerade voraus. Insofern ist Rupp in der Sache zutreffend wegen seines „Rückfalls in aktionenrechtliches Denken" 18 überwiegend abgelehnt worden 19 . Als viertes Erklärungsmuster wird von der heute ganz herrschenden Meinung die Ansicht vertreten, der Rechtsgrund des materiellen Aufhebungsanspruchs liege in dem durch das rechtswidrige Verwaltungshandeln verletzten subjektiven Recht, mithin in den Grundrechten 20. Diese Ansicht geht letztlich zurück auf die Statuslehre Georg Jellineks: Dieser hatte dargelegt, daß im Falle einer Störung 15
Bender, VB1BW 1990, 223/224; Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 17 (m.w.N. in FN 63). 16 Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 15 ff.; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 220; Hoffmann, Abwehranspruch, S. 32 ff. 17 Rupp, Grundfragen, S. 174 ff.; ihm folgend Heidenhain, JZ 1968, 487/492. 18 Bettermann, Die Grundrechte, S. 779/803. 19 Bettermann, Die Grundrechte, S. 779/803; Erichsen, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 220; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/17 und 33; Weyreuther, Gutachten B, S. 46 ff; Henke, Das subjektive öffentliche Recht, S. 38 f. 20 Vgl. die in FN 9 genannten Autoren; ebenso Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 233 ff (dort insbesondere in FN 40); Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 127ff; von Mangoldt, DVB1. 1974, 825/830; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rdnr. 5; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 299 f.; Ramsauer, Faktische Beeinträchtigungen, S. 119 f.; M. Redeker, DÖV 1987, 194/196; Remmert, VerwArch 88 (1997), 112/114; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 508; Schur, Anspruch, S. 114 f.; Stern, Staats-
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des Aufhebungsanspruchs
des status negativus, also der Freiheit des einzelnen im Verhältnis zum Staat, auf dem Wege der Rechtsbeschwerde die Anerkennung der Freiheit und die Aufhebung der störenden staatlichen Handlung verlangt werden könne21. Betrachtet man auf dieser Grundlage den status negativus als ein wesentliches Element der Grundrechte, so folgt aus dieser ihrer staatsgerichteten, freiheitssichernden Funktion die Notwendigkeit von Abwehransprüchen, mit welchen der status bewehrt ist. Denn dieser und damit die Freiheitsverbürgung der Grundrechte liefe leer, könnte der Einzelne seine Grundrechtspositionen nicht gegenüber rechtswidrigem Zugriff verteidigen. Es läßt sich also sagen, daß die Existenz von Abwehransprüchen zur Sicherung des grundrechtlichen status negativus sich aus dem Wesen der Grundrechte gerade auch als effektive subjektive Rechtspositionen ergibt; ohne den status flankierende Sicherungsmechanismen käme ihnen lediglich der Charakter objektiv-rechtlicher Programmsätze zu 22 . Vorrangiger Sicherungsmechanismus des status negativus ist der Anspruch des Statusberechtigten gegen den Staat auf Achtung seiner individuellen Rechtssphäre, also auf Unterlassung rechtswidriger Übergriffe. Aus dem Wesen und der Funktion der Grundrechte folgt aber weiterhin, daß der status negativus nicht nur gegen bevorstehende, sondern auch und insbesondere gegen bereits erfolgte Beeinträchtigungen gesichert sein muß, soll er nicht zu einer leeren Hülse reduziert werden. Insofern bedarf es eines auf die nachträgliche Beseitigung von Rechtsverletzungen zielenden Abwehranspruchs, welcher dann ebenfalls notwendiger Bestandteil der Grundrechte ist. Das dogmatische Verhältnis zwischen Unterlassungs- und Abwehranspruch bleibt dabei problematisch: Letztgenannter läßt sich entweder als die Transformation des „fehlgeschlagenen" ersteren oder als bloß modifizierter, in seinem Wesen aber fortbestehender Unterlassungsanspruch ver-
recht III/l, S. 671 ff., insbesondere S. 675 f.; entsprechend fur den Abwehranspruch bei legislativen Rechtsverletzungen Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 58 ff., insbesondere S. 75 f. Das BVerwG neigte in seinem Urteil vom 25. August 1971 - IV C 23.69 - , DVB1. 1971, 858/859, bereits dieser Ansicht zu, ließ dort die Frage nach dem Rechtsgrund des Folgenbeseitigungsanspruchs aber noch ausdrücklich offen; mittlerweile stützt das Gericht den Anspruch überwiegend aber auf die Grundrechte: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - IV C 50.71 - , BVerwGE 44, 235/243; BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - , BVerwGE 82, 76/95; BVerwG, Urteil vom 26. August 1993-4 C 24.91 - , BVerwGE 94,100/102. 21 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 94 ff., insbesondere S. 103 ff. 22 Deutlich W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 72: Die Angewiesenheit der Grundrechte auf Abwehransprüche mache ihr Wesen als absolute und gerade auch als subjektive Rechte aus; ähnlich auch Schoch, VerwArch 29 (1988), 1/34 ff.; vgl. aus früherer Zeit bereits Martens, FS Schack, S. 85/95 (m.w.N. in FN 79/19).
5. Kap., I. Rechtundl
des Aufhebungsanspruchs
stehen23. Dies braucht hier aber nicht mit letzter Konsequenz entschieden zu werden. Denn die Existenz des Abwehranspruchs ergibt sich ebenso wie die des Unterlassungsanspruchs unabhängig von der Lösung dieser konstruktiven Frage aus der Wertungsentscheidung des Grundgesetzes, dem Individuum eine effektive Grundrechts- und Freiheitsverbürgung gegenüber dem Staat zu gewähren. Die dogmatische Verankerung des materiellen Aufhebungsanspruchs in den Grundrechten vermeidet die Schwächen, welche den übrigen, oben skizzierten Erklärungsmustern anhaften. Überdies hat sie umfassende Gültigkeit, da zumindest Artikel 2 Absatz 1 GG in seiner Konzeption als allgemeine Handlungsfreiheit abschließend alle Freiheiten grundrechtlich abdeckt24. Die vereinzelt aufgeworfene Frage nach der Rechtsgrundlage materieller Aufhebungsansprüche im Falle einer Verletzung von subjektiven Rechten ohne Grundrechtsrang 25 stellt sich daher nicht: Wo die Rechtsordnung eine materielle, dem status negativus zuzurechnende Rechtsposition gewährt, ist diese zumindest von Artikel 2 Absatz 1 GG mit erfaßt 26. Sie hat darüber hinaus aber erhebliche Konsequenzen für die nähere Ausgestaltung des materiellen Aufhebungsanspruchs. Denn durch dessen grundrechtliche Fundierung rückt der verletzte status negativus (oder, um die obige Terminologie wiederaufzugreifen: die verletzte primäre Rechtsposition27) in den Mittelpunkt der Betrachtungen, und zwar hinsichtlich sowohl des Tatbestands als auch der Rechtsfolge des Anspruchs: Sein Tatbestand wird vorrangig geprägt durch die Verletzung eines subjektiven Rechts; auf welche Art und Weise diese Rechtsverletzung erfolgt, insbesondere — und hierauf wurde bereits mehrfach hingewiesen - welcher Handlungsform der eingreifende Staat sich dabei bedient, ist für das Entstehen des Anspruchs ohne Bedeutung. Bei diesem Anspruch handelt es sich -bezogen auf das Begehren seines Inhabers-um einen Abwehranspruch im Sin23 24
Dazu s.o. im 3. Kapitel unter II 2. Grundlegend BVerfG, Urteil vom 22. Februar 1956 - 1 C 41.55 - , BVerfGE 6, 32/
36 ff. 25
Z.B. Krebs, DVB1. 1984, 109 (dort in FN 8). So die h.M; vgl. etwa Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 142; Schenke, DÖV 1986,305/314; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/39 (dort in FN 225). Weitere Nachweise hierzu bei Remmert, VerwArch 88 (1997), 112/117 (dort in FN 23), nach deren Ansicht es für die Begründung von Abwehransprüchen allerdings nicht auf die Reichweite des Artikel 2 Absatz 1 GG ankommt, da die Flankierung des status mit Sicherungsmechanismen das Wesen des subjektiven Rechts schlechthin ausmache, unabhängig von dessen Rang - a.a.O., S. 123; in diesem Sinne wohl auch Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 30. Zur Bedeutung des Artikel 2 Absatz 1 GG im Fachplanungsrecht s.u. im 8. Kapitel unter 11 a und b cc. 27 S.o. im 3. Kapitel unter II 1. 26
5. Kap., I. Rechtundl
des Aufhebungsanspruchs
ne der oben verwendeten Begrifflichkeiten 28. Da sowohl Planaufhebungs- als auch Planergänzungsanspruch einen solchen Abwehranspruch darstellen, sie also in erster Linie durch eine erfolgte Verletzung primärer Rechtspositionen geprägt werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Tatbestandes nicht grundsätzlich, sondern haben im wesentlichen parallele Voraussetzungen: Beide sind Ausprägungen des allgemeinen, mit jedwedem Übergriff des Staates auf den status negativus verbundenen Abwehranspruchs29. Schon aus diesen systematischen Erwägungen kann das hier als „Tatbestandslösung" bezeichnete Erklärungsmuster 30 des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs nicht durchgreifen: Haben die beiden hier voneinander abzugrenzenden Ansprüche identische Entstehungsvoraussetzungen, nämlich die Verletzung des status negativus des mittelbar Betroffenen, so ist die Annahme in sich widersprüchlich, in der Konstellation eines hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses sei lediglich der Planergänzungs-, nicht aber der Planaufhebungsanspruch tatbestandlich gegeben31. Auch die Bestimmung der Rechtsfolge des Anspruchs ergibt sich aus seiner dogmatischen Fundierung: Da er auf der Notwendigkeit einer Absicherung des status negativus basiert, zielt er auf dessen Wiederherstellung, mithin auf die Wahrung der rechtlichen Integrität des Betroffenen. Plastisch läßt er sich deshalb in Anlehnung an Schoch als ein „Integritätsanspruch" bezeichnen, der die Rechtsverletzung des Betroffenen beendet und seine Rechtsstellung wieder in Deckung mit der rechtsnormativen Situation bringt 32. Maßgeblich fur die Bestimmung der Rechtsfolge ist daher die Ausgestaltung der primären subjektiven
28
S.o. im 3. Kapitel unter II 1. Deutlich BVerwG, Beschluß vom 23. Juni 1989 - 4 Β 100.89 - , UPR 1989, 432/ 433: Weil die Kläger durch den angefochtenen Planfeststellungsbeschluß nicht in ihren Rechten verletzt würden, könnten sie diesen weder mit Erfolg anfechten noch Planergänzungsansprüche erheben; ähnlich BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992 - 7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BbG Nr. 22, S. 45. Für den insofern vergleichbaren Bereich des immissionsrechtlichen Nachbarschutzes vgl. Breuer, NJW 1977, 1025/1030: Der Nachbar eines Genehmigungsempfängers könne mit der Begründung, die Genehmigung verletze ihn in seinen Rechten auf Eigentum, Leben oder Gesundheit, sowohl deren Aufhebung als auch deren Ergänzung um Auflagen gemäß § 12 Absatz 1 BImSchG verlangen. 30 S.o. im 4. Kapitel unter II. 31 Dennoch soll im 6. Kapitel der Frage nachgegangen werden, ob in der hier interessierenden Konstellation der Tatbestand des Planaufhebungsanspruchs vorliegt, um die in Literatur und Rechtsprechung mitunter vertretene „Tatbestandslösung" auch inhaltlich zu widerlegen. 32 Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/37. 29
5. Kap., II. Tatbestand des Aufhebungsanspruchs
143
Rechtsposition des Betroffenen vor ihrer Verletzung, da sie das Ziel des Anspruchs vorgibt.
I I . Tatbestand des Aufhebungsanspruchs Wie dargelegt, ist der materielle Aufhebungsanspruch eine Erscheinungsform des allgemeinen, im status negativus der Grundrechte verankerten Abwehranspruchs. Dieser setzt tatbestandlich nach ganz herrschender Meinung voraus, daß durch hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde und dieser Zustand noch fortdauert 33. Transponiert man diese Voraussetzungen auf einen Eingriff durch Verwaltungsakt, so ließe sich der Tatbestand des verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruchs wie folgt formulieren: Die Behörde erläßt einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, der den Betroffenen in seinen Rechten verletzt und noch wirksam im Sinne des § 43 Absatz 2 VwVfG ist. Diese Umschreibung erinnert an § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO. Insofern trifft die These Weyreuthers, daß § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO die „Vorgeschichte" des der Anfechtungsklage zugrundeliegenden materiellen Aufhebungsanspruchs nenne34, durchaus zu. Von daher erscheint es zweckmäßig, sich bei der folgenden Skizzierung der Voraussetzungen des Aufhebungsanspruchs an dieser Norm zu orientieren; denn § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO ist in Wissenschaft und Rechtsprechung ausfuhrlich behandelt und seine einzelnen Aspekte sind mit hinreichender Klarheit herausgearbeitet worden. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei aber noch einmal daraufhingewiesen, daß § 113 VwGO den Tatbestand des materiellen Aufhebungsanspruchs keinesfalls konstituiert, sondern ihn lediglich aufgreift und mit rein deklaratorischer Wirkung wiederholt 35 .
33
Statt vieler Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/39 (m.w.N. in FN 223); BVerwG, Urteil vom 26. August 1993-4 C 24.91 - , BVerwGE 94, 100/104, ebenfalls m.w.N. 34 Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 f.; zur Parallelität der Merkmale des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO und der Voraussetzungen des materiellen Aufhebungsanspruchs vgl. auch Faber, Verwaltungsrecht, S. 218; Krebs, DVB1. 1984, 109/110; Pietzcker in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnr. 3. 35 Hierzu s.o. im 3. Kapitel unter I.
144
5. Kap., II. Tatbestand des Aufhebungsanspruchs 1. Objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
Erste Voraussetzung des materiellen Aufhebungsanspruchs ist die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Diese liegt vor, wenn er gegen die Grundsätze vom Vorbehalt oder vom Vorrang des Gesetzes verstößt. Hiernach ist der belastende Verwaltungsakt nur dann rechtmäßig, wenn er auf einer ihrerseits rechtmäßigen, mit höherrangigem Recht vereinbaren gesetzlichen Grundlage beruht sowie in formeller und materieller Hinsicht sich im Einklang mit den normativen Vorgaben des einschlägigen Fachrechts befindet 36. Der maßgebende Zeitpunkt der für die Beurteilung der objektiven Rechtmäßigkeit relevanten Sach- und Rechtslage bestimmt sich grundsätzlich nach dem einschlägigen Fachrecht; im Regelfall handelt es sich aber um den der letzten behördlichen Entscheidung37.
2. Subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen
Grundlegend für den materiellen Aufhebungsanspruch ist dessen zweite Voraussetzung: die durch den Erlaß des objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakts hervorgerufene subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen. Sie erlangt angesichts der grund-, mithin subjektivrechtlichen Fundierung des Aufhebungsanspruchs ausschlaggebende Bedeutung für diesen. Denn bei genauer Betrachtung handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal der objektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts lediglich um die notwendige Voraussetzung einer jeden subjektiven Rechtsverletzung: Diese kann nur eintreten, wenn jene besteht; jene ist zwingend gegeben, wenn diese vorliegt. Die objektive Rechtswidrigkeit ist damit denklogisch in jeder subjektiven Rechtsverletzung enthalten38. Dies ergibt sich aus dem rechtstheoretischen Verhältnis zwischen objektiv- und subjektivrechtlicher Wirkung einer Norm: Letztere leitet sich aus der ersteren ab und kann somit nicht weiter reichen als diese39. Eine subjektive Rechtsverletzung ohne gleichzeitigen objektiven Rechtsverstoß ist konstruktiv daher ausgeschlossen. 36
Vgl. statt vieler Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 25 Rdnr. 5. Hierzu statt vieler Kopp, FS Menger, S. 693 ff.; ausführlich Mager, Der maßgebliche Zeitpunkt, passim, insbesondere S. 61 ff.; vgl. auch die Ausführungen oben im 3. Kapitel unter IV 2. 38 Weyreuther, FS Menger, S. 687 f. (m.w.N. dort in FN 27 und 29) zieht hieraus zutreffend die Konsequenz, § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO büßte nichts von seiner „Vollständigkeit" ein, wenn man auf das Merkmal der objektiven Rechtswidrigkeit verzichtete. 39 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 6; Krebs, FS Menger, S. 191/ 201 (m.w.N. in FN 60), bezeichnet dies als den „kleinsten gemeinsamen Nenner" in der Diskussion um das subjektiv öffentliche Recht. 37
2. Subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen
145
Das somit für den hier zu untersuchenden Aufhebungsanspruch zentrale Element der subjektiven Rechtsverletzung läßt sich seinerseits in zwei Bestandteile aufspalten, deren gesonderte Betrachtung gerade für den Bereich des Fachplanungsrechts notwendig ist. Gemeint ist die Differenzierung zwischen dem Verstoß gegen ein subjektiv öffentliches Recht auf der einen und das Bestehen eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs auf der anderen Seite: Eine subjektive Rechtsverletzung als die eigentliche Voraussetzung des Aufhebungsanspruchs liegt nur dann vor, wenn zum ersten die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gerade durch den Verstoß gegen eine den Betroffenen schützende, also ihm ein subjektives Recht vermittelnde Norm verursacht wird (dazu unter a), und zum zweiten ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen diesem Normverstoß und der subjektiven Rechtsposition des Betroffenen besteht (dazu unter b).
a) Verstoß gegen ein subjektives Recht
Nicht jeder Rechtsverstoß, der zur objektiven Rechtswidrigkeit führt, bewirkt eine subjektive, mit einem Abwehranspruch bewehrte Rechtsverletzung, sondern nur ein solcher, der gerade eine den konkret Betroffenen schützende Norm tangiert. Ob die jeweilige Vorschrift, gegen welche der Verwaltungsakt verstößt, in diesem Sinne ein subjektiv öffentliches Recht beinhaltet, bestimmt sich nach der immer noch herrschenden „Schutznormtheorie": Hiernach liegt ein subjektiv öffentliches Recht dann, aber auch nur dann vor, wenn eine zwingende Rechtsvorschrift und damit die sich aus dieser Rechtsvorschrift ergebende objektivrechtliche Verpflichtung der Verwaltung nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern - zumindest auch - dem Interesse des Einzelnen zu dienen bestimmt ist, mithin für dessen Interessen eine Schutznorm darstellt40. Ob dies der Fall ist, wird allerdings nur selten ausdrücklich vom Gesetzgeber geregelt, muß in der Regel also nach den herkömmlichen Methoden im Wege der Auslegung herausgearbeitet werden. Hier setzt die Kritik an, welche wiederholt und gerade in neuerer Zeit an der Schutznormtheorie geübt wird. Dieserichtet sich insbesondere gegen die mit ihr verbundenen Unsicherheiten, den Schutzzweck der jeweiligen Norm zu ermitteln, also die Frage nachvollziehbar zu beantworten, ob eine Vorschrift die Interessen des Betroffenen lediglich faktisch begünstigt oder aber rechtlich schüt-
40
Statt vieler Erichsen in ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 11 Rdnr. 31 ff. (m.w.N. insbesondere in FN 149); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 8; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 158 (m.w.N. in FN 32). 10 Hildebrandt
146
5. Kap., II. Tatbestand des Aufhebungsanspruchs
zen soll 41. Diese Kritik ist zwar sachlich berechtigt, besteht doch gerade in manchen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts, etwa im Baurecht, eine kaum noch überschaubare Kasuistik der Rechtsprechung, wenn es darum geht, auf der Grundlage der Schutznormtheorie ein subjektiv öffentliches Recht zu fixieren. Solange aber kein tauglicheres Instrumentarium zur Verfugung steht, vermöge dessen subjektiv öffentliche Rechte sich bestimmen lassen, ist an der hergebrachten Methode festzuhalten. Beinhaltet nach alledem die Norm, gegen welche der Verwaltungsakt verstößt, ein subjektiv öffentliches Recht des Betroffenen, so ist besagter Verwaltungsakt nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv rechtswidrig.
b) Rechtswidrigkeitszusammenhang
Diese subjektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt nur dann zu einer subjektiven Rechtsverletzung beim Betroffenen und damit zu einem Abwehranspruch, wenn ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Normverstoß und der subjektiven Rechtsposition, also dem status negativus besteht. Dieses die Anspruchsentstehung einschränkende Element findet seinen einfachgesetzlichen Niederschlag - nicht aber seine Verankerung - in dem Tatbestandsmerkmal „dadurch" des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO. Es betrifft nach überwiegender Meinung die Kausalität zwischen der subjektiven Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der Beeinträchtigung der subjektiven Rechtsposition des Betroffenen: Nur wenn diese auf jener beruht, liegt eine subjektive Rechtsverletzung vor 42 . Negativ formuliert heißt dies: Hätte die Behörde auch bei Vermeidung der subjektiven Rechtswidrigkeit die Rechtsposition des Betroffenen durch Erlaß des fraglichen Verwaltungsakts beeinträchtigt, so fehlt es am Rechtswidrigkeitszu41
Z.B. H. Bauer, Geschichtliche Grundlagen, S. 140 ff.; ders., AöR 113 (1988), 582/ 592 ff.; Huber, Konkurrenzschutz, S. 153 ff. 42 Bartlsperger, Symposium, 79/90 f.; Bender, DVB1. 1984, 301/304 (m.w.N. in FN 20); Erichsen, JURA 1987, 367/368; Friesecke, BWaStrG, § 19 Rdnr. 21; Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 11; Krebs, FS Menger, 191/ 203 f.; Ramsauer } VerwArch 72 (1981), 89/102 (Abstellen auf den Normzweck des subjektiv öffentlichen Rechts); Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1184; Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 156 ff. (insbesondere Rdnr. 159 und in FN 11); Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/39 (dort in FN 225); Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 186 f.; ders., NVwZ 1983, 523; plastisch die Formulierung von Weyreuther, DÖV 1977, 419/424 (m.w.N. in FN 66): Es gehöre zu den Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage, daß sich die mit ihr bekämpfte objektive Rechtswidrigkeit „gleichsam spiegelbildlich" als Verletzung auch eines subjektiven Rechts des Betroffenen
2. Subjektive Rechtsverletzung des Betroffenen
147
sammenhang und demnach auch an einer subjektiven Rechtsverletzung des Betroffenen. Schwabe hat dies dahingehend zum Ausdruck gebracht, daß es maßgeblich bleibe, ob die verletzte Rechtsnorm als Barriere gegen einen Zugriff auf die (Grund-)Rechtssphäre und um deren Integrität willen errichtet worden sei43. Die Gegenansicht verzichtet auf eine tatbestandliche Einschränkung des materiellen Aufhebungsanspruchs durch einen Rechtswidrigkeitszusammenhang und postuliert als zwingende Rechtsfolge eines jeden Verstoßes gegen eine Norm, die dem Betroffenen ein subjektiv öffentliches Recht einräumt, eine subjektive Rechtsverletzung. Das Merkmal des „dadurch" im Sinne des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO stelle nicht auf die Kausalität zwischen dem Eingriffse^/b/g (also der subjektiven Rechtswidrigkeit), sondern zwischen der Eingnffshandlung (also dem Erlaß des Verwaltungsakts) und der Beeinträchtigung des status negativus ab, so daß ihm an sich keinerlei Bedeutung zukomme44. Diese Ansicht ist abzulehnen. Sie führte angesichts des umfassenden Schutzbereiches der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 1 GG zu einer Versubjektivierung der aus Artikel 20 Absatz 3 GG fließenden Verpflichtung der Verwaltung zu rechtmäßigem Verhalten. Denn hierdurch würde jegliche rechtswidrige Beeinträchtigung des status negativus einen Abwehranspruch auslösen, unabhängig davon, ob die Rechtsordnung insbesondere in ihrer einfachgesetzlichen Ausgestaltung die Rechtsposition des Betroffenen gerade gegen diese Art von Übergriffen schützte. Ein Verzicht auf das Korrektiv des Rechtswidrigkeitszusammenhangs bewirkte damit, daß derrichtigerweise weit zu ziehende Schutzbereich des Artikel 2 Absatz 1 GG die Befugnis und Aufgabe des Gesetzgebers überspielte, kollidierende private und öffentliche Interessen miteinander abzuwägen und in einen gesetzlichen Ausgleich zu bringen. Die schlichte Annahme einer Verletzung des subjektiven Rechts aus Artikel 2 Absatz 1 GG bei jedweder rechtswidrigen Beeinträchdarstelle; ebenso ders., FS Menger, S. 681/687 ff. (insbesondere S. 691). Auch die überwiegende Rechtsprechung, insbesondere zum Fachplanungsrecht, verlangt einen Rechtswidrigkeitszusammenhang in diesem Sinne, allerdings ohne dies immer begrifflich zu präzisieren: vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 - 4 C 80.79 - , BVerwGE 67, 74/77 f.; BVerwG, Beschluß vom 14. September 1987-4 Β 178.87-, NVwZ 1988, 364; BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 Β 249.89 - , NVwZ-RR 1991, 118/127; BVerwG, Urteil vom 08. Juni 1995 - 4 C 4.94 - , BVerwGE 98, 339/361 f.; BVerwG, Beschluß vom 10. Juli 1995 - 4 Β 94.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 103, S. 47; BVerwG, Beschluß vom 10. Oktober 1995 - 11 Β 100.95 - , NVwZ-RR 1997, 336; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 1.95 - , DVB1. 1996, 915/916; vgl. auch VGH München, Urteil vom 16. April 1981 - 2 0 CS 80 D.61 - , BayVBl. 1981,401/405. 43 Schwabe, DVB1. 1984, 140/142. 44 So Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 25 Rdnr. 67 f.; ders., Fehler im Verwaltungsverfahren, Rdnr. 570; ähnlich Schenke, DÖV 1986, 305/308; Löwer, DVB1. 1981, 528/ 530.
148
5. Kap., I .
c h n des Aufhebungsanspruchs
tigung der allgemeinen Handlungsfreiheit führte damit in letzter Konsequenz zur Entstehung eines generellen Gesetzesvollziehungsanspruchs im Sinne eines Anspruchs auf Gewährleistung allgemeiner Eingriffsfreiheit, der mit der Rechtsordnung des GG aber nicht zu vereinbaren wäre 45. Dem Merkmal des Rechtswidrigkeitszusammenhangs kommt im Regelfall, insbesondere in bipolaren Verhältnissen zwischen Verwaltung und Bürger, keine besondere Bedeutung zu; denn die Kausalität zwischen subjektiver Rechtswidrigkeit und Beeinträchtigung des status negativus ist hier im Falle des Verstoßes gegen ein subjektiv öffentliches Recht unproblematisch gegeben. Relevant wird der Rechtswidrigkeitszusammenhang aber in Dreiecksverhältnissen und insbesondere in multipolaren, komplexen Beziehungsgeflechten, in welchen sich verschiedene öffentliche und private Interessen und Rechtspositionen wechselseitig bedingen, miteinander kollidieren und in einen Ausgleich zueinander zu bringen sind. Hier läßt sich die für bipolare Rechtsverhältnisse geltende „Faustformel" der subjektiven Rechtsverletzung bei jedwedem Verstoß gegen eine subjektivrechtliche Norm nicht ohne weiteres anwenden46. Dies hat sich oben bereits in der Konstellation gezeigt, in der ein mit enteignender Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses, also unmittelbar betroffener Grundeigentümer keinen Planaufhebungsanspruch geltend machen kann, wenn sein Grundstück auch bei Vermeidung des Verstoßes gegen sein subjektiv öffentliches Recht aus Artikel 14 Absatz 3 GG in Anspruch genommen worden wäre, etwa weil der Fehler auf das Grundstück des Betroffenen in räumlicher Hinsicht keinen Einfluß hat47.
I I I . Schranken des Aufhebungsanspruchs Der materielle Aufhebungsanspruch ist bestimmten Schranken unterworfen, bei deren Vorliegen er ausgeschlossen wird, der Betroffene also trotz subjektiver Rechtsverletzung nicht die Aufhebung des ihn belastenden Verwaltungsakts verlangen kann. In Rechtsprechung und Literatur werden insbesondere zum Folgenbeseitigungsanspruch eine ganze Reihe von solchen Schranken diskutiert, deren 45
So zutreffend Erichsen, JURA 1987, 367/368; Gassner, DÖV 1981, 615/618 (m.w.N. zum älteren Schrifttum dort in FN 68); Krebs, FS Menger, S. 191/205 (m.w.N. in FN 84); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rdnr. 14; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/39 (dort in FN 225); Wolff /Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 43 Rdnr. 30. 46 Ähnlich Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 156 (dort in FN 11). 47 Zu dieser Konstellation s.o. im 2. Kapitel unter II 2 b und unten im 6. Kapitel unter II 4.
5. Kap., I .
c h n des Aufhebungsanspruchs
wichtigste es im folgenden kurz zu skizzieren gilt (dazu unter 1 bis 5). Lediglich die Schranke der Bestandskraft des Verwaltungsakts gründet in der Spezifität des verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruchs (dazu unter 6). Bei der Untersuchung, ob der Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs in der hier so bezeichneten „Schrankenlösung" zu finden ist, soll dann lediglich auf diejenigen Schranken näher eingegangen werden, die überhaupt im vorliegenden Zusammenhang in Betracht kommen können bzw. in Literatur und Rechtsprechung als Rechtsgrund für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs erwogen werden48. Die Wirkungsweise dieser Schranken im Verhältnis zum Aufhebungsanspruch ist in Wissenschaft und Rechtsprechung bislang kaum problematisiert worden. Es sind hier grundsätzlich zwei Modelle denkbar: nämlich die Einordnung der Schranken zum einen als rechtsverhindernde, zum anderen als rechtsvernichtende Einwendungen im Sinne der zivilrechtlichen Einwendungslehre49. Bei erstgenanntem Ansatz lägen die Voraussetzungen des Aufhebungsanspruchs erst gar nicht vor, so daß es sich bei den Schranken letztlich um negative Tatbestandsmerkmale handelte. Im zweiten Falle führten die Schranken zum nachträglichen Ausschluß des an sich, das heißt tatbestandlich begründeten Anspruchs. Praktische Konsequenzen haben diese konstruktiven Unterschiede zumindest für die vorliegende Fragestellung nicht. Wenn hier der Konzeption der Schranken als rechtsvernichtende Einwendungen gefolgt wird, so geschieht dies nicht aus dogmatisch zwingenden Gründen, sondern allein aus Erwägungen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur besseren Veranschaulichung. Denn es vereinfacht das Verständnis des materiellen Aufhebungsanspruchs als eines Abwehranspruchs, wenn man seine tatbestandliche Beschreibung auf das Wesentliche, nämlich die subjektive Rechtsverletzung, konzentriert. An dieser Stelle verdeutlicht sich der oben eingeräumte Befund, daß die hier vorgestellten Erklärungsmuster des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs, sofern sie nicht von einer konstitutiven Wirkung des § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG ausgehen, logisch nicht zwingend zu trennen sind, sondern einander überlagern 50.
48
Dazu s.u. im 7. Kapitel. Hierzu und zum folgenden Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 503 ff., insbesondere 506 f. 50 S.o. im 4. Kapitel unter I. 49
5. Kap., I .
c h n des Aufhebungsanspruchs
1. Tatsächliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
Der Folgenbeseitigungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn die Wiederherstellung des rechtmäßigen status quo ante aus tatsächlichen Gründen nicht erfolgen kann51. Dies leuchtet unmittelbar ein, kann doch etwas faktisch Unmögliches nicht Gegenstand eines Anspruchs sein. Ebenso leuchtet aber auch ein, daß diese Schranke auf den verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruch keine Anwendung findet. Denn die Aufhebung eines Verwaltungsakts ist in tatsächlicher Hinsicht stets möglich. Auf diese Schranke soll daher nicht weiter eingegangen werden.
2. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
Weiterhin kann eine Folgenbeseitigung nicht verlangt werden, wenn diese auf Herbeiführung eines Zustands zielte, der seinerseits nicht mit der Rechtsordnung übereinstimmte. Die Verwaltung als Anspruchsschuldnerin darf nicht zur Vornahme einer rechtswidrigen Handlung verpflichtet werden. Dies ergibt sich aus Artikel 20 Absatz 3 GG 52 . Von besonderer Relevanz sind in diesem Zusammenhang mehrpolige Rechtsverhältnisse, in denen ein Dritter ein subjektives Recht auf Beibehaltung des die Rechtsposition des Anspruchstellers verletzenden Zustands hat. Anders als die tatsächliche kommt die rechtliche Unmöglichkeit als Schranke auch des verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruchs in Betracht. Denn die Verwaltung kann nicht ohne weiteres einen rechtsverletzenden Verwaltungsakt aufheben, wenn gleichzeitig ein Dritter seinen Erlaß bzw. seinen Bestand beanspruchen kann. Die fachplanungsrechtliche Transposition dieser Erwägung soll deshalb unter dem Stichwort „Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers" erörtert werden53.
51
Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 507 ff. Hierzu und zum folgenden Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 509 ff. In diesem Zusammenhang wird in Literatur und Rechtsprechung das auf Weyreuther, Gutachten B, S. 106 ff, zurückgehende Institut der „Folgenbeseitigungslast" diskutiert; vgl. hierzu aus neuerer Zeit Ivo, Folgenbeseitigungslast. 53 S.u. im 7. Kapitel unter I. 52
3. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
151
3. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung Nach herrschender Meinung soll der Folgenbeseitigungsanspruch ferner ausgeschlossen sein, wenn die Wiederherstellung des rechtmäßigen status quo ante für die verpflichtete Verwaltung unzumutbar wäre. Unter dem Oberbegriff der Unzumutbarkeit wird eine Reihe von Fallgruppen diskutiert, in denen die Unrechtsfolgen nicht behoben werden dürfen. Ihnen ist gemeinsam, daß der Anspruchserfüllung ein öffentliches Interesse entgegensteht, welchem der Vorzug gegenüber dem Restitutionsinteresse des Anspruchstellers eingeräumt wird. Es handelt sich hierbei in der Regel um Konstellationen, in denen die Anspruchserfullung mit einem unverhältnismäßig hohen technischen bzw. finanziellen Aufwand verbunden wäre oder aber ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Beibehaltung des derzeitigen Zustands besteht54. Auch diese Schranke ist auf den verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruch übertragbar. Sie soll unten im Zusammenhang mit dem „Grundsatz der Planerhaltung" untersucht werden 55 .
4. Möglichkeit der nachträglichen Legalisierung Handelt es sich bei den bisher genannten Schranken um „klassische" Erwägungen zur Dogmatik des Folgenbeseitigungsanspruchs56, so haben sich in der neueren Literatur und Rechtsprechung einige weitere Institute herausgebildet, die zunehmend zur Beschränkung des Folgenbeseitigungsanspruchs herangezogen werden. Hierzu zählt der den Anspruch ausschließende Einwand der Möglichkeit der nachträglichen Legalisierung des den Anspruchsteller verletzenden Zustands: Der Anspruchsteller soll dann die Herstellung des ursprünglichen Zustands nicht verlangen dürfen, wenn die Verwaltung diesen alsbald in rechtmäßiger Weise erneut herbeiführen könnte; in der Anspruchserfüllung läge dann eine unzulässige Rechtsausübung57. Diese Schranke ist allerdings nur in engen Grenzen heranzu54
Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 531 ff.; OssenbühU Staatshaftungsrecht, S. 322, weist darauf hin, daß es sich bei der Schranke der Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung um einen „letzten Anker" handele, um sinnlose Entscheidungen zu vermeiden; grundsätzlich ablehnend zur Schranke der Unzumutbarkeit Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/51 f. 55 S.u. im 7. Kapitel unter II. 56 Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/50, spricht insoweit von der „bekannten Trias" der Anspruchsgrenzen. 57 Schneider, Folgenbeseitigung, S. 170ff. (m.w.N. insbesondere in FN 342).
152
5. Kap., I .
c h n des Aufhebungsanspruchs
ziehen, nämlich dann, wenn aufgrund einer hinreichend sicheren Erwartung feststeht, daß die Verwaltung sogleich von der ihr gegebenen Möglichkeit Gebrauch macht, um rechtmäßige Zustände herzustellen. Die bloß abstrakte Möglichkeit hierzu reicht nicht aus, da andernfalls der Abwehranspruch auch schon dann ausgeschlossen wäre, wenn die Verwaltung im konkreten Falle keinerlei Anstalten zur Vornahme legalisierender Handlungen träfe 58. Diese Schranke ist zwar grundsätzlich auch im Bereich des verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruchs anwendbar, in der hier interessierenden Konstellation aber offensichtlich nicht einschlägig: Denn die „Legalisierung des rechtswidrigen Zustands", also die nachträgliche Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die zunächst unterbliebene Festsetzung von Schutzmaßnahmen, ist zwischen Betroffenem und Planfeststellungsbehörde gerade streitig. Es besteht also regelmäßig nicht die konkrete, hinreichend gesicherte Möglichkeit einer alsbaldigen Legalisierung. Nur wenn ausnahmsweise die Behörde dem Betroffenen rechtsverbindlich die erforderliche Planergänzung zusichern sollte, käme die Heranziehung der vorliegenden Schranke in Betracht, da keine Veranlassung mehr bestünde, die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses zu verlangen59. Doch dürften diese Fälle die Ausnahme sein, so daß im weiteren nicht näher auf die Schranke der nachträglichen Legalisierung eingegangen zu werden braucht.
5. Mitverschulden des Anspruchstellers (§ 254 BGB analog)
Umstritten ist, ob der Folgenbeseitigungsanspruch ganz oder zumindest teilweise durch den Gedanken des Mitverschuldens des Anspruchstellers an der Verursachung der ihn treffenden Beeinträchtigung eingeschränkt werden kann60. Diskutiert werden hier insbesondere Konstellationen, in denen der Betroffene es 58
So die ganz herrschende Meinung; vgl. statt vieler BVerwG, Urteil vom 26. August 1993-4 C 24.91 - , BVerwGE 94, 100/111 m.w.N.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 29 Rdnr. 15 m.w.N. Die Ansicht des VGH München, Urteil vom 22. Februar 1978 - 140 VIII 76 - , DÖV 1978, 766/767, wonach der Folgenbeseitigungsanspruch bereits bei der abstrakten Möglichkeit zur Legalisierung ausgeschlossen sei, hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. 59 In diesem Sinne läßt sich der Beschluß des BVerwG vom 07. März 1996 - 4 Β 254.95 - , NVwZ 1996, 906/907, verstehen: Ein Anspruch auf Planaufhebung entfalle dann, wenn während der mündlichen Verhandlung die Planfeststellungsbehörde die verbindliche Erklärung abgebe, bestimmte Schutzvorkehrungen zugunsten des Klägers zu treffen; alles andere „wäre eine nicht zu rechtfertigende Förmelei." 60 Darstellung des Streitstands bei Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 538 ff.
6. Bestandskraft des Verwaltungsakts
153
unterläßt, sich im Wege des Primärrechtsschutzes gegen die Verletzung seiner Rechtsposition zu wehren, oder solche, in denen das Ausmaß der Beeinträchtigung durch sein eigenes Verhalten gesteigert wurde. Diese Schranke läßt sich auf den verwaltungaktbezogenen Aufhebungsanspruch insgesamt nur schwer übertragen, ist für die hier interessierende Konstellation des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses aber jedenfalls nicht einschlägig. Die Problematik der analogen Anwendung des § 254 BGB im Staatshaftungsrecht bedarf daher im folgenden keiner Vertiefung.
6. Bestandskraft des Verwaltungsakts
Anders als die bisher behandelten Schranken, die sämtlich im Bereich des auf Wiederherstellung eines tatsächlichen Zustands gerichteten Folgenbeseitigungsanspruchs entwickelt wurden und deren Übertragbarkeit auf den verwaltungsaktbezogenen Aufhebungsanspruch jeweils einer gesonderten Prüfung bedarf, besteht hinsichtlich dieses Anspruchs eine Schranke, die Ausdruck gerade seiner Spezifität ist: der Ausschluß des Anspruchs bei Eintritt der Bestandskraft des rechtsverletzenden Verwaltungsakts61. Auch hieraufbraucht aber nicht näher eingegangen zu werden, da diese Schranke in der hier interessierenden Konstellation nicht einschlägig ist: Denn der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs wird wegen § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG nur bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses relevant, da ab diesem Zeitpunkt sämtliche den Planfeststellungsbeschluß betreffenden (Abwehr-)Ansprüche gesetzlich ausgeschlossen sind.
IV. Reichweite und Ziel des Aufhebungsanspruchs Rechtsfolge des materiellen Aufhebungsanspruchs ist die Aufhebung des die subjektiven Rechte verletzenden Verwaltungsakts durch die Verwaltung bzw. im Falle seiner Anfechtung durch das Gericht mit ex-tunc-Wirkung. Aus seiner dogmatischen Verankerung in den Grundrechten ergibt sich, daß diese Aufhebung der Wiederherstellung der Integrität des verletzten status negativus dient, folglich nicht weiter gehen darf, als zu diesem Zwecke erforderlich ist. Dies klingt in der 61
Zur formellen Bestandskraft als Schranke des gegen Verwaltungsakte gerichteten Aufhebungsanspruchs vgl. Erichs en, Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 222; Horn, Drittanfechtung, S. 110; ders. DVB1. 1990, 864/867.
154
5. Kap., IV. Reichweite und Ziel des Aufhebungsanspruchs
Formulierung des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO an, wonach der Verwaltungsakt nur in dem Umfang aufzuheben sei, „soweit" er den Kläger in seinen Rechten verletze62. Dies erlangt namentlich bei teilbaren Verwaltungsakten Bedeutung, deren Aufhebung sich auf den rechtsverletzenden Teil zu beschränken hat. Eine solche Teilbarkeit setzt grundsätzlich voraus, daß der nach einer teilweisen Aufhebung verbleibende Rest als selbständiger und vor allem rechtmäßiger Verwaltungsakt bestehen kann, ohne seine ursprüngliche Bedeutung zu verlieren. Bei Verwaltungsakten, hinsichtlich derer der Verwaltung ein Ermessen oder planerischer Gestaltungsspielraum zukommt, also gerade bei Planfeststellungsbeschlüssen, ist dies regelmäßig nur dann der Fall, wenn die Behörde bei Kenntnis des \
Fehlers auch den „Rest-Verwaltungsakt" erlassen hätte; denn die Teilaufhebung -insbesondere durch das Gericht-darf nicht dazu führen, daß dieser gegen ihren Willen ein Akt planender Verwaltung aufgedrängt wird, den sie in der Form nicht vorgenommen hätte63. Die hier beschriebene konkrete Rechtsfolge des Aufhebungsanspruchs - Kassation des Verwaltungsakts - ergibt sich nicht bereits aus seinem Wesen als Abwehranspruch. Denn dieses gebietet lediglich eine Rechtsfolge, die im Ergebnis zur Wiederherstellung der Integrität des status negativus des Betroffenen führt. Dies muß nicht notwendigerweise im Wege der Aufhebung des Verwaltungsakts 62
Zur Bedeutung des Merkmals „soweit" im Rahmen des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO vgl. Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26. 63 Allgemein zu den Voraussetzungen einer Teilaufhebung von Verwaltungsakten statt vieler Pietzcker in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rdnr. 13; Morlok, Folgen von Verfahrensfehlem, S. 202 ff. Konkret zur problematischen und nur in Ausnahmefallen möglichen Teilbarkeit und Teilaufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen vgl. Broß, DÖV 1985, 253 ff.; Gegner, Abschnittsweise Planfeststellung, S. 230; Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 33; Grupp, DVB1. 1985, 152 ff.; Johlen, FS Redeker, S. 487/491; Paetow, DVB1. 1985, 369 ff.; Roeser, FS Schlichter, S. 479 ff.; Ronellenfltsch, Teilbarkeit von Planfeststellungsentscheidungen, S. 37 ff.; Wahl, NVwZ 1990, 923/927. Aus der Rechtsprechung zur Teilbarkeit und Teilaufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 - 4 C 80.79-, BVerwGE 67, 74/77 f. (räumliche Teilbarkeit); BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1988 - 4 C 54.84 - , Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 3, S. 2; BVerwG, Beschluß vom 13. Januar 1989 - 4 Β 249.88 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 81, S. 55 (m.w.N.); BVerwG, Beschluß vom 05. Dezember 1991 - 7 Β 118.91 - , Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 12, S. 18 (m.w.N.); BVerwG, Beschluß vom 21. Januar 1993 - 4 Β 206.92 - , NVwZ 1993, 884/886; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 28.95 - , NJW 1996, 2113; BVerwG, Beschluß vom 15. Mai 1996 - 11 VR 3.96 - , DVB1. 1996, 925/928; vgl. weiterhin hierzu VGH Kassel, Beschluß vom 22. August 1986 - 5 TH 3071/84-, NVwZ 1987,982/991; VGH Mannheim, Beschluß vom 03. September 19905 S 1840/90-, NVwZ-RR 1991, 176/177; OVG Münster, Urteil vom 04. Juni 1991 - 5 A 125/90-, DVB1. 1991, 1366 f. (m.w.N.).
