Der partizipative Staat: Beteiligung natürlicher Personen an der Ausübung von Staatsgewalt im Verfassungs-, Verwaltungs- und Prozessrecht [1 ed.] 9783428582839, 9783428182831

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein partizipativer Staat. Dieses Buch konzeptualisiert Partizipation unter dem Grundg

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Der partizipative Staat: Beteiligung natürlicher Personen an der Ausübung von Staatsgewalt im Verfassungs-, Verwaltungs- und Prozessrecht [1 ed.]
 9783428582839, 9783428182831

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Der partizipative Staat Beteiligung natürlicher Personen an der Ausübung von Staatsgewalt im Verfassungs-, Verwaltungs- und Prozessrecht

Von Dominik Steiger

Duncker & Humblot . Berlin

DOMINIK STEIGER

Der partizipative Staat

Das Öffentliche Recht Habilitationen Band 4

Der partizipative Staat Beteiligung natürlicher Personen an der Ausübung von Staatsgewalt im Verfassungs-, Verwaltungs- und Prozessrecht

Von Dominik Steiger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Habilitationsschrift angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Printed in Germany ISSN 2195-707X ISBN 978-3-428-18283-1 (Print) ISBN 978-3-428-58283-9 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Arbeit an diesem Buch begann Ende 2011 und wurde Anfang 2016 als Habilitationsschrift am Rechtswissenschaftlichen Fachbereich der Freien Universität Berlin eingereicht. Wesentliche Gesetzesänderungen, Literatur und Rechtsprechung wurden weitestgehend bis zum März 2022 nachgearbeitet. Zwischendurch sah es fast so aus, als würde diese Habilitationsschrift aufgrund vielfacher anderer Verpflichtungen privater wie dienstlicher Art unveröffentlicht bleiben. Man darf – vielfach zu Recht! – auf die zwischen Professor:innen und Universitäten zu schließenden Zielvereinbarungen schimpfen, sie haben aber auch ihr Gutes, indem sie eine zusätzliche Motivation darstellen, sich doch nochmal dem vermeintlichen Alten zuzuwenden, zu Lasten des neu zu Erforschenden. Dabei zeigte sich, und das war natürlich nicht wirklich überraschend, dass aus meiner Sicht die rechtswissenschaftliche Forschung an Partizipation zwar alt sein mag und sie in der Tat ihren ersten Höhepunkt schon in den 1970er Jahren hatte und die europa- und völkerrechtlichen Impulse aus den 1980er und 1990er Jahren stammen, das Thema aber zeitlos ist. Auch und gerade die Herangehensweise des vorliegenden Buches ist zeitlos und damit höchst aktuell. Es geht mir darum, Partizipation unter dem Grundgesetz zu konzeptualisieren, aufzuzeigen, welche Form von Beteiligung das Grundgesetz vorsieht – und welche Form von Beteiligung nicht. Es geht darum, Partizipation zu stärken, deutlich zu machen, wo der einfache Gesetzgeber aufgrund von grundgesetzlichen Vorgaben nachbessern muss – z. B. durch die Ermöglichung früherer Beteiligungsformen – und auch, an welchen Stellen sogar der verfassungsändernde Gesetzgeber tätig werden muss, z. B. durch Einführung einer Volksgesetzgebung auf Bundesebene. Dabei sind gleichzeitig die Institutionen der repräsentativen Demokratie zu schützen, sie sind das Fundament, auf dem unsere Demokratie steht. Es geht hier nicht um eine Ausweitung von Beteiligung und direkter Demokratie zu Lasten der repräsentativen Demokratie, sondern um das richtige Maß eines gelungenen Miteinanders. Es wird sich herausstellen, dass der Gewaltenteilungsgrundsatz in der Lage ist, das richtige Maß an Partizipation vorzugeben, die so legitimationsstärkend wirkt und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen fördert. Damit ist Partizipation im hier verstandenen Sinne auch ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Populismus, der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Institutionen der Staaten, in denen er sich ausbreitet, unterhöhlt und schwächt.

6 Vorwort

Der partizipative Staat ist ein Projekt, das niemals ohne die Hilfe so vieler Kolleg:innen hätte geschrieben werden können. Mein Dank gebührt an allererster Stelle Heike Krieger, die mich immer gefördert, gefordert und in jeglicher Weise unterstützt hat. Das Buch wäre ohne sie nicht zustande gekommen und es wäre ohne sie auch nicht ein so vielschichtiges Buch geworden, denn sie hat – völlig zu Recht – immer noch eine weitere Bedeutungsebene von mir gefordert. Auch Christian Calliess hat als Zweitgutachter dazu beigetragen, dass dieses Buch besser geworden ist. Die Beschäftigung mit der Frage, was eigentlich eine Theorie ist und wo der Unterschied zur Dogmatik liegt, ist ihm zu verdanken. Im Zuge der Klärung zeigte sich, dass es auch rechtsdogmatische Theorien gibt und wir Jurist:innen also auch hier in der Lage sind, an sich Verschiedenes miteinander zu vereinen und versöhnen. Viele andere waren Gesprächs- und Diskussionspartner:innen in den fünf Jahren, in denen ich am partizipativen Staat forschte, ihnen allen gebührt großer Dank. An erster Stelle ist Nils Schaks zu nennen, mit dem ich u. a. eine lebendige Kooperation mit südafrikanischen Kollegen – Henk Botha und Wessel Le Roux – aufgebaut habe, die nun schon seit 2012 auf vielfältige Art und Weise läuft und einen regelmäßigen und länderübergreifenden Austausch zum Thema Demokratie ermöglicht. Weiterer Dank gebührt meinen Kollegen Helmut Aust und Mattias Wendel, damals noch an der Humboldt-Universität zu Berlin, Sigrid Boysen, Stefan Korte, Björnstern Baade und Jascha Amery, damals alle an der Freien Universität Berlin, sowie dem Kollegen Pietro Faraguna aus Trieste, mit dem ich mir 2014 ein (Keller-) Büro als Emile Noël Fellow an der NYU teilte. Außerdem danke ich meinen Mitarbeitern Linus Mührel und Kajo Kramp, die das Buch auf den neuesten Stand gebracht haben und mir bei den notwendigen Überarbeitungen sowie Aktualisierungen geholfen haben, so dass aus einer Habilitationsschrift ein Buch wurde. Es lässt sich daher mit Fug und Recht sagen, dass diese vorliegende Publikation im Rahmen der Tätigkeit des Autors an der Technischen Universität Dresden, Professur für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht, erstellt und daher die Drucklegung dankenswerterweise von der Technischen Universität Dresden finanziell unterstützt wurde. Dank gebührt auch meinen Eltern, die immer an meiner Seite standen. Ich bin sehr froh, dass mein Vater nicht nur den Abschluss des Verfahrens mit­ erleben durfte, sondern auch die Berufung nach Dresden. Schließlich – und zuvorderst – gebührt Dank meiner Frau Jelena Bäumler, die mich immer unterstützt (und in den finalen Monaten auch ertragen) hat. Neben dem Andenken an meinen Vater ist ihr, unserem Sohn Jaku und unserer Tochter Yuna diese Arbeit gewidmet. Rom, im März 2022

Dominik Steiger

Inhaltsübersicht Einleitung: Partizipation und die Krise der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Vertrauensverlust des Volkes und Legitimationsverlust des Staates . . . . . . . . 34 B. Das Engagement Einzelner in der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Stärkung von Partizipation an staatlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Gang der Darstellung: Von der Theorie der imperativen Partizipation über den partizipativen Staat de lege lata zum partizipativen Staat de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Teil 1

Theoretische Grundlegung: Partizipation, Gewaltenteilung und die Theorie der imperativen Partizipation  47 Kapitel 1



Imperative Partizipation und ihr Verhältnis zu Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und effektivem Funktionalitätsgebot  47

A. Formen von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 B. Partizipationsakteure: Volk und Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Funktionen imperativer Partizipation: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 D. Gefährdungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und effektiver Funktionalität durch Partizipation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Zwischenfazit: Imperative Partizipation als den Staat verpflichtende Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Kapitel 2

Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

79

A. Die dirigierende Wirkweise des Gewaltenteilungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität, Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C. Modi der Gewaltenteilung als Mittel der Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

8 Inhaltsübersicht D. Zwischenfazit: Kongruenz der Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes und von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kapitel 3

Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation: Herleitung, Inhalt und Methodik 

109

A. Herleitung und Inhalt der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Methodische Anfragen an die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Teil 2

Der partizipative Staat de lege lata: Partizipation im geltenden Recht 

117

Kapitel 4

Die Legislative: Ermöglichung von kollektiver Selbstbestimmung durch Partizipation  118

A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Legislative: Demokratieprinzip und Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung durch Wahlen und Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 B. Der Einzelne als Wähler: Repräsentative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 C. Alle Einzelnen als Abstimmende: Direkte Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Der Einzelne als Ratgeber: Beteiligung i. R. d. parlamentarischen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 E. Zusammenfassung Legislative: Die legitimierende Wirkung von Wahlen und Abstimmungen als demokratische Partizipationsform . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Kapitel 5

Die Exekutive: Partizipation im Spannungsbogen von kollektiver und individueller Selbstbestimmung 

144

A. Einleitung: Eigenschaften und Indikatoren zur Bestimmung des Ausmaßes kollektiver bzw. individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Exekutive: Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts v. partizipatives Legitima­ tionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 C. Beteiligung an exekutiver Gesetzgebung: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . 160

Inhaltsübersicht9 D. (Exekutive) Planung: Ein weites Spektrum planender Staatsorgane und staatlicher Handlungsformen zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 E. Individuelle und kollektive Selbstbestimmung in formgebundenen Anlagenzulassungsverfahren: Bundesimmissionsschutz-, Gentechnik- und Atomrecht  288 F. Beteiligung am Handeln von Behörden, die individueller Selbstbestimmung dienen: Das Beispiel Ordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 G. Beteiligung und Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 H. Bewertung Exekutive: Partizipation zwischen der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und der Sicherung individueller Selbstbestimmung . . . . . . 374 Kapitel 6

Die Judikative: Schutz individueller Selbstbestimmung durch Partizipation 

375

A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Judikative: Das Counter-majoritarian-Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 B. Der Einzelne als Kläger: Partizipation und subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . 383 C. Der Einzelne als ehrenamtlicher Richter: Ein Systembruch? . . . . . . . . . . . . . . 418 D. Bewertung Judikative: Rechtsstaatliche Legitimation durch Partizipation Einzelner und die Wahrung der Balance beider Selbstbestimmungsformen  . 421

Teil 3

Der partizipative Staat de lege ferenda: Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen des Ausbaus partizipativer Strukturen 

423

Kapitel 7

Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Optimierungsgebot 

423

A. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip: Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 B. Rechtsfolgen von Staatszielbestimmungen und Optimierungsgeboten . . . . . . 430 Kapitel 8

Optimierung der Legislative: Mehr Beteiligung wagen 

434

A. Direkte Demokratie: Verfassungsrechtlich geboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 B. Stärkung der Beteiligung am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren . . . 486

10 Inhaltsübersicht C. Fazit und Bewertung: Stärkung der Legitimation staatlicher Hoheitsgewalt durch mehr imperative Partizipation auf Legislativebene . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Kapitel 9

Optimierung der Exekutive: Mehr und bessere Beteiligung wagen 

490

A. Rechtsverordnungsgebung: Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 B. Planung: Stärkung demokratischer Beteiligung im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . 492 C. Selbstverwaltung: Legitimatorische Notwendigkeit von Partizipation in der funktionalen Selbstverwaltung und Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten bei Gemeinderatsbeschlüssen in der territorialen Selbstverwaltung . . . 509 D. Rechtsstaatliche Partizipationsdefizite: Das Recht auf Anhörung stärken . . . . 511 E. Gefährdungen durch Beteiligung auf Verwaltungsebene und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 F. Fazit und Bewertung: Mehr Legitimation durch mehr imperative Partizipation auf Exekutivebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Fazit und Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Partizipation und die Krise der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Vertrauensverlust des Volkes und Legitimationsverlust des Staates . . . . . . . . 34 B. Das Engagement Einzelner in der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 C. Stärkung von Partizipation an staatlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . 41 D. Gang der Darstellung: Von der Theorie der imperativen Partizipation über den partizipativen Staat de lege lata zum partizipativen Staat de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Teil 1

Theoretische Grundlegung: Partizipation, Gewaltenteilung und die Theorie der imperativen Partizipation  47 Kapitel 1



Imperative Partizipation und ihr Verhältnis zu Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und effektivem Funktionalitätsgebot  47

A. Formen von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Soziale Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Politische Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Imperative Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 48 48 50

B. Partizipationsakteure: Volk und Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kollektive Partizipationsakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausübung von Staatsgewalt: Das Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einflussnahme auf Staatsgewalt: Weitere kollektive Partizipationsakteure? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Einzelne als Nukleus des Kollektivs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Individuelle Partizipationsakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 53

C. Funktionen imperativer Partizipation: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsstaatlichkeit: Individuelle Selbstbestimmung durch Schutz von Grund- und Menschenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Demokratieprinzip: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . 1. Deliberation und Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Edukativer und integrativer Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55 58 59 60 60 63 66 67

12 Inhaltsverzeichnis 3. Responsivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verantwortungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Akzeptanzsteigerung als auch demokratisches Merkmal . . . . . . . . . . III. Das Gebot effektiver Funktionalität: Möglichst richtiges Treffen und Umsetzen staatlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Spannungsverhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie dem Gebot effektiver Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 69 71 75

D. Gefährdungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und effektiver Funktionalität durch Partizipation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Zwischenfazit: Imperative Partizipation als den Staat verpflichtende Beteiligungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Kapitel 2

Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes 

79

A. Die dirigierende Wirkweise des Gewaltenteilungsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität, Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Rechtsstaatlicher Ansatz: Hemmung und Mäßigung von Staatsgewalt . 84 II. Funktionaler Ansatz: Effektivierung staatlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . 86 III. Demokratischer Ansatz: Ermächtigung von Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . 89 IV. Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . 92 1. Das Spannungsverhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und seine Auswirkungen auf die effektive Funktionalität staatlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie durch den Gewaltenteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . 94 a) Legislative ermöglicht kollektive Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 95 b) Judikative schützt individuelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . 96 c) Exekutive zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 d) Der Zusammenhang von individueller und kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 C. Modi der Gewaltenteilung als Mittel der Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Funktionelle Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 II. Organisatorische (oder institutionelle) Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . 104 D. Zwischenfazit: Kongruenz der Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes und von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Inhaltsverzeichnis13 Kapitel 3

Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation: Herleitung, Inhalt und Methodik 

109

A. Herleitung und Inhalt der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Methodische Anfragen an die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Rechtsdogmatik der imperativen Partizipation oder Theorie der imperativen Partizipation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Die Gefahr des Zirkelschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

Teil 2

Der partizipative Staat de lege lata: Partizipation im geltenden Recht 

117

Kapitel 4

Die Legislative: Ermöglichung von kollektiver Selbstbestimmung durch Partizipation 

118

A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Legislative: Demokratieprinzip und Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung durch Wahlen und Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 B. Der Einzelne als Wähler: Repräsentative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Parlamentarische Gesetzgebung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Partizipationsakteure: Alle Einzelnen als Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Partizipationsverfahren: Entscheidung durch Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 121 122 125

C. Alle Einzelnen als Abstimmende: Direkte Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Unmittelbare Gesetzgebung in den Länderverfassungen  . . . . . . . . . . . . 126 1. Volksgesetzgebung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung  . 129 2. Partizipationsakteure: Alle Einzelnen als Landesvolk . . . . . . . . . . . . 133 3. Partizipationsverfahren: Entscheidung durch Unterschrift und Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Direkte Demokratie auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 D. Der Einzelne als Ratgeber: Beteiligung i. R. d. parlamentarischen Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Petitionen zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung  . 140 1. Partizipationsakteure: Jeder Einzelne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Partizipationsverfahren: Bitten und Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Beteiligung im Rahmen parlamentarischer Gesetzgebung . . . . . . . . . . . 141

14 Inhaltsverzeichnis E. Zusammenfassung Legislative: Die legitimierende Wirkung von Wahlen und Abstimmungen als demokratische Partizipationsform . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Kapitel 5

Die Exekutive: Partizipation im Spannungsbogen von kollektiver und individueller Selbstbestimmung 

144

A. Einleitung: Eigenschaften und Indikatoren zur Bestimmung des Ausmaßes kollektiver bzw. individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 B. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Exekutive: Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts v. partizipatives Legitima­ tionsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . II. Partizipative Legitimationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Synthese: Partizipation als fünfter Legitimationsmodus . . . . . . . . . . . . . C. Beteiligung an exekutiver Gesetzgebung: Rechtsverordnungen . . . . . . . . . . . . I. Rechtsverordnungsgebung als kollektive Selbstbestimmung . . . . . . . . . II. Der Kreis der Beteiligungsfähigen: Pluralistischer statt partizipativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beteiligungsverfahren: Kaum gesetzliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung Rechtsverordnungsgebung: Trotz pluralistischem Ansatz Tendenz zu demokratischer Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. (Exekutive) Planung: Ein weites Spektrum planender Staatsorgane und staatlicher Handlungsformen zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick zur Planung: Planende Staatsorgane, Handlungsformen, Wesen und Vielschichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Planungsorgane und Handlungsformen: Große Vielfalt . . . . . . . . . . . 2. Wesen der Planung: Zukunftsorientierte Abwägung zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. (Bundes-)Bedarfsplanung inkl. Strategischer Umweltprüfung . . . . . . . . 1. (Bundes-)Bedarfsplanung als kollektive Selbstbestimmung . . . . . . . . a) Bedarfsplanung Fernstraßen und Schienenwege auf Grundlage des Bundesverkehrswegeplans: Zweistufige Planung . . . . . . . . . . b) Bundesbedarfsplanung Netzausbau: Dreistufige Planung . . . . . . . 2. Kreis der Beteiligungsfähigen: Öffentlichkeit und betroffene Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Echte Öffentlichkeitsbeteiligung: Jeder Einzelne . . . . . . . . . . . . . b) Betroffene Öffentlichkeit: Jeder in seinen Interessen berührte Einzelne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beteiligungsverfahren: Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 149 154 156 160 160 163 166 167

169 169 170 171 180 180 180 186 188 190 192 195

Inhaltsverzeichnis15 a) Beteiligungsverfahren im Rahmen der SUP: Berücksichtigung von (weit gefassten) Umweltbelangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Bundesbedarfsplanung Netzausbau: Weitergehende – und frühere – Beteiligungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform . 203 III. Raumordnungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Raumordnungsplanung als kollektive Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 209 2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform . 218 IV. Raumordnungsverfahren inkl. Umweltverträglichkeitsprüfung . . . . . . . . 219 1. Raumordnungsverfahren: Noch kollektive oder schon individuelle Selbstbestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Öffentlichkeitsbeteiligung: Wandel der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Vorbild UVP: Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform . 227 V. Vorbereitende Fachplanung und Bundesfachplanung . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Fachplanung als kollektive Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Linienbestimmung: Weiter Gestaltungsspielraum des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Fernstraßen-Bundesamts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Abfallplanung: Weiter Gestaltungsspielraum der Landesregierungen und -ministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Wasserbewirtschaftungsplanung: Gestaltungsspielraum der Landesministerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Landschaftsplanung: Gestaltungsspielraum der Landesministe­ rien und Gemeindevertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 e) Lärmaktions- und Luftqualitätsplanung: Weiter Gestaltungsspielraum unterschiedlich legitimierter Staatsorgane . . . . . . . . . . 237 f) Bundesfachplanung nach NABEG: Gestaltungsspielraum der Bundesnetzagentur als Bundesoberbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 g) Bewertung: Ausübung kollektiver Selbstbestimmung in der gesamten Fachplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. (Betroffene) Öffentlichkeitsbeteiligung: Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Linienbestimmung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach UVPG . . . . . . 245

16 Inhaltsverzeichnis b) Abfallwirtschaftsplanung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 32 KrWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 c) Wasserwirtschaftliche Pläne: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 83 WHG mit innovativer Ausgestaltung und Förderpflicht . . . . 247 d) Landschaftsplanung: Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren der SUP, sofern das Landesrecht dies vorsieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 e) Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren  . 252 f) Bundesfachplanung: Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren mit Erörterungstermin . 253 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung der unterschiedlichen Beteiligungsverfahren als demokratische Partizipationsformen . . . . . 256 VI. Fachplanung ohne Auswirkungen auf den Raum am Beispiel der Krankenhausplanung: Kein Beteiligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 VII. Planfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Planfeststellung zwischen Sicherung individueller Selbstbestimmung und Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . 262 2. Betroffene Öffentlichkeit und doppeltes Beteiligungsverfahren . . . . 269 a) Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 25 Abs. 3 VwVfG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform . 275 VIII. Standortauswahlgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Mehrstufige Öffentlichkeitsbeteiligung inklusive Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3. Bewertung: Trotz legitimierender Wirkung des Beteiligungsverfahrens keine Beteiligung im entscheidenden Moment . . . . . . . . . . . . . . 284 IX. Bewertung Planung: Legitimation durch Partizipation zum Zwecke kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 E. Individuelle und kollektive Selbstbestimmung in formgebundenen Anlagenzulassungsverfahren: Bundesimmissionsschutz-, Gentechnik- und Atomrecht  288 I. Formgebundene Anlagenzulassungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG: Zwischen indivi­ dueller und kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung und die begrenzte Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 3. Bewertung: Kollektive Selbstbestimmung im engen Rahmen und begrenzte Wirkung von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

Inhaltsverzeichnis17 II.

Zulassungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Genehmigungsverfahren gentechnischer Anlagen: Zwischen indi­ vidueller und kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung und begrenzte Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Atomrecht: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung bei begrenzter Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bewertung: Begrenzte Legitimationssteigerung durch Partizipation . . .

299 299 301 301 304

F. Beteiligung am Handeln von Behörden, die individueller Selbstbestimmung dienen: Das Beispiel Ordnungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 I. Ordnungsverwaltung und die Sicherung individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 II. Anhörungsrechte des in seinen Rechten verletzten Individuums . . . . . . 307 G. Beteiligung und Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Territoriale Selbstverwaltung: Einzelne zwischen Entscheidung und Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 1. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der territo­ rialen Selbstverwaltung: Duale demokratische Legitimation durch Bundes- und Landesvolk sowie Gemeindevolk . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung durch Wahl und Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Die Wahl des Gemeinderats und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 aa) Kollektive Selbstbestimmung durch Satzungserlass . . . . . . . 314 bb) Die Entscheidungshoheit des Gemeindevolks . . . . . . . . . . . . 319 b) Abstimmungen auf Gemeindeebene und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 3. Gemeindliche Planung zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Bauleitplanung: Doppelte Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . 325 aa) Bauleitpläne: Kollektive Selbstbestimmung auf der letzten Stufe raumplanender Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 bb) Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 1 BauGB) und Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren (§ 3 Abs. 2 BauGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 (1) Jedermannbeteiligung im Bauplanungsrecht . . . . . . . . . . 329 (2) Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (3) Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 cc) Bewertung: Vorbildcharakter der doppelten Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Weitere kommunale Planung: Von Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren zu freiwilliger Beteiligung . . . . . . . . . . . . . 334

18 Inhaltsverzeichnis

II.

aa) Sozialplan: Kollektive Selbstbestimmung durch Betroffene in Form eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 bb) Sportentwicklungs- und Personennahverkehrsplanung: Kollektive Selbstbestimmung ohne Beteiligung . . . . . . . . . . 335 cc) Freiwillige Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4. Die Sicherung individueller Selbstbestimmung durch einen gewählten Bürgermeister: Ein Systembruch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 5. Bewertung: Die legitimierende Wirkung der echten Öffentlichkeitsbeteiligung auf Gemeindeebene durch Wahlen, Abstimmungen sowie Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren . . . . . . . . . . . 338 Funktionale Selbstverwaltung und unabhängige Einrichtungen . . . . . . . 339 1. Überblick: Verschiedene Formen funktionaler Selbstverwaltung . . . 340 2. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der funktionalen Selbstverwaltung: Duale Legitimation durch Bundes- und Landesvolk sowie „Verbandsvolk“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 a) Bundesverwaltungsgericht: Keine ausreichende Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Bundesverfassungsgericht: Kein Gegensatz von demokratischem Prinzip und funktionaler Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . 347 c) Offene Fragen: Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung zu Demokratieprinzip und Rechten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Funktionale Selbstverwaltung zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 a) Weiter Gestaltungsspielraum der Kammern . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 b) Weiter Gestaltungsspielraum der Träger der Sozialversicherung . 356 c) Weiter Gestaltungsspielraum des Gemeinsamen Bundesausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 d) Weiter Gestaltungsspielraum der Wasserverbände . . . . . . . . . . . . 358 e) Enger Gestaltungsspielraum der Bundesagentur für Arbeit . . . . . 359 f) Bewertung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und Schutz individueller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 4. Beteiligung in der funktionalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 361 a) Kammern: Grundsätzliche Kongruenz zwischen Beteiligten und Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Sozialversicherung: Keine Gleichheit der Wahl und keine weiteren Beteiligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 c) Gemeinsamer Bundesausschuss: Keine Wahl und repräsentative Beteiligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 d) Wasserverbände: Gewichtete direktdemokratische Elemente ohne weiteres Beteiligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 e) Bundesagentur für Arbeit: Weder Wahl noch Beteiligungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 5. Bewertung: Pluralistischer statt partizipativer Staat . . . . . . . . . . . . . . 371

Inhaltsverzeichnis19 III. Fazit: Öffentlichkeitsbeteiligung in kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung – Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung . . . . . . . . 373 H. Bewertung Exekutive: Partizipation zwischen der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und der Sicherung individueller Selbstbestimmung . . . . . . 374 Kapitel 6

Die Judikative: Schutz individueller Selbstbestimmung durch Partizipation 

375

A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Judikative: Das Counter-majoritarian-Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 I. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Judikative: Demokratische und rechtsstaatliche Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 II. Kompetenzabgrenzung zu den anderen Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 B. Der Einzelne als Kläger: Partizipation und subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . 383 I. Klagebefugnis und subjektive Rechte: Voraussetzung von Partizipa­ tion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Subjektive Rechte als materielle Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Verfahrensrechte und der Schutz individueller Selbstbestimmung  . 394 a) Absolute Verfahrensrechte als subjektive Rechte . . . . . . . . . . . . . 395 b) Relative Verfahrensrechte als subjektive Rechte? . . . . . . . . . . . . . 398 aa) Fehler im Verfahren: Relative Verfahrensrechte? . . . . . . . . . 401 bb) Fehler im Verfahren: Altrip-Rechtsprechung des EuGH . . . . 403 cc) Versuche der Implementierung ins deutsche Recht . . . . . . . . 405 dd) Relative Verfahrensrechte als subjektive Rechte . . . . . . . . . . 408 II. Präklusionsvorschriften: Ausschluss von Partizipation . . . . . . . . . . . . . . 410 III. Umfang richterlicher Kontrollbefugnisse: Auswirkungen von Partizipation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 1. Materielle Rechte und der Ermessens- und Abwägungsspielraum der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 2. Verfahrensrechte und Unbeachtlichkeitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . 413 C. Der Einzelne als ehrenamtlicher Richter: Ein Systembruch? . . . . . . . . . . . . . . 418 D. Bewertung Judikative: Rechtsstaatliche Legitimation durch Partizipation Einzelner und die Wahrung der Balance beider Selbstbestimmungsformen  . 421

20 Inhaltsverzeichnis

Teil 3

Der partizipative Staat de lege ferenda: Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen des Ausbaus partizipativer Strukturen 

423

Kapitel 7

Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Optimierungsgebot  423

A. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip: Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 B. Rechtsfolgen von Staatszielbestimmungen und Optimierungsgeboten . . . . . . 430 Kapitel 8

Optimierung der Legislative: Mehr Beteiligung wagen 

A. Direkte Demokratie: Verfassungsrechtlich geboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Volksgesetzgebung auf Bundesebene: Partizipationsakteure und -verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gefährdungen durch Beteiligung auf Legislativebene und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gefährdungen durch die Volksgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Repräsentative Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinwohl und Spezialinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Diktatur der Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mangelnde Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gefährdungen für den Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Intra-Gewaltenteilung: Die Balance des Verhältnisses von Parlament und Volk und ihr Beitrag zu Herrschaftsermöglichung, -beschränkung und -effektivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der demokratische Aspekt: Demokratieermöglichung . . . . . . . . . b) Der rechtsstaatliche Aspekt: Hemmen, mäßigen und kontrollieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichrangigkeit von Volksgesetzgeber und parlamentarischem ­Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kompromissfähigkeit des Volksgesetzgebungsverfahrens . . . cc) Gemeinwohl und Spezialinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Komplexitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Effektive Funktionalität staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Effektive Funktionalität der Volksgesetzgebung und der Parlamentsgesetzgebung im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Dauer des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mangelnde Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

434 434 435 437 440 440 441 443 444 445 446 447 454 455 459 464 464 465 466 467 468

Inhaltsverzeichnis21 (3) Mangel an Gemeinwohlorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 471 (4) Komplexitätsargument, insbesondere Finanzwirksamkeit von direkter Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 bb) Synergie-Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 d) Balance von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung durch Gewaltenteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 3. Inter-Gewaltenteilung: Der Kernbereich der Exekutive und das Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 4. Inter-Gewaltenteilung: Gerichtliche Kontrolle des Volkes durch die Verfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 a) Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 b) Demokratie und Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 c) Effektive Funktionalität und Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . 483 5. „Vertikale Gewaltenteilung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 6. Zusammenfassung und Ausblick: Verfassungspflicht zur Einführung direkter Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 B. Stärkung der Beteiligung am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren . . . 486 C. Fazit und Bewertung: Stärkung der Legitimation staatlicher Hoheitsgewalt durch mehr imperative Partizipation auf Legislativebene . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Kapitel 9

Optimierung der Exekutive: Mehr und bessere Beteiligung wagen 

490

A. Rechtsverordnungsgebung: Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 B. Planung: Stärkung demokratischer Beteiligung im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . 492 I. Planung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung: Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 II. Erweiterung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung auf weitere Planungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 III. Verlängerung der Auslegungs- und Äußerungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . 497 IV. Bekanntmachung des Beteiligungsverfahrens und Auslegung der Planunterlagen: Steigerung der Anzahl der sich tatsächlich Beteiligenden  . 499 V. Erweiterter Anwendungsbereich des Erörterungstermins . . . . . . . . . . . . 501 VI. Berücksichtigungspflicht: Genauere Vorgaben für die Verwaltung nötig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 VII. Einrichtung zentraler Beteiligungsverfahren und -institutionen . . . . . . . 505 VIII. Fazit: Optimierung von Partizipation de lege ferenda auf Planungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 C. Selbstverwaltung: Legitimatorische Notwendigkeit von Partizipation in der funktionalen Selbstverwaltung und Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten bei Gemeinderatsbeschlüssen in der territorialen Selbstverwaltung . . . 509

22 Inhaltsverzeichnis D. Rechtsstaatliche Partizipationsdefizite: Das Recht auf Anhörung stärken . . . . 511 E. Gefährdungen durch Beteiligung auf Verwaltungsebene und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gefährdungen durch Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Intra-Gewaltenteilung: Das Letztentscheidungsrecht der Exekutive . . . . III. Inter-Gewaltenteilung: Die Festlegung der Partizipationsregeln durch die Legislative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inter-Gewaltenteilung: Die Sicherung der Partizipationsregeln durch die Judikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

512 512 514 515 516

F. Fazit und Bewertung: Mehr Legitimation durch mehr imperative Partizipation auf Exekutivebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 Fazit und Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 583

Abkürzungsverzeichnis Zeitschriften und Entscheidungssammlungen AbfallR

Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter

BB Betriebs-Berater BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EJIL

European Journal of International Law

EnWZ

Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

EuR Europarecht EurUP

Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

GewArch Gewerbearchiv jM

juris-Die Monatszeitschrift

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

Jura

Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz. Vierteljahresschrift für Recht und Politik

KommJur Kommunaljurist KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LKRZ

Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen – Rheinland-Pfalz – Saarland

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

LVerfGE

Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder

24 Abkürzungsverzeichnis MMR

MutliMedia und Recht

NdsVBl.

Niedersächsische Verwaltungsblätter

NJ

Neue Justiz

NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

NJW

Neue juristische Wochenzeitschrift

NordÖR

Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland

NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport

NWVBL

Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter, Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung

NZS

Neue Zeitschrift für Sozialrecht

PersR

Der Personalrat

StWStP

Staatswissenschaft und Staatspraxis

ThürVBl

Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung

UPR

Umwelt und Planungsrecht

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerwArch Verwaltungsarchiv VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WiVerw

Wirtschaft und Verwaltung

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZAR

Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

ZEuS

Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZfBR

Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht

ZFRSoz

Zeitschrift für Rechtssoziologie

ZfU

Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht

ZfW

Zeitschrift für Wasserrecht

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSE

Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation

ZuR

Zeitschrift für Umweltrecht

Weitere Abkürzungen a. A.

anderer Ansicht

a. E.

am Ende

Abkürzungsverzeichnis25 Abg. Abgeordnete(r) ABl. Amtsblatt Abs. Absatz AEG

Allgemeines Eisenbahngesetz

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AfD

Alternative für Deutschland

AK Aarhus-Konvention Alt. Alternative Amtsbl. Amtsblatt Anm. Anmerkung APA

Administrative Procedure Act (USA)

ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz Art. Artikel AtomG Atomgesetz AtVfV Atomverfahrensordnung Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BA

Bundesagentur für Arbeit

BauGB Baugesetzbuch BaWüLPlG

Landesplanungsgesetz des Landes Baden-Württemberg

BaWüVerf

Verfassung des Landes Baden-Württemberg

BayLPlG

Bayerisches Landesplanungsgesetz

BayVerf

Verfassung des Freistaates Bayern

BayVerfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BbgKVerf

Kommunalverfassung des Landes Brandenburg

BbgOBG

Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz) des Landes Brandenburg

BBodSchG Bundes-Bodenschutzgesetz Bd. Band Begr. Begründer(in) BerlAGBauGB

Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs Berlin

BezVG Hmb

Bezirksverwaltungsgesetz Hamburg

BezVwG Bln

Bezirksverwaltungsgesetz Berlin

BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BImSchG

Bundes-Immissionsschutzgesetz

26 Abkürzungsverzeichnis BImSchV Bundes-Immissionsschutzverordnung BlnNatSchG

Berliner Naturschutzgesetz

BNatSchG Bundesnaturschutzgesetz BR-Drs. Bundesrats-Drucksache BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BremLStrG

Bremisches Landesstraßengesetz

BremPolG

Bremisches Polizeigesetz

BremStGH

Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen

BremVerf

Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen

BSWAG Bundesschienenwegeausbaugesetz BT-Drs. Bundestags-Drucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG Bundesverwaltungsgericht BvF

Registerzeichen des BVerfG: abstraktes Normenkontrollverfahren

BvR

Registerzeichen des BVerfG: Verfassungsbeschwerdeverfahren

BWahlG Bundeswahlgesetz BWO Bundeswahlordnung bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa ChemG Chemikaliengesetz CDU

Christlich Demokratische Union

CETA

Comprehensive Economic and Trade Agreement

CSU

Christlich-Soziale Union

d. h.

das heißt

ders. derselbe dies. dieselbe(n) DRiG

Deutsches Richtergesetz

EAG Bau

Europarechtsanpassungsgesetz Bau

EFSF

European Financial Stability Facility

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EnLAG Energieleitungsausbaugesetz EnWG Energiewirtschaftsgesetz ESM

European Stability Mechanism

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

Abkürzungsverzeichnis27 EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EZB

Europäische Zentralbank

e. V.

eingetragener Verein

f./ff. folgende/fortfolgende FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FDP

Freie Demokratische Partei

FGO Finanzgerichtsordnung FlurBG Flurbereinigungsgesetz Fn. Fußnote FStrAG

Gesetz über den Ausbau der Bundesfernstraßen

FStrG Bundesfernstraßengesetz GAU

Größter anzunehmender Unfall

GBl. Gesetzblatt GemO BW

Gemeindeordnung für Baden-Württemberg

GemO RP

Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz

GenTAnhV

Verordnung über Anhörungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz

GenTG Gentechnikgesetz GG

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

GKV

Gesetzliche Krankenversicherung

GO Bay

Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern

GO NRW

Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

GO SH

Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein

GV NRW

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

GVBl.

Gesetz- und Verordnungsblatt

GVBl. Bbg

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg

GVBl. Bln

Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin

GVG Gerichtsverfassungsgesetz GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HandwO Handwerksordnung HessGO

Hessische Gemeindeordnung

HessSOG

Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

HessVerf

Hessische Verfassung

HessVGH

Hessischer Verwaltungsgerichtshof

h. M.

herrschende Meinung

28 Abkürzungsverzeichnis HmbNatSchG

Hamburgisches Gesetz zur Ausführung des Bundesnaturschutzgesetzes

HmbVerf

Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

HmbVerfG

Hamburgisches Verfassungsgericht

Hrsg. Herausgeber/Herausgeberin Hs. Halbsatz i. e. S.

im engeren Sinn

IHK

Industrie- und Handelskammer

IHKG

Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern

insb. insbesondere i. S. d.

im Sinne des/der

i. V. m.

in Verbindung mit

IVU

Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung

JGG Jugendgerichtsgesetz KHG Krankenhausfinanzierungsgesetz KHG Nds.

Niedersächsisches Krankenhausgesetz

KrWG Kreislaufwirtschaftsgesetz KSVG SL

Kommunalselbstverwaltungsgesetz Saarland

KV MV

Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern

KVG LSA

Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt

lit. littera LPlG LSA

Landesplanungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt

LPlG MV

Landesplanungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern

LPlG NRW

Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen

LPlG RP

Landesplanungsgesetz Rheinland-Pfalz

LPlG SH

Landesplanungsgesetz Schleswig-Holstein

LPlG SL

Landesplanungsgesetz Saarland

LPlG Thür

Landesplanungsgesetz Thüringen

LS/Ls Leitsatz LSAVerf

Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt

LStrG RP

Landesstraßengesetz Rheinland-Pfalz

LStVG

Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Bayern

LT-Drs. Landtags-Drucksache LuftVG Luftverkehrsgesetz LuftVO Luftverkehrs-Ordnung

Abkürzungsverzeichnis29 LVwG SH

Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein

LWG Landeswassergesetz LwVfG

Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen

MBPLG Magnetschwebebahnplanungsgesetz MVorVaG

Gesetz zur Ausführung von Initiativen aus dem Volk, Volksbegehren und Volksentscheid in Mecklenburg-Vorpommern

MVVerf

Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

NABEG

Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz

Nds. SOG

Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

n. F.

neue Fassung

NKomVG

Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz

Nr. Nummer NROG

Niedersächsisches Raumordnungsgesetz

NSA

National Security Agency

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NWVerf

Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

o. oben OBG NRW

Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen

OVG Oberverwaltungsgericht PBefG Personenbeförderungsgesetz POG NW

Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz

PolG BW

Polizeigesetz Baden-Württemberg

PolG SL

Saarländisches Polizeigesetz

RhPfVerf

Verfassung für Rheinland-Pfalz

RiGBln

Berliner Richtergesetz

RL Richtlinie Rn. Randnummer ROG Raumordnungsgesetz RoV Raumordnungsverordnung Rspr. Rechtsprechung s. siehe S.

Satz, Seite(n)

SaarVerf

Verfassung des Saarlandes

SächsGemO

Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen

30 Abkürzungsverzeichnis SächsKitaG

Sächsisches Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen

SächsNatSchG

Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat Sachsen

SächsPolG

Polizeigesetz des Freistaates Sachsen

SächsVerf

Verfassung des Freistaates Sachsen

SächsVerfGH

Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen

SchWbG

Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes

SGB Sozialgesetzbuch SGG Sozialgerichtsgesetz SHVerf

Verfassung des Landes Schleswig-Holstein

Slg. Sammlung SpurVerkErprG

Gesetz über den Bau und den Betrieb von Versuchsanlagen zur Erprobung von Techniken für den spurgeführten Verkehr

sog.

so gennant(e/er/es/en)

SOG LSA

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt

SOG MV

Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

st. Rspr.

ständige Rechtsprechung

StandAG Standortauswahlgesetz SUP

Strategische Umweltprüfung

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

TEN-E VO

Verordnung zu Leitlinien für die europäische Energieinfrastruktur

ThürKO

Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung

ThürOBG

Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden

ThürVerf

Verfassung des Freistaats Thüringen

ThürVerfGH

Thüringer Verfassungsgerichtshof

u. und/unten u. a.

unter anderem

UKlaG

Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen

UmwRG Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Urt. Urteil US

United States

USA

United States of America

u. U.

unter Umständen

Abkürzungsverzeichnis31 UVP Umweltverträglichkeitsprüfung UVPG Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung v. von/vom v. a. vor allem VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche Verf Bbg Verfassung des Landes Brandenburg VerfG Bbg Verfassungsgericht des Landes Brandenburg VerfGH Bln Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin VerfGH NRW Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen VerkPlBG Gesetz zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin Vol. Volume VvB Verfassung von Berlin VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Wash. Washington WaStrG Bundeswasserstraßengesetz WDO Wehrdisziplinarordnung WHG Wasserhaushaltsgesetz WRMG Wasch- und Reinigungsmittelgesetz WRV Weimarer Reichsverfassung WVG Wasserverbandsgesetz z. B. zum Beispiel Ziff. Ziffer(n) zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung ZSKG Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes z. T. zum Teil

Einleitung: Partizipation und die Krise der Demokratie In vielen Debatten ist, teils mit, teils ohne Fragezeichen, von einer Krise der Demokratie,1 der repräsentativen Demokratie,2 der konstitutionellen Demo­kratie,3 der Parteiendemokratie4 oder gar von einer „veritablen Betei­ ligungskrise“5 die Rede.6 In Reaktion auf diese Krisenrhetorik gelangt die 1  Wolfgang Merkel, Zukunft der Demokratie. Krise? Krise!, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Mai 2013, www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/zukunft-derdemokratie-krise-krise-12173238.html; ders. (Hrsg.); Demokratie und Krise: Zum schwierigen Verhältnis von Theorie und Empirie, 2015; ders., Nur schöner Schein? Demokratische Innovationen in Theorie und Praxis, 2015, https://www.otto-brennerstiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/ AH80_Demokratie_Merkel_2015_06_01.pdf, S.  12 ff.; Klaus Ritgen, Dankt der Staat ab – Wo bleibt das Primat der Politik? Unabhängigkeit und demokratische Legitimität im 21. Jahrhundert, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 288–300; sowie die Beiträge in Markus Linden/Winfried Thaa (Hrsg.), Krise und Reform politischer Repräsentation, 2011. Vgl. auch Helmut Willke, Demokratie im Umbruch, Der Staat 2017, 357–387; Samuel Issacharoff, Die Defizite der Demokratie, Der Staat 2017, 329–355. 2  So lautete der Titel der Staatsrechtslehrertagung in Kiel 2012 Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012); Danny Michelsen/Franz Walter, Unpolitische Demokratie – Zur Krise der Repräsentation, 2013; Hubert Kleinert, Hamburger Olympia-Aus: Die repräsentative Demokratie steckt in der Krise, 2. Dezember 2015, Focus Online, www.focus.de/politik/experten/kleinert/das-hamburger-olympiaaus-zeigt-die-repraesentative-demokratie-steckt-in-der-krise_id_5127433.html; Ulrich Karpen, Repräsentative Demokratie in Deutschland – Eine Krisengeschichte?, in: Veith Mehde/Margrit Seckelmann (Hrsg.), Zum Zustand der repräsentativen Demokratie – Beiträge des Symposiums anlässlich des 80. Geburtstags von Hans Peter Bull, 2017, S. 21–30. 3  Uwe Volkmann, Krise der konstitutionellen Demokratie?, Der Staat 2019, S. 643–658. 4  Thomas Kielinger, Die Parteiendemokratie steckt in der Krise, Die Welt, 20. März 2010, www.welt.de/debatte/kommentare/article6960270/Die-Parteiendemokratie-steckt -in-der-Krise.html. 5  Armin Schäfer, Demokratie? Mehr oder weniger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Dezember 2015, www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/wahlbeteiligungdemokratie-mehr-oder-weniger-13900793.html. 6  S. aber auch Jan Philipp Schaefer, Perspektiven der repräsentativen Demokratie, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsenta­ tiven Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A Ger-

34 Einleitung

Partizipation Einzelner an der Ausübung von Staatsgewalt (erneut) in den Mittelpunkt der Debatte um die Stärkung von Demokratie und der Legitimation von Staatsgewalt. Ein Mehr an Partizipation wird nicht nur von Einzelnen eingefordert,7 der Gesetzgeber in Deutschland hat auf die neu entstandene Erwartungshaltung der Bürger schon durch, wenngleich vereinzelte, Weiterentwicklungen der Öffentlichkeitsbeteiligung reagiert. Dazu gehören beispielsweise neue Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Energiewirtschaftsgesetz und im Netzausbaubeschleunigungsgesetz8 sowie im Standortauswahlgesetz, die Einführung einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahrensrecht und die Erweiterungen der Möglichkeiten der direkten Demokratie auf Länderebene oder Öffentlichkeitsbeteiligungsportale im Internet auf Landes- und Gemeindeebene. Auch die Erweiterungen von Klagerechten gegen Verwaltungsentscheidungen lassen sich unter diese Entwicklung subsumieren. Ein Blick auf den Zustand der Demokratie und die punktuellen Weiterentwicklungen von Partizipation deuten darauf hin, dass es auch in Zukunft zu Erweiterungen von Partizipation kommen wird. Neben dem „Ob“ kommt es in entscheidender Weise auf das „Wie“ und damit das richtige Maß an: ein Zuviel an Partizipation kann Legitimation ebenso schwächen wie ein Zuwenig an Partizipation. Das richtige Maß ist Voraussetzung für ein gelungenes demokratisches und rechtsstaatliches Gemeinwesen. Es fehlt bislang an einer rechtswissenschaftlichen Theorie der Partizipation, die bisherige und zukünftige Entwicklungen von Partizipation auf Ebene der Legislative, der Exekutive und der Judikative beschreibt, einordnet und strukturiert. Wie das richtige Maß an Partizipation nach dem Grundgesetz beschaffen sein soll, ist Gegenstand dieser Arbeit.

A. Vertrauensverlust des Volkes und Legitimationsverlust des Staates Es besteht das verbreitete Gefühl, dass der Einzelne keinen Einfluss mehr auf die Politik besitzt. Damit scheint „Stück für Stück die Geschäftsgrundman-South African Perspective, 2016, S. 103–132 und Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 374 ff., die das „Krisengerede“ in Frage stellen. 7  Bertelsmann Stiftung/Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Partizipation im Wandel – Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden, 2014. 8  S. dazu die Beiträge in Lars Holstenkamp/Jörg Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation, 2018.

Einleitung35

lage jeder Repräsentation verloren zu gehen“.9 Verlieren nicht nur einige wenige, sondern viele Einzelne oder gar die Mehrheit des Volkes das Vertrauen in den Staat, so kann dieser Vertrauensverlust in den Staat zu einem Legitimationsverlust des Staates führen. Zahlreiche Ursachen tragen zu diesem Vertrauens- und Legitimationsverlust bei. Diese Faktoren existieren teils unabhängig voneinander, teils sind sie miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig. Der Verlust des Vertrauens in den eigenen Einfluss auf die staatliche Gewaltausübung ist Gegenstand einer Diskussion, die sich unter dem Begriff der „Post-Demokratie“10 zusammenfassen lässt. Dieser Diskussion zufolge zeichnet sich Post-Demokratie dadurch aus, dass die Demokratie nicht mehr vom Volk, sondern von privilegierten Eliten kontrolliert wird, was u. a. an dem verstärkten Einfluss von Lobby-Verbänden sichtbar wird. Der Einfluss geht in Einzelfällen sogar so weit, dass sie unmittelbaren Einfluss auf einzelne Formulierungen in ministeriellen Gesetzesvorschlägen nehmen.11 So haben große Wirtschaftskanzleien schon im Auftrag der Bundesregierung Gesetzesentwürfe formuliert.12 Ein weiteres Merkmal der Post-Demokratie ist, dass politische Entscheidungen heute vielfach außerhalb der dafür vorgesehenen Verfahren getroffen oder zumindest diskutiert und vorbereitet werden. Hier sind z. B. Ethik-Räte, runde Tische, informelle Treffen zwischen 9  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39. 10  Colin Crouch, Post-Democracy, 2004; s. auch Dirk Jörke, Bürgerbeteiligung in der Post-Demokratie, in: Post-Demokratie?, APuZ 1–2/2011, S. 13–18; Jan Philipp Schaefer, Verwaltungsrecht und Postdemokratie – zur demokratischen Responsivität der Verwaltung, Die Verwaltung 2016, S. 463–510. 11  Gottlob Schober, Die Deutsche Telekom. Lobbyarbeit für den Börsengang, in: Thomas Leif/Rudolf Speth (Hrsg.), Die Stille Macht, Lobbyismus in Deutschland, 2003, S. 157–177, 177; Sascha Adamek/Kim Otto, Der gekaufte Staat: Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, 2009; aus rechtswissenschaftlicher Perspektive s. Hans-Georg Dederer, Korporative Staats­ gewalt, 2004; Max Reicherzer, Authentische Gesetzgebung. Gesetzesvorbereitende Vereinbarungen mit Umsetzungsgesetz auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 2006; ­Julien Arnaud, Die Mitwirkung privater Interessengruppen an der europäischen Gesetzgebung, 2008. 12  S. zu den Vorgängen um einen Gesetzesentwurf, der zu Beginn der Finanzmarktkrise von der Kanzlei Linklaters im Auftrag des damaligen Bundeswirtschaftsministers Theodor zu Guttenberg erarbeitet wurde, Michael Kloepfer, Gesetzgebungsoutsourcing – Die Erstellung von Gesetzentwürfen durch Rechtsanwälte, NJW 2011, S. 131–134; Ulrich Battis, Outsourcing von Gesetzentwürfen?, ZRP 2009, S. 201–202; ders., Anwaltliche Beratung bei der Gesetzesvorbereitung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 58–68; Bundesregierung, Antwort auf kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/13983.

36 Einleitung

Politik und Wirtschaft, sog. Konsensuskonferenzen oder Mediationsverfahren zu nennen.13 Diese werden oft als partizipativ missverstanden, sind aber in Wirklichkeit pluralistisch oder korporativ, da der Einzelne nicht unmittelbar, sondern mediatisiert teilnimmt.14 Eine Mediatisierung des Einzelnen findet auch durch die Parteien statt, die nach weit verbreiteter Ansicht nicht dem Bürger und dem Staat dienen,15 sondern ihn sich „zur Beute machen.“16 Schon 1992 sprach der damalige Bundespräsident, Richard von Weizsäcker, davon, dass Parteien „machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen Führungsaufgabe“ seien.17 Deshalb vermag es kaum zu überraschen, dass das Vertrauen in politische Parteien18 ebenso wie die Parteimitgliedschaften stark zurückgehen19 und vor allem junge Menschen für die Parteiarbeit nicht mehr zu gewinnen sind.20 13  Dazu

ausführlich Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, passim. Walter, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 147–178, 154; Andreas Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, S. 108 f.: „Die Anerkennung dieser organisierten Interessengruppen und ihrer Organe als legitimierte Vertreter der betroffenen Bürger sowie deren Beteiligung gelten als wesentliche Elemente des Pluralismus.“ 15  Christian Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit. Grundlagen und Grenzen des demokratischen Majoritätsprinzips, AöR 127 (2002), S. 460–473, 465: „unverzichtbar“, s. BVerfGE 2, 1, 11; 44, 125, 145; 73, 40, 85. 16  So der Titel eines Buches von Hans Herbert von Arnim, Der Staat als Beute, 1993. 17  Richard von Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger, „Wo bleibt der politische Wille des Volkes?“, Die Zeit, 19. Juni 1992 Nr. 26, www.zeit.de/1992/26/wo-bleibt-der-politische-wille-des-volkes. 18  Nur 40 % der Bevölkerung „vertrauen eher“ den Parteien, „eher nicht vertrauen“ ihnen 55 %, Statista, Umfrage in Deutschland zum Vertrauen in politische Parteien 2020, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153820/umfrage/allgemeines-ver trauen-in-die-parteien/. Noch viel schlechter wird es allerdings dann, wenn auch andere Institutionen bewertet werden, dann vertrauen nur 1 % den Parteien und 1 % den Politikern, Statista, Umfrage – Wem die Deutschen vertrauen 2017, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/255999/umfrage/wem-die-deutschen-vertrauen/. 19  Die SPD verlor von 1990 (943.402) bis 2019 (419.340) mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder, die CDU im selben Zeitraum etwas weniger (789.609 auf 405.816), s. Statista, Anzahl der Parteimitglieder der SPD von 1990 bis 2019, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/1214/umfrage/mitgliederentwicklung-der-spd-seit-1978/; Statista, Anzahl der Parteimitglieder der CDU von 1990 bis 2019, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/1215/umfrage/mitgliederentwicklung-der-cdu-seit-1978/. Aus der umfangreichen Literatur s. Tim Spier/Markus Klein/Ulrich von Alemann/ Hanna Hoffmann/Annika Laux/Alexandra Nonnenmacher/Katharina Rohrbach (Hrsg.), Parteimitglieder in Deutschland, 2011; Elmar Wiesendahl, Partizipation und Engagementbereitschaft in Parteien, in: Tobias Mörschel/Christian Krell (Hrsg.), Demokratie in Deutschland. Zustand – Herausforderungen – Perspektiven, 2012, S. 121– 14  Robert

Einleitung37

Zur Abnahme des direkten Einflusses einer Wahlentscheidung des Einzelnen auf die Politik trägt auch das System der Koalitionsregierungen bei. Das jahrelang bestehende System mit drei, später vier Parteien im Bundestag und den meisten Landtagen ist inzwischen bis auf Weiteres als beendet anzusehen. Ein Blick auf die Länder zeigt, dass Koalitionen zwischen nahezu allen Parteien gebildet werden, von den herkömmlichen Koalitionen rot-grün und schwarz-gelb hin zu rot-rot, schwarz-rot, rot-grün-gelb – seit 2021 auch auf Bundesebene – oder schwarz-grün-gelb. Die Farbenlehre der alten Bundesrepublik hat spätestens seit der Etablierung der Grünen in den 1980er Jahren keinen Bestand mehr. Inzwischen ist die Partei Die Linke nicht mehr von der politischen Bühne wegzudenken und die Alternative für Deutschland ist trotz ihrer Spaltung im Sommer 2015 mit teils beachtlichen Wahlergebnissen in den Bundestag und alle Landtage eingezogen. Daneben entstehen neue, wenngleich oftmals schnell wieder verschwindende Parteien. Dieser Wandel lässt sich als Zeichen von Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System verstehen. Hinzu kommt, dass durch die Vielzahl der Parteien die Frage, inwiefern der Wählerwille sich in der anschließenden Politik niederschlägt, noch virulenter wird. Ein Wähler, der eine rot-grüne Politik präferiert und die SPD gewählt hat, sieht seine Politikvorstellungen möglicherweise weder in einer schwarz-roten noch in einer Ampel-Koalition repräsentiert. Frühere politische lagerübergreifende Ausnahmefälle, wie die große Koalition auf Bundesebene 1966–1969, werden nunmehr zur Regel und verschärfen das Problem der Legitimation. Der Wille des einzelnen Wählers kommt in einer Koali­ tionsregierung naturgemäß weniger zum Tragen als in einer Ein-ParteienRegierung, die weniger auf Kompromisse angewiesen ist. Dieses Phänomen verstärkt sich, wenn der Koalitionspartner einem anderen politischen „Lager“ angehört. Als besonders markantes Beispiel kann die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Jahre 2007 gelten. Die CDU versprach im Wahlkampf eine Erhöhung von 2 %, die SPD lehnte eine Erhöhung ab. Gemeinsam beschlossen beide Parteien eine Erhöhung um 3 %.21

157; Oskar Niedermayer, Parteimitgliedschaften im Jahre 2020, ZParl 2020, S. 419– 448. 20  Klaus Hurrelmann, Warum Parteien die Generation Y brauchen, 04. Januar 2017, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/politik-warum-jugendliche-sichnicht-an-parteien-binden-a-1127968.html, unter Berufung auf die 17. Shell Jugendstudie. 21  2005: SPD schließt eine höhere Mehrwertsteuer aus, www.focus.de/politik/ deutschland/bundestagswahl-2013/tid-33778/kohl-ypsilanti-merkel-die-politik-um faller-und-ihre-dreisteten-wahlluegen-spd-schliesst-eine-hoehere-mehrwertsteuer-aus _aid_1113165.html.

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Koalitionsbildungen erschweren zudem das Problem des sog. „losers’ con­ sent“.22 Diese Figur behandelt die aus dem Mehrheitsprinzip folgende Pro­ blematik, dass für eine stabile Demokratie auch der Verlierer eine Entscheidung letztendlich akzeptieren muss. Wesentlich dafür ist die Chance, bei späteren Wahlen eine eigene Mehrheit zu erreichen. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Wahlbeteiligung in den vier Bundestagswahlen seit 1998 beständig am Sinken war und die Höchstwerte, die in den 1970er Jahren bei über 90 % lagen, in unerreichbar Ferne liegen. Nach einer Steigerung von absolut 0,7 % im Jahre 2013 gab es dann aber eine Steigerung um absolut 4,7 % im Jahr 2017 auf 76,2 % und im Jahr 2021 auf 76,6 %.23 Diese Steigerung der Wahlbeteiligung mag einerseits als positive Entwicklung erscheinen, andererseits ist sie eng verbunden mit dem Phänomen des Populismus, das sich v. a. seit 2016 Bahn gebrochen hat.24 Nach dem BrexitReferendum im Juni 2016, das dem Vereinigten Königreich den Weg aus der Europäischen Union ebnete, wurde im November 2016 Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. In Deutschland zog die national-populistische AfD in zahlreiche Landtage ein,25 bei der Bundestagswahl 2017 erhielt sie mehr als 12,6 % (2021: 10,3 %) der Stimmen und stellt in der 19. Legislaturperiode 22  S. ausführlich Christopher Anderson/Andre Blais/Shaun Bowler/Todd Donovan/ Ola Listhaug, Losers’ Consent: Elections and Democratic Legitimacy, 2005. 23  Statista, Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen in Deutschland von 1949 bis 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2274/umfrage/entwicklung-derwahlbeteiligung-bei-bundestagswahlen-seit-1949/. 24  S. dazu nur Heike Krieger, Populist Governments and International Law, European Journal of International Law 2019, S. 971–996; Thorsten Beigel/Georg Eckert (Hrsg.), Populismus. Varianten von Volksherrschaft in Geschichte und Gegenwart, 2017; Jan-Werner Müller, Was ist Populismus?, 2016; Nicholas W. Barber, Populist Leaders and Political Parties, German Law Journal 20 (2019), S. 129–140, 130 f.; Jens Kersten, Parlamentarismus und Populismus, JuS 2018, S. 929–936, 929 f.; An­ dreas Voßkuhle, Demokratie und Populismus, Der Staat 57 (2018), S. 119–134, 121 f.; Jan-Werner Müller, Populism and Constitutionalism, in: Cristóbal Rovira Kaltwasser/Paul Taggart/Paulina Ochoa Espejo/Pierre Ostiguy (Hrsg.), The Oxford Handbook of Populism, 2017, S. 590–606, 590 ff.; Stefan Rummens, Populism as a Threat to Liberal Democracy, in: ebd., S. 554–570, 559; Mark Tushnet, Varieties of Populism, German Law Journal 20 (2019), S. 382–389, 382 f.; Samuel Issacharoff, Populism versus Democratic Governance, in: Mark A. Graber/Sanford Levinson/Mark Tushnet (Hrsg.), Constitutional Democracy in Crisis?, 2018, S. 445–458.; Stefan Magen, Kontexte der Demokratie: Parteien – Medien – Sozialstrukturen, VVDStRL 77 (2018), S. 67–104, 70 ff. Auch wurde festgestellt, dass die Präsenz von populistischen Parteien die Wahlbeteiligung erhöhen kann: Arndt Leininger/Maurits J. Meijers, Do Populist Parties Increase Voter Turnout? Evidence From Over 40 Years of Electoral History in 31 European Democracies, Political Studies 2021, S. 665–685. 25  Die AfD konnte 2016 erstmals in die Landtage von Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt einziehen. Dabei

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damit die stärkste Oppositionsfraktion – in Sachsen erhielt sie bei der Bundestagswahl im Jahr 2017 und der Europawahl 2019 sogar die meisten Stimmen. Populistische Bewegungen und Parteien zeichnen sich v. a. dadurch aus, dass sie „das Volk“ – das sie als Einheit missverstehen – einer vermeintlich abgehobenen, „korrupten“ und immoralischen politischen, ökonomischen, juristischen und technokratischen Elite gegenüberstellen.26 Damit stellen sie die Rolle von Institutionen in Demokratien in Frage, u. a. indem sie sich als Verfechter von mehr Bürgerbeteiligung und von direkter Demokratie gerieren.27. Zudem sind sie antipluralistisch ausgerichtet und stellen deshalb auch rechtsstaatliche Mechanismen und Menschenrechte in Frage – zumindest für diejenigen, die ihrer Ansicht nach nicht Teil eines unitarischen Volkes sind.28 Bleibt es bei diesem Trend des Vertrauens- und Legitimationsverlustes, der durch das Aufkommen des Populismus noch einmal verstärkt wurde, so kann dies die Demokratie dauerhaft gefährden. Eine Legitimationskrise stellt das gesamte System in Frage. Es gilt daher der Satz, dass sich alles ändern muss, damit alles so bleibt, wie es war.29 Bloß, was soll sich ändern, um den Vertrauensverlust und den damit einhergehenden Legitimationsverlust zu stoppen und umzukehren und dabei die bestehenden Institutionen nicht zu schwächen?

B. Das Engagement Einzelner in der Zivilgesellschaft Ausgangspunkt einer Lösung des Vertrauens- und Legitimationsproblems kann nur der Einzelne sein. Rechtlich betrachtet steht er am Anfang und im wurde sie in Mecklenburg-Vorpommern mit 20,8 % und in Sachsen-Anhalt mit 24,3 % jeweils zur zweitstärksten Kraft. 26  Jan-Werner Müller, Populism and Constitutionalism, in: Cristóbal Rovira Kaltwasser/Paul Taggart/Paulina Ochoa Espejo/Pierre Ostiguy (Hrsg.), The Oxford Handbook of Populism, 2017, S. 590–606, 593. 27  Jan-Werner Müller, Populismus, 2016, S. 45. So fordert u. a. die AfD die „Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild“, s. Alternative für Deutschland, Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland, 2020, S. 16, abrufbar unter: https://www.afd.de/grundsatzprogramm /#langversion. 28  Jan-Werner Müller, Populism and Constitutionalism, in: Cristóbal Rovira Kaltwasser/Paul Taggart/Paulina Ochoa Espejo/Pierre Ostiguy (Hrsg.), The Oxford Handbook of Populism, 2017, S. 590–606, 593. 29  Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Der Gattopardo, Neuübersetzung 2004, S. 35; ähnlich Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 50.

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Mittelpunkt des Grundgesetzes und auch Demokratie dient letztendlich dem Einzelnen. Tatsächlich interessiert sich der Einzelne trotz des eben beschriebenen Rückgangs seines Engagements in den Parteien und bei Wahlen weiterhin für Sachfragen.30 Da es in Wahlen nur vordergründig um inhaltliche Entscheidungen geht, unmittelbar aber um die Frage, wer regieren soll,31 wenden sich Einzelne verstärkt solchen Beteiligungsformen zu, die es ihnen erlauben, unmittelbar Einfluss auf Sachfragen zu nehmen. Diese Beteiligungsformen finden sich zumeist nicht im staatlichen Rahmen, sondern innerhalb der sog. Zivilgesellschaft. Für den Einzelnen stehen daher nicht demokratische Beteiligungsformen in Verwaltungsverfahren im Vordergrund oder die vom Grundgesetz vorgesehenen Beteiligungsformen in Parteien und Parlament. Es geht im Kern um außerparlamentarische Einflussnahme auf den Gesetz­ gebungsprozess im Rahmen von governance32 und damit außerhalb des Bereichs des government. Das Interesse an der res publica ist also keineswegs zurückgegangen,33 es findet aber andere Artikulationsmöglichkeiten. Diese Reaktion auf den schwindenden Einfluss bestehender Institutionen durch eine Abkehr von staatlichen Strukturen und Verfahren und einer Hinwendung zu zivilgesellschaftlichen Strukturen ist verständlich, sucht sich doch der Einzelne seine Einflussmöglichkeiten dort, wo er sie maximieren kann. Diese Entwicklung muss nicht notwendigerweise eine schlechte, sondern kann im Gegenteil auch eine wünschenswerte Entwicklung sein. Die Zivilgesellschaft dient als Stützpfeiler von Gesellschaft und Staat, ebenso als Kontrollinstanz.34 30  So interessieren sich im Jahr 2020 nur knapp 21 % der Bevölkerung „kaum“ oder „gar nicht“ für Politik – dieser Wert ist seit Jahren konstant, IfD Allensbach, Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse – AWA 2020, https://www.ifd-allen sbach.de/fileadmin/AWA/AWA2020/Codebuchausschnitte/AWA2020_Codebuch_ Politik_Gesellschaft.pdf. 31  Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 70; s. auch Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 166, 173; Giovanni Sartori, Demokratietheorie, 1997, S. 119 f. 32  Zum Begriff s. Hubert Heinelt, Demokratie jenseits des Staates. Partizipatives Regieren und Governance, 2008, S. 11. 33  S. Pierre Rosanvallon, Counter-Democracy. Politics in an Age of Distrust, 2008; Ulrich Beck, Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, 1993, S. 149 ff.; Max Kaase, Politische Beteiligung, in: Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Lexikon der Politik, Bd. 3: Die Westlichen Länder, 1992, S. 339–346. Während sich zwischen 1999 und 2009 die Zahl der Engagierten nur unwesentlich gesteigert hat, ist die Zahl derjenigen, die nicht bereit sind, sich zu engagieren, um 13 Prozentpunkte gesunken; die Zahl derer, die eventuell bereit wären, ist um 10 Prozentpunkte gestiegen, Statista, Freiwilliges Engagement und Bereitschaft zum freiwilligen Engagement in Deutschland in den Jahren 1999, 2004 und 2009, http://de.statista. com/statistik/daten/studie/191057/umfrage/freiwilliges-engagement-der-bevoelkerung --in-deutschland/. 34  S. ausführlich Frank Adloff, Zivilgesellschaft: Theorie und politische Praxis, 2005.

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Das Grundproblem der „Zivilgesellschaft“ besteht aber darin, dass ihr ein undemokratisches und vielleicht sogar antidemokratisches Element innewohnt. Sie muss in sich nicht zwingend demokratisch organisiert sein. Viele der gewichtigen und medienwirksamen Proteste in Deutschland richten sich gegen große Infrastrukturprojekte, die von einer Mehrheit der Bevölkerung getragen werden und in demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren entschieden wurden. Die Proteste in Stuttgart (gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21) und in Berlin (gegen den Flughafen BBI) werden zum Großteil von Bürgern geführt, die zumeist aus den gut gebildeten Schichten der Bevölkerung kommen.35 Dies stellt einen wesentlichen Aspekt der Demokratie, nämlich den der demokratischen Gleichheit, in Frage. Interessen der weniger artikulations- und protestwilligen bildungsfernen Schichten finden so unter Umständen weniger Berücksichtigung in der politischen Willensbildung. Es besteht die Befürchtung, dass sich am Ehesten der Lauteste durchzusetzen vermag. Dem sind staatliche, rechtlich geordnete Verfahren entgegenzusetzen, die allen offenstehen und dem Einzelnen Möglichkeiten eröffnen, an der Ausübung von Staatsgewalt teilzuhaben. Diese Beteiligungsmöglichkeiten müssen die Vorgaben des Grundgesetzes beachten und verwirklichen. Dazu gehören neben demokratischer Gleichheit auch die Achtung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die effektive Funktionalität staatlichen Handelns.

C. Stärkung von Partizipation an staatlichen Entscheidungen Der große Einsatz Einzelner in der Zivilgesellschaft zeigt, dass die Bereitschaft zu Engagement und Beteiligung prinzipiell besteht. Dass zivilgesellschaftliches Engagement und Beteiligung jedoch innerhalb der gesellschaft­ lichen Sphäre und nicht innerhalb der staatlichen Sphäre stattfinden, deutet darauf hin, dass der Staat nicht ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten für Einzelne bietet, sich demokratisch zu engagieren, obwohl diese aktiv gesucht werden. Auch die Wissenschaft hat sich über längere Zeit bis zu den Protesten gegen Stuttgart 21 wenig mit Partizipation auseinandergesetzt. Zwar ist die Beteiligung zum Schutz subjektiver Rechte anerkannt. Rechtsstaatliche Beteiligungsformen, beispielsweise vor Gerichten, sind dementsprechend wissenschaftlich gut erforscht. Dies gilt aber nicht für demokratische Beteiligungsformen im staatlichen Rahmen außerhalb von Wahlen. Hier beschäftigte 35  S. ausführlich Britta Baumgarten/Dieter Rucht, Die Protestierenden gegen „Stuttgart 21“ – einzigartig oder typisch?, in: Frank Brettschneider/Wolfgang Schuster (Hrsg.), Stuttgart 21: Ein Großprojekt zwischen Protest und Akzeptanz, 2013, S. 97–125.

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sich nach einer Hochphase der Partizipationsdebatte in den 1960er und 1970er36 Jahren lange Zeit kaum jemand mehr mit Partizipation als einer Form demokratischer Beteiligung, die der Verwirklichung von Gemeinwohloder Individualinteressen dient. Dies ändert sich. Aufgrund der Bürgerproteste gegen infrastrukturelle Großprojekte wie Stuttgart 21, den Berliner Flughafen, den Ausbau der Flughafen-Landebahnen in München und Frankfurt am Main und den durch die Energiewende bedingten Bau von 3500 km neuen Stromtrassen rückt der Begriff der Partizipation (erneut) in den Mittelpunkt der Demokratietheorie, der Politik- und auch der Rechtswissenschaft.37 Die Bürgerproteste erschöpf36  Robert Walter, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, und Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 147– 178, S. 179–265; Willi Blümel, „Demokratisierung der Planung“ oder rechtsstaatliche Planung, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 9–36; Prodromos Dagtoglou, Partizipation Privater an Verwaltungsentscheidungen, DVBl. 1972, S. 712–719; Peter Dienel, Partizipation an Planungsprozessen als Aufgabe der Verwaltung, Die Verwaltung, 1971, S. 151–176; Gunter Kisker, Gruppenmitbestimmung in der öffentlichen Verwaltung, DÖV 1972, S. 520–529; Franz Knöpfle, Organisierte Einwirkung auf die Verwaltung DVBl. 1974, S. 707–716; Peter Oberndorfer, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen in Österreich, DÖV 1972, S. 529–536; Hans-Heinrich Rupp, Freiheit und Partizipation, NJW 1972, S. 1537–1543; Fritz Scharpf, Demokratie als Partizipation, in: Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, 1973, S. 117–123; Ulrich v. Alemann, Partizipation – Überlegungen zur normativen Diskussion und zur empirischen Forschung, 1975, S.  245 ff.; Frank Hollihn, Partizipation und Demokratie, 1976; Peter John, Bedingungen und Grenzen politischer Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Bürgerinitiativen, 1979; Hans Matthöfer (Hrsg.), Bürgerbeteiligung und Bürgerinitiativen, 1979; Hans-Joachim Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater? – Dargestellt am Beispiel der Gewerkschaften in Gremien der Wirtschaftsverwaltung, 1980; Andreas Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975; Reinhard Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977; Ulrich Battis, Partizipation im Städtebaurecht, 1976. S. dazu auch Anna-Bettina Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, 2009, S. 136–166 sowie die Übersicht bei Veith Mehde, Neueres Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 31 ff., S. 260 ff. S. die Kritik von Wolfgang Durner, Möglichkeiten der Verbesserung förmlicher Verwaltungsverfahren am Beispiel der Planfeststellung, ZUR 2011, S. 354–363, 356, der neuen Lösungsvorschlägen nicht ganz zu Unrecht vorwirft, dass unerwähnt bleibe, „dass nicht nur die Problemlagen, sondern auch die nunmehr entwickelten Lösungsvorschläge sich weithin mit Vorläuferdiskussionen überschneiden, die bereits seit den 1960er Jahren im In- und Ausland geführt wurden. Im Grunde befremdet, in welchem Maße dieselben Gedankengänge nunmehr ein weiteres Mal als neu präsentiert werden.“ 37  S.  z. B. Cristina Fraenkel-Haeberle, Zur Multifunktionalität der Partizipation bei großen Infra-Strukturvorhaben, DÖV 2016, S. 548–555; Volker M. Haug, „Partizipationsrecht“ – ein Plädoyer für eine eigene juristische Kategorie, in: Die Verwaltung 47 (2014), S. 221–241.

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ten sich nicht in konkreten Forderungen bezüglich der jeweiligen Projekte, sondern fungierten gleichzeitig als Katalysatoren für die grundsätzliche Forderung nach mehr Partizipationsmöglichkeiten. Diese Forderungen waren teilweise erfolgreich. Auf verschiedenen Ebenen wurden inzwischen solche Partizipationsmöglichkeiten eingeführt, erweitert, bestätigt oder erleichtert. Dies betrifft zum einen die Gesetzgebungsebene. So hat der Lissabon-Vertrag auf EU-Ebene eine Bürgerinitiative eingeführt.38 Auf Landesebene wird die Volksgesetzgebung erleichtert und faktisch ausgeweitet.39 Auch die Exekutive ist von den Gesetzesänderungen erfasst. Der Bundesgesetzgeber hat beispielsweise 2013 die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung (§  25 Abs.  3 VwVfG) mit dem Gesetz zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren eingeführt.40 In den Kommunalverfassungen wurde schon in den 1990er Jahren das Bürgerbegehren flächendeckend eingeführt, 2015 kam es zu Reformen in Rheinland-Pfalz und Hessen,41 2016 in Niedersachsen.42 Ebenso kam es zur Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen der im Partizipationskontext zumeist nicht einmal erwähnten Rechtsprechung. Beispielsweise wurden die Beteiligungsrechte des Einzelnen vor deutschen Gerichten durch den EuGH in der Trianel- und Altrip-Rechtsprechung gestärkt.43

38  S. dazu Armin von Bogdandy, The European Lesson for International Democracy: The Significance of Articles 9–12 EU Treaty for International Organizations, EJIL 2004, S. 885–906; Annette Guckelberger, Die europäische Bürgerinitiative, DÖV 2010, S. 745–754. 39  S. z. B. das saarländische Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid (Volksabstimmungsgesetz) vom 16. Juni 1982 (Amtsbl. 1982 S. 649), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 15. Mai 2013 (Amtsbl. I. S. 186) und die Volksabstimmungsordnung vom 26. Februar 2014, Amtsbl. 2014, S. 108; s. ebenso das baden-württembergische Gesetz über Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksantrag (Volksabstimmungsgesetz – VAbstG) vom 27. Februar 1984 (GBl. S. 178), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Dezember 2015 (GBl. S. 1065). 40  BGBl. I 2013 S. 1388. 41  Rheinland-Pfalz: GVBl. 2015 S. 477, Hessen: GVBl. 2015 S. 618. Dirk Schumacher, Blick über den Tellerrand: Bürgerbegehrens-Reform in Rheinland-Pfalz, Reförmchen in Hessen, 21. Dezember 2015, https://bremen-nds.mehr-demokratie.de/ nachrichtenzentrale/blick-ueber-den-tellerrand-buergerbegehrens-reform-in-rhein land-pfalz-refoermchen-in-hessen. 42  Nds. GVBl. 2016 S. 226. S. dazu Jan Seybold, Chancen und Risiken von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden – Untersuchung anlässlich der Reform des niedersächsischen Kommunalrechts zum 1. November 2016, DÖV 2018, S. 293–303. 43  EuGH, Urteil v. 12. Mai 2011, C-115/09 – Trianel; EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip.

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Gerade die letzte Entscheidung, die auf der UVP-Richtlinie44 und dem völkerrechtlichen Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention)45 beruht, zeigt, dass Partizipation, wenngleich sie in dieser Arbeit vornehmlich aus grundgesetzlicher und verwaltungsrechtlicher Sicht betrachtet und konzeptualisiert wird, auch europa- und völkerrechtlich fundiert ist. Partizipation findet sich auf allen Ebenen des Multiebenensystems, Völker- und Europarecht wirken hier auf das nationale Recht ein. Verstärkte Partizipation stellt aber nicht das Allheilmittel dar, mit dem alle legitimatorischen, politischen, demokratischen und rechtstaatlichen Probleme kuriert werden können. Partizipation kann die Legitimation des Staates nur stärken, sofern das richtige, das heißt, das von der Rechtsordnung verlangte und erlaubte Maß an Partizipation erreicht wird. Dafür muss der Einzelne seine Rechte wahren und einklagen können. Dem Einzelnen, dem es nicht um Rechte, sondern um das Gemeinwohl geht, müssen Möglichkeiten in staatlichen Verfahren geboten werden, sich einzubringen und zu beteiligen. Vieles spricht dafür, dass die Einzelnen sich nicht nur – wie dargestellt – innerhalb der Zivilgesellschaft engagieren wollen, sondern auch an staat­ lichen Entscheidungen teilhaben wollen. Dieser Wille zu mehr Partizipation wird u. a. dadurch sichtbar, dass die Zahl von Volksentscheiden zunimmt46 und überdies viele der Volksentscheide die Verbesserung des Verfahrens direkter Demokratie zum Gegenstand haben.47 Auch die Massenverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zeugen von dem Wunsch der Öffentlichkeit nach mehr Partizipation. Heute, wie auch damals schon, geht es um die „Frage nach einer Partizipation, die von unserer verfassungsrechtlichen Grundordnung gefordert, ge44  Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, s. inzwischen auch Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2011/92/ EU über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Zu den Änderungen s. Thomas Bunge, Neue Anforderungen an die Umweltverträglichkeitsprüfung: die UVP-Änderungsrichtlinie 2014, NVwZ 2014, ­ S. 1257–1263. 45  Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. Juni 1998, BGBl. II 2006, 1252. 46  Statista, Eingeleitete Volksbegehren in Deutschland bis 2020, https://de.statista. com/statistik/daten/studie/164245/umfrage/eingeleitete-volksbegehren-in-deutschland -seit-1950/. 47  S. die Vielzahl entsprechender Verfahren gerade in den 1990er und den 2000er Jahren, Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 95 ff.

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fördert, ermöglicht, geduldet oder auch verboten wird. Es geht um grundgesetzverwirklichende Partizipation.“48

D. Gang der Darstellung: Von der Theorie der imperativen Partizipation über den partizipativen Staat de lege lata zum partizipativen Staat de lege ferenda Wie diese „grundgesetzverwirklichende“ Partizipation für die Bundesrepublik Deutschland aussehen soll, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Es gilt, die verschiedenen Beteiligungsformen herauszuarbeiten und übergreifende Voraussetzungen, Inhalte und Strukturen zu finden, die allen Formen der Beteiligung gemein sind. Teil 1 dient der theoretischen Grundlegung. Zunächst werden verschiedene Formen und Begriffe von Partizipation voneinander abgegrenzt und ein eigener, aus dem Grundgesetz abgeleiteter Partizipationsbegriff, die „imperative Partizipation“, entwickelt. Um Partizipation besser einordnen zu können, wird auf den Grundsatz der Gewaltenteilung zurückgegriffen. Dabei wird sich zeigen, dass Partizipation und der Grundsatz der Gewaltenteilung kongruenten Funktionen folgen. Aufgrund dieser Kongruenz der Funktionen einerseits und der Direktionskraft des Gewaltenteilungsgrundsatzes andererseits, lässt sich mit dessen Hilfe konzeptualisieren, welche Akteure mit welchem Maß an Einfluss an der Ausübung von Herrschaftsgewalt beteiligt sein dürfen. Diese Erkenntnisse werden in einer rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation verarbeitet. Teil 2 untersucht anhand der existierenden Beteiligungsnormen im deutschen Recht, ob und inwiefern die bestehenden Partizipationsmöglichkeiten hinsichtlich der Akteure und ihres Einflusses den Aussagen der Theorie der imperativen Partizipation entsprechen und so in der Lage sind, die Legitimation staatlicher Entscheidungen zu erhöhen. Entgegen dem im Laufe der Partizipationsdebatte entstandenen Eindruck, dass der Einzelne kaum Einflussmöglichkeiten auf den Staat hat, wird diese Bestandsaufnahme der Partizipationsmöglichkeiten in der Bundesrepublik zudem aufzeigen, dass die Bundesrepublik Deutschland schon jetzt durch die Partizipation seiner Bürger und Bewohner rechtlich determiniert wird und somit ein partizipativer Staat ist. Teil 3 geht schließlich der Frage nach, ob und gegebenenfalls welche Weiterentwicklungen von Partizipation grundgesetzlich möglich oder gar gefor48  Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179–265, 182.

46 Einleitung

dert sind. Entscheidend für die Frage der Weiterentwicklung ist, ob Rechtsstaat- und Demokratieprinzip als Optimierungsgebote zu verstehen sind und ob der Gewaltenteilungsgrundsatz geeignet ist, Gefährdungen, die durch Partizipation drohen, etwa die Schwächung bestehender Institutionen der repräsentativen Demokratie, abzuwehren. Der zweite und der dritte Teil dienen nicht nur dazu, mit Hilfe der hier zu entwickelnden Theorie der imperativen Partizipation, das Implizite explizit zu machen.49 Vielmehr sollen sie Mängel und Inkonsistenzen der Beteiligungsformen in der Bundesrepublik aufzeigen und den Weg weisen, wie Partizipation anhand einer konsistenten Theorie weiterentwickelt werden kann oder sogar möglicherweise weiterentwickelt werden muss, um so die Legitimation staatlichen Handelns zu fördern.

49  Christoph

Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 5.

Teil 1

Theoretische Grundlegung: Partizipation, Gewaltenteilung und die Theorie der imperativen Partizipation Partizipation ist ein schillernder Begriff. Daher ist zunächst zu klären, wie Partizipation unter dem Grundgesetz zu verstehen ist (Kapitel 1). Daran schließt sich eine Untersuchung des Gewaltenteilungsgrundsatzes an (Kapitel 2). Es wird sich dabei zeigen, dass sowohl Partizipation als auch Gewaltenteilung maßgeblich der Verwirklichung von Demokratie, dem Schutz des Rechtsstaats und dem Erreichen effektiver Funktionalität staatlichen Handelns dienen. Da dem Gewaltenteilungsgrundsatz darüberhinaus eine dirigierende Wirkung zukommt und er zudem Antworten gibt, wie das Spannungsverhältnis von Demokratieermöglichung und Schutz von Rechtsstaatlichkeit aufzulösen ist, erlaubt er es daher, Partizipation zu konzeptualisieren und die Akteure sowie die Art und das Ausmaß ihres Einflusses bei der Ausübung von Herrschaftsgewalt näher zu bestimmen. Die Untersuchung mündet in einer rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation (Kapitel III). Kapitel 1

Imperative Partizipation und ihr Verhältnis zu Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und effektivem Funktionalitätsgebot Was ist unter Partizipation zu verstehen? Partizipation ist kein gängiger Begriff des positiven Rechts.1 Im Verwaltungsrecht wird gelegentlich das 1  Der Begriff wird, wenn überhaupt, ausschließlich in Landesgesetzen verwendet. Dazu gehören vor allem solche, die auf Integration von Migranten abzielen, wie etwa das Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin, GVBl. Bln 2010, S. 560, das 2021 durch das Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin novelliert wurde, GVBl. Bln. 2021, S. 842. Das Gesetz zur Weiterentwicklung der politischen Partizipation in den Gemeinden und zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften, GV NRW 2013, S. 847, führt den Begriff der Partizipation nur im Titel. S. zu verschiedenen Partizipationsbegriffen auch Volker M. Haug, „Partizipationsrecht“ – ein Plädoyer für eine eigene juristische Kategorie, in: Die Verwaltung 47 (2014), S. 221–241, 227 ff.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

deutsche Synonym „Beteiligung“ verwendet.2 Will man die vielschichtigen Funktionen von Partizipation verstehen, so darf der Begriff aber nicht nur verwaltungsrechtlich verstanden werden. Von sozialen und politischen Formen der Beteiligung lässt sich eine Form „imperativer Beteiligung“ unterscheiden (A.). Imperative Partizipation erlaubt prinzipiell einer sehr unterschiedlichen Bandbreite von Akteuren die Beteiligung an der Ausübung von Staatsgewalt (B.) und verfolgt drei unterschiedliche Funktionen (C.).

A. Formen von Partizipation Es gibt vielfältige Formen von Beteiligung. Zunächst ist soziale Partizipation (I.) von politischer Partizipation zu unterscheiden (II.). Die hier zugrunde gelegte Form von imperativer Partizipation ist z. T. weiter, z. T. enger gefasst als die beiden anderen Formen von Partizipation (III.). I. Soziale Partizipation Soziale Partizipation lässt sich als Sammelbegriff für Beteiligungsformen in zivilgesellschaftlichen Gruppen verstehen. Die Handelnden werden zumeist öffentlich und kollektiv tätig, u. U. auch individuell. Ihre Handlungen und Motive reichen über die private Sphäre hinaus, sind aber nicht primär politisch motiviert. Dazu gehört u. a. die Mitarbeit im Fußball- oder Gesangsverein, in Selbsthilfegruppen oder in Wohlfahrtsorganisationen.3 Es handelt sich damit um notwendige, wichtige Handlungsformen, auf die eine Gesellschaft für ihren Zusammenhalt angewiesen ist. Soziale Partizipation bezieht sich aber nicht notwendigerweise auf die staatliche Sphäre und scheidet damit als Gegenstand einer staats- und verwaltungsrechtlichen Untersuchung aus. II. Politische Partizipation Politische Partizipation weist ebenfalls über das Private hinaus. Sie ist aber enger zu verstehen als soziale Partizipation, da nur das Handeln erfasst ist, das das Ziel verfolgt, politische Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen zu beeinflussen.4 Politische Partizipation bezieht sich anders als soziale 2  Siehe u. a. § 13 VwVfG, § 9 NABEG, § 85 WHG. S. außerdem das Soldatenbeteiligungsgesetz, das die Beteiligung im Titel trägt. 3  Sigrid Roßteutscher, Soziale Partizipation und Soziales Kapital, in: Viktoria Kaina/Andrea Römmele (Hrsg.), Politische Soziologie. Ein Studienbuch, 2009, S. 163–180, 163. 4  Jan W. van Deth, Politische Partizipation, in: Viktoria Kaina/Andrea Römmele (Hrsg.), Politische Soziologie. Ein Studienbuch, 2009, S. 141–162, 141; Sigrid



Kapitel 1: Imperative Partizipation49

Partizipation zumindest teilweise auch auf genuin staatliche Fragestellungen. Politische Partizipation umfasst die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Genauso kann die Beteiligung durch Anhörungs-, Einspruchs-, Widerspruchs- und anderen Beteiligungsverfahren im Verwaltungsrecht politische Partizipation sein; allerdings können diese Beteiligungsformen auch der Sicherung individueller Rechte dienen. Auch die Beteiligung durch Mediationsverfahren,5 Teilnahme an Bürgerinitiativen oder Runden Tischen u. ä.,6 das Verfassen von Petitionen, die nach Art. 17 GG an die gesamte Verwaltung ebenso wie an das Parlament gerichtet sein können, stellen politische Partizipation dar. Schließlich lässt sich vor Gerichten politische Beteiligung ausmachen. Dies gilt, obwohl Gerichte nach streng rechtlichen Kriterien handeln. Klagen vor den Verwaltungsgerichten z. B. gegen Flughäfen sind zwar nur möglich, wenn die rechtlichen Zulässigkeitskriterien erfüllt sind. Von ihnen geht aber über die unmittelbare rechtliche Wirkung hinaus oft auch eine politische Wirkung aus. Das Gleiche gilt für Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht. Dies zeigen beispielsweise die Verfassungsbeschwerden gegen die Vorratsdatenspeicherung mit 35.000 Beschwerdeführern7 oder gegen die sog. Eurorettungs­pakete der EU-Mitgliedstaaten8 oder der EZB9 mit mehr als 10.000 Beschwerdeführern. Gegen das europäisch-kanadische „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA), welches schon vor Ratifizierung teilweise für Bereiche, die der unstreitigen Zuständigkeit der Europäischen Union unterliegen, in Kraft getreten war10, wandten sich sogar mehr 125.000 Beschwerdeführer an das BVerfG.11 Schließlich gehören Demonstrationen, das Sammeln von Un-

Roßteutscher, Soziale Partizipation und Soziales Kapital, in: Viktoria Kaina/Andrea Römmele (Hrsg.), Politische Soziologie. Ein Studienbuch, 2009, S. 163–180, 163. S. auch Markus Steinbrecher, Politische Partizipation in Deutschland, 2009, S. 27 ff. 5  S. dazu Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512 f. m. w. N. 6  S. dazu Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004; zu weiteren Formen der Bürgerbeteiligung vgl. die Beiträge in Hermann Hill (Hrsg.), Bürgerbeteiligung, 2010. 7  BVerfGE 125, 260. S. dazu Christian Schreier, Die Massenverfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Versuche der Revision von Rechtsnormen durch Bürgerinitiativen, Opusculum Nr. 51, November 2011. 8  ESM: BVerfGE 129, 124; EFSF: BVerfGE 132, 195; BVerfG, Urteil v. 18. März 2014, 2 BvR 1390/12. 9  BVerfGE 134, 366. 10  S. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, https://www.bmwi.de/ Redaktion/DE/Dossier/ceta.html. 11  BVerfGE 143, 65.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

terschriften oder das Boykottieren von Produkten12 zu politischer Partizi­ pation. Sie bezieht sich demnach zwar häufig, aber nicht zwingend auf das Handeln des Staates. Sie kann sich auch gegen private Dritte, z. B. die Hersteller bestimmter Produkte, oder gegen dritte Staaten, z. B. im Fall der Demonstrationen gegen Massenüberwachung durch die NSA, richten. III. Imperative Partizipation Es soll in dieser staats- und verwaltungsrechtlichen Untersuchung weder um Partizipationsformen gehen, die rein sozialer Natur sind, noch um solche, die rein politischer Natur sind. Beide Partizipationsformen finden jeweils in der gesellschaftlichen Sphäre statt und sind lediglich manchmal, aber nicht immer, auf den staatlichen Bereich ausgerichtet. In dieser Untersuchung interessiert allein Partizipation des Einzelnen, die auf Reaktionen in der staatlichen Sphäre zielt und in ihr immer Wirkung zu entfalten versucht. Ausgangspunkt für die Bestimmung von Partizipation ist neben dem Grundgesetz das existierende einfache öffentliche Recht. Das öffentliche Recht, sei es grundgesetzlich oder einfach-rechtlich, ermöglicht und begrenzt die Ausübung staatlicher Gewalt, betrifft also immer auch die staatliche Sphäre. Partizipation im hier verstandenen Sinne ist zwingend mit der Ausübung legitimationsbedürftiger staatlicher Gewalt verknüpft und ist wesentlich auf staatliche Responsivität ausgerichtet. Unter Responsivität wird hier jede rechtlich vorgesehene und damit für den Staat zwingende Rückkoppelung des Staates mit dem Einzelnen verstanden.13 Partizipation ist dementsprechend nur solches Handeln Einzelner, das unmittelbar rechtsförmiges 12  Jan W. van Deth, Politische Partizipation, in: Viktoria Kaina/Andrea Römmele (Hrsg.), Politische Soziologie. Ein Studienbuch, 2009, S. 141–162, 141. 13  Zum Begriff s. Utz Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 667; ders., Das gemeinsame Fundament: legitime Herrschaftsgewalt im europäischen Mehrebenensystem, in: Jost Delbrück/Dorothee Einsele (Hrsg.), Wandel des Staates im Kontext europäischer und internationaler Integration, 2006, S. 71–98, 96; Thomas Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S. 177; ders., Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 93–101, 97; Frank Brettschneider, Öffentliche Meinung und Politik, 1995, S. 18 ff.; Horst Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: Jura 1997, S. 249–257, 256, Fn. 93; ders., Demokratische Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille. Die Theorie der amerikanischen Federalists im Vergleich mit der Staatsphilosophie Kants, AöR 113 (1988), S. 450–483, 465; Ulrich K. Preuß, Plebiszite als Formen der Bürgerbeteiligung, ZRP 1993, S. 131–138, 135; Herbert Uppendahl, Repräsentation und Responsivität. Bausteine einer Theorie responsiver Demokratie, ZParl 1981, S. 123–134, 126 ff.



Kapitel 1: Imperative Partizipation51

Innehaben oder Teilhaben an der Ausübung von legitimationsbedürftiger Staatsgewalt darstellt.14 Durch imperative Partizipation wird entweder unmittelbar Staatsgewalt ausgeübt oder der Staat wird durch die unmittelbare Partizipation Einzelner im Vorfeld der Ausübung von Staatsgewalt zu einer rechts- und verfahrensförmigen Reaktion, die selbst wiederum Ausübung von Staatsgewalt darstellt, aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, also solche des Grundgesetzes oder solche des einfachen öffentlichen Rechts, verpflichtet. Diese öffentlichrechtlichen Vorschriften werden in Teil 2 und Teil 3 der Arbeit ausführlich dargestellt, analysiert und diskutiert. Es gibt im positiven Recht zwei Formen von Partizipation, die jeweils unterschiedliche rechtliche Effekte zeitigen. Die erste Form betrifft das Innehaben der Staatsgewalt, indem alle Einzelnen als Volk durch Wahlen und Abstimmungen selbst und unmittelbar entscheiden.15 Die zweite Form betrifft die Teilhabe an der Staatsgewalt, die durch staatliche Institutionen ausgeübt wird. Hier trifft also die Institution die Entscheidung, Einzelne tragen zu ihr bei, indem sie angehört werden, sie Einwendungen vorbringen oder Widersprüche einlegen dürfen oder auch gegen sie klagen können. Direkte Demokratie erlaubt unmittelbare Gesetzgebung; Wahlen ermöglichen mittelbare Gesetzgebung durch die direkte Entscheidung über das politische Personal; Beteiligung in Verfahren zum Erlass von Rechtsverordnungen und in Planungsverfahren erlauben das Einbringen von Ideen und Wünschen, die der Staat zumindest anzuhören und in einigen Fällen auch zu berücksichtigen und in die Abwägung einzubeziehen hat. Beteiligung in Gerichtsverfahren zwingt den Staat ebenfalls zum Zuhören, er muss auf Antrag ein Verfahren eröffnen und zumindest einen Beschluss, wenn nicht sogar ein Urteil erlassen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Grade staatlicher Responsivität wird in der Literatur vielfach zwischen verschiedenen Formen der Beteiligung, etwa nach Anhörung, Beteiligung am Verfahren, Mitberatung, Mitentscheidung und Alleinentscheidung unterschieden.16

14  „Ausübung von Staatsgewalt, die demokratischer Legitimation bedarf, stellt […] alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter dar.“ St. Rspr. siehe nur BVerfGE 107, 59, 87; Robert Walter, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 147–178, 151 stellt auf die Teilhabe am Entscheidungsprozess der Verwaltung ab. 15  Bürger entscheiden aber auch als Schöffen unmittelbar, obgleich diese Beteiligungsform vom politischen Beteiligungsbegriff nicht erfasst wird. 16  So Robert Walter, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 147–178, 153 f. (mit näherer Beschreibung); Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 147–178, 183 ff., der zwischen Anhörung, Mitberatung, Mitentscheidung und Alleinentscheidung unter-

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Durch die Pflicht des Staates, auf die Beteiligung des Einzelnen zu reagieren, kehrt Partizipation das Verhältnis des Staates zum Einzelnen in Teilen um. Partizipation macht die Grenze zwischen Staat und Gesellschaft permeabel. Statt dass der Staat den Einzelnen verpflichtet, sei es durch Gesetze, durch Verwaltungsakte oder Gerichtsurteile, wird nunmehr der Staat in die Pflicht genommen. Die Inpflichtnahme des Staates kommt aus dem geltenden positiven Recht und lässt sich entweder zurückführen auf subjektive Rechte oder auf demokratische Verfahren. Subjektive Rechte geben dem Einzelnen einen Anspruch gegen den Staat. Demokratische Verfahren erlauben ebenfalls Einflussnahme auf die Ausübung staatlicher Akte. Alle vier Jahre bestimmt das Volk die Zusammensetzung des Bundestages. Demokratie erschöpft sich aber nicht in Wahlen. Da nur alle vier Jahre gewählt wird, erstreckt sich die Verpflichtung des Staates darauf, mit dem Einzelnen in eine Kommunikationsbeziehung zu treten und diesen nicht, wie es bei politischen Versammlungen möglich ist, einfach zu ignorieren. Aufgrund dieser staat­ lichen Verpflichtung wird die hier zugrunde gelegte Partizipation als „imperative Partizipation“ bezeichnet. Davon abzugrenzen sind nicht-imperative Beteiligungsformen, die den Staat nicht zu einer rechtsförmigen Reaktion zwingen und auf die der Einzelne dementsprechend keinen Anspruch hat. Runde Tische und ähnliches erfordern keine staatliche Reaktion und sind daher keine Partizipation im hier verstandenen Sinne. Auch die unter I. besprochenen sozialen Beteiligungsformen fallen aus dem Partizipationsbegriff heraus. Das Gleiche gilt für Demonstrationen, auch wenn die Versammlungsfreiheit zwingend notwendig für das demokratische Zusammenleben ist und sie zu „den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens“ gehört.17 Insgesamt ist Demokratie ohne Grundrechte nicht denkbar, da die Wahrnehmung von demokratischer Selbstbestimmung einen politischen Prozess benötigt, der durch die Grundrechte abgesichert wird.18 Demokratie und scheidet. Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 66 f. unterscheidet lediglich zwischen Mitwirkung und Mitentscheidung. 17  BVerfGE 69, 315 – Brokdorf, LS 1. Die Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische Gemeinwesen wurde auch im Zuge der „Corona-Krise“ intensiv diskutiert, s. Mario Martini/Bianca Thiessen/Jonas Ganter, Zwischen Vermummungsverbot und Maskengebot: Die Versammlungsfreiheit in Zeiten der CoronaPandemie, NJOZ 2020, S. 929–935; Berit Völzmann, Versammlungsfreiheit in Zeiten von Pandemien, DÖV 2020, S. 893–904; Hans Michael Heinig/Thorsten Kingreen/ Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Uwe Volkmann/Hinnerk Wißmann, Why Constitution Matters – Verfassungsrechtswissenschaft in Zeiten der Corona-Krise, JZ 2020, S.  861–872, 863 ff. 18  Christian Starck, Der demokratische Verfassungsstaat. Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen, 1995, S. 162  f.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, S. 625 f.



Kapitel 1: Imperative Partizipation53

Grundrechte sind aber voneinander zu unterscheiden. Grundrechte eröffnen Freiheitsräume und betreffen damit zunächst die Frage, ob und wieweit der Staat auf den Einzelnen einwirken darf, indem er in die Freiheitsräume eingreift. Grundrechte verpflichten also auch den Staat, aber nicht in der Weise, dass er auf die Einzelnen hören muss, sondern dass er sie gewähren lassen muss. Auch von der Versammlungsfreiheit erfasste Demonstrationen zwingen den Staat nicht zur Responsivität. Sie stellen weder legitimationsbedürftiges Handeln dar, da sie allein der gesellschaftlichen Sphäre zuzuordnen sind, noch führen sie zwangsläufig zu einem solchen Handeln: der Staat muss auf sie inhaltlich nicht reagieren. Demonstrationen spielen aus diesem Grunde keine Rolle für die Untersuchung imperativer Partizipation. Zuletzt fallen auch sog. Private-Public Partnerships aus dem Rahmen der Untersuchung. Zwar wird der Staat u. U. aufgrund von Verträgen zwischen ihm und privaten Vorhabenträgern zu einem bestimmten Handeln gezwungen, dies geschieht aber aufgrund einer Selbstverpflichtung, nämlich dem Vertrag, und nicht unmittelbar aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften.

B. Partizipationsakteure: Volk und Individuum Obwohl letztlich nur Individuen handeln und damit auch partizipieren können, sind Individuen oft eingebunden in Kollektive, die als Partizipa­ tionsakteure berufen sind. Partizipationsakteure existieren somit in zwei voneinander zu unterscheidenden Gestalten, kollektiven (I.) und individuellen (II.) Akteuren. I. Kollektive Partizipationsakteure Kollektive Partizipationsakteure lassen sich zum einen als Akteure, die Staatsgewalt selbst innehaben und ausüben, und zum anderen als Akteure, die Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt nehmen, begreifen. Zu der ersten Gruppe gehört das Volk (1.), zu der zweiten Gruppe gehören u. a. Parteien und Verbände (2.). Auch diese kollektiven Partizipationsakteure bestehen aus lauter Einzelpersonen. Diese können sich als Teil des Volkes unmittelbar beteiligen, in den anderen Gruppen findet hingen eine Mediatisierung statt, so dass es sich im zweiten Fall nicht um Partizipation im hier verstandenen Sinne handelt (3.). 1. Ausübung von Staatsgewalt: Das Volk Der Einzelne kann im Rahmen der kollektiven Partizipationsakteure Bundesvolk und Landesvolk unmittelbar Einfluss auf die Staatsgewalt nehmen.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Mit Volk meint das Grundgesetz das deutsche Volk, das prinzipiell alle Deutschen i. S. d. Art. 116 GG umfasst.19 Die Berechtigung, an Wahlen und Abstimmungen teilzuhaben, ist aber an gewisse Qualifikationen gebunden: so muss gem. § 12 BWahlG auf Bundesebene das 18. Lebensjahr vollendet worden sein und Auslandsdeutsche dürfen nur unter bestimmten, wenngleich inzwischen gelockerten20 Voraussetzungen wählen. Auf Kommunalebene ist umstritten, ob ein eigenständiges „Gemeinde­ volk“21 existiert oder es lediglich Volksteil ist.22 Der Ablehung eines „Gemeindevolks“ liegt ein strenges Verständnis des Demokratieprinzips zugrunde, nach dem es nur ein Bundesvolk sowie sechzehn Landesvölker gibt. Die Einwohner dürfen zwar ihre eigenen Angelegenheiten bestimmen und auch ihre Vertretung wählen, so wie es Art. 28 GG vorsieht, das mache die Einwohner aber nicht zu einem eigenständigen Gemeindevolk, sondern zu einem ver­fassungsrechtlich nicht relevanten Volksteil.23 Da Art. 28 GG ausdrücklich die demokratischen Grundsätze auf die Gemeinden und Gemeindeverbände überträgt, ist es aber gerechtfertigt, vom Gemeindevolk zu spre19  S. dazu Andreas Zimmermann/Jelena Bäumler, Art. 116 GG, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 4. 20  S. dazu Wessel Le Roux, Residence, Representative Democracy and the Voting Rights of Migrant Workers in Post-Apartheid South Africa and Post-Unification Germany (1990–2015), in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 175–200, 195 ff.; Claas Friedrich Germelmann, Das Wahlrecht von Auslandsdeutschen im Lichte globaler Kommunikations- und Aufenthaltsgewohnheiten, JURA 2014, S. 310–322. 21  BVerwG 10 C 11.14, Urteil v. 21. Januar 2015; Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301– 425, Rn. 99; Paul Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 40, spricht vom Kommunalvolk; Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 92 von „Verbandsvölker[n]“. 22  Matthias Jestaedt, Demokratische Legitimation – quo vadis?, JuS 2004, S. 649– 653, 650. 23  Hans Hugo Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 164–185, 184 f.; Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band, Allg. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 536; Georg-Christoph von Unruh, Demokratie und kommunale Selbstverwaltung, DÖV 1986, S. 217–224, 223: kein originärer „pouvoir municipal“; s. auch Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390; Sandra Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft, 2009, S. 98 ff.



Kapitel 1: Imperative Partizipation55

chen – auch wenn die diesem Streit zugrundliegenden Differenzen damit nicht als entschieden verstanden werden sollen.24 Zum Gemeindevolk gehören nach Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG auch die im Gemeindegebiet ansässigen EU-Staatsangehörigen, denen das Wahlrecht übertragen wird. Sie dürfen auch an Bürger­entscheiden, einer Erscheinungsform direkter Demokratie auf Kommunalebene, teilnehmen. 2. Einflussnahme auf Staatsgewalt: Weitere kollektive Partizipationsakteure? Neben dem Kollektiv „Volk“ kommen weitere kollektive Partizipationsakteure in Betracht, die anders als das Volk keine Staatsgewalt ausüben, aber Einfluss auf die Staatsgewalt nehmen. Da hier der Einzelne – verstanden als natürliche, nicht als juristische Person25 – mediatisiert wird, handelt es sich aber nicht um Partizipation im hier verstandenen Sinne. So werden anerkannte Naturschutz- und Umweltverbände oftmals als Beteiligungsakteure verstanden. Sie sind juristische Personen, die einen staatlichen Anerkennungsprozess durchlaufen. Diese spezielle Legitimation führt dazu, dass ihnen ein Verbandsklagerecht zuerkannt wird, das erstmals in den 1970er Jahren eingeführt wurde. § 29 BNatSchG a. F. ermächtigte den Landesgesetzgeber, für staatlich anerkannte Naturschutzverbände eine Klagemöglichkeit gegen Entscheidungen, die gegen Regelungen der Landschaftspflege und des Naturschutzes verstoßen, zu schaffen. 1979 machte Bremen als erstes Land davon Gebrauch.26 Seit 2002 sieht § 61 BNatSchG a. F. (jetzt § 64 BNatSchG), die naturschutzrechtliche Verbandsklage auch auf Bundesebene vor. Staatlich anerkannte Naturschutzverbände können somit gegen naturschutzrechtliche Befreiungen und Planfeststellungen mit Eingriffs­ wirkung gerichtlich vorgehen.27 Sie haben das Recht, ein „objektives Rechtsbeanstandungsverfahren“28 durchzuführen. Diesem Klagerecht ist ein 24  S. dazu

noch ausführlich unten S. 310 ff. Personen als eigene Kategorie fallen aus dieser Untersuchung he­ raus, weil sie sich zwar auf rechtlicher Ebene z. B. durch Klagerechte beteiligen dürfen, sie jedoch nicht Teil des demos sind. 26  Überblick bei Hans-Joachim Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, S. 369–379, 372 f. 27  S. aber den § 1 Abs. 3 UmwRG, der die Klagerechte naturschutzrechtlicher Vereinigungen nach § 64 BNatSchG für subsidiär gegenüber dem Klagerecht von Umweltverbänden nach dem UmwRG erklärt, soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder 2 unterfallen, Rechtsbehelfe nach dem UmwRG eröffnet sind. 28  Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 474. 25  Juristische

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Beteiligungsrecht im verwaltungsrechtlichen Verfahren nach § 63 BNatSchG vorgelagert, nach dem erweiterte Mitwirkungsrechte bestehen. Da nach §§ 2 und 3 UmwRG, welches Art 3 Abs. 9 der Aahus-Konvention umsetzt, ausländische Umweltverbände wie nationale Umweltverbände zu behandeln sind, steht auch diesen die Möglichkeit einer naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 BNatSchG zu.29 Das Modell der Verbandsbeteiligung auf Verwaltungs- und Gerichtsebene wurde seit 2002 aus dem Umweltschutz auf weitere Politikfelder übertragen. So sieht § 13 Behindertengleichstellungsgesetz Beteiligungs- und Verbandsklagerechte auf Verwaltungsverfahrensebene vor. Ebenso sieht das Verbraucherschutzrecht seit 2002 ein Verbandsklagerecht nach dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG) vor. Ebenso sind die Verbraucherschutzverbände seit 2013 berechtigt, gegen Kartellrechtsverstöße zu klagen (§ 33 Abs. 2 Nr. 2 GWB). Schließlich wurde 2016 zur Sicherung des Datenschutzes von der Bundesregierung eine Verbandsklage eingeführt.30 Auch auf Landesebene setzt sich die Verbandsklage durch: So sehen manche Tierschutzgesetze Verbandsklagen für anerkannte Tierschutzvereinigungen vor. Hier hat Bremen 2007 als erstes Bundesland die Möglichkeit von Verbandsklagen und speziellen Anhörungs- und Beteiligungsrechten in Gesetzesform gegossen.31 Auch politische Parteien werden als Beteiligungsakteure verstanden, so wird die Demokratie des Grundgesetzes gar als „Parteiendemokratie“ bezeichnet.32 Sie dienen vornehmlich der Organisation von Demokratie und stellen eine Brücke zwischen Staat und Gesellschaft dar.33 Parteien sind grundgesetzlich nach Art. 21 GG in besonderer Weise privilegiert und werden als zwingender Bestandteil einer repräsentativen Demokratie verstanden: So heißt es, dass das Volk als „amorphe Masse“ nicht handlungsfähig sei. Vielmehr bedürfe es, damit das Volk seine 29  Zur Frage und der Diskussion um eine Einschränkbarkeit des Verbandsklagerechts s. Dominik Steiger/Kajo Kramp, Grüne Liga gegen Tesla – Kann und soll das Verbandsklagerecht eingeschränkt werden?, ZUR 2020, S. 358–363. 30  BGBl. I 2016, 233. 31  Daneben sehen Baden-Württemberg (seit 2015), Hamburg (seit 2013), Nordrhein-Westfalen (seit 2013), Rheinland-Pfalz (seit 2014), Saarland (seit 2013) und Schleswig-Holstein (2014) ein Verbandsklagerecht vor. S. beispielhaft das Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW), GV NRW, 5. Juli 2013. 32  Vgl. Walter Leisner, Wählen nach „Interessen“, nicht nach Parteien – Demokratie nach realem Bürgerbedürfnis, NJW 2009, S. 1464–1467, 1464. 33  Hans Hugo Klein, Art. 21 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 159; Hartmut Maurer, Staatsrecht, 6. Aufl. 2010, § 11 Rn. 16.



Kapitel 1: Imperative Partizipation57 „organschaftliche Rolle im demokratische Legitimation vermittelnden Verfahren der Wahl wirksam wahrnehmen [kann], der Parteien als derjenigen Organisationen, die im Vorfeld der Wahl den politischen Willensbildungsprozess auf die Wahl hin strukturieren, indem sie die Vielzahl der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen und Interessen zu unterscheidbaren Alternativen zusammenfassen und bündeln und im nächsten Schritt Persönlichkeiten, die für diese Inhalte stehen, als Kandidaten für die Wahl präsentieren.“34

Weitere kollektive Beteiligungsakteure finden sich in der funktionalen Selbstverwaltung: Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden kommt ein spezieller, gesetzlich abgesicherter Status zu. Sie dürfen sich an staatlicher Gewaltausübung beteiligen und sogar mitentscheiden.35 Zwar werden hier Einzelne tätig, diese handeln aber gerade nicht als Einzelne, sondern als Repräsentanten eines Kollektivs.36 Die Beteiligung entspricht hier nicht der oben entwickelten Definition von imperativer Partizipation. Vielmehr tritt hier ein korporatives oder pluralistisches Beteiligungsverständnis zu Tage. Die meisten Selbstverwaltungseinheiten beruhen auf einem solchen repräsentativen Beteiligungsverständnis. Das gilt aber nicht für alle Selbstverwaltungseinheiten. Manche, etwa die Kammern der freien Berufe, sind grundsätzlich partizipativ ausgelegt: hier üben Individuen gemeinsam ihre Selbstbestimmung aus. Für spezielle Rechtsverordnungen sehen manche der zu ihrem Erlass ermächtigenden Gesetze vor, dass sogenannte „beteiligte Kreise“ zu hören sind.37 Hier gibt es anders als beim Volk oder beim Umweltverband keine klar definierte Gruppe kollektiver Beteiligungsakteure. Diejenigen, die beteiligt werden, werden als Repräsentanten des Kreises gehört. In den Bundestagsausschüssen finden nach § 70 der Geschäftsordnung des Bundestages Anhörungen von Interessensvertretern statt. Nach § 62 Abs. 2 i. V. m. § 47 Abs. 3 GGO sind Zentral- und Gesamtverbände in die Rechtsverordnungsgebung einzubinden. Zeitpunkt, Umfang und Einfluss der Beteiligung sowie die Auswahl der Beteiligten bleiben aber nach § 47 Abs. 3 S. 2 GGO dem Ermessen des federführenden Bundesministeriums überlassen. Außerdem ist 34  Hans Hugo Klein, Art. 21 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 159. 35  S. dazu überaus kritisch Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993 und Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004. 36  Ausnahmsweise geschieht dies auch bei der Anhörung „beteiligter Kreise“ vor dem Erlass von Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung nach § 23 WHG. Hier werden nach § 23 Abs. 2 WHG auch Betroffene angehört in repräsentativer Weise, es werden „Vertreter der Betroffenen“ gehört, wobei die Bundesregierung ein weites Ermessen bei der Auswahl verfügt, s. S. 163 ff. 37  Siehe z. B. § 68 KrWG; § 17 Abs. 7 ChemG; § 20 BBodSchG; § 7 Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

die Norm eine des Innenrechts,38 so dass sich die zu Beteiligenden nicht auf sie berufen können.39 Hier existieren also keine Partizipationsrechte des Einzelnen. Stattdessen besteht eine rudimentäre Verpflichtung, Verbänden Einfluss zu ermöglichen.40 Diese Form der Partizipation fällt ebenfalls aus dem Begriff der imperativen Partizipation heraus. 3. Der Einzelne als Nukleus des Kollektivs Obgleich kollektive Akteure einen zunehmenden Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt nehmen und der Ausbau des Verbandsklagerechts eine entsprechende rechtliche Verstetigung bezeugt, liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Partizipation natürlicher Personen. Von den kollektiven Akteuren findet v. a., wenngleich nicht ausschließlich, das Volk Berücksichtigung. Zwar bestehen alle kollektiven Partizipationsakteure aus Einzelpersonen, der Einzelne ist der Nukleus jeden Kollektivs. Allerdings können sich die Einzelnen nur als Teil des Volkes unmittelbar beteiligen, in den anderen Gruppen findet hingegen eine Mediatisierung des Einzelnen statt. Naturschutzverbände, Parteien, Gewerkschaften etc. werden daher nur am Rande in die Untersuchung mit einbezogen. Sachlich findet diese Begrenzung ihre Begründung in dem Umstand, dass der partizipative Staat, nicht der korporative oder der pluralistische Staat Thema dieser Arbeit ist. Zudem geht alle Staatsgewalt vom Volke aus, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG. Andere Kollektive besitzen nicht in annähernd vergleichbarer Weise eine die Staatsgewalt legitimierende Kraft. Selbstverständlich kommt Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden etc. eine wichtige, nicht zu unterschätzende und faktisch starke und einflussreiche Stellung im Gesellschaftssystem der Bundesrepublik zu. Sie wirken auch in das staatliche Gefüge hinein. Der Geltungsanspruch dieser Kollektive in grundrechtlicher Hinsicht wurzelt aber lediglich in Art. 9 GG und ggf. Art. 12 und 14 GG und ist in demokratischer Hinsicht, abgesehen von den Parteien nach Art. 21 GG, nicht in spezieller und ausdrücklicher Weise im Grundgesetz normiert. Im Rahmen der Diskussion funktionaler Selbstverwaltung wird aber Partizipation von und durch Verbände eine Rolle spielen. Funktionale Selbstverwaltung stellt in vielen Fällen eine Mischform von Beteiligung individueller und kollektiver Akteure dar, so dass zwangsläufig die kollektiven Akteure – sowie die Stellung von 38  Volker Epping, Art. 65 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 19.3: „Verwaltungsvorschrift“. 39  Das Gleiche gilt auch für Gesetzesinitiativen. Dies ergibt sich aus § 47 Abs. 3 GGO II ohne den Verweis aus § 62 Abs. 2 GGO II. 40  Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung (§ 103), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, S. 261–303, Rn. 70.



Kapitel 1: Imperative Partizipation59

Individuen in ihr – eine stärkere Berücksichtigung in der vorliegenden Arbeit finden werden. Der entscheidende kollektive Akteur wird aber immer das Volk bleiben. II. Individuelle Partizipationsakteure Neben den kollektiven Partizipationsakteuren existieren individuelle Partizipationsakteure. Zwar werden Individuen auch dann tätig, wenn ein Kollektiv handelt. Das Kollektiv ist aber darauf angewiesen, dass Individuen – also natürliche Personen – handeln, denn ein Kollektiv kann als solches gar nicht handeln. Individuelle Partizipationsakteure hingegen können alleine handeln. Klassischerweise findet individuelle Partizipation in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren statt. So dürfen sich Individuen z. B. in Planungsverfahren einbringen. Dafür müssen sie Teil der Öffentlichkeit oder der betroffenen Öffentlichkeit sein. Die (betroffene) Öffentlichkeit stellt keinen kollektiven Partizipationsakteur dar, da sie nicht selbst handeln kann. Die Begriffe umschreiben vielmehr, welcher Einzelne sich beteiligen darf. Öffentlichkeit und betroffene Öffentlichkeit sind weit formulierte Begriffe, die nahezu alle Personen erfassen.41 Eine Differenzierung zwischen Ausländern und Deutschen wird nicht vorgenommen. Inhaber subjektiver Rechte, die unter Umständen durch drohendes Verwaltungshandeln verletzt sein können, müssen immer gehört werden. Diejenigen, die in ihren subjektiven Rechten betroffen sind, dürfen überdies klagen. Eine besondere Form individueller Beteiligung sind Expertenanhörungen, so in den Bundestagsausschüssen nach § 70 der Geschäftsordnung des Bundestages. Auch die Verwaltung, z. B. bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe,42 und die Gerichte, wie in der Beweisaufnahme nach § 96 VwGO, können auf Experten zurückgreifen. Beteiligung von Experten ist jedoch keine Beteiligung im hier verstandenen Sinne: zwar sind Experten Individuen, die nicht als Teil des Staates tätig werden, es mag zwar keine Pflicht geben, Experten anzuhören, aber kein entsprechendes Recht des Einzelnen, angehört zu werden. Zudem ist Expertenbeteiligung exklusiv, da nur wenige beteiligt werden, die aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten ausgesucht werden. Demokratie ist aber inklusiv, sie ist auf Gleichheit bedacht und nimmt gerade keine Rücksicht auf besondere Fähigkeiten.43 Auch in Gerichtsverfahren hat höchstens ein Verfahrensbeteiligter das Recht auf eine Anhörung des Experten, nicht aber der Experte selbst. 41  S. dazu

ausführlich unten S. 88 ff. Münkler, Expertokratie, 2020, S. 256. 43  Zu diesem Spannungsfeld von bestmöglich informierten Entscheidungen und demokratischer Legitimation s. Laura Münkler, Expertokratie, 2020. 42  Laura

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Beliehene fallen ebenso aus der Untersuchung heraus: zwar üben sie Staatsgewalt aus und sind daher auf den ersten Blick von der Definition imperativer Partizipation erfasst. Weil der Staat sie aber dauerhaft mit Befugnissen staatlicher Verwaltung ausstattet und der Einzelne ähnlich einem Experten besondere Sachkunde aufweisen muss,44 sind sie in persönlicher Hinsicht so stark in die staatliche Verwaltung eingebunden, dass ihr Handeln nicht mehr als partizipativ verstanden werden kann. Etwas Anderes gilt für Schöffen, die als natürliche Personen, die vorübergehend an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligt sind, unter die Definition der imperativen Partizipation fallen. Von diesem Partizipationsbegriff, der auf die rechtsförmige Teilhabe Einzelner – entweder als Teil des Kollektivs Volk oder als Einzelner – an der Ausübung von legitimationsbedürftiger Staatsgewalt abstellt, ausgehend, kann nun in einem nächsten Schritt das Augenmerk auf die Funktionen von Partizipation gelenkt werden.

C. Funktionen imperativer Partizipation: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität Welche Akteure mit welchem Einfluss partizipieren können, wird im Wesentlichen von den Funktionen von Partizipation bestimmt. Partizipation sichert Rechtsstaatlichkeit (I.), ermöglicht Demokratie (II.) und hilft bei der Erreichung effektiver Funktionalität staatlicher Gewaltenteilung (III.). I. Rechtsstaatlichkeit: Individuelle Selbstbestimmung durch Schutz von Grund- und Menschenrechten Das hier zugrunde gelegte Verständnis von Rechtsstaatlichkeit folgt einem materiellen und keinem rein formellen Rechtsstaatsbegriff.45 Es umfasst damit auch und gerade die Grundrechte. Damit schützt Rechtsstaatlichkeit individuelle Selbstbestimmung und dient ihrer Verwirklichung. Insbesondere der 44  Wilfried Erbguth/Annette Guckelberger, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage 2020, § 6 Rn. 22. 45  S. Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (§ 26), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 541–611, Rn. 18, Joseph Raz, The Authority of Law: Essays on Law and Morality, 1979; Jeremy Waldron, Is the Rule of Law an Essentially Contested Concept (in Florida)?, 21 Law and Philosophy 2002, S. 137. S. allgemein zum Rechtsstaatsprinzip Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986; Katharina Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, 1997; Carsten Bäcker, Gerechtigkeit im Rechtsstaat, 2015.



Kapitel 1: Imperative Partizipation61

Schutzzweck der Grundrechte ist die Sicherung und Wahrung individueller Selbstbestimmung.46 Diesen Schutz individueller Selbstbestimmung trägt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sogar schon im Namen.47 Auch formelle Inhalte, wie etwa Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, dienen dem Schutz des Einzelnen und seiner individuellen (Grund-)Rechte: ohne Gesetz ist kein staatlicher Eingriff in individuelle Selbstbestimmung zulässig. Nicht nur die Eingriffsperspektive deutet auf den Schutzcharakter des Rechtsstaatsprinzips hin. Individuelle Selbstbestimmung findet zunächst unabhängig vom Staat statt. Im modernen Staat, dessen rechtliche Regelungen bis in die Details des persönlichen Lebens reichen können, kommt der Einzelne aber in vielen Fällen nicht ohne staatliche Hilfe zum Schutz seiner individuellen Selbstbestimmung aus. So ist es zwar die freie Entscheidung des Einzelnen X, ob und wann er die Sonnenstunden auf der Terrasse des eignen Hauses nutzt. Wird aber X (unrechtmäßig) inhaftiert oder baut der Nachbar von X einen Schwarzbau, der der Terrasse das Licht nimmt, so kann X das Sonnenlicht auf seiner Terrasse nicht mehr nutzen. Um die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu schützen und wiederherzustellen, sieht der Staat Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vor. Im Fall der Rechtwidrigkeit des staatlichen bzw. privaten Handelns wird die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen durch Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geschützt und wiederhergestellt. Im Beispielsfall wird X also gegebenenfalls freigelassen bzw. der Nachbar verpflichtet, den Schwarzbau zurückzubauen. Dies zeigt, dass individuelle Selbstbestimmung nicht immer nur auf einem individuellen Selbstbestimmungsakt beruht, sondern eingebunden ist in einen sozialen und rechtlichen Kontext. Es bedarf in vielen Fällen des Staates, um individuelle Selbstbestimmung zu sichern.48 Hinzu kommt, dass wie im Beispielsfall der Staat vielfach die individuelle Selbstbestimmung des einen sichert, indem er in die individuelle Selbstbestimmung des anderen eingreift. Die Sicherung individueller Selbstbestimmung durch staatliche Handlungen betrifft dabei dennoch nicht nur denjeni46  BVerfGE 33, 125, 158, s. zur Frage des Schutzzwecks auch Ulrich Jan Schröder, Der Schutzbereich der Grundrechte, JA 2016, S. 641–648, 643 f. 47  BVerfGE 65, 1. S. dazu Spiros Simitis, Die informationelle Selbstbestimmung – Grundbedingung einer verfassungskonformen Informationsordnung, NJW 1984, S. 398–405; Klaus Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987; Helmut Bäumler, Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht (Kapitel J), in: Hans Lisken/Erhard Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, S. 735–912, Rn. 45 ff.; Marion Albers, Informationelle Selbstbestimmung, 2005. 48  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 12, 17.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

gen, der sich hilfesuchend an den Staat wendet, sondern auch denjenigen, in dessen individuelle Selbstbestimmung scheinbar nur eingegriffen wird, ohne sie zu schützen. Letztlich dient auch der Eingriff in die individuelle Selbstbestimmung des Inhaftierten oder des Schwarzbauers, der Sicherung von dessen individueller Selbstbestimmung. Denn auch wenn individuelle Selbstbestimmung zunächst unabhängig vom Staat stattfindet, kann sie letztlich nur im Rahmen des Rechts bestehen. Überschreitet der Einzelne seinen Rechtsrahmen und wird er durch den staatlichen Eingriff in seinen rechtlichen Rahmen zurückgedrängt, so sichert der Staat individuelle Selbstbestimmung und zwar in dem rechtlich vorgesehenen Maße. Der Staat greift nur insoweit in die Rechte des Einzelnen ein, wie es die Abwehrrechte, die der Sicherung der individuellen Selbstbestimmung des Einzelnen dienen, erlauben. Auf diesen Schutz hat man einen gesetzlichen Anspruch, der dazu dient, das ­eigene subjektive Recht und die eigene individuelle Selbstbestimmung zu sichern und wiederherzustellen. Rechtsstaatlichkeit ist daher ein Rechtsprinzip, das den Einzelnen, seine Selbstbestimmung und seine Rechte vor dem Staat und auch vor Dritten schützt. Dem Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten dient Partizipation somit dann, wenn sie auf die Sicherung individueller Rechte gerichtet ist. Dieses Verständnis kam schon im Bundesimmissionsschutzgesetz von 1974 zum Ausdruck.49 Spätestens seit der Mühlheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1979 ist anerkannt, dass auch der Schutz individueller Rechte eine der Funktionen von Beteiligung ist.50 Dies beruht auf der Einsicht, dass durch Beteiligungsrechte Artikulationsmöglichkeiten geschaffen werden, „um so ‚privilegierte Mitwirkungsbefugnisse‘ der Majorität auszugleichen und zu beschränken“.51 Heute lässt sich daher mit Gewissheit sagen, dass wesentliche Funktionen von Partizipation in dem rechtsstaat­lichen Aspekt der Gewährleistung eines (präventiven) vorhabenbezogenen Grundrechtsschutzes,52 ebenso in der Gewährleistung eines fairen Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 181. 53, 30, 65 f.; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 198, „Markstein in der Diskussion um prozedurale Teilhaberechte“; und „einstweiliger Höhepunkt der Judikatur zur verfahrensrechtlichen Relevanz der Grundrechte“; s. auch Konrad Redeker, Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, S. 1593–1598, 1594; Hans-Werner Laubinger, Grundrechtsschutz durch Gestaltung des Verwaltungsverfahrens, VerwArch 73 (1982), S. 60–85, 62. 51  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 245  f.; ebenso Reinhard Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977, S. 34. 52  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 68; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 834; Willi Blümel, 49  Andreas

50  BVerfGE



Kapitel 1: Imperative Partizipation63

Verfahrens53 und in der Herstellung von Waffengleichheit54 bestehen. Waffengleichheit ist deshalb eine wesentliche Gelingensbedingung von Partizipation, weil die Vorhabenträger grundsätzlich eine besonders starke Position innehaben.55 Die rechtsstaatliche Funktion der Partizipation wird vornehmlich durch die Verwaltung erfüllt, ebenso durch die Judikative. Partizipation bezweckt die Wahrung individueller Rechte, also die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Partizipation dient folglich der Sicherung individueller Selbstbestimmung, die in Art. 1 Abs. 1 GG, der Menschenwürdegarantie, ihren entscheidenden Ausdruck findet.56 II. Demokratieprinzip: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Ebenso wie die Menschenwürdegarantie Basis individueller Selbstbestimmung ist, ist die Menschenwürdegarantie auch die Basis von Demokratie und kollektiver Selbstbestimmung. Demokratie dient, erlaubt und ermöglicht kollektive Selbstbestimmung.57 So führt u. a. das Bundesverfassungsgericht Demokratie auf Selbstbestimmung zurück,58 die Literatur folgt ihm Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung, in: ders. (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 23–91, 25 f.; s. ferner Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43–141. 53  Julia Stender-Vorwachs, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, NVwZ 2012, S. 1061–1066, 1063; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 15. S. auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Due Process und Grundrechtsschutz durch Verfahren. Eine vergleichende Untersuchung zum amerikanischen und deutschen Verwaltungsverfahrensrecht, AöR 142 (2017), S. 325–365. 54  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 15; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362. „Ausgleichsfunktion“. 55  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369. 56  Vgl. Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 31; Astrid Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, 1999, S. 91, 99. 57  Vgl. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 208 ff. 58  Im SRP-Urteil spricht das Bundesverfassungsgericht von der Selbstbestimmung des Volkes und nicht „aller“, BVerfGE 2, 1, LS 2 und S. 12, ebenso in BVerfGE 123, 267, 34 – Lissabon. Anders wiederum in BVerfGE 107, 59, 62 – Lippeverband, dort spricht es von „Selbstbestimmung aller.“ In BVerfGE 33, 125, 159 – Facharzt, spricht es von Autonomie, da der Beschluss auch die funktionale Selbstverwaltung zum Gegenstand hatte.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

dabei.59 Anders als individuelle Selbstbestimmung, die zwar auch des Staates zu ihrer Sicherung bedarf, aber auch ohne den Staat denkbar ist, kann kollektive Selbstbestimmung als demokratische Selbstbestimmung nur im Staat und mit Hilfe staatlicher Verfahren durch Partizipation wahrgenommen werden.60 Partizipation dient daher nicht nur der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit, sondern auch der Ermöglichung von Demokratie und damit kollektiver Selbstbestimmung. Dies ist ihre zweite Funktion. Eine deutlich demokratisch fundierte Funktion kommt Wahlen und Abstimmungen zu. Dies zeigt schon Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, nach dem alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, dass Demokratie die „freie Selbstbestimmung aller Bürger“61 gewährleiste. 59  Helmut Steinberger, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1990), S. 9–55, 23: „Hinter der Idee der Volkssouveränität steht die Idee der freien Selbstbestimmung der einzelnen Menschen; ihr Konsens ist es, durch den Herrschaftsgewalt moralisch wie rechtlich legitimiert werden soll.“ „[D]ie Postulate einer normativ-komplexen Demokratietheorie [sind] Abbau unnötiger Schranken menschlicher Selbstentfaltung und Auswertung des Raums individueller und kollektiver Selbstbestimmung.“; Edith Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, 1982, S. 150; Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179– 265, 189: „Diese Intentionen [von Partizipation] lassen sich zwanglos mit den wichtigsten Grundprinzipien unserer Verfassung synchronisieren. Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung des Bürgers gehören ebenso zum Demokratiegebot wie Kontrolle und Verteilung von Herrschaft.“ Auch in der Formulierung „Neben die grundrechtliche Freiheitsidee, deren Sicherung sich eine vorrangig individualrechtlich bestimmte verwaltungsrechtliche Dogmatik bisher schon erfolgreich gewidmet hat, tritt die demokratische Freiheitsidee gemeinsamer Willensformung und Teilhabesicherung“, Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 331, kommt der Gedanke kollektiver Selbstbestimmung zum Ausdruck. Auf S. 335 spricht Schmidt-Aßmann dann jeweils von Selbstbestimmung, die er als „Kern“ bzw. „Baugesetz“ von Rechtsstaats- bzw. Demokratieprinzip beschreibt. Ebenso Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 14: „Dass sich grundrechtliche und demokratische Freiheit in diesem Sinne ergänzen, rechtfertigt sich daraus, dass beide Formen der Freiheit nur Ausprägungen des einheitlichen staats- und verfassungstheoretischen Prinzips der Selbstbestimmung bilden, welchen auch dem Grundgesetz zugrundeliegt.“, s. auch ebd., S. 203. Vgl. Christian Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee (§ 29), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 1987, S. 3–27. 60  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S.  17. Aus philosophischer Sicht s. zu Fragen der Selbstbestimmung Julian Nida-Rümelin, Kollektive Selbstbestimmung, in: Jan-Christoph Heilinger/Colin Guthrie King/Héctor Wittwer (Hrsg.), Individualität und Selbstbestimmung, Festschrift für Volker Gerhardt, 2009, S. 192– 203; ders., Utopie zwischen Rationalismus und Pragmatismus, in: ders./Klaus Kufeld (Hrsg.), Gegenwart der Utopie: Zeitkritik und Denkwende, 2011, S. 26–45, 41 ff.; Volker Gerhardt, Selbstbestimmung: Das Prinzip der Individualität, 1999. 61  BVerfGE 44, 125, 142.



Kapitel 1: Imperative Partizipation65

Demokratische Entscheidungen und Verfahren62 ermöglichen kollektive Selbstbestimmung.63 Ebenso lässt sich auf der Ebene des Verwaltungsrechts Beteiligung demokratisch verstehen. Ganz allgemein wird die „Stärkung demokratischer Teilhabe“ als Zweck von Beteiligung genannt.64 Danach macht schon allein die Teilhabe an der Staatsgewalt Partizipation zu einem Bestandteil von Demokratie.65 Für diese demokratische Begründung, die innerhalb der deutschen rechtswissenschaftlichen Dogmatik, die vor allem in „Legitimationsketten“ denkt und damit die Rückführbarkeit staatlicher Gewalt auf den Wahlakt als wesentliches demokratisches Merkmal versteht,66 keineswegs unumstritten ist,67 lassen sich fünf unterschiedliche Gründe anführen. Für die demokratische Fundierung der imperativen Partizipation spricht zunächst das deliberative Element von Partizipation, das dazu beiträgt, den Staat an das Volk rückzubinden und einen Interessenausgleich zu erreichen (1.). Des Weiteren zeugen der edukative und integrative Effekt von Partizipation auf die Öffentlichkeit (2.), die durch Partizipation geförderte Responsivität staatlicher Stellen (3.), die Stärkung des Verantwortungszu62  Christian Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit. Grundlagen und Grenzen des demokratischen Majoritätsprinzips, AöR 127 (2002), S. 460–473, 467 spricht von der Demokratie als „verfahrensrechtliches Formprinzip, das keine inhaltlichen Vor­ gaben enthält wie der Rechtsstaat“; Albert Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, 1998, S. 140: „[D]as Demokratieprinzip [stellt] einen äusserst wichtigen Verfahrensgrundatz dar.“; ebenso Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 141 „Verfahren legitimer Rechtsetzung“; dagegen Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, S. 622 ff., der vor allem auf die inhaltliche Verbindung zum Rechtsstaatsprinzip, den Grundrechten und zur wehrhaften Demokratie abstellt. 63  S. auch Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 602 ff. 64  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Wolfgang Hoffmann-Riem, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts  – Perspektiven der Systembildung, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann, Strukturen des Europäischen Verwaltungsrechts, 1999, S. 317–382, 377; Getrude Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S.  246–287, 279 ff.; Helge Rossen-Stadtfeld, Beteiligung, Partizipation und Öffentlichkeit, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2013, S. 663–730, Rn. 1: „Anliegen demokratischer Optimierung“; s. auch Arnd Schmehl, „Mitsprache 21“ als Lehre aus „Stuttgart 21“?, in: Veith Mehde/Ulrich Ramsauer/Margrit Seckelmann (Hrsg.), Staat, Verwaltung, Information, Festschrift für Hans Peter Bull zum 75. Geburtstag, 2011, S. 347–364, 353 f. 65  Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 68. 66  S. dazu ausführlich unten S. 149 ff. 67  Vgl. ausführlich Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  198 ff.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

sammenhangs (4.) sowie die Steigerung der Akzeptanz staatlicher Verfahren (5.) vom demokratischen Aspekt von Partizipation. 1. Deliberation und Partizipation Partizipation kann einerseits durch Wahlen stattfinden, andererseits auch durch Diskurs und Deliberation.68 Deliberation ist ein demokratisches Wesensmerkmal. Demokratie stellt einen offenen Prozess dar.69 Durch deliberative Partizipation wird die Staatsgewalt in einem offenen Prozess an die Gesellschaft zurückgebunden.70 Deliberation erlaubt dabei im Idealfall einen Ausgleich von Interessen.71 Der Interessenausgleich beruht nach dem dis­ kursethischen Idealbild auf einer Transformation und damit einer Angleichung der Interessen der verschiedenen Akteure.72

68  Andreas Fisahn, Abgeleitete Demokratie, KritV 1996, S. 267–281, 278 ff.; vgl. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 349 ff.; Niels Petersen, Demokratie und Grundgesetz – Veränderungen des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 2 GG angesichts der Herausforderungen moderner Staatlichkeit, JöR 58 (2010), S. 137–171, 165 ff.; Hubert Heinelt, Governing Modern Societies. Towards Participatory Governance, 2010, S. 8; Jon Elster (Hrsg.), Deliberative Democracy, 1998; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 336 f.; Susan Wickrath, Bürgerbeteiligung im Recht der Raumordnung, 1992, S. 16 f. 69  Gerd Roellecke, Art. 20 GG, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hrsg.), Grundgesetz. Mitarbeiterkommentar, Band I, 2002, Rn. 156. 70  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  334. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Demokratieverständnis stark auf die Kommunikationsbeziehung zwischen Bürgern und Staat ab, s. zuletzt BVerfG, 7. September 2013 – 2 BvR 2436/10 2 BvE 6/08, LS 1; Gunnar Folke Schuppert, Bürgerinitiativen als Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen. Verfassungstheoretische Aspekte politischer Beteiligung, AöR 102 (1977), S. 369–409, 394 ff. Schuppert stellt auf den Kommunikationsvorgang ab, der sich nicht nur im Wahlakt erschöpfen könne, und es gehe um die Lebendighaltung des politischen Prozesses, Schuppert will aber nur Mitwirkung, aber „keine Okkupation von Entscheidungsmacht“. Dies firmiert auch unter Emanzipationsfunktion, Reinhard Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977, S. 21 ff. 71  Vgl. Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  213 ff. 72  S. dazu Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 1981; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 12, spricht sogar von „transzendieren“; vgl. auch Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 349 ff.; J. Joshua Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: Alan P. Hamlin/Philip Pettit (Hrsg.), The Good Polity, 1989, S. 17–34; David Miller, Deliberative Democracy and Social Choice, in: David Held (Hrsg.), Prospects for Democracy, 1993, S. 74–92.



Kapitel 1: Imperative Partizipation67

Das Abstellen auf Interessen hebt die Bedeutung von Deliberation für die Demokratie hervor. In einem Rechtsstaat sind nämlich Rechte besonders geschützt. Sie sind einklagbar und werden in ihrer einfach-gesetzlichen Form zwar demokratisch bestimmt, sind ansonsten aber dem Rechtsstaat zuzuordnen. Interessen hingegen gehen über diesen engen rechtsstaatlichen Bereich hinaus, sie gehen weiter als Rechte und sind nicht mehr durch das Rechtsstaatsprinzip geschützt. Hier greift nun das Demokratieprinzip, das individuelle Interessen und ihre Zusammenführung, ihren Ausgleich, ihre Transformation oder zumindest ihre Aggregation schützt, da so erst kollektive Selbstbestimmung ermöglicht wird. 2. Edukativer und integrativer Effekt Durch Möglichkeiten der Teilhabe kann es zu einer verstärkten Beschäftigung mit bestimmten Sachfragen kommen. Den edukativen Effekt von Beteiligung hob schon Alexis de Tocqueville in Bezug auf Gerichtsverfahren durch Jurys hervor: „Je ne sais si le jury est utile à ceux qui ont des procès, mais je suis sûr qu’il est très utile à ceux qui les jugent. Je le regarde comme l’un des moyens les plus efficaces dont puisse se servir la société pour l’éducation du peuple.“73

Teilhabe durch die Beschäftigung mit Sachfragen auf Legislativ- und Exekutivebene wirkt über den edukativen Effekt hinaus. Sie kann auch integrativ und identitätsstiftend wirken, wenn man sich zusammen mit anderen den Sachfragen widmet. Als demokratisch ist dies zu verstehen, da durch Partizipation der Einzelne in die rem publicam involviert und integriert wird:74 Es geht um die „einheitsstiftende und gemeinschaftsbildende Funktion und Stärkung der Loyalität und Solidarität gegenüber dem Gemeinwesen“.75 So nimmt sich der Einzelne verstärkt als Teil des Staates wahr.76 73  Alexis de Tocqueville, De la démocratie en Amérique, Tome II (1840), Chapitre VIII. 74  Integrationsfunktion bei Ulrich Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, 1992, S. 101, stellt auf „einheitsstiftende, gemeinschaftsbildende und die Loyalität gegenüber dem Gemeinwesen stärkende Wirkung“ ab, m. w. N.; Reinhard Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977, S. 39 f.; s. auch Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362, der ebenfalls eine Integrationsfunktion von Partizipation erwähnt: danach sollen Bürger integriert werden, um „eine Grundlage für die Zustimmung zum Vorhaben zu sichern.“ 75  Jörg Schoeneberg, Bürger- und Verbandsbeteiligung bei der Landesplanung, UPR 1985, S. 39–45, 39. 76  Michael E. McLachlan, Democratizing the Administrative Process: Toward Increased Responsiveness, Arizona Law Review 1971, S. 835–856, 851.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

3. Responsivität Demokratie bedeutet auch, dass Zugang zum und Einfluss auf den Staat zumindest für alle Staatsbürger geschaffen werden soll.77 Damit ist das ebenfalls auf Deliberation und Rückbindung beruhende Prinzip der Responsivität angesprochen. Das Prinzip der Responsivität verlangt, dass der Staat dem Einzelnen zuhört, auf ihn eingeht und das Gehörte berücksichtigt. Dass der Staat responsiv ist, ist für die Ermöglichung von kollektiver Selbstbestimmung insbesondere deshalb wichtig, weil sichergestellt wird, dass auch Stimmen gehört werden, die ansonsten in der Politik nicht repräsentiert sind. Dass die möglichst intensive Involvierung der Öffentlichkeit in staatlichen Entscheidungsprozessen und die angemessene Berücksichtigung der Äußerungen der Öffentlichkeit der Ermöglichung von Demokratie dienen,78 zeigt auch die Aarhus-Konvention. Diese in Deutschland durch das Umweltinformationsgesetz79, das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz80 und das Umweltrechtsbehelfsgesetz81 umgesetzte Konvention stellt ganz wesentlich auf eine möglichst weite Öffentlichkeitsbeteiligung schon im Verwaltungsverfahren und auch im Gerichtsverfahren ab und betont, dass die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung „angemessen berücksichtigt“ werden müssen. Zu Recht wird in den Erwägungsgründen explizit darauf hingewiesen, dass „die Durchführung dieses Übereinkommens zur Stärkung der Demokratie […] beitragen wird“. 4. Verantwortungszusammenhang Der Verantwortungszusammenhang zwischen Staatsgewalt und Gesellschaft wird gestärkt, wenn der Staat den Bürgern antworten muss und eine Rückbindung an diese erfolgt. Zwar dienen dieser Rückbindung grundsätzlich bereits Wahlen, die aber auf Bundesebene nur alle vier Jahre, auf Landesebene immerhin alle fünf Jahre82 stattfinden, weshalb die Rückbindung 77  Karin P. Sheldon, Public Interest Law: A Step Toward Social Balance, Arizona Law Review 1971, S. 818–834, 819. 78  S. auch Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 85 ff. zum demokratischen Charakter von Mitwirkungsrechten. Ablehnend allerdings Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 60 ff. 79  BGBl. I 2004, S. 3704, zuletzt geändert durch Artikel 2 Gesetz von 25. Februar 2021, BGBl. I S. 306. 80  BGBl. I 2006, S. 2819. 81  BGBl. I 2013, S. 753. 82  Nachdem 2013 in Hamburg die Wahlperiode auf fünf Jahre verlängert wurde, ist Bremen das einzige Bundesland mit einer vierjährigen Wahlperiode. Ein Volksentscheid über die Verlängerung der Wahlperiode der Bremer Bürgerschaft auf fünf Jahre scheiterte im Jahr 2017.



Kapitel 1: Imperative Partizipation69

relativ schwach ist.83 Deshalb betont das Bundesverfassungsgericht, dass die Bürger auch zwischen den Wahlen das Staatshandeln beeinflussen können müssen.84 So übernimmt der Einzelne Verantwortung, die ein prägendes Merkmal von Demokratie ist.85 Beteiligung dient damit auch der (demokratischen) Kontrolle des Staates durch die Bürger.86 Voraussetzung für eine Stärkung des Verantwortungszusammenhangs ist die Schaffung von Transparenz, die auch demokratisch fundiert ist.87 5. Akzeptanzsteigerung als auch demokratisches Merkmal Schließlich soll durch Partizipation die Akzeptanz bestimmter Vorhaben in der Öffentlichkeit gesteigert werden.88 Die Schwierigkeit der Einordnung von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 70 ff. 20, 56, 98. 85  Stephan Smith, Konfliktlösung im demokratischen Bundesstaat, 2011, S. 353; Rudolf Dolzer, Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat – Entwicklungsstand und Reformbedarf, VVDStRL 58 (1999), S. 7–38, 30 f.; Paul Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: Michael Brenner/Peter M. Huber/ Markus Möstl (Hrsg.), Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 237–262, 250; BVerfGE 89, 155, 185; 5, 85, 135, 198, 205; 69, 315, 344 ff. 86  Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 511; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 211 f., 245; Ulrich Battis, Partizipation im Städtebaurecht, 1976, S. 198 ff. Dies betont auch Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 6, der aber einer demokratischen Legitimationsfunktion ablehnend gegenübersteht; Alfred G. Debus, Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung am Beispiel des Erörterungstermins, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.). Dokumentation zur 32. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. Leipzig 2008, 2009, S. 185–203, 190 bejaht zwar die Kontrollfunktion, aber nicht die Demokratiefunktion, S. 193; Andreas Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, S. 97; Karl-Ulrich Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip. Problemstudie zu einer legitimationsorientierten Theorie der politischen Kontrolle in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1982, S. 201: „Kontrolle [wird] im demokratischen Legitimationszusammenhang zum Ersatz für das utopische Ideal der Selbstentscheidung.“; Harald Ginzky, § 85 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 1. 87  Jürgen Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip, 2004, S. 41 ff.; Stephan Smith, Konfliktlösung im demokratischen Bundesstaat, 2011, S. 351 m. w. N. 88  Siehe nur Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Planvereinheitlichungsgesetz, Drs. 17/9666, S. 1; Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das 83  Armin

84  BVerfGE

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

von Akzeptanz in den Dreiklang von Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und Gebot effektiver Funktionalität besteht vor allem darin, dass Akzeptanz eine sozialwissenschaftliche und empirische, aber keine normative Frage betrifft.89 Akzeptanz ist aber insofern ein demokratischer Aspekt eigen,90 als Demokratie auf Akzeptanz aufbaut und ihrer bedarf. Ohne Akzeptanz einer Entscheidung, die gegen die eigenen Interessen ergangen ist (sog. losers’ consent91), kann Demokratie nicht bestehen. Außerdem geht es bei der Frage der Akzeptanz um die Rückbindung des Staates an den Einzelnen, die wiederum eine demokratische Frage ist. „Eine akzeptanzfördernde Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren wird durch das Demokratieprinzip, vor allem aber durch die Idee der sogenannten responsiven Demokratie nahegelegt. […] Planungsentscheidungen der Verwaltung sind stets von neuem an die Wünsche, Forderungen und Bedürfnisse der betroffenen Öffentlichkeit zurückzukoppeln.“92

An diesem Zitat zeigt sich schon, dass der Weg zur Ergebnisakzeptanz nur über die Verfahrensakzeptanz führen kann.93 Diese Unterscheidung beruht Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1003, 1010 f., die auch auf die „Wahrnehmung“ des Einflusses durch Bürgerbeteiligung abstellen; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 155; Jürgen Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 461–468, 462 f. S. auch ausführlich den Bericht von Adrian Vatter/Fritz Sager/Marc Bühlmann/ Markus Maibach, Akzeptanz der schweizerischen Verkehrspolitik bei Volksabstimmungen und im Vollzug, 2000. Auch die Legitimationsfunktion fördert Akzeptanz und damit die Effektivität staatlichen Handelns, s. etwa Ulrich Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, 1992, S. 100; so auch schon BVerfGE 53, 30, 81 – Sondervotum Helmut Simon/Hermann Heußner. 89  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 330; Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257–263, 258: „keine dogmatische Frage“. 90  Ebenso Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Einleitende Problemskizze, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ders. (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9–63, 39; Hermann Pünder, Grundlagen des Verwaltungsverfahrensrechts, JuS 2011, S. 289– 296, 292; so wohl auch Ferdinand O. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 180 ff. 91  S. dazu schon oben S. 38. 92  Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257–263, 261. 93  Jan Ziekow, Exekutive Entscheidungen und Partizipation: Verbesserung der Steuerungsfähigkeit des Staates und der Legitimität staatlichen Handelns?, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates?