5. Kap., IV. Reichweite und Ziel des Aufhebungsanspruchs
15 5
geschehen; die bestehende Rechtsordnung ist viel differenzierter, als daß zwingende Rechtsfolge einer jeden Rechtsverletzung stets die Beseitigung bzw. Nichtigkeit der die Rechtsverletzung bewirkenden staatlichen Maßnahme sein müßte 64 . Wenn die Rechtsfolge desAufliebungsanspruchs nun konkret in der Vernichtung des Verwaltungsakts durch behördliche Aufhebung bzw. im Falle seiner prozessualen Durchsetzung durch gerichtliches Gestaltungsurteil besteht, so ergibt sich dies allein aus § 48 VwVfG bzw. § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO. Zutreffend hat Weyreuther daraufhingewiesen, daß die Anfechtungsklage der VwGO ebenso gut die Form einer auf Rücknahme des Verwaltungsakts gerichteten Leistungsklage hätte erhalten können65. Diese Aussage läßt sich dahingehend erweitern, daß der Gesetzgeber sich daraufhätte beschränken können, als Rechtsfolge einer Verletzung subjektiver Rechtspositionen des status negativus die Verwaltung zu verpflichten, das zur Wiederherstellung der rechtlichen Integrität des Betroffenen Erforderliche zu unternehmen, und die Gerichte zu ermächtigen, entsprechend zu verurteilen. Die hier vom Gesetzgeber getroffene Anordnung der Rechtsfolge „Aufhebung" ist damit keineswegs logisch vorgegeben, sondern Ausfluß seines hinsichtlich der Modalitäten materieller Ansprüche bestehenden Gestaltungsspielraums66. Rechtlich zwingend werden Reichweite und Ziel des Abwehranspruchs letztlich durch dessen Verankerung, vor allem aber durch seine Funktion determiniert, die beeinträchtigte subjektive Rechtsposition effektiv zu verteidigen und wiederherzustellen, soll diese nicht gerade ihres Wesens als eines subjektiv öffentlichen Rechts verlustig gehen. Die materiell-rechtlich vorgegebene Rechtsfolge des Abwehranspruchs bestimmt sich damit nach der Ausgestaltung der verletzten subjektiven Rechtsposition sowie der Art ihrer Beeinträchtigung67. Im Regelfall mag die Anwendung dieser Kriterien dazu fuhren, daß nur die Aufhebung des rechtsverletzenden Verwaltungsakts zur Wiederherstellung der rechtli64
Zutreffend Martens, FS Schack, S. 85/95; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/34 (m.w.N. dort in FN 189); ähnlich für den Fall der Verletzung formeller subjektiver Rechtspositionen Bettermann, FS H.P. Ipsen, S. 271/289; vgl. auch Schenke, DVB1. 1990, 328/332. Konkret fur das Fachplanungsrecht vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. November 1992 - 7 ER 300.92 - , Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 22, S. 45: Bewirke ein Planfeststellungsbeschluß eine Rechtsverletzung, so habe dies nicht zwangsläufig seine Aufhebung zur Folge; ebenso Friesecke, BWaStrG, § 19 Abs. 4, Rdnr. 22. 65 Weyreuther, FS Menger, S. 681/686 (m.w.N. dort in FN 21); ähnlich Stern, Staatsrecht III/1, S. 674, mit Hinweis auf Rupp, Grundfragen, S. 254; vgl. auch Rösslein, Folgenbeseitigungsanspruch, S. 80. 66 Hierzu s.o. im 4. Kapitel unter V. 67 Böß, Vergleich des Folgenbeseitigungsanspruchs, S. 96 f.; Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/46.
5. Kap., IV. Reichweite und Ziel des Aufhebungsanspruchs
chen Integrität des Betroffenen in Betracht kommt. Ob dies allerdings immer und insbesondere in der hier interessierenden Konstellation des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses der Fall ist, gilt es im Rahmen der „Rechtsfolgenlösung" zu untersuchen68.
68
Dazu s.u. im 8. Kapitel.
6. Kapitel
Tatbestandlicher Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs? Erstes denkbares Erklärungsmuster fur den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs in der Konstellation eines hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses ist die hier als solche bezeichnete „Tatbestandslösung": Der mittelbar Betroffene, zu dessen Gunsten die Schutzmaßnahme hätte angeordnet werden müssen, könnte hiernach nicht die Aufhebung des Beschlusses beanspruchen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht vorlägen. Rechtsprechung und Literatur leiten teilweise mit dieser Argumentation den Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs her1. Auf die systematische Inkonsistenz dieses Begründungsansatzes wurde bereits hingewiesen, könnte er doch lediglich den Ausschluß des Planaufhebungs-, nicht aber den gleichzeitigen Vorrang des Planergänzungsanpruchs erklären2. Dennoch gilt es im folgenden, die oben abstrakt beschriebenen Tatbestandsmerkmale des materiellen Aufhebungsanspruchs auf die vorliegende Konstellation anzuwenden, also zu untersuchen, ob ein Planfeststellungsbeschluß, welcher erforderliche Schutzmaßnahmen nicht enthält, objektiv rechtswidrig ist (dazu unter I) und ob der von diesem Mangel Betroffene hierdurch in seinen subjektiven Rechten verletzt wird (dazu unter II). Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß beide Voraussetzungen des (Plan-)Aufhebungsanspruchs vorliegen, die „Tatbestandslösung" also auch inhaltlich nicht zu überzeugen vermag.
1 2
S.o. im 4. Kapitel unter II. S.o. im 5. Kapitel unter I.
158
6. Kap., I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses
I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses An dieser Stelle sollen knapp die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Planfeststellungsbeschlusses sowie die einzelnen Fehlertypen des Fachplanungsrechts skizziert (dazu unter 1), der für die vorliegende Untersuchung relevante Verstoß gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG hierin eingeordnet (dazu unter 2) und abschließend die Auswirkungen des Fehlers auf den Planfeststellungsbeschluß beschrieben werden (dazu unter 3). Dabei wird sich herausstellen, daß dieser Mangel grundsätzlich zur objektiven Rechtswidrigkeit des gesamten Beschlusses führt.
1. Rechtmäßigkeitskriterien des Fachplanungsrechts
Wie jeder belastende Verwaltungsakt ist auch ein Planfeststellungsbeschluß nur dann rechtmäßig, wenn er auf einer wirksamen Ermächtigungsnorm beruht (Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes) und weder in formeller noch in materieller Hinsicht gegen das Gesetz verstößt (Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes). Die folgenden Ausführungen sollen sich beschränken auf die materiell-rechtlichen Anforderungen, denen der Beschluß genügen muß. Denn die Fragen der gesetzlichen Ermächtigung sowie der formellen Rechtmäßigkeit sind für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs irrelevant; bezüglich des letztgenannten Aspektes kann zudem auf die obigen Ausführungen zur Eingrenzung der Folgen formeller Fehler im Fachplanungsrecht verwiesen werden3. Das (Fach-)Planungsrecht ist geprägt vom Grundsatz der planerischen Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde. Das BVerwG formuliert dies dahingehend, daß „Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre."4 Diese Gestaltungsfreiheit ist aber aus rechtsstaatlichen Gründen bestimmten materiell-rechtlichen Schranken unterworfen: So bedarf ein Planfeststellungsbeschluß erstens der Planrechtfertigung; er darf zweitens nicht gegen Planungsleitsätze verstoßen und muß drittens dem Gebot planerischer Abwägung genügen. Diese Dreiteilung der materiell-rechtlichen Anforderungen an einen Planfeststellungsbeschluß ist mittlerweile weitgehend anerkannt, wobei allerdings fast alle 3
Dazu s.o. im 2. Kapitel unter I. Grundlegend für das Bauplanungsrecht: BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 - , BVerwGE 34, 301/304; für das Fachplanungsrecht: BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/59. 4
1. Rechtmäßigkeitskriterien des Fachplanungsrechts
159
Einzelheiten umstritten sind. Hierauf soll aber nur dort eingegangen werden, wo der vorliegende Untersuchungsgegenstand es erfordert 5. Jedes planfestzustellende Vorhaben bedarf einer Planrechtfertigung. Diese liegt vor, wenn es gemessen an den Zielen des jeweiligen Fachplanungsgesetzes „vernünftigerweise geboten" und damit grundsätzlich in der Lage ist, seiner Verwirklichung entgegenstehende Rechtspositionen, insbesondere die betroffener Eigentümer, zu überwinden6. Angesichts der Weite dieser Formel erstaunt es nicht, daß die Planrechtfertigung kein effektives materielles Rechtsmäßigkeitskriterium im Fachplanungsrecht darstellt und im Ergebnis eine Planfeststellung hieran praktisch kaum zu scheitern vermag7. Weiterhin muß die Planfeststellungsbehörde Planungsleitsätze beachten. Hierunter fallen solche rechtlichen Bestimmungen, die im Rahmen der Abwägung nicht überwunden werden können, sondern von der Planfeststellungsbehörde strikte Beachtung erfordern 8. Einen solchen Planungsleitsatz enthält etwa § 1 Absatz 3 Satz 1 FStrG, der zwingend vorschreibt, daß Autobahnen keine höhengleichen Kreuzungen haben dürfen. Bei dieser materiell-rechtlichen Planungsschranke handelt es sich aber nicht um eine Besonderheit des Fachplanungsrechts, sondern letztlich um eine Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von der Gesetzesbindung der Verwaltung. Die Bedeutung von Planungsleitsätzen gerade als fachplanungsrechtliche Kategorie ist damit ebenfalls gering9. Insofern kommt dem dritten materiellen Rechtsmäßigkeitskriterium des (Fach-)Planungsrechts maßgebliches Gewicht zu, nämlich dem Abwägungsgebot. Dieses verlangt, daß alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind10. Diese 5
Vgl. hierzu und zum folgenden statt vieler Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 128 ff.; Steinberg, Fachplanung, § 4 Rdnr. 1 ff. 6 Grundlegend für das Bauplanungsrecht: BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 - , BVerwGE 34, 301/305; für das Fachplanungsrecht: BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/60 ff.; seitdem ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56, 110/118 f.; BVerwG, Urteil vom 22. März 1985-4 C 15.83 - , BVerwGE 71, 166/168. In neuerer Zeit läßt sich zumindest teilweise eine vorsichtige Abkehr des BVerwG von der Kategorie „Planrechtfertigung" im Fachplanungsrecht feststellen: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 09. März 1990 - 7 C 21.89 - , BVerwGE 85,44/51. 7 Kritisch daher zur dogmatischen Tragfähigkeit dieses Topos etwa Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 166; Paetow, FS Sendler, S. 425/430 (m.w.N. dort in FN 33). 8 BVerwG, Urteil vom 22. März 1985-4 C 73.82 - , BVerwGE 71, 163/165. 9 So auch Steinberg, Fachplanung, § 4 Rdnr. 41. 10 BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/63.
160
6. Kap., I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses
sehr weite Formel hat das BVerwG zunächst fur das Bauplanungsrecht in zweifacher Hinsicht konturiert und dies anschließend auf das Fachplanungsrecht übertragen: Zum einen handelt es sich um die bereits dargestellte Aufteilung des Abwägungsgebots in die Elemente des Abwägungsvorgangs und des Abwägungsergebnisses1 und zum anderen um die Herausarbeitung bestimmter Typen von Verstößen gegen das Abwägungsgebot, die bei jeweils beiden Bestandteilen Geltung beanspruchen. Hiernach ist ein Planfeststellungsbeschluß mit dem Abwägungsgebot unvereinbar, wenn erstens eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat („Abwägungsausfall"); wenn zweitens zwar eine Abwägung stattgefunden hat, in sie aber nicht alle Belange eingestellt wurden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen („Abwägungsdefizit"); wenn drittens die Bedeutung der betroffenen öffentlichen oder privaten Belange verkannt wurde („Abwägungsfehleinschätzung"); und wenn viertens der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen oder privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht („Abwägungsdisproportionalität") 12. Eine Abwägung, die diese Fehler vermeidet, ist rechtmäßig. Innerhalb der so gesteckten Schranken wird das Abwägungsgebot also insbesondere dadurch nicht verletzt, daß die Planfeststellungsbehörde bei einer Kollision verschiedener Belange dem einen den Vorrang im Verhältnis zum anderen einräumt, diesen also gegenüber jenem hintanstellt. Denn gerade dies macht den materiellen Kern planerischer Gestaltungsfreiheit aus.
2. Klassifizierung des Fehlers der Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen
Ein Planfeststellungsbeschluß, in dem erforderliche Schutzmaßnahmen nicht angeordnet werden, ist abwägungsfehlerhaft. Denn bei § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG bzw. den entsprechenden Normen des jeweiligen Fachrechts handelt es
11
Dazu s.o. im 2. Kapitel unter II 1. Grundlegend BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - IV C 105.66 - , BVerwGE 34, 301/309 (Bauplanungsrecht); BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/63 f. (Fachplanungsrecht). Die terminologische Bezeichnung der Fehlertypen geht zurück auf Hoppe, BauR 1970,15/17; sie hat sich weitgehend durchgesetzt, so daß an ihr im folgenden festgehalten werden soll. 12
2. Klassifizierung des Fehlers der Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen
161
sich um eine spezifische Ausprägung des Abwägungsgebots13. Dies ergibt sich notwendig aus der Funktion der Schutzmaßnahmevorschriften im Rahmen der zweistufigen Behandlung der Belange eines mittelbar vom Planfeststellungsbeschluß Betroffenen: Hat die Planfeststellungsbehörde dessen Belange auf der ersten Stufe ihrer Bewältigung gegenüber den für das Vorhaben sprechenden Erwägungen hintangestellt und wird der Betroffene hierdurch Beeinträchtigungen ausgesetzt, die ihm ohne Ausgleich nicht zuzumuten sind, so muß nunmehr auf einer zweiten Stufe zur Verhinderung dieser Beeinträchtigung bzw. zu ihrer Absenkung zumindest unter die Zumutbarkeitsschwelle eine Schutzmaßnahme angeordnet werden14. Diese Anordnung stellt keinen Selbstzweck dar, welchem ein eigenständiges Interesse des Betroffenen korrespondierte; es handelt sich vieleher um ein bloßes Mittel zur Vermeidung einer Verletzung seiner materiellen Rechtsposition, die durch die Hintanstellung seiner Belange zu entstehen droht 15. Angesichts dieser Funktionalität wäre es verfehlt, das Schutzmaßnahmegebot vom Abwägungsgebot abzukoppeln und es im Sinne eines Planungsleitsatzes zu beschreiben16: § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ähnelt zwar insofern einem Planungsleitsatz, als die Anordnung von Schutzmaßnahmen nicht im Ermessen der Planfeststellungsbehörde steht, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, die Behörde dann vieleher zu einer entsprechenden Festsetzung verpflichtet ist. Doch anders also sonst bei Planungsleitsätzen erfüllen die Schutzmaßnahmevorschriften außerhalb der planerischen Abwägung und unabhängig von der Rechtsposition des Planbetroffenen keine eigenständige Funktion, da sie erst und nur dann zum Tragen kommen, wenn es einen durch das Vorhaben hervorgerufenen Interessenkonflikt aufzulösen gilt. Diese Einordnung des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG in den Bereich des Abwägungsgebots hat mittlerweile auch der Gesetzgeber positiv festgeschrieben. Denn
13
So die ständige Rechtsprechung des BVerwG: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/26; BVerwG, Urteil vom 09. März 1979 4 C 41.75 - , BVerwGE 54, 297/303; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/260; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 69.78 - , BVerwGE 64,270/271 f.; ebenso die überwiegende Meinung im Schrifttum, so z.B. Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 30.14; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 193 f.; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 250; Paetow, FS Sendler, S. 425/438; Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 2 (m.w.N. in FN 12). 14 S.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa; zur Bedeutung der Schutzmaßnahmen fur die subjektive Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen s.u. im 8. Kapitel unter 11 c bb. 15 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter IV 1. 16 So aber etwa Mößle, BayVBl. 1982, 193/198; ähnlich Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 172 f. 11 Hildebrandt
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6. Kap., I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses
§ 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG bezeichnet die Planergänzung um Schutzmaßnahmen ausdrücklich als eine Folge erheblicher Mängel bei der Abwägung 11. Damit verstößt die Nichtanordnung gebotener Schutzmaßnahmen gegen das Abwägungsgebot18. Dieser Planungsmangel läßt sich anhand der oben skizzierten Fehlertypologie zum einen als Abwägungsdisproportionalität beschreiben. Denn die Planfeststellungsbehörde nimmt auf der zweiten Stufe der planerischen Bewältigung der Belange des mittelbar Betroffenen nicht den infolge ihrer Entscheidung auf der ersten Abwägungsstufe notwendig gewordenen Ausgleich vor, obwohl sie hierzu angesichts der objektiven Gewichtigkeit der Beeinträchtigung des Betroffenen verpflichtet gewesen wäre. Zum anderen stellt die Nichtanordnung aber auch ein Abwägungsdefizit dar. Denn die anzuordnende Schutzmaßnahme verursacht Kosten und ist deshalb ihrerseits ein Belang, welcher zumindest infinanzieller Hinsicht gegen das festzustellende Vorhaben streitet und deshalb in die Abwägung hätte miteinbezogen werden müssen19. Für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist aber lediglich die Abwägungsdisproportionalität von Bedeutung. Denn wie noch zu zeigen sein wird, tangiert allein dieser Fehler die subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen. Das gleichzeitig vorliegende Abwägungsdefizit betrifft die Kosten des Vorhabens und damit einen objektiv gegen das Vorhaben sprechenden Belang, dessen Vernachlässigung allenfalls von einem unmittelbar, nicht aber von einem mittelbar Betroffenen gerügt werden könnte20.
17
Zur Intention des Gesetzgebers, mit § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG die Rechtsprechung zum Grundsatz vom Vorrang des auf Schutzmaßnahmen gemünzten Planergänzungsanspruchs aufzugreifen, s.o. im 1. Kapitel unter IV. 18 Im Ergebnis ebenso Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 424; Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 3. 19 Ebenso Meins, BayVBl. 1979, 10/12. Vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989 - 4 C 12.87 - , BVerwGE 84, 31/47: Die Anordnung von Schutzmaßnahmen dürfe ihrerseits nicht neue Probleme auslösen, ohne daß dies in einer Gesamtabwägung berücksichtigt werden müsse; vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 Β 249.89 - , NVwZ-RR 1991, 118/125: Der in § 9 Absatz 2 LuftVG zugebilligte Anspruch auf Anordnung einer Schutzmaßnahme sei selbst ein abwägungserheblicher Belang; ähnlich BVerwG, Beschluß vom 30. Oktober 1992 - 4 A 4.92 - , Buchholz 406.401 § 8 BNatSchG Nr. 13, S. 38. 20 Zur subjektiven Rechtsposition des unmittelbar Betroffenen s.u. unter II 4; zur beschränkten Reichweite des subjektiven Rechts auf Abwägung eines mittelbar Betroffenen s.u. im 8. Kapitel unter 11 c aa (1).
3. Fehlerfolge
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3. Fehlerfolge
Vornehmlich in der älteren Rechtsprechung finden sich vereinzelt Judikate, die sich so verstehen lassen, daß der gegen einen hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachte Aufhebungsanspruch bereits tatbestandlich nicht gegeben sei, weil das Fehlen der Schutzmaßnahme auf die Rechtmäßigkeit des Beschlusses selbst keinen Einfluß habe: Schutzmaßnahmen müßten zwar im Planfeststellungsbeschluß angeordnet werden, seien aber nicht dessen integrierender Bestandteil. Vieleher träten sie zur eigentlichen Planfeststellung als eine von dieser gesonderte Leistungsverpflichtung hinzu21. Diese Ansicht kann nicht überzeugen. Sie vernachlässigt den für das gesamte Planungsrecht maßgeblichen Grundsatz der Problem- bzw. Konfliktbewältigung: Hiernach müssen im Planfeststellungsbeschluß selbst alle durch die Planung aufgeworfenen bzw. von ihr vorgefundenen Probleme und Konflikte endgültig und abschließend geregelt werden. Denn das Wesen der Fachplanung besteht gerade in der Zulassung eines Vorhabens, welches angesichts seines intensiven Bodenverbrauchs und emittierenden Betriebs geeignet ist, in erhöhtem Maße Nutzungsund sonstige Interessenkonflikte zu verursachen. Diese Zulassung kann nur durch eine einheitliche Entscheidung erfolgen, die nicht nur zu einer möglichst optimalen Verwirklichung der gesetzlich vorgebenen Planungsaufgabe, sondern auch zu einer abschließenden Regelung und Schlichtung aller hiermit verbundenen Konflikte führt. Der Grundsatz der Konfliktbewältigung durch eine einheitliche und umfassende Planungsentscheidung ist insofern der eigentliche Grund, daß die gravierende Präklusionsregel des § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG rechtlich Bestand haben kann22.
21
BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 - IV C 21.69 - , BVerwGE 41, 178/180 f.; dem folgend VG Regensburg, Urteil vom 29. Mai 1978 - N r . R/N 62 V 78 - , BayVBl. 1978, 643/644: Eine unterlassene Schutzmaßnahme könne die objektive Rechtmäßigkeit des Plans nicht in Frage stellen. In Anlehnung an die genannte Entscheidung des BVerwG auch Sodan in Sodan / Ziekow, VwGO, § 42 Rdnr. 275; ähnlich Bichel, NJW 1979,71. 22 Zum Grundsatz der Konfliktbewältigung im Fachplanungsrecht vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1973 - I V C 50.71 - , BVerwGE 44,235/240; BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975- IV C 21.74-, BVerwGE 48,56/68 f.; BVerwG, Urteil vom 08. Oktober 1976 - V I I C 24.73 - , Buchholz 442.01 § 28 PBefG Nr. 3, S. 5; BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a.-, BVerwGE 56,110/116; BVerwG, Urteil vom 09. März 1979-4 C 41.75 - , BVerwGE 57,297/299 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 - 4 C 68.78 - , BVerwGE
164
6. Kap., I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses
Ein Planfeststellungsbeschluß, der diesen Anforderungen nicht genügt, ist grundsätzlich rechtswidrig. Hiervon bestehen lediglich enge Ausnahmen, etwa die Möglichkeit eines Entscheidungsvorbehalts gemäß § 74 Absatz 3 V w V f G 2 3 oder das Institut der abschnittsweisen Planfeststellung 24. Für die Anordnung von Schutzmaßnahmen gilt eine solche Ausnahme nicht. Sie stellen gerade ein wesentliches Mittel zur Bewältigung der durch das Vorhaben hervorgerufenen Probleme dar. Unterbleibt ihre Anordnung, so erfüllt der Planfeststellungsbeschluß nicht alle gesetzlich an ihn gestellten Anforderungen: Zumindest im Verhältnis
61, 307/311; BVerwG, Beschluß vom 17. Dezember 1985 - Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 10, S. 10; BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1989-4 C 12.87-, BVerwGE 84,31/47; BVerwG, Beschluß vom 26. November 1991 - I C 16.89 - , UPR 1992, 154 f.; BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/903. Aus der Literatur hierzu Berkemann, DVB1. 1986, 768/770; Groh, Konfliktbewältigung, S. 37 ff. (mit Schwerpunkt für das Bauplanungsrecht); Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 239 ff.; Meins, BayVBl. 1979, 10/12; Mößle, BayVBl. 1982, 193/197; Roeser, FS Schlichter, S. 479/480; kritisch zu einer Überdehnung der „Konfliktbewältigung" als einer rechtlichen Kategorie Sendler, WiVerw 1985,211 ff. 23 Zum Entscheidungsvorbehalt vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1973 — IV C 24.71 - , Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 2, S. 8 f.; BVerwG, Urteil vom 09. März 1979 4 C 41.95 - , BVerwGE 57,297/302; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 - 4 C 68.78 - , BVerwGE 61, 307/311; BVerwG, Beschluß vom 17. Dezember 1985 - 4 Β 214.85 - , Buchholz 445.4 §31 WHG Nr. 10, S. 10 ff.; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987-4 C 49.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 71, S. 26 f.; BVerwG, Beschluß vom 26. November 1991 - 7 C 16.89-, UPR 1992,154/155; BVerwG, Beschluß vom 30. August 1994-4 Β 105.94-, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 31, S. 10; BVerwG, Beschluß vom 15. September 1995 - 11 VR 16.95 - , NVwZ 1996, 396/399; BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1996 - 4 C 29.94 - , DVB1. 1997,708/713 f. Aus der Literatur vgl. hierzu Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 226 f.; Roeser, FS Schlichter, S. 479/482 ff., insbesondere 488 ff. 24 Zur Abschnittsbildung vgl. BVerwG, Beschluß von 22. März 1973 - I V B 158.72-, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 12, S. 34; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 - 4 C 5.78 - , BVerwGE 62,342/353 f.; BVerwG, Beschluß vom 13. Januar 1989-4 Β 249.88-, BA, S. 4 f. (in Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 81 insoweit nicht abgedruckt); BVerwG, Beschluß vom 26. Juni 1992 - 4 Β 1-11.92 - , NVwZ 1993, 572/573; BVerwG Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/166; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/897 (zu den Besonderheiten der Abschnittsbildung bei der eisenbahnrechtlichen Planfeststellung); BVerwG, Beschluß vom 02. Februar 1996 - 4 A 42.95 - , NVwZ 1996, 905/906; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996-4 A 27.95-NVwZ 1996,1011/1015; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - , BVerwGE 100, 388/392 f.; weiterhin VGH München, Beschluß vom 20. Februar 1979 - 8 Cs 209/79 - , DÖV 1979, 52; VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 - , UA, S. 61 f. (der Abdruck in DVB1. 1994, 1178 ist insoweit unvollständig). Aus der Literatur vgl. hierzu Gegner, Die abschnittsweise Planfeststellung; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 228 und 531; Roeser, FS Schlichter, S. 479/490 ff.
3. Fehlerfolge
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zum Betroffenen bleibt ein Nutzungs- und Interessenkonflikt unbewältigt, da die Planfeststellungsbehörde dessen Belange gegenüber den für das Vorhaben sprechenden Erwägungen zurückgestellt und dadurch seine materielle Rechtsposition, insbesondere Eigentum und körperliche Unversehrtheit, einer unzumutbaren Beeinträchtigung ausgesetzt hat. Insofern besteht zwischen „eigentlicher" Planfeststellung des Vorhabens und der Anordnung von Schutzmaßnahmen eine rechtliche Konnexität: Die Entscheidung über das „ob" der Vorhabenrealisierung kann nicht von der über das „wie" getrennt werden; erst beide Aspekte gemeinsam ergeben eine ausgewogene Planfeststellung. Der eine Teil könnte dabei ohne den anderen nicht sinnvoll bestehen, so daß beide zusammen notwendige Elemente eines rechtmäßigen Planfeststellungsbeschlusses sind. Dieser Grundsatz der rechtlichen Einheit von der Feststellung des Vorhabens einerseits und der Anordnung von Schutzmaßnahmen im Planfeststellungsbeschluß andererseits findet seine Bestätigung in einem Vergleich zwischen § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG und § 14 Satz 1,2. Halbsatz BImSchG: Die erstgenannte Vorschrift schließt ab Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses sämtliche diesen betreffenden Ansprüche aus, also auch solche auf Ergänzung um Schutzmaßnahmen. Im Gegensatz dazu sperrt gemäß § 14 Satz 1,2. Halbsatz BImSchG die Bestandskraft der immissionschutzrechtlichen Genehmigung solche Ergänzungsansprüche nicht. Aus diesem Unterschied läßt sich folgern, daß § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG nicht nur die Entscheidung über die Zulassung des Vorhabens, sondern auch die über die Anordnung von Schutzmaßnahmen als konstitutiven Bestandteil eines Planfeststellungsbeschlusses behandelt. Das Fehlen erforderlicher Schutzmaßnahmen führt damit zur objektiven Rechtswidrigkeit des gesamten Planfeststellungsbeschlusses25. Vor diesem Hintergrund ist es konsequent, wenn das BVerwG seine früheren Ausführungen zur rechtlichen Trennung einer Anordnung von Schutzmaßnahmen von der „eigentlichen" Planfeststellung des Vorhabens mittlerweile korrigiert hat und nunmehr auch die Ansicht vertritt, daß ein Planfeststellungsbe-
25 Im Ergebnis ebenso Bender, DVB1. 1984, 301/310; Fehn, DÖV 1987, 207/211; Hermann, Fluglärm, S. 332; Korbmacher, DÖV 1978, 589/596; wohl auch Kühling,, Fachplanungsrecht, Rdnr. 472: Die Anordnung gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG sei ein notwendiger Bestandteil eines Planfeststellungsbeschlusses; weiterhin Sieg, ZUR 1993, 61/64; Steinberg,, Fachplanung, § 5 Rdnr. 3 (m.w.N. dort in FN 17); ders., UPR 1984, 350/357 f.: Jeder Abwägungsfehler, gleich worauf er beruhe, führe wegen der planungsspezifischen Gestaltung eines Interessengeflechts zur Rechtswidrigkeit des gesamten Planfeststellungsbeschlusses.
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6. Kap., I. Objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses
schluß, der notwendige Schutzmaßnahmen nicht anordne, mangels ausreichender Konfliktbewältigung insoweit rechtswidrig sei26.
4. Ergebnis
Ein Planfeststellungsbeschluß, der eine erforderliche Schutzmaßnahme nicht anordnet, verstößt zum ersten gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG; zum zweiten gegen das Abwägungsgebot, in dem die Schutzmaßnahmevorschrift dogmatisch verankert ist; und zum dritten gegen die materiellen Rechte, deren Beeinträchtigung durch die Anordnung einer Schutzmaßnahme gerade ausgeschlossen werden sollte: Denn wie sich aus dem Wortlaut des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ergibt, dient die Norm der „Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte" des mittelbar Betroffenen. Hierbei handelt es sich um die absoluten (Grund-)Rechte des Betroffenen, insbesondere sein Eigentum (Artikel 14 GG) und seine körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG)27. Wie oben bereits angedeutet wurde 28, ist dieser letztgenannte Rechtsverstoß der eigentlich maßgebliche, verfolgt doch gerade § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG keinen Selbstzweck, sondern dient allein dem Schutz der materiellen (Grund-)Rechtsposition des Betroffenen. Diese objektive Rechtswidrigkeit „infiziert" grundsätzlich den gesamten Planfeststellungsbeschluß. Denn die Anordnung einer Schutzmaßnahme ist insofern ein konstitutiver Bestandteil der Planfeststellung, als ohne sie deren Ziel einer umfassenden Konfliktbewältigung nicht erreicht werden kann. Es besteht zwischen den einzelnen Festsetzungen im verfugenden Teil des Beschlusses eine rechtliche Konnexität, als sie nur in ihrer Gesamtheit zu einer ausgewogenen und damit den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Planungsentscheidung fuhren. Der Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs läßt sich in der vorliegenden Kon26 Ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 14. September 1992 - 4 C 34-38.89 - , BVerwGE 91,17/19 f.; in diesem Sinne bereits zuvor BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1978 IV C 21.74 - , BVerGE 48, 56/70; BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/21 f.; BVerwG, Urteil vom 14. April 1978 - 4 C 68.76 - , DVB1. 1978, 618/621; BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56,110/132 f.; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1981 - 4 C 68.79 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 39, S. 21 f.; BVerwG, Urteil vom 06. November 1981 - 4 C 14.78 - , Buchholz § 17 FStrG Nr. 44, S. 33 f.; BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 - 4 C 63.80 - , BVerwGE 71, 150/ 161; ebenso VGH Mannheim, Beschluß vom 22. Februar 1972 - V 1167/70 - , DÖV 1972, 642. 27 Hierzu s.o. im 3. Kapitel unter IV 1 sowie ausfuhrlich im 8. Kapitel unter I. 28 S.o. im 3. Kapitel unter IV 1.
1. Verstoß gegen ein subjektives Recht
167
stellation also nicht mit der fehlenden objektiven Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses begründen.
I I . Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, der von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffene werde nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt, wenn eine nachträgliche Ergänzung um die erforderlichen Schutzmaßnahmen möglich sei, so daß der Planaufhebungsanspruch aus diesem Grunde scheitere29. Im folgenden wird kurz zu zeigen sein, daß auch dieser Erklärungsansatz den Ausschluß des Planaufhebunganspruchs in der vorliegenden Konstellation nicht zu tragen vermag. Denn die oben beschriebene objektive Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses basiert auf dem Verstoß gegen Normen, die gerade auch dem Schutz der Interessen des mittelbar Betroffenen zu dienen bestimmt sind, diesem also ein subjektiv öffentliches Recht einräumen (dazu unter 1). Weiterhin liegt der für eine Rechtsverletzung erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Rechtsfehler und subjektiver Rechtsposition des Betroffenen vor (dazu unter 2).
1. Verstoß gegen ein subjektives Recht
Die pflichtwidrige Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen verstößt zunächst gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG. Bei dieser Norm handelt es sich unter Zugrundelegung der Schutznormtheorie um ein subjektiv-öffentliches Recht des
29 VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 3 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insofern unvollständig): Der Kläger könne die Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses nicht begehren, weil dieser ihn nicht in seinen Rechten verletze; VGH München, Urteil vom 20. Juli 1994 - 20 A 92.40087 u.a. - , BayVBl. 1995,497: Die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß sei unbegründet, da er die Kläger nicht in ihren Rechten verletze; VGH Mannheim, Gerichtsbescheid vom 17. September 1993 - 8 S 846/93 - , NVwZ-RR 1994,197: Das Fehlen einer Schutzmaßnahme verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten (für den Fall einer hinsichtlich erforderlicher Schutzmaßnahmen unvollständigen luftverkehrsrechtlichen Genehmigung, den das Gericht aber ausdrücklich wie den eines unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses behandelt.). Sämtliche Entscheidungen enthalten allerdings keine Begründung der genannten Aussagen.
168
6. Kap., II. Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen
mittelbar Betroffenen 30. Denn sie verpflichtet die Planfeststellungsbehörde zur Anordnung von Schutzmaßnahmen zwecks Vermeidung unzumutbarer Auswirkungen durch das planfestzustellende Vorhaben nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern auch und gerade im Interesse des von einer solcher Maßnahme Begünstigten. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift, wonach die fraglichen Festsetzungen der „Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte" des Betroffenen dienen. Weiterhin liegt in der vorliegenden Konstellation ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot vor. Dieses ist normativ verankert in der jeweiligen fachplanungsrechtlichen Vorschrift, welche für die Zulassung bestimmter Vorhaben die Handlungsform der Planfeststellung anordnet. Dabei ist das Abwägungsgebot entweder ausdrücklich erwähnt (z.B. in § 17 Absatz 1 Satz 2 FStrG) oder ergibt sich konkludent aus dem Wesen der Planung. Denn notwendiges Element des materiellen Planungsbegriffs ist die Abwägung aller von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange31. Auch das Abwägungsgebot dient nicht nur dem öffentlichen Interesse an der Erzeugung einer im objektiven Sinne ausgewogenen und gerechten Planungsentscheidung, sondern zumindest auch dem Schutz der Interessen der von der Planung Betroffenen. Insofern ist ein subjektivöffentliches Recht des Planungsbetroffenen auf gerechte Abwägung, zumindest soweit diese ihn selbst betrifft, im Fachplanungsrecht heute allgemein anerkannt32. 30
Allgemeine Meinung: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 49.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 71, S. 25; BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 4 C 18.88 - , NVwZ 1990, 1165; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992-4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478 (jeweils für die entsprechende Regelung des § 17 Absatz 4 FStrG a.F.); ebenso z.B. Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 90; Johlen, DÖV 1989, 204/205; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 420; Mößle, BayVBl. 1982, 231/233; Steinberg, FS Schlichter, S. 599/602 f. 31 Dazu, daß das Abwägungsgebot generell für alle Planfeststellungen gilt, unabhängig von seiner gesetzlichen Positivierung: BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979-4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/257 f.; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1981 - 4 C 4.78 - , BVerwGE 61, 295/301; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 69.78 - , BVerwGE 64,270/272 f.; Dürr, VB1BW 1990, 321/323; Wahl, NVwZ 1990,426/427. 32 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/66; seitdem ständige Rechtsprechung: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 IV C 51.75 - , BVerwGE 54,211/218; BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978 - 4 C 79.76 u.a. - , BVerwGE 56, 110/123; BVerwG, Urteil vom 04. März 1983 - 4 C 74.80 - , NVwZ 1983, 672; BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 - 4 C 80.79 - , BVerwGE 67, 74/75; BVerwG, Urteil vom 11. November 1983 - 4 C 82.80 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 55, S. 51; BVerwG, Urteil vom 04. Mai 1988 - 4 C 2.85 - , Buchholz 407.57 Nr. 1, S. 4; BVerwG, Urteil vom 14. April 1989-4 C 31.88-, BVerwGE 82, 17/18; BVerwG, Urteil
2. Rechtswidrigkeitszusammenhang
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Schließlich und-bezogen auf das materielle Begehren desjenigen, der sich gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß wendet-vor allem verstößt ein Planfeststellungsbeschluß, der erforderliche Schutzmaßnahmen nicht enthält, gegen die „Rechte" im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, also gegen die absoluten (Grund-)Rechte des mittelbar Betroffenen. Konkret bedeutet dies, daß der Planfeststellungsbeschluß in dieser Konstellation eine unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 GG), eine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) und bzw. oder der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) bewirkt 33. Auch bei diesen Rechten handelt es sich um subjektivöffentliche Rechte.
2. Rechtswidrigkeitszusammenhang
Der fur eine subjektive Rechtsverletzung konstitutive Rechtswidrigkeitszusammenhang, also die Kausalbeziehung zwischen Rechtsmangel und der materiellen Rechtsposition des von ihm Betroffenen, ist in der vorliegenden Konstellation gegeben: Denn bei Vermeidung des Fehlers hätte die Planfeststellungsbehörde die erforderlichen Schutzmaßnahmen angeordnet. Hierdurch wäre eine Beeinträchtigung der durch § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG geschützten absoluten vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89 - , BVerwGE 87, 332/342; BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1992 - 7 C 11.91 - , BVerwGE 90,42/49 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/479; BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996 - 4 C 5.95 - , NVwZ 1996, 788; BVerwG, Beschluß vom 15. Mai 1996 - 11 VR 3.96 - , DVB1. 1996, 925/928; BVerwG, Beschluß vom 11. November 1996 - 11 Β 65.96 - , NVwZ 1997, 394; vgl. auch VGH München, Urteil vom 22. Februar 1978 - 140 VIII 76 - , DÖV 1978, 766/ 767; VGH München, Beschluß vom 16. April 1981 - 20 Cs 80 D.61 - , BayVBl. 1981, 401/404; VGH München, Urteil vom 11. August 1987 - 20 Β 86.02982 - , BayVBl. 1988, 147; VGH München, Urteil vom 19. September 1989 - 8 Β 88.250 - , NVwZ 1990, 377; VGH München, Urteil vom 03. Oktober 1989 - 8 Β 86.3162 u.a. - , BayVBl. 1990, 148/ 149; VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 12 (der Abdruck in UPR 1993, 235 ist insoweit unvollständig.); VGH Mannheim, Beschluß vom 08. Dezember 1994 - 10 S 1305/94 - , NVwZ 1996, 281/282; OVG Koblenz, Urteil vom 29. Dezember 1994 - 1 C 10893/92 - , UA, S. 21 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht). Ebenso z.B. Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 170; Korbmacher, DÖV 1978, 589/596; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 438 f.; Ramsauer, DÖV 1981, 37/39 ff.; Steinberg, FS Schlichter, S. 599/602 f. Inhalt und Reichweite des subjektiven Rechts auf Abwägung werden im 8. Kapitel (unter 11 c aa [1]) dargestellt. 33 Zu den Grundrechtspositionen des mittelbar Betroffenen sowie ihrem Verhältnis zum subjektiven Recht auf Abwägung und dem auf Anordnung von Schutzmaßnahmen s.u. im 8. Kapitel unter 11.
170
6. Kap., II. Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen
(Grund-)Rechte vermieden bzw. unter die rechtlich relevante Zumutbarkeitsschwelle gesenkt worden; insbesondere bewegte sich dann die durch den Planfeststellungsbeschluß konkretisierte Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen (Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG) und erfolgte kein Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) bzw. in die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG). § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG als hier verletzte Rechtsnorm stellt insofern - um die Formulierung von Schwabe wieder aufzugreifen 34-eine Barriere gerade gegen den durch den Rechtsverstoß erfolgten Zugriff auf die (Grund-)Rechtssphäre des Betroffenen dar, ist also konkret um deren Integrität willen errichtet worden.
3. Ergebnis
Die Ansicht, daß in der vorliegenden Konstellation der unvollständige Planfeststellungsbeschluß den Betroffenen nicht in seinen subjektiven Rechten verletze, überzeugt nicht. Sie kann auch nicht mit der Möglichkeit einer Planergänzung begründet werden, wenn der Mangel die Gesamtkonzeption der Planung nicht berühre. Denn die subjektive Rechtsverletzung entfällt nicht schon durch eine eventuell später erfolgende Heilung des Fehlers: Es wurde bereits daraufhingewiesen, daß es sich bei dem Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs um eine atypische - man könnte auch sagen: „unechte" - Heilungsregel handelt. Denn sie führt nicht zu einer Beseitigung der subjektiven Rechtsverletzung, sondern bewirkt den Ausschluß des Aufhebungsanspruchs schon bei der bloßen Möglichkeit zur Planergänzung35. Eine solche beseitigt aber noch nicht einen konkret bestehenden Rechtsverstoß. Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei nochmals daraufhingewiesen, daß es hier zunächst nur um das Problem ging, ob ein Planfeststellungsbeschluß, der erforderliche Schutzmaßnahmen nicht enthält, überhaupt zu einer subjektiven Rechtsverletzung führt. Dies - und nur dies - wurde hier untersucht und bejaht. Hiervon unberührt bleibt die Frage, wie diese verletzte Rechtsposition ausgestaltet ist, insbesondere welcher Maßnahmen es zu ihrer Wiederherstellung bedarf. Hierauf soll im Rahmen der „Rechtsfolgenlösung" eingegangen werden36.
34 35 36
Schwabe, DVB1. 1984, 140/142; dazu s.o. im 5. Kapitel unter II 2 b. Dazu s.o. im 2. Kapitel unter III. Dazu s.u. im 8. Kapitel.
4. Exkurs: Planaufhebungsanspruch eines unmittelbar Betroffenen
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4. Exkurs: Planaufhebungsanspruch eines unmittelbar Betroffenen
Hinsichtlich unvollständiger Planfeststellungsbeschlüsse läßt sich zwischen „subjektiver" und „objektiver" Planergänzung unterscheiden: Die erstgenannte Alternative bezieht sich auf den mittelbar Betroffenen, zu dessen Gunsten eine gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG erforderliche Schutzmaßnahme nicht angeordnet wurde; ihre Beschreibung und dogmatische Erklärung ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die zweitgenannte Variante der Planergänzung hingegen wird relevant fur den unmittelbar, also durch den Planfeststellungsbeschluß mit enteignender Vorwirkung Betroffenen: Sie hat Festsetzungen zum Gegenstand, die entweder zugunsten eines Dritten oder aber im objektiven Interesse erforderlich wären, im konkreten Planfeststellungsbeschluß aber rechtswidrigerweise nicht getroffen worden sind37. Im folgenden soll kurz skizziert werden, auf welche Weise sich die Möglichkeit einer objektiven Planergänzung in das Gefüge des Planaufhebungsanspruchs eines unmittelbar Betroffenen einfügen läßt. Dabei wird sich zeigen, daß in diesem Falle der Anspruch bereits tatbestandlich am fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang scheitert, folglich der von einem in objektiver Hinsicht unvollständigen Planfeststellungsbeschluß Betroffene durch diesen nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Vorweg eine Anmerkung zu den Begriffen „unmittelbare" und „mittelbare" Betroffenheit: Unter der erstgenannten versteht man üblicherweise die enteignende Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses für einen Eigentümer, dessen Grundstück zur Realisierung des Vorhabens benötigt wird; „Vorwirkung" deshalb, weil der Planfeststellungsbeschluß selbst noch nicht zu einem Eigentumsentzug führt, sondern dieser erst durch ein der Planfeststellung nachfolgendes Enteignungsverfahren nach den Enteignungsgesetzen der Länder eintritt, für welches aber der Planfeststellungsbeschluß hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Enteignung bindend ist 38 . Mit der zweitgenannten, „mittelbaren" Beeinträchtigung werden Fälle erfaßt, in denen der Planfeststellungsbeschluß keine solche enteignende (Vor-)Wirkung entfaltet, sondern die Belastung des Betroffenen eine Folge der zugelassenen Planung und der mit ihr verbundenen Situationsveränderung in der Umgebung des Vorhabens darstellt39. Es wurde eingangs bereits daraufhingewiesen, daß diese Terminologie nicht ganz korrekt ist: In beiden Fällen führt der Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses unmittelbar 37 38 39
Dazu s.o. im 2. Kapitel unter II 2. Vgl. z.B. § 19 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 FStrG. Zu dieser Abgrenzung s.o. im 1. Kapitel unter I.
172
6. Kap., II. Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen
zu einer Beeinträchtigung des Betroffenen, weil diese direkt der Planfeststellungsbehörde zugerechnet werden kann, ohne daß es hierzu eines „vermittelnden" Handelns Dritter bedürfte. Also auch die hier als „mittelbar" bezeichnete Beeinträchtigung, etwa die Planfeststellung eines emittierenden Vorhabens, bewirkt einen unmittelbaren Eingriff des Staates; denn mit Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses werden gemäß § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG sämtliche diesbezüglichen Abwehrrechte ausgeschlossen und dem Betroffenen entsprechende Duldungspflichten auferlegt 40. Ein tragfahiges Kriterium zur Abgrenzung zwischen „mittelbarer" und „unmittelbarer" Beeinträchtigung durch einen Planfeststellungsbeschluß liefert daher nicht die Unmittelbarkeit, wohl aber die Finalität des Zugriffs auf die Rechtsposition des Betroffenen. Hierbei handelt es sich um ein konstitutives Merkmal der Enteignung im Sinne des Artikel 14 Absatz 3 GG: Nur wenn der staatliche Zugriff gezielt Vermögenswerte Rechte entzieht, weil diese für einen konkreten Gemeinwohlzweck benötigt werden, kann von einer Enteignung im Rechtssinne gesprochen werden41. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Planfeststellungsbeschluß eine enteignungsrechtliche Vorwirkung entfaltet; denn Ziel der Planfeststellung ist unter anderem die Ermöglichung eines dem Gemeinwohl dienenden Vorhabens. Bezogen auf Sinn und Zweck des jeweiligen Fachgesetzes erfolgt der Zugriff auf hierfür benötigte Grundstücke daher final. Hiervon sind sonstige Beeinträchtigungen zu unterscheiden, die etwa durch die Zulassung eines emittierenden Vorhabens für dessen Nachbarschaft entstehen. Dieser Eingriff stellt nicht das gesetzlich vorgegebene Ziel der Planfeststellung dar. Hieran vermag auch § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG nichts zu ändern: Auch der Ausschluß gegen nicht-finale Eingriffe gerichteter Abwehransprüche mit Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses ist kein originäres Ziel planender Verwaltung,
40
Auf die unmittelbare Zurechnung belastender Auswirkungen des planfestgestellten Vorhabens an den Staat über § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG wurde bereits im 3. Kapitel unter III hingewiesen. Vgl. hierzu weiterhin Steinberg / Lubberger, Aufopferung — Enteignung und Staatshaftung, S. 120 f. mit Hinweis auf BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988-1 BvR 1301/84 - , BVerfGE 79,174/188 f.; ähnlich BGH, Urteil vom 20. März 1975 - III ZR 215/71 - , BGHZ 64, 220/222 (m.w.N.), sowie BGH, Urteil vom 23. Oktober 1986 - III ZR 112/85 - , NVwZ 1989,285. 41 Dazu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b bb; vgl. weiterhin Bryde in von Münch / Kunig, GG, Art. 14 Rdnr. 58; Steinberg / Lubberger, Aufopferung - Enteignung und Staatshaftung, S. 121; Wendt in Sachs, GG, Art. 14 Rdnr. 78.
4. Exkurs: Planaufhebungsanspruch eines unmittelbar B e t r o f f e n e n 1 7 3 sondern dient allein deren Absicherung fur die Zukunft 4 2 . Dogmatisch sauber wäre es also, begrifflich zwischen „finalen" bzw. „enteignenden" einerseits und „sonstigen" bzw. „nicht-enteignenden" Eingriffen andererseits zu trennen 43 . Wenn in der vorliegenden Untersuchung stattdessen weiterhin die finalen Eingriffe als „unmittelbar" und die sonstigen als „mittelbar" bezeichnet werden, so soll damit allein der Klarheit halber an die insofern das Fachplanungsrecht beherrschende Terminologie angeknüpft werden. Der unmittelbar Betroffene hat im Fachplanungsrecht einer stärkere Rechtsposition als der „bloß" mittelbar Beeinträchtigte: Anders als dieser ist er nicht auf die Geltendmachung der Verletzung ihn begünstigender (Schutz-)Normen beschränkt, sondern kann in umfassender Weise die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zur Überprüfung stellen 44 . Dies ergibt sich aus Artikel 14 Absatz 3 Satz 1 GG, wonach eine Enteignung nur zum „Wohle der Allgemeinheit" zulässig ist, was wiederum voraussetzt, daß sie in jedweder Hinsicht der Rechtsordnung entspricht. Denn eine rechtswidrige Enteignung kann grundsätzlich nicht dem Allgemeinwohl dienen 45 . 42 Auf die Finalität der Beeinträchtigung als Abgrenzungskriterium stellen in diesem Sinne ebenfalls ab: Korbmacher, DÖV 1982, 517/519 ff.; Steinberg,, Fachplanung, § 2 Rdnr. 32 (m.w.N. dort in FN 51); Steinberg / Lubberger, Aufopferung — Enteignung und Staatshaftung, S. 121 f.; ähnlich Erichsen in Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, § 152 Rdnr. 82 (m.w.N. in FN 249); Ramsauer, NuR 1990, 349/354; A. Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, S. 277 ff.; Nüßgens / Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 251: Insoweit der Planfeststellungsbeschluß Immissionen zulasse, sei er nicht auf eine Eigentumsentziehung gerichtet. Im Ergebnis wie hier, wenn auch mit etwas anderer Begründung Johlen, FS Geizer, S. 65/66: Die durch § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG gesperrten Abwehrrechte stellten keine hinreichend rechtlich verselbständigten und herauslösbaren Teile des Grundeigentums dar, um Gegenstand einer Enteignung sein zu können. Auch das BVerfG klammert den gesetzlichen Ausschluß von Abwehrrechten gegen Immissionen von hoher Hand aus dem Bereich des Artikel 14 Absatz 3 GG aus: BVerfG, Beschluß vom 12. März 1986-1 BvL 81/79 - , BVerfGE 72, 66/76 f. 43 Exakt ist deshalb die Terminologie bei Kühling, Fachplanungsrecht, der von „Enteignungsbetroffenen" (Rdnr. 387 ff.) und „sonstigen Betroffenen" (Rdnr. 419 ff.) spricht. 44 Zur Reichweite und näheren Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition des mittelbar Betroffenen s.u. im 8. Kapitel unter 11. 45 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 18. März 1983-4 C 80.79-, BVerwGE 67, 74/ 76 f.; seitdem ständige Rechtsprechung: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 06. März 1987 4 C 11.83 - , BVerwGE 77, 86/91; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - , BVerwGE 78, 347/354 f.; BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 Β 249.89 - , NVwZ-RR 1991, 118/127; BVerwG, Beschluß vom 31. Oktober 1990-4 C 25.90 (4 ER 302.90) - , BA, S. 15 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); BVerwG, Urteil vom 31. März 1995 - 4 A 1.93 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 99, S. 16; BVerwG, Urteil vom
174
6. Kap., II. Subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen
Ein Planfeststellungsbeschluß, der unvollständig ist, weil er erforderliche Anordnungen zugunsten eines Dritten (z.B. eine Lärmschutzmaßnahme) oder des öffentlichen Interesses (z.B. eine naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme) nicht enthält, verstößt gegen diejenige Norm, welche die unterlassene Anordnung vorschreibt: also bei Festsetzungen zugunsten Dritter etwa gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG; bei solchen zugunsten des öffentlichen Interesses etwa gegen § 8 Absatz 2 Satz 1 BNatSchG46. Er ist damit objektiv rechtswidrig. Darüber hinaus verstößt er auch automatisch gegen das den unmittelbar Betroffenen umfassend schützende subjektiv öffentliche Recht aus Artikel 14 Absatz 3 GG. Eine subjektive Rechtsverletzung tritt aber nur dann ein, wenn ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Mangel und der Rechtsposition des Betroffenen besteht, wenn also bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln die Enteignung gerade unterblieben wäre. Dies wird aber nur dann gegeben sein, wenn der Fehler die Gesamtkonzeption der Planung berührt, die Behörde bei seiner Vermeidung also das Vorhaben in anderen Dimensionen bzw. an einem anderen Ort geplant oder aber seine Realisierung gänzlich aufgegeben hätte47. Anders gewendet bedeutet dies: Es fehlt an der den Tatbestand des materiellen Aufhebungsanspruchs prägenden subjektiven Rechtsverletzung des unmittelbar Betroffenen, wenn die Planfeststellungsbehörde sich auch bei Anordnung der erforderlichen Festsetzungen für die Enteignung seines Grundstücks entschieden hätte. In diesen Fällen sind—um erneut die Formulierung Schwabes 48 aufzugreifen — die konkret verletzten Rechtsnormen gerade nicht als Barrieren gegen einen Zugriff auf das Eigentum des Betroffenen und um dessen Integrität willen errichtet worden. Im Ergebnis kann der unmittelbar Betroffene also nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses beanspruchen, wenn feststeht, daß der Fehler auf die Frage der Enteignung seines Grundstückes ohne Einfluß geblieben ist. Dies sind die Fälle, in 08. Juni 1995-4 C 4.94-BVerwGE 98,339/362; BVerwG, Beschluß vom 15. September 1995 - 1 1 VR 16.95 - , NVwZ 1996,396/399; BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1996-4 C 5.95 - , NVwZ 1996,788/789; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996-4 A 27.95 - , NVwZ 1996,1011/1012; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 26.94-, BVerwGE 100, 388/ 391; ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 15. November 1986-10 S 2401/87-, VB1BW 1989,339/340; OVG Koblenz, Urteil vom 29. Dezember 1994 - 1 C 10893/92-, UA, S. 21 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht). Diese Rechtsprechung des BVerwG hat das BVerfG gebilligt: BVerfG, Beschluß vom 09. Juni 1987 - 1 BvR 510/87 - , NVwZ 1987, 969. In der Literatur ist diese Konzeption der Rechtsposition des unmittelbar Betroffenen einhellig übernommen worden; vgl. statt vieler Jarass, FS Lukes, S. 57/59 f.; Johlen, FS Redeker, S. 487/489 (dort in FN 3); Kühling,, Fachplanungsrecht, Rdnr. 394 ff. 46 S.o. im 2. Kapitel unter II 2 b. 47 Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang s.o. im 5. Kapitel unter II 2 b; zum Topos der „Gesamtkonzeption" s.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. 48 Schwabe, DVB1. 1984, 140/142.
4. Exkurs: Planaufhebungsanspruch eines unmittelbar B e t r o f f e n e n 1 7 5
denen die Rechtsprechung von der Möglichkeit einer - hier so bezeichneten „objektiven Planergänzung" ausgeht: Die Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses fuhrt hier nicht zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, da der Mangel nicht die Gesamtkonzeption der Planung berührt 49. Der Planaufhebungsanspruch scheitert in der Konstellation der „objektiven Planergänzung" also bereits tatbestandlich. Zu einem an seine Stelle tretenden Planergänzungsanspruch, der auf nachträgliche Anordnung der zunächst unterbliebenen Festsetzungen gerichtet wäre, kann es aus zwei Gründen nicht kommen: Erstens handelt es sich bei Planergänzungsansprüchen konstruktiv um Abwehransprüche, die notwendigerweise eine subjektive Rechtsverletzung des Anspruchstellers voraussetzen50. Mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen Fehler und materieller Rechtsposition des unmittelbar Betroffenen fehlt es aber gerade an einer solchen Rechtsverletzung. Unter Hintanstellung dieser systematischen Bedenken wäre aber zweitens auch materiell-rechtlich keine Anspruchsgrundlage vorhanden, vermöge derer der unmittelbar Betroffene die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um solche Festsetzungen verlangen könnte, die letztlich nicht die ihn treffende Enteignung verhinderten, sondern diese lediglich rechtmäßig machten. Denn ein solches Begehren liefe auf einen reinen Gesetzesvollziehungsanspruch hinaus, der aber dem auf subjektiven Rechtsschutz ausgerichteten Staatshaftungsrecht grundsätzlich fremd ist 51 .
I I I . Ergebnis Die „Tatbestandslösung" ist nicht nur systematisch inkonsistent52, sondern überzeugt auch inhaltlich nicht. Denn in der vorliegenden Konstellation ist der Tatbestand des Planaufhebungsanspruchs erfüllt; Ein Planfeststellungsbeschluß, der erforderliche Schutzmaßnahmen nicht anordnet, ist objektiv rechtswidrig und bewirkt eine Verletzung der subjektiven Rechtsposition des von diesem Mangel Betroffenen.
49
Vgl. die Nachweise oben im 2. Kapitel unter II b; im Ergebnis ebenso z.B. Jarass, FS Lukes, S. 57/59 f.; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 396 und 410 ff. 50 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter IV 2. 51 S.o. im 5. Kapitel unter II 2 b. 52 Dazu s.o. im 5. Kapitel unter I.
. Kapitel
Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs durch Schranken? Wie oben bereits dargelegt, soll die Untersuchung, ob dem Planaufhebungsanspruch in der vorliegenden Konstellation Schranken entgegenstehen, auf die beiden einzigen hier zumindest theoretisch denkbaren Varianten begrenzt werden: nämlich zum einen auf die rechtliche Unmöglichkeit (dazu unter I), zum anderen auf die Unzumutbarkeit einer Anspruchserföllung durch Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses (dazu unter II). Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß beide Schranken nicht durchgreifen, der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs also seinen Rechtsgrund nicht in der hier so bezeichneten „Schrankenlösung" findet 1.
I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung: Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers? Eine „klassische" Schranke des Folgenbeseitigungsanspruchs ist die rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfullung: Der Anspruchsinhaber darf nicht die Beseitigung eines rechtswidrigen Zustands verlangen, wenn diese ihrerseits gegen das Recht verstieße. Dies wird vornehmlich in Dreiecksverhältnissen relevant, wo dem Beseitigungsbegehren des Betroffenen die subjektive Rechtsposition eines Dritten entgegensteht, welche auf Beibehaltung bzw. Gewährung des zu beseitigenden rechtswidrigen Zustands gerichtet ist: In diesen Konstellationen könnte die Rechtsposition des Anspruchsinhabers nur wieder hergestellt werden,
1 Zu den verschiedenen Schranken des Aufhebungsanspruchs s.o. im 5. Kapitel unter III; allgemein zur „Schrankenlösung" oben im 4. Kapitel unter III. 12 Hildebrandt
178
7. Kap., I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
indem die anspruchsverpflichtete Verwaltung in die Rechte eines Dritten rechtswidrig eingriffe 2.
1. Problemaufriß
Transponiert man diese allgemeinen Überlegungen auf den gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachten Aufhebungsanspruch, so wäre dieser ausgeschlossen, wenn die Beseitigung des Planfeststellungsbeschlusses rechtswidrig ist, weil und sofern ein Dritter ein schützenswertes Recht auf seinen Erlaß, mithin einen Planfeststellungsanspruch hätte. Als ein solcher Dritter käme allein der Vorhabenträger in Betracht, dessen Plan Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses ist. Ein solcher Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers setzte allerdings auf jeden Fall voraus, daß der Plan überhaupt in rechtmäßiger Weise festgestellt werden kann, ihm also keine rechtlichen Versagungsgründe im Wege stehen. Da der Planfeststellungsbeschluß in der vorliegenden Konstellation objektiv rechtswidrig ist3, könnte deshalb ein Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers nur mit der Maßgabe bestehen, daß die Planfeststellungsbehörde die rechtswidrigerweise nicht angeordneten Schutzmaßnahmen nachträglich festsetzt. Es handelte sich damit um einen insofern „modifizierten" Planfeststellungsanspruch, als er nicht den ursprünglichen Plan, sondern einen um die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergänzten zum Gegenstand hat. Die der vorliegenden Konstellation angepaßte Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung ließe sich danach wie folgt formulieren: Der Planaufhebungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn der Vorhabenträger einen Anspruch auf Feststellung des von ihm bei der Planfeststellungsbehörde eingereichten Plans hätte, sofern dieser rechtmäßig feststellbar ist bzw. seine Feststellbarkeit durch Anordnung von Schutzmaßnahmen herbeigeführt werden kann4.
2
Hierzu s.o. im 5. Kapitel unter III 2. Vgl. weiterhin statt vieler Pietzko, Der materiell-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, S. 511 ff.; Schoch, JURA 1993, 478/479 und 484 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung zu hier einschlägigen Fällen; Weyreuther, Gutachten B, S. 97 m.w.N. 3 S.o. im 6. Kapitel unter I. 4 Einen („modifizierten") Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers bejahen Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 31; Busch in Knack, VwVfG, § 74 Rdnr. 4.2.1; Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 25.32 und 25.4; Hoppe /Just, DVB1. 1997, 789/794; Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 1 und 35, § 73 Rdnr. 5; Mößle, BayVBl. 1982, 231/232; Schotthöfer, BayVBl. 1968, 342/345; neuerdings auch
2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
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Dieses Erklärungsmuster des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs würde die systematischen Schwächen der „Tatbestandslösung" vermeiden5. Anders als diese kann sie nämlich nicht nur den Ausschluß des Planaufhebungs-, sondern auch das gleichzeitige Bestehen des Planergänzungsanspruchs begründen: Die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit vermag den erstgenannten Anspruch nur dann auszuschließen, wenn der zweitgenannte Anspruch tatsächlich durchgreift. Denn der Erlaß eines unvollständigen und damit objektiv rechtswidrigen Planfeststellungsbeschlusses kann keinesfalls vom Vorhabenträger beansprucht werden. Im folgenden soll aber gezeigt werden, daß ein („modifizierter") Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers nicht besteht, die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung im Ergebnis also nicht den Vorrang des Planergänzungsanspruchs rechtlich zu tragen vermag. Dies ergibt sich aus einer Analyse der Rechtsstellung des Vorhabenträgers, insbesondere seines Verhältnisses zur Planfeststellungsbehörde (dazu unter 2).
2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
Aus drei Gründen ließe sich ein („modifizierter") Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers mit dessen Rechtsstellung nicht vereinbaren: zum ersten weBVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - I C 25.93 - , DVB1. 1995, 238/241 mit zustimmender Anmerkung von Groß, DVB1. 1995, 468 (für den Fall einer abfallrechtlichen Planfeststellung mit privatem Vorhabenträger), nachdem das Gericht die Frage eines Planfeststellungsanspruchs zuvor ausdrücklich offen gelassen hatte: vgl. BVerwG, Beschluß vom 20. Dezember 1988 - 7 NB 2.88 - , DVB1. 1989, 512/514. Dieser „modifizierte" Planfeststellungsanspruch wird explizit als Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs herangezogen von Schmid t-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 452 ff. (für den Fall einer abfallrechtlichen Planfeststellung mit privatem Vorhabenträger); in diesem Sinne wohl auch Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 30.7 (allgemein für die straßenrechtliche Planfeststellung). Einen Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers bzw. eine Planfeststellungspflicht der Planfeststellungsbehörde verneinen Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 216; Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten, S. 228 (anders lediglich für die abfallrechtliche Planfeststellung eines privaten Vorhabenträgers); Hartmann, Verkehrsflughäfen, S. 163; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 13 f., 174, 350, 363, 482; Meyer in Meyer / Borgs, VwVfG, § 74 Rdnr. 10; Obermayer, VwVfG, § 74 Rdnr. 189; Schink, DÖV 1994,357/359; Schupper t, Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, S. 65/105 f.; Steinberg, Fachplanung, § 1 Rdnr. 11; Wahl, DVB1. 1982, 51/53 ff.; OVG Münster, Urteil vom 18. August 1994 20 AK 21/87-NWVB1. 1995, 97. 5 Zur Inkonsistenz der „Tatbestandslösung" s.o. im 5. Kapitel unter I.
180
7. Kap., I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
gen der regelmäßig bestehenden Zugehörigkeit des Vorhabenträgers zur öffentlichen Verwaltung (dazu unter a), zum zweiten wegen der Funktion der Planfeststellung (dazu unter b) und zum dritten wegen der planerischen Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde (dazu unter c).
a) Vorhabenträger
als Teil der öffentlichen
Verwaltung
Der Träger eines (gemeinnützigen) Vorhabens im Fachplanungsrecht ist ebenso wie die Planfeststellungsbehörde in der Regel ein Teil der öffentlichen Verwaltung. Als ein solcher Bestandteil des Staates (hier in einem weiteren Sinne verstanden) kann er grundsätzlich nicht Inhaber eines Anspruchs sein, der sich seinerseits gegen einen anderen organisatorischen Bestandteil des Staates richtete: Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung haben untereinander grundsätzlich keine subjektiven Rechte, sondern lediglich voneinander abzugrenzende Kompetenzen; denn sie bilden gemeinsam insofern eine einheitliche Staatsgewalt, als deren Diversifizierung und Arbeitsteilung nach dem GG, den Landesverfassungen und den jeweils einschlägigen Verwaltungsorganisationsgesetzen nicht eine Individualität ihrer einzelnen Glieder fördern, sondern allein eine effektive Aufgabenwahrnehmung im Interesse des Allgemeinwohls ermöglichen sollen. Anders formuliert: Aus der Entscheidung des Staates, eine öffentliche Aufgabe arbeitsteilig zu erfüllen, können keine wechselseitigen Berechtigungen seiner einzelnen Organe erwachsen6. Dieser allgemeine Befund wird bestätigt durch eine nähere Betrachtung der engen organisationsrechtlichen Beziehung zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde gerade im Fachplanungsrecht: In der Regel gehören sie entweder demselben Verwaltungsträger an, wie etwa bei der Planfeststellung nach WaStrG7,
6
BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1969 - IV C 215.65 - , BVerwGE 31, 263/267; Kreßel, Öffentliches Haftungsrecht, S. 195. In diesem Sinne auch Fickert, Planfeststellung, Nr. 31 Rdnr. 14; Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 175; ders., Vierteljahrhundert Straßenrechtsgesetzgebung, S. 403/422; Ossenbühl, FS Sendler, S. 107/117; Rupp, Grundfragen, S. 99 f.; Wolff/ Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, § 41 Rdnr. 13, jeweils zumindest für das Verhältnis verschiedener Organe desselben Verwaltungsträgers untereinander. 7 Vorhabenträger ist der Bund (Artikel 89 GG), Planfeststellungsbehörde für Vorhaben im Schiffahrtsinteresse die Wasser- und Schiffahrtsdirektion, also eine Bundesbehörde (§ 14 Absatz 1 Satz 4 WaStrG).
2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
181
der von Landesstraßen8 oder Eisenbahnen des Bundes9; oder aber es besteht zumindest ein dichter Weisungszusammenhang zwischen ihnen, wie etwa bei der fernstraßenrechtlichen Planfeststellung, die einen Fall der Bundesaufitragsverwaltung darstellt (Artikel 90 Absatz 2 GG). Die funktionale Trennung zwischen einem den Plan konzipierenden Vorhabenträger und der über ihn letztverantwortlich beschließenden Planfeststellungsbehörde hat historische Gründe und soll insbesondere die Unvoreingenommenheit der letztgenannten, nicht aber die Rechtsstellung des erstgenannten stärken10. Dies zeigt sich daran, daß es grundsätzlich zulässig ist, beide Funktionen staatlicher Planung sogar bei ein- und derselben Behörde zu vereinigen, wie es etwa früher nach § 36 BBahnG der Fall gewesen ist 11 . Bei Planfeststellungen handelt es sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, an der verschiedene Behörden mitwirken, und zwar nicht im jeweils eigenen, sondern allein im öffentlichen Interesse. Für sie ist damit grundsätzlich das Recht inneradministrativer Beziehungen einschlägig, in welches sich die Geltendmachung subjektiver Rechte des Vorhabenträgers nicht einfügen läßt12. Insofern bestätigt sich die oben getroffene Feststellung, daß im Fachplanungsrecht grundsätzlich nicht von einem echten Dreieck, bestehend aus Planfeststellungsbehörde, Vorhabenträger und planbetroffenem Bürger, gesprochen werden kann: Da die beiden erstgenannten Parteien materiell zusammenfallen, handelt es sich vieleher um ein bipolares Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürger 13. Lediglich ausnahmsweise kann dem Vorhabenträger eine eigene subjektive Rechtsposition im Verhältnis zur Planfeststellungsbehörde zukommen, etwa 8
Für Sachsen-Anhalt: Träger der Straßenbaulast ist das Land (§ 42 Absatz 1 Satz 1 StraßenG-LSA vom 06. Juli 1993 [GVB1. S. 334]), Planfeststellungsbehörde das örtlich zuständige Regierungspräsidium, also eine Landesbehörde (§ 1 Absatz 7 der Verordnung vom 18. März 1994 [GVB1. S. 493]). 9 Planfeststellungsbehörde für Vorhaben der Deutsche Bahn AG ist das Eisenbahnbundesamt (§ 3 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes der Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes vom 27. Dezember 1993 [BGBl. I, S. 2394]). 10 Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 305; Wahl, DVB1. 1993, 517/524 f. 11 § 36 Absatz 3,2. Halbsatz BBahnG vom 13. Dezember 1951 (BGBl. I, S. 955) und § 36 Absatz 4 BBahnG vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I, S. 1689); bis zum 31. Dezember 1997 ebenso § 7 Absatz 4 TelegraphenwegeG vom 14. September 1994 (BGBl. I, S. 2325). Zur Zulässigkeit einer solchen Identität von Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde vgl. BVerwG, Beschluß vom 09. April 1987 - 4 Β 73.87 - , NVwZ 1987, 886 f. m.w.N.; BVerwG, Beschluß vom 24. August 1987 - 4 Β 129.87 - , NVwZ 1988, 532 f., bestätigt durch BVerfG, Beschluß vom 18. Februar 1988 - 2 BvR 1324/87 - , NVwZ 1988, 533; BVerwG, Urteil vom 27. Juli 1990 - 4 C 26.87 - , NVwZ 1991, 781/ 782. 12 Deutlich Wahl, DVB1. 1982, 51/54 f. 13 Hierzu s.o. im 3. Kapitel unter III.
182
7. Kap., I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
dann, wenn es sich um den gemeinnützigen Plan einer Gemeinde, die im eigenen Wirkungskreis tätig wird 1 4 , oder aber den eines Privaten handelt 15 : Im ersten Fall steht dem Vorhabenträger ein materielles Recht aus Artikel 28 Absatz 2 GG, im zweiten Fall aus Artikel 12 Absatz 1 GG auch gegenüber der Planfeststellungsbehörde zu. Ob hieraus unter Hintanstellung sonstiger Bedenken konkret ein („modifizierter") Planfeststellungsanspruch fließt, kann aber offen bleiben 16 : Denn selbst wenn dies so sein sollte, läge er lediglich in einigen Ausnahmefallen vor. Ein Rechtsgrund des für das gesamte Fachplanungsrecht geltenden Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs bestünde hierin also gerade nicht.
14
Kommunale Planungen im eigenen Wirkungskreis gibt es etwa im Abfallrecht (vgl. für Sachsen-Anhalt § 3 Absatz 1 AbfG-LSA vom 14. November 1991 [GVB1. S. 422], wonach die Landkreise und kreisfreien Städte als entsorgungspflichtige Körperschaften im eigenen Wirkungskreis tätig werden) oder im Bereich des Straßenbaus (vgl. für Sachsen-Anhalt § 42 Absatz 1 Satz 2 und 3 StraßenG-LSA vom 06. Juli 1993 [GVB1. S. 334], wonach Straßenbaulastträger für Kreis- und Gemeindestraßen die Landkreise und Gemeinden sind). 15 Praktisch bedeutsam sind gemeinnützige Planungen eines privaten Vorhabenträgers derzeit vorrangig im Abfallrecht (vgl. für Sachsen-Anhalt § 3 Absatz 3 AbfG-LSA vom 14. November 1991 [GVB1. S. 422], wonach zur Abfallentsorgung auch Dritte, also Private eingeschaltet werden können; entsprechend § 15 Absatz 2 KrW-/AbfG.). Bei der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung ist der Vorhabenträger zwar in der Regel eine juristische Person des Privatrechts, hinter der aber zumindest bei größeren Vorhaben durchweg Körperschaften des öffentlichen Rechts stehen: vgl. hierzu „Die WELT" vom 05. Juni 1997, S. 15, sowie Hermann, Fluglärm, S. 100 f. m.w.N. Ebenso ist die Einschaltung der DEGES („Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und Baugesellschaft mbH") bei der Planung von Bundesfernstraßen und der PBDE („Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit") bei der von Bundeseisenbahnen kein Fall einer privaten Vorhabenträgerschaft: Die Anteile jeweils beider Gesellschaften werden zu 100% von öffentlichrechtlichen Körperschaften gehalten; überdies nehmen sie keine materiellen Planungsfunktionen wahr, sondern unterstützen hierbei lediglich den Bund, der nach wie vor Träger der jeweiligen Vorhaben ist; vgl. hierzu Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 13 Rdnr. 2; Schoch, DVB1. 1994, 962/975 f.; Wahl, DVB1. 1993, 517 ff. 16 Einen Planfeststellungsanspruch des privaten Vorhabenträgers einer abfallrechtlichen Planfeststellung bejahen BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 - I C 25.93 - , DVB1. 1995, 238/241 mit zustimmender Anmerkung von Groß, DVB1. 1995, 468; Ebling, Beschleunigungsmöglichkeiten, S. 228; Schmid t-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 452 ff.
2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
183
b) Funktion der Planfeststellung
Ein zweites Argument gegen einen („modifizierten") Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers ergibt sich aus der doppelten Funktion der Planfeststellung: Diese zielt zum einen zwar auf die Realisierung des jeweils planfestzustellenden Projekts des Vorhabenträgers. Zum anderen soll sie aber auch und vor allem zu einer optimalen Bewältigung der fachgesetzlich vorgegebenen Planungsaufgabe und der durch das Vorhaben verursachten Konflikte fuhren; sie trifft damit auch eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung fur die Zukunft 17. Dieses letztgenannte Ziel der Ermöglichung einer optimalen Raumnutzung dient allein dem öffentlichen Interesse, nicht aber dem Individualinteresse des Vorhabenträgers. Gerade hierin unterscheidet sich die Planfeststellung von anderen Formen der behördlichen Vorhabenzulassung, vor allem der als ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestalteten Kontrollerlaubnis: Letztere ist nicht auf die Herbeiführung einer optimalen, sondern lediglich auf die Vermeidung einer rechtswidrigen Vorhabenverwirklichung gerichtet. Deshalb beschränkt die zuständige Behörde dort ihre Tätigkeit auf eine rein negativ ausgerichtete Überprüfung, nämlich ob ein gesetzlich normierter Versagungsgrund vorliegt; ein darüber hinausgehendes Zulassungs- oder Versagungsermessen kommt ihr in der Regel nicht zu, so daß der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens strukturell eine Genehmigungspflicht der Behörde und ein Genehmigungsanspruch des Vorhabenträgers korrespondieren kann18. Von einer solch gesetzlich gebundenen Vorhabenzulassung hebt sich die Planfeststellung durch ihre Optimierungsfunktion und ihre damit notwendig einhergehende inhaltliche Offenheit ab: Die konkrete Gestalt der Planungsentscheidung hat der Gesetzgeber nicht selbst ausgeformt, sondern dies der Verwaltung übertragen. Dieser obliegt es, die einzelnen Belange zu gewichten und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Dies läßt sich weniger als konditional programmierte Rechtsanwendung, sondern mehr als ein wertender Vorgang begreifen. Hiermit ist ein Verständnis von Planung, welches vorrangig auf die reine Gesetzeskonformität des Plans abstellt, unvereinbar. Vieleher kommt der Plan17
Zur doppelten Funktion der Planfeststellung vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 - 7 C 18.91 - , BVerwGE 90, 96/99; BVerwG, Urteil vom 24. November 1994 -IC 25.93 - , DVB1. 1995, 238/240; Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989), 92/96; Steinberg, Fachplanung, § 1 Rdnr. 6 ff.; ders., FS Schlichter, S. 599/603 f. 18 Grundlegend zu der Abgrenzung der behördlichen Vorhabenzulassung durch Planfeststellung einerseits und Kontrollerlaubnis andererseits Wahl, DVB1. 1982, 51 ff.; hierzu auch Steinberg, NuR 1983, 169/171 f.
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7. Kap., I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
feststellungsbehörde auch dann, wenn der vom Vorhabenträger eingereichte Plan nicht gegen das Gesetz verstößt, materiell-rechtlich also feststellungsfähig ist, ein Versagungsermessen zu; denn dies ist zwingende Konsequenz des wertenden Charakters und der Optimierungsfunktion einer jeden planerischen Abwägung. Erst und nur wenn dieses Ermessen auf Null reduziert sein sollte—was in der Praxis kaum vorstellbar ist-, ließe sich unter Hintanstellung sonstiger Bedenken ein Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers bzw. eine Planfeststellungspflicht der Planfeststellungsbehörde konstruieren 19. Auf einen derartigen, rein theoretischen Ausnahmefall kann aber der Rechtsgrund vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs nicht gestützt werden. Die Annahme eines Planfeststellungsanspruchs läßt sich also mit Funktion und Wesen der Planfeststellung, insbesondere ihrer inhaltlichen Offenheit und ihrer Ausrichtung auf das öffentliche Interesse, nicht vereinbaren; hierdurch ginge die systematische Abgrenzung zum Genehmigungstyp der Kontrollerlaubnis verloren.
c) Planerische Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde
Der Aspekt des Versagungsermessens leitet zum dritten Argument gegen einen Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers über: die planerische Gestaltungsbefugnis, die im Fachplanungsrecht nicht beim Vorhabenträger, sondern bei der Planfeststellungsbehörde liegt20. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der organisationsrechtlichen Trennung zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde dieser gegenüber j enem die stärkere Position eingeräumt. Die Annahme eines Plan19
In diesem Sinne auch Breuer, FS Sendler, S. 357/379; Paetow, FS Sendler, S. 425/ 433; Ule / Laubinger, Verwaltungverfahrensrecht, § 41 Rdnr. 18; zur Ergebnisoffenheit des Planfeststellungsverfahrens vgl. Fouquet, VerwArch 87 (1996), 212/223. 20 So die wohl herrschende Meinung: BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1978 — IV C 21.74-, BVerwGE 48, 56/59; BVerwG, Urteil vom 22. Juni 1979-4 C 8.76-, BVerwGE 58, 154/155; BVerwG, Urteil vom 05. Dezember 1986-4 C 13.85 - , BVerwGE 75, 214/ 230; BVerwG, Urteil vom 27. Juli 1990 - 4 C 26.87 - , NVwZ 1991, 781/782; BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 - 4 C 44.87 - , BVerwGE 85, 348/362; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89 - , BVerwGE 87, 332/342; BVerwG, Beschluß vom 16. August 1995 - 4 Β 92.95 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 104, S. 51; BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1996 - 4 A 27.95 - , NVwZ 1996, 1011/1014; BVerwG, Beschluß vom 14. Juni 1996 - 4 A 3.96 - , NVwZ-RR 1997, 340/341; OVG Bremen, Beschluß vom 30. Oktober 1986- 1 (G) Τ 4/86 - , UPR 1987, 158; OVG Münster, Urteil vom 18. August 1994 - 20 AK 21/87 - , NWVB1. 1995, 97. Ebenso Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/519 ff (anders lediglich für die Sonderformen der berg- und wohl auch atomrechtlichen Plan-
2. Rechtsstellung des Vorhabenträgers
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feststellungsanspruchs des Vorhabenträgers im Falle der Feststellbarkeit seines Plans würde diese Gewichtung innerhalb der planenden Verwaltung mißachten. Zwar obliegt es dem Vorhabenträger materiell, einen Plan zu erstellen, und formell, mit dessen Einreichung bei der Planfeststellungsbehörde das Planfeststellungsverfahren in Gang zu setzen. Diese faktische Planungskompetenz des Vorhabenträgers wird aber rechtlich durch die Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde überlagert: Auch wenn dieser keine kreative Funktion zukommt, etwa in dem Sinne, daß sie selbst ein konkretes Vorhaben konzipieren oder von Amts wegen ein Planfeststellungsverfahren einleiten könnte, so nimmt sie doch die eigentliche planerische Abwägung und Gestaltung letztverantwortlich vor. Ihre Tätigkeit beschränkt sich nämlich nicht auf eine bloße rechtliche Überprüfung des ihr vorgelegten Plans, sondern umfaßt auch eine eigene Entscheidung, ob das Vorhaben das gesetzlich vorgegebene Planungsziel optimal verwirklicht, also etwa, ob es sich bestmöglich in seine Umgebung einfügt. Dabei ist sie weder an die Zusammenstellung des relevanten Tatsachenmaterials noch an dessen Gewichtung oder Abwägung durch den Vorhabenträger gebunden. Diese planerische Eigenverantwortlichkeit der Planfeststellungsbehörde findet ihre normative Grundlage zum einen dort, wo der Gesetzgeber im jeweiligen Fachplanungsgesetz eine Abwägungsklausel verankert hat21. Zum anderen ergibt sie sich aus der gesetzlichen Anordnung einer enteignungsrechtlichen Vorwirkung der Planfeststellung 22: Denn ohne planende Abwägung bei der der Enteignung zugrunde liegenden Entscheidung genügte diese nicht dem Gemeinwohlerfordernis des Artikel 14 Absatz 3 GG23. feststellung); Korbmacher, DÖV 1978, 589/594 f.; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 13, 180, 307 (der zutreffend zwischen einer faktischen Gestaltungsbefugnis des Vorhabenträgers und einer rechtlichen der Planfeststellungsbehörde differenziert); Obermayer, VwVfG, § 74 Rdnr. 189; H. Schiarmann, Privilegierte Fachplanung, S. 17 f.; L Schlarmann, Alternativenprüfung, S. 52 f. und 88 f.; Wahl, DVB1. 1982, 51/53; ders., NVwZ 1990, 432. Nach anderer Ansicht liegt die planerische Gestaltungsbefugnis beim Vorhabenträger: VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991, 252/253; Erbguth, NVwZ 1997,116/117; Heitz, Organisationsrecht, S. 140 ff.; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, § 41 Rdnr. 11. Vermittelnd zwischen beiden Ansichten: Hoppe/Just, DVB1. 1997, 789/791 ff. In Bundesgesetzen etwa § 18 Absatz 1 Satz 2 AEG; § 17 Absatz 1 Satz 2 FStrG; § 8 Absatz 1 Satz 2 LuftVG; § 2 Absatz 1 MagnetschwebebahnplanungsG; § 28 Absatz 1 Satz 2 PBefG; § 14 Absatz 1 Satz 2 WaStrG. 22 Z.B. § 22 AEG; § 19 FStrG; § 28 Absatz 2 LuftVG; § 30 PBefG; § 44 Absatz 2 WaStrG; für abfallrechtliche Planfeststellungen vgl. etwa § 24 Absatz 2 AbfG-LSA (Gesetz vom 14. November 1991 [GVB1. S. 422]). 23 Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/530 f.
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7. Kap., I. Rechtliche Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung
Die Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde manifestiert sich erstens im Rahmen der Alternativenprüfüng, zu welcher die Planfeststellungsbehörde verpflichtet ist, will sie nicht gegen das Abwägungsgebot verstoßen: Sie muß grundsätzlich auch untersuchen, ob der gesetzliche Planungsauftrag nicht durch eine grundsätzlich andere als die vom Vorhabenträger vorgeschlagene Gestaltung des Projekts besser erreicht werden könnte, z.B. durch eine alternative Trassenwahl der planfestzustellenden Fernstraße24. Und zweitens wird die eigene Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde in ihrer Berechtigung deutlich, gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG dem Vorhabenträger Schutzmaßnahmen aufzuerlegen, auch und gerade wenn diese von ihm nicht oder nur unzureichend vorgesehen waren. Hierin liegt ein originärer Akt planerischer Konfliktbewältigung durch die Planfeststellungsbehörde 25. Die Gestaltungskompetenz der Planfeststellungsbehörde findet ihre Grenze freilich darin, daß sie ein anderes Vorhaben als das vom Vorhabenträger eingereichte nicht feststellen darf: Hält sie dieses für nicht feststellungsfähig, so ist sie nicht befugt, dessen Gesamtkonzeption umzuplanen; vieleher muß sie die beantragte Planfeststellung ablehnen. Andernfalls würde die kreative Planungsfunktion des Vorhabenträgers faktisch von der Planfeststellungsbehörde wahrgenommen. Dies verstieße aber gegen die gesetzlich festgelegte Kompetenzabgrenzung innerhalb der planenden Verwaltung, führte also etwa zu einem rechtswidrigen Übergang der materiellen Straßenbaulast vom Vorhabenträger auf die Planfeststellungsbehörde26. Innerhalb des so gezogenen Rahmens kann es zu einem Planfeststellungsanspruch des Vorhabenträgers bzw. zu einer entsprechenden Planfeststellungspflicht der Planfeststellungsbehörde nicht kommen. 24
Zur Alternativenprüfüng durch die Planfeststellungsbehörde vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - , BVerwGE 69, 256/273; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/167; BVerwG, Beschluß vom 21. Dezember 1995 - 11 VR 6.95 - , NVwZ 1996, 896/900; BVerwG , Urteil vom 21. März 1996-4 C 19.94-BVerwGE 100, 370/375; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4C 1.95 - , UA, S. 8 (der Abdruck in DVB1. 1996, 915 ist insoweit unvollständig); BVerwG, Urteil vom 07. März 1997 - 4 C 10.96 - , NVwZ 1997, 914/915 f.; Heitz, Organisationsrecht, S. 143; ausführlich L. Schiarmann, Alternativenprüfung, passim; vgl. auch dies., DVB1. 1992, 871 ff. 25 Hoppe /Just, DVB1. 1997, 789/793 f.; vgl. auch Grupp, DVB1. 1990, 81/86 f. Zur Bedeutung des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG für das planungsrechtliche Gebot der Konfliktbewältigung s.o. im 6. Kapitel unter I 3. 26 Zur Grenze der planerischen Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde vgl. Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kap. 34 Rdnr. 25.3; Hoppe / Just, DVB1. 1997, 789/794; Steinberg, Fachplanung, § 4 Rdnr. 75 (m.w.N. dort in FN 211 und 212).
Ergebnis 3. Ergebnis
Der Vorhabenträger hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Feststellung seines Plans. Aus diesem Grunde ist die Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses rechtlich auch zulässig. Dem Planaufhebungsanspruch des Betroffenen steht damit nicht die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung entgegen.