Kapitel 1: Imperative Partizipation71

auf der Erkenntnis, dass Menschen einen Vorgang nur dann akzeptieren können, wenn sie das Verfahren als fair empfinden, selbst dann, wenn sie mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind.94 Akzeptanz muss geschaffen, also ermöglicht werden. Anders als indivi­ duelle Selbstbestimmung, die zunächst aus dem Wunsch und dem Willen des Einzelnen entspringt, dann aber ggf. vom Staat geschützt werden muss, verlangt kollektive Selbstbestimmung staatliche Intervention und damit staat­ liche Ermöglichung von Anfang an: der Staat muss die Mechanismen, Regeln und Institutionen bereitstellen, die kollektiver Selbstbestimmung dienen – und allgemeine Akzeptanz hervorrufen. III. Das Gebot effektiver Funktionalität: Möglichst richtiges Treffen und Umsetzen staatlicher Entscheidungen Als dritte Funktion von Partizipation kommt das Gebot effektiver Funk­ tionalität staatlichen Handelns hinzu. Es geht hierbei um Aspekte wie die Informierung der Behörden, damit diese bessere und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben Entscheidungen richtig treffen können,95 die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten96 und die Beschleunigung des Verfahrens.97 Das Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 313–340, 323 f.; Birgit Peters, Die Bürgerbeteiligung nach dem Energiewirtschafts- und Netzausbaubeschleunigungsgesetz – Paradigmenwechsel für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DVBl. 2015, S. 808–815, 813 f. 94  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  214 m. w. N. S. auch zusammenfassend Klaus F. Röhl, Verfahrensgerechtigkeit (Procedural Justice). Einführung in den Themenbereich und Überblick, ZfRSoz 1993, S. 1–34. Kritisch Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969. 95  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 834; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, 68 f.; BVerfGE 33, 125, 159; „Bürgerbeteiligung als Informationshilfe“ und „Richtigkeitsgewährleistungsfunktion“ so Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361– 1369, 1362; sehr kritisch Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 210 f.; s. auch Hubert Heinelt, Governing Modern Societies. Towards Participatory Governance, 2010, S. 8; ders., Demokratie jenseits des Staates. Partizipatives Regieren und Governance, 2008, S. 25. 96  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362. 97  Erich Röper, Zwischenruf: Von der Petition zum Runden Tisch, ZRP 2012, S. 25–28, 27: Bürgerbeteiligung als „Motor statt Bremse“; s. auch Jan Ziekow/­MartinPeter Oertel/Alexander Windoffer, Dauer von Zulassungsverfahren, 2005, S. 121 ff.,

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Gebot der effektiven Funktionalität wird auch als Effektivitätsgebot oder Effizienzgebot bezeichnet.98 Seine dogmatische Begründung und seine genauen Rechtswirkungen sind nicht eindeutig geklärt. Manche verzichten auf eine Einordnung, sehen es aber dennoch als „Grundaxiom des Leistungs­ staats.“99 Das spricht für eine eher demokratische Fundierung, da der Leistungsstaat100 über den Rechtsstaat hinausweist und eine starke kollektive Komponente aufweist. Entsprechend wird das Gebot effektiver Funktionalität von einigen auch dem Demokratieprinzip als Teil der Out-put-Legitimation zugerechnet.101 Für gewöhnlich wird es aber dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnet.102 S.  211 ff.; und Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 82 f. A.  A. Wolfram Hertel/Christoph-David Munding, „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Planung von Großvorhaben, NJW 2012, S. 2622–2625, 2624 f.; s. auch Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 209 ff.; Ulrich Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung in vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, 1992, S. 103; Wolfgang Durner, Bewertung und Reformbedarf – Das maßgebliche Verfahrensrecht, in: Gesellschaft für Rechts­ politik/Institut für Rechtspolitik (Hrsg.), Bitburger Gespräche in München 2, Planen, Erklären, Zuhören – Wie Großprojekte mit Bürgerbeteiligung möglich werden, 2011, S. 21–49, 45 f. Auch die Fraktionen von CDU/CSU und FDP betonen in ihrer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze, dass „eine erweiterte Partizipation und Beteiligung der Öffentlichkeit und eine gleichzeitige Beschleunigung der Verfahren kein Widerspruch sind“, BT-Drs. 17/6073, S. 2. 98  S. dazu etwa Wolfgang Hoffmann-Riem, Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, Einleitende Problemskizze, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 11–57, 16; Peter Häberle, Effizienz und Verfassung, in: AöR 98 (1973), S. 625–635, Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Einleitende Problemskizze, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ders. (Hrsg.), Verwaltungsorganisations­ recht als Steuerungsressource, 1997, S. 9–63, 40; ebenso Wolfgang Hoffmann-Riem, Organisationsrecht als Steuerungsressource, Perspektiven der verwaltungsrechtlichen Systembildung, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisa­ tionsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 355–396, 374. Grundlegend zur Effizienz Walter Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971; zu einem ökonomischen Effizienzverständnis Horst Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005. 99  Thomas Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, 1979, S. 229. 100  Vgl. Kurt Eichenberger, Leistungsstaat und Demokratie, 1969. 101  Hans-Heinrich Trute, Funktionen der Organisation und ihre Abbildung im Recht, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 249–295, 270  ff.; Fritz Scharpf, Versuch über Demokratie im verhandelnden Staat, in: Roland Czada/Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Verhandlungsdemokratie, Interessenvermittlung, Regierbar-



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Beide Zuordnungen sind richtig, zwar nicht jeweils für sich genommen, aber zusammen. Das Gebot der Gewährleistung effektiver Funktionalität meint sowohl die richtige staatliche Entscheidungsfindung wie auch die richtige Umsetzung einer Entscheidung. Die Begriffe der Effizienz, Effektivität und Funktionalität stellen auf das Verhältnis des Ziels einer Entscheidung zu deren Umsetzung ab. Diese Umsetzung muss in der richtigen Art beschaffen sein, damit das Ziel so gut wie möglich erreicht werden kann. Effektive Funktionalität besteht also darin, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig“103 getroffen und umgesetzt werden. Was aber ist „richtig“ in einem demokratischen Rechtsstaat? Hier hilft der Rückgriff auf die beiden anderen Funktionen von Partizipation: „Funktionalität […] kann sich nur normativ […] aus den Bedeutungsschichten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ ergeben.104 Geht man von einer deliberativ-partizipativen Demokratietheorie aus, dann realisiert sich das richtige Treffen und Umsetzen der Entscheidung im Mit­ einander verschiedener Akteure. Das richtige Treffen und Umsetzen wird als ein offener Prozess verstanden, der nicht die eine Antwort als Ergebnis kennt.105 Dieses demokratische Verständnis versteht Entscheidungsfindung als einen unfertigen Prozess, damit „das System als Ganzes lern- oder doch jedenfalls entwicklungsfähig“ bleibt.106 In anderen Worten: keit. Festschrift für Gerhard Lehmbruch 1993, S. 25–50, 27. Vgl. auch Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 36, der für ein eigenes funktionales Prinzip plädiert, ohne dies jedoch normativ zu verankern. 102  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, Einleitende Problemskizze, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ders. (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 9–63, 40. S. aber auch ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 181: „Eine funktionale Betrachtung gewinnt ihre Anbindung an das Grundgesetz vielmehr durch diesen Rückbezug auf beide Legitimationsansprüche, ohne daß dem Prinzip der Gewaltenteilung eher das Leitbild der Machthemmung als das demokratischer Herrschaftsermöglichung zugeordnet werden könnte.“ Vgl. auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.  172 ff. 103  Vgl. BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; 98, 218, 251 f. 104  Christoph Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 498. Für die Unterscheidung von Funktionalität, Effektivität und Effizienz s. oben die Nachweise auf S. 72, Fn. 98. 105  Stephan Bredt, Die demokratische Legitimation unabhängiger Institutionen. Vom funktionalen zum politikfeldbezogenen Demokratieprinzip, 2006, S. 175. Allerdings weist Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 81 nicht zu Unrecht darauf hin, dass manche Vorgaben (grund)gesetzlicherseits bestehen. Die Offenheit des Prozesses ist daher eine relative, keine absolute. 106  Steffen Augsberg, Gesellschaftlicher Wandel und Demokratie. Die Leistungsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie unter Bedingungen komplexer Gesellschaften, in: Hans Michael Heinig/Jörg Philipp Terhechte (Hrsg.), Postnationale Demokra-

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

„[E]ine demokratische Gesellschaft ist nicht etwa jene, in welcher der beste Inhalt unherausgefordert dominiert, sondern vielmehr eine, in der kein Ziel ein für allemal erreicht ist und es immer die Möglichkeit der Herausforderung gibt.“107

Nach diesem Verständnis wird die Frage nach dem richtigen Treffen und Umsetzen der staatlichen Entscheidung dem Demokratieprinzip zugeordnet.108 Das richtige Treffen und Umsetzen einer staatlichen Entscheidung umfasst aber zwingend auch die rechtsstaatlichen Vorgaben der Verfassung. Eine Entscheidung, die das Recht verletzt, ist in einem demokratischen Rechtsstaat keine richtige Entscheidung mehr. In einem Verfassungsstaat, der gleichermaßen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist, kann ein der effektiven Funktionalität verpflichtetes Staatshandeln nur ein solches sein, das beide Prinzipien beachtet und sie zur vollen Geltung und Entfaltung bringt. Damit beruht die effektive Funktionalitätssteigerung einer staatlichen Entscheidung durch die Einbindung von Partizipation auf drei unterschiedlichen Pfeilern: den ersten Pfeiler stellt die Informierung der Behörden durch den Bürger dar, damit die Behörden umfassende Tatsachenkenntnis erlangen und so den Tatsachen entsprechende Entscheidungen treffen können. Den zweiten Pfeiler stellt die Kenntnis aller möglicherweise betroffenen subjektiven Rechte dar, damit die Behörde Rechtsverletzungen durch ihre Entscheidung vermeiden kann. Der dritte Pfeiler enthält das demokratische Element: durch De­liberation und Diskurs sollen die Interessen der Einzelnen Berücksichtigung finden und sich ausgleichen.109 Partizipation dient dem richtigen Treftie, Post-Demokratie, Neoetatismus. Wandel klassischer Demokratievorstellungen in der Rechtswissenschaft, 2013, S. 26–54, 41. S. auch Jacques Derrida, Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, 2003, S. 123. 107  Ernesto Laclau, Emanzipation und Differenz, 2002, S. 144 f. S. auch Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungs­ prozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynami­ sierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 275, der darauf hinweist, dass Demokratie inhaltsoffene Verfahren ermöglichen soll und auf Verfahren und nicht auf ­materieller Richtigkeit beruht; kritisch Joachim Lege, Drei Versuche über Demokratie – unter besonderer Berücksichtigung der Idee des Wettbewerbs, JZ 2009, S. 756– 762, 758 f. 108  Albert Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, 1998, S. 117 ff. „Hauptgewicht des Demokratieprinzips“; s. auch Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 80 ff., der auf S. 81 bestreitet, dass es lediglich Aushandlungssache sei. 109  S. auch Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 118 ff., die darauf hinweisen, dass trotz der Probleme bzgl. einer Einordnung von Gemeinwohl in das Demokratieprinzip jedenfalls nicht erkennbar sei, „dass und inwiefern ein anderes



Kapitel 1: Imperative Partizipation75

fen und Umsetzen einer staatlichen Entscheidung und damit letztlich einer sachrichtigen und sachlich besseren Entscheidung.110 Dadurch steigert Partizipation die effektive Funktionalität staatlichen Handelns. IV. Das Spannungsverhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie dem Gebot effektiver Funktionalität Damit lässt sich festhalten, dass Partizipation dreifach fundiert ist, nämlich im Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sowie im Gebot effektiver Funktionalität. Dieser Dreiklang kommt auch im abweichenden Votum zur Mühlheim-Kärlich Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vorschein. Während einerseits die im Urteil hervorgehobene Funktion der Mitwirkungsrechte für den (Grund-)Rechtsschutz mehrfach bestätigt wird,111 stellen die abweichenden Richter auch auf die „richtige Entscheidung“ ab112 und betonen die Wertigkeit des Kommunikationsprozesses113 und damit von Deliberation. Wie aber verhalten sich diese drei Funktionen zueinander? Effektive Funktionalität baut auf Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auf. Dadurch ist aber noch nichts gesagt über das Verhältnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Diese stehen in einem „bis heute weder von der Verfassungstheorie noch im Verfassungsrecht befriedigend gelöste[m]“114 Organisationsprinzip besser geeignet wäre, dem Gemeinwohl zur Durchsetzung zu verhelfen“ (Rn. 121). 110  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 834; BVerfGE 33, 125, 159: „Selbstverwaltung [und] Selbstgesetzgebung [soll den] Sachverstand [gesellschaftlichen Gruppen] für die Findung ‚richtigen‘ Rechts“ nutzen. S. auch ­Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 86. 111  BVerfGE 53, 30, 65: „[Es] ist von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen, daß Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung ist.“ Wesentlich prägnanter BVerfGE 53, 30, 80 – Sondervotum Helmut Simon/Hermann Heußner: „Öffentlichkeitsbeteiligung [als] vorbeugende[r] Grundrechtsschutz.“ 112  BVerfGE 53, 30, 79 – Sondervotum Helmut Simon/Hermann Heußner; s. auch Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 205. 113  BVerfGE 53, 30, 80 – Sondervotum Helmut Simon/Hermann Heußner; s. auch Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43–141, 86 ff., 121 ff.; ferner: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 677 ff. 114  Günter Frankenberg, Die Verfassung der Republik. Autorität und Solidarität in der Zivilgesellschaft, 1996, S. 127. S. zum Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaat und Demokratie auch Wolfgang Durner, Bewertung und Reformbedarf – Das maßgebliche Verfahrensrecht, in: Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Spannungsverhältnis zueinander und können miteinander in Konflikt geraten. Folgendes Beispiel soll diesen Konflikt illustrieren: Wenn die Anwohner entscheiden dürften, ob Stromleitungen gebaut werden, dann wäre es mehr als fraglich, ob es überhaupt noch neue Stromleitungen gäbe, denn die Versuchung „NIMBY“ – Not in my backyard – zu sagen, wäre überaus hoch. Eine solche Betroffenenentscheidung widerspräche außerdem der demokratisch-parlamentarischen Entscheidung für die Energiewende. Eine Betroffenenentscheidung widerspräche u.  U. auch den Grundrechten des Projektträgers, also des Betreibers der Stromleitungen. Wenn die Anwohner aber gar nichts zu sagen hätten, dann wären ihre Grundrechte und ebenso ihre Interessen bedeutungslos. Beide Formen der Selbstbestimmung aller Beteiligten müssen geachtet und geschützt werden. Das Spannungsverhältnis muss dabei so aufgelöst werden, dass mögliche Konflikte zwischen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ausbalanciert werden und effektive Funktionalität gewahrt bleibt. Dafür muss die Frage beantwortet werden, wer mit welchem Einfluss partizipieren darf. Diese Frage nach den Akteuren und ihren Kompetenzen lässt sich mit Hilfe des Prinzips der Gewaltenteilung beantworten (s. Kapitel 2).

D. Gefährdungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und effektiver Funktionalität durch Partizipation? Dass es entscheidend auf die Akteure und ihren jeweiligen Einfluss auf die staatliche Entscheidung ankommt, zeigen auch die potentiellen Gefährdungen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und effektiver Funktionalität durch Partizipation. Nicht ohne Grund wird in der Literatur immer wieder vor zu viel und falscher Partizipation gewarnt. Allein der Umstand, dass populistische Parteien, die antipluralistisch sind und von Menschenrechten oft wenig halten, für mehr Partizipation eintreten, muss stutzig machen. So wird vorgebracht, dass Gefährdungen durch Partizipation darin bestehen, dass die Minderheit von der Mehrheit überstimmt115 und so ihre Rechte verletzt werden (Hrsg.), Bitburger Gespräche in München 2, Planen, Erklären, Zuhören – Wie Großprojekte mit Bürgerbeteiligung möglich werden, 2011, S. 21–49, 42; Oliver Hidalgo, Die Antinomien der Demokratie, 2014, 350 ff.; Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 152; Werner Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie (§ 12), in: Ernst Benda/ders./Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 427–536, Rn. 68 f. 115  S. dazu die Beiträge von Gebhard Kirchgässner, Direkte Demokratie und Menschenrechte, S. 66–89; Hermann K. Heußner Direkte Demokratie in den US-Gliedstaaten im Jahr 2008, S. 165–204, 172 f., 195 f., und Axel Tschentscher, Direkte De-



Kapitel 1: Imperative Partizipation77

können. Erinnert sei hier nur an das Plebiszit zu Minaretten in der Schweiz.116 Minderheiten könnten ihre Interessen aber ebenfalls an die Stelle der Interessen der Allgemeinheit setzen117 und die „schweigende“ und v. a. eben nicht abstimmende Mehrheit überstimmen, z. B. bei großen Infrastrukturprojekten.118 Des Weiteren wird befürchtet, dass die Gefahr der Aushöhlung des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses bestehe und damit die repräsentative Demokratie insgesamt in Frage stehe.119 In diesen Kontext gehört auch der Vorwurf, dass Partizipation sich gegen einen Grundgedanken von Demokratie stelle, den der Gleichheit aller Bürger.120 Partizipation hebe die Gleichmokratie in der Schweiz – Länderbericht 2008/2009, S. 205–240, 219 ff., in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009; Kevin R. Johnson, A Handicapped, Not „Sleeping“ ­Giant. The Devastating Impact of the Initiative Process on Latina/o and Immigrant Communities, California Law Review 2008, S. 1259–1297. Zum Mehrheitsprinzip allgemein s. Werner Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983; Christian Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit. Grundlagen und Grenzen des demokratischen Majoritätsprinzips, AöR 127 (2002), S. 460–473. 116  Zur EMRK-Widrigkeit des Verbots s. ausführlich Ralph Zimmermann, Zur Minarettverbotsinitiative in der Schweiz, ZaöRV 69 (2009), S. 829–864; Hermann K. Heußner, Minarettverbot in der Schweiz: Argument gegen Volksentscheide in Deutschland? Zur Diskussion über Volksgesetzgebung, Minderheitenschutz und Völkerrecht, Recht und Politik 2010, S. 19–26; Hermann K. Heußner, Die gravierenden Rechtsstaatsmängel der schweizerischen Direktdemokratie, NVwZ 2017, S. 1264. 117  So inbs. Sebastian Müller-Franken, Unmittelbare Demokratie und Direktiven der Verfassung, DÖV 2005, S. 489–498, Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sach­ unmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 56 ff.; Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 99 f. 118  Darauf verweist u. a. Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 33; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 280 f. 119  Vgl. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 92; Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/ Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48– 72, 60 f.; kritisch auch Paul Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: Michael Brenner/Peter M. Huber/Markus Möstl (Hrsg.), Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 237–262, 246; vgl. auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 103; Horst Dreier/ Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 24 ff. 120  Zur Gleichheit s. Albert Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, 1998, S. 114 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, S. 594 f.; 613 ff.; Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sach­ unmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutsch-

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

heit auf und errichte eine „Oligarchie der Aktiven“.121 Schließlich wird vorgebracht, dass Selbst-Betroffene nicht nur im eigenen Sinne entschieden, sondern sie auch noch schlecht entschieden: die Vorgänge seien oft zu komplex für sie.122 Die demokratisch gewählten Repräsentanten und die der Objektivität und Rechtsbefolgung verpflichteten Beamten seien besser geeignet, die „besseren“, weil „objektiv richtigen“ Entscheidungen zu treffen. An dieser Kritik, auf die in den Kapiteln 7 und 8 näher eingegangen wird und der mit Hilfe des Gewaltenteilungsgrundsatzes begegnet werden kann, zeigt sich, dass ebenso wie die Funktionen von Partizipation auch die vorgebrachten Gefährdungen durch zu viel Partizipation in den Begriffen der effektiven Funktionalität staatlichen Handelns, individueller Rechte und der Demokratie beschrieben werden. Entscheidend ist daher sowohl das richtige Maß an Partizipation wie auch die richtige Auswahl der Partizipationsberechtigten. Ein Zuviel an Partizipation oder die falsche Gewichtung von Partizipation kann individuelle Rechte beeinträchtigen, Demokratie schwächen und die effektive Funktionalität staatlichen Handelns senken.

E. Zwischenfazit: Imperative Partizipation als den Staat verpflichtende Beteiligungsform Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Partizipationsformen, die den Staat verpflichten, sich mit dem Einzelnen und seinen Einwendungen auseinanderzusetzen (sog. imperative Partizipation). Hier mangelt es bislang an einer theoretischen Grundlegung. Die vorliegende Untersuchung schafft Abhilfe, indem sie eine rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation entwickelt. Diese ist deshalb relevant, weil die bestehenden Partizipationsmöglichkeiten als ungenügend angesehen werden und es für eventuelle Weiterentwicklungen von Partizipation rechtsdogmatischer und rechtstheoreland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 280 f.; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 75. 121  Vgl. Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 280 f.; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 75. 122  Roman Herzog, Art. 20 II GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 1980, Rn. 41; vgl. auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 91, 94 ff. In den USA wird diskutiert, ob die Öffentlichkeit Risiken nicht richtig einzuschätzen wisse, s. dazu Cass Sunstein, Risk and Reason: Safety, Law and the Environment, 2002 und Stephen Breyer, Breaking the Vicious Circle: Toward Effective Risk Regulation, 1993, S. 60–63; ähnlich Bruce Ackerman, The New Separation of Powers, Harvard Law Review 2000, S. 633–729, 697–715.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes79

tischer Leitlinien bedarf. Da Partizipation als solche weder gut noch schlecht ist, kommt es auf die richtige Form, also das richtige Ausmaß und die richtige Auswahl der Partizipationsberechtigten an. Was darunter zu verstehen ist, kann für die Bundesrepublik Deutschland nur das Grundgesetz beantworten. Da Partizipation Demokratie und Rechtsstaatlichkeit betrifft und außerdem darauf ausgerichtet ist, effektive Funktionalität staatlichen Handelns zu fördern, besteht eine Vermutung, dass der Grundsatz der Gewaltenteilung eine ordnende Rolle einnehmen kann und Partizipation zu konzeptualisieren vermag. Dieser Vermutung wird im Folgenden in Kapitel 2 nachgegangen, um im Anschluss daran in Kapitel 3 eine rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation zu entwickeln. Kapitel 2

Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes Der Schlüssel zur Konzeptualisierung von Partizipation liegt im Gewaltenteilungsgrundsatz: Er betrifft ebenso wie die imperative Partizipation einerseits das Innehaben von Staatsgewalt und andererseits die Teilhabe an der Ausübung von Staatsgewalt. Obgleich seine normative Wirkweise umstritten ist, lässt sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz eine dirigierende Wirkung für die Ausübung von Staatsgewalt ableiten (A.). Diese dirigierende Wirkung zielt darauf ab, die demokratischen und rechtsstaatlichen Elemente zum Ausgleich zu bringen (B.). Die Balancewirkung wird durch die althergebrachten Modi der Gewaltenteilung erreicht (C.). Abschließend zeigt sich, dass die Funktionen der Gewaltenteilung und der imperativen Partizipation kongruent sind (D.). Daher lässt sich in Kapitel 3 mit Hilfe des Gewaltenteilungsgrundsatzes eine verfassungsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation entwickeln.

A. Die dirigierende Wirkweise des Gewaltenteilungsprinzips Der Grundsatz der Gewaltenteilung lässt sich als ein im Hintergrund wirkendes Kompetenzverteilungsprinzip verstehen. Durch ein solches Verständnis kann der Gewaltenteilungsgrundsatz steuernd auf die Ausübung von Staatsgewalt und damit auf das „wer“ von Partizipation sowie das Ausmaß des Einflusses der Partizipationsberechtigten einwirken.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Die Gewaltenteilung wurde schon als „Rechtsprinzip“, als „Grundsatz“,123 als „tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes“,124 als „selbständiges Strukturprinzip“,125 als „selbstständige Hintergrundnorm“126, als „Kompetenz­ verteilungsnorm“,127 als „übergreifendes Verfassungsprinzip“,128 als „Struk­ turprinzip“129, als „prozedural-organisatorische[s] Prinzip“130, als „sekundäre prozedurale Norm“131 im Sinne Harts132, als „Organisationsgebot“133 oder als „staatsrechtliche Grundnorm“134 beschrieben. Diese Beschreibungen der Norm zeigen zum einen, wie vielschichtig der Begriff der Gewaltenteilung 123  BVerfGE

68, 1, 86; 98, 218, 251 f. 3, 225, 247; 34, 52, 59; 67, 100, 130. Zustimmend Stefan Huster/ Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 158.1; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 1: „zentrale Entscheidung über den Aufbau der Staatsorganisation sowie die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung“; Matthias Cornils, Gewaltenteilung, in: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 657–702, 662; ähnlich Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 536; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 498. 125  Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 4. 126  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94.  Ergänzungslieferung 2021, Rn.  27; Christoph Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 495; ähnlich Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 214. 127  Ernst Forsthoff, Diskussionsbeitrag VVDStRL 15 (1957), S. 84. 128  Andreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, 685. 129  Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 141. 130  Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 181. 131  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 6. 132  Herbert L.A. Hart, The Concept of Law, 1961, 77 ff., der damit Normen meint, die „confer powers, public or private. Rules of the first type concern actions involving physical movement or changes; rules of the second type provide for operations which lead not merely to physical movement or change, but to the creation of variation of duties or obligations.“ 133  Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 1. 134  Fritz Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, S. 545– 553, 545. 124  BVerfGE



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes81

ist, zum anderen aber auch, dass er erst operabel gemacht werden muss. So heißt es, dass ihm nur eine begrenzte Direktionskraft135 und „nur geringfügige eigenständige Wirkung“136 zukommt. Diese bedingte Operabilität zeigt sich in zweifacher Hinsicht: Anders als andere staatsorganisationsrechtliche Normen wie die Kompetenzverteilungsklauseln der Art. 72 ff. GG oder wie Art. 78 GG, nach dem ein vom Bundestage beschlossenes Gesetz zustande kommt, wenn der Bundesrat entweder zustimmt, den Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht stellt, innerhalb der Frist des Art. 77 Abs. 3 GG keinen Einspruch einlegt oder ihn zurücknimmt oder wenn der Einspruch vom Bundestage überstimmt wird, ist der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht binär gefasst. Die genannten Normen und der Gewaltenteilungsgrundsatz folgen vielmehr der bekannten,137 wenngleich umstrittenen138 Unterscheidung zwischen Regel und Prinzip. Prinzipien sind nur bedingt operabel, sie haben „nur geringe dogmatische Aussagekraft.“139 Zum anderen zeigt sich die bedingte Operabilität auch daran, dass das Prinzip der Gewaltenteilung nirgends rein verwirklicht wird. Vielmehr bestehen zahlreiche Gewaltenverschränkungen, die im Gewaltenteilungsgrundsatz auch schon selbst angelegt sind. Es ging nie darum, eine vollständige Teilung der Gewalten und Organe zu erreichen.140 So fordert auch das Grundgesetz 135  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 93. 136  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94.  Ergänzungslieferung 2021, Rn.  76. Ebenso Thomas Groß, Die asymmetrische Funktionenordnung der demokratischen Verfassung – Zur Dekonstruktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Der Staat 2016, S. 489–517, 489. 137  S. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 75 f. 138  S. Ralf Poscher, Theorie eines Phantoms. Die erfolglose Suche der Prinzipientheorie nach ihrem Gegenstand, Rechtswissenschaft 2010, S. 349–372; ders., Grundrechte als Abwehrrechte, Reflexive Regelung rechtlich geordneter Freiheit, 2003; Hans-Joachim Koch, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht. Symposium und Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlaß seiner Emeritierung, 1996, S. 9–24, 16 ff.; s. auch die Nachweise bei Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 511 f. 139  Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 159; ebenso Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 27. 140  So spricht Montesquieu nur einmal von séparation des pouvoirs, ansonsten von distribution des pouvoirs, so Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/ Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 250;

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

keine absolute Trennung der Gewalten.141 Der vermeintliche Widerspruch zwischen „Gewaltenteilung“ und „Gewaltenverschränkung“ mag damit zu tun haben, dass der Gewaltenteilungsgrundsatz Fragen der Kompetenzzuordnung und Kompetenzabgrenzung142 zum Gegenstand hat und Kompetenzen klar zugeordnet werden, also geteilt werden müssen. Das Gewaltenteilungsprinzip will beides, nämlich öffentliche Gewalt ermöglichen und begrenzen.143 Dies gelingt, indem Art. 20 Abs. 2 GG die Staatsgewalt den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung zuweist. Der Verweis auf die besonderen Organe zeigt zudem, dass die Kompetenzen durch das Gewaltenteilungsprinzip nicht nur den Gewalten zugeordnet und zwischen ihnen abgegrenzt werden, sondern auch innerhalb der jeweiligen Gewalten. So hat schon Charles de Montesquieu „das Teilungsprinzip und die Balancierung innerhalb der einzelnen Gewalten“ gefordert.144 Es lässt sich auch von „Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten“145 oder einer „Intra-Gewaltenteilung“ s. auch John Jay/Alexander Hamilton/James Madison, The Federalist Papers, 1787, Nr. 47 (James Madison). St. Rspr., s. nur BVerfGE 9, 268, 279 f.; BVerfGE 95, 1, 15; 124, 78, 120. 141  Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat 40 (2001), S. 525–552, 545 legt dar, dass besser von „Befugnis“ als von Gewalt geprochen werden solle, da der Begriff Gewalt impliziere, dass die Befugnis ungebunden sei. Ähnlich Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 184, der von „Befugnis, eine Funktion wahrzunehmen“ spricht. S. auch ebd. S. 201. 142  Vgl. Andreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, der von Komptenzverschränkung (S. 682) und Kompetenzzuodnung (S. 684) spricht; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 559 „Sammelbegriff für die Kompetenzordnung“; Paul Kirchhof, Gewaltbalance zwischen euro­ päischen und mitgliedstaatlichen Organen, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 99–123, 120; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 530. 143  Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 1; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 482; Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 3. 144  Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 518. Stern verweist darauf, dass die gesetzgebende Gewalt einer Körperschaft der Adeligen wie auch einer Volksvertretung anvertraut werden sollen. 145  Walter Leisner, Gewaltenteilung innerhalb der Gewalten. Ein Beitrag zum Problem der Hierarchie, in: Hans Spanner/Peter Lerche u. a. (Hrsg.), Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag, 1971, S. 267–283. S. auch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 547.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes83

sprechen.146 Hier kommen unterschiedlichen Organen unterschiedliche Aufgaben zu. Dementsprechend ist hier auch das Verbot der organfremden Gewaltenusurpation, das aus dem Gebot der Organtrennung hervorgeht, zu verorten.147 Aufgrund des Prinzipiencharakters des Gewaltenteilungsgrundsatzes wirkt diese Kompetenzzuordnung im Hintergrund. Die positive Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist vorrangig zu beachten.148 Der Gewaltenteilungsgrundsatz wird in diesen Fällen als Auslegungshilfe für Kompetenznormen verstanden.149 Er wird aber auch als Lückenfüller genutzt für den Fall, dass keine Kompetenznormen bestehen.150 Dies ist etwa in den Fällen von Partizipation vielfach der Fall, weshalb dem Gewaltenteilungsgrundsatz hier weitaus mehr Wirk- und Direktionskraft zukommt als in den bislang normativ schon vollständig durchdrungenen Gebieten des Staatsrechts. Die Diskussion um den Umfang, aber eben nicht die Existenz, der Steuerungswirkung des Gewaltenteilungsgrundsatzes zeigt nicht nur, dass diese ungeklärt ist, sondern vor allem, dass von dem Gewaltenteilungsgrundsatz in der Tat rechtliche Steuerungskraft ausgeht. Klagen über seine begrenzte Aussagekraft verstellen den Blick auf die Möglichkeiten, die der Grundsatz bietet. Im Folgenden wird daher der Versuch unternommen, den Gewaltenteilungsgrundsatz zu operationalisieren und mit seiner Hilfe Partizipation zu 146  Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl. 1975, S. 167 ff., der zwischen Intra-Organ-Kontrolle und Interorgankontrolle unterscheidet. Zustimmend zur IntraOrgankontrolle als Teil der organisatorischen Gewaltenteilung Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung – Ein Überblick, JuS 1986, S. 195–201, 197; Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 17. Aufl. 2017, S. 264; ebenso Andreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, 686, der zusätzlich den Gedanken der Extra-Organ-Kontrolle entwickelt. S. auch Werner Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, 1969, S. 286–312. 147  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 73 ff. 148  Andreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, 686, spricht deshalb auch von einem „übergeordnete[n] Gedanke[n] der Gewaltenteilung.“ 149  Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 159; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 26 f.; Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 339, BVerfGE 68, 1, 86. 150  Vgl. BVerfG, 68, 1, 111, 128 ff. – Raketenstationierung, Sondervotum Ernst Mahrenholz; s. auch Rupert Stettner, Not und Chance der grundgesetzlichen Gewaltenteilung, JörR 35 (1986), S. 57–81, 75 f.; Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 339.

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konzeptualisieren. Es wird sich zeigen, dass gerade für den Bereich der Partizipation, die außer den Regelungen zu Wahlen keine unmittelbare normative Verankerung im Grundgesetz erfahren hat, die Steuerungswirkung über das übliche Maß hinausgeht.

B. Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, effektive Funktionalität, Ausbalancierung von Rechtsstaatsund Demokratieprinzip Der Grundsatz der Gewaltenteilung besitzt vier Funktionen.151 Zunächst und ganz klassisch wird betont, dass die Teilung der Gewalten der gegenseitigen Kontrolle und damit der Mäßigung der Staatsherrschaft diene (I.). Der Gewaltenteilungsgrundsatz zielt außerdem darauf ab, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, d. h. von den Organen getroffen werden, die dafür nach Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen (II.). Mehr und mehr wird erkannt, dass die Gewaltengliederung auch auf dem Demokratieprinzip beruht, da die Staatsgewalt in einem demokratischen Staat immer vom demos ausgehen muss (III.). Schließlich dient der Gewaltenteilungsgrundsatz der Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip (IV.). Diese Funktionen überlappen sich mit den Funktionen von Partizipation. Sie erlauben daher i. V. m. der Direktionskraft des Gewaltenteilungsgrundsatzes, die sich auch auf Partizipation bezieht, die Konzeptualisierung von Partizipation und damit letztlich die Entwicklung einer auf Theorie der imperativen Partizipation. I. Rechtsstaatlicher Ansatz: Hemmung und Mäßigung von Staatsgewalt Der Gewaltenteilungsgrundsatz weist die Ausübung öffentlicher Gewalt verschiedenen Organen zu und hemmt, mäßigt und kontrolliert so die Staats151  Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 527, spricht von „Grundgedanken“; Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 225 spricht von „Grundanliegen“; Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 252 schreibt von „Zwecken“. S. auch An­dreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, 679.



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gewalt.152 Die Aufteilung der Staatsgewalt schützt formelle Rechtsstaatlichkeit, verstanden als gewaltbegrenzende Organisation staatlicher Gewalt, die in geordneten Verfahren ausgeübt wird,153 ebenso wie materielle Rechtsstaatlichkeit, die der Staatsgewalt weitere inhaltliche Bindungen, vor allem an die Grundrechte,154 auferlegt. Die Aufgabe des Schutzes des Rechtsstaats wird inzwischen vielfach nicht mehr als Hauptaufgabe der Gewaltenteilung angesehen, da andere staatliche und gesellschaftliche Kräfte ebenfalls hemmend, mäßigend und kontrollierend auf die Staatsgewalt einwirken:155 „Die mit dem überkommenen Verständnis der Gewaltenteilung intendierte Machthemmung ist aus dem Kernbereich der politischen Organe abgewandert in die Funktionen der parlamentarischen Minderheit, die Einrichtung weiterer staatlicher Organe, die vertikale Gliederung der staatlichen Gewalt sowie die politische Machtteilung außerhalb der staatlichen Funktionengliederung durch konkurrierende Gruppen, Verbände und Parteien.“156

Aber unabhängig von der Frage, ob auch andere Akteure und Faktoren an der Hemmung der Macht teilhaben, ist die Gewaltenteilung staatlicher 152  Vgl. nur BVerfGE 34, 52, 59; 68, 1, 86; 95, 1, 15; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 29 ff.; dazu Werner Weber, Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, in: Hans Barion/Ernst Forsthoff/ders. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt. Zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, 1959, S. 253–272, 271; so zunächst auch schon John Locke, Two Treatises of Government. Second Treatise, in: Ian Shapiro (Hrsg.), Two Treatises of Government and A Letter Concerning Toleration, 2003, § 143; Charles de Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748, Livre XI, Chapitre 6; John Jay/Alexander Hamilton/James Madison, The Federalist Papers, 1787, Nr. 47 (James Madison). S. dazu auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 153 ff.; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 539; Werner Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S. 95 ff. 153  Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (§ 26), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 541–611, Rn. 18. 154  Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (§ 26), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 541–611, Rn. 19, 31. 155  Anders aber Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/ Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 156: primärer Sinn. Grundlegend Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl. 1975, S. 226 f. 156  Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 148, unter Verweis auf Roman Herzog, Art. 20 GG (Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 1980, Rn. 29, 35; Werner Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S.  93 ff.; Walter Leisner, Die quantitative Gewaltenteilung, DÖV 1969, S. 405–411, 410; Hans D. Jarass, Politik und Bürokratie als Elemente der Gewaltenteilung, 1975. S. dazu auch Hans Herbert von Arnim, Grundfragen der Kontrolle von Gesetzgebung und Verwaltung, DÖV 1982, S. 917–925; und Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.  153 ff.

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Machtausübung auch weiterhin eine Gelingensbedingung des Rechtsstaats. Auch Partizipation dient der Hemmung und Mäßigung staatlicher Gewalt und dem Schutz des Einzelnen.157 Zum Schutze des Rechtsstaats ist die Gewalt zu teilen. Dies ist unstrittig. Aber wie ist sie zu teilen, wie sollen die unterschiedlichen Staatstätigkeiten welchen Staatsorganen zugewiesen werden? Diese Fragen kann eine rein rechtsstaatliche Deutung der Gewaltenteilung nicht allein beantworten: So wird der Rechtsstaat auch dann bewahrt, wenn die obersten Gerichtshöfe jeweils für ihr Gebiet abstrakt-generelle Gesetze verabschieden und dabei die Grundrechte beachten. Ebenso ist es denkbar, dass das Parlament Gerichtsverfahren durchführt, z. B. nach US-amerikanischem Vorbild über die Präsidentenanklage entscheidet.158 Hier müsste allerdings sichergestellt werden, dass das Parlament rechtlich und nicht politisch entscheidet. Nimmt man an, dass dies möglich ist, so handelt es sich um ein rechtsstaatliches Verfahren. In den Vereinigten Staaten geht man davon aus, dass das Parlament rechtlich entscheiden kann, denn der Senat ist im Impeachement­ verfahren gegen den US-Präsidenten das zuständige Organ. Das Verfahren ist dementsprechend trotz aller politischen Belastung eben doch ein juristisches Verfahren159 – auch wenn das jüngste Impeachment-Verfahren in den USA gegen Donald Trump 2019 zeigte, wie hochgradig politisiert es letztlich ist.160 Diese beiden Beispiele zeigen, dass Überlegungen zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit allein nicht ausreichen, um Kriterien zu entwickeln, nach denen die Staatsgewalt einzelnen Organen oder Gewalten zuzuweisen ist. II. Funktionaler Ansatz: Effektivierung staatlicher Gewalt Dass die Hemmung der Gewalt zum Zwecke des Schutzes des Bürgers nicht die einzige Funktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist, ist schon lange anerkannt. Dort wo Staatsgewalt ausgeübt wird, verlangt der Gewaltenteilungsgrundsatz, dass sie zu effektivieren ist. Die Staatsgewalt wird auch und gerade den Organen zugewiesen, „die dafür nach ihrer Organi­ sation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten 157  S. dazu

oben S. 60 ff. ist in Deutschland anders. Art. 61 GG sieht vor, dass ein solches Verfahren zwar vom Parlament eingeleitet, aber vom Bundesverfassungsgericht entschieden wird. 159  Vgl. Charles L. Black, Jr., Impeachment. A Handbook, 1974, reprint 1998, S.  1 ff. 160  S. dazu Brian Owsley, Due Process and the Impeachment of Donald Trump, University of Illinois Law Review, Vol. 2020, No. 67, 2020, S. 67–80. 158  Dies



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Voraussetzungen verfügen“.161 Die Gewaltenteilung wird so als „Funktionen­ ordnung“162 verstanden. Es geht um die Herstellung von „Funktions­ adäquanz“163 oder gar „Funktionsgerechtigkeit.“164 Ziel ist damit die „Gewährleistung effektiver Funktionalität“,165 und die „Steigerung der Effizienz der staatlichen Aufgabenerledigung“.166 Effektive Funktionalität besteht also darin, dass „staatliche Entscheidungen möglichst richtig“ getroffen wer161  BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; 98, 218, 251 f.; s. schon Hans Peters, Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, 1954, S. 27 f. 162  Norbert Achterberg, Probleme der Funktionenordnung, 1970, S. 10 f.; Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 3; Richard Thoma, Die Funktionen der Staatsgewalt, in: Georg Anschütz/ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band I, 1930, S. 108–159, 124 ff.; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1912, S. 595: „Funktionenlehre“; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 521: „Funktionentrennung“. 163  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 51; Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 329 ff. Dazu Walter Leisner, Die quantitative Gewalten­teilung, DÖV 1969, 405–411, 407 ff.; Norbert Achterberg, Probleme der Funktionenordnung, 1970, S. 178 ff.; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 557: „funk­tionsadäquate Aufgabenwahrnehmung“; Matthias Cornils, Gewaltenteilung, in Otto Depenheuer/ Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, S. 657–702, 684 ff. mit jeweils weiteren Nachweisen. 164  Hans-Detlef Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung: Überlegungen zu einer Organisationsmaxime des Verfassungsstaates, AöR 127 (2002), S. 427–459, 448 m. w. N. S. auch Peter Lerche, Gewaltenteilung – deutsche Sicht, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 75–98, 75; Otto Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, Archiv des öffentlichen Rechts 75 (1949), S. 397–413, 402; Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350. 165  Wolf R. Wrege, Das System der Gewaltenteilung im Grundgesetz, Jura 1996, S. 436–440, 436; Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 169; Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (§ 26), in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 541–611, Rn. 50; Konrad Hesse, Funktionelle Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Jörg Müller u. a. (Hrsg.), Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, 1981, S. 261–272, 265 f.; Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 81. 166  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94.  Ergänzungslieferung 2021, Rn.  53, s. auch Rn. 55: „Effektuierung“, „Kriterien der Effektivität und Effizienz“; ebenso Fritz Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, S. 545–553, 549; ähnlich Peter Lerche, Gewaltenteilung – deutsche Sicht, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 75–98, 75 ff., insb. 79 ff.; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

den.167 Dies geschieht, indem Aufgaben dem Organ derart zugewiesen werden, dass sie ihm sowohl nach Struktur wie auch nach Legitimation entsprechen.168 Aus der Einräumung von Kompetenz folgt, dass als „[u]nverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung einer derartigen Wirkbefugnis […] die Entscheidungsfähigkeit des kompetenten Organs“ sicherzustellen ist.169 Auch Partizipation soll und kann die effektive Funktionalität staatlichen Handelns erhöhen.170 Die Effektivitätsfunktion steht heute im Vordergrund der Gewaltenteilungslehre.171 Richtigerweise wird aber eingewandt, dass die Kriterien der Richtigkeit, Funktionalität und Effektivität nur vorausgesetzt, nicht jedoch entwickelt werden.172 Auch mit Hilfe dieser Kriterien kann die Gewaltenteilungslehre nicht abschließend beantworten, wie die unterschiedenen Staatstätigkeiten den getrennten Staatorganen zugewiesen werden können. Eine rein funktional verstandene Gewaltenteilung hilft für sich genommen daher nicht weiter. Jedoch zeigt der funktionale Ansatz nicht nur, dass es immer auch um die richtige Entscheidung geht, sondern auch, dass es neben einer Trennung, auch einer Verschränkung der Gewalten bedarf, da gegenseitige Kontrolle ebenso wie Kooperation und funktionelles Zusammenspiel wesentlich sind für effektive Funktionalität staatlichen Handelns.173 Außerdem steht der Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, Rn. 28, stellt auf beide Begriffe ab. 167  BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; 98, 218, 251 f.; s. schon Hans Peters, Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, 1954, S. 27 f. 168  Hans-Detlef Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung: Überlegungen zu einer Organisationsmaxime des Verfassungsstaates, AöR 127 (2002), S. 427–459, 447 f. 169  Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 335. 170  S. oben S. 71 ff. 171  Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 334; Wolf R. Wrege, Das System der Gewaltenteilung im Grundgesetz, Jura 1996, S. 436–440, 440; so auch schon Otto Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, Archiv des öffentlichen Rechts 75 (1949), S. 397–413, 402; anders aber Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/ Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 156. 172  Christoph Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 498. Dem stimmt auch Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 156, zu. S. u. a. Hans-Detlef Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung: Überlegungen zu einer Organisations­ maxime des Verfassungsstaates, AöR 127 (2002), S. 427–459, 452 f. m. w. N. S.  auch die ausführliche Kritik bei Peter Lerche, Gewaltenteilung – deutsche Sicht, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 75–98, 80 ff. 173  Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 125 ff.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes89

funktionale Ansatz nicht allein, sondern verbindet den rechtsstaatlichen und den demokratischen Ansatz miteinander. III. Demokratischer Ansatz: Ermächtigung von Staatsgewalt Als dritte Funktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist seine Demokratiefunktion zu nennen. Dass sich der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht in der Funktionalität und der Hemmung staatlicher Herrschaftsausübung erschöpft, lässt sich bereits daraus schließen, dass der Staat des Grundgesetzes neben Rechtsstaatlichkeit (inklusive den Grundrechten) auch und gerade auf Demokratie fußt.174 Zwar geht der Grundsatz der Gewaltenteilung auf John Locke175 und Montesquieu176 zurück und damit auf eine Zeit, als der Staat und staatliche Souveränität gerade erst entstanden waren und der damit entstehende Gewaltenmonismus eines Gegengewichts bedurfte. Der Gewaltenteilungsgrundsatz sollte ursprünglich also der allumfassenden Macht des Herrschers entgegenwirken und dessen Gewalt einschränken. Der hier allein interessierende Gewaltenteilungsbegriff des Grundgesetzes geht jedoch weit darüber hinaus. Effektive Herrschaftsausübung verlangt, dass Organe geschaffen und mit der Kompetenz ausgestattet werden müssen, Staatsgewalt auszuüben. Politik konstituiert sich erst durch rechtsförmige Organe.177 Mit einer Kompetenzzuweisung wird immer auch Entscheidungsgewalt und Entscheidungsfähigkeit eingeräumt.178 Die Einräumung von Entscheidungsgewalt und Entschei174  Dementsprechend spricht Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 252, von einer auch demokratischen Wurzel der Gewaltenteilung. S. schon Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 499: „In dieser umfassenden Funktion [als organisatorisches Grundprinzip der Verfassung] kann Gewaltenteilung nicht allein der rechtsstaatlichen Ordnung zugeordnet werden. […] Alle ihre Elemente sind vielmehr, wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung, wesentliche Bestandteile der demokratischen […] Gesamtordnung des Grundgesetzes.“ 175  John Locke, Two Treatises of Government. Second Treatise, in: Ian Shapiro (Hrsg.), Two Treatises of Government and A Letter Concerning Toleration, 2003, §§ 143, 144, 150, 159. 176  Charles de Montesquieu, De l’esprit des lois, 1748, Livre XI, Chapitre 6. 177  Vgl. Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 57  f.; s. auch Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 238 ff. 178  Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 335, der hier dementsprechend auch den Rückbezug zum Demokratieprinzip herstellt.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

dungsfähigkeit kann in einem demokratischen Verfassungsstaat nur vom Volke ausgehen. Die nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG demokratisch legitimierte Staatsgewalt wird nach dem direkt anschließenden Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG durch die drei Gewalten ausgeübt. Da die Ausübung von Staatsgewalt unter dem Grundgesetz immer auf das Volk zurückgeführt werden muss,179 folgt daraus zwingenderweise die demokratische Fundierung der Gewaltenteilung.180 Die Ermöglichung und Stärkung von Demokratie und kollektiver Selbstbestimmung, und damit auch die Legitimation von Staatsgewalt, ist Funktion und Ziel des Gewaltenteilungsgrundsatzes: „Ziel [der Gewaltenteilungslehre] ist die parlamentarisch-demokratische Konsti­ tuierung, Legitimierung und Steuerung der Staatsmacht […] Damit präsentiert sich Gewaltenteilung […] als Modus der demokratischen Ordnung. Die funktionelle 179  Aus dieser demokratischen Veränderung des Systems wird – nicht ganz zu Unrecht – geschlossen, dass von einer Gewalteilung gar nicht mehr gesprochen werden könne, sondern nur von einer Funktionenteilung: Die originäre Gewalt sei einheitlich, es gäbe kein Gegenüber zweier originärer Machtträger mehr, Fritz Ossenbühl, Aktuelle Probleme der Gewaltenteilung, DÖV 1980, S. 545–553, 547; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard SchmidtAßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, Rn. 12; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 521 f. Dennoch soll hier an dem Begriff festgehalten werden, da er sich einmal eingebürgert hat und fest zum Sprachgebrauch gehört. 180  Hans-Detlef Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 261 ff.; Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 3; Fritz Ossenbühl, Schlusswort, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 123–130, 127; Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 179 ff.; ähnlich Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 75, der „Gewaltenteilung als organisatorische[n] Ausdruck und Verstärkung von Demokratie und Rechtsstaat“ versteht, s. auch Rn. 20 und 57 ff.; Walter Krebs, Verwaltungsorganisation (§ 69), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 2. Aufl. 1996, S. 567–621, Rn. 77; s. auch Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 9, der darauf verweist, dass die Rechtsprechung immer wieder das Parlament anhält, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Zustimmend auch Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 168 f.; Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 252; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, Rn. 21; Thomas von Danwitz, Der Grundsatz funktionsgerechter Organstruktur, Der Staat 35 (1996), S. 329–350, 345; Thomas Groß, Die asymmetrische Funktionenordnung der demokratischen Verfassung – Zur Dekonstruktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Der Staat 2016, S. 489–517, 498.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes91 Abgrenzung von gesetzgebender und vollziehender Gewalt folgt einem demokratischen Verteilungsprinzip. Dessen ideologischer Impuls und verfassungsrechtlicher Schutzzweck führen weniger aus der (negativen) Sicherung der individuellen Freiheit vor dem Zugriff der Staatsgewalt als vielmehr aus der (positiven) Gewährleistung der demokratischen Freiheit zur Bewirkung der Staatsgewalt.“181

Genauso wenig wie die anderen beiden Funktionen kann die demokratische Funktion alleine steuern, wie die staatlichen Kompetenzen auf die verschiedenen Gewalten und Organe verteilt werden. So spricht zwar die demokratische Funktion für eine grundsätzliche Vorrangstellung des Parlaments,182 sie kann aber z. B. nicht erklären, warum konkrete Streitentscheidungen Gerichten und nicht dem Parlament zugewiesen sind oder wieso das Bundesverfassungsgericht Parlamentsgesetze aufheben kann. Volksherrschaft wird ja gerade dann gewahrt, wenn das Parlament das letzte Wort behält. Das englische Modell einer Suprematie des Parlaments i. S. Albert Venn Diceys183 ist weder anti-demokratisch noch verkennt es die grundlegende Idee der Gewaltenteilung – aber dennoch entspricht es nicht der Gewaltenteilung des Grundgesetzes. Hinzu kommt, dass es gute Gründe gegen die Suprematie des Parlaments gibt, u. a. die Sorge um die Rechtsstaatlichkeit. Deshalb hat sich z. B. Südafrika von einem solchen System 1994 verabschiedet, als das Land von einem Apartheidsstaat zu einem demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat wurde.184 Auch die US-amerikanischen Verfassungsväter fürchteten am ehesten ein zu starkes Parlament als Bedrohung für die Freiheit.185 Ebenso ist es demokratisch, wenn das Parlament Gerichtsverfahren mit Mehrheit entscheidet – aber nicht mehr rechtsstaatlich, wenn es nach denselben Maßstäben urteilt wie über Gesetze.186 Der demokratische Aspekt ist damit ein notwendiger, aber kein hinreichender Teilaspekt der Gewaltenteilung. 181  Hans-Detlef Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung: Überlegungen zu einer Organisationsmaxime des Verfassungsstaates, AöR 127 (2002), S. 427–459, 450 f.; s. auch Hans-Detlef Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 254 ff., S. 261 ff. 182  S. auch Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat 40 (2001), S. 525–552, 541. 183  Albert Venn Dicey, Introduction to the Study of the Law of the Constitution, 1885, reprint 1982, S. 3 ff. 184  Fabrice Tambe Endoh, Democratic Constitutionalism in Post-Apartheid South Africa: The Interim Constitution Revisited, Africa Review, 2015, S. 67–79, 72. 185  John Jay/Alexander Hamilton/James Madison, The Federalist Papers, 1787, Nr. 48 (James Madison): „The legislative department is everywhere extending the sphere of its activity, and drawing all power into its impetuous vortex.“ 186  So auch Puhl mit dem Vergleich zum attischen Scherbengericht, Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 260.

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IV. Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip Keine der vorgenannten drei Funktionen kann für sich genommen die Zuordnung von Kompetenzen zu bestimmten Gewalten und Organen erklären oder steuern. Teilweise folgen aus ihnen sogar gegensätzliche Antworten. So spricht die Funktion der Herrschaftsbegrenzung eher für eine strikte Trennung der Gewalten und eine Zuweisung von so viel Macht wie möglich an die Gerichte; die Funktion der demokratischen Herrschaftsermöglichung und Effektivierung der Ausübung von Staatsgewalt eher für eine Verschränkung der Gewalten und eine Zuweisung von so viel Macht wie möglich an die Legislative und die Exekutive. Außerdem fußen die erste und die dritte Funktion jeweils auf eigenen normativen Vorgaben. Nur das Gebot effektiver Funktionalität der Staatsgewalt ist nicht speziell normativ im Grundgesetz verankert. Effektive Funktionalität entsteht durch die Ausbalancierung des Spannungsverhältnisses von Rechtsstaat und Demokratie (1.). Die Gewaltenteilung gibt vor, wie diese Ausbalancierung stattzufinden hat (2.). Die Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip führt also zu effektiver Funktionalität und lässt sich als vierte Funktion von Gewaltenteilung beschreiben. 1. Das Spannungsverhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und seine Auswirkungen auf die effektive Funktionalität staatlicher Entscheidungen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie finden ihren Fluchtpunkt jeweils in der Menschenwürde187 und bedingen sich gegenseitig.188 Gleichzeitig stehen sie aber auch in einem Spannungsverhältnis zueinander.189 Das wird beson187  BVerfGE 123, 267, 341; BVerfGE 129, 124, 169; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 31; Frank Schorkopf, The European Union as an Association of Sovereign States: Karlsruhe’s Ruling on the Treaty of Lisbon, German Law Journal 2009, S. 1219–1240, 1221 ff.; s. auch Daniel Thym, Europäische Integration im Schatten souveräner Staatlichkeit, Der Staat 48 (2009), S. 559–586, 583 f.; Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S.  598 ff.; Christian Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 124; vgl. auch Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 293 f. 188  „Selbstbestimmung setzt die Menschenwürde des furchtlosen, aufrechten Ganges voraus. Denn wer in Angst vor dem Belieben der Herrscher das Rückgrat krümmen muss, ist offenbar nicht selbst Herrscher.“, Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, 4. Aufl. 1990, S. 224. 189  Zum Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaat und Demokratie s. auch Wolfgang Durner, Bewertung und Reformbedarf – Das maßgebliche Verfahrensrecht, in:



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes93

ders deutlich an dem Verhältnis von Gerichtsbarkeit und den anderen Gewalten, das schon immer Gegenstand ausführlicher Debatten und erbitterten Streits gewesen ist.190 Aus diesem Spannungsverhältnis entstehende mögliche Konflikte zwischen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedürfen der Ausbalancierung. Ansonsten würden widerstreitende Geltungsansprüche unversöhnlich nebeneinanderstehen und die Rechtsunterworfenen in nicht lösbare Dilemmata zwingen. Außerdem führt der mögliche Konflikt zu, in manchen Fällen sogar gewollten, Friktionen im staatlichen Handeln. Durch die Teilung der Staatsgewalt – als notwendig erkannt und vom Grundgesetz vorgesehen – werden Konflikte nicht nur erst möglich, sondern auch entschärft und aufgelöst. „Beide Legitimationsquellen, Demokratie und Grundrechte, werden vom Gewaltenteilungsprinzip aufgenommen, mit ihren Anliegen in eine dementsprechende Organisation der Staatsgewalt überführt und dort zur Wirksamkeit gebracht.“191 Dies lässt sich als die Dialektik der Gewaltenteilung bezeichnen. Das Zusammenspiel von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit führt darüberhinausgehend zu Synergieeffekten, die größer sind als die Summe beider Prinzipien. In dieser Erkenntnis spiegelt sich die Antwort auf die oben diskutierte Frage wider, ob effektive Funktionalität dem Rechtsstaatsprinzip192 oder dem Demokratieprinzip193 zuordnen ist. Erst durch das richtige Zusammenspiel beider Prinzipien entsteht effektive Funktionalität.194 Die Zuordnung der Staatsgewalt zu den Organen, „die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten VoraussetGesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik (Hrsg.), Bitburger Gespräche in München 2, Planen, Erklären, Zuhören – Wie Großprojekte mit Bürgerbeteiligung möglich werden, 2011, S. 21–49, 42; Günter Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1996, S. 127 ff.; Werner Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie (§ 12), in: Ernst Benda/ders./Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 427–536, Rn. 68 f. 190  Bezeichnend für dieses Problem ist die Aussage, dass „[d]ie Bundesrepublik Deutschland […] sich vom demokratischen Rechtsstaat zum ‚Richterstaat‘ gewandelt“ hat, Bernd Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, S. V. Grundlegend Hans Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein? Die Justiz 1930/31, S. 576–628; Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931. Dies gilt mehr noch für die Vereinigten Staaten von Amerika, s. John Hart Ely, Democracy and Distrust. A Theory of Judicial Review, 1980 und Alexander Bickel, The Least Dangerous Branch, 1962; Alec Stone Sweet, Governing with Judges, 2000, S. 127 ff. S. zudem Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Christoph Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011; Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975. 191  Hans-Detlef Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, 1999, S. 267. 192  S. die Nachweise auf S. 73, Fn. 102. 193  S. die Nachweise auf S. 72, Fn. 101. 194  S. oben S. 71 f.

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zungen verfügen“,195 orientiert sich daher – ebenso wie das richtige Ausmaß an Öffentlichkeitsbeteiligung – an der Auflösung des möglichen Konflikts von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie durch das Gewaltenteilungsprinzip. 2. Die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie durch den Gewaltenteilungsgrundsatz Wie geschieht die Auflösung des möglichen Konflikts von Rechtsstaatlichkeit, d. h. individueller Selbstbestimmung, und Demokratie, also kollektiver Selbstbestimmung? Das Spannungsverhältnis wird durch die Zuweisung von Aufgaben an die unterschiedlichen Gewalten ausbalanciert: Entscheidungen, die in hauptsächlich demokratisch fundierten Verfahren zustande kommen, weisen bestimmte Eigenschaften auf, die fundamental anders sind als Eigenschaften von Entscheidungen, die in Verfahren getroffen werden, die hauptsächlich dem Schutz von Rechtsstaatlichkeit (darunter Grundrechten) dienen.196 Es geht dabei um die „Intensität der Verrechtlichung“, also die „Determiniertheit“ der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reich­weite.“197 Grob gesprochen verwirklicht sich Demokratie durch Entscheidungen, die rechtlich selbst wenig determiniert sind, die zukunftsgerichtet sind198 und die die Allgemeinheit („persönliche Reichweite“ oder „personeller Betroffenheitsgrad“) und eine möglichst große Anzahl an Sachverhalten („sachliche 195  BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; 98, 218, 251 f. S. schon Hans Peters, Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, 1954, S. 27 f. 196  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17, 43; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 503; zustimmend zum Ganzen auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 181. 197  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508. Vgl. auch Dieter Grimm, Verfassungsreform in falscher Hand, Merkur 1992, S. 1059–1072, 1069 f., in Bezug auf „Ordnungswahrung“ und „Ordnungsgestaltung“: „Im Unterschied zur Ordnungswahrung wirkt die Ordnungsgestaltung prospektiv statt retro­ spektiv, flächendeckend statt punktuell, löst diffuse statt individuelle Betroffenheit aus.“ 198  Paul Kirchhof, Gewaltbalance zwischen europäischen und mitgliedstaatlichen Organen, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 99–123, 100 f.: „Das Prinzip der Gewaltenteilung ist ein Maßstab […] für die Zeitdimension von Staatsaufgaben und Organverantwortlichkeiten einer in die Zukunft vorgreifenden Gesetzgebung, einer mit der Gegenwart befassten Verwaltung und einer die Vergangenheit beurteilenden Rechtsprechung.“



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes95

Reichweite“ oder „sachlicher Konkretisierungsgrad“) betreffen.199 Rechtsstaatlichkeit und individuelle Rechte werden geschützt durch Entscheidungen, die rechtlich selbst strikt determiniert sind, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte betreffen und nur Einzelne in einem bestimmten Einzelfall binden. Jede staatliche Entscheidung ist über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, dem Gewaltenteilungsprinzip, mit einer der drei Gewalten verknüpft: Die Auflösung des Gegensatzes von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beruht also auf der Verteilung bestimmter Entscheidungen zu bestimmten Organen in bestimmten Verfahren: „Reichweite, zeitliche Orientierung und Intensität der Verrechtlichung sind Kriterien, die Verfahren und Organisation der Rechtserzeugung zum Regelungsgehalt des erzeugten Rechts in Verhältnis setzen.“200 Eine solche Zuordnung hat zudem den positiven Effekt, dass sie die effektive Funktionalität staatlichen Handelns erhöht. Dieses Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist von besonderer Bedeutung für die Partizipationsdiskussion: Auch hier ist die Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die Erreichung von effektiver Funktionalität zentral für das richtige Ausmaß des Einflusses von Partizipation und für die richtige Auswahl der Partizipationsberechtigten. a) Legislative ermöglicht kollektive Selbstbestimmung Entscheidungen in demokratischen Verfahren, die kollektive Selbstbestimmung ermöglichen, werden grundsätzlich von der Legislative getroffen. Dadurch wird kollektive Selbstbestimmung verwirklicht. So ist ein Parlamentsgesetz allein durch die Verfassung rechtlich determiniert, es regelt in der Regel zukünftige Sachverhalte,201 betrifft die Allgemeinheit und eine Vielzahl von möglichen Sachverhalten.202 Die Staatsgewalt ermöglicht kollektive 199  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508. 200  Christoph Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, Rn. 54. 201  Hartmut Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz (§ 79), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 395–475, Rn. 1. S. auch Eckart Klein, Staat und Zeit, 2006, S. 50: „die Zeitwirkung der Gesetzgebung [wird] in der zu planenden Zukunft […] gesehen“. 202  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 58, 105 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 509 ff.; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, Rn. 54. S. auch BVerfG, Beschluss v. 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, Rn. 55. Kritisch zur Zeitdimension Oliver Lepsius, Zur Neube-

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Selbstbestimmung durch Verfahren mit demokratischer Beteiligung, wie Wahl- und Abstimmungsverfahren.203 Die die Allgemeinheit betreffenden Fragen werden vornehmlich dem demokratischen Prozess zugewiesen.204 Hier entscheidet das Kollektiv „Volk“ oder zumindest ihr Repräsentant und nicht der Einzelne. Grundsätzlich ist dem Parlament diese Aufgabe zugeordnet. Zugleich finden sich auch im Verwaltungsrecht Verfahren, die aufgrund ihrer „Reichweite“ Züge kollektiver Selbstbestimmung aufweisen, etwa die Verfahren delegierter Rechtsetzung. b) Judikative schützt individuelle Selbstbestimmung Entscheidungen in Verfahren zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit und individueller Rechte und damit individueller Selbstbestimmung werden grundsätzlich von der Judikative getroffen. Zwar bestimmt zunächst jede Person frei und unabhängig vom Staat über sich selbst. Die individuelle Selbstbestimmung des einen kann jedoch mit der individuellen Selbstbestimmung des anderen in Konflikt geraten. Um diese Konflikte auszubalancieren, stellt der Staat entsprechende rechtsstaatliche Verfahren zur Verfügung. Die Staatsgewalt muss individuelle Selbstbestimmung schützen, ausgestalten und durchsetzen, indem sie Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zur Verfügung stellt. Individuelle Selbstbestimmung wird also durch den verfahrensmäßigen Schutz subjektiver Rechte gesichert,205 sei es durch die Verwaltung, sei es durch die Gerichte. Hierbei wird der in seinen Rechten betroffene Einzelne in den Mittelpunkt gestellt, Gerichte individualisieren Rechtssätze in Einzelfällen.206 Die den Einzelnen betreffenden Fragen werden vornehmlich dem gründung des Rückwirkungsverbots aus der Gewaltenteilung. Besprechung von BVerfG, Beschluss v. 17. 12. 2013 – 1 BvL 5/08, JZ 2014, S. 488–500, 493. Zustimmend zur Zeitdimension Paul Kirchhof, Gewaltbalance zwischen europäischen und mitgliedstaatlichen Organen, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S.  99–123, 101 f. 203  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 503. 204  Martin Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 356; Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 503. 205  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 43 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 505; ähnlich Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 264 f.; Claudio Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zur Bestimmung der Klagebefugnis im Umweltrecht, DVBl. 2014, S. 543–550, 549. 206  Christian Starck, Der demokratische Verfassungsstaat. Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen, 1995, S. 77 ff.



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rechtsstaatlichen Prozess zugewiesen. So ist ein Gerichtsurteil durch das gesamte Gesetzesrecht determiniert, es hat in der Regel einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt zum Gegenstand207 und es betrifft nur den Kläger sowie mögliche Verfahrensbeteiligte in einem bestimmten Einzelfall.208 Es lässt sich allerdings nicht ganz zu Unrecht einwenden, dass die Rechtsetzungstätigkeit der Rechtsprechung schon lange bekannt ist.209 Die gerichtliche Form der Rechtsetzung unterscheidet sich aber in fundamentaler Weise von parlamentarischer und exekutiver Rechtsetzung. So gehört Richterrecht im civil law anders als im common law schon nicht zu den eigenständigen Rechtsquellen.210 Richterliche Rechtsfortbildung und Rechtsetzung finden anlässlich eines Einzelfalls statt und binden über den Einzelfall hinaus lediglich faktisch und nicht rechtlich. Schließlich wenden Gerichte eine spezifisch juristische Methodik an und handeln nicht (rechts-)politisch wie das Parlament.211 Die zurückhaltende Rolle der einfachen Gerichte zeigt sich darüber hinaus deutlich an dem Umstand, dass nur das Bundesverfassungsgericht Gesetze für nichtig erklären kann, aber kein anderes nationales Gericht. Selbst andere verfassungsgerichtsähnliche Gerichte wie der Gerichtshof der Europäischen Union212 oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte213 überlassen 207  Vgl. BVerfGE 22, 49, 76 f.: „ausnahmslose repressive Rechtskontrolle bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt nach Art. 19 Abs. 4 GG.“; Paul Kirchhof, Gewaltbalance zwischen europäischen und mitgliedstaatlichen Organen, in: Josef Isensee (Hrsg.), Gewaltenteilung heute, 2000, S. 99–123, 102: „Die Rechtsprechung beurteilt abgeschlossene, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, wendet auf diese den Gesetzesmaßstab an und veranlasst so eine stetige, Rechtskontinuität wahrende Vergewisserung über die Inhalte und die tatsächliche Gestaltungsmacht des Rechts.“ 208  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 58, 95 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 512 ff.; Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 570. 209  Vgl. Armin von Bogdandy/Ingo Venzke, In Whose Name? An Investigation of International Courts’ Public Authority and Its Democratic Justification, EJIL 23 (2012), S. 7–41, 14 f.; Ralf Dreier, Der Begriff des Rechts, NJW 1986, S. 890–896, 892 m. w. N. 210  Christian Starck, Der demokratische Verfassungsstaat. Gestalt, Grundlagen, Gefährdungen, 1995, S. 81 m. w. N. auch zur Gegenmeinung. 211  Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang HoffmannRiem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 570. 212  Zu der Frage, ob der EuGH als Verfassungsgericht angesehen werden kann Lukas Bauer, Der Europäische Gerichtshof als Verfassungsgericht?, 2008; Marcus Höreth, Der Europäische Gerichtshof: Verfassungsgericht oder nur ein „Agent“ der

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es dem nationalen Gesetzgeber, wie er mit den Folgen seiner Judikatur umzugehen hat. Dem außerhalb des Instanzenzuges stehenden Bundesverfassungsgericht kommt im Übrigen eine Sonderrolle zu.214 Anders als die anderen Gerichte dient das Bundesverfassungsgericht nicht nur dem Schutz individueller Selbstbestimmung. Es ist immer auch ein politisches Gericht.215 Es kann Gesetze für nichtig erklären, sofern es nach § 31 Abs. 2 BVerfGG mit Gesetzeskraft entscheidet. Auch bestimmte verfassungsgerichtliche Verfahren, wie das der abstrakten Normenkontrolle, das Organstreitverfahren oder der BundLänder-Streit haben nicht den Schutz individueller Selbstbestimmung zum Gegenstand. Diese Sonderrolle der nationalen Verfassungsgerichte zeigt sich an der alten, aber immer aktuellen Diskussion um die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit oder gar ihrer Existenzberechtigung,216 die sich am Stichwort der „counter-majoritarian difficulty“217 festmachen lässt. Trotz dieser Sonderrolle urteilt das Bundesverfassungsgericht immer nur über einen konkreten Rechtsfall. Das Gutachtenverfahren nach § 97 BVerfGG ­ wurde schon 1956 wieder abgeschafft. Bei allem Einfluss auf die kollektive Selbstbestimmung ist auch das Bundesverfassungsgericht in aller Linie ein Gericht und nicht etwa eine dritte Gesetzgebungskammer, auch wenn es sich manchmal, wie in Fällen mit europarechtlichem Bezug, so gerieren mag.218 Es darf zwar Gesetze für nichtig erklären, aber diese Nichtigerklärung dient jedenfalls dann, wenn es einen Mitgliedstaaten?, in: ders./Frank Decker (Hrsg.), Die Verfassung Europas. Perspektiven des Integrationsprojekts, S. 165–200. 213  Zu der Frage, ob der EGMR als Verfassungsgericht angesehen werden kann Geir Ulfstein, The European Court of Human Rights as a Constitutional Court?, in: Stephan Stetter (Hrsg.), Leben in der Weltgesellschaft – Regieren im Weltstaat, 2014, S. 47–51; Alec Stone Sweet, Sur la constitutionnalisation de la Convention européenne des droits de l’homme: cinquante ans après son installation, la Cour européenne des droits de l’homme conçue comme une Cour constitutionnelle, Revue trimestrielle des droits de l’homme 2009, S. 923–944; Jacob Mchangama, The European Court of Human Rights – A European Constitutional Court?, 13 Engage 2012, S. 106–109. 214  S. dazu Helge Sodan, Staat und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2010, S. 35 ff. 215  S. Klaus Joachim Grigoleit, Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, 2004, S. 112; Jutta Limbach, Das Bundesverfassungsgericht als politischer Machtfaktor, Speyrer Vorträge, Heft 30, 1995, S. 13. 216  S. die Nachweise auf S. 93, Fn. 190 und z. B. BVerfGE 134, 366, Sondervotum Getrude Lübbe-Wolff. 217  Der Begriff geht zurück auf Alexander Bickel, The Least Dangerous Branch, 1962. 218  Dominik Steiger, Entgrenzte Gerichte? Die Ausweitung des subjektiven Rechts und der richterlichen Kontrollbefugnisse – Parlament und Verwaltung im „Koopera­ tionsverhältnis“ der deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem EuGH, VerwArch 2016, S. 497–535, 535.



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Grundrechtsverstoß bejaht, der Sicherung der individuellen Selbstbestimmung jedes Einzelnen, nicht der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung des Volkes.219 Hinzu kommt, dass diese Form des Einwirkens auf Gesetze grundsätzlich lediglich negativer und damit abwehrender Natur ist, aber nicht positiver und damit gestaltender Natur. Gerade und vor allem beim Verfahren der Verfassungsbeschwerde, dem „zentral[n] verfassungsrechtliche[n] Rechts­ behelf“,220 zeigt sich, wie sehr das Bundesverfassungsgericht auf den Schutz individueller Rechte ausgerichtet ist: Rechte des Einzelnen sind hier der qualitative Maßstab des Gerichts, auch wenn quantitativ jeder Einzelne betroffen sein mag. Die vom Bundesverfassungsgericht schon früh erkannte auch objektive Funktion der Verfassungsbeschwerde221 ist der subjektiven Rechtsschutzfunktion zwingend nachgeordnet, da die Rüge einer subjektiven Verfassungsrechtsverletzung Voraussetzung jeder Verfassungsbeschwerde ist.222 c) Exekutive zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung Die Exekutive ist zwischen beiden Polen angesiedelt.223 Hier wird der Bogen, der sich von der kollektiven Selbstbestimmung hin zu individueller Selbstbestimmung spannt, besonders deutlich: Auf der einen Seite steht als „quasi-legislatorische“ Gewalt die Regierung und auf der anderen Seite als „quasi-judikative“ Gewalt eine untere Behörde. Die Regierung kann nach den Regeln des Art. 80 GG ähnlich einem Parlament (materielle) Gesetze erlassen und verwirklicht so kollektive Selbstbestimmung. Dabei ist sie aber rechtlich determinierter als das Parlament und tendiert so schon ein Stück weit in Richtung individueller Selbstbestimmung. Die unteren Behörden entscheiden ähnlich wie Gerichte und schützen individuelle Selbstbestimmung. Anders als Gerichten kommt den unteren Behörden in Ermessensfällen ein 219  Zu dieser entscheidenden Abgrenzung auf Ebene der Judikative zwischen dem Schutz des individuellen Rechts einerseits und der Aufrechterhaltung des kollektiven Entscheidungsfindungsprozesses s. Dominik Steiger, Entgrenzte Gerichte? Die Ausweitung des subjektiven Rechts und der richterlichen Kontrollbefugnisse – Parlament und Verwaltung im „Kooperationsverhältnis“ der deutschen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem EuGH, VerwArch 2016, S. 497–535. 220  Jürgen Held, Art. 130a RhPfVerf, in: Christoph Grimm/Peter Caesar (Hrsg.), Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2001, Rn. 1; zustimmend zitiert von Helge Sodan, Staat und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2010, S. 61 f. 221  BVerfGE 33, 247, 259. 222  BVerfGE 45, 63, 74. 223  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 112 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 514 ff.; Thomas Groß, Die asymmetrische Funktionenordnung der demokratischen Verfassung – Zur Dekonstruktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Der Staat 2016, S. 489–517, 506.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

eigener Entscheidungsspielraum zu. So tendieren sie schon ein Stück weit in Richtung kollektiver Selbstbestimmung. Auf dem Spannungsbogen von kollektiver Selbstbestimmung hin zu individueller Selbstbestimmung sind zwischen der Regierung und den unteren Behörden u. a. die Planfeststellungsbehörden angesiedelt. Planerische Tätigkeit verwirklicht neben kollektiver auch individuelle Selbstbestimmung. Damit schlägt der Gewaltenteilungsgrundsatz durch die Zuordnung von bestimmten Entscheidungen zu bestimmten Gewalten einen Bogen zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung und balanciert so die Konflikte zwischen beiden Selbstbestimmungsformen aus. Diese Ausbalancierung trägt zur Legitimation von Staatsgewalt bei.224 d) Der Zusammenhang von individueller und kollektiver Selbstbestimmung Trotz dieser Zuordnung verschiedener Selbstbestimmungsformen zu jeweils einer Gewalt ist zu betonen, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so eng miteinander verknüpft sind, dass sie nie unabhängig voneinander verwirklicht werden können.225 Beide Konzepte sind zwingend zusammen zu denken. Dies lässt sich schon an dem vielfach, u. a. vom Bundesverfassungsgericht, benutzten Wortpaar des „demokratischen Rechtsstaat[s]“226 erkennen. Rechtsstaatliche Verfahren zum Schutz individueller Selbstbestimmung beruhen immer auf Entscheidungen, die demokratisch und damit im Wege kollektiver Selbstbestimmung getroffen wurden und sie haben faktisch auch oft Auswirkungen, die über die unmittelbar Betroffenen hinausgehen. Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Verfahren, die kollektive Selbstbestimmung ermöglichen, achten individuelle Selbstbestimmung. Dies zeigt schon Art. 1 Abs. 3 GG, der alle Staatsgewalt an die Grundrechte bindet. Die Ausübung kollektiver Selbstbestimmung wird durch die Sicherung individueller Selbstbestimmung beschränkt.

C. Modi der Gewaltenteilung als Mittel der Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Neben den vier Funktionen der Gewaltenteilung – der Hemmung und Mäßigung von Staatsgewalt, der Effektivierung staatlicher Gewalt, der Ermächtigung von Staatsgewalt und der Ausbalancierung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip – lassen sich verschiedene Modi der Gewaltenteilung Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 15, 34. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 57. 226  Siehe u. a. BVerfGE 9, 268, 281; 27, 44, 55 f. 224  Christoph 225  Christoph



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes101

unterscheiden. Sie lassen bei genauerem Hinschauen erkennen, dass sie der Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und der Erzielung von effektiver Funktionalität dienen. Die Ausgestaltung der Gewaltenteilung und die damit einhergehende Unterteilung in verschiedene Modi erlaubt folglich, dass die Funktionen der Gewaltenteilung zur vollen Verwirklichung gebracht werden. Es lassen sich drei Modi227 der Gewaltenteilung unterscheiden. Der erste Modus ist die funktionelle Gewaltenteilung, nach der die Gewalten in Legislative, Exekutive und Judikative unterschieden werden. Der zweite Modus ist die organisatorische (oder institutionelle) Gewaltenteilung,228 nach der jede Gewalt einem bestimmten Träger zugeordnet ist, z. B. dem Parlament, der Regierung und ihren nachgeordneten Behörden sowie Gerichten. Während aus der funktionellen und organisatorischen Gewaltenteilung eine vornehmlich positive Kompetenzzuordnung folgt, ist der dritte Modus, die personelle Gewaltenteilung, vor allem negativ gefasst. Sie lässt sich als unterstützende Gewaltenteilung verstehen, die die funktionelle und organisatorische Gewaltenteilung personell absichert.229 Kernaussage der im Grundgesetz schwach ausgebildeten230 personellen Gewaltenteilung ist, dass eine Person, die ein Amt in der einen Gewalt innehat, kein Amt in der anderen Gewalt innehaben darf. Damit wird gewährleistet, dass die Gewaltenteilung nicht aufgrund von Personenkongruenzen unterlaufen wird. In der funktionellen Gewaltenteilung werden kollektive und individuelle Selbstbestimmung den Funktionen Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt zugeordnet (I.). In der organisatorischen Gewaltenteilung werden kollektive und individuelle Selbstbestimmung bestimmten Organen zugeordnet (II.). 227  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 9, spricht von den drei „Regelungsmodi“ und „Entfaltungsmodi“: funktionale, organisatorische und personelle Gewaltenteilung. Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung – Ein Überblick, JuS 1986, S. 195–201, 196 f., nennt noch zwei weitere Modi, so die formelle Gewaltenteilung, die aber mit der funktionellen Gewaltenteilung ineinanderfließt. Nach Grzeszick ist die dreigliedrige Gewaltenteilung von der Gewaltenteilung als formalem Prinzip zu unterscheiden, das nur zwei Bestandteile enthält: „Zum einen die Forderung nach einer Pluralität von Gewaltenträgern; zum anderen die Forderung nach einer strikten Zuständigkeitsordnung für die Rechtserzeugung.“, so Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 70. 228  Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung – Ein Überblick, JuS 1986, S. 195–201, 197, der Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung und Richter nennt. 229  Wolf R. Wrege, Das System der Gewaltenteilung im Grundgesetz, Jura 1996, S. 436–440, 438. 230  S. Ingo von Münch, Minister und Abgeordneter in einer Person: die andauernde Verhöhnung der Gewaltenteilung, NJW 1998, S. 34–35.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

I. Funktionelle Gewaltenteilung Die Formulierung des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG knüpft an die funktionelle Gewaltenteilung an und spricht dementsprechend von der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung. Auf verfassungsrechtlicher Ebene ist die Gesetzgebung in Art. 70 ff. GG geregelt, die Verwaltung in den Art. 62 ff. GG für die Bundesregierung und den Art. 83 ff. GG für die Ausführung von Gesetzen und die Rechtsprechung in den Art. 92 ff. GG. Diese Normen greifen den Gedanken der Gewaltenteilung auf und verfeinern ihn. Die funktionelle Gewaltenteilung stellt entsprechend ihrer Bezeichnung auf die jeweilige Tätigkeit der Gewalten ab.231 Grob gesagt gilt folgendes: Demokratie und kollektive Selbstbestimmung verwirklichen sich vornehmlich durch die Gesetzgebung. Die gesetzgebende Gewalt soll im Rahmen der funktionalen Arbeitsteilung allgemeine Regelungen für das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft schaffen. Dies geschieht durch Gesetze, die grundsätzlich generell-abstrakte Regelungen sind,232 d. h. sie treffen eine unbestimmte Vielzahl von Menschen (generell) und eine Vielzahl von konkreten Situationen (abstrakt).233 Dies ist aber keineswegs absolut zu verstehen, so kann dem Grundgesetz nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts nicht „entnommen werden, dass es von einem Gesetzesbegriff ausgeht, der nur generelle Regelungen zulässt. Dies bestätigen sowohl Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, der Einzelfallgesetze nicht generell, sondern nur in seinem Gewährleistungsbereich ausschließt, als auch Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG, der dem Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit der Enteignung durch Gesetz eröffnet.“234

Rechtsstaatlichkeit und individuelle Selbstbestimmung verwirklichen sich vornehmlich durch die rechtsprechende Gewalt. Sie handelt durch Urteile. Urteile sind verbindliche, ausschließlich am Recht orientierte und in geord231  Eine reine Trennung ist nicht möglich, es ließe sich auch auf Aufgaben abstellen, aber da Aufgaben Kompetenzen sind und diese Organen und nicht Gewalten zugeordnet werden, erscheint das Abstellen auf die namensgebenden Tätigkeiten am geeignetsten zu sein. S. dazu Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung – Ein Überblick, JuS 1986, S. 195–201, 196; BVerfGE 95, 1, 15. Ausführlich auch Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 82 ff. Für eine Übersicht der einzelnen jeweiligen Kompetenznormen s. Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 565 ff. 232  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 83. 233  Vgl. BVerfGE 95, 1, 16. 234  BVerfGE 95, 1, 17.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes103

neten Verfahren getroffene Entscheidungen in konkreten Rechtsstreitigkeiten.235 Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden sich beide in der vollziehenden Gewalt wieder. Die sog. Substraktionsmethode, nach der der Exekutive jede Tätigkeit obliegt, die nicht Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist,236 zeigt nur die eine Hälfte der Medaille. Es scheint hier passender zu sein, von einer Additionsmethode zu sprechen, denn die Exekutive wird sowohl gesetzgeberisch tätig als auch rechtsprechungsähnlich. Im englischen Sprachgebrauch kommt diese Ähnlichkeit besonders zum Tragen, hier wird zwischen exekutivem Handeln, das als „Rule making“237 bezeichnet wird und Handeln, das als „Adjudication“238 bezeichnet wird, unterschieden. Im Deutschen entspricht diese Unterscheidung der Unterscheidung zwischen Rechtsgestaltung durch Verordnungsgebung oder auch – in geringerem Maße – Planung sowie reinem Gesetzesvollzug. Während das Rechtsstaatsprinzip im Gesetzesvollzug stark ausgeprägt ist – hier handelt die Verwaltung vor allem konkretindividuell,239 – es geht um den „Vorgang der Subsumtion eines bestimmten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmal einer generell-abstrakten Norm“ –,240 kommt in der Rechtsgestaltung das Demokratieprinzip mehr zum Tragen. Hier wird die Exekutive in einem „komplexen Prozess der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel“ tätig.241 Die funktionelle Gewaltenteilung weist damit bestimmten Gewalten bestimmte Tätigkeiten entsprechend ihren Funktionen zu und stellt dabei in entscheidender Weise auf die Sicherung individueller und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung ab. 235  BVerfGE 103, 111, 136 ff.; Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/ Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 258; s. Dieter Wilke, Die rechtsprechende Gewalt (§ 112), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, S. 633–679, Rn. 58 ff. Auch das Verhängen von Strafen fällt darunter, Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 85. 236  Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band, Allg. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 1. 237  Section 553 APA, s. dazu Jeffrey S. Lubbers, A Guide to Federal Agency ­Rulemaking, 6th ed., 2018, S. 58 ff. 238  Section 554 APA, s. dazu Jeffrey B. Litwak (Hrsg.), A Guide to Federal Agency Adjudication, 2nd ed., 2012. 239  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 84. 240  BVerfGE 95, 1, 16. 241  So die Definition von Planung durch BVerfGE 95, 1, 15.

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II. Organisatorische (oder institutionelle) Gewaltenteilung Die organisatorische oder institutionelle Gewaltenteilung ist eng mit der funktionellen Gewaltenteilung verknüpft. Während letztere den Funktionen „Gesetzgebung“, „Gesetzesvollziehung“ und „Rechtsprechung“ einen genaueren Inhalt durch eine nähere Bestimmung der Tätigkeiten und ihrer Wirkweise ermöglichen will, verbindet erstere diese Funktionen mit bestimmten Organen. Damit nimmt die funktionelle Gewaltenteilung eine Grobzuordnung von Funktionen zu Gewalten vor, während die organisatorische Gewaltenteilung diese Grobzuordnung auf die Organe hin verfeinert. Dies geschieht in Abhängigkeit davon, ob die Tätigkeiten der Organe auf dem Bogen von Demokratie hin zu Rechtsstaatlichkeit mehr auf der Seite kollektiver Selbstbestimmung oder mehr auf der Seite individueller Selbstbestimmung zu verorten sind. Dementsprechend werden die Funktionen entsprechenden Organen zugewiesen, um auf die Art und Weise Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu voller Wirksamkeit zu verhelfen. Außerdem verringert diese Zuordnung die Friktionen zwischen beiden Prinzipien, indem so garantiert wird, dass spezialisierte Organe Staatsgewalt effizient und funktionengerecht ausüben. Die positive Kompetenzordnung des Grundgesetzes folgt weitestgehend dieser auf Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip basierenden und zu effektiver Funktionalität führenden Zuordnung. Art. 77 GG ordnet die Gesetzgebung den Organen Bundestag und Bundesrat zu und regelt, dass die Gesetze grundsätzlich vom Bundestag beschlossen werden, der Bundesrat gegebenenfalls zustimmen muss. Vor allem der Bundestag, z. T. auch der Bundesrat, ermöglicht kollektive Selbstbestimmung. Der Abschluss der Gesetzgebung bedarf außerdem noch der Mitwirkung des Bundespräsidenten, der dennoch ein Exekutivorgan darstellt. Bezüglich der Auswahl der zu behandelnden Themen wird von einer Allzuständigkeit von Bundestag und Bundesrat ausgegangen. Art. 20 Abs. 3 GG „gewährt der Legislative gewissermaßen ein Recht des ersten Zugriffs auf die Sachprobleme. Macht sie davon Gebrauch, so ist die Exekutive in dem Umfang, in dem das Gesetz Regelungen schafft, auf den Gesetzesvollzug beschränkt“.242 Macht sie keinen Gebrauch davon und gibt es daher kein Gesetz, dessen Vorrang die Exekutive zu beachten hat, so ist die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes zu beachten, nach der die Verwaltung grundsätzlich nur handeln darf, wenn 242  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 80; Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/Gerd Morgenthaler/ Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 254; s. auch Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat 40 (2001), S. 525–552, 541 ff., die von einer Vermutungsregel für das Parlament spricht.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes105

ein entsprechendes Gesetz sie zum Handeln ermächtigt. Eine besondere Ausprägung ist die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie, nach der ein Handeln des Parlaments verlangt wird, wenn wesent­ liche Entscheidungen getroffen werden müssen. Das sind vor allem solche Entscheidungen, bei denen Grundrechte betroffen sind.243 Außerdem gehören das Budgetrecht (Art. 110 GG) und die Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden in neu auftretenden Verwaltungsbereichen (Art. 87 Abs. 3 S. 2 GG) zu den Bereichen, in denen per formeller Gesetzgebung gehandelt werden muss. Allerdings folgt gerade aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, dass diese Allzuständigkeit nicht so weit reicht, dass der Gesetzgeber alles machen darf oder machen muss. Das verhindert schon Art. 19 Abs. 1 GG (Verbot des Einzelfallgesetzes). Das Grundgesetz weist dem Bundestag weitere Aufgaben zu, die zwar keine Gesetzgebungstätigkeit darstellen, aber kollektive Selbstbestimmung ermöglichen sollen, da sie viele Menschen betreffen, in die Zukunft gerichtet sind und dem Parlament einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnen. Dazu gehört die Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen (Art. 59 Abs. 2 GG, ggf. mit Bundesrat), die Feststellung des Verteidigungs- (Art. 115a Abs. 1 S. 1, mit Bundesrat) und Spannungsfalls (Art. 80a Abs. 1 S. 1 GG); die Erstellung des Haushaltplans (Art. 110 GG), die Mitwirkung an Fragen der Europäischen Union (Art. 23 Abs. 2–3 GG, mit Bundesrat) und der Beschluss über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland.244 Die Aufgabe der Wahlprüfung nach Art. 41 GG bezieht sich ebenfalls unmittelbar auf kollektive Selbstbestimmung.245 Ganz im Sinne einer Gewaltenverschränkung übernimmt der Bundestag auch selbst vollziehende Aufgaben, so ist der Bundestagspräsident Inhaber der Polizeigewalt (Art. 40 Abs. 2 S. 1 GG). Diese Gewaltenverschränkung verblasst aber im Vergleich zur Haupttätigkeit des Parlaments, der Gesetzgebung. Eine andere Form der Gewaltenverschränkung stellt der Umstand dar, dass auch der Bundesrat formeller Gesetzgeber ist, er aber nicht direkt gewählt, sondern nach Art. 51 GG von den Landesregierungen beschickt wird. Auch den Bundesrat treffen wie den Bundestag neben Aufgaben der Gesetzgebung (Art. 50, 70 ff. GG) weitere Aufgaben, die zu einer Gewaltenverschränkung führen. So ist er beim Erlass von Rechtsverordnungen nach Maßgabe des Art. 80 GG zu beteiligen. 243  S. dazu Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 314 ff. 244  Grundlegend BVerfGE 90, 286, zuletzt BVerfG, Urteil v. 23. September 2015, 2 BvE 6/11. 245  S. Paul Glauben, Wahlprüfung als Garantie des unverfälschten Willens des Souveräns, NVwZ 2017, S. 1419–1424.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Die Aufgaben der Exekutive, die hier in einem umfassenden Sinn als Regierung und Verwaltung verstanden wird und auch den Bundespräsidenten umfasst,246 werden verschiedenen Organen zugewiesen. Die Vielfalt der Kompetenzen spiegelt sich in der Vielfalt der Organe und ihrer Aufgaben wider: So sehen u. a. die Art. 59 und 60 GG Befugnisse des Bundespräsidenten vor, nämlich die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik, das Recht der Beamtenernennung und das Begnadigungsrecht. Daneben bestehen Kompetenzen, die sich auf die Funktionen der anderen Gewalten auswirken. Dazu gehört etwa das Recht, besser: die Pflicht,247 Gesetze auszufertigen (Art. 82 GG) oder den Bundestag aufzulösen. Hier ist kollektive Selbstbestimmung berührt. Die Bundesregierung handelt entweder als Ganzes oder durch den Bundeskanzler oder die einzelnen Minister. Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und die Minister leiten ihr eigenes Ressort (Art. 65 GG). Zudem haben die Organe der Exekutive Einfluss auf das Parlament und haben so auch Einfluss auf die Gesetzgebung. So steht der Bundesregierung als Ganzes das Gesetzesinitiativrecht zu (Art. 76 Abs. 1 GG), ebenso wie das Haushaltsinitiativrecht (Art. 110, 113 GG). Die Bundesregierung oder ein Bundesminister kann auch selbst (materielle) Gesetze in Form von Rechtsverordnungen nach Art. 80 GG erlassen, sofern der Bundestag vorher ein entsprechendes Ermächtigungsgesetz erlassen hat. Die Kompetenz zum Erlass von Verordnungen lässt sich entweder als eine Durchbrechung oder eine Ausformung des Gewaltenteilungsprinzips im Grundgesetz betrachten.248 Hier zeigt sich in besonderer Klarheit der Zusammenhang von Regierungshandeln und kollektiver Selbstbestimmung. Die landes- und bundeseigene Verwaltung, die ausführlich in den Art. 83 ff. GG normiert ist, tendiert schon mehr in Richtung Schutz individueller Selbstbestimmung: Anders als die Regierung kann sie selbst keine materiellen Gesetze erlassen, vielmehr ist sie an die Gesetze gebunden. Das Grund246  Roman Herzog, Art. 54 GG (Wahl durch die Bundesversammlung), in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 17. 247  S. ausführlich und mit weiteren Nachweisen zu den Prüfungskompetenzen des Bundespräsidenten Hermann Butzer, Art. 82 GG, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 115 ff. 248  Zu dieser Diskussion s. Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat 40 (2001), S. 525–552, 545 m. w. N.: Diese Sichtweise „zwingt dazu, dauernd ‚Durchbrechungen‘ zu konstatieren, anstatt Verflechtungen zu sehen, die rechtlich und auch empirisch im Vordergrund stehen.“ Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 527: „dient […] der Sicherung der Zuordnung der Funktionen im Rahmen der Gewaltenteilung“, unter Verweis auf BVerfGE 1, 14, 60; 7, 282, 301; 18, 52, 59; 23, 62, 73; 78, 249, 272 ff.



Kapitel 2: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes107

gesetz konstituiert und gewährleistet bestimmte Verwaltungsbehörden, so etwa die Bundesfinanzverwaltung nach Art. 87 Abs. 1 GG. Neue selbständige Bundesoberbehörden darf nur der Bundestag nach Art. 87 Abs. 3 GG schaffen. Darunter fallen z. B. auch die Regulierungsbehörden. Die Verwaltungsbehörden der funktionalen und territorialen Selbstverwaltungseinheiten sind nicht umfänglich, aber doch teilweise, im Grundgesetz geregelt. So werden beispielsweise die Gemeinden und Kreise in Art. 28 GG garantiert, Art. 5 Abs. 3 GG schützt die Universitäten, die Bundesbank findet Erwähnung in Art. 88 GG, die Sozialversicherungen in Art. 87 Abs. 2 GG. Besonders dem Schutz individueller Selbstbestimmung verpflichtet ist die Rechtsprechung. Dazu zählen organisatorisch das Bundesverfassungsgericht, die fünf obersten Gerichtshöfe des Bundes sowie die unteren Gerichte. Obgleich dem Bundesverfassungsgericht eine Sonderrolle zukommt,249 urteilt das Bundesverfassungsgericht immer nur über einen konkreten Rechtsfall und schützt zumindest bei einer Verfassungsbeschwerde zuvorderst individuelle Selbstbestimmung. Die obersten Gerichtshöfe entscheiden grundsätzlich – wenngleich nicht immer, z. B. in manchen Planungsentscheidungen, in denen sie auch als Tatsacheninstanz agieren250 – als Revisionsgerichte für die auf Landesebene ein- bis drei-instanzlich organisierte ordentliche, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit (Art. 95 Abs. 1 GG). Gerichte entscheiden Einzelfälle zwischen Einzelnen und dem Staat oder Einzelnen nach dem Maßstab des Rechts und schützen die Rechte und die individuelle Selbstbestimmung der Prozessparteien. Außerdem schützen Gerichte individuelle Selbstbestimmung auch durch die Richtervorbehalte. Das Grundgesetz sieht mehrere Entscheidungen vor, die die Exekutive nur durchführen kann, sofern vorher ein Richter seine Zustimmung erteilt hat. So ist die Aberkennung von Grundrechten nach Art. 18 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.251 Auch andere Gerichte kennen Richtervorbehalte, nach Art. 13 Abs. 2 GG ist die Durchsuchung von 249  S. oben

S. 98 f. VwGO enumeriert die Fälle, in denen das Bundesverwaltungsgericht erste und letzte Instanz ist. Dazu gehören nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben betreffen, die in dem Allgemeinen Eisenbahngesetz, dem Bundesfernstraßengesetz, dem Bundeswasserstraßengesetz, dem Energieleitungsausbaugesetz, dem Bundesbedarfsplangesetz oder dem Magnetschwebebahnplanungsgesetz bezeichnet sind. 251  Nicht alle Richtervorbehalte dienen der individuellen Selbstbestimmung Einzelner. Art. 21 Abs. 2 S. 2 GG ordnet die Kompetenz, politische Parteien zu verbieten und Art. 100 Abs. 1 GG die Kompetenz, nachkonstitutionelle förmliche Gesetze für nichtig zu erklären, jeweils dem Bundesverfassungsgericht zu. Dass es hier nicht nur um dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidungen geht, ist kein Zufall, sondern unterstreicht die Sonderrolle des Bundesverfassungsgerichts. 250  § 50

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Wohnräumen und nach Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG die Freiheitsentziehung nur nach vorheriger richterlicher Anordnung statthaft. Das Bundesverfassungsgericht hat weitere Richtervorbehalte aus der Verfassung entwickelt.252 Schließlich nehmen die Gerichte Aufgaben der anderen Gewalten war. Prominentester und umstrittenster Fall ist mit Sicherheit der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in gewissen Fällen, namentlich der abstrakten und konkreten Normenkontrolle, mit Gesetzeskraft entscheidet (§  31 BVerfGG). Außerdem nehmen die Gerichte zum Teil Verwaltungstätigkeiten wahr, etwa als Registergerichte. Solche Überschneidungen mit anderen Gewalten kommen zwar vor, sind aber nur beschränkt möglich. Dies bringt die Kernbereichslehre zum Ausdruck.253 Die organisatorische oder institutionelle Gewaltenteilung verfeinert die Unterteilung der funktionellen Gewaltenteilung. Aus der gesetzgebenden Gewalt werden Bundestag und Bundesrat, aus der vollziehenden Gewalt Bundespräsident und Bundesregierung sowie Behörden der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung und aus der rechtsprechenden Gewalt werden Bundesverfassungsgericht, oberste Bundesgerichte und die unterschiedlichen Landesgerichte. In dieser feineren Unterteilung zeigt sich noch deutlicher die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung durch Bundestag und Bundesrat und die Sicherung individueller Selbstbestimmung durch die Gerichte. Außerdem wird deutlich, dass innerhalb der Exekutive große Unterschiede herrschen. So dient die Bundesregierung mehr der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, während untere Verwaltungsbehörden in Richtung Schutz individueller Selbstbestimmung tendieren.

252  Zu den ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Richtervorbehalten vgl. Andreas Voßkuhle, Präventive Richtervorbehalte (§ 131), in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band V, 2013, S. 1193–1269, Rn. 33 ff. 253  Kritisch Susanne Baer, Vermutungen zu Kernbereichen der Regierung und Befugnissen des Parlaments, Der Staat 40 (2001), S. 525–552. Der Kernbereichslehre wird vor allem vorgeworfen, dass sie mehr postuliert denn argumentiert: „Dass die Argumentation mit Kernbereichen in der Rechtsprechung oftmals eine gewisse Plausibilität für sich hat, erscheint weniger der argumentativen Kraft des Kernbereichs­ topos geschuldet als vielmehr der Gewöhnung an bestimmte traditionelle Vorstellungen der gewaltengegliederten Arbeitsteilung.“, Christoph Möllers, Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 499. S. aber die Verteidigung der Kernbereichslehre bei Thomas Kuhl, Der Kernbereich der Exekutive, 1993.



Kapitel 3: Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation 109

D. Zwischenfazit: Kongruenz der Funktionen des Gewaltenteilungsgrundsatzes und von Partizipation Es hat sich gezeigt, dass die Funktionen des Grundsatzes der Gewaltenteilung sich kongruent verhalten zu den Funktionen von Partizipation. Beide dienen der Ermöglichung staatlicher Gewaltausübung und dienen der Demokratie. Gleichzeitig hemmen und mäßigen sie die Ausübung staatlicher Gewalt und dienen dem Schutz des Einzelnen. Beide sollen und können zudem die effektive Funktionalität staatlichen Handelns erhöhen. Aufgrund dieser Kongruenz einerseits und aufgrund der Direktionskraft des Gewaltenteilungsgrundsatzes sowie seiner Fähigkeit das Spannungsverhältnis von Demokratieermöglichung und Schutz von Rechtsstaatlichkeit aufzulösen, kann er als Grundlage für die rechtliche Konzeptualisierung von Partizipation nutzbar gemacht werden und erlaubt die Entwicklung einer Theorie der imperativen Partizipation. Wie diese im Einzelnen aussieht, ist Gegenstand des nächsten Kapitels. Kapitel 3

Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation: Herleitung, Inhalt und Methodik Wie aber sieht sie nun aus, die vielfach genannte rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation (A.)? Und bestehen eventuell methodischen Einwände gegen sie (B.)?

A. Herleitung und Inhalt der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation Dass der Gewaltenteilungsgrundsatz als Grundlage der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation dienen kann, ergibt sich zum einen daraus, dass das Gewaltenteilungsprinzip Kompetenzen zuordnet und begrenzt, also Staatsgewalt begrenzt und ermöglicht und Partizipation sich ebenfalls auf die Ausübung oder das Innehaben von Staatsgewalt bezieht. Das Gewaltenteilungsprinzip ist für die Beantwortung der Frage, wie weit die Kompetenzverteilung in Partizipationsfragen reicht, sogar von größerer Bedeutung als in den Fragen der klassischen Kompetenzverteilung, die vornehmlich durch positives Verfassungsrecht geregelt sind. Das Grundgesetz schweigt, anders als das einfache Recht, größtenteils zu Partizipation. Eine

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Hintergrundnorm, die die Kompetenzverteilung mit steuert, kann die entscheidenden Impulse geben für die Ausgestaltung und Grenzen von Partizipation. Hinzu kommt, dass das Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes als Hintergrundnorm auf dem Verhältnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes zu anderen Prinzipien des Grundgesetzes, namentlich dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, beruht.254 Obgleich alle als Prinzipien verstanden werden, unterscheiden sie sich nicht nur inhaltlich, sondern auch von ihrer Wirkweise her und stehen nicht auf derselben Ebene: Gewaltenteilung ist ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit denkbar. Dies zeigt schon die ideengeschichtliche Entwicklung. Weder Locke noch Montesquieu legten ihren Überlegungen demokratische Gemeinwesen zugrunde. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind hingegen nicht ohne Gewaltenteilung denkbar:255 Rechtsstaatlichkeit ohne Gewaltenteilung würde zur Farce, Demokratie ohne Gewaltenteilung zu einer Diktatur des Volkes. Schließlich stehen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einem Spannungsverhältnis zueinander,256 das nicht aufgelöst werden könnte, gäbe es den Gewaltenteilungsgrundsatz nicht. Die „Gleichursprünglichkeit“257 von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit findet ihre Auflösung in der Gewaltenteilung. Der Gewaltenteilungsgrundsatz wirkt im Hintergrund auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein und balanciert ihr Verhältnis zueinander aus: „Das Prinzip der Gewaltenteilung entfaltet seinen normativen, die Staatspraxis dirigierenden Gehalt nicht selbsttätig, sondern erst im Verbund mit der materiellen Verfassung, auf deren Sicherung und Verwirklichung es bezogen ist.“258 Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stechen hier besonders hervor. In gewisser Weise ist damit die Gewaltenteilung ein doppelter Grundsatz, eben ein „fundamentaler Verfassungsgrund­ satz“.259 Gewaltenteilung lässt sich also als „organisatorischer Ausdruck und

254  Thomas Groß, Die asymmetrische Funktionenordnung der demokratischen Verfassung – Zur Dekonstruktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes, Der Staat 2016, S. 489–517. 255  Ralf Poscher, Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang HoffmannRiem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2. Aufl. 2013, S. 543–584, 554; ebenso Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 57. 256  S. die Nachweise oben auf S. 75, Fn. 114. 257  Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 151 ff. 258  Hans-Detlef Horn, Gewaltenteilige Demokratie, demokratische Gewaltenteilung: Überlegungen zu einer Organisationsmaxime des Verfassungsstaates, AöR 127 (2002), S. 427–459, 457. 259  Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–638, Rn. 1.



Kapitel 3: Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation 111

Verstärkung von Demokratie und Rechtsstaat“ verstehen.260 Der Gewaltenteilungsgrundsatz schlägt durch die Zuordnung von bestimmten Entscheidungen zu bestimmten Gewalten einen Bogen von kollektiver Selbstbestimmung, also Demokratie, zu individueller Selbstbestimmung, also Rechtsstaatlichkeit, garantiert und optimiert dadurch die effektive Funktionalität staatlichen Handelns und balanciert so die Konflikte zwischen beiden Prinzipien aus. Auch Partizipationsverfahren dienen beiden Formen der Selbstbestimmung. Partizipation ermöglicht einerseits kollektive Selbstbestimmung, ist also demokratiebasiert und beruht auf Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. Partizipation schützt andererseits individuelle Selbstbestimmung, ist also rechtsstaats- und grundrechtebasiert. Kollektive wie individuelle Selbstbestimmung beruhen letztendlich auf Art. 1 Abs. 1 GG. Um Spannungen zu vermeiden, die die effektive Funktionalität staatlichen Handelns unterlaufen können, muss ein Gleichklang zwischen staatlicher Gewaltausübung und der Partizipation an ihr herrschen. Entsprechend müssen Partizipationsformen, die an Handlungen der Legislative anknüpfen, wie diese der kollektiven Selbstbestimmung dienen. Partizipationsformen, die an Handlungen der Judikative anknüpfen, müssen ebenso wie diese der individuellen Selbstbestimmung dienen. Partizipationsformen, die an Handlungen der Exekutive anknüpfen, variieren zwischen beiden Polen. Die Eigenschaften der jeweiligen Partizipationsform müssen dabei ebenfalls so ausgestaltet sein, dass sie die Konflikte zwischen beiden Selbstbestimmungsformen ausbalancieren können. Welche Eigenschaften können dies sein? So wie die entscheidenden Eigenschaften für die Bestimmung von kollektiver oder individueller Selbstbestimmung bei der staatlichen Ausübung von Staatsgewalt auf die Wirkung der Entscheidungen abstellen, ist hier auf die Wirkung von Partizipation abzustellen, d. h. der Grad des Einflusses, der von der Partizipation auf die Entscheidung ausgeht. Als weitere Eigenschaft kommt der Kreis der Beteiligten hinzu. Zum einen entspricht das der Eigenschaft „persönliche Reichweite“ staatlicher Entscheidungen, indem hier in leicht modifizierter Form die Frage, wer von der Entscheidung betroffen ist, ersetzt wird durch die Frage, wer auf die Entscheidung Einfluss nehmen darf. Zum anderen zeichnet sich Partizipation ja gerade dadurch aus, dass der Einzelne sich an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligen darf. Um diese Balance herzustellen und so zur Stärkung der Legitimation von Staatsgewalt beizutragen, ist für die Auswahl der Partizipationsakteure und die ihnen zukommende Entscheidungsmacht auf die Gewaltenteilung abzustellen:

260  Bernd Grzeszick, Art.  20 GG (Die Grundlagen der Gewaltenteilung), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 75.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Auf Legislativebene müssen alle Einzelnen als Volk Entscheidungen treffen können. Auf Ebene der Exekutive bedarf es einer genauen Analyse, ob Demokratie und damit kollektive Selbstbestimmung oder Rechtsstaatlichkeit und damit individuelle Selbstbestimmung im Vordergrund stehen. Das Entscheidungsrecht besteht nur in Fällen vollumfänglicher kollektiver Selbstbestimmung auf Legislativebene. Auf der Exekutivebene wird die Entscheidung immer vom staatlichen Organ getroffen. Dafür müssen die Interessen des Einzelnen aber stärker berücksichtigt werden, wenn der demokratische Charakter des Verfahrens im Vordergrund steht und müssen weniger bis gar nicht berücksichtigt werden, wenn der rechtsstaatliche Charakter des Verfahrens im Vordergrund steht. In diesen Fällen geht es also weniger um die Interessen des Einzelnen als vielmehr um seine Rechte. Parallel verläuft die Bestimmung der zu Beteiligenden. Sie verläuft von „allen“ über diejenigen, die in ihren Belangen berührt sind, hin zu denjenigen, die in ihren Rechten betroffen sind. Auf Ebene der Judikative dürfen sich nur Einzelne beteiligen, die in ihren Rechten betroffen sind. Die Entscheidungsmacht verbleibt beim Gericht. Diese hier entwickelte rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation beruht auf dem Demokratieprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gewaltenteilungsgrundsatz. Obwohl sowohl Partizipation als auch der Gewaltenteilungsgrundsatz klassischerweise dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnet werden, wurde dargelegt, dass sowohl Partizipation als auch der Gewaltenteilungsgrundsatz wesentlich vom Demokratieprinzip gesteuert und getragen werden. Die zurückhaltende Beachtung des Demokratieprinzips in der deutschen Rechtswissenschaft261 wird in jüngerer Zeit Schritt für Schritt behoben.262 Die vorliegende Untersuchung soll zu dieser Entwicklung beitragen, nicht nur auf Ebene des Verfassungsrechts, sondern auch auf Ebene des einfachen Rechts. Nur so wird verständlich, dass Partizipation von der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung in der Legislative hin zum Schutz individueller Selbstbestimmung durch die Judikative einen Bogen schlägt. Die Verwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass der Bogen anders als bei den beiden anderen Gewalten auch innerhalb der Gewalt selbst verläuft, von der 261  Dies beklagt Oliver Lepsius, Rechtswissenschaft in der Demokratie, Der Staat 2013, S. 157–186; vgl. auch Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 158. 262  S.  z. B. Ulrich Jan Schröder, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, JA 11/2017, S. 809–818; Eberhard Schmidt-Aßmann, Das Demokratieprinzip, Revista Digital de Direito Administrativo 2/2017 vol.4, n. 2, S. 1–19; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008.



Kapitel 3: Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation 113

Rechtsverordnungsgebung über die verschiedenen Stufen der Planung hin zur Ordnungsverwaltung.

B. Methodische Anfragen an die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation Abschließend stellen sich aber noch zwei entscheidende methodische Fragen: Zum einen, inwiefern ist die hier entwickelte Theorie der imperativen Partizipation nicht vielmehr eine Dogmatik der imperativen Partizipation (I.)? Und zum anderen, inwiefern mag die Theorie zu einem Zirkelschluss führen (II.)? I. Rechtsdogmatik der imperativen Partizipation oder Theorie der imperativen Partizipation? Wie unterscheiden sich Dogmatik und Theorie und wie kann es angesichts der Unterschiede eine rechtsdogmatische Theorie geben? Wissenschaftliche Theorien sind ein „System von Aussagen“,263 „zwischen denen Ableitbarkeitsbeziehungen bestehen und die mindestens den Anforderungen der Konsistenz und der Prüfbarkeit genügen.“264 Zur Konsistenz gehört, dass die Theorie widerspruchsfrei sein muss. Außerdem muss sie in einer „gewissen Allgemeinheit“ formuliert sein.265 Eine rechtliche Theorie dient einer „besseren Darstellung und Ordnung des Rechtsstoffes“ und damit dem Verständnis der behandelten Materie und zielt auf „eine systematische Erklärung im Weg der Einordnung in einen umfassenderen Zusammenhang“ ab.266 Nach diesem Verständnis handelt es sich bei der hier vorgelegten ­Arbeit um eine Theorie, denn sie erklärt systematisch Partizipation, legt die Ableitbarkeitsbeziehungen zwischen den Normen, die Partizipation regeln, offen und ordnet sie in einen umfassenden Zusammenhang ein. Die Argumentation ist auch widerspruchsfrei und überprüfbar. 263  Claus-Wilhlem Canaris, Theorienrezeption und Theorienstruktur, in: Hans G. Leser/Tamotsu Isomura (Hrsg.), Festschrift für Zentaro Kitagawa, 1992, S. 59–64, 66. 264  Ralf Dreier, Theorienbildung in der Jurisprudenz, in: Friedrich Kaulbach/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schlesky, 1978, S. 103–132, 117. 265  Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Heiner F. Klemme (Hrsg.), Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis/Zum ewigen Frieden, 1992, S. 1–48, 2; Karl Popper, Logik der Forschung, 9. Aufl. 1989, S. 31. 266  Claus-Wilhlem Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 378.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

Doch diese Theorie der imperativen Partizipation ist darüber hinaus auch dogmatisch. Ebenso wie Theorie ist Dogmatik grundsätzlich weit zu verstehen. Mit ihr „sind alle Lehrsätze, Grundregeln und Prinzipien erfasst, sowohl diejenigen, die im Gesetz zu finden sind, als auch diejenigen, die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis dem Gesetz hinzugefügt haben. Die Dogmatik soll das geltende Recht mit rationaler Überzeugungskraft erklären.“267 Dogmatik ist dabei auf die „begrifflich-systematische Bearbeitung des positiven Rechts“,268 d. h. die konkrete Rechtsanwendung ausgerichtet,269 sie dient also der Systembildung270 und erhebt Anspruch auf Befolgung und Gültigkeit.271 Auch das leistet die vorliegende Arbeit: Sie erklärt und legt das geltende Recht dar, das sich mit Partizipation befasst, erleichtert die Rechtsanwendung der geltenden Regeln und konkretisiert sie und bildet ein System der Partizipation unter dem Grundgesetz. Allerdings geht die vorliegende Arbeit darüber hinaus: Sie beschreibt nicht nur das positive Recht de lege lata auf Verfassungsebene und auf Ebene des einfachen Rechts, sondern zeigt auf, wie das einfache Recht de lege ferenda zu ändern ist. Damit ist die Untersuchung letztlich beides, sowohl eine Theorie als auch eine Dogmatik der imperativen Partizipation. Dies lässt sich am besten in dem Begriff der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation fassen. Als rechtsdogmatische Theorien werden anwendungsbezogene Theorien verstanden, die sich auf das positive Recht beziehen.272 Solche rechtsdogmatischen Theorien dienen nicht nur der Explikation, sondern besitzen ebenso eine heuristische Funktion, jedenfalls sofern sie auch auf einem vertieften Verständnis von Sachzusammenhängen beruhen, also systematisch sind.273 Dies 267  Bernd Rüthers/Christian Fischer/Axel Birk, Rechtstheorie, 11.  Aufl. 2020, S. 199, Rz. 311. Ähnlich Thomas Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 9 Rn. 3. 268  Thomas Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 9 Rn. 3a. 269  Franz Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Rüdiger Bubner/Konrad/Cramer/Reiner Wiehl (Hrsg.), Hermeneutik und Dialektik. Hans-­ Georg Gadamer zum 70. Geburtstag, Bd. II, 1970, S. 311–336, 319 f. 270  Robert Alexy, Juristische Begründung, System und Kohärenz, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 1990, S. 95–107, 106. 271  Bernd Rüthers/Christian Fischer/Axel Birk, Rechtstheorie, 11.  Aufl. 2020, S. 199, Rz. 310. 272  Claus-Wilhlem Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 378; Robert Alexy, Juristische Begründung, System und Kohärenz, in: Okko Behrends/Malte Dießelhorst/Ralf Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, 1990, S. 95–107, 106. 273  Claus-Wilhlem Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 378.



Kapitel 3: Die rechtsdogmatische Theorie der imperativen Partizipation 115

geschieht in der vorliegenden Arbeit: durch eine umfassende Analyse und Systematisierung des nationalen Rechts, das sich mit Partizipation b ­ efasst – neben dem Verfassungsrecht auch dem einfachen Recht – wird heraus­gearbeitet, welches Konzept das (Verfassungs-)Recht von Partizipation besitzt und wie es diese verwirklicht sehen will. II. Die Gefahr des Zirkelschlusses Die Gefahr eines Zirkelschlusses liegt bei jeder Theorie vor, die aus allgemeinen Prinzipien, wie hier den Prinzipien der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltengliederung eine Theorie, hier die der imperativen Partizipation, ableitet.274 Ein solcher Zirkelschluss ist spätestens seit Zeiten Aristoteles,275 grundsätzlich wissenschaftlich verpönt. Die Kritik an der sog. „Inversionmethode“276 richtet sich gegen die Bildung von Rechtsbegriffen, aus denen dann wieder Normsätze abgeleitet werden. Hierum geht es in der vorliegenden Arbeit ausdrücklich nicht. Stattdessen geht es, ganz im Sinne der eben beschriebenen rechtsdogmatischen Theorienbildung, darum ein im Verfassungsrecht – und darüber hinaus, wie in Teil 2 zu sehen sein wird, im einfachen Recht – angelegtes und weitestgehend schon bestehendes System zu beschreiben und explizit zu machen. Aus diesem System lassen sich nun – aber nicht aus sich selbst heraus oder gar aus dem Begriff der „imperativen Partizipation“, sondern aufgrund des aus dem Prinzipiencharakter folgenden Optimierungsgebot und den daraus folgenden Rechtsfolgen!277 – bestimmte Anforderungen, zuvörderst an den Gesetzgeber, aber auch an die Rechtspraktiker in der konkreten Rechtsanwendung, ableiten.278 Es wäre in der Tat ein Zirkelschluss, wenn unmittelbar aus der hier entwickelten Theorie der imperativen Partizipation Rechtsfolgen abgeleitet werden würden. Dies aber geschieht mit Hilfe verfassungsrechtlicher Prinzipien und Optimierungsgebote. Aber auch dem mag man nun entgegenhalten, dass erst die Lesart eines partizipativen Staates dazu führt, dass aus den genannten Prinzipien ein Optimierungsgebot von Partizipation folgt. Dann aber ist juristische Argumenta274  S. dazu Claus-Wilhlem Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 379 ff. 275  S. Arthur Kaufmann, Über den Zirkelschluß in der Rechtsfindung, in: Karl Lackner/Heinz Leferenz/Eberhard Schmidt/Jürgen Welp/Ernst A. Wolff (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag am 22. Juli 1973, 1973, S. 7–20, 7. 276  Philipp Heck, Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz, 1932, S. 93 ff. 277  S. dazu ausführlich unten S. 423 ff. 278  S. auch Franz Wieacker, Zur praktischen Leistung der Rechtsdogmatik, in: Rüdiger Bubner/Konrad/Cramer/Reiner Wiehl (Hrsg.), Hermeneutik und Dialektik. Hans-Georg Gadamer zum 70. Geburtstag, Bd. II, 1970, S. 311–336, 332 ff.

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Teil 1: Theoretische Grundlegung

tion nahezu immer ein Zirkelschluss: wird eine Norm in einer bestimmten Weise interpretiert, folgt aus ihrem normativen Gehalt zwangsläufig auch, dass im Sinne dieser Interpretation gehandelt werden muss. Hier zeigt sich, dass jedenfalls in der Rechtswissenschaft, aber nicht nur dort – denn die Figur des hermeneutischen Zirkels wird v. a. in der Philosophie diskutiert279 –, sich nicht jeder Zirkelschluss vermeiden lässt, und auch gar nicht vermieden werden sollte,280 und deshalb, entgegen Aristoteles, auch unschädlich zu sein vermag und gar als „fruchtbare[r] Zirkel“281 bezeichnen werden kann. Entscheidend ist, dass die der Theorie zugrundliegende Basis breit genug ist, um so die Überzeugungskraft des gewonnenen Ergebnisses abzusichern.282 Genauso verhält es sich hier: Wie zu zeigen sein wird, versteht die deutsche Rechtsordnung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in sehr weitem Ausmaß auch partizipativ und sieht dementsprechend mannigfaltige Partizipationsformen vor. Daraus – und dem Verständnis von Prinzipien als Optimierungsgeboten – lässt sich schlussendlich ableiten, dass auch dort, wo Partizipation (noch) zu schwach ausgeprägt ist, diese gestärkt werden muss. Wo und wie Partizipation im deutschen Recht existiert – und wo sie ausbaufähig ist – ist Gegenstand der nun folgenden Betrachtungen.

279  S.  u. a. Martin Heidegger, Sein und Zeit, 17. Auflage 1993, S. 152 ff.; 315 f. (§§ 32 u. 63); Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 2. Aufl. 1965, S. 250 ff.; Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1968, S. 204 ff. 280  Arthur Kaufmann, Über den Zirkelschluß in der Rechtsfindung, in: Karl Lackner, Heinz Leferenz, Eberhard Schmidt, Jürgen Welp and Ernst A. Wolff (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag am 22. Juli 1973, S. 7–20, 7; Claus-Wilhelm Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 383. 281  Vgl. Wolfgang Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie Bd. II/3, 1986, S. 333; s. auch Nelson Goodman, Fact, Fiction and Forecast, 4. Aufl. 1983, S. 64. 282  Claus-Wilhlem Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 377–391, 383.

Teil 2

Der partizipative Staat de lege lata: Partizipation im geltenden Recht Denkt man Partizipation ausgehend von den verschiedenen Gewalten, ihren Funktionen und der Zuordnung bestimmter Entscheidungen zu einer Gewalt und schlägt man so einen Bogen zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, um die Konflikte zwischen beiden Prinzipien auszubalancieren, so ist jeweils die Frage entscheidend, ob Partizipation in einem bestimmten Fall mehr kollektive Selbstbestimmung ermöglichen oder mehr individuelle Selbstbestimmung schützen soll. Dementsprechend müssen sich Form und Auswirkung der Partizipation anpassen. Es muss ein Gleichklang zwischen der Ausübung der Hoheitsgewalt und der Partizipation an ihr herrschen, da es ansonsten zu Spannungen kommt, die die effektive Funktionalität staat­ lichen Handelns aushöhlt. Wie soeben festgestellt, wird dieser Gleichklang durch das Gewaltenteilungsprinzip hergestellt. Partizipationsformen, die primär einer demokratischen Funktion folgen, knüpfen an Handlungen der Legislative an. Partizipationsformen, die primär eine rechtsstaatliche und ­ grundrechtsschützende Funktion verfolgen, knüpfen an Handlungen der Judikative an. Partizipationsformen, die an Handlungen der Exekutive anknüpfen, variieren zwischen beiden Polen: sie können mehr kollektive Selbstbestimmung ermöglichen wie bei der Beteiligung am Erlass von Rechtsverordnungen im Raumordnungsrecht oder mehr individuelle Selbstbestimmung schützen wie bei der Beteiligung beim Erlass von Verwaltungsakten. Dies ist einerseits de lege lata schon der Fall, andererseits ergibt es sich aus der rechtsdogmatischen Theorie der imperativen Partizipation: Die Eigenschaften der jeweiligen Partizipationsform müssen so ausgestaltet sein, dass sie Konflikte zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausbalancieren und dadurch die effektive Funktionalität staatlichen Handelns steigern. Diese Eigenschaften sind der Kreis der Beteiligten und der Grad ihres Einflusses auf die Entscheidung. Wird Partizipation nicht so ausgestaltet, dass die richtige Balance zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besteht, verringert das ihre legitimatorische Wirkung oder kann sie ganz aufheben. Ob staatliche Hoheitsausübung mehr kollektiver oder mehr individueller Selbstbestimmung dient, ist daher die erste Frage, die es zu beantworten gilt. Daran werden sich, so jedenfalls in der Theorie, die Akteure der Partizipation

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

und ihr Einfluss auf die Entscheidung orientieren. Anhand der existierenden Partizipationsvorschriften auf Ebene der Legislative (Kapitel 4), der Exekutive (Kapitel 5) und der Judikative (Kapitel 6) wird untersucht, inwiefern das einfache Recht den in der Theorie der imperativen Partizipation entwickelten Annahmen folgt und Partizipation in der Bundesrepublik so ausgestaltet ist, dass sie kollektive Selbstbestimmung ermöglicht, individuelle Selbstbestimmung schützt und auf die Ausübung von Staatsgewalt legitimationserhöhend wirkt. Da Partizipation zwingend an die Ausübung von legitimationsbedürftiger Staatsgewalt geknüpft ist, werden jeweils in einem ersten einleitenden Abschnitt die grundsätzliche Fähigkeit von Partizipation, legitimierend zu wirken, sowie die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der jeweiligen Staatsgewalt analysiert. Kapitel 4

Die Legislative: Ermöglichung von kollektiver Selbstbestimmung durch Partizipation Partizipation an der Gesetzgebung dient der Ermöglichung von kollektiver Selbstbestimmung und damit von Demokratie. Demokratie und Legislative sind eng miteinander verbunden. Partizipation auf Legislativebene muss dementsprechend Demokratie fördern. Dies gelingt auf dreierlei Weise: entweder durch Wahlen (repräsentative Demokratie, B.) oder durch Abstimmungen (direkte Demokratie, C.), zusätzlich durch anderweitige Beteiligung individueller, privater Akteure bei der Gesetzgebung (D.). Vorab wird geklärt, inwieweit Partizipation legitimierend wirken kann und wie die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Legislative beschaffen ist (A.).

A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Legislative: Demokratieprinzip und Beteiligung des Volkes an der Gesetzgebung durch Wahlen und Abstimmungen Im demokratischen Staat der Bundesrepublik geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG).



Kapitel 4: Die Legislative119

Demokratie verlangt die Selbstregierung des Volkes (Volkssouveränität, Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG).1 Damit ist die Forderung verbunden, dass ein bestimmtes Legitimationsniveau oder ein bestimmter Legitimationszusammenhang bestehen muss.2 Das Volk muss also „effektiven Einfluss auf die Staatsgewalt“ ausüben können.3 Die Akte der Staatsorgane müssen auf die Beteiligung des Volkes, die durch Wahlen gem. Art. 38 GG geschieht, zurückführbar sein.4 Das ist die wesentliche Aussage des Demokratieprinzips (des Grundgesetzes): das Volk (demos, δῆμος) übt Herrschaft aus (kratos, κράτος). Dafür muss sich das Volk in entscheidender Weise beteiligen dürfen an der staatlichen Willensbildung. Dieses zentrale Erfordernis der Rückbindung der staatlichen Macht an das Volk zeigt, dass Partizipation der Grundmodus von Demokratie ist. Partizipation durch Wahlen und Abstimmungen macht Demokratie überhaupt erst möglich. Wahlen sind die Form der Partizipation in repräsentativen Systemen und ermöglichen ein solches System erst.5 Sie werden daher auch „als der eigentliche Transmissionsriemen gesellschaftlicher Interessen“6 in einem 1  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 1. 2  „Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses kann bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im Allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im Besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein.“ BVerfGE, 93, 37, 66 f. 3  BVerfGE 83, 60, 71 f.; 93, 37, 66. 4  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 117. Zur Repräsentation s. Hasso Hofmann, Repräsentation, Studien zur Wortund Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 4. Aufl. mit einer neuen Einleitung, 2003. Zu den daran anschließenden Fragen wie die Frage nach der optimalen Herstellung der Erfolgswertgleichheit der Stimmen s. Kathrin Groh, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, DVBl. 2012, S. 1064–1071 m. w. N.; Martin Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2013, S. 559–608, 588 ff. 5  S.  u. a. Hasso Hofmann/Horst Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (§ 5), in: Hans-Peter Schneider/Wolfgang Zeh (Hrsg.) Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, Rn. 17, 59; Hasso Hofmann, Repräsentation, Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 4. Aufl. mit einer neuen Einleitung, 2003; Gerhard Leibholz, Die Repräsentation in der Demokratie, 3. Aufl. 1966. 6  Armin von Bogdandy, Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten?, in: Joachim Bohnert/Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Alfred Rinken/ Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 363–384, 372.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

repräsentativen System beschrieben. In einem System direkter Demokratie sind hingegen Abstimmungen die Form von Partizipation. Hier gilt ebenfalls, dass sie ein solches System erst ermöglichen. Abstimmungen sind daher für die direkte Demokratie das, was Wahlen in einem repräsentativen System sind. Abstimmungen und Wahlen sind beide „Nahtstellen zwischen staats­ organisatorischem und gesellschaftlichem Bereich“7 und sind jeweils als „primäre“ Legitimationsmodi8 anerkannt. Der Einzelne scheint im demokratischen Verständnis keine Rolle zu spielen. Anders als es etwa die slowakische Verfassung in ihrem Art. 2 Abs. 1 vorsieht,9 geht die deutsche Staatsgewalt nicht vom einzelnen Bürger aus, sondern vom Volk. Allerdings setzt sich das Volk faktisch aus lauter Einzelnen zusammen. Auch rechtlich kommt es auf die Stimmen des Einzelnen an. Nicht das Volk wählt, sondern der Einzelne. Deshalb steht dem Einzelnen auch ein grundrechtsgleiches Wahlrecht aus Art. 38 GG zu und deshalb werden die Sitze nicht im Verhältnis der erhaltenen Stimmen einer Liste zur Anzahl der Wahlberechtigten vergeben, sondern im Verhältnis zu der Anzahl der Wählenden. Wahlberechtigte Nichtwähler sind zwar ein Teil des Volkes, ihre Nichtwahl besitzt aber keinen unmittelbaren Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments. Es kommt also primär auf den Einzelnen an. Jedoch kann der Einzelne immer nur mit den anderen Einzelnen des Volkes partizipieren. Bei Wahlen und Abstimmungen handelt es sich um lauter einzelne Akte, die kollektive Selbstbestimmung durch die Aggregation individueller Präferenzen und Handlungen ermöglichen. Es wählt der Einzelne, die Entscheidung trifft das Volk. Der Einzelne lässt sich also jedenfalls dann, wenn er wählt, vom Volk nicht trennen, als Wählender handelt er zwingend in seiner Eigenschaft als Einzelner und als Teil des Volkes. Demokratisch legitimierend wirkt daher die Partizipation Einzelner, die in ihrer dualen Eigenschaft als Einzelne und Teil des Volkes handeln. 7  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 351 f. 8  Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 277, s. auch S. 26; s. auch Niels Petersen, Demokratie und Grundgesetz – Veränderungen des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 2 GG angesichts der Herausforderungen moderner Staatlichkeit, JöR 58 (2010), S. 137–171, 151 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 351; Hans Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem (§ 45), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 521–524, Rn. 4. 9  „Die Staatsgewalt geht von den Bürgern aus, die sie durch ihre gewählten Vertreter oder direkt ausüben.“ Art. 2 Abs. 1 der Verfassung der Slowakischen Republik vom 1. September 1992 (Gesetz Nr. 460/1992), neu bekannt gemacht als Gesetz Nr. 135/2001 vom 26. März 2001, ergänzt durch Verfassungsgesetz Nr. 227/2002 vom 11. April 2002 über den Kriegs- und Ausnahmezustand, https://www.slov-lex.sk/ documents/10184/81651/460_1992.pdf/bb28a08f-98ee-4a31-9867-b7919e745c7b.



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B. Der Einzelne als Wähler: Repräsentative Demokratie Die Grundform der Demokratie schlechthin ist die repräsentative Demokratie.10 Das Prinzip der repräsentativen Demokratie verlangt, dass die Akte der Staatsorgane auf das Volk zurückführbar sind, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG.11 Beteiligung findet durch Wahlen statt, die Wähler entscheiden12 über die Personen, die über sie herrschen. „Repräsentation fungiert hier als formelle Zurechnungsregel, mit der fingiert wird, dass der Souverän nach der Wahl nicht fremd-, sondern selbstbestimmt herrsche.“13 Volkssouveränität und repräsentative Demokratie sind beide durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt.14 Die Antwort auf die Frage, wer sich mit welchem Einfluss beteiligen darf, ist abhängig davon, ob die Staatsgewalt mehr der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung dient oder mehr der Sicherung individueller Selbstbestimmung. Parlamentarische Gesetzgebung dient vor allem der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung (I.). Daraus folgt, dass sich grundsätzlich alle Einzelnen als Volk (II.) in einem Entscheidungsverfahren (III.) beteiligen dürfen. I. Parlamentarische Gesetzgebung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Ob eine staatliche Handlungsform vornehmlich demokratisch oder vornehmlich rechtsstaatlich fundiert und orientiert ist und damit kollektive 10  S. aber für die Schweiz Giovanni Biaggini, Ausgestaltung und Entwicklungsperspektiven des demokratischen Prinzips in der Schweiz, in: Hartmut Bauer/Peter M. Huber/Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 107–138. 11  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 117. 12  „Wahlen bilden das zentrale Entscheidungsverfahren in einer parlamentarischen Demokratie.“, Martin Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2013, S. 559– 608, 561. 13  Kathrin Groh, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, DVBl. 2012, S. 1064–1071, 1066. 14  S. Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 131–134; Michael Sachs, Art. 79 GG, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 8.  Aufl. 2018, Rn.  67 ff.; Jörn Dietlein, Art. 79 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 38 sieht die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. GG „grundsätzlich“ als mitgeschützt an; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 134 sieht auch geheime Wahl als geschützt an, s. auch Rn. 127.

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Selbstbestimmung ermöglicht oder individuelle Selbstbestimmung sichert, ist abhängig von der „Intensität der Verrechtlichung“, also der Determiniertheit der Entscheidung, ihrer „zeitliche[n] Orientierung“ und ihrer „Reichweite“.15 Ein näherer Blick auf die parlamentarische Gesetzgebung zeigt, dass sie wenig verrechtlicht ist, da sie nur an das Grundgesetz gebunden ist. Sie ist außerdem prospektiv, weshalb rückwirkende Regeln immer rechtfertigungsbedürftig und am Rechtsstaatsprinzip zu messen sind.16 Schließlich reguliert parlamentarische Gesetzgebung umfassend das Handeln prinzipiell aller Rechtsunterworfenen und besitzt somit eine hohe „sachliche und personelle Reichweite“, Einzelfallgesetze sind unter Umständen verfassungswidrig. Parlamentarische Gesetzgebung stellt sich folglich als das Paradebeispiel demokratisch fundierten staatlichen Handelns dar, unbeeinflusst von rechtsstaat­ lichen Erwägungen außerhalb des Grundgesetzes. Parlamentarische Gesetzgebung ermöglicht somit kollektive Selbstbestimmung. II. Partizipationsakteure: Alle Einzelnen als Volk Entsprechend der demokratischen Orientierung der Legislative kommen als Beteiligungsakteure alle Einzelnen als Volk in Betracht. In Deutschland gehört zum Volk jeder, der die deutsche Staatsangehörigkeit innehat. Damit sind ca. 13,5 % der in Deutschland lebenden und dadurch von der parlamentarischen Gesetzgebung betroffenen Menschen nicht wahlberechtigt.17 Auslandsdeutsche sind hingegen wahlberechtigt,18 obgleich erstere grundsätzlich 15  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S.  17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508. S. ausführlich oben S. 94 ff. 16  BVerfG v. 17. Dezember 2013 – 1 BvL 5/08. S. dazu die Kritik von Oliver Lepsius, Zur Neubegründung des Rückwirkungsverbots aus der Gewaltenteilung, Besprechung von BVerfG, Beschluss v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, JZ 2014, S. 488–500; Johanna Hey, Rückwirkende Klarstellung und rückwirkende Nichtanwendungsgesetzgebung. Eine Bewertung in vertrauensschutzrechtlicher Hinsicht nach dem Beschluss des BVerfG v. 17. 12. 2013 – 1 BvL 5/08, JZ 2012, S. 500–507. 17  Statistisches Bundesamt, Ausländische Bevölkerung am 31.12.2019, www. destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/ AuslaendischeBevolkerung/Tabellen/Bundeslaender.html. 18  BVerfG, Beschluss v. 4. Juli 2012, 2 BvC 1/11, 2 BvC 2/11 und den in Folge geänderten § 12 Abs. 2 BWahlG. S. hierzu Wessel Le Roux, Residence, Representative Democracy and the Voting Rights of Migrant Workers in Post-Apartheid South Africa and Post-Unification Germany (1990–2015), in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 175–200; Claas Friedrich Germelmann, Das Wahlrecht von Auslandsdeutschen im Lichte globaler Kommunikations- und Aufenthaltsgewohnheiten, JURA 2014,



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betroffen sind von der parlamentarischen Gesetzgebung, letztere aber grundsätzlich nicht. Für die Ebene der Kommunen und der Kreise werden aufgrund des Art. 28 Abs. 2 GG alle EU-Ausländer als Teil des Gemeindevolkes19 betrachtet. Die Frage der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Volk ist keine des Rechtsstaats oder der Gewaltenteilung und auch nicht der effektiven Funk­ tionalität, sondern eine der demokratischen Inklusion.20 Es geht hier um eine genuin demokratische Frage: Wer ist der demos?21 Nach zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichts 199022 wurde dies im Jahr 2013 in Bremen wieder neu verhandelt. Ein von der Bremischen Bürgerschaft erlassenes Gesetz, das den in Bremen lebenden Ausländern das Wahlrecht für die Bürgerschaftswahl gab, wurde vom Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen ent-

S. 310–322; Jean Mohamed, Bundeswahlrecht für Auslandsdeutsche – Rechtspraktische und rechtspolitische Überlegungen, DÖV 2017, S. 890–898. 19  S. dazu ausführlich oben S. 34 f. 20  Vgl. dazu Ulrich Becker/Jens Kersten, Demokratie als optimistische Staatsform, NVwZ 2016, S. 580–584, 584. Zur Frage einer möglichen Ausgestaltung der deutschen Demographiepolitik, s. Herwig Birg, Die Gretchenfrage der deutschen Demographiepolitik: Erneuerung der Gesellschaft durch Geburten im Inland oder durch Zuwanderungen aus dem Ausland?, ZSE 2016, S. 351–377. 21  Für Inklusion von Ausländern plädierend Brun-Otto Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 59–70; Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515; Wessel Le Roux, Residence, Representative Democracy and the Voting Rights of Migrant Workers in Post-Apartheid South Africa and Post-Unification Germany (1990–2015), in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/ The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A GermanSouth African Perspective, 2016, S. 175–200; Nancy Fraser, Transnationalizing the Public Sphere, 2014; Astrid Wallrabenstein, Das Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, 1999, S. 91, S. 99; Sophie-Charlotte Lenski, Bürgerstatus im Licht von Migration und europäischer Integration, DVBl. 2012, S. 1057–1064; dagegen Josef Isensee, Kommunalwahlrecht für Ausländer aus der Sicht der Landesverfassung Nordrhein-Westfalens und der Bundesverfassung, KritV 1987, S. 300–308; Christian Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat zwischen demokratischer Rückbindung und überstaatlicher Einbindung, 2005, S. 138 ff.; Peter M. Huber, Das „Volk“ des Grundgesetzes, DÖV 1989, S. 531–536. S. auch Christian Walter, Der Bürgerstatus im Lichte von Migration und europäischer Integration, VVDStRL 72 (2013), S. 7–48; Karl Ferdinand Gärditz, Der Bürgerstatus im Lichte von Migration und europäischer Integration, VVDStRL 72 (2013), S. 49–163; Jelena Bäumler, Who are „the people“ in the German Constitution? A critique of, and contribution to, the debate about the right of foreigners to vote in multi-level democracies, Law, Democracy and Development 2020, S. 1–26. 22  BVerfGE 83, 37 – Ausländerwahlrecht I; BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht II.

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sprechend den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts aus den 1990er Jahren für nichtig erklärt.23 Der Kreis der Staatsangehörigen ist allerdings nicht starr, sondern erweiterbar: Jeder Einzelne kann, sofern er bestimmte Merkmale erfüllt, Deutscher werden. Diese Möglichkeit nehmen jedes Jahr mehr als 100.000 Personen wahr.24 Verfassungsrechtlich ist die Regelung der Einbürgerung in relativ weiten Grenzen zulässig.25 Weiterhin ist das Alter ein Selektionskriterium. Es dürfen alle Deutschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, auf Bundesebene wählen, sofern keine der sehr eng gefassten Ausnahmen des § 13 BWahlG Anwendung findet. Für die Landesebene gelten grundsätzlich dieselben Voraussetzungen. Allerdings dürfen inzwischen in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schles­ wig-Holstein auch 16-Jährige bei Landtagswahlen wählen.26 Da in der Bundesrepublik Deutschland der Gesetzgeber nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat ist und dieser nicht wie beispielsweise der US-Senat direkt gewählt wird, sondern von den Landesregierungen, also der Exekutive, beschickt wird (Art. 51 GG), können auf diesem Umweg auch 16-Jährige Einfluss auf die Bundesgesetzgebung nehmen. 23  BremStGH, Urteil v. 31. Januar 2014, St 1/13, mit ablehnendem Sondervotum Ute Sacksofsky. 24  Statistisches Bundesamt, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Einbürgerungen 2019, S.  17  f., https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Publikationen/Downloads-Migration/einbuergerungen2010210197004.pdf?__blob=publicationFile. Nach geltendem Recht ist dafür vor allem erforderlich, dass jemand seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert, nicht wegen einer Straftat verurteilt ist und über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt (s. §§ 3 Abs. 1 Nr. 5, 8 bis 16, 40b und 40c Staatsangehörigkeitsgesetz). 25  Andreas Zimmermann/Jelena Bäumler, Art. 116 GG, in: Karl Heinrich Friauf/ Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 32; a. A. Christian Hillgruber, Staaten unter Migrationsdruck: Nationale Identitätswahrung zwischen Fremdenfeindlichkeit und Multikulturalität?, in: Eckart Klein (Hrsg.), Globaler demographischer Wandel und Schutz der Menschenrechte, 2005, S. 131–150, 140 ff.; s. dazu auch Ewgenij Sokolov, Wege zur Partizipation für Inländer – Volksbegriff und Einbürgerung im Lichte des Demokratieprinzips, NVwZ 2016, S. 649–654; Walter Leisner, „Nation“ und Verfassungsrecht. Das „integrierte Volk“ als demokratischer Souverän in der Migration, Der Staat 2016, S. 213–234. 26  S. u. a. § 5 Abs. 1 WahlG Bbg. Bei den Kommunalwahlen sehen auch noch weitere Länder die Vollendung des 16. Lebensjahres als Grenze vor.



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Akteur auf der Legislativebene sind damit alle Einzelnen, die zusammen als Volk handeln. Diese Einzelnen müssen Angehörige des deutschen Volkes sein und das 18. Lebensjahr, in einigen Fällen das 16. Lebensjahr, vollendet haben. Obwohl Minderjährige und Nichtdeutsche von den Wahlen ausgeschlossen sind, sind die Beteiligungsakteure im Sinne einer Ermöglichung umfassender kollektiver Selbstbestimmung sehr weit gefasst. III. Partizipationsverfahren: Entscheidung durch Wahl Das Partizipationsverfahren, das allen Einzelnen in der repräsentativen Demokratie zur Verfügung steht, sind Wahlen. Damit besteht direkter Einfluss auf das Parlament und somit das Personal des Staates und indirekter Einfluss auf die parlamentarische Gesetzgebung und somit auf die Entscheidungen des Staates. Wahlen finden periodisch statt. Bundeswahlen entscheiden über die personale Zusammensetzung des Bundestages, Landeswahlen über die Zusammensetzung des jeweiligen Landtages und indirekt auch über die Zusammensetzung des Bundesrates. Hier wird der Einzelwille in einen Kollektivwillen überführt.27 Die Aggregation aller Stimmen führt zu der Verteilung von Parlamentssitzen entsprechend dem Anteil an der insgesamt abgegeben Stimmenzahl. Das Wahlsystem der Bundesrepublik unterscheidet sich von dem anderer Staaten, etwa Südafrikas28 oder der USA,29 erheblich, ist aber nicht weniger demokratisch. Während in Deutschland entsprechend dem personalisierten, föderalen Verhältniswahlsystem die eine Hälfte der Stimmen über Landeslisten verteilt wird und die andere Hälfte der Stimmen über Direktmandate, die nach dem Mehrheitsprinzip („first past the poll“) vergeben werden, werden in den USA alle Sitze in beiden Kammern jeweils über Direktmandate nach dem Mehrheitsprinzip vergeben,30 in Süd-

27  S. zu der Rolle, die Verfahren in dieser Umwandlung spielen Roman Lehner, Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Probleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren, in: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht (Hrsg.), Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und ­ ­Gemeinwohl, 2012, S. 271–291, 279; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation (§ 34), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 31–54, Rn. 4; Christoph Möllers, Demokratie. Zumutung und Versprechen, 2008, S. 28 f. 28  Dazu Theunis Roux, The Principle of Democracy in South African Constitutional Law, in: Stu Woolman/Michael Bishop (Hrsg.), Constitutional Conversations, 2008, S. 79–96. 29  Dazu Winfried Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S.  32 ff.; 70 ff. 30  Winfried Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl. 2001, S.  33 ff.

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afrika hingegen alle Mandate über eine einheitliche Bundesliste.31 Die Verfassungen dieser drei Staaten sind sich aber in der wesentlichen Frage einig, dass nämlich das Volk mittels der durch den Einzelnen abgegebenen Stimmen über die personale Zusammensetzung des Parlaments entscheidet. Diese vom Einzelnen abgegebene Stimme ist der entscheidende Legitimationsakt für parlamentarisches Handeln. Durch ihn verwirklicht sich kollektive Selbstbestimmung.