II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung: Grundsatz der Planerhaltung? Eine weitere regelmäßig im Zusammenhang mit dem Folgenbeseitigungsanspruch diskutierte Schranke ist die der Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung: Der Anspruch soll ausgeschlossen sein, wenn die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands unverhältnismäßig und damit unzumutbar ist. Die einschlägigen Fallgruppen lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß dem Beseitigungsinteresse des Anspruchsinhabers ein öffentliches Interesse an der Beibehaltung des rechtswidrigen Zustands entgegensteht, welchem im Wege einer Abwägung der Vorrang gegenüber jenem eingeräumt wird 27 . Anders als die zuvor behandelte Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung ist die der Unzumutbarkeit grundsätzlich nicht unbedenklich und deshalb auch nicht unumstritten: Zum einen begegnet ihr der Einwand, daß der im status negativus der Grundrechte verankerte und insofern mit Verfassungsrang ausgestattete Abwehranspruch nicht beliebig unter Berufung auf ein öffentliches Interesse eingeschränkt werden kann28. Zum anderen fehlt nach wie vor eine dogmatisch überzeugende Absicherung dieser Schranke, bei der Wertungsund Abwägungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen und die vorrangig ein „vernünftiges" Ergebnis gewährleisten soll29. Insofern besteht Einigkeit darin, sie nur restriktiv anzuwenden30. 27
Hierzu s.o. im 5. Kapitel unter III 3. Z.B. Fiedler, NVwZ 1986, 969/976. 29 Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/51: Die Schranke der Unzumutbarkeit sei eine „abzulehnende Frucht lediglich ergebnisorientierter Überlegungen"; ders., JURA 1993, 478/485 f. 30 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 321 ff.: Schranke der Unzumutbarkeit als „letztes Sicherheitsventil, mit dem unvertretbare Ergebnisse vermieden werden sollen"; Schoch, JURA 1993,478/485. 28
188
7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung 1. Problemaufriß
Auch die im Bereich des Folgenbeseitigungsanspruchs entwickelte Schranke der Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung läßt sich grundsätzlich auf den gegen einen unvollständigen Planfeststellungsbeschluß geltend gemachten Planaufhebungsanspruch projizieren: Danach wäre dieser Anspruch in der vorliegenden Konstellation ausgeschlossen, wenn an der Existenz des Planfeststellungsbeschlusses ein öffentliches Interesse bestünde, welches das Aufhebungsinteresse überwöge31. Diese allgemeinen Erwägungen haben im neueren Schrifttum eine planungsrechtliche Spezifizierung erhalten, die unter dem Begriff „Grundsatz der Planerhaltung" firmiert: Hiernach soll an einem mängelbehafteten Plan festgehalten werden, wenn die Bestandsinteressen an seiner Erhaltung die für seine Aufhebung bzw. Unwirksamkeit sprechenden Interessen überwiegen. Die Entwicklung dieses Grundsatzes ist namentlich Hoppe zuzuschreiben, der ihn primär für das Bauplanungsrecht, genauer: für die Konstellation rechtswidriger Bebauungspläne, entwickelt hat: Die dogmatische Fundierung dieses Grundsatzes gewinnt Hoppe induktiv mittels einer Betrachtung verschiedener Bereiche der Rechtsordnung. Er leitet so die Existenz eines Grundsatzes der Körperhaltung her, dessen planungsrechtliche Konkretisierung der Grundsatz der Ρ/α/zerhaltung darstelle. Dieser Grundsatz bedürfe als ein „offenes Prinzip" noch der Umsetzung durch den Gesetzgeber oder durch die Rechtsprechung im Wege einer Abwägung der für und gegen die Unwirksamkeit des rechtswidrigen Plans sprechenden Interessen32. Zwar ist die von Hoppe vorgenommene dogmatische Fundierung des Grundsatzes der Planerhaltung als eine planungsrechtliche Ausprägung des Prinzips der NormerhalUmg nicht ohne weiteres auf das Fachplanungsrecht übertragbar, da es 31 So ausdrücklich Degenhart, DVB1. 1981, 201/202 (dort in FN 27) und 204, der hierin den Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs festmacht; ähnlich Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 266. 32
Hoppe, Symposium, S. 133 ff.; ders., FS Schlichter, S. 87 ff.; ders., DVB1. 1996,
12 ff.; ders. /Henke, DVB1. 1997, S. 1407/1409; im Anschluß hieran Henke, Planerhaltung, S. 46 ff.; kritisch Bartlsperger, Symposium, S. 79/82 (Grundsatz der Planerhaltung könne rechtskonstruktiv nur noch schwer nachvollzogen und eher als „chaotischer Rückzug" begriffen werden), sowie ders., DVB1. 1996, 1 ff. Der Begriff „Grundsatz der Planerhaltung" geht - soweit ersichtlich-zurück auf Sendler, UPR Special 7, S. 9/28 ff., der hiermit die Tendenzen in der /ac/zplanungsrechtlichen Gesetzgebung zur Reduktion von Fehlerfolgen zusammenfaßt und auf den Hoppe sich ausdrücklich bezieht: vgl. ders., DVB1. 1996,12 (dort in FN 6), sowie ders., FS Schlichter, S. 87/88.
l.Problemaufriß
189
sich bei Planfeststellungsbeschlüssen-anders als bei satzungsformigen Bauleitplänen - nicht um Normen handelt. Doch besteht hinsichtlich anderer Aspekte eine Übereinstimmung zwischen dem Grundsatz der Planerhaltung und der hier zu untersuchenden Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung: Erstens basieren beide auf einer Abwägung kollidierender Werte, die zweitens durch den Rechtsanwender, namentlich die plankontrollierende Rechtsprechung, vorgenommen wird. Um die Schranke der Unzumutbarkeit inhaltlich zu konturieren, bietet es sich daher an, den Grundsatz der Planerhaltung weitestmöglich für die vorliegende Untersuchung fruchtbar zu machen. Unter dem Grundsatz der Planerhaltung soll hier die Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen den für und gegen eine Aufhebung des fehlerhaften Planfeststellungsbeschlusses sprechenden Interessen verstanden werden; praktische Konkordanz deshalb, weil das Aufhebungsinteresse nicht völlig zu Gunsten des Bestandsinteresses verdrängt, sondern ein angemessener Ausgleich zwischen beiden herbeigeführt werden soll, der die kollidierenden Güter jeweils weitestmöglich bestehen läßt33. Dieser Ausgleich könnte etwa darin bestehen, daß das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Planfeststellungsbeschlusses nur insoweit Vorrang gegenüber dem Aufhebungsinteresse genießen soll, als die Möglichkeit einer Planergänzung durch nachträgliche Anordnung der erforderlichen Schutzmaßnahmen besteht. Durch eine solche Optimierung der kollidierenden Güter ließe sich zum einen den oben genannten Bedenken, die gegen einen völligen Ausschluß des grundrechtlich verankerten Abwehranspruchs zugunsten eines öffentlichen Interesses bestehen, Rechnung tragen. Denn ein solcher Ausschluß wäre wohl unverhältnismäßig und damit rechtswidrig 34. Zum anderen vermiede eine derartige Ausgestaltung der Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung die Inkonsistenz der hier so bezeichneten „Tatbestandslösung", die allenfalls den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs, nicht aber das gleichzeitige Bestehen des Planergänzungsanspruchs erklären könnte35. Inhaber der hier zu untersuchenden Befugnis zur Herbeiführung einer praktischen Konkordanz wäre primär die zur Entscheidung über den geltend gemachten Aufhebungsanspruch angerufene Rechtsprechung. Wenn also im folgenden vom Grundsatz der Planerhaltung die Rede sein wird, so bezieht sich dies nicht 33
Allgemein zur Auflösung einer Interessenkollision durch Herbeiführung einer praktischen Konkordanz Hesse, Grundzüge der Verfassungsrechts, Rdnr. 72 und 317 ff.; Lerche, Übermaß, S. 125 ff. 34 Vgl. BVerfG, Beschluß vom 08. Juli 1982-2 BvR 340/81-, BVerfGE 61, 82/113: Eine Regelung, die sämtliche Störungsbeseitigungsansprüche ausschließt, sei mit dem Wesensgehalt der betroffenen Grundrechte unvereinbar. 35 Zur systematischen Schwäche der „Tatbestandslösung" s.o. im 5. Kapitel unter I.
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7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
auf die vom Gesetzgeber mittlerweile vorgenommene Regelung des Vorrangs der Planergänzung in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG bzw. in entsprechenden Vorschriften der Fachplanungsgesetze36; gemeint ist vieleher-um die Terminologie Hoppes aufzugreifen - ein durch Abwägung kollidierender Werte hergeleitetes offenes Prinzip, welches im Ergebnis gegen eine Planaufhebung spricht, aber noch der Umsetzung gerade auch durch die Rechtsprechung bedarf 37. Denn die hier so bezeichnete „Schrankenlösung" unterscheidet sich konstruktiv von der „konstitutiven Gesetzeslösung" konkret dadurch, daß sie den Vorrang des Planergänzungsanspruchs mit allgemeinen Erwägungen zu begründen sucht, ohne hierbei auf die vom Gesetzgeber mittlerweile vorgenommene Kodifizierung planungssichernder Instrumente zurückgreifen zu müssen38. Nach der hier zugrunde gelegten Systematik soll ihre Wirkung also gerade darin bestehen, daß der unvollständige Planfeststellungsbeschluß deshalb nicht aufgehoben wird, weil die Interessen, welche für seine Erhaltung sprechen, diejenigen überwiegen, welche seine Kassation fordern. Im Ergebnis wird zu zeigen sein, daß die Schranke der Unzumutbarkeit in der konkreten Gestalt, die sie durch den Grundsatz der Planerhaltung gefunden hat, als Rechtsgrund für den Vorrang des Planergänzungsanspruchs nicht zu überzeugen vermag. Dies ergibt sich bereits aus ihrer Herleitung (dazu unter 2), insbesondere aber aus ihrer noch erforderlichen Umsetzung durch die Rechtsprechung (dazu unter 3).
2. Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit
Die Schranke der Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung ergibt sich nicht aus ihrer gesetzlichen Anordnung, sondern ist das Ergebnis einer Abwägung kollidierender Werte. In dieser Herleitungsmethode liegt eine strukturelle Schwäche 36
In einem solchen normativen Sinne wird der Begriff „Grundsatz der Planerhaltung" mitunter verwendet; vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 17. November 1995 - 5 S 224/95 —, UA, S. 59 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht) unter Bezugnahme auf Sendler, UPR Special 7, S. 9/28 ff.; Dolde, NVwZ 1996,209/211 (dort in FN 14); Jarass, DVB1. 1997, 795/801. 37 Hoppe, DVB1. 1996, 12/17 ff.; ders., Symposium, S. 133/152 ff.; zur Bestimmung der plankontrollierenden Rechtsprechung als Adressaten des Grundsatzes der Planerhaltung ders., FS Schlichter, S. 87/92 ff. 38 Allgemein zur „Schrankenlösung" und zu ihrer Abgrenzung von anderen Erklärungsmustern des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs s.o. im 4. Kapitel, insbesondere unter III.
2. Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit
191
der vorliegenden Schranke, aber auch des Grundsatzes der Planerhaltung insgesamt. Bei der Abwägung im hier relevanten Sinne handelt es sich nämlich nicht um die Ausführung eines gesetzlichen Auftrags zur situativen Rechtskonkretisierung, wie es etwa bei der planerischen Abwägung oder bei der wertenden Auslegung von (unter Umständen unbestimmten) Rechtsbegriffen durch den jeweils dazu berufenen Rechtsanwender der Fall ist; anders als dort dient die Abwägung hier vielmehr der Auflösung eines Interessenkonflikts, welche der Gesetzgeber selbst gerade nicht vorgenommen oder konkret dem Rechtsanwender übertragen hat. Abwägung als Begründungstopos im hier interessierenden Sinne stellt damit ein Mittel der Rechtserzeugung dar, mit welchem es Lücken im positiven Recht zu schließen gilt 39 . Als eine solche Methode der Rechtsgewinnung mangelt es der Abwägung aber an Rationalität, weil sie allein auf einer Wertungsentscheidung des Abwägenden beruht40. Diese Schwäche betrifft zum einen die Bestimmung der Interessen, die in der zu beurteilenden Konstellation miteinander kollidieren; denn die Kollisionslage ist nicht immer offensichtlich, sondern ergibt sich mitunter erst aus einer näheren Analyse der konkreten Situation. Insofern nimmt der Abwägende die Definitionsmacht für sich in Anspruch, welche Interessen mit welchem Gewicht in die Abwägungsentscheidung einzustellen sind. Zum anderen unterliegt es ebenfalls seiner Wertung, wie diese (von ihm selbst definierte) Kollision aufzulösen, also welchem der konfligierenden Interessen der Vorrang einzuräumen ist. Aus diesem wertenden Charakter der Abwägung und dem somit notwendigerweise bestehenden Rationalitätsdefizit kann zwar nicht gefolgert werden, diese Methode der Rechtsgewinnung insgesamt abzulehnen; denn das Merkmal der subjektiven Wertung ist der Rechtsordnung insofern immanent, als diese nicht ausschließlich durch Regeln der Logik determiniert wird. Gerade eine grundsätzlich legitime und notwendige Rechtsfortbildung kommt ohne wertende Entscheidungen des sie Betreibenden nicht aus, gilt es doch hier, auf der Grundlage gesetzlicher Wertungen eine vom Gesetzgeber nicht geregelte Konstellation angemessen zu behandeln41. Doch sollte von einer rechtserzeugenden Abwägung le39 Zur Differenzierung zwischen der planerischen Abwägung als Umsetzung eines gesetzlichen Gestaltungsauftrags einerseits und der Abwägung als Methode der Rechtsgewinnung andererseits vgl. Hoppe, DVB1. 1996, 12/18 (dort in FN 82); Ossenbühl, DVB1. 1995, 904/905 (dort m.w.N. in FN 2). 40 Ossenbühl DVB1. 1995, 904/908 f (dort m.w.N. in FN 49 ff); Papier, NJW 1997, 2841/2843 (Einzelfallabwägung als eine Bedrohung der Rationalität und Berechenbarkeit der Rechtsanwendung); Picker, JZ 1988, 62/70 ff. 41 Allgemein zur Rechtsfortbildung als Methode der Rechtserzeugung vgl. statt vieler Larenz, Methodenlehre, S. 413 ff.
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7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
diglich mit Zurückhaltung Gebrauch gemacht werden, da ihr ein Mangel an Rationalität, Transparenz und Vorhersehbarkeit eigen ist 42 . Diese allgemeinen rechtsmethodischen Bedenken gelten auch für die vorliegende Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung bzw. den Grundsatz der Planerhaltung: Denn hier läßt sich weder die Bestimmung der miteinander konfligierenden Interessen noch die Auflösung dieses Konflikts logisch zwingend vornehmen, sondern hängt jeweils stark von den subjektiven Wertungen des konkret Abwägenden ab. Dies wird deutlich sowohl bei der exakten Beschreibung der relevanten Kollisionslage (dazu unter a) als auch bei der Auflösung derselben, also hinsichtlich der Frage, welchem der kollidierenden Werte der Vorrang einzuräumen ist (dazu unter b).
a) Beschreibung der kollidierenden
Interessen
Bei der Herausarbeitung, welche Interessen in der vorliegenden Konstellation für und gegen die Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses in die Abwägung einzustellen sind, kann nur bedingt auf die Ausführungen Hoppes zurückgegriffen werden, da diese stark auf das Bauplanungsrecht zugeschnitten sind43: So spricht zwar das Prinzip der Rechtssicherheit grundsätzlich für die Aufrechterhaltung einmal ergangener Rechtsakte, zumal dann, wenn auf ihrer Grundlage und im Vertrauen auf ihren Bestand Dispositionen getroffen wurden. Dies gilt aber nicht für Planfeststellungsbeschlüsse, die als Verwaltungsakte vor Eintritt ihrer Bestandskraft kaum den Tatbestand eines schutzwürdigen Vertrauens bilden. Des weiteren kann zwar die aus Artikel 28 Absatz 2 GG fließende Planungshoheit der Gemeinde bzw. die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit ihrer demokratisch gewählten Organe durch die radikale Fehlerfolge der Beseitigung bzw. Nichtigkeit kommunaler Planungsakte gefährdet werden; doch läßt sich auch diese Erwägung nur in Ausnahmefallen für die Erhaltung eines Planfeststellungsbeschlusses ins Feld führen 44. Wenn weiterhin für den Grundsatz der Plan42 In diesem Sinne Leisner, NJW 1997,636/639, nach dem die Abwägung durch Verwaltung und Justiz die „ultissima ratio" sein müsse. Ähnlich Ossenbühl, DVB1. 1995, 904/911 f., der auf die Notwendigkeit einer Beschränkung des Anwendungsbereichs der rechtserzeugenden Abwägung hinweist. 43 Hoppe, Symposium, S. 133/155; ders., DVB1. 1996, 12/18; ders., FS Schlichter, S. 87/105 ff., jeweils unter Bezugnahme auf Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, S. 70 ff. 44 Zu den wenigen Konstellationen einer kommunalen Fachplanung im eigenen Wirkungskreis der Gemeinde s.o. unter 12 a.
2. Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit
193
erhaltung auf die grundrechtsverwirklichende Funktion von Planung abgestellt wird, so beansprucht auch dies lediglich fur das Bau-, nicht aber fur das Fachplanungsrecht Geltung: Der Erlaß eines Planfeststellungsbeschlusses erfolgt allein im objektiven Interesse und gerade nicht zugunsten des Vorhabenträgers oder eines Planungsbetroffenen 45. Lediglich die von Hoppe für den Grundsatz der Planerhaltung fruchtbar gemachten Gesichtspunkte der Effektivität staatlichen Handelns und der Notwendigkeit einer zügigen Realisierbarkeit gemeinwichtiger Vorhaben sind Erwägungen, die sowohl für das Bau- wie auch das Fachplanungsrecht gelten: Für die Aufrechterhaltung eines unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses könnte zum einen sprechen, daß staatliche Verwaltungstätigkeit möglichst effektiv zu erfolgen habe, fachliche, personelle und zeitliche Ressourcen also zu schonen seien. Angesichts des Verwaltungsaufwands, der mit einem Planfeststellungsverfahren verbunden ist, erscheint der Gedanke durchaus vernünftig, die Kassation eines unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses und die damit erforderlich werdende nochmalige Durchführung des Verfahrens nach Möglichkeit zu vermeiden. Zum anderen führte die Aufhebung des Beschlusses dazu, daß das planfestzustellende Vorhaben überhaupt nicht oder zumindest nur mit erheblicher Verzögerung durchgeführt werden könnte. Da Gegenstand eines Planfeststellungsbeschlusses notwendigerweise solche Projekte sind, die dem Gemeinwohl dienen, ließe sich auch hieraus ein Interesse herleiten, welches die Erhaltung des Planfeststellungsbeschlusses nahelegte. Problematisch wird diese Fixierung der gegen die Planaufhebung sprechenden Positionen freilich dann, wenn man angesichts der verfassungsrechtlichen Verankerung des Aufhebungsanspruchs forderte, daß die mit diesem kollidierenden und zu seinem Ausschluß führenden öffentlichen Belange ebenfalls Verfassungsrang haben müßten46. Da weder die „Effektivität staatlichen Handelns" noch die „Bedeutung gemeinwichtiger Vorhaben" selbst Verfassungsbegriffe sind, könnte sich ihre verfassungrechtliche Anbindung nur aus allgemeinen Verfassungsprinzipien ergeben, welche im Wege der Verfassungsinterpretation zu konkretisieren wären. So werden als verfassungsrechtliche Verankerung der Effektivität staatli-
45
Dazu s.o. unter 12 b. In diesem Sinne etwa Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/51 (dort in FN 314); entsprechend für das Bauplanungsrecht Hoppe, FS Schlichter, S. 87/104; ders., DVB1. 1996, 12/ 18; ders., Symposium, S. 133/155: Nur Interessen mit Verfassungsrang könnten das im Rechtsstaatsprinzip zu verortende Dogma der Nichtigkeit rechtswidriger Bebauungspläne einschränken. 46
13 Hildebrandt
194
7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
chen Handelns etwa Artikel 83 ff. GG 47 bzw. das Sozialstaatsprinzip48 angeboten; die Realisierbarkeit gemeinwichtiger Projekte soll sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben49. Ob dies in letzter Konsequenz überzeugt, mag hier auf sich beruhen. Es soll lediglich die in ihrer wertungsabhängigen Herleitung begründete strukturelle Schwäche der Schranke der Unzumutbarkeit aufgezeigt werden. Entsprechend unscharf sind aber zum Teil auch die für eine Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses sprechenden Positionen: Relativ konkret ist hier noch das subjektive, normativ in den Grundrechten verankerte Aufhebungsinteresse desjenigen, zu dessen Gunsten die im Planfeststellungsbeschluß fehlenden Schutzmaßnahmen hätten festgesetzt werden müssen. Weniger konturiert ist hingegen das objektive Interesse an einer größtmöglichen Akzeptanz von Planungsentscheidungen in der Öffentlichkeit, welches ebenfalls für eine Planaufhebung spricht: Dieses Kriterium erlangt insofern rechtliche Bedeutung, als rechtsstaatlich legitimiertes Handeln des Staates grundsätzlich in der Lage sein muß, bei den von ihm Betroffenen eine befriedende Wirkung zu erzielen. Dies gilt in besonderem Maße für das Fachplanungsrecht, dessen Anwendung im konkreten Fall für einen großen Kreis von Beteiligten zu einer Schlichtung von Nutzungs- und Interessenkonflikten führen soll. Diese Möglichkeit zur Befriedung ist aber gerade hier insofern labil, als die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben sich weniger auf den Inhalt als vielmehr auf das Zustandekommen von Planungen beziehen. Diese Ergebnisoffenheit verlangt damit in noch stärkerem Maße als im sonstigen Verwaltungsrecht die Erzeugung von Legitimität vorrangig durch Einhaltung der Form, also insbesondere durch Beachtung der Bestimmungen über das Planfeststellungsverfahren und die planerische Abwägung als Instrumente der Entscheidungsgewinnung. Dieses objektive Legitimitätsinteresse ist dann gefährdet, wenn die Bestimmung der Folgen rechtswidrigen Planens 47
BVerwG, Urteil vom 27. Mai 1983 - 4 C 40, 44 und 45.81 - , BVerwGE 67, 206/ 209; vgl. aber auch Schoch, 1994, 962/969: Artikel 83 ff. GG regelten lediglich die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern, nicht aber die Art der Aufgabenerfüllung. 48 Hoppe, FS Schlichter, S. 87/105 (m.w.N. dort in FN 83); ders., Symposium, S. 133/155; Morlok, Folgen von Verfahrensfehlern, S. 71. Nach Steinberg, DÖV 1982, 619/622 (m.w.N. in FN 22) sind die Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Exekutive zwar keine Sätze ungeschriebenen Verfassungsrechts oder vorgegebene Strukturprinzipien der Verfassung, dennoch gerade im Bereich der planenden Verwaltung „nicht ohne Verfassungsrelevanz". Ronellenfltsch, DVB1. 1994, 441/448, spricht von einem „verfassungsrechtlichen Effizienzpostulat", ohne dieses allerdings näher zu begründen. 49 Bullinger, Beschleunigte Genehmigungs- und Planungsverfahren, S. 127/132; Ronellenfltsch , Beschleunigung und Vereinfachung, S. 133 ff.
2. Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit
195
sich primär an der Haltbarkeit des Planungsergebnisses orientiert, wie es auch in dem Vorrang des Planergänzungsanspruchs geschieht50. Es läßt sich damit festhalten, daß die in der vorliegenden Konstellation konfligierenden, für und gegen eine Planaufhebung sprechenden Interessen vielschichtig sind und normativ - insbesondere auf Verfassungsebene - nicht einfach verortet werden können. Die im Wege einer Abwägung hergeleitete Schranke der Unzumutbarkeit ist insofern in erhöhtem Maße wertungsorientiert und damit auch angreifbar.
b) Auflösung der Interessenkollision
Sollte man den soeben skizzierten, für eine Planerhaltung sprechenden Werten den Vorrang einräumen und dadurch die Unzumutbarkeit der Planaufhebung begründen, so wäre dies zwar vertretbar, logisch aber keineswegs zwingend. Denn die rechtserzeugende Abwägung ist prinzipiell ergebnisoffen. Dies hat seinen Grund vorrangig darin, daß in einer pluralen Gesellschaftsordnung die Wertigkeit einzelner Interessen grundsätzlich nicht vorgegeben ist, sondern ihr Gewicht sich erst aus der konkreten Situation ergibt 51. Vor diesem Hintergrund muß ein abstraktes Überwiegen bestimmter Belange gegenüber anderen die seltene Ausnahme sein; auch verbietet es sich, Individualinteressen pauschal einem entgegenstehenden Gemeinwohl unterzuordnen. Dem trägt etwa die überkommene Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht hinreichend Rechnung, wenn sie Beseitigungsansprüche von Nachbarn, die von rechtswidrigen Immissionen „gemeinwichtiger" Anlagen betroffen sind, pauschal mit dem Hinweis eben auf diese gegenüber anderen Interessen vorrangige Gemeinwichtigkeit ablehnt52. Ist die Auflösung von Interessenkollisionen damit in der Regel von der Rechtsordnung nicht eindeutig determiniert, hängt sie notwendigerweise ab von subjek50
Dazu s.o. im 2. Kapitel unter III. Leisner, NJW 1997, 636/638; Ossenbühl, DVB1. 1995, 904/907; Schoch, DVB1. 1994, 962/968 (m.w.N. in FN 100). 52 Für den Bestandsschutz „gemeinwichtiger" Vorhaben auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 14 BImSchG bzw. der inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 26 GewO a.F. vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. Februar 1959 - V ZR 11/57 - , BGHZ 29, 314/ 317; BGH, Urteil vom 15. Juni 1967 - III ZR 23/65 - , BGHZ 48, 98/104; BGH, Urteil vom 25. Januar 1973 - III ZR 61/70 - , BGHZ 60, 120/122 f.; BGH, Urteil vom 11. November 1983 - V ZR 231/82 - , DVB1. 1984, 472/473; BGH, Urteil vom 29. März 1984 - III ZR 11/83 - , BGHZ 91 20/23; ähnlich auch BVerwG, Urteil vom 29. April 1988 -IC 33.87 - , BVerwGE 79,254/262; zustimmend zu dieser Rechtsprechung Baur 51
196
7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
tiven Wertungen des Abwägenden. Dies zeigt sich auch in der vorliegenden Konstellation: Es wäre keinesfalls ausgeschlossen, gerade dem objektiven Interesse an einer Planaufhebung (Stichwort: Akzeptanz von Planungsentscheidungen) ein größeres Gewicht beizumessen als den rechtlich nur schwach konturierten Kategorien der Effizienz staatlichen Handelns und des Gemeinwohls, dem das planfestzustellende Vorhaben dient. Gerade das Gewicht des letztgenannten Belangs relativiert sich angesichts des umfassenden Anwendungsbereichs des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs: Ihm käme im Rahmen der Abwägung eine größere Bedeutung zu, wenn er nicht pauschal für sämtliche Planfeststellungen, sondern lediglich für ausgewählt wichtige Vorhaben, etwa solche zur Verbesserung der Infrastruktur in den neuen Ländern, Geltung fände. Aus alledem folgt, daß die Herleitung der Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung durch eine Abwägung kollidierender Belange zwar möglich, aber angesichts ihrer Wertungsbezogenheit angreifbar ist.
3. Umsetzung der Schranke der Unzumutbarkeit
Im Ergebnis durchgreifende Bedenken gegen die Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung als Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs ergeben sich hingegen aus der Form ihrer Umsetzung, genauer: durch den Träger der ihr zugrundeliegenden Abwägungsentscheidung. Dies könnte nämlich nur die zur Plankontrolle berufene Rechtsprechung, mithin die Verwaltungsgerichtsbarkeit sein53. Konkret folgt hieraus, daß im jeweiligen Fall der in Soergel, BGB, § 903 Rdnr. 121; Bender / Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 113 und 124. Hiergegen zu Recht die nunmehr überwiegende Ansicht im Schrifttum: Engler, Der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch, S. 171 ff.; Erichsen in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 31 Rdnr. 9; Martens, FS Schack, S. 85/90 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 279 f.; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, S. 137 f.; Säcker in Münchener Kommentar, BGB, § 906 Rdnr. 123 ff., insbesondere 127; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 23. 53 Hoppe, DVB1. 1996, 12/18; ders., FS Schlichter, S. 87/98: Das offene Prinzip der Planerhaltung bedürfe der Umsetzung in geltendes Recht, was auch durch richterliche Rechtsfortbildung erfolgen könne. Auf die andere von Hoppe vorgeschlagene Umsetzungsmöglichkeit - Kodifizierung des Grundsatzes der Planerhaltung durch den Gesetzgeber - braucht hier nicht näher eingegangen zu werden: Diese wäre zwar grundsätzlich zulässig (dazu s.o. im 4. Kapitel unter V); doch wird sie deshalb ausgeklammert, weil die vorliegend untersuchte „Schrankenlösung" den Rückgriff auf die gesetzliche Anordnung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs gerade entbehrlich machen soll (dazu s.o. im 4. Kapitel unter I und V).
.
etung der Schranke der Unzumutbarkeit
197
Richter die Folgen einer Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses abschätzen, eine Abwägung der fur und gegen die Kassation sprechenden Interessen vornehmen und auf dieser Grundlage den geltend gemachten Aufhebungsanspruch ablehnen oder bejahen müßte. Grundsätzlich ist es aber Sache des Gesetzgebers, konfligierende (Verfassungs-)Rechtspositionen abzugrenzen, einander zuzuordnen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen54. Zwar wird im konkreten EinzelMl auch die Rechtsprechung eine praktische Konkordanz herbeiführen dürfen, etwa wenn das Gesetz durch die Verwendung von Generalklauseln selbst noch keine situative Abschichtung von Rechtssphären vornimmt und es damit einer verfassungskonformen Auslegung bedarf 55. Auf die Frage danach, wo genau die Grenze zwischen einer auf den Einzelfall bezogenen Befugnis der Rechtsprechung zur Herstellung einer praktischen Konkordanz endet und die Kompetenz des Gesetzgebers anfängt, in genereller Weise den Ausgleich von Interessenkonflikten zu regeln56, braucht hier aber nicht eingegangen zu werden. Denn gerade für die vorliegende Konstellation ist es dem Gericht bei der Entscheidung über das Bestehen eines Planaufhebungsanspruchs verwehrt, diesen im Wege der Abwägung als unzumutbar abzulehnen, und zwar sowohl aus prozessualen als auch aus materiell-rechtlichen Gründen. Zum ersten fehlt dem Gericht in prozeßrechtlicher Hinsicht die Befugnis, den Erfolg einer Anfechtungsklage von einer eigenen Ermessens- bzw. Abwägungsentscheidung abhängig zu machen. Dies ergibt sich aus § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO, der zwar nicht die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Anfechtungsklage regeln kann57, wohl aber die prozessuale Reaktion des Gerichts, wenn diese vorliegen. Insofern verpflichtet § 113 Absatz 1 Satz 1 54
Engler, Der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch, S. 171ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 316 f.; Martens, FS Schack, S. 85/90 ff.; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, S. 137 f.; deutlich ders., NJW 1997, 2841/2843: Das Primat der gesetzlichen Zuordnung konfligierender Verfassungswerte diene auch der Vermeidung von Fehlentscheidungen auf der judikativen Ebene. Allgemein zur Aufgabe des Gesetzgebers, insbesondere die zur Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen selbst zu treffen, vgl. statt vieler BVerfG, Beschluß vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 - , BVerfGE 83, 130/142 m.w.N. 55 Zur Befugnis der Rechtsprechung, im Einzelfall eine praktische Konkordanz kollidierender Werte herzustellen, vgl. etwa BVerfG, Beschluß vom 07. März 1990- 1 BvR 266/86 und 913/87 - , BVerfGE 81, 278/294 ff. (Abwägung kollidierender Verfassungsgüter durch das Fachgericht bei der verfassungskonformen Auslegung einer Strafnorm); weiterhin Ossenbühl, DVB1. 1995, 904/907 und 911; Salis, Gestufte Verwaltungsverfahren, S. 270 (Befugnis des Gerichts zur Auflösung einer Grundrechtskollision, wenn andernfalls der Bürger konkret beeinträchtigt würde). 56 Hierzu Larenz, Methodenlehre, S. 426 ff. 57 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter I.
198
7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
VwGO das Gericht zwingend, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben. Zu einer eigenen Ermessensprüfung, ob diese Aufhebung verhältnismäßig wäre, insbesondere ihre negativen Folgen die positiven nicht überwögen, ermächtigt die Vorschrift das Gericht nicht. Das folgt aus ihrer konditionalen Struktur, vor allem aber aus ihrem Wortlaut („hebt das Gericht... auf): Dieser unterscheidet sich deutlich etwa von dem des § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO („kann ... anordnen"), welcher dem Gericht die Befugnis zu einer eigenen Abwägung einräumt, ob das Suspensivinteresse des Betroffenen das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt58. Insofern ist es zutreffend, wenn die Konstruktion eines richterlichen Ermessens im Rahmen der Anfechtungsklage überwiegend abgelehnt wird 59 . Darüber hinaus ist es aus materiell-rechtlichen Erwägungen gerade im Fachplanungsrecht der Rechtsprechung verwehrt, aufgrund einer eigenen Güterabwägung den tatbestandlich gegebenen Planaufhebungsanspruch des Klägers abzulehnen und diesen statt dessen auf einen Planergänzungsanspruch zu verweisen: Bei dem Ausschluß eines Anspruchs auf Einstellung eines rechtswidrigerweise emittierenden Betriebs zugunsten von Ansprüchen auf Schaffung von Schutzvorkehrungen handelt es sich um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums an benachbarten Grundstücken im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG 60 . Eine solche kann aber originär nur durch Gesetz, nicht aber durch die Rechtsprechung erfolgen 61. Wollte man den insofern vergleichbaren Vorrang des Planergänzungs- gegenüber dem Planaufhebungsanspruch als Resultat richterli58
Allgemeine Meinung; vgl. statt vieler Finkelnburg / Jank, Vorläufiger Rechtsschutz, Rdnr. 850 ff; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 80 Rdnr. 5, jeweils m.w.N. 59 Für ein solchesrichterliches Ermessen Degenhart, DVB1. 1981, 201/206; ders., DVB1. 1982, 872/883 f.; Götz, NJW 1976, 1425/1429 (jeweils im Zusammenhang mit § 46 VwVfG a.F.); hiergegen zu Recht das ganz überwiegende Schrifttum: Bettermann, FS H.P. Ipsen, S. 271/288 („indiskutabele Ansicht"); Eibert, Formelle Rechtswidrigkeit, S. 78 ff; Hill, Das fehlerhafte Verfahren, S. 107; Klappstein in Knack, VwVfG, § 46 Rdnr. 6.1; Kopp, VwVfG, § 46 Rdnr. 17; Krebs, DVB1. 1984, 109/110; Meyer in Meyer / Borgs, VwVfG, § 46 Rdnr. 5; Sachs in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 46 Rdnr. 17; Schenke, DÖV 1986, 305/311; in diesem Sinne auch Engler, Der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch, S. 196. Ablehnend auch VGH München, Beschluß vom 16. April 1981-20 CS 80 D/61 - , NVwZ 1982, 510/513 f. 60 BVerfG, Beschluß vom 12. März 1986 - 1 BvL 81/79 - , BVerfGE 72, 66/76 (fur eine § 14 BImSchG entsprechende Regelung). 61 Deutlich Böhmer, NJW 1988, 2561/2573; die einfachgesetzliche Normativität des Eigentumsschutzes betonen auch Erichsen in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 31 Rdnr. 9; Mampel, DVB1. 1994,1053/1054; Martens, FS Schack, S. 85/90ff; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, S. 137 f.; Schmidt-Aßmann /Schoch, Bergwerkseigentum, S. 42 f.; Steinberg, FS Schlichter, S. 599/601.
4. Ergebnis
199
cher Rechtsfortbildung betrachten, so würde dies immer dann gegen Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG verstoßen, wenn - was der Regelfall ist 62 - der Anspruchsteller ein in seinem Grundeigentum mittelbar betroffener Nachbar des planfestgestellten Vorhabens ist.
4. Ergebnis
Auch die Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung steht einem tatbestandlich gegebenen Planaufhebungsanspruch nicht im Wege. Denn eine solche Schranke ist zum einen hinsichtlich ihrer Herleitung angreifbar, da sie das Ergebnis einer Abwägung kollidierender Werte darstellt und ihr damit zwangsläufig die Einwände der Subjektivität, Wertungsabhängigkeit und fehlenden Transparenz begegnen. Zum anderen hat aber die zur Plankontrolle angerufene Rechtsprechung keine Befugnis, den Planaufhebungsanspruch des Betroffenen auf der Grundlage einer eigenen Abwägungsentscheidung zugunsten eines Planergänzungsanspruchs auszuschließen: Prozessual normiert § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO die Verpflichtung des Gerichts, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des materiellen Aufhebungsanspruchs den angefochtenen Planfeststellungsbeschluß aufzuheben. Dies ist eine gebundene Entscheidung; für ein eigenes richterliches Ermessen bleibt hier - anders als etwa im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO - kein Raum. Weiterhin wäre es in materiell-rechtlicher Hinsicht allein Sache des Gesetzgebers, den Aufhebungsanspruch zugunsten eines Ergänzungsanspruchs auszuschließen und insofern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums vorzunehmen. Der Rechtsprechung fehlt hierzu die Kompetenz. Diese Erwägungen, die letztlich zum Ausschluß der Schranke der Unzumutbarkeit der Planaufhebung führen, gründen überwiegend im Fachplanungsrecht. Im Bauplanungsrecht hingegen bestehen diese Bedenken nicht, so daß dort in Anlehnung an Hoppe durchaus ein „Grundsatz der Planerhaltung" herleitbar ist, der eine dogmatische Grundlage für gesetzliche, aber auch richterrechtliche Mechanismen zur Reduzierung von Fehlerfolgen bilden könnte: Die hier für das Fachplanungsrecht aufgezeigte Offenheit einer Abwägung zwischen den für und gegen eine Planaufhebung sprechenden Belangen besteht so nicht im Bauplanungsrecht. Denn dort streiten für die Planerhaltung - genauer: für eine Durchbrechung des für rechtswidrige Normen geltenden Nichtigkeitsdogmas - nicht nur die Effizienz staatlichen Handelns und die Gemeinwichtigkeit des Plans, son62
Dazu s.u. im 8. Kapitel unter 12 a.
200
7. Kap., II. Unzumutbarkeit der Anspruchserfüllung
dem eine Reihe von weiteren Werten63. Zu nennen ist hier erstens die Rechtssicherheit: denn anders als ein Planfeststellungsbeschluß kann ein Bebauungsplan nicht in Bestandskraft erwachsen, mit der Folge, daß seine Fehlerhaftigkeit grundsätzlich ohne zeitliche Einschränkung gerügt werden kann; eine konsequente Anwendung des Nichtigkeitsdogmas ließe die Rechtsgrundlage für Dispositionen Dritter, die diese im Vertrauen auf den Bestand des Plans getätigt haben, nachträglich wieder entfallen 64. Zweitens die grundrechtsfördernde Wirkung der Bauleitplanung: Im Gegensatz zur Fachplanung, die grundsätzlich nicht im subjektiven Interesse des Vorhabenträgers oder anderer Planbetroffener ergeht65, dient die Bauleitplanung auch der Ermöglichung und Entfaltung der grundrechtlich geschützten Bautätigkeit der jeweiligen Grundeigentümer. Und drittens die kommunale Selbstverwaltung: Die zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählende Bauleitplanung muß so ausgestaltet sein, daß sie von den zuständigen Selbstverwaltungsorganen auch bewältigt werden kann. Der Verfassungsrang dieser Interessen ließe sich im einzelnen auch besser begründen als es bei den für den Ausschluß des Planaufhebungsanspruchs sprechenden Werten der Fall ist. Auch die gegen die Schranke der Unzumutbarkeit letztlich durchgreifenden kompetenziellen Erwägungenfinden im Bauplanungsrecht keine Entsprechung: Nach überwiegender Meinung kommt im Rahmen des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO dem angerufenen Gericht ein gewisser Entscheidungsspielraum zu. Die Feststellung der Nichtigkeit der Norm ist damit keinesfalls zwingend, sondern auch von einer Folgeneinschätzung durch das Gerichts abhängig66. Dies läßt sich unter anderem mit dem Wortlaut des § 47 Absatz 5 Satz 2 VwGO belegen, der die Rechtsfolge „Nichtigkeitserklärung" nicht an einen fest fixierten Tatbestand, sondern an die „Überzeugung" des Gerichts von der Ungültigkeit der Rechtsvorschrift knüpft. Hierdurch öffnet sich die Norm auch einer gerichtlichen Wertung und unterscheidet sich insofern gerade von § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO. Überdies dient das Normenkontrollverfahren primär der objektiven Rechtskontrolle, nicht aber dem subjektiven Rechtsschutz des Planbetroffe63
Übersicht bei Morlok, Folgen von Verfahrensfehlem, S. 70 ff. Hier setzt § 215 a Absatz 1 BauGB in der Fassung der Baurechtsnovelle 1998 vom 18. August 1997 (BGBl. I, S. 2081) an, der die Möglichkeit eines ergänzenden Verfahrens zur Fehlerheilung eröffnet; vgl. hierzu Stiier, Handbuch, Rdnr. 688 ff. 65 Dazu s.o.unter 12 b. 66 So etwa Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 47 Rdnr. 113 (m.w.N. auch zur Gegenansicht in FN 607); Hoppe, FS Schlichter, S. 87/110 f.; Kopp, VwGO, § 47 Rdnr. 64. Der Gesetzgeber hat diese Ansicht in Artikel 8 der Baurechtsnovelle 1998 vom 18. August 1997 bestätigt und § 47 Absatz 5 VwGO um einen entsprechenden Satz 4 ergänzt (BGBl. I, S. 2081). 64
4. Ergebnis
201
nen67. Grundrechtliche Bedenken gegen einerichterliche Gestaltung von Fehlerfolgen greifen also im Bauplanungsrecht grundsätzlich nicht. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, daß die „Schrankenlösung" nicht überzeugt: Der Rechtsgrund des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs besteht nicht darin, daß in der vorliegenden Konstellation dem tatbestandlich gegebenen Planaufhebungsanspruch eine Schranke entgegenstünde.
6
Dazu s.. im . Kapitel unter .
. Kapitel
Planaufhebungsanspruch als überschießende Rechtsfolge Bei dem Planaufhebungsanspruch handelt es sich - ebenso wie bei dem Planergänzungsanspruch — systematisch um einen Abwehranspruch, mit dem der Betroffene sich gegen die Verletzung seiner primären subjektiven Rechtsposition durch den Staat zur Wehr setzt. Sein Ziel ist die Wiederherstellung der rechtlichen Integrität des Anspruchsinhabers; insofern läßt er sich auch als „Integritätsanspruch" bezeichnen, mit dem die beeinträchtigte subjektive Rechtsposition des von staatlichem Unrecht Betroffenen wieder in Deckung mit ihrer normativen Ausgestaltung gebracht werden soll 1 . Bei dieser Funktion des Aufhebungsanspruchs setzt die „Rechtsfolgenlösung" an: Hiernach besteht der Rechtsgrund des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs darin, daß in der vorliegenden Konstellation der vom Fehlen der Schutzmaßnahme Betroffene zwar einen Abwehranspruch geltend machen kann; denn die Nichtanordnung der erforderlichen Schutzmaßnahme verletzt ihn in seiner primären subjektiven Rechtsposition und läßt damit einen Reaktionsanspruch entstehen2. Nach der „Rechtsfolgenlösung" wäre diese verletzte Rechtsposition aber inhaltlich so ausgestaltet, daß fur ihre Wiederherstellung die Planergänzung ausreichend und die Planaufhebung nicht erforderlich ist. Bei letztgenannter handelte es sich dann um eine überschießende Rechtsfolge des tatbestandlich gegebenen Abwehranspruchs. Ein dennoch geltend gemachter Planaufhebungsanspruch ginge damit über das hinaus, was erforderlich wäre, um die Integrität der verletzten Rechtsposition zu verteidigen. Dieser Ansatz könnte sowohl den Ausschluß des Planaufhebungs- als auch das gleichzeitige Bestehen des Planergänzungsanspruchs erklären; insofern ist er nicht den systematischen Bedenken ausgesetzt, welche von vornherein gegen die hier so bezeichnete „Tatbestandslösung" gesprochen haben3.
1 2 3
Hierzu s.o. im 3. Kapitel unter III und IV sowie im 5. Kapitel unter I und IV. Dazu s.o. im 6. Kapitel unter II. Dazu s.o. im 5. Kapitel unter I.
204
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Im Sinne dieser „Rechtsfolgenlösung" lassen sich diejenigen Stimmen in Literatur und Rechtsprechung verstehen, die in der vorliegenden Konstellation den Vorrang des Planergänzungsanspruchs mit dem „Integritätsinteresse" des vom Fehlen der erforderlichen Schutzmaßnahmen Betroffenen erklären: Dieses sei allein auf eine Planergänzung, nicht aber auf eine Planaufhebung gerichtet. Denn der von einer hoheitlichen Maßnahme in seinen Rechten Verletzte solle die Wiederherstellung seiner Rechtsposition verlangen können, aber auch nicht mehr4. Maßgeblich für die folgende Untersuchung der „Rechtsfolgenlösung" ist damit die subjektive Rechtsposition eines mittelbar Betroffenen im Fachplanungsrecht, die zunächst beschrieben werden soll (dazu unter I). In einem zweiten Schritt gilt es, die Schlüsse aufzuzeigen, die sich hieraus für die Bestimmung der Rechtsfolge des in der vorliegenden Konstellation tatbestandlich gegebenen Abwehranspruchs ergeben, also zu klären, ob es einer Planergänzung oder einer Planaufhebung bedarf, um die Integrität dieser Rechtsposition wiederherzustellen (dazu unter II). Im Ergebnis wird sich dabei zeigen, daß ein Verstoß gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG keinen Planaufhebungs-, sondern nur einen Planergänzungsanspruch auslöst. Denn der Gesetzgeber hat die subjektive Rechtsstellung des mittelbar Betroffenen bereits insofern eingeschränkt, als dieser grundsätzlich nicht verlangen kann, von der Planfeststellung insgesamt verschont zu bleiben, wenn von dem Vorhaben ausgehende Beeinträchtigungen durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen vermieden oder kompensiert werden können.
I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen In der fachplanungsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung findet sich nur selten eine systematische Darstellung der subjektiven Rechtsposition des von einem Planfeststellungsbeschluß mittelbar, also nicht final mit enteignender Vorwirkung Betroffenen. Zumeist beschränkt man sich darauf, im Zusammenhang mit der Klagebefugnis bei Anfechtungsklagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse einzelne Elemente dieser Rechtsstellung aufzuzählen, ohne aber näher auf deren strukturelles Verhältnis zueinander einzugehen oder ihre Reichweite oder den Kreis ihrer Träger abzugrenzen5. Der Versuch einer solchen systematischen Darstellung soll im folgenden unternommen werden.