C. Alle Einzelnen als Abstimmende: Direkte Demokratie Alle Einzelnen können zusammen als Volk nicht nur über die Zusammensetzung des Parlaments, sondern auch über Sachfragen entscheiden. In der Bundesrepublik ist dies de lege lata aber lediglich auf der Länderebene möglich (I.). Auf Bundesebene gibt es regelmäßig erfolglose Versuche, Volksgesetzgebung einzuführen (II.). I. Unmittelbare Gesetzgebung in den Länderverfassungen Alle 16 Landesverfassungen sehen heute ein Volksgesetzgebungsverfahren, also die Möglichkeit direkter Demokratie vor. Manche Länder erlauben auch die Änderung ihrer Verfassung durch ein Volksgesetzgebungsverfahren.32 Direkt nach dem Krieg sah immerhin eine Mehrzahl der westdeutschen Bundesländer Volksabstimmungen in den jeweiligen Verfassungen vor.33 Im Zuge der Wiedervereinigung nahmen alle neuen Bundesländer sowie einige der alten Bundesländer direktdemokratische Elemente in ihre Verfassungen auf.34 Das letzte Land, das die Volksgesetzgebung einführte, war Hamburg im Jahre 1996. Diese alle Bundesländer erfassende Entwicklung zeigt, wie sehr die „Furcht vor dem entfesselten Primärorgan“35 abgenommen hat. 31  Section 46 South African Constitution, s. dazu Theunis Roux, The Principle of Democracy in South African Constitutional Law, in: Stu Woolman/Michael Bishop (Hrsg.), Constitutional Conversations, 2008, S. 79–96; Shauna Mottiar, Elections and the Electoral System in South Africa: Beyond Free and Fair Elections, CPS POLICY BRIEF 39, 2005. 32  S. die Übersicht bei Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S.  186 ff. 33  S. den Überblick über die Entwicklung bei Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 53 ff. 34  S. den Überblick über die Entwicklung bei Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 91 ff. 35  Jörg-Detlef Kühne, Volksgesetzgebung in Deutschland – zwischen Doktrinarismen und Legenden, Zeitschrift für Gesetzgebung 1991, S. 116–132, 118.



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Die Zulässigkeit direkter Demokratie auf Bundesebene durch das Grundgesetz wird heute nicht mehr in Frage gestellt.36 Sie ergibt sich aus Art. 20 GG („Wahlen und Abstimmungen“).37 Während in den ersten 50 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland nur 20 Plebiszite zu verzeichnen sind, wurden zwischen 1991 und 2018 mehr als 300 entsprechende Verfahren angestrengt.38 Man unterscheidet verschiedene Verfahren. Das wichtigste und meistgenutzte Verfahren folgt einem Bottom-up-Ansatz und erlaubt es Einzelnen, ein Gesetz zu initiieren. Es handelt sich um ein Stufenverfahren, das aus Volksbegehren, Volksentscheid und, in vier der 16 Länder, einer dem Volksbegehren zwingend vorgelagerten Volksinitiative besteht.39 Alle Landesverfassungen sehen Quoren vor und verlangen, dass sukzessive immer mehr Bürger einem Gesetzesvorschlag, der aus dem Volk kommt, zustimmen. Neben diesem den Einzelnen in den Mittelpunkt stellenden Ansatz gibt es einen Top-down-Ansatz. In Referenden wird dem Volk ein schon vom Parla36  Vgl. Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46–84, 60; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation (§ 34), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 31–54, Rn. 15; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl. 1984, S. 607 f.; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, S. 60. Verfassungspolitisch ablehnend Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie (§ 35), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 55–85, Rn. 45 ff. Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 56, Fn. 123 und s. Roman Lehner, Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Probleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren, in: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht (Hrsg.), Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 2012, S. 271–291, 272. 37  Ganz h. M., s. nur Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 16 f.; Christoph Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 36. Aufl. 2020, Rn. 115; anders Klaas Engelken, „In Wahlen und Abstimmungen“, DÖV 2013, S. 301–309, 308, nimmt an, dass diese Worte „keine normative Bedeutung haben“. 38  Statista, Anzahl der eingeleiteten Volksbegehren in Deutschland in den einzelnen Jahrzehnten von 1950 bis 2018, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 164245/umfrage/eingeleitete-volksbegehren-in-deutschland-seit-1950/. 39  Art. 76 VerfBbg; Art. 50 Abs. 1 HmbVerf; Art. 71 SächsVerf.; Art. 41 SHVerf (dort „Volksantrag“ statt „Volksinitiative“). S. die Übersicht bei Peter Neumann, ­Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 184 f. Bislang war ein solcher Antrag formell noch nicht erfolgreich. Anfang der 1980er Jahre führte jedoch ein entsprechender Versuch, in Berlin das Abgeordnetenhaus aufzulösen zu dessen „Selbstauflösung“, Christian Pestalozza, Volksbefragung – das demokratische Minimum, NJW 1981, S. 733–735, 733; Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 242.

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ment beschlossenes oder zumindest im parlamentarischen Verfahren befindliches Gesetz vorgelegt. Die Zustimmung des Volkes ist konstitutiv für das Zustandekommen des Gesetzes.40 Referenden existieren als obligatorische und einfache oder nicht-obligatorische Referenden sowie als Verfassungsund Gesetzesreferenden.41 Ein obligatorisches Referendum liegt vor, wenn es durch die Verfassung wegen als zwingendes Element des Gesetzgebungsverfahrens vorgesehen ist, ein einfaches Referendum wird hingegen durch einen parlamentarischen Willensbeschluss angeordnet. Obligatorische Gesetzesreferenden sind in keinem Bundesland vorgesehen, einfache Gesetzesreferenden lediglich in vier Landesverfassungen.42 Das S21 Gesetz, das von der baden-württembergischen Landeregierung zur Abstimmung gestellt wurde und mit dem das baden-württembergische Landesvolk darüber abgestimmt hat, ob die Finanzierung des Landes für das Projekt S21 aufrecht erhalten wird, war ein solch nicht-obligatorisches Gesetzesreferendum.43 Mehr als die Hälfte der deutschen Bundesländer kennt Verfassungsreferenden, nahezu hälftig als obligatorische und hälftig als nicht-obligatorische Referenden.44 Volksbefragungen sind rechtlich in keiner Landesverfassung vorgesehen. Volksbefragungen sind nicht verbindliche Befragungen, aus denen grundsätzlich keine rechtlichen Konsequenzen folgen (vgl. Art. 49b des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes). Es ist allerdings denkbar, eine Berücksichtigungspflicht festzuschreiben. Geschieht dies nicht, so handelt es sich bei ihnen nicht um Partizipation im hier verstandenen Sinne. Eine Einführung ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nur nach einer Verfassungsänderung möglich, da es sich hierbei um ein „Tätigwerden des Volkes als Staatsorgan [handelt und dies] im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat durch Kompetenznormen verfassungsrechtlich begrenzt ist“.45 Von privater Seite können solche Befragungen selbstverständlich jederzeit organisiert und 40  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 15. 41  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 215 m. w. N. S. dort auch die Übersicht zu den jeweils in den Bundesländern bekannten Verfahren. 42  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 219 m. w. N. 43  Art. 60 Abs. 2 und 3 BaWüVerf. 44  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 215 f. 45  BVerfGE 8, 104, 114 f. S. dazu Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 45 f., S. 87 ff., Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 176 ff. In Bayern wurde ein solches Verfahren einfachgesetzlich eingeführt, inzwischen aber vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof mit Urteil vom 21. November 2016, Vf. 15–VIII-14, Vf. 8–VIII-15, für verfassungswidrig erklärt. S. Hermann K. Heußner/Arne Pautsch, Der Griff nach dem Plebiszit – Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Probleme der konsultativen Volksbefragung, NVwZ-Extra 10/2014, S. 1–8; Kurzfassung in: NVwZ 16/2014, S. 1058.



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durchgeführt werden. Hier wird aber nicht jeder Einzelne als Teil des Volkes befragt, sondern nur einzelne Individuen, die einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ausmachen sollen. Außerdem folgt aus ihnen nichts. Schaut man sich schließlich die Unterschiede zwischen Wahlprognosen, die nach diesem Schema funktionieren und den Ergebnissen der Wahl an, so zeigt sich, dass es wesentliche Unterschiede zwischen einer Wahlentscheidung am Tag der Wahl in der Wahlkabine und einer spontanen Äußerung der eigenen Wahlpräferenz in der Fußgängerzone oder zuhause auf dem Sofa gibt: Demoskopie ist nicht Demokratie.46 Schließlich gibt es noch die explizit in der Bundesverfassung vorgesehenen Volksabstimmungen, die allerdings nicht das ganze Bundesvolk umfassen, sondern sog. Territorialplebiszite sind. Diese in Art. 29, Art. 118 S. 2 und Art. 118a GG geregelten Volksabstimmungen verlangen, dass über die Neugliederung der Länder die jeweilige Landesbevölkerung abzustimmen hat. Volksgesetzgebung dient der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung (1.). Daraus folgt, dass sich grundsätzlich jeder Einzelne (2.) in einem Entscheidungsverfahren (3.) beteiligen darf. 1. Volksgesetzgebung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Das Volksgesetzgebungsverfahren erlaubt unmittelbare Abstimmungen über Sachfragen und ermöglicht wie parlamentarische Gesetzgebung47 kol46  Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 116; s. auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation (§ 34), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 31–54, Rn. 4, der die „Artikulations- und Verwirklichungsbedingungen des Volkswillens“ sehr bildhaft beschreibt. 47  Neben der Gesetzgebung kommen dem Parlament auch viele andere Funktionen zu, so ist etwa die Kreationsfunktion, die Öffentlichkeitsfunktion, die Mitwirkung an der Wahl des Bundespräsidenten und der Bundesverfassungsrichter zu nennen. Außerdem werden viele Entscheidungen nicht als Gesetz, sondern als einfacher Bundestagsbeschluss erlassen, etwa Entscheidungen über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Manche Gesetze setzen keine „Rechtsnormen“ wie das Haushaltsgesetz oder die Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen, s. Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 502. Obwohl diese Entscheidungen zumindest mittelbar alle angehen und betreffen, sollten sie (zumindest zunächst) weiterhin als Kernbereich parlamentarischer Tätigkeit verstanden werden, der nicht der Entscheidung durch das Volk überlassen wird. In weiteren Schritten der Entwicklung der Volksgesetzgebung kann darüber nachgedacht werden, hier vorsichtige Ausweitungen vorzunehmen. S. Peter M. Huber, Direkte Demokratie? Gefahren und Chancen für das repräsentative System, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Süd­

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lektive Selbstbestimmung. Die „Reichweite“ der Volksgesetzgebung wird nur von den Landesverfassungen gesteuert, Volksgesetzgebung ist prospektiv ausgerichtet und erfasst potentiell jeden Einzelnen. Die Regeln in den einzelnen Bundesländern unterscheiden sich zwar im Einzelnen, sehen aber prinzipielle Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten vor. Hinsichtlich des ersten Kriteriums der „Rechtsgebundenheit“ zeigt sich, dass alle wesentlichen Regelungen in den Landesverfassungen vorgesehen sind. Allerdings werden regelmäßig bestimmte Bereiche von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen, wodurch der Volksgesetzgebung ein geringerer Spielraum zukommt als der parlamentarischen Gesetzgebung. Jedes Land sieht einen entsprechenden Katalog mit Materien vor, die nicht Gegenstand von Volksgesetzgebung sein können. Dieser Katalog variiert von Land zu Land, ist aber grundsätzlich eng gefasst. Selbstverständlich sind Entscheidungen über Bundeskompetenzen oder -gesetze ausgeschlossen und Entscheidungen, die der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder der verfassungsmäßigen Ordnung widersprechen. Hier besitzen die Landesparlamente ebenfalls keine entsprechenden Kompetenzen bzw. würden verfassungswidrig handeln. In allen Ländern48 wird in irgendeiner Weise die Entscheidung über finanzwirksame Fragen, damit sind Dienst- und Versorgungsbezüge, öffentliche Abgaben und der Haushalt gemeint, eingeschränkt.49 afrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 295–312, 296 f., u. a. zum Out-of-area-Einsatz etc.; zu den Funktionen des Parlaments s. auch Heinhard Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973 und Kathrin Groh, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, DVBl. 2012, S. 1064–1071, 1066 ff. S. auch BVerfGE 8, 333; 25, 396; 31, 263; 36, 90. 48  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 391. Nach Art. 76 Abs. 2 Verf Bbg ist etwa die Volksgesetzgebung zum Landeshaushalt, zu Dienst- und Versorgungsbezügen, Abgaben und Personalentscheidungen unzulässig; ähnlich ist in Art. 62 Abs. 2 VvB die Volksgesetzgebung zum Landeshaushaltsgesetz, zu Dienstund Versorgungsbezügen, Abgaben, Tarifen der öffentlichen Unternehmen sowie zu Personalentscheidungen ausgeschlossen. Nach Art. 82 Abs. ThürVerf ist Volksgesetzgebung zum Landeshaushalt, zu Dienst- und Versorgungsbezügen, Abgaben und Personalentscheidungen unzulässig. In Sachsen finden gem. Art. 73 Abs. 1 SächsVerf für Abgaben-, Besoldungs- und Haushaltsgesetze Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid nicht statt. Art. 73 BayVerf verfügt lediglich: „Über den Staatshaushalt findet kein Volksentscheid statt.“ 49  S. die Übersicht bei Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, D. I.4.a.; ausführlich auch Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 391 ff.; außerdem Matthias Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, S. 3–44; Sebastian MüllerFranken, Plebiszitäre Demokratie und Haushaltsgewalt, in: Der Staat 44 (2005), S. 19–42; Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 385 ff.



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Wieweit der Ausschluss finanzwirksamer Volksgesetze reicht, ist umstritten. Nach einer Ansicht sind finanzwirksame Volksinitiativen vor dem Hintergrund des Art. 79 Abs. 3 GG nur in einem engen Rahmen zulässig. Nach anderer Ansicht hat der Volksgesetzgeber einen weiten Spielraum. Dieser Streit spielt sich vor dem Hintergrund divergierender Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte ab, die wiederum unterschiedlich formulierte Verfassungstexte auszulegen hatten. Einige Landesverfassungen schließen ­ Volksinitiativen über „Haushaltsgesetze“ (Art. 73 Abs. 1 SächsVerf, ähnlich „Landeshaushaltsgesetz“, Art. 62 Abs. 2 VvB) aus. Dies wird von den entsprechenden Landesverfassungsgerichten als ein eng auszulegender Vorbehalt interpretiert, der dem Volksgesetzgeber einen relativ weiten Gestaltungsspielraum lässt. Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin sieht finanzwirksame Volksgesetze nur dann als unzulässig und damit verfassungswidrig an, wenn sie „das Haushaltsgesetz und den in ihm festgestellten Haushaltsplan für das laufende Haushaltsjahr unmittelbar zum Gegenstand haben. Dazu gehören auch Volksbegehren, die in einen im Zeitpunkt des Zustandekommens des Volksgesetzes geltenden Haushaltsplan eingreifen. Dagegen erstreckt sich der Haushaltsvorbehalt des Art. 62 Abs. 2 VvB nicht auf finanzwirksame Gesetze, die sich lediglich auf künftige Haushaltsgesetze und zukünftige Haushaltsperioden auswirken.“50

Eine ähnlich weite Interpretation vertritt der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen.51 Weitaus restriktiver ist die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte der Länder, deren Normen über die Volksgesetzgebung in den Landesverfassungen nicht unmittelbar auf das „Haushaltsgesetz“ abstellen, sondern auf den „(Landes)Haushalt“. Hierzu gehören beispielsweise die Verfassungen von Schleswig-Holstein, nach der „Initiativen über den Haushalt des Landes“ (Art. 41 Abs. 2 SHVerf) unzulässig sind, oder die von Thüringen, die „Volksbegehren über den Landeshaushalt“ (Art. 82 Abs. 2 ThürVerf) untersagt. Diese Normen werden von den Landesverfassungsgerichten der jeweiligen Länder strikt ausgelegt.52 Nach dem Bundesverfassungsgericht muss ein Haushaltsvorbehalt alle Initiativen ausschließen, „die gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen und damit den Haushalt des Landes wesentlich beeinflussen“.53 Ebenso hat der Thüringer 50  VerfGH

Bln, Urteil v. 6. Oktober 2009, NVwZ-RR 2010, S. 169, 170. Urteil v. 11. Juli 2002, LKV 2003, S. 327, 330. 52  Holger Obermann, Entwicklung direkter Demokratie im Ländervergleich, LKV 2012, S. 241–248, 243 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung. 53  BVerfG, Beschluss v. 3. Juli 2000, NVwZ 2002, 67, 69. S. zu der Problematik insgesamt s. Matthias Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, S. 3–44; Holger Obermann, Entwicklung direkter Demokratie im Ländervergleich, LKV 2012, S. 241–248, 243 f.; Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Demokratie und Haushaltsgewalt, in: Der Staat 44 (2005), S. 19–42. 51  SächsVerfGH,

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Verfassungsgerichtshof, der anders als das Bundesverfassungsgericht eine Änderung des Finanzvorbehalts in der Verfassung am Maßstab der Ewigkeitsklausel geprüft hat, entschieden, dass „durch Volksentscheid [nur] solche Gesetze beschlossen werden [dürfen], die staatliche Einnahmen oder Ausgaben nur unwesentlich berühren. Unzulässig ist mithin eine von dem Volksbegehren vorgesehen Verfassungsänderung, wenn sie die Volksgesetzgebung auch für solche Regelungen zulässt, die gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben unmittelbar oder mittelbar auslösen und den in umfassenden Sinn verstandenen Landeshaushalt wesentlich beeinflussen.“54

Selbst wenn manche Verfassungsgerichte sehr weit gehen in dem Ausschluss von haushaltsrelevanten Entscheidungen – so ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg eine Belastungshöhe von 0,18 % des Gesamthaushaltes,55 nach Ansicht des Bundesverfassungs­ gerichts von 0,5 %56 verfassungswidrig57 – verengt dieser Ausschluss den Spielraum der Volksgesetzgebung in nur geringem Maße. Die meisten Sachfragen können weiterhin vom Volk entschieden werden. Auch der Punkt, dass Personalentscheidungen über die Wahl der Landtagsabgeordneten hinausgehend kaum vorgesehen sind, führt noch nicht zu einer Einschränkung der Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung. Personalentscheidungen sind grundsätzlich der repräsentativen Demokratie vorbehalten, die der Wahl von Repräsentanten dient. Direkte Demokratie als sach­ unmittelbare Demokratie58 zielt auf direkte Sachentscheidungen. Deshalb schadet es nicht, dass weder die Direktwahl des Ministerpräsidenten59 vorge54  ThürVerfGH,

LKV 2002, S. 83, 94. Bbg LKV 2002, S. 77, 81, 82; s. auch die Übersicht bei Fabian Wittreck, Direkte Demokratie vor Gericht oder: Direkte Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit – ein gestörtes Verhältnis?, in: Hermann K. Heußner/Otmar Jung (Hrsg.), Mehr direkte Demokratie wagen, 2. Aufl. 2009, S. 397–416, 411. 56  BVerfG 102, 176, 191. 57  Diese Zahlen wurden schon als „einfach absurd“ bezeichnet Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/ Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 26; s. auch Fabian Wittreck, Direkte Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit, JöR 53 (2005), S. 111–185, 119 f., 124 ff. 58  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009. 59  S. dazu Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 175 f.; 131; Karlheinz Niclauss, Vier Wege zur unmittelbaren Bürgerbeteiligung, in: APUZ 1997, B 14, S. 3–12, 5; Hans Herbert von Arnim, Systemwechsel durch Direktwahl des Ministerpräsidenten, in: Arthur Benz/Heinrich Siedentopf/Karl-Peter Sommermann (Hrsg.), Institutionenwandel in Regierung und Verwaltung. Festschrift für Klaus König zum 70. Geburtstag, 2004, S. 371–385; Hartmut Maurer, Volkswahl des Ministerpräsidenten, in: Heiko Faber/Götz Frank (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft. Festschrift für Ekkehart Stein zum 70. Geburtstag, 2004, S. 143–162. 55  VerfG



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sehen ist, noch ein sog. Recall, d. h. die Abwahl eines Ministerpräsidenten, wie sie in manchen US-Bundesstaatenverfassungen (z. B. von Kalifornien und Wisconsin)60 normiert ist. Auch die in sechs Ländern bestehende Mög­ lichkeit,61 einen Antrag auf Auflösung des Landtags zu stellen, stellt keine Form direkter Demokratie dar, sondern ist als actus contrarius zum Wahlakt der repräsentativen Demokratie zuzuordnen. Unterschiede zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Volksgesetzgebung hinsichtlich der Zukunftsorientierung und der „Reichweite“ des Volksgesetzes bestehen nicht, so dass das Volksgesetzgebungsverfahren ebenso ­kollektiver Selbstbestimmung dient wie das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren. 2. Partizipationsakteure: Alle Einzelnen als Landesvolk Die Partizipationsakteure sind auf der Ebene direkter Demokratie genauso weit gefasst wie auf der Ebene der repräsentativen Demokratie. Allerdings muss in beiden Fällen nicht immer das ganze Volk, also jeder Einzelne, tätig werden. Vielmehr sind entsprechend den verschiedenen Stufen der Volksgesetzgebung verschiedene Quoren vorgesehen.62 So schreiben die Landesverfassungen vor, dass zwischen 0,5 und 20 Prozent der Wahlberechtigten den ersten Schritt der Volksgesetzgebung, sei es eine Volksinitiative63 oder ein Volksbegehren,64 unterstützen müssen. Für den Volksentscheid sehen manche 60  Zur direkten Demokratie in den USA s. Silvano Moeckli, Direkte Demokratie in den Gliedstaaten der USA, in: Markus Freitag/Uwe Wagschal (Hrsg.), Direkte Demokratie. Bestandaufanhmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, 2007, S. 19–40. 61  Art. 76 Abs. 1 Bbg Verf; Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 RhPfVerf; Art. 62 Abs. 6 VvB; Art. 70 Abs. 1 S. 1 lit. c) BremVerf; Art. 18 Abs. 3 BayVerf; Art. 43 Abs. 2 ­BaWüVerf. 62  S. dazu umfassend Stefan Schwerdtfeger, Legitimation von Quoren in der direkten Demokratie, 2018. 63  Art. 76 Abs. Verf Bbg: 20.000. Wahlberechtigte für Volksinititative, ca. 0,95 %; Art. 77 Abs. 1 Verf Bbg: 80.000 Wahlberechtigte, ca. 3,8 %; Art. 50 Abs. 1 HmbVerf; Art. 71 SächsVerf: 40,000 Wahlberechtigte; Art. 41 SHVerf. Z. T. wird aber bei der Volksinitiative nicht auf die Staatsangehörigkeit – oder die Volljährigkeit – abgestellt. Dann handelt es sich um eine echte Öffentlichkeitsbeteiligung. S. Erich Röper/Klaus Sieveking, Einwohner bei Volksabstimmungen in den Kommunen und Bundesländern als Grundgesamtheit, ZAR 2011, S. 131–133, 132 m. w. N.; Art. 61 Abs. 1 S. 1, 2 VvB spricht von volljährigen Einwohnern; Art. 76 Abs. 1 S. 1, 3 Verf Bbg: 20.000 Einwohner; Art. 29 HmbVerf: 10.000 Einwohner (dann aber Volkspetition), Art. 87 Abs. 2 BremVerf: 2 % der Einwohner, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. 64  In Baden-Württemberg: Art. 59 Abs. 2 (1/6 der Stimmen), Bayern: Art. 71 Abs. 1 (1/10 der Stimmen), Hessen: Art. 124 Abs. 1 (1/5 der Stimmen), Saarland: Art. 99 Abs. 2 (1/5 der Stimmen), Thüringen: Art. 82 Abs. 5 8 bis 10 % der Stimmen; Bremen: Art. 70 Abs. 1 lit. d) (1/20 der Stimmen).

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Länder eine fünfzigprozentige Beteiligung der Wahlberechtigten vor.65 Andere Länder sehen hingegen keine Quoren vor. Das sind vor allem die Länder, die ein hohes Unterstützungsquorum auf Ebene des Volksbegehrens verlangen. Für Verfassungsänderungen sind immer höhere Quoren vorgesehen. Bevor auf der ersten Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens das Volk befragt werden kann, muss ein Einzelner die Frage formulieren und an das Volk richten. Anders als beim Referendum und auch als bei Wahlen wird das Volk im ersten Schritt des Volksgesetzgebungsverfahrens nicht durch gewählte und damit demokratisch legitimierte Repräsentanten zu den Urnen gebeten.66 Stattdessen bittet ein Einzelner um Unterschriften mit dem Ziel durch ein staatliches Verfahren ein Gesetz in Kraft zu setzen. Dieses Verhalten ist legitimationsbedürftig, da hier ein Einzelner an der Ausübung von Staatsgewalt teilhat, indem er das Volk im Rahmen eines staatlichen Verfahrens mit bindenden Auswirkungen befragt. Kritiker der Volksgesetzgebung schließen daraus sogar, dass die Freiheit aller bedroht ist, da nur der Fragesteller wirklich frei, das Volk hingegen an die Frage gebunden sei.67 Da nur Ja oder Nein Antworten möglich sind, seien die Abstimmenden ebenso mediatisiert wie in Verfahren repräsentativer Demokratie. Diese Kritik ist allerdings nicht zutreffend. Ein demokratischer Legitima­ tionsmalus besteht nicht. Die Legitimation der Fragesteller kommt direkt aus den Landesverfassungen, die dem Einzelnen ein solches Recht gewähren. Wollte man eine entsprechende verfassungsrechtliche Ermächtigung als verfassungswidrig verstehen, führte das dazu, dass Volksgesetzgebung, jedenfalls die von unten, ausgeschlossen wäre. Volksgesetzgebungsverfahren sind aber schon vom Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 GG („Wahlen und Abstim65  Fabian Wittreck, Demokratische Legitimation von Großvorhaben, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 209–226, 224 nennt ein Quorum für eine Volksabstimmung von einem Drittel der Stimmberechtigten „prohibitiv, ja absurd hoch.“ 66  So bestimmt nach § 16 BWahlG der Bundespräsident den Wahltag. Die Benachrichtigung der Wahlberechtigten erfolgt gem. § 19 BWO durch die jeweilige Gemeindebehörde. 67  Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 51 ff. Vgl. dazu auch Christoph Möllers, Demokratie. Zumutung und Versprechen, 2008, S. 29; Werner Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 1970, S. 185 f.; Werner Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983, S. 151; Roman Lehner, Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Pro­bleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren, in: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht (Hrsg.), Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 2012, S. 271–291, 278 f.



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mungen“) vorgesehen.68 Um zu verhindern, dass auf die Frage eines Einzelnen hin das Volk direkt an die Urnen gerufen wird, hilft das Stufenverfahren. Mit ihm ist sichergestellt, dass sich Minderheiten oder Einzelne, die sich der Volksgesetzgebung bedienen, erst für das Recht qualifizieren müssen, „den Souverän zur Entscheidung aufzurufen.“69 Außerdem dienen Zulassungsquoren dem Zweck demokratischer Qualifizierung. So soll die Initiative „dem Test der Ernsthaftigkeit [unterworfen werden und zugleich verhindert werden], dass Anliegen, die nur eine marginale Unterstützung in der Bevölkerung finden, Zugang zu diesem Verfahren finden.“70 Schließlich wird ein Gesetz erst dann dem Parlament vorgelegt, wenn es genügend Einzelne unterstützen. Das Recht, dem Parlament, und anschließend dem Volk, Gesetze vorzulegen, kommt nicht jedem zu, sondern muss im Wege einer Volksinitiative oder eines Volksbegehrens verdient werden.71 So kommt bei einer Volksinitiative ebenso wie bei einem Volksbegehren einer „qualifizierten Minderheit der Aktivbürgerschaft“72 das Gesetzesinitiativrecht zu. Wird das Quorum erreicht und folgt das Landesparlament der Gesetzes­ initiative nicht, so wird in einem letzten Schritt ein Volksentscheid abgehalten. Wiederum kann sich grundsätzlich jeder Einzelne beteiligen. Einschränkungen bestehen ebenso wie auf den Stufen zuvor, als dass der Einzelne zum deutschen Volk gehören muss, in den meisten Fällen das 18. Lebensjahr vollendet und mindestens drei Monaten vor der Abstimmung in dem entsprechenden Land seinen ersten Wohnsitz genommen haben muss. Die Abstimmung entscheidet das ganze Volk als Staatsorgan.73 Ebenso wenig wie bei Wahlen müssen sich also alle beteiligen. Damit kann auf allen Stufen der 68  Ganz h. M., s. nur Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 16 f.; Christoph Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 36. Aufl. 2020, Rn. 115; anders Klaas Engelken, „In Wahlen und Abstimmungen“, DÖV 2013, S. 301–309, 308, nimmt an, dass diese Worte „keine normative Bedeutung haben“. 69  BremStGH, Urteil v. 14. Februar 2000 – St 1/98, B. II. 2 a bb. 70  BremStGH, Urteil v. 14. Februar 2000 – St 1/98, B. II. 2 a bb. 71  BremStGH, Urteil v. 14. Februar 2000 – St 1/98, B. II. 2. b. bb.; s. dazu Christoph Möllers, Demokratie. Zumutung und Versprechen, 2008, S. 29; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation (§ 34), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 31–54, Rn. 5. 72  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 182. 73  BVerfGE 8, 104, 114 f. Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 26 unter Verweis auf BVerfGE 60, 175, 202, 207; 96, 231, 239  ff.; ­BayVerfGHE 53, 42, 71.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Volksgesetzgebung jeder Wahlberechtigte abstimmen, es müssen aber nicht alle Wahlberechtigten abstimmen. Nach umstrittener,74 aber vom Bundesverfassungsgericht75 und zuletzt dem Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen76 vertretenen Ansicht, dürfen Ausländer im Bund und in den Ländern nicht wählen. Dies gilt dann ebenso für Abstimmungen.77 Zwar geht es bei Abstimmungen um Sachfragen und nicht um Personalfragen wie bei Wahlen, allerdings wird das Personal gewählt, um Sachfragen zu entscheiden, so dass der Personenkreis kongruent sein muss. Nicht konsequent ist daher, dass sich in mehreren Bundesländern bei Volksinitiativen auch Ausländer beteiligen dürfen,78 diese sich somit am Gesetzesinitiativrecht beteiligen. Die Ausländerbeteiligung scheint hier aufgrund der Homogenitätsklausel des Art. 28 GG angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtlich zweifelhaft zu sein.79 Allerdings ist diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts massiver und gewichtiger Kritik ausgesetzt.80 Grundsätzlich darf jeder Einzelne partizipieren, sofern er zum deutschen Volk gehört, das 18. bzw. das 16. Lebensjahr vollendet hat und mindestens drei Monate vor der Abstimmung in dem entsprechenden Land seinen ersten Wohnsitz innehat. Obwohl Minderjährige und Nichtdeutsche von Abstimmungen ausgeschlossen sind, sind die Beteiligungsakteure im Sinne einer Ermöglichung umfassender kollektiver Selbstbestimmung sehr weit gefasst. 3. Partizipationsverfahren: Entscheidung durch Unterschrift und Abstimmung Das Volk entscheidet im Wege direkter Demokratie über Gesetze, die Sachfragen betreffen. Erfolgreiche Volksentscheide binden zumindest mittelbar jedermann. Auch erfolgreiche Volksinitiativen und Volksbegehren besitzen bindende Wirkung.

74  S. die

Nachweise oben S. 123, Fn. 21. 83, 37 – Ausländerwahlrecht I; BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahl-

75  BVerfGE

recht II. 76  BremStGH, Urteil v. 14. Februar 2000 – St 1/98. 77  S. Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 340 ff. 78  Art. 61 Abs. 1 VvB; Art. 76 Abs. 1 Verf Bbg, Art. 97 Abs. 2 BremVerf; Art. 29 HmbVerf. 79  Vgl. Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 193 f. 80  S. die Nachweise oben S. 123, Fn. 21.



Kapitel 4: Die Legislative137

Die Volksinitiative kommt in zweierlei Form vor: als Volksgesetzgebungsverfahren oder als eigenständiges Institut. Beide haben im Falle ihres Erfolges eine bindende Wirkung für den Staat. Dieser ist gezwungen zu reagieren. Als eigenständiges Institut wird sie beispielsweise von Art. 47 der Niedersächsischen Verfassung ausgestaltet.81 Danach können 70.000 Wahlberechtigte – das sind etwas mehr als 1 % der Wahlberechtigten – schriftlich verlangen, dass sich der Landtag im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit mit bestimmten Gegenständen der politischen Willensbildung befasst. Ihre Vertreterinnen oder Vertreter haben das Recht, angehört zu werden. Hamburg etwa kennt beide Instrumente und nennt die Volksinitiative, die nicht als erster Schritt der Volksgesetzgebung fungiert, „Volkspetition.“82 Dieser Begriff ist genauso unpassend wie der der „kollektive[n] Petition“83, da die Reaktionspflicht des Parlaments über die Pflicht im Rahmen von Petitionen hinausgeht: Bei Petitionen besteht nämlich lediglich ein Recht auf Beantwortung, während bei der Volksinitiative ein Recht auf Sachentscheidung besteht.84 Die Bindungswirkung geht bei der Volkinitiative also weiter. Sind Volksinitiativen als der erste Schritt innerhalb eines Volkgesetzgebungsverfahrens wie in Brandenburg konzipiert, so führt ihr Erfolg zu einer Befassungspflicht des Parlaments (Art. 76 Verf Bbg). Wird der Gesetzesvorschlag nicht angenommen, so kommt es zu einem Volksbegehren (Art. 77 Verf Bbg). Ebenso binden erfolgreiche Volksbegehren den Staat. Nimmt das Parlament den Gesetzesentwurf nicht an, so kommt es zu einem Volksentscheid (Art. 78 Verf Bbg). Erlangt der Volksentscheid die erforderliche Mehrheit, so wird er Gesetz. Auf allen Stufen kommt dem Volk Entscheidungsgewalt zu, sei es, dass es entscheiden kann, dass das Parlament über den Entwurf einen Beschluss fassen muss, sei es, dass es auf der letzten Ebene selbst den Gesetzesbeschluss fassen kann. Wie in der repräsentativen Demokratie die Wahl legitimierend wirkt, so dient in Formen direkter Demokratie die Abstimmung durch Einzelne als legitimierender Akt der Staatsgewalt. Durch ihn verwirklicht sich kollektive Selbstbestimmung.

81  Ebenso Art. 59 MVVerf, Art. 108a RhPfVerf, Art. 80 SaarVerf; Bürgerantrag: Art. 87 Abs. 2 BremVerf, Art. 68 ThürVerf; Einwohnerinitiative: VvB, s. auch Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 184 f., S. 189 ff. 82  Art. 29 HmbVerf. 83  Christian Starck, Die neue Niedersächsische Verfassung von 1993, NdsVBl. 1994, S. 2–9, 5. 84  Vgl. zu diesen Fragen Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S.  196 ff.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

II. Direkte Demokratie auf Bundesebene In Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG werden Abstimmungen gleichberechtigt neben Wahlen als Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk benannt.85 Entsprechend müssten dann auch alle wahlberechtigten Deutschen entscheiden dürfen. Allerdings sieht das Grundgesetz bislang keine ausdrücklichen Abstimmungen auf Bundesebene vor. Die direkte Demokratie steht zwar ohne textliche Präferenz neben der parlamentarischen Demokratie, das Gesetzgebungsverfahren durch Abstimmungen ist aber nicht geregelt. Art. 29, 118 und 118a GG, die Regeln für Abstimmungen vorsehen, betreffen lediglich die Neugliederung des Bundesgebietes bzw. bestimmter Länder und sind nicht allgemeiner Natur. Diese finden zudem nur auf Landesebene statt.86 Teilweise wird jedoch vorgebracht, dass Art. 146 GG, der dem Wortlaut nach nicht auf Gesetzes- oder Verfassungsänderungen abstellt, sondern auf eine Verfassungsneugebung, durch eine reduktionistische Interpretation als Grundlage für eine Volksabstimmung ausreiche.87 Für den Fall, dass die verfassungsrechtliche Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG etwa durch ein Vertragsgesetz, das die europäische Integration vertieft, überschritten werde, könne dann ein auf Art. 146 GG basierendes Referendum das Vertragsgesetz vor dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit retten.88 Abstimmungsberechtigte Partizipationsakteure wären in diesem Fall wieder die Einzelnen, die auch wahlberechtigt sind.

85  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 16; Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 64, 82. 86  Vgl. Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 19. 87  Wolfgang Kahl/Andreas Glaser, Nicht ohne uns, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. März 2012; Peter M. Huber, Art. 146 GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2020, Rn. 21 ff.; s. auch Hans Hofmann, Verfassungsrechtliche Auswirkungen der Ergebnisse des Verfassungskonvents. Zu einer möglichen Volksabstimmung nach Art. 146 GG über die EU-Verfassung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2003, S. 57–68; s. allgemein zu Art. 146 GG Ewald Wiederin, Die Verfassungsgebung im wiedervereinigten Deutschland. Versuch einer dogmatischen Zwischenbilanz zu Art. 146 GG, AöR 117 (1992), S. 410–448. 88  Offengelassen von BVerfGE 123, 267, 343 und BVerfGE 135, 317, 359 ff.; s. dazu Christian Hillgruber, Artikel 146 GG, in: ders./Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 11.



Kapitel 4: Die Legislative139

Der Wortlaut von Art. 146 GG unterstützt diese Sichtweise aber nicht, da er von „einer Verfassung“, also einer ganzen Verfassung spricht und damit den pouvoir constituant89 meint und nicht den pouvoir constitué. Art. 146 GG zielt auf eine gänzlich neue Verfassung und keine bloße Verfassungs­ änderung ab.90 Eine solche versteckte Verfassungsänderung durch das Volk durch eine entsprechende Interpretation des Art. 146 wird wohl zumindest gegen den Geist des Art. 79 Abs. 1 GG verstoßen. Zwar erfasst nach Ansicht vieler Stimmen in der Literatur Art. 79 GG den Fall des Art. 146 GG nicht, da Art. 79 GG eine Verfassungsänderung und nicht -neugebung zum Gegenstand habe und überdies eine neue Verfassung nicht an die Normen der alten Verfassung gebunden sein könne.91 Der Sinn des Art. 79 Abs. 1 GG ist aber gerade sicherzustellen, dass eine schleichende Änderung der Verfassung nicht möglich ist, sondern nur eine explizite Neufassung, entweder i. R. dieses Grundgesetzes oder eben durch eine neue Verfassung, die auch deutlich macht, dass das Grundgesetz abgelöst wurde. Außerdem ist es widersprüchlich, Grundgesetzänderungen per Volksgesetzgebung zuzulassen, Gesetzesänderungen aber nicht.92 So erstrebenswert eine Volksabstimmung über Verfassungsänderungen sein mag, so sehr bedarf es dafür zunächst einer Verfassungsänderung – auch um die nötigen Verfahrensvorschriften entsprechend den im Grundgesetz normierten Verfahren für das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren in den Art. 76 ff. GG zu entwickeln.93 Anders als die Landesverfassungen sieht das Grundgesetz also selbst keine Abstimmungen über allgemeine Gesetze oder Verfassungsänderungen vor. Allerdings verbietet das Grundgesetz direkte Demokratie auch nicht, selbst

89  Der Begriff geht zurück auf Emmanuel Joseph Sieyes, Qu’est-ce que le Tiers Etat?, 1789, der Montesquieus Gewaltenteilungskonzept auf Rousseaus Souveränitätsverständnis angewandt hat, so Egon Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant, 1909, S.  116 f., 135 ff. 90  Peter Lerche, Grundfragen repräsentativer und plebiszitärer Demokratie, in: Peter M. Huber/Wilhelm Mößle/Martin Stock, Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, Symposium zum 60. Geburtstag von Peter Badura, 1995, S. 179–193, 189. 91  Vgl. Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 47 ff. m. w. N.; Jörn Dietlein, Art. 79 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 1. 92  Auch wenn dies der Staatspraxis der Schweiz entspricht, dort aber auch, und z. T. heftig, kritisiert wird, s. die Parlamentarische Initiative von Hiltpold Hugues, Die Gesetzesinitiative einführen. Eine Lücke in den Volksrechten schliessen, 27. September 2013, Nr. 13.464 – Amtliches Bulletin, Nationalrat. 93  Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 117.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

wenn das früher anders gesehen wurde.94 Die Volksgesetzgebung auf Bundesebene ist somit eine Frage de lege ferenda.95

D. Der Einzelne als Ratgeber: Beteiligung i. R. d. parlamentarischen Gesetzgebung Eine Beteiligung des Volkes außerhalb von Wahlen und Abstimmungen sieht Art. 20 GG, die grundgesetzliche Basis demokratischer Beteiligung, nicht vor. Allerdings lassen sich Petitionen nach Art. 17 GG als Form von Partizipation ausmachen (I.), zum anderen sehen einfache Gesetze die Beteiligung Dritter, wenngleich nicht immer von Einzelnen vor (II.). I. Petitionen zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung Petitionen, also Bitten oder Beschwerden, können gemäß Art. 17 GG an das Parlament gerichtet werden, aber genauso auch an jede andere staatliche Stelle. Es besteht die Pflicht des Staates, auf die Petition zu reagieren, so dass sie unter den hier verwendeten Partizipationsbegriff fällt. Petitionen können sich auf Fragen der individuellen Selbstbestimmung ebenso beziehen wie auf Fragen der kollektiven Selbstbestimmung. Die Zuordnung der Petition zu individueller oder kollektiver Selbstbestimmung richtet sich daher nach ihrem Inhalt. 1. Partizipationsakteure: Jeder Einzelne Nach Art. 17 GG kommt jedermann das Recht zu, Petitionen zu verfassen und sie an jede staatliche Stelle zu richten. Hier besitzen wirklich „alle“ ein Beteiligungsrecht, auch Staatenlose oder Ausländer, selbst wenn sie im Ausland wohnen.96 Der Einzelne ist nicht wie bei Wahlen und Abstimmungen in das Kollektiv „Volk“ eingebunden, sondern wird unabhängig von ihm tätig.

94  Vgl.

oben S. 127, Fn. 36. unten S. 434 ff. 96  Hans Hugo Klein/Kyrill-Alexander Schwarz, Art. 17 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 70. Zu Fragen hinsichtlich einer „öffentlichen Petition“ s. Julian Krüper, Normsetzung im Kraftfeld des Art. 17 GG – Zur Ausgestaltung eines Rechts auf „öffentliche Petition“, DÖV 2017, S. 800–810. 95  S. dazu



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2. Partizipationsverfahren: Bitten und Beschwerden Art. 17 GG verleiht jedem, der eine zulässige Petition einreicht, ein Recht, dass die Eingabe von der zuständigen Behörde, die jeder Staatsgewalt angehören kann, sachlich geprüft und beschieden wird.97 Dies gilt allerdings nicht für alle Petitionen von Ausländern, die im Ausland wohnen, da dieser Gruppe zwar ein Recht auf Stellen einer Petition besitzt, die deutschen Stellen zumeist aber nicht zuständig sein werden, diese Petition auch zu beantworten.98 Dass dem Einzelnen hier kein Entscheidungsrecht zukommt, ist nur konsequent. Dies ist schon in der Definition von Petitionen (von lat. petitio  = Bitte, Gesuch) angelegt. Auch lassen sich Petitionen abstrakt weder kollektiver noch individueller Selbstbestimmung zuzuordnen, es kommt ganz auf ihren konkreten Inhalt an. Außerdem handeln hier anders als bei Wahlen und Abstimmungen Einzelne alleine und nicht kollektiv als Volk. Ein Entscheidungsrecht kommt aber nur allen Einzelnen, die als Volk zusammen handeln, zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung zu. Einzelne können zwar den Staat verpflichten zu reagieren, aber nicht verpflichten, eine bestimmte Entscheidung zu treffen. Auf Legislativebene stehen Einzelnen und Volk andere Formen der Entscheidung zur Verfügung. II. Beteiligung im Rahmen parlamentarischer Gesetzgebung Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren ist die Beteiligung Einzelner, aber nicht des Volkes, grundsätzlich denkbar. Allerdings fehlen in Deutschland solche Mitwirkungsmöglichkeiten de lege lata fast vollständig. In den Bundestagsausschüssen finden nach § 70 der Geschäftsordnung des Bundestages nur Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen statt. Experten werden als Einzelne in ihrer Kapazität als Fachleute angehört, nicht in ihrer Eigenschaft als Bürger oder Herrschaftsunterworfene. Interessensvertreter werden meist als Repräsentanten der hinter ihnen stehenden Interessen gehört. Mit anderen Auskunftspersonen sind alle anderen Individuen gemeint, die etwas zum Gesetz beitragen können. Diese Beteiligungsformen sind aber keine inklusiven, allen Individuen oder zumindest allen Bürgern offenstehenden Beteiligungsformen und damit keine Partizipation im hier verstandenen Sinne.99 97  BVerfG,

Beschluss vom 22. April 1953 – 1 BvR 162/51. Hugo Klein/Kyrill-Alexander Schwarz, Art. 17 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 70. 99  S. ausführlich zu den Anhörungen im Bundestag Suzanne S. Schüttemeyer, Öffentliche Anhörungen (§ 42), in: Hans-Peter Schneider/Wolfgang Zeh (Hrsg.) Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, S. 1146–1159. 98  Hans

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Im Gegensatz dazu werden in Baden-Württemberg Individuen dazu eingeladen, ihre Meinung online in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.100 Diese Beiträge werden gelesen und bewertet. Sie können im Gesetz ebenso Berücksichtigung finden wie Expertenmeinungen. Dies ist nach Eigenauskunft der Staatsregierung auch schon geschehen, so wurde beispielsweise beim Hochschulrechtsänderungsgesetz die verpflichtende Orientierungsprüfung zu Studienbeginn auch aufgrund „der konstruktiven, kritischen Rückmeldungen auf dem Online-Portal“ aus dem Entwurf gestrichen. Gesetzentwürfe sind dabei mit Vorblatt und Begründung zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens mit gleicher Frist im Beteiligungsportal zu veröffentlichen (Nr. 5.3.4 Satz 1 der VwV Regelungen101). Das betrifft seit 2016 alle Gesetzesvorhaben102, wobei den Nutzern des Beteiligungsportals bei geeigneten Gesetzes- und Regelungsentwürfen die Möglichkeit zur Kommentierung eingeräumt werden soll. Ausnahmen hiervon sind vom federführenden Ministerium kurz zu begründen und zu dokumentieren (Nr. 5.3.4 Satz 3 der VwV Regelungen). Bisher wird das Portal von der Bevölkerung angenommen und zahlreiche Gesetzesvorhaben wurden durch die Bürger kommentiert. Dazu gehörte neben dem Hochschulrechtsänderungsgesetz beispielsweise der Gesetzentwurf zum Umweltverwaltungsgesetz, zum Nationalparkgesetz, zum Jagdgesetz, zur Änderung des Polizeigesetzes und zum Klimaschutzgesetz. Zum Nationalparkgesetz wurden über 400 Kommentare abgegeben. Dazu kommen ca. 65.000 Bewertungen der Kommentare. Das Jagdgesetz wurde sogar mehr als 2.400-mal kommentiert.103 Allerdings beschränkt sich diese Beteiligung auf die Vorstufe des parlamentarischen Gesetzgebungsprozesses. Hier werden Entwürfe der Landesregierung kommen100  Siehe www.beteiligungsportal.baden-württemberg.de. Ausführlich zu Fragen der Nutzerfreundlichkeit dieses Portals Philipp Maxhofer, Das Beteiligungsportal des Landes Baden-Württemberg, in: Frank Brettschneider (Hrsg.), Gesetzgebung mit Bürgerbeteiligung, 2019, S. 79–151. 101  Verwaltungsvorschrift der Landesregierung und der Ministerien zur Erarbeitung von Regelungen (VwV Regelungen) vom 27. Juli 2010 (GABl. Nr. 8, S. 277) zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 12. Dezember 2017 (GABl. Nr. 1, S. 2) in Kraft getreten am 1. Januar 2018. 102  S. Staatsministerium Baden-Württemberg, Antwort auf kleine Anfrage der Abg. Dr. Timm Kern, Dr. Hans-Ulrich Rülke, Dr. Erik Schweickert, Dr. Ulrich Goll, Ga­ briele Reich-Gutjahr, Jürgen Keck, Nico Weinmann, Dr. Friedrich Bullinger, Jochen Haußmann, Dr. Gerhard Aden und Andreas Glück FDP/DVP, Fünf Jahre Beteiligungsportal Baden-Württemberg, LT-Drs. 16/3740, S. 2. 103  https://stm.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/meldung/pid/mitgestaltenvon-zu-hause-aus/; s. auch Staatsministerium Baden-Württemberg, Antwort auf kleine Anfrage der Abg. Dr. Timm Kern, Dr. Hans-Ulrich Rülke, Dr. Erik Schweickert, Dr. Ulrich Goll, Gabriele Reich-Gutjahr, Jürgen Keck, Nico Weinmann, Dr. Friedrich Bullinger, Jochen Haußmann, Dr. Gerhard Aden und Andreas Glück FDP/DVP, Fünf Jahre Beteiligungsportal Baden-Württemberg, LT-Drs. 16/3740, S. 3.



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tiert, bevor sie in das Parlament eingebracht werden. Eine weitere Beschränkung ist die doppelte Freiwilligkeit des Beteiligungsverfahrens: Die Ministerien müssen kein entsprechendes Beteiligungsverfahren durchführen und wenn sie es tun, so trifft sie keine Berücksichtigungspflicht. Es handelt sich damit auch in diesem Fall nicht um imperative Partizipation. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es hinsichtlich der Beteiligung im Rahmen parlamentarischer Gesetzgebung richtig ist, dass keine Entscheidungsmacht von Einzelnen, die alleine und nicht kollektiv als Volk handeln, ausgeht. Will der Einzelne auf Legislativebene sachlich (mit-)entscheiden, so kann es dies – de lege lata zumindest auf Landesebene – als Teil des Volkes im Wege direkter Demokratie tun.104

E. Zusammenfassung Legislative: Die legitimierende Wirkung von Wahlen und Abstimmungen als demokratische Partizipationsform Auf Ebene der Legislative verwirklicht sich kollektive Selbstbestimmung. Die vom Parlament und auch vom Volk erlassenen Gesetze sind rechtlich nur durch die Verfassung gebunden, besitzen grundsätzlich eine große „Reichweite“ und sind auf die Zukunft gerichtet. Auch Partizipation auf Legislativ­ ebene ist auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung ausgerichtet. Sie ist demokratisch fundiert und legitimiert damit die Ausübung von Staatsgewalt. Der „Kreis der Beteiligten“ ist dafür weit gefasst und das Beteiligungsverfahren erlaubt, dass die Beteiligten Entscheidungen treffen. Entsprechend darf nahezu jeder Einzelne, der zum Volk gehört und über 18 Jahre alt ist, zusammen mit allen anderen Einzelnen als Volk wählen und abstimmen. Damit entscheidet das ganze Volk zusammen für das ganze Volk, verwirklicht so Demokratie und legitimiert die Ausübung von Staatsgewalt. Handeln Einzelne hingegen alleine auf Legislativebene, so dürfen sie nicht entscheiden, sondern dürfen nur Petitionen einreichen, die beschieden werden müssen. In der repräsentativen Demokratie hat das Volk allerdings einen nur beschränkten Einfluss auf Sachfragen. De lege lata kann das Volk nur auf 104  Da im Rahmen staatlicher Planung der Gesetzgeber auf Bundesebene Bundesbedarfspläne erlässt und der Landesgesetzgeber z. T. Raumordnungspläne und im Zuge der Erstellung zumindest nach § 42 UVPG n. F. (§ 14i UVPG a. F.) eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist, könnte man meinen, dass dies eine Beteilung an Legislativtätigkeit darstellt. Da aber die Beteiligung im Vorfeld stattfindet und im Rahmen der parlamentarischen Beratungen keine Besonderheiten zu beachten sind, wird staatliche Planung als Einheit im Rahmen der Untersuchung der Exekutive besprochen. S. dazu unten S. 169 ff.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Landesebene Sachfragen unmittelbar entscheiden. Auf Bundesebene fehlt diese Möglichkeit. Zwar sind alle Legislativentscheidungen schon durch die Wahlen demokratisch legitimiert, durch den Verzicht auf direkte Demokratie wird aber auf eine weitere Möglichkeit von Legitimation verzichtet. Trotz dieser (behebbaren) Defizite zeigt sich, dass der Staat des Grundgesetzes in seiner Ausformung als Legislative ein partizipativer Staat ist. Der Staat wird bestimmt durch die Beteiligung des Einzelnen, als Teil des Volks. Kapitel 5

Die Exekutive: Partizipation im Spannungsbogen von kollektiver und individueller Selbstbestimmung Partizipation im Rahmen der Ausübung von Exekutivgewalt dient der Ermöglichung von Demokratie, der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und schließlich der Steigerung von effektiver Funktionalität. Die Exekutive wird ganz unterschiedlich tätig, in ihr sind demokratische und rechtsstaatliche Elemente und damit kollektive und individuelle Selbstbestimmung eng miteinander verwoben. Verwaltung, die auch die Regierungsfunktion erfasst,105 wird durch unterschiedliche Organe ausgeübt. Hauptsächlich wird unterschieden zwischen der Regierung als Gubernative, der unmittelbaren bundesbzw. landeseigenen Verwaltung durch Behörden mit und ohne eigenen Unterbau und der mittelbaren Staatsverwaltung durch bundes- bzw. landesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (Art. 86, 87 Abs. 2 GG). Hier wird die Konzeptualisierung von Partizipation vor die schwierigste, weil komplexeste Aufgabe gestellt.

A. Einleitung: Eigenschaften und Indikatoren zur Bestimmung des Ausmaßes kollektiver bzw. individueller Selbstbestimmung Der entscheidende Gesichtspunkt für die Bestimmung des Kreises der Akteure von Partizipation und ihres jeweiligen Einflusses ist, ob eine Entscheidung kollektive Selbstbestimmung ermöglicht oder individuelle Selbstbestimmung schützt. Von Partizipation geht nur dann eine legitimierende 105  Siehe Angela Schwerdtfeger, Art. 50 GG, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.) Grundgesetz. Kommentar, Band 1, 7. Aufl. 2021, Rn. 36; Oliver Dörr, Art. 50 GG in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 19; Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 538. S. auch die Differenzierungen bei Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 107 ff.



Kapitel 5: Die Exekutive145

Wirkung aus, wenn sie so ausgestaltet ist, dass sie beide Aspekte berücksichtigt. Diese Frage der Ausgestaltung stellt sich im Partizipationskontext unabhängig davon, ob die Legislative, die Exekutive oder die Judikative handelt. Ob eine Entscheidung kollektive Selbstbestimmung ermöglicht oder individuelle Selbstbestimmung schützt, ist für die Legislative und die Judikative leicht zu beantworten. Dies liegt darin begründet, dass die oben herausgearbeiteten Eigenschaften106 „zeitliche Orientierung“ der Entscheidung, „Intensität der Verrechtlichung“, also der Determiniertheit der Entscheidung und „Reichweite“ der Entscheidung, die sich wiederum in den sachlichen Konkretisierungsgrad und den personellen Betroffenheitsgrad unterteilt,107 bei den Entscheidungen der Legislative und der Judikative in reiner Form vorliegen. Dies ist bei den Entscheidungen der Exekutive nicht der Fall. Hier muss anhand der Eigenschaften sorgfältig herausgearbeitet werden, ob eine bestimmte Entscheidung mehr kollektiver oder mehr individueller Selbstbestimmung dient. So ist beispielsweise eine Rechtsverordnung nur durch das Grundgesetz und ein formelles Gesetz rechtlich determiniert und regelt zukünftiges Geschehen gegenüber einer Vielzahl an Menschen in einer unbestimmten Anzahl von Fällen. Hier wird vor allem kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Anders verhält es sich bei einem Verwaltungsakt einer unteren Ordnungsbehörde, mit dem beispielsweise jemandem aufgegeben wird, einen Schwarzbau zu beseitigen, um die individuelle Selbstbestimmung des beeinträchtigten Nachbarn wiederherzustellen, dem das Sonnenlicht genommen wurde.108 Die gesetzlichen Vorgaben der Bauordnungen sind hier viel enger. In diesem speziellen Fall sind zwei Personen oder zumindest nur ein sehr kleiner Personenkreis betroffen. Zwar wird der Schwarzbau in Folge seiner Beseitigung in Zukunft nicht weiter existieren, aber der Verwaltungsakt knüpft an einen Sachverhalt aus der Vergangenheit an. In diesen Fällen des Gesetzesvollzugs stehen die individuelle Selbstbestimmung des Schwarzbauers und die des Nachbarn im Mittelpunkt. Aufgrund der Zuordnung von Entscheidungen mit diesen Eigenschaften zu bestimmten Organen, die wiederum in bestimmten Formen handeln, lassen sich wiederum Indikatoren ausmachen, die auf die Präponderanz von Elementen kollektiver bzw. individueller Selbstbestimmung hindeuten. Neben den Eigenschaften dienen im Folgenden die Indikatoren dazu festzustellen, 106  S. oben

S. 94 ff. Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508. 108  Diese Wiederherstellung und Sicherung der individuellen Selbstbestimmung des beeinträchtigten Nachbarn ist nur soweit geboten, wie die Überschreitung der individuellen Selbstbestimmung des Schwarzbauers reicht, so dass das Verfahren auch dessen individuelle Selbstbestimmung im Rahmen der Gesetze schützt, s. dazu oben S.  60 ff. 107  Christoph

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

ob der Staat mehr kollektive Selbstbestimmung schützt oder mehr individuelle Selbstbestimmung sichert. Die Indikatoren sind auf Ebene der Exekutive insofern wichtig, als diese sich anders als die Legislative und die Judikative einer klaren Zuordnung entzieht. Die Indikatoren leiten sich einerseits aus einer organisationsrechtlichen Perspektive ab, hier geht es um das „handelnde Organ“. Andererseits leiten sie sich aus einer handlungsformenrechtlichen Perspektive ab, hier geht es zum einen um die „Rechtsform der Entscheidung“, sowie zum anderen um die damit verbundene Frage des „Rechtsschutzes“ gegen sie. Die Entscheidung eines Organs, das wie die Regierung, ein Ministerium oder eine Bundesoberbehörde für die gesamte Bundesrepublik zuständig ist, besitzt eine weitere „sachliche und personelle Reichweite“, ist weniger „rechtlich determiniert“ und mehr in die Zukunft gerichtet als beispielsweise die Entscheidung einer unteren Bauaufsichtsbehörde. Beide Behörden handeln in unterschiedlichen Rechtsformen, die Regierung kann Rechtsverordnungen erlassen, die abstrakt-generelle Gesetze darstellen, die untere Bauaufsichtsbehörde wird hingegen Verwaltungsakte erlassen, die konkret-individuelle Regelungen treffen. Die „Rechtsform der Entscheidung“ sagt dabei nicht nur etwas über die „Reichweite“ der Entscheidung aus, sondern auch über die „recht­ liche Determiniertheit“ und die „Zukunftsgerichtetheit“ der Entscheidung. Die Frage des Rechtsschutzes, der mit der Handlungsform eng verknüpft ist, ist deshalb von besonderem Interesse, weil Rechtsschutz grundsätzlich nur dann besteht, wenn der Schutz individueller Selbstbestimmung in Frage steht und der Gesetzgeber dafür entsprechende Abhilfemöglichkeiten schaffen wollte. Sein Bestehen indiziert, dass eine bestimmte Entscheidung individueller Selbstbestimmung dient. So kann ein Rechtsakt, der nicht den Einzelnen bindet und gegen den kein Rechtsschutz besteht, gerade ein Zeichen dafür sein, dass die Norm kollektive Selbstbestimmung organisieren möchte, indem sie der unteren Behörde Vorgaben macht – und so ebenfalls eine hohe „Reichweite“ sicherstellt. Aber auch bei den Indikatoren gilt wie bei den Eigenschaften, dass sich eine schematische Betrachtungsweise verbietet. Sie sind jeweils nur Hinweise und Indizien und nicht für sich genommen der Nachweis, dass kollektive oder individuelle Selbstbestimmung in einem bestimmten Fall im Vordergrund steht. So ist auch eine Allgemeinverfügung, die viele Menschen betrifft, ein Verwaltungsakt, der an sich als Indikator für eine Entscheidung dient, die individuelle Selbstbestimmung betrifft. Auch ein formelles Einzelfallgesetz ist zunächst einmal Ausdruck von kollektiver Selbstbestimmung. Die „Reichweite“ eines Einzelfallgesetzes ist aber naturgemäß begrenzt. Eine Besonderheit stellen rein intern wirkende Verwaltungsvorschriften dar. Sie betreffen zwar unmittelbar niemanden, sind aber dennoch ein Indikator für kollektive Selbstbestimmung. Der Umstand, dass unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeiten fehlen, indiziert die Ermöglichung



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kollektiver, nicht individueller Selbstbestimmung: Mangels Außenwirkung ist noch keine Verletzung individueller Selbstbestimmung möglich. Ist unmittelbarer Rechtsschutz eröffnet, deutet dies auf eine Situation hin, in der individuelle Selbstbestimmung geschützt werden soll, da der Zugang zum Gericht die Verletzung individueller Rechte erfordert. Auch die Eigenschaften zeigen deutlich in Richtung kollektive Selbstbestimmung: Zwar sind Verwaltungsvorschriften rechtlich eng determiniert, da sie sich nicht nur an die Verfassung, sondern auch das einfache Recht zu halten haben. Sie sind aber in die Zukunft gerichtet. Zudem kommt ihnen eine hohe persönliche und unter Umständen auch sachliche „Reichweite“ zu. Obgleich sie unmittelbar niemanden betreffen, betreffen sie mittelbar jeden. Wesentlich ist immer eine Zusammenschau aller Indikatoren und Eigenschaften. Auch Partizipation selbst kann u. U. als Indikator gelten. Zwar folgt die Partizipationsform scheinbar aus der Klassifizierung der staatlichen Entscheidung und erscheint damit nachgeordnet. Es besteht aber ein Gleichklang zwischen staatlicher Handlung und Partizipation, da beide dasselbe Ziel teilen: Partizipation tendiert entweder mehr in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung oder mehr in Richtung Schutz individueller Selbstbestimmung. Genauso tendiert eine staatliche Entscheidung entweder mehr in Richtung kollektive Selbstbestimmung oder mehr in Richtung individuelle Selbstbestimmung. Es kommt bei der staatlichen Handlung also ebenso wie bei der Partizipation darauf an, ob im Einzelfall das demokratische Prinzip oder das rechtsstaatliche Prinzip im Vordergrund steht und damit kollektive oder individuelle Selbstbestimmung. Abhängig von der Beantwortung der Frage, ob bei einer bestimmten staatlichen Entscheidung der Schutz individueller oder die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung im Vordergrund steht, wandelt sich zum einen der Kreis der Beteiligten und zum andern der Einfluss, den sie auf die Entscheidung ausüben. Öffentlichkeitsbeteiligung auf der Exekutivebene führt anders als im Rahmen der Gesetzgebung nicht dazu, dass außerhalb von Selbstverwaltungseinheiten Einzelne, die zumindest vorübergehend in die Staatsorganisation eingebunden sind, eigenständig entscheiden oder mitentscheiden dürfen. Diese Beschränkung auf Mitwirkung entspricht nicht nur der herrschenden Legitimationstheorie, sondern schützt auch die demokratische Gleichheit und kollektive Selbstbestimmung und gründet damit im Gewaltenteilungsgrundsatz (B.). Im Anschluss soll untersucht werden, ob die Staatsgewalt sowie die Partizipation entsprechend der geäußerten Vermutung einen Bogen von der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung hin zum Schutz individueller Selbstbestimmung innerhalb der Exekutive schlägt. Entsprechend den ausgemachten Indikatoren, namentlich „handelndes Organ“ und „Handlungsinstrumentarium“, wird zunächst auf die Regierung, die Rechtsverordnungen erlässt, eingegangen (C.). Danach wird der Blick auf

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staatliche Planung gerichtet, die durch verschiedene staatliche Organe, u. a. die Regierung, Ministerien und Bundesoberbehörden, aber auch das Parlament und Planfeststellungsbehörden vorgenommen wird (D.). Anschließend werden die den Planfeststellungbehörden verwandten Genehmigungsbehörden untersucht (E.), bevor danach die Ordnungsbehörden im Mittelpunkt stehen. Diese sind zwar nicht der unmittelbaren Staatsgewalt, sondern den Kommunen, zugeordnet, unterstehen aber doch strikter staatlicher Aufsicht und Weisung (F.). Abschließend bilden die funktionale und die territoriale Selbstverwaltung den Untersuchungsgegenstand (G.).

B. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Exekutive: Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts v. partizipatives Legitimationsmodell Anders als die Partizipation Einzelner im Rahmen legislativen Handelns kann Partizipation im Rahmen exekutiven Handelns ein legitimationstheoretisches Problem darstellen. Während die Legislative für ihre Legitimation zwingend auf die Beteiligung des Volkes durch Wahlen oder Abstimmungen angewiesen ist, wird die Exekutive herkömmlicherweise allein durch die Legislative legitimiert. Danach vollzieht die von der Legislative ernannte Exekutive das, was die Legislative entschieden hat. Die Beteiligung Einzelner über den Wahlakt hinaus scheint hier keinen Platz zu haben, da nicht die Entscheidung des unmittelbar vom Volk gewählten Parlaments konterkariert oder unterlaufen werden soll. Die Legitimation der Verwaltung und der Beitrag, den Partizipation darin spielt, ist daher höchst umstritten. Es streiten zwei Theorien. Das Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts, auch holistisch-monistisches Modell109 genannt, kennt vier Legitimationsmodi und lehnt Partizipation als potentiell delegitimierend ab (I.). Partizipative Legitimationsmodelle hingegen verstehen grundsätzlich Partizipation Einzelner als legitimierend (II.). Beide Modelle erklären letztlich nur in unzulänglicher Weise, unter welchen Bedingungen die Ausübung exekutiver Staatsgewalt, an der Einzelne partizipiert haben, legitimiert ist. Eine Synthese beider Modelle mit der hier entwickelten Theorie imperativer Partizipation erlaubt es, das hinreichende Legitimationsniveau durch das richtige Maß hinsichtlich der Akteure von Partizipation und ihres Einflusses auf die staatliche Entscheidung zu bestimmen (III.).

109  Sebastian

Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 55 ff.



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I. Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts Das Legitimationsmodell des Bundesverfassungsgerichts geht davon aus, dass entsprechend dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 2 GG das Volk die Ausübung von Staatsgewalt110 zu legitimieren habe. Als Legitimationssubjekt „Volk“ sei zwingendermaßen die Gesamtheit der Deutschen gemeint und nicht der Einzelne.111 Die Akte der Staatsorgane „müssen sich […] auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden.“112 Diese Personengesamtheit, nämlich das Staatsvolk, sei die Basis der Demokratie, nicht etwa der einzelne Bürger, Betroffene oder ein irgendwie geartetes „Teilvolk.“113 Eine Ausübung von Staatsgewalt durch Einzelne oder ein „Teilvolk“ wird – mit Ausnahme von territorialen Teilvölkern – nach dem herrschenden Demokratieverständnis als unzulässig angesehen. So hat das BVerfG entschieden, dass Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG nicht zum Inhalt hat, „dass sich die Entscheidungen der Staatsgewalt von den jeweils Betroffenen zu legitimieren haben; vielmehr muss die Staatsgewalt das Volk als eine zur Einheit verbundene Gruppe von Menschen zu ihrem Subjekt haben.“114 Es wird lediglich in Bundesvolk, Landesvolk und gegebenenfalls noch Gemeindevolk unterschieden,115 damit sei aber das Ende der Unterscheidbarkeit verschiedener Personengesamtheiten, die Legitimation zu vermitteln vermögen, erreicht. Außerdem sei das deutsche Volk gemeint und damit der Beteiligung von nicht-deutschen Staatsangehörigen bei Wahlen und Abstimmungen Grenzen gesetzt, da Nicht-Deutsche nicht Teil des Volkes nach Art. 116 GG sind.116

110  Das sind alle „amtlichen Handlungen mit Entscheidungscharakter“, BVerfGE 47, 253, 273; 83, 60, 73; 93, 37, Ls. 1, 68. 111  BVerfGE 38, 258, 271; 47, 253, 275; 52, 95, 130; 77, 1, 40; 83, 60, 72 f. 112  BVerfGE 83, 60, 72. Ähnlich bis identisch: BVerfGE 77, 1, 40; 93, 37, 66; 107, 59, 87. 113  Das BVerfG verwendet diesen Begriff in BVerfGE 107, 59, 89, nimmt direkt dazu aber keine Stellung. Es verweist aber in diesem Zusammenhang auf Literatur­ meinungen, die davon ausgehen, dass ein Teilvolk zwar Legitimation vermitteln könne, gesellschaftliche Gruppen aber gerade kein Teilvolk darstellen. Ebenso geht das BVerwG in der dem Beschluss des BVerfG zugrundeliegenden Vorlageentscheidung (NVwZ 1999, 870) davon aus, dass hier gerade kein „Teilvolk“ vorliege. Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 88, spricht von „funktionalen Teilvölkern“, die gerade kein Volk seien. 114  BVerfGE 83, 37, 51. 115  Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 92. 116  BVerfGE 83, 37 – Ausländerwahlrecht I; BVerfGE 83, 60 – Ausländerwahlrecht II. S. dazu auch S. 136.

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Die Verbindung von Legitimationssubjekt und Legitimationsobjekt wird mittels unterschiedlicher Legitimationsmodi hergestellt, die sich gegenseitig ergänzen können. Ob auch eine Substituierung in Betracht kommt, ist umstritten.117 Entscheidend sei das Erreichen eines bestimmten Legitimations­ niveaus,118 das umso höher sein muss, je wichtiger die zu treffende Entscheidung ist.119 Legitimation erfolgt dabei organisatorisch-personell,120 sachlichinhaltlich, funktionell und institutionell.121 Unter organisatorisch-personeller Legitimation wird verstanden, dass die Bestellung der Amtsträger sowie ein „eigenständiger Beitrag bei der Ausübung von Staatsgewalt“ auf das Volk zurückführbar sein müssen.122 Es geht somit um die individuelle Bestellung des Amtswalters für ein konkretes Amt123 und damit um die Sicherung von Verantwortlichkeit.124 Dies ist die sog. Legitimationskette. Die sachlich-inhaltliche Legitimation stellt ebenfalls den effektiven Einfluss des Parlaments auf die Entscheidung sicher. Sie lässt sich auf zweierlei Weise erreichen: zum einen durch die Verhaltenssteuerung per gesetzlicher Vorgaben und zum anderen durch Kontrollrechte des Parlaments, etwa mit117  Vgl. Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 114; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 130; gegen eine Totalsubstitution Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip (§ 24) in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 479–496, Rn. 23; Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993. 118  BVerfGE 93, 37, 67. 119  Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/ Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 186. 120  BVerfGE 47, 253, 275 f.; 77, 1, 40; 83, 60, 72. 121  BVerfGE 83, 60, 72; 93, 37, 66f. 122  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 119. 123  S. dazu Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 269; Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 210 ff.; Veith Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 181. 124  Vgl. Niels Petersen, Demokratie und Grundgesetz – Veränderungen des Demokratieprinzips in Art. 20 Abs. 2 GG angesichts der Herausforderungen moderner Staatlichkeit, JöR 58 (2010), S. 137–171, 159; Armin von Bogdandy, Das Leitbild der dualistischen Legitimation für die europäische Verfassungsentwicklung, KritV 2000, S. 284–297, 288; Dirk Ehlers, Die Staatsgewalt in Ketten – Zum Demokratiegebot im Sinne des Grundgesetzes, in: Heiko Faber/Götz Frank (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft. Festschrift für Ekkehart Stein zum 70. Geburtstag, 2002, S. 125–142, 135; Alexander Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 141. Ähnlich auch Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 48 ff.



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tels Aufsichts- und Weisungsmöglichkeiten125 sowie exekutiver Rechtsetzungsbefugnisse.126 Auch mittels Selbsteintritts- und Selbstentscheidungsrechten kann sachlich-inhaltliche Legitimation vermittelt werden. Beide In­ strumente sind aber wenig effektiv, da sie einen strukturell höheren Aufwand bedeuten.127 Die institutionelle und die funktionelle Legitimation, die teilweise nicht als zwei Legitimationsmodi, sondern als eine gemeinsame funktionell-institutionelle Legitimation verstanden werden,128 beruhen auf der Erwähnung der betreffenden Institutionen bzw. Funktionen im Grundgesetz. Die institutionelle Legitimation betrifft die Nennung der Institution, die funktionelle Legitimation die Zuweisung von Aufgaben durch die Verfassung.129 Damit sind sie strukturell von den beiden erst genannten Legitimationsmodi zu unterscheiden.130 So sind Regierung und Judikative selbst im Grundgesetz genannt. Das führt dazu, dass ein umfassender Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen ist, da die Regierung durch das Grundgesetz zur eigenständigen Ausübung von Staatsgewalt ermächtigt wurde.131 Liegt eine solche Legitimation vor, müssen die anderen Legitimationsformen nicht ganz so stark ausgeprägt sein.132 Aus den verschiedenen Ergänzungsmöglichkeiten folgt, dass 125  Legitimation „setzt voraus, dass die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung – ohne Bindung an die Willensentschliessung einer außerhalb parlamentarischer Verantwortung stehenden Stelle – handeln können und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen.“, BVerfGE 93, 37, 67. 126  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 122; Bodo Pieroth, Das Demokratieprinzip, JuS 2010, S. 473–481, 481. 127  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 216. 128  Die funktionell-institutionelle Legitimation ist von besonderer Bedeutung für die Legitimation der rechtsprechenden Gewalt, s. Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 243. 129  Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 98; Diana Zacharias, Das Prinzip der demokratischen Legitimation, Jura 2001, S. 446–450, 447. 130  Utz Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 300. 131  BVerfGE 49, 89, 125; 68, 1, 88; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 124. 132  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demo­ kratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 124.

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jemand, der nur eine geringe eigene Entscheidungsgewalt besitzt und damit sachlich stark determiniert und somit auch legitimiert ist, weniger organisatorisch-personell legitimiert sein muss als jemand, der viel Handlungsspielraum besitzt und damit sachlich weniger stark legitimiert ist, etwa ein Minister. Außerdem ist der Grad der notwendigen Legitimation abhängig von der Bedeutung der Aufgaben sowie der Tätigkeit.133 Hier spiegelt sich die Frage der kollektiven und individuellen Selbstbestimmung wider: Handlungen, denen eine hohe organisatorisch-personelle Legitimation zugrunde liegt, erlauben mehr demokratische Einflussnahme und sind mehr auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gerichtet: So kann ein Minister z. B. Rechtsverordnungen erlassen. Eine hohe sachlich-inhaltliche Legitimation durch eine gesetzliche Steuerung und Kontrolle ist v. a. rechtsstaatlich orientiert und dient mehr der individuellen Selbstbestimmung: Eine untere Behörde erlässt vor allem Verwaltungsakte. Das bisherige Modell des Bundesverfassungsgerichts wird aus vielen Gründen kritisiert. So wird vorgebracht, dass es der Beibehaltung der hierarchisch-bürokratischen Verwaltung diene, indem der Staatsapparat gegenüber dem Souverän und seinen parlamentarischen Repräsentanten verselbstständigt werde und nicht der effektive Einfluss des Volkes auf Verwaltungsentscheidungen gestärkt werde.134 Insgesamt bleibe unklar, wie die gegenseitige Ergänzung der Legitimationsmodi im Einzelnen aussehen muss und welches Legitimationsniveau für bestimmten Tätigkeiten und Aufgaben erreicht werden muss.135 Die vielen Zwischenschritte und Entscheidungsfaktoren machten es unmöglich, von einem effektiven Einfluss des Volkes zu sprechen. Die organisatorisch-personelle Legitimation verliere an Legitimationskraft, je mehr Glieder die Legitimationskette besitzt. Die Legitimationskette sei höchst konstruiert und entfalte mangels hinreichender Effektivität nur marginale Legitimationswirkung.136 Die Legitimation werde „auf diesem Wege in geradezu homöopathischer Manier potenziert“.137 Sie stelle lediglich ein 133  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demo­ kratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 97 und Rn. 222 ff. 134  Diana Zacharias, Das Prinzip der demokratischen Legitimation, Jura 2001, S. 448; Alfred Rinken, Demokratie und Hierarchie, Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, KritV 1996, S. 282–309, 290; Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 464. 135  Utz Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 290. 136  Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 465 ff. 137  So besonders eindringlich von Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020,



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formales Gebot dar und werde damit formal überhöht und inhaltlich entwertet.138 Es bestünden außerdem Inkonsistenzen, so ist das Personal der Länder nicht vom Bundesvolk legitimiert, sondern „nur“ vom Landesvolk – führt aber gleichzeitig auch Bundesgesetze aus. Richtig an dieser Kritik ist, dass das herrschende Legitimationsverständnis in seiner Striktheit so nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Das holistisch-monistische Demokratieverständnis ist wenig offen für gesetzgeberische und verfassungsrechtliche Neuerungen. Dies kann gerade deshalb zum Stillstand führen, weil die Unveränderlichkeitssperre des Art. 79 Abs. 3 GG auch das Demokratieprinzip schützt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts engt das Parlament, den primären Träger demokratischer Legitimation, bei der Einrichtung und Reform von Verwaltungseinheiten zu stark ein.139 Insgesamt nimmt die Unterstützung für dieses Modell als striktes Modell ab,140 so wird inzwischen vielfach die legitimierende Kraft der Partizipation betont.141 Rn. 94, formuliert. Hier wird davon ausgegangen, dass der wesentliche Kern der Bestellung von Personal darin bestehe, dass Personen im Apparat arbeiten „die – aufgrund ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung i. S. d. Art. 33 Abs. 2 GG – dazu in der Lage sind, die dem Amt zugewiesenen Funktionen sachgerecht auszuüben.“, Rn. 6. 138  Vgl. Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip. Anmerkungen zu dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts v. 17.12.1997, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, Eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 32–58, 46 ff. 139  Alfred Rinken, Demokratie und Hierarchie, Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, KritV 1996, S. 282–309, 304 ff.; Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip. Anmerkungen zu dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts v. 17.12.1997, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, Eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 32–58, 54. 140  Fabian Wittreck, Demokratische Legitimation von Großvorhaben, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 209–226, 217, betont, dass dieses Modell von zwei Referenten auf der Rostocker Staatsrechtslehrertagung unisono für überholt erklärt wurde und lediglich Matthias Jestaedt und Oliver Lepsius dies kritisiert hätten: Eckhard Pache, Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 106–144, 139 ff.; Thomas Groß, Verantwortung und Effizienz in der Mehr­ ebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 152–180, 171 ff.; Oliver Lepsius, Diskussionsbeitrag, S. 192 f.; Matthias Jestaedt, Diskussionsbeitrag, S. 188 ff. 141  S. nur Thomas Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S.  194 ff.; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 245; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012, S. 91–94, 91; Wolfgang Hoffmann-Riem, Eigenständigkeit der Verwaltung, in: ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungsverfahrensgesetz, 2002, S. 9–66, 48; Ulrich Battis, Partizipation im Städtebaurecht, 1976, S. 197 ff.; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 70 ff.; Walter Schmidt, Or-

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II. Partizipative Legitimationsmodelle Dem holistisch-monistischen Verständnis entgegengesetzt wird ein parti­ zipatives Demokratieverständnis, das auf den Einzelnen, seine Würde und seine Autonomie abstellt und ein offeneres und weiter gefasstes Legitimationsgefüge vorschlägt. Hier gibt es keine in sich geschlossene Theorie, es bestehen vielmehr diverse Ausprägungen und Abstufungen.142 ganisierte Einwirkungen auf die Verwaltung, VVDStRL 33 (1975), S. 183–220, 212 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Bürgerinitiativen als Bürgerbeteiligung an staatlichen Entscheidungen. Verfassungstheoretische Aspekte politischer Beteiligung, AöR 102 (1977), S. 369–409, 394 ff. 142  So Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 114. S. dazu die Beiträge von Helmut Rittstieg, Kommunales Wahlrecht für Ausländer, KritV 1987, S. 315–321; Manfred Zuleeg, Zur Verfassungsmäßigkeit der Einführung des Kommunalwahlrechts in Nordrhein-Westfalen, KritV 1987, S. 322–330.; Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 382 ff., 387 ff.; Brun-Otto Bryde, Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, StWStP 5 (1994), S. 305– 330; ders., Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 59–70; Alfred Rinken, Demokratie und Hierarchie, Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, KritV 1996, S. 282–309; Thomas Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, S.  194 ff.; ders., Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 93–101; Gabriele Britz, Die Mitwirkung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, VerwArch 91 (2000), S. 418–443, 423; Andreas Fisahn, Demokratie: Aufhebung der Besonderung des Staates, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 71– 92, 87; Günter Frankenberg, Vorsicht Demokratie! Kritik der juridischen Versicherung einer Gesellschaft gegen die Risiken der Selbstregierung, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 177–181; Claus Dieter Classen, Demokratische Legitimation im offenen Rechtsstaat, 2009, S. 9 ff.; Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip, PersR 1999, S. 50–64, 58; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 47. Vgl. auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 87 ff.; Peter J. Tettinger/Thomas Mann, Zur demokratischen Legitimation in sondergesetzlichen Wasserverbänden, dies./Jürgen Salzwedel (Hrsg.), Wasserverbände und demokratische Legitimation, 2000, S. 1–66, 20 ff., insbes. 22 ff.; Veith Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip, 2000, S. 504 ff., insb. S. 510; ders., Die empirischen Prämissen des Hierarchiegebots, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine



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Als Legitimationssubjekt komme nicht alleine das Volk in Frage. Der Begriff des Volkes in Art. 20 GG wird nicht als Personengesamtheit verstanden, sondern als Ausdruck dafür, dass es auf alle oder viele Einzelne – im Gegensatz zu dem Einzelnen, etwa einem Monarchen oder Diktator – ankomme und dessen Autonomie. Letztlich diene die Demokratie als Organisationsprinzip der Sicherung der Menschenwürde.143 Partizipation wird als Legitimationsmodus betont und auf Betroffenheit, Sachnähe und den nötigen Sachverstand abgestellt. Neben der Beteiligung Einzelner könnte also beispielsweise auch die Beteiligung von Experten und Verbänden legitimationserhöhend wirken. Deshalb findet sich neben dem Begriff der partizipativen Legitimationsmodelle auch der vom pluralen Legitimationsmodell.144 Auch Entscheidungskraft komme diesen Legitimationssubjekten im Einzelfall zu. Für den Fall, dass klar abgrenzbare Personenkreise betroffen sind, dürften diese entscheiden, dies entspreche ihrem Selbstbestimmungsrecht.145 Dabei

Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 111– 116; Utz Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S.  292 ff.; 673 ff.; Winfried Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 369 ff., insbes. 382; Axel Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, insbes. S. 76 ff.; Detlef Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung unter Berücksichtigung ihrer Organisation sowie der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, 1989, S. 89. 143  Peter Häberle, Verfassung als Kultur, JöR 49 (2001), S. 125–144, 142: „Demokratie ist die organisatorische Konsequenz der Menschenwürde“; Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 55; Peter M. Huber, Die Vorgaben des Grundgesetzes für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, AöR 126 (2001), S. 165–203, 178; Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 457; Alfred Rinken, Demokratie und ­Hierarchie, Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, KritV 1996, S. 282–309, 295; Hasso Hofmann, Menschenrechtliche Autonomieansprüche, JZ 1992, S. 165–175, 167 f.; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 31; Hans-Heinrich Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung (§ 6), in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band I, 2. Aufl. 2013, S. 341– 435, Rn. 19; Frank Schorkopf, The European Union as an Association of Sovereign States: Karlsruhe’s Ruling on the Treaty of Lisbon, German Law Journal 2009, S. 1219–1240, 1221 ff. S. auch Daniel Thym, Europäische Integration im Schatten souveräner Staatlichkeit, Der Staat 48 (2009), S. 559–586, 583 f. So auch BVerfGE 123, 267, 341; BVerfGE 129, 124, 169. 144  S. nur Enrico Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europa – Legitimität im Europäischen Verwaltungsverbund, 2011, S. 144. 145  Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2013, Rn. 111. Vgl. Enrico Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europa – Legitimität im Europäischen Verwaltungsverbund, 2011, S. 150.

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müsse aber die interne Struktur der Entscheidungsträger wiederum demokratisch-egalitär beschaffen sein.146 Auch das partizipative Modell überzeugt nicht vollends, es wird vielmehr durch das Grundgesetz und die Verfassungsrealität vor große Schwierigkeiten gestellt. Der Wortlaut des Art. 20 GG ist eindeutig: Alle Staatsgewalt geht vom Volke, nicht vom Einzelnen aus. Würden nun Einzelne aufgrund z. B. ihres Sachverstandes oder ihre Betroffenheit mehr Einfluss ausüben dürfen, so würde die formale Gleichheit, die ein wesentlicher Bestandteil des Demokratieprinzips ist, aufgebrochen.147 Außerdem besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Beteiligung von Experten148 und einer Beteiligung von Betroffenen. Der Beteiligung von Experten wohnt tendenziell ein anti-demokratisches Element inne, weil sie exklusiv ist und damit kaum mit der demokratischen Gleichheit vereinbar ist.149 Das Gleiche gilt für die Beteiligung von Verbänden und anderen juristischen Personen. Eine solche Beteiligung kennzeichnet den pluralistischen oder korporativen Staat, nicht aber den partizipativen Staat, der auf der Beteiligung des Einzelnen beruht. Hier zeigt sich, dass viele dogmatische Unklarheiten bestehen, v. a. bleibt unklar, was unter Partizipation verstanden wird und wie sie ausgestaltet sein muss, um legitimierend zu wirken. Die Vertreter dieser Theorie(n) haben es bislang nicht geschafft, eine kohärente Theorie zu entwickeln. Es wird zu Recht kritisiert, dass die partizipativen Legitimationsmodelle bislang nicht zu einem „geschlossenen und überzeugendem Gegenmodell“ geführt haben.150 III. Synthese: Partizipation als fünfter Legitimationsmodus Zusammengefasst stellt damit die eine Ansicht vor allem auf das Volk als Legitimationssubjekt und bestimmte, parlamentarisch und grundgesetzlich vermittelte Legitimationsmodi ab. Die andere Ansicht stellt hingegen auf den Einzelnen als Legitimationssubjekt und verstärkte Partizipation als Legitimationsmodus ab. Eine Synthese beider Modelle erlaubt es, Partizipation als zusätzlichen fünften Legitimationsmodus neben den vier bislang anerkannten Legitimationsmodi zu begreifen. 146  So in Bezug auf die Träger funktionaler Selbstverwaltung, Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 405 ff. 147  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 157. 148  S. dazu ausführlich Laura Münkler, Expertokratie, 2020. 149  Laura Münkler, Expertokratie, 2020, S. 311 ff. 150  Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 114 m. w. N.



Kapitel 5: Die Exekutive157

Demokratie ist als kollektive Selbstbestimmung zu verstehen. Die Beteiligung einiger weniger, auch wenn es um die Wahrung ihrer eigenen Selbstbestimmung geht, darf nicht dazu führen, dass formell und materiell rechtmäßige Entscheidungen, die im Wege kollektiver Selbstbestimmung getroffen wurden, wieder aufgehoben werden können. So dürfen nicht die unmittelbar von einem Flughafen Betroffenen, die ihre Gesundheit und ihr Eigentum schützen wollen, die staatliche Entscheidung, dass ein Flughafen gebaut wird, aufheben. Dies wäre nicht Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung über die Mehrheit durch eine Minderheit. Die Entscheidungshoheit des Parlaments dient dem Schutz demokratischer Entscheidungen. Nur wenn im Rahmen der Gesetze entschieden wird, wird die demokratische Entscheidung – und damit auch die formale Gleichheit aller – geachtet. Daraus folgt, dass die dafür vorgesehenen staatlichen Organe im Rahmen der demokratisch legitimierten Gesetze entscheiden können müssen. Dies zeigt der zutreffende Ansatz der herrschenden Lehre. Zum anderen gilt aber auch, dass (verstärkte) Partizipation des Einzelnen legitimierend wirken kann. Dürften sich außerhalb von Wahlen die Betroffenen oder auch die Öffentlichkeit insgesamt nicht beteiligen, so läge ebenfalls eine Form der Fremdbestimmung vor – auch wenn wegen des Wahlaktes der Anschein vollständiger kollektiver Selbstbestimmung gegeben ist. Demokratie ist steigerbar, wie schon der Titel eines Festschriftbeitrags von Armin von ­Bogdandy, zeigt: „Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten.“151 Wahlen sind der Grundmodus, eine notwendige Voraussetzung von Demokratie, aber die Demokratie erschöpft sich darin nicht. Demokratische Elemente wie die Rückbindung des Staates an das Volk und den Einzelnen, die Responsivität staatlicher Stellen, die Stärkung des Verantwortungszusammenhangs sowie die Steigerung der Akzeptanz staatlicher Verfahren werden durch Partizipation erreicht.152 Partizipation Einzelner kann also legitimierend wirken und ist ein vielversprechender Weg, verlorengegangene Legitimation staatlicher Handlungen153 zurückzuholen. Es gilt, das von der Verfassung vorgegebene Maß an Partizipation zu finden. Daran sind die partizipativen Legitimationsmodelle alle bislang gescheitert. Fügt man beide Legitimationsmodelle zusammen, so ergibt sich, dass der Exekutive die Entscheidungsbefugnis vorbehalten ist. Die Entscheidun151  Armin von Bogdandy, Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten?, in: Joachim Bohnert/Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Alfred Rinken/ Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 363–384. S. auch ders., Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 29 f. 152  S. oben S. 64 ff. 153  S. dazu oben in der Einleitung, S. 34 ff.

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gen werden zusätzlich durch Beteiligung legitimiert. Wie diese Beteiligung auszusehen hat, richtet sich danach, ob eine Entscheidung kollektiver oder individueller Selbstbestimmung dient. Welches Prinzip im Vordergrund steht, richtet sich nach den drei oben herausgearbeiteten Eigenschaften „zeitliche Orientierung“ der Entscheidung, „Intensität der Verrechtlichung“, also der Determiniertheit der Entscheidung und „sachliche und personelle Reichweite“ der Entscheidung.154 Indikatoren, die auf das Vorliegen dieser Eigenschaften in einem bestimmten Fall hinweisen und deshalb auch zu beachten und zu untersuchen sind, sind das „handelnde Organ“, die „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“.155 Je mehr die kollektive Selbstbestimmung im Vordergrund steht, desto mehr müssen sich alle Menschen beteiligen dürfen, je mehr die individuelle Selbstbestimmung im Vordergrund steht, desto mehr müssen sich nur die in ihren Rechten Betroffenen beteiligen dürfen. Der Einfluss darf nur so weit gehen, dass es entsprechend der monistischen Theorie nicht um Mitentscheidungen oder Mitbestimmung geht, sondern ausschließlich um „die Mitwirkung durch Artikulation von Betroffenheiten und Interessen und Ausgleich der […] öffentlichen und privaten Interessen.“156 Findet Partizipation entsprechend diesen Vorgaben statt, so steigert sie die Legitimation staatlicher Handlungen. Damit entspricht die hier angebotene Lösung nicht nur der herrschenden Legitimationstheorie, sondern ermöglicht und fördert demokratische Gleichheit und kollektive Selbstbestimmung und schützt rechtsstaatliche Freiheit und individuelle Selbstbestimmung. Man mag den Ausschluss von Mitentscheidungsmöglichkeiten auf Verwaltungsebene aus zwei, sich allerdings gegenseitig ausschließenden Richtungen kommend, kritisieren: zum einen ließe sich argumentieren, dass Mitwirkung alleine keine ausreichende Beteiligungsform sei, da der Staat sich von einer bloßen Berücksichtigungspflicht nicht beeinflussen lasse, sondern vielmehr genauso handeln werde, als wenn es kein Beteiligungsverfahren gegeben hätte. Die Einzelnen würden enttäuscht werden, da sie keine Entscheidungsgewalt besäßen und sich von Beteiligung abwenden. Zum anderen ließe sich argumentieren, dass allein schon durch die Möglichkeit der Beteiligung ein zu weiter Einfluss auf den hoheitlichen Akt genommen werde und so u. a. die demokratische Gleichheit unterminiert werde. Dem ersten vermeintlichen Argument lässt sich einerseits entgegenhalten, dass schon die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und gehört zu werden, für 154  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508. 155  S. dazu ausführlich oben S. 144 ff. 156  Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 231.



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den Erfolg von Beteiligungsprozessen von großer Relevanz ist. Empirische Forschung hat ergeben, dass die Verbindlichkeit der Entscheidung der Bürger keine Erfolgsbedingung von Beteiligungsformen ist. Es kommt vielmehr auf die Relevanz der Einwendungen und die Einstellung der staatlichen Stellen zur Öffentlichkeitsbeteiligung und damit ihre Responsivität an.157 Die Einsichtsfähigkeit des Einzelnen in die naturgemäße Beschränktheit seiner Beteiligung wird offenkundig unterschätzt, wenn man behauptet, dass (Mit-) Entscheidungsmöglichkeiten bestehen müssten. Ein solches Verständnis widerspricht zudem in fundamentaler Weise dem Gedanken der Selbstbestimmtheit, der ja voraussetzt, dass jeder Einzelne die Fähigkeiten zum eigenständigen Handeln besitzt. Man kann, und muss, also davon ausgehen, dass der Einzelne befähigt ist zu erkennen, dass nicht jeder, der sich an einer Fragestellung beteiligt, die viele angeht, diese Fragestellung einzeln und abschließend entscheiden können darf. Das zweite Argument ist ebenfalls nicht stichhaltig. In einem Rechtsstaat ist es kaum denkbar, dass die Verwaltung sich aufgrund des Drucks innerhalb eines ordentlichen Verwaltungsverfahrens zu rechtswidrigem Handeln bewegen lassen würde. Selbst wenn mit hohem Druck versucht wird, Einfluss zu nehmen, so bestehen die staatlichen Verfahren ja auch gerade zu dem Zwecke, die Entscheidungsfindung zu versachlichen. Problematisch ist hingegen, wenn sozial Schwache weniger an Beteiligungsverfahren partizipieren und daher ihre Belange in der Entscheidungsfindung weniger oder gar keine Berücksichtigung finden. Hier ist ein Vergleich mit einer alternativen Wirklichkeit angezeigt: Auch, wenn keine Partizipationsverfahren bestehen sollten, so finden sich für einige Wenige immer Wege, Einfluss auszuüben. Dies geschieht dann aber nicht im Wege rechtlich geregelter Verfahren, sondern durch informelle Einflussnahme.158 Solch informeller Einflussnahme mangelt es nicht nur an Transparenz und damit demokratischer Kontrolle, sondern auch an den Vorzügen eines rechtlich strukturierten Verfahrens, zu denen u. a. die Sicherung des gleichen Zugangs zu den staatlichen Entscheidungsträgern gehört.159 Diesen 157  So Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 80 unter Verweis auf „nur“ Herbert Kubicek/Barbara Lippa/ Alexander Kopp, Erfolgreich beteiligt?, 2011, S. 102. 158  S. zur „[r]echtlichen Domestizierung sachverständiger Beratung des Staates durch Private“, Andreas Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates (§ 43), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 425–475, Rn. 54 ff.; s. auch Hermann Pünder, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, VVDStRL 71 (2012), S.  191–267, 235 ff.; Pascale Cancik, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen der repräsentativen Demokratie, VVDStRL 71 (2012), S. 268–328, 307 ff. 159  Zu den Funktionen von Verfahren s. Elke Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 227–277, 234 ff.; s. auch Michael Feh-

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informellen Einflüssen wird durch rechtlich eingehegte Partizipation ein Gegengewicht verordnet. Die Synthese beider Legitimationsmodelle führt dazu, dass einerseits die Rückführbarkeit von Entscheidungen auf das Volk als Ganzes notwendig ist, andererseits Partizipation legitimationserhöhend wirken kann, sofern sie entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation ausgestaltet ist.

C. Beteiligung an exekutiver Gesetzgebung: Rechtsverordnungen Auf der einen Seite des Bogens innerhalb der Exekutive von kollektiver Selbstbestimmung hin zu individueller Selbstbestimmung steht die Regierung. Ihr Handlungsspektrum ist weit gefasst und umfasst u. a. den Erlass von Rechtsverordnungen.160 Hier liegt der Schwerpunkt auf der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung durch den Erlass demokratischer Entscheidungen (I.). Daraus folgt im Bereich der Rechtsverordnungsgebung aber nicht, dass der Kreis der Beteiligten in allen Fällen möglichst umfassend angelegt ist. Vornehmlich folgen die Beteiligungsregeln einem pluralistischen Ansatz und erlauben nur die Beteiligung von Vertretern bestimmter Gruppen (II.). Als Partizipationsverfahren kommt das Anhörungsverfahren in Betracht. Die Beteiligten dürfen keine Entscheidungen treffen, es besteht ­ aber eine Berücksichtigungspflicht (III.). Abschließend wird sich die konkrete Legitimationwirkung von Partizipation zeigen (IV.). I. Rechtsverordnungsgebung als kollektive Selbstbestimmung Zunächst gilt es festzustellen, an welcher Stelle die Rechtsverordnungsgebung im Handlungsbogen der Exekutive angesiedelt ist: Ermöglicht sie mehr kollektive Selbstbestimmung oder sichert sie mehr individuelle Selbstbestimmung? Danach richtet sich nach der Theorie der imperativen Partizipation auch die Ausgestaltung der Partizipationsform. Um dies festzustellen, müssen zunächst die Indikatoren und dann die Eigenschaften in den Blick genommen werden. Im Rahmen der Rechtsverordnungsgebung wird intuitiv deutlich, dass es um die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gehen muss. Schon die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der ling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 278–337. 160  S. den umfassenden Überblick bei Roman Herzog, Art. 65 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 71.



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damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ sprechen eine deutliche Sprache: die Regierung oder ein Ministerium handelt im Wege von Rechtsverordnungen. Gegen diese ist genau wie gegen formelle Gesetze als direkter Rechtsbehelf nur die Verfassungsbeschwerde möglich. An dem sehr begrenzten unmittelbaren Rechtsschutz auf Bundesebene161 zeigt sich demnach, dass nicht ausschließlich die Rechte des Einzelnen und damit individuelle Selbstbestimmung Gegenstand der Beteiligung sind. Vielmehr soll mit der Rechtsverordnungsgebung kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und gestärkt werden: Das Verfahren als Ganzes und damit die Interessen aller und nicht die Rechte Einzelner stehen im Mittelpunkt dieser Beteiligungsvorschriften. Dem entspricht die Rechtsfolgenseite. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit bzw. der Rechtswidrigkeit kommt z. B. im Rahmen von Gesetzen, die die Anhörung „beteiligter Kreise“ vor Erlass von Rechtsverordnungen wie z. B. § 23 WHG anordnen, nämlich nicht etwa schon dann in Betracht, wenn die Rechte Einzelner verletzt wären. Dies würde für eine rein rechtsstaatliche Deutung von Beteiligungsrechten sprechen.162 Vielmehr wird auf das Verfahren als Ganzes abgestellt. Dies entspricht einem demokratischen Verständnis von Beteiligung, wie ein Vergleich mit der Herangehensweise des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Verletzung des – subjektiven – Wahlrechts, dem „Kern“163 von Demokratie, verdeutlichen soll. Auch hier unterscheidet man zwischen dem Recht des Einzelnen und dem Verfahren als Ganzem, das Demokratie fördern soll. Wenn z. B. ein Wahlbogen nicht mitgezählt wird, ist das subjektive Recht des Betroffenen vollständig verletzt, die Wahl als solche ist aber nicht ungültig. Wenn die Wahl gar nicht stattfindet oder erhebliche Mängel aufweist, dann ist das ganze Verfahren, und damit auch die Staatsge161  Auf Landesebene ist nach § 47 Abs. 1 S. 2 VwGO eine direkte Normenkontrolle möglich, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Dies trifft auf Baden-Württemberg (§ 4 AGVwGO), Brandenburg (§ 4 Abs. 1 VwGG), Bremen (Art. 7 AGVwGO), Hessen (§ 15 AGVwGO), Mecklenburg-Vorpommern (§ 13 AGGerStrG), Niedersachsen (§ 7 VwGG), Saarland (§ 18 AGVwGO), Sachsen (24 SächsJG), Sachsen-Anhalt (§ 10 AGVwGO), Schleswig-Holstein (§ 5 AGVwGO) und Thüringen (§ 4 ­AGVwGO) zu. In Bayern (Art. 5 AGVwGO) und Rheinland-Pfalz (§ 4 AGVwGO) gilt dies grundsätzlich auch, allerdings bestehen bestimmte Einschränkungen. S. Wolf-Rüdiger Schenke, Gerichtliche Kontrolleröffnung gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungs- und Flächennutzungsplänen, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 73–101, 79; Michael Gerhardt/Wolfgang Bier, § 47 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider/Wolfgang Bier, Verwaltungsgerichtsordnung. Loseblatt-Kommentar, 29. Ergänzungslieferung, 2015, Rn. 23 ff. 162  So Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./ Eckard Pache Dieter H. Scheuing (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum BundesImmissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 24. 163  Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46–84, 82.

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walt, delegitimiert.164 Anders als bei formellen Gesetzen dürfen die Verwaltungsgerichte Rechtsverordnungen zumindest unangewendet lassen.165 Ein genauerer Blick auf die Eigenschaften der Rechtsverordnung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ bestätigt ihren kollektiven Selbstbestimmungscharakter: Zwar ist die Regierung nicht parlamentsgleich, wie schon Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG zeigt, der von den besonderen Organen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung spricht. Aber sie kann ähnlich dem Parlament Gesetze erlassen, die ebenso wie diese in die Zukunft gerichtet sind. Diese materiellen Gesetze wirken genauso wie formelle Gesetze, nämlich abstrakt-generell: sie betreffen potentiell jedermann sowie eine unbegrenzte Anzahl an Sachverhalten. Ihre „Reichweite“ ist damit mit der „Reichweite“ formeller Gesetze vergleichbar. Außerdem sind sie in die Zukunft orientiert. Die „zeitliche Orientierung“ und die „Reichweite“ von Rechtsverordnungen entsprechen damit der „zeitlichen Orientierung“ und der „Reichweite“ formeller Gesetze. Jedoch, auch wenn „der Rahmen verfassungsrechtlicher Bindung der Regierung weit gezogen [ist]“,166 verdeutlicht Art. 80 GG, dass die materiellen Gesetze anderen und strikteren Regeln unterliegen als die formellen Parlamentsgesetze.167 Deshalb betont das Bundesverfassungsgericht auch zu Recht, dass sich die Rechtsetzung der Exekutive nur in dem vom Gesetzgeber vorgezeichneten und durch ihn beschränkten Rahmen vollziehen kann.168 Damit ist die „Intensität der Verrechtlichung“ der Rechtsverordnung zwar stärker ausgeprägt als bei formellen Gesetzen, dennoch ist die Exekutive bei der Rechtsverordnungsgebung rechtlicher doch viel weniger determiniert als bei anderen Tätigkeiten. So dient die Rechtsverordnungsgebung vor allem der kollektiven Selbstbestimmung.

164  Vgl. dazu Hans Hugo Klein, Art. 41 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 99 ff.; BVerfGE 85, 148, 157 ff. 165  BVerfGE 68, 319, 326; 71, 305, 337. 166  Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rn. 533. 167  Siehe dazu Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung (§ 103), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007. S. 261–303. 168  BVerfGE 34, 52 (59 f.). S. auch BVerfGE 95, 1, 15 f. Hier betont das Bundesverfassungsgericht noch stärker den vollziehenden Charakter gouvernementalen Handelns. Außerdem heißt es dort: „Das Parlament darf sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entziehen, daß es einen Teil seiner Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne dabei genau die Grenzen dieser übertragenen Kompetenzen bedacht und bestimmt zu haben. Genügt die Legislative dem nicht, so wird die vom Grundgesetz vorausgesetzte Gewaltenbalancierung im Bereich der Normsetzung einseitig verschoben. Eine pauschale Übertragung normsetzender Gewalt auf die Exekutive ist mit dem Prinzip der Gewaltenteilung unvereinbar.“



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Damit einher geht eine im Vergleich zu anderen Formen des Exekutivhandelns geringe sachlich-inhaltliche Legitimation. Dafür besteht eine hohe organisatorisch-personelle Legitimation, da die Regierung und die Ministerien das erste Glied in der Legitimationskette darstellen. Außerdem sind wegen der unmittelbaren grundgesetzlichen Normierung der Regierung sowie ihrer in Art. 80 GG normierten Kompetenz, Rechtsverordnungen zu erlassen, sowohl die institutionelle wie auch die funktionelle Legitimation als hoch einzuschätzen. Trotz dieser schon grundsätzlich hohen Legitimation des Verordnungsgebers kann Partizipation als fünfter Legitimationsmodus die Legitimation weiter erhöhen. Dies ist allerdings abhängig von der Ausgestaltung des Kreises der Beteiligten und dem Ausmaß ihres Einflusses. II. Der Kreis der Beteiligungsfähigen: Pluralistischer statt partizipativer Ansatz Schaut man sich die bestehenden Partizipationsformen bei der Rechtsverordnungsgebung an, so wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Kreis der Beteiligten nach einem pluralistischen und nicht einem partizipativen Ansatz geregelt hat. Damit entspricht die gesetzgeberische Ausgestaltung nicht der Theorie der imperativen Partizipation. Dies spricht aber weniger gegen die Theorie, sondern vielmehr gegen die legem lata. Außerdem gibt es Fälle einer unmittelbaren Beteiligung der Öffentlichkeit in Fällen der Rechtsverordnungsgebung. Das Grundgesetz sieht keine allgemeinen Beteiligungsregeln für die Exekutivebene vor. Ebenso fehlen sie in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO). In der GGO finden sich Regeln, die ein pluralistisches Verständnis offenbaren. Zentral- und Gesamtverbände sowie Fachkreise, die auf Bundesebene bestehen, sind nach § 62 Abs. 2 i. V. m. § 47 Abs. 3 GGO in die Rechtsverordnungsgebung einzubinden, sofern ihre „Belange“ (§ 47 Abs. 1 S. 1 GGO i. V. m. § 47 Abs. 3 S. 1 GGO) berührt sind.169 Hier sind Einzelne also nicht zu beteiligen. Dieses pluralistische Verständnis offenbart sich ebenfalls in bestimmten, dem Umweltrecht zugehörigen, Gesetzen, die zum Erlass von Rechts­ verordnungen ermächtigen.170 Sie sehen vor, dass sogenannte „beteiligte 169  § 47 Abs. 3 GGO bezieht sich auf die Vorbereitung von Gesetzesinitiativen durch die Bundesregierung und kann dementsprechend auch alleine stehen. Nach § 70 Abs. 1 i. V. m. § 47 Abs. 3 GGO gilt das Gleiche für den Erlass von Verwaltungsvorschriften, etwa solche nach Art. 86 Abs. 1 GG. 170  Das Nachfolgende gilt ebenso für den Erlass von Verwaltungsvorschriften Hans D. Jarass, § 68 KrWG, ders./Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 1.

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Kreise“171 zu hören sind. Nach § 51 BImSchG, § 68 KrWG, § 20 BBodSchG172 und § 23 Abs. 2 WHG173 – ggf. i. V. m. § 66 Abs. 6 UVPG n. F. (§ 21 Abs. 4 UVPG a. F.) – umfassen diese Kreise u. a. Vertreter der Wirtschaft und der Betroffenen. Hier werden anders als nach der GGO zumindest auch die Betroffenen angehört. Dies geschieht allerdings nur in repräsentativer Weise, da Vertreter der Betroffenen gehört werden. Der Begriff der Betroffenen wird nicht definiert. Bei der Auswahl besteht ein weites Ermessen der Bundesregierung oder des federführenden Ministeriums.174 Entsprechend dem im Verwaltungsrecht regelmäßig verwendeten Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“ geht es zunächst um diejenigen, die in ihren Interessen oder Belangen verletzt sein können.175 Z. T. wird verlangt, dass 171  Siehe z. B. § 68 KrWG; § 17 Abs. 7 ChemG; § 20 BBodSchG; § 7 Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln; §§ 4 Abs. 1, 22 Abs. 1, 23, 29b Abs. 1, 32–35, 37d Abs. 2, 38 Abs. 2, 40 Abs. 2, 43 Abs. 1, 47f Abs. 1, Abs. 2, 48, 53 Abs. 1, 55 Abs. 2, 58a BImSchG. Vgl. auch § 8 Abs. 1 Produktsicherheitsgesetz, nach dem Rechtsverordnungen zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit von Personen und zum Schutz der Umwelt sowie sonstiger Rechtsgüter vor Risiken, die von Produkten ausgehen, erst nach Anhörung des Ausschusses für Produktsicherheit erlassen werden können. Nach § 33 Abs. 3 Produktsicherheitsgesetz sollen dem Ausschuss sachverständige Personen aus dem Kreis der Marktüberwachungsbehörden, der Konformitätsbewertungsstellen, der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, des Deutschen Instituts für Normung e. V., der Kommission Arbeitsschutz und Normung, der Arbeitgebervereinigungen, der Gewerkschaften und der beteiligten Verbände, insbesondere der Hersteller, der Händler und der Verbraucher, angehören. S. auch § 6 WRMG. 172  § 68 KrWG unterscheidet sich insoweit von § 51 BImSchG, als dass beide von Vertretern der Wissenschaft, der Betroffenen, der beteiligten Wirtschaft sprechen, das BImSchG aber auch Vertreter des beteiligten Verkehrswesens erfasst und der für den Immissionsschutz zuständigen obersten Landesbehörden und das KrWG die für die Abfallwirtschaft zuständigen obersten Landesbehörden, die Gemeinden und Gemeindeverbände nennt. § 20 BBodSchG geht noch weiter und nennt zusätzlich bzw. alternativ die Vertreter der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, der Natur- und Umweltschutzverbände, des archäologischen Denkmalschutzes, der kommunalen Spitzenverbände und der für den Bodenschutz, die Altlasten, die geowissenschaftlichen Belange und die Wasserwirtschaft zuständigen obersten Landesbehörden. Sollen die in Satz 1 genannten Rechtsvorschriften Regelungen zur land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung enthalten, sind auch die für die Land- und Forstwirtschaft zuständigen obersten Landesbehörden zu hören. 173  § 23 Abs. 2 WHG spricht von Vertretern der Wissenschaft, der beteiligten Wirtschaft, den kommunalen Spitzenverbänden, den Umweltvereinigungen und sonstigen Betroffenen. 174  Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./ Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 17; Christof Tophoven, § 51 BImSchG, in: Ludger Giesberts/ Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 7. 175  S. ausführlich zu dem Begriff der betroffenen Öffentlichkeit unten S. 142 ff.



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die Einzelnen einen besonderen Beitrag zum Erlass der Rechtsverordnungen leisten können müssen.176 Die Beteiligung ist aber nicht auf eine solch funktionale Sichtweise beschränkt. Es geht nach der Gesetzesbegründung des Bundesimmissionsschutzgesetzes gerade darum, die „verschiedenen, oft widerstreitenden Interessen einzubeziehen.“177 Beide Zwecke erfüllt die ­Beteiligung von Vertretern von (Zusammenschlüssen von) Bürgerinitiativen oder Verbraucherschutzverbänden als mögliche Repräsentanten von Betroffenen.178 Es zeigt sich, dass Beteiligung im Rahmen der Rechtsverordnungsgebung nicht alleine den Schutz von Rechten oder die Informierung der Behörde zum Ziele hat, sondern unterschiedliche Interessen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden sollen. Das kann zu einer Aggregierung oder im Sinne eines deliberativen Verständnisses von Demokratie sogar zu einer Transformation und damit den Ausgleich verschiedener Interessen führen. Trotz dieser grundsätzlich vorhandenen Partizipationsmöglichkeit von Betroffenen handelt es sich bei der hier vorgestellten Partizipation nicht um eine Form imperativer Partizipation. Es dürfen sich nämlich nur Vertreter der Betroffenen beteiligen, nicht aber die Einzelnen selbst. Außerdem besteht kein Anspruch auf Beteiligung.179 Der Gesetzgeber belässt es aber nicht bei dieser pluralistischen Herangehensweise. Bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen, die auf Bundesebene vom Bundesverkehrsministerium immer und auf Landesebene oftmals als Rechtsverordnung180 erlassen werden, ist 176  Johannes Schäffer, § 68 KrWG, in: Christoph Jahn/Daniela Deifuß-Kruse/André Brandt (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 11. 177  BT-Drs. 7/179, S. 46. 178  Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 23 Rn. 5 verlangt eine enge sachliche Beziehung zu dem Regelungsgegenstand und Sachkunde aufgrund der Problemnähe; ähnlich wohl Hans D. Jarass, § 68 KrWG, ders./Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 8 und wohl auch Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 12; Christof Tophoven, § 51 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 4. 179  Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Bundesregierung, 1964, S. 127 f.; Norbert Achterberg, Innere Ordnung der Bundesregierung (§ 52), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 2. Aufl. 1998, S. 629–664, 662; Klaus König, Gesetzgebungsverfahren im Verfahren der Ministerialverwaltung, in: Willi Blümel/Detlef Merten/Helmut Quaritsch (Hrsg.), Verwaltung im Rechtsstaat, Festschrift für Carl Hermann Ule, 1987, S. 123–141, 125. Kritisch Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 384 m.w N. 180  Nach den verschiedenen Landesraumordnungsgesetzen ergehen Landesraumordnungspläne z. T. als Parlamentsgesetz, z. T. als Rechtsverordnung, z. T. im Wege der Feststellung durch die Landesregierung oder die Landesplanungsbehörde. S. den

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nach § 9 Abs. 1, 2 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 ROG a. F.) (für den Bund i. V. m. § 18 ROG) die Öffentlichkeit zu beteiligen. Dies betrifft etwa Fälle in denen Standorte und Trassen für Infrastruktur festgelegt werden, § 13 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 ROG n. F. (§ 8 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 ROG a. F.).181 III. Beteiligungsverfahren: Kaum gesetzliche Vorgaben Die Beteiligungsregeln der GGO stellen Zeitpunkt und Umfang der Beteiligung sowie die Auswahl der Beteiligten nach § 47 Abs. 3 S. 2 GGO in das Ermessen des federführenden Bundesministeriums.182 Dass ein möglichst früher Zeitpunkt zu wählen ist, betont neben § 47 Abs. 1 GGO („möglichst frühzeitig“), in etwas abgeschwächter Form, auch § 47 Abs. 3 GGO („rechtzeitig“). Im Rahmen der Umweltschutzgesetze, die eine Beteiligung der „beteiligten Kreise“ vorsehen, fehlen ebenfalls Vorschriften zu Zeitpunkt und Umfang der Beteiligung sowie die Auswahl der Beteiligten. Deshalb könnte man auch hier wie bei den Verfahren nach der GGO annehmen, dass dem Verordnungsgeber unter Beachtung der Ziele der Beteiligung, u. a. der Steigerung von Legitimation,183 ein weitgehender Gestaltungsspielraum zukommt.184 Für einen engeren Gestaltungsspielraum im Fall der Umweltschutzgesetze spricht allerdings, dass der Anhörung ein anderes Gewicht zukommt als nach der GGO. Dies zeigt sich zum einen an der Rechtsqualität der GGO, die lediglich Innenrecht darstellt. Andererseits zeigt sich das andere Gewicht an dem Umstand, dass eine gänzlich unterbliebene Anhörung i. R. d. GGO nicht zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung führt, eine unterbliebene Anhörung nach den Umweltschutzgesetzen hingegen schon.185 Schließlich kommt Überblick bei Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 55. 181  S. ausführlich unten S. 216 ff. 182  Andreas Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates (§ 43), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 425–475, Rn. 32, geht davon aus, dass entgegen dem Wortlaut eine grundsätzliche Pflicht zur Anhörung aufgrund ständiger Übung besteht. 183  Hans D. Jarass, § 68 KrWG, ders./Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 1; Holger Jacobi, § 68 KrWG, in: ders./Thomas Mann/ Thomas Schomerus, Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 2019, Rn. 2. 184  Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./ Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 17; Christof Tophoven, § 51 BImSchG, in: Ludger Giesberts/ Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 7. 185  Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./ Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzge-



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hinzu, dass auch Repräsentanten von Betroffenen angehört werden sollen, durch Partizipation also auch die Sicht der Betroffenen einbezogen werden soll. Auf die effektive Wirksamkeit der Beteiligung ist aus diesen Gründen hier besonders zu achten. Aus der Pflicht zur Anhörung folgt die Pflicht, sich mit dem Gehörten auseinanderzusetzen, denn sonst läuft die Pflicht zur Anhörung leer.186 Eine solche Auseinandersetzungspflicht verlangt vom Staat, dass er „alles für die Entscheidung Erhebliche zu beachten, auszulegen und zu würdigen“ hat.187 Sie ist damit unterhalb der auf staatliche Abwägungsvorgänge bezogenen Berücksichtigungspflicht angesiedelt, die zusätzlich auch verlangt, dass der Staat die Beteiligungsergebnisse „zur Kenntnis zu nehmen, […] in Erwägung zu ziehen und mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen“ hat.188 IV. Bewertung Rechtsverordnungsgebung: Trotz pluralistischem Ansatz Tendenz zu demokratischer Partizipation Beteiligung bei der Rechtsverordnungsgebung wird pluralistisch und nicht partizipativ verstanden. Diese Form der Beteiligung ist somit keine Partizipation im hier verstandenen Sinne, da sie grundsätzlich nicht auf den Einzelnen abstellt. Nur in dem Fall, in dem Repräsentanten der Betroffenen anzuhören sind, dürfen sich Einzelne, die keinem Verband oder beteiligten Kreis angesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 24; Christof Tophoven, § 51 BImSchG, in: Ludger Giesberts/ Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 9; Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar, 11. Aufl. 2015 § 51 Rn. 4; Hans D. Jarass, § 68 KrwG, ders./Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, Rn. 12; Gerhard Feldhaus, § 51 BImSchG, in: ders. (Hrsg.), Bundesimmissionsschutzrecht. Kommentar, Loseblattsammlung Band 1 – Teil II, 216. Lieferung März 2021, Anm. 4; Johannes Schäffer, § 68 KrWG, in: Christoph Jahn/Daniela Deifuß-Kruse/André Brandt (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 18 geht sogar noch einen Schritt weiter und lässt schon die fehlende Anhörung einzelner Gruppen für die Nichtigkeit ausreichen. A. A. Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 23 Rn. 9: nur Rechtswidrigkeit. 186  S. allgemein Dieter Kallerhof/Thomas Mayen, § 28 VwVfG, in: Paul Stelkens/ Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 9. Aufl. 2018, Rn. 38. 187  Bernhard Raschauer, Selbstbindungen der Verwaltung, VVDStRL 40 (1982), S. 240–272, 254. 188  Christof Federwisch, § 187 BauGB, in: Willy Spannowsky/Michael Uechtritz (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 51. Edition Stand: 1. November 2018, Rn. 5.

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hören, beteiligen. Damit wird nahezu jedem Einzelnen eine direkte Beteiligungsmöglichkeit verwehrt. Die pluralistische Beteiligung dient aufgrund der hauptsächlich auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gerichteten Tätigkeit der Regierung bei der Rechtsverordnungsgebung neben der Informierung der Regierung und dem Schutz individueller Rechte der kollektiven Selbstbestimmung. Die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung zeigt sich auch an der Rechtsfolge der Nichtigkeit bei gänzlich unterbliebener Anhörung. Gerade sie spricht dagegen, dass die Anhörung lediglich der Informierung der Regierung oder des Ministeriums dient.189 Sie spricht außerdem dagegen, dass die Beteiligungsregeln rechtsstaatliche Zwecke verfolgen, da sonst schon die Nicht-Anhörung Einzelner grundsätzlich zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung führen müsste. Es besteht aber gerade kein unmittelbarer Rechtsschutz im Falle der Nichtbeteiligung.190 Es wird allerdings nur die kollektive Selbstbestimmung der beteiligten Kreise ermöglicht. Dazu gehören zwar auch die Repräsentanten der Betroffenen, dennoch lässt sich aufgrund der zweifachen Einschränkung der Partizipationsakteure hier nur von einer Tendenz zur Demokratieermöglichung sprechen. Eine Erweiterung der Partizipationsakteure würde dieser Einschränkung abhelfen. Anders als auf Legislativebene steht dem Volk keine Entscheidungsgewalt zu. Das Volk darf zwar das Parlament ersetzen, nicht aber die Regierung. Dies folgt zwingend aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz und dient der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung: Ansonsten würde die kollektive Selbstbestimmung des Volkes, die durch formelle Parlamentsgesetze zum Ausdruck kommt, nämlich nicht geachtet werden. Dennoch lässt sich Einfluss nehmen. Hier statuiert die Auseinandersetzungspflicht das richtige Maß von Einfluss, weil es dem Staat die Freiheit lässt, eine eigene Entscheidung zu treffen und ihm gleichzeitig abverlangt, dass er die Beiträge zu beachten, auszulegen und zu würdigen hat. So fließen sie in den Entscheidungsprozess mit ein. Anders als es die Theorie imperativer Partizipation formuliert, findet Beteiligung auf Rechtsverordnungsebene de lege lata – abgesehen von der Raumordnungsplanung, die aber den Sonderfall der Planung betrifft – nicht durch alle statt. Stattdessen sind nur wenige Personen partizipationsberech189  So aber Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 23 Rn. 8. 190  Christof Tophoven, § 51 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 10; Hans-Joachim Koch/Susan Krohn, § 51 BImSchG, in: Monika Böhm/ders./ Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 28.



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tigt. Damit kann Partizipation de lege lata nicht die Legitimation der Rechtsverordnungsgebung erhöhen. Hier zeigt sich der pluralistische statt des partizipativen Staates. Eine Steigerung der Legitimation von Rechtsverordnungen findet nach dem hier entwickelten Legitimationsmodus nicht statt.

D. (Exekutive) Planung: Ein weites Spektrum planender Staatsorgane und staatlicher Handlungsformen zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung Planung ist ein hochkomplexer Vorgang. Das betrifft nicht nur Durchführung und Öffentlichkeitsbeteiligung, sondern auch das Ineinandergreifen der verschiedenen Ebenen und der verschiedenen handelnden staatlichen Organe sowie der ihnen zu Verfügung stehenden Handlungsformen. Obgleich Legislative und im Streitfall auch die Judikative in die Planung involviert werden, so liegt doch die Hauptverantwortung staatlicher Planung auf Organen der Exekutive. Nach einem kurzen Überblick über das Wesen, die Akteure und die Handlungsformen der Planung (I.), sollen die einzelnen Planungsinstrumente und -stufen und die jeweilige Öffentlichkeitsbeteiligung hieran untersucht werden. Der Bogen von kollektiver Selbstbestimmung hin zu individueller Selbstbestimmung entfaltet sich von der Bundesbedarfsplanung (II.) über die Raumordnungsplanung (III.) und das Raumordnungsverfahren (IV.) über die Fachplanung (V. und VI.) hin zum Planfeststellungsverfahren (VII.). Eine besondere Form der Verbindung von Öffentlichkeitsbeteiligung und Planung sieht das 2013 in Kraft getretene und 2017 novellierte Standortauswahlgesetz vor (VIII.). Die Bauleitplanung als letzte Stufe der Raumplanung zählt nicht zur unmittelbaren Staatsverwaltung. Sie ist Teil der territorialen Selbstverwaltung der Gemeinden, da die Planungshoheit der Gemeinde Ausfluss der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden ist.191 I. Überblick zur Planung: Planende Staatsorgane, Handlungsformen, Wesen und Vielschichtigkeit Planung ist gesetzlich nur zu einem gewissen Teil determiniert, gestaltet Zukunft und erreicht auf den oberen Planungsstufen eine umfassende „persönliche und sachliche Reichweite“, die auf den unteren Planungsstufen 191  Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, Rn. 102; Janbernd Oebbecke, Die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinden, in: Wilfried Erbguth/ders./Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70 Geburtstag, 2000, S. 239–252.

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ähnlich einer auf ihrer Spitze stehenden Pyramide immer weiter abnimmt. Auf der Skala der drei Eigenschaften verengt sich Planung von mehr Demokratie hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit je weiter es von der (Bundes-)Bedarfsplanung hin zur Planfeststellung geht. Dies hat entsprechende Auswirkungen auf die Akteure und die Handlungsformen der Planung und damit auf die oben entwickelten Indikatoren.192 So sind auf den unterschiedlichen Ebenen der Planung verschiedene staatliche Organe involviert,193 denen unterschiedliche planungsrechtliche Handlungsformen zur Verfügung stehen (1.). Trotz der unterschiedlichen Akteure und Handlungsformen lässt sich generalisierend feststellen, dass Planung durch das eng mit ihr verknüpfte Gebot der Abwägung im Schwerpunkt auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gerichtet ist (2). 1. Planungsorgane und Handlungsformen: Große Vielfalt Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ zeigen eher in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Planende Staatsorgane sind im Wesentlichen die Regierung und Ministerien sowie verschiedene Stellen der Verwaltung. Auch der Gesetzgeber kann planerisch tätig werden. Die organisatorisch-personelle Legitimation des planenden Staatsorgans unterscheidet sich damit je nach Planungsstufe. Hinzu kommt der Vorhabenträger, der neben dem Staat auch ein privater Akteur sein kann. In dem Fall, dass es sich um einen privaten Akteur handelt, tritt neben planungsrechtliche Fragestellungen auch eine grundrechtliche Konstellation, da der Vorhabenträger unter Umständen einen grundrechtlichen Anspruch auf Planung besitzt und so der Spielraum des Staates eingeschränkt ist. Der eingeschränkte Spielraum wirkt mittelbar auch auf das Ausmaß des Einflusses durch die Öffentlichkeitsbeteiligung zurück. Ebenso weit gefasst sind die Handlungsformen. Neben formellen und materiellen Gesetzen kommen lediglich intern wirkende Verwaltungsvorschriften in Betracht, auf Kommunalebene oft auch Satzungen. Hier ist der Rechtsschutz dementsprechend wenig ausgeprägt. Anders ist dies, wenn, wie beim 192  S. dazu

oben S. 144 f. Komplexität als wesentlicher Bestandteil von Planung wird u. a. betont von Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 313–365, Rn. 21; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 320 f. m. w. N. S. aber auch Wilfried Erbguth, Die planerische Abwägung und Kontrolle – aus rechtsstaatlicher Sicht, in: ders./Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 103–121, 107. Zuletzt Tanja Potschies, Raumplanung, Fachplanung und kommunale Planung, 2017. 193  Die



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Planfeststellungsbeschluss, ein Verwaltungsakt vorliegt. Oft ist der Rechtscharakter einer bestimmten Planungsentscheidung allerdings auch umstritten. 2. Wesen der Planung: Zukunftsorientierte Abwägung zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Neben den Indikatoren zeigt schon eine oberflächliche Analyse der gängigen Definitionen von Planung anhand der oben herausgearbeiteten Eigenschaften „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ trotz der Vielfalt der planenden Organe und Handlungsformen den vornehmlich kollektiven Selbstbestimmungscharakter von Planung. Das Wesen der Planung unterscheidet sich von anderen Formen staatlichen Verwaltungshandelns.194 Statt lediglich einen Lebenssachverhalt unter eine Norm zu subsumieren, wird Zukunft in einem komplexen Prozess gestaltet. „Planen heißt schöpferisch gestalten.“195 Dementsprechend lässt sich Planung definieren als die vom Einzelfall unabhängige, zukunftsgerichtete196 gestaltende Steuerung staatlicher Aufgabenbereiche. Es geht um Aufgabenerledigung „im Sinne eines vorausschauenden Setzens von Zielen und gedanklicher Vorwegnahme der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweise.“197 Es handelt sich bei Planung „um einen komplexen Prozess der Gewinnung, Auswahl und Verarbeitung von Informationen, der Zielsetzung und der Auswahl einzusetzender Mittel. Planung hat mithin finalen und keinen konditionalen Charakter.“198 194  Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 45 ff. 195  Christian Heinze, Das planungsrechtliche Abwägungsgebot, NVwZ 1986, S. 87–91, 87. 196  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 5. S. auch Michael Brenner, Öffentliches Baurecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 62. 197  Hans J.  Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, 13. Aufl. 2017, § 56 Rn. 2; Hartmut Maurer/Christian Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 16 Rn. 14; Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 313–365, Rn. 1. 198  BVerfGE 95, 1, 16. Zur Planung allgemein s. auch Wilfried Erbguth, § 30 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 3 ff., 45 ff.; Thomas Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, 1979, S. 45 ff., S. 262; Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179–265, 200 ff. S. schon Ulrich Scheuner, Das Gesetz als Aufrag der Verwaltung, in ders., Staatstheorie und Staatsrecht, 1978, S. 545–565; vgl. auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverant-

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Die Zukunftsorientiertheit von Planung liegt also grundsätzlich vor, ebenso übersteigt ihre Reichweite Einzelfälle. Zudem ist die Verwaltung im Fall der Planung weniger determiniert als bei sonstigem Verwaltungshandeln. Gerade in der Wandlung der Programmierung der Verwaltung weg von der Kondi­ tionalsteuerung hin zur Finalsteuerung199 liegt der wesentliche Unterschied in der Planung zu anderem Verwaltungshandeln. So wird der Verwaltung erlaubt, statt einer lediglich exekutierenden Gewalt eine gestaltende Gewalt zu werden. Die Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung findet im Rahmen dieses Gestaltungspielraums statt. Was aber ist der Unterschied in den verschiedenen Steuerungsarten und wie verwirklicht er sich? Die Konditionalsteuerung gibt der Verwaltung ein exaktes Verhalten für einen näher definierten Fall vor: wenn X, dann Y. In diesem Fall liegt eine eindeutige Steuerung vor, die auch im Sinne der monistisch-holistischen Legitimationstheorie klar und deutlich legitimiert ist: Das Verhalten der Verwaltung kann vom Parlament über die Gesetze, also die sachlich-inhaltliche Legitimation, der Verwaltung strikt vorgegeben werden. Für eine gewisse Flexibilität sorgt auf Rechtsfolgenseite gegebenenfalls die Eröffnung behördlichen Ermessens. Die Finalsteuerung hingegen eröffnet der Behörde neue Handlungsoptionen: Ihr wird ein Ziel vorgegeben und unter Umständen Leitplanken, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Der Rest bleibt der Behörde überlassen. Durch diese geringere sachlich-inhaltliche Steuerung sinkt die Legitimation der Verwaltung nach dem tradierten Legitimationsmodell.200 Es wird ihr neben viel Freiheit auch viel Verantwortung übertragen – und damit gleichzeitig auch demokratische Verantwortlichkeit. Der finale Charakter der planerischen Tätigkeit verwirklicht sich rechtstechnisch durch den Vorgang der Abwägung. Mit Abwägung ist ein besonderes Maß an Gestaltungsfreiheit verbunden. So wird die Planung „inhaltlich wortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), S. 221–274, 232. In rechtsvergleichender Hinsicht s. den grundlegenden und wegweisenden Aufsatz von Richard B. Stewart, The Reformation of American Administrative Law, Harvard Law Review 1975, S. 1667–1814. 199  S. grundlegend zu dieser Unterscheidung Niklas Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966, S. 36 ff.; 39 f.; Dieter Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben – sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 292–307, 300. Kritisch zu dieser Unterscheidung Jörg Pfefferl, Die Dichotomie konditionaler und finaler Normen. Kritische Analyse der Dichotomie als Modell der Verwaltungssteuerung und Entwicklung eines materiellen Modells rechtlicher Determination, 2014. 200  Thomas Würtenberger, Akzeptanz durch Verwaltungsverfahren, NJW 1991, S. 257–263, 258; Wolfgang Hoffmann-Riem, Tendenzen in der Verwaltungsrechtsentwicklung, DÖV 1997, S. 433–442, 434, 438.



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kaum determiniert“.201 Zwar ist auch hier das planende Staatsorgan an zwingendes Recht gebunden.202 Das zwingende Recht umfasst das geltende Recht, insbesondere die Grundrechte. Für die Frage der rechtlichen Determiniertheit planerischen Handelns kommt es daneben und in entscheidender Weise auf die Ermächtigungsnorm an. Statt einer inhaltlich genauen Determiniertheit des verwaltungsrechtlichen Handelns durch eine konditional formulierte Ermächtigungsnorm tritt in der Regel eine offene Ermächtigungsnorm, die lediglich das Ziel behördlichen Handelns vorgibt. Als Kompensation für die geringe parlamentarische Steuerung der Verwaltung durch eine weitgehend offene Ermächtigungsnorm tritt eine Bindung jeder planenden Stelle an den Grundsatz der Planrechtfertigung und das Abwägungsgebot. Aus dem Grundsatz der Planrechtfertigung folgt nur eine geringe Steuerungswirkung: Die Erstellung eines Plans durch die Behörde ist immer schon dann gerechtfertigt, wenn Übereinstimmung zwischen den Zielen der Planung mit denen des ermächtigenden Gesetzes besteht und der Plan, wiederum gemessen am Ziel des jeweils einschlägigen Planungsrechts, „vernünftigerweise“ geboten ist.203 Damit schränkt das der Abwägung vorgelagerte204 Prinzip der Planrechtfertigung den freien Bereich der Abwägung zwar ein, aber in nur sehr geringem Maße. Der Grundsatz der Planrechtfertigung bleibt „eine recht merkwürdige Allerweltsformel.“205 Das Abwägungsgebot ist um einiges komplexer als der Grundsatz der Planrechtfertigung. Rechtsprechung und Literatur wussten lange nicht mit dem Vorgang der Abwägung umzugehen, da er sich nicht in die altbekannten und althergebrachten Entscheidungs- und Handlungsformen des Verwaltungshandelns einordnen lässt. Erst nach und nach konnten der Planung und 201  Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Auflage 2020, S. 84–209, Rn. 126. 202  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 38; Norbert Kämper, § 74 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 28. 203  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 427 m.  w. N.; s. auch Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 16 m. w. N. 204  BVerwGE 114, 364 Rn. 34. 205  Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 16.

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der Abwägung Konturen verliehen werden.206 Das Abwägungsgebot gilt allgemein für jede Planung, da es nach allgemeiner Ansicht als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips verstanden wird.207 Es wird daher auch als „rechtsstaatliches Abwägungsgebot“ bezeichnet.208 Das Abwägungsgebot schränkt damit die eingeräumte grundsätzlich sehr weite Ermächtigung zur Abwägung und Planung209 im Rahmen der Gesetze dahingehend ein, dass die planende Stelle 206  So Wilhelm Söfker/Peter Runkel, § 1 BauGB, in: Werner Ernst/Willy Zinkhahn/ Walter Bielenberg/Michael Krautzberger (Begr./Hrsg.), Baugesetzbuch. LoseblattKommentar, 140. Ergänzungslieferung Stand Oktober 2020, Rn. 181, unter Verweis auf Peter Badura, Das Planungsermessen und die rechtsstaatliche Funktion des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: Bayerischer Verfassungsgerichtshof (Hrsg.), Verfassung und Verfassungsrechtsprechung. Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1972, S. 157–182; Peter Oberndorfer, Strukturprobleme des Raumordnungsrechts, Die Verwaltung 1972, S. 257–272; Winfried Brohm, Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S. 245–312, 274 ff.; Fritz Ossenbühl, Welche normativen Anforderungen stellt der Verfassungsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaates an die planende staatliche Tätigkeit, dargestellt am Beispiel der Entwicklungsplanung?, Gutachten B zum 50. Deutschen Juristentag, 1974, bes. S. 160 ff.; Meinhard Schröder, Planung auf staatlicher Ebene, 1974, S. 641 ff.; Rupert Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, und Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), S. 145–220 und S. 221–274; Werner Hoppe, Planung und Pläne in der verfassungsgerichtlichen Kontrolle, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Erster Band: Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 663–714; Robert Alexy, Ermessensfehler, JZ 1986, S. 701–716; Eberhard Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94.  Ergänzungslieferung 2021, Rn.  214; Hans Friedrich Funke, Die Lenkbarkeit von Abwägungsvorgang und Abwägungs­ergebnis zugunsten des Umweltschutzes, DVBl. 1987, S. 511–515; Hans-Joachim Koch/Rüdiger Hosch, Baurecht, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, 1988, S. 149 ff. 207  Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 313–365, Rn. 24 m. w. N.; Wilhelm Söfker/Peter Runkel, § 1 BauGB, in: Werner Ernst/Willy Zinkhahn/Walter Bielenberg/ Michael Krautzberger (Begr./Hrsg.), Baugesetzbuch. Loseblatt-Kommentar, 140. Ergänzungslieferung Stand Oktober 2020, Rn. 179: „allg. A.“, unter Verweis auf BVerwG, Urteil v. 30. April 1969 – 4 C 6.68 –; Urteil v. 12. Dezember 1969 – 4 C 105.66 –; Urteil v. 5. Juli 1974 – 4 C 50.72 –; BGH, Urteil v. 30. Juli 1975 – III ZR 18.72 –; Urteil v. 28. Mai 1976 – III ZR 137.74; Eberhard Schmidt-Aßmann, Planung unter dem Grundgesetz, DÖV 1974, S. 541–547. 208  U. a. von Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 330; Christoph Rung, Strukturen und Rechtsfragen europäischer Verbundplanungen, 2013, S.  34, unter Verweis auf das „ursprünglich im Bauplanungsrecht entwickelte (s. ­BVerwGE 34, 301) – rechtsstaatliche Abwägungsgebot“; Reinhard Sparwasser/ Rüdiger Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts im Spannungsfeld zwischen Deutschem und Europäischem Recht, NVwZ 2010, S. 1513–1520, 1514. 209  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 304 ff., insbesondere S. 306: „ergänzende Anforderung und damit im Ergebnis eine Verschärfung“; BVerwGE 111, 276, 280 f.



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den „erhebliche[n] Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt [hat] und ob anhand dieses Sachverhaltes alle sachlich beteiligten Belange und Interessen der Entscheidung zugrunde gelegt sowie umfassend und in nachvollziehbarer Weise abgewogen worden sind“.210 Neben dieser rechtsstaatlichen Sichtweise lässt sich in der Abwägung ein demokratischer, der kollektiven Selbstbestimmung verpflichteter Vorgang erblicken. Dies zeigt sich neben der Weite des Planungsspielraums und der Pflicht des Staates zur Responsivität an der demokratischen Offenheit des Planungsvorgangs, der auch Belange umfasst, die nur aufgrund ihrer Abwägungsrelevanz rechtlich geschützt sind, ansonsten aber unterhalb der Schwelle eines Rechts oder eines rechtlich geschützten Interesses liegen.211 Eine der Besonderheiten der Abwägung ist nämlich, dass es bei ihr um die Berücksichtigung von „bloße[n] Belange[n]“212 und nicht nur um die Berücksichtigung von subjektiven Rechten oder rechtlich geschützten Interessen geht.213 Abzuwägen und damit zu gewichten214 und „in einen gerechten Ausgleich zu bringen“215 sind „die sich aus den konkreten Verhältnissen ergebenden öffentliche[n] Interessen und die privaten Belange.“216 Die Verletzung eines subjektiven Rechts ist nicht notwendig.217 Das subjektive Recht ist ohnehin rechtlich geschützt und gehört mithin zum zwingenden Recht,218 das es immer zu beachten gilt, auch wenn es immer wieder mit zu den Belangen gezählt wird.219 Schon deshalb kann es bei Planung also nicht alleine um den Schutz der rechtsstaatlich geschützten individuellen Selbstbestimmung gehen, da auch die darüber hinausweisenden Belange und Interessen geschützt 210  VerfGH NRW, Urteil v. 9. Februar 1993, VerfGH 18/91 und 2/92, NVwZ-RR 1993, S. 542, 543; ganz ähnlich auch BVerfGE 95, 1, 23. 211  BVerwGE 107, 215, 220 f. Dazu auch sogleich. 212  BVerwGE 107, 215, 220 f., Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 310. S. auch BVerwGE 111, 276, 281; 110, 36, 39 und Peter Schütz, Die Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen nach dem 6. VwGOAendG, 2000, S. 162–260. 213  Ebenso Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 310. 214  Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 21. 215  BVerfGE 80, 137, 162 f. 216  BVerfGE 79, 174, 198 f.; BVerwG 4 C 16.07, Urteil v. 29. Januar 2009, Rn. 26. 217  Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 11; Wolfgang Appold, § 2 UVPG, in: Werner Hoppe/Martin Beckmann (Hrsg.), UVPG. Kommentar, 5. Aufl. 2018, Rn. 144. 218  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 38. 219  Z. B. von Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 838.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

werden. Hier ist der demokratisch geschützte Raum kollektiver Selbstbestimmung berührt. Belange und Interessen werden gegeneinander abgewogen, um so zu einem „gerechten Ausgleich“ zu kommen. Prägnant fasst es das Bundesverwaltungsgericht zusammen: „Die darin liegende Bewertung der privaten und öffentlichen Belange und ihre Gewichtung im Verhältnis untereinander macht das Wesen der Planung als einer im Kern politischen […] Entscheidung aus.“220 Hierfür ist aber Beteiligung zwingend nötig: Durch die Aggregation von Interessen und Belangen, im besten Fall ihrer Transformation als Folgen eines deliberativen Diskurses, kommt es zu demokratischer, kollektiver Selbstbestimmung. Die Öffentlichkeit nimmt an der Konkretisierung des Gemeinwohls durch Partizipation teil:221 „Die Verbreiterung der Basis der Beteiligten führt zu einer Erweiterung des Kreises der in den Planungsprozess eingestellten Interessen und damit zur pluralistischen Offenheit der Definition des öffentlichen Interesses.“222

Planung hat den politischen Ausgleich von Interessenkonflikten zum Ziel,223 indem sie die verschiedenen individuellen und kollektiven Ansprüche, Belange und Interessen aufeinander abstimmt.224 Dieser Planungsspielraum weist auf den demokratischen und politischen Charakter der planenden Tätigkeit hin.225 Gleichzeitig ist die Öffentlichkeitsbeteiligung auch ein Korrektiv 220  BVerwG 100, 370, 383 = NVwZ 1996, S. 1016, 1020; BVerwG 125, 116, Rn. 98. 221  Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701, unter Verweis auf Susan Wickrath, Bürgerbeteiligung im Recht der Raumordnung und Landesplanung, 1992, S. 12 f.; für die städtebauliche Planung Reinhard Hendler, Die bürgerschaftliche Mitwirkung an der städtebaulichen Planung, 1977, S. 21 ff. S. auch Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 166 f., der – in sehr geschickter Weise – zeigt, wie durch die Entwicklung der Abwägungsfehlerlehre durch das BVerwG genau dieses Gemeinwohlverständnis zum Tragen kommt: „Hervorgehoben sei noch einmal, dass mit dem Gebot gerechter Abwägung ein Paradigmenwechsel verbunden war: Konflikte und divergierende Interessen und Belange wurden anerkannt und traten in den Mittelpunkt der Dogmatik im Planungsrecht. Die Entscheidung [BVerwGE 34, 301, 309, D.S.] markiert einen Übergang, einen Übergang zu einem modifizierten Verständnis von Staat und Gesellschaft.“ S. zur Gemeinwohldiskussion auch ausführlich unten S. 441 f., 464 ff. und 471 ff. (jeweils zur direkten Demokratie). 222  Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701. 223  Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 278. 224  Für die Raumordnung Jens Kersten, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 427–626, Rn. 29. 225  S. Thomas Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, 1979, S. 4 und allgemein Fritz Scharpf, Planung als politischer Prozess, in: ders., Planung



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der fehlenden konditionalen Determiniertheit,226 da so das Kollektiv, wenngleich nicht der demos, Einfluss auf die demokratisch nur mittelbar durch das Parlament legitimierte Verwaltung nehmen kann. Die Ausübung kollektiver Selbstbestimmung stärkt die durch die finale Konditionierung geschwächte Legitimation. Diese Verknüpfung wird in der deutschen Literatur aufgrund der Vorherrschaft des Denkens in Legitimationsketten nicht gezogen. Wird Beteiligung nämlich grundsätzlich nicht als legitimierend verstanden, so kann auch der durch Beteiligung ausgeübte Einfluss auf die Verwaltung nicht als legitimierend verstanden werden. In der US-amerikanischen Verwaltungsrechtswissenschaft wird hingegen Beteiligung jedenfalls bei der administrativen Normsetzung gerade als Ausgleich für den schwächer werdenden Einfluss des Parlaments und damit als demokratischer Kontrollfaktor betrachtet.227 Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Abwägungsgebots, der ebenfalls auf den kollektiven Selbstbestimmungscharakter von Planung hindeutet, ist die Alternativenprüfung.228 Sie kann grundsätzlich als Alternative auch die „Null-Variante“ umfassen. Darunter ist die Situation zu verstehen, in der das zu planende Vorhaben nicht durchgeführt wird.229 Je weiter oben in der Hierarchie der Planungen die Alternativenprüfung vorgenommen wird, desto freier ist das Planungsorgan. Je weiter unten in der „Planungskaskade“ die Planung vorgenommen wird, desto eingeschränkter ist der Spielraum, da die Festlegungen der oberen Stufen berücksichtigt oder gar beachtet werden müssen. So wird etwa in der Bedarfsplanung das „ob“ schon gesetzlich festgelegt, wie etwa beim Netzausbau durch § 1 Abs. 3 EnLAG, § 1 Abs. 3 ­EnWG.230 Aber selbst hier besteht nach der Rechtsprechung ein so weiter als politischer Prozess: Aufsätze zur Theorie der planenden Demokratie, 1979, S. 33– 72; ders., Die planende Verwaltung in der Demokratie, in: ders., Planung als politischer Prozess: Aufsätze zur Theorie der planenden Demokratie, 1979, S. 114–122. 226  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1361. 227  Hermann Pünder, Democratic Legitimation of Delegated Legislation – A Comparative View on the American, British and German Law, in: International and Comparative Law Quarterly 2009, S. 353–378, 370 f. m. w. N. 228  Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 342 f. S. ausführlich Lieselotte Schiarmann, Alternativenprüfung im Planungsrecht, 1991; Wilfried Erbguth, Recht­ liche Anforderungen an Alternativprüfungen in (abfallrechtlichen) Planfeststellungsverfahren und vorgelagerten Verfahren, NVwZ 1992, S. 209–219. 229  So entschied das BVerwG z. B. für den Bau einer Fernstraße, dass die Planung „dafür offen sein [muss], daß auch die „Null-Variante“ in Frage kommt, auf die Straße also ganz verzichtet wird.“ BVerwG, NVwZ 1998, S. 508–513, 511. 230  Birgit Peters, Die Bürgerbeteiligung nach dem Energiewirtschafts- und Netzausbaubeschleunigungsgesetz – Paradigmenwechsel für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DVBl. 2015, S. 808–815, 808.