4
Vgl. die Nachweise im 4. Kapitel unter IV. Eine der wenigen systematischen Beschreibungen der subjektiven Rechtsposition Planbetroffener findet sich bei Steinberg, FS Schlichter, S. 599 ff. 5
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
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Dabei gilt es in einem ersten Schritt, die materielle, also nicht auf das Planfeststellungsverfahren bezogene Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen zu beschreiben (dazu unter 1). Dies kann sich allerdings nicht in einem pauschalen Hinweis auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG erschöpfen (dazu dort unter a). Die subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen wird vieleher geprägt durch verschiedene grundrechtliche und einfachgesetzliche Positionen, die ineinandergreifen und sich wechselseitig bedingen, überlagern und ausgestalten. Auf diese verschiedenen Elemente und ihren systematischen Zusammenhang wird im einzelnen einzugehen sein (dazu dort unter b und c). Zweitens soll geklärt werden, wer Inhaber dieser Rechtsposition ist, also um wen es sich bei dem „mittelbar Betroffenen" in materiell-rechtlicher Hinsicht handelt (dazu unter 2). Dies erscheint fur die vorliegende Untersuchung aus folgenden Erwägungen notwendig: Die subjektive Rechtsstellung des Planbetroffenen wird entscheidend durch dessen Grundrechte auf Eigentum und auf körperliche Unversehrtheit geprägt, wobei die fachplanungsrechtliche Literatur und Rechtsprechung hierbei den Schwerpunkt traditionell bei Artikel 14 GG setzt. Die damit einhergehende Vernachlässigung des Artikel 2 Absatz 2 GG ist aber dogmatisch nicht haltbar und wird auch zunehmend korrigiert. Diese Tendenz zu einer eigenständigen Heranziehung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit manifestiert sich insbesondere in der Frage nach dem Inhaber subjektiver Rechtspositionen im Fachplanungsrecht, genauer: in dem maßgeblichen Begriff des Nachbarn. Es wird zu zeigen sein, daß ein fur die Vermittlung klagefahiger Rechtspositionen notwendiges Nachbarschaftsverhältnis nicht nur auf der Grundlage des Artikel 14 GG, sondern auch - selbständig - auf der des Artikel 2 Absatz 2 GG entstehen kann. Die zunehmende Bedeutung des Artikel 2 Absatz 2 GG erlangt gerade fur die vorliegende Untersuchung ein besonderes Gewicht: Wie noch zu zeigen sein wird, läßt sich der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs zwar mit der hier so bezeichneten „Rechtsfolgenlösung" erklären. Eine wesentliche Beschränkung der Reichweite dieses Grundsatzes ergibt sich aber aus den Besonderheiten des Artikel 2 Absatz 2 GG6.
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Dazu s.u. im 10. Kapitel unter II 2.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen 1. Inhalt der Rechtsposition
a) Umfassende Rechtsposition aus Artikel 2 Absatz 1 GG?
In der Literatur wird mitunter die Ansicht vertreten, daß jeder Planbetroffene die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses in vollem Umfang zur Überprüfung stellen könne. Denn angesichts der umfassenden Gestaltungswirkung der Planfeststellung gemäß § 75 Absatz 1 Satz 2 VwVfG und des generellen Ausschlusses von Abwehransprüchen mit Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG sei er Adressat eines belastenden Verwaltungsakts und damit gemäß der „Adressatentheorie" bei dessen Rechtswidrigkeit zumindest auch in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 1 GG verletzt7. Diese Ansicht basiert auf dem zutreffenden Befund, daß im Fachplanungsrecht gerade kein echtes Dreiecksverhältnis zwischen einem genehmigungsbegünstigten Unternehmer, der genehmigenden Verwaltung und dem mittelbar genehmigungsbetroffenen Nachbarn vorliegt; denn im Regelfall handelt es sich um die gemeinnützige Planfeststellung eines öffentlichen Vorhabenträgers. Grundsätzlich steht der Planbetroffene also allein „dem Staat" gegenüber, welcher die Realisierung planfeststellungsbedürfitiger Vorhaben lediglich in organisatorischer Hinsicht zwischen Vorhabenträger und Planfeststellungsbehörde aufgeteilt hat8. Hieraus läßt sich aber nicht folgern, daß nunmehr jeder von einem Planfeststellungsbeschluß Betroffene dessen Adressat und deshalb mit einer umfassenden Rechtsposition aus Artikel 2 Absatz 1 GG ausgestattet sei. Ein pauschaler Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit zur Bestimmung der Rechtsstellung des mittelbar Betroffenen ist nämlich aus drei Gründen ausgeschlossen: Zum ersten handelt es sich bei der sogenannten „Adressatentheorie", mit welcher letztlich die vorrangige und umfassende Anwendung des Artikel 2 Absatz 1 GG begründet wird, nicht um ein dogmatisch tragfahiges Fundament fur gesi7
In diesem Sinne Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 79 ff.; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 14 Rdnr. 80; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 232 ff.; Löwer, DVB1. 1981, 528/534. Allgemein (also nicht nur im Fachplanungsrecht) für eine umfassende Rechtsposition des von jeglichem staatlichen Handeln Betroffenen aus Artikel 2 Absatz 1 GG: Bernhardt, JZ 1963, 302/304 und 306 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 162; Goerlich, NVwZ 1982, 607/608; van den Hövel, JA 1993, 336/337 f.; Sening, NuR 1980, 102/105; Zuleeg, DVB1. 1976, 509/514 ff.; in diese Richtung auch Sailer , DVB1. 1976, 521/522 f. 8 Dazu s.o. im 7. Kapitel unter 12 sowie im 3. Kapitel unter III.
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cherte Rechtserkenntnisse (im Sinne einer echten „Theorie")9. Denn sie setzt letztlich das voraus, was sie eigentlich erst begründen will, nämlich eine Rechtsposition des von einem Verwaltungsakt Betroffenen. Mit anderen Worten: Sie läßt keine Schlüsse darüber zu, wer im Rechtssinne Adressat des Verwaltungsakts ist. Mag die Adressatenstellung sich bei finalen Eingriffen noch problemlos ermitteln lassen, so ist dies gerade in dem für die vorliegende Konstellation maßgeblichen Bereich nicht-finaler Beeinträchtigungen ohne den Rückgriff auf weitere Kriterien nicht mehr möglich10. Dies erkennen auch die Befürworter einer Anwendung der „Adressatentheorie" im Fachplanungsrecht bei mittelbarer Betroffenheit: Entweder stellen sie auf einen formellen Adressatenbegriff ab, wonach Adressat eines Planfeststellungsbeschlusses (und damit Träger einer umfassenden Rechtsposition aus Artikel 2 Absatz 1 GG) derjenige sein soll, welchem gegenüber er bekanntgegeben wurde1 Κ Dieser Ansatz kann angesichts der gerade bei Großvorhaben üblichen öffentlichen Bekanntmachung von Planfeststellungsbeschlüssen (vgl. §§74 Absatz 1 Satz 2, 69 Absatz 2 Satz 2 VwVfG) allerdings nicht überzeugen. Im übrigen erscheint es zweifelhaft, die Bestimmung der Reichweite einer subjektiven Rechtsposition des Planbetroffenen der Planfeststellungsbehörde und ihrer Bekanntgabepraxis zu überlassen. Oder aber es wird versucht, den Adressatenbegriff in materieller Hinsicht handhabbar zu machen: Adressat sei hiernach jeder Gewaltunterworfene, dessen Abwehransprüche der Planfeststellungsbeschluß entzöge12. Auch diese Konstruktion führt aber zu keiner hinreichenden Konturierung des Adressatenkreises einer Planfeststellung: Zum einen ist die Gestaltungs- und Duldungswirkung des bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses umfassend, gilt also gegenüber jedermann (§ 75 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 1 VwVfG); zum anderen setzt der Entzug von Störungsbeseitigungsansprüchen deren Bestehen voraus, welches wiederum eine Beeinträchtigung primärer subjektiver Rechtspositionen verlangt13. Die materielle Aufladung des Adressatenbegriffs gerät insofern in die Nähe eines gedanklichen Zirkels. Die Bestimmung des Adressaten eines Planfeststellungsbeschlus9 Allgemein zu den Schwächen der Adressatentheorie Gurlit, Die Verwaltung 28 (1995), 449 ff. 10 Kritisch zur Anwendung der „Adressatentheorie" im Fachplanungsrecht auch Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen, S. 301 f.; Ladeur, UPR 1984, 1/2 f.; Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1184 („bloße Faustformel"); Gurlit, Die Verwaltung 28 (1995), 449/465 ff. 11 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 14 Rdnr. 80. 12 Löwer, DVB1. 1981, 528/534; ähnlich Skouris, Verletztenklagen, S. 202 f. (für die Konstellation des Entzuges von Abwehransprüchen gemäß § 14 BImSchG); Stüer, NuR 1981, 149/150 (Adressaten des Planfeststellungsbeschlusses seien alle durch den Plan betroffenen, individuell feststehenden Grundstückseigentümer). 13 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter II 1.
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ses ist also nicht unproblematisch, vermittelt hinsichtlich der materiellen Rechtsposition eines Planbetroffenen letztlich aber auch keinen Erkenntnisgewinn und braucht daher hier auch nicht zu erfolgen 14. Zweites Argument gegen einen pauschalen Rückgriff auf Artikel 2 Absatz 1 GG zur Bestimmung der materiellen Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen ist die Besonderheit der Fachplanung, daß sie ein polygonales Beziehungsgeflecht verschiedener, mitunter kollidierender öffentlicher und privater Interessen in einen angemessenen Ausgleich bringen soll. Für eine solche Konfliktschlichtung sind die Grundrechte selbst und insbesondere Artikel 2 Absatz 1 GG wegen ihrer prinzipienhaften Wirkung ungeeignet; denn sie liefern ihrerseits noch keine Zuordnung von Freiheits- und Herrschaftssphären, sondern setzen hierfür lediglich Leitlinien und äußerste Grenzen. Gerade in mehrdimensionalen Rechtsverhältnissen mit komplexen Sachverhalten, vielschichtigen Interessenlagen und verschiedenen Formen nicht-finaler Beeinträchtigungen unterschiedlicher Intensität bedürfen die betroffenen grundrechtlichen Positionen einer Ausprägung und Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber. Diesem obliegt es, konfligierende öffentliche und private Interessen einander zuzuordnen, Rechtssphären voneinander abzugrenzen und die hier gerade auch in ihrem objektiven Wertgehalt wirksamen Grundrechtsverbürgungen in mehrpoligen Rechtsverhältnissen auszutarieren. Diese Gestaltungspflicht, aber auch -befugnis des einfachen Gesetzgebers würde in unzulässiger Weise durch einen pauschalen Rückgriff auf Grundrechte des durch das Planungsvorhaben Betroffenen überspielt15. Diese Ausgestaltungsbedürftigkeit grundrechtlicher Positionen in polygonalen Rechtsverhältnissen gilt in besonderem Maße für Artikel 2 Absatz 1 GG in seiner Funktion als allgemeine Handlungsfreiheit. Denn diese ist für sich genommen 14
Vgl. zur umstrittenen Beschreibung des Adressatenkreises eines Planfeststellungsbeschlusses etwa Bonk in Stelkens / Bonk / Sachs, VwVfG, § 74 Rdnr. 19 (rechtsgestaltender Verwaltungsakt mit dinglicher Wirkung); Gornig, Die sachbezogene hoheitliche Maßnahme, S. 198 ff. (dinglicher Verwaltungsakt, dessen Adressat der Vorhabenträger sei); Hoppe / Schiarmann, Rechtsschutz, Rdnr. Al ff. (kombinierter Verwaltungsakt mit dinglicher und personaler Seite); Meyer in Meyer / Borgs, § 74 Rdnr. 9 (dinglicher Verwaltungsakt mit nur mittelbaren Adressaten); Pietzner / Ronellenfltsch, Assessorexamen, § 14 Rdnr. 14 (dinglicher Verwaltungsakt, der zugleich Drittwirkung entfalten könne). 15 Die Ansicht, wonach die Grundrechte gerade in mehrpoligen Rechtsverhältnissen einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung und Abgrenzung gegenüber konfligierenden Rechtspositionen bedürfen und deshalb ein Anwendungsvorrang des einfachen Rechts ihnen gegenüber besteht, setzt sich zunehmend durch: Vgl. etwa Blankenagel, Die Verwaltung 26 (1993), 1/10 f.; Breuer, DVB1. 1983, 431/436 f. (subjektiv öffentliche Rechte als „grundrechtskonkretisierendes Gesetzesrecht"); Erbguth, Rechtssystematische Grundfragen, S. 317 (m.w.N. dort in FN 581 ff.); Erichsen in Isensee / Kirchhof, Handbuch des
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völlig unkonturiert und enthält gerade (noch) keine ausgewogene Abgrenzung verschiedener Rechtskreise. Insofern ist dem BVerwG zuzustimmen, wenn es bei mittelbaren Beeinträchtigungen im Fachplanungsrecht dieses Grundrecht allenfalls dort heranziehen will, wo der einfache Gesetzgeber den Betroffenen im Verhältnis zum planfestzustellenden Vorhaben mit einer eigenen Rechtsposition ausgestattet hat16. Artikel 2 Absatz 1 GG statuiert im Ergebnis hier also kein subjektives Recht, sondern setzt dessen (einfachgesetzliche) Begründung vieleher voraus. Mit anderen Worten: Erst und nur wenn der Gesetzgeber in mehrpoligen Rechtsverhältnissen dem mittelbar Betroffenen eine über spezielle Grundrechtsverbürgungen hinausgehende Rechtsposition eingeräumt hat, ist Artikel 2 Absatz 1 GG einschlägig17. Hieraus folgt freilich nicht, daß Artikel 2 Absatz 1 GG vollständig zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stünde; dies wäre mit Artikel 1 Absatz 3 GG nicht vereinbar. Wenn die allgemeine Handlungsfreiheit aber angewiesen ist auf eine einfachgesetzliche Konkretisierung, so folgt hieraus fur die Suche nach subjektiven Rechtspositionen des mittelbar Betroffenen eine Veränderung des Blickwinkels: Dieser verschiebt sich weg von der Fragestellung, ob Artikel 2 Absatz 1 GG bestimmte, quasi vorgegebene Freiheiten enthält, hin zu der, ob der Gesetzgeber bei der Zubilligung bzw. Verweigerung subjektiver
Staatsrechts, Band VI, § 152 Rdnr. 77 f.; Gassner, DÖV 1981, 615/619; Gurlit, Die Verwaltung 28 (1995), 449/472 f.; Jarass, AöR 110 (1985), 363/382; Pietzcker, FS Bachof, S. 131/146 f.; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 29 ff.; Ramsauer, AöR 111 (1986), 501/512; Schapp, Das subjektive Recht, S. 152 ff. (Gesetz als „Konfliktsentscheidung über das Gefüge öffentlicher und privater Interessen"); Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. 4, Rdnr. 3; Starch, JZ 1996, 1033/1038 (m.w.N. dort in FN 68); Steinberg, NJW 1984,457/459; ders., FS Schlichter, S. 599/601 (m.w.N. dort in FN 10); Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 37 ff. (Konfliktschlichtungsprärogative des einfachen Gesetzgebers); Wahl, DVB1. 1996, 641/644 f.; ähnlich schon Bachof, Gedächtnisschrift W. Jellinek, S. 287/296; Lerche, Übermaß, S. 125 ff. Dieser Anwendungsvorrang des einfachen Rechts ist im Zusammenhang zu sehen mit der oben bereits angedeuteten primären Befugnis des Gesetzgebers, Kollisionen von Verfassungswerten durch Herbeiführung einer praktischen Konkordanz aufzulösen (dazu s.o. im 7. Kapitel unter II 3). 16 BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/220 f.; ebenso für das Bauplanungsrecht BVerwG, Urteil vom 06. Dezember 1967 - IV C 94.66 - , BVerwGE 28, 268/271. 17 In diesem Sinne auch Breuer, DVB1. 1986, 849/854; Gassner, DÖV 1981,615/619; Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 250 (Artikel 2 Absatz 1 GG als eine lex imperfecta, deren Anwendung stets einen Akt der Konkretisierung voraussetze); Jarass, NJW 1983, 2844/2847; ders., FS Lukes, S. 57/68; Pietzcker, JuS 1982, 106/110; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5/10; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 54 f. (m.w.N. dort in FN 88); Stüer, NuR 1981, 149/155; Wiegand, BayVBl. 1994, 609/614. 14 Hildebrandt
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Rechtspositionen Artikel 2 Absatz 1 GG verletzt hat18. Dies wird angesichts des weiten Gesetzesvorbehalts, unter dem dieses Grundrecht steht, allerdings selten der Fall sein. Drittes und letztes Argument gegen die Annahme einer umfassenden Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen aus Artikel 2 Absatz 1 GG ist ihre konstruktive Schwäche und Systemwidrigkeit: Wollte man die allgemeine Handlungsfreiheit als eine Freiheit vor jeglichem ungesetzlichen Zwang verstehen, so führte dies in letzter Konsequenz zu einem reinen Gesetzesvollziehungsanspruch. Ein solcher stellte aber eine dogmatisch nicht begründbare Versubjektivierung der in Artikel 20 Absatz 3 GG enthaltenen objektiven Verpflichtung der Verwaltung zu rechtmäßigem Handeln dar; überdies ließe er sich in das subjektiv-rechtlich ausgerichtete Rechtsschutzsystem des öffentlichen Rechts nicht einfügen 19. Im Ergebnis bedeutet das, daß die subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen sich nicht mit einem pauschalen Hinweis auf Artikel 2 Absatz 1 GG beschreiben läßt, sondern vieleher einer exakten Herausarbeitung bedarf. Im folgenden werden daher die einzelnen Bestandteile dieser Rechtsstellung und ihr Verhältnis zueinander dargestellt: nämlich die einschlägigen konkreten Grundrechtsverbürgungen (dazu unter b) in ihrer Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber (dazu unter c).
b) Einzelne Grundrechtsverbürgungen
Ein Planfeststellungsbeschluß kann auf mittelbare Weise vorrangig drei Grundrechte tangieren: zum ersten die von Artikel 14 GG geschützte Nutzung des Grundstückseigentums (dazu unter aa); zum zweiten das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG (dazu unter bb); und zum dritten die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 Absatz 1 GG, sofern und soweit der einfache Gesetzgeber über den Inhalt spezieller Freiheitsrechte hinaus eine subjektive Rechtsposition statuiert und damit die allgemeine Handlungsfreiheit für eine Anwendung auch in polygonalen Rechtsverhältnissen hinreichend konkretisiert hat (dazu unter cc).
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Ähnlich Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 269. Dazu s.o. im 5. Kapitel unter II 2 b.
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aa) Artikel 14 GG Artikel 14 GG vermittelt die „klassische" subjektive Rechtsposition im Fachplanungsrecht. Ein Planfeststellungsbeschluß kann nämlich auch solche Eigentümer belasten, deren Grundstücke nicht für die Realisierung des jeweiligen Projekts - unmittelbar - in Anspruch genommen werden sollen. Artikel 14 GG ist hier insofern betroffen, als dieses Grundrecht auch die Nutzung des Eigentums, mithin das an Grundstücken in der Umgebung des planfestzustellenden Vorhabens schützt 20 .
bb) Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) Ein Planfeststellungsbeschluß kann das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit betreffen (Artikel 2 Absatz 2 GG), wenn von dem planfestzustellenden Projekt Auswirkungen auf dessen Umgebung ausgehen, die sich für den hiervon Betroffenen als Gesundheitsbeschädigungen beschreiben lassen 21 . Wenn vereinzelt in der Literatur die Möglichkeit eines Eingriffs in Artikel 2 Absatz 2 GG 20
BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/65 (Die Entscheidung betrifft einen auch mittelbar Betroffenen.); BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/222 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77-, BVerwGE 59,253/261; BVerwG, Urteil vom 04. März 1983 - 4 C 74.80, NVwZ 1983, 672; BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 - 4 C 80.79-, BVerwGE 67, 74/ 76; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987-4 C 49.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 71, S. 25; BVerwG, Beschluß vom 26. Juli 1990 - 4 Β 235.89 - , DÖV 1990, 1061; BVerwG, Beschluß vom 20. August 1990 - 4 Β 146-148.89 - , NVwZ-RR 1991, 8/10; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992-4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 9.95 - , BVerwGE 101, 1/10 f.; BVerwG, Urteil vom 27. November 1996 - 11 A 27.96 - , NVwZ 1997, 917; VGH München, Urteil vom 19. September 1989 - 8 Β 88.250 - , NVwZ 1990, 377. Ebenso Hermann, Fluglärm, S. 334 f.; Hermes, Grundrecht auf Schutz, S. 84; Johlen, DÖV 1989, 204; Ramsauer, NuR 1990, 349/354 (für die insoweit vergleichbare Straßenplanung durch Bebauungsplan). Teilweise wird auch vertreten, daß das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von Artikel 14 GG geschützt sei und durch eine Planfeststellung mittelbar betroffen werden könne, so etwa von Hoppe, FS Menger, S. 747/766; ablehnend hierzu z.B. Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1188; ausführlich zu dieser Problematik Steinberg,„ Fachplanung, § 5 Rdnr. 22 sowie § 7 Rdnr. 62 (jeweils m.w.N.). 21 So die ganz überwiegende Meinung: z.B. BVerfG, Beschluß vom 09. Juni 1987 - 1 BvR 510/87 - , NVwZ 1987, 969; BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51, 15/28; BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1979 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/221 ff.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/ 261 f.; BVerwG, Urteil vom 04. März 1983 - 4 C 74.80 - , NVwZ 1983, 673; BVerwG,
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durch einen Planfeststellungsbeschluß mit der Begründung abgelehnt wird, daß niemand rechtlich gezwungen sei, sich in dessen Wirkungsbereich aufzuhalten 22, so kann das nicht überzeugen. Denn angesichts der Raumverantwortung der Planfeststellungsbehörde, der Gestaltungswirkung des Planfeststellungsbeschlusses und der regelmäßig bestehenden Zugehörigkeit des Vorhabenträgers zur öffentlichen Verwaltung müssen sämtliche von dem Betrieb eines planfestgestellten Vorhabens ausgehenden Beeinträchtigungen seiner Umgebung „dem Staat" zugerechnet werden23. Dem legitimen Bedürfnis, solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht als Eingriff in Artikel 2 Absatz 2 GG zu qualifizieren, denen der Betroffene durch zumutbares Eigenverhalten ausweichen kann, läßt sich auf andere Weise Rechnung tragen24. Wenn Artikel 2 Absatz 2 GG bei der Begründung subjektiver Rechtspositionen im Fachplanungsrecht bisher im Gegensatz zu Artikel 14 GG eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, so ist dies nicht etwa einem geringeren grundrechtlichen Schutz geschuldet, den die körperliche Unversehrtheit im Vergleich zum Eigentum genösse, sondern hat zunächst eine rechtstatsächliche Ursache: Der Kausalzusammenhang zwischen Emissionen bzw. Immissionen einerseits und einem pathologischen Befund beim hiervon Betroffenen andererseits ist schwer nachweisbar. Neben solchen medizinwissenschafilichen Erkenntnisdefiziten stand aber auch die über lange Zeit nur unzureichende rechtliche Aufarbeitung und Konturierung der „Gesundheit" als Rechtsbegriff einer angemessenen Behandlung der Schutzgüter des Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG im Umwelt- und Anlagen-
Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 49.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 71, S. 25; BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989-4 C 1.88 - , BVerwGE 82, 61/61 f. (fur die insoweit vergleichbare Konstellation einer atomrechtlichen Baugenehmigung); BVerwG, Beschluß vom 26. Juli 1990 - 4 Β 235.89 - , DÖV 1990, 1061; BVerwG, Beschluß vom 20. August 1990-4 Β 146-148.89-, NVwZ-RR 1991, 8/10; BVerwG, Beschluß vom 10. Oktober 1995 - 11 Β 100.95 - , NVwZ-RR 1997, 336; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 9.95 - , BVerwGE 101,1/9 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Mai 1984-5 S 668/84 - , UPR 1985, 376 f.; VGH München, Urteil vom 19. September 1989 - 8 Β 88.250 - , NVwZ 1990, 377; OVG Bremen, Urteil vom 19. Januar 1993 - 1 BA 11/92 - , NVwZ-RR 1993,468/470. Ebenso Broß, DÖV 1985, 513; Hermann, Fluglärm, S. 334 f.; Hoppe, FS Menger, S. 747/766; Johlen, DÖV 1989, 204/204 f.; Ramsauer, NuR 1990, 349/353 f. (fur die insoweit vergleichbare Straßenplanung durch Bebauungsplan); Schmidt-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 25 ff. 22 Schechinger, DVB1. 1991,1182/1189. 23 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter III. 24 Dazu s.u. unter 2 b.
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recht im Wege25. Angesichts einiger hier ansetzender grundlegender Arbeiten neueren Datums wird aber zumindest das letztgenannte Problem zunehmend entschärft, so daß die Bedeutung dieses Grundrechts auch für den fachplanungsrechtlichen Rechtsschutz steigen wird 26 .
cc) Subsidiäre Anwendung des Artikel 2 Absatz 1 GG Räumt das einfache Gesetz im Fachplanungsrecht dem mittelbar Betroffenen eine subjektive Rechtsposition ein, die nicht bereits von speziellen Freiheitsrechten vorgegeben wird, so ist diese von Artikel 2 Absatz 1 GG erfaßt. Denn insoweit hat der Gesetzgeber die in polygonalen Rechtsverhältnissen zunächst unkonturierte allgemeine Handlungsfreiheit näher umrissen und damit erst die Voraussetzung ihrer subsidiären Anwendbarkeit geschaffen. Den wichtigsten Fall einer solchen einfachgesetzlich konstituierten Rechtsposition im Fachplanungsrecht enthalten §§41 f. BImSchG in Verbindung mit der auf der Grundlage von § 43 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG erlassenen Verkehrslärmschutzverordnung 27: § 2 dieser Verordnung setzt Immissionsgrenzwerte fest, bei deren Vorliegen der Betroffene einen Anspruch auf Anordnung von aktiven Schallschutzmaßnahmen bzw. der Grundstückseigentümer auf Gewährung einer Entschädigung in Geld für passiven Schallschutz hat. Diese Werte befinden sich 25
Symptomatisch BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1979 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/221 ff.: Zwar sei die Gesundheit verfassungsrechtlich nicht weniger geschützt als das Eigentum; doch bereite es Schwierigkeiten, zum einen das Rechtsgut der „Gesundheit" insbesondere von sozial adäquaten Beeinträchtigungen abzugrenzen, und zum anderen, zu entscheiden, ob die jeweiligen Belastungen die Folge eines Eingriffs der öffentlichen Gewalt seien; ähnlich BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987-4 C 33-35.83 - , BVerwGE 77, 285/289; BVerwG, Urteil vom 21. März 1996-4 C 9.95-, BVerwGE 101, 1/10; deutlich auch OVG Bremen, Urteil vom 19. Januar 1993 - 1 BA 11/92 - , NVwZ-RR 1993, 468/ 470: Durch Verkehrslärm bedingte, organisch nachweisbare Krankheiten seien der Wissenschaft zur Zeit nicht bekannt, so daß ein grundsätzlich möglicher Immissionsabwehranspruch aus Artikel 2 Absatz 2 GG regelmäßig nicht in Betracht komme. Zur umstrittenen Reichweite des Begriffs der „körperlichen Unversehrtheit" im Sinne des Artikel 2 Absatz 2 GG vgl. BVerfG, Beschluß vom 14. Januar 1981 - 1 BvR 612/72 - , BVerfGE 56, 54/73 ff.; allgemein zu den Problemen einer Anwendung des Artikel 2 Absatz 2 GG im Umweltrecht auch Böhm, UPR 1994, 132 ff.; Jarass, FS Lukes, S. 57/ 63; Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 21 (1988), 236/238. 26 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Böhm, Normmensch; Engler, Der öffentlichrechtliche Immissionsabwehranspruch; Hermann, Fluglärm; Hermes, Grundrecht auf Schutz. 27 16. BImSchV vom 12. Juni 1990 (BGBl. I, S. 1036).
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unterhalb der Schwelle, ab welcher ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vorläge. Man spricht hier von einer einfachgesetzlichen, unterhalb der verfassungsrechtlichen liegenden Zumutbarkeitsschwelle, zu deren Festlegung der Gesetzgeber nicht verpflichtet war. Insofern erweitern die genannten Vorschriften im Vorfeld des Artikel 2 Absatz 2 GG die Rechtsposition des Lärmbetroffenen. Denn dieser kann nunmehr verlangen, von Immissionen verschont zu bleiben, die ihn zwar nicht in seiner körperlichen Unversehrtheit, wohl aber in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigen28.
c) Einfachgesetzliche Ausgestaltung der Grundrechtsverbürgungen
Im Fachplanungsrecht hat der einfache Gesetzgeber die grundrechtlichen Positionen des Planbetroffenen in zweierlei Hinsicht ausgestaltet: Erstens konkretisiert er dessen Grundrechte, um ihre Anwendbarkeit fur den Einzelfall überhaupt zu gewährleisten (Konkretisierungsfunktion der einfachgesetzlichen Ausgestaltung). Und zweitens nimmt er hierdurch die in mehrseitigen Rechtsverhältnissen grundsätzlich erforderliche Schlichtung von Interessenkollisionen vor, bringt also die betroffenen Grundrechtspositionen in einen angemessenen Ausgleich mit konfligierenden Werten (Konfliktschlichtungsfunktion der einfachgesetzlichen Ausgestaltung)29. Diese beiden Funktionen lassen sich dabei nicht konsequent trennen, sondern gehen ineinander über. Das Bedürfnis nach einer einfachgesetzlichen Konkretisierung ergibt sich für Artikel 14 GG bereits aus dessen Annexität zum einfachen Recht: Im Gegensatz zu anderen Grundrechten ist der Schutzbereich hier weitgehend abhängig von der Entscheidung des Gesetzgebers, was zum verfassungsrechtlich erfaßten Bestand der Freiheit des Einzelnen zählen soll und was nicht (Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 28
Zur Schutzwirkung der §§ 41 f. BImSchG bereits im Vorfeld des Artikel 2 Absatz 2 GG vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 33-35.83 - , BVerwGE 77, 285/289; Hermann, Fluglärm, S. 204 f. und S. 334 f. (zur subsidiären Anwendung des Artikel 2 Absatz 1 GG zugunsten des Lärmbetroffenen im Fachplanungsrecht). §§ 41 f. BImSchG gehen auch über das hinaus, was im Rahmen des Artikel 14 GG zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung zwingend erforderlich wäre; hierzu s.u. unter c. Zu dem im einzelnen sehr problematischen und auch stark umstrittenen Verhältnis zwischen §§ 41 f. BImSchG und der 16. BImSchV vgl. statt vieler Jarass, DVB1. 1995, 589 ff. m.w.N. 29 Zur einfachgesetzlichen Konfliktschlichtung als einer notwendigen Ausgestaltung der Grundrechte durch den Gesetzgeber s.o. unter a.
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GG). Insofern ist der Gesetzgeber zwar nicht völlig frei, sondern an einen Rahmen gebunden, der von der Institutsgarantie des Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 GG einerseits und von der Sozialbindungsklausel des Artikel 14 Absatz 2 GG andererseits markiert wird. Innerhalb dieses Rahmens kommt ihm aber ein weiter Spielraum zu, der ihn zur Ausgestaltung berechtigt und auch verpflichtet 30. Aus dieser Ausgestaltungsbedürftigkeit des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit folgt aber auch ein Anwendungsvorrang des einfachen Rechts bei der Behandlung des konkreten Falles: Durch eine Artikel 14 Absatz 1 und Absatz 2 GG genügende Regelung wird der Inhalt des Eigentumsschutzes abschließend bestimmt; ein hierüber hinausgehender Rückgriff unmittelbar auf Artikel 14 GG kommt deshalb selbst bei schweren und unerträglichen Belastungen des Betroffenen nicht in Betracht31. Auch Artikel 2 Absatz 2 GG ist ohne einfachgesetzliche Konkretisierung für eine Rechtsanwendung im Einzelfall nicht tauglich. Anders als bei Artikel 14 GG betrifft diese aber nicht den Schutzbereich des Grundrechts, sondern die Fixierung der Schwelle, ab welcher von einem Eingriff im Rechtssinne gesprochen werden kann: Denn im hier relevanten Bereich nicht-finaler Auswirkungen auf die körperliche Unversehrtheit ergibt sich die Erkenntnis, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt, nicht ohne weiteres. Angesichts verschiedener, ineinander übergehender Grade von Beeinträchtigungen insbesondere durch Immissionen bedarf es einer einfachgesetzlichen Abgrenzung zwischen einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit einerseits und sonstigen, unter Umständen zu duldenden Belastungen32. 30
Zur Normativität des Eigentumsschutzes s.o. im 7. Kapitel unter II 3; allgemein zur Problematik einfachgesetzlich geprägter Grundrechte vor dem Hintergrund des Artikel 1 Absatz 3 GG vgl. Nierhaus, AöR 116 (1991), 72 ff. 31 Diese Erkenntnis setzt sich insbesondere in der neueren Rechtsprechung des BVerwG zum Baurecht immer stärker durch: vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990-4 C 23.86 - , BVerwGE 84, 322/334; BVerwG, Beschluß vom 22. Februar 1991 4 CB 6.91 - , NVwZ 1991, 984/985; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 - , NJW 1991, 3293/3296; BVerwG, Urteil vom 26. September 1991 - 4 C 5.87 - , DÖV 1992, 405/406; zu diesem sich wandelnden Verständnis im Zusammenhang mit Artikel 14 GG vgl. Steinberg,, FS Schlichter, S. 599/600 f.; Wahl, FS Redeker, S. 245/248 ff. 32 BVerfG, Beschluß vom 17. Februar 1997-1 BvR 1658/96 - , NJW 1997, 2509 (für die elektromagnetische Einwirkungen betreffende Grenzwertfestsetzung in der 26. BlmSchV vom 16. Dezember 1996 [BGBl. I, S. 1966]); BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1980 - 7 C 84.78 - , BVerwGE 61, 256/262 f. (gesetzliche Festlegung von Grenzwerten hinsichtlich der Belastung mit Radioaktivität, unterhalb derer eine Beeinträchtigung zu keinem Eingriff in ein subjektives Recht führt); VGH München, Urteil vom 19. September 1989 - 8 Β 88.250 - , NVwZ 1990, S. 377; vgl. auch Pietzcker, FS Bachof, S. 131/ 141.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Eine für die fachplanungsrechtliche Praxis besonders wichtige Konkretisierung der beiden genannten Grundrechte hinsichtlich Schutzbereich bzw. Eingriffsschwelle hat der Gesetzgeber durch die bereits genannten §§ 41 ff. BImSchG in Verbindung mit der 16. BImSchV vorgenommen. Anhand dieser Normen und der hierzu einschlägigen Rechtsprechung lassen sich im Zusammenhang mit Artikel 14 GG vier rechtlich gesondert zu behandelnde Intensitätsgrade von Lärmbeeinträchtigungen unterschieden: erstens verfassungsrechtlich unzumutbare Belastungen, deren Ausgleich durch Schutzmaßnahmen bereits das Grundrecht selbst verlangt, um die Verhältnismäßigkeit der durch den Planfeststellungsbeschluß konkretisierten Inhalts- und Schrankenbestimmung zu gewährleisten; zweitens einfachgesetzlich unzumutbare Belastungen, bei denen der Gesetzgeber einen Ausgleich angeordnet hat, ohne hierzu aber verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen zu sein; drittens solche Beeinträchtigungen, die zwar abwägungserheblich, aber vom Betroffenen ohne Ausgleich hinzunehmen sind und sich insofern ohne weiteres im Rahmen einer verhältnismäßigen Inhalts- und Schrankenbestimmung bewegen; viertens und letztens unerhebliche Auswirkungen, die vom Schutzbereich des Artikel 14 GG nicht mehr erfaßt sind33. Und für Artikel 2 Absatz 2 GG folgt aus den genannten Vorschriften und der hierzu ergangenen Rechtsprechung dreierlei: erstens, daß bei Überschreiten eines bestimmten Grenzwertes ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vorliegt; zweitens, daß unterhalb dieses, aber noch oberhalb eines zweiten Wertes die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen ist, die der Gesetzgeber durch eine Regelung aktiviert hat, welche über das durch Artikel 2 Absatz 2 GG zwingend Geforderte hinausgeht; drittens, daß unterhalb dieser letztgenannten Schwelle es sich um bloße Belästigungen handelt, die wegen ihrer Sozialadäquanz vom Betroffenen ohne weiteres hinzunehmen sind. Von ausschlaggebender Bedeutung für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand ist die zweite Funktion der Ausgestaltung grundrechtlicher Positionen im Fachplanungsrecht durch den einfachen Gesetzgeber, die hier so bezeichnete Konfliktschlichtungsfunktion. Denn durch sie wird letztendlich bestimmt, wie weit die Rechtsstellung des mittelbar Betroffenen reicht und insbesondere welcher Mittel es bedarf, seine durch die Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen verletzte Rechtsintegrität wiederherzustellen. Die genannten Grundrechte werden hier nämlich insoweit relevant, als sie das Interesse des Betroffenen schützen, 33
Zu dem hier stark vereinfacht wiedergegebenen Stufensystem des BImSchG hinsichtlich Immissionsbelastungen des Eigentümers vgl. statt vieler Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 171 ff.; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 60 ff.
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vor Belastungen durch das Vorhaben weitgehend verschont zu bleiben (im folgenden: Verschonungsinteresse). Diesem Interesse steht aber das öffentliche Interesse an der Realisierung eines gemeinwichtigen Vorhabens entgegen (im folgenden: Realisierungsinteresse). Es liegt damit ein Interessenkonflikt vor, der einer Schlichtung durch den einfachen Gesetzgeber bedarf. Die Art und Weise, wie diese gesetzliche Konfliktschlichtung erfolgt, bestimmt unmittelbar die Reichweite dessen, was der durch die Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen in seiner subjektiven Rechtsposition Verletzte auf der Grundlage des ihm zustehenden Abwehranspruchs verlangen kann; konkret: ob in der vorliegenden Konstellation der mittelbar Betroffene einen Planaufhebungs- oder einen Planergänzungsanspruch geltend machen kann34. Von besonderem Gewicht sind hier zwei Normen, deren Konfliktschlichtungsfunktion es im folgenden darzustellen gilt: nämlich die gesetzliche Anordnung des Abwägungsgebots in den jeweiligen Fachplanungsgesetzen (dazu unter aa) und die Schutzmaßnahmevorschrift des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG (dazu unter bb).
aa) Gesetzliche Anordnung des Abwägungsgebots In einer Reihe fachplanungsrechtlicher Vorschriften hat der Gesetzgeber teilweise ausdrücklich, teilweise sinngemäß angeordnet, daß bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind35. Dieses Abwägungsgebot ist für die subjektive Rechtsstellung des mittelbar Planbetroffenen in zweierlei Hinsicht relevant, nämlich einmal positiv mit rechtssichernder und einmal negativ mit rechtsbeschränkender Funktion: 34 Das Verschonungsinteresse des Betroffenen ist in Artikel 14 GG und Artikel 2 Absatz 2 GG jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt (in diesem Sinne auch Steinberg, FS Schlichter, S. 599/603 ff.); einer diesbezüglichen Differenzierung bedarf es im folgenden aber nicht, da - wie noch zu zeigen sein wird - der Gesetzgeber den Konflikt mit dem Realisierungsinteresse einheitlich geschlichtet hat. Mit anderen Worten: Das Ergebnis der gesetzlichen Konfliktschlichtung hängt grundsätzlich nicht davon ab, ob der Planfeststellungsbeschluß den Betroffenen in dessen Eigentum oder körperlicher Unversehrtheit tangiert. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird im 10. Kapitel unter II 2 behandelt. 35 In Bundesgesetzen etwa § 18 Absatz 1 Satz 2 AEG; § 17 Absatz 1 Satz 2 FStrG; § 8 Absatz 1 Satz 2 LuftVG; § 2 Absatz 1 MagnetschwebebahnplanungsG; § 28 Absatz 1 Satz 2 PBefG; § 14 Absatz 1 Satz 2 WaStrG.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Das Abwägungsgebot enthält zum einen ein subjektiv-rechtliches Element, nämlich das subjektive öffentliche Recht auf gerechte Abwägung der Belange des Betroffenen. Insofern stellt es eine gesetzliche Konfliktschlichtungsentscheidung dar, die Einfluß auf die Reichweite der Rechtsposition des Betroffenen hat. Denn hierdurch wird dessen Verschonungsinteresse gegenüber dem Realisierungsinteresse insofern gesichert, als er ein subjektives Recht daraufhat, daß seine Belange nur im Wege einer fehlerfreien Abwägung mit den für das Vorhaben sprechenden Gründen überwunden werden können (dazu unter [1]). Zum anderen vermittelt das Abwägungsgebot der Planfeststellungsbehörde die Befugnis zur Abwägung und planerischen Gestaltung. Hierdurch wird die (Grund-)Rechtsposition des Betroffenen dahingehend eingeschränkt, daß seine Belange unter einem Abwägungs- und Überwindungsvorbehalt stehen, er also ihre im Wege rechtmäßiger Abwägung erfolgte Hintanstellung grundsätzlich hinzunehmen hat. Insofern handelt es sich bei den gesetzlichen Verankerungen des Abwägungsgebots jeweils um Normen mit Konfliktschlichtungsfunktion, die die Reichweite der subjektiven Rechtsposition des Planbetroffenen beschränken (dazu unter [2]).
(1) Subjektives Recht auf Abwägung
Nach ganz herrschender Meinung enthält das Abwägungsgebot nicht nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung bzw. Berechtigung der Planfeststellungsbehörde zur gerechten und umfassenden Abwägung aller durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange, sondern darüber hinaus auch ein entsprechendes subjektives Recht des von dieser Abwägung Betroffenen 36. Hierbei handelt es sich um das dogmatisch bislang am wenigsten geklärte Element subjektiver Rechtspositionen im Fachplanungsrecht37. Die mit dem Recht auf Abwägung verbundenen Unsicherheiten betreffen vor allem seine Reichweite: nämlich zum einen die Frage, ob sein Inhaber nur die angemessene Behandlung eigener oder auch die fremder bzw. objektiver Belange im Rahmen der Abwägung verlangen kann; zum anderen, ob es auch auf solche Belange gerichtet sein kann, die ihrerseits rechtlich nicht geschützt sind. Auf diese Probleme soll im folgenden kurz eingegangen werden, um zu klären, inwieweit das subjektive Recht auf Abwägung eine die Rechtsstellung des Betroffenen sichernde Konfliktschlichtungsentscheidung des Gesetzgebers darstellt. 36 37
Dazu s.o. im 6. Kapitel unter II 1. Hierauf weist zutreffend Steinberg, FS Schlichter, S. 599/604 ff., hin.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG kann der Inhaber des subjektiven Rechts auf Abwägung verlangen, daß eine gerechte Abwägung seiner eigenen Belange mit entgegenstehenden anderen Belangen stattfindet, grundsätzlich nicht aber, daß die Belange anderer Beteiligter gerecht abgewogen werden oder daß die Planung insgesamt in jeglicher Hinsicht auf einer fehlerfreien Abwägung beruht38. Dem sind einige Stimmen in der Literatur mit dem Argument entgegengetreten, daß das Recht auf Abwägung umfassend sei, sein Inhaber also jedweden Planungsfehler rügen könne, unabhängig davon, ob dieser seine eigenen, fremde oder öffentliche Belange berühre. Begründet wird dies vornehmlich mit dem abwägungsspezifischen Geflecht der einzustellenden Belange, welches es verbiete, einzelne Aspekte herauszulösen und einer isolierten Betrachtung zu unterwerfen; denn jeder Abwägungsfehler irgendeines einzelnen Belangs teile sich über den inneren Planungszusammenhang der gesamten Entscheidung mit 39 . Diese Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG vermag nicht zu überzeugen: Denn durch die Ausdehnung des subjektiven Rechts auf Abwägung auf jedwede, also nicht nur den Rechtsinhaber selbst betreffende Belange würde die das öffentliche Recht prägende Ausrichtung des Rechtsschutzes auf eine Verteidigung subjektiver Rechtspositionen unzulässigerweise in Richtung einer objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle verschoben. Die faktische Betroffenheit des Rechtsinhabers wäre dann die einzige Voraussetzung für seine umfassende Rügebefugnis. Das subjektiv-öffentliche Recht als Grundlage und materieller Maßstab jeglichen Rechtsschutzes wäre nicht mehr zu unterscheiden von dem „Nachteil" im Sinne des § 47 Absatz 2 VwGO a.F., dem allein eine prozessuale Initialfunktion im Rahmen der objektiven Normenkontrolle zukam. Auch ist der Schluß von der planungsrechtlichen Interdependenz sämtlicher in die Abwägung einzustellender Belange auf ein umfassendes Recht auf Abwägung methodisch nicht zwingend: Zwar trifft es zu, daß das Abwägungsgebot in objektiv-rechtlicher Hinsicht die Planfeststellungsbehörde verpflichtet, sämtliche von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange in ihre Entscheidung einzustellen und in Beziehung zueinander zu setzen. Ob das Abwägungsgebot aber auch in diesem Umfang drittschützend sein und ein subjektives Recht vermitteln soll, ist keineswegs selbstverständlich, sondern bedürfte einer 38
Ständige Rechtsprechung seit BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1976 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48,56/66; zustimmend etwa Bartlsperger, Symposium, S. 79/93 f.; Gassner, DVB1. 1981, 4/8; Papier, NJW 1977, 1714/1718 f.; Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, GG, Art. 19 Abs. IV, Rdnr. 162; Stüer, NuR 1981, 149/154. 39
Z.B. Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 232 ff.; Ladeur, UPR 1984, 1/5; Ram-
sauer, DÖV 1981, 37/40 ff. (m.w.N. dort in FN 33); Steinberg, UPR 1984, 350/357 f.; zumindest in der Tendenz ebenso Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1185 f.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
eingehenden Herleitung. Eine solche muß aber daran scheitern, daß das Abwägungsgebot allein in objektiv-rechtlicher Hinsicht als eine die Planfeststellungsbehörde bindende administrative Verhaltensnorm auf Herbeiführung einer möglichst optimalen Realisierung des gesetzlichen Planungsauftrags zielt; insofern geht es weit über die Verhinderung einer bloß rechtswidrigen Planungsentscheidung hinaus. In subjektiv-rechtlicher Hinsicht kommt dem Abwägungsgebot hingegen allein die Funktion einer Kontrollnorm zu: Der Planbetroffene soll eine ihn in seinen Rechten verletzende, nicht aber eine lediglich suboptimale Planung abwenden dürfen 40. Der mittelbar Betroffene hat daher ein subjektives Recht auf Abwägung lediglich insoweit, als die Planungsentscheidung das Störungsverhältnis zwischen ihm und dem Vorhaben regelt. Das bedeutet, daß er eine angemessene Berücksichtigung seiner eigenen und derjenigen Belange verlangen kann, die für das Vorhaben sprechen und gegenüber denen seine Interessen hintangestellt wurden. Die fehlerfreie Behandlung sonstiger öffentlicher oder paralleler Belange Dritter ist hiervon nicht umfaßt 41. Etwas anderes gilt lediglich für den unmittelbar, also final mit enteignender Vorwirkung Betroffenen: Diesem gegenüber begründet das Abwägungsgebot in der Tat ein umfassendes subjektives Recht auf Abwägung, welches die Einbeziehung, Wertung und Gewichtung sämtlicher für und gegen das Vorhaben sprechender Belange umfaßt, und zwar unabhängig davon, ob sie ihn, einen Dritten oder die Öffentlichkeit berühren. Dies ergibt sich aus Artikel 14 Absatz 3 Satz 1 GG („Wohl der Allgemeinheit"), der insofern die Auslegung des einfachen Rechts bestimmt42. Weiterhin ist die Reichweite des subjektiven Rechts auf Abwägung hinsichtlich des Rangs der einzustellenden Belange unklar: Das BVerwG vertritt hier in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß die von diesem Recht erfaßten Belange ihrerseits nicht rechtlich geschützt zu sein bräuchten, sondern daß das Abwägungsgebot ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Einbeziehung „aller mehr als
40
Vgl. Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/522 ff.; zur Unterscheidung zwischen Verhaltens· und Kontrollfunktion des Abwägungsgebots Schulze-Fielitz, JURA 1992, 201/ 207 (m.w.N. dort in FN 79); allgemein hierzu Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, S. 99; Pfaff, Planungsrechtsprechung, S. 131 ff. 41 Im Ergebnis ebenso Bartlsperger, Symposium, S. 79/91 f.; Jarass, FS Lukes, S. 57/ 61 f. 42 Hierzu s.o. im 6. Kapitel unter II 4.