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Spielraum, dass selbst die Alternative „Null-Variante“ auf der Planfeststellungsebene noch nicht final ausgeschlossen ist.231 Wiederum zeigt sich der weite Spielraum des Planungsträgers. Schließlich zeigt sich der demokratische Charakter der Planung an der zurückgenommenen Kontrolldichte der Gerichte. Dadurch schützen sie kollektive Selbstbestimmung, indem der Verwaltung ein Raum bleibt, in dem sie frei von Ansprüchen Einzelner kollektive Selbstbestimmung ermöglichen kann.232 Selbst die Anerkennung eines subjektiven Recht auf Abwägung dient weniger dem Schutz individueller Selbstbestimmung als der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, da die Rechtsprechung zum einen nicht so weit geht, aus bloßen Belangen subjektive Rechte zu machen und zum anderen die Gerichte für sich lediglich in Anspruch nehmen, die Grenzen des Planungsspielraums zu überwachen. Nachdem die Gerichte zunächst einen Anspruch auf Abwägung nur in den Fällen bejaht haben, in denen auch subjektive Rechte des Einzelnen abwägungsrelevant waren,233 sind sie später darüber hinaus gegangen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ein subjektives Recht auf Abwägung auch in den Fällen bejaht, in denen es nicht um subjektiv geschützte Rechte des Einzelnen ging, sondern um seine Belange, die in die Abwägung mit eingestellt werden müssen.234 Damit wird nicht der Belang selbst rechtlich geschützt, sondern seine fehlerfreie Abwägung – weshalb auch dieser Belang selbstverständlich zurücktreten kann und ggf. muss. Diese bezüglich von Bebauungsplänen entwickelte Rechtsprechung gilt nunmehr auch im Fachplanungsrecht235 sowie im Raumordnungsrecht236 und lässt sich auf Flächennutzungspläne übertragen.237 Diese Subjektivierung 231  BVerwG, NVwZ 2011, S. 680, 686; BVerwG, NVwZ 2004, S. 732, 733; BVerwG, NVwZ 1998, S. 508, 511: „Der Umstand, daß für die B 15 neu nach der Wertung des Gesetzgebers ein Verkehrsbedarf besteht, berechtigt nicht dazu, von der Prüfung der „Null-Variante“ abzusehen.“ 232  Dazu ausführlich unten S. 412 ff. 233  BVerwGE 48, 56, 59 ff. 234  BVerwGE 107, 215, 200 f.; Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 37 m. w. N. 235  Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 37 m. w. N. 236  Vgl. § 7 Abs. 2 ROG. 237  Dies spricht auch dafür, dass die Rechtsform nicht das Entscheidende ist, dazu s. auch Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 402 ff. Wolf-Rüdiger Schenke, Gerichtliche Kontrolleröffnung gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungs- und Flächennutzungsplänen, in: Wilfried Erbguth/Winfried



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dient gerade weiterhin der kollektiven Selbstbestimmung: Das Bundesverwaltungsgericht betont nämlich, dass „[e]in privater Belang, der in der Abwägung zu berücksichtigen ist, […] durch den drittschützenden Charakter des Abwägungsgebots nicht selbst zum subjektiven Recht [wird] und auch als solcher nicht wehrfähig ist in dem Sinne, dass der Private die Durchsetzung seines Belangs – wie bei einem subjektiven Recht – verlangen könnte. Der Private hat lediglich ein subjektives Recht darauf, dass sein Belang in der Abwägung seinem Gewicht entsprechend ‚abgearbeitet‘ wird. Das Ergebnis ist damit noch offen und kann von der völligen Zurückstellung des Belangs über seine teilweise Berücksichtigung bis zu seiner vollen Durchsetzung führen.“238

Auch durch den Abwägungsspielraum der Verwaltung, der durch die Gerichte nicht überprüft wird, wird kollektive Selbstbestimmung gesichert. Nur bestimmte Fehler der Behörde sind erheblich: Findet eine Abwägung gar nicht statt, liegt ein Abwägungsausfall vor. Wenn nicht alle abwägungserheblichen Belange Berücksichtigung finden, spricht man von einem Abwägungsdefizit. Schließlich darf die Bedeutung der Belange nicht verkannt werden, ansonsten wäre eine Abwägungsfehleinschätzung bzw. -gewichtung gegeben. Schließlich darf der vorgenommene Ausgleich zwischen den Belangen und ihrer objektiven Gewichtigkeit zueinander nicht außer Verhältnis stehen, da sonst der Fehler der Abwägungsdisproportionalität vorläge. Die rechtsstaatliche Interpretation und die demokratische Interpretation des Abwägungsgebots schließen sich nicht aus, sondern zeigen viel mehr die Ambivalenz des Verwaltungshandelns. Damit ein Mindestmaß an Gebundenheit garantiert wird und die Behörde sich nicht als „kleines Parlament“ geriert,239 ist die Betonung der rechtlichen Gebundenheit besonders wichtig. Durch die Betonung des demokratischen Charakters wird dafür deutlich, dass im Bereich der Planung die Verwaltung weite Gestaltungsspielräume besitzt, durch die kollektive Selbstbestimmung verwirklicht wird. Insgesamt führen diese weiten Gestaltungsspielräume zu einer geringen sachlich-inhaltlichen Legitimation. Die organisatorisch-personelle Legitimation nimmt ab, je weiter unten die Planungsstufe angesiedelt ist. Eine unmittelbare grundgesetzliKluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 73–101, 90 ff. 238  BVerwGE 107, 215, 220 f. 239  Christoph Möllers, Materielles Recht – Verfahrensrecht – Organisationsrecht. Zur Theorie und Dogmatik dreier Dimensionen des Verwaltungsrechts, in: HansHeinrich Trute/Thomas Groß/Hans Christian Röhl/ders. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – zur Tragfähigkeit eines Konzepts, 2008, S. 489–512, 496. In der USamerikanischen Literatur ist hier z. T. von „junior varsity parliament“ die Rede, s.  Dominik Steiger, A Constitutional Theory of Imperative Participation – Delegated Rulemaking, Citizens’ Participation and the Separation of Powers Doctrine, Albany Law Review 2016, S. 101–167, 125 f. m. w. N.

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che Normierung der Planung und der Planungsträger, jedenfalls sofern es sich nicht um Parlament oder Regierung handelt, scheidet meist aus, so dass in vielen Fällen weder eine institutionelle noch eine funktionelle Legitimation vorliegt. Partizipation als fünfter Legitimationsmodus spielt hier eine wesentliche Rolle, um die Staatsgewalt zu legitimieren. II. (Bundes-)Bedarfsplanung inkl. Strategischer Umweltprüfung Die Bundesbedarfsplanung wird vom Parlament als Gesetz verabschiedet. Sie beruht im Wesentlichen auf vorbereitenden Plänen, die maßgeblich von der Regierung und von Bundesoberbehörden vorbereitet und beschlossen werden. Neben dem Bundesbedarfsplan für die Energienetze gibt es einen Bedarfsplan für Fernstraßen und einen Bedarfsplan für Schienenwege. Diese Bedarfspläne dienen vor allem kollektiver Selbstbestimmung (1.).240 Der Kreis der Beteiligungsfähigen umfasst die Einzelnen, die zur betroffenen Öffentlichkeit gehören (2.). Die im Beteiligungsverfahren erhobenen Einwendungen sind in der Abwägung zu berücksichtigen (3.). Abschließend zeigt sich im Rahmen der Bewertung, dass die konkrete Ausgestaltung von Partizipation dazu beiträgt, die Legitimation der (Bundes-)Bedarfsplanung zu erhöhen (4.). 1. (Bundes-)Bedarfsplanung als kollektive Selbstbestimmung Im Rahmen der (Fach-)Planung ist die (Bundes-)Bedarfsplanung am äußersten Rand kollektiver und damit demokratischer Selbstbestimmung angesiedelt. Dies zeigen sowohl die oben herausgearbeiteten Indikatoren wie auch die Eigenschaften der Bedarfsplanung für Fernstraßen und Schienenwege (a)) und der Bundesbedarfsplanung für Energienetze (b)). a) Bedarfsplanung Fernstraßen und Schienenwege auf Grundlage des Bundesverkehrswegeplans: Zweistufige Planung Die Bedarfsplanung für Fernstraßen und Schienenwege ist jeweils zweistufig aufgebaut. Das Netz der Bundesfernstraßen wird nach dem Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen, § 1 Abs. 1 S. 2 FStrAbG, ausgebaut, das Schienenwegenetz der Eisenbahnen des Bundes nach dem Bedarfsplan für die Bundesschienenwege, § 1 Abs. 1 BSWAG. Der jeweils aktuelle Bedarfs240  Tobias Leidinger, Bedarfsplanung, in: Herbert Posser/Kurt Faßbender (Hrsg.), Praxishandbuch Netzplanung und Netzausbau: Die Infrastrukturplanung der Energiewende in Recht und Praxis, 2012, S. 47–150, Rn. 543.



Kapitel 5: Die Exekutive181

plan, der als abstrakt-generelles Gesetz durch den Gesetzgeber beschlossen wird, ist für die Bundesfernstraßen am 31. Dezember 2016241 und für die Bundesschienenwege am 29. Dezember 2016242 in Kraft getreten. Die Bedarfspläne werden aus dem Bundesverkehrswegeplan heraus entwickelt, der von der Bundesregierung beschlossen wird, zuletzt im Jahr 2016.243 Die drei Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform“ und „Rechtsschutz“ deuten darauf hin, dass die Bedarfsplanung kollektive Selbstbestimmung ermöglichen soll: Der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen ist dem Fernstraßenausbaugesetz244 gem. dessen § 1 Abs. 1 als Anlage beigefügt und wird als abstrakt-generelles Gesetz vom Parlament beschlossen. Der Bedarfsplan für die Schienenwege ist nach § 1 Abs. 1 Bundesschienenwegeausbaugesetz diesem ebenfalls als Anlage beigefügt. Die Bedarfspläne beruhen in wesentlicher Weise auf dem Bundesverkehrswegeplan, der Schiene und Straße umfasst und den das Bundesministerium für Verkehr und digitale In­ frastruktur aufstellt und das Bundeskabinett als Investitionsrahmenplan erlässt. Seine Aufstellung ist gesetzlich nicht geregelt, sondern beruht auf reiner Verwaltungspraxis.245 Ihm kommt keine Außenwirkung zu und er ist gerichtlich nicht angreifbar, es kommt lediglich eine Verfassungsbeschwerde in Betracht.246 Der Gesetzgeber übernimmt den Bundesverkehrswegeplan in die Bedarfsplanung.247 Die Indikatoren bestätigen somit den kollektiven Selbstbestimmungscharakter der Bundesbedarfsplanung. Eine genauere Untersuchung anhand der Eigenschaften „rechtliche Determiniertheit“, „zeitliche Orientierung“ und „Reichweite“ ergibt das gleiche Ergebnis. Die Bedarfsplanung ist nur in geringem Maße rechtlich vordeter241  Anlage

zu § 1 Absatz 1 Satz 2 FStrAG, BGBl. I 2016, 3354 ff. zu § 1 Absatz 1 BSWAG, BGBl. I, 3221 ff. 243  https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/G/bundesverkehrswege plan-2030-gesamtplan.pdf?__blob=publicationFile. 244  Fernstraßenausbaugesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 2005 (BGBl. I S. 201), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3354). 245  Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466– 475, 467. 246  Für das EnWG s. Anna Henze, § 12e EnWG, in: Christian Theobald/Jürgen Kühling (Hrsg.), Energierecht. Kommentar, 108. Ergänzungslieferung September 2020, Rn. 50. 247  Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512; s. auch Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466– 475, 467 m. w. N.: „Entscheidung des Bundeskabinetts, ob ein bestimmtes Verkehrsprojekt weiter zu planen und zu realisieren ist“. S. auch Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 235. 242  Anlage

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

miniert. Bei der Erstellung von Bundesverkehrswegeplan und Bedarfsplan müssen sich Regierung und Parlament an nur wenige Regeln halten. Formelle Vorgaben bestehen kaum. Neben der nicht außenwirksamen Geschäftsordnung der Bundesregierung und den Gesetzgebungsvorschriften des Bundes ist das 2017 modernisierte Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) zu beachten.248 Dieses enthält die hier entscheidenden Partizipations­ regeln:249 Nach § 53 UVPG n. F. (§ 19b UVPG a. F.). i. V. m. Nr. 1.1. Anlage 5 UVPG n. F. (Anlage 3 UVPG a. F.) ist die Bedarfsplanung für den Verkehr ausdrücklich von der SUP-Pflichtigkeit erfasst. Aufgrund der deutschen Konstruktion, den Bedarfsplan als Gesetz zu verabschieden, findet die Umweltprüfung auf der vorausliegenden Stufe, dem Bundesverkehrswegeplan, statt. Das UVPG enthält vor allem verfahrensrechtliche und weniger materiellrechtliche Vorschriften und bezeugt so den Wandel von der konditional zur final programmierten Verwaltung. Das UVPG, das auf mehreren europäischen Richtlinien, vor allem der UVP-Richtlinie, der SUP-Richtlinie,250 der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL251 sowie der völkerrechtlichen Aarhus-Konvention (AK)252 beruht, schafft ein „rechtlich geordnetes, mehrphasiges Verfahren zur frühzeitigen Ermittlung, Beschreibung und Bewertung aller unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf bestimmte Umweltfaktoren, und zwar einschließlich der ökologischen Wechselwirkungen.“253 Früh und umfassend und integrativ sollen die Umweltauswirkungen ermittelt, beschrieben und bewertet werden (§ 1 Nr. 1 UVPG). Dabei unterscheidet das UVPG zwischen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und einer Strategischen Umweltprü248  Gesetz zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juli 2017, (BGBl. I S. 2808, ber. BGBl. 2018 I S. 472) Die Änderungen hatten zum einen die Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie 2014/52/EU als auch eine Bereinigung des UVPG selbst zum Ziel, s. dazu Peter Schütte/Martin Winkler, Aktuelle Entwicklungen im Bundesumweltrecht, ZUR 2017, S. 375–379, 377. 249  S. ausführlich unten S. 184 ff.; S. 195 ff.; S. 225 ff. 250  Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme. 251  Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/ EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten. 252  Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. Juni 1998, BGBl. II 2006, 1252. 253  Sabine Schlacke, Umweltrecht, 8. Aufl. 2021, § 5 Rn. 62. S. auch Wolfgang Baumann/Alexander Brigola, Von Garzweiler nach Århus – der Netzausbau und das europarechtliche Gebot unmittelbaren Rechtsschutzes, DVBl. 2017, S. 1385–1390.



Kapitel 5: Die Exekutive183

fung (SUP). Während das UVPG eine UVP-Pflicht für Vorhaben mit geringerer persönlicher wie sachlicher „Reichweite“ wie die Errichtung und den Betrieb einer technischen Anlage wie standortbezogene und genehmigungspflichtige Kraftwerke oder Windfarmen, aber auch Brauereien, Abfalldeponien und den Bau von Bundeswasserstraßen und Energietrassen nach § 2 Abs. 4 UVPG n. F. i. V. m. Anlage 1 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 2 UVPG a. F. i. V. m. Anlage 1 UVPG a. F.) vorsieht, bezieht sich die SUP auf Vorhaben, von denen eine größere Wirkung ausgeht. Sie ist nach § 33 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 4 UVPG a. F.) ein unselbständiger Teil behördlicher Verfahren zur Aufstellung oder Änderung von Plänen und Programmen, die von einer Behörde ausgearbeitet oder angenommen werden, von einer Behörde zur Annahme durch eine Regierung oder im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden oder von einem Dritten zur Annahme durch eine Behörde ausgearbeitet werden, §§ 2 Abs. 7 UVPG n. F., 34 ff. UVPG n. F. (§§ 2 Abs. 5, 14a ff. UVPG a. F.). Entsprechend der Anlage 5 zum UVPG n. F. findet die SUP nicht nur Anwendung auf Verkehrswegeplanungen auf Bundesebene einschließlich Bedarfspläne nach einem Verkehrswegeausbaugesetz, sondern auch auf die Raumordnungsplanung nach § 13 ROG n. F. (§ 8 ROG a. F.), auf die Bundesbedarfsplanung nach § 12e EnWG, auf die Bundesfachplanung nach den §§ 4 und 5 NABEG, auf die Lärmaktionsplanung nach § 47d des BImSchG oder auf die Luftreinhalteplanung nach § 47 Abs. 1 BImSchG. Sowohl im Rahmen der UVP als auch der SUP sieht das UVPG jeweils ein freiwilliges sog. „Scoping“-Verfahren vor, § 15 UVPG n. F. (§ 5 UVPG a. F.) bzw. § 39 UVPG n. F. (§ 14f UVPG a. F.). Dabei kann es im Rahmen der Festlegung des Untersuchungsrahmens zu Besprechungen zwischen Behörde und dem Vorhabenträger kommen. Hier steht es im Ermessen der Behörde, ob sie auch Dritte hinzuzieht, § 15 Abs. 3 S. 3 UVPG n. F. bzw. § 39 Abs. 4 S. 3 UVPG n. F. Dabei handelt es sich, u. a. weil der „Scoping“-Termin nicht verpflichtend ist und die Auswahl der Teilnehmer im Ermessen der Behörde steht, nicht um eine Öffentlichkeitsbeteiligung, auch wenn dieser Termin praktisch manchmal so verstanden wird.254 UVP-RL und UVPG schützen neben der individuellen Selbstbestimmung des Einzelnen auch die kollektive Selbstbestimmung der betroffenen Öffentlichkeit. Dies zeigt der 5. Erwägungsgrund der UVP-RL. Hier wird einerseits individuell argumentiert und auf die (Grund-)Rechte des Einzelnen, nämlich seine Gesundheit abgestellt. Ebenfalls einer individuellen Sichtweise verpflichtet ist die UVP-RL, wenn sie auf die Belange des Einzelnen, hier sein Wohlbefinden, abstellt. Andererseits wird die UVP-RL auch kollektiv begründet, indem als Ziel genannt 254  S.  Wolfram Hertel/Christoph-David Munding, „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Planung von Großvorhaben, NJW 2012, S. 2622–2625, 2623. S. dazu auch unten S.  495 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

wird, dass „[b]ei allen technischen Planungs- und Entscheidungsprozessen […] die Auswirkungen auf die Umwelt so früh wie möglich berücksichtigt werden [sollen]“.255 Neben diesen Verfahrensvorschriften, die eine nur geringe Determiniertheit des Gestaltungsspielraums der planenden Staatsorgane vorsehen, ist ins­ besondere das Abwägungsgebot zu beachten. Aufgrund der allgemeinen Fundierung des Abwägungsgebots in der Verfassung gilt es selbst dann, wenn die Abwägung durch den Gesetzgeber vorgenommen wird.256 Das Abwägungsgebot sieht eine zusätzliche Bindung vor.257 Es verpflichtet den Staat, die privaten Belange des Einzelnen zu berücksichtigen und nicht nur seine Rechte und geht damit über den Bereich des Schutzes individueller Selbstbestimmung hinaus. Trotz dieser zusätzlichen Bindung zeigt sich in dem Abwägungsgebot aber auch die besondere Freiheit der Planung.258 Teil des Abwägungsgebots ist dabei auch die Alternativenprüfung, die sich für SUP-pflichtige Vorhaben in § 40 UVPG n. F. (§ 14g UVPG a. F.) findet. Danach sind im Umweltbericht die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen der Durchführung des Plans oder Programms sowie vernünftige Alternativen zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten. Dies verlangt für die Verkehrswegeplanung auch explizit § 53 Abs. 2 UVPG n. F., in dem schon eine „Revolution der Planungskultur“ entdeckt wurde.259 Hier trifft das planende staatliche Organ eine eigene Ermittlungspflicht,260 die sich aber nur auf Alternativen, die „nicht offensichtlich … fernliegen“261 bezieht. Diese Alternativen sollten im besten aller Fälle verkehrsträger-, ggf. sogar technologieübergreifend sein, um so möglichst viele Alternativen anbieten zu kön255  S. Erwägungsgrund (2) der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1). 256  BVerfGE 95, 1, 22 f.; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S.  295 ff. m. w. N. 257  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 304 ff., insbesondere S. 306: „ergänzende Anforderung und damit im Ergebnis eine Verschärfung“; BVerwGE 111, 276, 280 f. 258  S. dazu oben S. 171 ff. 259  Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466–475, 469. 260  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 232. 261  Reinhard Wulfhorst, Die Untersuchung von Alternativen im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung, NVwZ 2011, S. 1099–1103, 1101 f. m. w. N. S. auch die Kritik bei Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 342 f.



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nen.262 Auch hier zeigt sich die geringe „Determiniertheit“ von Regierung und Parlament. Der rechtliche Spielraum für Regierung und Parlament bei der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans und des Bedarfsplans ist nahezu ebenso weit gefasst wie die beim Erlass von Gesetzen, mit den zwei hier hervorgehobenen Besonderheiten: Neben der Geltung des UVPG muss das Abwägungsgebot beachtet werden. Die Bundesbedarfsplanung ist wie alle Planung zukunftsorientiert. Das zeigt sich nicht nur an dem anvisierten Planungszeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren,263 sondern auch und vor allem an dem Wesen der Planung, die gerade Zukunft gestalten will.264 Schließlich ist die „sachliche und personelle Reichweite“ der Bundes­ bedarfsplanung sehr allgemein gefasst. Es geht um die Festlegung einer „grobe[n], schematisierte[n] Linienführung, welche von den örtlichen Besonderheiten der Trasse abstrahiert [und] als ein globales und grobmaschiges Konzept nicht detailgenau ist.“265 Hier wird das „ob“ des Bedarfs festgestellt, das nicht zu verwechseln ist mit der schon weitaus engeren, wenngleich immer noch grundsätzlichen Entscheidung über ein bestimmtes Vorhaben. Zwar besteht keine Außenwirkung des Plans, aber er wirkt auf die nächsten Planungsstufen ein: Nach § 1 Abs. 2 FStrAbG ist die Feststellung des Bedarfs für die Linienbestimmung nach § 16 FStrG und für die Planfeststellung nach § 17 FStrG verbindlich.266 Durch Bedarfspläne wird nämlich die Frage nach der Planrechtfertigung für die unteren Planungsebenen beantwortet.267 Es darf aber auf ihrer Grundlage nicht zu Entscheidungen in der Abwägung kommen, die gegen private oder öffentliche Belange verstoßen.268 Dies ist den späteren Planungsebenen vorbehalten. Zwar betrifft der Bedarfsplan in personeller Hinsicht nicht unmittelbar viele Personen. Mittelbar und poten­ tiell betrifft er hingegen alle in der Bundesrepublik lebenden Menschen. Kollektive Betroffenheit liegt daher zumindest mittelbar vor. Mangelnde Außenwirkung ist überdies ein Zeichen für kollektive Selbstbestimmung, da mangels Außenwirkung noch keine Verletzung individueller Selbstbestim262  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 232. 263  https://www.bmvi.de/DE/Themen/Mobilitaet/Infrastrukturplanung-Investitio nen/Bundesverkehrswegeplan-2030/bundesverkehrswegeplan-2030.html. 264  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, Edition 56 Stand 1. Juli 2020, Rn. 5.1. 265  Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 341. 266  Ebenso für Schienenbahnen § 1 Abs. 2 SchWbG. 267  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 424 m. w. N. 268  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 235; s. auch Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 424.

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mung möglich ist. Außerdem ist der Bedarfsplan sehr allgemein gefasst und sieht z. B. noch keine konkrete Trassenführung vor. Damit weisen neben den Indikatoren auch die Eigenschaften der Bedarfsplanung für Fernstraßen und Schienenwege auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung hin. Dies zeigt sich auch in dem Legitimationsgefüge der Bedarfsplanung: Die organisatorisch-personelle Legitimation ist als hoch einzustufen: Neben dem Gesetzgeber werden das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sowie das Bundeskabinett tätig. Die sachlich-inhaltliche Legitimation fällt entsprechend niedriger aus, da ein sehr weiter Gestaltungsspielraum der Exekutive besteht. b) Bundesbedarfsplanung Netzausbau: Dreistufige Planung Die neueste der Bedarfsplanungen, die Bundesbedarfsplanung für Energienetze, zeichnet sich durch eine dreistufige Planung aus. Zuständig sind Gesetzgeber, Bundesregierung und die Regulierungsbehörde als Bundesoberbehörde. Wesentliche Aufgaben werden auch vom privaten Übertragungsnetzbetreiber übernommen. Ebenso wie bei der Bedarfsplanung für Fernstraßen und Schienen deuten die drei Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform“ und „Rechtsschutz“269 in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung: Die Netzentwicklungsplanung mündete in einem formellen Gesetz, dem 2013 erlassenen Gesetz über den Bundesbedarfsplan.270 Sie läuft in sich dreistufig ab.271 ­ ­Zunächst wird ein Szenariorahmen entwickelt, dann ein Netzentwicklungsplan aufgestellt und schließlich ein Bundesbedarfsplanungsgesetz erlassen (§§ 12a-12e EnWG). Die beiden ersten Stufen werden von den privaten Betreibern und der Regulierungsbehörde gestaltet. Zunächst legen die Übertragungsnetzbetreiber den Szenariorahmen für die Netzentwicklungsplanung der Bundesnetzagentur, einer Bundesoberbehörde,272 vor, die ihn genehmigen muss. Der Szenariorahmen soll die wahrscheinlichen Entwicklungspfade nach den entwicklungspolitischen Zielen der Bundesregierung abbilden.273 Dann müssen die Übertragungsnetzbetreiber gemeinsam alle zwei Jahre einen nationalen Netzentwicklungsplan gemäß § 12b EnWG vorle­ 269  S. dazu

oben S. 144 ff. 2013, S. 2543. 271  Dies ist ähnlich geregelt für die Fernleitungsnetzbetreiber (§§ 15, 15a EnWG). 272  Gabriele Britz, Energie (§ 9), in Michael Fehling/Matthias Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010, S. 429–499, 484. 273  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 229. 270  BGBl. I



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gen,274 der auf dem Szenariorahmen fußt.275 Hier hat auch entsprechend § 12b Abs. 4 EnWG eine Abwägung stattzufinden. Der Netzentwicklungsplan wird dann von der Regulierungsbehörde gem. § 12c EnWG bestätigt. § 12c Abs. 3 EnWG bestimmt, dass die Regulierungsbehörde im Zuge dessen eine SUP durchführen muss. Anschließend nimmt das Bundeskabinett den Netzentwicklungsplan an. Diese Stufenentwicklung endet im Bundesbedarfsplan, den die Bundesregierung auf der Grundlage des Netzentwicklungsplans der Regulierungsbehörde entwirft, beschließt und dann – mindestens alle vier Jahre – dem Gesetzgeber vorlegt (§ 12e Abs. 1 EnWG). Der Bundesbedarfsplan wird also letztlich vom Bundesgesetzgeber als Gesetz erlassen, jedoch von der Regulierungsbehörde vorbereitet – auch hier ist eine SUP durchzuführen, § 35 Abs. 1 Nr. 1 UVPG n. F. i. V. m. Nr. 1.10 Anlage 5 UVPG n.F – und vom Kabinett vorgelegt. Die Feststellungen des Bundesbedarfsplans sind für die Planfeststellung und die Plangenehmigung nach den §§ 43 bis 43d EnWG verbindlich. Ihnen kommt also schon eine erhebliche Rechtswirkung zu. Unmittelbarer Rechtsschutz kommt nur im Wege einer Verfassungsbeschwerde in Betracht.276 Allerdings wird eine unmittelbare Betroffenheit kaum vorliegen. Bestätigt wird dieser Befund kollektiver Selbstbestimmung durch einen näheren Blick auf die drei Eigenschaften „rechtliche Determiniertheit“, „zeitliche Orientierung“ und „Reichweite“ der Entscheidung, die hier in ähnlicher Weise erfüllt sind: Die rechtliche Determiniertheit entspricht der der Straßenund Schienenbedarfsplanung: Verfassungsrecht ist genauso einzuhalten wie die eher weiten Vorgaben des EnWG und des Abwägungsgebots. Zukunftsgerichtet ist Planung immer und auch hier: § 12a EnWG verlangt, dass der Szenariorahmen für einen Zeitraum von mindestens zehn und höchstens fünfzehn Jahren gilt. Schließlich ist auch die „sachliche und persönliche Reichweite“ des Bedarfsplans weit gefasst: Laut § 1 Abs. 2 EnLAG entsprechen die in den Bedarfsplan aufgenommenen Vorhaben den Zielsetzungen des § 1 EnWG. Für diese Vorhaben stehen damit die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf fest (§ 12e Abs. 4 EnWG). Durch das Bundesbedarfsplanungsgesetz wurden insgesamt 36 Anfangs- und Endpunkte für Leitungsvorhaben in der ganzen Bundesrepublik festgelegt. Zudem ist nach § 12c Abs. 4 S. 2 EnWG die Bedarfsplanung für die nachfol274  Zum Inhalt s. Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1005. 275  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 57. 276  Anna Henze, § 12e EnWG, in: Christian Theobald/Jürgen Kühling (Hrsg.), Energierecht. Kommentar, 108. Ergänzungslieferung September 2020, Rn. 50.

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genden Planungsstufen des Planfeststellungsverfahrens förmlich bindend.277 Auch § 1 Abs. 1 EnWG bringt zum Ausdruck, dass die Planung auf die Allgemeinheit abzielt. Ziel des EnWG ist es nämlich, dass eine sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas erreicht wird. Außerdem fällt hier die Entscheidung über das „ob“ des Bedarfs und der Projekte im Generellen. Damit ist mittelbar und potentiell die gesamte Öffentlichkeit betroffen. Wendet man nun den Blick auf das Legitimationsniveau der (Bundes-) Bedarfsplanung, so ist die organisatorisch-personelle Legitimation wiederum als hoch einzustufen: Neben dem Gesetzgeber werden die Bundesregierung und eine Bundesoberbehörde tätig. Die sachlich-inhaltliche Legitimation fällt entsprechend niedriger aus, es bleibt ein sehr weiter Gestaltungsspielraum. Die Bedarfspläne und die ihnen vorgelagerte Planungstätigkeit dienen vor allem der kollektiven Selbstbestimmung und lassen sich von daher am besten als „politische Entscheidungen, die infrastrukturpolitischen Grundentscheidungen demokratische Legitimation verleihen“, bezeichnen.278 Aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums verbleibt viel Raum für legitimationssteigernde Partizipation. 2. Kreis der Beteiligungsfähigen: Öffentlichkeit und betroffene Öffentlichkeit Legitimationssteigernde Partizipation im Rahmen von Entscheidungen, die kollektiver Selbstbestimmung dienen, setzt voraus, dass möglichst viele partizipieren dürfen. Da für die Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans kein besonderes Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren vorgesehen ist, richtet sich dieses hier nach dem UVPG. Zur Auslegung sind auch völker- und europarechtliche Normen der UVP-RL und der völkerrechtlichen Aarhus-Konvention (AK) heranzuziehen, auf denen die deutsche Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem wesentlichen Teil beruht. Hierbei gilt, dass die im UVPG vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung eine Vorbild- und Schrittmacherfunktion besitzt. Auch dann, wenn keine speziellen Öffentlichkeitsbeteiligungsvorschriften vorgesehen sind, ist in vielen Fällen aufgrund des UVPG die betroffene Öffentlichkeit zu beteiligen. Gehen die Beteiligungsvorschriften der Spezial277  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835. 278  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 235. Vgl. auch Roland Fritz/Piet Sellke, Einbeziehung der Bürgerschaft bei Planung und Umsetzung infrastruktureller Maßnahmen, KommJur 2016, S. 248–253, 249.



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gesetze jedoch über die des UVPG hinaus, so entfaltet das allgemeinere UVPG hierfür nach § 1 Abs. 4 UVPG n. F. (§ 4 UVPG a. F.) keine eigenständige Bedeutung. Die Öffentlichkeitsbeteiligung richtet sich daher für den Bundesverkehrswegeplan nach § 42 UVPG n. F. (§ 14i UVPG a. F.), der die Öffentlichkeitsbeteiligung i. R. d. SUP regelt, i. V. m. § 53 UVPG n. F. i. V. m. Nr. 1.1. Anlage 5 UVPG. § 42 UVPG n. F. verweist wiederum auf §§ 18 (Beteiligung der Öffentlichkeit), 19 (Unterrichtung der Öffentlichkeit) und 22 (Erneute Beteiligung der Öffentlichkeit bei Änderungen im Laufe des Verfahrens) UVPG n. F. (§ 9 Abs. 1 bis Abs. 1b UVPG a. F.). Wie auch auf anderen Planungsstufen unterscheidet § 18 Abs. 1 UVPG n. F. (§ 9 Abs. 1 UVPG a. F.) zwischen der Öffentlichkeit, der ein Recht auf Einsicht in die Planunterlagen zukommt (S. 1), und der betroffenen Öffentlichkeit, der ein Recht auf Äußerung und Berücksichtigung ihrer Interessen zukommt (S. 2). Diese Unterscheidung zwischen der Öffentlichkeit und der betroffenen Öffentlichkeit wird zwar nach dem EnWG nicht getroffen. Allerdings findet auf der Beteiligungsstufe nach § 12c Abs. 3 EnWG im Rahmen der Bestätigung des ­Netzentwicklungsplans ebenfalls eine SUP statt, so dass auf diesem Wege die Unterscheidung auch hier greift. Auch § 35 Abs. 1 Nr. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.10 Anlage 5 UVPG n. F. sieht für die Bundesbedarfspläne nach § 12e EnWG eine SUP-Pflicht vor. Auf den vorgelagerten Stufen darf sich die Öffentlichkeit beteiligen (§ 12a Abs. 2 EnWG; § 12b Abs. 3 EnWG). Die Unterscheidung zwischen der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit, die auch als unechte Öffentlichkeitsbeteiligung bezeichnet wird,279 und der Öffentlichkeit, die auch als echte Öffentlichkeitsbeteiligung bezeichnet wird,280 wird im Verwaltungsrecht immer wieder getroffen.281 Wie unterscheiden sich betroffene Öffentlichkeit und Öffentlichkeit voneinander? ­Einen ersten Hinweis gibt § 2 Abs. 8 und Abs. 9 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 6 UVPG a. F.): Danach umfasst die Öffentlichkeit einzelne oder mehrere natürliche oder juristische Personen sowie deren Vereinigungen, die betroffene Öffentlichkeit hingegen jede Person, deren Belange durch eine Entscheidung, 279  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5. 280  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5. 281  Neben diesen Begriffen werden für die Unterscheidung auch andere Begriffe verwendet: „jeder, dessen Belange durch das Vorhaben berührt werden“ (§ 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG); „jedermann“ (§ 12 Abs. 1 9. BImSchV); „die Öffentlichkeit“ (§ 18 Abs. 1 S. 1 UVPG n. F.); „Betroffene“ (§ 73 Abs. 6 S. 1 VwVfG); „betroffene Öffentlichkeit“ (§ 2 Abs. 9 UVPG n. F.; § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG n. F.); „nicht ortsansässige Betroffene“ (§ 17a Nr. 4 FStrG a. F., wurde durch das Planvereinheitlichungsgesetz aufgehoben).

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einen Plan oder ein Programm berührt werden.282 Aufgrund von Art. 2 Abs. 2 der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie ist in den Fällen eines Programms oder eines Plans die Öffentlichkeit (a)) und nicht nur die betroffene Öffentlichkeit (b)) zu beteiligen. Dies ist in § 42 UVPG n. F. entsprechend umgesetzt. a) Echte Öffentlichkeitsbeteiligung: Jeder Einzelne Die Öffentlichkeit wird weithin als jedermann verstanden283 und daher auch als echte Öffentlichkeitsbeteiligung bezeichnet. Z. T. wird darauf verwiesen, dass die Öffentlichkeit eben gerade offen sei und sich einer Bestimmung entziehe.284 Als Rechtsbegriff muss sie sich aber definieren lassen. So könnte an dem eben skizzierten Verständnis von Öffentlichkeit als „jedermann“ problematisch sein, dass sich dann beispielsweise auch Nicht-Deut282  S. dazu auch Karl Ferdinand Gärditz, Klagerechte der Umweltöffentlichkeit im Umweltrechtsbehelfsgesetz, EurUP 2010, S. 210–221; Foroud Shirvani, Öffentlichkeitsbeteiligung bei integrierten Vorhabengenehmigungen nach der IVU-RL, NuR 2010, S. 383–389, 385, 387. 283  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 58; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 182; Ulrich Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, 1992, S. 24; Dieter Czajka, § 10 BImSchG, in: Gerhard Feldhaus (Hrsg.), Bundesimmissionsschutzrecht. Kommentar, Loseblattsammlung Band 1 – Teil II, 216. Lieferung März 2021, Rn. 57; Britta Welke, Die integrierte Vorhabengenehmigung, 2010, S. 266; Barbara Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2007, S. 129; Udo Graffe, Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlichen relevanten Verfahren, 1980, S. 79; Anna-Bettina Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, 2007, S. 71; Michael Kloepfer, Umweltrecht, 4. Aufl. 2016, § 5 Rn. 276; Walter Schmitt Glaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Peter Lerche/ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35–96, 54; Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701; s. auch Christian Walter, Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren und Zugang zu Gerichten – Die Vorgaben des Völker- und Europarechts, in: Wolfgang Durner/ders., Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 7–38, 16. 284  Lothar Michael, Gibt es eine europäische Umweltöffentlichkeit?, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmut Schultze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt, Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 435–451, 440; s. auch Helge Rossen-Stadtfeld, Kontrollfunktionen der Öffentlichkeit, in: Eberhard Schmidt-Aßmann/Wolfgang Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungskontrolle, 2001, S. 117–203, 118; Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 36.



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sche, die noch nie einen Fuß nach Deutschland gesetzt haben, beteiligen dürften. Da die deutsche Regelung auf die Aarhus-Konvention zurückgeht, mag man Staatsangehörige aus diesen Ländern, die keine Vertragsstaaten sind, noch ausschließen, sofern man nicht davon ausgeht, dass hier ein echtes erga omnes wirkendes Menschenrecht auf Beteiligung gewährt werden sollte. Aber Turkmenistan und Tadschikistan sind z. B. Vertragsparteien der AarhusKonvention, so dass Staatsangehörige dieser Länder als „natürliche Personen“ i. S. d. § 2 Abs. 8 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 6 S. 1 UVPG a. F.) gelten müssen, sofern der Anwendungsbereich der Konvention eröffnet ist. Anders als bei der Verfassungsbeschwerde, die auch von jedermann erhoben werden kann, kann hier nicht auf das subjektive Recht, auf das sich berufen wird, also das geltende gemachte Grundrecht, als einschränkendes Merkmal abgestellt werden. Hier gibt es sogar oft kein subjektives Recht, das verletzt sein kann – außer eben das Recht auf Beteiligung selbst.285 Dieses Recht kann als Verfahrensrecht aber keine materielle Beschränkung bieten. Eine Beschränkung auf die Einwohnerschaft im Planungsgebiet, die Eigenschaft als Bürger und damit als Deutscher286 wird in der Aarhus-Konvention nicht vorgenommen. Eine Ausländerbeteiligung entspricht auch Art. 17 GG, nach dem jedermann – und damit auch jeder Ausländer, selbst wenn er nicht in der Bundesrepublik wohnt287 – das Recht besitzt, Petitionen zu verfassen und sie an jede staatliche Stelle zu richten. Außerdem entspricht dies auch Art. 3 Abs. 9 AK, nach dem im Rahmen des Übereinkommens die Öffentlichkeit Zugang zu Informationen, die Möglichkeit der Teilnahme an Entscheidungsverfahren sowie Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten hat, ohne dabei wegen Staatsangehörigkeit, Volkszugehörigkeit oder Wohnsitz benachteiligt zu werden. Allerdings mag § 56 UVPG n. F. (§ 9a UVPG a. F.) als ein Hinweis gegen eine solch weit verstandene Öffentlichkeitsbeteiligung von Ausländern, die im Ausland ansässig sind, verstanden werden. Dort heißt es in Absatz 1, dass sich im Fall erheblicher grenzüberschreitender Auswirkungen die Öffentlichkeit des anderen Staates nach den Regeln der §§ 18 bis 22 UVPG beteiligen 285  Zu der Frage, inwiefern das Beteiligungsrecht ein subjektives Recht ist, s. unten S.  408 ff. 286  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 37 f.; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 182, Barbara Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2007, S. 129, Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar, 11. Aufl. 2015, § 10 Rn. 71; Markus Kaltenborn, Streitvermeidung und Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 2007, S. 55. 287  Hans Hugo Klein/Kyrill-Alexander Schwarz, Art. 17 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 70.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

darf. Daraus könnte im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass nur in diesen Fällen Beteiligungsrechte bestehen. Allerdings dient § 56 UVPG der Umsetzung von Art. 7 Abs. 3 RL 97/11/EG288.289 Diese Norm sieht – entsprechend § 56 Abs. 2 UVPG – Hinwirkungspflichten der nationalen Behörde vor, um die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit zu erleichtern. Art. 7 RL 97/11/ EG sieht hingegen weder Einschränkungen des Begriffs der Öffentlichkeit auf Inländer noch den Ausschluss von Ausländern aus dem Begriff der Öffentlichkeit vor. Ausländer, die im Ausland wohnen, etwa Turkmenen, die in Turkmenistan wohnen und ihr Land auch nie verlassen haben, unterfallen demnach dem Begriff der Öffentlichkeit, sofern der Anwendungsbereich der Konvention eröffnet ist. Dies gilt dann auch für alle EU-Staatsangehörigen sowie die Staatsangehörigen der anderen Aarhus-Konventionsstaaten. b) Betroffene Öffentlichkeit: Jeder in seinen Interessen berührte Einzelne Der Kreis der betroffenen Öffentlichkeit ist notwendigerweise „etwas enger“290 als der der Öffentlichkeitsbeteiligung, aber weiter als derjenigen, die in ihren Rechten betroffen sind – deren Beteiligung ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich.291 Nach § 2 Abs. 9 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 6 S. 2 UVPG a. F.) ist die betroffene Öffentlichkeit292 „jede Person, deren Belange durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt werden“. In Art. 2 Abs. 5 AK wird sie davon abweichend als „die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran“ legal definiert. Wegen dieser Betonung des Interesses wird auch von „Inte­ ressentenbeteiligung“293 gesprochen. 288  Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. 289  Ekkehard Hofmann, § 56 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. Ergänzungslieferung Dezember 2021, Rn. 3. 290  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 38. 291  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 39; Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701. S. dazu noch unten S. 307 ff. 292  S. u. a. auch § 9 Abs. 1 S. 2; § 4a Abs. 3 S. 4 BauGB. 293  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 39 unter Verweis



Kapitel 5: Die Exekutive193

Betroffenheit lässt sich als ein objektives Kriterium verstehen.294 Ein solch objektives Verständnis beruht auf der Überlegung, dass sich die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Verwaltung aufgrund von Umständen, die schon eingetreten sind oder die noch eintreten werden, verdichtet hat.295 Der Raumbezug spielt dabei eine besondere Rolle: Die Betroffenheit liegt daher insbesondere vor, wenn die einwendende Person sich im räumlichen Einzugsbereich des Projekts, das Gegenstand des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens ist, befindet.296 Auf die wahrscheinliche Betroffenheit wird rekurriert, weil man am Anfang der Prüfung eines Verfahrens noch nicht wissen kann, wer am Ende von dem Vorhaben tatsächlich betroffen ist. Die wahrscheinliche Betroffenheit liegt also dann vor, wenn „weder aus tatsächlichen noch rechtlichen Gründen [vorher] auszuschließen ist“, dass eine Betroffenheit vorliegt.297 auf Rüdiger Breuer, Wirksamerer Umweltschutz durch Reform des Verwaltungsverfahrens und Verwaltungsprozessrechts, NJW 1978, S. 1558–1566, 1565 f.; Ulrich Hellmann, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im vertikal gestuften Zulassungsverfahren für umweltrelevante Großvorhaben nach deutschem und europäischem Recht, 1992, S. 24; Anna-Bettina Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung, 2007, S. 71; Walter Schmitt Glaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Peter Lerche/ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35–96, 53; JensPeter Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2013, S. 557–662, Rn. 77. 294  Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 102. 295  Helge Rossen, Vollzug und Verhandlung. Die Modernisierung des Verwaltungsvollzugs, 1999, S. 133; s. auch Peter Häberle, Das Verwaltungsrechtsverhältnis – eine Problemskizze, in: ders., Die Verfassung des Pluralismus. Studien zur Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, 1980, S. 248–285, 254, für das Verwaltungsrechtsverhältnis. 296  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 41; Karl Ferdinand Gärditz, Klagerechte der Umweltöffentlichkeit im Umweltrechtsbehelfsgesetz, EurUP 2010, S. 210–221, 212; zum Raumbezug auch Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 2/109; eher kritisch Walter Schmitt Glaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Peter Lerche/ders./Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35–96, 54 f. 297  BVerwGE 144, 1, LS 2; ebenso Wolfram Hertel/Christoph-David Munding, „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Planung von Großvorhaben, NJW 2012, S. 2622–2625, 2624. In der Schönefeld-Entscheidung des BVerwG vom 31. Juli 2012 (BVerwG 125, 116) hat das BVerwG ausgeführt, dass jedermann Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss erheben kann, der durch die Planung abwägungserheblich betroffen sein könne. Dies sei dann gegeben, wenn dem Kläger im Einwirkungs­ bereich des Flughafens ein Grundstück gehöre und weder aus tatsächlichen noch aus

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Betroffenheit lässt sich zudem auch als subjektives Kriterium verstehen. Dies wird deutlich, wenn wie in Art. 2 Abs. 5 AK auf die Öffentlichkeit mit einem Interesse an den umweltbezogenen Entscheidungsverfahren abgestellt wird.298 Auch der in § 2 Abs. 9 UVPG n. F. gebrauchte Begriff des Belangs wird subjektiv verstanden. Ein Belang ist nach ständiger Rechtsprechung beeinträchtigt, wenn ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art berührt ist.299 Das Interesse wird weit verstanden. Neben einem rechtlichen Interesse reicht auch ein faktisches Interesse aus.300 rechtlichen Gründen ausgeschlossen sei, dass „ein zu seiner Betroffenheit führendes Flugverfahren festgelegt werde“ ebd., S. 2624. Dies ist im Endeffekt jeder, der „im weitesten betroffenen Umkreis des entsprechenden Vorhabens lebt.“ 298  Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 200; Jan Ziekow/Torsten Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 62. S. auch Lothar Michael, Gibt es eine europäische Umweltöffentlichkeit?, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmut Schultze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt, Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 435–451, 440 f. In Bezug auf die deutsche Sprachregelung sieht Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 43 bei den Interessen einen materiellen Einschlag vorliegen, den sie dem subjektiven Einschlag der Betroffenheit gegenüberstellt. 299  VGH Kassel, NVwZ 1986, 680, 682. Z. T. wird der Begriff des „Belanges“ sogar noch weiter gefasst. So sollen alle „wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen, kulturellen, ideellen oder sonstigen nicht unredlichen und deshalb anerkennenswerten eigenen Interessen“ darunter fallen, s. Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 44. Kritisch Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837, die bemängelt, dass bei ideellen Interessen kaum eine Abgrenzung zur Popularbeteiligung bestünde. Sie schlägt vor, dass es eine Popularbeteiligung entsprechend dem Vorbild des BImSchG geben soll, ebd., S. 839 f.; ebenso Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 134; Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5. S. auch Michael Bertrams, Bürgerbeteiligung bei Großprojekten, NWVBl. 2012, S. 289–293, 293; entsprechend dem VGH Kassel auch Barbara Bredemeier, Kommunikative Verfahrenshandlungen im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2007, S. 128; Walter Schmitt Glaeser, Die Position der Bürger als Beteiligte im Entscheidungsverfahren gestaltender Verwaltung, in: Peter Lerche/ders./ Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, S. 35–96, 54; Jens-Peter Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/An­ dreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2013, S. 557–662, Rn. 78. 300  United Nations Economic Commission for Europe, The Aarhus Convention, An Implementation Guide, 1994, S. 40. Zustimmend Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 41.



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Die Stufe des subjektiven Rechts muss daher nicht erreicht sein.301 Umstritten ist, ob ein allgemein faktisches, aber nicht eigenes faktisches Interesse ausreicht.302 Wollte man auf das Erfordernis eines eigenen Interesses verzichten, würde man den Unterschied zwischen betroffener Öffentlichkeit und der Öffentlichkeit nahezu nivellieren. Eine Auslegung eines Begriffs aber, die dazu führt, dass zwei Begriffe, die unterschiedlich legal definiert werden, die gleiche Bedeutung besitzen, verstößt mittelbar gegen die Auslegungs­ maxime ut res magis valeat quam pereat, da so einem der beiden Begriffe kein besonderer Effekt zugemessen wird.303 Um eine Popularbeteiligung auszuschließen,304 die auch von der Aarhus-Konvention nicht gefordert ist,305 wird es um ein eigenes Interesse gehen müssen. Weitere Voraussetzungen bestehen aber nicht, etwa Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit. 3. Beteiligungsverfahren: Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren Wie können sich nun die Öffentlichkeit und die betroffene Öffentlichkeit im Rahmen der (Bundes-)Bedarfsplanung beteiligen und wie wirkt sich das Beteiligungsverfahren auf die staatliche Entscheidung aus? Maßgeblich sind, wie gesehen, die Regeln der Strategischen Umweltprüfung. Die Öffentlichkeitsbeteiligung richtet sich dementsprechend für den Bundesverkehrswegeplan nach § 42 UVPG n. F. i. V. m. §§ 18 ff. UVPG n. F. § 18 UPVG n. F. 301  Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701. 302  S. Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 200 einerseits und Jens-Peter Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2013, S. 557–662, Rn. 88; Wolfgang Appold, § 2 UVPG, in: Werner Hoppe/Martin Beckmann (Hrsg.), UVPG. Kommentar, 5. Aufl. 2018, Rn. 145 m. w. N. andererseits. 303  Dies gilt aber nicht für die Auslegung Interesse und Belange, da hier keine unterschiedliche Legaldefinition vorliegt. 304  Jan Ziekow/Torsten Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 62. Beim Planfeststellungsverfahren wird das insofern deutlich, als die Formulierung „dessen Belange“ auf einen eigenen Belang hindeutet; Werner Neumann, § 73 VwVfG, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2014, Rn. 71 f.; Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 701. 305  S. dazu EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015 – C-137/14. Hier hatte die Europäische Kommission u. a. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO für europarechtswidrig gehalten. Diese Ansicht wurde aber vom EuGH nicht geteilt.

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verweist wiederum auf § 73 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 bis 7 VwVfG, also die Regeln des Anhörungsverfahrens im Planfeststellungsverfahren. Die Beteiligung im Rahmen der Netzentwicklung wird zum einen durch §§ 12a Abs. 2 und 12b Abs. 3 EnWG geregelt, zum anderen – und zwar, wenn es um die Bestätigung des Netzentwicklungsplans durch die Regulierungsbehörde geht – findet sie nach den eben genannten Regeln der SUP statt. Im Folgenden wird daher in einem ersten Schritt das Beteiligungsverfahren im Rahmen einer SUP besprochen (a)), danach wird auf die Spezifika bei der Netzentwicklung eingegangen (b)). a) Beteiligungsverfahren im Rahmen der SUP: Berücksichtigung von (weit gefassten) Umweltbelangen Hinsichtlich des Bundesverkehrswegeplans sollte die nach § 42 UVPG n. F. vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung nach den erklärten Plänen der Bundesregierung ursprünglich erst nach der Konzept-, Prognose- und Bewertungsphase des Bundesverkehrswegeplans306 stattfinden, also zu dem Zeitpunkt, zu dem ein fertiger Referentenentwurf schon vorliegt.307 Dies wurde jedoch als zu spät kritisiert.308 Außerdem wurde eingewandt, dass dies nicht der Voraussetzung entspräche, nach der eine Beteiligung dann stattzufinden habe, „wenn alle Optionen noch offen sind“.309 Im Sinne einer völker- und 306  Zu den verschiedenen Phasen s. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.), Konzept zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2015, Stand: Juni 2012, S. 10, abrufbar unter www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet/bvwp-konzeptÖffentlichkeitsbeteiligung.pdf?__blob=publicationFile. 307  Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.), Konzept zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2015, Stand: Juni 2012, S. 9, abrufbar unter www.bmvi.de/SharedDocs/DE/ Anlage/VerkehrUndMobilitaet/bvwp-konzept-Öffentlichkeitsbeteiligung.pdf?__blob =publicationFile. 308  Vgl. Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466– 475, 472 m. w. N. in beide Richtungen: Christof Sangenstedt, Die Umsetzung der SUP durch das SUP-Gesetz, in: Wilfried Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, 2006, S.  77–96, 89 f.; Michael Sauthoff, Die SUP im Straßenrecht, in: Wilfried Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, 2006, S. 109–134, 118 f., 133; Sven Schicketanz, Die Öffentlichkeitsbeteiligung der Strategischen Umweltprüfung zum Bundesverkehrswegeplan, UVP Report 2009, S. 245–253, 249; Carolin Schäfer-Sparenberg/Daniel Bongardt/Holger Dalkmann, Neue Wege für das Land. Strategische Umweltprüfung für eine zukunftsfähige Bundesverkehrswegeplanung, 2003, S. 163. 309  Dies verlangt Art. 6 Abs. 4 Aarhus Konvention; Art. 8 Abs. 1 Aarhus Konvention.



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europarechtskonformen Auslegung ist entsprechend früh anzusetzen.310 Dementsprechend hatte das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur ein Beteiligungsverfahren nach der Konzeptionsphase eingeführt und den Entwurf des Grundkonzepts311 veröffentlicht und zu Stellungnahmen eingeladen. Es wurde ein Bericht über die Beteiligung veröffentlicht.312 Insgesamt haben sich im Laufe dieses Online-Beteiligungsverfahrens ca. 100 natürliche Personen beteiligt, deren Stellungnahmen laut Ministerium in die Abwägung eingeflossen sind.313 Hier ging es um grundlegende Fragen, etwa, ob grundsätzlich der Erhalt von Straßen und Schienen vorrangig vor Aus- und Neubau zu behandeln sei. Im Jahr 2016 wurde der Bundesverkehrswegeplan 2030 schließlich vom Kabinett beschlossen, er soll bis 2030 gelten (und firmierte bis 2016 noch als Bundesverkehrswegeplan 2015). Die vom Gesetz vorgesehene und nicht lediglich freiwillige Öffentlichkeitsbeteiligung nach UVPG findet gemäß §§ 42 i. V. m. 18 und 19 UVPG n. F. i. V. m. § 73 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 bis 7 VwVfG auf der Ebene der Aufstellung der Pläne statt. Bevor die Pläne ausgelegt werden, muss die Auslegung vorher ortsüblich bekannt gemacht werden (§ 73 Abs. 5 VwVfG). Was eine ortsübliche Bekanntmachung darstellt, ist dem Bundes-, Landes- oder Ortsrecht zu entnehmen.314 Dies kann u. U. die alleinige Veröffentlichung im 310  S. ausführlich Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466– 475, 472 m. w. N. in beide Richtungen: Christof Sangenstedt, Die Umsetzung der SUP durch das SUP-Gesetz, in: Wilfried Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, 2006, S.  89 f.; Michael Sauthoff, Die SUP im Straßenrecht, in: Wilfried Erbguth (Hrsg.), Strategische Umweltprüfung – Stand, Rechtsfragen, Perspektiven, 2006, S. 109–134, 118 f., 133; Sven Schicketanz, Die Öffentlichkeitsbeteiligung der Strategischen Umweltprüfung zum Bundesverkehrswegeplan, UVP Report 2009, S. 245–253, 249; Carolin SchäferSparenberg/Daniel Bongardt/Holger Dalkmann, Neue Wege für das Land. Strategische Umweltprüfung für eine zukunftsfähige Bundesverkehrswegeplanung, 2003, S. 163. 311  Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan 2015, abrufbar unter https://bundv.bund.de/sharedDocs/ DE/Anlage/6/BVWP/bvwp-2015-grundkonzeption-letzteFassung.html. 312  Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bericht zum Konsultationsverfahren zur Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans 2015. Zusammenfassende Dokumentation der Stellungnahmen und deren Berücksichtigung, abrufbar unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/BVWP/bvwp-2015-berichtkonsultationsverfahren-grundkonzeption.pdf?__blob=publicationFile. 313  Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bericht zum Konsultationsverfahren zur Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans 2015. Zusammenfassende Dokumentation der Stellungnahmen und deren Berücksichtigung, abrufbar unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/BVWP/bvwp-2015-berichtkonsultationsverfahren-grundkonzeption.pdf?__blob=publicationFile, S.  5 f. 314  Norbert Kämper, §  73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 42; BVerwG, NVwZ 1998, S. 847, 848.

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Bekanntmachungsteil eines amtlichen Anzeigers sein. Eine Veröffentlichung in Tageszeitungen ist nicht unbedingt notwendig.315 In jedem Fall findet auch § 27a VwVfG Anwendung. Dieser enthält eine Sollvorschrift, nach der immer dann, wenn eine öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachung angeordnet ist, diese auch über das Internet veröffentlicht werden soll. Dazu gehört nicht nur die Bekanntmachung selbst, sondern in dem Fall, dass sich die Bekanntmachung auf zur Einsicht auszulegende Unterlagen bezieht, auch diese Unterlagen selbst.316 Mit der Modernisierung des UVP im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber auch spezielle Regeln hinsichtlich der Bekanntmachung im Internet normiert. So richten nach § 20 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F. Bund und Länder zentrale Internetportale für die Zugänglichmachung des Inhalts der Bekanntmachung nach § 19 Abs. 1 UVPG n. F. und der nach § 19 Abs. 2 UVPG n. F. auszulegenden Unterlagen ein. Daneben wurde die Verpflichtung der zuständigen B ­ ehörde, den Inhalt der Bekanntmachung nach § 19 Absatz 1 und die in § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 UVPG n. F. genannten Unterlagen über das einschlägige zentrale Internetportal zugänglich zu machen (§ 20 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F.), normiert. Die Bekanntmachung muss dabei das Vorhaben ebenso wie die Beteiligungsmöglichkeiten klar und eindeutig bezeichnen. Entscheidend ist es, dass es die nötige Anstoßwirkung entfaltet.317 Eine Vorlauffrist ist nicht mehr vorgesehen, so dass auch eine Bekanntmachung, die einen Tag vor der Auslegung erfolgt, ausreichend sein soll.318 In der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, wo und in welchem Zeitraum der Plan zur Einsicht ausgelegt ist; dass etwaige Einwendungen oder Stellungnahmen von Vereinigungen bei den in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stellen innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen sind; dass bei Ausbleiben eines Beteiligten in dem Erörterungstermin auch ohne ihn verhandelt werden kann. Danach müssen die Pläne angemessene Zeit ausliegen, also mindestens einen Monat, § 42 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F. (§ 14i Abs. 2 S. 1 UVPG a. F.). Die Auslegungs-

315  Norbert Kämper, §  73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 42, unter Verweis auf BVerfG, NVwZ 2000, S. 546, 547. 316  S. dazu auch Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Planvereinheitlichungsgesetz. Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2013, S. 745–754, 749. 317  Norbert Kämper, §  73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 42; BVerwG, NVwZ 1998, S. 847. 318  Norbert Kämper, §  73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 42, unter Verweis auf OVG NRW Urt v 12. März 2009 – 20 D 60/07.AK, S. 9.



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frist ist damit nach oben hin variabel und abhängig von „Umfang und Schwierigkeit der Planung, d[er] Komplexität des Umweltberichts sowie d[er] Art bzw. Intensität der zu erwartenden Umweltauswirkungen“.319 Die Äußerungsfrist beträgt ebenfalls mindestens einen Monat nach Ende der Auslegungsfrist und ist damit grundsätzlich verlängerbar, § 42 Abs. 3 S. 2 UVPG n. F. (§ 42 Abs. 3 S. 1 UVPG). Andere Regeln sieht § 12c Abs. 3 EnWG vor, danach beträgt die Auslegungsfrist sechs Wochen, die Äußerungsfrist einen Monat. Die Auslegungsorte sind nach § 42 Abs. 2 S. 2 UVPG n. F. (§ 14i Abs. 1 S. 2 UVPG a. F.) so festzulegen, dass eine wirksame Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit gewährleistet ist. Dabei ist auf Art und Inhalt des Plans oder Programms abzustellen. Für die Bundesbedarfsplanung Netzentwicklung sieht § 12c Abs. 3 EnWG vor, dass die Unterlagen am Sitz der Regulierungsbehörde auszulegen sind und darüber hinaus auf ihrer Internetseite öffentlich bekannt zu machen sind. Ein Erörterungstermin im Falle einer SUP-Pflichtigkeit ist nur erforderlich, soweit Rechtsvorschriften des Bundes dies für bestimmte Pläne und Programme vorsehen (§ 42 Abs. 3 S. 5 UVPG n. F. (§ 14i Abs. 3 S. 3 UVPG a. F.)). Hingegen ist im Fall einer UVP-Pflichtigkeit ein Erörterungstermin grundsätzlich vorgesehen, es sei denn, es läge ein Fall des § 67 Abs. 2 VwVfG vor, der enge Ausnahmen vom Gebot der mündlichen Verhandlung im förmlichen Verwaltungsverfahren vorsieht320 (§ 18 Abs. 1 S. 4 UVPG n. F. i. V. m. § 73 Abs. 6 S. 7 VwVfG i. V. m. § 67 Abs. 2 VwVfG). Die Einwendungen der Öffentlichkeit müssen sich dabei auf die Umweltauswirkungen des Vorhabens beziehen, d. h. auf die Auswirkungen auf die Schutzgüter des § 2 Abs. 1 UVPG, also auf Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt; die Fläche, den Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft; das kulturelle Erbe und sonstige Sachgüter sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenann-

319  Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 15; ebenso Heinz-Joachim Peters/Stefan Balla/ Thorsten Hesselbarth, UVPG. Handkommentar, 4. Aufl. 2019, § 42 Rn. 6. Dabei sei auf den Empfängerhorizont der Öffentlichkeit abzustellen. 320  Eine mündliche Verhandlung ist immer dann nicht notwendig, wenn 1. einem Antrag im Einvernehmen mit allen Beteiligten in vollem Umfang entsprochen wird; 2. kein Beteiligter innerhalb einer hierfür gesetzten Frist Einwendungen gegen die vorgesehene Maßnahme erhoben hat; 3. die Behörde den Beteiligten mitgeteilt hat, dass sie beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, und kein Beteiligter innerhalb einer hierfür gesetzten Frist Einwendungen dagegen erhoben hat; 4. alle Beteiligten auf sie verzichtet haben; 5. wegen Gefahr im Verzug eine sofortige Entscheidung notwendig ist.

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ten Schutzgütern.321 Diese sind weit gefasst, so können selbst Vermögensschäden hierunter fallen.322 Nach § 43 Abs. 1 UVPG n. F. (§ 14k Abs. 1 UVPG a. F.) überprüft die zuständige Behörde nach Abschluss der Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung die Darstellungen und Bewertungen des Umweltberichts unter Berücksichtigung der ihr nach den §§ 41, 42, 60 Abs. 1 und § 61 Abs. 1 UVPG n. F. (§§ 14h bis 14j UVPG a. F.) übermittelten Stellungnahmen und Äußerungen, die sich nach § 2 UVPG auf umweltrelevante Belange beziehen müssen. Nach § 43 Abs. 2 UVPG n. F. ist das Ergebnis der Überprüfung nach Absatz 1 im Verfahren zur Aufstellung oder Änderung des Plans oder Programms zu berücksichtigen. Die Berücksichtigungspflicht verlangt, dass der Staat die Beteiligungsergebnisse „zur Kenntnis zu nehmen, […] in Erwägung zu ziehen und mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen“ hat.323 Durch die Pflicht, die Belange und Interessen der Einzelnen mit in die Abwägung einzustellen, kommt der Beteiligung ein besonderes Gewicht zu. Dabei zählt die Behörde nicht die Für- und Gegenstimmen, sondern nimmt die Argumente auf, die selbstverständlich auch gegenläufig sein können und meist sein werden. Es geht hier um einen Diskurs, die Offenheit der Behörde für neue oder nunmehr anders gewichtete Argumente, die es in die Abwägung einzustellen gilt und die das Ergebnis beeinflussen und ändern können. Es kommt für die Abwägung darauf an, wie der Gemeinschaft und dem Einzelnen am besten gedient ist,324 letztlich geht es also um die Abwägung von öffentlichen Interessen und privaten Belangen. Schließlich sieht das UVPG auch Regeln zur Nachsorge vor. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 UVPG n. F. (§ 14l Abs. 1 S. 1 UVPG a. F.) ist die Annahme oder Ablehnung eines Plans oder Programms öffentlich bekannt zu machen. Dies entspricht dem rechtsstaatlichen Publizitätsgebot.325 § 44 Abs. 2 UVPG n. F. (§ 14l Abs. 2 UVPG a. F.) geht darüber hinaus. Danach sind nach Annahme des Plans oder Programms folgende Informationen zur Einsicht auszulegen: der angenommene Plan/das angenommene Programm sowie eine zusammenfassende Erklärung, wie erstens Umwelterwägungen in den Plan/das Pro321  Ekkehard Hofmann, § 18 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 13. 322  Ekkehard Hofmann, § 18 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 13; EuGH v. 14. 3. 2013, Rs. C-420/11, Rz. 30, 36. 323  Christof Federwisch, § 187 BauGB, in: Willy Spannowsky/Michael Uechtritz (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 51. Edition Stand: 1. November 2018, Rn. 5. 324  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 18. 325  Karl Ferdinand Gärditz, § 14l UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 1.



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gramm einbezogen wurden, wie zweitens der Umweltbericht nach § 40 UVPG n. F. (§ 14g UVPG a. F.) sowie die Stellungnahmen und Äußerungen nach den §§ 41, 42, 60 Abs. 1 und § 61 Abs. 1 UVPG n. F. (§§ 14h bis 14j UVPG a. F.) – und damit auch die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 42 UVPG n. F. (§ 14i UVPG) – berücksichtigt wurden, drittens aus welchen Gründen der angenommene Plan/das angenommene Programm nach Abwägung mit den geprüften Alternativen gewählt wurde und schließlich eine Aufstellung der Überwachungsmaßnahmen nach § 45 UVPG n. F. (§ 14m UVPG a. F.). Diese Nachsorge dient dazu, dass der Bürger erkennen kann, dass der Beteiligungsprozess von der Behörde ernst genommen wurde, die Stellungnahmen berücksichtigt wurden und so Einfluss auf die Behördenentscheidung genommen wurde. So steigert Nachsorge durch Transparenz und die damit verbundene Eröffnung einer Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit die effektive Funktionalität der Öffentlichkeitsbeteiligung.326 Für dieses Verfahren, das vom Staat verlangt, dass er ein bestimmtes Vorhaben bekannt macht und dem Einzelnen erlaubt, Einwendungen gegen dieses Vorhaben vorzubringen, die dann im Folgenden Berücksichtigung finden müssen, wurde im Deutschen noch kein prägnanter Name gefunden. Im USamerikanischen Raum ist es als Notice-and-Comment-Verfahren bekannt.327 Im Deutschen steht neben der Einwendungsbefugnis des Einzelnen die Berücksichtigungspflicht der Exekutive im Mittelpunkt. Deshalb bietet sich hier als Name das „Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren“ an. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Einzelne sich beteiligen darf, und dass der Staat diese Einwendungen nicht einfach übergehen darf, sondern sie in seiner Abwägung zu berücksichtigen hat. b) Bundesbedarfsplanung Netzausbau: Weitergehende – und frühere – Beteiligungsmöglichkeiten Anders als bei dem Bundesverkehrswegeplan sieht die Bundesbedarfsplanung Netzausbau zwei, nämlich auf Ebene des Netzentwicklungsplans als auch auf Ebene des Bedarfsplans, verpflichtende Beteiligungen im Rahmen der SUP vor. Diesen beiden Öffentlichkeitsbeteiligungen gehen sogar zwei weitere, sehr früh gelagerte, Öffentlichkeitsbeteiligungen vor, zum einen i. R. d. der Entwicklung des Szenariorahmens, zum anderen i. R. d. des Netzentwicklungsplanentwurfs durch die Netzbetreiber. 326  Vgl. Karl Ferdinand Gärditz, § 14l UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 6 f. 327  S. dazu ausführlich Dominik Steiger, A Constitutional Theory of Imperative Participation – Delegated Rulemaking, Citizens’ Participation and the Separation of Powers Doctrine, Albany Law Review 2016, S. 101–167.

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Diese beiden Verfahren sind aber weitaus weniger intensiv geregelt als die sich anschließenden SUP-Verfahren. Die Betreiber von Übertragungsnetzen mit Regelzonenverantwortung stellen den Szenariorahmen auf ihre Homepage und geben der Öffentlichkeit die Gelegenheit, sich zu äußern (§ 12a Abs. 2 EnWG).328 Die Regulierungsbehörde genehmigt dann den Szenario­ rahmen nach den Änderungen und berücksichtigt dabei gem. § 12a Abs. 3 EnWG die Öffentlichkeitsbeteiligung. Dieses Verfahren fand erstmals 2011 im Rahmen eines von der Bundesnetzagentur organisierten Workshops statt. Verbände, Experten, Umweltverbände, Bürgerinitiativen und Bürger, die „sich überwiegend fachlich fundiert mit dem Entwurf des Szenariorahmens auseinandergesetzt haben,“329 erhoben hier Einwendungen, die sich nicht nur auf umweltrelevante Sachbereiche beziehen dürfen, sondern auf alle mit dem Netzausbau zusammenhängende und auf ihn einwirkende Fragen. Die Ergebnisse wurden dokumentiert und sind nach Aussagen der Übertragungsnetzbetreiber „in das Genehmigungsverfahren des Szenariorahmens“330 eingeflossen. Der aus dem Szenariorahmen zu entwickelnde Netzentwicklungsplan muss ebenfalls durch die Betreiber von Übertragungsnetzen mit Regelzonenverantwortung nach Fertigstellung selbst ins Netz gestellt werden. Dadurch wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sich noch vor der Einreichung des Entwurfs bei der Regulierungsbehörde zu beteiligen (§ 12b Abs. 3 EnWG). Im Rahmen des Beteiligungsverfahrens für den 2012 erstellten Netzentwicklungsplan nahmen knapp 2.000 Einzelpersonen Stellung. Der Fokus der Einwendungen lag auf ganz grundsätzlichen Erwägungen der Entwicklung der Rahmenbedingungen und der Gestaltung des Netzausbaus. Häufig wurde das Thema Erdverkabelung angesprochen, konkrete Trassenverläufe werden oft mit gesundheits- und naturschutzbasierter Argumentation in Frage gestellt.331 Gem. § 12b Abs. 4 EnWG besteht eine indirekte Berücksichtigungspflicht des Netzbetreibers. Er muss in dem der Regulierungsbehörde vorzulegenden Entwurf des Netzentwicklungsplans begründen, warum 328  Allerdings wird von Annette Guckelberger, paraphrasiert von Tom Pleiner, Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, Tagungsbericht, DVBl. 2012, S. 1552– 1553, 1553, eingewandt, dass es an dieser Stelle für die Öffentlichkeit sehr schwer sei, sich fundiert zu äußern. 329  Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1009. 330  Netzentwicklungsplan 2012, 2. Entwurf, S. 15; abrufbar unter https://www. netzentwicklungsplan.de/sites/default/files/paragraphs-files/nep_2012_2_entwurf_ teil_1_kap_1_bis_8.pdf. 331  Netzentwicklungsplan 2012, 2. Entwurf, S. 173 abrufbar unter https://www. netzentwicklungsplan.de/sites/default/files/paragraphs-files/nep_2012_2_entwurf_ teil_1_kap_1_bis_8.pdf.



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andere Alternativen abgelehnt wurden und wie mit den Ergebnissen der Beteiligung umgegangen wurde.332 Dies ist die zweite Öffentlichkeitsbeteiligung, an die sich dann die Prüfung des Netzentwicklungsplans durch die Behörde anschließt. Im Rahmen der Prüfung des Netzentwicklungsplans findet dann die dritte Öffentlichkeitsbeteiligung statt, da hier nun eine Strategische Umweltprüfung vorzunehmen ist. Im Jahre 2012 gab es zum ersten Mal einen solchen Entwurf mit mehr als 1.500 Einwendungen.333 Daran schließt sich die Entwicklung des Bundesbedarfsplans an. Eine jeweils zu berücksichtigende Öffentlichkeitsbeteiligung findet also insgesamt vier Mal statt, bevor das Parlament den Bedarfsplan beschließt: zum einen im Rahmen der Erstellung des Szenariorahmens für die Netzentwicklungsplanung (§ 12a EnWG), bei der Erarbeitung des Netzentwicklungsplans durch die Betreiber von Übertragungsnetzen (§ 12b Abs. 3 EnWG) sowie bei der SUP i. R. d. Erstellung des Netzentwicklungsplans als auch des Bundesbedarfplans durch die Bundesnetzagentur (§ 12c EnWG bzw. § 12e EnWG i. V. m. § 35 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 1.10 Anlage 5 UVPG n. F.). Der von der Regulierungsbehörde bestätigte Bundesbedarfsplan wird schließlich an die Bundesregierung weitergeleitet, die ihn dem Gesetzgeber vorlegt (§ 12e EnWG). Nachdem die Bundesregierung den Bundesbedarfsplan erhalten hat, findet entsprechend den herkömmlichen Gesetzgebungs­ regeln des Grundgesetzes keine Öffentlichkeitsbeteiligung mehr statt. 4. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform Dadurch, dass die Bedarfsplanung kollektive Selbstbestimmung ermöglichen soll, folgt aus der Theorie der imperativen Partizipation, dass auf Partizipationsebene alle betroffenen Individuen sich beteiligen und mitwirken dürfen. Dies ist de lege lata auch der Fall: Aus der Zuordnung der staat­ lichen Entscheidung zum Bereich der kollektiven Selbstbestimmung folgt eine möglichst umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung. Der Kreis der Beteiligten ist entsprechend weit gefasst, wenngleich sich nicht jeder Einzelne beteiligen darf. Der Grund für die Beschränkung der Beteiligung auf die 332  Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1005. 333  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 53 f.

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betroffene Öffentlichkeit bleibt opak.334 Je weiter oben in der „Planungskaskade“ eine Planungsebene angesiedelt ist, desto abstrakter ist sie. Dementsprechend ist die Abgrenzung zwischen Öffentlichkeit und betroffener Öffentlichkeit noch schwieriger als auf den unteren Planungsebenen. Dies gilt vor allem bei der Bedarfsplanung, die nahezu jeden in der Bundesrepublik betrifft. Aufgrund dieser Abgrenzungsschwierigkeiten verzichtet die Verwaltungspraxis oft auf den Vollzug der gesetzlichen Unterscheidung. So heißt es im Leitfaden des Bundesumweltamtes zur Strategischen Umweltprüfung, dass die Unterscheidung aufgrund des hohen Aufwands vernachlässigbar sei.335 Der Begriff der Betroffenheit ist damit nicht nur weit gefasst, sondern wird flexibel gehandhabt. Weit gefasst ist der Kreis der Beteiligten auch deshalb, weil im Rahmen der Teilhabe nicht aufgrund von Wohnsitz und Staatsangehörigkeit diskriminiert werden darf.336 Der Kreis der Beteiligten geht teilweise sogar über den auf Legislativebene zu Beteiligenden hinaus und mag so aus demokratietheoretischen Erwägungen problematisch erscheinen.337 Ein solch weites Verständnis der Öffentlichkeit ist nach dem sog. „Legitimationskettenmodell“ aber jedenfalls dann rechtlich unproblematisch, solange lediglich eine Mitwirkung, nicht aber eine Mitentscheidung verlangt wird. Schon eher mag das partizipative Demokratieverständnis Schwierigkeiten mit einer solchen weiten Auslegung des Öffentlichkeitsbegriffes haben, da hier als Kriterien grundsätzlich die Rechtsunterworfenheit oder die Betroffenheit ausgemacht werden.338 Dies gilt aber nicht, wenn sich die betroffene Öffentlichkeit beteiligen darf, sondern höchstens dann, wenn sich die echte Öffentlichkeit, also auch nicht Betroffene beteiligen dürfen. Da die hier entwickelte Theorie der imperativen Partizipation Demokratie und kollektive Selbstbestimmung eng verknüpft, aber gleichzeitig die alleinige Entscheidungshoheit des Staates entsprechend dem Legitimationskettenmodell 334  Die

Gesetzesbegründung geht auf diese Frage nicht ein, BT Drs. 15/3441. Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 838 m. w. N. 336  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 48; Thomas Bunge, Beteiligung in umweltbezogenen Verwaltungs- und vergleichbaren Verfahren, in: Sabine Schlacke/Christian Schrader/ders., Informationsrechte, Öffentlichkeits­ beteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, 2. Aufl. 2019, S. 185–440, 310. S. für die Klagebefugnis (und damit verallgemeinerbar) BVerwG, NVwZ 2009, S. 452, 454. 337  S. zur Frage der Beteiligung von Ausländern bei Wahlen oben S. 136. 338  Thomas Groß, Grundlinien einer pluralistischen Interpretation des Demokratieprinzips, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 93–101, 99; Enrico Peuker, Bürokratie und Demokratie in Europas – Legitimität im Europäischen Verwaltungsverbund, 2011, S. 150; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 371 ff. 335  Annette



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für rechtlich geboten hält, steht die Theorie der imperativen Partizipation vor keinen Schwierigkeiten, sofern den Einzelnen keine Mitentscheidungsbefugnisse, sondern wie hier Einwendungsrechte eingeräumt werden. Genau das ist hier der Fall: Die Entscheidungshoheit verbleibt beim Staat, der zur Entscheidung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist.339 Deshalb ist die Einbindung von Ausländern, unabhängig davon, ob es sich um EUoder Drittstaatsangehörige handelt, verfassungsrechtlich unproblematisch möglich. Die betroffene Öffentlichkeit darf nicht entscheiden, jedoch müssen ihre Einwendungen berücksichtigt werden. Das durch die UVP-RL entwickelte Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren ermöglicht kollektive Selbstbestimmung durch Einzelne innerhalb der Verwaltung und steigert die Legitimation staatlicher Entscheidungen in einem Bereich, in dem aufgrund der finalen Programmierung der Verwaltung ihre sachlich-inhaltliche Legitimation gering ist. Dass Öffentlichkeitsbeteiligung schon auf der Ebene der (Bundes-)Bedarfsplanung stattfindet, ist deshalb wichtig, weil hier über die Frage entschieden wird, „ob“ überhaupt ein Bedarf besteht.340 Diese entscheidende Weichenstellung ist ein wesentlicher Bestandteil kollektiver Selbstbe­ stimmung. Im Detail ist jedoch einiges zu kritisieren. Maßstab dieser Kritik ist die effektive Wirksamkeit von Beteiligung (vgl. auch § 42 Abs. 2 S. 2 UVPG n. F.).341 Entscheidend ist, ob die Beteiligung Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann. Nach diesem Maßstab setzt die Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bedarfsplanung Schiene und Fernstraße, die erst nach der Konzept-, Prognose- und Bewertungsphase vorgesehen ist, zu spät an,342 da schon ein fertiger und in sich abgestimmter Planentwurf vorliegt.343 Deshalb ist es richtig, dass auch bei der Bedarfsplanung Schiene und Fernstraße eine weitere Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt wurde. Eine frühe freiwillige Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Bedarfsplanung entspricht der Forderung nach einer zweistufigen Öffentlichkeitsbeteiligung, die zum einen nach Ende der konzeptionellen Phase und zum anderen nach Fertigstellung des 339  Eckart Hien, Bürgerbeteiligung im Spannungsfeld der Gewaltenteilung, DVBl. 2014, S. 495–498, 497, unter Verweis auf BVerwG, DVBl. 2011, S. 1021. 340  Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466– 475, 467; Martin Burgi, Das Bedarfserörterungsverfahren: Eine Reformoption für die Bürgerbeteiligung bei Grossprojekten, NVwZ 2012, S. 277–280, 278. 341  S. dazu auch oben S. 195 ff. 342  S. auch unten S. 493 ff. 343  S. aber Wolfgang Durner, Möglichkeiten der Verbesserung förmlicher Verwaltungsverfahren am Beispiel der Planfeststellung, ZUR 2011, S. 354–363, 357, der lobend hervorhebt, dass mit der SUP eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt wurde.

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Entwurfs stattfinden soll.344 Allerdings beruht sie auf freiwilliger Basis. Sie sollte gesetzlich festgeschrieben werden. Wirklich beispielhaft ist in diesem Zusammenhang die Beteiligung nach dem EnWG.345 Vor der Beteiligung nach § 42 UVPG n. F. ist nicht nur eine einfache, sondern eine zweifache Beteiligung vorgesehen, die von den Netzbetreibern durchgeführt wird und besonders früh ansetzt. Diese umfassende und frühe Informierung und Beteiligung dient der Wirksamkeit von Beteiligung. Die Auslegungsfrist bei der Bedarfsplanung Schiene und Fernstraße von einem Monat wäre als starre Frist zu kurz gefasst, weil sie so der Beteiligung abträglich sein kann. Allerdings ist es in das Ermessen der Behörde gestellt, ob sie die Auslegungsfrist über einen Monat hinaus verlängern möchte, § 42 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F. Der Öffentlichkeit muss ausreichend Zeit bleiben, damit sie sich möglichst fundiert beteiligen kann. Hier muss das Wort „mindestens“ ausreichend Beachtung finden. Dass längere Fristen grundsätzlich möglich sind, zeigt sich an der gesetzlich vorgesehenen längeren Auslegungsfrist von sechs Wochen nach § 12c EnWG. Hieran sollte sich auch die Bedarfsplanung Schiene und Fernstraße orientieren. Die Art und Weise der Bekanntmachung, der Auslegung und der Beteiligung muss ebenfalls dem Zweck der Beteiligung dienen. So ist besonders die Wahl des Auslegungsorts relevant. Dabei ist entscheidend, ob es den zu Beteiligenden erschwert oder erleichtert wird, sich zu beteiligen. Von § 42 Abs. 2 S. 2 UVPG n. F. wird zwar relativ allgemein, aber in der Sache dennoch völlig richtig ausdrücklich bestimmt, dass die Auslegungsorte so festzulegen sind, dass eine wirksame Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit gewährleistet ist. Anders als bei § 12c EnWG fehlt aber im UVPG der explizite Hinweis auf die Veröffentlichung im Internet. Hier findet § 27a VwVfG Anwendung, der eine solche Pflicht vorsieht. Gerade die Nutzung des Internets erlaubt eine wirksame Verbreitung von Informationen und schafft dadurch die Vorausset344  So Reinhard Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan und die Beteiligung der Öffentlichkeit, DVBl. 2012, S. 466–475, 473; s. auch Erich Gassner/Dieter Günnewig/Marie Hanusch/Adrian Hoppenstedt/Johann Köppel/Dietrich Kraetzschmer/Heiner Lambrecht/Alexandra Langenheld/Wolfgang Peters/Wolfgang Wende, Anforderungen der SUP-Richtlinie an die Bundesverkehrswegeplanung und Verkehrsentwicklungsplanung der Länder. Bundesforschungsplan des BMU, 2004, S. 100 ff.; 156 ff., 167 ff.; Carolin Schäfer-Sparenberg/Daniel Bongardt/Holger Dalkmann, Neue Wege für das Land. Strategische Umweltprüfung für eine zukunftsfähige Bundesverkehrswegeplanung, 2003, S. 160 ff. 345  „[W]eit über den Status Quo der bisherigen Regelungen der Öffentlichkeitsbeteiligung“ hinausgehend, Birgit Peters, Die Bürgerbeteiligung nach dem Energiewirtschafts- und Netzausbaubeschleunigungsgesetz – Paradigmenwechsel für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DVBl. 2015, S. 808–815, 815.



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zung für eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung.346 Wie die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans aussehen soll, wurde 2012 und damit schon sehr früh in der im Internet veröffentlichten Broschüre „Konzept zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes“ dargestellt.347 Durch diese Broschüre und dem ebenfalls vom Ministerium herausgegebenen, professionell gestalteten, im Internet verfügbaren, leicht auffindbaren und inzwischen in zweiter Auflage erschienenen und sich allgemein auf Beteiligung beziehenden „Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung – Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor“ zeigt der Staat, dass er Öffentlichkeitsbeteiligung an dieser Stelle ernst nimmt und sich selbst als partizipativen Staat versteht. Schließlich spielt die Form der Berücksichtigung der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung eine wesentliche Rolle für die Wirksamkeit von ­Beteiligung. Das Mehrheitsprinzip z. B. kann keine Anwendung finden, Beteiligung darf auf der Ebene der Exekutive nicht dazu führen, dass die Entscheidung nicht mehr durch den Staat getroffen wird. Das entscheidende ­Instrumentarium, um kollektive Selbstbestimmung zu ermöglichen, ohne die Entscheidungshoheit des Staates aufzugeben, ist die Berücksichtigungspflicht. Hier werden Belange des Einzelnen mit in die Abwägung eingestellt und mit den öffentlichen Interessen abgewogen. Dabei sind aber nicht alle Belange berücksichtigungsfähig, sondern nur die Belange, die Teil des vom Parlament vorgegebenen und damit ebenfalls der kollektiven Selbstbestimmung verpflichteten Prüfprogramms des staatlichen Planungsorgans sind. Abschließend lässt sich festhalten, dass trotz einzelner Kritikpunkte die in der (Bundes)Bedarfsplanung gesetzlich vorgesehene Partizipation den demokratischen Charakter von Partizipation betont und grundsätzlich legitimierend wirkt. Das im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung entwickelte Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren, an dem alle in ihren Belangen berührten Einzelnen teilhaben dürfen, dient wie die Entscheidung, die vom Staat zu treffen ist und an der Einzelnen teilhaben, ebenfalls der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, da hier jeder Einzelne seine Interessen einbringen darf und diese grundsätzlich berücksichtigt werden müssen. Diese legitimierende Wirkung von Partizipation ergänzt die hohe organisatorischpersonelle Legitimation und gleicht das durch die weiten Gestaltungsspiel346  Vgl. Martin Will, Benjamin Ehlert, Bauplanungsrechtliche Unterrichtung gem. § 3 I 1 Hs. 1 BauGB mittels Internet: Zur Bedeutung der Aufhebung von § 4 a VI 1 BauGB aF – Zugleich ein Beitrag zu Grund und Grenzen der Zulässigkeit der fakultativen, ergänzenden Nutzung des Internets im Verwaltungsverfahren, NVwZ 2018, S. 376–379, 376. 347  S. https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/G/BVWP/bundesverkehrs wegeplan-2030-oeffentlichkeitsbeteiligung.html.

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räume entstehende Minus an sachlich-inhaltlicher Legitimation aus. Partizipation dient hier als fünfter Legitimationsmodus. III. Raumordnungsplanung Die nächste Planungsebene nach der Bedarfsplanung ist die Raumplanung. Sie dient dazu, Vorsorge für einzelne Raumfunktionen wie Natur, Gewässer, Landschaft, Boden oder Klima zu treffen und Nutzungen des Raums wie Siedlung, Land- und Forstwirtschaft, Erholung oder Bodenschätze zu ermöglichen und zu sichern.348 Das Raumordnungsrecht fällt grundsätzlich in die Kompetenz der Länder,349 es ist Teil der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 71 Abs. 1; 74 Abs. 1 Nr. 31 GG). Dennoch ist hier der Bund in grundlegender Weise tätig geworden: Das ebenso wie das UVPG im Jahr 2017 novellierte Raumordnungsgesetz (ROG)350 sieht zunächst allgemeine Regeln vor (§§ 1–12 ROG), normiert Grundsätze für die Raumordnung in den Ländern (§§ 13–16 ROG) und sieht dann spezielle Regeln – z. T. unter Verweis auf die Regeln für die Länder – für die Raumordnung im Bund vor (§§ 17–23 ROG). Den Ländern kommt eine Abweichungskompetenz nach Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, 4 GG zu. Entsprechend dem Entwicklungsgebot nach § 13 Abs. 2 S. 1 ROG n. F. (§ 8 Abs. 2 S. 1 ROG a. F.), das eine ortsnahe und sinnvolle Planung zum Ziel hat351 und das zu einer „Planungs­pyramide“352 führt, müssen sich die Raumordnungspläne der Länder in die des Bundes einfügen. Zudem normiert das ROG die grundlegenden Prinzipien und Vorgaben der Raumordnungsplanung. 348  Udo Steiner, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Ralf Brinktrine (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, Rn. 10. S. auch § 1 Abs. 1 ROG und vgl. Jens Kersten, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 427–626, Rn. 44. 349  Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 41. 350  S. zu der Novellierung Gerd Hager, Die ROG-Novelle 2017, BauR 2018, S. 188–195. S. zu Neuerungen für das Raumordnungsverfahren durch die ROG-Novelle Boas Kümper, Zum Verhältnis von Raumordnung und Fachplanung unter Berücksichtigung der ROG-Novelle 2017. Über das Zusammenwirken von Raumordnung und Zulassungsebene, UPR 2018, S. 463–474, 472 ff. 351  Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 54. 352  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 4.



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Diese Prinzipien und Vorgaben werden in den Landesraumordnungsplänen dann oft nur gespiegelt. Insgesamt herrscht eine enge inhaltliche Verschränkung der bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften.353 Es lassen sich vier Stufen der Raumplanung unterscheiden, die zu einem konsistenten Planungssystem zusammengefügt sind: auf Bundesebene die Bundesraumordnung, auf Landesebene die Landes- und Regionalplanung und aufgrund des engen Bezugs zwischen Bauleitplanung und Raumordnung354 schließlich auf Kom­ munalebene, als Teil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die die Planungshoheit umfasst,355 die Bauleitplanung.356 Das Raumordnungsrecht nimmt eine „Gelenkfunktion“357 zwischen der Bedarfsplanung und der Fachplanung ein. Die Raumordnungsplanung dient wie die Bundesbedarfsplanung vor allem der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung (1.). Jeder Einzelne kann sich dementsprechend in einem Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren beteiligen (2.). Abschließend wird sich zeigen, dass die Ausgestaltung von Partizipation im Rahmen der Raumordnungsplanung ebenso wie bei der Bedarfsplanung zur Legitimation von Staatsgewalt beiträgt (3.). 1. Raumordnungsplanung als kollektive Selbstbestimmung Die raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen der Raumordnungsplanung (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 ROG) dienen vor allem kollektiver Selbstbestimmung. Dies zeigt schon ein näherer Blick auf die Indikatoren, also auf das „handelnde Organ“, die „Rechtsform des Handelns“ und die Frage der „gericht­ lichen Überprüfbarkeit“.

353  Klaus Rabe, Überblick über das Bau- und Planungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 1–7, Rn. 10. 354  Der enge Bezug wird hier betont, da die Bauleitplanung an sich kein Unterfall der Raumordnung ist, s. auch Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 4. 355  Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 313–365, Rn. 102; Janbernd Oebbecke, Die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinden, in: Wilfried Erbguth/ders./Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 239–252. 356  Dazu s. unten S. 325  ff. und Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 16 ff., der genauer auf das Verhältnis von Selbstverwaltungsrecht und übergeordneter Raumordnung eingeht. 357  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 226.

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Auf Bundesebene beschließt das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (§ 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 ROG) die Raumordnungspläne im Wege einer Rechtsverordnung (§ 17 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 ROG). Auf Landesebene ist die Zuständigkeit für die Landesplanung nicht einheitlich geregelt. Z. T. gibt es Landesplanungsbehörden, z. T. wird ein Ministerium tätig.358 Auch die Rechtsform steht den Ländern offen und ist nicht vollständig einheitlich geregelt. In Betracht kommen Satzung, Rechtsverordnung, staatliche Genehmigung, Verbindlicherklärung oder Feststellung.359 Grundsätzlich werden aber auch die Länder im Wege einer Rechtsverordnung tätig.360 Selbst wenn nicht, so sind Raumordnungspläne nicht nur für nachgeordnete Stellen verbindlich,361 sondern in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 2 und S. 3 BauGB auch abstrakt-generell gegenüber Privaten. In Baden-Württemberg wird der Landesentwicklungsplan von der Landesregierung beschlossen und dann als Rechtsverordnung für verbindlich erklärt (§ 10 BaWüLPlG). In Bayern beschließt die Staatsregierung mit Zustimmung des Landtages das Landesentwicklungsprogramm als Rechtsverordnung (Art. 20 Abs. 2 BayLPlG). In Nordrhein-Westfalen wird das Landesentwicklungsprogramm, das die Ziele und Grundsätze der Raumordnung enthalten soll, als förmliches Gesetz erlassen (§ 16a LPlG NRW), nachdem es von der Staatskanzlei als Landesplanungsbehörde vorbereitet wurde.362 Die daraus zu entwickelnden Landesentwicklungspläne ergehen als Rechtsverordnung der Landesregierung mit Zustimmung des Landtags (§ 17 LPlG 358  S. den Überblick bei Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 53. Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bauund Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 27 betont, dass die zentrale Landesplanung Aufgabe der obersten Landesbehörden ist. 359  S. den Überblick bei Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 59. Hinzu kommt eine unterschiedliche Terminologie, auch weil in manchen Ländern neben Entwicklungsplänen auch Entwicklungsprogramme zur Verfügung stehen. S. dazu Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/ Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 58. 360  S. die Übersicht bei Peter Runkel, § 10 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./ Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 3. 361  Werner Hoppe, Planung (§ 77), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 3. Aufl. 2006, S. 313–365, Rn. 108 unter Verweis auf BVerwG, DVBl. 2004, S. 629–633, 630 ff. 362  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 27 f.



Kapitel 5: Die Exekutive211

NRW).363 In Berlin enthält das Landesentwicklungsprogramm die Grundsätze der Raumordnung. Es ist vom Landesentwicklungsplan, der als Rechtsverordnung erlassen wird, zu unterscheiden, in dem die weiteren Grundsätze und Ziele der Raumordnung festgelegt werden. Im Landesentwicklungsprogramm ist beispielsweise auch der Flughafenausbau vorgesehen.364 Das Landesentwicklungsprogramm ist in Berlin und Brandenburg von den Parlamenten auf der Grundlage eines Staatsvertrags zwischen den beiden Ländern verabschiedet worden.365 Der „Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung“ ist dann detailschärfer. Ebenfalls differieren die Regeln für die Regionalpläne, die aus dem Landesplan zu entwickeln sind und das Bindeglied zwischen Landes- und Bauleitplanung darstellen.366 Z. T. werden sie durch regionale Planungsgemeinschaften aufgestellt, die Zusammenschlüsse von Gemeinden und Gemeindeverbänden darstellen. Teilweise, etwa in Nordrhein-Westfalen, sind gem. §§ 7 ff. LPlG NRW sogar funktionale Selbstverwaltungskörperschaften mit beratender Stimme eingebunden. In anderen Ländern werden Regionalpläne auch durch staatliche Stellen aufgestellt.367 Wie auch immer diese Frage auf Landesebene ausgestaltet ist, ist letztendlich immer die Beteiligung des Staates bzw. der Gemeinden und Gemeindeverbände sicherzustellen.368 In Nordrhein-Westfalen hat der Verfassungsgerichtshof die Regionalpläne als „untergesetzliche Rechtsnormen“ eingestuft.369 Die Ziele, die im Regional363  S. auch Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 28 ff. 364  GVBl. Bln. 2003, S. 250; GVBl. Bbg 2003 I, 202. 365  S. dazu Sebastian Kluckert, Rechtliche Perspektiven für den Weiterbetrieb des Verkehrsflughafens Berlin-Tegel, DÖV 2013, S. 874–882; Benjamin Schirmer, Die Offenhaltung des Flughafens Berlin-Tegel – Eine rechtliche Herausforderung, DVBl. 2018, S. 17–27. 366  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 32. 367  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 33 f. und Rn. 38. 368  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 58. Dies ist Ausfluss des sog. Gegenstromprinzips, nach dem die Ordnung des Gesamtraums auch die Ordnung der Einzelräume berücksichtigen soll (§ 1 Abs. 3 ROG), s. dazu Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 22 f. und Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 37, der von „Koordinierung mittels Kooperation“ spricht. 369  VerfGH NRW, DVBl. 1990, S. 417; VerfGH NRW, DVBl. 1993, S. 428–430, 429; Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 35.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

plan enthalten sind, werden vom Bundesverwaltungsgericht als Rechtsnormen i. S. d. § 47 VwGO anerkannt.370 Da die Raumordnungspläne nicht nur verwaltungsintern wirken, sondern ihnen auch Außenwirkung zukommt371 und sie nicht immer als Gesetze erlassen werden, kommt unmittelbarer Rechtsschutz gegen sie nach § 43 VwGO, gegen Landespläne auch nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Betracht.372 Diese Möglichkeit der Kontrolle 370  BVerwG, NVwZ 2004, S. 74; BVerwG, NVwZ 2004, S. 614; Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bauund Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 35. 371  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 72 unter Verweis auf BVerwGE 119, 217, 220 f.; BVerwG NVwZ 2002, S. 869, 870; BVerfG DÖV 1993, S. 118 ff.; BVerwGE 76, 107, 114; s. zudem Johannes Grooterhorst, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, NuR 1986, S. 276–284, 279 ff. m. w. N.; Stefan Sauer, Rechtsnatur und Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung – Rechtsschutz gegen Planungen, VBlBW 1995, S. 465–470, 467 ff.; Wolff Heintschel von Heinegg, Angreifbarkeit raumbedeutsamer Planungsentscheidungen, NWVBl 1994, S. 441– 448, 442; Konrad Goppel, Ziele der Raumordnung, BayVBl 1998, S. 289–292, 290 f.; Martin Kment, Unmittelbarer Rechtsschutz von Gemeinden gegen Raumordnungspläne DÖV 2003, S. 349–358, 350; ders., Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz von Gemeinden gegen Raumordnungspläne, DVBl. 2004, S. 214–227, 217. Vgl. auch Udo Steiner, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Ralf Brinktrine (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 2018, Rn. 89: „rechtsnormähnliche Hoheitsakte sui generis“. Explizit auf den Plan stellen ab Rolf-Peter Löhr, Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten der Gemeinden gegen Regionalpläne, DVBl. 1980, S. 13–21, 15; Johannes Grooterhorst, Die Ziele der Raumordnung und Landesplanung, NuR 1986, S. 276–284, 279. Demgegenüber eher an die Ziele anknüpfend BVerwGE 119, 217, 221 f.; Stefan Sauer, Rechtsnatur und Bindungswirkung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung – Rechtsschutz gegen Planungen, VBlBW 1995, S. 465–470; Konrad Goppel, Ziele der Raumordnung, BayVBl 1998, S. 289–292, 291. 372  Rainer Danielzyk/Kerstin Hanebeck/Jörg Knieling/Frank Reitzig, Öffentlichkeitsbeteiligung bei Programmen und Plänen der Raumordnung, 2003, S. 152 f.; s. auch Michael Ronellenfitsch, Ziele der Raumordnung, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 355–368, 368; Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 72 m. w. N.: grundsätzlich Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO, verweist aber auf das Problem des subjektiven Rechts für Privatpersonen. Dies ändere sich aber inzwischen durch die zunehmende „Bedeutung und Einbindung privater Rechtsträger in die Raumordnungspläne (§ 4 ROG),“ es sei auf die unmittelbare Rechtswirkung auf Private abzustellen; Wolf-Rüdiger Schenke, Gerichtliche Kontrolleröffnung gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungs- und Flächennutzungsplänen, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kon­ trolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 73–101, 80 verweist auch auf den subjektiven Rechtscharakter des Rechts auf Abwägung und § 7 Abs. 2



Kapitel 5: Die Exekutive213

von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Normen sehen grundsätzlich alle Bundesländer mit Ausnahme Berlins und Hamburgs vor.373 Allerdings wird im Fall der Raumordnungsplanung die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit des Klägers im Einzelfall höchstens in Ausnahmefällen vorliegen.374 Entsprechend weisen die Indikatoren deutlich in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Die kleineren Abweichungen – so müssen Raumordnungspläne beispielsweise nicht zwingend im Wege einer Rechtsverordnung erlassen werden, ebenso wenig muss die Regierung oder das Ministerium tätig werden – deuten zwar an, dass Fragen der individuellen Selbstbestimmung eine, wenn auch nur leicht, stärkere Rolle spielen als im Rahmen der Bedarfsplanung. Sie führen aber letztlich zu keinem anderen Ergebnis. Dies gilt auch und gerade deshalb, weil der Befund des im Schwerpunkt auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung abzielenden Charakters der Raumordnungsplanung durch eine genauere Untersuchung der Raumordnungsplanung anhand der Eigenschaften „Intensität der Verrechtlichung“, also Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ bestätigt wird.375 Die Zukunftsgerichtetheit ist der Planung immanent. Im Rahmen des Raumordnungsgesetzes wird die Zukunftsgerichtetheit u. a. an den Aufgaben und der Leitvorstellung deutlich, die auf Entwicklung und Nachhaltigkeit abstellen. So legt § 1 Abs. 1 S. 1 ROG die Aufgaben der Raumordnung fest (Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Gesamtraums der Bundesrepublik und der Teilräume). § 1 Abs. 2 S. 1 ROG legt die Leitvorstellung der Raumordnung fest, nämlich die „nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen führt“. Auch § 7 Abs. 1 S. 1 ROG schaut deutlich in die Zukunft, indem er aufgibt, dass in den Raumordnungsplänen für einen bestimmten Planungsraum Festlegungen als Ziele und Grundsätze der Raumordnung zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums, ROG; außerdem kommt natürlich immer eine inzidente Rechtskontrolle in Betracht. S. ausführlich Martin Kment, Rechtsschutz im Hinblick auf Raumordnungspläne, 2002. 373  Nicolai Panzer, §  47 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung. Loseblatt-Kommentar, 40. Ergänzungslieferung, 2021, ­ Rn.  21 ff. 374  S. Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 54, nach dem es mangels Betroffenheit des Einzelnen keine Klagemöglichkeiten gibt. 375  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 17; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 508.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

insbesondere zu den Nutzungen und Funktionen des Raums, zu treffen sind. Ebenso weisen die langen Zeiträume, bis zu denen ein neuer Plan aufzustellen ist, auf die Zukunftsorientierung hin.376 Auch die nur geringe rechtliche Determiniertheit der Raumordnungsplanung zeugt von ihrem Charakter als Entscheidung zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Planung auf der Stufe der Raumordnung ist grundsätzlich abstrakt-generell.377 Zwar ist auch die Raumordnungsplanung an die Verfassung und das einfache Recht, insbesondere das ROG gebunden. Das Abwägungsgebot in § 7 Abs. 2 ROG lässt aber auch hier ausreichend Raum. Danach sind die öffentlichen und privaten Belange, soweit sie auf der jeweiligen Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind, gegeneinander und untereinander abzuwägen. Dabei sind die in § 2 ROG genannten Grundsätze bei der Planerstellung zu beachten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ROG). So besitzt die Behörde weite Gestaltungsspielräume, indem die Grundsätze lediglich in die Entscheidung „einfließen“378 müssen. Ziele hat der Bundesgesetzgeber im Raumordnungsgesetz nicht aufgestellt, stattdessen werden sie vom Träger der Raumordnung aufgestellt (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG), dem hier also ein möglichst weiter Gestaltungsspielraum zukommt. Der Gestaltungsspielraum wird aber verengt im Fall einer Bindung an höherstufige Planfestlegungen, etwa an die Bedarfsplanung.379 Die hohe „Reichweite“ der Raumordnungsplanung wird unmittelbar deutlich, betrachtet man Definition und Ziele der Raumordnung: Raumordnung kann definiert werden als zusammenfassende, überörtliche und fächerübergreifende und damit übergeordnete Planung „für einen den sozialen, kul­ turellen und wirtschaftlichen Erfordernissen entsprechende Ordnung des Raumes“.380 Die Überörtlichkeit und die fachliche Übergeordnetheit sind 376  § 7 Abs. 3 Hessisches Landesplanungsgesetz: Bei Regionalplänen ist nach acht Jahren nach ihrem In-Kraft-Treten den veränderten Verhältnissen durch Neuaufstellung anzupassen; der Landesplan tritt außer Kraft, wenn er zehn Jahre lang nicht angepasst wurde, § 8 Abs. 6 Hessisches Landesplanungsgesetz. 377  Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 62. 378  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 39. 379  Peter Runkel, § 1 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 78 m. w. N. 380  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 4. S. auch § 1 Abs. 1 ROG und das Bau(rechts)gutachten des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 3, 407, 425: „Die überörtliche Planung fällt unter den Begriff der „Raumordnung“ im Sinne des Art. 75 Nr. 4 GG. Diese ist zusammenfassende, übergeordnete Planung und



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wesentliche Bestimmungsmerkmale und zeugen von der hohen „Reichweite“. Die landesweiten Raumordnungspläne beziehen sich auf das ganze Land, so wie sich die Regionalpläne auf bestimmte Teilräume der Länder beziehen, § 13 Abs. 1 ROG n. F. (§ 8 ROG a. F.). Zusätzlich sind rechtlich die Grundsätze der Raumplanung auf den unteren Planungsstufen zu berücksichtigen, also in die Abwägung und die Ermessenentscheidungen einzubeziehen (§ 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ROG).381 Die Ziele sind sogar zu beachten (§ 4 Abs. 1 ROG), d. h. sie können durch planerische Abwägung oder Ermessensausübung nicht überwunden werden.382 Außerdem wird der Plangeber ermächtigt, Ziele der Raumordnung zu bestimmen. Daraus folgt, dass die nachfolgenden Planungsbehörden strikt gebunden sind und sich an die Zielvorgaben zu halten haben und gegenläufige Raumnutzungen nicht umgesetzt werden dürfen.383 Gleichzeitig werden Trassen oder Standorte schon grundsätzlich freigehalten. Zwar kommt es zumeist noch zu keiner parzellengenauen Planung, jedoch werden unter Umständen Standort und Trassenverläufe als Zielbestimmungen schon gebiets- oder parzellenscharf festgelegt.384 Auch dies spricht für die Notwendigkeit, dass der Schutz individueller Selbstbestimmung schon auf der Raumordnungsplanungsebene eine, wenn auch kleine, Rolle spielt. Es lässt sich festhalten, dass Raumordnungsplanung den Schwerpunkt auf kollektive Selbstbestimmung legt. Schon die Indikatoren, also das „handelnde Ordnung des Raumes. Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfaßt und aufeinander abstimmt.“ 381  Konrad Goppel, § 4 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 53. 382  Konrad Goppel, § 4 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 23. 383  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 39 unter Verweis auf BVerwGE 199, 217, 223; Werner Hoppe, Aufgaben und Instrumente im ROG 2008 (§ 4), in: ders./Christian Bönker/Susan Grotefels, Öffentliches Baurecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 33. 384  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835; Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 178 unter Verweis auf BVerwG, NVwZ 2003, S. 1263; Rudolf Steinberg, Standortplanung umweltbelastender Großvorhaben durch Volksbegehren und Volksentscheid?, ZRP 1982, S. 113–118, 114; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 216 ff.; a. A. wohl Michael Fehling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 278–337, 309; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363, Fn. 24; s. zu dieser Entwicklung auch Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S.  216 ff.

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Organ“, die „Rechtsform des Handelns“ und die Frage der „gerichtlichen Überprüfbarkeit“ weisen darauf hin. Bestätigt wird dies durch die Eigenschaften der Raumordnungsplanung, die rechtlich wenig determiniert ist und wie alle Planung zukunftsgerichtet ist und eine hohe „Reichweite“ besitzt. Damit Partizipation legitimierend wirken kann, muss sie ebenfalls der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung dienen. Raum für Legitimation durch demokratische Partizipationsformen besteht jedenfalls, da die organisatorisch-personelle Legitimation je nach Raumordnungsplanung variiert und die sachlich-inhaltliche Legitimation in allen Raumordnungsplanungen nur gering ausgeprägt ist. 2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungsund Berücksichtigungsverfahren Wie von der Theorie imperativer Partizipation postuliert, korrespondiert die Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens mit dem Umstand, dass die Aufstellung von Raumordnungsplänen kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Die Beteiligung bei der Erstellung von Raumordnungsplänen stellt sich als echte Öffentlichkeitsbeteiligung dar, es darf sich also jeder Einzelne beteiligen: Nach § 9 Abs. 1 Hs. 1 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 Hs. 2 ROG a. F.) ist für die Raumordnungsplanung nicht nur die betroffene Öffentlichkeit beteiligungsfähig, sondern „die Öffentlichkeit“. Mangels einschränkenden Merkmals fallen alle natürlichen und juristischen Personen, die Interesse an dem Raumordnungsplan haben, darunter, d. h. jedermann.385 Auch eine Beschränkung auf die Einwohnerschaft im Planungsgebiet, die Eigenschaft als Bürger und damit Deutscher oder ähnliches wird nicht vorgenommen. Ebenso ist bei dem landesweiten Raumordnungsplan nach § 13 ROG n. F. i. V. m. § 9 Abs. 1 ROG n. F. (für den Bund nach § 18 ROG n. F. i. V. m. § 9 ROG n. F.) die Öffentlichkeit zu beteiligen. Diese muss nicht unbedingt in dem Plangebiet leben.386 Mit welchen Mitteln und mit welchem Einfluss beteiligt sich die Öffentlichkeit im Rahmen des Aufstellungsverfahrens?387 Trotz der freien Wahl der 385  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 58. 386  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 59, der auch darauf verweist, dass sich hingegen die Unterrichtungspflicht nach Abs. 1 und Bekanntmachungspflicht nach Abs. 2 S. 3 nur auf die im Plangebiet ansässige Öffentlichkeit bezieht. 387  S. ausführlich Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 26 ff.



Kapitel 5: Die Exekutive217

Rechtsform durch die Länder vereinheitlicht § 9 ROG n. F. (§ 10 ROG a. F.) die Öffentlichkeitsbeteiligung.388 Zunächst ist die Öffentlichkeit von der Aufstellung des Raumordnungsplans zu unterrichten. Der Planentwurf und seine Begründung, der Umweltbericht sowie „weitere, nach Einschätzung der für den Raumordnungsplan zuständigen Stelle zweckdienliche Unterlagen“ müssen öffentlich nach § 9 Abs. 2 S. 2 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 S. 2 ROG a. F.) für mindestens einen Monat ausgelegt werden, sofern eine UVP durchgeführt wird.389 Ort und Dauer der Auslegung sind gem. § 9 Abs. 2 S. 3 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 S. 3 ROG a. F.) mindestens eine Woche vorher öffentlich bekanntzumachen, ebenso wie der Umstand, dass Stellungnahmen abgegeben werden können. Nähere Vorschriften zur Art und Weise der Bekanntmachung und zum Ort sieht das ROG nicht vor. Dementsprechend muss man auch hier wie bei der Bedarfsplanung eine möglichst weitgehende Veröffentlichungspflicht annehmen müssen, u. a. in mehreren überregionalen Tageszeitungen und im Internet. Die Bekanntmachung muss dabei das Vorhaben ebenso wie die Beteiligungsmöglichkeiten klar und eindeutig bezeichnen. Entscheidend ist es, dass sie die nötige Anstoßwirkung entfaltet.390 Die Äußerungsfrist wird von der Behörde festgelegt, sie muss gem. § 9 Abs. 2 S. 3 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 S. 3 ROG a. F.) mindestens einen Monat betragen. Grundsätzlich besteht kein Erörterungstermin in der Raumordnungsplanung.391 Eine Nachsorgepflicht wie beim Bundesbedarfsplan besteht ebenfalls nicht. Folgen Änderungen des Plans nach, und nicht aus,392 der Öffentlichkeitsbeteiligung, so kann das zu dem Erfordernis einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung führen. Damit dies aber nicht als falsch verstandener Anreiz dient, gerade keine Veränderungen vorzunehmen, sieht § 9 Abs. 3 S. 3 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 S. 4 ROG a. F.) eine Regelung vor, nach der die Änderung eines Planentwurfs nach Durchführung der Verfahrensschritte nach § 9 Abs. 3 S. 1 und 2 ROG n. F. (§ 10 Abs. 1 S. 1 bis 3 ROG a. F.) die Einholung der Stellungnahmen auf die von der Änderung betroffene Öffentlichkeit 388  Damit unterscheidet er sich maßgeblich vom früheren § 7 Abs. 6 ROG, der den Ländern die freie Wahl ob der Öffentlichkeitsbeteiligung ließ. Dazu s. Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 703. 389  Zu den inhaltlichen Anforderungen s. Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn.  30 ff. 390  Norbert Kämper, §  73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 42; BVerwG, NVwZ 1998, S. 847, 848. 391  § 5 Abs. 8 S. 2 Nds. ROG eröffnet die Möglichkeit eines Erörterungstermins. Eine solche landesrechtliche Regelung ist gem. § 28 Abs. 3 ROG möglich. 392  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 49.

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sowie die in ihren Belangen berührten öffentlichen Stellen beschränkt werden, wenn durch die Änderung des Planentwurfs die Grundzüge der Planung, d. h. das Leitbild, das dem Plan zugrunde liegt,393 nicht berührt werden. Ebenso wie bei der Bauleitplanung (dort § 4a Abs. 3 BauGB) findet eine Beschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten auf die nur geänderten Teile statt. Nach der Unterrichtung ist der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu Plan und Begründung zu geben. § 9 ROG n. F. enthält nur grundlegende Regelungen, die aber durch Landesrecht erweitert und verfeinert werden können.394 Was geschieht nun mit dem Vorbringen derjenigen, die Eingaben gemacht und sich beteiligt haben? Nach § 7 Abs. 2 S. 2 ROG muss das planende Staatsorgan die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigen. Aus der Berücksichtigungspflicht folgt vor allem die Pflicht, alle Belange, die von der Planung berührt werden, insbesondere auch solche Belange, die zum Schutz des Eigentums i. S. d. Art. 14 GG beitragen sollen,395 mit ihrem jeweiligen Gewicht in die Abwägung einzustellen. Private und öffentliche Belange sind gegeneinander abzuwägen. Um sicherzustellen, dass dieser Pflicht nachgekommen wird und sie gerichtlich auch überprüft werden kann, verlangt § 10 Abs. 3 ROG n. F. (§ 11 Abs. 3 ROG a. F.), dass die dem Raumordnungsplanentwurf beiliegende zusammenfassende Erklärung darlegt, wie die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigt wurden. 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform Innerhalb der Raumordnungsplanung ist kollektive Selbstbestimmung stark ausgeprägt. Dem entspricht, dass jeder Einzelne sich beteiligen darf und der Staat verpflichtet ist, die Einwendungen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Die Entscheidungshoheit verbleibt beim Staat, um individuelle Selbstbestimmung zu schützen. Durch das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren kann der Einzelne Einfluss auf die staatliche Entscheidung nehmen. Dadurch wird kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und die Legitimation der staatlichen Entscheidung erhöht. Diese legitimie393  BVerwG, ZfBR 2001, S. 131, zitiert nach Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 56. 394  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 6. 395  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 56 f. Eine Beschränkung auf umweltrelevante Belange ist nicht vorgesehen.



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rende Wirkung von Partizipation ergänzt die grundsätzlich hohe, wenngleich von Bundesland zu Bundesland variierende organisatorisch-personelle Legitimation der staatlichen Organe und gleicht die durch die weiten Gestaltungsspielräume entstehende geringe sachlich-inhaltliche Legitimation aus. Auch hier dient Partizipation als fünfter Legitimationsmodus der Legitimation von Staatsgewalt. Während Beteiligung grundsätzlich so ausgestaltet ist, dass die Balance zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung gewahrt wird, so ist doch Kritik im Detail zu äußern. Durch die zu kurz bemessenen Fristen,396 dem fehlenden verpflichtenden Erörterungstermin ebenso wie den Verzicht auf eine Nachsorgepflicht wird der Beteiligung effektive Wirksamkeit genommen. Trotz dieser Kritik spiegelt sich auch in der Raumordnungsplanung der partizipative Staat wider. IV. Raumordnungsverfahren inkl. Umweltverträglichkeitsprüfung Das Raumordnungsgesetz ordnet nicht nur die Aufstellung von Raumordnungsplänen an, sondern auch die Prüfung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen gem. § 15 Abs. 1 ROG i. V. m. § 1 RoV. Dazu dient das Raumordnungsverfahren, das bei raumbedeutsamen Verkehrsinfrastrukturprojekten wie beispielsweise dem Bau einer Bundesfernstraße (§ 1 Nr. 8 RoV), einer Hochspannungsleitung (§ 1 Nr. 14 RoV), eines Feriendorfs (§ 1 Nr. 15 RoV) oder eines Einkaufzentrums (§ 1 Nr. 19 RoV) durchgeführt wird. Diese Vorhaben werden auf ihre Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung geprüft und mit anderen raumbedeutsamen Vorhaben abgestimmt. Dem Raumordnungsverfahren kommt eine Scharnierstellung zwischen Raumordnungsplan und der Zulassung des konkreten Vorhabens zu,397 es soll die Ziele und Grundsätze der Raumordnung und Landesplanung sichern und ist der Fachplanung vorgelagert.398 In einem ersten Schritt wird untersucht, welcher Form von Selbstbestimmung das 396  Ebenso Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363: „erstaunlich kurz.“ 397  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 28. 398  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Auflage 2018, Rn. 23; Rainer Wahl, Raumordnungsverfahren am Scheideweg, in: Everhardt Franßen/Konrad Redeker/Otto Schlichter/Dieter Wilke (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat, Festschrift für Horst Sendler, 1991, S.  199–223, 201 f.; Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2

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Raumordnungsverfahren zugeordnet werden kann (1.). In einem zweiten Schritt wird die Öffentlichkeitsbeteiligung analysiert (2.), die trotz ihrer Uneinheitlichkeit zur Legitimation der raumordnerischen Beurteilung beitragen kann (3.). 1. Raumordnungsverfahren: Noch kollektive oder schon individuelle Selbstbestimmung? Das Raumordnungsverfahren lässt sich aufgrund seiner Scharnierstellung zwischen Raumordnungsplan und der Zulassung des konkreten Vorhabens nur schwer entweder der kollektiven oder der individuellen Selbstbestimmung zuordnen. Sowohl die herausgearbeiteten Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte ­ „Rechtsschutz“ als auch die Eigenschaften „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ senden widersprüchliche Signale aus. Letztlich überwiegt aber der Gedanke der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Die schwierige Zuordnung offenbart sich bereits an den Regelungen über den ersten Indikator, dem zuständigen Organ. Zuständig ist nach § 15 ROG die für Raumordnung zuständige Landesbehörde.399 Die Länder scheinen bei der Kompetenzzuordnung keinem Muster zu folgen. Die Raumordnungsbehörde kann ebenso ein Ministerium sein400 wie eine untere Landesplanungsbehörde.401 So variiert die organisatorisch-personelle Legitimation erheblich von Bundesland zu Bundesland. Die Rechtsnatur des Ergebnisses des Raumordnungsverfahrens, die sog. Feststellung oder auch landesplanerische oder raumordnerische Beurteilung,402 ist umstritten. Nach herrschender Meinung Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 63. 399  Auf Bundesebene gibt es kein solches Verfahren, sondern nur auf Landesebene, das aber durch bundesgesetzliche Regelungen vorgesehen ist, s. § 15 ROG und RoV. 400  S. z. B. § 17 Abs. 1 LPlG RP i. V. m. § 3 Abs. 1 LPlG RP. 401  S.  z.  B. 2.21 Verwaltungsvorschriften zum Niedersächsischen Gesetz über Raumordnung und Landesplanung (VV-NROG) RdErl. d. ML v. 29. Mai 2008 – 302–20002/26–1 (Nds.MBl. Nr. 22/2008 S. 592) – VORIS 23100. S. auch den Überblick bei Franz-Joseph Peine, Öffentliches Baurecht: Grundzüge des Bauplanungsund Bauordnungsrechts, 4. Aufl. 2003, S. 71 ff. 402  § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG und § 4 ROG. S. dazu Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 67, Fn. 248 unter Verweis auf § 18 Abs. 3 BaWüLPlG; Art 22 Abs. 6 1 BayLPlG; § 15 Abs. 2 LPlG MV; § 32 Abs. 9 LPlG NW; § 6 Abs. 6 LPlG SL; § 15 Abs. 9 1 LPlG LSA; § 14b Abs. 1 1 LPlG SH; § 22 Abs. 7 LPlG Thür. Vgl. auch § 16 II 1 NROG: „landesplanerische Feststellung“; § 17 Abs. 10 LPlG RP: „raumordnerischer Entscheid“.



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besitzt sie keine Rechtsnatur und stellt insbesondere keinen Verwaltungsakt dar.403 Vielmehr liegt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts eine „gutachterliche Äußerung“ vor.404 Das Raumordnungsverfahren ist i. R. d. der Abwägung auf Ebene der Fachplanung und Planfeststellung zu berücksichtigen, aber nicht zu beachten (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 und § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG). Trotz dieser begrenzten rechtlichen Wirkung entscheidet es in manchen Bundesländern, beispielsweise Bayern, „faktisch über Wohl und Wehe eines Vorhabens“.405 Dies zeigt, dass es starke faktische Auswirkungen auch auf die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen besitzt, wenngleich es sich rechtlich auf den Einzelnen nicht unmittelbar auswirkt. Faktizität und Geltung fallen hier in besonderer Weise auseinander. Das erschwert die recht­ liche Analyse anhand der Indikatoren und Eigenschaften, schließt sie aber nicht aus. Eine unmittelbare gerichtliche Anfechtung scheidet entsprechend der rechtlichen Wertung als „gutachterliche Äußerung“ aus. Die Indikatoren ergeben zwar kein klares Bild, deuten aber trotz der faktischen Wirkung doch eher in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Ein näherer Blick auf die drei Eigenschaften „zeitliche Orientierung“, „Reichweite“ und „rechtliche Determiniertheit“ bestätigt diesen einerseits uneinheitlichen, andererseits auch in Richtung kollektive Selbstbestimmung deutenden Befund. Beim Raumordnungsverfahren handelt es sich um die Prüfung der Übereinstimmung eines grob umrissenen Vorhabens mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung und Landesplanung sowie der Abstimmung mit anderen raumbedeutsamen Vorhaben. Hier besteht schon eine gewisse Konkretisierung. Der Prüfungsmaßstab der Ziele und Grundsätze ist hingegen weit gefasst. Eine Alternativenprüfung, aus der der Behörde ebenfalls ein größerer Gestaltungsspielraum zuwächst, ist entweder dann vorgesehen, wenn der Vorhabenträger sie selbst einbringt (§ 15 Abs. 1 S. 2 ROG) oder eine UVP durchgeführt werden muss, § 49 Abs. 1 UVPG n. F. (§ 16 Abs. 1 UVPG a. F.). Dadurch ist die sachlich-inhaltliche Legitimation als eher gering einzuschätzen. In den beiden anderen Eigenschaften spiegeln sich ebenfalls beide Formen der Selbstbestimmung wider. Auch findet sich eine etwas stärkere Ausprägung der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung: So zielt das Verfahren auf die Zukunft, wenngleich es auch Elemente der Vergangenheit enthält. Es 403  Dieter Dörr, Raumordnung und Landesplanung (§ 38), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 1–36, Rn. 64. 404  BVerwG, NVwZ-RR 1996, S. 67; Jörg Wagner, Verfahrensbeschleunigung durch das VerkPlBG, NVwZ 1992, S. 232–235, 233 f. 405  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 24.

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wird ein Vorhaben, das schon grob dergestalt vorgeplant wurde, dass man seine raumbedeutsamen Auswirkungen erkennen kann, auf seine Vereinbarkeit mit den Zielen und Grundsätzen der Raumordnung nachvollziehend geprüft. Ähnlich wie bei der Fachplanung steht also schon ein bestimmtes, grob umrissenes Vorhaben in Frage. Dementsprechend wird teilweise auch von „Quasi-Fachplanung“ gesprochen.406 Da aber in der Fachplanung anders als im Raumordnungsverfahren noch kein vorgeplantes Projekt in Frage steht, kommt hier auch die individuelle Selbstbestimmung des oft privaten Vorhabenträgers zum Tragen. Dies gilt umso mehr, weil faktisch das Projekt schon an dieser Stelle beendet werden kann. Neben der „zeitlichen Orientierung“ ist auch die faktische und rechtliche „Reichweite“ uneindeutig: Das einzelne Vorhaben besitzt eine eher geringe „Reichweite“. Die Raumverträglichkeit, auf die sich die Prüfung bezieht, deutet wiederum auf eine große „Reichweite“ des Raumordnungsverfahrens hin, da hier der ganze relevante Raum in Betracht gezogen werden muss. Gleichzeitig besteht aufgrund der nur groben Umrissenheit des Projekts eine dem Raumordnungsverfahren „grundsätzlich immanente Unschärfe“,407 weshalb die Ergebnisse rechtlich auch auf den nächsten Planungsstufen als sonstiges Erfordernis der Raumordnung nach § 3 Nr. 4 ROG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG nur zu berücksichtigen sind.408 Im Rahmen der Linienbestimmung des § 16 FStrG tritt nach allerdings umstrittener Ansicht das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens sogar zurück.409 Es handelt sich also um ein Verfahren mit vielen Unbekannten, das zu einem rechtlich nicht-bindenden, aber teilweise faktisch sehr wohl bindenden Ergebnis führt, obwohl es trotz des engen Projektbezugs nicht geeignet ist, individuelle Belange zu verarbeiten, da Ziel allein die Überprüfung der Raumverträglichkeit des Projekts ist.410 406  Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 157; Jens-Peter Schneider, Planungs-, genehmigungs- und naturschutzrechtliche Fragen des Netzausbaus und der untertägigen Speichererrichtung zur Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung, Materialien des Sachverständigenrats für Umweltfragen zur Umweltforschung Band 43, 2011, S. 11. 407  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 54; Konrad Goppel, Die notwendige Unschärfe der Raumplanung: ein Aspekt ihres Selbstverständnisses, UPR 2009, S. 51–52. 408  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835. 409  S. unten S. 230 f. 410  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 836.



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Da die Raumverträglichkeit alle betrifft und die Aufrechterhaltung der Raumverträglichkeit letztlich das Ziel des Raumordnungsverfahrens ist, spricht einiges dafür, das Raumordnungsverfahren noch als Verfahren zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung zu verstehen. Allerdings folgt aus dem Umstand, dass durch das Raumordnungsverfahren Vorhaben Einzelner an dieser Stelle schon beendet sein können, dass der Schutz individueller Selbstbestimmung für den Einzelnen hier schon entscheidend ist. Außerdem ist das Raumordnungsverfahren determinierter als etwa die Raumordnungsplanung, so gibt es mehr Vorfestlegungen in der Abwägung zu beachten, etwa aus dem Raumordnungsplan. Eine eindeutige Zuordnung scheidet damit aus, die Tendenz geht aber in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Diese Tendenz wird durch die geringe sachlich-inhaltliche Legitimation – wie bei der Raumordnungsplanung variiert die organisatorischpersonelle Legitimation aufgrund der landesrechtlichen Regelungen – bestätigt. 2. Öffentlichkeitsbeteiligung: Wandel der Regelungen Das Ausscheiden einer eindeutigen Zuordnung des Raumordnungsverfahrens zu entweder Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung oder dem Schutz individueller Selbstbestimmung führte auf der Ebene der Öffentlichkeitsbeteiligung zunächst zu uneinheitlichen Regelungen. § 15 Abs. 3 S. 3 ROG a. F. sah bis 2017 keine echte Öffentlichkeitsbeteiligung vor, sondern verlangte lediglich, dass die Öffentlichkeit i. S. einer Jedermannbeteiligung beteiligt werden kann, aber nicht muss.411 Sechs Länder sahen eine zwingende Beteiligung der Öffentlichkeit vor, die weiteren zehn Länder sahen eine fakultative Beteiligung der Öffentlichkeit vor. Sofern keine Öffentlichkeitsbeteiligung nach Landesrecht stattfand, war unter Umständen eine UVP durchzuführen: Diese sah eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit und nicht der Öffentlichkeit vor. Nach § 15 Abs. 3 S. 1 ROG n. F. ist nun auch die Öffentlichkeit in Raumordnungsverfahren i. S. einer Jedermannbeteiligung zu beteiligen. Damit wird kollektive Selbstbestimmung ermöglicht.

411  S. ausführlich Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 28 ff.; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 227; Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512.

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a) Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren Während in einigen Ländern keine verbindliche, sondern nur eine zu einer im Ermessen der Raumordnungsbehörden stehende Beteiligung nach § 15 Abs. 3 S. 3 ROG a. F. bis 2017 vorgesehen war, bestanden in anderen Ländern zwingende Beteiligungsregeln im Raumordnungsverfahren.412 Durch § 15 Abs. 3 S. 1 ROG n. F. ist die Beteiligung der Öffentlichkeit mit dem ROG als konkurrierendem Recht im Raumordnungsverfahren nun durch den Bundesgesetzgeber verbindlich eingeführt worden.413 Hier umfasst der Kreis der Beteiligten die Öffentlichkeit. Deren Vorbringen muss sich auf diejenigen Auswirkungen des Vorhabens beziehen, die raumrelevant sind. Persönliche Belange werden erst in der Fachplanung relevant.414 Diese sachliche Beschränkung folgt aus der Besonderheit des Verfahrens: Ziel ist alleine die Feststellung, ob raumbedeutsame Planungen oder Maßnahmen mit den Erfordernissen der Raumordnung übereinstimmen und wie raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen unter den Gesichtspunkten der Raumordnung aufeinander abgestimmt oder durchgeführt werden können.415 Eine Berücksichtigungspflicht ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, im Rahmen der „freien Abwägung“ muss das Ergebnis einer Öffentlichkeitsbeteiligung und damit auch die Einwendungen der Einzelnen aber als ein „abwägender Belang“ gewichtet und in eine freie Abwägung eingestellt werden, sofern sie raumordnungsrelevante Fragestellungen betreffen.416 b) Vorbild UVP: Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren Gem. § 49 UVPG n. F. (§ 16 UVPG a. F.) ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung für jedes Raumordnungsverfahren vorgesehen, das für ein UVP-pflich412  S. ausführlich Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 28 ff.; Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 64. 413  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 65. 414  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 69. 415  § 15 Abs. 1 S. 2 ROG. 416  Konrad Goppel, § 15 ROG, in: Willy Spannowsky/Peter Runkel/ders. (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 71.



Kapitel 5: Die Exekutive225

tiges Vorhaben durchgeführt wird.417 Im Fall der Anwendbarkeit des UVPG kommt es damit zwingend zu einer Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit. Sofern, wie es die Regel ist, ein Land die UVP-Pflichtigkeit nicht abbedungen hat,418 richtet sich die Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem UVPG. Ansonsten geht die spezialgesetzlich geregelte Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 1 Abs. 4 UVPG n. F. (§ 4 UVPG a. F.) vor, sofern sie nicht hinter der des UVPG zurückbleibt. Eine UVP verlangt eine spezielle Form der Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie findet nicht nur im Raumordnungsverfahren Anwendung, sondern ist ein allgemeines Verfahren, in dem die Umweltverträglichkeit bestimmter Vorhaben geprüft wird.419 Die UVP ist genauso wie die SUP gemäß § 4 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 1 UVPG a. F.) ein unselbständiger Teil eines verwaltungsbehörd­ lichen, der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienenden Verfahrens. Die UVP-Pflicht bestimmt sich nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 6–14a UVPG n. F. i. V. m. dem Katalog in Anlage 1 (§§ 3 Abs. 1, 3b–3f UVP a. F. i. V. m. dem Betrieb Katalog in Anlage 1). Zu UVP-pflichtigen Vorhaben gehören u. a. die Errichtung und der von Kraftwerken oder Windfarmen, aber auch Abfalldeponien und der Bau von Wasser-Bundesstraßen und Energie­trassen. Nach § 15 Abs. 3 UVPG n. F. kann die zuständige Behörde dem Vorhabenträger sowie den nach § 17 UVPG n. F. zu beteiligenden Behörden vor der Unterrichtung über den Untersuchungsrahmen Gelegenheit zu einer Besprechung geben. Diese Besprechung soll sich auf den Gegenstand, den Umfang und die Methoden der Umweltverträglichkeitsprüfung erstrecken. Eine Öffentlichkeitsbeteiligung findet in diesem, den Untersuchungsrahmen betreffenden und dem eigentlichen Verfahren vorgelagerten, „Scoping“-Verfahren noch nicht statt, obgleich gem. § 15 Abs. 3 S. 3 Nr. 4 UVPG n. F. (§ 5 S. 3 UVPG a. F.) auch (sonstige) Dritte hinzugezogen werden können.420 Die 417  Es besteht allerdings der Vorbehalt einer anderweitigen landesrechtlichen Regelung, s. § 49 Abs. 1 UVPG n. F.: „Für das Raumordnungsverfahren bei Vorhaben, für die nach diesem Gesetz die UVP-Pflicht besteht, wird die Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Planungsstand des jeweiligen Vorhabens, einschließlich der Standortalternativen nach § 15 Absatz 1 Satz 3 des Raumordnungsgesetzes, durchgeführt, soweit durch Landesrecht nicht etwas anderes bestimmt ist.“; S. dazu Reinhard Wulfhorst, § 16 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 22. 418  S. dazu Reinhard Wulfhorst, § 16 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 25. 419  S. schon oben S. 189 f.; S.  195 ff. 420  Aus der Anwaltschaft heißt es aber, dass die „Scoping“-Besprechungen heute den Charakter einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung hätten, s. Wolfram Hertel/ Christoph-David Munding, „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Planung von Großvorhaben, NJW 2012, S. 2622–2625, 2623. S. dazu auch unten S. 495 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Hinzuziehung Dritter steht im Ermessen der Behörde und ist davon abhängig, ob die Dritten zum Abstecken des Untersuchungsrahmens beitragen können oder nicht.421 Im Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit vorgesehen, § 18 UVPG n. F. Wie im Planfeststellungsverfahren, auf das § 18 Abs. 1 S. 4 UVPG n. F. auch gleich zu Anfang verweist, indem er bestimmt, dass das Beteiligungsverfahren den Anforderungen des § 73 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 bis 7 VwVfG entsprechen muss, ist zwischen der Öffentlichkeit, die sich nach § 18 Abs. 1 S. 1 UVPG n. F. beteiligen darf und der betroffenen Öffentlichkeit, die sich § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG n. F. äußern und Einwendungen erheben darf, zu unterscheiden. Betroffen sind gem. § 2 Abs. 9 UVPG n. F. diejenigen, die in ihren Belangen berührt sind.422 Die betroffene Öffentlichkeit darf sich nach § 21 Abs. 1 UVPG n. F. – der eine Neuerung der UVPG-Novelle 2017 darstellt – im Rahmen der Beteiligung schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde äußern, wobei die Äußerungsfrist einen Monat nach Ablauf der Frist für die Auslegung der Unterlagen endet, § 21 Abs. 2 UVPG n. F. Mit Ablauf der Äußerungsfrist sind für das Verfahren über die Zulässigkeit des Vorhabens alle Äußerungen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, ausgeschlossen, worauf die zuständige Behörde in der Bekanntmachung der Auslegung oder bei der Bekanntgabe der Äußerungsfrist hinzuweisen hat, § 21 Abs. 4 UVPG n. F. Nach § 21 Abs. 5 UVPG n. F. gilt die Äußerungsfrist auch für solche Einwendungen, die sich nicht auf die Umweltauswirkungen des Vorhabens beziehen. Obgleich sich die UVP grundsätzlich an § 73 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 bis 7 VwVfG orientiert, sieht § 18 Abs. 2 UVPG n. F. (geringe) Modifikationen an der Öffentlichkeitsbeteiligung für sog. vorgelagerte Verfahren vor. Vorgelagerte Verfahren sind neben dem hier interessierenden Raumordnungsverfahren, § 49 Abs. 1 UVPG n. F. (§ 16 Abs. 1 UVPG a. F.) auch das verkehrsplanungsrechtliche Linienbestimmungsverfahren, § 47 Abs. 1 S. 1 UVPG n. F. (§ 15 Abs. 1 UVPG a. F.) sowie die Genehmigung von Flugplätzen, § 47 Abs. 1 S. 1 UVPG n. F. (§ 15 Abs. 1 UVPG a. F.).423 Gemäß § 18 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F. kann die zuständige Behörde abweichend von § 18 Abs. 1 UVPG n. F. und § 73 Abs. 6 VwVfG auf die Durchführung eines Erörte-

421  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 54. 422  S. zur betroffenen Öffentlichkeit ausführlich oben S. 192 ff. 423  Ekkehard Hofmann, § 18 UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 97. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 37.



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rungstermins verzichten. Auch auf eine Benachrichtigung von nicht ortsansässigen Betroffenen kann nach § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG verzichtet werden. Wie ist nun mit den Ergebnissen der Beteiligung umzugehen? Wie bei der Vornahme einer Strategischen Umweltprüfung werden auch hier nur umweltrelevante Belange i. S. d. § 2 UVPG berücksichtigt. Diese sind ebenso weit auszulegen.424 Nach § 24 Abs. 1 UVPG n. F. (§ 11 UVPG a. F.) müssen die Äußerungen der betroffenen Öffentlichkeit zusammen in eine zusammenfassende Darstellung der Umweltauswirkungen des Vorhabens sowie der Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen vermieden, vermindert oder ausgeglichen werden, einfließen. Auf Grundlage dieser Darstellung ist dann gem. § 25 UVPG (§ 12 UVPG a. F.) eine begründete Bewertung vorzunehmen, die wiederum von der Behörde nach Maßgabe der geltenden Gesetze im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens zu berücksichtigen ist. 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform Trägt man die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Partizipationsformen zusammen, so weisen diese die Merkmale der demokratischen Partizipationsformen in der (Bundes-)Bedarfsplanung und der Raumordnungsplanung auf. So darf sich der Einzelne als Teil der Öffentlichkeit oder zumindest der betroffenen Öffentlichkeit beteiligen, indem er Einwendungen erheben darf, die dann zu berücksichtigen sind. Dadurch kann mittels Partizipation kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und gestärkt werden. Gleichzeitig trifft der Staat die Entscheidung. Dies schützt individuelle Selbstbestimmung. So wirkt Partizipation durch Einzelne auch im Raumordnungsverfahren, das letztlich in Richtung kollektive Selbstbestimmung tendiert, grundsätzlich legitimierend. Sie ergänzt damit die organisatorisch-personelle Legitimation, die hier je nach Land stark unterschiedlich ausgeprägt ist sowie die sachlichinhaltliche Legitimation, die aufgrund des weiten Prüfungsmaßstabes als eher gering zu bewerten ist. Auch hier zeigt sich also, dass Partizipation als fünfter Legitimationsmodus verstanden werden kann und letztlich muss. Besonders hervorzuheben ist die Umweltverträglichkeitsprüfung. Das UVPG sieht nicht nur ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vor, es hat das Verfahren sogar entwickelt. Man kann die UVP daher als den Ursprung des modernen Beteiligungsverfahrens bezeichnen. Der partizipative Staat beruht ganz wesentlich auf dem Beteiligungsverfahren der UVP 424  S. oben

S. 199 f.

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und seinen Abbildern. Sie ist das große Vorbild auch für andere Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren. Dennoch bleibt die UVP nicht frei von Kritik: so fehlt es an einem verpflichtenden frühen Beteiligungstermin. Ein Erörterungstermin und eine Alternativenprüfung sind nicht allgemein vorgesehen, sondern nur für bestimmte Fälle425 und die Fristen, sofern sie denn Anwendung finden, sind zu knapp bemessen. Die Kritik, nach der die Unterscheidung des UVPG zwischen Beteiligung und Äußerung nicht wirklich einleuchtend sei, da es ja um „Auswirkungen des Vorhabens, Plans oder Programms nicht auf individuell Betroffene, sondern auf die Umwelt als Anliegen der Allgemeinheit geht“,426 kann hier allerdings nicht geteilt werden. Sie trifft den Kern nicht. Da Beteiligung im Rahmen der UVP immer auch individuelle Selbstbestimmung betrifft, ist die betroffene Öffentlichkeit dem Grunde nach der richtige Kreis an Beteiligten. Ohne die Einführung der UVP in den 1980er Jahren auf EU-Ebene ließe sich heute kaum von einem partizipativen Staat sprechen. Die UVP ist Vorbild und Ursprung der meisten verwaltungsrechtlichen Beteiligungsverfahren und trägt entscheidend dazu bei, die Legitimation von Entscheidungen, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen, zu steigern. V. Vorbereitende Fachplanung und Bundesfachplanung Unter den Begriff der Fachplanung fallen so diverse Planungen wie die Planung für Fernstraßen nach § 16 FStrG und Wasserstraßen nach § 13 Abs. 1 WaStrG, die Abfallwirtschaftsplanung nach § 30 KrWG, die Landschaftsplanung nach §§ 8 ff. BNatSchG (ggf. i. V. m. den Landesplanungsgesetzen), die Lärmaktionspläne nach §§ 47a ff. BImSchG, die Luftqualitätspläne nach § 47 BImSchG oder die wasserwirtschaftliche Planung nach 425  S. Jörg Berkemann, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Planungsrecht, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 11–56, 47; BVerwGE 101, 166, LS 3: „Weder aus dem UVP-Gesetz noch aus der UVPRichtlinie 85/337/EWG ergibt sich eine Verpflichtung zur Alternativenprüfung im Rahmen von planerischen Zulassungsentscheidungen. Ob eine solche Prüfung geboten ist, bestimmt sich allein nach den Umständen des Einzelfalls und den sich daraus ergebenden Anforderungen des Abwägungsgebots.“ 426  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1364; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 61, „schwer verständlich“. S. auch die Kritik von Wilfried Erbguth/Mathhias Schubert, Das Gesetz zur Einführung der Strategischen Umweltprüfung und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG), ZUR 2005, S. 524–530, 529 zur SUP, die gerade noch so von einer Europarechtsrechtskonformität ausgehen.



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§§ 82 ff. WHG (ggf. i. V. m. den Landeswassergesetzen). Die neuartige Bundesfachplanung nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG)427 vereint als Stromnetzfachplanung verschiedene Elemente der Raumordnung und der Fachplanung miteinander. Die Namensgebung ebenso wie die Inhalte und Rechtswirkungen variieren zwar, aber doch haben alle hier zu behandelnden Planungen gemein, dass es sich zum einen nicht um Raumordnung, also überörtliche und überfachliche Planung handelt, sondern um fachspezifische, d. h. auf sektorale Aufgabenfelder bezogene Planung. Die raumrelevante oder vorbereitende Fachplanung steht also anders als die Raumordnung unter einem Sachgesichtspunkt und ist nicht zusammenfassender Natur.428 Zum anderen ist noch nicht der Konkretisierungsgrad des Planfeststellungsverfahrens erreicht. Nachdem im Folgenden zunächst der kollektive Selbstbestimmungscharakter der einzelnen Fachplanungen näher untersucht wird (1.), wird im Anschluss daran analysiert, ob und wie sich die Akteure der Öffentlichkeitsbeteiligung und das Ausmaß ihres Einflusses auf die staatliche Entscheidung an dem Charakter der Entscheidung orientieren (2.). Auch hier wird sich die legitimierende Wirkung von Partizipation zeigen (3.). 1. Fachplanung als kollektive Selbstbestimmung Die Fachplanung kann einerseits als Planung zur Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung verstanden werden, andererseits kennt sie auch einzelne Elemente, die dem Schutz individueller Selbstbestimmung dienen. Während die organisatorisch-personelle Legitimation je nach Fachplanung variiert, fällt aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums die sachlich-inhaltliche Legitimation planungstypisch eher gering aus. Dies soll im Folgenden anhand der Linienbestimmung (a)), der Abfallplanung (b)), der Wasserbewirtschaftungsplanung (c)), der Landschaftsplanung (d)), der Lärmaktions- und der Luftqualitätsplanung (e)) sowie zuletzt der Bundesfachplanung nach NABEG (f)) entfaltet werden.

427  BGBl. I 2011, S. 1690, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1325). 428  Klaus Rabe, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht, in: ders./Felix Pauli/ Gerhard Wenzel (Hrsg.), Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 9–33, Rn. 4. Zum Verhältnis Gesamtplanung und Fachplanung s. Wilfried Erbguth, § 30 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn.  3 ff.

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a) Linienbestimmung: Weiter Gestaltungsspielraum des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur und des Fernstraßen-Bundesamts Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ deuten in Richtung kollektive Selbstbestimmung. So wird die Linienbestimmung nach § 16 Abs. 1 FStrG vom Fernstraßen-Bundesamt und § 13 Abs. 1 WaStrG vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vorgenommen. Diese bestimmen „im Benehmen“ (§ 16 Abs. 1 FStrG) bzw. „im Einvernehmen“ (§ 13 Abs. 1 WaStrG) mit den Landesplanungsbehörden der beteiligten Länder die Planung und Linienführung der Bundesfernstraßen bzw. der Bundeswasserstraßen (Linienbestimmung). Die Bundesplanung besitzt nach § 14 Abs. 3 WaStrG und § 16 Abs. 3 FStrG Vorrang vor der Orts- und Landesplanung. Die Linienbestimmung bindet also die Planfeststellungsbehörde, wirkt aber nicht gegenüber Dritten.429 Entsprechend besteht auch kein unmittelbarer Rechtsschutz gegen die Linienbestimmung.430 Die Eigenschaften der Linienbestimmung – also die „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ – bestätigen diesen Befund. Die Linienbestimmung ist als Fachplanung in die Zukunft gerichtet und gilt auf unbestimmte Dauer. Die „sachliche und personelle Reichweite“ ist weit gefasst. So sind noch keine konkreten Vorhaben betroffen und damit sind potentiell alle betroffen. Gleichwohl wird schon eine bestimmte Konkretisierung vorgenommen. Es geht bei der Planung um die Anfangs- und Endpunkte, den grundsätzlichen Verlauf der Trasse, auch im Hinblick auf die benachbarten Ortschaften, die Anbindung an das vorhandene Verkehrswegenetz sowie die Grundsätze der technischen Gestaltung.431 Obgleich ein Raumordnungsverfahren der Fachplanung aus § 16 FStrG sowie § 13 Abs. 1 WaStrG vorgela429  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 78; Jutta Schmidt, § 16 FStrG, in: Hermann Müller/Gerhard Schulz (Hrsg.), Bundesfernstraßengesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2013, Rn. 48 m. w. N.; Bernhard Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht 5. Aufl. 2015, Rn. 4921. 430  Michael Fehling, Reform der Bürgerbeteiligung für die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben, Bucerius Law Journal 2012, S. 92–100, 94; Hans-Jürgen Papier/Wolfgang Durner, Straßenrecht (§ 43), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 337–371, Rn. 18. BVerwGE 62, 342, 346 f.; BVerwGE 48, 56, 60. 431  Nr.  5 der Hinweise zu § 16 FStrG, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/ Anlage/StB/ars-aktuell/allgemeines-rundschreiben-strassenbau-2013-17.pdf?__blob= publicationFile. S. auch Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung



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gert ist und dieses Verfahren auf die Vereinbarkeit von Fachplanung und Raumplanung gerichtet ist, geht § 16 FStrG der Landes- und Ortsplanung vor (§ 16 Abs. 3 FStrG).432 Auch dies zeigt die große „Reichweite“ der Linien­ bestimmung. Schließlich ist die Linienbestimmung rechtlich wenig determiniert. Der Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesfernstraße ist zwar bindend, aber nicht zwingend und damit lediglich zu berücksichtigen. Er lässt damit einen weiten planerischen Spielraum.433 Neben dem Bedarfsplan ist vor allem das Abwägungsgebot nach § 16 Abs. 1 S. 2 FStrG und § 14 Abs. 1 S. 2 WaStrG zu beachten sowie das Gebot der Alternativenprüfung nach § 47 Abs. 1 S. 2 UVPG n. F. (§ 15 Abs. 1 S. 3 UVPG a. F.). Die Indikatoren und die Eigenschaften weisen deutlich darauf hin, dass in der Linienbestimmung kollektive Selbstbestimmung verwirklicht wird. Der weite Gestaltungsspielraum des mit einer hohen organisatorisch-personell Legitimation ausgestatteten Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur verdeutlicht zudem die geringe sachlich-inhaltliche Legitimation. b) Abfallplanung: Weiter Gestaltungsspielraum der Landesregierungen und -ministerien Die Abfallwirtschaftspläne stellen u. a. die Ziele der Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung sowie der erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung dieser Ziele dar. Nach § 30 KrWG sind die Länder zuständig. Auch hier steht die Ermöglichung und Verwirklichung von kollektiver Selbstbestimmung im Vordergrund. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ weisen eindeutig in diese Richtung. Zwar finden sich im Landesrecht unterschiedliche Regelungen, die Abfallwirtschaftspläne werden aber grundsätzlich weit oben in der Verwaltungshierarchie entwickelt. So wird in Hamburg z. B. der Senat tätig, also die Landesregierung, in Hessen billigt den Plan ebenfalls die Landesregierung und in Berlin ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt und damit ein Ministerium zuständig. Eine Außenwirkung gegenüber Bürgern

und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833– 841, 835. 432  Im Einzelnen sind hier viele Fragen noch ungeklärt. Vgl. ausführlich Wilfried Erbguth, Raumordnung und Fachplanung: ein Dauerthema. Grundsätzliches und Aktuelles, DVBl. 2013, S. 274–280, 275 f.; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 128 ff., S. 347. 433  Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 341.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

kommt dem Plan grundsätzlich nicht zu.434 Er ist eine reine Verwaltungsvorschrift.435 Dies gilt aber nur, solange der Plan nicht für verbindlich erklärt wurde. Die Verbindlicherklärung nach § 30 Abs. 4 KrWG kann nur durch Rechtsverordnung oder Gesetz geschehen,436 der Plan besitzt dann dieselbe Qualität.437 Im Fall der Verbindlicherklärung kommt unmittelbarer Rechtsschutz nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Betracht.438 Auch hier weisen die Indikatoren also darauf hin, dass kollektive Selbstbestimmung im Vordergrund steht. Dies wird von den Eigenschaften, also der „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihrer „zeitliche Orientierung“ und ihrer „Reichweite“, bestätigt. So richtet sich auch hier die Planung in die Zukunft, es handelt sich um vorsorgeorientierte Planung, die „eine vom Einzelfall unabhängige, vorausschauende und gestaltende Steuerung der Abfallströme möglich“ macht.439 Nach § 30 Abs. 2 KrWG sind zukünftige, innerhalb eines Zeitraums von mindestens zehn Jahren zu erwartende Entwicklungen zu berücksichtigen. Auch die „Reichweite“ ist weit gefasst. So stellen die Länder für ihr Gebiet nach § 30 Abs. 1 KrWG Abfallwirtschaftspläne nach überörtlichen Gesichtspunkten auf und betreffen damit jeden im Land. Schließlich ist auch die „rechtliche Determiniertheit“ der Planungsbehörden nicht allzu stark ausgeprägt. Wie immer ist zwingendes Recht zu beachten. 434  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 9; s. auch Rn. 40 ff. 435  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 40; Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 759–873, Rn. 351: „verwaltungsinterne Fachpläne“. 436  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 42 ff. 437  Thomas Schomerus, § 31 KrWG, in: Ludger-Anselm Versteyl/Thomas Mann/ ders., Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2012, Rn. 18; Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher OnlineKommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 51; BVerwG, NVwZ 1989, S. 458, 459; s. auch Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Aufl. 2018, S. 759–873, Rn. 351, der eine verwaltungsprozessuale Normenkontrolle nach § 47 VwGO für einschlägig ansieht; s. außerdem Clemens Weidemann, Zum Rechtsschutz gegen abfallrechtliche Standortentscheidungen, NVwZ 1989, S. 1033–1035; Udo Kotzea/Georg Franz, Der Rechtsschutz des beauftragten Entsorgers i. S. d. § 16 KrW-/AbfG gegen für verbindlich erklärte Abfallwirtschaftsplaninhalte, UPR 2000, S. 5–10. 438  S. zu den Ländern, die unmittelbaren Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen vorsehen oben S. 212 f. 439  Olaf Kropp, § 30 KrWG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 5.