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geringfügigen schutzwürdigen Interessen", die von der Planung betroffen seien, begründe43. Diese Ausweitung des subjektiven Rechts auf Abwägung kann aus zwei Gründen nicht überzeugen: Zum ersten ist ihre Herleitung durch das BVerwG nicht tragfahig. Denn das Gericht zieht zur Bestimmung der Reichweite des Rechts auf Abwägung den Nachteilsbegriff des § 47 Absatz 2 VwGO a.F. heran, so daß im Ergebnis die subjektive Rechtsposition im Fachplanungsrecht sich an einer Sachentscheidungsvoraussetzung eines für das Bauplanungsrecht maßgeblichen Normenkontrollverfahrens orientiert 44. Dies ist aber ein unzulässiger Schluß vom Prozeßrecht auf das materielle Recht sowie eine begründungsbedürftige Anbindung des Fachplanungs- an das Bauplanungsrecht45. Überdies hat der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 47 Absatz 2 VwGO durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung als Sachentscheidungsvoraussetzung auch für das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren eingeführt und damit der vom BVerwG vorgenommenen Herleitung eines erweiterten Rechts auf Abwägung die normative Grundlage entzogen46.
43
Grundlegend BVerwG, Urteil vom 11. November 1983 - 4 C 82.80 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 55, S. 50 f. (Einbeziehung der rechtlich nicht geschützten günstigen Verkehrsanbindung eines Gewerbes in das subjektive Recht auf Abwägung); seitdem ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Beschluß vom 14. September 1987-4 Β 179, 180/87-, NVwZ 1988,363; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987-4 C 49.83 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 71, S. 25; BVerwG, Urteil vom 14. April 1989 - 4 C 31.88 - , BVerwGE 82, 17/18; BVerwG, Urteil vom 27. April 1990 - 4 C 18.88 - , NVwZ 1990, 1165/1166; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992 - 4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/479; BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1996 - 11 VR 3.96 - , DVB1. 1996, 925/927 f. Ebenso z.B. Johlen, DÖV 1989,204/205 f. (Das planerische Abwägungsgebot bewirke eine „Erhöhung des Belangs zum Recht".); Korbmacher, DÖV 1982, 517/523 f.; Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, S. 322 ff. Gegen die Einbeziehung rechtlich nicht geschützter Belange in das subjektive Recht auf Abwägung z.B. Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/522 ff.; Steinberg, Fachplanung, § 7 Rdnr. 70; ders., FS Schlichter, S. 599/607 f.; kritisch auch Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1187. 44 BVerwG, Urteil vom 11. November 1983 - 4 C 82.80 - , Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 55, S. 50, mit Hinweis auf BVerwG, Beschluß vom 09. November 1979 - 4 Ν 1.78, 4 Ν 2-4.79 - , BVerwGE 59, 87/102 (grundlegende Ausführungen zum Begriff des „Nachteils" im Sinne des § 47 Absatz 2 Satz 2 VwGO a.F.). 45 Ebenso gegen eine pauschale,Übertragung des Nachteilsbegriffs im Sinne des § 47 Absatz 2 VwGO a.F. auf das subjektive Recht auf Abwägung Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/525 f.; Stüer, NuR 1981, 149/150 f. Zur Inkompabilität von Bauplanungs- und Fachplanungsrecht hinsichtlich des subjektiven Rechtsschutzes s.o. im 1. Kapitel unter V. 46 Gesetz vom 01. November 1996 (BGBl. I, S. 1626).
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Zum zweiten führte ein um rechtlich nicht geschützte Belange erweitertes subjektives Recht auf Abwägung zu einer unzulässigen Ausdehnung der subjektiven Rechtsstellung des mittelbar Betroffenen: Denn hierdurch würden auch solche Interessen, die rechtlich nicht bewehrt sind, im Wege der Planfeststellung faktisch in den Rang einer subjektiven Rechtsposition erhoben. So kann zwar der Planbetroffene grundsätzlich nicht die Beibehaltung einer für ihn günstigen Verkehrsanbindung verlangen, weil die Rechtsordnung kein entsprechendes Recht kennt; dennoch soll er aber nach Ansicht des BVerwG einen Planfeststellungsbeschluß abwehren können, der diesen Belang nicht angemessen berücksichtigt. Für eine solche Aufwertung der subjektiven Rechtsstellung Planbetroffener über die bloße Befugnis zur Abwehr rechtsverletzender Planungen hinaus bietet das Fachplanungsrecht keine Grundlage. Das subjektive Recht auf Abwägung reicht deshalb nur so weit, wie die Entscheidung der Planfeststellungsbehörde geeignet ist, in bestehende materielle Rechtspositionen des Betroffenen einzugreifen. Nach alledem sprechen die besseren Gründe dafür, die Bedeutung des subjektiven Rechts auf Abwägung als ein eigenständiges Element der subjektiven Rechtsstellung des mittelbar Planbetroffenen gering zu veranschlagen. Diese wird vorrangig durch dessen grundrechtlich geschützten Rechtsgüter (Eigentum, körperliche Unversehrtheit und, subsidiär, die allgemeine Handlungsfreiheit) in ihrer einfachgesetzlichen Konkretisierung geprägt. Will man dem subjektiven Recht auf Abwägung überhaupt eine eigenständige Funktion zumessen, so erschöpft sich diese in der Flankierung der genannten Rechtspositionen47. Insofern läßt es sich vergleichen mit dem rein „formellen" Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidungs/wJwwg, das stets ein „materielles" Recht auf einen bestimmten Entscheidungs/zzÄa// voraussetzt und dieses lediglich absichert48. Sein einzig positiver und für die vorliegende Untersuchung auch relevanter Gehalt liegt damit 47
Im Ergebnis ebenso Bartlsperger, Symposium, S. 79/88: Subjektives Recht auf Abwägung kein Recht im materiell-rechtlichen Sinne, sondern lediglich ein individuelles Beanstandungsrecht von prozessualer Bedeutung; Hoppe, DVB1. 1977, 136/136 f. (dort in FN 6): Der Planbetroffene mache nicht selbständige Erfullungsansprüche auf Einhaltung des Abwägungsgebots geltend, sondern Abwehrrechte gegen eine mangelhafte, ihn in materiellen Rechten belastende Planung; Schechinger, DVB1. 1991,1182/1187: Abwägungsgebot als „unvollständige Schutznorm", die für sich allein nicht die Frage beantworten könne, wer rechtlichen Schutz genieße, sondern vielmehr eine Zugriffsbarriere zugunsten materieller Rechtspositionen bilde; weitergehend Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/526, der auf ein subjektives Recht auf Abwägung insgesamt verzichten und statt dessen direkt auf die materiellen Rechtspositionen des Betroffenen zurückgreifen will. 48 Allgemein zur Unterscheidung eines „formellen" Rechts auf ermessensfehlerfreie Entscheidung von der hinter diesem stehenden „materiellen" subjektiven Rechtsposition Jarass, FS Lukes, S. 57/63; Müller, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, S. 75 ff.; Pietzcker, JuS 1982,106/108; Schenke in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschnitt
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in der Bindung der Planfeststellungsbehörde, die (rechtlich geschützten) Interessen des mittelbar Betroffenen nur im Wege einer fehlerfreien Abwägung überwinden und zugunsten der für die Vorhabenrealisierung sprechenden Interessen hintanstellen zu können. Dieser Rechtspflicht der Verwaltung korrespondiert ein subjektives öffentliches Recht des Betroffenen. Ist also die Einstellung und Bewertung seiner bzw. der mit ihnen abzuwägenden öffentlichen Belange mängelbehaftet und wirkt sich dies auf das Abwägungsergebnis und die materielle Rechtsposition des Betroffenen aus, so liegt hierin ein erheblicher Verstoß sowohl gegen das objektiv-rechtliche Abwägungsgebot als auch gegen das subjektive Recht auf gerechte Abwägung49. Eine eigenständige materielle Bedeutung dieses Rechts ist damit lediglich im Zusammenhang mit Artikel 14 GG denkbar: Hier kann grundsätzlich jeder Abwägungsfehler nicht nur einen Verstoß gegen das subjektive Recht auf Abwägung, sondern auch eine rechtswidrige Konkretisierung eines inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetzes und damit im Ergebnis eine Verletzung der Eigentumsfreiheit bewirken. Bei Artikel 2 Absatz 2 bzw. Absatz 1 GG hingegen führt lediglich eine tatsächliche, im Planfeststellungsbeschluß nicht ausgeglichene Beeinträchtigung oberhalb der jeweiligen Zumutbarkeitsschwelle zu einer materiellen Rechtsverletzung. Ob die Planfeststellungsbehörde die Belange des in seiner körperlichen Unversehrtheit bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit Betroffenen fehlerhaft ermittelt, in die Abwägung einstellt oder bewertet, ist unerheblich, solange sie zu seinen Gunsten die erforderlichen Schutzmaßnahmen anordnet. Wegen § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG kann bei Artikel 2 Absatz 2 GG also ein Verstoß allein gegen das subjektive Recht auf Abwägung nicht zu einer materiellen subjektiven Rechtsverletzung führen; diese tritt erst ein, wenn die fehlerhafte Behandlung der Belange des Betroffenen sich auswirkt auf die nachfolgende Entscheidung über eine Anordnung von Schutzmaßnahmen, also gleichzeitig auch ein Verstoß gegen § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vorliegt 50. II, Rdnr. 75; Wahl, DVB1. 1996, 641/643; VGH Kassel, Beschluß vom 05. August 1992 2 TH 2476/91 - , NJW 1993, 1090/1091. 49 Anschaulich VGH München, Urteil vom 23. Oktober 1990 - 8 Β 89.2278 - , DÖV 1991, 252: Der immissions-, also mittelbar betroffene Grundeigentümer werde durch einen Planfeststellungsbeschluß in seinem Recht auf Abwägung verletzt, wenn die Planfeststellungsbehörde das festzustellende Straßenbauvorhaben in straßenrechtlicher Hinsicht fehlerhaft einstufe; denn hierdurch würden die für die Planfeststellung sprechenden, den Belangen des Betroffenen gegenüberstehenden Interessen falsch bewertet. Zustimmend hierzu Schechinger, DVB1. 1991,1182/1186 (dort in FN 60). 50 Zur Zweistufigkeit einer planerischen Bewältigung der Belange des mittelbar Betroffenen s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa; zur Wirkungsweise des § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG s.o. im 2. Kapitel unter II 2.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Das subjektive Recht auf Abwägung stellt damit lediglich in beschränktem Umfang eine das Verschonungsinteresse des Betroffenen sichernde Konfliktschlichtungsentscheidung des Gesetzgebers dar.
(2) Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde
Der Planfeststellungsbehörde kommt im Fachplanungsrecht die Befugnis zur planerischen Gestaltung zu. Das folgt aus der inhaltlichen Offenheit planungsrechtlicher Normen, in denen der Gesetzgeber die Einzelheiten der Abwägung und insbesondere ihr konkretes Ergebnis selbst noch nicht vorgezeichnet, sondern dies gerade dem Verantwortungsbereich der Verwaltung übertragen hat: Es ist Sache der zuständigen Behörde, nicht nur den relevanten Tatsachenstoff zu ermitteln sowie die für und gegen die Vorhabenrealisierung sprechenden Belange zu bewerten, sondern auch und vor allem für den jeweiligen Einzelfall einen angemessenen Ausgleich der kollidierenden Interessen herbeizuführen. Die planerische Abwägung ist somit in rechtsmethodischer Hinsicht eine situative, nicht konditional, sondern final erfolgende Normkonkretisierung durch die Exekutive 51 . Diese Gestaltungspflicht und -befugnis der Planfeststellungsbehörde ist nicht ohne Auswirkungen auf die subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen: Der Gesetzgeber hat das Störungsverhältnis zwischen ihm und dem Vorhaben nur hinsichtlich Ausgestaltungsziel, -programm und -grenzen geregelt. Die genaue Form dieser Rechtsbeziehung soll sich erst aus dem einzelfallgerechten Interessenausgleich im Rahmen der Planfeststellung ergeben. Wegen dieser gesetzlichen Delegation einer konkreten Konfliktlösung an die planende Verwaltung steht die subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen insofern unter einem Ge51 Allgemein zur normkonkretisierenden Gestaltungsbefugnis der Exekutive vgl. Brohm, NVwZ 1988, 794 ff.; Göldner, Die Verwaltung 23 (1990), 311 ff., insbesondere 319 f. Speziell für das Planungsrecht vgl. Beckmann, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz, S. 145 ff.; Hoppe /Just, DVB1. 1997, 789/791; Kugel, Planfeststellungsbeschluß, S. 119 ff.; Papier, NJW 1977, 1714/1715 f.; Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 75 ff. und S. 89; Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 37 ff.; deutlich auch BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990-4 CB 1.90-, NVwZ-RR 1991,129/132 f.; a.A. Rubel, Planungsermessen, S. 123 ff. sowie Thesen 11 und 16: Die planerische Abwägung sei keine eigenständige Form der Gesetzesverwirklichung, sondern eine reine Subsumtionstätigkeit der Exekutive, die methodisch grundsätzlich nicht von gebundenen oder sonstigen Entscheidungsprozessen der Verwaltung abweiche. Zur Differenzierung der Abwägung als Umsetzung eines gesetzlichen Gestaltungsauftrags von derjenigen zur Rechtserzeugung s.o. im 7. Kapitel unter II 2.
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staltungsvorbehalt, als seine Belange generell im Wege der Abwägung überwunden werden können. Hat die Planfeststellungsbehörde die für und gegen das Vorhaben sprechenden Interessen rechtsfehlerfrei gegeneinander abgewogen, so kann der Betroffene grundsätzlich nicht dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt sein, daß sie seine Belange hierbei hintangestellt hat52. Aus dieser abwägungsbedingten Überwindbarkeit der Belange des Betroffenen folgt, daß seine subjektive Rechtsposition keinen Anspruch auf Beibehaltung des status quo umfaßt: Er kann gerade nicht verlangen, vor jeglicher Planung verschont zu bleiben; eine Situationsveränderung muß er grundsätzlich hinnehmen, selbst wenn er hierdurch beeinträchtigt werden sollte. Dieser Abwägungsvorbehalt wird am deutlichsten beim fachplanungsrechtlichen „Normalfair, in welchem das planfestzustellende Vorhaben aufgrund der von ihm ausgehenden Belastungen die Nutzung benachbarter Grundstücke beeinträchtigt und damit hinsichtlich des Artikel 14 GG relevant ist: Die gesetzliche Anordnung des Abwägungsgebots stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG dar. Diese führt dazu, daß der Gesetzgeber das Begehren des Eigentümers, grundsätzlich vor sämtlichen vorhabenbedingten Störungen verschont zu bleiben, aus dem Bereich des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums ausgeklammert hat. Daher muß der Eigentümer bis zu einer bestimmten (Zumutbarkeits-)Grenze durch die Planung verursachte Störungen ohne weiteres hinnehmen53.
52
BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 254/258; BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1981 - 4 C 5.78 - , BVerwGE 62, 342/349. 53 Deutlich BVerfG, Beschluß vom 12. März 1986 - 1 BvL 81/79 - , BVerfGE 72, 66/ 77 (Das Eigentum garantiere seinem Inhaber nicht, von der Nachbarschaft störender Anlagen verschont zu bleiben.); BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988 — 1 BvR 1301/84-, BVerfGE 79, 174/198 (Normierung des bauplanungsrechtlichen Abwägungsgebots als Regelung im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG, aufgrund derer das Eigentum grundsätzlich der Gefahr einer Errichtung von störenden Vorhaben in der Nachbarschaft ausgesetzt werde.). Vgl. auch BVerwG, Beschluß vom 10. Februar 1989 — 7 Β 171.88 - , NVwZ-RR 1989, 619/620 (Es gebe kein aus dem Eigentum fließendes Recht, von der Nachbarschaft einer Abfallentsorgungsanslage verschont zu blieben.); BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 CB 1.90 - , NVwZ-RR 1991, 129/132 f. (Anordnung des Abwägungsgebots in § 17 Absatz 1 FStrG als Regelung im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG); BVerwG, Urteil vom 26. August 1993 - 4 C 24.91 - , BVerwGE 94, 100/106 (Das Grundstückseigentum gewährleiste seinem Inhaber nicht ohne weiteres, vor Störungen durch ein Planungsvorhaben in der Nachbarschaft verschont zu bleiben.); ähnlich BVerwG, Beschluß vom 11. November 1996 - 11 Β 65.96 - , NVwZ 1997, 394. 15 Hildebrandt
226
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Insofern stellt die normative Verankerung des Abwägungsgebots eine einfachgesetzliche Konfliktschlichtung zwischen dem subjektiven Verschonungsinteresse des Planbetroffenen und dem öffentlichen Realisierungsinteresse dar.
bb) § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG Die fur den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zentrale Vorschrift des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ist ebenfalls eine Norm, welche in zweierlei Hinsicht eine Konfliktschlichtung seitens des Gesetzgebers beinhaltet. Auch hier lassen sich, bezogen auf das Verschonungsinteresse des Planbetroffenen, eine rechtssichernde und eine rechtsbeschränkende Funktion unterscheiden: Zum einen begrenzen die Schutzmaßnahmevorschriften zu seinen Gunsten die Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde (dazu unter [1]). Zum anderen soll die Vorschrift aber auch die Realisierung gemeinwichtiger Vorhaben trotz entgegenstehender schutzwürdiger privater Interessen ermöglichen, diese also letztlich zu überwinden helfen (dazu unter [2]).
(1) Begrenzung der planerischen Gestaltungsbefugnis
Als eine spezifische Ausprägung des Abwägungsgebots dient § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG zunächst der Sicherung der Rechte eines mittelbar Planbetroffenen. Denn oberhalb einer bestimmten Zumutbarkeitsschwelle ist dieser rechtlich insoweit geschützt, als die Planfeststellungsbehörde seine Belange im Wege der Abwägung nur dann überwinden kann, wenn sie in einem sich anschließenden zweiten Schritt eine Schutzmaßnahme zu seinen Gunsten anordnet54. § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG verfolgt insofern also keinen Selbstzweck etwa in dem Sinne, daß auf der Grundlage dieser Norm der von ihr Begünstigte ein originäres, auf Erweiterung seiner Rechtssphäre zielendes Leistungsbegehren geltend machte; die Vorschrift soll vieleher nachteilige planungsbedingte Auswirkungen auf die materielle (Grund-)Rechtsposition des Betroffenen vermeiden, im Ergebnis also gewährleisten, daß der Planfeststellungsbeschluß keine unverhältnismäßige Inhalts· und Schrankenbestimmung des Eigentums darstellt und keinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bzw. allgemeine Handlungsfreiheit bewirkt. Inso-
54
Zur Zweistufigkeit der Behandlung der Belange des mittelbar Betroffenen s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa.
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fern ist das in § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG enthaltene subjektive öffentliche Recht - ähnlich dem Recht auf Abwägung - rein flankierender Natur 55. Bezogen auf Artikel 14 GG läßt § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG sich damit als die Umsetzung einer verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleichspflicht im Rahmen gesetzlicher Inhalts- und Schrankenbestimmungen verstehen: Mit Erlaß des Planfeststellungsbeschlusses konkretisiert die Planfeststellungsbehörde das jeweils einschlägige, fur den betroffenen Grundeigentümer eine inhalts- und schrankenbestimmende Regelung darstellende Fachplanungsrecht. Diese Inhalts- und Schrankenbestimmung ist nur deshalb verfassungsmäßig, weil der Gesetzgeber ab einem bestimmten Beeinträchtigungsgrad, also bei an sich unzumutbaren Belastungen, die Anordnung von Schutzmaßnahmen vorschreibt, durch welche diese gänzlich vermieden, unter die Zumutbarkeitsschwelle gesenkt bzw. finanziell kompensiert werden sollen. § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG stellt damit die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Artikel 14 GG her 56. Im Zusammenhang mit Artikel 2 Absatz 2 bzw. Absatz 1 GG liegt die Wirkung der Norm darin, daß ein Planfeststellungsbeschluß, der die erforderlichen Schutzmaßnahmen anordnet, bereits erst gar nicht in den Schutzbereich dieser Grundrechte eingreift: Die von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen bewegen sich nämlich dank des physisch-realen Ausgleichs unterhalb der
55
Dazu s.o. im 3. Kapitel unter IV 1. Grundlegend fur das Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung BVerfG, Beschluß vom 14. Juli 1981 - 1 BvL 24/78 - , BVerfGE 58, 137/149 f.; vgl. allgemein hierzu weiterhin BVerfG, Beschluß vom 30. November 1988 - 1 BvR 1301/84-, BVerfGE 79, 174/192; Nüßgens / Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 339 ff; Steinberg / Lubberger, Aufopferung — Enteignung und Staatshaftung, S. 211 ff. Die Einordnung des § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG auch als gesetzliche Anordnung eines Verhältnismäßigkeitsausgleichs fur eine ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung entspricht mittlerweile der herrschenden Meinung: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987-4 C 17-19.84 - , BVerwGE 77, 295/297 f.; Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 174; Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/527; Maurer, DVB1. 1991, 781/783; Steinberg, DVB1. 1992, 1501/ 1506; Wahl, NVwZ 1990, 426/440. Wegen des bloßen Surrogatcharakters der finanziellen Entschädigung nach Satz 3 der Vorschrift (hierzu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b bb) kann für den physisch-realen Ausgleich nach Satz 2 nichts anderes gelten; denn der Verhältnismäßigkeitsausgleich im Rahmen des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG ist von Verfassungs wegen nicht auf eine Geldzahlung beschränkt, so daß der Gesetzgeber auch andere geeignete Formen eines Ausgleichs anordnen kann; vgl. hierzu Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 278 f. 56
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Schwelle, ab welcher ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bzw. die allgemeine Handlungsfreiheit vorliegt 57. Insgesamt sichert § 74 Absatz 2 VwVfG also das Verschonungsinteresse des Betroffenen dadurch, daß er der Gestaltungs- und Überwindungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde Grenzen setzt58.
(2) Ermöglichung der Vorhabenrealisierung
Die Wirkungsweise des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG erschöpft sich aber nicht in dieser Sicherung der Rechte des Planbetroffenen, sondern umfaßt auch eine dessen Rechtsstellung beschränkende Konfliktschlichtung. Die Vorschrift ermöglicht es nämlich der Planfeststellungsbehörde, den eingereichten Plan auch festzustellen, wenn und obwohl das Vorhaben seine Umgebung in unzumutbarer Weise belastet. Denn die Anordnung von Schutzmaßnahmen fuhrt im Ergebnis gerade dazu, daß diese Belastungen entweder zur Gänze ausgeschlossen oder zumindest unter die rechtlich relevante Zumutbarkeitsschwelle gesenkt werden. Der Entstehungsgeschichte des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Vorschrift das Ziel verfolgte, die Feststellbarkeit auch solcher Vorhaben zu gewährleisten, die zwar gravierende, aber ausgleichbare Auswirkungen auf ihre Umgebung haben: Die Norm soll es nämlich der Planfeststellungsbehörde ermöglichen,
„das Vorhaben für zulässig zu erklären, weil sie die Berücksichtigung der von ihm betroffenen ... privaten Belange durch entsprechende Auflagen an den Träger des Vorhabens sicherstellen kann. ... Stellt die Planfeststellungsbehörde fest, daß Auflagen im Sinne von Satz 2 untunlich, weil z.B. wirtschaftlich nicht vertretbar, oder mit dem Vorhaben nicht vereinbar sind, will sie dem Vorhaben aber dennoch ihre Zustimmung nich verweigern, so hat sie den Betroffenen auf die in Satz 3 vorgesehene Entschädigung zu verweisen." 59 57
Zur Frage der Zulässigkeit einer Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG im Rahmen des Artikel 2 Absatz 2 GG s.u. im 10. Kapitel unter II 2. 58 Seit BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48, 56/68 f. ständige Rechtsprechung (hierzu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa). Ebenso Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 264 f. („Grenzfunktion" der Schutzmaßnahmevorschriften); Mößle, BayVBl. 1982, 193/198. Zur Gestaltungs- und Überwindungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde s.o. unter aa (2). 59 Amtliche Begründung zum Entwurf des § 70 Absatz 2 VwVfG vom 18. Juli 1973 (BT-Drucksache 7/910, S. 89), der in dieser Form als § 74 Absatz 2 VwVfG verabschiedet wurde (Hervorhebungen durch den Verfasser).
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Beeinträchtigungen, die über der Zumutbarkeitsschwelle liegen, sollen also nicht dazu fuhren, daß die Planfeststellung insgesamt unterbleiben muß, wenn sie durch Schutzmaßnahmen ausgeglichen werden können. Deren Anordnung stellt insofern gerade ein Mittel der Planfeststellungsbehörde dar, einen von dem Vorhaben aufgeworfenen Konflikt planerisch zu bewältigen und damit einen rechtmäßigen Planfeststellungsbeschluß zu erlassen60. Hierin liegt neben der bereits beschriebenen Einschränkung der planerischen Gestaltungsfreiheit der Planfeststellungsbehörde die zweite Wirkung des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG, die sich als Vorhabenermöglichungsfunktion beschreiben läßt61. Dies hat für die subjektive Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen eine Beschränkung zur Folge: Soll in objektiv-rechtlicher Hinsicht die Erstellung planfeststellungsbedürftiger Vorhaben nicht an zwar erheblichen, aber ausgleichbaren Belastungen scheitern, so können die subjektiv-öffentlichen Rechte des diese Umgebung repräsentierenden Planbetroffenen nicht darüber hinausreichen. Dieser kann also nicht verlangen, daß im Falle der Ausgleichbarkeit der ihn treffenden Beeinträchtigungen die Planfeststellung als solche unterbleibt. Geschützt ist damit nicht sein Interesse, von der Planung insgesamt verschont zu bleiben, wenn die an sich unzumutbaren Auswirkungen des Vorhabens durch die Festsetzung von Schutzmaßnahmen ausgeglichen werden können. Ein Anspruch auf Beibehaltung des status quo wird damit durch § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat insofern bereits selbst den Konflikt zwischen dem öffentlichen Interesse an der Realisierung gemeinwichtiger Vorhaben und
60 Dazu, daß ein Planfeststellungsbeschluß, welcher erforderliche Schutzmaßnahmen nicht anordnet, wegen Verstoßes gegen das Gebot der Konfliktbewältigung objektiv rechtswidrig ist, s.o. im 6. Kapitel unter I 3. 61 In diesem Sinne auch BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 - IV C 21.74 - , BVerwGE 48,56/68 f.; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979-4 C 10.77-, BVerwGE 59, 253/260; BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1981 - 4 C 69.78 - , BVerwGE 64, 270/ 272. Ebenso Bender, DVB1.1984,301/310; Ibler, Schranken planerischer Gestaltungsfreiheit, S. 264 f. („Instrumentalfunktion" des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG); Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 448; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 160; Michler, Verkehrsimmissionsschutz, S. 174; Mößle, BayVBl. 1982,193/196 f.; ders. BayVBl. 1982,231/234; Paetow, DVB1. 1985,169ßl\\ Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 1; ähnlich Wahl, NVwZ 1990,426/438. Dieselbe Intention liegt erkennbar dem „Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission zum Umweltgesetzbuch" vom Juli 1997 (UGB-KomE) zugrunde, dessen §§ 101,91 Absatz 1 Satz 2 fur die die Planfeststellung weitgehend ersetzende „planerische Vorhabengenehmigung" festlegen, daß Schutzmaßnahmen anzuordnen sind, um die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen.
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8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
dem subjektiven Verschonungsinteresse des Planbetroffenen zu Lasten des letzteren aufgelöst 62. Bezogen auf die im Regelfall durch eine Planfeststellung betroffene Eigentumsfreiheit bedeutet dies, daß die Schutzmaßnahmevorschrift nicht nur den Verhältnismäßigkeitsausgleich fur eine gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung anordnet63, sondern auch ihrerseits selbst eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG darstellt: Hierdurch beschränkt der Gesetzgeber das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum des mittelbar Betroffenen im Falle ausgleichbarer Beeinträchtigungen der Nutzung seines Grundstücks auf die Anordnung von Schutzmaßnahmen, verpflichtet ihn insgesamt also zur Duldung des Vorhabens64.
2. Inhaber der Rechtsposition
Standen bisher Inhalt und Reichweite der materiellen Rechtsposition des Planbetroffenen im Vordergrund der Untersuchung, so soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, wer ihr Inhaber, also mittelbar Betroffener im Rechtssinne ist. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um den „Nachbarn" des planfestzustellenden Vorhabens, also um denjenigen, der durch die Situationsveränderung seiner Umgebung in eigenen Rechten tangiert wird und deshalb im Sinne des § 42 Absatz 2 VwGO befugt ist, gegen den Planfeststellungsbeschluß Klage zu erheben. Diese Aussage vermag aber deshalb noch nicht zu befriedigen, weil im öf-
62
In diesem Sinne auch Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 422; vgl. auch Blankenagel, Die Verwaltung 26 (1993), 1/11, der zutreffend daraufhinweist, daß im Umweltrecht der Gesetzgeber in verfassungsmäßiger Weise den Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen und dem Interesse, ein Vorhaben zu realisieren, durch die Anordnung einer Kompensationspflicht vornehmen könne. 63 Dazu s.o. unter (1). 64 BVerwG, Beschluß vom 05. Oktober 1990 - 4 CB 1.90 - , NVwZ-RR 1991, 129/ 132 f.; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89-, BVerwGE 87, 332/380; deutlich VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 13 (in UPR 1993, 235 insoweit nicht abgedruckt); VGH München, Urteil vom 05. Juli 1994 - 8 A 93.40056 - , UA, S. 65 (in DVB1. 1994,1198 insoweit nicht abgedruckt); ebenso Badura, FS Lukes, S. 3/12 f.; Gaentzsch, FS Schlichter, S. 517/527; Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 448.
2. Inhaber der Rechtsposition
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fentlichen Recht kein einheitlicher Nachbarbegriff existiert, sondern dieser sich jeweils in Abhängigkeit von dem jeweiligen materiellen Recht bestimmt65. Maßgeblich für die Klärung der Frage, wer im Fachplanungsrecht Nachbar und damit durch die Planfeststellung in eigenen subjektiven Rechten betroffen sein kann, muß die Schutzrichtung der das Störungsverhältnis zwischen Betroffenem und Vorhaben regelnden Vorschriften sein. Diese lassen sich in Anlehnung an die beiden Zwecke, denen eine Planfeststellung dient, grob in zwei Gruppen einteilen: zum einen in die der grundstücksbezogenen Normen, die die Planfeststellung als eine Raumnutzungsentscheidung betreffen; zum anderen in die der personenbezogenen Normen, die an die Planfeststellung in ihrer Funktion als Vorhabenzulassung anknüpfen 66. Die erste Kategorie begünstigt den Nachbarn im baurechtlichen, die zweite den Nachbarn im umweit- bzw. immissionsschutzrechtlichen Sinne67. Im folgenden soll gezeigt werden, daß sowohl der Nachbar im baurechtlichen Sinne (dazu unter a) als auch der im umweltrechtlichen Sinne (dazu unter b) grundsätzlich Inhaber der soeben beschriebenen materiellen Rechtsposition und somit von einem Planfeststellungsbeschluß in eigenen Rechten betroffen sein kann.
a) Nachbar im baurechtlichen Sinne
Nachbar im baurechtlichen Sinne ist derjenige, der ein bestimmtes Grundstück „repräsentiert", mithin dessen Eigentümer oder ein in vergleichbarer Weise an ihm dinglich Berechtigter 68. Dieser Nachbarbegriff ist auch für das Fachplanungsrecht relevant. Denn soweit die Planfeststellung eine Raumnutzungsentscheidung trifft, bewältigt sie die vorgefundenen bzw. von der Planung veranlaßten Grundstückskonflikte und ordnet kollidierende Nutzungsinteressen einander zu. Insofern knüpft sie, ähnlich wie die baurechtliche Genehmigung, an den von 65
Bender /Dohle, Nachbarschutz, Rdnr. 38; Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 419; Mampel, Nachbarschutz, Rdnr. 11; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 38 ff.; differenzierend auch Hoppenberg in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel H, Rdnr. 32 ff. 66 Zu diesen beiden Funktionen der Planfeststellung s.o. im 7. Kapitel unter 12 b. 67 Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 38 ff. 68 Ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989 - 4 C 1.88 - , BVerwGE 82, 61/74 f. m.w.N.; Zusammenfassung der Einzelheiten zum baurechtlichen Nachbarbegriff bei OVG Lüneburg, Urteil vom 22. März 1996 - 1 L 1201/95 - N V w Z 1996, 918/918 f.
232
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
der Vorhabenrealisierung betroffenen Grund und Boden an. Inhaber der oben beschriebenen subjektiven Rechtsposition im Fachplanungsrecht ist daher derjenige Eigentümer (oder sonstig dinglich Berechtigte), dessen Recht auf Grundstücksnutzung von der Planung in relevanter Weise eingeschränkt wird 69 .
b) Nachbar im umweltrechtlichen
Sinne
In ihrer Funktion als Vorhabenzulassung kann die Planfeststellung insofern mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung verglichen werden, als sie die Rechtsgrundlage für die Erstellung einer Anlage bildet, deren Betrieb bzw. Nutzung in der Regel die Umgebung mit Immissionen belastet. Daher liegt es nahe, auch dem Nachbarn im umweltrechtlichen Sinne die subjektive Rechtsposition eines mittelbar Betroffenen zuzubilligen. Dies kann, muß aber nicht der Grundeigentümer eines in der Umgebung des Vorhabens liegenden Grundstücks sein. Maßgeblich für den umweltrechtlichen Nachbarbegriff (im Sinne von §§ 3 ff. BImSchG) ist ein qualifiziertes Betroffensein, das sich abhebt von den Auswirkungen, die den einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können; Nachbar einer emittierenden Anlage kann deshalb nur derjenige sein, der in einem engeren zeitlichen und räumlichen Verhältnis zu ihr steht. Eine solche Nähebeziehung besteht nicht nur gegenüber dem Eigentümer eines im Einwirkungsbereich des Vorhabens belegenen Grundstücks, sondern auch gegenüber demjenigen Betroffenen, der sich den Immissionen nicht nachhaltig entziehen kann, weil sein dortiger Aufenthalt von gewisser Festigkeit und Dauer ist. Dies läßt sich etwa bei Personen bejahen, die gerade in ihrer Wohnung, Arbeits- oder Ausbildungsstätte den Belastungen ausgesetzt sind70.
69
Z.B. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1977 - IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/222; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59, 253/261; BVerwG, Urteil vom 04. März 1983-4 C 74.80-, NVwZ 1983,672; BVerwG, Beschluß vom 26. Juli 1990-4 Β 235.89 - , NVwZ 1991, 566/567; BVerwG, Urteil vom 16. September 1993-4 C 9.91 - , NJW 1994,1223/1224; BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389; vgl. weiterhin statt vieler Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 40 f. und 44 (m.w.N. dort in FN 73), § 7 Rdnr. 58. 70 Grundlegend BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1982 - 7 C 50.78 - , DVB1. 1983, 183/183 f. Diese Beschreibung des umweltrechtlichen Nachbarbegriffs hat sich mittlerweile weitgehend durchgesetzt: vgl. etwa Bender / Sparwasser / Engel, Umweltrecht, Abschnitt 6, Rdnr. 103; Jarass, BImSchG, § 3 Rdnr. 20 ff. (insbesondere Rdnr. 21); Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rdnr. 24 ff.; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 81 (m.w.N. dort in FN 72).
2. Inhaber der Rechtsposition
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Die Rechtsprechung des BVerwG zur Frage, ob im Fachplanungsrecht auch der umweltrechtliche Nachbarbegriff zur Bestimmung des Kreises der mittelbar Betroffenen als Inhaber subjektiver Rechte herangezogen werden kann, befindet sich im Wandel: Bisher knüpfte das Gericht die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Absatz 2 VwGO gegen einen Planfeststellungsbeschluß ausschließlich an das Grundstückseigentum an und Schloß sonstige Personen, insbesondere nur obligatorisch Berechtigte, ausdrücklich hiervon aus. Zur Begründung hieß es, das Fachplanungsrecht sei wie das Baurecht grundstücks- und nicht personenbezogen, so daß eine subjektive Rechtsposition allein den die betroffenen Grundstücke repräsentierenden Eigentümern zukomme71. Dem stehen neuere Judikate namentlich des 11. Senats gegenüber, in welchen das Gericht dem nicht dinglich Berechtigten zwar ein subjektives Recht auf Abwägung seiner Belange abspricht, welches nur dem planbetroffenen Grundeigentümer vorbehalten sei, ihm aber zumindest die Berufung auf §§ 41 f. BImSchG zubilligt72. Dieser Rechtsprechungswandel ist grundsätzlich zu begrüßen. Es findet sich nämlich kein überzeugender Grund dafür, dem nicht dinglich Berechtigten eine eigenständige subjektive Rechtsposition im Fachplanungsrecht zu verweigern bzw. diese im Vergleich zu der des betroffenen Grundeigentümers qualitativ abzuschwächen. Insbesondere bedarf die körperliche Unversehrtheit nicht der Vermittlung durch Artikel 14 GG, um im Fachplanungsrecht wirksam zu werden73. 71
Z.B. BVerwG, Urteil vom 04. März 1983 - 4 C 74.80 - , NVwZ 1983, 672; BVerwG, Beschluß vom 26. Juli 1990-4 Β 235.89-, DÖV 1990, 1061; BVerwG, Urteil vom 14. Mai 1992-4 C 9.89 - , NVwZ 1993, 477/478. Ebenso z.B. Kastner, VerwArch 80 (1989), 74/83; Schechinger, DVB1. 1991, 1182/1189. Die Aussage in BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89-, BVerwGE 87, 332/342, wonach das subjektive Recht auf Abwägung eigener Belange „allen von einer Planung Betroffenen" zustehe, ist ein Einzelfall geblieben. 72 BVerwG, Beschluß vom 28. November 1995 - 11 VR 38.95 - , NVwZ 1996, 389; BVerwG, Beschluß vom 29. November 1995 - 11 VR 15.95 - , NVwZ 1997, 165/166 f. (wobei das Gericht ausdrücklich die Frage offen läßt, ob sich auch der nicht dinglich Berechtigte gleichermaßen wie ein in seinem Grundeigentum Betroffener auf das subjektive Recht auf Abwägung berufen könne); BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 — 11 A 86.95 - , NVwZ 1996, 901/904 f.; andeutungsweise in diese Richtung bereits BVerwG, Beschluß vom 26. Juli 1990 - 4 Β 235.89 - , DÖV 1990, 1061. Zu dieser neuen Entwicklungslinie in der Rechtsprechung des BVerwG vgl. Vallendar, UPR 1996, 121/125. 73 In diesem Sinne aber noch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1979 - 4 C 10.77 - , BVerwGE 59,253/261 f., wonach der Schutz des Grundeigentums auch den der körperlichen Unversehrtheit umfasse; denn mit der Gewährleistung einer durch Verkehrslärm nicht beeinträchtigten Grundstücksnutzung sei auch die Beeinträchtigung der personenenbezogenen Rechtsgüter des Artikel 2 Absatz 2 GG ausgeschlossen; ebenso Engelhardt, BayVBl. 1981, 389/392. Hiergegen zu Recht Schechinger, DVB1. 1991, 1182/ 1189; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Mai 1984 - 5 S 668/84 - , UPR 1985, 376/377.
234
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
Die Gleichrangigkeit beider Grundrechtsverbürgungen als potentielle Grundlagen eines fachplanungsrechtlichen Nachbarschaftsverhältnisses manifestiert sich überdies darin, daß es sich bei den von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgütern ebenso wie bei der Eigentumsfreiheit des Artikel 14 GG unstreitig um „Rechte anderer" im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG handelt74. Lediglich die vom BVerwG vorgenommene Beschränkung des subjektiven Rechts auf Abwägung auf den betroffenen Grundeigentümer ist inkonsequent. Denn das auch dem nicht dinglich Betroffenen zustehende Recht aus § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG (bzw. § 41 BImSchG als dessen immissionsschutzrechtliche lex specialis) ist eine spezifische Ausprägung des planerischen Abwägungsgebots, so daß das subjektive Recht auf Anordnung einer Schutzmaßnahme von dem auf gerechte Abwägung nicht isoliert betrachtet werden kann75. Die neuere Rechtsprechung des BVerwG überzeugt insofern also in konstruktiver Hinsicht nicht. Ihr kann aber zumindest im Ergebnis wegen der fehlenden eigenständigen Bedeutung des subjektiven Rechts auf Abwägung außerhalb des Anwendungsbereichs von Artikel 14 GG 76 gefolgt werden. Es bleibt daher festzuhalten, daß im Fachplanungsrecht Inhaber einer klagefähigen subjektiven Rechtsposition und damit mittelbar Betroffener nicht nur der Nachbar im bau-, sondern auch der im umweltrechtlichen Sinne sein kann77. Steht letztgenannter in dem hierzu erforderlichen qualitativen Näheverhältnis zum planfestzustellenden Vorhaben, so ist auch die Sorge vor einer ausufernden Klagebefugnis gegen Planfeststellungsbeschlüsse unbegründet78; denn die Erfahrungen mit der umweltrechtlichen Nachbarklage zeigen, daß sich auch auf der
74
BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BVerwGE 51,15/28; BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1979-IV C 51.75 - , BVerwGE 54, 211/222; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Mai 1984 - 5 S 668/84 - , UPR 1985, 376/377 m.w.N.; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 50; hierzu s.o. im 3. Kapitel unter IV 1. 75 Dazu s.o. im 6. Kapitel unter I 2 sowie im 1. Kapitel unter III 3 b aa. 76 Dazu s.o. unter 1 c aa (1). 77 Im Ergebnis ebenso Johlen, DÖV 1989, 204/205; Steinberg, Fachplanung, § 2 Rdnr. 50 und § 7 Rdnr. 64; ders., FS Schlichter, S. 599/601ff.; OVG Münster, Urteil vom 19. September 1983 - 13 A 1888/82 - , NVwZ 1984, 385/386; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Mai 1984-5 S 668/84-, UPR 1985,376/376 f.; nunmehr auch Pietzner/ Ronellenfltsch, Assessorexamen, § 15 Rdnr. 7. 78 Diese Sorge könnte Ursache fur die bisherige Fixierung des BVerwG auf den dinglich Berechtigten als alleinigen Inhaber subjektiver Rechte im Fachplanungsrecht gewesen sein; in diesem Sinne etwa Broß, DÖV 1985, 513/514: Die Anerkennung einer selbständigen Rechtsstellung des Mieters auf der Grundlage des Artikel 2 Absatz 2 GG berge die Gefahr der Manipulation in sich.