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Nach § 30 Abs. 5 KrWG sind entsprechend der Vorschrift des § 4 Abs. 1 ROG die Ziele der Raumordnung zu beachten und die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen. Auch die Pflicht zur Planrechtfertigung und das Abwägungsgebot sind zu beachten, dies folgt mangels ausdrücklicher Normierung aus dem Rechtsstaatsprinzip440 und nach hier vertretener Ansicht aus dem Demokratieprinzip.441 Anders als andere Normen, mit denen der Gesetzgeber die Verwaltung zur Planung ermächtigt, sehen § 30 Abs. 1 S. 1 und S. 2 KrWG sowie § 30 Abs. 6 KrWG z. T. relativ genaue Mindestinhalte vor. Diese Vorgaben dienen der finalen Programmierung der Verwaltung, indem der Verwaltung nur wenige inhalt­ liche Vorschriften gemacht werden, sondern ihr vielmehr aufgegeben wird, welche Aspekte sie zu beachten, zu bewerten, zu gewichten und dann in den Abfallwirtschaftsplan aufzunehmen hat. Neben den Indikatoren und den Eigenschaften „Zukunftsorientierung“ und der „sachlichen und personellen Reichweite“ zeugt also auch die „rechtliche Determiniertheit“ für die hier im Vordergrund stehende Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Wegen der geringen „rechtlichen Determiniertheit“ lässt sich hier zudem eine geringe sachlich-inhaltliche Legitimation durch ein organisatorisch-personell hoch legitimiertes Staatsorgan konstatieren. c) Wasserbewirtschaftungsplanung: Gestaltungsspielraum der Landesministerien Die Planung nach §§ 82 und 83 WHG sieht die Planungsinstrumente Bewirtschaftungsplanung und Maßnahmenprogramme vor. Beide sind eng miteinander verknüpft und stellen die Planungsinstrumente dar, mit denen die Bewirtschaftungsziele der §§ 27–31 WHG (oberirdische Gewässer), § 44 WHG (Küstengewässer) und § 47 WHG (Grundwasser)442 erreicht werden sollen. Der Bewirtschaftungsplan fasst die Grundlage für die konkreten Maßnahmen zusammen und dokumentiert sie, während die Maßnahmenprogramme Festsetzungen hinsichtlich der erforderlichen Maßnahmen enthalten.443 Wie die anderen Fachplanungsinstrumente ermöglichen und verwirk­

440  S. oben

S. 174 f. S. 179 ff. 442  Außerdem kennt das WHG noch die Risikomanagementpläne, um die Gefahren von Hochwasser zu mildern nach § 75 WHG und Maßnahmenprogramme für Meeresgewässer nach § 45h WHG. Diese sollen hier aber keine Rolle spielen. 443  Harald Ginzky, § 82 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 1. 441  S. oben

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lichen auch die wasserwirtschaftlichen Pläne im Schwerpunkt kollektive Selbstbestimmung. Erlassen werden die Pläne von den Ländern. Schon der erste der drei Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ und „Rechtsschutz“, deutet auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung hin. Hier werden nämlich die Ministerien tätig, in Bayern etwa das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit.444 In Nordrhein-Westfalen wird gem. § 2d LWG als oberste Wasserbehörde das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz tätig. Das Gleiche gilt für Berlin, hier ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zuständig. Vom Bewirtschaftungsplan geht keine Rechtswirkung aus.445 Bezüglich der Maßnahmenpläne wird grundsätzlich lediglich von einer verwaltungsinternen Bindung ausgegangen, etwa indem sie behördliches Ermessen lenken.446 Aufgrund der europarechtlichen Vorgaben wird vertreten, dass von den Maßnahmenplänen unter Umständen eine Außenwirkung ausgehen müsse.447 In diesen Fällen muss auch direkter Rechtsschutz möglich sein, der u. U. auch den Anspruch auf Erstellung eines Plans erfassen kann.448 Diese Situation ist der grundrechtlichen Schutzpflichtenkonstellation vergleichbar, die im Extremfall sogar einen Anspruch auf Erlass eines formellen Gesetzes vorsieht.449 Es besteht also ein Planungsspielraum der Behörde, der der kollektiven und nicht der individuellen Selbstbestimmung dient, der aber dann, wenn Grundrechte verletzt zu werden drohen, auch die individuelle Selbst­ bestimmung betrifft. Das spricht keineswegs dafür, hier anzunehmen, dass Pläne mehr individueller Selbstbestimmung als kollektiver Selbstbestimmung 444  Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, Bewirtschaftungsplan für den bayerischen Anteil der Flussgebietseinheit Donau, 2009, https://www.lfu. bayern.de/wasser/wrrl/doc/donau_bp_2009_mitanhang.pdf, S. 205. 445  Harald Ginzky, § 82 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 5 f. 446  Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 759–873, Rn. 258; Kurt Fassbender, Die neuen wasserwirtschaftlichen Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne – Bindungswirkung und Rechtschutz, ZfW 2010, S. 189–207, 199 f. 447  Harald Ginzky, § 82 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 5 ff. 448  S. ausführlich zu Fragen des Rechtsschutzes Roman Götze, Rechtschutz im Wirkfeld von Bewirtschaftungsplan und Maßnahmenprogramm nach der Wasserrahmenrichtlinie – Rechtsfolgen und Justitiabilität der „Pläne 2009“, ZUR 2008, S. 393– 401. 449  S. Christian Calliess, Schutzpflichten (§ 44), in: Detlef Merten/Hans Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band 2, 2006, S. 964–991; Heike Krieger, Funktionen von Grund- und Menschenrechten, in: Oliver Dörr/Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl. 2013, Band 1, S. 287–365.



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dienen. Vielmehr entstehen Ansprüche gegen den Staat, dass dieser im Wege kollektiver Selbstbestimmung einen Plan erlässt. Bestätigt wird der Befund kollektiver Selbstbestimmung durch die Eigenschaften der Wasserbewirtschaftungsplanung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“. Wasserbewirtschaftungsplanung ist „in die Zukunft gerichtet“, ihre „Reichweite“ umfasst alle Fragen, mit denen die umfassenden Bewirtschaftungsziele, vor allem die Vermeidung der Verschlechterung und die Herstellung eines guten ökologischen und chemischen Zustands der Gewässer (§ 27 WHG), erreicht werden sollen. Auch die rechtliche Determiniertheit der Entscheidung deutet darauf hin, dass die Wasserbewirtschaftungsplanung kollektiver Selbstbestimmung dient. Zwingendes Recht ist selbstverständlich wie bei jeder Planung ebenso zu beachten wie der Grundsatz der Planrechtfertigung sowie das Abwägungsgebot. Im Rahmen der Abwägung sind nach § 82 Abs. 1 S. 2 WHG die Ziele der Raumordnung zu beachten; die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung sind zu berücksichtigen. §§ 82 und 83 WHG sehen, teilweise unter Verweis auf die Wasserrahmenrichtlinie450, weitere Maßgaben für die Abwägung vor. Hier zeigt sich, dass die Verwaltung in der Tat, vor allem aufgrund europarechtlicher Vorgaben, enger determiniert ist. Insgesamt ist die Planung hier trotz des möglichen individuellen Anspruchs auf Aufstellung eines Plans dem Bereich kollektiver Selbstbestimmung zuzuordnen. Die sachlich-inhaltliche Legitimation fällt leicht höher aus als bei der Linienbestimmung und der Abfallplanung. Die organisatorisch-personelle Legitimation ist hingegen vergleichbar mit der der Linienbestimmung und der Abfallplanung. d) Landschaftsplanung: Gestaltungsspielraum der Landesministerien und Gemeindevertretungen Der Landschaftsplanung kommt nach §§ 8 ff. BNatSchG die Aufgabe zu, die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege für den jeweiligen Planungsraum zu konkretisieren und die Erfordernisse und Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Ziele auch für die Planungen und Verwaltungsverfahren aufzuzeigen, deren Entscheidungen sich auf Natur und Landschaft im Planungsraum auswirken können (§ 9 Abs. 1 BNatSchG). Nach § 10 Abs. 4 BNatSchG (Landschaftsprogramme) und § 11 Abs. 5 BNatSchG (Landschaftspläne) richtet sich die Zuständigkeit nach Landesrecht. 450  Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Trotz unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen deuten die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ letztlich in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Anders als in den anderen Fällen ist der Rechtsschutz stärker ausgeprägt. Grundsätzlich ist für die Erstellung der Landschaftsprogramme ein Ministerium als oberste Naturschutzbehörde zuständig451 und für die Landschaftspläne die Gemeindevertretung.452 Landschaftsprogramme werden dementsprechend grundsätzlich als Rechtsverordnung festgesetzt und Landschaftspläne als Satzung.453 Damit ist unmittelbarer Rechtsschutz nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen Satzungen und in den meisten Ländern454 nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen Rechtsverordnungen oder in beiden Fällen mittels einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO möglich.455 Die Indikatoren weisen hier in Richtung kollektive Selbstbestimmung, wenngleich der Individualrechtsschutz auf einen Einschlag individueller Selbstbestimmung hindeutet. Die Eigenschaften der Landschaftsplanung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, wiederum weisen deutlich in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung hin. So ist auch diese Planung in die Zukunft gerichtet und sie besitzt eine größere „Reichweite“, entweder überörtlich (§ 10 BNatSchG) oder zumindest für die örtliche Ebene (§ 11 BNatSchG). Die „rechtliche Determiniertheit“ der Landschaftsplanung wird vor allem vom Abwägungsgebot gesteuert, wenngleich zwingendes Recht sowie die Ziele der Raumordnung zu ­beachten und die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen sind (§ 10 Abs. 1 S. 2 BNatSchG, § 11 Abs. 1 S. 2 BNatSchG). Hinzu kommen das Prinzip der Planrechtfertigung und das Abwägungsgebot. Eine Abwägung folgt wie immer in Planungsfragen aus dem Rechtsstaatsprinzip456 und nach hier vertretener Ansicht aus dem Demokratieprinzip.457 Es wird in § 2 Abs. 3 BNatSchG vorausgesetzt. Abgewogen 451  In Sachsen z. B. das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft als oberste Naturschutzbehörde, § 8 Abs. 1 SächsNatSchG. 452  Vgl. § 8 Abs. 4 SächsNatSchG. 453  Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 759–873, Rn. 211 unter Verweis auf § 12 Abs. 8 BlnNatSchG; § 5 Abs. 3 HmbNatSchG (für Landschaftsprogramme, die in Hamburg dem Grunde nach auch überörtliche Planung enthalten); Satzung: § 7 Abs. 3 Landschaftsgesetz NRW. 454  S. oben S. 212 f. 455  Reiner Schmidt/Wolfgang Kahl/Klaus Ferdinand Gärditz, Umweltrecht, 12. Aufl. 2021, § 10 Rn. 33. 456  S. oben S. 174 f. 457  S. oben S. 175 ff.



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werden müssen alle sich aus den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege (vgl. § 1 Abs. 1 BNatSchG) ergebenden Anforderungen untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft. Diese weit gefassten Anforderungen verdeutlichen den kollektiven Selbstbestimmungscharakter der Landschaftsplanung. Aus ihnen ergibt sich auch, dass die sachlich-inhaltliche Legitimation der Landschaftsplanung in etwa der der Wasserbewirtschaftungsplanung entspricht. Allerdings ist die Gemeindevertretung organisatorisch-personell weitaus weniger legitimiert als beispielsweise ein Ministerium, jedoch tritt hier die Legitimation durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG hinzu. e) Lärmaktions- und Luftqualitätsplanung: Weiter Gestaltungsspielraum unterschiedlich legitimierter Staatsorgane Lärmaktionspläne nach § 47d BImSchG sollen Lärmprobleme und Lärmauswirkungen regeln, die von „Umgebungslärm“, also belästigenden oder gesundheitsschädlichen Geräuschen im Freien, die durch Aktivitäten von Menschen verursacht werden. Luftqualitätsplanung nach § 47 BImSchG dient der dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen. Ähnlich wie bei den Bewirtschaftungsplänen im Wasserhaushaltsrecht zeigt sich eine gewisse Tendenz in Richtung Schutz individueller Selbstbestimmung, wenngleich die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung noch deutlich im Vordergrund steht. Vor allem der erste Indikator der drei Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ und „Rechtsschutz“ weist auf eine im Vergleich zu den anderen Fachplanungen stärkere Ausrichtung auf den Schutz individueller Selbstbestimmung hin. Die „handelnden Organe“ sind nämlich vielfach keine Ministerien, sondern in der staatlichen Hierarchie weiter unten angesiedelt. Lärmaktionspläne werden nach § 47e BImSchG von den Gemeinden im Wege der Auftragsverwaltung oder von den nach Landesrecht zuständigen Behörden erlassen. Die Luftqualitätspläne (Luftreinhaltepläne) werden von den Ländern erlassen, die Zuständigkeiten divergieren hier ebenso stark.458 Sie können etwa von den Bezirksregierungen wie in Nord458  Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts im Spannungsfeld zwischen Deutschem und Europäischem Recht, NVwZ 2010, S. 1513–1520, 1516, unter Verweis auf den Überblick bei Ina Elisabeth Klingele, Umweltqualitätsplanung. Zur Integration der gemeinschaftsrechtlichen Luftreinhalte- und Wasserbewirtschaftungsplanung in das nationale Umweltrecht, 2012, 3 IV 3.

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rhein-Westfalen und Bayern oder von einem Ministerium wie in Mecklenburg-Vorpommern (dort das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus) erlassen werden. Die Rechtsnatur der Pläne ist umstritten, sie sind weder Rechtsverordnung noch Satzung, wirken aber normähnlich.459 § 47 Abs. 1 BImSchG bestimmt, dass die Luftreinhaltepläne den Anforderungen einer Rechtsverordnung entsprechen. Dennoch soll unmittelbarer Rechtsschutz gegen Luftreinhaltepläne gem. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO mangels Außenwirkung nicht direkt möglich sein.460 Dies wird aber dann bestritten, wenn durch konkrete Festlegungen Dritte berechtigt oder belastet werden.461 Das Gleiche gilt für Luftreinhalteaktionspläne, die inzwischen in Pläne für kurzfristige Maßnahmen umbenannt sind (§ 47 Abs. 2 BImSchG).462 Ein spezieller Anspruch auf konkrete Maßnahmen in Plänen wird nach allgemeiner Ansicht in den meisten Fällen bestritten.463 Ein prinzipieller Anspruch auf Erstellung eines Planes wurde hingegen inzwischen durch den EuGH bejaht.464 Jedoch besteht ein solcher Anspruch erst dann, wenn eine Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen bevorsteht.465 Auch hier ist der Vergleich mit den grundrechtlichen Schutzpflichten angezeigt. Das spricht aber ebenso wenig wie bei den Wasserhaushaltsplänen466 dafür, die Pläne mehr der Sphäre der individuellen Selbstbestimmung zuzuordnen. Vielmehr entstehen Ansprüche gegen den Staat auf die Ausübung kollektiver 459  Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts im Spannungsfeld zwischen Deutschem und Europäischem Recht, NVwZ 2010, S. 1513–1520, 1514; Pascale Cancik, Europäische Luftreinhalteplanung – zur zweiten Phase der Implementation, ZUR 2011, S. 283–295, 287; vgl. BVerwG, NVwZ 2007, 698 und ZUR 2012, 554: Einordnung von Luftreinhalteplänen als Verwaltungsvorschriften. 460  Pascale Cancik, Europäische Luftreinhalteplanung – zur zweiten Phase der Implementation, ZUR 2011, S. 283–295, 287; Hans D. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz. Kommentar, 11. Aufl. 2015, § 47 Rn. 61. 461  Wolfgang Köck, §  47 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. April 2018, Rn. 21; vgl. Reinhard Sparwasser, Luftqualitätsplanung zur Einhaltung der EU-Grenzwerte – Vollzugsdefizite und ihre Rechtsfolgen, NVwZ 2006, S. 369–377, 373. S. zu den Ländern, die unmittelbaren Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen vorsehen, oben S. 212 f. 462  S. Pascale Cancik, Europäische Luftreinhalteplanung – zur zweiten Phase der Implementation, ZUR 2011, S. 283–295, 287. 463  Pascale Cancik, Europäische Luftreinhalteplanung – zur zweiten Phase der Implementation, ZUR 2011, S. 283–295, 288, unter Verweis auf dies., Aktionspläne zur Lärmminderung – effektives Instrument oder „Aktionismus“?, ZUR 2007, S. 169–224, 171, 174. 464  EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek. 465  EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 39. 466  S. oben S. 233 ff.



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Selbstbestimmung, weil nur so individuelle Selbstbestimmung gesichert werden kann. Die Eigenschaften der Pläne, also die „Intensität der Verrechtlichung“, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, zeigen trotz des möglicherweise bestehenden subjektiven Anspruchs auf Aufstellung eines Plans eine grundsätzliche Fundierung der Luftreinhaltepläne in kollektiver Selbstbestimmung: So sind sie auf die Zukunft gerichtet. Dies wird hier speziell an der Unterscheidung der verschiedenen Pläne deutlich. Ihre Unterscheidung beruht vor allem darauf, ob kurzfristig oder dauerhaft die Ziele der Pläne durchgesetzt werden sollen. Die Luftreinhaltepläne nach § 47 Abs. 1 BImSchG, die auf die Luftreinhalterichtlinie467 zurückgehen, legen die erforder­ lichen Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen fest. Luftreinhalteaktionspläne dienen nach § 47 Abs. 2 BImSchG zur Ergreifung kurzfristig durchzuführender Maßnahmen bei drohender Überschreitung bestimmter Alarmschwellen. Die „Reichweite“ beider Pläne deutet ebenfalls auf kollektive Selbstbestimmung hin. Lärmaktionspläne zielen auf die Regelung von Lärmproblemen und Lärmauswirkungen in Ballungsräumen mit mehr als 250.000 Einwohnern und Orte in der Nähe der Hauptverkehrsstraßen mit einem Verkehrsaufkommen von über sechs Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr, der Haupteisenbahnstrecken mit einem Verkehrsaufkommen von über 60.000 Zügen pro Jahr und von Großflughäfen (§ 47d Abs. 1 BImSchG). Auch Luftreinhaltepläne gelten nach § 27 39. BImSchV für Ballungsräume und bestimmte Gebiete. Beide Begriffe werden nicht näher spezifiziert. Aus dieser „räumlichen Reichweite“ folgt jeweils eine viele Einzelne betreffende „personelle Reichweite“. Hinzu treten die rechtlichen Auswirkungen auf andere Planungen: Im Rahmen von Planungsentscheidungen, die selbst einer Abwägung unterliegen, sind sie ebenso wie beispielsweise Regionalpläne zu berücksichtigen.468 Zudem können sie im Hinblick auf bestimmte Entscheidungen das behördliche Ermessen steuern und einschrän-

467  EU-Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG). 468  Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts im Spannungsfeld zwischen Deutschem und Europäischem Recht, NVwZ 2010, S. 1513–1520; Reinhard Sparwasser, Luftqualitätsplanung zur Einhaltung der EU-Grenzwerte – Vollzugsdefizite und ihre Rechtsfolgen, NVwZ 2006, S.  369–377, 374 f.; Helmuth Schulze-Fielitz/Martin Wickel, § 47d BImSchG, in: Monika Böhm/Hans-Joachim Koch/Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2019, Rn. 70; Rüdiger Engel, Aktuelle Rechtsfragen der Lärmaktionsplanung, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.). Dokumentation zur 33. wissenschaftlichen Fachtagung in Berlin 2009, 2010, S. 95–143, 121 f.; BVerwGE 119, 217.

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ken.469 „Rechtlich determiniert“ sind sie wie alle Pläne vom zwingenden Recht, dem Planrechtfertigungserfordernis und dem Abwägungsgebot, das sich auch hier aus dem allgemeinen Grundsatz und damit dem Rechtsstaatsund dem Demokratieprinzip gleichermaßen ergibt. Im Rahmen des Abwägungsgebots bestimmen § 47 Abs. 3 S. 2 BImSchG für die Luftreinhaltepläne und § 47d Abs. 4 BImSchG für die Lärmaktionspläne, dass bei der Aufstellung der Pläne die Ziele der Raumordnung zu beachten sowie die Grundsätze und sonstigen Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen sind. Diese übliche Beschränkung des Abwägungsspielraums erlaubt den unterschied­ lichen Staatsorganen einen Gestaltungsspielraum. Insgesamt steht damit die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung trotz eines möglichen Anspruchs auf staatliches Tätigwerden und der Vielfalt der handelnden Organe weiterhin im Vordergrund. Diese Vielfalt der „handelnden Organe“ in den Ländern führt zu größeren Diskrepanzen bei der organisatorisch-personellen Legitimation. Die sachlich-inhaltliche Legitimation hingegen ist in allen Ländern gleichbleibend gering. f) Bundesfachplanung nach NABEG: Gestaltungsspielraum durch die Bundesnetzagentur als Bundesoberbehörde Die Bundesfachplanung ist ein neuartiges Planungsinstrument und vereint Elemente der Raumordnung, der Fachplanung und des Linienbestimmungsverfahrens in sich.470 Sie unterscheidet sich vor allem aufgrund der raumordnungsrechtlichen Elemente von der vorbereitenden Fachplanung. Daher ist umstritten, ob sie mehr der Raumordnungsplanung oder mehr der Fachplanung zuzuordnen ist.471 Da die Bundesfachplanung – vergleichbar mit dem 469  Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts im Spannungsfeld zwischen Deutschem und Europäischem Recht, NVwZ 2010, S. 1513–1520, 1514; Reinhard Sparwasser, Luftqualitätsplanung zur Einhaltung der EU-Grenzwerte – Vollzugsdefizite und ihre Rechtsfolgen, NVwZ 2006, S. 369–377, 374; Klaus Hansmann/Marc Röckinghausen, § 47 BImSchG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht 92. Ergänzungslieferung 2020, Rn. 29a. 470  Sabine Schlacke, Bundesfachplanung für Höchstspannungsleitungen. Der Schutz von Natur und Landschaft in der SUP und der fachplanerischen Abwägung, NVwZ 2015, S. 626–633, 627: „Eigenschaften eines planungs- und raumordnungssowie Linienbestimmungsverfahrens aufweist.“ 471  Sabine Schlacke, Bundesfachplanung für Höchstspannungsleitungen. Der Schutz von Natur und Landschaft in der SUP und der fachplanerischen Abwägung, NVwZ 2015, S. 626–633, 627 f. m. w. N. S. auch Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 839, die es als besonderes Raumordnungsverfahren versteht.



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Bau von Fernstraßen – den Bau von sog. Stromautobahnen zum Gegenstand hat, die Planung schon fachliche Fragen und nicht nur die Raumplanung als solche konkretisiert und das NABEG sie überdies selbst als Bundesfachplanung bezeichnet, soll sie hier als Fachplanung verstanden werden, wenngleich als Fachplanung „sui generis.“472 Durch die Bundesfachplanung verwirklicht sich kollektive Selbstbestimmung, wie schon die drei Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ deutlich zeigen. Die Bundesfachplanung wird gem. § 12 NABEG von der Bundesnetzagentur vorgenommen, die eine Bundesoberbehörde ist.473 Die Bundesfachplanung wirkt nur intern. Rechtsschutz gegen die Bundesfachplanung ist mangels Außenwirkung nicht zulässig (vgl. § 15 Abs. 3 NABEG).474 Auch die Eigenschaften der Bundesfachplanung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, bestätigen diesen Befund. Die Bundesfachplanung ist „auf die Zukunft ausgerichtet“. Ihre Geltungsdauer beträgt zehn Jahre und kann durch die Bundesnetzagentur um weitere fünf verlängert werden (§ 15 Abs. 2 NABEG). Die „sachliche Reichweite“ ist weit gefasst und bezieht sich nach § 12 NABEG auf die Verbindung mit dem bestehenden Netz und die Grobtrassierung, d. h. die Festlegung eines 500 bis maximal 1000m breiten Korridors für die „Stromautobahnen.“475 Der Umfang der Planung ist dabei vergleichbar zu § 16 FStrG,476 da es um den grundsätzlichen Verlauf mit Anfangs- und Endpunkten und „die ungefähre Lage zu berührten oder benachbarten Ortschaf472  Vgl. Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1006; Sabine Schlacke, Bundesfachplanung für Höchstspannungsleitungen. Der Schutz von Natur und Landschaft in der SUP und der fachplanerischen Abwägung, NVwZ 2015, S. 626–633, 628. 473  § 1 Gesetz über die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen. 474  Es ist umstritten, ob dies verfassungsrechtlich zulässig ist: Christoph Moench/ Marc Ruttloff, Netzausbau in Beschleunigung, NVwZ 2011, S. 1040–1045, 1043; Dieter Sellner/Frank Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011 – Das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, S. 1025–1035, 1031; Markus Appel, Regelungsregime für den Stromnetzausbau nach EnWG und NABEG, UPR 2011, S. 406–416, 413; Wilfried Erbguth, Trassensicherung für Höchstspannungsleitungen. Systemgerechtigkeit und Rechtsschutz, DVBl. 2012, S. 325–329, 329; s. auch Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 230. 475  BT-Drs. 17/6073, S. 19; s. auch Jürgen Kühling/Nikolaus Herrmann, Fachplanungsrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 247 ff. Ausführlich zu den Trassierungsregeln s. Tobias Leidinger, Planungsrechtliche Grundsätze bei der Trassierung von Übertragungs- und Verteilungsnetzen, DVBl. 2013, S. 949–955. 476  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835.

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ten“ geht.477 Bundesfachplanung bezieht sich auf länder- oder grenzüberschreitende Leitungen, die in der Bedarfsplanung besonderes gekennzeichnet wurden und umfasst damit die Trassenkorridore der von im Bundesbedarfsplan aufgeführten Höchstspannungsleitungen. Auch ihre „rechtliche Reichweite“ zeugt von dem Schwerpunkt kollektiver Selbstbestimmung. Die Bundesfachplanung nach NABEG setzt sich gegen den Raumordnungsplan durch. Die Rechtswirkungen sollen den beschleunigten Ausbau der Energieleitungen ermöglichen. Ihnen wird ein „überragend wichtiges Interesse“ (§ 1 S. 3 NABEG) zugesprochen, weshalb nur entgegenstehende Belange Prüfungsgegenstand sind. Letzteres ist der Raumordnung wesensfremd.478 Die Entscheidung nach § 12 NABEG, d. h. der Verlauf des Trassenkorridors, die Länderübergangspunkte sowie Raumverträglichkeit und Alternativprüfung, sind gem. § 15 Abs. 1 S. 1 NABEG für das Planfeststellungsverfahren nach §§ 18 ff. NABEG verbindlich. Zudem hat die Bundesfachplanung nach § 15 Abs. 1 S. 2 NABEG Vorrang vor den Landesplanungen und Bauleitplanungen.479 Nach § 28 NABEG wird das Raumordnungsverfahren ersetzt. Die Bundesfachplanung setzt sich aber nicht gegen alle anderen konkurrierenden Belange durch. So orientiert sich die Bundesfachplanung am raumordnerischen Auftrag.480 Dennoch ist sie rechtlich nur in geringem Ausmaß determiniert: Neben dem zwingenden Recht ist sie an den Grundsatz der Planrechtfertigung und an das Abwägungsgebot gebunden. Der fachplanerische Abwägungscharakter lässt sich aus § 5 Abs. 1 S. 1 NABEG ableiten. Hier heißt es, dass die Bundesnetzagentur in der Bundesfachplanung zur Erfüllung der in § 1 Abs. 1 EnWG genannten Zwecke Trassenkorridore bestimmt. Die in § 1 Abs. 1 des EnWG genannten Zwecke betreffen eine möglichst sichere, preis477  Nr.  5 der Hinweise zu § 16 FStrG, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/ Anlage/StB/ars-aktuell/allgemeines-rundschreiben-strassenbau-2013-17.pdf?__blob= publicationFile. 478  Holger Schmitz/Philipp Jornitz, Regulierung des deutschen und europäischen Energienetzes. Der Bundesgesetzgeber setzt neue Maßstäbe für den kontinentalen Netzausbau, NVwZ 2012, S. 332–337, 33; Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1008 f. 479  BT-Drs. 17/6073, S. 27; a.  A. Wilfried Erbguth, Raumordnung und Fachplanung: ein Dauerthema. Grundsätzliches und Aktuelles, DVBl. 2013, S. 274–280, 276 mit allerdings wenig überzeugenden Argumenten bzgl. der mangelnden Systemgerechtigkeit staatlichen Handelns und mangelnden Übereinstimmung mit dem Bau(rechts)gutachten BVerfGE 3, 407, 425: Raumordnung „ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfaßt und aufeinander abstimmt“. S. auch Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 230. 480  Wilfried Erbguth, Energiewende: Großräumige Steuerung der Elektrizitätsversorgung zwischen Bund und Ländern, NVwZ 2012, S. 326–332, 328 mit zahlreichen Beispielen.



Kapitel 5: Die Exekutive243

günstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht. Diese Zwecke erfordern eine Planrechtfertigung, die wiederum ein typisches Charakteristikum einer planerischen Abwägung darstellt.481 Zudem kommt die Pflicht zur Abwägung in dem Begriff „überwiegend“ des § 5 Abs. 1 S. 2 NABEG zum Ausdruck.482 Hier wird der Bundesnetzagentur die Prüfung aufgegeben, ob der Verwirk­ lichung des Vorhabens in einem Trassenkorridor überwiegende öffentliche oder private Belange entgegenstehen. Zudem folgt das Abwägungsgebot aus dem Rechtsstaatsprinzip483 und nach hier vertretener Ansicht aus dem Demokratieprinzip.484 Die Bundesfachplanung dient damit – auch aufgrund der besonderen Verbindung zur Raumordnungsplanung – besonders deutlich kollektiver Selbstbestimmung. Sie ist rechtlich nur in geringem Ausmaß determiniert und damit auch sachlich-inhaltlich in nur geringem Ausmaß legitimiert. Legitima­ tionstheoretisch ist dies deshalb problematisch, weil die organisatorisch-personelle Legitimation aufgrund der Zuständigkeit nicht eines Ministeriums, sondern einer Bundesoberbehörde geringer ausgeprägt ist als beispielsweise die der Linienbestimmung, der Abfallplanung oder der Wasserbewirtschaftungsplanung. g) Bewertung: Ausübung kollektiver Selbstbestimmung in der gesamten Fachplanung In der gesamten Fachplanung von der Linienbestimmung über die Landschaftsplanung bis zur Bundesfachplanung nach NABEG verwirklicht sich im Schwerpunkt kollektive Selbstbestimmung. Darauf deuten sowohl die Indikatoren als auch die Eigenschaften der Fachplanungsentscheidung hin. Vielfach werden Ministerien fachplanend tätig und die Pläne ergehen entweder als Rechtsverordnungen oder besitzen nur interne Wirkung. Dementsprechend ist der unmittelbare Rechtsschutz gegen die Fachplanung eingeschränkt. Dieser erste Eindruck aufgrund der Indikatoren wird durch die Eigenschaften der Fachplanung bestätigt. Wie alle Planung ist auch die vorbe481  Sabine Schlacke, Bundesfachplanung Schutz von Natur und Landschaft in der SUP NVwZ 2015, S. 626–633, 628. 482  Sabine Schlacke, Bundesfachplanung Schutz von Natur und Landschaft in der SUP NVwZ 2015, S. 626–633, 627. 483  S. dazu schon ausführlich oben S. 174 f. 484  S. oben S. 175 ff.

für Höchstspannungsleitungen. Der und der fachplanerischen Abwägung, für Höchstspannungsleitungen. Der und der fachplanerischen Abwägung,

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

reitende Fachplanung und Bundesfachplanung in die Zukunft gerichtet. Die inhaltliche „Reichweite“ der Planung erfasst noch keine konkreten Vorhaben. Personell gebunden sind nicht die Einzelnen, sondern die nachfolgenden Behörden. Schließlich ist trotz der Vorgaben der anderen Planstufen – so sind etwa die Ziele der Raumordnung zu beachten und deren Grundsätze zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 1 ROG) – die Planungsbehörde rechtlich weitaus weniger determiniert als bei Ermessens- oder gar gebundenen Entscheidungen. Auch hier muss abgewogen werden. Die gesetzlichen Vorgaben sind final gefasst und lassen den Behörden einen Spielraum. In allen Fachplanungen wird daher vornehmlich kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und verwirklicht, wenngleich jeweils schon Elemente individueller Selbstbestimmung hervor scheinen, die bei Lärmaktions- und Luftqualitätsplänen sowie der Wasserbewirtschaftungsplanung am stärksten ausgeprägt sind. Während die organisatorisch-personelle Legitimation in der Fachplanung variiert, fällt die sachlich-inhaltliche Legitimation weitgehend gleich aus. Die organisatorisch-personelle Legitimation ist hoch, wenn ein Bundes- oder Landesministerium zuständig ist. Sie wird niedriger, wenn beispielsweise eine Bezirksregierung zuständig ist. Die sachlich-inhaltliche Legitimation bleibt weitestgehend gleich niedrig, auch wenn in manchen Fachplanungen schon mehr gesetzliche Vorfestlegungen bestehen. Insgesamt sind die Vorfestlegungen aber gering. 2. (Betroffene) Öffentlichkeitsbeteiligung: Einwendungsund Berücksichtigungsverfahren Diese Zuordnung der Fachplanung zum Bereich der kollektiven Selbstbestimmung wirkt sich nach der Theorie der imperativen Partizipation auf die Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung aus. Damit Partizipation legitimierend auf die Ausübung von Staatsgewalt einwirken kann, muss sie die richtige Balance zwischen dem Schutz individueller und der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung finden. Da hier die kollektive Selbstbestimmung im Vordergrund steht, darf dem Einzelnen zwar kein Entscheidungsrecht zukommen, er muss sich aber als Teil der (echten) Öffentlichkeit mit seinen Belangen und Interessen in den Entscheidungsprozess einbringen dürfen. Im Folgenden gilt es herauszuarbeiten, ob Partizipation auf Fachplanungsebene nach diesem Schema strukturiert ist.



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a) Linienbestimmung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach UVPG Die Öffentlichkeitsbeteiligung in der vorbereitenden Fachplanung nach § 13 Abs. 1 WaStrG und § 16 Abs. 1 FStrG sieht keine speziellen Regeln zur Öffentlichkeitsbeteiligung vor, weshalb die Öffentlichkeitsbeteiligung auf den Regeln des UVPG beruht, § 2 Abs. 6 Nr. 2 UVPG n. F. (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 UVPG  a. F.).485 Wie auch beim Raumordnungsverfahren finden die Anpassungen des § 18 Abs. 2 UVPG n. F. Anwendung, weshalb die Behörde sowohl auf einen Erörterungstermin als auch auf eine Benachrichtigung nach § 73 Abs. 5 S. 3 VwVfG verzichten kann. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen (§ 16 Abs. 2 S. 1 FStrG; § 13 Abs. 1 WaStrG). Nur umweltspezifische Belange, die aber entsprechend weit gefasst sind und beispielsweise auch vermögenswerte Rechte erfassen, sind abwägungsfähig.486 Im Anschluss an die Entscheidung ist die Öffentlichkeit über die Entscheidung durch ortsübliche Bekanntmachung zu unterrichten. Unter Umständen ist auch noch eine Strategische Umweltprüfung nach § 53 UVPG n. F. vorzunehmen. Im Rahmen der Linienbestimmung ist also die Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit vorgesehen. Sie darf keine Entscheidung treffen, verlangt ist eine Berücksichtigung der Einwendungen durch die Behörde. Dadurch kann durch Einzelne Einfluss auf die Ausübung von Staatsgewalt ausgeübt werden.

485  § 47 Abs. 1 UVPG n. F. statuiert: „Für die Linienbestimmung nach § 16 Absatz 1 des Bundesfernstraßengesetzes und für die Linienbestimmung nach § 13 Absatz 1 des Bundeswasserstraßengesetzes sowie im Verfahren zur Genehmigung von Flugplätzen nach § 6 Absatz 1 des Luftverkehrsgesetzes wird bei Vorhaben die Umweltverträglichkeit nach dem jeweiligen Planungsstand des Vorhabens geprüft. In die Prüfung der Umweltverträglichkeit sind bei der Linienbestimmung alle ernsthaft in Betracht kommenden Trassenvarianten einzubeziehen.“ Diese Regelung wird in § 47 Abs. 2 UVPG n. F. bzgl. einer im Raumordnungsverfahren bereits durchgeführten UVP erweitert: „Absatz 1 gilt nicht, wenn in einem Raumordnungsverfahren bereits die Umweltverträglichkeit geprüft wurde und wenn dabei im Falle einer Linienbestimmung alle ernsthaft in Betracht kommenden Trassenvarianten einbezogen wurden.“ 486  S. dazu oben S. 199 f.

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b) Abfallwirtschaftsplanung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 32 KrWG Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Aufstellung oder Änderung von Abfallwirtschaftsplänen nach § 30 KrWG487 ist in § 32 KrWG geregelt. Dieser sieht eine echte Öffentlichkeitsbeteiligung vor, jeder Einzelne darf sich beteiligen.488 Aufstellung und Änderung eines Abfallwirtschaftsplans sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise vorher bekannt zu geben. Der Entwurf des neuen oder geänderten Abfallwirtschaftsplans sowie die Gründe und Erwägungen, auf denen der Entwurf beruht, sind einen Monat zur Einsicht auszulegen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Stellung genommen werden. Die Stellungnahmen müssen sich dabei nicht wie im UVP auf umwelt- oder gar abfallspezifische Fragen beschränken.489 Der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung nach § 32 Abs. 1 S. 2 KrWG mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt. Die angemessene Berücksichtigung verlangt von der Behörde eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung.490 Wie immer im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren kommt es darauf an, dass die Behörde sich mit den Einwendungen in der Sache auseinandersetzt, ihren rechtlichen und tatsächlichen Gehalt zur Kenntnis nimmt, ihre Relevanz für das geplante Vorhaben erkennt491 und sie ernsthaft in Erwägung zieht.492 Dabei ist „angemessen“ aber nicht als Qualifizierung zu verstehen, sondern als rein deklaratori487  S. auch § 33 KrWG, der die Erstellung von Abfallvermeidungsprogrammen regelt und für die Öffentlichkeitsbeteiligung ebenfalls auf § 32 KrWG verweist. 488  Matthias Schubert, § 32 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 17. 489  Matthias Schubert, § 32 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 26; Thomas Schomerus, § 32 KrWG, in: Ludger-Anselm Versteyl/Thomas Mann/ders., Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 2019, Rn. 13. 490  Matthias Schubert, § 32 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 29; Thomas Schomerus, § 32 KrWG, in: Ludger-Anselm Versteyl/Thomas Mann/ders., Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 2019, Rn. 13. 491  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5. 492  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 54.



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sche Aussage: Öffentlichkeitsbeteiligung erlaubt nämlich niemals eine unangemessene Beteiligung oder eine nicht ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Vorgebrachten, sondern verlangt immer nach angemessener Berücksichtigung. § 32 Abs. 3 KrWG sieht eine umfassende Nachsorge vor: Danach ist die Annahme des Plans von der zuständigen Behörde in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf einer öffentlich zugänglichen Webseite bekannt zu machen; dabei ist in zusammengefasster Form über den Ablauf des Beteiligungsverfahrens und über die Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, zu unterrichten. Der angenommene Plan ist dauerhaft493 zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen. Hierauf ist in der öffentlichen Bekanntmachung nach Satz 1 hinzuweisen, § 32 Abs. 3 S. 2 KrWG. All das gilt nach § 32 Abs. 4 KrWG aber nur dann, wenn nicht eine Strategische Umweltprüfung notwendig sein sollte. Deren Regelungen gehen § 32 KrWG im gegebenen Fall vor. Kurzgefasst: Auch in der Abfallwirtschaftsplanung darf sich die gesamte Öffentlichkeit beteiligen. Wie bei der Linienbestimmung sind die Einwendungen durch die Behörde zu berücksichtigen. c) Wasserwirtschaftliche Pläne: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 83 WHG mit innovativer Ausgestaltung und Förderpflicht Nach § 83 Abs. 4 WHG, der Art. 14 Abs. 1 S. 2 der Wasserrahmenricht­ linie in nationales Recht umsetzt,494 hat die Öffentlichkeit – § 83 Abs. 4 WHG spricht von „jede[r] Person“495 – dreimal und frühzeitig die Gelegenheit zur Stellungnahme bei der Aufstellung der Bewirtschaftungspläne.496 493  Matthias Schubert, § 32 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 35. 494  Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. 495  S. Annette Guckelberger, Steuerung des Wasserrechts: Planung, Verfahren und Öffentlichkeit, in: Michael Reinhardt (Hrsg.), Wasserrecht im Umbruch, 2007, S. 69– 115, 93; Jens Newig, Die Öffentlichkeitsbeteiligung nach der EG-Wasserrahmenrichtlinie, ZfU 2005, S. 469–512, 487. 496  S. dazu auch Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 230; Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 838 f.; Ivo Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, 2005, S. 470; Michael Reinhardt, Wasserrechtliche Öffentlichkeitsbeteiligung im demokratischen Rechtsstaat – Standardsetzung im Gewässerschutz zwischen materieller Legitimation und formaler Transparenz –, DVBl. 2016, S. 1423–1432, 1429 f.

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Mit dem Recht, Einwendungen zu erheben, korrespondiert, wie bekannt, die Pflicht zur Berücksichtigung der Einwendungen. Zunächst veröffentlicht die zuständige Behörde spätestens drei Jahre vor Beginn des Zeitraums, auf den sich der Bewirtschaftungsplan bezieht, einen Zeitplan und ein Arbeitsprogramm für seine Aufstellung sowie Angaben zu den vorgesehenen Maßnahmen zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit. Dann veröffentlicht die Behörde spätestens zwei Jahre vor Beginn des Zeitraums, auf den sich der Bewirtschaftungsplan bezieht, einen Überblick über die für das Einzugsgebiet festgestellten wichtigen Fragen der Gewässerbewirtschaftung. Spätestens ein Jahr vor Beginn des Zeitraums, auf den sich der Bewirtschaftungsplan bezieht, veröffentlicht die Behörde einen Entwurf des Bewirtschaftungsplans. Innerhalb von sechs Monaten nach der Veröffentlichung kann jede Person bei der zuständigen Behörde zu den in § 83 Abs. 4 S. 1 WHG bezeichneten Unterlagen schriftlich Stellung nehmen. Aus der ausdrücklichen Pflicht zur Entgegennahme schriftlicher Stellungnahmen wird geschlossen, dass eine mündliche Anhörung nicht verpflichtend sei und auch nicht aus der Wasserrahmenrichtlinie folge.497 Auf die Möglichkeit zur Stellungnahme ist in der Veröffentlichung hinzuweisen. Auf Antrag ist Zugang zu den bei der Aufstellung des Bewirtschaftungsplans herangezogenen Hintergrunddokumenten und -informationen zu gewähren. Eine ausdrückliche Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahmen sieht das WHG auf den ersten Blick nicht vor. Diese Pflicht ergibt sich allerdings schon aus dem Abwägungsgebot. Zudem bestimmt § 83 Abs. 2 S. 1 WHG, dass der Bewirtschaftungsplan die in Art. 13 Abs. 4 i. V. m. Anhang VII der RL 2000/ 60/EG genannten Informationen enthalten muss. Dazu gehört ausdrücklich nach A Nr. 9 Anlage VII RL 2000/60/EG im Sinne einer sinnvollen Nachsorge eine Zusammenfassung der Maßnahmen zur Information und Anhörung der Öffentlichkeit, deren Ergebnisse und der darauf zurückgehenden Änderungen des Plans. Daraus lässt sich eine Berücksichtigungspflicht herauslesen.498 Schließlich ergibt sich aus Sinn und Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung eine solche Berücksichtigungspflicht.499 497  Harald Ginzky, § 83 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 39; Heide Jekel, Die Information und Anhörung der Öffentlichkeit nach der Wasserrahmenrichtlinie, in: Stephan von Keitz/Michael Schmalholz (Hrsg.), Handbuch der EUWasserrahmenrichtlinie. Inhalte, Neuerungen und Anregungen für die nationale Umsetzung, 2002, S. 345–364, 358. 498  Harald Ginzky, § 83 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 40. 499  Harald Ginzky, § 83 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 40. S. dazu auch Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 235.



Kapitel 5: Die Exekutive249

Umstritten ist, ob die Maßnahmenprogramme nach § 82 WHG ebenfalls eine dreistufige Öffentlichkeitsbeteiligung verlangen. Dagegen spricht, dass § 83 WHG dies nicht ausdrücklich vorsieht. Eine dreistufige Öffentlichkeitsbeteiligung erscheint jedoch sinnvoll, weil Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme eng verknüpft sind und häufig integriert geplant werden. Zudem enthalten letztlich die Maßnahmenprogramme die für die Öffentlichkeit relevanten Entscheidungen.500 In jedem Fall ist nach Nr. 1.5 Anlage 5 UVPG n. F. (Nr. 1.4 Anlage 3 UVPG a. F.) eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen, die ebenfalls eine Öffentlichkeitsbeteiligung verlangt. Von den Beteiligungsregeln sticht § 85 WHG besonders hervor. Er bestimmt, dass die zuständigen Behörden die aktive Beteiligung aller interessierten Stellen an der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne zu fördern haben.501 Interessierte Stellen werden teilweise entsprechend dem Wortlaut als alle natürlichen und juristischen Personen verstanden, die „ein größeres Interesse“ an der Planung haben.502 Da es sich hierbei um ein rein subjektives Kriterium handle, müsse sich jeder beteiligen dürfen.503 Die Gegenansicht zieht eine Parallele zu den beteiligten Kreisen des § 23 WHG und möchte lediglich Einrichtungen und Personenmehrheiten einbeziehen, aber keine natürlichen Personen.504 Die Gesetzesbegründung betont lapidar, dass auch die Vorgaben der Öffentlichkeitsbeteiligung einer Strategischen Umweltprüfung zu beachten seien, ohne auf einen Unterschied im Kreis der zu Beteiligenden hinzuweisen. Dies deutet auf eine weite Auslegung hin.505 Zwar lassen die Art. 14 Wasserrahmenrichtlinie bzw. Art. 10 Hochwasserrichtlinie506 keinen eindeuti500  Harald Ginzky, § 82 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 42. 501  S. auch die ähnliche Vorschrift des § 79 WHG, nach der die Behörden eine aktive Beteiligung der interessierten Stellen bei der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Risikomanagementpläne nach § 75 fördern und sie mit den Maßnahmen nach §§ 83 Abs. 4 und § 85 WHG koordinieren. Der Begriff der interessierten Stelle wird gleich verwandt, Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 85 Rn. 3. 502  Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 839. 503  Harald Ginzky, § 85 WHG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 4; Michael Reinhardt, Wasserrechtliche Öffentlichkeitsbeteiligung im demokratischen Rechtsstaat – Standardsetzung im Gewässerschutz zwischen materieller Legitimation und formaler Transparenz –, DVBl. 2016, S. 1423–1432, 1431. 504  Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 79 WHG Rn. 4. 505  BT-Drs. 16/12275, S. 76 für § 79 WHG, S. 77 für § 85 WHG. 506  Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken.

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gen Schluss zu. Aus ihnen geht aber immerhin hervor, dass das deutsche Wort „Stellen“, verstanden als Neutrum oder Personenmehrheit, zu eng gefasst ist: Die genauso authentischen französischen, englischen und spanischen Sprachfassungen sprechen von Parteien (parties, parties, partes). Auch natürliche Personen können Parteien sein. Beide Richtlinien unterscheiden aber zwischen der Öffentlichkeit, die es zu informieren gilt, und den interessierten Stellen, die aktiv zu beteiligen sind. Der Begriff ist also enger als der der Öffentlichkeit. Man wird zumindest ein eigenes subjektives Interesse fordern müssen. Nur so besteht die Möglichkeit, zwischen der Öffentlichkeit und den interessierten Stellen abgrenzen zu können. Es ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Erstellung wasserwirtschaftlicher Pläne durch die Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit begleitet wird. Auch hier darf die Öffentlichkeit keine Entscheidung treffen, verlangt ist eine Berücksichtigung der Einwendungen durch die Behörde. d) Landschaftsplanung: Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren der SUP, sofern das Landesrecht dies vorsieht Eine spezielle Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Rahmen der Landschaftsplanung nach dem Bundesnaturschutzgesetz nicht vorgesehen, jedoch findet gemäß § 52 UVPG n. F. (§ 19a UVPG a. F.) eine SUP statt, sofern das Landesrecht dies bestimmt.507 In diesem Fall muss die betroffene Öffentlichkeit beteiligt werden. Die Beteiligungsmöglichkeiten müssen ortsüblich bekannt gemacht werden, die Auslegungsfrist beträgt mindestens einen Monat, ebenso die Äußerungsfrist. Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Auch hier ist eine zusammenfassende Erklärung auszulegen aus der u. a. hervorgeht, wie die Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigt wurde. Zusätzlich und ganz allgemein verlangt § 3 Abs. 6 BNatSchG einen frühzeitigen Austausch „mit Betroffenen und der interessierten Öffentlichkeit“. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, mehr Akzeptanz und Verständnis für Naturschutz zu wecken.508 Dies geht über eine Informationspflicht hin507  S. dazu Karl Ferdinand Gärditz, § 19a UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht 75. Ergänzungslieferung 2014, Rn. 10, der argumentiert, dass das Landesrecht ein Verfahren der Landschaftsplanung etablieren muss, „das zwar nicht als selbstständiges SUP-Verfahren ausgestaltet sein muss, aber jedenfalls alle wesentlichen Verfahrensschritte, wie sie auch die §§ 14f–14n UVPG vorsehen, enthält, mithin einen gleichwertigen Verfahrensstandard etabliert“. S. auch Georg Hünnekens, § 52 UVPG, in: Werner Hoppe/Martin Beckmann (Hrsg.), UVPG. Kommentar, 5. Aufl. 2018, Rn. 22. 508  Vgl. für die Vorgängerregelung § 2 Abs. 1 Nr. 15 BNatSchG Anke Schumacher/ Jochen Schumacher, § 2 BNatSchG, in: Peter Fischer-Hüftle/Jochen Schumacher,



Kapitel 5: Die Exekutive251

aus.509 „Austausch“ ist dabei ein „wechselseitige[r] Kommunikationsprozess“, „der seitens der Behörde eine aktive Information über den zu erörternden Sachverhalt, eine Anhörung der betroffenen Personengruppen, eine Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen sowie eine Darstellung der behördeneigenen Folgerungen erfordert“.510 Eine Berücksichtigungspflicht statuiert die Norm also nicht. Die Betroffenen sind in Übereinstimmung mit dem bislang entwickelten Verständnis diejenigen, die in ihren Interessen und Belangen berührt sind oder möglicherweise berührt sein können.511 Mit der interessierten Öffentlichkeit ist der Teil der Zivilgesellschaft gemeint, „der potenziell meinungsbildend am Geschehen teilnimmt und bei dem thematisch und örtlich ein generelles oder besonderes Interesse an den Planungen und Maßnahme[n] des Naturschutzes besteht oder zu erwarten ist.“512 Damit erweitert § 3 Abs. 6 BNatSchG den Kreis der Beteiligten auch auf die Zivilgesellschaft. Deren Partizipation ist aber keine Partizipation im Sinne der Theorie der imperativen Partizipation, da hier ein repräsentatives und damit pluralistisches Verständnis von Beteiligung zum Ausdruck kommt. Außerdem besteht nicht einmal eine Berücksichtigungspflicht, da hier lediglich ein „Austausch“ vorgesehen ist. Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2021, Rn. 37; s. auch Oliver Hendrischke, § 3 BNatSchG in: Walter Frenz/Hans-Jürgen Müggenborg (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2021, Rn. 153, der von Akzeptanz, Transparenz und Verständnis für den Naturschutz als Zielen spricht. 509  A. A. ohne Begründung Heinz Stöckel/Markus Müller-Walter/, § 3 BNatSchG, in: Georg Erbs/Max Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, Kommentar. Loseblattsammlung, 233. Ergänzungslieferung Oktober 2020, Rn. 18. 510  Susan Krohn, § 3 BNatSchG, in: Kolodziejcok, Karl-Günter/Endres, Ewald/ dies., Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und Forstrechts – Kommentar und Rechtsammlung, Loseblattsammlung, 1. Band, Stand: Lieferung 1/21, Kz. 0525, Rn.73; Ralf Brinktrine, § 3 BNatSchG, in: Giesberts, Ludger/Reinhardt, Michael (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1.10.2020, Bundesnaturschutzgesetz, Rn. 51. 511  Oliver Hendrischke, § 3 BNatSchG in: Walter Frenz/Hans-Jürgen Müggenborg (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2021, Rn. 156.; Susan Krohn, § 3 BNatSchG, in: Kolodziejcok, Karl-Günter/Endres, Ewald/dies. (Hrsg.), Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und Forstrechts – Kommentar und Rechtsammlung, Loseblattsammlung, 1. Band, Stand: Lieferung 1/21, Kz. 0525, Rn. 75. 512  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 42; Oliver Hen­drischke, § 3 BNatSchG in: Walter Frenz/Hans-Jürgen Müggenborg (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2021, Rn. 157. Zur „interessierten Öffentlichkeit“ können z. B. Wissenschaftler oder Journalisten, aber auch Umweltverbände zählen. Derweil besteht aber kein Anspruch auf Information im Sinne eines subjektiven Rechts, da § 3 Abs. 6 BNatSchG „nur eine objektiv-rechtliche Pflicht statuiert“, Ralf Brinktrine, § 3 BNatSchG, in: Giesberts, Ludger/Reinhardt, Michael (Hrsg.), Beck’scher Online Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1.10.2020, Bundesnaturschutzgesetz, Rn. 54 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Anderes gilt für die Beteiligung im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung bei der Landschaftsplanung: Hier findet eine „Berücksichtigung“ der Belange und Interessen der Einwender, die der betroffenen Öffentlichkeit entstammen müssen, statt, §§ 52, § 42 Abs. 1, 18 Abs. 1 UVPG n. F. i. V. m. § 73 Abs. 6 VwVfG. e) Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungsund Berücksichtigungsverfahren Die Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung sieht eine Jedermannbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vor, das in § 47 bzw. § 47d BImSchG geregelt ist. Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Aufstellung von Luftreinhalteplänen entspricht im Wesentlichen der bislang bekannten Vorgehensweise. Nach § 47 Abs. 5 und Abs. 5a BImSchG ist die Öffentlichkeit bei der Aufstellung der Pläne zu beteiligen, weshalb die Pläne für die Öffentlichkeit auch zugänglich sein müssen. Die Aufstellung oder Änderung eines Luftreinhalteplanes sowie Informationen über das Beteiligungsverfahren sind in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise, damit nach § 27a VwVfG auch grundsätzlich im Internet öffentlich bekannt zu machen. Der Entwurf des neuen oder geänderten Luftreinhalteplans ist einen Monat zur Einsicht auszulegen; bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Stellung genommen werden; der Zeitpunkt des Fristablaufs ist bei der Bekanntmachung nach § 47 Abs. 5a S. 2 BImSchG mitzuteilen. Fristgemäß eingegangene Stellungnahmen werden von der zuständigen Behörde bei der Entscheidung über die Annahme des Plans angemessen berücksichtigt. Wie bei den Abfallwirtschaftsplänen ist auch hier die Angemessenheit rein deklaratorisch zu verstehen.513 Der aufgestellte Plan ist dann von der zuständigen Behörde in einem amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf andere geeignete Weise öffentlich bekannt zu machen. In der öffentlichen Bekanntmachung sind das überplante Gebiet und eine Übersicht über die wesentlichen Maßnahmen darzustellen. Nach der Entscheidung über den Plan ist eine Ausfertigung des Plans, einschließlich einer Darstellung des Ablaufs des Beteiligungsverfahrens und der Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. Ebenfalls wie bei der Abfallwirtschaftsplanung geht eine Strategische Umweltprüfung, sofern sie durchzu513  S. oben

S. 246 f.



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führen ist, diesen Regeln vor. Hier wäre dann u. a. lediglich eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit vorzunehmen. Für die kurzfristigen Luftreinhalteaktionspläne i. S. d. § 47 Abs. 2 BImSchG macht die zuständige Behörde der Öffentlichkeit nach § 47 Abs. 5a BImSchG lediglich die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Durchführbarkeit und zum Inhalt solcher Pläne als auch Informationen über die Durchführung dieser Pläne zugänglich.514 Gem. § 47 Abs. 5a S. 8 BImSchG sind diese Vorschriften subsidiär, sofern eine Strategische Umweltprüfung durchzuführen ist.515 Der Gesetzgeber hat die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 47d Abs. 3 BImSchG im Rahmen der Aufstellung von Lärmaktionsplänen nicht in ähnlicher Weise durchnormiert. Dem Grunde nach folgt sie aber demselben Muster: Jedermann darf Einwendungen erheben, die durch die Behörde zu berücksichtigen sind. § 47d Abs. 3 BImSchG formuliert aber anders als die bislang bekannten Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren, dass jedermann „rechtzeitig und effektiv die Möglichkeit [erhalten muss], an der Ausarbeitung und der Überprüfung der Lärmaktionspläne mitzuwirken.“ Damit sind zwei entscheidenden Punkte jeder Öffentlichkeitsbeteiligung angesprochen: die Rechtzeitigkeit von Beteiligung und die effektive Möglichkeit von Einflussnahme auf die staatliche Entscheidung. Die Öffentlichkeit ist über die getroffenen Entscheidungen zu unterrichten. Ebenso offen formuliert § 47d Abs. 3 S. 5 BImSchG, dass angemessene Fristen mit einer ausreichenden Zeitspanne vorzusehen sind. Die Öffentlichkeit erhält so rechtzeitig und effektiv die Möglichkeit, an der Ausarbeitung und der Überprüfung der Lärm­ aktionspläne mitzuwirken. Dies erinnert an die Regelungen der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 83 WHG. Dementsprechend lässt sich Öffentlichkeitsbeteiligung beim Erlass von Lärmaktionsplänen als „mitgestaltendes Verfahren“516 bezeichnen. Auch die Lärmaktions- und Luftreinhalteplanung sieht also eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor, indem jedermann Einwendungen erheben darf, die dann durch die Behörde zu berücksichtigen sind. f) Bundesfachplanung: Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren mit Erörterungstermin In der Bundesfachplanung (NABEG) ist eine zweistufige Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Auf eine Antragskonferenz nach § 7 Abs. 2 NABEG 514  S. dazu

auch VG Hannover, ZUR 2010, S. 208, 211. Strategischen Umweltprüfung s. oben S. 182 ff. 516  Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 235. 515  Zur

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folgt eine Strategische Umweltprüfung gem. § 9 Abs. 4 NABEG. Beteiligen darf sich auf der ersten Stufe entsprechend den Vorschriften über die Linienbestimmung der Trassen die Öffentlichkeit, auf der zweiten Stufe dann die betroffene Öffentlichkeit. Auf der ersten Stufe führt nach Antrag des Vorhabenträgers auf Durch­ führung der Bundesfachplanung (§ 6 S. 1 NABEG) die Bundesnetzagentur unverzüglich eine Antragskonferenz durch (§ 7 Abs. 2 NABEG). Hier sollen Gegenstand und Umfang der für die Trassenkorridore vorzunehmenden Bundesfachplanung erörtert werden. Die Antragskonferenz ist öffentlich und die Öffentlichkeit muss auf der Internetseite der Bundesnetzagentur und über örtliche Tageszeitungen, die in dem Gebiet verbreitet sind, auf das sich der beantragte Trassenkorridor voraussichtlich auswirken wird, unterrichtet werden (§ 7 Abs. 2 NABEG). Inwiefern die Öffentlichkeit sich auch äußern darf und gehört wird, ist nicht geregelt. Gegen ein Äußerungsrecht spricht, dass die Öffentlichkeit zwar zugelassen, aber anders als der Vorhabenträger, Vereinigungen sowie die Träger öffentlicher Belange nicht geladen wird. ­Außerdem bestimmt § 7 Abs. 1 S. 4 NABEG, dass die erste Antragskonferenz die Besprechung („Scoping“) i. S. d. § 39 Abs. 4 S. 2 UVPG n. F. (§ 14f Abs. 4 S. 2 UVPG a. F.) ersetzt. Auch wenn die Besprechung i. S. d. § 39 Abs. 4 S. 2 UVPG n. F. faktisch z. T. als erste Öffentlichkeitsbeteiligung genutzt wird, so ist sie rechtlich gerade nicht als Öffentlichkeitsbeteiligung ausgestaltet.517 Gegen ein Äußerungsrecht könnte außerdem sprechen, dass den Ländern in § 7 Abs. 3 NABEG ausdrücklich ein Vorschlagsrecht in Abstimmung mit anderen betroffenen Ländern zugestanden wird. Allerdings bezieht sich § 7 Abs. 3 NABEG nicht auf ein allgemeines Vorschlagsrecht, sondern auf das spezielle Vorschlagsrecht nach § 6 S. 7 Nr. 1 NABEG und damit auf Vorschläge, die sich auf den beabsichtigten Verlauf des für die Ausbaumaßnahme erforderlichen Trassenkorridors sowie eine Darlegung der in Frage kommenden Alternativen beziehen. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Länder nur zu dieser Frage äußern dürfen, sondern dass gerade die wesentliche Frage der Alternativenprüfung besonders hervorgehoben werden soll. Damit ist die besondere Betonung eines speziellen Vorschlagsrechts kein Argument gegen ein allgemeines Äußerungsrecht der Allgemeinheit. Für ein Äußerungsrecht spricht hingegen der Umstand, dass die Öffentlichkeit nicht nur zugelassen ist, sondern sie auch ausdrücklich über die Antragskonferenz unterrichtet werden muss. Auch ein Äußerungsrecht der anderen Beteiligten ist nicht ausdrücklich normiert. Außerdem spricht der Zweck des Anhörungstermins für ein Äußerungsrecht. In der Gesetzesbegründung heißt es:

517  S. oben

S. 183.



Kapitel 5: Die Exekutive255 „Widerstreitende öffentliche und private Belange treten bereits im frühzeitigen Verfahrensstadium zu Tage und machen eine Einbeziehung der breiten Öffentlichkeit erforderlich. Die Antragskonferenz trägt damit zur Verfahrenstransparenz, Akzeptanz und Befriedung bei und dient auch der Beschleunigung des erforder­ lichen Ausbaus der Übertragungsnetze.“518

Ohne Äußerungsrecht der Öffentlichkeit wird in einem Anhörungstermin das Gegenteil von Akzeptanz und Befriedung erreicht werden. Nur mit einem Äußerungsrecht kann die Antragskonferenz, „ein entscheidender Baustein [sein], um die bestehenden Beteiligungsrechte bei Großvorhaben durch vertrauensbildende und Akzeptanz steigernde Maßnahmen fortzuentwickeln.“519 Eine Berücksichtigungspflicht wird man aber nicht annehmen können. Zwar sprechen die genannten Gründe der Akzeptanz und Befriedung auch für eine Berücksichtigungspflicht. Diese kommt jedoch erst im Rahmen von Abwägungsentscheidungen zum Tragen, auf der ersten Stufe der Bundesfachplanung kommt es allerdings noch zu keiner Abwägung. Diese erfolgt später auf der zweiten Stufe. Im Anschluss an den Anhörungstermin legt die Bundesnetzagentur einen Untersuchungsrahmen für die Bundesfachplanung fest und bestimmt den erforderlichen Inhalt der nach § 8 NABEG einzureichenden Unterlagen. Nachdem diese durch den Vorhabenträger eingereicht wurde, findet auf dieser zweiten Stufe nun die „eigentliche“ Öffentlichkeitsbeteiligung520 statt. Gem. § 9 Abs. 3 S. 1 NABEG wird spätestens zwei Wochen nach Versand der Bestätigung der Vollständigkeit der Unterlagen eine Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit nach § 42 UVPG n. F. (§ 14i UVPG a. F.) durchgeführt. Die auszulegenden Unterlagen müssen gem. § 9 Abs. 3 S. 2 NABEG für die Dauer von einem Monat am Sitz der Bundesnetzagentur und an mindestens einem weiteren geeigneten Auslegungsort in für die vom Trassenkorridor Betroffenen zumutbarer Nähe ausgelegt werden. Nach § 9 Abs. 4 S. 1 ­NABEG sind die Unterlagen spätestens mit der Auslegung für die Dauer von einem Monat im Internet zu veröffentlichen. Die Auslegung ist zusätzlich auf der Internetseite der Bundesnetzagentur und den örtlichen Tageszeitungen, die in dem Gebiet verbreitet sind, auf das sich das Vorhaben voraussichtlich 518  BT-Drs.

17/6073, S. 25. 17/6073, S. 25. Ebenso Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 59. Obwohl ein Äußerungsrecht wohl von der h. M. verneint wird, ist es nach Sinn und Zweck notwendig, so Annette Guckelberger, paraphrasiert von Tom Pleiner, Netzausbau zugunsten erneuerbarer Energien, Tagungsbericht, DVBl. 2012, S. 1552–1553, 1553. 520  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 59. 519  BT-Drs.

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auswirken wird, bekannt zu machen, § 9 Abs. 3 S. 4 NABEG. Die Bekanntmachung soll gem. § 9 Abs. 3 S. 5 NABEG spätestens eine Woche vor Beginn der Auslegung erfolgen. Nach § 9 Abs. 5 NABEG bezieht sich die Beteiligung auf alle fachlichen Fragen, sie ist anders als die Beteiligung nach dem UVPG, die sich auf – wenngleich sehr weitgehend interpretierte – Umweltziele beschränkt, umfassend. Die Äußerungsfrist beträgt einen Monat, § 9 Abs. 5 S. 1 NABEG. Anschließend werden gem. § 10 Abs. 1 NABEG die Einwendungen in einem Erörterungstermin besprochen, sofern nicht die relativ engen Ausschlussgründe des § 10 Abs. 3 NABEG vorliegen.521 Wie die Behörde mit den Ergebnissen der Öffentlichkeitsbeteiligung umzugehen hat, ist nicht ausdrücklich normiert. Da es hier aber um einen Akt staatlicher Planung geht und eine Vergleichbarkeit zur Linienbestimmung besteht, werden im Rahmen einer Abwägung die Einwendungen Berücksichtigung finden müssen.522 Damit müssen auch in der Bundesfachplanung Einwendungen berücksichtigt werden, die durch Einzelne, die zur betroffenen Öffentlichkeit gehören, erhoben werden. 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung der unterschiedlichen Beteiligungsverfahren als demokratische Partizipationsformen Die Öffentlichkeitsbeteiligung in der gesamten Fachplanung findet grundsätzlich die richtige Balance zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung. Sie folgt prinzipiell denselben bereits bekannten Prinzipien, deren Anwendung die Legitimation staatlichen Exekutivhandelns zum Zweck der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung steigert: Zum einen dürfen sich grundsätzlich alle beteiligen und zum anderen sind die Ergebnisse der Beteiligung zu berücksichtigen. Partizipation und ihre legitimierende Wirkung ergänzen so die von Fachplanung zu Fachplanung variierende organisatorischpersonelle Legitimation der staatlichen Organe und gleichen das aufgrund der grundsätzlich weiten Gestaltungsspielräume sachlich-inhaltliche Legitimationsdefizit aus. So erhöhen die Beteiligungsverfahren die Legitimation staatlichen Handelns, da so kollektive Selbstbestimmung unter Ausbalancierung mit dem Schutz individueller Selbstbestimmung ermöglicht wird. 521  S. dazu Tobias Leidinger, Planungsrechtliche Grundsätze bei der Trassierung von Übertragungs- und Verteilungsnetzen, DVBl. 2013, S. 949–955, 952 und zur TEN-E VO Ronja Maria Linßsen/Claudia Aubel, (Noch) schnellerer Netzausbau durch neue TEN-E VO?, DVBl. 2013, S. 965–971. 522  Ebenso Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 60.



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Im Einzelnen unterscheiden sich die Beteiligungsformen. So ist fast immer, wenngleich auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage, u. a. im Rahmen einer Strategischen Umweltprüfung, einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder auch der spezielleren bundesgesetzlichen Planungsnormen, ein klassisches Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vorgesehen. Bei der Landschaftsplanung sieht das Bundesrecht jedoch keine Beteiligung vor, diese ist nur dann vorgeschrieben, wenn das Landesrecht eine Strategische Umweltprüfung ausdrücklich anordnet. Da abseits der Strategischen Umweltprüfung kein legitimierendes Beteiligungsverfahren vorgesehen ist, ist es von legitimatorischem Interesse, dass das Landesrecht eine solche Strategische Umweltprüfung vorsieht. Zudem werden auch neue Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt. Vorbildcharakter hat die Beteiligung im Wasserrecht. Hier besteht insofern eine ungewöhnliche Öffentlichkeitsbeteiligung, als diese sich zeitlich über einen längeren Zeitraum erstreckt und nicht nur einmalig stattfindet.523 Bei der Ausarbeitung wasserwirtschaftlicher Bewirtschaftungspläne ist die Öffentlichkeit sehr früh und insgesamt dreimal zu beteiligen. Beteiligung ist nicht nur punktuell vorgesehen, sondern die Öffentlichkeitsbeteiligung wird kontinuierlich begleitend vorgenommen.524 Diese dauerhafte, kontinuierliche Begleitung durch die Öffentlichkeit dient einer effektiven Beteiligung. Auch in anderer Hinsicht zeichnet sich das WHG aus. § 85 WHG verlangt, dass die aktive Beteiligung der Einzelnen zu fördern ist. Diese aktive Förderung erinnert an die Rechtsprechung des südafrikanischen Verfassungsgerichts zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung. Nach dieser Rechtsprechung ist der Staat verpflichtet, die Bürger zur Beteiligung zu aktivieren.525 Auch hier wird vom Staat gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um Beteiligung zu fördern, etwa indem neue Formen der Beteiligung ausprobiert und verstärkt angeboten werden. Der Fantasie sind hier zunächst keine Grenzen gesetzt.526 Zudem ist auch die Nachsorge – 523  Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 274. 524  Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 839. 525  South African Constitutional Court, Doctors for Life International v the Speaker of the National Assembly and Others, (12) BCLR 1399 (CC). S. dazu unten S. 487 ff. 526  S. dazu Angelika Vetter/Uwe Remer-Bollow, Mitgestaltende bzw. kooperative Formen der Bürgerbeteiligung. in: Angelika Vetter/Uwe Remer-Bollow (Hrsg.), Bürger und Beteiligung in der Demokratie, 2017, S. 103–125; Corinna Durinke/Peter Durinke, Rechtlicher Rahmen und Grenzen von informellen Beteiligungsprozessen, KommJur 2016, S. 241–248; Andreas Paust, Grundlagen der Bürgerbeteiligung,

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die Pflicht zusammenfassend über den Einfluss der Beteiligung zu berichten – bei der wasserwirtschaftlichen Planung in ihrem Umfang einzigartig. Dass eine mündliche Anhörung nicht verpflichtend ist und ein Erörterungstermin, wie in der gesamten vorbereitenden Fachplanung, nicht vorgesehen ist, ist allerdings nicht vorbildhaft. Im Gegensatz dazu findet im Rahmen des NABEG, das als junges Gesetz darauf bedacht ist, die Öffentlichkeitsbeteiligung zu stärken und daher „teilweise deutlich über den Status quo hinaus[geht]“,527 mindestens ein Erörterungstermin statt. Sollte man, wie hier vertreten, ein Äußerungsrecht der Öffentlichkeit im Rahmen von Antragskonferenzen annehmen, bestehen sogar zwei oder gar drei „Erörterungstermine“.528 Kollektive Selbstbestimmung wird so ermöglicht, Partizipation wird als demokratisches Element verstanden. Zumindest ein Erörterungstermin sollte auch in den anderen Fachplanungen zwingend stattfinden. Zu kritisieren an der Bundesfachplanung nach NABEG ist allerdings, dass es an einer ausdrücklichen Norm bzgl. des Umgangs mit dem Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung fehlt. Ebenso ist die Nachsorge nicht geregelt. Diese ist aber wichtig, um die Verwaltung in ihren Bemühungen um das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren zu kontrollieren und so die Beteiligung effektiver zu gestalten. Die Regelung der Nachsorge ist gerade beim Kreislaufwirtschaftsgesetz und beim Wasserhaushaltsgesetz hervorzuheben. Hier muss, ebenso wie beim Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, im Nachhinein über die Öffentlichkeitsbeteiligung und ihren Einfluss intensiv informiert werden. Dies ermöglicht eine Kontrolle der Behörde durch die Öffentlichkeit und führt dazu, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung einen wichtigeren Rang im Verständnis der Behörde einnimmt. Auch das Bundesnaturschutzgesetz kennt eine Besonderheit. § 3 Abs. 6 BNatSchG verlangt eine Art frühzeitiger Öffentlichkeitsbeteiligung, indem es einen frühzeitigen Austausch mit den Betroffenen vorschreibt.

2016; Patrizia Nanz/Miriam Fritsche, Handbuch Bürgerbeteiligung. Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen, 2012. 527  BT-Drs. 17/6073, S. 2. S. auch Peter Franke/Miriam A. Wabnitz, Konzentrierter Rechtschutz: Das Spannungsfeld zwischen Beschleunigung, Transparenz und Rechtssicherheit am Beispiel des NABEG, ZUR 9/2017, S. 462–469, 465. 528  Allerdings ist in den Fällen des – zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung neu eingeführten – § 5a Abs. 1 und 2 NABEG (z. B. bei Änderung oder Erweiterung einer Leitung, § 5a Abs. 1 Nr. 1 NABEG) zu beachten, dass auf die Durchführung einer Bundesfachplanung verzichtet werden „soll“ (§ 5a Abs. 1 NABEG) bzw. „kann“ (§ 5a Abs. 2 NABEG). Vgl. dazu auch Peter Franke/Fabian Karrenstein, Neue Instrumente zur Beschleunigung des Netzausbaus, EnWZ 2019, 195–201.



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Abschließend lässt sich festhalten, dass trotz dieser neuen Formen, die die effektive Wirksamkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung steigern, die Öffentlichkeitsbeteiligung in der Fachplanung im Wesentlichen gleich strukturiert ist und dabei auch mit den anderen Planungsebenen vergleichbar ist: Auch auf der Fachplanungsebene ist eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, teilweise sogar mehrfach. Entscheidungshoheit kommt der Öffentlichkeit nicht zu, dadurch wird mittelbar die Entscheidungshoheit des Parlaments in Fragen kollektiver Selbstbestimmung anerkannt. Innerhalb des exekutiven Gestaltungsspielraums bleibt aber Raum für kollektive Selbstbestimmung, dementsprechend sind die Ergebnisse der Beteiligung im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. So wird durch die Beteiligung Einzelner an der Ausübung von Staatsgewalt die Legitimation der Fachplanungsentscheidungen erhöht. Die entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation ausgestaltete Beteiligung im Rahmen der Fachplanung erlaubt es folglich, Partizipation als fünften Legitimationsmodus zu verstehen. VI. Fachplanung ohne Auswirkungen auf den Raum am Beispiel der Krankenhausplanung: Kein Beteiligungsverfahren Neben der raumbedeutsamen Fachplanung existieren noch weitere (Fach-) Planungen, wie etwa die Finanzplanung (Art. 109 Abs. 4 GG), die Planung für den Verteidigungsfall (Art. 53a Abs. 2 GG), der Planung der gesundheitlichen Versorgung im Verteidigungsfall nach § 21 ZSKG oder die Krankenhausplanung. Während die Finanzplanung als Bundesgesetz aufgestellt wird und dementsprechend die Beteiligungsregeln der GGO Anwendung finden, existieren für die Planung für den Verteidigungsfall keine Beteiligungsvorschriften. Für die Planung unterhalb der Regierungsebene sind bestimmte Interessensgruppen, aber nicht die Öffentlichkeit zu beteiligen. Ein genauerer Blick soll auf die Krankenhausplanung gerichtet werden, die kein Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren vorsieht, sondern nur eine Beteiligung von Interessenverbänden. Nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz des Bundes sind in den von den Ländern zu erstellenden Krankenhausplänen neben der wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser auch eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen digital ausgestatteten, eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhäusern zu gewährleisten sowie sozial tragbare Pflegesätze zu berücksichtigen (§ 6 i. V. m. § 1 KHG). Am Beispiel Niedersachsen zeigt sich, dass die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ ebenso wie bei der Raumplanung, in Richtung kollektive Selbstbestimmung weisen: Aufgestellt wird der Plan gem. § 4 KHG Nds. vom Fachministerium. Anschließend wird er von der Landesregierung

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beschlossen. Der Beschluss durch die Landesregierung wirkt sich positiv auf die organisatorisch-personelle Legitimation aus, denn diese besitzt von den exekutiven Organen die höchste organisatorisch-personelle Legitimation. Die Rechtsnatur des Krankenhausplans ist umstritten. Es wird aber davon aus­ gegangen, dass er nicht die Qualität einer Rechtsnorm besitzt, sondern rein intern wirkt.529 Unmittelbarer Rechtsschutz ist damit nicht möglich. Neben den Indikatoren weisen auch die Eigenschaften „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung und ihre „Reichweite“ auf kollektive Selbstbestimmung hin: Krankenhausplanung ist in die Zukunft gerichtet. Die Planung betrifft nicht nur alle Krankenhäuser in Niedersachsen, sondern mittelbar auch alle Menschen, die ein Krankenhaus benötigen. Schließlich besitzt das Land auch einen Gestaltungsspielraum, da die ermächtigende Norm final formuliert ist und eine nur vom zwingenden Recht und dem Abwägungsgebot begrenzte Planungsfreiheit voraussetzt. Dieser Spielraum zeugt von der geringen sachlich-inhalt­ lichen Legitimation des Krankenhausplans. Die Beteiligung richtet sich nach § 7 Abs. 1 KHG. Danach sind die Landesbehörden verpflichtet, eng mit den an der Krankenhausversorgung im Lande Beteiligten zusammenzuarbeiten. Dementsprechend bestimmt § 3 KHG Nds., dass mit den unmittelbar Beteiligten bei der Aufstellung und Fortschreibung des Krankenhausplans und bei der Aufstellung des Investi­ tionsprogramms einvernehmliche Regelungen anzustreben sind. Diese unmittelbar Beteiligten sind die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Niedersachsens, die Niedersächsische Krankenhausgesellschaft, die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen, die der Landesverband Nordwest der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und der Landesausschuss des Verbands der privaten Krankenversicherung.530 Diese Beteiligung entspricht dem Gehalt an kollektiver Selbstbestimmung, die der Krankenhausplanung zugrundeliegt, nicht. Zum einen findet wie bei der Rechtsverordnungsgebung lediglich eine repräsentative Form der Beteiligung statt. Zum anderen werden Betroffene oder gar die Öffentlichkeit nicht einmal vertreten, sondern lediglich Interessenverbände. In der Krankenhausplanung bestehen Regelungen zur Beteiligung von Interessensverbänden, nicht aber von Individuen. Die europarechtlichen Vor529  Thomas Clemens/Michael Quaas/Rüdiger Zuck, Medizinrecht, 3. Aufl. 2014, Grundzüge des Rechts der Krankenhausfinanzierung (§ 25), Rn. 432 m. w. N. 530  Diese Beteiligungsakteure entsprechen denen der gesundheitlichen Versorgung im Verteidigungsfall nach § 21 ZSKG. Hier wirken die gesetzlichen Berufsvertretungen der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker, die Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie die Träger der Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung und ihre Verbände bei der Planung und Bedarfsermittlung mit und unterstützen die Behörden.



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schriften, die Beteiligungsregeln jedes (betroffenen) Einzelnen vorsehen, finden mangels umweltrechtlicher Auswirkungen keine Anwendung. Es zeigt sich einmal mehr die hohe Bedeutung der Europäischen Union für die Beteiligungsrechte. Die Beteiligung von Interessensverbänden entspricht dem korporativen oder pluralistischen Staat, nicht aber dem partizipativen Staat und schließt die (betroffene) Öffentlichkeit aus. So kann keine zusätzliche Legitimation nach dem hier entwickelten Partizipationsmodell vermittelt werden. Hier wäre durch die Beteiligung der (betroffenen) Öffentlichkeit im Wege eines Einwendungs- und Beteiligungsverfahrens die Legitimation staatlichen Handelns steigerbar. VII. Planfeststellung Die „Planungskaskade“, die mit der Raumplanung und in Fällen des Straßen-, Schienen- und Stromtrassenbaus mit der Bedarfsplanung beginnt und in der Fachplanung weitergeführt wird, schließt in vielen Fällen mit der Planfeststellung ab.531 Die Planfeststellung dient der Zulassung des konkreten Projekts. Sie stellt sich damit nicht nur als die letzte Stufe dar, auf der die Verwaltung tätig wird, sondern als die letzte Stufe, auf der der Einzelne spätestens tätig werden muss, um noch Einfluss nehmen zu können. Gleichzeitig kann wegen der vorhergehenden Festlegungen das Planfeststellungsverfahren nicht mehr ergebnisoffen sein, es geht meist nur noch um das „Wie“ des Projekts.532 Anders als die vorhergehenden Planungsebenen dient die Planfeststellung der Sicherung individueller Selbstbestimmung und der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung nahezu gleichermaßen, wenngleich im Schwerpunkt doch mehr noch kollektiver Selbstbestimmung (1.). Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist dementsprechend enger gefasst als auf den vorhergehenden Ebenen (2.) und wirkt sich aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung legitimationserhöhend aus (3.).

531  Zur Bauleitplanung als alternativen Abschluss der Planungskaskade s. unten S.  325 ff. 532  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363.

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1. Planfeststellung zwischen Sicherung individueller Selbstbestimmung und Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Nach der „noch immer brauchbaren“533 klassischen Definition von Wilhelm Gleim534 ist die Planfeststellung „die rechtswirksame Bestimmung über die Lage, die Gestaltung und die Beschaffenheit [einer A]nlage selbst und in allen ihren Bestandteilen, sowie über die Frage, inwieweit es zugunsten der durch die [U]nternehmung in Mitleidenschaft gezogenen öffentlichen und Privatinteressen der Herstellung besonderer Anlagen (Nebenanlagen) bedarf, wo und wie dieselben auszuführen sind.“535 Es handelt sich somit um ein Zulassungsverfahren für bestimmte, meist großräumige Infrastrukturprojekte,536 in dem öffentliche und private Interessen zur Abwägung gebracht werden. Diese Definitionen zeigen genauso wie die Indikatoren und Eigenschaften der Planfeststellungsverfahren, dass individuelle und kollektive Selbstbestimmung gleichermaßen von Bedeutung sind und berücksichtigt werden. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ zeigen eher in Richtung individuelle als in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Wie häufig in der Planung sind auch im Planfeststellungsverfahren die handelnden Behörden auf ganz unterschiedlichen Hierarchieebenen angesiedelt. Hier reicht die Spannweite besonders weit: Grundsätzlich kommen als Planfeststellungsbehörde alle Behörden der unmittelbaren Staatverwaltung ebenso wie die Gemeinden in Betracht. So ist in Brandenburg beispielsweise das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Planfeststellungsbehörde für den Flughafen BER. Ebenso können oberste Behörden den Planfeststellungsbeschluss fassen. So stellt z. B. nach § 17a Abs. 1 Nr. 6 FStrG die oberste Landesstraßenbaubehörde den Plan fest und trifft die Entscheidung nach § 74 Abs. 7 VwVfG. Auch das Eisenbahnbundesamt als Bundesoberbehörde fungiert als Planfeststellungsbehörde. Nach § 31 NABEG sind die Bundesnetzagentur (Abs. 1) oder die nach Landesrecht zuständigen Behörden (Abs. 2) zustän-

533  Rainer Schenk, WHG § 31 a. F., in: Frank Sieder/Herbert Zeitler/Heinz Dahme/ Günther-Michael Knopp (Hrsg.), Wasserhaushaltsgesetz – Abwasserabgabengesetz. Kommentar, 48. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 46. 534  Wilhelm Gleim, Das Recht der Eisenbahn in Preußen. Band I: Das Eisenbahnbaurecht, 1893, S. 341. 535  Wilhelm Gleim, Das Recht der Eisenbahn in Preußen. Band I: Das Eisenbahnbaurecht, 1893, S. 341. 536  Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 274.



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dig.537 Ebenso werden untere Verwaltungsbehörden und Gemeinden als Planfeststellungsbehörden tätig.538 Der Rechtscharakter des Planfeststellungsbeschlusses ist eindeutig und unumstritten: Es handelt sich um einen Verwaltungsakt. Dementsprechend ist unmittelbarer Rechtschutz gegen ihn möglich.539 Während die Indikatoren „Rechtsform der Entscheidung“ sowie „Rechtsschutz“ also mehr in Richtung individuelle Selbstbestimmung deuten, kommt es beim Indikator „handelndes Organ“ auf den konkreten Einzelfall an. Hier können also sowohl individuelle wie auch kollektive Selbstbestimmung im Vordergrund stehen. Die Eigenschaften des Planfeststellungsverfahrens, also die „Intensität der Verrechtlichung“ der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, deuten in Richtung kollektive Selbstbestimmung, weisen aber auch Elemente individueller Selbstbestimmung auf. Stark auf die Ermög­ lichung und Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung ausgerichtet ist der zukunftsweisende Charakter der Planung. So ist der Planfeststellungsbeschluss fünf Jahre gültig (§ 75 Abs. 4 VwVfG). Dass die Planfeststellung Zukunft gestaltet, zeigen auch die Fälle, in denen die Planfeststellung gesetzlich angeordnet ist. So ist sie u. a. vorgesehen für den Bau von Flughäfen und Landeplätzen (§§ 8–10 LuftVG), den Bau von Betriebsanlagen der Eisenbahn (§§ 18–18b AEG), den Bau von Stromnetzen (§§ 43–43d EnWG; §§ 18–22 NABEG), den Gewässerausbau (§ 68 WHG) und den Bau von Fernstraßen (§ 17 FStrG).540 Es geht bei all diesen Vorhaben um Projekte, deren Bau 537  Christian Calliess/Miriam Dross, Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz, JZ 2012, S. 1002–1011, 1008, s. dort auch Fn. 54–55. Benjamin Schirmer/Conrad Seiferth, Energiewende und die Zulassung von Netzausbauprojekten, ZUR 2013, S. 515– 525, 515, verweisen darauf, dass inzwischen entsprechend § 2 NABEG die Bundesregierung die Bundesnetzagentur zur Planfeststellungsbehörde bestimmt hat, s. dazu auch Gesetz über den Bundesbedarfsplan, Art. 1 des Zweiten Gesetzes über Maßnahmen zur Beschleunigung des Netzausbaus Elektrizitätsnetze vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2543). 538  Vgl. z. B. § 38 Abs. 5 Niedersächsisches Straßengesetz für Gemeindestraßen, Nds. GVBl. 1980, S. 359, oder § 16 Abs. 2 Seilbahngesetz Sachsen-Anhalt, GVBl. LSA 2012, S. 526. 539  Hans-Jürgen Papier/Wolfgang Durner, Straßenrecht (§ 43), in: Dirk Ehlers/ Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 337–731, Rn. 22. Es besteht allerdings kein Widerspruchsverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss (§ 74 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 70 VwVfG). Dies schränkt auch die Korrekturmöglichkeiten durch ein aufsichtsrechtliches Verfahren ein. 540  S. ausführlich Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 54 ff. für die verschiedenen Planfeststellungsverfahren: 1. Gruppe, Infrastrukturvorhaben: § 18 AEG, § 17 FStrG, § 28 PBefG (Straßenbahnen), §§ 2 und 12 SpurVerk­

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viele Jahre in Anspruch nehmen wird, die aber auch für Jahrzehnte bestehen bleiben sollen. Dennoch wohnt der Planfeststellung auch eine, wenngleich minimale, rückschauende Perspektive inne: Die Behörde vollzieht den Plan in der Planfeststellung nämlich nur nach,541 ursprünglich gestaltet wird er vom Vorhabenträger. Auch dies weist wieder Richtung individuelle Selbstbestimmung. Entsprechend beginnt das Planfeststellungsverfahren mit der Einreichung des Plans durch den Vorhabenträger bei der Anhörungsbehörde (§ 73 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Der Vorhabenträger steuert durch die Gestaltung in gewisser Weise auch das Prüfprogramm.542 Trotz des Nachvollzugs bleibt die Behörde aber die Stelle, die den in die Zukunft gerichteten Plan feststellt und die Verantwortung für ihn übernimmt.543 Die „Reichweite“ der Planungsentscheidung deutet ebenfalls in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, wenngleich weniger als auf den anderen Planungsstufen. Die „Reichweite“ der Planfeststellungsentscheidung ist gegenüber den anderen Planungsstufen insoweit eingeschränkt, als sie sich auf ein konkretes Vorhaben bezieht und damit die individuelle Selbstbestimmung des Vorhabenträgers betrifft. Jedoch ist sie schon allein aufgrund des Umstands, dass es sich bei planfeststellungsbedürftigen Vorhaben um Großprojekte handelt, die faktisch viele Menschen betreffen, weit gefasst. Hinzu kommt, dass aus der Perspektive der rechtlichen Auswirkungen des Planfeststellungsbeschlusses von einer großen „sachlichen Reichweite“ auszugehen ist: Der Planfeststellungsbeschluss, der als Verwaltungsakt ergeht, stellt die ErprG (Versuchsanlagen für den spurgeführten Verkehr); § 1 MBPLG (Magnetschwebebahnen); § 8 LuftVG (Flugplätze); § 14 WaStrG (Bundeswasserstraßen); § 9 WaStrG für Maßnahmen in Landflächen an Bundeswasserstraßen, die notwendig sind, um für die Schifffahrt nachteilige Veränderungen des Gewässerbettes zu verhindern oder zu beseitigen; 2. Gruppe, Anlagenbereich: § 9b AtomG (für Errichtung, der Betrieb und die Stilllegung eines Zwischenlagers); § 52 Abs. 2 a bis 2 c. i. V. m. §§ 57a und 57b Bundesberggesetz für UVP-pflichtige Vorhaben nach § 57c; § 35 Abs. 2 KrWG für Deponien; 3. Gruppe, sonstige Planfeststellungen: § 41 FlurBG, § 68 WHG. Aber, nicht überall wo Planfeststellung draufsteht, ist auch Planung drin. Weder das atomrechtliche Planfeststellungsverfahren noch das bergrechtliche sind Planungen: „Die atomrechtliche Planfeststellung ist eine gebundene Entscheidung ohne planerischen Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde im Hinblick auf ­Alternativstandorte“, so BVerwGE, NVwZ 2007, S. 837, LS 1. 541  Grundlegend BVerwGE 97, 143; Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 164; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 59 ff. m. w. N. und S. 313 ff. 542  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 227. 543  Thomas Mann, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 544–593, 567.



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Zulässigkeit eines konkreten Vorhabens fest und regelt in umfassender, wenn auch nicht abschließender Weise alle Rechtsbeziehungen zwischen dem Vorhabenträger und den rechtlich Betroffenen: Zum einen kommt ihm Gestattungswirkung zu. Dadurch wird die Zulässigkeit des Vorhabens festgestellt und zwar im Hinblick auf alle öffentlich-rechtlichen Belange (§ 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 VwVfG). Außerdem folgt aus ihm die sog. Konzentrationswirkung. Danach sind andere Genehmigungen nicht mehr erforderlich (§ 75 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwVfG). Des Weiteren werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger des Vorhabens und den Betroffenen rechtsgestaltend geregelt (sog. Gestaltungswirkung). Hinzu kommen die Ausschlusswirkung, nach der alle öffentlich-rechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Änderung des Vorhabens ausgeschlossen sind (§ 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG) und die Enteignungsvorwirkung, nach der der Planfeststellungsbeschluss zur Enteignung nach den jeweiligen Regeln berechtigt.544 Allerdings werden im Planfeststellungsverfahren nicht alle für das Vorhaben relevanten Fragen geklärt. Prominente Beispiele für Streitpunkte, die im Rahmen der Planung entstehen und nicht im Planfeststellungsverfahren befriedet werden können, sind etwa die Kostenaufteilung bei S21545 oder die Flugrouten beim Bau des Berliner Willy-Brandt-Flug­hafens.546 Ebenso deutet die „rechtliche Determiniertheit“ des Planfeststellungsbeschlusses in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, jedoch weniger als auf den anderen Planungsstufen. Zwar definieren die Verwaltungsverfahrensgesetze keine materiell-rechtlichen Anforderungen an den Planfeststellungsbeschluss. Auch die Fachplanungsgesetze, die die Verwaltungsverfahrensgesetze teilweise ergänzen, sehen oft nur rudimentäre Regeln vor.547 Damit ist der materielle Kern, um den es geht, gesetzlich kaum vor544  S. zu den Wirkungen des Planfeststellungsbeschlusses Norbert Kämper, § 75 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 1 ff. 545  S. BVerwG, UPR 1999, S. 355 f.; BVerwGE 125, 116, 182; BVerwG, UPR 2008, S. 186, 187 f.; s. Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512, der diese Entkoppelung von Planung und Finanzierung beklagt. 546  Nach § 27a LuftVO; § 27c LuftVG werden sie nicht im Planfeststellungsverfahren festgesetzt, ebenso fehlt eine andere Öffentlichkeitsbeteiligung, so dass es gar keine gibt, BVerwG, UPR 1999, S. 355 f.; BVerwGE 125, 116, 182; BVerwG, UPR 2008, S. 186, 187 f.; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 227 m. w. N. Dies kritisiert auch Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512. S. auch Anne-Sophie Reinhardt/Tina Mutert, Flugrouten: Mehr Öffentlichkeitsbeteiligung – bessere Entscheidungen, ZUR 2016, S. 84–90. 547  Norbert Kämper, §  74 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 14.

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gegeben.548 Das Planfeststellungsverfahren besitzt ebenso wie die anderen Planungsverfahren einen „komplexen, politisch-wägenden Charakter“549 und ist damit doch eher der kollektiven Selbstbestimmung zuzuordnen. Gleichzeitig bestehen aber Bindungen, die über die der anderen Planungsstufen ­hinausgehen. Die Beachtung zwingenden Rechts, zu dem auch subjektive Rechte Einzelner gehören, wird hier wegen des konkreten Projektbezugs eine viel stärkere Rolle spielen. So kann u. U. ein Anspruch auf Planfeststellung nach Art. 14 GG bestehen.550 Ebenso sind mehr höherstufige Planungen zu beachten bzw. zu berücksichtigen, u. a. gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 ROG.551 Auch die Grundsätze der Planrechtfertigung und der Beachtung des Abwägungs­ gebots552 finden hier Anwendung. All das ist Ausdruck der stärkeren Rechtsgebundenheit der Behörde. Teilweise wird aus der engen rechtlichen Gebundenheit sogar herausgelesen,553 dass die Vorhabenzulassung durch einen 548  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1361, der deshalb auch die Erweiterungen der Beteiligungsmöglichkeiten als folgerichtig beschreibt; so ähnlich auch Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179–265, 200. 549  Hans-Jürgen Papier/Wolfgang Durner, Straßenrecht (§ 43), in: Dirk Ehlers/ Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2 Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 337–371, Rn. 22. S. auch BVerwGE 74, 124, 133; Werner Neumann, § 72 VwVfG, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2014, Rn. 10; Rüdiger Breuer, Die wasserrechtliche Planfeststellung, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 667–693, 669. 550  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 313 m. w. N. 551  Bernhard Stüer, Raum-, Landes- und Regionalplanung im Verhältnis zur Straßenplanung, UPR 2002, S. 333–337, 334; Bernhard Stüer/Dietmar Hönig, Raumordnung und Fachplanung im Widerstreit, in: Jan Ziekow (Hrsg.), Bewertung von Fluglärm – Regionalplanung – Planfeststellungsverfahren, Vorträge auf den Vierten ­Speyerer Planrechtstagen und dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag vom 13.03. bis 15.3.2002 an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 2003, S. 225–235. Die Linienbestimmungen ist zwar verbindlich, aber keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 128. Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835: „Rechtlich betrachtet kommt der Bedarfsplanung für die nachfolgenden Planungsstufen förmliche Bindungswirkung für die Linienführung nach 16 FStrGund für das Planfeststellungsverfahren zu“, unter Verweis auf § 1 Abs. 2 S. 2 FStrAbG; § 1 Abs. 2 Allgemeines Schwebebahngesetz; § 12c Abs. 4 S. 2 EnWG. 552  Norbert Kämper, § 74 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 14. S. auch ausführlich Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 122 ff. 553  Eberhard Schmidt-Aßmann, Planung als administrative Handlungsform, in: Jörg Berkemann/Günter Gaentzsch/Günter Halama/Helga Heeren/Eckart Hien/Hans-



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Planfeststellungsbeschluss eine „genehmigungsähnliche Eröffnungskontrolle [darstellte], die auch hinsichtlich der Struktur der Tatbestände und der Kompetenzverteilung zwischen Vorhabenträger und Behörde eher einem Versagungsermessen als einer planerischen Gestaltung entspr[icht]“.554 Dies geht aber zu weit. Auch wenn sich der Planfeststellungsbeschluss als einen „genehmigungstechnischen Sonderfall“555 beschreiben lässt, bleibt es bei der finalen Strukturierung, dem Planungscharakter und damit dem Abwägungsgebot und einer Pflicht zur Gestaltung und flexiblen Berücksichtigung einer Vielzahl von Belangen.556 Deshalb ist auch anders als bei einem Genehmigungsverfahren eine Alternativenprüfung im Rahmen der Planfeststellung vorzunehmen,557 jedenfalls sofern sich Planungsalternativen aufdrängen oder anderweitig hätten anbieten müssen.558 Da die Planfeststellung die letzte Peter Lemmel (Hrsg.), Planung und Plankontrolle, Entwicklungen im Bau- und Fachplanungsrecht. Festschrift für Otto Schlichter zum 65. Geburtstag, 1995, S. 3–25, 14; Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kon­ trolle, 2012, S. 123–156, 130 ff., insb. 133 f.; Wilfried Erbguth, Anmerkungen zum administrativen Entscheidungsspielraum – Am Beispiel der Planfeststellung, DVBl. 1992, S. 398–404, 401 f.; ders., Bauleitplanung und private Investitionen, VerwArch 89 (1998), S. 189–219, 209; Udo Di Fabio, Die Struktur von Planungsnormen, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 75–96; Günter Gaentzsch, Diskussionsbeitrag, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht. Symposium und Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlaß seiner Emeritierung, 1996, S.  116 f.; Ulrich Battis, Das System der räumlichen Gesamtplanung, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Planung. Festschrift für Werner Hoppe zum 70. Geburtstag, 2000, S. 303–316, 312. 554  Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 759–873, Rn. 84 (Fn. 171); s. Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, 2012, S. 123–156, 130 ff., der dem Planungscharakter der Planfeststellung kritisch gegenübersteht. 555  Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 51. 556  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 54. 557  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 231; kritisch Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 342 f.; Reinhard Wulfhorst, Die Untersuchung von Alternativen im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung, NVwZ 2011, S. 1099–1103, 1103. 558  BVerwGE 69, 256, 273; 98, 339, 353; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 231; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 61; kritisch Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infra-

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Planungsstufe ist, kommt im Rahmen der Alternativenprüfung allerdings nur in Ausnahmefällen die „Null-Variante“, also der Verzicht auf das Vorhaben, in Betracht.559 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Planfeststellungsverfahren nicht nur individuelle Selbstbestimmung schützt, sondern auch kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Hier liegt letztlich sogar der, wenn auch nur leichte, Schwerpunkt des Planfeststellungsverfahren. Zwar dient das Planfeststellungsverfahren von allen Planungsstufen am ehesten der Sicherung individueller Selbstbestimmung: Wie § 73 VwVfG und die Regelung, dass Planfeststellungsbeschlüsse als Verwaltungsakt erlassen werden, zeigen, sind die Regeln zum Planfeststellungsbeschluss rechtlich determinierter im Vergleich zu den vorhergehenden Planungsstufen. Hinzu kommt, dass die Ergebnisse der vorhergehenden Planungsstufen in der Planfeststellung zumindest zu berücksichtigen sind. Die höhere Regelungsdichte ist Ausdruck der stärkeren Rechtsgebundenheit der Behörde. Auch betreffen Planfeststellungsbeschlüsse sowohl rechtlich wie auch faktisch einen kleineren Kreis an Personen als z. B. Rechtsverordnungen, die potentiell alle Bürger betreffen. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Großprojekte wie einen Flughafen handelt, dessen Auswirkungen immerhin zu regional begrenzten Betroffenheiten führen. Außerdem spricht der grundsätzliche Nachvollzug privater Planung560 durch die Behörde ebenso wie der u. U. bestehende Anspruch des Einzelnen auf Planaufstellung561 für ein Verständnis des Planfeststellungsverfahrens als Verfahren zur Sicherung individueller Selbstbestimmung.

strukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 342 f. 559  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 836; BVerwG, NVwZ 2011, S. 680, 686; BVerwG, NVwZ 2004, S. 732, 733; BVerwG, NVwZ 1998, S. 508, 511: „Der Umstand, daß für die B 15 neu nach der Wertung des Gesetzgebers ein Verkehrsbedarf besteht, berechtigt nicht dazu, von der Prüfung der ‚Null-Va­riante‘ abzusehen.“ Gegen die Prüfung der Nullvariante im Planfeststellungsverfahren Thomas Mann, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 544–593, 576. Ausgeschlossen ist die Alternativenprüfung für den Standort des Vorhabens nach der Schönefeld-Entscheidung des BVerwG aber z. B. in der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung, BVerwG 125, 116, 137. 560  S. dazu Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123–156, 138 ff. m. w. N. 561  Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf Erlass eines Planfeststellungs­ beschlusses, aber doch ein Anspruch auf fehlerfreie Planungsermessensausübung, BVerwGE 97, 143. Dieser Anspruch kann sich so verdichten, dass kein Versagungsermessen besteht, Norbert Kämper, § 74 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronel-



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Aber dennoch ist der Planfeststellungsbeschluss prinzipiell in die Zukunft gerichtet und betrifft immer noch einen größeren Personenkreis als etwa ein an eine Person gerichteter Verwaltungsakt. Auch bleibt die Steuerungskraft des Gesetzes vor allem durch die von der Planfeststellungsbehörde geforderte Abwägung und der finalen Normstruktur der Ermächtigungsnorm relativ gering.562 Er erlaubt der Behörde, die im Beteiligungsverfahren vorgebrachten Interessen – und nicht nur die Rechte – der Einwender ebenso im Wege der Abwägung zu berücksichtigen wie die der Allgemeinheit.563 Dies zeugt davon, dass das Planfeststellungsverfahren auch und gerade kollektive Selbstbestimmung ermöglichen soll. Man wird daher abschließend konstatieren müssen, dass ein Planfeststellungsverfahren zwar einerseits einem Genehmigungsverfahren sehr nahekommt, dabei aber der Planungsbehörde im Wege der Abwägung der öffentlichen und privaten Belange und unter Beachtung bzw. Berücksichtigung der vorhergehenden planerischen Schritte erlaubt, einen Planfeststellungsbeschluss zu treffen, der letztlich einen größeren Kreis an Einzelnen betrifft. Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist damit höher als auf allen vorangegangen Planungsebenen, wenngleich die Behörde eine nur final programmierte Entscheidung trifft. Die organisatorisch-personelle Legitimation ist abhängig von der jeweils zuständigen Behörde und ist höher, wenn ein Ministerium als Planfeststellungsbehörde agiert und niedriger, wenn eine untere Verwaltungsbehörde als Planfeststellungsbehörde handelt. 2. Betroffene Öffentlichkeit und doppeltes Beteiligungsverfahren Die Ambivalenz der Planfeststellung zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung mit einem dennoch bestehenden Schwerpunkt auf kollektiver Selbstbestimmung zeigt sich auch am Verfahren zur Aufstellung lenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 11. 562  Dazu Fabian Wittreck, Demokratische Legitimation von Großvorhaben, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 209–226, 220, der darauf verweist, dass gerade aufgrund der geringen gesetzlichen Determiniertheit der Gesetzgeber als Ausgleich prozedurale Sicherungen in Gestalt von Informations-, Anhörungs-, Erörterungs- und Einwendungsrechten eingeführt hat, vgl. allein §§ 72 Abs. 2, 73 Abs. 2–3a, Abs. 4, 5, 6, 9, 74 Abs. 2 VwVfG. 563  § 74 Abs. 2 VwVfG; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 227, sieht gerade aufgrund dieser Beschränkung (und dem Umstand, dass der Erörterungstermin oftmals fakultativ gestellt ist), „die demokratische Legitimationsfunktion verfahrensrechtlicher Partizipation [als vom Gesetzgeber] für nachrangig“ gehalten an.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

eines Planfeststellungsbeschlusses und hier insbesondere am nach § 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG zwingend durchzuführenden Beteiligungsverfahren. Auch hier wird im Schwerpunkt kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und so zur Legitimation von Staatsgewalt beigetragen. Das Beteiligungsverfahren wird bisweilen auch als „ein leuchtender Stern am Himmel des deutschen und europäischen Verwaltungsrechts“ bezeichnet.564 a) Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 25 Abs. 3 VwVfG) Seit 2013 existiert ein dem eigentlichen Beteiligungsverfahren vorgelagertes Verfahren, das in § 25 Abs. 3 VwVfG geregelt ist und eine frühe Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit für Vorhaben, deren Auswirkungen nicht nur lokal begrenzt sind, vorsieht.565 Damit sind planfeststellungsrechtliche, immissionsschutzrechtliche und u. U. auch baugenehmigungsrechtliche „Vorhaben“ erfasst.566 Das Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst bereits vor Stellung eines Antrags stattfinden.567 Damit ist sie jedem weiteren Verfahrensschritt vorgelagert. Hier wird eine Pflicht der Behörde normiert, auf den Vorhabenträger einzuwirken, dass er selbst und auf eigene Kosten die Öffentlichkeit beteiligt.568 Die Behörde nimmt mittels des Vorhabenträgers Kenntnis von der Beteiligung und berücksichtigt sie im Prüfprogramm.569 Der Vorhabenträger ist weder verpflichtet, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, noch deren Ergebnisse zu berücksichtigen. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zielt dabei nicht auf die „rechtsstaatliche Dimension des Schutzes vor, sondern [auf] die Eröffnung politischer Teilhabe an einer erst noch zu treffenden Planungsentscheidung“570 ab. 564  Klaus Schönenbroicher, Irritationen um „Stuttgart 21“, VBlBW 2010, S. 466– 468, 467. 565  Dirk Herrmann, §  25 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 23. 566  Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Planvereinheitlichungsgesetz. Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2013, S. 745–754, 746. 567  S. Ferdinand Kopp/Ulrich Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 21. Aufl. 2020, § 25 Rn. 37. 568  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1366. Diese mangelnde Pflicht kritisiert u. a. Michael Fehling, Reform der Bürgerbeteiligung für die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben, Bucerius Law Journal 2012, S. 92–100, 96. 569  Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Planvereinheitlichungsgesetz. Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2013, S. 745–754, 746. 570  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 229. S. auch Bernd Hartmann, Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, Jura 2017,



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b) Betroffene Öffentlichkeitsbeteiligung im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren Im eigentlichen Planfeststellungsverfahren beschränkt der Kreis der Beteiligten sich auf jeden, „dessen Belange durch das Verfahren berührt werden“ (§ 73 Abs. 4 S. 1 VwVfG). Damit ist die betroffene Öffentlichkeit gemeint. Eine Betroffenheit liegt vor, wenn ein schutzwürdiges Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art berührt ist.571 Mögliche Rechtsverletzungen sind keine Beteiligungsvoraussetzung. Einsicht nehmen in die Unterlagen kann hingegen jeder, unabhängig von einer potentiellen Beeinträchtigung der Belange.572 Der Kreis der Beteiligten ist damit entsprechend der höheren Bedeutung der individuellen Selbstbestimmung kleiner als auf den anderen Planungsstufen. Dies gilt in zweierlei Hinsicht: Einerseits ist lediglich eine Betroffenheitsbeteiligung vorgesehen, andererseits sind aufgrund der geringeren „Reichweite“ des Planfeststellungsbeschlusses weniger Einzelne betroffen. Diese Einschränkung ist nur folgerichtig, da es sich nicht um ein rein demokratisches, sondern auch schon rechtsstaatlich geprägtes Verfahren handelt. Das in § 73 VwVfG geregelte und durch Spezialgesetze modifizierte Beteiligungsverfahren läuft dem Grunde nach wie die anderen Einwendungsund Berücksichtigungsverfahren ab: Nach der Einreichung des Plans durch den Vorhabenträger bei der Behörde wird das Vorhaben in Tageszeitungen und Veröffentlichungsblättern bekannt gemacht (§ 73 Abs. 5 VwVfG). Dann müssen die Unterlagen für einen Monat ausgelegt werden (§ 73 Abs. 2, Abs. 3 VwVfG). Dies ist auch der Zeitpunkt, zu dem die Fristen anfangen zu laufen. Darauf folgt die Anhörung, die durch schriftliche Einwendungen erfolgt.573 Die Erhebung von Einwendungen ist bis zwei Wochen nach Auslegungsende möglich. Nach § 73 Abs. 6 S. 1 VwVfG ist ein Erörterungstermin verpflichtend.574 Hier besteht ein Anspruch auf substantielle AnhöS. 1359–1366, 1366, der von einer „frühen Akzeptanzsteigerung durch Planungsbeeinflussung“ ausgeht. 571  VGH Kassel, NVwZ 1986, S. 680, 682. S. dazu ausführlich oben S. 192 ff. 572  Das ist allerdings umstritten. Dafür: Norbert Kämper, § 73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 39; Martin Wickel, § 73 VwVfG, in: Michael Fehling/Berthold Kastner/Rainer Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht. Handkommentar, 5. Aufl. 2021, Rn. 71; dagegen: Werner Neumann, § 73 VwVfG, in: Paul Stelkens/ Heinz Joachim Bonk/Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2014, Rn. 64; Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 4. Aufl.2020, § 73 Rn. 32. 573  § 73 Abs. 3–5 VwVfG. 574  § 73 Abs. 6 VwVfG sieht ihn zwingend vor. In manchen der besonderen Planfeststellungsverfahren ist er lediglich fakultativ vorgesehen, siehe z. B. § 17 a Nr. 5

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rung.575 Im Erörterungstermin müssen die Probleme im direkten Gespräch besprochen werden576 mit dem Ziel eine Verständigung577 oder gar eine Einigung zu erzielen. Dieses Ziel folgt aus § 74 Abs. 2 S. 1 VwVfG, nach dem die Behörde in einem abschließenden Schritt über die nicht erledigten Einwendungen zu entscheiden hat. Nach einigen Spezialgesetzen ist der Erörterungstermin ins Ermessen der Behörde gestellt (§ 18a Nr. 5 AEG; 17a Nr. 5 FStrG; § 14a Nr. 1 WaStrG, § 2 Magnetschwebebahnplanungsgesetz).578 Ermessensleitende Gesichtspunkte fehlen aber.579 FStrG. Dies wird nach Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 36, von den meisten von ihm befragten Experten für vernachlässigbar gehalten, da sie überwiegend – unabhängig von der Seite, auf der sie stehen – einen Erörterungstermin für unverzichtbar halten: „[H]ingewiesen wurde u. a. darauf, dass die Eröffnung des Diskurses im Erörterungstermin in aller Regel zumindest zu einer Entemotionalisierung führe und der durch den Erörterungstermin entstehende Transparenzdruck dazu führe, dass der Vorhabenträger seine Planung noch einmal gründlich überdenke und sich auch nochmals mit der Aussagekraft von ihm vorgelegter Gutachten auseinandersetze.“ Ebenfalls kritisch gegenüber der Fakultativstellung des Erörterungstermins Martin Wickel, Die Änderungen im Planfeststellungsverfahren durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für In­frastrukturvorhaben, UPR 2007, S. 201–206, 204. S. auch Dirk Teßmer, Entwurf eines Verfahrensbeschleunigungsgesetzes – Beschleunigung durch Abbau von Verwaltungskontrolle und Verfahrensrechten?, ZUR 2006, S. 469–474, 472 f.; Rainer Wahl, Zeitprobleme im Verwaltungsverfahren: das Konzept der Strukturierung und Konzentrierung des Erörterungstermins, in: Christoph Gröppl/Monika Jachmann/Gerrit Manssen (Hrsg.), Nach geltendem Verfassungsrecht. Festschrift für Udo Steiner zum 70. Geburtstag, 2009, S. 910–930, 917 f. Dazu auch ausführlich Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 239 ff. und 245: Es müsse eine Verhandlungsatmosphäre geschaffen werden, „in der die anstehenden Fragestellungen sachlich, distanziert und emotionslos behandelt werden können, so dass Einwender nicht das Gefühl haben, Anhörungsbehörde und Vorhabenträger steckten unter einer Decke.“ 575  Alfred G. Debus, Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung am Beispiel des Erörterungstermins, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.). Dokumentation zur 32.  Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. Leipzig 2008, 2009, S. 185–203, 187. 576  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5; Jan Ziekow, Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 2020, § 73 Rn. 60. 577  BT-Drs. 17/9666, S. 19. 578  BVerwG, NVwZ 2011, S. 177, Rn. 35 verneint das Vorliegen eines Ermessensfehlers, wenn ein Interessenausgleich und eine einvernehmliche Lösung nicht zu erwarten sind; Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 234 stimmt dem zu und nennt zudem die Quantität der Einwendungen als ermessensleitenden Gesichtspunkt; Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 842. Indessen wird in



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Wie ist nun mit den Einwendungen umzugehen? Sie müssen ernsthaft in Erwägung gezogen werden und im Planfeststellungsbeschluss Berücksichtigung finden.580 Sie sind mithin in die Abwägung einzubeziehen:581 „Bei der Planfeststellung sind die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.“582 Es besteht also kein Einigungszwang. Sollte eine Einigung zwischen Beteiligten und der Behörde erzielt werden, darf diese keinesfalls unmittelbar übernommen werden. Das Abwägungsgebot verlangt, dass die Behörde abwägt und nicht ihren Gestaltungsspielraum aufgibt.583 Eine nachvollziehbare Zurückweisung und sachlich begründete Nichtberücksichtigung von Einwendungen ist statthaft.584 Hierbei ist zu beachten, dass der Abwägungsspielraum der Behörde aufgrund der Vorfestlegungen der vorhergehenden Stufen schon enger geworden ist und so auch weniger Raum für die Berücksichtigung der Einwendungen besteht. Außerdem kommt in Betracht, dass aufgrund der größeren Konkretheit der Planung auch subjektive Rechte, sei es des Vorhabenträgers, sei es von Dritten, zwingend zu beachten sind. Auch diese schränken den Gestaltungsspielraum der Behörde und damit auch den möglichen Einfluss von Einwendungen im Beteiligungsverfahren ein.

den seltensten Fällen auf ihn verzichtet, Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837 f. S. auch Pascale Cancik, Beschleunigung oder Re-Arkanisierung? Die Einschränkungen der Erörterung im Planfeststellungsverfahren, DÖV 2007, S. 107–115; Annette Guckelberger, Bürokratieabbau durch Abschaffung des Erörterungstermins?, DÖV 2006, S. 97–106; Georg Manten, Volle Kraft voraus – Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren, DVBl. 2009, S. 213–220, 213; Christian Otto, Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz – Was ändert sich im Fachplanungsrecht?, NVwZ 2007, S. 279–283. 579  S. dazu Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837. 580  Annette Guckelberger, Formen von Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsbeteiligung im Umweltverwaltungsrecht, VerwArch 103 (2012), S. 31–62, 54. 581  Werner Neumann, §  74 VwVfG, in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/­ Michael Sachs (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2014, Rn. 162. 582  § 28 Abs. 1 S. 2 PBefG; § 18 AEG; § 33 Abs. 1 BremLStrG; § 21 Abs. 1 Magnetschwebebahngesetz. 583  BVerwG, NVwZ 2011, S. 1256, Rn. 22; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 110. 584  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Eine besondere Ausgestaltung hat die Öffentlichkeitsbeteiligung im Planfeststellungsverfahren nach NABEG für Höchstspannungsleitungen von 220 Kilovolt und mehr, die im Bundesbedarfsplan nach § 12e Abs. 4 EnWG als grenz- und länderübergreifend gekennzeichnet sind, erfahren. Sie ist ebenso wie im Rahmen der Bundesfachplanung doppelt ausgestaltet. Zunächst hat der Vorhabenträger vor Einreichung des Plans und der Unterlagen nach § 21 NABEG einen Antrag auf Planfeststellungsbeschluss zu stellen (§ 19 ­NABEG). Auf diesen Antrag folgt eine Antragskonferenz, bei der auch Umweltvereinigungen beteiligt sind (§ 20 Abs. 1 NABEG). Die Antragskonferenz ist öffentlich. Die Öffentlichkeit wird über das amtliche Verkündungsblatt, die örtlichen Tageszeitungen und die Homepage der Planfeststellungsbehörde informiert (§ 20 Abs. 2 NABEG). Wie bei der Antragskonferenz im Rahmen der Bundesfachplanung nach § 7 NABEG wird man auch hier ein Äußerungsrecht der Öffentlichkeit annehmen müssen.585 Nach § 20 Abs. 3 NABEG legt die Planfeststellungsbehörde auf Grund der Ergebnisse der Antragskonferenz einen Untersuchungsrahmen für die Planfeststellung fest und bestimmt den erforderlichen Inhalt der nach § 21 ­NABEG einzureichenden Unterlagen. Der überarbeitete Plan des Vorhabenträgers wird bei der Behörde eingereicht und dann an die Träger öffentlicher Belange, einschließlich der Raumordnungsbehörden der Länder, die von dem Vorhaben berührt sind, weitergeleitet. Diese dürfen dann innerhalb einer von der Behörde gesetzten Frist, die maximal drei Monate beträgt, Stellung nehmen (§ 22 Abs. 1 und Abs. 2 NABEG). Im Anschluss daran sind zum Zwecke der Öffentlichkeitsbeteiligung der Plan, die Stellungnahmen der Behörden, die Stellungnahmen der Vereinigungen und die nicht erledigten Einwendungen der Planfeststellungsbehörde für einen Monat auszulegen. Die Auslegung ist im amtlichen Verkündungsblatt und über die Internetseite der Planfeststellungsbehörde sowie den örtlichen Tageszeitungen, die in dem Gebiet verbreitet sind, auf das sich das Vorhaben voraussichtlich auswirken wird, bekannt zu machen. Die Bekanntmachung soll eine Woche vor Beginn der Auslegung erfolgen.586 Gem. § 22 Abs. 4 NABEG ist der Plan zeitgleich mit der Auslegung für die Dauer von einem Monat im Internet zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung ist entsprechend § 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 NABEG bekannt zu machen. Individuen, deren Belange berührt werden, können daraufhin innerhalb von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist Einwendungen erheben (§ 22 Abs. 6 NABEG), spätere Einwendungen sind formell präkludiert. Ein Erörterungstermin ist zwingend vorgesehen (§ 22 Abs. 7 585  S. oben

S. 254 f. muss außerdem dem Planungsstand entsprechende Angaben über den Verlauf der Trassenkorridore und den Vorhabenträger enthalten, Informationen darüber, wo und wann die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt werden, sowie Hinweise auf die Einwendungsfrist unter Angabe des jeweils ersten und letzten Tages. 586  Sie



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NABEG). Gem. § 18 Abs. 3 NABEG müssen die Einwendungen im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden. 3. Bewertung: Die legitimierende Wirkung des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens als demokratische Partizipationsform Das Planfeststellungsverfahren zeigt im Vergleich zu den anderen Planungsverfahren, dass in Verfahren, die weniger kollektiver Selbstbestimmung dienen, auch weniger Einwirkungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit vorgesehen sind – und vice versa. Dies entspricht der Theorie der imperativen Partizipation. Da individuelle Selbstbestimmung schon eine größere Rolle als auf den anderen Planungsstufen spielt, ist es richtig, dass der Kreis der Beteiligungsfähigen abnimmt.587 Die Einschränkung der Beteiligungsfähigen geht dabei nicht zu weit und ermöglicht weiterhin ausreichend kollektive Selbstbestimmung. Der Begriff der Betroffenheit besitzt zudem eine solche Flexibilität, dass er geeignet ist, auch Elemente kollektiver Selbstbestimmung zu erfassen. Wie üblich im Planungsrecht, sind die Einwendungen der betroffenen Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Aufgrund der bestehenden Vorfestlegungen der vorhergehenden Planungsstufen ist der Gestaltungsspielraum der Planfeststellungsbehörde zwar enger geworden, besteht aber weiterhin. Dass durch den geringen Gestaltungsspielraum weniger Einwirkungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit bestehen, entspricht dem Charakter des Planfeststellungsbeschlusses, der auch weniger der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung dient als die Planungen auf den vorhergehenden Ebenen. Durch ihre ausgewogene und zurückhaltende Ausgestaltung trägt sie als fünfter Legitimationsmodus zur Stärkung der Legitimation von Planfeststellungsbeschlüssen bei. Auch hier ist wieder Kritik im Einzelnen zu üben: Die effektive Wirksamkeit von Beteiligung im Planfeststellungsverfahren wird gestärkt, indem bestimmte Beteiligungsformen vorgesehen sind, die auf anderen Stufen fehlen. So ist positiv hervorzuheben, dass Verwaltungsverfahrensgesetz und N ­ ABEG 587  Kritisch aber Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 840; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1365. S. auch Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 134; Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5; Michael Bertrams, Bürgerbeteiligung bei Großprojekten, NWVBl. 2012, S. 289–293, 293.

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einen Erörterungstermin zwingend vorsehen. Der Erörterungstermin ist aufgrund seines kommunikativen Charakters sowie der zumindest bedingten588 Offenheit des Prozesses ein Zeichen der demokratischen Ausprägung des Planfeststellungsverfahrens.589 Er trägt zur Demokratisierung des Beteiligungsverfahrens bei. Dass der Erörterungstermin in vielen Spezialgesetzen fakultativ gestellt ist, entspricht nicht dem gerade auch auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gerichteten Charakter des Planfeststellungsbeschlusses.590 Problematisch ist zudem, dass weder die Planfeststellungsbehörde noch die Vorhabenträger verpflichtet sind, an dem Erörterungstermin teilzunehmen und sich im Falle einer Teilnahme folglich auch nicht beteiligen müssen, etwa in dem Sinne, dass sie Fragen beantworten oder auf Einwendungen eingehen müssen.591 Aufgrund der stärkeren Betonung der Sicherung individueller Selbstbestimmung ist es aber folgerichtig, dass nicht jedermann Einwendungen erheben darf und dementsprechend auch nicht gem. § 73 Abs. 6 S. 6 i. V. m. § 68 Abs. 1 VwVfG am Erörterungstermin teilnehmen kann.592 Es wird kritisiert, dass die Beteiligungsfristen im Planfeststellungsverfahren zu kurz seien, da die Öffentlichkeit lediglich einen Monat und zwei Wochen Zeit habe, auf ein Vorhaben zu reagieren, die Vorhabenträger dagegen oftmals Jahre Zeit hätten, sich auf das Planfeststellungsverfahren vorzubereiten.593 Dieser Kritik kann hier so pauschal nicht gefolgt werden: Auch die Bürger wissen oft schon vorher von dem Projekt, jedenfalls in groben 588  Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 233, der die durch ihn hergestellte Transparenz als „demokratische Funktion des Erörterungstermin[s]“ bezeichnet, ebd., S. 235. 589  S. dazu ausführlich oben S. 66 f. 590  S. aber die Kritik, die darauf hinweist, dass im Erörterungstermin oft nichts Neues mehr hinzukäme und der Termin oft nur dem öffentlichen Streit diene, Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 233. 591  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 39. S. ausführlich zum Erörterungstermin ebd., S.  42 ff. 592  Kritisch hingegen Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 38 f. 593  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012, S. 91–94, 92 schlägt daher zwei Monate Auslegungsfrist vor; hingegen könnte nach Matthias



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Zügen, wie etwa auf der Ebene des Raumordnungsverfahrens, und können so ihre Argumente vorbereiten. Diese sind dann innerhalb eines Monats und zwei Wochen anhand des konkreten Plans zu überprüfen und in Einwendungsform zu gießen. Im Sinne eines schlanken und kurzen Verfahrens und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es jedenfalls bei größeren Projekten nicht die erste Öffentlichkeitsbeteiligung ist, dürfen die Fristen nicht zu lang sein. Ob ein Monat und zwei Wochen die angemessene Frist für eine effektive und wirksame Beteiligung in jedem Planfeststellungsverfahren ist, ist allerdings fraglich. Dies scheint doch als starre Frist zu kurz zu sein. Besser wäre eine flexible Handhabung, die sich an Größe, Komplexität und Bedeutung des Vorhabens für die betroffene Öffentlichkeit orientiert. Ein Großflughafen ist anders zu behandeln als ein Regionalflughafen oder gar eine Seilbahn. Der späte Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung steht einer effektiven und wirksamen Beteiligung entgegen. Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt nämlich erst, nachdem der Plan schon vorliegt und eingereicht wurde. Dies wird allgemein als zu spät kritisiert.594 Ein solches frühzeitiges Verfahren ist gerade deshalb von Bedeutung, weil der Umstand, dass die Behörde den Plan nur nachvollzieht, für Außenstehende unter Umständen die Neutralität der Behörde in Frage stellt.595 Durch den Nachvollzug besteht eine „vergleichsweise starke Dominanz der Vorhabenträger bei der Alternativenprüfung“. Diese trägt bedauerlicherweise zu frühzeitigen Vorfestlegungen bei.596 Ebenfalls die Neutralität der Behörde in Frage stellend ist der Umstand, dass

Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 7, die Frist verkürzt werden. 594  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen ­Juristentag, 2012, S. 37. Zur Neutralität s. auch Kay Waechter, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 499–543, 503 f. 595  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1365. Ähnliche Befürchtung bei Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123–156, 148; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 838; Alfred G. Debus, Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung am Beispiel des Erörterungstermins, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.). Dokumentation zur 32. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. Leipzig 2008, 2009, S. 185–203, 200 bzgl. der Verhandlungsleitung beim Erörterungstermin. 596  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1364.

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Anhörungsbehörde und Planfeststellungsbehörde oft identisch sind.597 Trotz der Neutralitätsprobleme ist der behördliche Nachvollzug der Planung durch den Vorhabenträger aufgrund der Effektivität dieses Verfahren aber gerechtfertigt. Dies liegt u. a. daran, dass nur der Vorhabenträger weiß, was er genau bauen will. Außerdem stellt die Behörde am Schluss in Eigenverantwortung den Plan fest und ist darin innerhalb der rechtlichen Vorgaben auch frei. Die negativen Externalitäten der Planung können und müssen durch eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung abgemildert werden. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG wirkt dem zwar entgegen, kann aber mangels einer Pflicht des Vorhabenträgers, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen oder zumindest zuzulassen, nicht diesen Mangel vollständig aufwiegen. Das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren im Planfeststellungsverfahren erlaubt den betroffenen Einzelnen ihre Belange in das Verfahren einzubringen, balanciert auf diese Art und Weise kollektive und individuelle Selbstbestimmung aus und trägt so zur Legitimation staatlicher Entscheidungen bei. Der späte Zeitpunkt der Öffentlichkeitsbeteiligung steht aber der effektiven Wirksamkeit der Beteiligung entgegen. Vom Beteiligungsverfahren innerhalb des Planfeststellungsverfahrens als einem „leuchtenden Stern“ zu sprechen, mag daher zu weit gehen, es ist aber dennoch ein weiterer Nachweis, dass die Bundesrepublik Deutschland ein partizipativer Staat ist. VIII. Standortauswahlgesetz Bis 2013 war auch die Suche nach einem Endlager für Atommüll als Planfeststellungsverfahren ausgestaltet, allerdings als ein im Wesentlichen gebundenes Verfahren.598 Das Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz) aus dem Jahr 2013, das nach seinem § 1 der Suche und dem Auffinden eines Endlagers für Atommüll dient, veränderte dieses Verfahren voll597  Vgl.  Julia Stender-Vorwachs, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, NVwZ 2012, S. 1061–1066, 1064; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012, S. 91–94, 93 f. Sehr kritisch bzgl. der oft zu findenden Identität beider Behörden Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 838. Es ist gleichwohl verfassungsrechtlich unbedenklich, BVerwGE 120, 87, 99; 58, 344, 347 ff.; BVerwG NVwZ 2002, S. 1103, 1104; Michael Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgaben, 2001, S. 264 ff. 598  S. zum Planfeststellungsverfahren nach dem AtomG unten S. 301 ff.



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ständig.599 So wurde zum einen das ursprünglich im Atomgesetz vorgesehene Planfeststellungsverfahren mit einem Genehmigungsverfahren ersetzt (vgl. § 9 Abs. 1a AtomG). Zum anderen, und das ist letztlich für die vorliegende Arbeit entscheidend, wurde dem Genehmigungsverfahren ein vom Standortauswahlgesetz geregeltes Verfahren vorgelagert, das wesentliche Partizipa­ tionselemente vorsieht. 2017 wurde das Standortauswahlgesetz 2013 durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes600 zudem neu gefasst.601 Es dient der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung (1.). Das vorgesehene Beteiligungsverfahren ist mehrstufig ausgebaut und ist ebenfalls auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung gerichtet (2.). Die grundsätzlich legitimierende Wirkung des Beteiligungsverfahrens leidet aber an einem wesentlichen Webfehler des Gesetzes, nämlich dass die Letztentscheidung vom Bundestag vorgenommen wird und hier in der Sache keine Partizipation möglich ist (3.). 1. Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Das vom Standortauswahlgesetz geregelte Standortauswahlverfahren, das der Suche und dem Auffinden eines Endlagers für Atommüll dient, ist dem eben beschriebenen Planfeststellungsverfahren ähnlich, nimmt aber Elemente der Bedarfsplanung auf und ist somit stärker auf die Ermöglichung kollek­ tiver Selbstbestimmung ausgerichtet. Der Gesetzgeber wird in einem dreiphasigen Verfahren insgesamt dreimal tätig: zunächst durch die Festlegung mehrerer möglicher Standorte für die übertägige Erkundung (§§ 13  ff. Stand­AG), dann durch die Entscheidung, welche Standorte untertägig erkundet werden sollen (§§ 17 f. StandAG) und schließlich ist die endgültige Festlegung durch ein formelles Bundsgesetz zu treffen (§ 20 StandAG). Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ weisen dementsprechend, mit Ausnahme des Umstands, dass es um ein konkretes Projekt geht, in Richtung 599  BGBl. I

2013, S. 2553. 2017, S. 1074. S. dazu auch Ulrich Smeddinck, Die Öffentlichkeitsbeteiligung im Standortauswahlverfahren – experimentell, resilient und partizipations­ fähig?, in: Winfried Kluth/ders. (Hrsg.), Bürgerpartizipation – neu gedacht, 2019, S. 149–178. 601  S. dazu Wolfgang Durner, Das Beteiligungsverfahren nach dem Standortauswahlgesetz im Vergleich zu anderen Großvorhaben, NUR 2019, S. 241–252; Volker M. Haug/Marc Zeccola, Neue Wege des Partizipationsrechts – Eignet sich das Standortauswahlgesetz als Vorbild?, ZUR 2018, S. 75–84; Marcus Fillbrandt, Die Sicherung von Endlagerstandorten nach dem novellierten Standortauswahlgesetz – ein Paradigmenwechsel?!, NVwZ 2017, S. 855–857; Birgit Peters, Legitimation durch Öffentlichkeitsbeteiligung, 2020, S. 102 ff. 600  BGBl. I

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kollektive Selbstbestimmung, da das Parlament durch Gesetz handelt, gegen das kein ordentlicher Rechtsschutz möglich ist.602 Auch die Eigenschaften der Planungsentscheidung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, deuten in Richtung Ermöglichung und Ausübung kollektiver Selbstbestimmung. Eindeutig ist, dass die Standortentscheidung zukunftsorientiert ist. Im Idealfall soll das Endlager mehrere 1.000 Jahre bestehen bleiben. Die „rechtliche Determiniertheit“ war 2013 noch sehr schwach. So sah das Standortauswahlgesetz 2013 kaum materielle Vorgaben vor, die aber gem. § 4 Abs. 5 StandAG a. F. in einem weiteren Gesetz folgen sollten. Dieses Gesetz sollte von der nach § 3 Abs. 1 Stand­AG a. F. zu bildende „Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoff“ erarbeitet werden und Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen, Abwägungskriterien und weitere Entscheidungsgrundlagen festlegen. Deren Bericht603 führte dann zur Neufassung des Standortauswahlgesetzes, das nunmehr Ausschlusskriterien, Mindestanforderungen, geowissenschaftliche und planungswissenschaftliche Abwägungskriterien, Sicherheitsanforderungen und bestimmte Kriterien für die vorläufige Sicherheitsuntersuchungen vorsieht (§§ 22 ff. StandAG n. F.). Trotz dieser Konkretisierungen deutet die „rechtliche Determiniertheit“ weiterhin in Richtung kollektiver Selbstbestimmung. Einzig die „persönliche Reichweite“ deutet ein wenig in Richtung individuelle Selbstbestimmung. Zwar ist sie wie immer im Atomrecht nicht auf den Standort selbst beschränkt, sondern geht darüber hinaus. Allerdings kann es anders als bei der Errichtung eines Atomkraftwerks nicht zu einem GAU kommen, der alles und jeden in Deutschland und Europa erreicht.

602  S. dazu Wolfgang Durner, Das Beteiligungsverfahren nach dem Standortauswahlgesetz im Vergleich zu anderen Großvorhaben, NUR 2019, S. 241–252, 244; Volker M. Haug/Marc Zeccola, Neue Wege des Partizipationsrechts – Eignet sich das Standortauswahlgesetz als Vorbild?, ZUR 2018, S. 75–84, 83. Einschränkend ist hinzuzufügen, dass seit der Novelle 2017 in den beiden ersten Phasen Rechtsschutz gegen den – dem jeweiligen Gesetz zwingend vorgeschalteten und vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zu erlassenden – Bescheid, dass das bisherige Standortauswahlverfahren nach den Regelungen dieses Gesetzes durchgeführt wurde und der Auswahlvorschlag diesen entspricht, möglich ist, § 17 Abs. 2 S. 2 StandAG n. F. und § 19 Abs. 2 S. 2 StandAG n. F. 603  Kommision Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, Abschlussbericht, BT Drs. 18/9100, 19. Juli 2016, S. 317 ff.



Kapitel 5: Die Exekutive281

2. Mehrstufige Öffentlichkeitsbeteiligung inklusive Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren Das Standortauswahlgesetz beinhaltet ein mehrstufiges Verfahren der ­ ffentlichkeitsbeteiligung, u. a. mit einem Einwendungs- und BerücksichtiÖ gungsverfahren, das kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Hinzu kommen, insbesondere mit der Novelle 2017, korporative Beteiligungsmöglichkeiten. § 5 StandAG n. F. legt die Grundsätze der Öffentlichkeitsbeteiligung dar und verlangt, dass das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung dafür zu sorgen hat, dass die Öffentlichkeit frühzeitig und während der Dauer des Standortauswahlverfahrens umfassend und systematisch über die Ziele des Vorhabens, die Mittel und den Stand seiner Verwirklichung sowie seine voraussichtlichen Auswirkungen unterrichtet und über die vorgesehenen Beteiligungsformen beteiligt wird. Dies soll in einem dialogorientierten Prozess erfolgen. Hierzu soll es sich des Internets und anderer geeigneter Medien bedienen. Nach § 6 StandAG n. F. ist eine Internetplattform zu errichten, auf der fortlaufend die das Standortauswahlverfahren betreffenden wesentlichen Unterlagen des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und des Vorhabenträgers, insbesondere Gutachten, Stellungnahmen, Datensammlungen und Berichte, online gestellt werden. § 7 StandAG regelt das Stellungnahmeverfahren und die Erörterungstermine.604 Nach Absatz 1 gibt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung u. a. der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorschlägen für die übertägig sowie untertägig zu erkundenden Standort­ regionen sowie den letztendlichen Standortvorschlag sowie den dazu jeweils vorliegenden Berichten und Unterlagen. Die Frist beträgt drei Monate. In der Folge besteht eine Berücksichtigungspflicht. Nach Abschluss der jeweiligen Stellungnahmeverfahren ist in den be­ troffenen Gebieten ein Erörterungstermin durchzuführen (§  10 Abs.  3 Stand­AG n. F.). Die wesentlichen, den Erörterungsgegenstand betreffenden Unterlagen sind auf der Internetplattform des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung zu veröffentlichen und für die Dauer von mindestens einem Monat im räumlichen Bereich der betroffenen Gebiete auszulegen. Die Auslegung ist im Bundesanzeiger, auf der Internetplattform des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung und in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Vorhabens verbreitet sind, bekannt zu machen (§ 10 Abs. 4 StandAG n. F.). Schließlich bestimmt Absatz 5, dass an 604  S. dazu auch Volker M. Haug/Marc Zeccola, Neue Wege des Partizipationsrechts – Eignet sich das Standortauswahlgesetz als Vorbild?, ZUR 2018, S. 75–84, 80.

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den Erörterungsterminen neben der Öffentlichkeit und den Trägern öffent­ licher Belange auch der Vorhabenträger, Vertreter der Regionalkonferenzen und der Fachkonferenz Rat der Regionen, die zuständigen obersten Landesbehörden und die betroffenen Gebietskörperschaften teilnehmen. Der Erörterungstermin ist jeweils im räumlichen Bereich des Vorhabens durchzuführen und mindestens einen Monat vorher bekannt zu machen. Die Aufzählung der Beteiligten der Erörterungstermine deutet schon auf die oben erwähnte korporatische Beteiligungsformen hin. Während diese im StandAG 2013 noch schwach ausgeprägt waren – es gab hier lediglich das pluralistisch zusammengesetzte Nationales Begleitgremium zur gemeinwohlorientierten Begleitung (§ 8 StandAG) –, so sieht das StandAG 2017 nunmehr neben dem Begleitgremium drei weitere Gremien vor, nämlich die Fachkonferenz Teilgebiete, Regionalkonferenzen und die Fachkonferenz Rat der Regionen (§§ 9–11 StandAG n. F.).605 Aufgabe des nationalen Begleitgremiums ist die vermittelnde und unabhängige Begleitung des gesamten Standortauswahlverfahrens, insbesondere der Öffentlichkeitsbeteiligung, mit dem Ziel, so Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen. Es kann sich unabhängig und wissenschaftlich mit sämtlichen Fragestellungen das Standortauswahlverfahren betreffend befassen, die zuständigen Institutionen jederzeit befragen und Stellungnahmen abgeben. Es kann dem Deutschen Bundestag weitere Empfehlungen zum Standortauswahlverfahren geben (§ 8 Abs. 1 StandAG n. F.). Dazu kann es sich u. a. wissenschaftlicher Expertise bedienen (§ 8 Abs. 4 StandAG n. F.). Außerdem beruft es einen Partizipationsbeauftragten, der die Aufgabe der frühzeitigen Identifikation möglicher Konflikte und der Entwicklung von Vorschlägen zu deren Auflösung im Standortauswahlverfahren übernimmt (§ 8 Abs. 5 StandAG n. F.). Das Begleitgremium besteht aus 18 Mitgliedern. Zwölf Mitglieder sollen anerkannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sein. Sie werden vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat gewählt; daneben werden sechs Bürger, darunter Vertreter der jungen Generation, vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ernannt (§ 8 Abs. 3 StandAG n. F.). Die Fachkonferenz Teilgebiete wird in dem allerersten Schritt der Stand­ orterkundung tätig. Hier war in § 13 StandAG a. F. noch eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, die nun gestrichen wurde. Im Rahmen der Suche nach übertägig zu erkundenden Standortregionen werden durch die Vorha605  S. dazu ausführlich Wolfgang Durner, Das Beteiligungsverfahren nach dem Standortauswahlgesetz im Vergleich zu anderen Großvorhaben, NUR 2019, S. 241– 252, 244, 249; Volker M. Haug/Marc Zeccola, Neue Wege des Partizipationsrechts – Eignet sich das Standortauswahlgesetz als Vorbild?, ZUR 2018, S. 75–84, 80 ff.; Birgit Peters, Legitimation durch Öffentlichkeitsbeteiligung, 2020, S. 105.



Kapitel 5: Die Exekutive283

benträger zunächst Teilgebiete nach § 13 StandAG ermittelt, aus denen dann wiederum die Standortregionen für die übertägige Erkundung nach § 14 StandAG ermittelt werden – hier ist nun, anders als nach dem StandAG 2013, allerdings eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Die Fachkonferenz Teilgebiete erörtert den Zwischenbericht des Vorhabenträgers nach § 13 Absatz 2 StandAG n. F. in höchstens drei Terminen innerhalb von sechs Monaten. Den Vorhabenträger trifft dabei eine Erläuterungspflicht. Die Fachkonferenz legt im Anschluss an die Beratungen ihre Ergebnisse dem Vorhabenträger innerhalb eines Monats vor. Den Vorhabenträger trifft eine Berücksichtigungspflicht der Ergebnisse. An der Fachkonferenz Teilgebiete beteiligen sich Bürger, Vertreter von betroffenen Gebietskörperschaften, gesellschaftlicher Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (§ 9 Abs. 1 StandAG n.F). Sie werden vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung bestimmt. Es ist allerding unklar, wie genau die Auswahl zustandekommt. Nachdem Standorte zur übertägigen Erkundung durch den Vorhabenträger vorgeschlagen wurden, richtet das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung nach § 10 Abs. 1 StandAG n. F. in jeder dieser Standortregionen eine Regionalkonferenz ein. U. a. begleiten diese das Standortauswahlverfahren und erhalten vor den Erörterungsterminen zu den Vorschlägen für die übertägig sowie untertägig zu erkundenden Standortregionen sowie den letztendlichen Standortvorschlag Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 10 Abs. 4 StandAG  n. F.).606 Zudem kann jede Regionalkonferenz innerhalb einer angemessenen Frist, die sechs Monate nicht überschreiten darf, einen Nachprüfauftrag an das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung richten, wenn sie einen Mangel in den entsprechenden Vorschlägen des Vorhabenträgers rügt. Sollte sich aus der Nachprüfung Überarbeitungsbedarf ergeben, fordert das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung den Vorhabenträger auf, den gerügten Mangel zu beheben und den jeweiligen Vorschlag vor Durchführung des Stellungnahmeverfahrens nach § 7 Absatz 1 zu ergänzen (§ 10 Abs. 5 StandAG n. F.). Ebenso wie das Nationale Be­ gleitgremium kann es sich wissenschaftlich beraten lassen (§ 10 Abs. 4 ­StandAG n. F.). Regionalkonferenzen bestehen neben einem Vertretungskreis auch aus einer Vollversammlung, die alle Personen umfasst, die in den kommunalen Gebietskörperschaften der jeweiligen Standortregion oder unmittelbar angrenzenden kommunalen Gebietskörperschaften gemeldet und zumindest 16 Jahre alt sind (§ 10 Abs. 2 StandAG n. F.). Dies spricht gegen das 606  Dies gilt für die beiden späteren Verfahrensschritte natürlich nur, sofern der betreffende Standort noch weiter erkundet wird. Nach § 10 Abs. 7 StandAG n. F. löst sich die dazugehörige Regionalkonferenz auf, sofern eine Region aus dem Auswahlverfahren ausscheidet.

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oben postulierte Verständnis einer korporativen Beteiligungsform. Allerdings dient die Vollversammlung nur der Wahl des Vertretungskreises, der allein die genannten Rechte der Regionalkonferenz geltend machen kann. Der Vertretungskreis besteht zu je einem Drittel aus Bürgern der Vollversammlung, Vertretern der kommunalen Gebietskörperschaften der Standortregion sowie Vertretern gesellschaftlicher Gruppen. Die nicht mehr als 30 Teilnehmer werden von für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt. Sie können zweimal wiedergewählt werden (§ 10 Abs. 3 StandAG n. F.). Die Fachkonferenz Rat der Regionen wiederum begleitete die Prozesse der Regionalkonferenzen aus überregionaler Sicht und leistet Hilfestellung beim Ausgleich widerstreitender Interessen der Standortregionen (§ 11 Abs. 1 StandAG n. F.). Die Fachkonferenz Rat der Regionen wird wie auch die Fachkonferenz Teilgebiete vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung eingerichtet. Sie setzt sich aus maximal je 15 Vertretern der ­Regionalkonferenzen einerseits und von Gemeinden, in denen radioaktive Abfälle zwischengelagert werden, andererseits zusammen (§  11 Abs.  1 ­StandAG n. F.). Auch hier fehlen nähere Angaben dazu, nach welchen Kriterien diese maximal 30 Vertreter bestimmt werden. 3. Bewertung: Trotz legitimierender Wirkung des Beteiligungsverfahrens keine Beteiligung im entscheidenden Moment Wie fast alle Verfahren, die der Planung dienen, sieht das Standortauswahlgesetz ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vor. Dadurch wird die Legitimation staatlichen Handelns gestärkt. Da das Parlament durch ein formelles Gesetz entscheidet, wird allerdings die letzte Entscheidung ohne spezifische, auf die Sachfrage abstellende, Partizipationsmöglichkeit getroffen. Für das StandAG 2013 galt daher, dass Partizipation Einzelner auf gerichtlicher Ebene und die gerichtliche Überprüfbarkeit von Fehlern im Beteiligungsverfahren so weitestgehend ausgeschlossen worden sind.607 Dies war, anders als bei der Bedarfsplanung, bei der auch das Parlament tätig wird, deshalb problematisch, weil es hier anders als dort nicht um die erste Planstufe, sondern um die Letztentscheidung geht. Dieser Ausschluss von Partizipation in dem Moment, in dem es darauf ankommt, führte sogar dazu, dass behauptet wurde, dass mit dem Beteiligungs-

607  Marc André Wiegand, Konsens durch Verfahren? Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz nach dem Standortauswahlgesetz im Verhältnis zum atomrecht­ lichen Genehmigungsverfahren, NVwZ 2014, S. 830–835, 834.



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verfahren „ein juristischer Popanz“ aufgebaut werde.608 Diese Kritik ging auch schon damals angesichts innovativer Beteiligungsmöglichkeiten, wie z. B. einer inzwischen gestrichenen Bürgerversammlung (§ 10 StandAG a. F.), zu weit. Allerdings war der weitgehende Ausschluss des Rechtsschutzes sicherlich problematisch, so dass die Neufassung hier zu begrüßen ist. Die Stärkung korporativer Beteiligungsformen ist kritisch zu bewerten, nicht nur aus demokratietheoretischen Gründen609 und aufgrund der mangelnden Klarheit, wer in die verschiedenen Gremien berufen wird. Es kann durch diese Beteiligungsformen nämlich auch zu Verdrängungsmechanismen zulasten der Öffentlichkeit kommen. Dies zeigt sich daran, dass die Bürgerversammlung des StandAG 2013, die als Erörterungstermin diente, gestrichen wurde. Nunmehr dürfen neben der Öffentlichkeit am Erörterungstermin auch die Vertreter der Regionalkonferenzen und der Fachkonferenz Rat der Regionen teilnehmen – und werden dort u. U. wesentlich mehr Gehör finden als die Öffentlichkeit. Außerdem gibt es nach der Novelle, anders als nach § 13 StandAG a. F., keinen Erörterungstermin i. R. d. allerersten Schritts der Standortermittlung, der Auswahl der Teilgebiete. Stattdessen bestehen hier Äußerungsrechte der Teilgebiete Konferenz. Zwar gibt es in der Neufassung des Standortauswahlgesetzes dafür nun einen – bislang in § 14 StandAG a. F. fehlenden – Erörterungstermin auf der nächsten Ebene, der Auswahl der Standorte für die übertägige Erkundung, dieser kommt jedoch einen Schritt zu spät. Positiv ist zumindest zu bewerten, dass das Nationale Begleitgremium und die Regionalkonferenzen sich wissenschaftlicher Expertise bedienen können. Letzlich lässt sich aber trotz der hier vorgebrachten Kritik festhalten, dass aufgrund des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens die Bürgerbeteiligung im Großen und Ganzen der Theorie der imperativen Partizipation entspricht und legitimierend wirkt. Außerdem zeigen die Bemühungen, im Rahmen der Neufassung des Standortauswahlgesetzes Partizipation zu stärken, letztlich auch, welchen Stellenwert Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland besitzt. So heißt es in Bezug auf das Standortauswahlgesetz sogar, dass es sich um die „womöglich weltweite intensivste Form der Öffent­lichkeitsbeteiligung“610 handelt. 608  Marc André Wiegand, Konsens durch Verfahren? Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz nach dem Standortauswahlgesetz im Verhältnis zum atomrecht­ lichen Genehmigungsverfahren, NVwZ 2014, S. 830–835, 834. 609  S. Wolfgang Durner, Das Beteiligungsverfahren nach dem Standortauswahlgesetz im Vergleich zu anderen Großvorhaben, NUR 2019, S. 241–252, 241 m. w. N.; ausführlich s. Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 277 ff. 610  Wolfgang Durner, Das Beteiligungsverfahren nach dem Standortauswahlgesetz im Vergleich zu anderen Großvorhaben, NUR 2019, S. 241–252, 251.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

IX. Bewertung Planung: Legitimation durch Partizipation zum Zwecke kollektiver Selbstbestimmung Nahezu jedes staatliche Planungsverfahren sieht die Beteiligung Einzelner, die der (betroffenen) Öffentlichkeit angehören, durch ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vor. Der planende Staat ist ein partizipativer Staat. Wie immer auf Ebene der Exekutive, verbleibt die Entscheidungsbefugnis beim Staat. Blickt man auf die Beteiligungsmöglichkeiten im Rahmen staatlicher Raum- und Fachplanung, so wird die im Schwerpunkt demokratische Komponente von Planungsentscheidungen und damit auch der Beteiligungsverfahren deutlich. Planung ebenso wie die Öffentlichkeitsbeteiligung dient im Schwerpunkt kollektiver Selbstbestimmung. Es lässt sich gleichzeitig beobachten, dass von der ersten bis zur letzten Planungsebene die Elemente kollektiver Selbstbestimmung abnehmen und die der individuellen Selbstbestimmung stärker werden. Damit zeigt sich in der Planung derselbe Bogen zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, der insgesamt in der Exekutive zu finden ist. Die Ausgestaltung der Beteiligung berücksichtigt diesen stärker werdenden Einfluss von individueller Selbstbestimmung, indem der Gestaltungsspielraum für die Berücksichtigung der Einwendungen geringer wird und auf der Ebene der Planfeststellung nur die betroffene Öffentlichkeit einwendungsbefugt ist. So legitimiert die i. S. d. Theorie der imperativen Partizipation ausbalancierte Partizipation die Ausübung von Staatsgewalt. Hinsichtlich der effektiven Wirksamkeit des Einflusses von Beteiligung auf die staatliche Entscheidung haben sich kritische Punkte offenbart. Manche dieser Kritikpunkte beziehen sich auf eine bestimmte Planungsebene und wurden dort schon besprochen, andere beziehen sich auf das gesamte Beteiligungsverfahren im Rahmen der Planung. Hier ist zunächst problematisch, dass die „Null-Variante“ in der Planung grundsätzlich keine Rolle spielt. In Fällen privater Vorhabenträger werden der „Null-Variante“ oft Rechte des Vorhabenträgers entgegenstehen. Dies ist aber anders für öffentliche Vorhabenträger. Das Befriedungspotential von Beteiligung kann erst dann voll ausgeschöpft werden, wenn der Einzelne nicht nur Einfluss auf das „Wie“, sondern auch auf das „Ob“ nehmen kann. Grundsätzlich sollte also für öffentliche Vorhaben immer eine Öffentlichkeitsbeteiligung hinsichtlich des „Obs“ stattfinden, so wie es für den Netzentwicklungsplan der Fall ist. Daneben ist vor allem die gesetzgeberische Zurückhaltung bezüglich der Frage, wie genau die Beteiligungsergebnisse zu berücksichtigen sind, zu kritisieren. Hier sollte der Gesetzgeber der Exekutive intensivere und genau-



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ere Vorgaben machen und die Öffentlichkeitsbeteiligung dadurch weiterentwickeln. Dass die Beteiligungsfristen zu kurz angelegt sind,611 trifft in einigen Fällen zu, aber nicht immer. Es ist auf die Komplexität der jeweiligen Sachfrage abzustellen. Entsprechend sind unterschiedliche Regeln u. U. sachangemessen.612 Eine Vereinheitlichung der Fristen, obgleich vielfach für sie plädiert wird,613 ist daher nicht angezeigt. So wird die Komplexität eines Bebau­ ungsplans grundsätzlich unter der eines Raumordnungsplans liegen. Hinzu kommt, dass die Öffentlichkeit mit letzterem weniger vertraut sein wird.614 Eine angemessene Äußerungsfrist wird daher in manchen Fällen länger bemessen sein müssen.615 So sah § 7 Abs. 3 S. 3 des Hessischen Landesplanungsgesetz vor der Reform des ROG, das die Öffentlichkeitsbeteiligung in § 10 ROG n. F. einheitlich regelte, sogar eine vier-monatige Frist bei der Regionalplanung vor. Eine Vereinheitlichung mag aber dann hilfreich sein, wenn man eine von der Behörde zu beachtende Mindestfrist festlegt, die aber je nach Komplexität der Planung ausgedehnt werden kann. Eine Vereinheitlichung des Kreises der Beteiligten bietet sich ebenfalls nicht an.616 Die Unterscheidung zwischen Öffentlichkeit und betroffener Öffentlichkeit mag im Einzelfall schwierig sein, sollte aber aufrechterhalten 611  Für eine kritische Überprüfung der einmonatigen Auslegungs- und zweiwöchigen Äußerungsfristen Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 184. Für kürzere Fristen allerdings Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 7. 612  Ebenso Martin Wickel, Die Änderungen im Planfeststellungsverfahren durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, UPR 2007, S. 201–206, 201. 613  U. a. Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Per­ spektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 105 f., entsprechend denen des Planfeststellungsrechts, s. auch S. 72 (insgesamt für Vereinheitlichung). 614  Aus diesem Grund gegen eine Vereinheitlichung Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 61. 615  So Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 706. 616  Anders aber Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskon­ trolle, 2012, S. 163; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1365, die jeweils die gesamte Öffentlichkeit inkludieren wollen.

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werden. So wird der Unterschied von kollektiver hin zu mehr individueller Selbstbestimmung hinreichend deutlich. Eine Vereinfachung bietet sich aber an: Im Planfeststellungsverfahren sollte die betroffene Öffentlichkeit äußerungsberechtigt sein, ansonsten immer die Öffentlichkeit. Trotz dieser Kritik trägt die Beteiligung der (betroffenen) Öffentlichkeit aufgrund ihrer konkreten, die kollektive und individuelle Selbstbestimmung ausbalancierenden Ausgestaltung dazu bei, staatliche Planungsentscheidungen zu legitimieren. Das Abstellen auf den fünften Legitimationsmodus „Partizipation“ ist gerade deshalb entscheidend, weil die planende Verwaltung vom Parlament final und nicht konditional programmiert wird und daher der sachlich-inhaltliche Legitimationsstrang weniger stark ausgeprägt ist. Zudem wird Planung zwar in vielen Fällen von den mit einer hohen organisatorisch-personellen Legitimation ausgestatteten Ministerien durchgeführt, aber nicht immer. Besonders in diesen Fällen trägt Partizipation, die als fünfter Legitimationsmodus auf Exekutivebene so ausgestaltet ist, dass einerseits die Entscheidung beim Staat verbleibt, andererseits die (betroffene) Öffentlichkeit an dem Prozess der Entscheidungsfindung im Wege eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens teilhaben kann, zur ausreichenden Legitimation der staatlichen Planungsentscheidung bei.

E. Individuelle und kollektive Selbstbestimmung in formgebundenen Anlagenzulassungsverfahren: Bundesimmissionsschutz-, Gentechnik- und Atomrecht Formgebundene Anlagenzulassungsverfahren und die daraus entstehenden Entscheidungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (I.), dem Gentechnik- (II.) und Atomrecht (III.)617 dienen neben dem Schutz individueller auch der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und sehen daher eine Öffentlichkeitsbeteiligung vor. I. Formgebundene Anlagenzulassungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz Formgebundene Anlagenzulassungsverfahren, die auf Grund der Beschaffenheit oder des Betriebs des Vorhabens in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachtei617  Das Referenzmodell ist jedenfalls das BImSchG-Verfahren, so Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362. S. auch Johannes Saurer, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, in: DVBl. 2012, S. 1082–1089, 1083.



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ligen oder erheblich zu belästigen (§ 1 Abs. 1 BImSchG), dienen neben individueller auch kollektiver Selbstbestimmung (1.). Zwar darf sich die gesamte Öffentlichkeit beteiligen (2.), aber der Gestaltungsspielraum, der der Behörde bleibt, ist eng gefasst (3.). Innerhalb dieses engen Rahmens wirkt Partizipation aufgrund ihrer Ausgestaltung legitimierend (4.). 1. Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG: Zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG dienen auch kollektiver Selbstbestimmung. Gleichwohl steht hier schon die individuelle Selbstbestimmung gleichberechtigt neben der kollektiven Selbstbestimmung oder sogar, je nach Interpretation und Sichtweise, im Vordergrund. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ deuten deutlich in Richtung Sicherung individueller Selbstbestimmung. Da das Landesrecht die Genehmigungsbehörde bestimmt, kommt es hier zwar zu Unterschieden, grundsätzlich wird aber die untere Umweltschutzbehörde zuständig sein, die auf Kreisebene angesiedelt ist. Ggf. kann auch eine höhere Behörde tätig werden, etwa die Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen.618 Landesoberbehörden oder gar Ministerien sind aber grundsätzlich nicht involviert, weshalb auch grundsätzlich von einer niedrigen organisatorisch-personellen Legitimation auszugehen ist. Die Genehmigung ist ein Verwaltungsakt, der im Drittwiderspruchsverfahren und ggf. vor Gericht von jedem, der geltend macht, durch ihn in seinen Rechten verletzt zu sein, angefochten werden kann. Damit deutet von den Indikatoren alleine der Umstand, dass nicht immer die untere Umweltschutzbehörde tätig wird, darauf hin, dass durch die Genehmigungsverfahren und die Genehmigungen kollektive Selbstbestimmung ermöglicht werden soll. Dies spricht insgesamt für eine stärkere Betonung individueller Selbstbestimmung bei der Genehmigungserteilung. Die Eigenschaften der Genehmigung, also die „Intensität der Verrechtlichung“ der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, zeichnen hingegen ein Bild, das zumindest auch in Richtung kollektive Selbstbestimmung deutet. So ist die Genehmigung in die Zukunft gerichtet, denn sie wird unbefristet erteilt619 und dient der Errichtung eines zukünftigen Vorhabens. Die „Reichweite“ der Genehmigung ist zwar einerseits, nämlich in sachlicher Hinsicht eng: Gegenstand der Genehmigungs618  S. z. B. § 1 Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits- und technischen Gefahrenschutzes, GV NRW, 13. Dezember 2012. 619  Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss aus § 12 Abs. 2 S. 1 BImSchG.

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pflicht sind nach § 4 BImSchG i. V. m. § 1 4. BImSchV konkrete Vorhaben, etwa Heizkraftwerke, Anlagen zur Herstellung von Glas, Hüttenwerke, Anlagen zum Bau von Schienenfahrzeugen und Ähnliches. Andererseits ist die „Reichweite“ aber auch weit gefasst, da die Auswirkungen der Vorhaben über den unmittelbaren Standort hinausgehen und viele Menschen betreffen, u. U. sogar sehr viel mehr Menschen als bei Vorhaben, die im Wege eines Planfeststellungsverfahrens genehmigt werden. Entscheidender Faktor für die Genehmigungspflichtigkeit ist das Beeinträchtigungspotential im Rahmen der schädlichen Umwelteinwirkungen. Dies ist maßgeblich mit abhängig von der Dimensionierung der Anlagen.620 Auch die Frage, welches Genehmigungsverfahren einschlägig ist, richtet sich im Wesentlichen nach der Größe eine Anlage.621 Damit wird mittelbar auf die Einwirkungen auf die Umwelt und die Allgemeinheit und damit auf die „personelle Reichweite“ abgestellt. Das Gesetz unterscheidet zwischen solchen Vorhaben, die im förmlichen Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG i. V. m. 4. BImSchV genehmigt werden und denjenigen, die nach § 19 BImSchG im vereinfachten Verfahren genehmigt werden. In der Form besteht der Hauptunterschied in dem Umstand, dass in dem vereinfachten Verfahren nach § 19 BImSchG keine Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist.622 Für eine weite „Reichweite“ der Genehmigung spricht auch die Konzentrationswirkung der bundesimmissionsschutzrechtlichen Genehmigung, die die Notwendigkeit anderer Genehmigungen entfallen lässt (§ 13 BImSchG). Auch dies ist allerdings vom Umfang geringer als beim Planfeststellungsverfahren. Dies rechtfertigt es, beim bundesimmissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren von einer „vereinfachte[n] Version des Planfeststellungsverfahrens zu sprechen“.623

620  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 25. 621  So ist z. B. eine Verbrennungsmotoranlage oder Gasturbinenanlage zum Antrieb von Arbeitsmaschinen für den Einsatz von 50 Megawatt oder mehr im förmlichen Verfahren zu genehmigen, eine entsprechende Anlage mit einem Megawatt bis weniger als 50 Megawatt im vereinfachten Verfahren, 4. BImSchV, Anhang 1 Nr. 1.4.1.1 bzw. Nr. 1.4.1.2. 622  S. Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 179. 623  Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 72; Klaus Schönenbroicher, Das Verwaltungsverfahrensgesetz als Regelungsstandort für Konzentrationswirkungen bei Genehmigungen?, in: Martin Burgi/ders. (Hrsg.), Die Zukunft des Verwaltungsverfahrensrechts, 2010, S. 82–106, 92 („ ‚abgespecktes‘ bereichsspezifisches Planfeststellungsverfahren“); Udo Graffe, Die Beteiligung des Bürgers an umweltschutzrechtlichen relevanten Verfahren, 1980, S. 30.



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Wie ist es nun um die dritte Eigenschaft, also die „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung bestellt? Obgleich das Genehmigungsverfahren des Bundesimmissionsschutzgesetzes dem Planfeststellungsverfahren nachempfunden ist, besteht hier anders als dort kein ausdrücklicher Gestaltungsspielraum. Die Erteilung der Genehmigung ist nicht in das Ermessen der Behörde gestellt. Vielmehr hat der (zukünftige) Anlagenbetreiber nach § 6 Abs. 1 BImSchG einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, sofern die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen.624 Damit scheidet auch eine Alternativenprüfung aus.625 So war der gewollte Verzicht auf Abwägung und Alternativenprüfung der Grund, weshalb Anfang der 1990er Jahre das Zulassungsverfahren von damals in der Bevölkerung besonders umstrittenen Müllverbrennungsverfahren von einem Planfeststellungsauf ein bundesimmissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren umgestellt wurde.626 All das deutet auf eine starke „rechtliche Determiniertheit“ hin. Kollektive Selbstbestimmung scheint als Gegenstand und Ziel der behördlichen Entscheidung auszuscheiden.627 Es herrscht aber der Sache nach Übereinstimmung, dass die Dinge doch nicht so klar liegen, wie sie scheinen. Das historisch gewachsene Genehmigungsverfahren, das auf die von Frankreich beeinflusste Preußische Allgemeine Gewerbeordnung zurückgeht,628 besitzt auch eine „planerisch-vorsor-

624  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 3; Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 152. 625  Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 152; BVerwG, NVwZ 2008, S. 789 f.; VGH Kassel, Urteil v. 7. August 2007 – 2 A 690/06, Beck RS 2008, 30059; Andrea Versteyl, Keine Verpflichtung zur Prüfung von Abgasreinigungsalternativen, AbfallR 2007, S. 282–285 m. w. N. A. A. Alexander Schink, Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung und neue UVP-Anforderungen für Unternehmen, DVBl. 2013, S. 1347–1355, 1353: erstreckt sich zwar nicht auf Standort, aber auf Technik und Ausführungsgestaltung (und damit auf das „Wie“, nicht das „Ob“). 626  Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123–156, 125. 627  So ausdrücklich Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 152: „keinen ‚demokratischen“ Charakter‘. 628  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 1.

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gende Ausrichtung“.629 Dies zeigt sich u. a. an § 38 BauGB, der immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren privilegiert. „Der Gesetzgeber geht insoweit offenbar davon aus, dass eine hinreichende Berücksichtigung der städtebaulichen Belange nicht nur im Wege eines Planfeststellungsbeschlusses, sondern auch durch Genehmigungsentscheidungen möglich ist, die eine Abwägung mit städtebaulichen Belangen eröffnen. Dementsprechend sind auch […] immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, bei denen die städtebaulichen Belange durch eine Abwägungsentscheidung hinreichend berücksichtigt werden, Planungsentscheidungen.“630

Außerdem ist das Vorsorgegebot, das nach § 5 BImSchG die Betreiber genehmigungspflichtiger Anlagenbetreiber verpflichtet, Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zu treffen, eine Norm mit auch planender Funktion.631 Dass Planung und Genehmigung nicht weit auseinander liegen, zeigt schließlich der Umstand, dass ein Planfeststellungsverfahren u. U. eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung ersetzen kann.632 Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften. Der Exekutive wurde beim Erlass der TA-Luft und der TA-Lärm von der Rechtsprechung entgegen ihrer üblichen Linie der vollen Überprüfbarkeit von Verwaltungsvorschriften ein Gestaltungsspielraum gelassen.633 Der Grund dafür liegt in dem Verhältnis der Grundrechte des Be629  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 5. 630  Martin Beckmann, Planfeststellung zwischen Zulassungsverfahren und Planung, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 123–156, 132. 631  Gerhard Feldhaus, Der Vorsorgegrundsatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, DVBl. 1980, S. 133–139; Dieter Sellner, Zum Vorsorgegrundsatz im BundesImmissionsschutzgesetz, NJW 1980, S. 1255–1261, 1259 f.; ähnlich wohl Andreas Wasielewski, § 6 BImSchG, in: Monika Böhm/Hans-Joachim Koch/Eckard Pache (Hrsg.) Gemeinschaftskommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, 2.  Aufl. 2019, Rn. 16 ff.; s. auch Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 9.1. m. w. N. 632  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 63. 633  Grundlegend BVerwGE 72, 300, 320; s. auch BVerwGE 110, 216, 218; 114, 342, 344 f.; 129, 209, 211; Hans D. Jarass, Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, JuS 1999, S. 105–111, 108 f.; Michael Gerhardt, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NJW 1989, S. 2233–2240, 2237; Annette Guckelberger, Bürokratieabbau durch Abschaffung des Erörterungstermins?, DÖV 2006, S. 97–106, 101.



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treibers (Art. 14 GG, Art. 12 GG) zu dem von Dritten (Schutzpflicht hinsichtlich Leben und körperlicher Unversehrtheit).634 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die dogmatische Grenzziehung zum Planfeststellungsverfahren verschwimmt.635 Die Behauptung, dass die Entscheidungsspielräume „immens“ sein können,636 geht aber zu weit. Man wird von einem gewissen Gestaltungsspielraum der Behörde ausgehen müssen, der sich v. a. bei der Subsumtion unter die Zulassungsvoraussetzungen, beim Erlass von Nebenbestimmungen sowie bei der Anwendung von Generalklauseln und im Rahmen der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe manifestiert.637 Allerdings unterliegt die Anwendung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe einer vollumfänglichen gerichtlichen Kontrolle.638 Dieser Umstand schränkt den eröffneten Freiraum wieder ein. Nicht nur deswegen fällt der Gestaltungsspielraum der Genehmigungsbehörde deutlich geringer aus als im Planfeststellungsverfahren. So kennt das BImSchG anders als das Planfeststellungsverfahren keine Alternativenprüfung. Es kennt ebenfalls keine Abwägung, sondern sieht eine gebundene Entscheidung vor.639 Dies zeugt von einer hohen sachlich-inhaltlichen Legitimation, derer es als Ausgleich für die grundsätzlich geringe organisatorischpersonelle Legitimation auch bedarf. Trotz dieses Verzichts auf Abwägung und Alternativenprüfung gestaltet die Behörde die Zukunft und ihre Entscheidung betrifft viele Menschen. Ein gewisser Gestaltungsspielraum besteht letztlich auch hier, so dass die Behörde nicht nur im Schwerpunkt individuelle Selbstbestimmung sichert, sondern daneben auch kollektive Selbstbestimmung ermöglicht.

634  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 5. 635  Thomas Mann, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 544–593, 550. 636  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 183. 637  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  183. S. auch Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 759–873, Rn. 102 m. w. N.; Sabine Schlacke, Umweltrecht, 8. Aufl. 2021, § 5 Rn. 71. 638  Manfred Aschke, §  40 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn.  25 m. w. N. 639  BVerwGE 55, 250, 253 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung und die begrenzte Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen Aufgrund der stärkeren Betonung von individueller Selbstbestimmung auf Genehmigungsebene als auf Planungsebene, verlangt die Balance von kollektiver und individueller Selbstbestimmung, dass der (betroffenen) Öffentlichkeit im Vergleich weniger Einfluss zustehen muss. Nur eine solchermaßen ausgestaltete Partizipation kann die Legitimation von anlagenbezogenen ­Genehmigungen erhöhen. Die Gesetzeslage entspricht hier nicht ganz der Theorie der imperativen Partizipation, da der Kreis der Partizipationsberechtigten nicht auf die betroffene Öffentlichkeit eingeschränkt wird. Jedoch ist der Einfluss auf die staatliche Entscheidung, ganz im Sinne der Theorie der imperativen Partizipation, weniger stark ausgeprägt als in den Planungsverfahren. Das Genehmigungsverfahren der Anlagen nach § 10 BImSchG richtet sich nach der 9. BImSchV i. V. m. 4 BImSchV, sofern nicht ein vereinfachtes Verfahren nach § 19 BImSchG einschlägig ist.640 Bundesimmissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren sehen eine umfassende Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit vor, § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG, § 10 9. BImSchV.641 Die Akteure der Öffentlichkeitsbeteiligung sind sehr weit gefasst, grundsätzlich ist jeder berechtigt teilzuhaben. Dies geht über die Anforderungen des Art. 15 IVU-RL, auf dem die Öffentlichkeitsbeteiligung beruht, hinaus. Dieser verlangt nur die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit.642 Die Ausgestaltung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Bundesimmissionsschutzrecht widerspricht damit der These, dass der Kreis der Beteiligten innerhalb des Bogens von kollektiver hin zu individueller Selbstbestimmung immer kleiner wird. Zwar steht hier kollektive Selbstbestimmung zumindest neben individueller Selbstbestimmung, aber der Einschlag der individuellen Selbstbestimmung ist doch zumindest so stark, dass der Kreis der Beteiligten eingeschränkt sein sollte. Auch aus dem Vergleich mit dem Planfeststellungsverfahren müsste folgen, 640  Unter Umständen ist auch eine UVP durchzuführen, vgl. §§ 1 Abs. 2, 1a, 2a, 4e, 20 Abs. 1a, 1b, 3 S. 2 9. BImSchV. Diese Anforderungen sind höher als beim normalen Verfahren und gehen dementsprechend nach § 1 Abs. 4 UVPG n. F. (§ 4 UVPG a. F.), demzufolge die höheren Anforderungen vorrangig sind, dem Verfahren nach Bundesimmissionsschutzrecht vor. Zum UVPG s. oben S. 182 ff. 641  S. auch § 7 Abs. 1 S. 1 Atomverfahrensverordnung, dort passivische Formulierung. 642  Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABL EU L 257, 10.10.1996, S. 26–40. Dort heißt es, dass Anträge auf Genehmigung neuer Anlagen oder wesentlicher Änderungen der Öffentlichkeit während eines angemessenen Zeitraums zugänglich gemacht werden, damit sie dazu Stellung nehmen kann, bevor die zuständige Behörde ihre Entscheidung trifft.



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dass nur die betroffene Öffentlichkeit beteiligungsberechtigt ist. Dementsprechend heißt es zu Recht, dass sich im UVPG „eine nicht ohne weiteres einzusehende Divergenz zur Jedermannbeteiligung im immissionsschutzrecht­ lichen Verfahren“643 zeige. Wieso darf sich also die Öffentlichkeit als Ganzes statt der betroffenen Öffentlichkeit beteiligen? Die Gesetzesmaterialien geben keine Antwort auf diese Frage. Als Erklärungsansatz kann möglicherweise die unterschiedliche Orientierung des Genehmigungsverfahrens nach § 10 BImSchG und dem Planfeststellungsverfahren dienen. Während das BImSchG auf Risikoabwehr zielt, geht es im Planfeststellungsverfahren um die Genehmigung eines raumbedeutsamen Vorhabens. Liegen keine Risiken durch eine Anlage vor, so besteht ein Anspruch auf eine bundesimmissionsschutzrechtliche Genehmigung. Da der Raum aber immer beeinträchtigt ist, bedarf es der Abwägung durch die Planfeststellungsbehörde vor Ort, so dass ein gebundener Anspruch nicht in Betracht kommt. Stattdessen kommt es immer auf die Auswirkungen an, die nur im Kontext und im Vergleich zu Dritten ermittelt werden können. Diese Dritten sind die Betroffenen mit ihren Belangen. Beim BImSchG gibt es in diesem rechtstechnischen Sinn aber keine von der Allgemeinheit abzugrenzenden Betroffenen. Da Immissionen anders als radizierte Vorgaben potentiell grenzenlos sind, ist jeder von den Risiken der Immissionen betroffen. Wenn aber alle aufgrund der Natur der Immissionen betroffen sind, dann müssen sich auch alle beteiligen dürfen. Der Ablauf des Beteiligungsverfahrens gestaltet sich wie folgt: Nachdem der Antrag schriftlich inklusive aller relevanten Unterlagen vom Vorhabenträger gestellt wurde (§ 10 Abs. 1 S. 1 BImSchG i. V. m. §§ 3 bis 7 9. BImSchV),644 wird in einem ersten Schritt das Vorhaben nach § 10 Abs. 3 und 4 BImSchG i. V. m. §§ 8, 9 9. BImSchV bekannt gemacht. Dies geschieht in Tageszeitungen und Veröffentlichungsblättern, zusätzlich auch im Internet. Der Inhalt der Bekanntmachung richtet sich nach § 10 Abs. 4 BImSchG und umfasst den Hinweis, wo und wann der Antrag auf Erteilung der Genehmigung und die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind; die Aufforderung, etwaige Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stelle innerhalb 643  Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 162. 644  Vorab kann es zu Vorberatungen zwischen den Vorhabenträgern und der Genehmigungsbehörde gem. § 2 Abs. 2 der 9. BImSchV kommen. Ggf. ist bei der Unterrichtung über den Untersuchungsrahmen bei UVP-pflichtigen Vorhaben („Scoping“Termin) nach § 2a 9. BImSchV auch eine Feststellung zur UVP-Pflicht zu treffen. U. U. muss vorher auch ein Raumordnungsverfahren inkl. Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 15 Abs. 3 ROG stattfinden.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

der Einwendungsfrist vorzubringen; die Bestimmung eines Erörterungstermins und den Hinweis, dass er auf Grund einer Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde nach Absatz 6 durchgeführt wird; und schließlich den Hinweis, dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann. Der Antrag des Vorhabenträgers und die Unterlagen werden eine Woche nach der Bekanntmachung645 für jedermann für einen Monat zur Einsicht ausgelegt (§ 10 Abs. 3 S. 2 ­BImSchG, § 10 Abs. 1 S. 1 9. BImSchV). Bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen wird lediglich ihr Inhalt dargestellt (§ 10 9. BImSchV). Akteneinsicht ist nur nach „pflichtgemäßem Ermessen“ zu erteilen (§ 10a 9. BImSchV), es wird daher oft bemängelt, dass z. B. keine kompletten Exemplare des Genehmigungsantrags ausgehändigt werden.646 Bis zwei Wochen nach Auslegungsfrist sind gem. § 10 Abs. 3 S. 4, Abs. 4 Nr. 2 BImSchG, § 12 9. BImSchV Einwendungen möglich. Alle nicht vorgebrachten Einwendungen sind formell (§ 10 Abs. 6 BImSchG; § 14 Abs. 1 S. 1 9. BImSchV) und materiell (§ 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG) präkludiert, damit scheidet eine Klage bzw. eine Berücksichtigungspflicht im Verwaltungsverfahren aus.647 Dies gilt aber nur dann, wenn das Beteiligungsverfahren vorschriftsgemäß vonstatten gegangen ist.648 Wie mit den Einwendungen umzugehen ist, regelt § 12 Abs. 2 9. BImSchV: Danach sind die Einwendungen dem Antragsteller und ggf. dritten Behörden bekanntzugeben. Eine Berücksichtigungspflicht wird nicht normiert. Dies wäre mangels Abwägung auch gar nicht möglich. Folgerichtig werden Einwendungen Einzelner vor allem innerhalb der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale des Genehmigungstatbestandes des § 6 BImSchG Beachtung finden. Außerdem kommt noch eine Beachtung der Einwendungen bei dem Erlass von Nebenbestimmungen (§ 12 BImSchG) und im Rahmen der Aus­ legung unbestimmter Rechtsbegriffe in Betracht.

645  Damit sollen etwaigen Schwierigkeiten bei der Bekanntmachung vorgebeugt werden, um so die Fristen wahren zu können, s. Petra Schack, § 10 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 29; Dieter Czajka, § 10 BImSchG, in: Gerhard Feldhaus (Hrsg.), Bundesimmissionsschutzrecht. Kommentar, Loseblattsammlung Band 1 – Teil II, 216. Lieferung März 2021, Rn. 43. 646  Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 147. 647  Petra Schack, § 10 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 65 ff. m. w. N.; s.  auch Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  181 f. 648  Petra Schack, § 10 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Juli 2020, Rn. 72.



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Nach dem BImSchG war lange Zeit darüber hinausgehend ein Erörterungstermin notwendig, in dem sich mit den Einwendungen beschäftigt wurde; dieser ist allerdings seit 2006 in das Ermessen der Behörde gestellt (§ 10 Abs. 6 BImSchG, §§ 14–19 9. BImSchV).649 Obgleich bemängelt wird, dass keine gesetzlich festgeschriebenen Erwägungsgründe, die die Behörde bei der Ausübung des Ermessens leiten können, ersichtlich sind,650 liefert doch § 14 9. BImSchV einen Anhaltspunkt.651 Danach sind im Erörterungstermin diejenigen Gesichtspunkte zu erörtern, die für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen von Bedeutung sein können. So wird ein Termin nach der Gesetzesbegründung dann verlangt, wenn er „sachgerecht und ­erforderlich“ ist.652 Der Zweck ist alleine die Prüfung der Genehmigungs­ voraussetzungen, so dass die Zahl der Einwendungen oder die Umstrittenheit der Norm oder des Verfahrens keine Rolle spielen.653 Jedenfalls dann, wenn kein Erörterungsbedarf besteht, kann auf einen Erörterungstermin verzichtet werden, § 16 9. BImSchV. Nach der abschließenden Prüfung des Antrags, der Einwendungen und Stellungnahmen wird die Genehmigung erteilt und die Entscheidung über den Genehmigungsantrag allen Einwendern zugestellt (§ 10 Abs. 7 BImSchG). 3. Bewertung: Kollektive Selbstbestimmung im engen Rahmen und begrenzte Wirkung von Partizipation Die Genehmigung und das Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG dienen und schützen individuelle Selbstbestimmung. Richtigerweise bleibt dem Staat die Entscheidung vorbehalten. Die Genehmigung und das Ge­ nehmigungsverfahren ermöglichen aber auch kollektive Selbstbestimmung, wenngleich in einem engen Rahmen. Folgerichtig kann es daher zur Mög649  S. hierzu auch die grundsätzliche Kritik von Carsten Diekmann, „Operation misslungen – Patient lebt“ – Zur Frage der Durchführung eines Erörterungstermins im immissionschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nach neuer Rechtslage, AbfallR 2007, S. 278–282. 650  S. auch Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837. 651  Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 152. 652  BT/Drs. 16/1337, 26. April 2006, S. 10. 653  So Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 152 f. S. auch Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S.  219–235, 222 f.

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lichkeit der Beachtung von Einwendungen Einzelner bei der Subsumtion unter die Zulassungsvoraussetzungen und beim Erlass von Nebenbestimmungen sowie im Rahmen der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe kommen. Der Einfluss der Öffentlichkeitsbeteiligung ist zu Recht weit geringer als bei der Planung, da hier individuelle und dort kollektive Selbstbestimmung eine größere Rolle spielen. So schaffen die Beteiligungsregeln die richtige Balance. Fraglich ist aber, wie der Umstand, dass diese Einzelnen nicht Betroffene sein müssen, sondern jedermann sich beteiligen darf, einzuordnen ist. Diese Jedermannbeteiligung geht über den Rahmen der hier entwickelten Theorie der imperativen Partizipation ebenso wie über die europarechtlichen Forderungen der UVP und die Vorgaben des mit dem Genehmigungsverfahren verwandten Planfeststellungsverfahrens hinaus. Zwar lässt sich argumentieren, dass, anders als bei Bauvorhaben, die einen klar abgrenzbaren räum­ lichen Bezug aufweisen, bundesimmissionsschutzrechtlichen Vorhaben aufgrund der Natur von Immissionen dieser klare und eindeutige Bezug fehlt und somit immer jeder betroffen ist. Letztlich zeigt sich aber, dass es dem Gesetzgeber an einer klaren und ihn anleitenden Theorie für die Bestimmung des Kreises der Beteiligten mangelt. Dieser Mangel ist auch der Wissenschaft anzulasten, die es bislang versäumt hat, eine umfassende Theorie der Partizipation vorzulegen. Das System von Partizipation wird zu Recht als intransparent und fehlerträchtig bezeichnet.654 Auch wenn der Raum für die Öffentlichkeitsbeteiligung beschränkt ist, muss sie dennoch effektiv vonstattengehen. Aus Sicht eines effektiven Einflusses der Öffentlichkeitsbeteiligung auf die Entscheidung ist zu bemängeln, dass Beteiligung zu spät ansetzt, nämlich erst nach Eingang der Antragsunterlagen und Bekanntmachung des Vorhabens. Damit können die vorhergehenden Abstimmungs- und Beratungsprozesse zwischen Behörde und Vorhabenträger, in denen oft schon die wichtigsten Entscheidungen fallen, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung vonstatten gehen.655 Ebenfalls ist zu beanstanden, dass Akteneinsicht nur nach pflichtgemäßem Ermessen erteilt wird (§ 10a 9. BImSchV) und nicht umfassend. So werden z. B. nicht immer die kompletten Exemplare des Genehmigungsantrags ausgehändigt.656 654  S. auch Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskon­ trolle, 2012, S. 163. 655  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362. 656  Martin Dippel, Praxisfragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Genehmigungsverfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, NVwZ 2010, S. 145–154, 147.



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Vom Beteiligungsverfahren geht aufgrund der letztlich auch hier gefundenen Balance bei bundesimmissionsschutzrechtlichen Genehmigungen legitimierende Wirkung aus. Diese bleibt allerdings wie die gesamte Wirkung von Beteiligung gering, da aufgrund der konditionalen Programmierung der Behörde nur wenig Entscheidungsspielraum besteht. Aus demselben Grund ist dafür die sachlich-inhaltliche Legitimation stark ausgeprägt. Deshalb darf hier unter legitimatorischen Gesichtspunkten auch nur ein geringerer Einfluss vom Beteiligungsverfahren ausgehen als etwa in Planungsverfahren. II. Zulassungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz Die Errichtung und der Betrieb gentechnischer Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten einer besonderen Sicherheitsstufe durchgeführt werden, bedürfen nach § 4 GenTG der Genehmigung (Anlagengenehmigung). Ebenso bedarf einer Genehmigung derjenige, der gentechnisch veränderte Organismen freisetzt (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 GenTG). Diese Genehmigungen dienen neben individueller auch kollektiver Selbstbestimmung (1.) und sehen daher ein Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren in ganz ähnlicher Weise wie das BImSchG vor (2.). 1. Genehmigungsverfahren gentechnischer Anlagen: Zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung Wie beim BImSchG dienen Genehmigungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz auch kollektiver Selbstbestimmung. Gleichwohl steht hier schon die individuelle Selbstbestimmung gleichberechtigt neben der kollektiven Selbstbestimmung oder sogar – je nach Interpretation und Sichtweise – im Vordergrund. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ deuten wie beim BImSchG in Richtung Sicherung individueller Selbstbestimmung, wenngleich nicht ganz so deutlich. Die Zuständigkeit für die Anlagengenehmigung nach § 4 GenTG bestimmt sich gem. § 31 GenTG nach Landesrecht. In Nordrhein-Westfalen etwa ist landesweit die Bezirksregierung Düsseldorf zuständig.657 In Bayern wurde die Zuständigkeit zwischen der Regierung für Unterfranken und der Regierung für Oberbayern aufgeteilt.658 Für die davon zu unterscheidende Genehmigung der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen 657  Zuständigkeitsverordnung Umweltschutz, GV NRW 2015, 30. März 2015, S. 267–296, Anhang, Nr. 4.1. 658  § 48 Zuständigkeitsverordnung, GVBl 2015, S. 184.

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nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 GenTG ist eine Bundesoberbehörde, in concreto das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zuständig. Die Genehmigung ist ein Verwaltungsakt, der vor Gericht angefochten werden kann. Damit deutet von den Indikatoren alleine der Umstand, dass keine unteren Behörden tätig werden, in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Die Eigenschaften der Genehmigungen, also die Intensität der Verrecht­ lichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ zeichnen ein Bild, das schon mehr als die Indikatoren in Richtung kollektive Selbstbestimmung deutet, aber dennoch auch stark auf die Sicherung individueller Selbstbestimmung abzielt. So ist die Genehmigung auf zukünftiges Handeln gerichtet, und wird grundsätzlich unbefristet erteilt.659 Die „Reichweite“ der Genehmigung ist einerseits eng: Die „rechtliche Reichweite“ erfasst lediglich die konkrete gentechnische Anlage oder die speziell umrissene Freisetzung. Andererseits ist die „Reichweite“ aber auch weit gefasst, da die Auswirkungen der Vorhaben über diese hinausgehen und viele Menschen betreffen – so ist die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit von der Frage der Risikoeinstufung abhängig und damit indirekt von der möglichen Betroffenheit der Öffentlichkeit.660 Ebenso wie das Genehmigungsverfahren des Bundesimmissionsschutzgesetzes ist das Genehmigungsverfahren des Gentechnikgesetzes rechtlich deutlich vordeterminiert. Ob die Genehmigung erteilt wird, ist dabei nicht in das Ermessen der jeweiligen Behörde gestellt.661 Vielmehr hat der (zukünftige) Anlagenbetreiber bzw. die Person, die gentechnisch modifizierte Organismen aussetzen will, einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, sofern die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen (§ 11 GenTG bzw. § 16 GenTG). Gleichzeitig kommen der Behörde aber auch ähnlich wie im Bundesimmissionsschutzgesetz Entscheidungsspielräume zu, etwa durch Nebenbestimmungen nach § 17 GenTG. Dies liegt daran, dass die Genehmigungsvoraussetzungen eine gewisse „planerisch-vorsorgende Ausrichtung“662 enthalten. So ist etwa das Vorsorgegebot, das in § 5 GenTG geregelt ist, eine Norm mit auch planender Funktion.663 Zudem gestaltet die Behörde Zukunft und ihre Entscheidung betrifft viele Menschen, so dass sie auch kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Dies geschieht allerdings innerhalb eines weitaus engeren Spielraums, als er etwa in Planung existiert. Die vorzufin659  § 12

Abs. 6 GenTG. GenTG, zum Verfahren s. Gentechnik-Anhörungsverordnung. 661  BVerwGE 55, 250, 253 f. 662  Thomas Schmidt-Kötters, § 4 BImSchG, in: Ludger Giesberts/Michael Reinhardt (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Umweltrecht, 56. Edition Stand 1. Oktober 2019, Rn. 5. 663  S. die Nachweise oben in S. 110, Fn. 256 und S. 409, Fn. 1091. 660  § 18



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dende Wertung, dass der Gestaltungsspielraum „immens“664 sei, geht daher auch hier zu weit. Die sachlich-inhaltliche Legitimation ist somit wie die bei der Anlagenzulassung nach dem BImSchG als eher hoch einzustufen. 2. Echte Öffentlichkeitsbeteiligung und begrenzte Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen Partizipation nach dem Gentechnikgesetz findet letztlich ebenso dieselbe ausgewogene Balance zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung wie nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz und kann deshalb zur Legitimation der Genehmigung beitragen. Das Beteiligungsverfahren nach dem Gentechnikgesetz sieht eine Betei­ ligung der gesamten Öffentlichkeit vor. Dies ergibt sich aus § 18 Abs. 3 GenTG. Dieser schreibt vor, dass die Beteiligung in einer speziellen Rechtsverordnung zu regeln ist, das Verfahren dabei den Anforderungen des § 10 Abs. 3 bis 8 BImSchG entsprechen muss. Wesentliche Unterschiede im Verfahren bestehen nicht. So können nach § 5 GenTAnhV Einwendungen gegen das Vorhaben schriftlich oder zur Niederschrift entweder bis zu zwei Wochen und im Fall der geplanten Freisetzung bis zu einem Monat nach Ablauf der Auslegungsfrist nach § 3 Abs. 2 S. 1 GenTAnhV bei der Genehmigungsbehörde oder bei einer Stelle erhoben und begründet werden, bei der Antrag und Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind. § 6 GenTAnhV sieht einen Erörterungstermin vor, der aber im Fall von Freisetzungen nicht durchgeführt wird (§ 10 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 6 BImSchG). Eine Berücksichtigungspflicht ist mangels Abwägung nicht vorgesehen, Einwendungen können daher nur im engen Rahmen Eingang in die Entscheidung finden. Innerhalb dieses Rahmens wirkt Partizipation legitimierend. III. Atomrecht: Echte Öffentlichkeitsbeteiligung bei begrenzter Berücksichtigungsfähigkeit von Einwendungen Wie die Genehmigungsverfahren des Bundesimmissionsschutzgesetzes und des Gentechnikgesetzes dienen die atomrechtlichen Genehmigungen von insbesondere Kernkraftwerken und Zwischen- oder Endlagern für radioaktive Abfälle nach § 7 AtomG,665 § 9 AtomG666 und § 9b AtomG667 auch kollektiFisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 183. § 7 Abs. 1 S. 1 AtomG bedarf derjenige, der eine ortsfeste Anlage zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet, betreibt oder sonst innehat oder die Anlage oder ihren Betrieb wesentlich verändert, der Genehmigung. Nach S. 2 ist die Erteilung einer Genehmigung für die Errichtung und den 664  Andreas 665  Nach

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ver Selbstbestimmung.668 Gleichwohl steht auch hier schon die individuelle Selbstbestimmung gleichberechtigt neben der kollektiven Selbstbestimmung oder sogar – je nach Interpretation und Sichtweise – im Vordergrund. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ weisen ebenso wie beim ­Bundesimmissionsschutz- als auch beim Gentechnikgesetz in Richtung individuelle Selbstbestimmung. § 7 AtomG und § 9 AtomG sehen jeweils Genehmigungen vor, die als Verwaltungsakt ergehen. Rechtsschutz ist für die Betroffenen damit immer möglich. § 9b AtomG verlangt hingegen ein Planfeststellungsverfahren, das sich aber in der Sache nicht von den anderen Genehmigungsverfahren unterscheidet. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich entschieden, dass es sich bei dem atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren um „eine gebundene Entscheidung ohne planerischen Gestaltungs­ spielraum“669 handelt. Die zuständige Behörde bestimmt sich nach Landesrecht und ist grundsätzlich ein Ministerium.670 Damit besteht eine hohe organisatorisch-personelle Legitimation. Obwohl, abgesehen von der zuständigen Behörde, die Indikatoren ein eher in Richtung individuelle Selbstbestimmung deutendes Bild zeichnen, deuten die Eigenschaften der Entscheidungen „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ hingegen auch in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Die Entscheidung ist in die Zukunft gerichtet, dies gilt gerade angesichts der langen Strahldauer von radioaktiven Abfällen, und betrifft neben dem AnlaBetrieb von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität und von Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe ausgeschlossen. Dies gilt gem. S. 3 nicht für wesentliche Veränderungen von Anlagen oder ihres Betriebs. 666  Nach § 9 Abs. 1 AtomG bedarf derjenige, der Kernbrennstoffe außerhalb von Anlagen der in § 7 bezeichneten Art bearbeitet, verarbeitet oder sonst verwendet, der Genehmigung. Dies gilt auch für denjenigen, der von dem in der Genehmigungsurkunde festgelegten Verfahren für die Bearbeitung, Verarbeitung oder sonstige Verwendung wesentlich abweicht oder die in der Genehmigungsurkunde bezeichnete Betriebsstätte oder deren Lage wesentlich verändert. 667  § 9b Abs. 1 AtomG verlangt ein Planfeststellungsverfahren für Verfahren und Entscheidungen über die Errichtung, den Betrieb und die Stilllegung sowie die wesentliche Veränderung von Zwischen- oder Endlagern für radioaktive Abfälle. 668  Aufgrund des Ausstiegs aus der Atomenergie wird hier nur beispielhaft die Genehmigung von Zwischen- und Endlagern analysiert. Das Zulassungsverfahren für Anlagen zur Erzeugung oder zur Bearbeitung oder Verarbeitung oder zur Spaltung von Kernbrennstoffen oder zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe § 7 AtomG, das nach § 2a AtomG eine UVP erfordert, wird hier nicht weiter untersucht. 669  BVerwGE, NVwZ 2007, S. 837, LS 1. 670  Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH, Atomrechtliche Genehmigung und Aufsicht in Deutschland, 4 Aufl. 2002, S. 10.



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genbetreiber aufgrund der hohen Risiken eine große Anzahl an Menschen. Die „rechtliche Determiniertheit“ ist an die von BImSchG und GenTG angelehnt, es handelt sich jeweils um eine gebundene Genehmigung. Dies spricht für eine hohe sachlich-inhaltliche Legitimation. Wie gesehen, bleiben der Verwaltung aber auch in diesen Fällen gewisse Entscheidungsspielräume.671 Zu dieser Form der Legitimation tritt aufgrund der dem GentG und dem BImSchG vergleichbaren Partizipationsverfahren und der daraus folgenden ausgewogenen Balance zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung, eine Legitimation durch Partizipation. Das Beteiligungsverfahren für die Erteilung einer Genehmigung, einer Teilgenehmigung oder eines Vorbescheides nach § 7 AtomG ist durch die Atomverfahrensordnung (AtVfV) ausgestaltet.672 Sie wurde am gleichen Tag erlassen wie die 9. BImSchV. Das Beteiligungsverfahren ist teilweise wortgleich geregelt.673 Anders als nach der 9. BImSchV ist etwa ein Erörterungstermin zwingend vorgesehen (§ 8 AtVfV). Die Auslegungsfrist wird verlängert und beträgt zwei Monate (§ 6 Abs. 1 AtVfV), eine besondere Äußerungsfrist besteht nicht (§ 7 Abs. 1 AtVfV). Aufgrund der negativen Formulierung des § 7 Abs. 1 AtVfV ist die gesamte Öffentlichkeit als beteiligungsfähig anerkannt.674 Für die Genehmigung nach § 9 AtomG ist kein Beteiligungsverfahren vorgesehen. Die Beteiligung nach § 9b AtomG, der die Errichtung von Zwischen- und Endlagern betrifft, bezieht sich ebenfalls auf die Atomverfahrensordnung. So gelten nach § 9b Abs. 5 AtomG die §§ 72 bis 75, 77 und 78 VwVfG mit der Maßgabe, dass die Bekanntmachung des Vorhabens und des Erörterungstermins, die Auslegung des Plans, die Erhebung von Einwendungen, die Durchführung des Erörterungstermins und die Zustellung der Entscheidungen sich nach der Atomverfahrensordnung richten. Trotz dieser elaborierten Beteili671  Grundlegend in der Kalkar-Entscheidung BVerfGE 49, 89, 137 f.: „Der Gesetzgeber verfügt, wenn er vor der Frage steht, ob er in einer Vorschrift unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder sie ins einzelne gehend faßt, über einen Gestaltungsspielraum, wobei nicht zuletzt auch Erwägungen der praktischen Handhabung seine Entscheidung beeinflussen dürfen. Bei § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG sprechen gute Gründe für die Verwendung der in ihm enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen.“ und nunmehr st. Rspr., zuletzt 1 BvR 1178/07. 672  BGBl. I, 1977, S. 280. 673  Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  185. Insgesamt bestehen viele Übereinstimmungen zum BImSchG, auf dessen Vorgaben § 7 Abs. 4 AtomG für die Ausgestaltung der Verfahrensordnung auch ausdrücklich verweist. 674  S. auch Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 44.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

gungsregeln kommt es wie bei den anderen anlagenbezogenen Genehmigungsverfahren zu keiner Abwägung, weshalb auch keine Berücksichtigungspflicht besteht. Einwendungen können daher ebenfalls nur im engen Rahmen der Subsumtion unter die Zulassungsvoraussetzungen und der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe eine Rolle spielen. Nur innerhalb dieses Rahmens kann Beteiligung legitimierend wirken. IV. Bewertung: Begrenzte Legitimationssteigerung durch Partizipation Die Genehmigungsverfahren des Atom- und Gentechnikrechts und die dort etablierten Beteiligungsverfahren bestätigen das Ergebnis aus der Analyse des Genehmigungsverfahrens nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Alle Verfahren dienen individueller, aber auch kollektiver Selbstbestimmung. Durch die konditionale Programmierung der Verwaltung sind entscheidende Fragen schon durch den Gesetzgeber vorgegeben worden. Das engt den Kreis kollektiver Selbstbestimmung auf Verwaltungsebene ein. Zudem zeigt die hohe sachlich-inhaltliche Legitimation der Verwaltungsentscheidungen durch die enge konditionale Programmierung, dass die Legitimation des Verwaltungshandelns im Vergleich etwa zu Planungsentscheidungen als hoch zu werten ist. Außerdem handeln z. T. Ministerien oder zumindest mittlere Landesbehörden, so dass auch die organisatorisch-personelle Legitimation als eher hoch einzuschätzen ist. Hinzu kommt Legitimation durch Öffentlichkeitsbeteiligung. Eine solche Legitimation kommt aber nur in Betracht, wenn die richtige Balance zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung hergestellt ist. Insbesondere darf der Einzelne nicht zu viel Einfluss nehmen, da es ansonsten zu einem Konflikt mit der sachlich-inhaltlichen Legitimation kommen kann. Dass Einzelne nicht zu viel Einfluss nehmen können, ist hier sichergestellt. Zwar ist der Kreis der Öffentlichkeitsbeteiligung sehr weit, indem nicht nur die betroffene Öffentlichkeit, sondern die gesamte Öffentlichkeit und damit jeder Einzelne sich beteiligen kann. Dies lässt sich damit begründen, dass – anders als die rechtliche Ausgestaltung der Genehmigung es vermuten lässt – die Genehmigungsverfahren eben auch kollektiver und nicht nur individueller Selbstbestimmung dienen. Gleichzeitig kann die Auswahl der Betroffenen nicht isoliert von dem Einfluss betrachtet werden, den Einzelne ausüben können. Dieser Einfluss ist hier geringer als im Rahmen von Planungsentscheidungen, da es zu keiner Abwägung und damit auch zu keiner Berücksichtigung kommt. Ein wenig Einfluss kann aber sehr wohl genommen werden, indem Einwendungen im Rahmen der Subsumtion unter die Zulassungsvoraussetzungen, bei den Nebenbestimmungen und der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in die Entscheidung der Behörde einfließen können.



Kapitel 5: Die Exekutive305

Kurzum, selbst bei diesen anlagenbezogenen Genehmigungstatbeständen, die vom Gesetzgeber als gebundene Ansprüche des Vorhabenträgers gegen den Staat ausgestaltet sind, zeigt sich der partizipative Staat, der Partizipation ermöglicht und verlangt und durch die die Legitimation von Staatsgewalt gesteigert wird.

F. Beteiligung am Handeln von Behörden, die individueller Selbstbestimmung dienen: Das Beispiel Ordnungsverwaltung Am anderen Ende des Bogens von kollektiver hin zu individueller Selbstbestimmung steht die Behörde vor Ort, die ganz auf individuelle Selbstbestimmung ausgerichtet ist. Sie wird sogar gerichtsähnlich tätig, wenn ihr kein Ermessensspielraum zukommt. Hierzu zählen z. B. untere Bundesbehörden wie die Wasser- und Schifffahrtsämter des Bundes. Hier soll die Ordnungsverwaltung als ursprüngliches verwaltungsrechtliches Referenzgebiet675 im Mittelpunkt stehen, obgleich das Ordnungsrecht keine unmittelbare Staatsaufgabe ist. Sie wird von den Kommunen als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe676 bzw. als Auftragsangelegenheit677 durchgeführt. Dennoch wird sie im dualistischen Modell in der Substanz als staatlich verstanden678 und im monistischen System wird davon ausgegangen, dass es keinen Spielraum für die Selbstverwaltung gibt.679 Dementsprechend werden sie auch, aus Sicht der Gemeinden, als Fremdaufgaben bezeichnet.680 675  Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 47. Der Begriff „Referenzgebiet“ wurde geprägt von Eberhard Schmidt-Aßmann, Zur Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Reformbedarf und Reformansätze, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/ders./Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, 1993, S. 11–63, 14. 676  Annette Guckelberger, Polizeirecht (§  4), in: Christoph Gröpl/dies./Jürgen Wohlfarth, Landesrecht Saarland: Studienbuch, 4. Aufl. 2021, S. 303–433, Rn. 11; Jürgen Wohfarth, Kommunalrecht (§ 3), in: Christoph Gröpl/Annette Guckelberger/ ders., Landesrecht Saarland: Studienbuch, 4. Aufl. 2021, S. 179–302, Rn. 37; a. A. Christoph Gröpl, Fällige Aufräumarbeiten im saarländischen Landesorganisationsrecht, LKRZ 2007, S. 329–334, 332 ff.: Auftragsverwaltung. 677  Hartmut Maurer/Christian Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 15. 678  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 71. 679  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 71. S. dazu auch Franz-Joseph Peine/ Torsten Siegel, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2020, Rn. 127 ff. 680  Vgl. Christoph Brüning, Kommunalverfassung (§ 64), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht: Band 3, Kommunal-

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I. Ordnungsverwaltung und die Sicherung individueller Selbstbestimmung Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ sind deutlich auf individuelle Selbstbestimmung ausgerichtet: So handeln in der Ordnungsverwaltung zumeist untere Behörden in Form eines Verwaltungsakts. Dieser kann gerichtlich von denjenigen, die in ihren subjektiven Rechten, aber nicht lediglich in ihren bloßen Interessen verletzt sind,681 angegriffen werden. Ebenso deutlich weisen die Eigenschaften der Entscheidung, also die „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, in Richtung individuelle Selbstbestimmung. So wird die Behörde aufgrund eines Sachverhalts tätig, der in der Vergangenheit begonnen hat und jetzt noch fortdauert oder sogar schon abgeschlossen ist. Zwar gestaltet beispielsweise eine ordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung die Zukunft, indem das zu beseitigende Objekt zukünftig nicht mehr existieren soll. Entscheidend ist aber der Beginn des konkreten Sachverhalts in der Vergangenheit. Selbst wenn das Handeln ausschließlich Zukunft gestaltet, etwa bei einer Baugenehmigung, so überwiegt das Gewicht der beiden anderen Eigenschaften diese Zukunftsorientierung. Die „persönliche und sachliche Reichweite“ ist grundsätzlich eng gefasst, da sich das Handeln grundsätzlich nur auf eine Person oder zumindest einen kleinen Kreis an Personen bezieht und auf einen konkreten Sachverhalt. So geht es im Fall einer Baugenehmigung oder einer Beseitigungsverfügung vornehmlich um die Rechte des Bauherrn/Störers und zudem um die des Nachbarn. In Bezug auf die Beseitigungsverfügung könnte man annehmen, dass die individuelle Selbstbestimmung des Beseitigungsverpflichteten durch die Verwaltung gerade nicht geschützt wird, sondern stattdessen beeinträchtigt wird, da er entgegen seinem Willen das Gebäude beseitigen muss. Aber auch wenn individuelle Selbstbestimmung zunächst unabhängig vom Staat stattfindet, kann sie letztlich nur innerhalb des rechtlichen Rahmens existieren. Überschreitet der Einzelne diesen Rechtsrahmen und drängt der Staat ihn durch den Eingriff in den rechtlichen Rahmen zurück, so sichert der Staat individuelle Selbstbestimmung in dem rechtlich vorgesehenen Maße. Der Staat greift nur insoweit in die Rechte des Einzelnen ein, wie es die Abwehrrechte, die der Sicherung der individuellen Selbstbestimmung des Einzelnen dienen, erlauben. Hierdurch wird individuelle Selbstbestimmung gesichert. Schließlich sind Ermächtigungsnormen außerhalb der Planung meist kondi­tional gefasst. In vielen Bereichen ermöglichen sie nicht einmal ein behördliches Ermessen. Zwar besteht aufgrund recht, Haushalts- und Abgabenrecht, Ordnungsrecht, Sozialrecht, Bildungsrecht, Recht des öffentlichen Dienstes, 4. Aufl. 2021, Rn. 108. 681  Zum subjektiven Recht s. ausführlich unten S. 383 ff.



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der weiten Verbreitung unbestimmter Rechtsbegriffe auch in diesen Fällen ein gewisser Gestaltungsspielraum der Verwaltung. Dieser ist aber vollumfänglich gerichtlich überprüfbar. Anwendung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe unterliegen einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle.682 Insgesamt ist die sachlich-inhalt­liche Legitimation als hoch zu werten, die organisatorisch-personelle Legitimation jedoch als niedrig. II. Anhörungsrechte des in seinen Rechten verletzten Individuums Eine Öffentlichkeitsbeteiligung ist konsequenterweise in diesen Fällen nicht vorgesehen. Vielmehr richtet sich die Beteiligung allein nach § 13 VwVfG. Hier kann sich nur derjenige beteiligen, der in seinen Rechten oder rechtlichen Interessen beeinträchtigt ist.683 Im Einzelnen werden als Beteiligte von § 13 VwVfG folgende Personen bezeichnet: Antragsteller und Antragsgegner; diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat; diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat; diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind. Die Behörde kann diejenigen hinzuziehen, deren „rechtliche Interessen berührt werden können“. Eine Pflicht dazu (auf Antrag des Dritten) besteht nur, wenn der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für den Dritten hat (§ 13 Abs. 2 S. 2 VwVfG). Aus der Verfahrensstellung als Beteiligte ­folgen Verfahrensrechte nach dem VwVfG, z. B. das Recht, informiert und beschieden zu werden, nach § 28 VwVfG (§ 66 VwVfG im förmlichen Verfahren) das Recht, angehört zu werden oder nach § 29 VwVfG das Recht, Akteneinsicht zu nehmen. Ebenso darf bzw. muss angesichts der Präklu­ sionswirkung Widerspruch nach §§ 68 VwGO eingelegt werden. Aus dem Widerspruch folgt die Pflicht der Behörde, den Widerspruch zu bescheiden. Dieser vorbildhaften gesetzgeberischen Umsetzung des auf den alten römischen Grundsatz audiatur et altera pars genauso wie auf den deutschrechtlichen Grundsatz des Eenes Mannes Redes ist keenes Mannes Rede, man muß sie hören alle beede684 zurückgehenden Rechts auf Anhörung steht die Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG entgegen, der das Recht aus § 28 VwVfG faktisch aushöhlt. Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG ist 682  Manfred Aschke, §  40 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn.  25 m. w. N. 683  Jan Ziekow/Torsten Siegel, Anerkannte Naturschutzverbände als „Anwälte der Natur“, 2000, S. 61. 684  Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, 4. Aufl. 1990, S. 320.

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eine Anhörung sogar im Verwaltungsgerichtsverfahren selbst nachholbar.685 Damit wird ein Unterlassen der Anhörung faktisch sanktionslos gestellt, denn eine Nachholung der Anhörung findet ja faktisch gar nicht statt: Da auf jeder Ebene ein Anhörungsrecht besteht, wird lediglich das Anhörungsrecht, das dem Einzelnen auf der nächsthöheren Ebene zusteht, wahrgenommen. Damit geht viel von der praktischen Wirksamkeit des Partizipationsrechts verloren. Die Anhörung dient dem Rechtsschutz des Einzelnen sowie der Informierung der Behörde. Nur Einzelne, die geltend machen, in ihren Rechten verletzt zu sein, sind beteiligungsfähig. Die darüberhinausgehenden Belange Einzelner können nur im Rahmen des behördlichen Ermessens und der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen berücksichtigt werden. Die Entscheidungen werden ausschließlich vom Staat getroffen, nicht vom Einzelnen. Diese Konstruktion schützt die individuelle Selbstbestimmung der Beteiligten und dient damit der Legitimation der Verwaltung. Würden die Beteiligungsrechte über das hier vorgesehene Maß hinausgehen, könnte dieser zu einer Beschränkung der Rechte Einzelner durch die Öffentlichkeit führen. Diese würde Legitimation nicht steigern, sondern senken. Würden die Beteiligungsrechte hingegen das hier vorgesehene Maß unterschreiten, so würde der unmittelbar betroffene Einzelne gar keine Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Entscheidung besitzen. Dies führt ebenfalls zu einer Beschränkung der Rechte Einzelner, nämlich des unmittelbar in seinen Rechten betroffenen Einzelnen. Auch das würde die Legitimation der staatlichen Entscheidung senken. Aus der richtigen Balance folgt die legitimierende Wirkung von Partizipation. Der partizipative Staat zeigt sich demnach auch hier, indem jeder Einzelne, der in seinen Rechten verletzt ist, sich durch Partizipation im Verwaltungsverfahren gegen die Verletzung seiner Rechte zur Wehr setzen kann und so seine individuelle Selbstbestimmung schützen bzw. wiederherstellen kann.

G. Beteiligung und Selbstverwaltung Verwaltung findet nicht nur im Wege unmittelbarer Staatsverwaltung statt, sondern auch durch mittelbare Staatsverwaltung,686 also territoriale (I.) und 685  Vgl. dazu Heinz Joachim Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungs­ verfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320–330, 324 f.; die Norm für verfassungswidrig haltend Armin Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, S. 477–485; Christian-Dietrich Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, DVBl. 1997, S. 534–538. 686  Eberhard Schmidt-Aßmann, Zum staatsrechtlichen Prinzip der Selbstverwaltung, in: Peter Selmer/Ingo von Münch (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Wolfgang Martens, 1988, S. 249–264, 257.



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funktionale (II.) Selbstverwaltung. Selbstverwaltung wird oft als eine besondere Form von Partizipation verstanden, da hier Betroffene in die organisa­ tionsrechtlichen Strukturen der Verwaltungsträger eingebunden werden und ihnen so entgegen allem Vorhergesagten auf Ebene der Exekutive Mitentscheidungsrechte zukommen. Damit wird die Legitimationskette zum Parlament und damit zum Volk, je nach Ausgestaltung der jeweiligen Einrichtung, zumindest teilweise gekappt. Hinzukommen weite Ermächtigungsnormen, verbunden mit einer grundsätzlichen Weisungsfreiheit von staatlichen Institutionen. Dies senkt die sachlich-inhaltliche Legitimation in erheblicher Weise. Legitimierend wirken dafür bestimmte grundgesetzliche Normen wie Art. 28 Abs. 2 GG oder Art. 87 Abs. 2 GG. Außerdem kann Partizipation auch hier als fünfter Legitimationsmodus dienen. Im Folgenden sollen im Sinne der Theorie des partizipativen Staates die verschiedenen Partizipationsmöglichkeiten von Individuen beschrieben und dabei analysiert werden, ob die Ausgestaltung von Partizipation ebenso wie die staatliche Handlung kollektive Selbstbestimmung ermöglicht und individuelle Selbstbestimmung schützt und so zur Legitimation von Staatsgewalt beiträgt. Während in der kommunalen Selbstverwaltung mit Hilfe von Partizipation beide Formen der Selbstbestimmung in die richtige Balance gebracht werden (I.), fehlt es in der funktionalen Selbstverwaltung an der richtigen Balance (II.). Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Legitimation der durch die Selbstverwaltung ausgeübten Staatsgewalt. I. Territoriale Selbstverwaltung: Einzelne zwischen Entscheidung und Mitwirkung In der territorialen Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften wiederholt sich im Kleinen das, was sich im Großen schon auf Bundes- und Landesebene gezeigt hat. Aufgaben und Entscheidungen bilden auch hier einen Bogen von mehr kollektiver Selbstbestimmung hin zu mehr individueller Selbstbestimmung. Kollektive Selbstbestimmung wird vor allem verwirklicht und ermöglicht in der Tätigkeit des Gemeinderates, der u. a. gesetzesähnliche Satzungen erlässt (2. a)) sowie in dem Rechtsinstrument des Bürgerentscheides, dem ein „gewisse[r] legislatorische[r] Charakter“687 zukommt und mit dem die Gemeindeeinwohner daher „direktdemokratisch“688 tätig werden (2. b)). In der planenden Tätigkeit der Gemeinde besteht ebenso wie auf staatlicher Ebene ein Schwergewicht kollektiver Selbstbestimmung, die Sicherung individueller Selbstbestimmung ist aber schon so relevant, dass die 687  BVerwGE

90, 359, 362. Charakter des Gemeindevolks als demos ist umstritten und wird überwiegend abgelehnt, dazu sogleich. 688  Der

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Entscheidung nicht mehr bei den Gemeindebürgerinnen liegt. Hier kann die Öffentlichkeit sich in prinzipiell vergleichbarer Weise bei der Planung im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung beteiligen (3.). Individuelle Selbstbestimmung zeigt sich schließlich insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Ordnungsrecht, das vom Bürgermeister verantwortet wird – der aber anders als die Verwaltung auf staatlicher Ebene gewählt wird (4.). Zunächst soll sich aber grundlegend der nicht ganz unumstrittenen legitimatorischen Wirkung von Partizipation auf kommunaler Ebene zugewandt werden (1.). 1. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der territorialen Selbstverwaltung: Duale demokratische Legitimation durch Bundes- und Landesvolk sowie Gemeindevolk Territoriale Selbstverwaltung wird in Art. 28 Abs. 2 GG garantiert. Schon in dem Wort Selbstverwaltung kommt in besonderer Weise der Partizipa­ tionsgedanke zum Ausdruck: Nicht nur die Gemeinden sollen sich selbst verwalten, sondern vor allem die Einwohner sollen sich selbst verwalten.689 Der Einzelne erfährt auf kommunaler Ebene den Staat in besonders naher Weise, da die Gemeinden die Organisationseinheiten sind, die am nächsten am Bürger „dran“ sind. Gemeinden werden daher vom Bundesverfassungsgericht als die „Keimzellen der Demokratie“690 bezeichnet. Damit wird aber nicht beantwortet, ob sich auf kommunaler Ebene Demokratie verwirklicht oder „nur“ dort angelegt ist. Unbestritten ist, dass in der Gewaltentrias die Gemeinden und Kreise der Verwaltung zugeordnet werden. Sie sind zentrale Verwaltungsträger.691 Es wird daher bestritten, dass die Gemeinden „Demokratie im kleinen“692 seien. Zur Begründung heißt es vor allem, dass das Volk in Art. 20 GG das deutsche Volk sei. Es gäbe nur einen demos, nämlich das Bundesvolk, aber kein „Gemeindevolk“. Die Demokratie des Grundgesetzes beziehe sich nur auf die unmittelbare Staatsverwaltung, das Volk des 689  S. dazu Reinhard Hendler, Grundbegriffe der Selbstverwaltung (§ 1), in: Thomas Mann/Günter Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 3–22, 6. 690  BVerfGE 79, 127, 149 – Rastede. 691  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 3. 692  Hans Hugo Klein, Demokratie und Selbstverwaltung, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 164–185, 185; ebenfalls ablehnend Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band, Allg. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 536; Georg-Christoph von Unruh, Demokratie und kommunale Selbstverwaltung, DÖV 1986, S. 217–224, 223: kein originärer „pouvoir municipal“; s. auch Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390.



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Grundgesetzes lasse sich nicht aufteilen.693 Selbstverwaltung sei überdies schon historisch nicht an eine demokratische Staatsform gekoppelt. Außerdem heißt es, dass „sich die Selbstverwaltung nicht, wie die Demokratie, in der Ausübung eines Wahl- oder Stimmrechts erschöpft, sondern die aktive Mitarbeit der Gemeindebürger bei der Durchführung der kommunalen Verwaltungsaufgaben umfasst; diese Mitarbeit in der Form der Übernahme von kommunalen Ehrenämtern machen die Gemeindeordnungen den Bürgern zur Pflicht.“694

Dem lässt sich entgegengehalten, dass schon die Grundprämisse des einen Volkes nicht stimmt. Insgesamt werden sechzehn demoi mehr anerkannt, nämlich die sechzehn Landesvölker. Daraus folgt zwar nicht die notwendige Anerkennung von Gemeindevölkern, es zeigt sich aber die Inkohärenz des oben dargelegten Verständnisses. Positiv begründen lässt sich die These der Verwirklichung von Demokratie auf Gemeindeebene mit einem Verständnis, das darauf abstellt das „in Art. 20 Abs. 2 GG für die staatliche Ebene verankerte demokratische Prinzip […] durch Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG seine Ausgestaltung für Gemeinden und Kreise [erfährt].“695 Die Verbindung, die in Art. 28 Abs. 1 GG gezogen wird, in dem es zunächst in Satz 1 heißt, dass die Länder u. a. demokratisch organisiert sein müssen und dessen Satz 2 dann bestimmt, dass in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, „lässt doch die Einbeziehung der Gemeinden und Kreise in den Aufbau der Demokratie hinreichend klar erkennen“.696 Wahlen zu den kommunalen Vertretungsorganen sind demnach über Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG den Parlamentswahlen „gleichgestellt“.697 Gemeindliche Selbstverwaltung dient vor allem Verwirklichung von Demokratie, es lässt sich von einer „unverwechselbare[n] demokratische[n] Identi­ tät“698 der Kommunen sprechen. Dies entspricht auch gerade Ziel und Zweck der kommunalen Selbstverwaltung, die darauf abzielt, dass auf kommunaler 693  Matthias Jestaedt, Demokratische Legitimation – quo vadis?, JuS 2004, S. 649–653, 650. 694  Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, I. Band, Allg. Teil, 10. Aufl. 1973, S. 536. 695  BVerfGE 83, 37, 55; s. auch BVerfGE 83, 60, 75. 696  Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390, Rn. 7; Edzard Schmidt-Jortzig, Verfassungsmäßige und soziologische Legitimation gemeindlicher Selbstverwaltung im modernen Industriestaat, DVBl. 1980, S. 1–10, 3 m. w. N. 697  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 353. 698  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 356.

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Ebene der Bürger eher und besser an der politischen Willensbildung – und somit kollektiver Selbstbestimmung – partizipieren kann.699 Dies geschieht mittels Satzungsgebung durch den Gemeinderat, die wiederum dem Bundesverfassungsgericht zur Folge der Sache nach die Parallele zur Gesetzgebung durch das Parlament sei.700 Demokratie wird „breiter, farbenreicher und im besten Sinne des Wortes bürgernäher“.701 Trotz der historischen Wurzeln der Selbstverwaltung in der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts ist heute von ihrem demokratischen Charakter auszugehen. Die demokratische Legitimation durch Landes- und Bundesvolk ist allerdings schwach ausgeprägt. Gemeindebeamte sind nicht organisatorisch-personell legitimiert, da das Volk des Grundgesetzes sie weder mittelbar noch unmittelbar bestimmt und daher keine ununterbrochene Legitimationskette besteht.702 Im freien Selbstverwaltungsbereich besteht außerdem nur eine geringe sachlich-materielle Legitimation.703 Zwar besteht selbstverständlich eine Bindung an die Gesetze nach Art. 20 Abs. 3 GG und eine entsprechende Rechtsaufsicht des Landes. Es existieren aber keine staatlichen Gesetze, die das gemeindliche Handeln im Bereich der freien Selbstverwaltung im Einzelnen so steuern, wie es in der unmittelbaren Staatsverwaltung typischerweise geschieht.704 Im pflichtigen Selbstverwaltungsbereich, also bei den Aufgaben, die der Gemeinde zwar staatlicherseits aufgegeben sind, die aber gleichzeitig Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft betreffen, wie etwa das Bauplanungsrecht, besteht hingegen auch eine sachlich-inhaltliche Legitima699  Vgl. auch von Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 16 mit zahlreichen Nachweisen. 700  Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 2 unter Verweis auf BVerfGE 21, 54, 62 f.; 32, 346, 351; 33, 125. Allerdings macht das aus dem Gemeinderat kein Parlament, Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 100. S. ausführlich Antje von Ungern-Sternberg, Gemeinderat als „Kommunalparlament“?, Jura 2007, S. 256–259. 701  Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390, Rn. 27. 702  Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 8. S. auch Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 524 ff. 703  Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 11. 704  Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 8. Für Legitimationsfragen der kommunalen Selbstverwaltung s. BVerfGE 47, 253, 272 ff.; Janbernd Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 87 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip (§ 24) in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 429–496, Rn. 25, 31 f.



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tion. Daneben tritt noch die institutionelle und funktionelle Legitimation. Da sich das Recht zur Ausübung von Staatsgewalt unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG ergibt, werden so die Gemeinden in institutioneller und funktioneller Hinsicht legitimiert.705 Dennoch besteht insgesamt aufgrund der fehlenden Legitimationskette, der weitgehend fehlenden inhaltlichen Steuerung und der fehlenden Fachaufsicht eine insgesamt geringere staatlich-demokratische Legitimation als in der unmittelbaren Staatsverwaltung. Aufgrund dieser insgesamt geringen Legitimation tritt die sog. autonome Legitimation legitimationsstiftend hinzu.706 Gemeinden stützen sich einerseits auf das Landes- und das Bundesvolk, andererseits auf das Gemeindevolk und damit grundsätzlich auf die Einzelnen, die im Gemeindegebiet leben. Um den auch demokratischen Aspekt der autonomen Legitimation hervorzuheben, sollte hier der Begriff der „gemeindedemokratischen Legitimation“ verwendet werden. Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass Gemeinden zusätzlich zu der staatlich-demokratischen Legitimation auch durch Partizipation des eigenen Gemeindevolks legitimiert sind. Damit sind die Staats­gewalt ausübenden Gemeinden707 doppelt legitimiert. Es handelt sich um eine duale Legitimation, die einerseits auf das Staatsvolk, andererseits auf das Gemeindevolk zurückgeht.708 Dies entspricht der Doppelrolle, die die Gemeinden spielen: Zum einen sind sie Teil der hierarchisch gegliederten Staatsverwaltung, zum anderen Teil einer „dezentralisiert-partizipativen Verwaltung mit einem eigenen System demokratischer Legitimation, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll.“709 Die auf Georg Jellinek zurückgehende Ansicht, dass die Herrschaftsgewalt des Staates eine originäre, die der Gemeinden eine abgeleitete sei,710 lässt sich in ihrer Striktheit nicht 705  Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 8. 706  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 380 f.; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 171 f.: „eigenständige demokratische Legitimation“ der Gemeinden. 707  BVerfGE 8, 122, 132: „Ausfluss von öffentlicher Gewalt, Staatsgewalt in weiterem Sinne“, ebenso BVerfGE 38, 258, 270; s. auch BVerfGE 47, 253, 272 f. 708  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 357, 359; Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 11; vgl. Albert Janssen, Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 1990, S. 128 ff., insbes. 152 f. 709  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 21. 710  Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1912, S. 183, S. 403; Peter Badura, Rechtsetzung durch Gemeinden, DÖV 1963, S. 561–570; Edzard SchmidtJortzig, Kommunalrecht, 1982, Rn. 66.

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mehr halten. Die Legitimation der gemeindlichen Entscheidungen erfolgt sowohl über das Landesvolk als auch über die Einzelnen auf Gemeindeebene. Nicht nur aufgrund der allgemeinen Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch aufgrund der Forderung des Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, dass in den Ländern, Kreisen und Gemeinden das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist, ist Partizipation auf Gemeindeebene zwingend notwendig und legitimiert die Ausübung von Staatsgewalt. Neben einer repräsentativen Form von kollektiver Selbstbestimmung besteht auch eine direkte Form kollektiver Selbstbestimmung, die ebenfalls legitimierend wirkt. Schließlich existieren Beteiligungsformen, die nicht entscheidungs­ ersetzend, sondern als Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren ausgestaltet sind. 2. Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung durch Wahl und Abstimmungen Kollektive Selbstbestimmung wird vor allem ermöglicht durch die Tätigkeit des Gemeinderates, über dessen Zusammensetzung die Gemeindebürgerinnen entscheiden (a)) sowie in dem Rechtsinstrument des Bürgerentscheides (b)). a) Die Wahl des Gemeinderats und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Die Gemeindevertretung dient kollektiver Selbstbestimmung auf Gemeindeebene so wie das Parlament kollektiver Selbstbestimmung auf Bundesbzw. Landesebene dient. Ihr Haupthandlungsinstrument ist die Satzung. Hier steht die Ermöglichung und Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung im Vordergrund (aa)). Die Macht der Gemeindevertretung geht aufgrund der dualen Legitimationsstruktur nicht nur von den Einzelnen aus, die Teil des Bundes- und Landesvolks sind, sondern auch von den Einzelnen, die als Gemeindevolk den Gemeinderat direkt wählen (bb)). aa) Kollektive Selbstbestimmung durch Satzungserlass Satzungen sind das typische Handlungsinstrumentarium des Gemeinderats.711 Grundsätzlich gilt, dass dem Rat eine zentrale Stellung zukommt und 711  In allen Gemeindeordnungen wird dem Gemeinderat untersagt, diese Aufgabe auf den Bürgermeister zu delegieren. Daneben handelt der Gemeinderat auch noch im



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damit die entscheidenden Führungs- und Kontrollaufgaben innerhalb der Gemeinde.712 Diese Aufgaben lassen sich vornehmlich in Rechtsetzungsaufgaben, aber auch Planungsaufgaben und teilweise auch Einzelentscheidungen einschließlich bestimmter Personalentscheidungen unterscheiden.713 Erlässt oder ändert der Gemeinderat Satzungen und anderes Ortsrecht oder hebt es auf, so verwirklicht er kollektive Selbstbestimmung. Schon ein Blick auf die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ verrät, dass beim Satzungserlass auf Gemeindeebene kollektive Selbstbestimmung im Vordergrund steht. Satzungen stellen zumeist abstrakt-generelle Rechtssätze dar, etwa als Steuer-, Beitrags- und Gebührensatzungen.714 Aufgrund ihrer abstrakt-generellen Rechtsnatur lassen sich Satzungen daher als erster Indikator in Richtung Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung deuten. Unabhängig davon, ob man die Gemeindevertretung als das Organ, das die „demokratische Repräsentation des Gemeindevolks sicherstellt“715 versteht, repräsentiert die Gemeindevertretung das gesamte Gemeindevolk. Zwar ist der Gemeinderat ein Verwaltungsorgan, aber er soll die gesamte Gemeinde vertreten und ist damit das Organ kollektiver Selbstbestimmung in der Gemeinde. Somit indiziert auch das „handelnde Organ“ kollektive Selbstbestimmung. Der dritte Indikator, die Frage nach dem „Rechtsschutz“, deutet hingegen in Richtung individuelle Selbstbestimmung. Wie im Fall vom Land beschlossener Rechtsverordnungen besteht nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO unmittelbarer Rechtsschutz, wenn das Landesrecht dies ausdrücklich vorsieht. Dies ist grundsätzlich überall der Fall.716 Damit zeigt sich, dass die Wege sog. inneradministrativer Rechtsakte, etwa Richtlinie für die Vergaben von Stadthallen, Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 155. 712  § 24 GemO BW; Art. 30 GO Bay; § 28 BbgKVerf; § 50 HessGO; § 22 KV MV; § 58 NKomVG; §§ 41, 55 GO NRW; § 32 GemO RP; § 34 KSVG SL; § 28 SächsGemO; § 44 GO LSA; § 27 GO SH; § 22 Abs. 3 ThürKO. 713  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 109, s. im Einzelnen ebd., Rn. 111. Im Folgenden soll auf diese vernachlässigbaren nur Individuen erfassende Maßnahmen, wie die Verleihung und Aberkennung des Ehrenbürgerrechts, nicht eingegangen werden. Für sie gilt mutatis mutandis das Gleiche wie hinsichtlich des Bürgermeisters, der vornehmlich für individuelle Entscheidungen zuständig ist. 714  Im Rahmen von Planung, etwa bei einem Bebauungsplan, der sich auf ein bestimmtes Vorhaben bezieht, können sie von diesem Schema im Einzelfall aber auch abweichen, Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 143. Hier soll aber der Regelfall zugrundegelegt werden. 715  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 99. 716  S. oben S. 212 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Indikatoren vornehmlich in Richtung kollektive Selbstbestimmung deuten, aber auch eine stärkere Kontrolle durch die Gerichte vorliegt und dadurch individuelle Selbstbestimmung betont wird. Die Eigenschaften der Satzung, d. h. die „Intensität der Verrechtlichung“, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“, als auch die Tätigkeit des Gemeinderats insgesamt bestätigen diesen gemischten Eindruck, der aber doch einen deutlichen Schwerpunkt auf kollektive Selbstbestimmung legt. So sind Satzungen als abstrakt-generelle Regelungen immer in die Zukunft gerichtet und besitzen – bezogen auf das Gemeindegebiet und die Gemeindeeinwohner – eine hohe „sachliche und personelle Reichweite“. Sie binden alle Personen im Gemeindegebiet. Aufgrund des Grundsatzes der Allzuständigkeit717 sind die Regelungsgegenstände relativ weit gefasst. Auch das Recht der Aufgabenfindung ist weit gefasst, es gilt auch für neue Sachbereiche (Recht der Spontanität).718 Dieses Recht zeigt, dass der Gemeinderat einen großen Gestaltungsspielraum besitzt und nicht nur rechtlich eng gebundene Sachentscheidungen getroffen werden. Das anderslautende „offenbar nicht auszurottende Argument“,719 dass die Gemeinde rein vollziehend tätig wird, ist schlichtweg falsch. Die Politik des Gemeinderats muss sich allerdings im Rahmen der örtlichen Angelegenheiten bewegen. So darf sie sich z. B. nicht auf Fragen der Außenpolitik beziehen.720 Auch die „rechtliche Determiniertheit“ von Satzungen ist relativ gering. Dies folgt prinzipiell aus der verfassungsrechtlichen Garantie gemeindlicher Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG). Das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, und die daraus resultierende Eigenverantwortlichkeit sind ein wichtiger Hinweis auf die ­ (relative) Ungebundenheit der Gemeinden. Unter ihr wird die „Freiheit von Zweckmäßigkeitsvorgaben anderer Hoheitsträger, insbesondere des Staates und [die] Fähigkeit zu Entscheidungen nach eigenen politische Vorstellungen“ verstanden.721 Diese Freiheiten werden als sog. Gemeindehoheiten betont, zu denen die Konzepthoheit (inkl. der Planungshoheit), die Personal­ 717  Dazu Veith Mehde, Art. 28 Abs. 2 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 50 ff. 718  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 34. 719  Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390, Rn. 12. 720  BVerwGE 87, 228 – Atomwaffenfreie Zone, s. auch Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 37 f. 721  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 41.



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hoheit, die Organisationshoheit, die Rechtsetzungshoheit und die Finanz­ hoheit gehören.722 Diesen Freiheiten bzw. Hoheiten entspricht es, dass das Satzungsrecht keiner Ermächtigung bedarf, sondern in der Selbstverwaltungs­ garantie angelegt ist.723 Es gelten auch nicht die Beschränkungen, die für Rechtsverordnungen gelten: Art. 80 GG findet keine, auch keine analoge Anwendung.724 Grundsätzlich besteht beim Satzungserlass immer ein Satzungsermessen, denn ohne Gestaltungsfreiheit ist Normsetzung nicht denkbar. Diese Gestaltungsfreiheit garantiert gerade Art. 28 Abs. 2 GG.725 Dies gilt entsprechend dem Wortlaut der Norm nur „im Rahmen der Gesetze.“ Damit wird über Art. 20 Abs. 3 GG und die allgemeine Rechtsaufsicht hinausgehend eine spezielle Schranke aufgestellt. Sie wird als „Achillesferse“726 der Rechtsinstitutionsgarantie bezeichnet: Der Staat kann der Selbstverwaltungsgarantie im Rahmen der Gesetze Grenzen setzen und Vorgaben machen. Wie weit diese „rechtliche Determiniertheit“ geht, zeigen die Vorschriften der Gemeindeordnungen, die dem Gemeinderat, nicht aber dem Bürgermeister, weitgehende Freiheiten einräumen. Paradigmatisch weit gefasst ist § 50 Abs. 1 HessGO. Danach beschließt die Gemeindevertretung in Hessen über die Angelegenheiten der Gemeinde, soweit sich nichts Anderes aus dem Gesetz ergibt. Eine entsprechend weite Norm fehlt für den Bürgermeister. Im Rahmen ihrer Selbstverwaltung entscheiden die Gemeindevertretungen folglich unabhängig und „eigenständig und mit gleicher demokratischer Qualität wie die Parlamente.“727 Weniger weit ist der Aufgabenbereich der Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin. Die Bezirke in Berlin fallen nicht unter die Selbstverwaltungsgarantie, dementsprechend besitzen sie auch keine Allzuständigkeit – dennoch erfüllen sie nach den Grundsätzen der Selbstver722  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 43 ff. 723  BVerfGE 97, 332, 343 f.; Dirk Ehlers, Rechtsquellen und Rechtsnormen der Verwaltung (§ 2), in: ders./Hermann Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2015, S. 72–138, Rn. 60; ebenso Hans Herbert von Arnim, Gemeindliche Selbstverwaltung und Demokratie, AöR 113 (1988), S. 1–30, 20, der deshalb die Satzungsermächtigung in Selbstverwaltungsangelegenheiten, die sich in allen Gemeindeordnungen finden, für rein deklaratorisch hält. Dies gilt aber nur solange es sich nicht um Weisungsaufgaben handelt, Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 144. 724  BVerfGE 33, 125, 157 f. 725  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 150. 726  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 49. 727  Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/ders. (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 381–390, Rn. 24.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

waltung ihre Aufgaben (Art. 66 Abs. 2 S. 1 VvB).728 Sie besitzen kein Satzungsrecht, bestimmen nach § 12 Abs. 1 BezVwG Bln aber über die Grundlinien der Verwaltungspolitik des Bezirks im Rahmen der Rechtsvorschriften und der vom Senat oder den einzelnen Mitgliedern des Senats erlassenen Verwaltungsvorschriften. Die „rechtliche Determiniertheit“ des Handelns des Gemeinderats ist schließ­lich auch davon abhängig, welcher Aufgabenkategorie die in Rede stehende Aufgabe unterfällt.729 Während im Bereich der Aufgaben im eigenen Wirkungskreis (freie Selbstverwaltungsaufgaben), wie dem Betrieb eines Theaters oder eines Schwimmbads, dem Gemeinderat kaum rechtliche Grenzen gesetzt sind, bestehen engere Grenzen bei der Wahrnehmung der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben wie z. B. der Bauleitplanung. Am engsten ist die „rechtliche Determiniertheit“ der Gemeinde bei der Wahrnehmung von Auftragsangelegenheiten (Pflichtaufgaben nach Weisung).730 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass diese in den Aufgabenbereich des Bürgermeisters fallen.731 Die „rechtliche Determiniertheit“ unterscheidet sich folglich je nach Aufgabenbereich. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Eigenschaften kommunaler Satzungen und auch der damit vergleichbaren Rechtsverordnungen der Berliner Bezirksverordnetenversammlung alle auf die Ermöglichung und Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung zielen. Sie sind in die Zukunft gerichtet, betreffen potentiell alle Gemeindeeinwohner in allen Bereichen der Selbstverwaltung und sind rechtlich wenig determiniert, da im Rahmen der Selbstverwaltung – abgesehen von den üblichen rechtlichen Bindungen an 728  S. dazu Julia Platter, Der Bürgerentscheid in den Berliner Bezirken – Erweiterung demokratischer Teilhaberechte oder basisdemokratische Attrappe?, LKV 2006, S.  295–300, 296 f. m. w. N. 729  In der Namensgebung und der rechtlichen Herleitung bestehen zwar Unterschiede zwischen einem monistischen (Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Christoph Brüning, Kommunalverfassung (§ 64), in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht: Band 3, Kommunalrecht, Haushalts- und Abgabenrecht, Ordnungsrecht, Sozialrecht, Bildungsrecht, Recht des öffentlichen Dienstes, 4. Aufl. 2021, Rn. 74) und dem dualistischen (Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Brüning, ebd. Rn. 69) Modell, dem Grunde nach aber ändert sich nichts. 730  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 70. Die sind dann wegen des Weisungsrechts in sachlich-inhaltlicher Weise besonders legitimiert. 731  Es ist nicht weiter überraschend, dass sich gerade an diesen Pflichtaufgaben nach Weisung ein Streit entzündet, ob diese der Kommune oder dem Staat zuzuordnen sind, s. Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 71 m. w. N.



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die Verfassung und das einfache Recht – dem Gemeinderat kaum unmittelbare auf die Sache bezogene Vorgaben gemacht werden. Die Gemeindeordnungen als „Verfassung der Gemeinden“ sehen hier eine große Freiheit vor. Es handelt sich bei der Satzungsgebung durch den Gemeinderat um einen Akt kollektiver Selbstbestimmung. bb) Die Entscheidungshoheit des Gemeindevolks Eine umfassende Beteiligung des Gemeindevolks wird durch Art. 28 GG und die Gemeindeordnungen gewährleistet. Anders als sonst beim anderweitigen Tätigwerden der Exekutive kommt dem Einzelnen als Teil des Gemeindevolks hier Entscheidungsgewalt zu, indem er über die Zusammensetzung des Verwaltungsorgans, also des Gemeinderats entscheidet (Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG). Das Gemeindevolk umfasst alle Einwohner, die Deutsche oder EU-Staatsangehörige sind. Damit ist das Gemeindevolk zwar einerseits kleiner als das Bundesvolk oder das Landesvolk, da es nur die Einwohner der Gemeinde umfassen kann, also diejenigen, die in der Gemeinde ihren Wohnsitz haben.732 Andererseits ist es aber auch breiter bemessen, da es nicht nur alle deutschen Einwohner der Gemeinde i. S. d. Art. 116 GG erfasst, sondern aufgrund von Art. 20 Abs. 2 lit. b) AEUV, der durch Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG und die jeweiligen Landesverfassungen und Kommunalwahlgesetze um­ gesetzt wurde, auch diejenigen Gemeindeeinwohner einbezieht, die Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaats sind. Diese Einwohner mit ­aktivem Wahlrecht entscheiden über die Zusammensetzung des Gemeinderats. So legitimieren sie durch die Wahl den Gemeinderat und seine Handlungen. b) Abstimmungen auf Gemeindeebene und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung Obwohl Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG lediglich die Wahl des Gemeinderats garantiert, erschöpft sich Demokratie auf Gemeindeebene ebenso wenig wie auf Landesebene in ihrer repräsentativen Ausprägung, sondern besitzt auch eine direktdemokratische Komponente. Anders als sonst beim Tätigwerden der Exekutive darf das Gemeindevolk selbst über bestimmte Verwaltungsentscheidungen im Wege des Bürgerentscheids entscheiden. Bürgerentscheide 732  §§ 10, 12 GemO BW; Art 15 GO Bay; § 11 BbgKVerf; § 8 HessGO; § 13 KV MV; § 28 NKomVG; § 21 GO NRW; § 13 GemO RP; § 18 KSVG SL; §§ 10, 15 SächsGemO; § 21 KVG LSA; § 6 GO SH; § 10 ThürKO.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

dienen kollektiver Selbstbestimmung auf Gemeindeebene so wie Volksentscheide kollektiver Selbstbestimmung auf Landesebene dienen. Hier besteht eine direkte sachliche Partizipationsform des Gemeindevolks. Kollektive Selbstbestimmung ermöglichende Bürgerbegehren und Bürger­ entscheide haben sich in den deutschen Kommunen seit den 1990er Jahren entwickelt. Vorreiter war hier Baden-Württemberg.733 Alle Gemeindeordnungen sehen diese Möglichkeit, die anfangs aufgrund der Homogenitätsklausel teilweise als verfassungswidrig bezeichnet wurde,734 vor. Dem Rechtsinstrument des Bürgerentscheides kommt ein „gewisse[r] legislato­rische[r] Cha­ rakter“735 zu. Es ersetzt u. a. Satzungen. Gängigerweise wird zwischen initiierenden Bürgerbegehren einerseits und kassierenden, kassatorischen oder korrigierenden Bürgerbegehren andererseits unterschieden.736 Die Bürger entscheiden grundsätzlich über alle Angelegenheiten der Gemeinde, über die die Gemeindevertretung, also der Gemeinderat oder in Berlin die Bezirksverordnetenversammlung, entscheiden würde.737 Alle Gemeindeordnungen schränken diesen Gegenstand im Wege von Negativkata­logen wieder ein. Diese ­Beschränkungen betreffen rechtlich gebundene E ­ ntscheidungen, Weisungsaufgaben, Planungs-, Organisations- und Haushaltsaufgaben.738 Auch darf der Bürgerentscheid nicht gegen Bundes- oder L ­ andesrecht sowie gegen Völker733  Vgl. dazu Hans-Günter Henneke, Wutbürger in Verantwortung: Partizipation und direkte Demokratie in Kommunen und Ländern, DVBl. 2012, S. 1072–1082, 1075 ff. 734  Vgl. Albert von Mutius, Kommunalrecht, 1996, S. 322 m. w. N. 735  BVerwGE 90, 359, 362. S. zur Bedeutung des Bürgerentscheides auch Olaf Dziallas/Johannes Jäger, Der Bürgerentscheid in der kommunalen Praxis, KommJur 2016, S. 6–13. 736  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 117. 737  S. beispielhaft § 21 Abs. 3 S. 1 GemO BW; Art. 18a Abs. 1 GO Bay; § 47 Abs. 3 BzVwG; § 17a GemO RP, dessen Abs. 2 Nr. 1 Aufgaben ausschließt, die gesetzlich dem Bürgermeister obliegen. 738  So Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 130. S. auch Janbernd Oebbecke, Rechtsprechungsanalyse – Nicht bürgerbegehrensfähige Angelegenheiten, Die Verwaltung 2004, S. 105–118; Klaus Ritgen, Die Zulässigkeit von Bürgerbegehren – Rechtspraxis und rechtspolitische Desiderate, NWVBl 2003, S. 87–93; ders., Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, 1997; Steffen Kautz, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid beim Erlass von Bebauungsplänen, BayVBl 2005, S. 193–201; Thomas von Danwitz, Bürgerbegehren in der kommunalen Willensbildung, DVBl. 1996, S. 134– 142; Fritz Ossenbühl, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, in: Gerhard Seiler (Hrsg.), Gelebte Demokratie. Festschrift für Manfred Rommel, 1997, S. 247–266; Michael Burrack/Katrin Stein, Plebiszit und Bauleitplanung in Berlin, LKV 2009, S. 433–442, 440 f. S. z. B. § 21 Abs. 2 Nr. 4 GemO BW.



Kapitel 5: Die Exekutive321

recht verstoßen.739 Neben dem typischen Ausschluss von finanzwirksamen Bürgerentscheidungen,740 sind oftmals Planungsentscheidungen ausgeschlossen, so etwa in Berlin nach § 45 Abs. 1 S. 2 BezVwG Bln. Gerade im Rahmen der Planung sind die Ausnahmen hart umkämpft.741 Drei typische Ausnahmen beziehen sich auf das Planfeststellungsverfahren als förmliches Verwaltungsverfahren742, die Bauleitpläne als örtliche Bauvorschriften743 sowie auf § 36 BauGB744.745 Obgleich nach h. M. ein Entscheid 739  Heike Krieger, Die Herrschaft des Fremden – Zur demokratietheoretischen Kritik des Völkerrechts, AöR 133 (2008), S. 315–345, 340 f. S. aber auch die Diskussion über die völkerrechtswidrige Waldschlösschenbrücke in Dresden, BVerfG, 2 BvR 695/07, Urteil v. 29. Mai 2007, www.bverfg.de/entscheidungen/rk2007 0529_2bvr069507.html; SächsOVG, Beschluss vom 9. März 2007, Az.: 4 BS 216/06; Martin Müller, Direkte Demokratie und Völkerrecht, NJ 2007, S. 252–254; Rainer Wolf, Weltkulturvölkerrecht und nationalstaatliche Umsetzung, NuR 2008, S. 311– 319; Armin v. Bogdandy/Diana Zacharias, Zum Status der Weltkulturerbekonvention im deutschen Rechtsraum, NVwZ 2007, S. 527–532; Ulrich Fastenrath, Zum Schutz des Weltkulturerbes in Deutschland, DÖV 2006, S. 1017–1027; und allgemein Alexander Proelß/Zlatko Bajić, Bedeutung, Ausprägungen und Grenzen der direkten Demokratie im Völkerrecht, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Hans-Joachim Lauth/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2011, 2012, S. 79–102. 740  S. die Übersicht über die Ausweitung des Instruments bei Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 117 ff. Anzumerken ist, dass kommunale Abstimmungen nicht möglich sind, wenn der Projektträger ein Privater ist, Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 513 m. w. N. Lediglich vor dem Vertragsschluss bestehen hinreichende Einflussmöglichkeiten. Obgleich das mit rein staatlichem Handeln korrespondiert und deshalb grundsätzlich richtig ist, zeigt sich, dass eine möglichst frühe Beteiligung diese vielfach erst effektiv macht. S. dazu auch Urs Kramer/Ana Cosovic, Bürgerbegehren gegen die kommunale Finanzierungsbeteiligung am Projekt „Stuttgart 21“ – zugleich Besprechung des Urteils des VGH Mannheim vom 21.04.2015 – 1 S 1949/13, DVBl. 2015, 843 ff., DVBl. 2016, S. 525–534. 741  S. dazu Jürgen Kühling, Die Bauleitplanung als Gegenstand plebiszitärer Bürgerbeteiligung, DVBl. 2012, S. 317–325. 742  Z. B. § 26 Abs. 5 Nr. 4 GO NRW; § 17a Abs. 2 Nr. 7 GemO RP. 743  Z. B. § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO BW; § 15 Abs. 3 Nr. 9 BbgKVerf; § 8b Abs. 2 Nr. 5a HessGO; § 32 Abs.2 S. 2 Nr. 6 NdsKomVG; § 26 V Nr. 5 GO NRW; zur Reichweite des Ausschlusses Christian West, Zur Zulässigkeit von Bürgerentscheiden im Bereich der Bauleitplanung, VBlBW 2010, S. 389–393; VGH BW, NVwZ-RR 2011, S. 837; VGH BW, NVwZ-RR 2009, S. 574; Andreas Klenke, Bürgerbegehren und Bauleitplanung, NWVBl 2011, S. 7–9; OVG NW, NVwZ-RR 2007, S. 803; Martin Wickel/Cathrin Zengerling, Beeinflussung der gemeindlichen Bauleitplanung durch Bürgerentscheide – Möglichkeiten und Grenzen, NordÖR 2010, S. 91–97; ­NdsOVG, NVwZ-RR 2005, S. 349. 744  Z. B. § 20 Abs. 2 Nr. 4 KV MV. 745  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 117 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

hinsichtlich einer Planung mit der Begründung unzulässig ist, dass die Bürger nur mit Ja oder Nein abstimmen können, schließen nicht alle Länder Bürgerentscheide über eine Planung aus, so etwa Hessen, Sachsen und Thüringen.746 Dennoch heißt es, dass trotz des fehlenden Ausschlusses auch in diesen Ländern ein Bürgerentscheid nicht in Betracht käme.747 Hier ist aber Bewegung entstanden. Diese Entwicklung hat zum einen die Bevölkerung ergriffen. Dies zeigt sich daran, dass jeder zweite Bürgerentscheid in Hessen und Bayern die Bauleitplanung betrifft.748 Zum anderen lässt die neuere Rechtsprechung inzwischen Abstimmungen über Planungsfragen zu, sofern „substanzielle Planungsspielräume“ bleiben.749 Daraus lässt sich zwar nicht schlussfolgern, dass Abwägungsentscheidungen der Mehrheitsregel zugänglich sind. Hier zeigt sich aber, dass zumindest über vorgelagerte Fragen Abstimmungen möglich sind. Es lässt sich zudem erwägen, ob nicht Abstimmungen auch über die letztendliche Entscheidung möglich sein müssen.750 Schließlich bestimmt auch der Gemeinderat über den Bebauungsplan751 und auch das Parlament trifft finale Planungsentscheidungen. Beide Organe stimmen schlussendlich mit Ja oder Nein ab. Solange sichergestellt wird, dass es zu einer ordnungsgemäßen Abwägung, die den rechtstaatlichen Vorausset746  Möglich in § 8b Abs. 2 HessGO, § 25 SächsGemO und § 17 Abs. 2 ThürKO, s. dazu auch Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 278. 747  Vgl. Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 120; Jürgen Kühling/Florian Wintermeier, Bauleitplanung als Gegenstand plebiszitärer Bürgerbeteiligung, DVBl. 2012, S. 317–325. 748  Christoph Stollowsky, Streit um die Straße, Tagesspiegel, 20. Oktober 2013, S. 14. 749  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 840. S. auch BayVGH, KommJur 2019, 78–80, 80: „Geht es nur um Rahmenfestlegungen, die einen ‚Planungsspielraum von substantiellem Gewicht‘ belassen und ‚genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange‘ offen halten, so ist es danach eine Frage des Einzelfalls, ob durch einen derartigen ‚Eckpunkt für die gemeindliche Abwägung‘ etwa in Form einer Höchstgrenze schon eine solche Selbstbindung eingetreten ist, dass eine Abwägung in keinem Fall mehr in sachgerechter Weise vorgenommen werden kann“; BayVGH, NVwZ-RR, 2006, S. 208, 209; BayVGH, BayVBl 2009, S. 245; BayVGH, NVwZ -RR 2011, S. 331, 333; VGH BW, VBlBW 2011, S. 388; VGH BW, VBlBW 2011, S. 1035, s. auch NdsOVG, Beschluss v. 21. Mai 2012; kritisch Michael Burrack/Katrin Stein, Plebiszit und Bauleitplanung in Berlin, LKV 2009, S. 433–442, 437 ff. 750  Kay Waechter, Großvorhaben als Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL 72 (2013), S. 499–543, 533. 751  Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 442; Christian Schneller, Objektbezogene Legalplanung, 1999, S. 134 f.



Kapitel 5: Die Exekutive323

zungen entspricht, kommt, scheint nichts gegen eine abschließende Abstimmung zu sprechen.752 Diese Abwägung kann z. B. vom Gemeinderat vorgenommen werden. Eine solche Ja/Nein-Abstimmung setzt aber voraus, dass die Ablehnung der Planung, also die sog. „Null-Variante“, eine rechtmäßige Alternative darstellt. Das ist nicht immer der Fall, beispielsweise dann, wenn ein Anspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplans besteht. Da die Rechtsprechung Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis getrennt betrachtet,753 muss auch das Gemeindevolk diesen Vorgang getrennt betrachten können – und damit im Fall der rechtmäßigen „Null-Variante“ auch über Abwägungsentscheidungen abstimmen dürfen. Ist die „Null-Variante“ kein rechtmäßiges Abwägungsergebnis, kommen aber immer noch zwei oder mehr Alternativen in Betracht, so können diese dem Gemeindevolk zur Abstimmung vorgelegt werden. Allerdings gibt es schon ein in § 3 BauGB geregeltes Beteiligungsverfahren im Rahmen der gemeindlichen Planung. Deshalb muss abschließend geklärt werden, ob die Einwohner hier zwei Beteiligungsformen zur Auswahl haben: Dürfen sie einerseits „direktdemokratisch“ bestimmen und andererseits zusätzlich oder eben doch nur alternativ auch auf Verwaltungsebene Einfluss nehmen? Da das BauGB als Bundesgesetz den Gemeindeordnungen vorgeht, ließe sich argumentieren, dass das BauGB eine abschließende Regelung getroffen hat. Da es keine Bürgerentscheide vorsieht, sondern eine andere Form der Öffentlichkeitsbeteiligung, wären dann Bürgerentscheide gesperrt und ausgeschlossen. Allerdings bestimmt § 2 BauGB eindeutig, dass die Gemeinden in eigener Verantwortung die Bauleitpläne aufzustellen haben. Der Grundsatz lex superior derogat legi inferiori findet hier keine Grundlage. Ebenso wenig wie auf Ebene der unmittelbaren Staatsverwaltung spricht daher auch hier nichts gegen eine doppelte Partizipation. Zu den formellen Anforderungen an ein Bürgerbegehren gehört u. a., dass sie hinreichend bestimmt sind und einen Kostendeckungsvorschlag enthal-

752  Für sehr weitgehende Einschränkungsmöglichkeiten der Gemeinde durch das Volk Jürgen Kühling/Florian Wintermeier, Bauleitplanung als Gegenstand plebis­ zitärer Bürgerbeteiligung, DVBl. 2012, S. 317–325, 321, mit dem Argument der „kommunalrechtliche[n] Kompetenzausgestaltung.“ Dagegen hingegen Hans-Jörg Birk, Bürgerentscheide und Bebauungsplanverfahren – Ist § 21 Abs. 2 Ziff. 6 GemO Baden-Württemberg verfassungswidrig?, BWGZ 2016, S. 949–954; Christoph Brüning, Bindungswirkung von Bürgerentscheiden in der Bauleitplanung, NVwZ 2018, S. 299–302. S. auch BayVGH, Beschluss v. 18. Januar 2019, Az. 4 CE 18.2578. 753  Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit Urteil v. 5. Juli 1974 – 4 C 50.72. S. Wilhelm Söfker/Peter Runkel, § 1 BauGB, in: Werner Ernst/ Willy Zinkhahn/Walter Bielenberg/Michael Krautzberger (Begr./Hrsg.), Baugesetzbuch. Loseblatt-Kommentar, 140. Ergänzungslieferung Stand Oktober 2020, Rn. 187.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

ten.754 In manchen Ländern, etwa Berlin, muss die Einschätzung der Kosten vom Bezirksamt erstellt werden.755 Über die Zulässigkeit des Begehrens wird durch die Gemeindevertretung, den Verwaltungsausschuss oder das Bezirksamt entschieden.756 Zwar wird immer wieder betont, dass die Entscheidung eine rein rechtliche ist, es darf aber bezweifelt werden, ob der Rat völlig unvoreingenommen entscheiden wird.757 Dies ist auch eine überaus praktische Frage, so sind in Nordrhein-Westfalen von 1995 bis Juni 2005 knapp 40 % aller Bürgerbegehren für unzulässig erklärt worden.758 Rechtsschutz gegen diese Entscheidung ist möglich.759 Insgesamt wurden 1.926 der 6.737 (28,5 Prozent) Bürgerbegehren zwischen 1956 und 2019 für unzulässig erklärt. Dabei hat Bayern mit 17,5 Prozent den niedrigsten Anteil an unzulässigen Bürgerbegehren von allen Bundesländern. Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, das Saarland, Sachsen und Thüringen verzeichnen hingegen jeweils Werte von mehr als 40 Prozent an unzulässigen Bürgerbegehren. Maßgeblich zurückführen lassen sich diese deutlichen Unterschiede auf die jeweiligen gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern. Dazu gehören u. a. kurze Sammelfristen, hohe Unterschriftenquoren für Bürgerbegehren oder weitreichende Themenausschlüsse.760

754  S. z. B. § 15 Abs. 1 S. 4 BbgKVerf, Klaus Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Jahren 2005 und 2006, KommJur 2007, S. 288–295, 289 f. m. w. N.; Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 130. Ausführlich zum Kostendeckungsvorschlag Martin Beckmann/Joachim Hagmann, Bürgerbegehren in Zeiten knapper Kassen, KommJur 2007, S. 89–94, 90 ff. 755  S. § 45 Abs. 2 S. 6 BzVwG Bln. 756  § 15 Abs. 2 BbgKVerfGO, Verwaltungsausschuss: § 33 Abs. 5 S.1 NKomVG, Bezirksamt: § 45 Abs. 2 S. 9 BzVwG; S. dazu Stefan Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, S. 223–228, 225. 757  S. hierzu kritisch Stefan Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, S. 223–228, 225 m. w. N. „Befangen“ nennt ihn Klaus Ritgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in den Jahren 2005 und 2006, KommJur 2007, S. 288–295, 289. 758  Martin Beckmann/Joachim Hagmann, Bürgerbegehren in Zeiten knapper Kassen, KommJur 2007, S. 89–94, 89: 121 von insgesamt 321 Bürgerbegehren. 759  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 131. S. dazu auch Sebastian Unger, Sicherung kommunaler Bürgerbegehren, AöR 139 (2014), S. 80–124, 113 ff. 760  Mehr Demokratie e. V., Bürgerbegehrensbericht 2020, S. 7, https://www.mehrdemokratie.de/fileadmin/pdf/2020–09–28_Bu__rgerbegehrensbericht_Web.pdf. Danach wurden die meisten Begehren wegen Fristüberschreitung bzw. zu wenigen ­Unterschriften (20 Prozent) oder wegen des Ausschlusses von Themen (18 Prozent) für unzulässig erklärt.



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Ebenso wie beim Volksbegehren und beim Volksentscheid sind also auch hier Quoren vorgesehen, die ebenfalls unterschiedlich ausgestaltet sind. Sie bewegen sich zwischen einem Unterstützungsquorum von 2–3 % für ein Bürgerbegehren und einem Zustimmungsquorum der einfachen Mehrheit der Abstimmenden im Bürgerentscheid in Hamburg761 und einem Unterstützungsquorum von bis zu 15 % für ein Bürgerbegehren und einem Zustimmungsquorum von 30 % der Wahlberechtigten für einen Bürgerentscheid im Saarland762. Wie bei direkter Demokratie sind Quoren ein wesentliches In­ strument, um die Mehrheit vor der Minderheit zu schützen763 und sicherzustellen, dass durch die demokratische Beteiligung möglichst vieler Einzelner die Ausübung von Hoheitsgewalt durch den Bürgerentscheid ausreichend legitimiert ist. Der Einzelne entscheidet hier als Teil des Gemeindevolks über Sachfragen kollektiver Selbstbestimmung und legitimiert damit die Ausübung von Hoheitsgewalt durch den Bürgerentscheid. 3. Gemeindliche Planung zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung Während durch die Wahl des Gemeinderats und durch Abstimmungen auf Gemeindeebene kollektive Selbstbestimmung ermöglicht wird und die Gemeindebürger entscheiden dürfen, bewegt sich gemeindliche Planung, die einen wesentlichen Bestandteil gemeindlichen Handelns darstellt, schon in Richtung Sicherung individueller Selbstbestimmung. Deshalb entscheidet die Gemeinde hier schlussendlich selbst. Im Rahmen der Bauleitplanung sind entsprechend den schon aus der Raum- und Fachplanung bekannten Beteiligungsformen auch auf Gemeindeebene Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vorgesehen (a)). Daneben bestehen weitere Formen gemeindliche Planung, teils mit, teils ohne zwingende Beteiligungsformen (b)). a) Bauleitplanung: Doppelte Öffentlichkeitsbeteiligung Die Kommunen sind verantwortlich für die Bauleitplanung und erstellen den vorbereitenden Flächennutzungsplan (§§ 5 ff. BauGB) sowie den daraus zu entwickelnden, nach außen wirksamen Bebauungsplan (§§ 8 ff. BauGB). Diese Pläne stehen zwar am Ende der „Planungskaskade“, es überwiegt aber 761  S.

§ 32 BezVG Hmb. KSVG SL. 763  Stefan Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, S. 223–228, 227. S. auch Harald Hofmann, Zur Abschaffung der Quoren bei Bürgerentscheiden, NVwZ 2015, S. 715–718. 762  Vgl. § 21a

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noch immer die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung (aa)). Das Verfahren zur Aufstellung von Bauleitplänen sieht dabei nicht nur eine einfach, sondern gleich eine doppelte Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit vor (bb)). Diese Beteiligungsregeln sind vorbildhaft, legitimieren die staatliche Planung und erlauben die richtige Balance von individueller und kollektiver Selbstbestimmung (cc)). aa) B  auleitpläne: Kollektive Selbstbestimmung auf der letzten Stufe raumplanender Tätigkeit Planung beinhaltet immer Elemente kollektiver Selbstbestimmung. Auch Bauleitpläne ermöglichen vornehmlich kollektive Selbstbestimmung, sichern aber auch individuelle Selbstbestimmung. Die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ weisen in Richtung kollektive Selbstbestimmung. Zuständig für den Planaufstellungsbeschluss, also den Beschluss, dass ein Bebauungs- oder Flächennutzungsplan erstellt wird und aus dem folgt, dass das Gebiet beplant werden soll, ist der Gemeinderat.764 Obgleich der Gemeinderat ein Verwaltungsorgan ist, ist er das Organ kollektiver Selbstbestimmung in der Gemeinde.765 Die Rechtsnatur des Flächennutzungsplans, der nur vorbereitender Natur ist, ist umstritten.766 Er kann jedenfalls nicht unmittelbar gerichtlich angegriffen werden, da ihm keine Außenwirkung zukommt.767 Dies gilt allerdings nicht in den Fällen des § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB. Gewisse im Flächennutzungsplan genannte Konzentra­ tionszonen entfalten hier Außenwirkung.768 Die Rechtsnatur des Bebauungsplans ist hingegen klar. Er ergeht nach der ausdrücklichen gesetzlichen Rege764  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: dies./Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 38. 765  S. dazu oben S. 311 f. 766  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 77: „keine Rechtsnorm, sondern eine planerische Richtlinie“. 767  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 77, 183. 768  Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84– 209, Rn.  35 f.; Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/ Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 77  f., 183. Zum Rechtsschutz in diesen Fällen s. ausführlich Wolf-Rüdiger Schenke, Gerichtliche Kontrolleröffnung gegenüber Plänen, insbesondere gegenüber Raumordnungs- und Flächennutzungsplänen, in: Wilfried Erbguth/Winfried Kluth



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lung des § 10 Abs. 1 BauGB als Satzung, in Berlin nach § 6 Abs. 5 BerlAGBauGB als Rechtsverordnung und in Hamburg gem. § 3 Abs. 1 und 2 HmbBauleitplanungsfeststellungsgesetz als Rechtsverordnung oder als Gesetz. Der Bebauungsplan weist dementsprechend „Elemente eines allgemeinen Rechtssatzes“ auf.769 Gleichzeitig changiert er materiell aber auch zwischen Verwaltungsakt und Rechtssatz.770 Die Bebauungsplanung trifft nämlich den Einzelnen konkret und jetzt, indem der Bebauungsplan durch seine konkreten Regelungen für einzelne Grundstücke dinglichen Einzelfallregelungen gleicht.771 Da er eine Satzung ist, kann er direkt nur im Wege der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO angegriffen werden.772 Abschließend lässt sich festhalten, dass sich in der Bauleitplanung vor allem kollektive Selbstbestimmung konkretisiert, wenngleich auch die individuelle Selbstbestimmung zum Tragen kommt. Dieser Befund des Schwerpunkts kollektiver Selbstbestimmung wird von den Eigenschaften der Bauleitpläne, also der „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. der Determiniertheit der Entscheidung, ihrer „zeitliche Orientierung“ und ihrer „Reichweite“ bestätigt. So ist der Bauleitplan wie alle Planung „stets auch zukunftsorientiert und auf Zukunftsgestaltung gerichtet“.773 Die „Reich­weite“ umfasst grundsätzlich den gesamten gemeindlichen Raum und nicht Einzelprojekte. Anders als der Planfeststellungsbeschluss774 besitzt die Bauleitplanung grundsätzlich noch keine Genehmigungswirkung. Ebenso (Hrsg.), Planungsrecht in der gerichtlichen Kontrolle, Kolloquium zum Gedenken an Werner Hoppe, 2012, S. 73–101, 84 ff. 769  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 87. 770  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S.  1361–1369, 1363 f. 771  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 87. Außerdem sei hier noch erwähnt, dass zunehmend Einzelprojekte durch Bebauungspläne geplant werden, s. Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84–209, Rn. 8 m. w. N. 772  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 184; Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84– 209, Rn. 72. 773  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 98. Zu Abwägung s. auch ausführlich Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/ Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 37 ff. 774  S. dazu oben S. 265.

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wie die Raumplanung ist sie Gesamtplanung, da sie den ganzen Raum im Blick hat.775 Bauleitpläne dienen ähnlich wie die Raumordnungspläne der gesamtplanerischen Aufgabenwahrnehmung.776 Außerdem ist die gemeindliche Bauleitplanung rechtlich weniger determiniert als im Fall einer gebundenen oder einer Ermessensentscheidung. Dies zeigt sich schon daran, dass es sich hierbei um eine, wenngleich pflichtige, Selbstverwaltungsaufgabe handelt. Die Bauleitplanung ist räumliche Planung durch die Gemeinden im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie und ist „ein gestalterischer, schöpferischer, technischer, letztlich politischer Entschei­ dungsprozess“.777 Dieser Entscheidungsprozess wird auch als mehrphasiger und informationsverarbeitender Prozess verstanden, dessen Besonderheit in der Komplexität „zu verarbeitenden Problemstoffes“ besteht.778 Aus dieser Komplexität folgt, dass der Prozess „durch ein hohes Maß an wertenden und prognostischen Elementen gekennzeichnet ist, der nicht ohne Beurteilungs- und Gestaltungsspielräume der Planer durchführbar ist. Dieser Umstand spricht dagegen, Verlauf und Ergebnis der Bauleitplanung rechtlich im Einzelnen vorzuprogrammieren. Sinnvolle administrative Raumplanung ist nicht als mechanistischer Gesetzesvollzug vorstellbar.“779

Es besteht also ein entsprechender Planungsspielraum,780 der sich vor allem im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB offenbart. Danach sind, wie üblich, die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.781 Allerdings ist die Bauleitplanung als letzte Stufe der Raumplanung in vielfacher Hinsicht durch die vorhergehenden Planungsstufen rechtlich gebunden und vordeterminiert. So darf die Bauleitplanung 775  Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84– 209, Rn. 6. 776  Wilfried Erbguth, § 30 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 4. 777  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 2. 778  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 98. Zur Abwägung s. auch ausführlich Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 37 ff. 779  Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 98. Zur Abwägung s. auch ausführlich Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 37 ff. 780  BVerwG, DVBl. 1969, S. 414. 781  Gem. § 2 Abs. 3 BauGB sind die Belange, die für die Abwägung bedeutend sind, zu ermitteln und zu bewerten.



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im konkreten Fall nicht gegen Baurecht, vor allem das Abwägungsgebot und anderweitige Bundesnormen verstoßen. Die Ziele der Raumordnung sind nach § 1 Abs. 4 BauGB ebenso wie die der nach § 38 BauGB privilegierten Fachplanungen782 verbindlich. Die Grundsätze des § 1 Abs. 6 BauGB sind hingegen nur zu berücksichtigen. Trotz der grundsätzlichen Orientierung in Richtung kollektive Selbstbestimmung zeigen sich hier auch Elemente individueller Selbstbestimmung. bb) F  rühe Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 1 BauGB) und Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren (§ 3 Abs. 2 BauGB) Das Beteiligungsverfahren in der Bauleitplanung ist doppelt ausgestaltet, jeweils handelt es sich um eine Jedermannbeteiligung (1). § 3 Abs. 1 BauGB sieht zunächst eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vor (2), § 3 Abs. 2 BauGB regelt dann die darauffolgende förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung (3). (1) Jedermannbeteiligung im Bauplanungsrecht Beide Beteiligungsformen zeichnen sich dadurch aus, dass entsprechend der Orientierung der staatlichen Entscheidung in Richtung kollektive Selbstbstimmung die Beteiligung bei der Bauleitplanung die gesamte Öffentlichkeit umfasst. § 3 Abs. 1 BauGB geht sogar so weit, ausdrücklich festzuschreiben, dass auch Kinder und Jugendliche Teil der Öffentlichkeit sind. Die nach Abs. 2 von statt gehende Öffentlichkeitsbeteiligung ist passivisch formuliert und benennt damit den Akteur der Beteiligung nicht. Sie unterscheidet sich nicht von der des Absatzes 1.783 Damit wird hier darauf verzichtet, die Beteiligungsmöglichkeiten auf die betroffene Öffentlichkeit zu beschränken oder auf die Einwohner der Gemeinde, des Gemeindeverbandes oder des Plangebiets. Vielmehr ist eine wahre Jedermannbeteiligung jedes Einzelnen vorgesehen. Auch hieran zeigt sich, dass die Bauleitpläne mehr kollektiver Selbstbestimmung dienen als die Planfeststellung.

782  So Walter Krebs, Baurecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, S. 433–546, Rn. 103 m. w. N. Ebenso Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 237. 783  Ebenso Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/ Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 147.

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(2) Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB Zunächst gilt gem. § 3 Abs. 1 S. 1 BauGB der Grundsatz,784 dass die Öffentlichkeit möglichst frühzeitig über die allgemeinen Ziele und Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende Lösungen, die für die Neugestaltung oder Entwicklung eines Gebiets in Betracht kommen, sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten ist. Der Begriff „frühzeitig“ wird nicht näher definiert. Die Beteiligung muss nach Beginn der Planung, also nach der öffentlichen Bekanntmachung des Planaufstellungsbeschlusses,785 und vor der Fertigstellung des Planentwurfs, an den sich die zweite Öffentlichkeitsbeteiligung anschließt, stattfinden.786 Ansonsten kann die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zu Änderungen im Planentwurf führen. Dies würde aber der Funktion des Beteiligungsverfahrens widersprechen.787 Die Beteiligung wird anders als im Verfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB nicht im Wege eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vorgenommen, sondern findet als Erörterung statt. Durch das Erfordernis einer Erörterung wird verdeutlicht, dass es einen, wie auch immer gearteten, Austausch zu geben hat.788 Dies gibt den Gemeinden Raum für Experimente.789 Die Gemeinde muss sich ebenso wie bei den Fristen an der Geeignetheit des 784  S. die

Ausnahme dazu in § 3 Abs. 1 S. 3 BauGB. Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363. Der Planaufstellungsbeschluss muss gem. § 2 Abs. 1 S. 2 BauGB bekanntgegeben werden. 786  Michael Krautzberger, § 3 BauGB, in: Werner Ernst/Willy Zinkhahn/Walter Bielenberg/ders. (Begr./Hrsg.), Baugesetzbuch. Loseblatt-Kommentar, 140. Ergänzungslieferung Stand Oktober 2020, Rn. 19. 787  So für die Beteiligung in der Strategischen Umweltprüfung Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 14; Erich Gassner, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Kommentar, 2006, § 14i Rn. 8. Bei Gärditz heißt es auch: „Im Übrigen muss die mit der Auslegung einhergehende Information der Öffentlichkeit so frühzeitig erfolgen, dass sie einen öffentlichen Diskurs über den Inhalt des Plans oder des Programms in Gang setzen kann und das sich hierbei herauskristallisierende Meinungsspektrum Eingang in etwaige Einwendungen nach Abs. 3 finden kann.“ Ähnlich auch Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bauund Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 129. 788  Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84– 209, Rn. 88. 789  Hier ist etwa an eine Bürgerversammlung zu denken oder auch ein schrift­liches Verfahren, so Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/ Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 129; Michael Krautzberger, § 3 BauGB, in: Werner Ernst/Willy Zinkhahn/Walter 785  Ivo



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Verfahrens orientieren.790 An den eher ungenauen Vorgaben der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung – so ist neben Fristen beispielsweise auch nicht geregelt, wie mit dem Ergebnis umzugehen ist – wird deutlich, dass es um eine eher informelle Form der Öffentlichkeitsbeteiligung handelt. (3) Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach § 3 Abs. 2 BauGB Das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren nach §  3 Abs.  2 BauGB erfolgt, sobald ein beschlussfähiger Planentwurf vorliegt. Die Entwürfe der Bauleitpläne müssen mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen791 für die Dauer eines Monats öffentlich ausgelegt werden. Ort und Dauer der Auslegung sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, sind mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen. Dazu gehört nach § 27a VwVfG auch die Bekanntmachung im Internet. Es ist darauf hinzuweisen, dass Stellungnahmen während der Auslegungsfrist abgegeben werden können, dass nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen bei der Beschlussfassung über den Bauleitplan unberücksichtigt bleiben können und, bei Aufstellung eines Bebauungsplans, dass ein Antrag nach § 47 VwGO präkludiert ist, soweit mit ihm Einwendungen geltend gemacht werden, die vom Antragsteller im Rahmen der Auslegung nicht oder verspätet geltend gemacht wurden, aber hätten geltend gemacht werden können. Die Behörde hat die fristgemäß abgegebenen Stellungnahmen zu prüfen und das Ergebnis mitzuteilen. Haben mehr als 50 Personen Stellungnahmen mit im Wesentlichen gleichem Inhalt abgegeben, kann die Mitteilung dadurch ersetzt werden, dass diesen Personen die Einsicht in das Ergebnis ermöglicht wird; die Stelle, bei der das Ergebnis der Prüfung während der Dienststunden eingesehen werden kann, ist ortsüblich Bielenberg/ders. (Begr./Hrsg.), Baugesetzbuch. Loseblatt-Kommentar 140. Ergänzungslieferung Stand Oktober 2020, Rn. 20. 790  Vgl. Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/ Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 129. 791  Eine Umweltprüfung ist gem. § 2 Abs. 4 BauGB durchzuführen. Dies hat jedoch keine Folgen für die Öffentlichkeitsbeteiligung, da die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 BauGB der Öffentlichkeitsbeteiligung aus dem UVPG nach § 4 UVPG vorgeht. Die im Regelfall nötige UVP ist im Übrigen in das Verfahren integriert. Vgl. ausführlich zur UVP i. R. d. Aufstellung von Bauleitplänen Martin Wickel, Bauplanung, in: Dirk Ehlers/Michael Fehling/Hermann Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Planungs-, Bau- und Straßenrecht, Umweltrecht, Gesundheitsrecht, Medien- und Informationsrecht, 4. Aufl. 2020, S. 84–209, Rn. 77 ff.; s. auch Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361– 1369, 1363.

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bekannt zu machen. Bei der Vorlage der Bauleitpläne nach § 6 BauGB oder § 10 Abs. 2 BauGB sind die nicht berücksichtigten Stellungnahmen mit einer Stellungnahme der Gemeinde beizufügen. Die Einwendungen der Öffentlichkeitsbeteiligung sind zu berücksichtigen. Gemäß § 4a Abs. 1 BauGB dient die Öffentlichkeitsbeteiligung, neben der Information der Öffentlichkeit, der vollständigen Ermittlung und zutreffenden Bewertung der von der Planung berührten Belange. Diese fließen in die Abwägung ein: In der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB sind die privaten und öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen. Die Belange müssen zunächst dahingehend geprüft werden, ob sie abwägungserheblich sind (§ 3 Abs. 2 S. 4 BauGB). Durch die Prüfungspflicht der Einwendungen werden die Stellungnahmen integraler Bestandteil der Abwägung.792 Abwägungserheblich sind die Einwendungen etwa dann nicht, wenn sie keine städtebau­ lichen Gründe oder kein schützenswertes Vorbringen darstellen oder entsprechend § 4a Abs. 6 BauGB zu spät vorgebracht wurden.793 Auch können unter Umständen nur bestimmte Belange abwägungserheblich sein, etwa nur solche von Personen, die im Plangebiet leben.794 Das Bundesverwaltungsgericht befand in einem Fall, in dem es um einen Eigentümer ging, der außerhalb des Plangebiets lebte, dass es sich „von selbst“ verstehe, dass auch das Interesse außerhalb des Plangebiets ansässiger Anlieger ein abwägungsrelevantes, schutzwürdiges Privatinteresse bilden könne.795 Der Gemeinderat ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jeder Einwendung im Einzelnen auseinandersetzen. Ebenso wenig trifft ihn eine detaillierte Dokumentationspflicht. § 3 Abs. 2 S. 4 BauGB verlangt lediglich, dass die einzelnen Einwendungen ih792  Alexander Schink, §  3 BauGB, in: Willy Spannowsky/Michael Uechtritz (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 51. Edition Stand: 1. Mai 2020, Rn. 119. Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 149. BVerwGE, NVwZ 2000, S. 676, 677 f.; OVG Münster, BauR 2013, S. 896, II. 2. c) aa). 793  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 149. § 4 a Abs. 6 BauGB schränkt allerdings die Tatsachen, die nicht beachtet werden dürfen, auf solche ein, von denen die Behörde nicht wusste oder nicht wissen musste und die nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Bauleitplans führen. 794  Das scheinen Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn. 39 zu tun, sagen es aber nicht ausdrücklich: Es versteht sich von selbst, dass auch das Interesse außerhalb des Plangebiets ansässiger Anlieger, von der Überlastung eines Weges, der auch der Erschließung ihrer Grundstücke dient, verschont zu bleiben, ein abwägungsrelevantes, schutzwürdiges Privatinteresse bildet und eine Antragsbefugnis i. S. von § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO begründen kann. 795  BVerwG, NVwZ 2001, S. 431, 432.



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rem Kerngehalt nach erwähnt und dargestellt werden und diese dann entsprechend jeweils mit einer Stellungnahme oder mit Vorschlägen durch die Verwaltung kontrastiert werden.796 cc) Bewertung: Vorbildcharakter der doppelten Öffentlichkeitsbeteiligung Die Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung, die kollektiver Selbstbestimmung dient, besitzt Vorbildcharakter.797 Dies liegt vor allem daran, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung in der Bauleitplanung zweistufig aufgebaut ist. Das Bauplanungsrecht wird seinem Ruf als „Referenzgebiet für den gesamten Bereich der Planung“798 hier einmal mehr gerecht, indem es neben dem schon bekannten Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren, das jedermann offensteht, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. Der Vorbildcharakter besteht außer in dem doppelten Verfahren und der doppelten Beteiligung darin, dass die Öffentlichkeit sich beteiligen darf, bevor ein Planentwurf besteht. Dies ist in dieser Form einzigartig. Selbst die 2013 in das VwVfG eingeführte sog. frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, die sich erklärtermaßen das Verfahren aus § 3 Abs. 1 BauGB zum Vorbild genommen hat, kommt nicht an dieses Vorbild heran. Der neue § 25 Abs. 3 VwVfG verpflichtet lediglich die Behörde, auf den Vorhabenträger so einzuwirken, dass dieser selbst und auf eigene Kosten die Öffentlichkeit beteiligt.799 Das Besondere im Baurecht ist also der verpflichtende Charakter der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung. Die zweite Stufe der Beteiligung entspricht dem üblichen Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht: Jeder Einzelne darf Einwendungen erheben, die vom Planungsträger zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung verbleibt beim Staat. So wird kollektive und individuelle Selbstbestimmung ausbalanciert. Außerdem erhöht Partizipation auf diese Weise die Legitimation gemeindlicher Planungshandlungen. Dies ist insbesondere deshalb nötig, weil sowohl die sachlich-inhaltliche Legitimation wegen der finalen Programmierung der Planung nur gering ausgeprägt ist und die personellorganisatorische Legitimation auf der untersten Verwaltungsebene gar nicht 796  OVG Münster, BauR 2013, S. 896, II. 2. c) aa); Alexander Schink, § 3 BauGB, in: Willy Spannowsky/Michael Uechtritz (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar BauGB, 51. Edition Stand: 1. November 2018, Rn. 119 797  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363: „Muster einer Öffentlichkeitsbeteiligung.“ 798  So Rainer Wahl, Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 54. 799  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1366.

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existiert. Insgesamt zeigt sich der partizipative Staat auch und gerade im Bauplanungsrecht. b) Weitere kommunale Planung: Von Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren zu freiwilliger Beteiligung Neben der Bauleitplanung findet Planung auf Kommunalebene auch durch Sozialplanung, Sportentwicklungsplanung und Personennahverkehrsplanung statt. Wie alle Planung ist auch diese Planung zukunftsorientiert, betrifft einen größeren Personenkreis und belässt aufgrund ihrer finalen Programmierung der Verwaltung Gestaltungsspielräume. Somit geht es auch hier ebenso wie bei der Bauleitplanung im Schwerpunkt um die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, was sich zumindest teilweise in den Beteiligungsformen niederschlägt. So sieht etwa das SGB VII für die von der Sozialplanung Betroffenen ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren vor (aa)). Dies gilt aber nicht für die Sportentwicklungsplanung oder Personennahverkehrsplanung (bb)). Außerhalb von gesetzlichen Vorgaben zur Beteiligung wenden sich immer mehr Kommunen ihren Einwohnern zu und binden sie bei Entscheidungen, die der kollektiven Selbstbestimmung dienen ein, obwohl dafür keine landes- oder bundesgesetzliche Grundlage besteht. Diese Beteiligungsformen verpflichten die Gemeinde aber in keiner Weise, weshalb sie aus dem Partizipationsbegriff herausfallen (cc)). aa) S  ozialplan: Kollektive Selbstbestimmung durch Betroffene in Form eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens Das SGB VII sieht vor, dass die Gemeinden durch die Jugendämter gem. § 79 SGB VIII einen Jugendhilfeplan, einen Kita-Bedarfsplan sowie einen Schulentwicklungsplan zu erstellen haben. Bei der Jugendhilfeplanung, die auch die Kita-Bedarfsplanung (ggf. i. V. m. Landesgesetzen wie etwa § 8 SächsKitaG) und die Schulentwicklungsplanung (ggf. i. V. m. den Landesgesetzen) umfasst, ist nach § 80 SGB VIII eine Betroffenenbeteiligung sicherzustellen.800 § 80 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII sieht vor, dass die „Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Erziehungsberechtigten“ Berücksichtigung finden müssen. Dementsprechend handelt es sich bei dieser Öffentlichkeitsbeteiligung um ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren, das die Legitimation der Jugendhilfeplanung steigert. 800  Britta Tammen, § 80 SGBV VIII, in: Johannes Münder/Thomas Meysen/Thomas Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar. SGB VIII. Kinder- und Jugendhilfe, 8. Aufl. 2018, Rn. 13.



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bb) S  portentwicklungs- und Personennahverkehrsplanung: Kollektive Selbstbestimmung ohne Beteiligung Keine Beteiligung findet hingegen bei der Erstellung von Sportstättenentwicklungsplänen statt. Diese werden von der Gemeinde erstellt, beruhen auf der Gemeindesatzung und werden vor allem deshalb erlassen, weil die Förderrichtlinien der Länder für den Sportstättenbau sie als Voraussetzung für die Förderung verlangen.801 Hier ist ebenso Raum, die Öffentlichkeit zu beteiligen wie bei der Erstellung der (regionalen) Personennahverkehrspläne. Nahverkehrspläne beruhen auf Landesgesetzen, etwa dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern oder Nordrhein-Westfalen.802 In ihnen werden Mindestanforderungen an das Angebot für den Öffentlichen Personennahverkehr festgestellt, u. a. verbindliche Vorgaben und Standards zur Erschließung des Öffentlichen Personennahverkehrs, z. B. die Haltestellendichte, die Taktdichte oder die Betriebszeiten zu Qualität und Integration des Verkehrsangebots, also dem Zusammenwirken verschiedener Verkehrsmittel. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen. cc) Freiwillige Beteiligungsformen Mangelnde Beteiligung etwa bei der Sportstättenentwicklungsplanung und bei der Nahverkehrsplanung wird von immer mehr Kommunen als Defizit angesehen. So haben inzwischen manche Städte, etwa Gießen803 oder Baden-Baden804 oder Landkreise, wie der Landkreis Dahme-Spreewald,805 begonnen, auf freiwilliger Basis ihre Einwohner zu beteiligen. Dies stellt allerdings keine Beteiligung im hier verstandenen Sinne dar, da die Respon­ sivität der Gemeinden nicht ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben ist. Gleichzeitig ist es doch Ausdruck des Bedürfnisses überall dort, wo kollektive Selbstbestimmung betroffen ist, die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen und ihre Beteiligung zu ermöglichen.

801  Vgl.

§ 8 Abs. 2 Sportförderungsgesetz Berlin. NW 1995, S. 196; Bay. GVBl. 1996, S. 336. 803  Speziell zum Nahverkehrsplan 2020: https://giessen-direkt.de/ecm-politik/ giessen/de/flexPrjList/54365/project/102. 804  https://www.baden-baden.tv/Baden-Baden/Amtsstube/2013/10/22/Nahverkehrs plan-Buergerbeteiligung-auch-per-Internet-auf-wwwbaden-badende1382461031.htm. 805  Für Nahverkehrsplan 2021: https://www.dahme-spreewald.info/de/seite/58357. html. Für Nahverkehrsplan 2015: https://www.dahme-spreewald.info/de/seite/10409. html. 802  GBl.

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4. Die Sicherung individueller Selbstbestimmung durch einen gewählten Bürgermeister: Ein Systembruch? In allen Gemeindeordnungen wird die Wahl der Hauptverwaltungsstelle, des „administrativen Teilsystem[s] der Gemeinde“,806 d. h. des Bürgermeisters, dem Gemeindevolk übertragen. Dies scheint einen Systembruch darzustellen, dient doch eine Wahl als Entscheidung des Volkes der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Diesem (vermeintlichen) Widerspruch ist im Folgenden nachzugehen. Dabei wird sich zeigen, dass der Bürgermeister sowohl kollektive Selbstbestimmung ermöglicht als auch individuelle Selbstbestimmung schützt und aufgrund dieser Vereinigung verschiedener Aufgaben in einer Person eine Wahl des Bürgermeisters aus legitimatorischen Erwägungen heraus notwendig ist. Der Bürgermeister wird als Vorsitzender des Gemeinderats auch in Kontexten kollektiver Selbstbestimmung, etwa als Vorsitzender des Gemeinde­rates, tätig. Dies allein rechtfertigt schon seine Wahl, auch wenn seine diesbezügliche Stellung als eher schwach anzusehen ist: er wird lediglich vorbereitend, leitend und unterstützend tätig. So besitzt der Bürgermeister ein Einspruchsrecht, nach dem er die Beschlüsse des Gemeinderates rügen darf oder ggf. sogar muss, wenn sie gegen geltendes Recht oder auch gegen das Wohl der Gemeinde verstoßen.807 Hier wirkt er also vornehmlich nach innen. Z. T. wirkt er aber auch nach außen. So können gewisse Beschlüsse des Gemeinderats dem Bürgermeister übertragen werden. Diese abgeleiteten Befugnisse sind ­jedoch limitiert. Es bestehen Restriktionen hinsichtlich der Materie, die übertragen werden darf, zudem ist die Übertragung jederzeit widerrufbar. Neben dem Vorsitz des Gemeinderats ist der Bürgermeister Leiter der Gemeindeverwaltung und wird damit „janusköpfig“808 tätig. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, stehen ihm organisations- und dienstrechtliche Befugnisse zu, die die Geschäftsleitung und interne Aufgabenverteilung betreffen.809 Des Weiteren nimmt der Bürgermeister nach den meisten Gemeindeordnungen die Willensbildung im Rahmen der sogenannten Geschäfte der laufenden Verwaltung wahr.810 Hierbei geht es um „Geschäfte, die in mehr 806  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 98. 807  S. z. B. § 52 Abs. 2 SächsGemO. 808  Liv Jaeckel/Fritz Jaeckel, Kommunalrecht in Sachsen, 2002, Rn. 133. 809  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 134. 810  § 44 Abs. 2 GemO BW; § 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf (nur der hauptamtliche Bürgermeister); § 38 Abs. 3 2 KV MV (hauptamtliche Bürgermeister); § 47 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 GemO RP; § 59 Abs. 3 KSVG SL; § 53 Abs. 2 S. 1 SächsGemO; § 66 Abs. 1 KVG LSA; § 55 Abs. 1 bzw. § 65 Abs. 1 GO SH (hauptamtliche Bürgermeis-



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oder weniger regelmäßiger Wiederkehr vorkommen und zugleich nach Größe, Umfang, Verwaltungstätigkeit und Finanzkraft der beteiligten Gemeinde von sachlich weniger erheblicher Bedeutung sind“.811 Beispiele sind der Einkauf von Büromaterial, die Vergabe der kommunalen Turnhallen und unter Umständen auch der Erlass von Verwaltungsakten. Diese Geschäfte der laufenden Verwaltung sind für die Frage, ob der Bürgermeister kollektiver und/oder individueller Selbstbestimmung dient, dementsprechend nicht entscheidend. Anders hingegen das Polizei- und Ordnungsrecht, für das der Bürgermeister zuständig ist. Dieses zielt eindeutig auf die Sicherung individueller Selbstbestimmung ab, weshalb „ihre Erledigung […] der demokratischen Selbstbestimmung durch die Gemeinde entzogen [ist]“.812 Dieser Entzug einer örtlichen Angelegenheit aus dem Aufgabenbereich des Gemeinderats wird mit einem hohen Interesse „an einem landesweit einheitlich garantierten und nicht vom Ermessen der Selbstverwaltung abhängigen Schutz der Individualrechtsgüter bzw. der Durchsetzung der gesamten Rechtsordnung“813 und damit dem Schutz individueller Selbstbestimmung erklärt. Gerade im Ordnungsrecht zeigt sich aber auch, dass der Bürgermeister in Ausnahmefällen auch Entscheidungen trifft, die kollektive Selbstbestimmung betreffen. Im Polizei- und Ordnungsrecht sehen die entsprechenden Gesetze der Länder nämlich die Ermächtigung zur Rechtsverordnungsgebung vor, die grundsätzlich vom Bürgermeister wahrgenommen wird.814 Dass Rechtsverordnungen als materielle Gesetze kollektive Selbstbestimmung fördern, wurde schon oben festgestellt.815 Auch im Gewerbe- und Umweltrecht finden sich entsprechende Ermächtigungen.816 Hinzu kommt, dass die repräsentative ter); § 29 Abs. 2 Nr. 1 ThürKO; vgl. zu Art 37 Abs. 1 BayGO: BayVGH, NVwZ -RR 2007, S. 405. S. auch Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 115. 811  BGH DVBl. 1979, 514; BGHZ 92, 164, 173 f.; NJW-RR 1991, 223; dazu Anna Leisner-Egensperger, „Geschäfte der laufenden Verwaltung“ im Kommunalrecht, VerwArch 2009, S. 161–191. 812  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 35. 813  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 35. 814  S. etwa §§ 26, 32 Abs. 2 BbgOBG.; § 10 PolG BW; §§ 48, 49 BremPolG; §§ 71 ff. HessSOG; § 17 Abs. 1 SOG MV; § 55 Nds. SOG; §§ 26, 27 OBG NRW; § 43 POG RP; § 59 PolG SL; § 9 SächsPolG; § 94 SOG LSA; § 175 Abs. 1 LVwG SH; § 27 ThürOBG. – Bayern verfügt in Art 12 ff. BayLStVG über eine Vielzahl spezieller Verordnungsermächtigungen. 815  S. oben S. 60 ff. 816  Hans Christian Röhl, Kommunalrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 301–425, Rn. 154.