3. Zusammenfassung
235
Grundlage der §§ 3 ff. BImSchG der Kreis der Inhaber subjektiver Rechtspositionen hinreichend klar bestimmen läßt79. Ein Grundeigentümer ist also bei Überschreiten der Nutzungsbeeinträchtigungen oberhalb der gesetzlich konkretisierten Erheblichkeitsschwelle auf jeden Fall mittelbar Betroffener, unabhängig davon, ob er den Belastungen höchstpersönlich ausgesetzt ist oder sich auf dem Grundstück gar nicht aufhält; er kann sich im zweiten Falle nur auf Artikel 14 GG, bei der ersten Alternative auch auf Artikel 2 Absatz 2 GG berufen. Sonstige, also nicht in ihrem Grundeigentum Betroffene müssen in einer besonders engen räumlichen und zeitlichen Beziehung zu dem emittierenden Vorhaben stehen, aufgrund derer es ihnen nicht zugemutet werden kann, sich dauerhaft aus dessen Einwirkungsbereich zu entfernen. Oberhalb der jeweiligen Erheblichkeitsschwelle steht ihnen dann Artikel 2 Absatz 2 GG und in dessen Vorfeld Artikel 2 Absatz 1 GG zur Seite. Beide Kategorien von Nachbarn können sich grundsätzlich auf das subjektive Recht auf Abwägung berufen und insofern verlangen, daß ihre rechtlich geschützten Belange und die diesen entgegenstehenden Interessen ordnungsgemäß ermittelt, zutreffend bewertet und in die Abwägung eingestellt werden. Sollte die Planfeststellungsbehörde hierbei die Belange des Betroffenen abwägungsweise hintanstellen, so hat sowohl der bau- als auch der umweltrechtliche Nachbar gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG einen Anspruch auf Anordnung ausgleichender Schutzmaßnahmen.
3. Zusammenfassung
Die subjektive Rechtsposition eines von der Planfeststellung mittelbar, also nicht mit enteignender Vorwirkung Betroffenen läßt sich nicht mit einem pauschalen Rückgriff auf die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG beschreiben. Sie setzt sich vieleher zusammen aus einzelnen Verbürgungen spezieller Freiheitsrechte, namentlich der Eigentumsfreiheit (Artikel 14 GG) und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG); soweit der einfache Gesetzgeber über das letztgenannte Freiheitsrecht hinaus subjektive Rechtspositionen gewährt hat, aktiviert dies — quasi in dessen Vorfeld — die nur subsidiär anwendbare allgemeine Handlungsfreiheit des Artikel 2 Absatz 1 GG. Stand bisher bei der Herleitung subjektiver Rechte im Fachplanungsrecht Artikel 14 GG im Vordergrund, so erfährt in neuerer Zeit Artikel 2 Absatz 2 GG in79
Vgl. Jarass, BImSchG, § 41 Rdnr. 43.
236
8. Kap., I. Subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen
sofern eine deutliche Aufwertung. Dies beruht unter anderem auf der fortschreitenden wissenschaftlichen Konturierung rechtlicher und tatsächlicher Probleme im Zusammenhang mit der körperlichen Unversehrtheit. Die zunehmende Bedeutung dieses Grundrechts manifestiert sich gerade darin, daß mittlerweile das BVerwG grundsätzlich die Möglichkeit anerkennt, ein fachplanungsrechtliches Nachbarschaftsverhältnis auch auf die Grundlage des Artikel 2 Absatz 2 GG zu stellen. Diese grundrechtlichen Verbürgungen hat der einfache Gesetzgeber in zweierlei Hinsicht ausgestaltet: zum einen durch Konkretisierung des Schutzbereichs (Artikel 14 GG) bzw. der Schwelle, oberhalb derer ein Eingriff in diesen vorliegt (Artikel 2 Absatz 2 und Absatz 1 GG); zum anderen durch Austarierung und Zuordnung konfligierender Interessen, vor allem des subjektiven Verschonungsinteresses des von einem planfestzustellenden Vorhaben potentiell Betroffenen mit dem gegenläufigen öffentlichen Realisierungsinteresse. Diese letztgenannten Normen mit Konfliktschlichtungsfunktion sind fur die vorliegende Untersuchung von ausschlaggebender Bedeutung. Denn sie bestimmen letztlich den Umfang der subjektiven Rechtsposition des mittelbar Betroffenen im Verhältnis zur Planfeststellungsbehörde und damit Reichweite und Ziel dessen, was der tatbestandlich gegebene Abwehranspruch wiederherstellen soll. Sie determinieren also die Rechtsfolge des Abwehranspruchs, der durch die rechtswidrige Nichtanordnung der Schutzmaßnahmen entstanden ist. Für die hier interessierende Konstellation hat der Gesetzgeber den beschriebenen Konflikt grundsätzlich zugunsten des öffentlichen Realisierungsinteresses geschlichtet: Das subjektive Verschonungsinteresse des Planbetroffenen ist lediglich insoweit geschützt, als er erstens auf der Grundlage des (rein flankierenden) subjektiven Rechts auf Abwägung verlangen kann, daß die Planfeststellungsbehörde seine rechtlich geschützten Belange ordnungsgemäß ermittelt, bewertet und mit den ihnen entgegenstehenden Erwägungen fehlerfrei in Beziehung setzt. Unterliegen hierbei seine Belange, so kann er zweitens die Anordnung von Schutzmaßnahmen gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG beanspruchen, sofern seine Belastung durch das planfestzustellende Vorhaben eine bestimmte Zumutbarkeitsschwelle übersteigt. Damit findet seine subjektive Rechtsposition aber auch ihre Grenzen. Denn zum einen hat der Gesetzgeber mit der Fixierung des fachplanungsrechtlichen Abwägungsgebots der Planfeststellungsbehörde die Befugnis zur planerischen Gestaltung und damit auch zur Überwindung der Belange des Betroffenen übertragen. Und zum anderen ist § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG selbst eine Norm, mit der dem Realisierungsinteresse der Vorrang gegenüber dem Verschonungsinteresse eingeräumt wird. Denn hier hat der Gesetz-
3. Zusammenfassung
237
geber zum Ausdruck gebracht, daß eine Planfeststellung nicht daran scheitern muß, daß von dem Vorhaben erhebliche, aber ausgleichbare Beeinträchtigungen des mittelbar Betroffenen ausgehen. Hieraus folgt fur dessen primäre subjektive Rechtsstellung, daß er im Falle einer solchen Ausgleichsmöglichkeit auch auf die Geltendmachung von Ansprüchen auf Anordnung von Schutzmaßnahmen beschränkt ist, er also nicht die Unterlassung der Planfeststellung insgesamt begehren kann. Im Ergebnis kann damit der Planbetroffene zwar von der Planfeststellungsbehörde verlangen, daß diese keinen Planfeststellungsbeschluß erläßt, der ihn in seinen Grundrechten verletzt. Diese Rechtsmacht hat aber der einfache Gesetzgeber insofern eingeschränkt, als sie nicht den Anspruch umfaßt, die Integrität dieser Grundrechtspositionen durch einen Verzicht der planenden Verwaltung auf das Vorhaben zu wahren.
II. Konsequenzen für die Rechtsfolge des Abwehranspruchs Ein Planfeststellungsbeschluß, der nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG erforderliche Schutzmaßnahmen nicht enthält, führt zu einer unverhältnismäßigen Inhalts· und Schrankenbestimmung im Sinne des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG und bzw. oder zu einem rechtswidrigen Eingriff in Artikel 2 Absatz 2 GG bzw. Artikel 2 Absatz 1 GG. Die Beseitigung dieser Verletzung primärer Rechtspositionen und Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands kann theoretisch auf zweierlei Weise erfolgen: zum einen durch Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, zum anderen durch seine Ergänzung um die zunächst unterbliebene Festsetzung. Die genaue Fixierung der Rechtsfolge des in der vorliegenden Konstellation tatbestandlich gegebenen Abwehranspruchs hat sich an dessen Wesen als einem Verteidigungsmittel zu orientieren, mit welchem der von rechtswidrigem Verwaltungshandeln Betroffene die Integrität seiner primären subjektiven Rechtsposition zu wahren sucht. Im folgenden sollen zusammenfassend die Kriterien dargestellt werden, anhand derer sich abstrakt die Reichweite der Rechtsfolge eines Abwehranspruchs beschreiben läßt (dazu unter 1), um diese anschließend auf die vorliegende Konstellation zu projizieren (dazu unter 2).
238
8. Kap., II. Konsequenzen fur die Rechtsfolge des Abwehranspruchs 1. Abstrakt: Beschreibung der Reichweite der Rechtsfolge eines Abwehranspruchs
Wesentlich für den Abwehranspruch ist die verletzte primäre Rechtsposition des Anspruchsberechtigten: Sie stellt nicht nur seine dogmatische Grundlage dar, sondern bestimmt auch sein Ziel und damit die Reichweite seiner Rechtsfolge. Diese besteht grundsätzlich darin, daß der Inhaber des Abwehranspruchs dasjenige verlangen kann, was zur Verteidigung seiner rechtlichen Integrität erforderlich ist, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Denn der Abwehranspruch dient der Wiederherstellung einer gesetzlich vorgegebenen Abgrenzung von Rechtssphären, die durch das rechtswidrige Verwaltungshandeln gestört wurde; er soll gerade nicht zu einer erneuten Verschiebung dieser Abgrenzung-diesmal zugunsten des Anspruchstellers - führen. Insofern unterscheidet er sich vom Schadensersatzanspruch, der nicht nur auf eine Restitution des Geschädigten, sondern auch auf dessen Kompensation zielt. Der dort möglichen dauerhaften Verlagerung der Schadenslast auf den schädigenden Anspruchsgegner korrespondiert zumeist das anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmal seines Verschuldens: Dieses vermag es im Regelfall zu rechtfertigen, wenn als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs die Trennlinie zwischen seinem Rechtskreis und dem des geschädigten Anspruchsinhabers zu seinen Ungunsten neu gezogen werden kann. Der Tatbestand des Abwehranspruchs hingegen kennt nicht das Erfordernis eines schuldhaften Handelns des Staates, sondern knüpft allein an die Faktizität der Verletzung subjektiver Rechte des Anspruchsinhabers an. Insofern werden Ziel und auch Grenze seiner Rechtsfolge durch den rechtlichen status quo ante bzw. einen ihm gleichwertigen Zustand markiert 80. Hiervon ausgehend läßt sich in zweierlei Hinsicht die Reichweite des Anspruchs näher umschreiben: zum einen in negativer Hinsicht, daß der Anspruchsinhaber nicht besser gestellt werden darf, als er bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln stünde, wenn es also zu keinem Übergriff auf seine rechtliche Integrität gekommen wäre. Denn konstruktiv unterscheidet sich der Abwehranspruch von einem Leistungsanspruch gerade dadurch, daß er nicht auf die Erweiterung der bestehenden Rechtssphäre, sondern vieleher auf deren Verteidigung gerichtet ist 81 . Er darf im Ergebnis somit nicht dazu führen, daß sein Inhaber von der Rechtsverletzung profitiert. Für den Anspruchsgegner folgt daraus, daß er durch die Erfüllung des Anspruchs nicht zusätzlich belastet werden darf. Dies wäre der 80
Vgl. Rösslein, Der Folgenbeseitigungsanspruch, S. 80 f.; W. Roth, S. 81 ff., insbesondere S. 85 f. (m.w.N. dort in FN 130); Schoch, VerwArch 79 (1988), 1/37 f.; hierzu auch oben im 5. Kapitel unter IV. 81 Dazu s.o. im 3. Kapitel unter II 1.
2. Konkret: Bestimmung der Rechtsfolge in der vorliegenden Konstellation
239
Fall, wenn er durch den Abwehranspruch mehr zu leisten verpflichtet würde, als er bei einer Vermeidung der Rechtsverletzung hätte tun müssen. Zum anderen läßt sich in positiver Hinsicht die Rechtsfolge des Abwehranspruchs insofern fixieren, als der Anspruchsteller mit seinem Abwehranspruch dasjenige soll geltend machen können, was er auch auf der Grundlage seiner verletzten primären subjektiven Rechtsposition hätte verlangen dürfen.
2. Konkret: Bestimmung der Rechtsfolge in der vorliegenden Konstellation
Der durch die fehlende Anordnung erforderlicher Schutzmaßnahmen Betroffene hat einen Abwehranspruch darauf, daß die Integrität seiner primären subjektiven Rechtsposition wiederhergestellt wird, also die Verwaltung ein für sein Eigentum inhalts- und schrankenbestimmendes Gesetz in verhältnismäßiger Weise konkretisiert und die rechtswidrigen Eingriffe in seine körperliche Unversehrtheit bzw. allgemeine Handlungsfreiheit beseitigt. Dieser Anspruch verengt sich inhaltlich darauf, die Anordnung von Schutzmaßnahmen gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG verlangen zu können, mit denen die Verhältnismäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung gewährleistet und die ihn treffenden vorhabenbedingten Beeinträchtigungen unter die für Artikel 2 Absatz 2 bzw. Absatz 1 GG jeweils relevante Zumutbarkeitsschwelle gesenkt werden. Der mittelbar Betroffene ist also grundsätzlich auf die Geltendmachung eines Planergänzungsanspruchs beschränkt; ein Planaufhebungsanspruch würde damit über dasjenige hinausgehen, was erforderlich wäre, um seine primäre subjektive Rechtsposition wiederherzustellen. Dies ergibt sich, wie dargestellt, aus folgenden Erwägungen: In negativer Hinsicht ist die Planaufhebung als Rechtsfolge des Abwehranspruchs ausgeschlossen: Zum einen stellte sie den Anspruchsinhaber besser, als er bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln stünde. Denn die subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen hat der Gesetzgeber durch das planerische Abwägungsgebot und § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG insofern beschränkt, als hierdurch ein Anspruch auf Beibehaltung des status quo, also ein subjektives Recht auf Verschonung vor jeglicher Planung, gerade ausgeschlossen wird 82 . Zum anderen würde aber auch die Planfeststellungsbehörde als die Anspruchsgegnerin durch eine Planaufhebung schlechter gestellt, als sie bei ursprünglich rechtmäßigem Verhalten stünde. Denn eine Kassation des Planfeststellungsbe82
Dazu s.o. unter 11 c aa (2) und bb (2).
240
8. Kap., III. Ergebnis
Schlusses hätte zunächst dieselben Wirkungen wie ein Verzicht auf die Planfeststellung, eine Entscheidung, die die Planfeststellungsbehörde in der vorliegenden Konstellation aber gerade nicht treffen wollte und wegen der Möglichkeit zum Ausgleich der Beeinträchtigungen durch Schutzmaßnahmen auch nicht treffen mußte. Ihr rechtswidriges Handeln besteht darin, daß sie es unterlassen hat, zugunsten des Betroffenen eine Schutzmaßnahme anzuordnen, nachdem sie in rechtsfehlerfreier Weise dessen Belange ermittelt, bewertet, in die Abwägung eingestellt, mit den fur das Vorhaben sprechenden Interessen in Beziehung gesetzt und diesen gegenüber hintangestellt hat83. Diese bereits wahrgenommene Ausgestaltung des konkreten Störungsverhältnisses zwischen Vorhaben und Betroffenem würde im Falle einer Planaufhebung nachträglich beseitigt, die der Planfeststellungsbehörde vom Gesetzgeber übertragene Pflicht, aber auch Befugnis zur planerischen Gestaltung also - zumindest vorübergehend - überspielt84. Ist somit die Rechtsfolge des Abwehranspruchs durch den Ausschluß der Planaufhebung zunächst negativ fixiert, so läßt sie sich in positiver Hinsicht auf eine Planergänzung festlegen: Die gesetzliche Beschränkung der subjektiven Rechtsstellung des mittelbar Betroffenen durch die Vorhabenermöglichungsfunktion des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG 85 schlägt auf die Reichweite des Abwehranspruchs durch. Denn konnte der Betroffene auf der Grundlage seiner primären Rechtsposition lediglich verlangen, daß die Planfeststellungsbehörde seinen materiellen (Grund-)Rechtsverbürgungen durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen Rechnung trägt, so ändert sich hieran durch die eingetretene Rechtsverletzung nichts. Aus der notwendigen rechtlichen Kongruenz zwischen dem Ziel des Abwehranspruchs und dem Inhalt der primären subjektiven Rechtsposition vor ihrer Verletzung folgt damit, daß der Betroffene nach wie vor nur die Anordnung von Schutzmaßnahmen, also eine Planergänzung beanspruchen kann.
I I I . Ergebnis Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungs- gegenüber dem Planaufhebungsanspruch läßt sich mit der hier so bezeichneten „Rechtsfolgenlösung" erklären: Der in der vorliegenden Konstellation tatbestandlich gegebene Abwehr83
Zur Zweistufigkeit der planerischen Bewältigung der Belange des mittelbar Betroffenen s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b aa. 84 In diesem Sinne auch Preu, Subjektivrechtliche Grundlagen, S. 75 ff.; ähnlich Michler, Verkehrsimmissionsschutz, S. 175 f. 85 Dazu s.o. unter 11 c bb (2).
8. Kap., III. Ergebnis
241
anspruch zielt auf die Wiederherstellung der rechtlichen Integrität des von dem fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß Betroffenen; maßgebliches Kriterium für die Bestimmung der konkreten Reichweite des Anspruchs ist damit die primäre Rechtsposition des Anspruchsinhabers. Diese hat der einfache Gesetzgeber insofern einschränkend ausgestaltet, als sie hinter der objektiven Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde zurückbleibt: Im Verhältnis zum Planbetroffenen ist diese lediglich verpflichtet, keinen Planfeststellungsbeschluß zu erlassen, der ihn in seinen subjektiven Rechten verletzt, also Belastungen aussetzt, die oberhalb einer bestimmten Zumutbarkeitsschwelle liegen. Wie sie diese Vorgabe erfüllt, bleibt ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit überlassen; so kann sie etwa auch von der Planfeststellung insgesamt absehen. Wesentlich ist aber, daß sie dies nicht tun muß\ denn ihr wird durch § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG die Möglichkeit eröffnet, den Plan trotz erheblicher, aber ausgleichbarer Belastungen festzustellen. Für die subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen folgt hieraus, daß er eine Planfeststellung auch dann dulden muß, wenn von dem festzustellenden Vorhaben für ihn nachteilige Wirkungen ausgehen. Von seiner Rechtsmacht ist es nicht umfaßt, die Unterlassung der Planfeststellung insgesamt verlangen zu können. Sie beschränkt sich vielmehr zum einen darauf, daß seine Belange fehlerfrei ermittelt, bewertet und mit den gegenläufigen Erwägungen abgewogen werden; und zum anderen darauf, die ihn treffenden Beeinträchtigungen durch Schutzmaßnahmen ausschließen, unter die Zumutbarkeitsschwelle senken oder finanziell kompensieren zu lassen. Insofern legt bereits die gesetzliche Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition des Planbetroffenen die Planergänzung als Rechtsfolge des Abwehranspruchs fest und schließt die Planaufhebung aus. In diesem Punkte besteht der konstruktive Unterschied zu dem oben beschriebenen Ansatz einer „Schrankenlösung", welche den Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs mit der Unzumutbarkeit der Planaufhebung zu erklären sucht: Dort lag gerade noch keine einfachgesetzliche Abgrenzung kollidierender Rechtskreise vor, so daß diese dem Rechtsanwender, genauer: der plankontrollierenden Rechtsprechung, überantwortet werden mußte86. Der hieran anknüpfenden Kritik ist die „Rechtsfolgenlösung" nicht ausgesetzt: Denn hier ist es der Gesetzgeber selbst, der das öffentliche Interesse an der Realisierung gemeinwichtiger Vorhaben mit dem subjektiven Interesse des Nachbarn, von diesen weitgehend verschont zu bleiben, in Beziehung setzt und ihm grundsätzlich den Vorzug einräumt. Aus der Tragfähigkeit der „Rechtsfolgenlösung" folgt schließlich, daß die gesetzliche Anordnung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs in § 75 Absatz 86
Dazu s.o. im 7. Kapitel unter II.
16 Hildebrandt
242
8. Kap., III. Ergebnis
1 a Satz 2 VwVfG bzw. entsprechenden Vorschriften der jeweiligen Fachgesetze rein deklaratorischer Natur ist. Denn eine konstitutive Wirkung der genannten Normen hätte lediglich dann vorgelegen, wenn sich das hier untersuchte Vorrangverhältnis nicht bereits auf der Grundlage der bestehenden Rechtsordnung selbst erklären ließe87.
87
Dazu s.o. im 4. Kapitel unter I.
Dritter
Teil
Umsetzung und Grenzen des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch Die vorliegende Untersuchung schließt mit einer Behandlung einzelner Aspekte des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs. Auf der Grundlage der im 2. Teil herausgearbeiteten dogmatischen Fundierung dieses Grundsatzes soll zunächst seine prozessuale Umsetzung beschrieben und dabei die an ihm insofern geübte Kritik widerlegt werden (dazu im 9. Kapitel). In einem letzten Schritt gilt es zu untersuchen, wo die Grenzen dieses planungssichernden Instituts verlaufen (dazu im 10. Kapitel). Dabei wird zu zeigen sein, daß der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs zwei Schranken unterworfen ist: Die eine betrifft Fälle, in denen eine Planergänzung die Gesamtkonzeption der Planung berührte, die andere wurzelt in den Besonderheiten des Artikel 2 Absatz 2 GG.
9. Kapitel
Prozessuale Umsetzung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs Prozessual wird der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs üblicherweise so umgesetzt, daß der von der Nichtanordnung erforderlicher Schutzmaßnahmen Betroffene im Hauptantrag eine auf Planaufhebung zielende Anfechtungs- und hilfsweise eine auf Planergänzung gerichtete Verpflichtungsklage erhebt1. In der Literatur stößt diese Konstruktion zuweilen auf Kritik, die sich auf die den Planergänzungsanspruch betreffende Verpflichtungsklage konzentriert: Sie bezieht sich zum ersten auf die Frage derrichterlichen Befugnis, die Planfest1
Dazu s.o. im 1. Kapitel unter III 1.
244
9. Kap., I. Verurteilung zur Planergänzung und Kontrollkompetenz
stellungsbehörde zu einer Planergänzung zu verurteilen (dazu unter I); zum zweiten auf die Vereinbarkeit des vorliegenden Grundsatzes mit § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO (dazu unter II); und zum dritten auf den Zusammenhang von Ergänzung und Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses (dazu unter III). Diese Bedenken greifen hingegen allesamt nicht durch, so daß im Ergebnis der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs sich nicht nur materiellrechtlich in die bestehende Rechtsordnung einfügen, sondern auch zwanglos mit den Mitteln des Prozeßrechts bewältigen läßt.
I. Verurteilung zur Planergänzung und gerichtliche Kontrollkompetenz Gegen den Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ist schon früh eingewendet worden, daß der Rechtsprechung die Kompetenz fehle, die Planfeststellungsbehörde zu einer Planergänzung um die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen zu verurteilen. Denn hierdurch werde dieser ein Vorhaben aufgedrängt, das sie zumindest in dieser Form gar nicht hätte feststellen wollen. Das Gericht maße sich insofern eine eigene Planungsbefugnis an und setze sich an die Stelle der planenden Verwaltung; es nehme nämlich selbst eine Wertung über die Bedeutung der fehlenden Schutzmaßnahmen für das Gesamtgefüge der Planung vor, wenn es sich zwischen Planaufhebung und Planergänzung entscheide. Aus diesen kompetenziellen Erwägungen folge, daß im Falle der rechtswidrigen Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen das Gericht die Planfeststellungsbehörde nicht zur Planergänzung verurteilen dürfe, sondern zwingend der Anfechtungsklage des Planbetroffenen stattgeben und den Planfeststellungsbeschluß aufheben müsse2. Diese Kritik setzt bei der vom BVerwG herausgearbeiteten Kategorie der „Gesamtkonzeption der Planung" an: Nur wenn diese durch die erforderliche Planergänzung in Frage gestellt wird, soll dem Betroffenen ein Planaufhebungsanspruch zukommen; dies setzt voraus, daß die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis ihrer Pflicht zur Anordnung von Schutzmaßnahmen von der Planfeststellung insgesamt Abstand genommen oder das Vorhaben anders dimensioniert bzw. ver-
2
Engelhardt, BayVBl. 1981, 389/397; Sieg,, Schutzauflage, S. 180 ff.; in der Sache ebenso schon VGH Mannheim, Beschluß vom 22. Februar 1972 - V 1167/70 - , DÖV 1972, 642.
9. Kap., I. Verurteilung zur Planergänzung und Kontrollkompetenz
ortet hätte3. Mit der skizzierten Kritik am Vorrang des Planergänzungsanspruchs wird den Verwaltungsgerichten also die Kompetenz verwehrt, über die Auswirkungen der Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen auf die Gesamtkonzeption nach Maßgabe des mutmaßlichen Willens der Planfeststellungsbehörde zu entscheiden. Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Denn sie verkürzt in unzutreffender Weise die Reichweite richterlicher Rechtskontrolle. Die geschilderte Kritik an der Rechtsprechung des BVerwG geht zwar zutreffend davon aus, daß eine nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen grundsätzlich Auswirkungen auf die gesamte planerische Abwägung haben kann. Denn die Notwendigkeit solcher Maßnahmen ist ihrerseits ein abwägungserheblicher Belang, der zumindest in finanzieller Hinsicht gegen das festzustellende Vorhaben streitet und den deshalb die Planfeststellungsbehörde mit in ihre Entscheidungsfindung einstellen muß4. Wegen der Eigenart der planerischen Abwägung als Beziehungsgeflecht einer Vielzahl verschiedener, teils paralleler, teils gegenläufiger, sich aber wechselseitig beeinflussender Interessen teilt sich jede Veränderung des Abwägungsmaterials notwendigerweise der gesamten Planungsentscheidung mit. Es kann also nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß bei ursprünglicher Berücksichtigung der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen die Planfeststellungsbehörde eine andere Entscheidung getroffen hätte. Dies gilt insbesondere dann, wenn bei der bisherigen Saldierung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange die ersteren nur knapp überwogen haben sollten. Gerade angesichts der starken Wertungsabhängigkeit der planerischen Abwägung ist deren gerichtliche Nach Vollziehung also nicht unproblematisch5. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, daß den Gerichten die Befugnis fehle, über die Frage zu entscheiden, ob die Nichtanordnung von Schutzmaßnahmen die Gesamtkonzeption der Planung berühre. Denn die beschriebene planungsrechtliche Besonderheit der Konnexität sämtlicher in die Abwägung einzustellenden Belange, die eine Beantwortung der Frage nach dem Gewicht eines Abwägungsfehlers erschwert, betrifft lediglich ein tatsächliches Problem richterlicher Sachverhaltsermittlung und Erkenntnisgewinnung. Sie stellt aber kein rechtliches Kriterium dar, welches zwingend den plankontrollierenden Gerichten die Entscheidung darüber verwehrte, ob der Mangel sich auf die Gesamtkonzeption der Planung auswirkt. Denn es ist bis zu einem gewissen Grade unschädlich, wenn die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen zu einer Verschie3 4 5
Dazu s.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. Dazu s.o. im 6. Kapitel unter 12. Zutreffend Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 414.
246
9. Kap., I. Verurteilung zur Planergänzung und Kontrollkompetenz
bung innerhalb des gesamten planerischen Beziehungsgeflechts fuhrt; dieses ist nämlich Modifizierungen zugänglich, solange es-um im Bild zu bleiben-nicht reißt. Ob die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen einen solchen Riß bewirkt, ist aber eine reine Rechtsfrage, die keine eigene—und im Ergebnis auch unzulässige—planerische Tätigkeit des Gerichts beinhaltet. Das folgt aus den unterschiedlichen Funktionen, die das Abwägungsgebot in sich vereinigt und auf die bereits hingewiesen wurde6: Als administrative Verhaltensnorm verpflichtet es die Planfeststellungsbehörde zu einer möglichst optimalen, also umfassend ausgewogenen Umsetzung des gesetzlichen Planungsauftrags. Im Vergleich dazu ist seine Wirkung als Kontrollnorm im Verhältnis zur Rechtsprechung beschränkt: Hier soll es nicht bereits suboptimale Planungsentscheidungen verhindern, sondern lediglich solche, die im Ergebnis rechtswidrig und rechtsverletzend sind. Abwägungsfehler, die sich noch innerhalb des Entscheidungsspielraums der Planfeststellungsbehörde bewegen, fuhren zwar zu einem Verstoß gegen die verhaltensnormative, nicht aber gegen die kontrollnormative Ausprägung des Abwägungsgebots und sind rechtlich deshalb unerheblich. Diese Divergenz zwischen beiden Funktionen des Abwägungsgebots sichert gerade die Gestaltungsbefugnis der planenden Verwaltung gegenüber der plankontrollierenden Rechtsprechung und ist mittlerweile auch vom Gesetzgeber in § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG positiv festgeschrieben worden7. Wenn zur Abgrenzung zwischen Abwägungsfehlern, die das Planungsgeflecht lediglich verschieben, und solchen, die die Gesamtkonzeption der Planung berühren und dieses Geflecht damit zerreißen, auf den mutmaßlichen Willen der Planfeststellungsbehörde abgestellt wird, so begegnet dies keinen Bedenken: Denn hierdurch läßt sich wirksam vermeiden, daß die plagende Verwaltung an einem Planfeststellungsbeschluß festgehalten wird, den sie zumindest in der durch die Planergänzung erlangten Form nicht hätte erlassen wollen. Überdies handelt es sich bei dem mutmaßlichen Behördenwillen um eine auch ansonsten zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Rechtsprechung einerseits und der ein eigenes Ermessen ausübenden Verwaltung andererseits gebräuchliche und hinreichend konturierte Kategorie des Verwaltungsrechts, so etwa im Zusammenhang mit der gerichtlichen Teilaufhebung nicht-gebundener Verwaltungsakte8. Die Gerichte haben also die Befugnis, unter Zugrundelegung des mutmaßlichen Behördenwillens zu entscheiden, ob die fehlerhafte Nichtanordnung von
Dazu s.o. im 8. Kapitel unter 11 c aa (1). Dazu s.o. im 2. Kapitel unter II 1. Dazu s.o. im 5. Kapitel unter IV.
9. Kap., II. Vereinbarkeit mit § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO
247
Schutzmaßnahmen die Gesamtkonzeption der Planung berührt und der Planfeststellungsbeschluß dementsprechend zu ergänzen oder aufzuheben ist9.
II. Vereinbarkeit des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs mit § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO Soweit der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in der Literatur angegriffen wird, setzt die Kritik in der Regel bei § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO an: Diese Norm verpflichte die Gerichte, bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen den angefochtenen Verwaltungsakt aufzuheben; sei dieser also rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen subjektiven Rechten, so folge hieraus zwingend seine Kassation. Dies gelte auch fur die vorliegende Konstellation: Ein Planfeststellungsbeschluß, der erforderliche Schutzmaßnahmen nicht anordne, sei objektiv rechtswidrig und subjektiv rechtsverletzend; für zusätzliche Erwägungen, ob der Fehler die Gesamtkonzeption der Planung berühre, lasse § 113 VwGO keinen Raum, so daß das Gericht den unvollständigen Beschluß aufheben müsse10. Auch dieser Ansatz vermag den Vorrang des Planergänzungsanspruchs nicht zu widerlegen. Denn er verkennt die lediglich dienende Funktion des Prozeßrechts, welches die effektive Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche ermöglichen soll, auf deren Bestand oder Reichweite aber keinen Einfluß nehmen kann. Es wurde bereits dargelegt, daß § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO nicht die Begründetheitsvoraussetzungen einer Anfechtungsklage konstituiert, sondern diese für den Regelfall nur klarstellend nennt. Die Klage hat nicht deshalb Erfolg, weil der Tatbestand dieser Norm erfüllt ist, sondern weil ein materieller Aufhebungsanspruch besteht1 Κ Ist dieser Anspruch in der konkreten Situation nicht gegeben, so muß das Gericht die Anfechtungsklage als unbegründet abweisen; es hat dann grundsätzlich keine Befugnis zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungs9
Im Ergebnis ebenso Kühling, Fachplanungsrecht, Rdnr. 415; Paetow, DVB1. 1985, 369/371; Sendler,, UPR Special 7, S. 9/33 f.; Tsevas, Die verwaltungsgerichtliche Kontrollintensität, S. 96 f. 10 So etwa Engelhardt, BayVBl. 1981, 389/397; Hermann, Fluglärm, S. 332; Sieg, Schutzauflage, S. 183; ders., ZUR 1993, 61/63 f.; in diese Richtung auch Paetow, DVB1. 1985, 369/372. 11 Zum Verhältnis zwischen § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO und dem materiellen Aufhebungsanspruch s.o. im 3. Kapitel unter I sowie im 5. Kapitel unter IV.
248
9. Kap., II. Vereinbarkeit mit § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO
akts. Dies gilt unabhängig davon, ob der materielle Aufhebungsanspruch bereits tatbestandlich scheitert, ihm Schranken entgegenstehen oder aber - wie in der vorliegenden Konstellation — das verletzte, ihm zugrunde liegende subjektive Recht vom Gesetzgeber so ausgestaltet ist, daß die Aufhebung des Verwaltungsakts eine über die Wiederherstellung der rechtlichen Integrität des Klägers hinausgehende Rechtsfolge darstellte. Zwar steht der Wortlaut des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO zumindest in Fällen der hier interessierenden Art, wo der angefochtene Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, diesem Befund entgegen. Doch erwachsen hieraus keine durchgreifenden Bedenken: Die Norm knüpft an den Regelfall an, daß der Betroffene gegen einen objektiv rechtswidrigen und ihn in seinen subjektiven Rechten verletzenden Verwaltungsakt einen materiellen Aufhebungsanspruch geltend machen kann, und normiert die hierfür adäquate prozessuale Konsequenz. Statuiert wie in der vorliegenden Konstellation das materielle Recht von diesem Grundsatz eine Ausnahme, so ist das Prozeßrecht dieser vom Normalfall abweichenden materiellen Rechtslage anzupassen. Andernfalls führte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem Ergebnis, welches zum materiellen Recht in Widerspruch stünde. Rechtsmethodisch läßt sich diese Angleichung problemlos im Wege einer teleologischen Reduktion des § 113 Absatz 1 VwGO erreichen: Dessen Wortlaut enthält in Fällen der vorliegenden Art eine über das materielle Recht hinausgehende prozessuale Aussage, welche auf den nach Regelungszweck und Sinnzusammenhang angemessenen Anwendungsbereich der Norm zurückzuführen ist. Konkret bedeutet dies, daß in der vorliegenden Konstellation aus § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO keine richterliche Befugnis zur Kassation des fehlerhaften Planfeststellungsbeschlusses folgt, weil dem Kläger kein materieller Aufhebungsanspruch zusteht; denn dieser ginge über das hinaus, was zur Wiederherstellung der verletzten subjektiven Rechtsposition des Klägers erforderlich wäre 12. Ausgehend vom instrumentalen Charakter des Prozeßrechts kann damit weiterhin dem Betroffenen in der vorliegenden Konstellation zur prozessualen Durchsetzung seines Planergänzungsanspruchs als dem hier grundsätzlich einschlägi12 Allgemein zur Methode der teleologischen Reduktion statt vieler Larenz, Methodenlehre, S. 391 ff. Konkret zur teleologischen Reduktion des § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO in Fällen, in denen trotz objektiver Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und subjektiver Rechtsverletzung des Klägers ausnahmsweise kein materieller Aufhebungsanspruch besteht, vgl. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 809 und 329; ders., DÖV 1986, 305/310 (jeweils auch zur vorliegenden Konstellation der Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses, welcher erforderliche Schutzmaßnahmen nicht anordnet).
9. Kap., III. Planergänzung und Bestandskraft
249
gen Abwehranspruch die Bescheidungsklage im Sinne des § 113 Absatz 5 Satz 2 VwGO zugewiesen werden. Denn die Geltendmachung dieses Anspruchs zielt auf Erlaß eines den Planfeststellungsbeschluß ergänzenden Verwaltungsakts, dessen konkrete Ausgestaltung im planerischen Ermessen der Planfeststellungsbehörde steht13. Diesem materiellen Begehren korrespondiert in prozessualer Hinsicht der Erlaß eines Bescheidungsurteils.
I I I . Planergänzung und Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses Die Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses um die erforderlichen Schutzmaßnahmen muß der Betroffene durch eine Verpflichtungs-, genauer: eine Bescheidungsklage geltend machen. Dieser prozessualen Umsetzung des materiellrechtlichen Vorrangs des Planergänzungsanspruchs steht nicht die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses im Wege. Zwar sind gemäß § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG gegenüber unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlüssen Änderungsansprüche grundsätzlich ausgeschlossen. Doch kann diese Sperrwirkung prozeßrechtlich nicht nur durch Erhebung einer auf Aufhebung des Beschlusses gerichteten Anfechtungs-, sondern auch durch die auf dessen Ergänzung zielende Verpflichtungsklage vermieden werden14. Die früher namentlich vom VGH Mannheim vertretene Ansicht, wonach allein die Anfechtungsklage geeignet sei, den Eintritt der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses zu verhindern und eine Verpflichtungsklage auf Planergänzung aus diesem Grunde als statthafter Rechtsbehelf bei unvollständigen Plan-
13
Zum Streitstand, ob in verfahrensrechtlicher Hinsicht der Planergänzungsanspruch durch Erlaß eines formlosen (Ergänzungs-)Verwaltungsakts oder durch den eines Änderungsplanfeststellungsbeschlusses im Sinne des § 76 VwVfG umzusetzen ist, vgl. Busch in Knack, VwVfG, § 76 Rdnr. 3.2.1 (m.w.N.). Dieser Streit ist ohne praktische Auswirkungen, da im letztgenannten Falle § 76 Absatz 2 VwVfG greift und deshalb eine gesondertes, der Planergänzung vorgelagertes Verfahren in jedem Falle unterbleiben kann; ebenso Busch in Knack, VwVfG, § 76 Rdnr. 3.2.1. 14 Ständige Rechtsprechung des BVerwG: vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 17. November 1972 - IV C 21.69 - , BVerwGE 41, 178/181 f.; BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976-IVC 80.74-, BVerwGE 51,15/21; BVerwG, Urteil vom 07. Juli 1978-4C79.76 u.a. - , BVerwGE 56, 110/132 f.; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89 - , BVerwGE 87, 332/381 f.; vgl. auch Johlen, DVB1. 1989, 287/290; Korbmacher, DÖV 1976,1/2.
250
9. Kap., III. Planergänzung und Bestandskraft
feststellungsbeschlüssen ausscheide15, hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Denn sie übersieht, daß Verpflichtungsklagen neben dem Antrag auf Erlaß des begehrten Verwaltungsakts stets auch die Anfechtung des der Klageerhebung regelmäßig vorausgehenden leistungsversagenden Verwaltungsakts bzw. Verwaltungsaktbestandteils umfassen 16. Dieser wird daher nicht bestandskräftig, wenn der Kläger eine Verpflichtungsklage auf Erlaß der begehrten Begünstigung erhebt17. Dies gilt auch für die vorliegende Konstellation: Enthält ein Planfeststellungsbeschluß nicht die Anordnung erforderlicher Schutzmaßnahmen, so hat sie die Planfeststellungsbehörde zumindest konkludent abgelehnt18. Um zu verhindern, daß diese Ablehnungsentscheidung in Bestandskraft erwächst und eventuelle Ansprüche des Betroffenen auf Festsetzung von Schutzmaßnahmen gemäß § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG gesperrt werden, ist nicht nur die auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Anfechtungs-, sondern auch die auf seine Ergänzung zielende Verpflichtungsklage ein taugliches prozessuales Mittel. Diese inzidente, also in der Verpflichtungsklage notwendig enthaltene Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses ist dabei auf dessen versagenden Teil beschränkt, betrifft also nicht den gesamten Beschluß19. Denn sie stellt immer nur einen prozessual wie materiell-rechtlich unselbständigen Zwischenschritt zur Planergänzung dar, niemals aber das eigentliche Ziel des klägerischen Begehrens selbst. Eine auf Planergänzung gerichtete Verpflichtungsklage kann also zumindest nicht endgültig zu einer Teilaufhebung des Planfeststellungsbeschlusses fuhren 20. Insofern unterscheidet sie sich von einer prinzipalen Anfechtung, die auf die dauerhafte Beseitigung des Planfeststellungsbeschlusses zielt. Deren Reich-
15 Z.B. VGH Mannheim, Beschluß vom 22. Februar 1972 - V 1167/70 - , DÖV 1972, 642; VGH Mannheim, Urteil vom 15. September 1972 - V 927/70 - , UA, S. 10 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); VGH Mannheim, Urteil vom 30. Mai 1974 - V 43/69 - , UA, S. 11 (soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht); dazu s.o. im 1. Kapitel unter II 2. 16 Vgl. statt vieler Pietzcker in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1, Rdnr. 96. 17 BVerwG, Urteil vom 18. September 1996 - 6 C 10.95 - , DVB1. 1997, S. 609/610: „Suspensiveffekt der Verpflichtungsklage". 18 BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - 4 C 17-19.84 - , BVerwGE 77, 295/296 f.; BVerwG, Beschluß vom 07. September 1988 - 4 Ν 1.87 - , BVerwGE 80, 184/192 m.w.N.; Johlen, DVB1. 1989,287/288. 19 BVerwG, Urteil vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89-, BVerwGE 87, 332/381; Fehn, DÖV 1988, 202/205; Johlen, DVB1. 1989, 287/290.
9. Kap., III. Planergänzung und Bestandskraft
251
weite - bzw. die der gerichtlichen Aufhebung des angefochtenen Beschlusses im Falle der Begründetheit der Anfechtungsklage - umfaßt grundsätzlich den gesamten Planfeststellungsbeschluß, soweit er den Kläger räumlich betrifft. Denn wegen der Einheitlichkeit der Planungsentscheidung führte eine Teilaufhebung in der Regel zu einem von der Planfeststellungsbehörde ungewollten und damit rechtswidrigen Planungsrest. Lediglich wenn sich positiv feststellen läßt, daß die Behörde den angefochtenen Planfeststellungsbeschluß auch teilweise erlassen hätte, beschränkt sich dessen Anfechtung bzw. gerichtliche Aufhebung auf den rechtswidrigen Teil 21 .
20
Das Urteil des BVerwG vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89-, BVerwGE 87,332/381 f., stellt insofern keine Abweichung dar: Zwar hob hier das Gericht auf der Grundlage einer inzidenten Anfechtung lediglich den leistungsversagenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses auf, ohne gleichzeitig den Beklagten zu einer Planergänzung zu verurteilen (vgl. Urteilstenor Nr. 3 Absatz 2, UA, S. 7 f.; insoweit nicht veröffentlicht); dies geschah aber ausschließlich wegen der Besonderheiten des konkreten Falles, in dem aus tatsächlichen Gründen noch nicht über die geltend gemachten Planergänzungsansprüche entschieden werden konnte; die Beschränkung auf die inzidente Aufhebung erfolgte also gerade zur Vermeidung der Sperrwirkung des § 75 Absatz 2 Satz 1 VwVfG und sollte damit die noch ausstehende Planergänzung weiterhin ermöglichen. 21 Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 33; Johlen in Hoppenberg, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Kapitel L, Rdnr. 213. Zum mutmaßlichen Behördenwillen als entscheidendes Kriterium für die Bestimmung der Reichweite des materiellen Aufhebungsanspruchs im Bereich nicht-gebundener Verwaltungstätigkeit s.o. im 5. Kapitel unter IV.
10. Kapitel
Grenzen des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs Im 8. Kapitel wurde nachgewiesen, daß der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs sich mit der hier so bezeichneten „Rechtsfolgenlösung" erklären läßt: Der Gesetzgeber hat die primäre subjektive Rechtsposition des mittelbar Planbetroffenen bereits so ausgestaltet, daß ihre Integrität nicht durch eine Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses, sondern allein durch dessen Ergänzung um die erforderlichen Schutzmaßnahmen wiederhergestellt werden kann. Dieses für den Regelfall gültige Schema ist aber sowohl in objektiv· als auch in subjektiv-rechtlicher Hinsicht begrenzt: Zum einen darf die Planergänzung nicht gegen die planerische Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde verstoßen bzw. die gesetzlich festgelegte Abgrenzung ihrer Kompetenzen im Verhältnis zum Vorhabenträger unterlaufen; dies betrifft Fälle, in denen eine Planergänzung die Gesamtkonzeption der Planung berührte (dazu unter I). Und zum anderen findet die Reichweite des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs in den Grundrechten des Planbetroffenen eine Beschränkung: Namentlich dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG markiert eine äußerste Grenze, die der einfache Gesetzgeber bei der Ausgestaltung primärer Rechtspositionen nicht überschreiten kann und die damit auch die Rechtsfolge des in der vorliegenden Konstellation gegebenen Abwehranspruchs determiniert (dazu unter II). Diese Erwägungen führen im Ergebnis dazu, daß es zwei Fallgestaltungen gibt, in denen der von der Nichtanordnung ihn begünstigender Schutzmaßnahmen Betroffene ausnahmsweise nicht auf eine Planergänzung verwiesen werden darf, sondern die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses beanspruchen kann.
254
10. Kap., I. Planergänzungsanspruch und Gesamtkonzeption der Planung
I. Planergänzungsanspruch und Gesamtkonzeption der Planung In der vorliegenden Konstellation berührt der Fehler die Gesamtkonzeption der Planung, wenn die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis ihrer Pflicht zur Anordnung der erforderlichen Schutzmaßnahmen das Vorhaben überhaupt nicht festgestellt oder aber anders verortet bzw. dimensioniert hätte1. In diesen Fällen greift ausnahmsweise der Planaufhebungsanspruch durch. Diese Beschränkung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten subjektiven Rechtsposition des von dem Mangel Betroffenen; denn deren gesetzliche Ausgestaltung hängt nicht von dem Gewicht anzuordnender Schutzmaßnahmen für das Vorhaben insgesamt ab. Der Planergänzungsanspruch scheidet hier vielmehr aus objektivrechtlichen Erwägungen aus: Hätte die Planfeststellungsbehörde eher auf die Feststellung des Plans insgesamt verzichtet, als die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Planfeststellungsbeschluß anzuordnen, so ließe sich eine sie dennoch treffende Verpflichtung zur Planergänzung mit ihrer planerischen Gestaltungsbefugnis nicht vereinbaren. Und müßte sie bei Anordnung der Schutzmaßnahmen das Vorhaben anders dimensionieren bzw. einen anderen Ort hierfür wählen, so stellte sie nicht mehr den vom Vorhabenträger eingereichten, sondern einen hiervon grundlegend verschiedenen Plan fest. Hierdurch verstieße sie aber gegen die das Fachplanungsrecht prägende, gesetzlich verankerte Kompetenzverteilung: Denn die faktische, kreative Planungstätigkeit obliegt allein dem Vorhabenträger, nicht aber der Planfeststellungsbehörde. Diese muß zwar den ihr vorgelegten Plan nicht feststellen, da sie angesichts ihrer eigenen planerischen Gestaltungsbefugnis und der inhaltlichen Offenheit fachplanungsrechtlicher Normen grundsätzlich keiner Feststellungspflicht unterliegt; sie darf aber auch keinen anderen als den eingereichten Plan feststellen 2. Will man diese Ausnahme vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs in die dogmatische Struktur des Abwehranspruchs einfügen, so läßt sie sich mit der Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung erklären, die den an sich einschlägigen Planergänzungsanspruch ausschließt3: Enthält ein 1
Zum Topos der Gesamtkonzeption s.o. im 1. Kapitel unter III 3 a. Zur planerischen Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde und ihrem Verhältnis zum Vorhabenträger s.o. im 7. Kapitel unter 12 c. 3 Zu der den Abwehranspruch ausschließenden Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Wiederherstellung des von der Rechtsordnung vorgesehenen Zustands s.o. im 5. Kapitel unter III 2 sowie im 7. Kapitel unter 11. 2
10. Kap., II. Grundrechtliche Begrenzung
255
Planfeststellungsbeschluß nicht die erforderliche Anordnung von Schutzmaßnahmen, so entsteht tatbestandlich bei dem von diesem Mangel Betroffenen ein Abwehranspruch. Hätte dieser aber — wie im Regelfall — auch dann eine Planergänzung als Rechtsfolge, wenn der Mangel die Gesamtkonzeption der Planung berührt, so würde hierdurch erneut gegen die Rechtsordnung verstoßen, nämlich gegen die planerische Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde bzw. gegen die Kompetenzen des Vorhabenträgers. Insofern steht in diesem Falle dem mittelbar Betroffenen ausnahmsweise ein Planaufhebungsanspruch zu, weil dies die einzige Möglichkeit ist, die durch den fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß erfolgte Rechtsverletzung überhaupt zu sanktionieren und zu beseitigen. Da im Ergebnis der Planaufhebungsanspruch dem Betroffenen gleichwohl mehr gewährt, als dieser eigentlich verlangen könnte, ist er „rechtsschutzzielüberschießend, aber gewissermaßen planungsrechtlich vorgegeben/44
II. Grundrechtliche Begrenzung des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs Wie dargelegt, findet der Vorrang des Planergänzungsanspruchs seine Legitimation in dem Inhalt der primären subjektiven Rechtssphäre des Planbetroffenen: Diese hat der einfache Gesetzgeber dergestalt ausgeformt, daß ein planfeststellungsbedürftiges Vorhaben, dessen belastende Auswirkungen durch Festsetzungen nach § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG ausgeglichen bzw. kompensiert werden können, grundsätzlich zu dulden ist. Das öffentliche Realisierungsinteresse genießt insofern Vorrang vor dem Verschonungsinteresse des Betroffenen: Dieser kann nur verlangen, daß seinen materiellen Grundrechtspositionen - in ihrer jeweiligen einfachgesetzlichen Konkretisierung - durch die Anordnung von Schutzmaßnahmen Rechnung getragen wird, nicht aber durch ein Unterlassen der Planfeststellung insgesamt. Der einfache Gesetzgeber ist aber bei der notwendigen Ausgestaltung der primären Rechtsposition des Planbetroffenen zum Zwecke des Ausgleichs konfligierender Interessen materiellen Schranken unterworfen: Durch die unmittelbare Bindung an die Grundrechte gemäß Artikel 1 Absatz 3 GG ist er verpflichtet, die Grundrechtskonformität des Fachplanungsrechts sicherzustellen. Für die vorlie4
VGH München, Urteil vom 16. März 1993 - 8 A 92.40089 - , UA, S. 7 (insoweit in UPR 1993, 235 nicht abgedruckt); VGH München, Urteil vom 30. Juni 1993 - 8 A 90.40067 - , NVwZ 1994, 186; Gerhardt in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO, § 113 Rdnr. 26.
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10. Kap., II. Grundrechtliche Begrenzung
gende Konstellation folgt daraus, daß er die subjektive Rechtsstellung Planbetroffener nur insoweit begrenzen kann, als die Anordnung von Schutzmaßnahmen eine Grundrechtsverletzung auch effektiv verhindert. Wo dies nicht gewährleistet ist, unterliegt der Betroffene gegenüber dem ihn belastenden Plan keiner Duldungspflicht. Das Realisierungsinteresse überwiegt dann nicht sein Verschonungsinteresse, so daß er auch nicht auf einen - seine Grundrechte nicht wirksam verteidigenden - Planergänzungsanspruch verwiesen werden darf. Die Grundrechte können also dem Vorrang des Planergänzungsanspruchs äußerste Grenzen ziehen. Überlegungen, ob solche Grenzen konkret existieren und wo sie gegebenenfalls verlaufen, müssen sich primär auf § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG konzentrieren: Wird nämlich auf der Grundlage des § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG eine Schutzmaßnahme angeordnet, die mittels eines physisch-realen Ausgleichs die Beeinträchtigung des Betroffenen gänzlich ausschließt oder zumindest unter die relevante Zumutbarkeitsschwelle senkt, so ergeben sich aus grundrechtlicher Sicht keinerlei Bedenken gegen den Vorrang des Planergänzungsanspruchs. Denn hierdurch ist auf jeden Fall gewährleistet, daß der Planfeststellungsbeschluß ein inhalts- und schrankenbestimmendes Gesetz in verhältnismäßiger Weise konkretisiert und bzw. oder in die körperliche Unversehrtheit überhaupt nicht eingreift. Ein Verstoß gegen Grundrechte des Planbetroffenen aus Artikel 14 GG und Artikel 2 Absatz 2 GG kann insofern also nicht eintreten. Ob diese Wirkungen auch durch die Anordnung einer Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG erreicht werden können und, wenn dies nicht der Fall sein sollte, welche Konsequenzen sich daraus ergeben, bedarf hingegen einer näheren Betrachtung: Denn eine derartige Festsetzung fuhrt nicht zu einem faktischen Ausschluß der Beeinträchtigung, sondern lediglich zu ihrer finanziellen Kompensation. Die folgende Untersuchung der Grundrechtskonformität des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs soll sich auf die beiden maßgeblichen Freiheitsrechte beschränken, nämlich auf Artikel 14 GG (dazu unter 1) und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG (dazu unter 2). Artikel 2 Absatz 1 GG kann hingegen von vornherein ausgeblendet werden. Denn wie oben beschrieben wurde, wirkt die allgemeine Handlungsfreiheit nur insoweit zugunsten des mittelbar Planbetroffenen, als der einfache Gesetzgeber sie konkretisiert und damit für eine Anwendung in dem durch eine Polygonalität der Rechtsbeziehungen geprägten Fachplanungsrecht aktiviert hat5. Da ihm hierbei ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zukommt, er-
Dazu s.o. im 8. Kapitel unter 11 a und b cc.
. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel
G G 2 5 7
scheint die Auferlegung einer Duldungspflicht gegen angemessene Entschädigung in Geld grundsätzlich unbedenklich6. Es wird zu zeigen sein, daß aus Artikel 14 GG sich keine Beschränkungen der Reichweite des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ergeben, wohl aber aus Artikel 2 Absatz 2 GG: Anders als die Eigentumsfreiheit kann die körperliche Unversehrtheit vor unverhältnismäßigen Eingriffen nur durch Anordnung eines physisch-realen Ausgleichs gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG geschützt werden, nicht aber durch die Anordnung einer den Eingriff lediglich finanziell kompensierenden Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG. Im Ergebnis folgt daraus, daß im Falle der Unmöglichkeit einer Anordnung tatsächlich die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit mildernder bzw. ausschließende Schutzmaßnahmen die Planfeststellung insgesamt unterbleiben muß; denn insoweit hat der einfache Gesetzgeber wegen seiner Bindung an Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG den Konflikt zwischen subjektivem Verschonungsinteresse des Betroffenen und öffentlichem Realisierungsinteresse nicht zu Lasten des erstgenannten aufgelöst. Das bedeutet für die vorliegende Konstellation wiederum, daß der von einem unvollständigen Planfeststellungsbeschluß in seiner körperlichen Unversehrtheit Betroffene nicht auf eine Planergänzung um die Anordnung einer finanziellen Entschädigung zu verweisen ist, sondern ausnahmsweise einen Planaufhebungsanspruch geltend machen kann.
1. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 14 GG
Die Anordnung einer Planfeststellung in den einzelnen Fachplanungsgesetzen und die damit verbundene Übertragung planerischer Gestaltungsbefugnisse auf die Planfeststellungsbehörde stellt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums potentiell von der Planung betroffener Grundeigentümer dar: Der Gesetzgeber klammert deren Interesse, vor planungsbedingten Veränderungen ihrer Umgebung verschont zu bleiben, grundsätzlich aus dem Bereich des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums aus7. Notwendige Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit dieser Beschränkung ist aber, daß die von der Planung verursachten Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung nur bis zu einer bestimmten Zumutbarkeitsschwelle ohne weiteres hingenommen werden müssen; bei Überschreiten dieser Schwelle trifft die planende Verwaltung gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG eine Verpflichtung zum physisch-realen Ausgleich bzw. subsidiär Ebenso Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 73. Dazu s.o. im 8. Kapitel unter I 1 c aa (2). 17 Hildebrandt
258
10. Kap., II. Grundrechtliche Begrenzung
gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG zur finanziellen Kompensation der Belastung. Die genannten Vorschriften gewährleisten insofern die Verhältnismäßigkeit auch solcher Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums, die wegen ihrer Intensität ausgleichspflichtig sind8. Im Zusammenhang mit dieser Einordnung der Schutzmaßnahmevorschriften in das Gefüge des Artikel 14 Absatz 1 GG ist die grundsätzliche Gleichwertigkeit beider Alternativen des § 74 Absatz 2 VwVfG von ausschlaggebender Bedeutung: Die Verhältnis- und damit Verfassungsmäßigkeit der fachplanungsrechtlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung kann mittels eines physisch-realen Ausgleichs der Beeinträchtigung gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG ebenso wie durch deren finanzielle Kompensation gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG gewährleistet werden. Denn die Intensität des in einem inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetz liegenden Grundrechtseingriffs wird nicht nur durch tatsächliche Milderung der Beeinträchtigung des Eigentümers in seinen Möglichkeiten zur Grundstücksnutzung abgeschwächt, sondern auch durch die Leistung eines angemessenenfinanziellen Ausgleichs9. Dies ergibt sich aus der eigentumsspezifischen Duplizität der Schutzrichtung des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG: Das Grundrecht sichert sowohl den Bestand als auch - subsidiär - den Wert des Eigentums vor einem unverhältnismäßigen Zugriff durch den inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetzgeber. Beide Aspekte sind konstitutive, ineinander übergehende Garantieebenen des Artikel 14 GG, die nicht nur dessen Absatz 3 1 0 , sondern auch Absatz 1 prägen11. Hieraus folgt, daß ein Planfeststellungsbeschluß auch dann in verhältnismäßiger Weise die inhalts- und schrankenbestimmenden Fachplanungsgesetze konkretisieren kann, wenn ein erforderlicher, gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG primär zu erfolgender physisch-realer Ausgleich nicht in Betracht kommt, weil die anzuordnenden Schutzmaßnahmen „untunlich" oder mit dem Vorhaben „unvereinbar" sind12. Denn angesichts der besonderen Struktur des Artikel 14 GG 8
Dazu s.o. im 8. Kapitel unter 11 c bb (1). Götz, DVB1. 1984, 395/397; Hendler, DVB1. 1983, 873/880; Jarass /Pieroth, GG, Art. 14 Rdnr. 32; Nüßgens /Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rdnr. 339, jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Beschluß vom 14. Juli 1 9 8 1 - 1 BvL 24/78 - , BVerfGE 58,137/150 f. 10 Zu der von Artikel 14 Absatz 3 auch geschützten JFerigarantie vgl. statt vieler Bryde in von Münch / Kunig, GG, Band 1, Art. 14 Rdnr. 31. 11 Zu der von Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 auch geschützten Wfertgarantie Jarass / Pieroth, GG, Art. 14 Rdnr. 32; Kreft, FS Geiger, S. 399/412 f.; Pieroth /Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 1003; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 255 ff.; dies., NJW 1981, 2537/2543 f. (dort auch in FN 61). 12 Zu diesen Termini s.o. im 1. Kapitel unter III 3 b bb. 9
2. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 2 Absatz 2 GG
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kann die Belastung des Betroffenen auch durch eine Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG unter die relevante Zumutbarkeitsschwelle gesenkt und damit die gesetzlichen Bestimmungen von Inhalt und Schranken des Eigentums fur den konkreten Einzelfall umgesetzt werden, ohne gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verstoßen.
2. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 2 Absatz 2 GG
Diese für Artikel 14 GG gültigen Erwägungen lassen sich allerdings auf Artikel 2 Absatz 2 GG nicht übertragen: Dieses Grundrecht markiert im Vergleich zur Eigentumsfreiheit eine starrere Begrenzung der Gestaltungsbefugnis des konfliktschlichtenden Gesetzgebers. Angesichts der überragenden Bedeutung, die Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG nämlich im Wertesystem des Grundgesetzes zukommt, sind Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nur unter engen Voraussetzungen zulässig; insbesondere muß der erforderlichen gesetzlichen Eingriffsermächtigung ein besonders wichtiges Regelungsziel zugrunde liegen, etwa der Schutz gesundheitlicher Interessen anderer oder die der Allgemeinheit13. Vor diesem Hintergrund ist es von vorneherein ausgeschlossen, daß der Gesetzgeber die Verwaltung in rechtmäßiger, also insbesondere verhältnismäßiger Weise zu Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit ermächtigen könnte, um die Realisierung eines planfeststellungsbedürftigen Vorhabens zu ermöglichen. Denn die gesundheitliche Beeinträchtigung würde sich hier nicht auf einen einmaligen Eingriffsakt beschränken, sondern regelmäßig in Form einer Dauerbelastung etwa durch die bestimmungsgemäße Nutzung des Vorhabens erfolgen. Die Befugnis des Gesetzgebers, den Konflikt zwischen dem öffentlichen Realisierungsinteresse und dem privaten Verschonungsinteresse grundsätzlich zulasten des letztgenannten schlichten zu können, findet in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 also eine absolute Grenze. Wenn damit das Fachplanungsrecht keine den Anforderungen des Artikel 2 Absatz 2 Satz 3 GG entsprechende Eingriffsermächtigung enthält, ist es folglich der Planfeststellungsbehörde definitiv verwehrt, einen Planfeststellungsbeschluß zu erlassen, der im Falle seines Vollzugs zu Belastungen 13
Allgemein zu den strengen Anforderungen, denen der Gesetzgeber bei Ermächtigungen zu Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit unterliegt, BVerfG, Beschluß vom 19. Juni 1979 - 2 BvR 1060/78 - , BVerfGE 51, 324/346 f.; deutlich auch Kunig in von Münch / Kunig, GG, Band 1, Art. 2 Rdnr. 85: Eingriffe seien von vornherein „höchst ausnahmsweise" zulässig, da hier dem Grundsatz der Verhältnismäßigeit nur schwer Genüge getan werden könne; ähnlich Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 442.
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10. Kap., II. Grundrechtliche Begrenzung
führte, die sich für den Planbetroffenen als Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit darstellten14. Hieraus ergeben sich wiederum für die Frage der Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 74 Absatz 2 VwVfG erhebliche Konsequenzen: Lediglich Maßnahmen nach Satz 2 dieser Vorschrift sind geeignet, im Wege eines physisch-realen Ausgleichs die tatsächliche Belastung des Betroffenen unter die Eingriffsschwelle des Artikel 2 Absatz 2 GG zu senken. Die subsidiäre Festsetzung einer Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG vermag dies nicht zu leisten. Denn hierdurch würde die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit weder ausgeschlossen noch gemildert. Artikel 2 Absatz 2 GG beinhaltet nämlich im Unterschied zur Eigentumsfreiheit nach Artikel 14 Absatz 1 und 3 GG keine subsidiär zur Bestandssicherung angelegte Wertsicherung des geschützten Rechtsgutes, so daß eine Geldzahlung hier ungeeignet ist, die Intensität des Eingriffs abzuschwächen und damit dessen Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten. Folglich läßt sich die im Rahmen des Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 GG entwickelte Figur des Verhältnismäßigkeitsausgleichs nicht auf Eingriffe in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG übertragen: Es wäre mit den Wertentscheidungen des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, wollte man dem Staat die Möglichkeit zugestehen, sich die Befugnis zu rechtmäßigen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen zu erkaufen 15. Da somit die Reduzierung der Beeinträchtigung des in seiner körperlichen Unversehrtheit Betroffenen auf ein zumutbares Maß durch eine Entschädigung in Geld ausscheidet, kommt insofern § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG als Mittel zur planerischen Konfliktbewältigung nicht in Betracht. Ist ein Eingriff in Artikel 2 Absatz 2 GG also nicht durch einen physisch-realen Ausgleich gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG zu vermeiden, so darf die Planfeststellungsbehörde den Beschluß nicht erlassen16. 14
Im Ergebnis ebenso BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 9.95 - , BVerwGE 101,1/10 (allgemein für die Planfeststellung öffentlicher Verkehrswege); Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kapitel 34 Rdnr. 30.72 (fur die [fem-]straßenrechtliche Planfeststellung); Hermann, Fluglärm, S. 151 f. und S. 302 f. (für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung); Ramsauer, NuR 1990, 349/354 (für die insoweit vergleichbare Straßenplanung durch Bebauungsplan); vgl. auch Marburger, WiVerw 1981,241/246 f. 15 Ähnlich Schmidt-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 28, der zu Recht betont, daß einfinanzieller Ausgleich Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nicht ermöglichen, sondern allenfalls im Sinne einer zusätzlichen Aufopferungsentschädigung bei schon bestehenden Vorhaben in Betracht kommen könne. 16 Dürr in Kodal / Krämer, Straßenrecht, Kapitel 34 Rdnr. 30.72; Kopp, VwVfG, § 74 Rdnr. 35; Ramsauer, NuR 1990, 349/354 (dort in FN 42 für die insofern vergleichbare Straßenplanung durch Bebauungsplan); Steinberg, Fachplanung, § 5 Rdnr. 73.
2. Vorrang des Planergänzungsanspruchs und Artikel 2 Absatz 2 GG
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Aus alledem folgt, daß der Betroffene eine Planung nicht zu dulden braucht, die zu einem Eingriff in Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG führt. Insoweit kann der Gesetzgeber das subjektive Verschonungsinteresse nicht dem öffentlichen Realisierungsinteresse unterordnen und dadurch die primäre subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen beschränken. Hat die Planfeststellungsbehörde dennoch einen Beschluß erlassen, der Beeinträchtigungen oberhalb der Eingriffsschwelle ermöglicht, die durch Festsetzungen gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG in einem physisch-realen Sinne nicht ausgleichbar sind, so kann die hierdurch verletzte Integrität nur durch Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses wiederhergestellt werden. Ein Planergänzungsanspruch würde dies auch bei nachträglicher Anordnung einer Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG nicht erreichen.
III. Ergebnis Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs wird in zwei Fallgestaltungen durchbrochen, in denen der von der Nichtanordnung erforderlicher Schutzmaßnahmen Betroffene ausnahmsweise einen Planaufhebungsanspruch geltend machen kann: Die erste Ausnahme wurzelt im objektiven Fachplanungsrecht. Sie liegt dann vor, wenn eine nachträgliche Anordnung der erforderlichen Schutzmaßnahmen die Gesamtkonzeption der Planung berührte. Dem an sich einschlägigen Planergänzungsanspruch steht hier die Schranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Anspruchserfüllung entgegen. Zwar stellte er die subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen in dem vom Gesetzgeber vorgezeichneten Umfang wieder her; hierin läge aber gleichzeitig ein erneuter Verstoß gegen die Rechtsordnung, nämlich gegen die planerische Gestaltungsbefugnis der Planfeststellungsbehörde bzw. gegen die gesetzlich festgelegte Zuständigkeit des Vorhabenträgers zur kreativen Planung. Eine Planaufhebung reicht hier zwar über dasjenige hinaus, was der Gesetzgeber dem mittelbar Betroffenen an Rechtsmacht eigentlich eingeräumt hat, sie stellt aber die einzige Möglichkeit dar, die durch den fehlerhaften Planfeststellungsbeschluß erfolgte subjektive Rechtsverletzung zu beseitigen. Zweitens steht dem Planbetroffenen ausnahmsweise ein Anspruch auf Aufhebung des unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses zu, wenn dieser Belastungen zuläßt, die zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit führen und nicht im Wege eines physisch-realen Ausgleichs gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG vermieden oder zumindest unter die für Artikel 2 Absatz 2 GG relevante
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10. Kap., III. Ergebnis
Schwelle gesenkt werden können. Das genannte Grundrecht markiert hier eine absolute Schranke, die der fachplanungsrechtliche Gesetzgeber im Rahmen seiner Schlichtung konfligierender Interessen nicht überschreiten darf. Die primäre subjektive Rechtsmacht des Planbetroffenen ist insofern also nicht auf das Einfordern von Schutzmaßnahmen beschränkt, wenn diese seine körperliche Unversehrtheit nicht zu wahren vermögen. Dementsprechend kann im Falle eines unvollständigen Planfeststellungsbeschlusses die Integrität der durch seinen Erlaß verletzten Rechtsposition nicht durch einen Planergänzungs-, sondern allein durch einen Planaufhebungsanspruch wiederhergestellt werden.
Ergebnis und Thesen 1. Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch dient der Erhaltung fehlerhafter Planfeststellungsbeschlüsse und ist also ein planungssicherndes Instrument. Er betrifft Konstellationen des Fachplanungsrechts, in denen ein Planfeststellungsbeschluß eine nach § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG erforderliche Festsetzung von Schutzmaßnahmen nicht enthält und insofern unvollständig ist. 2. Die Wirkung des Grundsatzes vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs besteht darin, daß der Planbetroffene, zu dessen Gunsten die Schutzmaßnahme hätte angeordnet werden müssen, grundsätzlich nicht die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, sondern lediglich dessen Ergänzung um die unterbliebene Festsetzung beanspruchen kann. Ein Planaufhebungsanspruch steht ihm lediglich dann zu, wenn der Mangel die Gesamtkonzeption der Planung berührt. Dies setzt die konkrete Möglichkeit voraus, daß die Planfeststellungsbehörde bei Kenntnis von ihrer Pflicht zur Anordnung der erforderlichen Schutzmaßnahme entweder auf die Feststellung des Vorhabens insgesamt verzichtet oder aber seine Lage bzw. Dimension verändert hätte. 3. Inhaber des Planergänzungsanspruchs ist der „mittelbar" Planbetroffene. Hierbei handelt es sich um denjenigen, dem gegenüber der Planfeststellungsbeschluß - anders als beim „unmittelbar" Betroffenen - keine enteigende Vorwirkung, sondern nicht-final eine sonstige Wirkung entfaltet. 4. Gegenstand des Planergänzungsanspruchs sind allein Festsetzungen im verfügenden Teil des Planfeststellungsbeschlusses zugunsten des mittelbar Betroffenen, also Schutzmaßnahmen (§ 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG) bzw. deren auf Entschädigung in Geld gerichtetes Surrogat (§ 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG). Anspruchsinhalt sind hingegen nicht das Tatsachen- und Abwägungsmaterial, Begründungen für die Planungsentscheidung der Planfeststellungsbehörde sowie Festsetzungen, die im Zusammenhang mit einer Enteignung stehen. 5. Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs ist durch das BVerwG entwickelt und vom Gesetzgeber rezipierend normiert worden, zuletzt in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG des Bundes. Eine entsprechende Anpassung der
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Ergebnis und Thesen
Verfahrensgesetze der Länder zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung ist geplant. 6. Der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs gegenüber dem Planaufhebungsanspruch ist abzugrenzen von anderen planungssichernden Instrumenten. Diese lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen: die Unbeachtlichkeitsregeln und die Heilungsregeln. Innerhalb dieses Systems ist der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs der zweiten Gruppe zuzuordnen. Denn bei der Nichtanordnung gebotener Schutzmaßnahmen handelt es sich um einen beachtlichen bzw. erheblichen Mangel (im Sinne des § 75 Absatz 1 a Satz 1 VwVfG). 7. Andere Heilungsregeln im Fachplanungsrecht sind § 45 VwVfG, die „objektive" Planergänzung und das „ergänzende Verfahren". Hiervon läßt sich der Vorrang des Planergänzungsanspruchs wie folgt abgrenzen: a) Im Gegensatz zu § 45 VwVfG betrifft der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs materielle Fehler, mithin Verstöße gegen das Abwägungsgebot. b) Von der „objektiven" Planergänzung unterscheidet der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs sich hinsichtlich seines Gegenstands, des von ihm Betroffenen und seiner Auswirkung auf den Planaufhebungsanspruch: Der Planergänzungsanspruch ist erstens auf die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen im Sinne des § 74 Absatz 2 Satz 2 und 3 VwVfG, die zugunsten des Anspruchstellers hätten angeordnet werden müssen, gerichtet; es läßt sich daher auch von einer „subjektiven" Planergänzung sprechen. Die „objektive" Planergänzung betrifft hingegen sonstige Festsetzungen,die entweder einem Dritten oder aber dem öffentlichen Interesse zugute kommen. Daher kann zweitens die „objektive" Planergänzung nur gegenüber einem umfassend rügeberechtigten, also unmittelbar Planbetroffenen relevant werden. Inhaber eines Planergänzungsanspruchs ist hingegen allein der mittelbar Planbetroffene. Drittens läßt nur die Möglichkeit einer „objektiven" Planergänzung die subjektive Rechtsverletzung des Planbetroffenen entfallen, da auch bei Vermeidung des Fehlers sein Grundstück in Anspruch genommen worden wäre, insofern also kein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Anders bei der Möglichkeit einer „subjektiven" Planergänzung: Hier scheitert der Aufhebungsanspruch nicht an der fehlenden Rechtsverletzung, sondern an der Art und Weise, wie der Gesetzgeber die verletzte Rechtsposition des mittelbar Betroffenen ausgestaltet hat (vgl. These 12). c) Vom „ergänzenden Verfahren" unterscheidet sich der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs hinsichtlich Anwendungsbereich und Rechts-
Ergebnisse und Thesen
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folge: Das „ergänzende Verfahren" betrifft Fälle der fehlenden bzw. unzureichenden Ermittlung des für die Abwägung relevanten Materials, mithin einen eher tatsächlichen Fehler. Sein Ergebnis ist dementsprechend offen, als anfangs noch nicht feststeht, ob nach seinem Abschluß der Planfeststellungsbeschluß unverändert ergehen, eine Planergänzung erfolgen oder aber die Planfeststellungsbehörde von dem Vorhaben endgültig Abstand nehmen wird. Demgegenüber betrifft der Planergänzungsanspruch einen Rechtsféhler bei vollständig ermitteltem und zutreffend bewertetem Sachverhalt. Er ist insofern dem „ergänzenden Verfahren" zeitlich nachgeschaltet, so daß es zu Überschneidungen beider planungssichernder Instrumente nicht kommen kann. 8. Systematisch zählen sowohl der Planaufhebungs- als auch der Planergänzungsanspruch zu den öffentlich-rechtlichen Abwehransprüchen. Hierbei handelt es sich um Ansprüche, mit denen sich der Anspruchsinhaber gegen eine Verletzung seiner primären subjektiven Rechtsposition zur Wehr setzt, welche dem Verantwortungsbereich des Staates zuzurechnen ist. a) Beide Ansprüche sind insbesondere keine Schutzansprüche. Denn solche können lediglich dort entstehen, wo der anspruchsverpflichtete Staat sich schützend vor die primäre subjektive Rechtsposition des Anspruchsinhabers stellt, welche durch einen Dritten verletzt worden ist. Kennzeichen für Schutzansprüche ist damit eine Kollision grundrechtlich geschützter Interessen, nämlich die des Anspruchsinhabers einerseits und die des Störers andererseits. Diese Voraussetzungen liegen im Fachplanungsrecht nicht vor: Erstens besteht keine Grundrechtskollision, da der Vorhabenträger seinerseits in der Regel nicht Träger von Grundrechten ist, die Planfeststellung zumindest aber nicht in seinem subjektiven Interesse ergeht. Und zweitens folgt aus der Gestaltungsfunktion des Planfeststellungsbeschlusses, daß die durch die Planung bewirkten Beeinträchtigungen unmittelbar der Planfeststellungsbehörde, nicht aber einem Dritten, etwa dem Vorhabenträger, zuzurechnen sind. b) Der Flanergänzungsonspmch ist insbesondere kein Leistungsanspruch. Solche zielen nämlich nicht auf die Verteidigung, sondern auf die Erweiterung der Rechtssphäre des Anspruchsinhabers. Mit dem Planergänzungsanspruch begehrt der Betroffene die nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen. Er verlangt dabei keine originäre Leistung, sondern die Beseitigung der durch den unvollständigen Planfeststellungsbeschluß hervorgerufenen Verletzung seiner primären subjektiven Rechtsposition, namentlich seines Eigentums (Artikel 14 GG), seiner körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG) und bzw. oder seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG).
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Ergebnis und Thesen
9. Die dogmatische Verankerung des Abwehranspruchs liegt in den Grundrechten des Anspruchsinhabers, deren konstitutives Element er ist. Diese wären ohne die Möglichkeit einer effizienten Verteidigung des status negativus gegen rechtswidrige staatliche Übergriffe keine subjektiven öffentlichen Rechte. 10. Aus dieser subjektiv-rechtlichen Fundierung des Abwehranspruchs ergeben sich für dessen Beschreibung zwei wesentliche Konsequenzen: Erstens wird sein Tatbestand maßgeblich geprägt durch die Verletzung einer primären subjektiven Rechtsposition. Liegt eine solche vor, so entsteht als sekundäres (Reaktions-)Recht der Abwehranspruch. Zweitens bestimmt sich seine Rechtsfolge ebenfalls nach der verletzten subjektiven Rechtsposition, da der Abwehranspruch auf deren Wiederherstellung und damit die Wahrung der rechtlichen Integrität des Anspruchsinhabers zielt. Er läßt sich deshalb auch als ein „Integritätsanspruch" bezeichnen. 11. Angesichts der Einordnung des Planergänzungs- und des Planaufhebungsanspruchs als Abwehransprüche ist die primäre subjektive Rechtsposition des mittelbar Betroffenen das für das Verständnis des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs entscheidende Kriterium. Diesen systematischen Erwägungen tragen diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur nicht hinreichend Rechnung, die den Rechtsgrund dieses planungssichernden Instruments entweder auf der Tatbestandsebene des Planaufhebungsanspruchs oder in diesen ausschließenden Schranken zu verorten suchen. Derartige Begründungsansätze vermögen überdies auch inhaltlich nicht zu überzeugen. 12. Von ausschlaggebender Bedeutung für die primäre subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen ist die Funktion des einfachen Gesetzes. Dieses konkretisiert nicht nur die einschlägigen Grundrechte und gewährleistet damit deren Handhabbarkeit, sondern grenzt auch konfligierende Rechtskreise und Herrschafitssphären voneinander ab. Für das Fachplanungsrecht hat der Gesetzgeber die subjektive Rechtsposition des Planbetroffenen zugunsten des öffentlichen Interesses, welches an der Realisierung gemeinwichtiger Vorhaben besteht, einschränkend ausgestaltet: Der Planbetroffene kann nicht verlangen, von einer Planung insgesamt verschont zu bleiben, sofern die von ihr ausgehenden Beeinträchtigungen durch Schutzmaßnahmen vermieden bzw. unter die Zumutbarkeitsschwelle gesenkt werden können. Diese gesetzliche Konfliktschlichtung ergibt sich aus der Übertragung planerischer Gestaltungskompetenz auf die Planfeststellungsbehörde sowie der Ermöglichung einer Problembewältigung mittels Anordnung von Schutzmaßnahmen nach § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG.
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13. Ein Planfeststellungsbeschluß, welcher erforderliche Schutzmaßnahmen nicht anordnet, verletzt den von diesem Mangel Betroffenen in seiner primären subjektiven Rechtsposition. Angesichts deren gesetzlicher Ausgestaltung (vgl. These 12) kann der zur Beseitigung dieser Verletzung notwendige Abwehranspruch grundsätzlich nur auf eine Planergänzung zielen. Eine Planaufhebung ginge nämlich über dasjenige hinaus, was zur Wiederherstellung der rechtlichen Integrität des Anspruchsinhabers erforderlich ist. Der Vorrang des Planergänzungsanspruchs gründet damit nicht erst in seiner neuerlichen, ausdrücklichen Fixierung in § 75 Absatz 1 a Satz 2 VwVfG bzw. entsprechenden Vorschriften einzelner Fachplanungsgesetze, sondern bereits in der allgemeinen Ausgestaltung der subjektiven Rechtsposition des mittelbar Betroffenen sowie der dogmatischen Struktur des Abwehranspruchs. 14. Prozessual läßt sich der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs problemlos mit den Mitteln der VwGO umsetzen. 15. Materiell ist der Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs zwei Grenzen unterworfen: a) In objektiv-rechtlicher Hinsicht kann der von der Nichtanordnung erforderlicher Schutzmaßnahmen Betroffene ausnahmsweise einen Planaufhebungsanspruch geltend machen, wenn der Mangel die Gesamtkonzeption der Planung berührt (vgl. These 2). Denn eine Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde zur Planergänzung auch dann, wenn diese bei Kenntnis ihrer Pflicht zur Festsetzung von Schutzmaßnahmen auf die Planfeststellung insgesamt verzichtet oder aber das Vorhaben anders dimensioniert bzw. verortet hätte, würde zwar die subjektive Rechtsverletzung des Anspruchsinhabers beseitigen, gleichzeitig aber zu einem erneuten Verstoß gegen die Rechtsordnung fuhren: nämlich gegen die planerische Gestaltungskompetenz der Planfeststellungsbehörde bzw. gegen die kreative Planungsbefugnis des Vorhabenträgers. Der Planergänzungsanspruch ist hier durch die Anspruchsschranke der rechtlichen Unmöglichkeit der Herstellung des von der Rechtsordnung an sich vorgesehenen Zustands ausgeschlossen. Einziges Mittel zur Sicherung der primären Rechtsposition des Planbetroffenen ist dann der Planaufhebungsanspruch, obwohl dieser über dasjenige hinausgeht, was zur Wiederherstellung der rechtlichen Integrität erforderlich ist. b) In subjektiv-rechtlicher Hinsicht markiert Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG eine absolute Grenze des Vorrangs des Planergänzungsanspruchs. Dem Betroffenen steht ausnahmsweise ein Planaufhebungsanspruch zu, wenn der Planfeststellungsbeschluß Belastungen zuläßt, die sich fur den Planbetroffenen als ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen und nicht durch einen physisch-
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realen Ausgleich gemäß § 74 Absatz 2 Satz 2 VwVfG tatsächlich ausgeglichen werden können. Denn ein Planergänzungsanspruch liefe hier auf die nachträgliche Anordnung einer subsidiären Entschädigung in Geld gemäß § 74 Absatz 2 Satz 3 VwVfG hinaus, die aber ungeeignet ist, die Belastung unter die Eingriffsschwelle des Artikel 2 Absatz 2 GG zu senken. 16. Künftig wird die genaue Abgrenzung zwischen Planaufhebungs- und Planergänzungsanspruch an Bedeutung gewinnen. Dies ergibt sich in erster Linie aus der absoluten Grenze, die Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG dem Grundsatz vom Vorrang des Planergänzungsanspruchs setzt (vgl. These 15 b). Denn eine angemessene Anwendung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit auch im Fachplanungsrecht wird durch seine nunmehr erfolgende Konturierung in natur- und rechtswissenschaftlicher Hinsicht zunehmend möglich. Dieser Bedeutungszuwachs drückt sich vor allem darin aus, daß mittlerweile auch Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG als selbständige Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsverhältnisses anerkannt wird.
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Sachregister Abwehranspruch 108 ff. Abschnittsbildung bei der Planfeststellung 164 Abwägung - Allgemein 159 f., 168,217 f., 245 ff. - Abwägungsergebnis 53, 75 ff. - Abwägungsvorgang 75 ff. - Fehler 54 f , 75 ff, 86 f., 159 f., 160 ff. - Methode der Rechtserzeugung 190 ff. - Subjektives Recht auf Abwägung 168, 218 ff. - Überwindung gegenläufiger Interessen 53,228 ff. - Zweistufigkeit 53 ff, 90,117,162, 239 f. Adressatentheorie 206 ff. Allgemeine Handlungsfreiheit 109, 117, 141, 147 f., 206 ff, 213 f., 227 f., 237, 256 f. - siehe auch Nachbar/Umweltrechtlicher Nachbarbegriff Alternativenprüfung 186 Anfechtungsklage 27,100, 118 ff, 154 f., 197 f., 247 ff. - siehe auch Prozessualer Aufhebungsanspruch - siehe auch Suspensiveffekt Anspruch (allgemein) - siehe auch Subjektiv-öffentliches Recht/Sekundäres subjektives Recht - Systematik der Ansprüche 104 ff. Auflagen 124 f. Bauleitplanung 65 f., 76, 77 f., 199 ff. - siehe auch Normenkontrolle Beschleunigung von Anlagenzulassungen 22 f. Bestandskraft 21,153,165,192 f., 249 ff.
Betroffenheit durch einen Planfeststellungsbeschluß - mittelbare Betroffenheit 26, 57, 80 f., 171 ff, 204 ff. - unmittelbare Betroffenheit 26, 57, 81 ff, 89,148,171 ff. DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und Baugesellschaft mbH) 182 Eigentumsfreiheit - siehe auch Betroffenheit durch einen Planfeststellungsbeschluß/ Unmittelbare Betroffenheit - siehe auch Nachbar/baurechtlicher Nachbarbegriff - Ausgleichspflicht 226 f., 257 ff. - Enteignung/Enteignungsrechtliche Vorwirkung 58 f., 81 f. - Enteignungsentschädigung 58 f. - Inhalts- und Schrankenbestimmung 198 f., 214 f., 225, 226 f , 237, 257 ff. Ergänzendes Verfahren 74, 85 ff, 95 f. Erheblichkeit (= Zumutbarkeit) von Beeinträchtigungen - Einfachgesetzliche Schwelle 53, 213 f., 216,235 - Verfassungsrechtliche Schwelle 214 f., 216 Folgenbeseitigungsanspruch 126 f., 128 ff, 136
22,
106,
Genehmigung mit planerischem Einschlag 42 f. Gesamtkonzeption der Planung 47 ff, 55 f., 254 f. Gesetzgebungskompetenzen 92 ff, 101 ff.
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Sachregister
Integritätsinteresse 61,155 f., 238 f. Körperliche Unversehrtheit, Rechtauf 117, 211 ff., 215 f., 216,227 f., 237,259 ff. - siehe auch Nachbar/Umweltrechtlicher Nachbarbegriff Kompetenz der Rechtsprechung 196 ff., 244 ff., 248, 254 f. Konfliktbewältigung 163 ff., 183 f., 186 Leistungsanspruch 104 ff., 116 ff. Materieller Aufhebungsanspruch - Allgemein 21 f , 62,100 f. - Rechtsgrundlage 137 ff. - Rechtsfolge 130 f., 142 f , 153 ff., 238 ff. - Schranken 128 ff., 128 ff., 177 ff., 254 f. - Tatbestand 70, 79, 83, 127 f., 143 ff., 158 ff., 175 Materieller Verpflichtungsanspruch 101 „Modifizierende Auflagen" 124 f. Nachbar - Baurechtlicher Nachbarbegriff 231 f. - Umweltrechtlicher Nachbarbegriff 232 ff. Normenkontrolle 65 f., 200 f. PBDE (Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit) 182 Planerhaltung, Grundsatz der 130, 151, 187 ff. Planfeststellungsbehörde - Gestaltungsbefugnis 115 f., 158 f., 184 ff, 224 ff. - Verhältnis zum Vorhabenträger 184 ff. Planfeststellungsverfahren 68 f. - siehe auch Planungsfehler/Verfahrensfehler Planrechtfertigung 159 Planungsfehler - siehe auch Abwägung/Fehlertypen - siehe auch Ergänzendes Verfahren - siehe auch Planungssichernde Instrumente
-
Allgemein 68 ff, 158 ff. Unvollständigkeit des Planfeststellungsbeschlusses 51 ff, 79 ff. - Verfahrensfehler 68 ff, 94 ff. Planungsleitsatz 159,161 Planungssichernde Instrumente 68 ff. Prozessualer Aufhebungsanspruch 100, 247 ff. Prozessualer Verpflichtungsanspruch 101 Reaktionsanspruch 104 ff, 116 ff. Rechtsverletzung, subjektive 60 f , 144 ff, 167 ff. Rechtswidrigkeitszusammenhang 75, 83, 146 ff, 169 f , 174 f. Schutzanspruch 108 ff, 111 ff. Schutzmaßnahme - siehe auch Abwägung/Zweistufigkeit - siehe auch Auflagen - siehe auch „Modifizierende Auflagen" - Allgemein 25 f , 51 ff, 56 ff, 80 f. - Anwendungsbereich 255 ff. - Funktionen 117,118,160 f , 166, 226 ff. - Geldsurrogat 56 ff, 255 ff, 259 ff. - Physisch-realer Ausgleich 56 - Subjektives Recht auf Anordnung 167 f. Statuslehre (von Georg Jellinek) 104 ff, 139 f. Subjektiv-öffentliches Recht - siehe auch Abwägung/Subjektives Recht auf Abwägung - siehe auch Adressatentheorie - siehe auch Allgemeine Handlungsfreiheit - siehe auch Betroffenheit durch einen Planfeststellungsbeschluß - siehe auch Eigentumsfreiheit - siehe auch Körperliche Unversehrtheit - siehe auch Rechtsverletzung - siehe auch Rechtswidrigkeitszusammenhang - siehe auch Schutzmaßnahme/Subjektives Recht auf Anordnung - siehe auch Statuslehre
Sachregister -
Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber 214 ff. - Grundrechte, allgemein 107, 108 ff., 139 ff. - Primäres subjektives Recht 105 f. - Sekundäres subjektives Recht 105 f. - Subjektiv-öffentliche Rechte des Staates 180 ff. - Verfahrensrecht 72 ff., 85 f. Suspensiveffekt - der Anfechtungsklage 30 f., 33 f. - der Verpflichtungsklage 30 f., 33 f., 249
Übernahmeanspruch 59 UGB (Umweltgesetzbuch) 21,229 Umweltverträglichkeitsprüfung 86 Unterlassungsanspruch 111 Verpflichtungsklage 27, 101, 118 ff., 244 ff., 249 ff. - siehe auch Prozessualer Verpflichtungsanspruch - siehe auch Suspensiveffekt Vorhabenträger - Privater Vorhabenträger 114,180 ff. - Rechtsstellung 114 f., 179 ff. - Planfeststellungsanspruch 128 f., 150, 177 ff.