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und integrative Funktion des Bürgermeisters nicht zu unterschätzen ist und diese die Allgemeinheit der Einwohner und damit die Sphäre kollektiver Selbstbestimmung trifft. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Gemeindeverwaltung zuvorderst kollektive Selbstbestimmung ermöglicht, der Bürgermeister hingegen eher individuelle Selbstbestimmung sichert. Jedoch wird der Bürgermeister nicht nur aufgrund gesetzlicher Anordnung auch zum Erlass von Verordnungen ermächtigt, sondern ist auch Vorsitzender des Gemeinderats. Daneben ist seine repräsentative Funktion nicht zu unterschätzen. Mit seiner Person und Persönlichkeit kann und soll er kollektive Selbstbestimmung fördern und ermöglichen. Seine Wahl wirkt aufgrund seiner Tätigkeit auch in Zusammenhängen kollektiver Selbstbestimmung legitimierend. Partizipation ersetzt hier den personell-organisatorischen Legitimationsmodus. Das rechtfertigt es, neben der historisch in der süddeutschen Ratsverfassung schon lange vor­ gesehenen Direktwahl des Bürgermeisters, die in den 1990er Jahren überall eingeführte Wahl des Bürgermeisters. Da der Bürgermeister zumindest auch kollektive Selbstbestimmung fördert, handelt sich bei der Wahl des Bürgermeisters also nicht um einen Systembruch, aber doch um eine Besonderheit. 5. Bewertung: Die legitimierende Wirkung der echten Öffentlichkeitsbeteiligung auf Gemeindeebene durch Wahlen, Abstimmungen sowie Einwendungsund Berücksichtigungsverfahren Territoriale Selbstverwaltung dient kollektiver und individueller Selbstbestimmung gleichermaßen. Entsprechend passen sich die Beteiligungsformen an. Dies geschieht auf andere Art und Weise als in dem bislang erkundeten Verwaltungshandeln. Die Besonderheiten der Selbstverwaltung kommen hier zum Tragen. Territoriale Selbstverwaltung folgt vornehmlich den Partizipationsformen, die aus der Legislative bekannt sind, also Wahlen und Abstimmungen. Diese legitimieren die Ausübung von Hoheitsgewalt und ergänzen die sachlich-inhaltliche Legitimation und die über Art. 28 Abs. 2 GG vermittelte institutionelle Legitimation. So entscheiden die Einwohner, das sind nahezu alle, die in der Gemeinde wohnen, sowohl über Personal- wie auch Sachfragen durch Gemeindewahlen und Bürgerentscheide. Dies entspricht der Theorie der imperativen Partizipation in Bezug auf die gesetzgebende Gewalt. Hier zeigt sich die Besonderheit der kommunalen Selbstverwaltung: Die kommunale Ebene lässt sich gut mit der staatlichen Ebene vergleichen. Trotz aller Unterschiede bestehen wesentliche Parallelen: Der Gemeinderat erlässt wie das Parlament abstrakt-generelle Regelungen, als Verwaltungsbehörde wägt er



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wie andere Verwaltungsbehörden ab und Individualakte werden vom Bürgermeister getroffen. Dort wo Gemeinden der Legislative gleichen, nämlich im Erlass von abstrakt-generellen Regeln, folgt auch die Beteiligung dem Vorbild der Beteiligung an der ersten Gewalt: Das (Gemeinde-)Volk entscheidet durch Wahlen und Abstimmungen und legitimiert so die gemeindlichen Entscheidungen. Dort wo die Gemeinden vor allem ihre genuin exekutive Aufgabe wahrnehmen, wie etwa im Bauplanungsrecht, folgt die Beteiligung dem Beispiel der unmittelbaren Staatsexekutive. Im Rahmen der Bauleitplanung folgt Partizipation nach den aus dem allgemeinen Planungsrecht bekannten Partizipa­tionsformen. Da sich durch (Bauleit-)Planung vornehmlich kollektive Selbstbestimmung verwirklicht, darf jedermann Einwendungen erheben, diese müssen berücksichtigt werden. Die Entscheidung verbleibt beim Staat. Wie auf den anderen Planungsebenen legitimiert diese ausbalancierte Form von Partizipation die Planungsentscheidung. Sofern die Gemeinden vornehmlich individuelle Selbstbestimmung schützen, steht dem in seinen Rechten betroffenen Einzelnen ein Anhörungsrecht zum Schutz seiner Rechte zu. Auch ein solches Anhörungsrecht trägt zur Legitimation der staatlichen Entscheidung bei. Die Beteiligung in der territorialen Selbstverwaltung bestätigt die hier entworfene Theorie imperativer Partizipation: Geht es um die Verwirklichung kollektiver Selbstbestimmung, so dürfen die Gemeindeeinwohner selbst entscheiden. Geht es hingegen um die Sicherung individueller Selbstbestimmung, so besteht keine direkte Beteiligungsmöglichkeit, sofern kein subjektives Recht vorliegt, dessen Verletzung in üblicher Weise, also über Widerspruchsverfahren und ggf. eine Klage vor den staatlichen Gerichten, geltend gemacht werden muss. Durch diese Ausbalancierung legitimiert Partizipation insgesamt die Ausübung staatlicher Gewalt durch die Gemeinden. Dies ist gerade wichtig in einem Bereich, der keine organisatorisch-personelle Legitimation kennt und dessen sachlich-inhaltliche Legitimation gering ausgeprägt ist, da den Gemeinden vielfach außerhalb der Pflichtaufgaben nach Weisung ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt. II. Funktionale Selbstverwaltung und unabhängige Einrichtungen Funktionale Selbstverwaltung zeichnet sich ebenso wie die kommunale Selbstverwaltung durch eine besondere Nähe zum Einzelnen aus. Der in dem Begriff der Selbstverwaltung anklingende Begriff der Selbstbestimmung verweist hier wie dort auf die Grundidee von Demokratie, nämlich die „freie

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Selbstbestimmung aller Bürger“.817 Daher heißt es immer wieder, dass „die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie […] im demokratischen Prinzip“818 wurzeln. So sollen etwa die Kammerangehörigen selbstbestimmt über die sie betreffenden berufs- bzw. wirtschaftsbezogenen Fragen entscheiden können,819 ebenso wie die Sozialversicherten zusammen mit den Arbeitgebern innerhalb der Sozialversicherungsträger selbstbestimmt über Fragen der Sozialversicherungen entscheiden sollen. Möglichst frei von staatlichem Einfluss soll sich hier selbst verwaltet werden können, ohne staatliche Benennung der Entscheidungsträger, ohne enge Fachaufsicht und auf Grundlage relativ weit gefasster gesetzlicher Normen. Nach einem Überblick über die verschiedenen Formen der funktionalen Selbstverwaltung (1.) soll beispielhaft an einem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts gezeigt werden, dass die Legitimation von funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften – anders als die Legitimation der sonstigen Verwaltung in der Bundesrepublik – unter besonders schwerwiegenden Problemen leidet (2.). Danach gilt es, verschiedene Referenzselbstverwaltungskörperschaften dahingehend zu untersuchen, ob und wann sie mehr kollektive Selbstbestimmung ermöglichen oder mehr individuelle Selbstbestimmung schützen. Hier stellt sich auch die Frage nach der sachlich-inhaltlichen Legitimation (3.). Im Anschluss daran sollen die organisatorisch-personelle Legitimation sowie die bestehenden Einflussnahmemöglichkeiten des Einzelnen auf das Personal und die Sachentscheidungen näher analysiert werden (4.). Abschließend wird sich zeigen, dass funktionale Selbstverwaltung Ausdruck des pluralistischen oder korporativen, nicht aber des partizipativen Staates ist (5.). 1. Überblick: Verschiedene Formen funktionaler Selbstverwaltung Funktionale Selbstverwaltung findet statt durch Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts. Beispiele820 für die funktionale Selbstverwaltung sind neben den Kammern und Sozialversicherungsträgern die wasserwirtschaftlichen Verbände und die land- und forstwirtschaftlichen Verbände. Auch die Universitäten gehören zur funktionalen Selbstverwal817  BVerfGE

44, 125, 142. 33, 125, 159; Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125, 123. 819  S. BVerfG, 1 BvR 1806/98, Beschluss vom 7. Dezember 2001, Rn. 42: „Aus der Sicht des Gesetzgebers ist die Erfüllung von Wirtschaftsverwaltungsaufgaben durch die Kammern […] freiheitssichernder als durch staatliche Behörden.“ 820  Für eine umfassende Übersicht s. Winfried Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997. 818  BVerfGE



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tung.821 Neben dieser mittelbaren Staatsverwaltung durch rechtsfähige oder teilrechtsfähige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts bestehen noch andere unabhängige Einrichtungen. Diese ministerialfreien Räume wie Fachausschüsse und Kollegialorgane agieren ebenfalls weisungsfrei.822 Der Unterschied der funktionalen Selbstverwaltung zu den ministerialfreien Räumen besteht darin, dass die funktionale Selbstverwaltung „einen eigenständigen Träger hat, in der Regel eine juristische Person des öffentlichen Rechts, in deren Entscheidungsorganen die Mitglieder – in der Regel die von der Aufgabenerfüllung betroffenen Bürger – mitwirken.“823 Funktio­ nale Selbstverwaltung lässt sich als ein Unterfall des ministerialfreien Raums beschreiben,824 geht aber über ihn hinaus. Beispiele für ministerialfreie Räume, die keine funktionale Selbstverwaltung sind, sind die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien,825 Prüfungsausschüsse nach landesrechtlichen Prüfungsordnungen, der Steuerausschuss,826 die Richterwahlaus­ schüsse,827 der Bundespersonalausschuss,828 der UAG-Umweltgutachteraus­ schuss,829 der Sortenausschuss für die Getreidesortenzulassung830 oder der Börsenvorstand, der die Wertpapiermakler zulässt.831 Auch öffentlich-recht­ 821  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 173. 822  Thomas Mayen, Verwaltung durch unabhängige Einrichtungen, DÖV 2004, S. 45–55, 45; Sandra Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft, 2009, S. 32 m. w. N. 823  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 173. Ebenso Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 117: Rechtsfähigkeit und Unabhängigkeit von Fachweisungen. 824  Eckart Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974, S. 58, 66; Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 11. 825  Vgl. dazu BVerfGE 83, 130, 150 zu der damaligen auf § 8 GjS gestützten Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. 826  BVerfGE 22, 106, 111 f. 827  BVerfGE 24, 268, 274; vgl. dazu OVG Schleswig, DBVl. 1999, S. 937. 828  Hans-Peter Bull, Art.  86 GG, in: Erhard Denninger/Wolfgang HoffmannRiem/Hans-Peter Schneider/Ekkehard Stein (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, Band 2, 3. Aufl. 2001, Rn. 29. 829  Vgl. dazu Thomas Mayen, Der Umweltgutachterausschuß – ein strukturelles Novum ohne hinreichende demokratische Legitimation?, NVwZ 1997, S. 215–219, 217 f. 830  Dazu BVerwGE 62, 330, 339; 72, 339, 347. 831  BVerwGE 72, 195, 200.

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liche Unternehmungen, etwa die öffentlich-rechtlichen Versicherungen, die Sparkassen, die Landeskassen, die Brandkassen, die unterschiedlichen Eigenbetriebe oder die Deichverbände besitzen eine Organisationsstruktur, die sie aus der hierarchischen Legitimationsstruktur ausklammert. Das Gleiche gilt für die Staatskulturverwaltung, die beispielsweise die staatlichen Opern und Staatstheater umfasst, ebenso wie die Filmförderung und Rundfunk und Fernsehen. Zu den ministerialfreien Räumen werden zudem neben der Bundesbank832 u. a. das Bundeskartellamt und die Rechnungshöfe gerechnet.833 Insgesamt lässt sich von einer „in ihrer Fülle und in ihrem Variantenreichtum kaum zu überblickenden Institutionen(vielfalt)“ sprechen,834 die „den Eindruck eines nahezu undurchschaubaren Geflechts von Verwaltungseinheiten, einer kaum zu entwirrenden Vielfalt an Gliedern, Organen, Ämtern und Institutionen erweckt“835 und daher „ein hochgradig partikulares, zersplittertes, arbeitsteiliges Gefüge unterschiedlichster Teileinheiten, die große Unterschiede im Aufgabenbereich, in der Binnenorganisation, in Kontrollierbarkeit und Rechtsstatus aufweisen.“836 Im Folgenden werden sich dennoch einige entscheidende Gemeinsamkeiten offenbaren. Dazu gehören die legitimatorischen Schwierigkeiten, die mangelnde Einbeziehung von Partizipation und die Möglichkeit, durch eine stärkere Betonung von Partizipation die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung zu steigern. 2. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der funktionalen Selbstverwaltung: Duale Legitimation durch Bundes- und Landesvolk sowie „Verbandsvolk“? Funktionale Selbstverwaltung steht vor einem entscheidenden demokratischen Legitimationsproblem: der alleinige Rückgriff auf Legitimationsketten stößt hier deutlich an seine Grenzen. Zum einen fehlt vielfach der legitimie832  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 345; s. ausführlich Frauke Brosius-Gersdorf, Deutsche Bundesbank und Demokratieprinzip: eine verfassungsrechtliche Studie zur Bundesbankautonomie vor und nach der dritten Stufe der europäischen Währungsunion, 1997; Janbernd Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S.  170 ff. 833  Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 455. 834  Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 454. 835  Horst Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S.  219 f. 836  Gunnar Folke Schuppert, Verfassungsrecht und Verwaltungsorganisation, Der Staat 1993, S. 581–610, 606.



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rende Bestellungsakt der Amtswalter, da häufig nicht alle von ihnen von demokratisch legitimierten Amtswaltern ernannt werden. Stattdessen werden sie von gesetzlich bestimmten Interessengruppen entsandt oder gewählt. Zum anderen lässt der Gesetzgeber der funktionalen Selbstverwaltung durch offen formulierte Ermächtigungstatbestände und gleichzeitiger Weisungsfreiheit besondere materiell-rechtliche Freiheiten, die die sachlich-inhaltliche Legitimation in Frage stellen. Die ministerielle Leitungsgewalt wird hier substituiert durch die Selbstbestimmung der Mitglieder und Nutzer.837 Die sachlichinhaltliche Legitimation kommt ebenso wie die personell-organisatorische Legitimation also grundsätzlich nur sehr eingeschränkt zur Geltung. Die Fragen, die sich hinsichtlich der Legitimation stellen, sind dabei größer als bei der anderen Form der Selbstverwaltung, der territorialen Selbstverwaltung. Obwohl dort eine personell-organisatorische Legitimation nicht besteht und die sachlich-inhaltliche Legitimation eingeschränkt ist, steht die Legitimation der Gemeinden durch die Partizipation des Gemeindevolks einerseits sowie die Vorschrift des Art. 28 GG andererseits auf einer vergleichsweise festen Legitimationsbasis.838 Anders als bei den Gemeinden wurde die Verfassungsmäßigkeit funktionaler Selbstverwaltung dementsprechend vielfach in Frage gestellt. Sie war schon des Öfteren Gegenstand der Betrachtung rechtswissenschaftlicher Untersuchungen839 und Entscheidungen der Rechtsprechung.840 Eine endgültige Lösung des Legitimationsproblems der funktionalen Selbstverwaltung, das nicht zu Unrecht als die Gretchenfrage der demokratischen Legitimation bezeichnet wurde,841 wurde bislang jedoch nicht gefunden. 837  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 12. 838  S. oben S. 310 ff. 839  Eckart Klein, Die verfassungsrechtliche Problematik des ministerialfreien Raumes, 1974; Gunnar Folke Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbstständigte Verwaltungseinheiten, 1981; Helge Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987; Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991; Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993; Sandra Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft, 2009; Winfried Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, 1997, S. 342 ff., der kein Legitimationsdefizit erkennen kann: „[D]ie Träger der funktionalen Selbstverwaltung [verfügen] über eine direkt parlamentarisch begründete kollektive personelle Legitimation. […] Auch die sachlich-inhaltliche Legitimation der Träger funktionaler Selbstverwaltung beruht im Wesentlichen auf Parlamentsgesetzen“, S. 382. 840  S. z. B. BVerwG, NVwZ 1999, S. 870; BVerfG 33, 115; BVerfGE 107, 59, 89. 841  So Matthias Jestaedt, Demokratische Legitimation – quo vadis?, JuS 2004, S. 649–653, 650.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Die ministerialfreie Verwaltung ist unter legitimatorischen Gesichtspunkten ebenfalls bedenklich. Sowohl in der funktionalen Selbstverwaltung wie auch in der ministerialfreien Verwaltung besitzen Interessensvertreter Mitent­ scheidungsrechte. In den ministerialfreien Räumen werden die entsprechenden Personen zwar teils ausschließlich durch demokratisch legitimierte Amtswalter berufen,842 teils werden aber auch zusätzlich bestimmte, gesetzlich näher bestimmte Interessengruppen ermächtigt, Vertreter zu entsenden.843 In diesen Fällen besteht ebenso wie bei der funktionalen Selbstverwaltung (lediglich) eine abstrakt-generelle Vorherbestimmung der jeweiligen Amtswalter.844 Hinzu kommt die Weisungsfreiheit der Amtswalter. In der ministerialfreien Verwaltung dient sie v. a. dazu, Staatsfreiheit herzustellen, um so Grundrechtsverwirklichung zu stärken.845 In der funktionalen Selbstverwaltung soll sie der Ermöglichung pluralistischer Selbstbestimmung dienen und so die „mitgliedschaftlich-partizipatorische Komponente, die aller Selbstverwaltung eigen ist“ stärken.846 Dies zeigt sich besonders deutlich an einem wesentlichen Unterschied beider Verwaltungsformen: während in ­ministerialfreien Räumen immer Repräsentanten Staatsgewalt ausüben, seien es solche des Staates oder solche bestimmter Interessenverbände, können in Selbstverwaltungseinheiten auch Individuen, die keine Repräsentanten dritter Interessen sind, z.  B. in den Wasserverbänden Eigentümer von Grund­ stücken,847 Staatsgewalt ausüben. Es lässt sich daher in der ministerialfreien Verwaltung von einer „Verdünnung“ der Legitimation sprechen.848 Bei der Selbstverwaltung hingegen lässt sich von einer Verschiebung der Legitimation sprechen, die nunmehr nicht nur auf das Bundesvolk zurückgeht, sondern auch auf die autonom kollektive Selbstbestimmung der Mitglieder.849 842  Z. B.

§§ 19, 20 JuSchG. §§ 7, 8 FFG; § 21 ZDF-Staatsvertrag. 844  Hans-Georg Dederer, Organisatorisch-personelle Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, NVwZ 2000, S. 403–405, 405. 845  S. Thomas Groß, Das Kollegialprinzip in der Verwaltungsorganisation, 1999, 210 ff.; ausführlich, aber ablehnend Kay Waechter, Geminderte demokratische Legitimation staatlicher Institutionen im parlamentarischen Regierungssystem: zur Wirkung von Verfassungsprinzipien und Grundrechten auf institutionelle und kompetenzielle Ausgestaltungen, 1994, S. 108 ff. 846  BVerfGE 107, 59, 88. S. auch Reinhard Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 43 ff., 345 ff.; Sandra Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft, 2009, S. 20. 847  S. dazu unten S. 358 f. 848  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 12. 849  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 12. S. auch Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S. 498; Hans-Peter Bull, Art. 86 GG, in: Erhard Denninger/Wolfgang Hoffmann843  Z. B.



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Da nur letztes als Partizipation (miss-)verstanden wird, sollen sich die folgenden Ausführungen auf die funktionale Selbstverwaltung konzentrieren. Die Legitimationsfragen der funktionalen Selbstverwaltung wurden vom Bundesverwaltungsgericht (a)) und dem Bundesverfassungsgericht (b)) in einem vorbildhaften juristischen Dialog diskutiert, wenngleich nicht alle Fragen abschließend geklärt werden konnten (c)). a) Bundesverwaltungsgericht: Keine ausreichende Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung Ende der 1990er Jahre legte das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, inwieweit die funktionale Selbstverwaltung verfassungsgemäß ist.850 Ganz im Sinne der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Demokratieprinzip argumentierte das Bundesverwaltungsgericht, dass zwei Landesgesetze, das Emschergenossenschaftsgesetz851 und das Lippeverbandsgesetz,852 die beide funktionale Selbstverwaltungsträger im Wasserrecht zum Gegenstand hatten, gegen das Demokratieprinzip verstießen. Es bestehe keine ausreichende personell-organisatorische Legitimation der Verbandsorgane der Selbstverwaltungsträger. Die Organe bestanden u. a. aus Vertretern von Kammern oder gewerblichen Unternehmen und damit aus Amtswaltern, „die nicht in ununterbrochener Legitimationskette auf das (Staats-)Volk im Sinne der Art. 20 Abs. 2, 28 Abs. 1 GG zurückgeführt werden können“.853 Diese Involvierung Einzelner widerspräche aber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das zum einen entschieden hatte, dass Individuen, „die von einer bestimmten Ausübung von Staatsgewalt individuell betroffen sind, keine besonderen Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt werden“ dürften854 und in seiner Personalvertretungsentscheidung für den unmittelbar staatlichen Bereich festgehalten hatte, dass eine doppelte Mehrheit staatlich berufener Riem/Hans-Peter Schneider/Ekkehard Stein (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, Band 2, 3. Aufl. 2001, Rn. 28; Bodo Pieroth, Art. 86 GG, in: Hans D. Jarass/ders., Grundgesetz. Kommentar, 16. Aufl. 2020, Rn. 4; Dodo Trautmann, Die Organisationsgewalt im Bereich der bundeseigenen Verwaltung, 1998, S. 244 f. 850  BVerwG, NVwZ 1999, S. 870; ausführlich zu dem Vorlagebeschluss Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip. Anmerkungen zu dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts v. 17. Dezember 1997, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, Eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 32–58. 851  Vom 7. Februar 1990, GV NRW S. 144. 852  Vom 7. Februar 1990, GV NRW S. 162. 853  BVerwG, NVwZ 1999, S. 870, 871. 854  BVerfGE 93, 37, 69.

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Mitglieder bestehen muss: Diese müssen nicht nur in der Mehrheit sein, sondern es muss auch sichergestellt sein, dass die die Entscheidung tragende Mehrheit staatlicherseits berufen wurde.855 Ein Ausgleich durch eine sachlich-inhaltliche Legitimation käme aufgrund des fehlenden (Fach-)Weisungsrechts und vor allem aufgrund der großen Freiheit, die die gesetzlichen Vorgaben den Selbstverwaltungseinheiten ließen, nicht in Betracht: Das entsprechende Gesetz enthalte „zwar global-handlungssteuernde Regelungen […] und insbesondere eine detailliert und umfassend geregelte […] staatliche Aufsicht, die neben der Rechtsaufsicht auch Ansätze einer Fachaufsicht einschließt […]. Die gesteigerte Gesetzesbindung und die demokratisch verantwortete Aufsicht über die Einhaltung dieser Bindung vermittelt zwar eine Legitimation durch Übereinstimmung des Handelns der Organe mit dem Gesetz gewordenen Willen des Gesetzgebers. Dieser Wille hat sich jedoch nur in der Umschreibung der zugewiesenen Aufgaben und in der Bereitstellung eines rechtlichen Instrumentariums zu deren Erfüllung, nicht aber in konkreten, exakt gefassten Zielvorgaben für das Handeln der Verbandsorgane manifestiert; auch sind organisatorische Gewährleistungen dafür, dass von Interessen unbeeinflusster wasserwirtschaftlicher Sachverstand in den Organen zusammengeführt und mit Durchsetzungsfähigkeit ausgestattet wird, im Gesetz nur schwach ausgeprägt. All dies wird weitgehend den Selbstregulierungskräften der Vertreter unterschied­ licher Interessen in den Verbandsorganen überlassen.“856

Einen besonderen Schwerpunkt seiner Kritik legt das Bundesverwaltungsgericht auf den Umstand, dass Dritte von Entscheidungen der Selbstverwaltungskörperschaften betroffen sein können.857 Damit sei der Grundsatz der Selbstverwaltung nicht mehr gewahrt.858 Die Rechtsunterworfenen hätten keine Möglichkeit der Einflussnahme und seien daher fremd- und nicht selbstbestimmt. Träger von Partikularinteressen könnten hier besonders Ein-

855  BVerfGE 93, 37, 72. S. zum Ganzen Alfred Rinken, Demokratie und Hierarchie, Zum Demokratieverständnis des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, KritV 1996, S. 282–309. S. auch die Kritik von Torsten von Roetteken, Verfassung und Personalvertretungsrecht, NVwZ 1996, S. 552–554. 856  BVerwG, NVwZ 1999, S. 870, 875. Siehe die Kritik von Thomas Blanke, Antidemokratische Effekte der verfassungsgerichtlichen Demokratietheorie, in: KJ 31 (1998), S. 452–471, 466 f. 857  BVerwG, NVwZ 1999, S. 870 ff., 875, s. auch S. 873. 858  So auch Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 120. Allerdings ist einzuwenden, dass Dritte mittels des zugrundeliegenden Gesetzes durch den Gesetzgeber Einfluss nehmen können. Z. T. wird vertreten, dass im Wege der Zwangsmitgliedschaft dieses Problem umgangen werden könnte, Roman Herzog, Art. 20 GG (Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 1980, Rn. 58, zitiert nach Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 118 f., Fn. 25–27.



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fluss nehmen, was die formale Gleichheit verletze. Dies könne auch durch Aspekte bzgl. der „Sinnhaftigkeit“ nicht kompensiert werden.859 Diese Defizite in der sachlich-inhaltlichen Legitimation wie in der organisatorisch-personellen Legitimation treten ebenfalls in den anderen Selbstverwaltungskörperschaften auf. Auch hier sind die gesetzlichen Ermächtigungen weit gefasst und erlauben den Selbstverwaltungskörperschaften einen weiten Gestaltungsspielraum. Auch hier mangelt es an (Fach-)Weisungsrechten und engen gesetzlichen Ermächtigungsnormen.860 Selbstverwaltungskörperschaften sind z. T. mit Personen besetzt, die Vertreter bestimmter Interessengruppen sind. Einige von diesen Vertretern werden gewählt, etwa bei den Sozialversicherungsträgern (§ 45 SGB IV) oder den Industrie- und Handelskammern (§ 5 Abs. 3 IHKG). Andere werden sogar ohne Wahl in das entsprechende Gremium geschickt, wie es beim Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 91 SGB V) oder der Bundesagentur für Arbeit (§§ 371, 378 SGB III) der Fall ist. b) Bundesverfassungsgericht: Kein Gegensatz von demokratischem Prinzip und funktionaler Selbstverwaltung Nach der Legitimationstheorie des Bundesverfassungsgerichts scheint eigentlich kein Weg an der Verfassungswidrigkeit der funktionalen Selbstverwaltung vorbeizuführen. Das Bundesverfassungsgericht folgte dieser Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts jedoch nicht und erkannte ein ausreichendes Legitimationsniveau trotz eingeschränkter personell-organisatorischer und sachlich-inhaltlicher Legitimation. Zunächst betonte das Bundesverfassungsgericht, dass es seine vorhergehende Rechtsprechung zur Legitimation von Staatsgewalt in Hinsicht auf die unmittelbare, nicht die mittelbare Staatsverwaltung entwickelt habe. Die Maßstäbe, die im Rahmen unmittelbarer Staatsverwaltung entwickelt wurden, seien nicht unbesehen auf die funktionale Selbstverwaltung übertragbar.861 So trete neben die genannten Legitimationsmodi die institutionelle bzw. funktionelle Legitimation.862 Ausdrücklich verwies das Gericht auf 859  BVerwG, NVwZ 1999, S. 870, 874. S. insgesamt ausführlich zur Legitimation auch Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 34 ff. 860  S. aber für das Gegenbeispiel der Sozialversicherungsträger Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 166  ff.; ebenso Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 383. 861  BVerfGE 107, 59, 92. 862  BVerfGE 107, 59, 89 f.

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Art. 86, Art. 87 Abs. 2 und 3 und Art. 130 Abs. 3 GG, die belegen, dass der Verfassungsgeber die „organisatorisch gewachsenen Organisationsformen der funktionalen Selbstverwaltung als grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar anerkannt habe“.863 Es bestehe kein Gegensatz zwischen demokratischem Prinzip und Selbstverwaltung.864 Das Grundgesetz erlaube also, dass für abgegrenzte Bereiche öffentlicher Aufgaben die Einrichtung einer mittelbaren Staatsverwaltung möglich ist, solange verschiedene Voraussetzungen gewahrt werden. Dazu gehöre u. a. der „Grundsatz angemessener Interessenberücksichtigung und das Verbot der Privilegierung von Sonderinteressen“, eine Aufsicht, die selbst personell legitimiert ist865 sowie die hinreichende gesetzliche Vorherbestimmung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse.866 Damit verlangt das Bundesverfassungsgericht keine wie z. T. gefordert867 egalitärdemokratische Binnenstruktur der funktionalen Selbstverwaltungseinheiten.868 Weiterentwicklungen sind zwar gestattet, diese müssen sich aber im Rahmen der tradierten Vorgaben orientieren, eine prinzipielle Ausweitung oder gar die Installation als Regelmodell ist nicht möglich.869 Zudem betonte es, dass die Einbeziehung externen Sachverstands oder die effektive Erreichung der vom Gesetzgeber beschlossenen Zwecke und Ziele als legitima­ tionssteigernde Kriterien angesehen werden könnten.870 Hinsichtlich der Eingriffsbefugnisse von Selbstverwaltungskörperschaften in die Rechte Dritter weist es lediglich darauf hin, dass Entscheidungsbefugnisse gegenüber Dritten durch eine „modifizierte sachlich-inhaltliche Legi­ timation“871 legitimiert seien.872 Damit nimmt es implizit Bezug auf seine

863  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 178. 864  BVerfGE 107, 59, 92. 865  S. z. B. für die Rechtsaufsicht bzgl. der Sozialversicherungsträger § 87 SGB IV. 866  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 182. 867  So von Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 405 ff. 868  S. dazu auch ausführlich Hans-Georg Dederer, Korporative Staatsgewalt, 2004, S.  365 ff. 869  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demo­ kratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 193. S. auch Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S.  544 ff. 870  BVerfGE 107, 59, 92. 871  So Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 120, der dieser Ansicht widerspricht, aber in atypischen Ausnahmefällen oder Annextätigkeiten eine Hinnahme befürwortet. Dies wird aber nicht näher begründet.



Kapitel 5: Die Exekutive349

Facharzt-Entscheidung und ein Legitimationsverständnis, das im Sinne einer grundrechtlichen Wesentlichkeitstheorie argumentiert. In der Facharzt-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es ein „leitendes Prinzip“ sei, „dass Regelungen, die die Freiheit der Berufswahl und dadurch sogar schutzwürdige Interessen von Nichtmitgliedern (Berufsanwärtern) berühren, insofern also den Kreis ‚eigener‘ Angelegenheiten überschreiten, vom Gesetzgeber selbst getroffen werden müssen; allenfalls Einzelfragen fachlich-technischen Charakters könnten in dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen auch durch Satzungsrecht eines Berufsverbandes geregelt werden.“873

c) Offene Fragen: Verhältnis von funktionaler Selbstverwaltung zu Demokratieprinzip und Rechten Dritter Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der funktionalen Selbstverwaltung damit abschließend geklärt. Eine wesentliche Frage hat es aber nicht explizit beantwortet: Versteht das Bundesverfassungsgericht die funktionale Selbstverwaltung als eine Ausnahme oder eine Bestätigung des Demokratieprinzips?874 Hierüber herrscht Streit. Eine Ansicht geht von einem Gegensatz aus, demzufolge „innerhalb der Selbstverwaltungseinrichtungen […] die Wirkungen des Demokratieprinzips durch die Grundsätze der funktionalen Selbstverwaltung überlagert“ werden.875 Dafür lässt sich die Aussage des Bundesverfassungsgerichts he­ 872  BVerfGE 107, 59, 94: „Das bedeutet im Bereich der funktionalen Selbstverwaltung nicht, dass dies im Wege einer lückenlosen personellen Legitimationskette vom Volk zum einzelnen Entscheidungsbefugten zu geschehen hat. Verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter ist den Organen von Trägern der funktionalen Selbstverwaltung aus verfassungsrechtlicher Sicht aber nur gestattet, weil und soweit das Volk auch insoweit sein Selbstbestimmungsrecht wahrt, indem es maßgeblichen Einfluss auf dieses Handeln behält. Das erfordert, dass die Aufgaben und Handlungsbefugnisse der Organe in einem von der Volksvertretung beschlossenen Gesetz ausreichend vorherbestimmt sind und ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter unterliegt.“ 873  BVerfGE 33, 125, 160. 874  Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 119, geht davon aus, dass „das Gericht zwischen Demokratie und Selbstverwaltung keinen Gegensatz erblickt, sondern den Gedanken der Autonomie für ein Element des demokratischen Prinzips hält“. 875  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demo­ kratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 191, s. auch Rn. 195, dort spricht er von „begründungsbedürftiger Ausnahme­ typus“.; Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 110, gehen von einer

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ranziehen, dass „das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt“ ist.876 Für ein Verständnis als Bestätigung spricht jedoch, dass nach dem Bundesverfassungsgericht die funktionale Selbstverwaltung das Demokratieprinzip „ergänzt und verstärkt [und] als dessen Ausprägung verstanden werden“877 kann. Es hat sich damit nach Einschätzung mancher Autoren einer „pluralistischen Sichtweise der demokratischen Legitimation“ angeschlossen.878 Wieso schwankt das Bundesverfassungsgericht und drückt sich scheinbar unklar aus? Dies liegt im konkreten Fall vor allem daran, dass die funktionale Selbstverwaltung in so vielen Spielarten existiert, dass es schwierig ist, eine allgemeingültige Aussage zu treffen. Die unterschiedlichen Formen der Selbstverwaltung unterscheiden sich vor allem darin, wie die Interessen in den Gremien vertreten sind. Anders als in der territorialen Selbstverwaltung ist eine gleiche Wahl nicht zwingend vorgesehen. Vielmehr ist der Einfluss in vielen Selbstverwaltungskörperschaften gestaffelt – deshalb stellt das Bundesverfassungsgericht auch lediglich das Erfordernis der angemessenen Interessenberücksichtigung auf, ansonsten wären viele Selbstverwaltungseinheiten verfassungswidrig. Vor diesem Hintergrund ist das Bundesverfassungsgericht doch sehr klar und deutlich zu verstehen: Es bestehe kein Gegensatz zwischen beiden Prinzipien „soweit [funktionale Selbstverwaltung] der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller dient.“879 Dieser Satz enthält die entscheidende Weichenstellung. Betrachtet man die verschiedenen Formen der funktionalen Selbstverwaltung nämlich genauer, so lässt sich argumentieren, dass sie nicht notwendigerweise immer der freien Selbstbestimmung aller dienen. Dies kommt etwa aufgrund des ungleichen Wahlsystems bei der Sozialversicherung in Betracht. Dennoch können auch diese Selbstverwaltungseinheiten ausreichend legitimiert sein, da die institutionelle und funktionelle Legitimation, die schwach bis sehr schwach ausgeprägten anderen Legitimationsmodi ergänzen können. In die„Ergänzung“ und keinem „Gegensatz“ aus. Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125, 125, sieht beide Prinzipien als nebeneinanderstehend an. 876  BVerfGE 107, 59, 91. 877  BVerfGE 107, 59, 91. 878  Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 116; Reinhard Hendler, Grundbegriffe der Selbstverwaltung, in: Thomas Mann/Günter Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1: Grundlagen und Kommunalverfassung, 3. Aufl. 2007, S. 3–22, 20. 879  BVerfGE 107, 59, Rn. 168 (Hervorhebung durch den Verfasser).



Kapitel 5: Die Exekutive351

sen Fällen wird man von einem Gegensatz zwischen Demokratieprinzip und Selbstverwaltungsprinzip sprechen müssen. Hier werden dann „die Wirkungen des Demokratieprinzips durch die Grundsätze der funktionalen Selbstverwaltung überlagert“.880 Anders aber in den Fällen, in denen funktionale Selbstverwaltung „der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller dient.“881 Hier verstärkt funktionale Selbstverwaltung die demokratische Legitimation. Dann kann dementsprechend die funktionelle oder institutionelle Legitimation geringer ausfallen. Die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung beruht ebenso wie die Legitimation der kommunalen Selbstverwaltung zusätzlich zu den vier Legitimationsmodi, die alle staatlicher Natur sind, auf einer autonomen Legitimation.882 Damit bestehen zwei Legitimationsstränge. Diese duale, auf Bundesund Landesvolk einerseits sowie das Gemeindevolk bzw. hier das „Verbandsvolk“883 andererseits zurückführbare Legitimation884 soll grund880  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demo­ kratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 191. 881  BVerfGE 107, 59, Rn. 168. 882  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 95; Andreas Musil, Das Bundesverfassungsgericht und die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, DÖV 2004, S. 116–120, 119. 883  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 50, der im Hinblick auf die personelle-individuelle Legitimation davon spricht, dass das Staatsvolk das Feld räume und das Verbandsvolk nachrücke. So wohl auch Roman Herzog, Art. 20 Abs. 2 GG, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 1980, Rn. 56. Ebenso Janbernd Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 89 f., der vom „Teilvolk“ spricht. 884  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 50, 386 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 344, 349 ff.: „doppelschichtige Legitimationsordnung“, s. auch S. 379 ff.; Hans-Heinrich Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung (§ 6), in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/ Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band I, 2. Aufl. 2013, S. 341–435, Rn. 55; Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125, 125; dagegen Walter Schmitt Glaeser, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen, VVDStRL 31 (1973), S. 179–265, 217 ff.; Janbernd Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, 1986, S. 88 ff.; Joachim Becker, Demokratieprinzip und Mitwirkung Privater an der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, DÖV 2004, S. 910–915, 913. Vgl. auch BVerfGE 83, 37, 50 f.; 83, 60, 76, 81; 107, 59, 87; Josef Isensee, Kommunalwahlrecht für Ausländer aus der Sicht der Landesverfassung NordrheinWestfalens und der Bundesverfassung, KritV 1987, S. 300–308; Peter M. Huber, Das „Volk“ des Grundgesetzes, DÖV 1989, S. 531–536; Ulrich Karpen, Kommunalwahlrecht für Ausländer, NJW 1989, S. 1012–1018; Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 207 ff.; Veith Mehde, Neues Steuerungsmodell

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

sätzlich für ein ausreichendes Legitimationsniveau der funktionalen Selbstverwaltung sorgen. Die autonome Legitimation stützt sich auf die Einzelnen, die im „Verbandsvolk“ zusammengeschlossen sind. Sie beruht damit auf einem „mitgliedschaftlich-partizipatorischen Gedanken.“885 Je stärker die Legitimation durch das Bundes- und Landesvolk ausfällt, d. h. je gesteuerter die funktionale Selbstverwaltung durch den Staat im Einzelfall ist, desto weniger kommt es auf die autonome Legitimation an.886 Die autonom legitimierende Kraft der Partizipation verlangt zwar nicht notwendigerweise eine gleiche Partizipation, aber zumindest doch eine „Organisationsstruktur der Selbst­ verwaltungseinheiten[, die] ausreichende institutionelle Vorkehrungen dafür enthalten, dass die betroffenen Interessen angemessen berücksichtigt und nicht einzelne Interessen bevorzugt werden.“887 Keine autonome Legitimation wird also vermittelt, wenn nicht mehr garantiert ist, dass eine angemessene Interessenberücksichtigung innerhalb der Selbstverwaltungskörperschaft stattfindet. Um ausreichend legitimiert zu sein, kommt es in der Zusammenschau, wie es das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, auf das ausreichende Legitimationsniveau an. Trotz dieser autonomen Legitimation wird sich im Folgenden zeigen, dass Legitimationsdefizite weit verbreitet sind. Dies beruht vor allem darauf, dass nicht immer die gleiche Selbstbestimmung aller garantiert ist: Nicht immer dürfen die Einzelnen, die in ihren Interessen betroffen sind, partizipieren.

und Demokratieprinzip, 2000, S. 168 f.; Rolf Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit (§ 16), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 107–142, Rn. 20 ff., 33; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip (§ 24) in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 429–496, Rn. 26 ff.; Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 92. Differenzierend Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 30. Dazu näher Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 222, 225 f.; Michael Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 111 ff. et passim (für eine plurale Legitimation); Rolf Stober, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des Demokratie- und Sozialstaatsprinzips, GewArch 1988, S. 145–154, 147; Wolfgang Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 487 ff.; Dirk Ehlers, Die Staatsgewalt in Ketten – Zum Demokratiegebot im Sinne des Grundgesetzes, in: Heiko Faber/Frank Götz (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft. Festschrift für Ekkehart Stein zum 70. Geburtstag, 2002, S. 125–142, 132 f. 885  BVerfGE 107, 59, 88; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 350, 379 ff. 886  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 140 f. 887  BVerfGE 107, 59, Rn. 169.



Kapitel 5: Die Exekutive353

3. Funktionale Selbstverwaltung zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung Funktionale Selbstverwaltungsköperschaften dienen ebenso wie territoriale Selbstverwaltungskörperschaften sowohl individueller wie auch kollektiver Selbstbestimmung. Es kommt auf den Einzelfall, die jeweilige Selbstverwaltungskörperschaft und das handelnde Organ an. Anhand unterschiedlicher Referenzselbstverwaltungseinheiten soll im Folgenden überblicksartig he­ rausgearbeitet werden, ob die von den Selbstverwaltungsorganen zu treffenden Entscheidungen mehr individuelle Selbstbestimmung sichern oder mehr kollektive Selbstbestimmung ermöglichen sollen. Hiermit eng verbunden ist die Frage nach der sachlich-inhaltlichen Legitimation. In einem nächsten Schritt wird die personale Zusammensetzung und die (Öffentlichkeits-)Beteiligung beleuchtet. Als Referenzselbstverwaltungseinheiten wurden die Kammern ausgewählt, da sie „als der klassische Prototyp der funktionsbezogenen körperschaftlichen Selbstverwaltung“ gelten888 (a)), die Träger der Sozialversicherungen als älteste und größte Selbstverwaltungskörperschaft mit Auswirkungen auf knapp 70 Millionen Versicherte (b)), der Gemeinsame Bundesausschuss aufgrund seiner Kompetenz zur Normsetzung (c)), die Wasserverbände aufgrund ihrer verfassungsgerichtlichen Relevanz (c)) und die Bundesagentur für Arbeit, weil in ihr der Unterschied zwischen Körperschaft und Anstalt besonders deutlich wird (d)). a) Weiter Gestaltungsspielraum der Kammern Die Kammern werden unterteilt in berufsständische Kammern, die die freien Berufe erfassen,889 und die Kammern der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in denen das Handwerk, die Landwirtschaft und die gewerbliche Wirtschaft organisiert sind.890 Ihre Aufgaben ergeben sich aus dem jeweiligen sie betreffenden Gesetz und umfassen „berufliche Bildung, Standesaufsicht, Pflichtaufgaben der Wirtschaftsverwaltung i. e. S., Interessenvertretung nach außen [und] Erbringung von Dienstleistungen für die Mitglieder“.891 888  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 23. 889  Z. B. die Apothekerkammer, Architektenkammer, Ärzte-, Tierärzte- und Zahnärztekammern, Lotsenkammer, Notar-, Rechtsanwalts- und Patentanwaltskammern, Steuerberater- und Sterbevollmächtigungskammern, Wirtschaftsprüferkammern oder Kursmaklerkammern. 890  Für einen Überblick über die verschienden Kammern s. Winfried Kluth, Die Entwicklungsgeschichte der deutschen Kammern (§ 3), in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl. 2013, S. 66–91. 891  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S.  110 ff. m. w. N.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Sie sind rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.892 Kammern dienen sowohl kollektiver wie individueller Selbstbestimmung. Kollektive Selbstbestimmung wird vor allem durch den Erlass von Satzungen ermöglicht.893 Grundlegend hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Facharztbeschluss bestätigt, dass freien Kammern Satzungsgewalt zukommt. Die Satzungsautonomie ist „ein wesentliches Element der Selbstverwal­ tung.“894 Aus den Prinzipien der Selbstverwaltung und der Autonomie folge, dass der Gesetzgeber auch im Bereich berufsrechtlicher Regelungen Berufsverbände mit Satzungsgewalt ausstatten dürfe.895 Anhand der von den Rechtsanwaltskammern erlassenen Berufsordnungen soll der kollektive Selbstbestimmungscharakter der von den Kammerversammlungen erlassenen Satzungen entfaltet werden. Schon die Indikatoren „handelndes Organ“, „Rechtsform der Entscheidung“ sowie der damit eng verknüpfte „Rechtsschutz“ weisen in Richtung kollektive Selbstbestimmung: Berufsordnungen werden nach § 59b Abs. 1 BRAO als Satzungen erlassen. Satzungen sind als abstrakt-generelle Regeln ein Indikator für die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung. Ein weiterer Indikator ist, dass für den Satzungserlass das Organ zuständig ist, das von allen Mitgliedern gewählt wird, die Satzungsversammlung (§ 191a BRAO). Nur der Indikator „Rechtsschutz“ deutet in Richtung individuelle Selbstbestimmung: Wie immer sind Satzungen mittelbar und nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO als untergesetzliche Normen auch unmittelbar von den Gerichten überprüfbar, sofern das Landesrecht dies vorsieht.896 Die Eigenschaften „Intensität der Verrechtlichung“, d. h. die Determiniertheit der Entscheidung, ihre „zeitliche Orientierung“ und ihre „Reichweite“ bestätigen den Befund des Übergewichts kollektiver Selbstbestimmung. Der Inhalt der Satzung richtet sich nach § 59b BRAO. Diese sehr weit gefasste Vorschrift sieht in ihrem Absatz 1 vor, dass das Nähere zu den beruflichen 892  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 118. 893  S. oben S. 314 ff. Zur Rechtssetzungsbefugnis der Kammern s. Nicola Waldhorst, Die Kammern zwischen Kartell- und Verwaltungsorganisationsrecht, 2005, S.  35 ff. 894  So schon in BVerfGE 12, 319, 325. Kritisch Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 59 ff. 895  BVerfGE 33, 125, 160. Ähnlich in BVerfGE 130, 76, 124: „Das Legitima­ tionsniveau muss umso höher sein, je intensiver die in Betracht kommenden Entscheidungen die Grundrechte berühren.“ 896  S. zu den Ländern, die unmittelbaren Rechtsschutz gegen Rechtsverordnungen vorsehen, oben S. 212 f.



Kapitel 5: Die Exekutive355

Rechten und Pflichten durch Satzung in einer Berufsordnung bestimmt wird. Absatz 2 regelt, dass die Kammer allgemeine Berufs- und Grundpflichten, wie Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit und besonderen Berufspflichten, beispielsweise im Zusammenhang mit der Werbung und Angaben über selbst benannte Interessenschwerpunkte, regeln kann. Weitere inhaltliche Vorgaben bestehen nicht. Satzungsgebung ist somit in nur geringem Maße determiniert. Dies zeigt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das zu Recht betont, dass entscheidend sei, ob das „vom Verband gesetzte Recht seinem materiellen Inhalt nach mit höherrangigem Recht, vor allem mit dem Grundgesetz, voll in Übereinstimmung steh[t].“897 Der weite Gestaltungsspielraum wird durch die Aufsicht nicht kompensiert, da keine Fachaufsicht, sondern wie üblich bei Selbstverwaltungskörperschaften eine Rechtsaufsicht nach §§ 62 Abs. 2, 176 Abs. 2 BRAO besteht. Insgesamt besteht ein großer Gestaltungsspielraum. Außerdem regeln Satzungen die Zukunft und beziehen sich auf alle Kammermitglieder. Von ihnen geht also eine weitgehende „sachliche und personelle Reichweite“ aus. Neben der Satzung setzt die Versammlung die Maßstäbe für die Beiträge fest,898 wählt den Vorstand bzw. das Präsidium, bewilligt den Haushalt und erlässt Standes- und Ausbildungsrichtlinien bzw. -vorschriften.899 Auch diese Entscheidungen sind wenig rechtlich determiniert, betreffen (mittelbar) alle Kammermitglieder und sind auf die Zukunft gerichtet. Sie erlauben somit kollektive Selbstbestimmung. Der Vorstand hingegen kann nach § 57 Abs. 1 BRAO ein Zwangsgeld erlassen oder über den Antrag eines Anwalts auf Erteilung der Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung (§ 43c BRAO) entscheiden. Hier sind nur Einzelne betroffen, die Entscheidungen knüpfen an konkrete Ereignisse der Vergangenheit an und neben der BRAO ist auch die Satzung zu beachten. Damit scheint zwar vornehmlich die individuelle Selbstbestimmung eingeschränkt zu werden. Sie wird aber auch gleichzeitig gesichert, da die Einschränkung nur soweit gehen darf, wie das Recht dem Einzelnen individuelle Selbstbestimmung zugesteht.900 Die Kammern ermöglichen damit kollektive Selbstbestimmung und sichern individuelle Selbstbestimmung. Hierbei kommt den Kammern ein sehr 897  BVerfGE

33, 125, 160 f. (Hervorhebung durch den Verfasser). IHKG. S. dazu auch Christian Groß, Die Wahl zur Vollversammlung der Industrie- und Handelskammern, 2002. 899  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 121. Vgl. §§ 105 und 106 HandwO; §§ 85 ff., 177 BRAO. Die letzte Vorschrift ist problematisch, da so auch Dritte belastet werden können, s. ebd., S.  125 f. 900  S. dazu oben S. 60 ff. 898  § 4

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weiter Gestaltungsspielraum zu, der eine geringe sachlich-inhaltliche Legitimation offenbart. b) Weiter Gestaltungsspielraum der Träger der Sozialversicherung Die Träger der Sozialversicherung sind nach § 29 Abs. 1 SGB IV ebenfalls rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Nach Abs. 2 wird die Selbstverwaltung durch die Versicherten und die Arbeitgeber ausgeübt. Die Aufgabe der Träger ist die Fürsorge und Vorsorge der Versicherten.901 Darüber hinaus wirken sie, vor allem gemeinsam in ihren verbandsförmigen Zusammenschlüssen, faktisch auch an der Gestaltung der Sozialpolitik mit.902 Ebenso wie für die Rechtsanwaltskammern besteht hier ein Satzungsrecht. Dies führt, wie eben gesehen, dazu, dass die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung im Vordergrund steht. Die Vertreterversammlung beschließt gem. § 33 Abs. 1 SGB IV die Satzung und sonstiges autonomes Recht des Versicherungsträgers, wie Dienstordnungen, Krankenordnungen der Krankenkassen oder Unfallverhütungsvorschriften. Sie setzt u. a. die Höhe der Versicherungsbeiträge fest und sie entscheidet, ob mehr Leistungen als die gesetzlich angeordneten erbracht werden sollen.903 Spezifisch inhaltliche Anforderungen an die Satzung sieht das SGB IV nicht vor. Da Satzungen in die Zukunft gerichtet und abstrakt-genereller Natur sind, verwirklicht und ermöglicht sich auch hier kollektive Selbstbestimmung. Die Steuerung durch den Staat ist gering und damit auch die sachlich-inhaltliche Legitimation. Der Hauptgeschäftsführer führt hauptamtlich die laufenden Verwaltungsgeschäfte und vertritt den Versicherungsträger insoweit gerichtlich und außergerichtlich. Damit ist er derjenige, der über die Gewährung von Leistun901  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 143. 902  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 143. Die Träger der Krankenversicherung sind die Krankenkassen, die Bundesknappschaft, die Ersatzkassen, die Landesversicherungsanstalten, die Bundesbahnversicherungsanstalt und die Seekrankenkasse. Die Träger der Rentenversicherung sind die Landesversicherungsanstalten, die Bundesanstalt für Angestellte, die Altersklassen für Landwirte, die Bundesknappschaft und die Bundesbahnversicherungsanstalt und Seekrankenkasse. Die Unfallversicherungsträger sind die Berufsgenossenschaften, die Eigenunfallversicherungen der öffentlichen Hand, die Gemeindeunfallversicherungsverbände, die Feuerunfallversicherungskassen und die Bundesbahnversicherungsanstalt, Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 142. 903  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 160.



Kapitel 5: Die Exekutive357

gen entscheidet. Dies zeigt, dass hier individuelle Selbstbestimmung geschützt wird. c) Weiter Gestaltungsspielraum des Gemeinsamen Bundesausschusses Ein besonderes Selbstverwaltungsgremium in der Sozialversicherung ist der Gemeinsame Bundesausschuss,904 der gemäß § 91 Abs. 1 SGB V von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gebildet wird. Er besitzt die Kompetenz zur Normsetzung.905 Die Eigenschaften seiner Entscheidungen zeigen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Sie deuten in die Zukunft und ihre „sachliche Reichweite“ ist weit gefasst: So legt er nach § 137 SGB V Richtlinien fest, die u. a. verpflichtende Maßnahmen der Qualitätssicherung und Kriterien für die indikationsbezogene Notwendigkeit und Qualität der durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Leistungen, insbesondere aufwändiger medizintechnischer Leistungen vorsehen. Nach § 35 Abs. 1 SGB V legt er fest, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Diese große „sachliche Reichweite“ wird von einer großen „personellen Reichweite“ komplementiert: Nach § 91 Abs. 6 SGB V sind seine Beschlüsse mit Ausnahme der Beschlüsse zu Entscheidungen nach § 137b für die Träger nach Absatz 1 Satz 1, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und die Leistungserbringer verbindlich.906 Damit sind unterschiedliche Gruppen gebunden,907 u. a. 904  Vgl. für einen der Vorgänger des Gemeinsamen Bundesausschusses, den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125, 118. Für seine demokratische Legitimation Christian Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss. Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV, 2012, S.  107 ff. 905  S. Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125. 906  S. aber BVerfGE 115, 25. Dieses Urteil wird teilweise so interpretiert, dass die Bindungswirkung verfassungswidrig sei. So Ruth Schimmelpfeng-Schütte, Die Entscheidungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses, NZS 2006, S. 567–572, 570. Dagegen Christian Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss. Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV, 2012, S. 55 f. m. w. N. 907  Vgl. Christian Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss. Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV, 2012, S. 95 f.

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auch nicht repräsentierte Personengruppen wie Arzneimittelhersteller und Apotheker.908 „Rechtlich determiniert“ sind seine Entscheidungen kaum: In § 137 SGB V werden vor allem die Bereiche genannt, die geregelt werden sollen, aber kaum inhaltliche Vorgaben gemacht. Die Ermächtigung zum Richtlinienerlass ist inhaltlich sehr weit gefasst.909 Es zeigt sich, dass die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses kollektive Selbstbestimmung betreffen, da sie in die Zukunft gerichtet sind, einen größeren Personenkreis erfassen und inhaltliche Vorgaben kaum bestehen. Wie bei den anderen Selbstverwaltungskörperschaften weist dies auf eine niedrige sachlich-inhaltliche Legitimation hin. d) Weiter Gestaltungsspielraum der Wasserverbände Wasserverbände werden nach § 1 des Wasserverbandsgesetzes (WVG) ebenfalls als Körperschaften des öffentlichen Rechts errichtet. Ihre Aufgabe ist es, sich u. a. um den Ausbau einschließlich naturnahen Rückbau und die Unterhaltung von Gewässern, den Bau und die Unterhaltung von Anlagen in und an Gewässern, aber auch um die Abwasserbeseitigung und andere Schutz- und Regelungsaufgaben bzgl. des Wassers zu kümmern. Entsprechend diesen unterschiedlichen Aufgaben können auch ganz unterschiedliche Personen Mitglieder sein, beispielsweise Eigentümer von Grundstücken und Anlagen, Erbbauberechtigte oder auch Gemeinden. § 6 WVG gewährt das Recht, eine Satzung zu erlassen, in der u. a. Mitgliedsbeiträge festgesetzt werden (§ 30 Abs. 2 WVG) oder Beschränkungen des Grundeigentums vorgesehen sein können (§ 33 Abs. 2 WVG). Inhaltliche Vorgaben werden kaum vom WVG gemacht, was die sachlich-inhaltliche Legitimation senkt. Da Satzungen die Zukunft regeln und zumindest alle Verbandsmitglieder betreffen, wird hier – ebenso wie bei den Kammern und den Trägern der Sozialversicherung – kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Zusätzlich können die Wasserverbände Anordnungen erlassen, die die Mitglieder zu befolgen haben (§ 68 WVG). Diese Verwaltungsakte910 scheinen zwar vornehmlich die individuelle Selbstbestimmung der Mitglieder einzuschränken, sichern aber gleichzeitig auch individuelle Selbstbestimmung, 908  Dieser Umstand wird besonders deutlich durch das Anhörungsrecht dieser beiden Gruppen, § 36 Abs. 2 SGB V. 909  Christian Zimmermann, Der Gemeinsame Bundesausschuss. Normsetzung durch Richtlinien sowie Integration neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV, 2012, S. 144 ff. 910  BT-Drs. 11/6764 S. 33. S. dazu auch BVerwG, Urteil v. 22. April 2015, 7 C 8.13.



Kapitel 5: Die Exekutive359

indem sie nur soweit gehen dürfen, wie das Recht dem Einzelnen indivi­ duelle Selbstbestimmung zugesteht.911 e) Enger Gestaltungsspielraum der Bundesagentur für Arbeit Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist gem. § 367 SGB III eine rechts­ fähige bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts. Aufgabe der BA ist nach § 368 Abs. 1 i. V. m. § 1 SGB III das Entgegenwirken gegen Arbeitslosigkeit, die Verkürzung der Dauer der Arbeitslosigkeit und der Unterstützung des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Zwei Besonderheiten bestehen, ohne die der komplizierte organisatorische Aufbau der BA nicht nachvollzogen werden kann. Zum einen ist die Bundesagentur für Arbeit mehr Anstalt als Körperschaft, da sie Nutzer und keine Mitglieder hat. Zum anderen lässt sich zwischen einer Selbstverwaltungseinheit und einer staatlichen Verwaltungseinheit unterscheiden: Sie wird ohne Selbstverwaltung tätig, soweit sie der Fachaufsicht unterliegt (§ 371 Abs. 4 SGB III). Nur im Rahmen der Selbstverwaltung verwirklicht sich kollektive Selbstbestimmung, nur im Rahmen der staat­ lichen Verwaltung wird individuelle Selbstbestimmung geschützt. Organisatorisch ist die Bundesagentur als staatliche Verwaltung in eine Zentrale auf der oberen Verwaltungsebene, Regionaldirektionen auf der mittleren Verwaltungsebene und Agenturen für Arbeit auf der örtlichen Verwaltungsebene (§ 367 Abs. 2 SGB III) sowie einen Vorstand, der die Bundesagentur leitet und deren Geschäfte führt912 (§ 381 Abs. 1 SGB III), gegliedert. Als Selbstverwaltungsorgane der Bundesagentur werden nach § 371 Abs. 1 SGB III der Verwaltungsrat und die Verwaltungsausschüsse bei den Agen­ turen für Arbeit gebildet. Nach § 373 Abs. 1 SGB III überwacht der Verwaltungsrat die Verwaltung und den Vorstand, der oberstes Exekutivorgan ist. Nach Abs. 2 ist es Aufgabe der Selbstverwaltungsorgane, die Verwaltung zu überwachen und in allen aktuellen Fragen des Arbeitsmarktes zu beraten. Nach Abs. 3 gibt sich jedes Selbstverwaltungsorgan eine Geschäftsordnung, die von mindestens drei Vierteln der Mitglieder zu beschließen ist. Abs. 4 unterscheidet implizit zwischen eigenen und fremden Aufgaben und bestimmt, dass die Bundesagentur dann nicht als Selbstverwaltung tätig wird, wenn sie der Fachaufsicht unterliegt.913 Außerdem beschließt der Verwal911  S. dazu

oben S. 60 ff. T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 190 f. 913  Vgl. Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 166 f., der darauf hinweist, dass es immer um staatliche Zuwei912  S. Ernst

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tungsrat nach Abs. 5 die Satzung und erlässt die Anordnungen nach diesem Gesetz. Er besteht nach Abs. 6 aus 21 Mitgliedern. Er lässt sich als Pendant zur sozialversicherungsrechtlichen Versammlung bezeichnen und damit gut mit dem Parlament vergleichen.914 Der Verwaltungsausschuss überwacht und berät die Agentur für Arbeit bei der Erfüllung ihrer Aufgaben (§ 374 Abs. 2 SGB III). § 372 Abs. 1 und 2 SGB III sehen genauere Vorschriften zum Satzungsrecht sowie zum Anordnungsrecht vor. Die Satzung sieht rein organisatorische Regelungen vor.915 Anordnungen stellen unabhängig von ihrer umstrittenen Rechtsnatur916 in abstrakt-genereller Weise Regeln auf, wie etwa die sog. Erreichbarkeitsanordnung, nach der der Arbeitslose grundsätzlich erreichbar sein muss.917 U. U. kann auf dieser Grundlage das Arbeitslosengeld gekürzt werden. Damit regelt die Erreichbarkeitsanordnung die Zukunft, und betrifft eine hohe ­Anzahl von Menschen. Hier wird kollektive Selbstbestimmung verwirklicht, aber nur in einem engen Rahmen. Jeweils ist gem. Abs. 2 die Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales notwendig. Dies engt den Gestaltungsspielraum durch eine starke sachlich-inhaltliche Kontrolle ein und erhöht entsprechend die Legitimation. Akte, die individuelle Selbstbestimmung betreffen, werden im Rahmen der Selbstverwaltung nicht vorgenommen. Dies geschieht allein durch die staatlichen Stellen.

sungen geht. S. auch § 30 SGB IV: (1) Die Versicherungsträger dürfen nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. (2) Den Versicherungsträgern dürfen Aufgaben anderer Versicherungsträger und Träger öffentlicher Verwaltung nur auf Grund eines Gesetzes übertragen werden; dadurch entstehende Kosten sind ihnen zu erstatten. Verwaltungsvereinbarungen der Versicherungsträger zur Durchführung ihrer Aufgaben bleiben unberührt. 914  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 189 f. 915  Hans-Dieter Braun, § 372 SGB III, in: Christian Rolfs/Richard Giesen/Ralf Kreikebohm/Peter Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 60. Edition Stand: 01.03.2021, Rn. 1. 916  Hans-Dieter Braun, § 372 SGB III, in: Christian Rolfs/Richard Giesen/Ralf Kreikebohm/Peter Udsching (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, 60. Edition Stand: 01.03.2021, Rn. 2: ebenfalls Satzungen. 917  Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit 1997 Seite 1685, berichtigt Seite 1100, geändert durch 2. Änderungsanordnung zur EAO vom 26. September 2008, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Nr. 12 S. 5.



Kapitel 5: Die Exekutive361

f) Bewertung: Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und Schutz individueller Selbstbestimmung Die verschiedenen funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften erlauben alle die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und sichern bis auf die Ausnahme der Bundesagentur für Arbeit und dem Gemeinsamen Bundesausschuss auch individuelle Selbstbestimmung. Kollektive Selbstbestimmung verwirklicht sich vor allem durch Satzungen. Diese sind „in die Zukunft gerichtet“, besitzen eine große „sachliche und personelle Reichweite“ und sind „rechtlich wenig determiniert“. Die Einzelanweisungen hingegen zielen auf individuelle Selbstbestimmung: sie knüpfen regelmäßig an einen Sachverhalt in der Vergangenheit an, betreffen einzelne Personen und beruhen entweder auf einer gesetzlichen oder gar nur einer satzungsmäßigen Ermächtigung. Es zeigt sich, dass in der funktionalen Selbstverwaltung, ebenso wie in der territorialen Selbstverwaltung, zumeist individuelle wie kollektive Selbstbestimmung eine Rolle spielen. Dass immer auch kollektive Selbstbestimmung ermöglicht werden soll, bestätigt den vom Bundesverfassungsgericht bedingt angenommenen demokratischen Charakter der Selbstverwaltungskörperschaften. An dem weiten Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltungseinheiten zeigt sich, dass ihre sachlich-inhaltliche Legitimation gering ist. Außerdem kann die funktionale Selbstverwaltung gerade nicht auf eine ununterbrochene Legitimationskette zum Parlament bauen. So kann Beteiligung die Legitimation der Handlungen der funktionalen Selbstverwaltung grundsätzlich steigern, sie muss aber entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation ausgestaltet sein. 4. Beteiligung in der funktionalen Selbstverwaltung Aufgrund der typisch geringen bis nicht-existierenden organisatorischpersonellen Legitimation und der stattdessen auf die Mitglieder zurückgehenden Organisationsstruktur der funktionalen Selbstverwaltung wird sie vielfach schon in sich selbst als Ausdruck des partizipativen Staates wahrgenommen.918 So stellt sich funktionale Selbstverwaltung nach dem Bundesverfassungsgericht als „organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie berührenden Entscheidungen“ dar.919 918  BVerfGE 107, 59, 88. S. auch Reinhard Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 43 ff., 345 ff.; Sandra Köller, Funktionale Selbstverwaltung und ihre demokratische Legitimation. Eine Untersuchung am Beispiel der Wasserverbände Lippeverband und Emschergenossenschaft, 2009, S. 20. 919  BVerfGE 107, 59, 92.

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Der Realität entspricht diese Annahme jedoch kaum. Vielmehr besteht neben dem organisatorisch-personellen Legitimationsdefizit ein echtes Partizipationsdefizit, nicht nur angesichts der hier entwickelten Theorie, sondern auch angesichts des Anspruchs, dass funktionale Selbstverwaltung „der Verwirklichung des übergeordneten Ziels der freien Selbstbestimmung aller“920 dienen soll. a) Kammern: Grundsätzliche Kongruenz zwischen Beteiligten und Betroffenen Die Kammern entsprechen noch am ehesten dem Idealbild funktionaler Selbstverwaltung: Die Betroffenen entscheiden über ihre Angelegenheiten, es besteht wie im Staat und in den Kommunen eine grundsätzliche Kongruenz zwischen Beteiligten und Betroffenen. Dafür besteht keine organisatorischpersonelle Legitimation. Erreicht wird diese grundsätzliche Kongruenz mit der Zwangsmitgliedschaft.921 Das Kammerwesen zeichnet sich dadurch aus, dass es eine umfassende Beteiligung seiner Mitglieder kennt, entweder unmittelbar oder mittelbar im Wege der Vertretung. Aber auch bei dieser dem Idealbild am nächsten kommenden Form der Selbstverwaltung, kommt es in bestimmten, wenngleich nicht allen Kammern zu Abweichungen von diesem Ideal. Dies betrifft zum einen die Diskrepanz zwischen Betroffenen und Mitgliedern, zum anderen das Wahlsystem, das nicht auf Gleichheit aufbaut. In den berufsständischen Kammern sind jeweils alle Angehörigen der freien Berufe versammelt. Dies gilt aber nicht für das von ihnen abhängige Personal, wie etwa Rechtsanwaltsfachangestellte. Auswirkung auf die Rechts­ anwaltsfachangestellten hat die Rechtsanwaltskammer u. a., indem ihre Empfehlungen über die Ausbildungsvergütung von der Rechtsprechung als Richtschnur für die gemäß § 17 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz den Auszubildenden zu gewährende angemessene Vergütung herangezogen werden. Hingegen sind in den Handwerkskammern auch Lehrlinge und Gesellen (§ 90 HandwO) 920  BVerfGE

107, 59, 92. die Zwangsmitgliedschaft verfassungsrechtlich zulässig ist, ist ein rechtstaatliches, weil grundrechtliches, aber kein demokratisches Problem. Es ist ein Unterschied, ob der Staat eine Selbstverwaltungseinheit errichtet und bestimmte Personen zwingt, zum Zwecke kollektiver Selbstbestimmung Mitglied zu werden und in Folge dessen die Mitglieder durch die Selbstverwaltung in ihrer individuellen Selbstbestimmung beeinträchtigt werden. Dieser Zwang zu kollektiver Selbstbestimmung stellt einen Eingriff in die individuelle Selbstbestimmung dar und ist vor allem an Art. 12 GG zu messen. S. dazu BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 – 1 BvR 1806/98 und zuletzt BVerfGE 146, 164; Michael Sachs, Grundrechte: Schutz vor Zwangsmitgliedschaften, JuS 2017, S. 1135–1137; Stefan Muckel, Pflichtmitgliedschaft und Beitragspflicht in der IHK sind verfassungsgemäß, JA 2017, S. 878–880. 921  Ob



Kapitel 5: Die Exekutive363

Kammermitglieder. In den davon zu unterscheidenden Handwerksinnungen sind sie dies hingegen nicht (§ 61 HandwO). Die Industrie- und Handelskammern bestehen gemäß § 2 Abs. 2 IHKG aus allen natürlichen Personen, Handelsgesellschaften, anderen Personenmehrheiten und juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, welche im Bezirk der Industrieund Handelskammer eine Betriebsstätte unterhalten, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind. Damit ist die IHK die einzige Kammer, die auch juristische Personen als Mitglieder aufnimmt. Ebenso wenig wie die Rechtsanwaltskammern ist eine Mitgliedschaft der Angestellten der Kammermitglieder vorgesehen, obgleich es auch hier zu Auswirkungen etwa in der Ausbildung kommt. In der (Voll-)Versammlung sind entweder alle Mitglieder vertreten922 oder sie wird von den Mitgliedern gewählt.923 Finden Wahlen statt, so sind sie aber nicht notwendigerweise gleiche Wahlen. Das zeigen schon die Vorschriften des IHKG: Nach § 5 Abs. 1 IHKG muss die Wahl der Mitglieder der Vollversammlung durch die Kammerzugehörigen gemäß § 5 Abs. 3 IHKG näher durch die Wahlordnung geregelt werden. Diese muss Bestimmungen über die Aufteilung der Kammerzugehörigen in besondere Wahlgruppen sowie über die Zahl der diesen Wahlgruppen zugeordneten Sitze in der Vollversammlung enthalten. Gleichzeitig muss die Wahlordnung die wirtschaftlichen Besonderheiten des Kammerbezirks und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbegruppen berücksichtigen. Damit ist die Ungleichheit hier schon gesetzlich vorgesehen, so dass von einer demokratischen Teilhabe kaum gesprochen werden kann. Weiterhin problematisch ist die Möglichkeit der Kooptation.924 Hinzu kommt, dass nicht immer alle Betroffenen auch Kammermitglieder sind. In den wirtschaftlichen Kammern sind z. T. Lehrlinge und Gesellen keine Mitglieder. Sind diese Mitglieder, wie z. B. in der Handwerkskammer, dann können sie von den Handwerksmeistern überstimmt werden, denen zwei Drittel der Sitze zusteht.925 In der Handwerkskammer haben die Gesellen, die die Meister quantitativ übertreffen, ein Drittel der Sitze inne, den Lehrlingen stehen hingegen keine Sitze zu. Auch

922  §§ 60

Abs. 1, 85 ff. BRAO; §§ 61, 63 HandwO. HandwO; § 5 Abs. 1 IHKG. 924  Michael Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 204: „verfassungswidrig“; § 93 Abs. 4 HandwO; § 5 IHKG sieht dies zwar nicht vor, wird aber dementsprechend interpretiert, Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 129. Dazu auch jüngst BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2015 10 C 14.14, das zwar die Möglichkeit zur Ko­ optation aufrechterhält, aber nur in engen Grenzen. 925  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 124 f. 923  § 93

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in anderen Kammern werden bestimmten Statusgruppen bestimmte Sitzkontingente vorbehalten.926 Damit wird nur in den Fällen, in denen in der Versammlung alle Mitglieder vertreten sind, der „direktdemokratische Idealtypus der öffentlichen Kör­ perschaft“927 verwirklicht. Grundsätzlich ist der gleiche Einfluss aller Mitglieder aber nicht gesichert. Außerdem sind nicht alle Betroffenen gleich­ zeitig Mitglieder. All das verzerrt das Bild von der Selbstbestimmung der Betroffenen. Partizipation existiert, sie erinnert aber mehr an das Dreiklassenwahlrecht Preußens als an das demokratische Gefüge des Grundgesetzes. So kann Partizipation keine Legitimation vermitteln. Beteiligungsmöglichkeiten zum Schutz individueller Selbstbestimmung sind nicht speziell vorgesehen. Da nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG das Verwaltungsverfahrensgesetz auch auf die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Anwendung findet, folgt das Recht auf Anhörung aus § 28 VwVfG, sofern ein Verwaltungsakt vorliegt. Ansonsten ist unmittelbar auf das Rechtsstaatsprinzip zu rekurrieren. Dies gilt für die gesamte funktionale Selbstverwaltung. b) Sozialversicherung: Keine Gleichheit der Wahl und keine weiteren Beteiligungsverfahren Die funktionale Selbstverwaltung in der Sozialversicherung hat noch weniger mit Selbstbestimmung zu tun. Einzelne haben kaum Einfluss: Zwar dürfen sich hier anders als bei den Kammern alle Betroffenen beteiligen. Das Wahlsystem kennt aber keine Gleichheit der Wahl und eine andere Form der Beteiligung ist nicht vorgesehen. Die Vertreterversammlung setzt sich nach § 44 SGB IV je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber, d. h. paritätisch, zusammen. Auch hier fehlt es also an einer organisatorisch-personellen Legitimation. Die Vertreter werden stattdessen nach § 45 SGB IV in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen ermittelt. Nach § 49 SGB IV sind die Wahlen für die Gruppe der Versicherten auch gleich. Das Stimmrecht eines Wahlberechtigten, der zur Gruppe der Arbeitgeber gehört, bemisst sich jedoch nach der Zahl der am Stichtag für das Wahlrecht bei ihm beschäftigten, beim Ver­ sicherungsträger versicherungspflichtigen und wahlberechtigten Personen. 926  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 128; § 5 Abs. 3 IHKG; § 93 Abs. 2 HandwO. S. dazu Nicolas Ziegler, Der Lehrling als „blinder Punkt“ der demokratischen Legitimation der Handwerkskammer? WiVerw 2017, 216–224. 927  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 121.



Kapitel 5: Die Exekutive365

Problematisch aus Sicht einer möglichst exakten Kongruenz zwischen Betroffenen und Beteiligten, die Fremd- von Selbstbestimmung abgrenzt, ist, dass nach § 51 Abs. 1 SGB IV zwar grundsätzlich diejenigen wählbar sind, die beim Versicherungsträger zu einer der Gruppen gehören, aus deren Vertretern sich die Selbstverwaltungsorgane des Versicherungsträgers zusammensetzen. Nach Abs. 4 sind aber auch Personen wählbar, die außerhalb der Sozialversicherung stehen, wenn sie als Vertreter der Versicherten von den Gewerkschaften oder den sonstigen Arbeitnehmervereinigungen oder deren Verbänden, als Vertreter der Arbeitgeber von den Vereinigungen von Arbeitgebern oder deren Verbänden, als Vertreter der Selbständigen ohne fremde Arbeitskräfte von den berufsständischen Vereinigungen der Landwirtschaft oder deren Verbänden vorgeschlagen werden (Beauftragte). Der Vorstand wird dann anschließend, ebenfalls paritätisch, von der Vertreterversammlung gewählt. Ebenso wird der Hauptgeschäftsführer von der Vertreterversammlung, auf Vorschlag des Vorstands hin, gewählt (§ 36 Abs. 2 SGB IV). Dieses Beteiligungsverfahren entspricht nicht mehr dem der funktionalen Selbstverwaltung ursprünglich eigenen Dreiklang aus Mitgliedschaft, Entscheidungsbetroffenheit und Mitwirkungsbefugnis.928 Dementsprechend spricht das SGB IV auch von Versicherten und nicht von Mitgliedern. Hinzu kommt, dass es in vielen Fällen durch die Möglichkeit von Friedenswahlen929 und einem hohen Quorum für einen Wahlvorschlag, der eine spezielle Hürde für den Einzelnen darstellt, ihm Einfluss nimmt und ihn damit schon vor der Wahl mediatisiert, oft erst gar nicht zu einer Wahl kommt.930 Außerdem nehmen vor allem die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände Einfluss. Freie Listen haben kaum Erfolg, wenn sie denn überhaupt zustande kommen.931 Die paritätische Beteiligung wiederum legt „den Versuch nahe, die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmervertretung als zwei voneinander unabhängige Teilkörper zu konstruieren“.932 Letztlich wer928  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 162 ff. 929  S. dazu die Kritik bei Kirsten Rusert, Wahlen ohne Demokratie? Legitimation der Verwaltungsräte nach Friedenswahlen, Zeitschrift für Sozialreform 2013, S. 227– 253; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 383. 930  S. die Kritik bei Michael Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie und Grundgesetz, 1986, S. 202 f.; Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 105 ff. 931  Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 104 f.; Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 179. 932  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 163.

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den Arbeitgeber also kaum bis gar nicht beteiligt: Hier wird die basisdemokratische Legitimation durch eine verbandsoligarchische ersetzt.933 „Von einer breiten unmittelbaren Anbindung der Selbstverwaltung an die Gesamtheit der Versicherten und ihrer Arbeitgeber kann daher heute nicht mehr die Rede sein. […] Die Selbstverwaltung repräsentiert nicht mehr individuelle Versicherungsteilnehmer, sondern gesellschaftliche Interessengruppen.“934

Deshalb wird den Sozialversicherungsträgern teilweise sogar der Charakter einer Selbstverwaltungskörperschaft abgesprochen: „Aufs Ganze gesehen stellt die Bezeichnung der Sozialversicherungsträger als körperschaftliche Selbstverwaltungseinrichtungen eine missdeutende Beschreibung ihres Status dar. Dies nicht nur wegen der weitreichenden materiellen Steuerungsmöglichkeiten des Staates, sondern auch und vor allem wegen der starken Abweichung vom klassischen Körperschaftskonzept der Mitgliederselbstversammlung.“935

Auch das Bundesverfassungsgericht findet deutliche Worte: „[Es] lässt sich der Sache nach nur bedingt von Selbstverwaltung sprechen.“936 So kann keine Legitimation durch Partizipation vermittelt werden. Ersatzkassen funktionieren immerhin entsprechend dem ursprünglichen Dreiklang, auch wenn sich hier die „notorische Problematik der Friedenswahlen“ wiederfindet.937 c) Gemeinsamer Bundesausschuss: Keine Wahl und repräsentative Beteiligungsverfahren Beim gemeinsamen Bundesausschuss ist ebenfalls keine Öffentlichkeits­ beteiligung vorgesehen – ebenso wenig wie eine Beteiligung der Versicherten. Nach § 91 Abs. 2 SGB V besteht das Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses aus nicht gewählten Mitgliedern. Dieses setzt sich 933  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 164. 934  Harald Bogs, Die Sozialversicherung im Staat der Gegenwart, 1973, S. 120; ebenso Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 383. 935  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 182. S. auch die Kritik von Raimund Wimmer, Friedenswahlen in der Sozialversicherung – undemokratisch und verfassungswidrig, NJW 2004, S. 3369–3374. 936  Allerdings bezog sich das BVerfG in diesem Kontext auf die detaillierte Sozialgesetzgebung, nicht auf den mangelnden Input, BVerfGE 39, 302, 312. 937  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 166; Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 383: „Ausdünnung des Wahlmodus zur sog. Friedenswahl.“



Kapitel 5: Die Exekutive367

aus einer Person, die von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung benannt wird, zwei Personen, die jeweils von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V. benannt werden, dem Dachverband der Krankenhausträger, und schließlich fünf Personen, die von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen benannt werden, zusammen. Hinzu kommen ein unparteiischer Vorsitzender und zwei weitere unparteiische Mitglieder, die die eben genannten Verbände gemeinsam vorschlagen.938 Die Versicherten sind nur indirekt, nämlich über den Spitzenverband Bund der Krankenkassen vertreten,939 Apotheker und Arzneimittelhersteller sind gar nicht vertreten.940 Auch hier fehlt es also an einer organisatorischpersonellen Legitimation. Um die mangelnde Wahl und die mangelnde Vertretung betroffener Gruppen zu kompensieren, sieht § 92 SGB V entsprechende Beteiligungsformen vor, die aber unvollständig sind und nicht die (betroffene) Öffentlichkeit beteiligen, sondern ähnlich wie bei der Rechtsverordnungsgebung nur die Interessenvertreter. So sind nach § 92 Abs. 3a SGB V vor der Entscheidung über die Richtlinien zur Verordnung von Arzneimitteln, zur Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien und Therapiehinweisen folgenden Gruppen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben: den Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis sowie den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer, den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern, den Berufsvertretungen der Apotheker und den maßgeblichen Dachverbänden der Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen auf Bundesebene. Die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Das Gleiche gilt nach Abs. 5 vor der Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses über Richtlinien über die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Hier ist u. a. den Rehabilitationsträgern sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ebenfalls bei der Erstellung der Richtlinien zur 938  S. ausführlich Helge Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungs­ problem, 1987; Thomas Vießmann, Die demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Entscheidungen nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V, 2009; ­Janina Voß, Rechtsschutz gegen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, 2014; Karin Ziermann, Inhaltsbestimmung und Abgrenzung der Normsetzungskompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Bewertungsausschüsse im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2007. 939  Deren Verwaltungsrat besteht aus Versicherten- und Arbeitgebervertretern der Allgemeinen Ortskrankenkassen, der Ersatzkassen, der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen, der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau. 940  Vgl. Stefan Muckel, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung auf dem Prüfstand des Demokratieprinzips, NZS 2002, S. 118–125, 119 m. w. N.

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Verordnung von Heilmitteln sollen u. a. die für die Wahrnehmung der Interessen der Heilmittelerbringer maßgeblichen Spitzenorganisa­tionen auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Genauso sind hier die Stellungnahmen in die Entscheidung einzubeziehen (Abs. 6). Schließlich sind bei der Erstellung der Richtlinien zur Verordnung von häuslicher Krankenpflege dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen (Abs. 7). Dieses Verfahren ist zwar deutlich an das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren angelehnt und wäre damit grundsätzlich in der Lage, Legitimation zu vermitteln. Allerdings ist hierfür der Kreis der Beteiligten zu eng, da sich nicht die (beteiligte) Öffentlichkeit beteiligen darf, sondern nur ausgesuchte Repräsentanten. d) Wasserverbände: Gewichtete direktdemokratische Elemente ohne weiteres Beteiligungsverfahren Die Wasserverbände zeichnen sich dadurch aus, dass sich grundsätzlich alle Mitglieder in der Versammlung beteiligen dürfen, § 47 Abs. 1 S. 2 WVG. Diese Beteiligungsform entspricht damit am ehesten direktdemokratischen Grundsätzen. Allerdings können die Mitglieder selbst ein anderes System vorsehen. Außerdem kommt den Mitgliedern ein gewichtetes Stimmrecht zu. Beides konterkariert den direktdemokratischen Gedanken. Die möglichen und entscheidungsbefugten Mitglieder der Wasserverbände werden von § 4 WVG festgelegt. Dies sind u. a. die jeweiligen Eigentümer von Grundstücken und Anlagen, die jeweiligen Erbbauberechtigten sowie Inhaber von Bergwerkseigentum (dingliche Verbandsmitglieder); Personen, denen der Verband im Rahmen seiner Aufgaben Pflichten abnimmt oder erleichtert oder Körperschaften des öffentlichen Rechts. Unter Umständen besteht hier also bei manchen Mitgliedern eine organisatorisch-personelle Legitimation. Die §§ 46 ff. WVG sehen Regeln zur innerverbandlichen Willensbildung vor, so u. a. die Errichtung einer Verbandsversammlung, in der sich alle Mitglieder versammeln und Stimm- und Rederecht besitzen. Ein genauerer Blick in die Zusammensetzung der Verbandsversammlung offenbart auch hier das grundsätzliche Problem vieler Selbstverwaltungskörperschaften, nämlich die Gewichtung der Stimmrechte. Dies betrifft zwar nicht die Wahl der Mitglieder der Versammlung, aber die Stimmenverteilung innerhalb der Versammlung. Nach § 48 Abs. 3 i. V. m. § 13 Abs. 2 WVG ist Maßstab für die Festlegung der Stimmenzahl grundsätzlich der Vorteil, den der Beteiligte von der



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Durchführung der Verbandsaufgaben zu erwarten hat.941 Hat ein Beteiligter von der Durchführung der Verbandsaufgaben nur einen Nachteil zu erwarten oder überwiegt der Nachteil gegenüber dem zu erwartenden Vorteil, ist Maßstab für die Festlegung der Stimmenzahl der Nachteil. Eine annähernde Ermittlung des Vorteils oder Nachteils reicht aus. Letztlich geht es auch hier um eine Interessens- und Verbandsvertretung statt gleicher Partizipation aller Betroffenen.942 Da aber alle Mitglieder in der Versammlung vertreten sind, kommt zumindest allen Mitgliedern ein Beteiligungsrecht zu. Wenn auch daraus keine Berücksichtigungspflicht für die anderen Mitglieder folgt, wird so ihre Stimme wie im Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren grundsätzlich gehört. Damit wird Legitimation gesteigert. Jedoch sehen nicht alle Wasserverbände eine Vollversammlung vor. Diese kann durch die Satzung durch einen Verbandsausschuss ersetzt werden. Hier wählen die Verbandsmitglieder in einer Mitgliederversammlung die Mitglieder des Verbandsausschusses aus ihrer Mitte (§ 49 WVG). Kollektive Selbstbestimmung findet damit zwar grundsätzlich durch Beteiligung aller statt, dies aber immer in ungleicher Weise – so kann Selbstbestimmung schnell zu Fremdbestimmung werden. Nichtmitgliedern stehen in Fragen, die kollektive Selbstbestimmung betreffen, keine Partizipationsmöglichkeiten offen. Im Gegensatz dazu besteht neben § 28 VwVfG ein spezialgesetzliches Anhörungsrecht im Falle der ­Beeinträchtigung individueller Selbstbestimmung: Werden Nicht-Mitglieder belastet, was nur möglich ist, wenn das Nicht-Mitglied nach § 28 Abs. 3 WVG einen Vorteil hat, so trifft es u. U. eine Auskunfts- und Beitragszahlungspflicht nach § 26 Abs. 3 und § 28 Abs. 3 S. 1 WVG. In diesem Fall ist das Nicht-Mitglied aber vorher kraft gesetzlicher Anordnung nach § 28 Abs. 3 S. 2 WVG anzuhören.

941  S. dazu Marcel Séché, §  13 WVG, in: Michael Reinhardt/Frank Hasche (Hrsg.), Wasserverbandsgesetz. Kommentar, 2011. 942  Entsprechend weist Hans-Georg Dederer, Organisatorisch-personelle Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, NVwZ 2000, S. 403–405, 405 darauf hin, dass „wegen der herausragenden Bedeutung des Gutes ‚Wasser‘ für die Allgemeinheit auch die gesamte im Verbandsgebiet lebende Bevölkerung gleichermaßen betroffen ist.“ Darauf weist auch § 1 Abs. 1 S. 3 Lippeverbandsgesetz hin: „[Der Verband] dient dem Wohl der Allgemeinheit und dem Nutzen seiner Mitglieder.“ S. auch Thomas Blanke, Funktionale Selbstverwaltung und Demokratieprinzip. Anmerkungen zu dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts v. 17.12.1997, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, Eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 32–58, 54 ff.; BVerfGE 17, 377 und den Vorlagebeschluss BVerwG, NVwZ 1999, S. 870.

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e) Bundesagentur für Arbeit: Weder Wahl noch Beteiligungsverfahren Die Bundesagentur für Arbeit ist lediglich der rechtlichen Konstruktion nach eine funktionale Selbstverwaltungskörperschaft. Selbstbestimmung findet hier dem Grunde nach nicht statt. Die immer wieder betonte Diskrepanz zwischen organisatorischem Aufbau und gesetzlicher Bezeichnung der früheren Bundesanstalt für Arbeit, auch als „Mysterium der Rechtsnatur der BA“943 tituliert, schlägt sich vor allem darin nieder, dass die Versicherten selbst keinen Einfluss auf die BA ausüben können. Dies stellt ihren Selbstverwaltungscharakter ernstlich in Frage. § 371 Abs. 5 SGB III sieht nähere Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane vor: Sie setzen sich zu gleichen Teilen aus Mitgliedern zusammen, die ­Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Körperschaften vertreten. Diese Mitglieder werden berufen, nicht gewählt. Nach § 377 Abs. 2 SGB III erfolgt die Berufung von Mitgliedern des Verwaltungsrats durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und von Mitgliedern der Verwaltungsausschüsse durch den Verwaltungsrat. Vorschlagsberechtigt sind nach § 379 SGB III u. a. die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Bundesregierung, der Bundesrat, die Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften sowie die Gemeinden und Gemeindeverbände.944 Hier ist die 943  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 199. 944  Nach § 379 Abs. 1 SGB III vorschlagsberechtigt sind für die Mitglieder der Gruppen der Arbeitnehmer die Gewerkschaften, die Tarifverträge abgeschlossen haben, sowie ihre Verbände, die für die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen wesentliche Bedeutung haben. Vorschlagsberechtigt für die Mitglieder der Gruppen der Arbeitgeber sind die Arbeitgeberverbände, die Tarifverträge abgeschlossen haben, sowie ihre Vereinigungen, die für die Vertretung von Arbeitgeberinteressen wesentliche Bedeutung haben. Nach Abs. 2 sind für die Mitglieder der Gruppe der öffentlichen Körperschaften im Verwaltungsrat die Bundesregierung für drei Mitglieder; der Bundesrat für drei Mitglieder und die Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften für ein Mitglied vorschlagsberechtigt. Nach Abs. 3 sind für die Mitglieder der Gruppe der öffentlichen Körperschaften in den Verwaltungsausschüssen die gemeinsamen Rechtsaufsichtsbehörden der zum Bezirk der Agentur für Arbeit gehörenden Gemeinden und Gemeindeverbände oder, soweit es sich um oberste Landesbehörden handelt, die von ihnen bestimmten Behörden vorschlagsberechtigt. Die zum Bezirk der Agentur für Arbeit gehörenden Gemeinden und Gemeindeverbände sind berechtigt, der zuständigen Behörde Personen vorzuschlagen. Einigen sie sich auf einen Vorschlag, ist die zuständige Behörde an diesen gebunden; im anderen Fall schlägt sie von sich aus Personen vor, die für die beteiligten Gemeinden oder Gemeindeverbände oder für sie tätig sein müssen. Ist eine gemeinsame Gemeindeaufsichtsbehörde nicht vorhanden und einigen sich die beteiligten Gemeindeaufsichtsbehörden nicht, so steht das Vorschlagsrecht der obersten Landesbehörde oder der von ihr bezeichneten Stelle zu. Mitglieder der öffentlichen Körperschaften können



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organisatorisch-personelle Legitimation viel stärker ausgeprägt als in den anderen Referenzselbstverwaltungseinheiten. In Hinblick auf die kollektive Selbstbestimmung zeigt sich, dass es nicht nur keine Wahlen gibt, sondern auch, dass durch das Verfahren der Berufung eine Interessenberücksichtigung des Einzelnen nicht gewährleistet ist. Statt des Einzelnen entscheiden letztlich die Sozialpartner: „Der einzelne Arbeitnehmer und der einzelne Arbeitgeber hat als solcher keinen Anteil an der Auswahl „seiner“ Vertreter in der BA.“945 So sind aber letztlich beide Legitimationsstränge, der autonome wie der staatliche, unterbrochen.946 Die Legitimation versucht sich aus den Sozialpartnern zu speisen – die aber anders als die autonome und die demokratische Legitimation keine demokratische Legitimation zu vermitteln weiß. 5. Bewertung: Pluralistischer statt partizipativer Staat Obwohl die Entscheidungen der funktionalen Selbstverwaltung im Schwerpunkt auf die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung zielen, findet Partizipation, die ebenfalls kollektive Selbstbestimmung ermöglichen und stärken soll, kaum statt. Der ursprünglich eigene Dreiklang der funktionalen Selbstverwaltung aus Mitgliedschaft, Entscheidungsbetroffenheit und Mitwirkungsbefugnis947 ist meist nicht mehr gegeben. Partizipation wird zumeist nicht allen Betroffenen eröffnet, sondern wenigen Auserwählten, die in einem mediatisierten Prozess in (Mit-)Entscheidungspositionen kommen. Im Sinne repräsentativer Demokratie sind im Rahmen funktionaler Selbstverwaltung Vertreter berufen, Entscheidungen zu treffen. Teilweise werden diese Vertreter gewählt, etwa bei den Sozialversicherungsträgern. Teilweise werden sie aber auch ernannt, wie beim Gemeinsamen Bundesausschuss. Die unterschiedlichen Wahlsysteme entsprechen nicht vollauf demokratischen Anforderungen. Die Kongruenz von Betroffenen und Beteiligten, die Fremd- von Selbstbestimmung abgrenzt, ist nicht gewährleistet. Der Einfluss des Einzelnen ist in allen Selbstverwaltungseinheiten gering, wenngleich es hier im Einzelnen Abstufungen gibt. So kann Partizipation kaum bis gar nicht legitinur Vertreterinnen oder Vertreter der Gemeinden, der Gemeindeverbände oder der gemeinsamen Gemeindeaufsichtsbehörde sein, in deren Gebiet sich der Bezirk der Agentur für Arbeit befindet, und die bei diesen hauptamtlich oder ehrenamtlich tätig sind. 945  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 192. 946  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 193. 947  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 162 ff.

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mierend wirken. Im Gegenzug nimmt die Legitimationskrise der jeweiligen Selbstverwaltungseinheiten zu, was umso schwerer wiegt, als allen Selbstverwaltungskörperschaften sowohl eine nur geringe sachlich-inhaltliche als auch eine geringe organisatorisch-personelle Legitimation zukommt. Des Weiteren fehlen Elemente direkter Demokratie fast vollständig. Zwar könnte man meinen, dass dieses „Weniger an Partizipation“ an den Besonderheiten der Selbstverwaltung liegt, die ja in sich selbst ein Instrument von Partizipation der Betroffenen sein soll. Zum einen dürfen aber die Betroffenen oft eben gerade nicht partizipieren, zum anderen zeigt ein Blick auf die kommunale Selbstverwaltung, dass jeweils beide Elemente nebeneinander existieren können: (territoriale) Selbstverwaltung und direkte Demokratie genauso wie (territoriale) Selbstverwaltung und Beteiligung der (betroffenen) Öffentlichkeit. Funktionale Selbstverwaltung ist im Vergleich dazu unterentwickelt. Auch fehlt es bislang an einem allgemeinen Beteiligungsrecht als Ausfluss des Demokratieprinzips. Die „Öffentlichkeitsbeteiligung“ zeichnet sich in der Form, in der sie oben als Einwendungs- und Beteiligungsverfahren herausgearbeitet wurde, in der funktionalen Selbstverwaltung dadurch aus, dass sie nicht existiert. Lediglich bei der Sozialversicherung gibt es entsprechende Ansätze. Dies ist deshalb ein besonderer Mangel, weil es auch kein entsprechendes repräsentatives System gäbe, das es erlaubte, von vollumfänglicher kollektiver Selbstbestimmung in der Selbstverwaltung zu sprechen: „In den Interessenvertretungen, die sich als wirksame Macht organisieren, besteht nur selten die reale Chance der Mitglieder an der Mitgestaltung der Interes­ senartikulation.“948 Funktionale Selbstverwaltung ist daher nicht Teil des partizipativen Staates. Vielmehr ist funktionale Selbstverwaltung Ausdruck des korporativen Staates, in dem plurale Interessen in nicht-demokratischer Art und Weise ausgehandelt werden. Dafür bestehen aber zumindest Anhörungsrechte im Fall drohender Beeinträchtigungen subjektiver Rechte durch Individualmaßnahmen nach § 28 VwVfG bzw. dem Rechtsstaatsprinzip auch in der funktionalen Selbstverwaltung.

948  Andreas Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, S. 110 m. w. N.



Kapitel 5: Die Exekutive373

III. Fazit: Öffentlichkeitsbeteiligung in kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung – Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung Selbstverwaltung soll kollektive Selbstbestimmung ermöglichen und individuelle Selbstbestimmung sichern. Während wie oben dargestellt die territoriale Selbstverwaltung die hier entworfene Theorie vollumfänglich bestätigt, stellt die funktionale Selbstverwaltung sie in Frage. Innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung hat sich eine Balance der verschiedenen Beteiligungsformen gefunden, die die legitimierende Wirkung von Partizipation ermöglicht. Kommunale Selbstverwaltung erlaubt zum Zwecke der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung ein Beteiligungsrecht aller Einwohner, teilweise sogar ein Entscheidungsrecht aller Einwohner. Im Fall drohender Beeinträchtigung individueller Selbstbestimmung besteht ein Anhörungsrecht. Hier folgt die Ausgestaltung der Partizipation der Ausbalancierung von kollektiver und individueller Selbstbestimmung. Das Anhörungsrecht für die Fälle einer drohenden Beeinträchtigung individueller Selbstbestimmung besteht auch im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung. Hier sind nur die in ihren Rechten Betroffenen zu hören, so wie es das Rechtsstaatsprinzip verlangt und wie es im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung z. B. das Wasserverbandsgesetz ausdrücklich vorsieht. Sollten Entscheidungen – vornehmlich solche des Vorstands – die individuelle Selbstbestimmung von Mitgliedern oder in Ausnahmefällen die individuelle Selbstbestimmung von Dritten beeinträchtigen, also den Einzelnen treffen und eher vergangenheitsorientiert und inhaltlich eng determiniert sein, so kommt dem Einzelnen nur ein Anhörungsrecht zu. Für die Fälle kollektiver Selbstbestimmung folgt die funktionale Selbstverwaltung einer völlig eigenen Konzeption von Partizipation, die sich nach den verschiedenen Ausprägungen der funktionalen Selbstverwaltung unterscheidet. Wie bei der territorialen Selbstverwaltung bestehen Parallelen zur Legislative. Sofern es zu Wahlen kommt, sind grundsätzlich alle Mitglieder der funktionalen Selbstverwaltungseinheit stimmberechtigt. Dieses Stimmrecht bezieht sich vornehmlich auf Personalfragen. Jedoch sind nicht immer alle Betroffenen auch Mitglieder, dies ähnelt der Stellung von Ausländern im Bereich der Legislative. Außerdem – und hier enden die Parallelen zur Legislative – sind die Wahlen vielfach nicht gleich. Das Institut der Friedenswahlen etwa verhindert Wahlen, da hier einfach nur ein Wahlvorschlag ohne Wahl angenommen wird. Die Listenbildung verhindert oft unabhängige Kandidaten und die weit verbreitete Möglichkeit der Kooptation verzerrt das Wahlergebnis. Hier wird die kollektive Selbstbestimmung des Volkes mittels parlamentarischer Einflussnahme aufgegeben, ohne sie mit legitimations­

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erhöhender Partizipation zu ersetzen. Das führt zu mehr Fremdbestimmung statt zu mehr Selbstbestimmung. So existiert keine „Partizipation“, die legitimierend wirkt.

H. Bewertung Exekutive: Partizipation zwischen der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung und der Sicherung individueller Selbstbestimmung Auf Ebene der Exekutive folgt die einfachgesetzlich ausgestaltete Partizipation grundsätzlich der hier entworfenen Theorie imperativer Partizipation und dient genauso wie die Zuordnung von Kompetenzen zu den drei Gewalten der Ausbalancierung von kollektiver und individueller Selbstbestimmung. Es bestehen vielfache Beteiligungsmöglichkeiten, ohne dass dem Staat die Entscheidungshoheit genommen wird. Diese Beteiligungsmöglichkeiten ­entsprechen dem Bogen, der sich innerhalb der Verwaltung von einer kollek­ tiven Selbstbestimmung verwirklichenden Rechtsverordnungsgebung durch die Regierung über die verschiedenen Planungsebenen und Genehmigungstatbestände hin zu ordnungsrechtlichen Verwaltungsakten, die individuelle Selbstbestimmung sichern, spannt. Die Beteiligungsmöglichkeiten bei Rechts­verordnungen, die materielle Gesetze darstellen, folgen noch einem repräsentativen Verständnis von Beteiligung und lassen nicht zu, dass sich jeder beteiligen darf. Aber schon hier gibt es erste Brüche: So sieht das Raumordnungsgesetz vor, dass auch beim Erlass von Rechtsverordnungen eine Öffentlichkeitsbeteiligung stattfindet. Wie insgesamt in der Planung sind die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zu berücksichtigen. Dies erlaubt dem Einzelnen, Einfluss auf die staatlichen Entscheidungen zu nehmen. Dieser Einfluss führt aber nicht zu einer Entscheidungsbefugnis. Die Ermöglichung der kollektiven Selbstbestimmung, die sich im parlamentarischen Gesetz verwirklicht, verlangt, dass die Exekutive im Rahmen der gesetz­ lichen Vorgaben entscheidet. In diesem Rahmen sind dann die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zu berücksichtigen. Das ist eine demokratische Form von Partizipation. Bei anlagenbezogenen Genehmigungen fällt der Einfluss der Öffentlichkeit viel geringer aus, weil hier schon rechtliche Ansprüche des Vorhabensträgers betroffen sein können und damit dem Schutz individueller Selbstbestimmung zu viel Einfluss durch das Kollektiv entgegensteht. Schließlich dürfen sich im Ordnungsrecht nur noch die in ihren Rechten Betroffenen beteiligen. Die Öffentlichkeit steht hingegen außen vor, da es alleine um Fragen individueller und nicht kollektiver Selbstbestimmung geht. Dadurch, dass sich Partizipation anpasst an den Verlauf des Bogens, der innerhalb der Exekutive von kollektiver zu individueller Selbstbestimmung geschlagen wird, wirkt Partizipation legitimierend. So wirkt sie als fünfter Legitimationsmodus und erhöht die Legitimation staatlicher Handlungen.



Kapitel 6: Die Judikative375

All dies gilt auch für die territoriale Selbstverwaltung. Hier kommt allerdings als Unterschied hinzu, dass die Einwohner Entscheidungsbefugnisse besitzen. Dies betrifft jedoch lediglich Situationen, in denen die Gemeinden aufgrund spezieller verfassungsrechtlicher Ermächtigung quasi-legislatorisch tätig werden. Ansonsten bestehen auch Beteiligungsrechte ohne Entscheidungsbefugnis. Ein weiterer Sonderfall ist die funktionale Selbstverwaltung. Dort fehlt es vielfach an Beteiligungsmöglichkeiten. Der korporative, nicht der partizipative Staat, kommt in der funktionalen Selbstverwaltung zum Vorschein. Insgesamt bestätigt das geltende Recht jedoch die Theorie imperativer Partizipation und regelt Partizipation in einer Art und Weise, die sie dazu befähigt, Legitimation zu vermitteln. Insgesamt bestehen so viele Partizipa­ tionsmöglichkeiten, dass von der Bundesrepublik als einem partizipativen Staat gesprochen werden kann. Kapitel 6

Die Judikative: Schutz individueller Selbstbestimmung durch Partizipation Partizipation und Judikative werden in der Regel nicht zusammengedacht, die Partizipationsdebatte bezieht sich zumeist auf die Exekutive und die Legislative. Hier zeigt sich ein verkürztes Verständnis von Partizipation. Gerade rechtsstaatliche Beteiligungsverfahren wie etwa das Anhörungsverfahren prägen in grundlegender Weise das Verständnis von der Stellung des Einzelnen in der Verwaltung (§ 28 VwVfG) und vor Gerichten (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Einzelne wird so als Subjekt mit eigenen Interessen und Rechten wahrgenommen und nicht lediglich als Objekt, über das die Obrigkeit verfügen kann.949 Eine sehr junge Form gerichtlicher Verfahren macht unmittelbar deutlich, welcher Stellenwert heute der Judikative in der Partizipationsdebatte zukommt. Die Rede ist von den Massenverfahren, die eine hohe Aufmerksamkeit versprechen und zwar individuelle Selbstbestimmung betreffen, aber darauf abzielen, Entscheidungen, die im Wege kollektiver Selbstbestimmung zustande gekommen sind, zu korrigieren. Bekannt sind u. a. die Verfahren gegen die Vorratsdatenspeicherung950, gegen den EURORettungsschirm951 und gegen die Zustimmung der Bundesrepublik zum 949  Vgl. Susanne Baer, Der Bürger im Verwaltungsrecht: Subjektkonstruktion durch Leitbilder vom Staat, 2006. 950  BVerfGE 125, 260. 951  ESM: BVerfGE 129, 124; EFSF: BVerfGE 132, 195; BVerfG, Urteil v. 18. März 2014, 2 BvR 1390/12.

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Freihandelsabkommen CETA952. Hier soll Politik mit anderen Mitteln stattfinden. Rechtlich betrachtet macht die Anzahl der Klagen allerdings keinen Unterschied, weshalb im Folgenden auch darauf verzichtet wird, auf diese Verfahren weiter einzugehen. Auf Ebene der Verwaltungsgerichtsbarkeit ergeben sich zwar gewisse Besonderheiten für Massenverfahren, so sieht § 93a VwGO etwa die Möglichkeit eines Pilotverfahrens vor, aber auch hier ändert sich im Kern nichts: Die Judikative dient vor allem der Sicherung von Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz individueller Rechte. Die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung ist nicht ihre primäre Aufgabe. Dementsprechend tritt neben die nur gering ausgeprägte demokratische Legitimation der Judikative eine rechtsstaatliche Legitimation (A.). Um rechtstaatliche Legitimation zu sichern, muss Partizipation auf Judikativebene so ausgestaltet sein, dass sie individuelle Selbstbestimmung und damit Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte schützt. Dafür bedarf es eines Verfahrens, das den in seinen Rechten betroffenen Einzelnen in den Mittelpunkt stellt – um dessen Rechte geht es zunächst. Der Einzelne leitet dementsprechend das Verfahren ein, die Letztentscheidungsmacht verbleibt jedoch bei Gericht. Könnte der Einzelne als Kläger oder als anderer Verfahrensbeteiligter selbst entscheiden, so wären nämlich die Rechte anderer nicht gesichert (B.). Neben dieser Partizipation auf Gerichtsebene tritt der Schutz von Partizipation auf Verwaltungsebene durch die Gerichte. Damit spielt Partizipation auf Judikativebene zweimal eine wesentliche Rolle: Einmal geht es um die Frage, wer vor Gericht partizipieren darf, das andere Mal um die Frage, inwieweit Partizipation in Verwaltungsverfahren durch die Gerichte geschützt wird. Hier existiert ein schmaler Grat zwischen dem Schutz von Entscheidungen kollektiver Selbstbestimmung und dem Schutz individueller Selbstbestimmung vor diesen Entscheidungen. Die Gerichte beachten diesen Grat, solange die richterliche Entscheidungshoheit beschränkt ist: Ermessens- und Abwägungsentscheidungen müssen innerhalb eines bestimmten Rahmens kontrollfrei sein, ebenso wie nicht jeder Fehler bei der Beteiligung zu einer Aufhebung der Entscheidung führen darf. Maßstab für die Abgrenzung bildet der Gewaltenteilungsgrundsatz (C.). Abschließend wird sich zeigen, dass aufgrund der ausreichenden Legitimation der Gerichte die Versuche, die demokratische Legitimation mit Hilfe ehrenamtlicher Richter und damit Par­ tizipation auf der Richterbank zu erhöhen, zahlreich, aber irreführend sind (D.).

952  CETA:

BVerfGE 143, 65.



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A. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Judikative: Das Counter-majoritarian-Dilemma Wendet man die legitimationstheoretischen Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts auf das Bundesverfassungsgericht und die anderen Gerichte953 an, so können Bedenken an deren (demokratischer) Legitimation angebracht werden.954 Es lässt sich dabei zwischen der Frage, ob und wie die Rechtsprechung im Allgemeinen legitimiert ist (I.) und der Frage, wie weit die Kompetenzen der Rechtsprechung in Bezug auf die Kompetenzen der anderen Gewalten reichen (II.), unterscheiden. I. Die Stellung des Einzelnen im Legitimationsgefüge der Judikative: Demokratische und rechtsstaatliche Legitimation Der Einzelne scheint in der Legitimation der Judikative auf den ersten Blick kaum eine Rolle zu spielen. Zwar ist die auf das Grundgesetz und nicht die Wahl zurückgehende institutionelle und funktionelle Legitimation der Rechtsprechung als hoch einzustufen,955 dies lässt sich aber nicht im gleichen Maße über die letztlich auf den Wahlakt und damit den Einzelnen

953  Die Aussagen über die Gerichte lassen sich dem Grunde nach auf alle Gerichte übertragen. So dienen Strafgerichte genauso wie die Zivilgerichte der Sicherung individueller Selbstbestimmung: Ein Kläger, der durch den Beklagten in seinen Rechten eingeschränkt wird, z. B. weil dieser ihm das Gebrauchmachen eines Wegerechts verwehrt, sucht die Hilfe des Gerichts, damit dieses seine Selbstbestimmung wiederherstellt. Ein Angeklagter vor Gericht hofft darauf, dass seine Selbstbestimmung durch das Gericht geschützt wird, indem keine (Freiheits-)Strafe gegen ihn verhängt wird. Im kantianischen Verständnis ist im Fall der Schuld die Verhängung der Strafe gerade Konsequenz der Selbstbestimmung, s. dazu Dominik Steiger, Das völkerrechtliche Folterverbot und der „Krieg gegen den Terror“, 2013, S. 640 ff. m. w. N. In der folgenden Untersuchung soll aber das Hauptaugenmerk auf der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen. 954  Klaus F. Röhl, Budgetierung, Controlling und Professionalisierung der Justizverwaltung, DRiZ 2000, S. 220–230, 228. Vgl. insgesamt zu der Legitimation der Judikative nur Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 114 ff.; Axel Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006; Andreas Voßkuhle/Gernot Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2002, S. 673–682. 955  Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 244 ff. m. w. N.

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zurückgehende organisatorisch-personelle956 und sachlich-inhaltliche Legitimation957 sagen. Allerdings tritt die rechtsstaatliche Legitimation hinzu, die wiederum die Partizipation des Einzelnen zwingend voraussetzt. Diese duale demokratische und rechtsstaatliche Legitimation führt schlussendlich zu einem hinreichenden Legitimationsniveau. Organisatorisch-personell ist zumindest das Bundesverfassungsgericht durch die Wahl nach Art. 94 GG i. V. m. §§ 6 und 7 BVerfGG durch das Plenum des Bundestages bzw. des Bundesrates ausreichend legitimiert. Über die Berufung der Richter des Bundesverwaltungsgerichts und der anderen Bundesgerichte gem. Art. 95 GG entscheidet der für das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden. Die Wahl oder auch Ernennung der Richter in den Ländern ist unterschiedlich geregelt. Manche Länder wie Nordrhein-Westfalen kennen keine Richterwahlausschüsse, die Richter werden dort von der Landesregierung ernannt.958 In den anderen Ländern unterscheiden sich die Richterwahlausschüsse in ihrer Zusammensetzung, z. T. ist eine Mehrheit von Parlamentariern vorgesehen, z. T. aber auch nicht.959 So besteht der Richterwahlausschuss in Bremen gem. § 8 Richterwahlgesetz aus fünf Mitgliedern der Bürgerschaft, drei Mitgliedern des Senats und drei Richtern. In Berlin wählt das Abgeordnetenhaus nach § 12 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Richtergesetzes (RiGBln) als ständige Mitglieder acht Abgeordnete oder sonstige Personen, die nicht Be956  Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S.  81 ff.; Ernst Teubner, Die Bestellung zum Berufsrichter in Bund und Ländern, 1984, S. 76; Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 126 ff., 400; Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 139; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 239; vgl. ausführlich Karl Ferdinand Gärditz, Richterwahlausschüsse für Richter im Landesdienst – Funktion, Organisation, Verfahren und Rechtsschutz, ZBR 2011, S. 109–119; Thomas Groß, Die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland – ein Defizitbefund, Verfassungsblog, 6. Juni 2019, https://verfassungsblog.de/die-institutionelle-unabhaengigkeit-der-justiz-in-deutsch land-ein-defizitbefund/. BVerfG (K), NJW 1998, S. 2590. 957  Vgl. Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 239. 958  § 1 Verordnung über die Ernennung, Entlassung und Zurruhesetzung der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein-Westfalen, 25. Februar 2014, GV NRW, 14. März 2014. 959  S. ausführlich Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S.  395 ff.



Kapitel 6: Die Judikative379

rufsrichterin oder Berufsrichter oder Staatsanwältin oder Staatsanwalt im Dienst des Landes Berlin oder des Landes Brandenburg sein dürfen, zwei Personen aus der Richterschaft sowie eine Person aus der Rechtsanwaltschaft. In diesen Fällen besteht eine hinreichende organisatorisch-personelle Legitimation. Als problematisch wird die organisatorisch-personelle Legitimation hingegen dann gesehen, wenn Richter und Anwälte entscheidenden Einfluss ausüben.960 Die sachlich-inhaltliche Legitimation der Judikative bewegt sich im Spannungsfeld von Rechtsanwendung und Rechtsgestaltung bei gleichzeitiger Weisungsfreiheit. Einerseits spricht für ein hohes Legitimationsniveau, dass die Gerichte Recht anwenden und umsetzen und ihnen keinerlei Ermessen zukommt.961 Dagegen spricht aber die verfassungsrechtlich abgesicherte Weisungsfreiheit der Richter einerseits962 und der Umstand, dass Gerichte das Recht nicht nur als bouche de la loi anwenden, sondern es interpretieren müssen und es oftmals auch fortschreiben.963 960  Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsfragen der Richterwahl, 1974, S.  82 f.; Ernst Teubner, Die Bestellung zum Berufsrichter in Bund und Ländern, 1984, S. 76; Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 128 ff., 400; Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 139. So auch BVerfG (K), NJW 1998, S. 2590, 2592 mit dem Postulat einer Letztverantwortung des Landesjustizministers, allerdings in der weiteren Begründung insoweit beschränkt, als dort wegen der nötigen demokratischen Legitimation nur eine alleinige Entscheidungsbefugnis des Richterwahlausschusses abgelehnt wird, Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 239. 961  Vgl. Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 19. 962  BVerfGE 14, 56, 69; 36, 79, 92 ff.; 26, 186, 198; 27, 312, 322; 31, 137, 140; 36, 174, 185; 55, 372, 389; 60, 175, 214. 963  Vgl. Hans Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein? Die Justiz 1930/31, S. 576–628; Günter Hirsch, Rechtsanwendung, Rechtsfindung, Rechtsschöpfung. Der Richter im Spannungsverhältnis von Erster und Dritter Gewalt, 2003; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94.  Ergänzungslieferung 2021, Rn.  247; Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 135 ff.; Axel Tschentscher, Demokratische Legitimation der dritten Gewalt, 2006, S. 128, 157, 183 ff., 194 f., 224 ff., 265 f. S. auch die vor allem über Auslegungsmethoden geführte Debatte zwischen Günter Hirsch, Die Bedeutung des Richterrechts hat zugenommen, ZRP 2004, S. 29–30; ders., Der Richter wird’s schon richten: Zwischenruf, ZRP 2006, S. 161; ders., Auf dem Weg zum Richterstaat? Vom Verhältnis des Richters zum Gesetzgeber in unserer Zeit, JZ 2007, S. 853–858.; ders., Schlusswort, JZ 2008, S. 189; Winfried Hassemer, Juristische Methodenlehre und richterliche Pragmatik, Rechtstheorie 39 (2008), S. 1–22, auf der einen Seite und Bernd Rüthers, Demokratischer Rechtsstaat oder oligarchischer Richterstaat?, JZ 2002, S. 365–371; ders., Methodenrealismus in Jurisprudenz und Justiz, JZ 2006, S. 53–60; ders., Zwischenruf aus der methodischen Wüste: „Der Richter wird’s schon richten“ (?), JZ 2006, S. 958–960; ders., Hatte die

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Hinzu kommt eine Legitimation, die sich als rechtsstaatliche Legitimation bezeichnen lässt. Sie gründet auf dem Schutz individueller Selbstbestimmung durch die Gerichte.964 Unter Berücksichtigung des Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzips folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, dass den Gerichten primär der Schutz individueller Selbstbestimmung zugewiesen ist. Die individuelle Selbstbestimmung des einen kann mit der Selbstbestimmung des anderen in Konflikt geraten. Um diese Konflikte auszubalancieren, stellt der Staat entsprechende rechtsstaatliche Verfahren zur Verfügung. Die Staatsgewalt muss individuelle Selbstbestimmung schützen, ausgestalten und durchsetzen, indem sie Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zur Verfügung stellt. Individuelle Selbstbestimmung wird also durch den verfahrensmäßigen Schutz subjektiver Rechte gesichert,965 sei es durch die Verwaltung, sei es durch die Gerichte. Hierbei wird der in seinen Rechten betroffene Einzelne in den Mittelpunkt gestellt. Ohne den Einzelnen wäre ein gerichtlicher Zivil- oder Verwaltungsprozess aufgrund der Dispositionsmaxime ausgeschlossen (nullo actore nullus iudex) und auch im Strafprozess bedarf es zwingend eines Angeklagten. Das Gerichtsverfahren bezieht sich auf den Einzelnen und läuft nach rechtsstaat­ lichen Regeln ab. Dies ist dann keine demokratische Legitimation mehr, sie tritt aber neben diese. Auch hier findet sich also wieder die Idee einer dualen Legitimation. Diesmal baut sie allerdings nicht wie bei der Verwaltung auf Gemeindevolk sowie Bundes- und Landessvolk auf, sondern auf einem demokratischen Legitimationsstrang und einem rechtsstaatlichen Legitimationsstrang.966

Rechtsperversion in den deutschen Diktaturen ein Gesicht?, JZ 2007, S. 556–564; Christoph Möllers, Erwiderung auf Günter Hirsch JZ 2007, 853, JZ 2008, S. 188–189 auf der anderen Seite. S. ebenfalls Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S.  196 ff., 204 ff.; René A. Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, 1979, S. 185 ff.; ­Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 176 ff. 964  S. Christoph Möllers, Individuelle Legitimation: Wie rechtfertigen sich Gerichte?, in: Anna Geis/Frank Nullmeier/Christopher Daase (Hrsg.), Leviathan Sonderband 27, 2012, S. 398–418. 965  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 43 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 505, 508; ausführlich ders., Individuelle Legitimation: Wie rechtfertigen sich Gerichte?, in: Anna Geis/Frank Nullmeier/Christopher Daase (Hrsg.), Leviathan Sonderband 27, 2012, S. 398–418; ähnlich Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 264 f.; Claudio Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zur Bestimmung der Klagebefugnis im Umweltrecht, DVBl. 2014, S. 543–550, 549. 966  Christoph Möllers, Demokratie. Zumutung und Versprechen, 2008, S. 70 f.



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II. Kompetenzabgrenzung zu den anderen Gewalten Trotz dieser grundsätzlich anerkannten Legitimation der Gerichte wird ihre konkrete Rechtsprechungstätigkeit immer wieder unter Legitimationsgesichtspunkten in Frage gestellt. Es wird Unbehagen ob ihres stärker werdenden Einflusses geäußert. So heißt es, dass „[d]ie Bundesrepublik Deutschland […] sich vom demokratischen Rechtsstaat zum „Richterstaat“ gewandelt“ habe.967 Das Verhältnis zwischen der Gerichtsbarkeit und den anderen Gewalten ist zwar schon immer Gegenstand ausführlicher Debatten gewesen.968 Aufgrund der Aufwertung von Partizipationsrechten, die vielfach auf das EU-Recht zurückgehen, und die Ausweitung der Klagebefugnisse des Einzelnen auf nationaler Basis, muss erneut gefragt werden: Wie ist angesichts erweiterter Partizipationsmöglichkeiten das richtige Verhältnis der Dritten zu den beiden anderen Gewalten auszugestalten? Wo sind die zu beachtenden Grenzen der Rechtsprechung? Wie können die Gerichte, die ja selbst nur tätig werden können, wenn jemand sie anruft, also jemand sich beteiligt, individuelle Selbstbestimmung in Form von Partizipation des Einzelnen schützen und dabei die kollektive Selbstbestimmung achten? Nur wenn diese Balance im Einzelfall gelingt, ist auch die einzelne Entscheidung der Gerichte legitimiert. Die Spannung von kollektiver und individueller Selbstbestimmung zeigt sich in der Judikative wie unter einem Brennglas. Dies gilt nicht nur wegen der dualen Legitimation der Gerichte, sondern auch wegen der „doppelten Beteiligung“, also der mängelbehafteten Partizipation auf Verwaltungsebene einerseits und der Partizipation auf Gerichtsebene andererseits. Beide hängen eng miteinander zusammen, denn die mängelbehaftete verwaltungsrechtliche Partizipation, die vielfach der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung dient, kann durch Partizipation auf Gerichtsebene, die dem Schutz individueller Selbstbestimmung dient, gerügt und wiedergutgemacht werden. Gerade weil Beteiligungsrechte auch demokratischer Natur sind und Gerichte individuelle Rechte schützen, fällt angesichts der Beteiligungsvorschriften die nötige Kompetenzabgrenzung zu den anderen Gewalten und damit das Auffinden der Balance zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung

967  Bernd Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 2014, S. V. 968  S. Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Christoph Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011; Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975; grundlegend Hans Kelsen, Wer soll Hüter der Verfassung sein? Die Justiz 1930/31, S. 576– 628; Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931. Dies gilt mehr noch für die Vereinigten Staaten von Amerika, s. John Hart Ely, Democracy and Distrust. A Theory of Judicial Review, 1980 und Alexander Bickel, The Least Dangerous Branch, 1962.

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besonders schwer. Dieses Problem der „doppelten Beteiligung“ steht im Mittelpunkt der Kompetenzabgrenzung zu den anderen Gewalten. Dabei ist zwischen den Verfassungsgerichten und der einfachen Gerichtsbarkeit zu unterscheiden. Das Bundesverfassungsgericht – ebenso wie die Landesverfassungsgerichte – lässt sich als Gegenspieler des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers bezeichnen,969 die Verwaltungsgerichte als Gegenspieler der lediglich mittelbar demokratisch legitimierten Verwaltung. Verwaltungsgerichte sind Teil eines Dreiecks: Sie korrigieren die Verwaltung in den Fällen, in denen sie nicht bzw. in falscher Art und Weise die vom Gesetzgeber erlassenen Regeln befolgen.970 Die Verfassungsgerichte hingegen sehen sich nur dem Gesetzgeber gegenüber. Der ist aber im Gegensatz zu ihnen unmittelbar demokratisch legitimiert, weshalb die Aufhebung seiner Entscheidungen zu einem Spanungsverhältnis zwischen Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip führt (sog. counter-majoritarian dilemma). Die Möglichkeit einer Überprüfung aller staatlichen Entscheidungen ist zum Schutz der individuellen Selbstbestimmung vom Grundgesetz vorgesehen (Art. 19 Abs. 4 GG). Gleichzeitig muss aber berücksichtigt werden, dass durch die Überprüfung kollektive Selbstbestimmung eingeschränkt wird und damit ein Eingriff in den demokratischen Prozess vorliegt. Dieser Eingriff kann zum Schutz individueller Selbstbestimmung notwendig werden. So erklärt das Bundesverfassungsgericht etwa ein Gesetz für nichtig, das gegen ein Grundrecht verstößt. Dies gilt selbst dann, wenn es von Bundestag und Bundesrat einstimmig als einfaches Gesetz erlassen sein sollte. Die Grundrechte und der Rechtsstaat sind die Grenze der Demokratie. Tritt neben oder anstelle des Schutzes individueller Selbstbestimmung des Beschwerdeführers auch der Schutz von Beteiligungsregeln, die kollektiver Selbstbestimmung dienen, so liegen die Dinger weniger klar: Ein Gesetz, das durch einen Bundestag erlassen wurde, der auf verfassungswidriger Rechtsgrundlage gewählt wurde, ist keineswegs nichtig. Auch die Wahl muss nicht unbedingt wiederholt werden, selbst wenn in das subjektive aktive Wahlrecht des Einzelnen eingegriffen wurde.971 Der Schutz der Beteiligung des Bür969  So in Bezug auf den OMT-Beschluss, BVerfGE 134, 366, Karl Ferdinand Gärditz, Beyond Symbolism: Towards a Constitutional Actio Popularis in EU Affairs? A Commentary on the OMT Decision of the Federal Constitutional Court, German Law Journal 2014, S. 183–202, 197. S. zudem die Nachweise auf S. 93, Fn. 190. 970  U.S. Supreme Court Chief Justice John Roberts sagt zu diesem Dilemma, dass „[The Court’s] duty to police the boundary between the Legislature and the Executive is as critical as [the Court’s] duty to respect that between the Judiciary and the Executive.“ Roberts, C.J. dissenting, 569 U.S. p. 17 City of Arlington v. F.C.C. 971  BVerfG, 2 BvC 1/07, 3. Juli 2008, Rn. 137 f.: „Die Verfassungswidrigkeit des Effekts des negativen Stimmgewichts betrifft nicht nur einzelne Mandate oder Wahlkreise, sondern wirkt sich auf die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag insgesamt



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gers als Wähler durch die Gerichte muss hier unter Umständen hinter der kollektiven Selbstbestimmung, die in dem Beteiligungsverfahren verwirklicht wurde, als Ganzes zurücktreten. Der Grund für die richterliche Zurückhaltung in den Fällen, die Eingriffe in Beteiligungsrechte und -verfahren zum Gegenstand haben, liegt in dem Umstand begründet, dass Beteiligungsrechte kollektive Selbstbestimmung ermöglichen sollen, aber dabei auch individuelle Selbstbestimmung schützen. Da Gerichte primär dazu berufen sind, individuelle Selbstbestimmung zu schützen, müssen die Gerichte eine Methode finden, wie sie diese eng verbundenen Elemente voneinander trennen können, um so zu der richtigen Kompetenzabgrenzung zwischen den Gewalten zu kommen. Dies gelingt den Gerichten zumindest teilweise. Dabei spielen Partizipationsregeln des Einzelnen – also die Klage- bzw. Beschwerdebefugnis – und Kontrollbefugnisse der Gerichte eine integrale Rolle.

B. Der Einzelne als Kläger: Partizipation und subjektive Rechte Die dritte Gewalt ist die einzige Gewalt, die der Beteiligung bedarf, um konkret tätig werden zu können. Schon dadurch wirkt Partizipation legitimationskrafterhöhend, denn so ist sichergestellt, dass die rechtsprechende Gewalt nur tätig wird, um individuelle Selbstbestimmung zu schützen. Das falsche Maß an Partizipation hingegen kann delegitimierend wirken, wenn die Gerichte dadurch in den Kompetenzbereich einer anderen Gewalt eindringen. Um die Balance zu wahren, bedarf es der richtigen Abstimmung zwischen den Gewalten. Der erste Schritt ist die Eröffnung und gleichzeitige Begrenzung der Beteiligungsmöglichkeiten auf Gerichtsebene. Hier steht zunächst die Klagebefugnis im Mittelpunkt, denn sie regelt, wer auf gerichtlicher Ebene partizipieren darf (I.). Auch Präklusionsvorschriften steuern, ob Einzelne die Gerichte anrufen dürfen (II.). Nicht die Möglichkeit der Partizipation, sondern ihre Auswirkungen regeln die gerichtlichen Kontrollbefugnisse. Über deren Umfang steuern Gesetzgeber und Gerichte, wie weit die Gerichte die Beteiligungsregeln in den beiden anderen Gewalten schützen (III.).

aus. Eine Eingrenzung der Wahlfehler, die durch die Anwendung der verfassungswidrigen Normen entstanden sind, ist im vorliegenden Fall kaum möglich. […] Andererseits ist der Wahlfehler nicht so gewichtig, dass er die Auflösung des 16. Deutschen Bundestages rechtfertigen würde.“

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

I. Klagebefugnis und subjektive Rechte: Voraussetzung von Partizipation Die Klagebefugnis regelt, ob jemand in einem konkreten Verfahren partizipationsfähig ist. Dabei kommt es in entscheidender Weise auf die Existenz eines subjektiven Rechts an. Mithilfe des subjektiven Rechts kann der Einzelne seine individuelle Selbstbestimmung schützen. Herkömmlicherweise werden nur materielle Rechte als subjektive Rechte verstanden, die Grundrechte sind der Prototyp subjektiver Rechte (1.). Aufgrund neuerer, insbesondere europarechtlich bedingter Entwicklungen, sind aber nunmehr auch Verfahrensrechte, insbesondere Beteiligungsrechte als subjektive Rechte aufzufassen (2.). Besteht die Möglichkeit, dass ein solches subjektives Recht verletzt ist, dann darf der Einzelne sich auf Ebene der Judikative beteiligen und muss dies auch dürfen, um seine individuelle Selbstbestimmung wiederherstellen zu können. 1. Subjektive Rechte als materielle Rechte Das speziell deutsche Phänomen des subjektiven Rechts wird schon seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Seit einigen Jahren hat diese Diskussion aufgrund der europarechtlich bedingten Kreation neuer Verfahrens- und Beteiligungsformen eine neue Dringlichkeitsstufe erreicht. Die Ausweitung des subjektiven Rechts, das individuelle Selbstbestimmung sichern soll, stellt sich in diesem Zusammenhang als ambivalent dar: Je weiter der Zugang zu Gericht und die richterliche Kontrollbefugnis gefasst sind und je weiter sie sich vom Individualrechtsschutz entfernen, desto eher können die Gerichte auf Fragen kollektiver Selbstbestimmung zugreifen. Existierte etwa eine Popularklagebefugnis, so könnte das Gericht auf Fragen, die dem Bereich kollektiver Selbstbestimmung zugeordnet sind, zugreifen, ohne dabei indivi­ duelle Selbstbestimmung zu schützen. Genauso ist beispielsweise inzwischen das Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in europarechtlichen Fragen ausgestaltet.972 Aufgrund der weiten, vorgeblich in 972  S. Christian Tomuschat, Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 1993, S. 489–496, 491; Brun-Otto Bryde, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts – Konsequenzen für die weitere Entwicklung der europäischen Integration, 1993, S. 4; Doris König, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht – ein Stolperstein auf dem Weg in die europäische Integration?, ZaöRV 1994, S. 17–94, 27; Eckart Klein, Grundrechtsdogmatische und verfassungsprozessuale Überlegungen zur Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: Albrecht Randelzhofer/Rupert Scholz/Dieter Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 271–286. Entsprechende Stimmen wurden auch im Anschluss an das Lissabon-Urteil laut, s. nur Christoph Schönberger, Die Europäische Union zwischen „Demokratiedefizit“ und Bun-



Kapitel 6: Die Judikative385

Art. 38 GG gründenden Zulässigkeitsrechtsprechung973 des Bundesverfassungsgerichts kann jeder geltend machen, dass deutsche974 und nunmehr auch europäische975 Organe gegen das Grundgesetz verstoßen haben. Außerhalb europarechtlicher Fragestellungen hält das Bundesverfassungsgericht aber an der Voraussetzung eines subjektiven Rechts fest.976 Im Gegensatz zu dieser undifferenzierten Einführung einer Popularklage977 auf verfassungsdesstaatsverbot, Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Der Staat 2009, S. 535–558, 539 ff.; Martin Nettesheim, Ein Individualrecht auf Staatlichkeit? Die Lissabon-Entscheidung des BVerfG, NJW 2009, S. 2867–2869, 2869; Matthias Jestaedt, Ein Plädoyer für das Verfassungshandwerk, Der Staat 2009, S.  497–516, 503 f.; Jörg Philipp Terhechte, Souveränität, Dynamik und Integration – making up the rules as we go along? Anmerkungen zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, EuZW 2009, S. 724–731, 726. Die Kritik verstummte auch im Anschluss an den OMT-Beschluss nicht, s. nur Mattias Wendel, Kompetenzrechtliche Grenzgänge: Karlsruhes Ultra-vires-Vorlage an den EuGH, ZaöRV 2014, S. 615–670, 635 f.; Karl Ferdinand Gärditz, Beyond Symbolism: Towards a Constitutional Actio Popularis in EU Affairs? A Commentary on the OMT Decision of the Federal Constitutional Court, German Law Journal 2014, S. 183–202, 186 ff.; Claus Dieter Claasen, Alle Macht den Richtern, jM 2014, S. 345–348, 347; Werner Heun, Eine verfassungswidrige Verfassungsgerichtsentscheidung, JZ 2014, S. 331–337, 332; Franz C. Mayer, Rebels Without a Cause?, Europarecht 2014, S. 473–513, 502 ff.; Martin Nettesheim, Kompetenzdenken als Legitimationsdenken, JZ 2014, S. 585–592, 588; BVerfGE 134, 366, Sondervotum Michael Gerhardt, Rn.  5 ff. 973  Dass Art. 38 GG nicht der Maßstab der Prüfung ist, lässt sich daran erkennen, dass Art. 38 GG auf Ebene der Begründetheit keine Rolle mehr spielt, sondern eine objektive Rechtskontrolle vorgenommen wird. 974  BVerfGE 89, 155 – Maastricht 975  BVerfGE 134, 366 – OMT; BVerfGE 146, 216 – PSPP; Sven Simon, Grenzen des Bundesverfassungsgerichts im europäischen Integrationsprozess, 2016, S. 214 ff. Kritisch Franz C. Mayer, To Boldly Go Where No Court Has Gone Before. The German Federal Constitutional Court’s ultra vires Decision of May 5, 2020, German Law Journal 2020, S. 1116–1127. 976  BVerfGE 129, 124, 168; s. auch BVerfGE 134, 366, Rn. 19, 52. 977  Christian Tomuschat, Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 1993, S. 489–496, 491; Doris König, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht – ein Stolperstein auf dem Weg in die europäische Integration?, ZaöRV 1994, S. 17–94, 27; Daniel Thym, Anmerkung zum Urteil des BVerfG vom 07.09.2011 (2 BvR 987/10), JZ 2011, S. 1011– 1015, 1011; Elmar Brok/Martin Selmayr, Per Popularklage zurück nach Nizza? Zu den Verfassungsklagen gegen den Reformvertrag von Lissabon, EuZW 2008, S. 487– 491; Jürgen Schwarze, Die verordnete Demokratie, Europarecht 2010, S. 108–118, 114; Kathrin Dingemann, Zwischen Integrationsverantwortung und Identitätskontrolle: Das „Lissabon“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZEuS 2009, S. 491–528, 497; Karl Ferdinand Gärditz, Beyond Symbolism: Towards a Constitutional Actio Popularis in EU Affairs? A Commentary on the OMT Decision of the Federal Constitutional Court, German Law Journal 2014, S. 183–202, 190 ff.; Martin Nettesheim, Die Karlsruher Verkündigung – Das BVerfG in staatsrechtlicher Endzeitstimmung, EuR-Beiheft 2010, S. 101–122; Christopher Schönberger, Die Europäische Union

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

rechtlicher Ebene wird sich im Folgenden zeigen, dass die Erweiterung subjektiver Rechte im Verwaltungsrecht individuelle Selbstbestimmung stärkt, ohne dabei notwendigerweise kollektive Selbstbestimmung zu beeinträchtigen. Der Ausgangspunkt der Bestimmung, ob ein subjektives Recht vorliegt, ist die Rechtsmacht, die dem Einzelnen kraft öffentlichen Rechts verliehen wird, um zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten vom Staat verlangen zu können.978 Das subjektive Recht schützt individuelle Selbstbestimmung.979 Die grundrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist dabei nicht Inhalt, sondern Ausfluss des subjektiven Rechts.980 Subjektive Rechte wurden daher grundsätzlich als materielle, nicht als proze­ durale Rechte verstanden.981 Die meisten Klagearten im Verwaltungsprozessrecht fordern, dass die Verletzung eines subjektiven Rechts zumindest als möglich erscheinen muss, damit eine Klage zulässig ist. Normen des Prozessrechts wie § 42 Abs. 2 Var. 2 VwGO sind der Transmissionsriemen, mit dessen Hilfe das Recht in den gerichtlichen Kontext übersetzt wird. Die Gerichte sind verfassungsrechtlich über Art. 19 Abs. 4 GG und einfachgesetzlich durch die Verknüpfung der subjektiven Rechte mit der Klagebefugnis über § 42 Abs. 2 Var. 2 VwGO zum Schutz des subjektiven Rechts berufen. zwischen „­Demokratiedefizit“ und Bundesstaatsverbot, Anmerkungen zum LissabonUrteil des Bundesverfassungsgerichts, Der Staat 2009, S. 535–558, 539 f.; Roman Lehner, Die Integrationsverfassungsbeschwerde nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG: Prozessuale und materiell-rechtliche Folgefragen zu einer objektiven Verfassungswahrungsbeschwerde, Der Staat 2014, S. 535–562, 540. 978  Hartmut Maurer/Christian Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 8 Rn. 2; s. auch Arno Scherzberg, Subjektiv-öffentliche Rechte (§ 12), in: Dirk Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2015, Rn. 1 ff.; sowie Matthias Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiv-öffentlichen Rechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, DVBl. 1998, S. 69–75; Hans J. Wolff/Otto Bachof/ Rolf Stober/Winfried Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, 13. Aufl. 2017, § 43 Rn. 54. 979  Christoph Möllers, Gewaltengliederung, 2005, S. 43 ff.; ders., Dogmatik der grundgesetzlichen Gewaltengliederung, AöR 132 (2007), S. 493–538, 505, 508; ausführlich ders., Individuelle Legitimation: Wie rechtfertigen sich Gerichte?, in: Anna Geis/Frank Nullmeier/Christopher Daase (Hrsg.), Leviathan Sonderband 27, 2012, S. 398–418; ähnlich Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 264 f.; Claudio Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zur Bestimmung der Klagebefugnis im Umweltrecht, DVBl. 2014, S. 543–550, 549. 980  BVerfGE 61, 82, 110; 83, 182, 194  f.; Eberhard Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 110. 981  Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 45. S. dazu ausführlich unten S. 398 ff.



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Im Mittelpunkt des subjektiven Rechts steht die Frage nach dem rechtlich geschützten Interesse. Darin zeigt sich das wesentliche Kriterium des subjektiven Rechts. Bloße, d. h. autonom982 vom Rechtssubjekt definierte Interessen sind nach der Schutznormtheorie, die der Bestimmung des Vorliegens eines subjektiven Rechts dient,983 nicht erfasst, sondern nur rechtlich geschützte Interessen, die zumindest auch dem Einzelnen und nicht ausschließlich dem Gemeinwohl dienen.984 Die Abgrenzung zu bloßen Rechtsreflexen, auf die der Einzelne sich nicht berufen kann, und rechtlich geschützten Interessen ist dabei aber äußert schwierig. Schon Ottmar Bühler und Georg Jellinek äußerten daran Kritik.985 Diese Unterscheidung betrete „schwankenden Boden“,986 ein „trittsicherer Weg“ sei keineswegs erschlossen.987 Nach der herrschenden Lehre wird diese Abgrenzung vornehmlich entsprechend dem Willen des Gesetzgebers vorgenommen. Dazu ist inzwischen ein Kanon von unterschiedlichen Methoden und Regeln getreten,988 unter anderem und vor allem auch die Wirkung der Grundrechte,989 die den Prototyp subjektiver Rechte darstellen. Die Schutznormtheorie verlangt letztlich, dass der Einzelne von der Allgemeinheit zu unterscheiden sein müsse. Dahinter steckt die unausge982  Arno Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht – Grundfragen und Fälle, Jura 2006, S. 839–848, 841. 983  Rainer Wahl, Vorb § 42 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 14. 984  Hartmut Maurer/Christian Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2020, § 8 Rn. 8 f.; Rainer Wahl, Vorb § 42 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 95; Eberhard Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 136. 985  Ottmar Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte, 1914, S. 44; Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905, S. 68 ff. 986  Rüdiger Breuer, Baurechtlicher Nachbarschutz, DVBl. 1983, S. 431–440, 432; Gregor Kirchhof, Der rechtliche Schutz vor Feinstaub, AöR 135 (2010), S. 29–77, 55. 987  Gregor Kirchhof, Der rechtliche Schutz vor Feinstaub, AöR 135 (2010), S. 29– 77, 56 m. w. N. S. auch die Kritik an der Schutznormtheorie bei Peter M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 153 ff. 988  Rainer Wahl, Vorb § 42 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 95; Eberhard Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 128. 989  Peter M. Huber, Konkurrenzschutz im Verwaltungsrecht, 1991, S. 174 ff., insb. S.  200 ff.; Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 4 ff.; Arno Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht – Grundfragen und Fälle, Jura 2006, S. 839–848, 842. S. auch Gregor Kirchhof, Der rechtliche Schutz vor Feinstaub, AöR 135 (2010), S.  29–77, 56 ff.

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sprochene Überlegung, dass der Einzelne von der Gemeinschaft nur etwas fordern können soll, wenn ihm dieses Recht im Wege demokratischer Selbstbestimmung – sei es verfassungsrechtlich, sei es einfachgesetzlich – zumindest auch in seinem Interesse und nicht lediglich im Interesse aller ausdrücklich gewährt wurde. Nur dann sollen Gerichte auch entscheiden dürfen und so individuelle Selbstbestimmung sicherstellen. Wesentlicher Beweggrund des Ausschlusses von Rechtsreflexen aufgrund rein faktischer Betroffenheit ist das Ziel, einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch zu verhindern.990 Der Einzelne wird nicht als Hüter oder Prokurator991 des Allgemeinwohls betrachtet, vielmehr agiert er zum Schutz seiner individuellen Selbstbestimmung.992 Die kollektive Selbstbestimmung ist den dazu berufenen Organen, d. h. dem Parlament und den dazu bestimmten Teilen der Verwaltung, aber nicht dem Einzelnen oder den Gerichten zugewiesen. So ist mangels Außenwirkung z. B. der Netzentwicklungsplan ausdrücklich nach § 12c Abs. 4 S. 2 EnWG nicht gerichtlich angreifbar. Während anfangs der Begriff des subjektiven Rechts von der Rechtsprechung sehr eng verstanden wurde, lässt sich seit den 1950er Jahren eine stetige Ausweitung beobachten.993 Gerade das erweiterte Verständnis des Nach­ barbegriffs und die damit einhergehende Öffnung von Klagemöglichkeiten u. a. im Baurecht,994 im Immissionsschutzrecht995 und im Atomrecht und 990  S. nur Rainer Wahl, Vorb § 42 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 97. 991  Vgl. aber Johannes Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts. Europäische Impulse für eine Revision der Lehre vom subjektivöffentlichen Recht, 1997, der vom „status procuratoris“ spricht, S. 17; s. auch EuGH, Urteil v. 5. Februar 1963, C-26/62, Slg. 1963, 26 – Van Gend en Loos; Matthias Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S.  220 ff.; Johannes Saurer, Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht. Die institutionelle Ausdifferenzierung der Verwaltungsorganisation der Europäischen Union, 2014, S.  334 ff. 992  Juliane Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, Die Verwaltung 1998, S. 335–370, 336. 993  S. dazu Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/ Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 110 ff.; Johannes Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts. Europäische Impulse für eine Revision der Lehre vom subjektiv-öffentlichen Recht, 1997, S. 92 ff.; Hartmut Bauer, Geschicht­ liche Grundlagen der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht, 1986, S. 135 ff., insb. 143 ff. 994  Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Juli 2020, Rn. 110 ff.; Michael Reiling, Zu individuellen Rechten im deutschen und im Gemeinschaftsrecht, 2004, S. 97 ff.



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dem damit verbundenen Anspruch auf staatlichen Schutz von Drittbetroffenen auf Schadensvorsorge und nicht nur Gefahrenabwehr,996 zeigt die Ausweitung der rechtlichen geschützten Interessen und damit subjektiver Rechte in den letzten Jahrzehnten. Allen ist gemein, dass das Regelungsziel der Schutz eines bestimmten Rechtsguts oder Interesses ist und der Einzelne damit nicht lediglich durch faktische Betroffenheit individualisiert wird. So wird individuelle Selbstbestimmung gesichert. Dies trifft auch auf die bislang letzte, durch europäische Einflüsse angestoßene Entwicklung zu.997 Inwieweit ein Recht dem Einzelnen zusteht, ist nach dem EuGH von der Frage abhängig, ob der Einzelne Inhaber eines schützenswerten Interesses ist. Auch der EuGH orientiert sich damit wie die deutsche Schutznormlehre am Schutzzweck der Norm, verfährt aber großzügiger bei der Zuerkennung eines individualschützenden Charakters als das deutsche Recht.998 Die Schutzzwecke, die sich auch aus den Erwägungsgründen einer Richtlinie ergeben können,999 werden weiter als durch die Schutznormlehre verstanden.1000 So reicht z. B. das Ziel des Gesundheitsoder Eigentumsschutzes einer Richtlinie aus, um einen individualschützenden Charakter anzunehmen.1001 Es geht dem EuGH um den Bereich des durch 995  Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 167 ff. 996  Dieter Murswiek/Lena Ketterer/Oliver Sauer/Holger Wöckel, Rechtsprechungsanalyse. Ausgewählte Probleme des Umweltrechts – Subjektivierungstendenzen; Umweltinformationsrecht, Die Verwaltung 44 (2011), S. 239–272, 236 ff.; Rainer Wahl/ Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn.  177 ff. 997  EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 39. 998  Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1234 f.; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 1. 999  Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 710; EuGH, Urteil v. 8. Oktober 1996, C-178/94 u. a., Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer, Rn. 37 und 39. 1000  Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 710. 1001  Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1235; Joseph Ruthig, Die Konzeption des subjektiven öffentlichen Rechts im Gemeinschaftsrecht, in: Winfried Kluth/Klaus Rennert (Hrsg.), Entwicklungen im Verwaltungsprozeßrecht: Klagebefugnis, In-camera-Verfahren, Rechtsmittelrecht, 2008, S.  35–52, 45 f. m. w. N.; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 3; Daniel Couzinet, Die Schutznormtheorie in Zeiten des Feinstaubs, DVBl. 2008, S. 754–762, 761.

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die Norm geschützten Interesses. Der Kläger ist klagebefugt, wenn sein Interesse dem geschützten Bereich unterfällt.1002 In sachlicher Hinsicht geschieht dies durch „die Verknüpfung des Schutzziels (Schutz personaler Rechtsgüter) mit einer möglichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit (etwa durch Überschreitung von Grenzwerten).“1003 Eine gewisse räumliche1004 Nähe des Klägers wird verlangt.1005 Die Anforderungen des Europarechts sind damit zwar normativ zu verstehen und stellen nicht allein auf die faktische Betroffenheit ab. Die faktische Betroffenheit spielt aber auch eine Rolle. „In personeller Hinsicht kommt es auf die – im Ergebnis weit zu verstehende – faktische Betroffenheit des Einzelnen an; er ist individuell berechtigt, wenn er infolge der Missachtung der einschlägigen Rechtsnorm tatsächliche Nachteile in seinen geschützten Individualinteressen zu gewahren hat.“1006 Daraus folgt 1002  Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 3; Walter Frenz, Individuelle Klagebefugnis zwischen Bürgerprotest und Umweltverbandsklagen, DVBl. 2012, S. 811– 816, 812; Gerd Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S. 467–475, 470; ähnlich Joseph Ruthig, Transformiertes Gemeinschaftsrecht und die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO, BayVBl. 1997, S. 289–298, 294; Alfred Escher, EuGH verurteilt Deutschland wegen Nichtumsetzung der Altölrichtlinie – zugleich eine Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 9. 9. 1999 in der Rs. C-102/97 – Kommission/Deutschland (EuZW 1999, 689), EuZW 2000, S. 105–109, 109; Arno Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht – Grundfragen und Fälle, Jura 2006, S. 839–848, 839. Missverständlich EuGH, Urteil v. 8. März 2011, C‑240/09, Slg. 2011, I-1255 – Slowakische Braunbären, Rn. 47, der auch aus der Habitat-Richtlinie subjektive Rechte abzuleiten scheint. Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, S. 5, geht davon, dass der EuGH auf subjektive Beteiligungsrechte abstelle, s. auch Juliane Kokott/Christoph Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl. 2014, S. 132–137, 133. 1003  Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 3; ebenso Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 1; Martin Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 369  f.; s. auch Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge, 13. November 2014, C-570/13 – Gruber, Rn. 41. 1004  EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 39. 1005  Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 710. 1006  Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 3; s. auch EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 37; EuGH, Urteil v. 26. Mai 2011, C-167/09 – Stichting Natuur en Milieu, Rn. 94, 100: Jan Ziekow, Europa und der deutsche Verwaltungsprozess – Schlaglichter auf eine unendliche Geschichte, NVwZ



Kapitel 6: Die Judikative391

z. B., dass es dem Unionsrecht folglich nicht reicht, „wenn der Einzelne aus ideellen oder altruistischen Motiven das Ziel verfolgt, der allgemeinen Rechtmäßigkeit oder jedenfalls Rechten Dritter zur Geltung verhelfen zu wollen“.1007 Es bedarf einer normativ-faktischen Betroffenheit. Damit sind das normative Element des sachlich schützenswerten Bereichs (oder Regelungsziels) und die unmittelbare Betroffenheit die wesentlichen Merkmale des subjektiven Rechts auf europäischer Ebene.1008 Dies geht über das herkömmliche Verständnis des deutschen Rechts in der Tat hinaus,1009 lässt sich allerdings ohne große Schwierigkeiten inkorporieren, da es nicht gegen den Grundgedanken der Schutznormtheorie, nämlich das Abstellen auf den Schutz individueller Selbstbestimmung, verstößt, sondern vielmehr den Schutz lediglich behutsam ausweitet. Dafür muss allein der Interessenbegriff der Schutznormlehre weiter verstanden1010 und so die Schutznormlehre uni2010, S. 793–799, 794; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 1; Friedrich Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, S. 361–370, 365. S. Juliane Kokott/Christoph Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht – Weichenstellungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, DVBl. 2014, S. 132–137, 132 f., die dieses Kriterium für wichtiger halten als die Schutzrichtung der fraglichen Norm. In beiden Fällen ging es um gesundheitsrelevante Fragen. S. auch Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge, 13. November 2014, C-570/13 – Gruber, Rn. 37. 1007  Martin Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 359. 1008  Gregor Kirchhof, Der rechtliche Schutz vor Feinstaub, AöR 135 (2010), S. 29–77, 50; Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 2 f.; Gerd Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S. 467–475, 470. S. auch Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1234 f.; Mathias Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, S. 380–387, 382; Matthias Ruffert, Art. 288 AEUV, in Christian Calliess/ders. (Hrsg.), EUV/ AEUV. Kommentar, 6. Aufl. 2022, Rn. 46. 1009  Vgl. nur Walter Frenz, Individuelle Klagebefugnis zwischen Bürgerprotest und Umweltverbandsklagen, DVBl. 2012, S. 811–816, 812; Arno Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht – Grundfragen und Fälle, Jura 2006, S. 839–848, 848; Gerd Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, NVwZ 1999, S. 467–475, 470; Mattthias Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiv-öffentlichen Rechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, DVBl. 1998, S. 69–75, 70 ff.; Marten Breuer, Die Klagebefugnis von Umweltverbänden unter Anpassungsdruck des Völker- und Europarechts, Die Verwaltung 2012, S. 171–205, 171 f. 1010  Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 4; Martin Nettesheim, Subjektive

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

onsrechtlich aufgeladen werden.1011 Dies stärkt nicht nur individuelle Selbstbestimmung und folgt aus europäischem Recht, sondern wird von Teilen der Wissenschaft schon länger befürwortet1012 und geschieht auch schon durch die Gerichte. So hat beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht in Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 AK die subjektive Rechtsstellung des Klägers mit ­einer subjektiv-rechtlichen Auslegung des materiell als verletzt geltend gemachten Rechts begründet.1013 Anders als das Ausgangsgericht1014 legte das Bundesverwaltungsgericht die Norm des § 47 BImSchG, nach der ein Luftreinhalteplan zu erstellen ist, als subjektiv-rechtliche Norm aus und kam zu einer Klagebefugnis aus § 42 Abs. 2 Var. 2 VwGO. Es argumentierte unter Berufung auf die Rechtssache Janecek des EuGH, dass sich auch „unmittelbar betroffene natürliche Personen“ aufgrund des durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) bezweckten Schutzes der menschlichen Gesundheit, also einem Individualinteresse, auf das BImSchG berufen dürften.1015 Aus dem vom BImSchG „bezweckten Schutz der menschlichen Gesundheit folgt ein Klagerecht für die von den Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen natürlichen Personen.“1016 Das Bundesverwaltungsgericht folgt also dem oben beschriebenen normativ-faktischen Ansatz, der den sachlichen Schutzbereich (Schutzzweck) mit der unmittelbaren persönlichen Betroffenheit verknüpft. Es lässt sich insofern von einem „subjekti­ Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 390; Bernhard Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S. 295 f.; Angela Schwerdtfeger, Erweiterte Klagerechte für Umweltverbände – Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 12.5.2011 in der Rechtssache Trianel, Europarecht 2012, S.  80–89, 86 f.; Friedrich Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band III, 2. Aufl. 2013, S. 743–1047, Rn. 173a. 1011  Oliver Dörr, Europäischer Verwaltungsrechtschutz, in Helge Sodan/Jan Ziekow (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 5. Aufl. 2018, S. 35–118, Rn. 226; Dirk Ehlers, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, DVBl. 2004, S. 1441–1451, 1445; Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 710. 1012  Martin Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 390; Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 4; Bernhard Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S.  295 f. 1013  BVerwG, NVwZ 2014, S. 64, Rn. 38 ff. 1014  VG Wiesbaden, BeckRS 2012, 55841. 1015  BVerwG, NVwZ 2014, S. 64, Rn. 41. So auch schon Christian Fonk, Das subjektiv-öffentliche Recht auf ordnungsgemäße Luftreinhalteplanung, NVwZ 2009, S. 69–74, 71. 1016  BVerwG, NVwZ 2014, S. 64, Rn. 41, unter Verweis auf EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 42.



Kapitel 6: Die Judikative393

vierungsfähige[n] personale[n] Schutzsubstrat“ sprechen.1017 Das Bundesverwaltungsgericht kommt hier zum richtigen Schluss, indem es eine „Auslegung des § 47 Abs. 1 BImSchG dahingehend als durch Art. 23 der Luftreinhalterichtlinie und Art. 9 Abs. 3 AK geboten ansieht, dass [die] unmittelbar betroffenen natürlichen Personen […] das Recht haben, die Einhaltung der zwingenden Vorschriften des Luftqualitätsrechts zu verlangen“1018. Es nimmt wegen Art. 9 Abs. 3 AK eine Ausweitung der subjektiven Rechte auch auf vormals als rein objektiv verstandene Normen an und versteht damit Art. 9 Abs. 3 AK als Grundlage für die Entwicklung neuer subjektiver Rechte, die im materiellen Recht angesiedelt sind.1019 Für die Richtigkeit dieser Auslegung spricht auch die Präambel der UVP-Richtlinie, die von der „effektiven Beteiligung der Öffentlichkeit“ und vom „Recht des Einzelnen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt“ spricht.1020 Schließlich unterstützt sowohl der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz eine Ausweitung der Klagerechte auch auf Individuen,1021 als auch das in Art. 9 Abs. 4 AK aufgestellte Erfordernis effektiven Rechtsschutzes.1022 Jedes vom Recht als schutzwürdig anerkanntes Individualinteresse kann daher als subjektives Recht verstanden werden.1023 Letztlich wird das subjektive Recht mit dieser Lösung europarechtlich aufgeladen und zudem ein Bruch zum althergebrachten und bewährten System des subjektiven Rechts vermieden. Daher kann die Schutznormtheorie und mit ihr das deut1017  Wolfgang Kahl, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umweltrecht – Teil 1, JZ 2014, S. 722–732, 730. S. auch Claudio Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung zur Bestimmung der Klagebefugnis im Umweltrecht, DVBl. 2014, S. 543–550, 550. 1018  BVerwG, NVwZ 2014, 64, Rn. 48. 1019  Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Per­ spektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1342. 1020  UVP-RL, Präambel Nr. 16 bzw. Nr. 19 (Hervorhebung durch den Verfasser). 1021  Friedrich Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band III, 2. Aufl. 2013, S. 743–1047, Rn. 173a; s. auch Alexander Schink, Neue rechtliche Anforderungen an Genehmigung und Betrieb von Anlagen in der Stahlindustrie, DVBl. 2012, S. 197–206, 199, der zu einer personellen Erweiterung kommt. S. auch EuGH, Urteil v. 25. Juli 2008, C-237/07, Slg. 2008, I-6221 – Janecek, Rn. 52. 1022  Max-Jürgen Seibert, Verbandsklagen im Umweltrecht Aktueller Stand, Per­ spektiven und praktische Probleme, NVwZ 2013, S. 1040–1049, 1042. 1023  Thomas Schmidt-Kötters, § 42 VwGO, Herbert Posser/Heinrich Amadeus Wolff (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 55. Edition Stand: 1. Oktober 2019, Rn. 44; Helmuth von Nicolai, § 42 VwGO, in: Konrad Redeker/Hans-Joachim v. Oertzen (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung Kommentar, 17. Aufl. 2022, Rn. 52; Ferdinand Kopp/Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 26. Aufl. 2020, § 42 Rn. 78.

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sche Recht grundsätzlich Neuerungen aufnehmen, indem es auch Interessen als schützenswerte Rechte versteht1024 und so den Schutz individueller Selbst­bestimmung erweitert. 2. Verfahrensrechte und der Schutz individueller Selbstbestimmung Individuelle Selbstbestimmung wird auch durch einen erweiterten Schutz von Verfahrensrechten, die mehr und mehr als subjektive Rechte anerkannt werden,1025 gewährleistet. Hier zeigt sich die besondere Abgrenzungsproblematik der doppelten Partizipation und der schwierigen Balance zwischen dem Schutz individueller Selbstbestimmung und der Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung: Partizipation auf Verwaltungsebene wird geschützt, indem der Einzelne gegen Verletzungen seiner Partizipationsrechte klagen kann. Gleichzeitig wird damit u. U. aber auch eine Verwaltungsentscheidung, die die Beteiligungsergebnisse vieler anderer Einzelner berücksichtigt hat und damit auch kollektiver Selbstbestimmung diente, aufgehoben und so in die kollektive Selbstbestimmung eingegriffen. Nach der früheren Doktrin wurde die Rügefähigkeit eines bloßen Verfahrensverstoßes ohne Geltendmachung eines materiellen Rechtsverstoßes wegen der „dienenden Funktion der Verfahrensrechte“ abgelehnt.1026 Inzwischen ist u. a. aufgrund der Mühlheim-Kärlich-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die auf die Schutzpflichtendimension der Grundrechte ab­ stellt,1027 eine Änderung im Verständnis eingetreten. Heute wird unterschieden zwischen absoluten (a)) und relativen (b)) Verfahrensrechten. Während 1024  Martin Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), S. 333–392, 390; Christian Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz deutscher Verwaltungsgerichte. Europarechtliche Vorgaben für die Klagebefugnis vor deutschen Gerichten und ihre dogmatische Verarbeitung, NVwZ 2006, S. 1–7, 4; Bernhard Wegener, Rechte des Einzelnen: Die Interessentenklage im europäischen Umweltrecht, 1998, S.  295 f. 1025  S. grundlegend zur Bedeutung von Verfahrensrechten Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43–141, 80 ff., 86 ff.; Jürgen Held, Der Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens, 1984; Konrad Redeker, Grundgesetzliche Rechte auf Verfahrensteilhabe, NJW 1980, S. 1593–1598. 1026  Vgl. Michael Fehling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 278–337, 286 m. w. N.; Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 711; OVG Lüneburg, BauR 2011, 1212; BVerwG, NVwZ 1996, S. 381, 387; BVerwG, NVwZ 1991, S. 369, 371. Zurückhaltend BVerwG, NVwZ 2012, S. 448, 450 Rn. 39 (Altrip-Vorlage). 1027  BVerfGE 53, 30, 65. S. auch BVerfG, Urteil v. 17. Dezember 2013, 1 BvR 3139/08, Rn.  301 ff.



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bei den absoluten Verfahrensrechten die Frage nach dem subjektiven Recht geklärt ist, ist sie bei den relativen Verfahrensrechten weiterhin umstritten. a) Absolute Verfahrensrechte als subjektive Rechte Absolute Verfahrensrechte sind subjektive Verfahrensrechte, sie schützen das Verfahren „um seiner selbst willen.“1028 Die absoluten Verfahrensrechte verleihen dem Einzelnen nicht nur die Rechtsmacht, im Verwaltungsverfahren vom Staat eine Verfahrensbeteiligung zu verlangen, sondern eröffnen auch in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren die Klagebefugnis.1029 Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ein Ausschluss der Aufhebbarkeit der Entscheidung, die unter Verletzung dieser Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, anders als bei der Verletzung bloßer relativer Verfahrensrechte gerade nicht in Betracht kommt. Das Besondere ist also, dass gerichtlicher Schutz gegen die Verletzung dieser Verfahrensrechte besteht. In Deutschland werden als absolute Verfahrensrechte nur sehr wenige Verfahrensrechte gefasst: So sollen Beteiligungsrechte von Gemeinden im Genehmigungs­ verfahren nach dem Luftverkehrsrecht,1030 bestimmte Beteiligungsrechte in ­Planfeststellungsverfahren von anerkannten Naturschutzverbänden gem. § 29 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG a. F.1031 sowie bestimmte Beteiligungsrechte innerhalb 1028  Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479; Ferdinand Kopp/Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung. Kommentar, 26. Aufl. 2020, § 42 Rn. 95 m. w. N. 1029  Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 40. Ergänzungslieferung Stand Februar 2021, Rn. 73; Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 73 f.; Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffent­ lichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, S. 238. 1030  Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 473; BVerwG, NVwZ 1989, S. 750, 754; Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 73; Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 74; Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, S. 238. 1031  Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 473; BVerwG, NVwZ 1998, S. 395, 396; BVerwG, NVwZ 1991, S. 162, 164; Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 73; Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 74; Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, S. 238. S. dazu auch

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eines Atomgenehmigungsverfahrens1032 dazu gehören.1033 In keinem dieser Fälle sind die hier interessierenden Beteiligungsrechte von Einzelnen betroffen. Anders verhält sich das bei § 4 UmwRG. Hier geht es um Beteiligungsrechte von Individuen im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Umstritten ist, ob § 4 UmwRG ebenfalls ein absolutes Verfahrensrecht darstellt und dementsprechend subjektive Rechte1034 schafft. Der mehrfach ausChristian Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage nach der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes – Tendenzen zu einer „Privatisierung des Gemeinwohls“ im Verwaltungsrecht?, NJW 2003, S. 97–102. Nach BVerwG, NVwZ 2004, S. 1486, 1488 gilt dies aber nicht mehr nach der Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes, da und sofern nunmehr konkrete Mitwirkungsbefugnisse nach § 63 BNatSchG (§ 61 BNatSchG a. F.) den Verbänden zukommen; ebenso Elke Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 227–277, 267 und Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 711. Dies hat aber keine Auswirkungen auf das UmwRG. Kritisch Dieter Murswiek, Rechtsprechungsanalyse: Ausgewählte Fragen des allgemeinen Umweltrechts. Vorsorgeprinzip, Subjektivierungstendenzen am Beispiel der UVP, Verbandsklage, Die Verwaltung 2005, S. 243–279, 276 ff.; a. A. für § 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG Franz Schemmer, § 46 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ­ VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 30. S. auch OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2014, 178 zu § 63 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG. 1032  So Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, S. 238. Die zitierten Urteile bleiben aber unklar. BVerwG, NVwZ 1991, S. 369, 371, kann auch so gelesen werden, als ob die Klagebefugnis nicht aus der Möglichkeit der Verletzung der Beteiligungsrechte folgt. Das BVerwG stellt hier nämlich – ebenso wie in BVerwG NVwZ 1985, S. 745 – auf das Genehmigungsverfahren und nicht das Gerichtsverfahren ab und verweist überdies auf ein Urteil, das ausdrücklich Verfahrensrechten im BImSchG Drittschutzqualität zuweist, aber daraus gerade nicht die Klagebefugnis annimmt, sondern auf die Auswirkung auf die materielle Rechtsposition abstellt, BVerwG, NJW 1983, 1507, 1508. Das andere zitierte Urteil, BVerwG, NVwZ 1990, S. 967, spricht lediglich von einer Rechtsverletzung, nimmt aber keine Stellung zu den Folgen bzgl. einer gerichtlichen Überprüfung. 1033  Nicht dazu gehören die immer wieder zitierten „enteignungsrechtlichen Vorschriften“ (z. B. Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/ Jens-Peter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 73; Angela Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aarhus-Konvention, 2010, S. 74; Reinhard Sparwasser/Rüdiger Engel/Andreas Voßkuhle, Umweltrecht: Grundzüge des öffent­ lichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, S. 238). Das BVerwG, NVwZ 2013, S. 147, Rn. 19, stuft sie als relative Verfahrensrechte ein: „Als von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses Betroffene haben die Kl. zu 3 und 4 Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung des Plans auch auf seine objektive Rechtmäßigkeit, soweit die geltend gemachten Fehler für die Inanspruchnahme ihres Eigentums erheblich, insbesondere kausal sind.“ 1034  Ausdrücklich Jan Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, S. 259–267, 261; Dieter Murswiek/Lena Ket-



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geweitete § 4 Abs. 1 UmwRG bezieht sich auf das Unterlassen einer Umweltverträglichkeitsprüfung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a) UmwRG), das Unterlassen einer Vorprüfung (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b) UmwRG), das Unterlassen einer erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 18 UVPG oder § 10 BImSchG (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG) oder auf das Vorliegen eines anderen Verfahrensfehlers (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG), der nicht geheilt worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a UmwRG), nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b UmwRG) und der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat. Zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. c UmwRG). § 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG betrifft den Fall, dass die Vorprüfung nicht dem Maßstab des § 5 Abs. 3 S. 2 UVPG n. F. (§ 3a S. 4 UVPG a. F.) genügt. In diesen Fällen sind auch Beteiligungsrechte betroffen: Mangels Verfahrens, mangelhafter oder unterlassener Öffentlichkeitsbeteiligung oder anderer Verfahrensfehler kann es nicht zu einer Beteiligung und zu einer Berücksichtigung der Interessen und Belange der Einzelnen kommen. Entscheidungen, die an diesen Verfahrensfehlern leiden, sind aufzuheben.1035 Solche Fehler sind damit aufgrund einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung absolute Verfahrensfehler.1036 terer/Oliver Sauer/Holger Wöckel, Rechtsprechungsanalyse. Ausgewählte Probleme des Umweltrechts – Subjektivierungstendenzen; Umweltinformationsrecht, Die Verwaltung 44 (2011), S. 235–272, 258. Anders Sabine Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 299 und dies., Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes – Schutznormdoktrin und Verfahrensfehlerlehre erneut unter Anpassungsdruck, NVwZ 2014, S. 11–18, 15, die von „eigenständige[r] Rechtsbehelfsbefugnis“ spricht und ein subjektiv-rechtliches Verständnis nicht als von der Schutznormlehre gedeckt ansieht. S. dazu auch Frank Fellenberg/Gernot Schiller, § 4 UmwRG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 93. Ergänzungslieferung, August 2020, Rn. 11, 57 ff.; Claudio Franzius, Genügt die Novelle des UmweltRechtsbehelfsgesetzes den unionsrechtlichen Vorgaben?, NVwZ 2018, 219–222, 221 f.; Johannes Saurer, Heilung von Verfahrensfehlern in umweltrechtlichen Zulassungsverfahren, NVwZ 2020, S. 1137–1143, 1140. 1035  Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Perspektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1344. 1036  Martin Kment, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG – Rechtsschutz des Vorhabenträgers, anerkannter Vereinigungen und Dritter, NVwZ 2007, S. 274–280, 279; Jan Ziekow, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz im System des deutschen Rechtsschutzes, NVwZ 2007, S. 259–267, 264; Markus Ogorek, Die Anfechtung von Planfeststellungsbeschlüssen durch Gemeinden nach Inkrafttreten des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, NVwZ 2010, S. 401–405, 402 f. A. A. Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 476 ff.; ebenso VGH Kassel, ZUR 2009, S. 87, 88 f.; BVerwG, NVwZ 2012, S. 573, Rn. 19 ff.: „Fehlerfolgenregelung“.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Ihr gerichtlicher Schutz erlaubt die Verwirklichung individueller Selbstbestimmung. b) Relative Verfahrensrechte als subjektive Rechte? Relative Verfahrensrechte geben wie absolute Verfahrensrechte dem Einzelnen die Rechtsmacht, vom Staat im Verwaltungsverfahren eine Beteiligung zu verlangen. Dies zeigt, dass sie auch individuelle Selbstbestimmung schützen. Sie werden dennoch grundsätzlich nicht als subjektive Rechte verstanden.1037 Ansonsten führte jeder Verfahrensfehler zu einem gericht­ lichen Verfahren. Dann wäre aber die Grenze zwischen den Gewalten überschritten, da die Gerichte zu viel Einfluss auf den Prozess kollektiver Selbstbestimmung nähmen. Um einen Ausgleich zwischen beiden Formen der Selbstbestimmung sowie den Kompetenzen der Gerichte und der Exekutive zu finden, wird vorgeschlagen, dass Verfahrensfehler nur dann gerichtlich geltend gemacht werden können, wenn aus ihnen Auswirkungen auf die materiellen Rechte folgen. Im deutschen Recht wird dieser Zusammenhang des Verfahrensrechts mit dem materiellen Recht anhand der § 44a VwGO und §§ 45, 46 VwVfG deutlich, die die Kontrollbefugnisse der Gerichte bzgl. der relativen Verfahrensrechte beschränken.1038 Nach § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, so dass eine isolierte Anfechtung von Verfahrensfehlern nicht in Betracht kommt. Im Mittelpunkt der Diskussion steht also § 46 VwVfG, mit dem nach h. M. die relativen – aber nicht die absoluten – Verfahrensrechte „belastet“ sind.1039 Die Aufhebung einer Entscheidung, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, kommt nach § 46 VwVfG nur in Betracht, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und der Entscheidung besteht. Dieser ist nur dann zu bejahen, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der insoweit erforderliche Kausalzusammenhang setzt die konkrete Möglichkeit voraus, dass die angegriffene behördliche Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders, d. h. für die Betroffenen 1037  Klaus-Peter Dolde, Verwaltungsverfahren und Deregulierung, NVwZ 2006, S. 857–865, 861; Helmut Lecheler, Isolierte Anfechtung von Verfahrensfehlern ohne materielle Beschwer kraft Europarechts?, NVwZ 2005, S. 1156–1157, 1156 f. 1038  Christian Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 61, spricht treffend von „Abschirmungstrias“. 1039  S. nur Franz Schemmer, § 46 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 26.



Kapitel 6: Die Judikative399

günstiger, ausgefallen wäre.“1040 Begründet wird dies u. a. damit, dass relative Rechte nicht das Verfahren um seiner selbst willen schützen, sondern das dahinter stehende Ziel, nämlich dass die Behörde „im öffentlichen Interesse […] zu einer ordnungsgemäßen Sachentscheidung“ kommen kann.1041 Hinter dieser Beschränkung der subjektiven Rechte auf absolute Verfahrensrechte steckt die unausgesprochene Überlegung, dass Verfahrensrechte die Mechanismen regeln, die kollektive Selbstbestimmung ermöglichen sollen, nicht aber per se der individuellen Selbstbestimmung dienen. Die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung ist aber nur die eine Seite der Medaille. Verfahren dienen auch dem Schutz des Einzelnen.1042 Dies zeigt das Recht auf rechtliches Gehör ebenso wie das Wahlrecht des Art. 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG. Beides sind Verfahrens- und Beteiligungsrechte, die individueller Selbstbestimmung dienen. Die Annahme, dass das Verfahren ausschließlich kollektiver Selbstbestimmung dient, stimmt folglich nicht.1043 Außerdem werden durch die Ansicht, die zwar einen Anspruch des Einzelnen auf Beteiligung anerkennt, gleichzeitig aber die Existenz eines subjektiven Rechts ebenso wie die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs ablehnt, die Beteiligungsmöglichkeiten auf Exekutiv- und Judikativebene verwechselt: Ein Anspruch, also das Recht etwas vom Staat fordern zu können, ist schon das subjektive Recht. Dieses muss entsprechend geltend gemacht werden können, § 42 Abs. 2 VwGO. Es herrscht also weiterhin viel Verwirrung bezüglich des Verständnisses von Verfahrensrechten als subjektiven Rechten,1044 da nicht hinreichend zwi1040  BVerwG, NVwZ 2009, 653, 658, Rn. 42; ähnlich BVerwG, NVwZ 2013, 297, 299, Rn. 34; BVerwG, NVwZ 2008, 795, 796, Rn. 20; BVerwG, NVwZ 2008, 563, 566, Rn. 38; BVerwG, NVwZ 1996, 1016, 1017; BVerwG, NVwZ 1996, 788, 791; BVerwG, NVwZ 1984, 718, 721; s. auch Jan Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263–267, 264; Ivo Appel, Subjektivierung von UVPFehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 474. 1041  Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 473. 1042  Winfried Porsch, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht. Über die Stärkung der Verbandsklage zur Umwelt-Popularklage, NVwZ 2013, S. 1393–1396, 1393; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1362; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 68; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 834. 1043  Arno Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht – Grundfragen und Fälle, Jura 2006, S. 839–848, 846, der ausdrücklich auch relative Verfahrensrechte als subjektive Rechte versteht, aber sie deswegen nicht aufhebbar stellen will. 1044  Vgl. Ivo Appel/Jörg Singer, Verfahrensvorschriften als subjektive Rechte, JuS 2007, S. 913–917, die zwar zunächst keine Rückwirkung des § 46 VwVfG auf die subjektiv-rechtliche Wirkung eines relativen Verfahrensrechts annehmen, S. 915,

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

schen subjektiv-rechtlicher Rechtsposition einerseits und richterlicher Kon­ trollbefugnis, d. h. der Aufhebbarkeit der Entscheidung andererseits getrennt wird.1045 Die Frage der Kontrollbefugnis betrifft nämlich die Begründetheit einer Klage. Auf Zulässigkeitsebene geht es aber alleine um die Frage, ob eine Verletzung überhaupt möglich ist. Die Frage des subjektiven Rechts fragt danach, ob jemand in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Dies ist ein fundamentaler Unterschied. Auch hier hat sich durch das Europarecht eine besondere Dynamik entwickelt. Dabei spielt wie auch auf nationaler Ebene die Frage der richterlichen Kontrollbefugnis und damit die gerichtliche Aufhebbarkeit einer Entscheidung die wesentliche Rolle. Nur solche Verfahrensfehler, die zu einer Aufhebbarkeit der Entscheidung führen können, müssen gerichtlich angreifbar sein. Damit lässt der EuGH wie das deutsche Recht auch eine Einschränkung der Kontrolle verfahrensfehlerhaft zustande gekommener Entscheidungen zu.1046 Jedoch darf diese Einschränkung nicht zu eng gefasst sein. Die europäischen Vorgaben sind weiter als die deutschen Vorgaben und können daher mit der deutschen Rechtsprechung in Konflikt geraten.1047 Trotz der ähnlichen Berücksichtigung der Frage der Aufhebbarkeit eines staatlichen Akts unterscheiden sich nationales Recht und Europarecht nämlich in erheblicher Weise in ihrer Ausrichtung: Die Verletzung von Verfahrensrechten muss nach europäischen Vorgaben grundsätzlich einklagbar sein, während dies nach deutschem Recht grundsätzlich nicht möglich ist. So ist europarechtlich anerkannt, dass die sekundärrechtlichen Verfahrensvorschriften der UVP-RL auch den Einzelnen schützen: Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 11 UVP-RL betreffen den Zugang zu Gericht und verlangen ausdrücklich die Prüfung der „materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit“ der staatlichen Entscheidung. Damit scheint das Europarecht zwingend für ein die individuelle Selbstbestimmung schützendes und damit subjektives Verständnis von Verfahrensrechten zu sprechen. Der Blick über das Umweltrecht hinaus zeigt weitere Beispiele für einklagbare Verfahrensnormen, etwa aus dem Vergaberecht oder dem Subven­ tionsrecht. So schützen die unionsprimärrechtlichen Vorschriften des Subvendann aber allen relativen Verfahrensrechten die subjektiv-rechtliche Wirkung absprechen, S. 916. 1045  S. dazu noch ausführlich unten S. 412 ff. 1046  S. zuletzt EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015, C-137/14, Rn. 63; EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 53 ff.; und grundlegend EuGH, Urteil v. 7. Januar 2004, C-201/02, Slg. 2004, I-723 – Wells, Rn. 54 ff., 62 ff. 1047  S. Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrecht­ liche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 532 ff.



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tionsrechts auch den Einzelnen.1048 Hier kann im Fall der Verletzung der Notifizierungspflicht des Art. 108 Abs. 3 AEUV ein Konkurrent diese Verletzung unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung geltend machen.1049 Im Vergaberecht hat Deutschland, nach mehreren Vertragsverletzungsverfahren und einem Urteil des EuGH,1050 gerichtlichen Rechtsschutz einführen müssen, nachdem vorher versucht wurde, die Umsetzung europäischen Rechts ohne Rechtsschutz über die sog. „haushaltsrechtliche Lösung“ zu implementieren.1051 Wie mit dieser prinzipiell unterschiedlichen Herangehensweise umzugehen ist, ist Gegenstand umfangreicher und intensiver Auseinandersetzungen und umfasst verschiedene Aspekte. Immer geht es im Folgenden darum, wie mit Fehlern im Verfahren umgegangen wird. Dies ist abschließend weder durch § 4 UmwRG (aa)), noch die Altrip-Rechtsprechung des EuGH (bb)), noch die sich daran anschließenden Versuche der Integration des Europarechts in das nationale Recht durch den Gesetzgeber, Wissenschaft und Rechtsprechung abschließend geklärt worden (cc)). Dies liegt daran, dass der hier schon mehrfach betonte Konnex zwischen richterlicher Kontrollbefugnis und der Lehre vom subjektiven Recht bislang nicht ausreichend beachtet wurde (dd)). aa) Fehler im Verfahren – Relative Verfahrensrechte? § 4 UmwRG, der die Einhaltung von Verfahrensvorschriften i. R. v. – im Wesentlichen – Vorhaben oder Plänen und Programmen, die einer UVPbzw. SUP-Pflicht unterliegen, regelt, hatte zunächst nicht nur neue absolute 1048  Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1235; Jan Ziekow, Europa und der deutsche Verwaltungsprozess – Schlaglichter auf eine unendliche Geschichte, NVwZ 2010, S. 793–799, 795. 1049  Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1235; Jan Ziekow, Europa und der deutsche Verwaltungsprozess – Schlaglichter auf eine unendliche Geschichte, NVwZ 2010, S. 793–799, 795 f., EuGH, Urteil v. 11. Juli 1996, C-39/94, Slg. 1996, I-3547 – SFEI, Fn. 53. 1050  EuGH, Urteil v. 11. August 1995, C-433/93, Slg. 1995, I-2303. 1051  Christine Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes – Anmerkungen zu einer „unendlichen Geschichte“, NJW 2010, S. 1233–1238, 1236; Jan Ziekow, Europa und der deutsche Verwaltungsprozess – Schlaglichter auf eine unendliche Geschichte, NVwZ 2010, S. 793–799, 795; Jörg Stoye/Moritz Frh. v. Münchhausen, Primärrechtsschutz in der GWB-Novelle – Kleine Vergaberechtsreform mit großen Einschnitten im Rechtsschutz, VergabeR 2008, S. 871–881, 878 f.; s. auch Juliane Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, Die Verwaltung 1998, S. 335–370, 357 f.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

Verfahrensrechte gebracht, sondern auch zu Unklarheiten geführt. Er sah seinem Wortlaut nach nämlich keine Anwendung auf Fehler im Verfahren selbst vor, sondern bezog sich lediglich auf das Unterlassen einer UVP, das Unterlassen oder die Nichtnachholung einer Vorprüfung sowie eine nichtmaßstabskonforme Vorprüfung. Damit klärte die Norm nicht, unter welchen Umständen Fehler im Verfahren zu einer Aufhebbarkeit der Entscheidung führen und inwiefern die deutsche Kausalitätsrechtsprechung weiterhin Bestand haben konnte. Um dies zu klären, wandte sich der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH.1052 In dem der Vorlagefrage zugrundeliegendem Verfahren war der grundsätzliche Zugang aller drei Kläger (eine Gemeinde sowie eine juristische und eine natürliche Person) zu den deutschen Verwaltungsgerichten unumstritten.1053 Es ging um die Frage, inwiefern eine Aufhebbarkeit der staatlichen Entscheidung, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen war, in Betracht kam und wieweit davon auch die Zulässigkeit der Klage betroffen wurde. Der 7. Senat wollte wissen, ob bei einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung und damit einer verfahrensrechtlichen Rechtswidrigkeit die deutsche Kausalitätsrechtsprechung aufrechterhalten werden könne. Er fragte dementsprechend nach, ob es darauf ankäme, dass nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, wenn durch den Verfahrensfehler zudem zugleich eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betroffen ist oder ob Verfahrensfehler bei Entscheidungen, für die die Bestimmungen der Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten, in weiterem Umfang beachtlich sein müssten. Weiter fragte das Bundesverwaltungsgericht, welche inhaltlichen Anforderungen an die Berücksichtigung von Verfahrensfehlern zu stellen seien, wenn die enge Kausalitätsrechtsprechung europarechtswidrig sei. Diese letzte Frage – die letztlich die Aufrechterhaltung der Klassifikation von UVP-Rechten als relative Verfahrensrechte zum Gegenstand hatte – entschied der EuGH nicht abschließend, obgleich er die Kausalitätsrechtsprechung nur in eingeschränkter Weise für europarechtskonform hielt.

1052  BVerwG,

NVwZ 2012, S. 448. Torsten Siegel, Ausweitung und Eingrenzung der Klagerechte im Umweltrecht, NJW 2014, S. 973–975, 974, der erklärt, dass mit dieser Rechtsprechung der EuGH letztendlich den Kreis der klageberechtigten Personen auf Gemeinden und Individualpersonen ausgeweitet habe. Allerdings spricht Art. 2 Abs. 4 AK auch schon ausdrücklich von Individuen. Das Berufungsurteil stellt die Klagebefugnis auch nicht in Frage, OVG Koblenz, UPR 2009, S. 316. 1053  Anders



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bb) Fehler im Verfahren – Altrip-Rechtsprechung des EuGH Der Generalanwalt unterschied zunächst zwischen Zulässigkeit und Begründetheit. Nachdem er eingangs feststellte, dass Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 11 UVP-RL den Zugang zu den nationalen Gerichten beträfen und der Prüfungsumfang von ihnen nicht eingeschränkt werde,1054 interpretierte er Art. 11 Abs. 1 lit. b) UVP-RL, der den Staaten erlaubt eine Rechtsverletzung zu verlangen, als Zulässigkeitsvoraussetzung.1055 Der Begriff der subjektivöffentlichen Rechte musste seiner Ansicht nach nämlich so ausgelegt werden, „dass unionsrechtliche, dem Umweltschutz dienende Vorschriften von Einzelnen im Rahmen der Begründetheit geltend gemacht werden können.“1056 Aus dieser Unterscheidung ergibt sich für den Generalanwalt, dass Verfahrensfehler aus der Prüfung zwar nicht faktisch ausgeschlossen werden dürften,1057 aber nicht jede mögliche Verletzung eines Verfahrensfehlers zur Aufhebung einer Entscheidung führe.1058 Dies zeige schon die Parallele zu den Folgen von Fehlern bei Rechtsakten der Union. Im Rahmen der Nichtigkeitsklage (Art. 263 Abs. 2 AEUV) werde auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften abgestellt. Die Rechtsprechung unterscheide daher danach, dass ein Akt bei Verletzung „besonders bedeutender Verfahrensvorschriften“ unmittelbar nichtig sei, bei „weniger bedeutenden Vorschriften“ bestimmte Auswirkungen zeitigen müsse.1059 Für die nationalen Gerichte gelte daher, dass für besonders wichtige Verfahrensvorschriften auf das Kausalitätserfordernis vollständig verzichtet werden müsse.1060 Daraus folgt, dass bei nichtwesentlichen Verfahrensvorschriften die Kausalitätsrechtsprechung hingegen aufrechterhalten werden darf. Diese Unterscheidung scheint auch vom 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts geteilt zu werden, der zwar keine Europarechtswidrigkeit des § 4 UmwRG zu erkennen vermochte, aber dennoch implizit zu erkennen gab, dass es jedenfalls denkbar sei, dass bei wesentlichen Verfahrensfehlern das deutsche Fehlerfolgenregime europarechtswidrig sein könne.1061 Die Anschlussfrage, die sich stellt, ist wie nun zwischen wesentlichen und unwesentlichen Verfahrensfehlern zu unterscheiden ist? Da­ 1054  Generalanwalt

beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 94. beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 90. 1056  Generalanwalt beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 100. 1057  Generalanwalt beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 104. 1058  Generalanwalt beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 105. 1059  Generalanwalt beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 105. 1060  Generalanwalt beim EuGH, 20. Juni 2013, C-72/12 – Altrip, Rn. 106. 1061  BVerwGE, NVwZ 2012, S. 557, 558, Rn. 18. S. dazu Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 533. 1055  Generalanwalt

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

rauf gehen weder der Generalanwalt noch der EuGH ein. Hier lässt sich auf die Kausalitätsrechtsprechung des EuGH rekurrieren. Der EuGH stimmt der Sache nach dem Generalanwalt zu, setzt aber leicht andere Akzente, indem er nur auf die Kausalität eingeht und die Wesentlichkeit eines Fehlers nicht erwähnt. Nach dem EuGH müssen Verfahrensverstöße grundsätzlich unabhängig von einer Verletzung des materiellen Rechts geltend gemacht werden können1062 und dürfen nicht an die Voraussetzung geknüpft sein, „dass dieser Fehler Auswirkungen auf den Inhalt der angegriffenen endgültigen Entscheidung hatte.“1063 Eine Aufhebung der Entscheidung ist dennoch nicht immer zwingend, die Unbeachtlichkeit muss aber die Ausnahme bleiben. Dabei stellt der EuGH das Kausalitätskriterium in den Mittelpunkt. „[E]ine Rechtsverletzung [kann] nur dann verneint werden […], wenn das Gericht […] in Bezug auf das Kausalitätskriterium […] zu der Feststellung in der Lage ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre.“1064

Eine Aufhebbarkeit kommt also nur dann nicht in Betracht, wenn die Entscheidung bei Einhaltung des Verfahrens genauso ausfallen würde wie ohne die Einhaltung des Verfahrens.1065 Dies ist schon allein unter dem Aspekt des Schutzes individueller Selbstbestimmung richtig. Würde das Ergebnis auch im Falle eines fehlerfreien Beteiligungsverfahren gleich ausfallen, so kann die individuelle Selbstbestimmung nicht verletzt sein. Wird die Kausalität zwischen dem Verstoß im Verfahren und der Entscheidung also verneint, war die Verletzung nicht wesentlich. Die Wesentlichkeit bestimmt sich demnach nach der Kausalität des Fehlers.1066 Daraus folgt für das deutsche Recht, dass der EuGH die deutsche Kausalitätsrechtsprechung zwar dem Grunde nach aufrecht hält,1067 sie aber in einem zweiten Schritt vom Kopf auf die Füße stellt. Die Beweislast für die Nicht-Beeinflussung des Ergebnisses durch 1062  EuGH,

Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 48. Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 47. 1064  EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 53. Jüngst bestätigt durch EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015, C-137/14, Rn. 54 ff. 1065  EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 49. 1066  EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 54, erwähnt den „Grad der Schwere des geltend gemachten Fehlers“ und stellt ihn in den Kontext der Kausalität. Ebenso stellen Jürgen Held, Individualrechtsschutz bei fehlerhaftem Verwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 461–468, 466 und Sabine Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-)Rechtsschutzes – Schutznormdoktrin und Verfahrensfehlerlehre erneut unter Anpassungsdruck, NVwZ 2014, S. 11–18, 14 den Zusammenhang von Kausalität und Wesentlichkeit her. 1067  Torsten Siegel, Ausweitung und Eingrenzung der Klagerechte im Umweltrecht, NJW 2014, S. 973–975, 975. 1063  EuGH,



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Verfahrensfehler obliegt nach Ansicht des EuGH den Behörden.1068 Nicht der Beschwerdeführer muss die konkrete Möglichkeit einer anderen Entscheidung nachweisen, sondern die Behörden muss die Tatsache nachweisen, dass ihre Entscheidung auch ohne Verfahrensfehler gleich ausgefallen wäre. Es zeigt sich, dass das Verfahrensrecht eben kein „Recht zweiter Klasse“ ist.1069 Aufgrund des Wortlauts von Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 11 UVP-RL, die auf die „Prüfung der materiell- und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit“ abstellt,1070 sowie des Erfordernisses des „weiten Zugangs zu Gerichten“ aus Art. 9 AK und Art. 11 UVP-RL ist dieser Rechtsprechung zuzustimmen.1071 Außerdem zeigt diese Auslegung durch den EuGH, die Rücksicht nimmt auf das materiell-rechtliche Ergebnis, dass die Ausweitung der Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern dazu führt, dass die gerichtliche Überprüfbarkeit von Verfahren letztlich auf die Sicherung individueller Selbstbestimmung gerichtet ist und damit nicht in den geschützten Bereich der Verwaltung oder des Parlaments übergreift. Besteht keine Kausalität zwischen Verfahrensverstoß und Entscheidung, so kommt keine Verletzung der individuellen Selbstbestimmung durch das fehlerhafte Verfahren kollektiver Selbstbestimmung in Betracht. Es werden gerade nicht in unzulässiger Weise die Gewichte hin zu einem objektiven Rechtsbeanstandungsverfahren verschoben. Ebenso wenig wird so ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch geschaffen, da nur diejenigen klagen dürfen, deren Rechte in einem konkreten Verfahren verletzt wurden. So werden beide Formen der Selbstbestimmung geachtet. cc) Versuche der Implementierung ins deutsche Recht Problematisch ist nun, wie mit der Erkenntnis, dass Verfahrensfehler über die anerkannten absoluten Verfahrensfehler hinaus die Klagebefugnis auslösen können, umzugehen ist. Dies ist nicht nur wegen der Rechtsprechung des EuGH nötig, sondern auch um besser abgrenzen zu können, wann Gerichte zum Schutz individueller Selbstbestimmung kollektive Selbstbestimmung einschränken sollen und wann nicht. Entscheidend dafür ist zunächst die Frage nach der Existenz des subjektiven Rechts, das möglicherweise verletzt sein kann. § 4 UmwRG war zunächst nicht geändert worden und sah keine 1068  EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015, C-137/14, Rn. 60  ff.; EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 52 ff. 1069  Wolfgang Kahl, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umweltrecht – Teil 1, JZ 2014, S. 722–732, 731. 1070  Diesen Aspekt betont auch Jan Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263–267, 266. 1071  Ebenso Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 533.

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Aufhebbarkeit von Entscheidungen vor, denen Fehler im Verfahren vorausgegangen sind. Das VG Osnabrück hatte dennoch in einem Verbandsklageverfahren § 4 Abs. 1 UmwRG erweiternd auch auf eine fehlerhafte UVP ausgelegt.1072 Dies hatte das Verwaltungsgericht damit begründet, dass so das widersprüchliche Ergebnis vermieden werden könne, dass zwar die Verletzung nach § 2 Abs. 1 UmwRG und § 11 UVP-RL gerügt werden dürfe, eine Aufhebung aber nicht in Betracht komme.1073 So wurde in der Tat eine Diskrepanz zwischen der Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung vermieden. Übertragen auf ein Individualklageverfahren folgte daraus ein subjektives Recht aus § 4 Abs. 1 UmwRG auch bei Fehlern im UVP-Verfahren. Dieser Weg scheiterte aber am klaren Wortlaut des § 4 Abs. 1 UmwRG, der sich auf das Unterlassen der UVP bzw. der Vorprüfung bezog.1074 Der Weg über eine unmittelbare Anwendung des Art. 11 UVP-RL kam ebenfalls nicht in Betracht, da diese Norm zwar die richterliche Überprüfung von Verfahrensfehlern zum Gegenstand hat, aber keine Aussagen über die Folgen einer fehlerhaften UVP trifft und damit nicht hinreichend bestimmt und daher nicht unmittelbar anwendbar war.1075 Bedenklich ist der Vorschlag, auf ein subjektives Recht zu verzichten, indem der Gesetzgeber vermehrt Klagemöglichkeiten i. S. d. § 42 Abs. 2 Var. 1 VwGO schaffen soll.1076 Dies führt dazu, wie auch anerkannt wird, dass das „zu Grunde liegende Prinzip des Individualrechtsschutzes […] immer stärker ins Wanken“ gerät.1077 Es blieb als letzter Vorschlag nur eine richtlinienkonforme Auslegung des § 46 VwVfG. Sie ist schon deshalb vorzugswürdig, da eine richtlinien­ konforme Auslegung einer unmittelbaren Anwendung vorgeht. Da § 4 ­UmwRG im konkreten Fall nicht einschlägig sei, könne daher § 46 VwVfG angewendet werden.1078 Dann fordere die richtlinienkonforme Auslegung, 1072  VG

S. 14.

1073  Ebd.

Osnabrück, Beschluss v. 30. November 2012, 2 B 4 4/12, Umdruck,

1074  BVerwG, NVwZ 2012, 448, 450 Rn. 31 (Altrip-Vorlage); Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Perspektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1344. 1075  Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Per­ spektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1344. 1076  So etwa Sabine Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung des (Umwelt-) Rechtsschutzes – Schutznormdoktrin und Verfahrensfehlerlehre erneut unter Anpassungsdruck, NVwZ 2014, S. 11–18, 16; Torsten Siegel, Ausweitung und Eingrenzung der Klagerechte im Umweltrecht, NJW 2014, S. 973–975, 974. 1077  Torsten Siegel, Ausweitung und Eingrenzung der Klagerechte im Umweltrecht, NJW 2014, S. 973–975, 974. 1078  BVerwG, NVwZ 2012, 575; BVerwG, Beschluss. v. 27. Juni 2013 – 4 B 37/12, BeckRS 2013, 53008; BVerwG, NVwZ 2014, 669; Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Perspektiven und praktische Pro­



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dass § 46 VwVfG restriktiv ausgelegt werde. Die bisherige Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der nur dann aus einer fehlerhaften UVP die Aufhebung des angegriffenen Rechtsakts folgte, wenn sich der Fehler konkret auf die Sachentscheidung ausgewirkt hatte und damit ein anderes Ergebnis bei einer rechtmäßig durchgeführten Öffentlichkeitsbeteiligung konkret möglich gewesen wäre („Kausalitätsrechtsprechung“),1079 musste also entsprechend der Altrip-Rechtsprechung geändert werden und § 46 VwVfG entsprechend dem Wortlaut so verstanden werden, dass „grundsätzlich jeder Verfahrensmangel zum Anlass der Aufhebung der Sachentscheidung genommen w[ürde], es sei denn, es wäre offensichtlich, dass der Mangel keinen Einfluss auf das Ergebnis hatte.“1080 Durch diese Auslegung des § 46 VwVfG war die Aufhebung einer Entscheidung, die auf einer fehlerhaften UVP beruht, in den meisten Fällen zwingend. Diese Lösung entsprach dem Altrip-Urteil des EuGH und wurde vom Bundesverwaltungsgericht auch schon in einem Urteil aus dem Jahre 2011 angedeutet, als es ausführte, dass „jedenfalls“ unwesentliche Verfahrensfehler nicht zu einer Aufhebung führen.1081 Der Gesetzgeber reagierte auf diese Entwicklungen hinsichtlich des § 4 UmwRG und des § 46 VwVfG mit der sog. „Altrip-Novelle“ im Jahr 20151082. Diese schrieb mit § 4 Abs. 1a UmwRG ein modifiziertes, unionsrechtskonformes Verständnis von § 46 VwVfG für Fälle des § 4 Abs. 1 bleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1345; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 2. S. dazu auch Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 532 f. Dagegen aber Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 475 m.z.N. Auch Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 714 unter Verweis auf BT-Drs. 16/2495, S. 14. Dort heißt es: „§ 4 stellt für die aufgezählten Verfahrensfehler eine spezial-gesetzliche Vorschrift dar, die § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vorgeht, soweit ihr Regelungsgehalt reicht. Im Übrigen und vor allem für leichtere Verfahrensfehler wird keine Sonderregelung getroffen.“ 1079  BVerwGE 134, 308, Rn. 24, 31; BVerwG NVwZ 2008, S. 795, Rn. 7; BVerwG NVwZ 2009, S. 653, Rn. 42 für das planerische Regulierungsermessen. 1080  Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Per­ spektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1345. 1081  BVerwG, NVwZ 2012, 557, S. 558, Rn. 18. S. dazu Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 530, 533. 1082  Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-72/12 vom 20.11.2015, BGBl. I S. 2069. Eine weitere Ergänzung des UmwRG erfolgte zwei Jahre später mit dem Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsge-

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­UmwRG fest.1083 § 4 Abs. 3 UmwRG i. V. m. § 4 Abs. 1 UmwRG verleiht Individualklägern einen Aufhebungsanspruch bei „absoluten“ Verfahrensfehlern. Allerdings handelt es sich nur um eine Fehlerfolgenregelung, die an sich noch keine Klagebefugnis in der Zulässigkeitsprüfung auslöst.1084 Ein grundlegendes Problem dieser Lösung bleibt folglich, wie der Zugang zum Gericht eröffnet sein soll. Wo also ist das subjektive Recht, das mög­ licherweise verletzt sein kann? Die Antwort ist überraschend einfach, deutete sich hier auch bisher mehrfach an und wird inzwischen auch zunehmend vertreten: Alle Verfahrensrechte – relative wie absolute – müssen als subjektive Rechte verstanden werden.1085 Nur so können Beteiligungsrechte im Verwaltungsverfahren und damit individuelle Selbstbestimmung effektiv geschützt werden. dd) Relative Verfahrensrechte als subjektive Rechte Geht man davon aus, dass Verfahrensrechte keine subjektiven Rechte zu vermitteln wissen, bleibt der Zugang zum Gericht in Fällen der bloßen Verletzung von relativen Verfahrensrechten kategorisch verschlossen. Dass das nicht sein kann, ist offensichtlich: So ist z. B. in dem Fall, in dem in fehlerhafter Weise hinsichtlich der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB der Kreis der Beteiligtenfähigen in der Bekanntmachung der Offenlage eingeschränkt wird, die Rechtswidrigkeit und sogar die Nichtigkeit des Bauleitplans die Folge.1086 Die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigsetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29.05.2017, BGBl. I S. 1298. 1083  Frank Fellenberg/Gernot Schiller, § 4 UmwRG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 93. Ergänzungslieferung, August 2020, Rn. 10. 1084  Claudio Franzius, Genügt die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes den unionsrechtlichen Vorgaben?, NVwZ 2018, S. 219–222, 221 f.; 1085  Vgl. Rainer Wahl/Peter Schütz, § 42 Abs. 2 VwGO, in: Friedrich Schoch/JensPeter Schneider (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 39. Ergänzungslieferung Stand Juli 2020, Rn. 77, die eine „allgemeine Tendenz“ feststellen, wonach „solche Normen, die der Einbeziehung der Interessen eines potentiell Drittbetroffenen in das Verwaltungsverfahren dienen, als drittschützend anzusehen“ sind; Claudio Franzius spricht von bleibenden „Zweifel[n], ob die begrenzte Rügemöglichkeit von Verfahrensfehlern als unionsrechtskonform angesehen werden kann“, Claudio Franzius, Genügt die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes den unionsrechtlichen Vorgaben?, NVwZ 2018, S. 219–222, 221 f. 1086  Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, 146; Friedel Erlenkämper, Entwicklungen im Kommunalrecht, NVwZ 1998, S. 354–372, 368; Christian Calliess/Miriam Dross, Alternativenprüfungen im Kontext des Netzausbaus – Überlegungen mit Blick auf die Strategische Umweltprüfung des Bundesbe-



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keit/Nichtigkeit setzt aber voraus, dass Beteiligung ein subjektives Recht darstellt. Ansonsten wäre eine Klage ausgeschlossen. Da bislang niemand behauptet, dass es sich bei § 3 Abs. 2 BauGB um ein absolutes Recht handelt, muss das Beteiligungsrecht als relatives Verfahrensrecht und als subjektives Recht verstanden werden. Würde Deutschland weiter an der Beschränkung festhalten, würde es auch gegen seine europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen verstoßen. Da aber, wie vom EuGH gefordert, grundsätzlich jeder Verfahrensfehler in Verfahren mit umweltrechtlichem Bezug geltend gemacht werden können muss,1087 müssen solche Verfahrensrechte grundsätzlich auch als subjektive Rechte verstanden werden.1088 Dieses Verständnis entspricht auch der Definition der subjektiven Rechte, die auf die Rechtsmacht abstellt, ein bestimmtes Verhalten vom Staat verlangen zu können. Ein Verständnis von Verfahrensrechten als subjektive Rechte ist also prinzipiell möglich, denn Verfahrensrechte dienen nicht nur der Effektivität der Verwaltung, sondern auch dem Grundrechtsschutz und damit dem Einzelnen.1089 Das rechtlich geschützte Interesse ist das Interesse des Einzelnen, sich an dem Verwaltungsverfahren und an dem Gerichtsverfahren zu beteiligen, um die eigenen subjektiven Rechte zu schützen. Nur so kann garantiert werden, dass individuelle und kollektive Selbstbestimmung richtig voneinander abgegrenzt werden – und damit auch die Beteiligung auf Judikativebene von der auf Exekutivebene. Es liegt also anders als bei materiellen Rechten darfsplans Übertragungsnetze, ZUR 2013, S. 76–82, 79 ff. gehen auf Fragen der gerichtlichen Anfechtbarkeit von Planungen ein, die auf manchen Ebenen möglich ist, auf anderen nicht. 1087  EuGH, Urteil v. 7. November 2013, C‑72/12 – Altrip, Rn. 48. 1088  Ebenso Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 3; Markus Ogorek, Die Anfechtung von Planfeststellungsbeschlüssen durch Gemeinden nach Inkrafttreten des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, NVwZ 2010, S. 401–405, 402 f.; Wolfgang Kahl, Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zum Umweltrecht – Teil 1, JZ 2014, S. 722–732, 732; Jan Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht – notwendige Nachjustierungen im deutschen Verwaltungsrecht, NuR 2014, S. 229–235, 234; OVG Koblenz, NVwZ 2005, S.  1208, 1210 f.; Dieter Murswiek/Lena Ketterer/Oliver Sauer/Holger Wöckel, Rechtsprechungsanalyse. Ausgewählte Probleme des Umweltrechts – Subjektivierungstendenzen; Umweltinformationsrecht, Die Verwaltung 44 (2011), S. 235–272, 250; Martin Kment, Das neue Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz und seine Bedeutung für das UVPG – Rechtsschutz des Vorhabenträgers, anerkannter Vereinigungen und Dritter, NVwZ 2007, S. 274–280, 279; offenlassend, aber aufgeschlossen OVG Münster, Beschluss v. 23. Juli 2014, 8 B 356/14, BeckRS 2014, 54136, 2 a); ablehnend KlausPeter Dolde, Verwaltungsverfahren und Deregulierung, NVwZ 2006, S. 857–865, 861; Helmut Lecheler, Isolierte Anfechtung von Verfahrensfehlern ohne materielle Beschwer kraft Europarechts?, NVwZ 2005, S. 1156–1157. 1089  S. schon die Nachweise oben S. 399, Fn. 1043.

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ein Zweischritt vor. Das rechtlich geschützte Interesse besteht ganz im Sinne der Mühlheim-Kärlich Rechtsprechung aus Grundrechts- und Verfahrensschutz. Es geht damit allein um den Schutz rechtlich anerkannter individueller Interessen.1090 Dies steht voll und ganz in der Tradition der Schutznormlehre. Es reicht auch kein ideelles oder ästhetisches Interesse – denn dieses wird vom Recht, genauer: dem sachlichen Regelungsbereich der Grundrechte oder einem spezielleren, einfachgesetzlichen Individualrecht – nicht anerkannt. Außerdem lässt sich der Einzelne auch auf Ebene der gerichtlichen Überprüfung von der Allgemeinheit unterscheiden, so dass auch hier das Erfordernis der Individualisierung erfüllt ist: Nur derjenige soll klagen können, der möglicherweise verletzt ist. Dies ist nur derjenige, der sich beteiligt hat, aber nicht gehört wurde oder sich beteiligen wollte und beteiligen durfte, aber dies nicht konnte. Eine solche Vorgehensweise schützt individuelle Selbstbestimmung und lässt den Verfahren kollektiver Selbstbestimmung ausreichend Raum. Nur so wird der hohe „Eigenwert des Verfahrens[rechts],“1091 zu dem auch die Beteiligungsvorschriften gehören, anerkannt. II. Präklusionsvorschriften: Ausschluss von Partizipation Präklusionsvorschriften verhindern in vielen Fällen eine Beteiligung. Dies dient mittelbar auch der Abgrenzung und dem Ausgleich von kollektiver und individueller Selbstbestimmung: Kollektive Selbstbestimmung soll zeitlich nicht zu lange durch individuelle Selbstbestimmung behindert werden. Dies soll die Effektivität staatlichen Handelns steigern. Es ist zwischen materiellen und formellen Präklusionsvorschriften zu unterscheiden. Werden keine Einwendungen erhoben, so ist der Betroffene insgesamt, also auch vor Gericht und damit materiell präkludiert (s. z. B. § 73 Abs. 4 S. 3 VwVfG1092). Eine formelle Präklusion schließt nur eine weitere Beteiligung im Verwaltungsverfahren, nicht aber vor Gericht aus 1090  Weitergehend Mathias Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, S. 380–387, 383, der subjektive Rechte ausweiten will auf Rechte, „die das Interesse der Einzelnen an der Wahrnehmung öffentlicher Interessen anerkennen und sie zu deren Durchsetzung ermächtigen“. Nach dieser Ansicht kann auch das „Individualinteresse an der Durchsetzung von Allgemeininteressen eine eigenständige Grundlage für die Begründung subjektiver Rechte sein“, ebd., S. 380. Damit wird aber der Individualschutz ausgelöst. 1091  Elke Gurlit, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 227–277; Michael Fehling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 278–337. 1092  S.  auch § 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG; § 2 Abs. 3 UmwRG; § 10 Abs. 4 S. 1 LuftVG; § 17 Abs. 4 S. 1 FStrG; § 20 Abs. 2 S. 1 AEG; § 17 Nr. 5 S. 1 BWaStrG; § 4a Abs. 6 BauGB.



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(s. z. B. § 73 Abs. 6 und § 22 Abs. 6 NABEG1093). Beide Arten von Präklu­ sionen dienen der Verfahrensbeschleunigung. Neben der Verfahrensbeschleunigung dienen sie überdies im besten Falle auch der Steigerung frühzeitiger Öffentlichkeitsbeteiligung. Dies gilt aber nur dann, wenn durch sie Einzelne dazu animiert werden, sich schon frühzeitig auf Verwaltungsverfahrensebene einzubringen und nicht erst auf prozessrechtlicher Ebene. Dann jedenfalls kann „eine umfassende Interessenklärung im Verwaltungsverfahren erleichtert und Planungssicherheit ermöglicht [werden].“1094 Da man durch sie die materielle Rechtswidrigkeit des staatlichen Aktes in Kauf nimmt, sind sie aber generell kritisch zu beurteilen. Dennoch werden sie als grundsätzlich verfassungsgemäß anerkannt.1095 Unabhängig von diesem nationalen Rechtsverständnis hat der EuGH im Jahr 2015 entschieden, dass die deutschen Präklusionsregeln dem europarechtlichen Ziel, im Rahmen des Umweltschutzes einen weitreichenden Zugang zu Gericht zu ermöglichen, widersprechen.1096 Mit der Novellierung des UmwRG im Jahr 20171097 hat der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung Rechnung getragen und eine klarstellende ­Regelung zur Unanwendbarkeit der materiellen Präklusion auf Vorhaben im Anwendungsbereich der UVP-RL oder der IE-RL in § 7 Abs. 4 UmwRG aufgenommen.1098

1093  Hinsichtlich einer SUP zeigt mangels entsprechender Regelung ein Umkehrschluss aus § 74 Abs. 4 VwVfG, dass ein Fristversäumnis nicht zu einer materiellen Präklusion führt, Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 19; a. A. Erich Gassner, Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Kommentar, 2006, § 14i Rn. 15. 1094  Martin Eifert, Umweltschutzrecht, in: Friedrich Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2018, S. 754–873, Rn. 90. 1095  Jens-Peter Schneider, Strukturen und Typen von Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band II, 2. Aufl. 2013, S. 557–662, Rn. 81 m. w. N.; Markus Thiel, Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der (materiellen) Präklusion im Fachplanungsrecht, DÖV 2001, S. 814–820. 1096  EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015 – C-137/14, Rn. 77 ff. 1097  Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben vom 29.05.2017, BGBl. I S. 1298. S. dazu auch Sabine Schlacke, Aktuelles zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2019, S. 1392–1401, 1394 f. Zwar könnte argumentiert werden, dass der Wegfall der Präklusion zu einer „Entwertung“ der Öffentlichkeitsbeteiligung führt, da die Beteiligten nicht mehr rechtlich gezwungen seien, sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt mit Einwendungen zu beschäftigen. Allerdings liegt es im Interesse der Beteiligten, sich so früh wie möglich am Verfahren zu beteiligen, um größtmöglichen Einfluss auf die Entscheidung nehmen zu können s. Sabine Weidermann, Wegfall der Präklusion – Zum praktischen Wert der Öffentlichkeitsbeteiligung, DÖV 2017, S. 933–943. 1098  Frank Fellenberg/Gernot Schiller, § 7 UmwRG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 93. Ergänzungslieferung, August 2020, Rn. 2.

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III. Umfang richterlicher Kontrollbefugnisse: Auswirkungen von Partizipation Der Umfang der Kontrollbefugnisse der Gerichte ist der zweite große Stellhebel, mit dem Gesetzgeber und Gerichte neben der Klagebefugnis die Kompetenzen zwischen der dritten Gewalt und den anderen Gewalten und dadurch die Ermöglichung kollektiver und den Schutz individueller Selbstbestimmung voneinander abgrenzen. Je enger die Kontrolle ausgestaltet ist, desto höher ist die Gefahr, in die Kompetenzen der anderen Gewalt einzugreifen. Je weiter der Kontrollumfang ist, desto eher können die anderen Gewalten sanktionslos in die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen eingreifen. Für die Herstellung und Wahrung der Balance zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung ist zwischen materiellen Rechten und Verfahrensrechten zu unterscheiden. Die Gerichte prüfen die Verletzung materieller Rechte entweder vollumfänglich oder unter Berücksichtigung eines Ermessens- und Abwägungsspielraums (1.). Verfahrensrechte stehen hingegen unter dem Vorbehalt gesetzlicher Unbeachtlichkeitsvorschriften. Diese haben schon bei der Diskussion um die subjektive Rechtsqualität eine entscheidende Rolle gespielt. Der Grund dafür lag aber nicht in den Unbeachtlichkeitsvorschriften, sondern in der fehlgeleiteten Diskussion um die Existenz des subjektiven Rechts, die fälschlicherweise mit den Unbeachtlichkeitsvorschriften verknüpft wurde (2.). 1. Materielle Rechte und der Ermessens- und Abwägungsspielraum der Verwaltung Da materiell-subjektive Rechte vor allem Individualinteressen schützen, dürfen hier die Gerichte besonders intensiv prüfen und so vollumfänglich individuelle Selbstbestimmung schützen. Die individuelle Selbstbestimmung muss sich im Fall des Grundrechtseingriffs und des Eingriffs in andere materielle Individualrechte auch gegen kollektive Selbstbestimmung durchsetzen können. Eine solche vollumfängliche Prüfung ist jedoch nur dann möglich, wenn der Verwaltung kein Ermessens- oder Abwägungsspielraum zukommt. Bei Ermessens- und Abwägungsentscheidungen prüfen die Gerichte nur, ob die Grenzen des Ermessens bzw. des Abwägungsgebots eingehalten wurden. Hier geht es um einen Bereich kollektiver Selbstbestimmung, den die Legislative der Verwaltung übertragen hat. Durch diesen Spielraum wird gewährleistet, dass der Raum auf Verwaltungsebene, in dem die Verwaltung kollektive Selbstbestimmung verwirklichen kann, frei bleibt von der Einmischung



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durch die individuelle Selbstbestimmung sichernde Judikative.1099 Dies folgt verfassungsrechtlich aus dem Gewaltengliederungsgrundsatz und einfachgesetzlich aus § 40 VwVfG und § 114 VwGO. Es besteht aber ein subjektiver Anspruch auf fehlerfreie Ermessens- und Abwägungsausübung. Wenn der Spielraum überschritten ist und der Verwaltung ein Ermessens- oder Abwägungsfehler unterlaufen ist, so ist der Rechtsakt aufzuheben oder an die Verwaltung zurückzuverweisen. 2. Verfahrensrechte und Unbeachtlichkeitsvorschriften Die verschiedenen Unbeachtlichkeitsvorschriften des Verwaltungsrechts, die vorsehen, dass die Gerichte Entscheidungen der Verwaltung aufgrund bestimmter Fehler nicht aufheben dürfen, betreffen das Verfahren. Dieses Fehlerfolgenregime ist im Wege kollektiver Selbstbestimmung durch den parlamentarischen Gesetzgeber angeordnet worden. Es hat zum Ziel, dass nicht jeder noch so kleine Verfahrensfehler dazu führt, dass ein Rechtsakt aufgehoben wird und das Verfahren wiederholt werden muss. So soll kollektive Selbstbestimmung gegen individuelle Selbstbestimmung geschützt werden. Obwohl auf der einen Seite gerade bei komplexen Großverfahren im Sinne effektiven staatlichen Handelns viel für diesen Ansatz spricht, sind solche Regelung angesichts des Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich doch zumindest problematisch.1100 Unbeachtlichkeitsvorschriften signalisieren darüber hinaus der Verwaltung, dass ein Rechtsverstoß ohne Konsequenzen bleibt. So ist zu befürchten, dass die entsprechenden Normen durch die Verwaltung nicht ausreichend berücksichtigt werden.1101 Umgekehrt formuliert: Wenn bestimmte Rechte im Gerichtsverfahren zur Aufhebung oder zur Zurückverweisung einer Verwaltungsentscheidung führen, führt dies zu einem höheren Druck auf die Verwaltung, mögliche Klagegründe schon im Verwaltungsverfahren zu vermeiden. Folgt aus der Rechtsverletzung nicht mehr die Aufhebung der Entscheidung oder zumindest die Zurückverweisung an die Behörde zur erneuten Entscheidung, so wird die Steuerungskraft des Rechts unterhöhlt. Damit besteht auch das Risiko, dass individuelle Selbstbestimmung nicht mehr ausreichend geschützt wird. Ob die Unbeachtlichkeitsvor1099  Zur verwaltungsgerichtlichen Kontrolle s. Manfred Aschke, § 40 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, 49. Edition Stand: 1. Oktober 2020, Rn. 9 ff. m. w. N. 1100  S. dazu z.  B. Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S.  167 ff., 345 ff. m. w. N. 1101  Heinz Joachim Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320–330, 326.

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schriften dazu führen, dass individuelle Selbstbestimmung durch die Gerichte nicht mehr geschützt wird oder sie stattdessen gerade der optimalen Balance zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung dienen, gilt es im Folgenden zu eruieren. Als Prototyp der Unbeachtlichkeitsvorschriften lässt sich § 46 VwVfG bezeichnen. Nach ihm kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Weitere Unbeachtlichkeitsvorschriften sieht § 45 VwVfG vor. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Abweichend davon erklärt § 4 UmwRG bestimmte Verfahrensfehler, die nach §§ 45 und 46 VwVfG unter Umständen unbeachtlich sein können wie das Unterlassen einer Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem UVPG, für beachtlich. Er geht für bestimmte Fälle der UVP und der genehmigungspflichtigen Anlagen nach BImSchG (vgl. § 4 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 UmwRG) den §§ 45 und 46 VwVfG vor.1102 Weitere Normen erklären neben Beteiligungsvorschriften auch Abwägungsmängel1103 für unbeachtlich. So bestimmt § 11 Abs. 1 ROG n. F. (§ 12 1102  BVerwG, NVwZ 2012, S. 575; BVerwG, Beschluss. v. 27. Juni 2013 – 4 B 37/12, BeckRS 2013, 53008; BVerwG, NVwZ 2014, S. 669; Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Perspektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1345; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 2; s. dazu auch Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 532 f. Dagegen aber Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 475 m. z. N.; s. auch Torsten Siegel, Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709– 716, 714, der auf BT-Drs. 16/2495, S. 14, verweist. Dort heißt es: „§ 4 stellt für die aufgezählten Verfahrensfehler eine spezial-gesetzliche Vorschrift dar, die § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes vorgeht, soweit ihr Regelungsgehalt reicht. Im Übrigen und vor allem für leichtere Verfahrensfehler wird keine Sonderregelung getroffen.“ 1103  Zu dem Streit, ob Abwägungsfehler Verfahrensfehler oder materiellrechtliche Fehler sind s. Ingo Kraft, Gerichtliche Abwägungskontrolle von Bauleitplänen nach dem EAG Bau, UPR 2004, S. 331–335, 332 f.; Wilfried Erbguth, Rechtsschutzfragen und Fragen der §§ 214 und 215 BauGB im neuen Städtebaurecht, DVBl. 2004,



Kapitel 6: Die Judikative415

Abs. 1 ROG a. F.),1104 dass eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des ROG für die Rechtswirksamkeit eines Raumordnungsplans nur beachtlich ist, wenn die Vorschriften des § 9 ROG n. F. (statt, wie vorher: § 10 Abs. 1 und 2 Satz 2 ROG a. F.) über die Beteiligung verletzt worden sind; dabei ist unbeachtlich, wenn einzelne Personen oder öffentliche Stellen nicht beteiligt worden sind oder eine grenzüberschreitende Beteiligung fehlerhaft erfolgte, die entsprechenden Belange jedoch unerheblich waren oder in der Entscheidung berücksichtigt worden sind. Daraus folgt, dass in dem Fall, in dem einzelne Personen nicht beteiligt worden sind und die Belange unerheblich waren oder berücksichtigt wurden, eine Unbeachtlichkeit des Fehlers vorliegt.1105 Ein beachtlicher Verfahrensverstoß liegt immer dann vor, wenn eine Beteiligung gar nicht stattgefunden hat.1106 Nach § 12 Abs. 3 ROG sind Mängel im Abwägungsvorgang nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Ebenso formuliert § 75 Abs. 1a S. 2 VwVfG, dass Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Ergänzend heißt es hier, dass erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften nur dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plan­ genehmigung führen, wenn sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können. Schließlich sehen die §§ 214 und 215 BauGB Unbeachtlichkeitsvorschriften vor.1107 Nach § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften für die Rechtswirksamkeit des Flächennutzungsplans und der Satzungen nach BauGB nur dann beachtlich, wenn im Rahmen der Abwägung die von der S. 802–810, 804; Michael Uechtritz, Die Änderungen im Bereich der Fehlerfolgen und der Planerhaltung nach §§ 214 ff. BauGB, ZfBR 2005, S. 11–20, 12. 1104  In den Landesplangesetzen bestehen parallele Normen, s. etwa § 15 LPlG NRW. 1105  Peter Runkel, § 11 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 81 ff. S. auch Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 62: die Anforderungen an eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit seien als eine zentrale Verfahrensregelung der Raumplanung anzusehen. Verfehlen sie ihr Ziel bei mehr als einzelnen Personen, handelt es sich um einen beachtlichen Fehler, der notfalls in einem ergänzenden Verfahren durch eine ordnungsgemäße Wiederholung des Verfahrensschrittes geheilt werden muss. 1106  Vgl. dazu Peter Runkel, § 12 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 47 ff. 1107  S. dazu auch Felix Pauli/Klaus Rabe, Allgemeines Städtebaurecht, in: Klaus Rabe/Felix Pauli/Gerhard Wenzel, Bau- und Planungsrecht, 7. Aufl. 2014, S. 35–242, Rn.  186 ff.

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Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. Mängel im Abwägungsvorgang sind nach § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Schließlich ist die Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem BauGB1108 nach § 214 Abs. 1 Nr. 2 BauGB nur beachtlich, wenn bei Anwendung der Vorschriften einzelne Personen, Behörden oder sonstige Träger öffentlicher Belange nicht beteiligt worden sind, die entsprechenden Belange jedoch unerheblich waren oder in der Entscheidung berücksichtigt worden sind. Der wesentliche Dreh- und Angelpunkt der Unbeachtlichkeitsvorschriften ist das Kausalitätserfordernis. Die Aufhebung einer Entscheidung, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, kommt nach allen Unbeachtlichkeitsvorschriften nur in Betracht, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und der Entscheidung besteht. Nach der bisherigen Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies nur dann der Fall, wenn der Fehler sich konkret auf die Sachentscheidung ausgewirkt hat („Kausalitätsrechtsprechung“). Ein Kausalzusammenhang ist nur dann zu bejahen, „wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der insoweit erforderliche Kausalzusammenhang setzt die konkrete Möglichkeit ­voraus, dass die angegriffene behördliche Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders, d. h. für die Betroffenen günstiger, ausgefallen wäre.“1109

Die Kritik daran verstummt nicht. Wie oben gesehen, bestehen aufgrund europäischer Vorgaben inzwischen strengere Vorgaben. Das Kausalitätserfordernis ist nicht nur der Dreh- und Angelpunkt der Unbeachtlichkeitsvorschriften, sondern auch der Dreh- und Angelpunkt, um den richtigen Ausgleich zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung zu finden: Wie von der Altrip-Rechtsprechung vorgegeben, muss die 1108  § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2, § 4a Abs. 3 und 5 Satz 2, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 (auch in Verbindung mit § 13a Abs. 2 Nr. 1), § 22 Abs. 9 Satz 2, § 34 Abs. 6 Satz 1 sowie § 35 Abs. 6 Satz 5 BauGB. 1109  BVerwG, NVwZ 2009, S. 653, 658, Rn. 42; ähnlich BVerwG, NVwZ 2013, S. 297, 299, Rn. 34. BVerwG, NVwZ 2008, S. 795, 796, Rn. 20; BVerwG, NVwZ 2008, S. 563, 566, Rn. 38; BVerwG, NVwZ 1996, S. 1016, 1017; BVerwG, NVwZ 1996, S. 788, 791; BVerwG, NVwZ 1984, S. 718, 721. S. auch Jan Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263–267, 264; Ivo Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2010, S. 473–479, 474. Für die Abwägungsfehlerregelungen s. Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 357 f.



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deutsche Rechtsprechung geändert werden und die Kausalitätsrechtsprechung so verstanden werden, dass „grundsätzlich jeder Verfahrensmangel zum Anlass der Aufhebung der Sachentscheidung genommen w[ird], es sei denn, es wäre offensichtlich, dass der Mangel keinen Einfluss auf das Ergebnis hatte.“1110

Durch eine solche Auslegung ist z. B. die Aufhebung einer Entscheidung, die auf einer fehlerhaften UVP beruht, in den meisten Fällen zwingend. Diese Lösung entspricht dem Altrip-Urteil des EuGH und wurde für den Bereich des UmwRG in der Folge der Altrip-Rechtsprechung durch den Gesetzgeber im Jahr 2015 in § 4 Abs. 1a S. 2 UmwRG n. F.1111 verankert. Auch das Bundesverwaltungsgericht hatte diese Lösung schon in einem Urteil aus dem Jahre 2011 angedeutet, als es ausführte, dass „jedenfalls“ unwesentliche Verfahrensfehler nicht zu einer Aufhebung führten.1112 Im, nur implizit gedachten, Umkehrschluss bedeutete das, dass bei wesentlichen Verfahrensfehlern eine Aufhebung in Betracht kommt. Folgt man diesem hier dargelegten Verständnis, so folgt daraus entsprechend der europäischen Rechtsprechung und der deutschen Gesetzgebung keineswegs, dass jeder Verstoß gegen Beteiligungsrechte oder jeder Fehler in der Abwägung zur Aufhebung des staatlichen Akts führen muss. Die Unbeachtlichkeitsvorschriften bleiben ja intakt, nur ihre Auslegung ändert sich. So 1110  Martin Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht – aktueller Stand, Per­ spektiven und praktische Probleme, DVBl. 2013, S. 1341–1347, 1345. S. auch An­ dreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 249 ff., S. 349 ff. jeweils m. w. N.; Karl Ferdinand Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, S. 1–10, 2; Juliane Kokott, Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, Die Verwaltung 1998, S. 335–370, 367 f.; Dieter Murswiek/Lena Ketterer/Oliver Sauer/Holger Wöckel, Rechtsprechungsanalyse. Ausgewählte Pro­ bleme des Umweltrechts – Subjektivierungstendenzen; Umweltinformationsrecht, Die Verwaltung 44 (2011), S. 235–272, 251 ff.; Jan Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263–267, 264, 267; Friedrich Schoch, Verwaltungsgerichtsbarkeit, quo vadis?, VBlBW 2013, S. 361–370, 369. Für die Abwägungsfehlerregelungen s. Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 357 f., der auf VGH München, DVBl. 1994, S. 1198, zu § 17 Abs. 6c FStrG, der Parallelvorschrift zu § 75 Abs. 1a VwVfG ist; und OVG Koblenz, 29. Dezember 1994, ZUR 1995, S. 146, verweist. Beide Urteile wurden aber vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben, BVerwGE 100, 370 bzw. BVerwGE 100, 328. 1111  § 4 Abs. 1a UmwRG n. F. statuiert: „Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.“ 1112  BVerwG, NVwZ 2012, S. 557, 558, Rn. 18. S. dazu Felix Ekardt, Das Umweltrechtsbehelfsgesetz vor dem EuGH und dem BVerwG, Ende der reduktionistischen Debatte um Verbandsklage, verwaltungsrechtliche Fehlerlehre und Vorsorgeprinzip?, NVwZ 2012, S. 530–535, 530, 533.

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Teil 2: Der partizipative Staat de lege lata

spielt der Einfluss eines Verfahrensfehlers auf das materielle Ergebnis immer noch eine Rolle. Daher kann eine solche Vorgehensweise als „Figur der limitierten Akzessorietät von Verfahrensrechten gegenüber dem materiellen Recht“1113 bezeichnet werden. Es sei hier darauf hingewiesen, dass aus dieser Figur keine Popularklage folgt – es geht hier um die in ihren rechtlich geschützten Interessen und subjektiven Rechten berührten Mitglieder der ­Öffentlichkeit, nicht um jedermann.1114 Es handelt sich vielmehr um eine klassische, auf den Schutz individueller Selbstbestimmung abzielende und daher die Verletzung subjektiver Rechte voraussetzende Klage nach § 42 Abs. 2 Var. 2 VwGO.1115 Die deutschen Unbeachtlichkeitsvorschriften tragen damit wesentlich dazu bei, die richtige Balance zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung herzustellen – sofern jedenfalls die enge Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben wird und entsprechend dem Wortlaut der Unbeachtlichkeitsvorschriften die Unbeachtlichkeit eines Verfahrensfehlers nur dann vorliegt, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

C. Der Einzelne als ehrenamtlicher Richter: Ein Systembruch? Neben den Beteiligungsmöglichkeiten Einzelner vor der Richterbank als Kläger oder anderer Verfahrensbeteiligter besteht die Möglichkeit der Beteiligung auf der Richterbank. Ehrenamtliche Richter oder Schöffen1116 werden in nahezu allen Gerichtszweigen eingesetzt, nur in der Zivilgerichtsbarkeit sind sie nicht vorgesehen. 1113  S. den Vorschlag von Torsten Siegel, Ausweitung und Eingrenzung der Klagerechte im Umweltrecht, NJW 2014, S. 973–975, 975 und ders., Zur Einklagbarkeit der Umweltverträglichkeit. Wesen und Reichweite von Umwelt-Rechtsbehelfen, DÖV 2012, S. 709–716, 714. 1114  S. nur OVG Münster, Beschluss v. 23. Juli 2014, 8 B 356/14, BeckRS 2014, 54136, 2 a). Vgl. dazu Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge, 13. November 2014, C-570/13 – Gruber, Rn. 37 ff. 1115  Ebenso Mathias Hong, Subjektive Rechte und Schutznormtheorie im europäischen Verwaltungsrechtsraum, JZ 2012, S. 380–387, 383; Friedrich Schoch, Gerichtliche Verwaltungskontrollen, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band III, 2. Aufl. 2013, S. 743–1047, Rn. 173. 1116  Nach § 45a DRiG führen die ehrenamtlichen Richter in der Strafgerichtsbarkeit die Bezeichnung „Schöffe“, die ehrenamtlichen Richter bei den Kammern für Handelssachen die Bezeichnung „Handelsrichter“ und die anderen ehrenamtlichen Richter die Bezeichnung „ehrenamtlicher Richter“.



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Sie finden sich in der Arbeitsgerichtsbarkeit (§§ 20–22, 37–39, 43 f. ArbGG); der Sozialgerichtsbarkeit (§§ 12 ff. SGG)1117; der Verwaltungsgerichtsbarkeit (§§ 19 ff. VwGO); der Finanzgerichtsbarkeit (§ 16 ff. FGO) sowie der Strafgerichtsbarkeit (§§ 29, 74 Abs. 2 76, 108 f. GVG; §§ 33a und 33b JGG). Außerdem sind ehrenamtliche Richter beim Truppendienstgericht als Wehrdienstgericht (§ 74 WDO); dem Landwirtschaftsgericht (§ 2 LwVfG), der Kammer für Handelssachen (§ 105 GVG) und dem Ortsgericht in Hessen (§ 4 Ortsgerichtsgesetz) zu finden. Schließlich sehen manche Landesverfassungsgerichte die Wahl von Laienrichtern vor, z. B. Art. 112 der Verfassung des Landes Brandenburg. So ist am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg sowohl der Regisseur Andreas Dresen Verfassungsrichter als auch die Schriftstellerin Julia Barbara Finck. Finck, die unter dem Namen Juli Zeh bekannt ist, ist gleichzeitig auch promovierte Juristin. Bei den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof findet keine Beteiligung statt.1118 Die Regeln über die Beteiligungsfähigkeit variieren zwischen den Gerichtszweigen. Die Schöffenwahl für die Strafgerichtsbarkeit ist etwa in den §§ 31–43 GVG geregelt. Basierend auf einer von der Gemeindevertretung beschlossenen Liste werden sie von einem am Amtsgericht angesiedelten Ausschuss für die Dauer von fünf Jahren gewählt. Voraussetzung ist vor allem die deutsche Staatsangehörigkeit.1119 Des Weiteren bestehen Inkompatibilitätsvorschriften etwa für Anwälte.1120 Damit kann sich grundsätzlich jeder Einzelne beteiligen. Die Partizipation ehrenamtlicher Richter schützt weder individuelle Selbstbestimmung noch ermöglicht sie kollektive Selbstbestimmung. Die Laienbeteiligung an der Justiz gilt daher zu Recht als eine der „klassischen Streitfragen des Gerichtsverfassungs- und Strafprozessrechts“.1121 Eine solche Beteiligung soll der Stärkung des Demokratieprinzips und der Qualitätsverbesserung der Rechtsprechung dienen. Ebenso wird der Edukationseffekt als Ziel 1117  S. dazu Peter Bader/Roger Hohmann/Harald Klein, Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, 13. Aufl. 2012. 1118  S. aber die Ausnahme in § 4 Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen. 1119  S. dazu Alexander Dombrowsky, Ehrenamtliche Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit – Öffnung (mindestens) für europäische Staatsbürger überfällig, BB 2016, S. 3129–3132. 1120  § 79 Abs. 4 ZPO; § 11 Abs. 5 ArbGG; § 73 Abs. 5 SGG; § 67 Abs. 5 VwGO; § 62 Abs. 5 FGO. S. auch § 21 und § 22 ArbGG. 1121  Beate Linkenheil, Laienbeteiligung an der Strafjustiz, Relikt des bürgerlichen Emanzipationsprozesses oder Legitimation einer Rechtsprechung „Im Namen des Volkes“?, 2003, S. 23. S. aus der US-amerikanischen Literatur, in der auf Staaten­ ebene neben der Direktwahl vieler Verwaltungsbeamter auch die Direktwahl von Richtern vorgesehen ist Nathan S. Heffernan, Judicial Responsibility, Judicial Independence and the Election of Judges, 80 Marquette Law Review 1997, S. 1031–1051.

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genannt.1122 Weitere Ziele kommen je nach Gerichtszweig hinzu. So werden die Repräsentation der Bevölkerung bei den ehrenamtlichen Richtern im Verwaltungsprozess und den Schöffen im Strafprozess, die Fruchtbarmachung besonderer Sachkunde wie bei den Handelsrichtern, die in den Kammern für Handelssachen tätig werden und schließlich die Wahrung einer ­Interessenbalance wie bei den ehrenamtlichen Richtern im Arbeitsgerichtsprozess als Ziele genannt.1123 Auch hier zeigt sich dem Grunde nach der partizipative Staat, da Einzelne mitentscheiden dürfen. Allerdings treffen sie diese Mitentscheidung in einem Bereich, der vor allem von rechtsstaatlicher Legitimation geprägt ist. Deshalb ist sowohl eine Popularwahl oder gar eine direkte Entscheidung des Volkes in Gerichtsverfahren nicht nur wegen des ganz anders gelagerten Entscheidungsprogramms ausgeschlossen. Neben funktionalen Argumenten – ein Richter darf nicht seine Wiederwahl durch das Volk im Blick haben oder vor seiner Wahl Versprechen machen; das Volk kann nicht über die Frage entscheiden, ob eine bestimmte Entscheidung oder ein bestimmtes Verhalten rechtswidrig war – steht dem der Gewaltenteilungsgrundsatz entgegen: Aufgaben der kollektiven Selbstbestimmung werden von unmittelbar vom Volk legitimierten Organen wahrgenommen, Aufgaben der individuellen Selbstbestimmung von Organen, die zwar auch vom Volk legitimiert wurden, die aber vor allem durch eine enge Rechtsbindung legitimiert sind und damit wenig Entscheidungsraum besitzen. Rechtsstaatlichkeit und nicht so sehr Demokratie entspricht diesem Entscheidungsprogramm. Abgeschwächt wird der Einfluss der ehrenamtlichen Richter auf indirektem Weg: Obgleich die ehrenamtlichen Richter in den unteren Instanzen z. T. den hauptamtlichen Richter überstimmen können, kommen rechtskräftige Urteile unter Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern grundsätzlich weder gegen den Willen des Staates noch gegen den Willen der Parteien/des Angeklagten zustande, da in den oberen Instanzen entweder ausschließlich hauptamtliche Richter entscheiden oder sie in der Mehrzahl sind und alle Parteien

1122  Für die Strafgerichtsbarkeit ausführlich Beate Linkenheil, Laienbeteiligung an der Strafjustiz, Relikt des bürgerlichen Emanzipationsprozesses oder Legitimation einer Rechtsprechung „Im Namen des Volkes“?, 2003, S. 184 f., s. aber auch S. 190 f. Den edukativen Effekt hob schon Alexis de Tocqueville in Bezug auf Gerichtsver­ fahren durch Jurys hervor: „Je ne sais si le jury est utile à ceux qui ont des procès, mais je suis sûr qu’il est très utile à ceux qui les jugent. Je le regarde comme l’un des moyens les plus efficaces dont puisse se servir la société pour l’éducation du peuple.“, Alexis de Tocqueville, De la démocratie en Amérique, Tome II, 1840, Chapitre VIII. 1123  Johann-Friedrich Staats, Deutsches Richtergesetz, Kommentar, 2012, Vorb §§ 44–45a Rn.  2.



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Berufung oder Revision einlegen können.1124 Berufung und Revision kommt jeweils ein Devolutiveffekt zu. Aufgrund dieser Sicherheitsmechanismen und aufgrund des Umstandes, dass die Besetzung der Richterbank inklusive der ehrenamtlichen Richter letztlich auch auf eine demokratisch legitimierte Besetzung, meist eine Wahl, wenn auch nicht durch das Volk, sondern durch ein vom Volk mittelbar legitimiertes Organ, zurückgeht, ist trotz des Systembruchs die Beteiligung von einzelnen Bürgern kein Verstoß gegen Verfassung und Gewaltenteilungsprinzip. Diese Beteiligung ist nur aus dem Edukationseffekt und der Historie erklärbar. Da aber der Staat zumindest in der Revision – die von beiden beteiligten Parteien durch entsprechende Anträge in Gang gesetzt werden kann –, alleine entscheidet, ist dieser Systembruch auf Ebene der einfachen Gerichtsbarkeit verkraftbar, zumal die Laienrichter gewählt werden und damit mittelbar demokratisch legitimiert sind, im Fall der Verfassungsrichter sogar vom Landtag.

D. Bewertung Judikative: Rechtsstaatliche Legitimation durch Partizipation Einzelner und die Wahrung der Balance beider Selbstbestimmungsformen Die deutschen Verwaltungsgerichte schützen individuelle Selbstbestimmung und achten kollektive Selbstbestimmung. Dies geschieht, indem die Gerichte dem Einzelnen Rechtsschutz nur auf Basis der möglichen Verletzung eines subjektiven Rechts gewähren und durch die Einschränkung der Kontrollbefugnis, nicht jedoch durch die Einrichtung der ehrenamtlichen Richter. Die ausbalancierte Form von Partizipation durch die Kläger trägt zur rechtsstaatlichen Legitimation der Gerichte bei. Die Balance zwischen individueller Selbstbestimmung und kollektiver Selbstbestimmung gelingt durch die Kombination des Erfordernisses der Verletzung eines subjektiven Rechts, der Einbeziehung von Beteiligungsrechten in die subjektiven Rechte und die Einschränkung der Kontrollbefugnis durch die Unbeachtlichtkeitsvorschriften in der hier vorgeschlagenen Aus­legung. Das subjektive Recht erlaubt, dass nur der Einzelne, dessen individuelle Selbstbestimmung in Form von subjektiven Rechten verletzt ist, gegen Entscheidungen klagen kann. Die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen kommt nicht nur in materiellen Rechten zum Tragen, sondern auch in Verfahrensrechten. Beteiligungsrechte auf der Exekutivebene dienen zwar kol1124  S. für die Strafgerichtsbarkeit ausführlich Beate Linkenheil, Laienbeteiligung an der Strafjustiz, Relikt des bürgerlichen Emanzipationsprozesses oder Legitimation einer Rechtsprechung „Im Namen des Volkes“?, 2003, S. 131 ff.

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lektiver Selbstbestimmung, bestehen aber, ebenso wie Art. 38 GG für die Legislative, auch im individuellen Interesse. Durch die Einbeziehung dieser Beteiligungsrechte in die subjektiven Rechte ermöglicht das subjektive Recht nicht nur Partizipation auf der Judikativebene, sondern schützt auch prinzi­ piell Partizipation auf der Exekutivebene. Gegenstand der Kontrollbefugnis ist der Umfang des Schutzes von Beteiligung auf Ebene der zweiten Gewalt durch die dritte Gewalt. Durch eine angemessene Begrenzung der Aufhebbarkeit von Verwaltungsentscheidungen in den Fällen, in denen der Verwaltung ein Gestaltungsspielraum zukommt, achten die Gerichte die demokratischen Räume, die der Gesetzgeber der Verwaltung eröffnet hat, damit auch sie kollektive Selbstbestimmung ermöglichen und verwirklichen kann. Die Verletzung von Verfahrensrechten ist grundsätzlich zurückhaltend zu prüfen, weil sie den demokratischen Prozess schützen. Jedoch darf die Prüfung auch nicht zu zurückhaltend sein, da Verfahrensrechte gleichzeitig das Recht des Einzelnen auf Beteiligung schützen. Das hier dargestellte ausgewogene Verhältnis zwischen Aufhebbarkeit von Entscheidungen, die einem Beteiligungs- oder Abwägungsfehler unterliegen und den Unbeachtlichkeitsvorschriften ermöglicht die Balance zwischen der Sicherung individueller und kollektiver Selbstbestimmung. Somit dient Partizipation Einzelner an Gerichtsverfahren nicht nur dem Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten, sondern auch dem Schutz demokratischer Gestaltungsspielräume. Partizipation in der eben beschriebenen Form legitimiert die Gerichte: Dafür muss Partizipation auf die Rechtsbetroffenen beschränkt sein. Außerdem darf den Einzelnen keine Entscheidungsmacht zukommen. Des Weiteren schützen die Gerichte Beteiligungsrechte auf der Verwaltungsebene, müssen dabei aber auf einen Ausgleich zwischen der durch den Gesetzgeber und die Verwaltung ausgeübten kollektiven Selbstbestimmung und der individuellen Selbstbestimmung des Einzelnen achten. Dies gelingt nur, wenn die Ermessens- und Abwägungsspielräume der Verwaltung gewahrt bleiben und die Verletzung von Beteiligungsrechten schon dann zu einer Aufhebung der Entscheidung oder Zurückverweisung führen, wenn nicht offensichtlich ist, dass der Verfahrensmangel keinen Einfluss auf das Ergebnis hatte. Dafür trägt die Behörde die Beweislast. Insgesamt sichert die Judikative die Balance zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung.

Teil 3

Der partizipative Staat de lege ferenda: Möglichkeiten, Pflichten und Grenzen des Ausbaus partizipativer Strukturen Der Staat des Grundgesetzes ist ein partizipativer Staat. Aus dieser Feststellung, die auf einer Analyse des geltenden Verfassungs- wie Verwaltungsrechts beruht, folgt weder, dass keine Erweiterungen und Verbesserungen demokratischer Partizipationsmöglichkeiten möglich sind, noch, dass es ihrer nicht bedarf. Stattdessen werden diese Verbesserungen von Partizipationsmöglichkeiten, wie eingangs dargelegt, sogar allerorts verlangt. Obgleich der Gesetzgeber schon tätig geworden ist, etwa durch die Einführung einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG, spricht vieles dafür, dass es in Zukunft zu weiteren Ausweitungen von Partizipationsmöglichkeiten kommt. Dies liegt nicht nur an politischem Druck sowie der Einsicht, dass Partizipation die Legitimation der Staatsgewalt steigert. Aus rechtlicher Sicht kommt hinzu, dass das umstrittene, aber vielfach geteilte Verständnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip nicht nur als Staatszielbestimmungen, sondern auch als Optimierungsgebote für eine solche Weiterentwicklung von Partizipationsmöglichkeiten spricht (Kapitel 7). In den folgenden Kapiteln sollen entsprechende Vorschläge für eine Optimierung der Partizipationsmöglichkeiten für die Legislative (Kapitel 8) und die Exekutive (Kapitel 9) entwickelt werden. Eine Optimierung der Partizipationsmöglichkeiten auf Ebene der ­Judikative ist jedenfalls dann nicht nötig, wenn man, wie oben dargelegt,1 schon jetzt mit dem EuGH Verfahrensrechte als subjektive Rechte begreift und die Unbeachtlichkeitsvorschriften entsprechend eng auslegt. Kapitel 7

Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Optimierungsgebot Werden Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Optimierungsgebot verstanden, so ist die Weiterentwicklung von Partizipation nicht ins freie Ermes1  S. oben

S. 394 ff.

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Teil 3: Der partizipative Staat de lege ferenda

sen des Gesetzgebers gestellt, sondern müsste zumindest grundsätzlich als Pflicht des Gesetzgebers verstanden werden. Ob Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip Optimierungsgebote sind, ist aber höchst umstritten. Unstreitig ist, dass das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes keine Programmsätze sind, die nur politisch wirken. Welche Rechtswirkungen gehen aber vom Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip im Einzelnen aus? Sind Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip Staatsstruktur­ bestimmungen, Verfassungsstrukturentscheidungen, Staatszielbestimmungen, Staatsaufgaben und/oder Optimierungsgebote?2 Ist diese Frage der Klassifikation von Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip beantwortet, so folgt daraus aber noch keine Sicherheit bezüglich der Rechtswirkungen.3 Im Folgenden wird dargelegt, dass Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip als Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote zu kategorisieren sind (A.). Aus dieser Kategorisierung folgt, dass für alle drei Gewalten Rechtspflichten entstehen. Dazu gehört vor allem die Pflicht des Gesetzgebers, Partizipa­ tionsmöglichkeiten weiterzuentwickeln, die Pflicht der Verwaltung, im Rahmen ihres Ermessensspielraums Partizipationsmöglichkeiten zu erleichtern und fördern und die Pflicht der Judikative, Partizipationsmöglichkeiten als subjektive Rechte zu verstehen und die Unbeachtlichkeitsvorschriften eng auszulegen (B.).

A. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip: Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote Aus dem reichhaltigen Angebot der unterschiedlichen Kategorien, in die Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip schon eingeordnet worden sind, wird sich im Folgenden nicht nur auf die beiden prominentesten Kategorien, Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote, konzentriert, sondern des Weiteren auch noch auf die Kategorien Staatsstrukturbestimmungen und Verfassungsstrukturentscheidungen eingegangen, um so die Diskussion um die Kategorisierung von Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip möglichst weit abbilden zu können. Dafür werden in einem ersten Schritt Staatszielbestimmungen und Optimierungsgebote von Staatsstrukturbestimmungen und Verfassungsstrukturentscheidungen abgegrenzt und in einem zweiten Schritt

2  Für weitere Bezeichnungen s. Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 69 ff. m. w. N. und Ion Contiades, Verfassungsgesetz­ liche Staatsstrukturbestimmungen, 1967, S. 66 ff. m. w. N. 3  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, spricht auf S. 19 auch deshalb vom „Verfassungsprinzip als Zauberwort“.



Kapitel 7: Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Optimierungsgebot425

die Kategorisierung von Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip als Staatszielbestimmungen und die Optimierungsgebote begründet. Staatsstrukturbestimmungen und Verfassungsstrukturentscheidungen4 lassen sich als synonym verstehen. Beide ordnen Strukturen an, besitzen einen institutionell-organisatorischen Gehalt5 und legen so die normativ-institutionellen Bedingungen des Staates fest.6 Sie sind statisch.7 Im Gegensatz dazu sind Staatszielbestimmungen8 und die davon erfassten Staatsaufgaben9 dynamisch und beziehen sich auf ein zu erreichendes materiell-inhaltliches Ziel.10 Die Kategorie des Optimierungsgebots ist ebenso wie die der Staatszielbestimmungen als dynamisch zu verstehen, da sie sich ebenfalls auf ein zu erreichendes materiell-inhaltliches Ziel orientiert. Die Einordnung von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Staatsstrukturbestimmung kann als geklärt gelten.11 Dies schließt aber nicht zwingen4  Eberhard Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329–390, 333; ders., Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 141. 5  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 271. 6  Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee. Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Aufl. 2004, S. 141. 7  Detlef Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368–377, 370; zustimmend zitiert von Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, 192; a. A. Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 90: „durchaus um dynamisch zu interpretierende Prinzipien“. 8  Begriff von Hans Peter Ipsen, Über das Grundgesetz, 1950, S. 17. 9  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 265; Ulrich Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 325–346, 335; Detlef Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368–377, 369. Staatsaufgaben und Staatsziele sind im Wesentlichen als das Gleiche zu verstehen, wenngleich die Perspektive wechselt. So ist der Begriff der Staatsaufgaben auf die Gegenwart bezogen und der Begriff der Staatsziele auf die Zukunft. Gegenwart und Zukunft lassen sich in diesem Fall aber nicht trennen, da die Zukunft zur Gegenwart wird und damit die zukünftige Verwirklichung von Staatszielen schon in der Gegenwart Staatsaufgabe ist. 10  Ulrich Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 325–346; 336; Detlef Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368–377, 370; s. z. B. für Art. 20a GG Erich Gassner, Implizite Vorgaben des Art. 20a GG für den Bund, DVBl. 2017, S. 942–946. 11  Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/ Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 88; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 37: „neuerdings viele Befürworter“; Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 327.

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dermaßen eine zusätzliche Einordnung als Staatszielbestimmung aus. Ein Verfassungsprinzip kann sowohl dynamisch auf eine materiell-inhaltliche Zielverwirklichung angelegt sein als auch statisch institutionell-organisatorische Gehalte anordnen.12 Im hier interessierenden Kontext, in dem es um die Weiterentwicklung der Rechtsordnung in Bezug auf ein bestimmtes Ziel, nämlich Stärkung von Partizipation, geht, kommt es darauf an, ob Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auch als dynamische Staatszielbestimmungen einzuordnen sind. Der Wortlaut von Art. 20 GG deutet eher auf eine statische Bestimmung hin, da Art. 20 GG indikativisch gefasst ist. Allerdings ist Art. 20a GG, der dynamisch ist und sich auf ein zu erreichendes materiellinhaltliches Ziel bezieht, ebenfalls indikativisch gefasst, so dass die Formulierung der Norm alleine nicht entscheidend sein kann. Außerdem enthält Art. 20 GG, vergleichbar mit Art. 1 Abs. 1 GG, unbestrittener Maßen nicht lediglich eine Feststellung, sondern normative Festschreibungen. Verkürzt alleine unter Bezugnahme auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gesprochen, verlangt Art. 20 GG, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer Rechtsstaat sein muss. Damit ist allein der Normcharakter angesprochen, aber noch nicht die Frage tangiert, ob es sich um eine statische oder dynamische Norm handelt und ob Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip allein organisatorisch-institutionelle Inhalte gewährleisten oder auch mate­ riell-inhaltliche. Ertragreicher ist folgender Gedankengang, der auf die Verbindung des Demokratieprinzips und des Rechtsstaatsprinzips mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz und das systematische Verhältnis zu Art. 79 Abs. 3 GG abstellt: Partizipation gründet sowohl im Demokratieprinzip als auch im Rechtsstaatsprinzip und wird vom Gewaltenteilungsgrundsatz konzeptualisiert und gesteuert. Ein näherer Blick auf alle drei Prinzipien offenbart, dass sie nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – binär strukturiert sind: Sie sehen kein entweder/oder vor und ordnen keine Rechtsfolge für ein bestimmtes Verhalten an, ja, sie kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Tatbestand und Rechtsfolge. Zwar kann ein staatliches Verhalten gegen das Demokratie- oder das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, es also nicht erfüllen, ein anderes Ver­

12  Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/ Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 91; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn.  37 f.; Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 321; Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 587; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S.  89 ff.



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halten hingegen erfasst sein.13 Anders aber als bei ausschließlich binär struk­ ­ turierten Normen sind hinsichtlich des Demokratieprinzips wie des Rechtsstaatsprinzips sowohl aufgrund ihres Inhalts als auch aufgrund ihrer Normstruktur unterschiedliche Verwirklichungs- und Konkretisierungsstufen denk­bar.14 Daher muss sich das Grundgesetz gezwungenermaßen zu der Frage verhalten, welche Verwirklichungsstufe erreicht werden soll. Dies ist keine binäre Frage mehr, sondern eine graduelle. Sie betrifft auch nicht mehr allein die Frage der institutionell-organisatorischen Ausgestaltung, sondern zielt auf eine materiell-inhaltliche Dimension von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ab. So können Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auf dem einen Ende der Skala vorsehen, dass jeweils nur ein Mindestmaß an Verwirklichung vorgesehen ist, etwa periodische Wahlen und das Mehrheitsprinzip einerseits und Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes andererseits. Oder sie können auf dem anderen Ende der Skala vorsehen, dass eine möglichst hohe Verwirklichungsstufe erreicht wird,15 die auf Seiten des Demokratieprinzips etwa den Responsivitätsgrundsatz mit erfasst sowie auf Seiten des Rechtsstaatsprinzips einen materiellen Rechtsstaatsbegriff.16 Schon aufgrund der Existenz des Art. 79 Abs. 3 GG, der den Kernbereich des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips auch für den Fall einer Verfassungsänderung für unantastbar erklärt und damit zwischen veränderungsfesten und veränderbaren Gehalten von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip differenziert, wird man annehmen müssen, dass das Grundgesetz in Art. 20 GG nicht nur ein Mindestmaß an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit garantiert: das ist nämlich schon in Art. 79 Abs. 3 GG garantiert. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip 13  Vgl. die Kritik von Ralf Poscher, Theorie eines Phantoms. Die erfolglose Suche der Prinzipientheorie nach ihrem Gegenstand, Rechtswissenschaft, 2010, S. 349– 372; ders., Grundrechte als Abwehrrechte, Reflexive Regelung rechtlich geordneter Freiheit, 2003; Hans-Joachim Koch, Die normtheoretische Basis der Abwägung, in: Wilfried Erbguth/Janbernd Oebbecke/Hans-Werner Rengeling/Martin Schulte (Hrsg.), Abwägung im Recht. Symposium und Verabschiedung von Werner Hoppe am 30. Juni 1995 in Münster aus Anlaß seiner Emeritierung, 1996, S. 9–24, 16 ff.; s. die Nachweise bei Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S.  511 f. 14  Utz Schliesky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 617 für das Demokratieprinzip; Eberhard Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (§ 26), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, Rn. 4 ff., für das Rechtstaatsprinzip. 15  S. auch Armin von Bogdandy, Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten?, in: Joachim Bohnert/Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/­ Alfred Rinken/Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 363–384. 16  Zu diesen materiell-inhaltlichen Gehalten des Demokratie- bzw. Rechtsstaatsprinzips s. oben S. 63 ff. bzw. S. 60 f.

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sind damit dynamisch und beziehen sich auf materiell-inhaltliche Ziele. Sie sind als Staatzielbestimmungen anzusehen.17 Eine historische Sichtweise am Beispiel der Partizipation unterstützt dieses Ergebnis. Seit 1949 hat sich die Partizipation auf allen Ebenen weiterent­ wickelt: Die Einführung direkter Demokratie auf Landesebene, die Fortentwicklung der Beteiligungsmöglichkeiten im Verwaltungsrecht und hier insbesondere dem Planungsrecht und die Ausweitung des Verständnisses subjektiver Rechte zeugen von dem dynamischen Charakter von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Diese Tendenz zur dynamischen Fortentwicklung zeigt sich auch an dem heutigen Verständnis von Partizipation. Anders als früher dient Partizipation heute nicht nur der Informierung der Behörde,18 sondern besitzt rechtsstaatliche und demokratische Komponenten.19 Auch darin kommt der dynamische Charakter beider Prinzipien zum Ausdruck. Entsprechend hat das Bundesverfassungsgericht das Demokratieprinzip schon explizit als Staatszielbestimmung bezeichnet.20 Der Schritt von der Staatszielbestimmung hin zum Optimierungsgebot ist nicht mehr weit – sofern man die Offenheit des Begriffs der „Optimierung“ anerkennt: Durch das Verständnis von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als Staatszielbestimmung kommt zum Ausdruck, dass eine bestimmte Aufgabe, die Ermöglichung von Demokratie und Sicherung von Rechtsstaatlichkeit, Ziel des Staates ist. Der Staat hat daraufhin zu wirken, dass diese Aufgabe verwirklicht und so das Ziel erreicht wird. Dass dieses Ziel nicht halb17  Ausdrücklich für das Rechtsstaatsprinzip Ulrich Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 325–346; 335 f.; Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 384; vgl. auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 293 m. w. N. Ausdrücklich für Demokratieprinzip Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 587; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 38, der das Demokratieprinzip darüber hinaus als Programm bezeichnet; Werner Thieme, Demokratie – Ein Staatsziel im Wandel der gelebten Verfassung, DÖV 1998, S. 751–760; Albert Bleckmann, Vom Sinn und Zweck des Demokratieprinzips, 1998, S. 124. A. A. Karl-Peter Sommermann, Art. 20 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 7. Aufl. 2018, Rn. 91. 18  S. oben S. 71 ff. 19  S. oben S. 60 ff. 20  BVerfGE 107, 59, 91. Dagegen spricht auch nicht BVerfGE 123, 267, 334. Hier heißt es zwar, dass das „demokratische Prinzip […] nicht abwägungsfähig“ sei. Dies bezieht sich aber ausweislich des Kontexts auf den von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Gehalt, der nicht durch den verfassungsändernden Gesetzgeber relativiert werden dürfe.



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herzig oder gar schlecht erreicht werden darf, liegt auf der Hand. Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip sind damit Optimierungsgebote.21 Genauso liegt aber auf der Hand, dass das Ziel im Ausgleich mit anderen Prinzipien und Rechtsregeln erreicht werden muss. Der Optimierungsbegriff ist nicht absolut, sondern relativ und kontextabhängig. Die fehlende Binarität der beiden Prinzipien öffnet die Prinzipien und wirkt in zwei Richtungen: Einerseits 21  Explizit das Demokratieprinzip als Optimierungsgebot bezeichnend Utz Schlies­ky, Souveränität und Legitimation von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 611 ff., insb. 618; Brun-Otto Bryde, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes als Optimierungsaufgabe, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz – eine Auseinandersetzung mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, 2000, S. 59–70; ders., Die bundesrepublikanische Volksdemokratie als Irrweg der Demokratietheorie, StWStP 5 (1994), S. 305– 330, 323 f.; Peter M. Huber, Staatsrecht, in: ders. (Hrsg.), Thüringer Staats- und Verwaltungsrecht, 2000, S. 21–122, 65; Martin Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2013, S. 559–608, 562 f. Vgl. Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 30: „impliziert ‚Optimierung‘“; ders., Demokratisch, demokratischer, am demokratischsten?, in: Joachim Bohnert/Christof Gramm/Urs Kindhäuser/Joachim Lege/Alfred Rinken/Gerhard Robbers (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag, 2001, S. 363–384, 371; Hans-Heinrich Trute, Die demokratische Legitimation der Verwaltung (§ 6), in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/ Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts Band I, 2. Aufl. 2013, S. 341–435, Rn. 16; Eckard Pache, Abschliessender Beitrag in der Aussprache zu seinem Vortrag Verantwortung und Effizienz in der Mehrebenenverwaltung, VVDStRL 66 (2007), S. 209, 213; Christian Calliess, Bürgerrechte als Ersatz für Demokratie?, in: Claudio Franzius/Franz C. Mayer/Jürgen Neyer (Hrsg.), Strukturfragen der Europäischen Union, 2010, S. 231–258, 239; Michael Droege, Herrschaft auf Zeit, DÖV 2009, S. 649–657, 654. Dagegen Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 331 ff.; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 158 ff.; Hans Hermann Bowitz, Das Demokratieprinzip als eigenständige Grundlage richterlicher Entscheidungsbegründungen, 1984, S. 51, 116 ff.; Peter Lerche, Die Verfassung als Quelle von Optimierungsgeboten, in: Joachim Burmeister/Michael Nierhaus/Günter Püttner/Michael Sachs/ Helmut Siekmann/Peter J. Tettinger (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit. Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 197–209; Matthias Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, 1993, S. 583 und Kapitel 4 Fn. 79 ff.; Christian Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit. Grundlagen und Grenzen des demokratischen Majoritätsprinzips, AöR 127 (2002), S. 460–473, 469; Christian Waldhoff, Manipulation von Wahlterminen durch die Zusammenlegung von Wahlen?, Verfassungsfragen der Zusammenlegung von Kommunal- und Europawahl 2009 in Nordrhein-Westfalen, JZ 2009, S. 144–148, 146 f. Für die neueste Diskussion um Prinzipien, Regeln und Optimierungsgebote vgl. Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 518 ff. m. w. N. Differenzierend Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 89 ff., der in Art. 20 Abs. 1 GG ein Verfassungsprinzip sieht, in Art. 20 Abs. 2 GG hingegen eine Regel.

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öffnet sie die Prinzipien hin zu anderen Normen und nimmt Einfluss auf diese Normen, andererseits nehmen die anderen Normen Einfluss auf diese Prinzipien. Was also „optimal“ heißt, gerade im Verhältnis zu anderen Aufgaben des Staates, ist dann eine Frage der Rechtsfolgen der Kategorisierung als Optimierungsaufgabe.

B. Rechtsfolgen von Staatszielbestimmungen und Optimierungsgeboten Die Kategorisierung eines Verfassungsprinzips als Staatszielbestimmung hat Folgen für alle drei Staatsgewalten.22 Für den ganzen Staat lassen sie sich als „programmatische Direktiven“ bezeichnen.23 Der Staat hat sie „nach Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten.“24 Staatszielbestimmungen sind entsprechend ihrer dynamischen Wirkung eine „Gestaltungsmaxime für die Fortentwicklung der Rechtsordnung“25 und sogar ein, wenngleich allgemein gehaltener, Gesetzgebungsauftrag,26 der sich nicht nur an die Legislative, sondern auch an den verfassungsändernden Gesetzgeber27 sowie die Regierung richtet.28 Daneben wird auch die Verwaltung angespro22  Detlef Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S.  368–377, 370; Joachim Schwind, Zukunftsgestaltende Elemente im deutschen und europäischen Staats- und Verfassungsrecht, 2008, S. 233; Ekkehard Wienholtz, Arbeit, Kultur und Umwelt als Gegenstände verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen, AöR 109 (1984), S. 532–554, 536. 23  Detlef Merten, Über Staatsziele, DÖV 1993, S. 368–377, 370; Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, S. 21. 24  Art. 3 Abs. 3 LSAVerf; ganz ähnlich Art. 13 SächsVerf. 25  Wolfgang Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: Alfred Hermann (Hrsg.), Aus Geschichte und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag für Ludwig Bergstraesser, 1954, S. 279–300, 281; s. auch Ekkehard Wienholtz, Arbeit, Kultur und Umwelt als Gegenstände verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen, AöR 109 (1984), S. 532–554, 548 f.; nicht allgemein, aber in evidenten Fällen, Arnd Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ im System der grundgesetzlichen Ordnung, in: DÖV 1993, S. 947–954, 951. 26  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 312; Thomas Würtenberger, Staatszielbestimmungen, Verfassungsaufträge, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, 5/720, 1985, S. 1; Ion Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, 1967, S. 117 f.; für das Demokratieprinzip auch Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 40. 27  Eberhard Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, 1976, S. 253. 28  Johannes Caspar, Tierschutz in die Verfassung?, ZRP 1998, S. 441–446, 441.



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chen.29 Sie muss Staatszielbestimmungen in ihrer Auslegung des einfachen Rechts30 und bei der Ausübung ihres Ermessens31 berücksichtigen. Auch die Judikative muss bei der Auslegung des einfachen Rechts die Staatszielbestimmungen beachten. Insgesamt ist der Staat verpflichtet, in positiver Hinsicht den Verfassungswert aktiv zu fördern und in negativer Hinsicht alles zu unterlassen, was ihn beeinträchtigt.32 Dabei steht dem Staat ein weiter Gestaltungsspielraum zu.33 Dieses Verständnis der Rechtsfolgen von Staatszielbestimmungen kommt dem Verständnis von Optimierungsgeboten sehr nahe. Optimierungsgebote sind ebenfalls auf ein Ziel, die Verwirklichung einer Aufgabe, gerichtet. Partizipation ist danach „in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße“ zu realisieren.34 Optimierungsgebote stellen somit ein „ideales Sollen“ dar und gebieten damit die Verwirklichung dieses Ideals. Dies entspricht in etwa der Beschreibung der Demokra29  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 312 ff. spricht von „Steuerungsfunktion“. 30  Bundesministerium des Inneren/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, S. 21; Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 588; Wolfgang Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: Alfred Hermann (Hrsg.), Aus Geschichte und Politik. Festschrift zum 70. Geburtstag für Ludwig Bergstraesser, 1954, S. 279–300, 281; Ion Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, 1967, S. 117; Klaus-Albrecht Gerstenmaier, Die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes als Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren, 1975, S. 77; Ekkehard Wienholtz, Arbeit, Kultur und Umwelt als Gegenstände verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen, AöR 109 (1984), S. 532–554, 536; für das Demokratieprinzip auch Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 38; s. auch BVerfGE 93, 37, 81 f. 31  Ion Contiades, Verfassungsgesetzliche Staatsstrukturbestimmungen, 1967, S. 117; BVerwG, Urteil v. 9. November 1978 – 3 C 68.77 = Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 Rn. 27 (juris). 32  Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 293 f.: vgl. für Art. 6 Abs. 1 GG BVerfGE 6, 55, 76. 33  Ulrich Scheuner, Staatszielbestimmungen, in: Roman Schnur (Hrsg.), Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 325–346, 340; Alexis von Komorowski, Demokratieprinzip und Europäische Union. Staatsverfassungsrechtliche Anforderungen an die demokratische Legitimation der EG-Normsetzung, 2010, S. 587; Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 494 bezeichnet diese Offenheit als „Glanz und Elend der Verfassungsprinzipien“. 34  Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 75; ebenso Horst Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 3. Aufl. 2005, S. 462 f.; s. auch Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 329 ff., der aber Staatszielbestimmungen nicht als Optimierungsgebote sieht.

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tie durch Jacques Derrida, nach dem Demokratie „im Kommen bleibt“.35 Optimierungsgebote verharren aber nicht im (rechts)philosophischen oder (rechts-)theoretischen Raum, sondern besitzen konkrete Auswirkungen auf den Staat und seine Organe und wirken damit rechtsdogmatisch. Aus der Einordnung der Staatszielbestimmungen als Optimierungsgebote folgt nämlich, dass u. a. das Parlament in die Pflicht genommen wird, Partizipationsmöglichkeiten zu effektivieren und zu erweitern, sofern keine rechtfertigenden Umstände vorliegen, die einer solchen Optimierung entgegenstehen. Dabei ist nicht nur der einfache Gesetzgeber, sondern auch der verfassungsändernde Gesetzgeber selbst angesprochen, da die Einführung von bestimmten demokratischen Elementen nur durch den verfassungsändernden Gesetzgeber möglich ist.36 Auch die Verwaltung muss entsprechend reagieren und Rechtsnormen partizipationsfreundlich auslegen sowie ihr Ermessen parti­ zipationsfreundlich ausüben. Gerade im Zusammenhang mit der Verwaltung wird deutlich, wieso die Figur der Staatszielbestimmung und des Optimierungsgebots so wichtig ist: Mit dem Wandel einer konditionalen Verwaltungssteuerung zu einer finalen Steuerung37 ist ein nie dagewesener Zuwachs an Einfluss und Macht der Verwaltung verbunden. Gerade deshalb kann auf die steuernde Kraft der grundgesetzlichen Verfassungsprinzipien als Optimierungsgebote im Verwaltungsverfahren nicht verzichtet werden.38 Schließlich ist auch die Judikative angesprochen. Einem Missverständnis muss an dieser Stelle vorgebeugt werden. Die optimale Zielerreichung ist nicht die Zielerreichung, bei der das Ziel voll verwirklicht wird, sondern bei der das Ziel am weitesten unter Berücksichtigung des besten Ausgleichs zu anderen verfassungsrechtlichen Normen und anderen Staatszielen erreicht wird. Es geht also um Optimierung und nicht etwa um Maximierung.39 Wie dieser Ausgleich zu schaffen ist, ist im Wesent­lichen dem zuständigen Staatsorgan überlassen, es besteht ein weiter Gestaltungsspielraum.40 Innerhalb seines Gestaltungsspielraums hat sich der Staat an Derrida, Schurken. Zwei Essays über die Vernunft, 2003, S. 123. S. 435. 37  S. dazu oben S. 172 f. 38  S.  zu diesem Zusammenhang Thomas Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln? VVDStRL 58 (1998), S. 139–176, 166 ff. 39  Martin Morlok, Demokratie und Wahlen, in: Peter Badura/Horst Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. 2, 2013, S. 559–608, 564; Karl-Peter Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 361, 411 f. Missverständlich z. B. Thomas Würtenberger, Rechtliche Optimierungsgebote oder Rahmensetzungen für das Verwaltungshandeln? VVDStRL 58 (1998), S. 139– 176, 142 und 146. 40  Joachim Schwind, Zukunftsgestaltende Elemente im deutschen und europäischen Staats- und Verfassungsrecht, 2008, S. 490. S. mit Vorschlägen für eine Struk35  Jacques

36  S. sogleich



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dem Gebot praktischer Konkordanz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren. Zwischen den Optimierungsgeboten und dem Gebot praktischer Konkordanz besteht eine enge Verwandtschaft.41 Beide sind darauf gerichtet, unter Umständen gegenläufige Normen zu möglichst weiter Entfaltung und Wirksamkeit zu verhelfen. Die Rechtsfolgen von Staatszielbestimmungen und Optimierungsgeboten sind also im Wesentlichen die Gleichen: Es geht um die Erreichung eines Ziels unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Folgen der Mittel der Zielerreichung auf verfassungsrechtliche Normen und auf andere Staatsziele.42 Rechtsstaat und Demokratie sind als Optimierungsgebote zu verstehen. Der Staat des Grundgesetzes ist kein statischer Staat, der einem binären System folgt. Vielmehr ist er auf Verwirklichung von Freiheit angelegt. Die Bundesrepublik Deutschland soll individuelle Selbstbestimmung schützen und kollektive Selbstbestimmung ermöglichen. Wie es in Artikel 1 des Herrenchiemsee-Entwurfs des Grundgesetzes formuliert wurde, ist der Staat für den Menschen da und nicht der Mensch für den Staat.43 Daraus folgt, dass der Staat sich ändern und weiterentwickeln muss, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu garantieren. Zu Recht werden die vom Rechtsstaatsprinzip mitumfassten Grundrechte als der Prototyp des Optimierungsgebots angesehen.44 Hier hat die Geschichte der Bundesrepublik gezeigt, dass es zu einer turierung der Abwägung Franz Reimer, Verfassungsprinzipien. Ein Normtyp im Grundgesetz, 2001, S. 495 ff.; Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 146: „nicht absolut bestimmbar“. 41  So schon Friedrich Müller, Normstruktur und Normativität. Zum Verhältnis von Recht und Wirklichkeit in der juristischen Hermeneutik, entwickelt an Fragen der Verfassungsinterpretation, 1966, S. 213: „Verhältnis optimaler Realisierung der beteiligten verfassungsrechtlichen Norminhalte“. Ebenso Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 152: „Schon aus dem Begriff des Prinzips ergibt sich, dass es bei der Abwägung nicht um eine Alles-oder-Nichts-Frage, sondern um eine Optimierungsaufgabe geht. Insofern entspricht das hier vertretene Abwägungsmodell dem sog. Prinzip der praktischen Konkordanz.“ S. ders., Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), S. 7–33; ähnlich Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 72; Michael Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, DVBl. 1985, S. 97–102, 99; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 834 ff.; Marcus Schladebach, Praktische Konkordanz als verfassungsrechtliches Kollisionsprinzip, Der Staat 2014, S. 263–283, 271 ff.; s. auch Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S.  474 ff. 42  Karl-Peter Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 412. 43  Verfassungsausschuss der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen (Hrsg.), Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, 1948, S. 61. 44  S. Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 71 ff.

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Teil 3: Der partizipative Staat de lege ferenda

ständigen Optimierung und Intensivierung des Grundrechtsschutzes gekommen ist – auf allen Ebenen der Staatsgewalt. Dies stärkt die Legitimation staatlichen Handelns ebenso wie die Erweiterung der demokratischen Möglichkeiten. Hier sind allerdings weniger Fortschritte zu verzeichnen. Das macht das Demokratieprinzip aber nicht weniger zum Optimierungsgebot als es das Rechtsstaatsprinzip ist, sondern es zeigt nur, dass demokratische Mitbestimmung im Vergleich zur rechtsstaatlichen Mitbestimmung vernachlässigt wurde und ein größerer Optimierungsbedarf besteht. Kapitel 8

Optimierung der Legislative: Mehr Beteiligung wagen Auf Gesetzgebungsebene ist viel Raum für mehr Partizipation. Neben der Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene und Verbesserungsmöglichkeiten der bestehenden direktdemokratischen Verfahren auf Landesebene (A.), kommt die Einführung eines Beteiligungsverfahrens im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung in Betracht (B.).

A. Direkte Demokratie: Verfassungsrechtlich geboten Sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene bestehen Defizite in der Volkgesetzgebung. Während auf Landesebene aber nur die Frage des „wie“ betroffen ist, geht es auf Bundesebene um das „ob“ von Volksgesetzgebung. Diese Verfahren sollten entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation (weiter-)entwickelt werden, um so den partizipativen Staat zu stärken und die Legitimation staatlicher Herrschaftsausübung zu erhöhen. Auf Bundesebene existiert keine Möglichkeit der Volksgesetzgebung, obgleich sie in Art. 20 Abs. 2 GG angelegt ist. Der Versuch der Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene wurde schon mehrfach unternommen. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden durch die Gemeinsame Verfassungskommission, die nach Art. 5 des Einigungsvertrages eingesetzt wurde, Vorschläge für eine neue Verfassung erarbeitet. Ein SPD-Vorschlag für die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid fand eine einfache Mehrheit, scheiterte aber an dem Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit.45 Die Verfassungskommission nahm auch Vorschläge aus der Bevölkerung auf, die meisten Eingaben hatten Elemente zur Volksgesetzgebung zum Gegenstand.46 45  Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/60000 v. 5. November 1993, S. 84. 46  Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 86 m. w. N.



Kapitel 8: Optimierung der Legislative: Mehr Beteiligung wagen435

Spätere Versuche in Form verfassungsändernder Gesetze scheiterten regelmäßig, so geschehen in den Jahren 2019,47 2017,48 2014,49 2012,50 2010,51 200952 und 2002.53 Wie eine solche Grundgesetzänderung aussehen muss, ergibt sich aus der aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz entwickelten Theorie imperativer Partizipation (I.). Die gegen die Einführung direkter Demokratie vorgebrachten Argumente lassen sich ebenfalls mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz begegnen (II). I. Volksgesetzgebung auf Bundesebene: Partizipationsakteure und -verfahren Volksgesetzgebung ist demokratisch und nicht rechtsstaatlich fundiert und orientiert. Rechtlich determiniert ist Volksgesetzgebung ihrem Inhalt nach nur von der Verfassung. Volksgesetzgebung ist prospektiv ausgerichtet und erfasst potentiell alle Bewohner der Bundesrepublik. Dies liegt am Gesetzescharakter und muss an dieser Stelle nicht mehr weiter begründet werden.54 Deshalb muss ein Volksgesetzgebungsverfahren allen Einzelnen, das sind de lege lata alle Deutschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, offenstehen und eine Entscheidungsgewalt des Volkes vorsehen. Für die Einführung direkter Demokratieelemente bedarf es einer Verfassungsänderung und nicht nur der Gesetzgebung auf einfach-gesetzlicher Ebene.55 Dies ist nicht nur verfassungstheoretisch überzeugend – schließlich gehören gerade die Regeln über das Gesetzgebungsverfahren in die Verfassung –, sondern auch verfassungsdogmatisch: Die Volksgesetzgebung muss gleichrangig sein mit der parlamentarischen Gesetzgebung, da ansonsten ein gesetzgeberisches Zwei-Klassen-System eingeführt werden würde: In der 2. Klasse führe der Bürger, in der 1. Klasse seine Repräsentanten. 47  BT-Drs.

19/12371 v. 13. August 2019 (AfD). 19/16 v. 24. Oktober 2017 (Die Linke). 49  BT-Drs. 18/825, 17. März 2014 (Die Linke). 50  BT-Drs. 17/11371 v. 7. November 2012 (Die Linke). 51  BT-Drs. 17/1199 v. 12. November 2010 (Die Linke). 52  BT-Drs. 16/474 v. 25. Januar 2006 (FDP), BT-Drs. 16/680 v. 15. Februar 2006 (Bündnis 90/Die Grüne), BT Drs. 16/1411 v. 9. Mai 2006 (Die Linke). Der Innenausschuss empfahl am 18. Februar 2009 eine Ablehnung der Initiativen (BT-Drs. 16/12019), der BT folgte dem, s. Plenarprotokoll 16/217, S. 23584. 53  BT-Drs. 14/8503 v. 13 März 2002 (SPD; Bündnis 90/Die Grüne). 54  S. dazu oben ausführlich S. 95 f. 55  Horst Dreier, Art. 20 GG (Demokratie), in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Band II, 3. Aufl. 2015, Rn. 106 m. w. N.; Christoph Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 36. Aufl. 2020, Rn. 115; Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323–326, 324 m. w. N. 48  BT-Drs.

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Dementsprechend sind allein die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG zu beachten. Art. 79 Abs. 3 GG schützt das Prinzip der repräsentativen Demokratie als solches, das durch ein Zuviel an direkter Demokratie beeinträchtigt werden könnte,56 das Mehrheitsprinzip57 sowie das Prinzip der Volkssouverä­ nität,58 die beide durch zu niedrig angesetzte Quoren beeinträchtigt werden können,59 das Prinzip der Gewaltenteilung,60 das durch einen zu starken Einfluss des Volkes auf das Budgetrecht gefährdet werden könnte61 sowie das Bundesstaatsprinzip, das durch den Ausschluss der Länder bei der Gesetzgebung gefährdet sein könnte. Diese Grenzen stimmen mit den sogleich zu besprechenden Gefährdungen durch direkte Demokratie, die darüber aber noch hinausgehen, überein und sollen in diesem Rahmen diskutiert werden. Versteht man das Demokratieprinzip wie hier als Staatszielbestimmung und Optimierungsgebot, so wird der verfassungsändernde Gesetzgeber in die Pflicht genommen, Partizipationsmöglichkeiten zu erweitern.62 Die Erweite56  Stefan Huster/Johannes Rux, Art. 20 GG, in: Christian Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 134; ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87. 57  ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87; Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323–326, 326; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 127, 129. 58  ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87; Jörn Dietlein, Art. 79 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 34. 59  So sehen Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323–326, 326; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 129, das Mehrheitsprinzip durch zu niedrige Quoren als unter Umständen verletzt an. Der ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87, sieht dagegen bei zu niedrigen Quoren nicht das Mehrheitsprinzip als potentiell verletzt an – da ja schlussendlich die Mehrheit der Abstimmenden entscheide – sondern den Grundsatz der Volkssouveränität, da unter Umständen dem Volk die Entscheidung nicht mehr zurechenbar sei. Ähnlich Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 397. 60  Jörn Dietlein, Art. 79 GG, in: Christoph Hillgruber/Volker Epping (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl. 2020, Rn. 44; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 95. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 145. 61  Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 140. S. dazu auch Josef Isensee, Plebiszit unter Finanzvorbehalt, in: Klaus Grupp/Ulrich Hufeld (Hrsg.), Recht, Kultur, Finanzen. Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag, 2005, S. 101–127; Torsten Rosenke, Die Finanzbeschränkung bei der Volksgesetzgebung in Deutschland, 2006. Ähnlich ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 91; Jürgen Kühling, Volksgesetzgebung und Grundgesetz – Mehr direkte Demokratie wagen, JuS 2009, S. 777–783, 782 zählt die Budgethoheit zum verfassungsfesten Kern des Demokratieprinzips. 62  Peter M. Huber, Die Vorgaben des Grundgesetzes für kommunale Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, AöR 126 (2001), S. 165–203, 179: „So gesehen (also vom Optimierungsgebot her gedacht) ist die direkte Form der Demokratie der Wert-



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rung muss entsprechend der hier entwickelten Theorie der imperativen Partizipation geschehen, d. h. unter Ausbalancierung von individueller und kollektiver Selbstbestimmung, da nur so Partizipation Legitimation vermitteln kann. So werden die Grenzen der Partizipation auch deren Zielmarke. Aus dem Optimierungsgebot folgt, dass Partizipation bis zu den verfassungsrechtlichen Grenzen hin auszuweiten ist. Man mag mit der Argumentation, dass der Verfassungsgeber die entsprechenden Normen selbst hätte schaffen können, in Zweifel ziehen, dass der Verfassungsgeber einen Auftrag an den verfassungsändernden Gesetzgeber erteilt hat. Dagegen spricht aber zum einen, dass beide Organe, verfassungsgebender und verfassungsändernder Gesetzgeber, personenverschieden sind. Sie unterliegen auch unterschiedlichen Restriktionen, wie Art. 79 Abs. 3 GG deutlich macht. Zum anderen spricht dagegen, dass es ausreichende Gründe gab, mit der Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene zunächst abzuwarten. So sind etwa die Erfahrungen auf Landesebene mit der direkten Demokratie ein reicher Erfahrungsschatz, aus dem nun geschöpft werden kann. Ebenso war es doch mit Unsicherheit behaftet, wie die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg, den zwölf Jahren der Diktatur und den vielfach problematischen Erfahrungen mit der Weimarer Republik mit einem demokratischen Staatssystem umzugehen wissen. Diese Zeit der Unsicherheit ist trotz des momentanen Erstarkens des Populismus in Deutschland63 aber vorbei, so dass es politisch und rechtlich an der Zeit ist, Formen direkter Demokratie auf Bundesebene einzuführen. Zudem sind etwa die Erfahrungen auf Landesebene mit der direkten Demokratie ein reicher Erfahrungsschatz, aus dem nun geschöpft werden kann. Schließlich sind mögliche Gefährdungen durch den Grundsatz der Gewaltenteilung beherrschbar. II. Gefährdungen durch Beteiligung auf Legislativebene und Lösungsmöglichkeiten Für den Ausschluss der Volksgesetzgebung auf Bundesebene gibt es viele Argumente – die sich in den letzten 100 Jahren kaum geändert haben.64 Nach ordnung des Grundgesetzes näher als die repräsentative.“; Hans Herbert von Arnim, Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie auf Gemeindeebene, DÖV 1990, S. 85–97, 92 spricht von „Vermutung für den Einbau direkt-demokratischer Institutionen“; Peter M. Huber, Demokratie ohne Volk oder Demokratie der Völker, in: Josef Drexl/ Karl F. Kreuzer/Dieter H. Scheuing/Ulrich Sieber (Hrsg.), Europäische Demokratie 1999, S. 27–58, 36; Stefan Muckel, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid – wirksame Instrumente unmittelbarer Demokratie in den Gemeinden?, NVwZ 1997, S. 223–228, 228. 63  S. dazu schon oben S. 38 f. 64  Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 93.

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Ansicht der Kritiker bedroht direkte Demokratie u. a. die (repräsentative) Demokratie, das Allgemeinwohl, die Interessen von Minderheiten und stellt die effektive Funktionalität staatlichen Handelns in Frage. Dies geschehe, indem das repräsentative System ausgehöhlt und damit funktionsunfähig werde,65 indem die Parlamentarier aus der Verantwortung flöhen, da sie Sachfragen lieber durch das Volk entscheiden ließen, als selbst Verantwortung zu übernehmen,66 und durch den unzulässigen Einfluss, den das Volk auf das parlamentarische Herzstück, das Budgetrecht,67 nehmen würde. Zudem könnten Minderheiten durch die Instrumentalisierung direkter Demokratie den Staat und das Gemeinwohl schädigen68 – genauso wie Mehrheiten auch Minderheiten durch Volksgesetzgebung unterdrücken könnten.69 Das „Gleichheitsversprechen“70 65  So im Falle zu niedriger Quoren der ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 91; Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S.  48–72, 60 f.; Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 281; Paul Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: Michael Brenner/Peter M. Huber/Markus Möstl (Hrsg.), Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 237–262, 246. 66  Vgl. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 92 m. w. N. 67  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, D. I.4.a. Ausführlich auch Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 391 ff.; außerdem Matthias Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, S. 3–44; Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 92 m. w. N.; Christian Waldhoff/Hanka von Aswege, Direkte Demokratie und Staatsfinanzkrise – Abschaffung der Finanztabus als Ausweg?, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Hans-Joachim Lauth/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2011, 2012, S. 9–40. 68  Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 56 ff.; Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 286 f.; Reinhard Hendler, Zu den Vorzügen und Nachteilen verstärkter Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, Der Landkreis 1995, S. 321–325, 324; Josef Isensee, Verfassungsreferendum mit einfacher Mehrheit, 1999, S. 65 f.; BremStGH DÖV 2000, S. 915, 916, 919; vgl. Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 388 69  Gebhard Kirchgässner, Direkte Demokratie und Menschenrechte, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 66–89; Hermann K. Heußner, Direkte Demokratie in den US-Gliedstaaten im Jahr 2008, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 165– 204, 172 f., 195 f., und Axel Tschentscher, Direkte Demokratie in der Schweiz – Länderbericht 2008/2009, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/ Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 205–240, 219 ff. 70  Begriff von Christoph Möllers, Demokratie. Zumutung und Versprechen, 2008, S. 67; ders., Gewaltengliederung, 2005, S. 52.



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der Demokratie drohe so aufgelöst zu werden.71 Auch die demokratisch verlangte Verantwortlichkeit für Gesetze werde durch Volksgesetzgebung aufgelöst, es seien „letztlich alle und zugleich niemand für die politischen Folgen verantwortlich.“72 Volksgesetzgebung funktioniere überdies nicht, da die Entscheidung von komplexen Sachfragen durch das dazu nicht fähige Volk nicht vorgenommen werden könne,73 auch sei Volksgesetzgebung aufgrund der puren Ja/Nein-Dichotomie nicht kompromissfähig.74 Kurz gesagt, es drohe der Verlust der Steuerungsfähigkeit des Staates. Sollten diese Argumente stimmen, so wirkt Partizipation delegitimierend, da sie dann weder kollektive Selbstbestimmung ermöglicht noch individuelle Selbstbestimmung schützt. In diesem Fall sollte Partizipation weitestgehend zu meiden sein. Die entscheidende Frage ist also, ob diese Argumente stimmen. Im Folgenden wird ihnen nachgegangen. Dabei werden der Gewaltenteilungsgrundsatz und seine drei Funktionen, Sicherung des Rechtsstaats, Ermöglichung von Demokratie und die Steigerung effektiver Funktionalität, als zentrale Argumentationstopoi fruchtbar gemacht, indem das Verhältnis des Volksgesetzgebers zum parlamentarischen Gesetzgeber, zur Exekutive und zur Judikative in den Mittelpunkt der folgenden Betrachtung gestellt wird. Es zeigt sich, dass der Gewaltenteilungsgrundsatz nicht nur der Konzeptualisierung von Partizipation dient, sondern auch der Abwehr der (vermeintlichen) Gefährdungen, die von der Volksgesetzgebung ausgehen. Nachdem den Argumenten gegen Volksgesetzgebung ausreichend Raum gegeben wurde (1.), wird in einem ersten Schritt das Verhältnis von Volk und Bundestag in den Mittelpunkt gestellt. Beide sind Organe der Gesetzgebung, die sich gegenseitig hemmen, mäßigen und kontrollieren. Volksgesetzgebung, auch und gerade im Zusammenspiel mit parlamentarischer Gesetzgebung, muss ein Optimum an Demokratie gewährleisten. Effektive Funktionalität wird der Volksgesetzgebung oft abgesprochen, im Vergleich zur parlamenta71  Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72; Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S.  280 f.; Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 75; Karl Ferdinand Gärditz, § 14i UVPG, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 77. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 5. 72  Hans-Peter Schneider, Das parlamentarische System (§ 13), in: Ernst Benda/ Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 234–293, Rn. 138. 73  Vgl. nur Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 284 ff. 74  Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 283 f. Dagegen Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S.  101 ff.

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rischen Gesetzgebung und im Zusammenspiel mit ihr entsteht aber ein anderes Bild (2.). In einem zweiten Schritt soll knapp das Verhältnis von Legislative zur Exekutive beleuchtet werden (3.). In einem dritten Schritt wird das Verhältnis der Gewalten Legislative, in Form der direkten Demokratie, und Judikative näher untersucht. Auch hier findet gegenseitige Hemmung, Mäßigung und Kontrolle, aber eben auch gegenseitige Beeinflussung mit dem Ziel, Demokratie zu gewährleisten und effektive Funktionalität zu schaffen, statt (4.). 1. Die Gefährdungen durch die Volksgesetzgebung Die Gefährdungen durch die Volksgesetzgebung lassen sich in fünf Gruppen aufteilen. So heißt es zuvorderst, dass die repräsentative Demokratie selbst gefährdet sei, indem das parlamentarische System ausgehöhlt werde (a)). Zweitens heißt es, dass das Gemeinwohl durch die Übernahme des politischen Prozesses durch Minderheiten gefährdet sei (b)). Drittens wird umgekehrt befürchtet, dass die Mehrheit ohne Rücksicht auf die Minderheiten ihre Interessen durchsetzen werde (c)) und viertens wird vorgebracht, dass direkte Demokratie nicht funktionabel sei und die Steuerungsfähigkeit des Staates beeinträchtige (d)). Schließlich wird noch eingewandt, dass direkte Demokratie den Einfluss der Länder auf das Gesetzgebungsverfahren minimiere und daher den Bundesstaat gefährde (e)). Normativ wiegen die ersten drei sowie das letzte Argument besonders schwer, da sie inhaltlich an den Schutz des Demokratieprinzips durch Art. 79 Abs. 3 GG anknüpfen und es im Falle ihrer Validität dem verfassungsändernden Gesetzgeber verwehren würden, direkte Demokratie einzuführen. a) Repräsentative Demokratie Es mag auf den ersten Blick paradox klingen, aber mehr direkte Demokratie wird als Gefährdung für die Demokratie des Grundgesetzes gesehen. Es wird argumentiert, dass die Demokratie des Grundgesetzes eine repräsentative Demokratie sei und durch direkte Demokratie eine Gefährdung der Aushöhlung der Kompetenzen des Parlaments bestehe. Wenn das Parlament „nicht mehr zentrale Entscheidungsinstanz ist“, verliere der Wahlakt seine Bedeutung.75 Aber nicht nur auf der Seite der Wähler habe dies Auswirkungen, sondern auch auf der Seite der Abgeordneten, indem Volksgesetzge75  Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 43; Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 363.



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bung, die vermeintlich höher legitimiert sei,76 das Parlament abwerte,77 was wiederum zurückschlage auf die Abgeordneten: So führe direkte Demokratie zu einem permanenten Nebenwahlkampf, indem Parteien und Politiker nicht ihrer parlamentarischen Arbeit nachgingen, sondern vielmehr versuchten, „die Straße zu mobilisieren“ und ihre Kraft und Energie auf die Mobilisierung des Volkes richteten.78 Es ließe sich auch daran denken, dass Parlamentarier in Zukunft vermeiden würden, bestimmte umstrittene Themen zu regeln, und sie lieber durch das Volk entscheiden lassen würden. Werde dann sogar das Budgetrecht als das Königsrecht des Parlaments vom Volk übernommen, so hätte das Parlament faktisch keinen Einfluss mehr, sondern dürfte nur noch legislativ „verwalten“, was das Volk ihm übrig ließe – oder was nicht finanzwirksame Folgen hätte.79 Die Instrumentalisierung direkter Demokratie durch bestimmte Gruppen gefährde daher insgesamt die „Stabilität und Leistungsfähigkeit des parlamentarischen Systems.“80 b) Gemeinwohl und Spezialinteressen Ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie ist demokratische Gleichheit und damit verbunden die Herrschaft der Mehrheit. Beides – und damit die Demokratie – sei gefährdet, wenn besonders aktive Minderheiten ihren Willen gegen die Mehrheit durchsetzten. Die Instrumentalisierung direkter De76  Dagegen Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S.  420  f. m. w. N.; Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 282 ff.; Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S.  87 ff.; Uwe Berlit, Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, KritV 1993, S. 318–359, 338 f. 77  Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 60 f.; kritisch auch Paul Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: Michael Brenner/Peter M. Huber/Markus Möstl (Hrsg.), Konti­ nuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 237–262, 246. 78  Vgl. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 92. 79  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, D. I.4.a.; Matthias Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, S. 3–44. 80  Vgl. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 103; Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 28 ff. Ähnlich auch Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, 1958, S.  175 ff., zitiert nach Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 159.

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mokratie durch Minderheiten81 gefährde daher die Gemeinwohlorientierung staatlichen Handelns, da Minderheiten ihre eigenen Interessen an die Stelle der Interessen der Allgemeinheit setzen könnten.82 Möglich sei diese In­ strumentalisierung der direkten Demokratie, weil vor allem diejenigen abstimmen gehen würden, denen ein Thema besonders am Herzen liegt – und dies seien meist die Befürworter. In der Tat nutzen eher gebildete und begüterte Schichten dieses Instrument, das einen hohen Organisations- und Finanzierungsaufwand erfordert.83 Spiegelbildlich dazu gehen sozial schwächere Schichten tendenziell seltener zur Wahl und erst recht zu Abstimmungen.84 81  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 286 f.; Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BT-Drs. 12/6000, S.  85 f.; Reinhard Hendler, Zu den Vorzügen und Nachteilen verstärkter Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, Der Landkreis 1995, S. 321–325, 324: Josef Isensee, Verfassungsreferendum mit einfacher Mehrheit, 1999, S. 65 f.; BremStGH DÖV 2000, S. 915, 916, 919. S. auch ausführlich die Beiträge in Wilfried Marxer (Hrsg.), Direct Demcocracy and Minorities, 2012. 82  So insbesondere Sebastian Müller-Franken, Unmittelbare Demokratie und Direktiven der Verfassung, DÖV 2005, S. 489–498; ders., Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 56 ff.; Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie (§ 35), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 55–86, Rn. 47; vgl. Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 99 f. 83  Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S.  280  f. S. ausführlich auch Wolfgang Merkel/Alexander Petring, Partizipation und Inklusion, Demokratie in Deutschland 2011 – Ein Report der Friedrich-Ebert-Stiftung, www. demokratie-deutschland-2011.de/common/pdf/Partizipation_und_Inklusion.pdf, S.  22 ff.; Roman Lehner, Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Probleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren, in: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht (Hrsg.), Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 2012, S. 271–291, 281 ff. 84  S. Erich Röper/Klaus Sieveking, Einwohner bei Volksabstimmungen in den Kommunen und Bundesländern als Grundgesamtheit, ZAR 2011, S. 131–133, 132; Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S.  48–72, 53 ff.; Sebastian Bödeker, Soziale Ungleichheit und politische Partizipation in Deutschland, WZBBrief Zivil-Engagement 05, April 2012; Robert Vehrkamp/ Christina Tillmann, Politische Ungleichheit – neue Schätzungen zeigen die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung, Einwurf. Policy Brief des Programms „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung, 2/2015, S. 1: „Die Wahlbeteiligung der sozialen Oberschicht liegt um bis zu 40 Prozentpunkte über der Wahlbeteiligung der sozial schwächeren Milieus. Die sozial benachteiligten Milieus sind im Wahlergebnis um bis zu ein Drittel unterrepräsentiert. Ihr Anteil an den Nichtwählern ist fast doppelt so hoch wie ihr Anteil an allen Wahlberechtigten. Gleichzeitig sind die sozial stärkeren Milieus deutlich überrepräsentiert. (Wahl-) Umfragen unterschätzen die soziale Spaltung der Wahlbeteiligung systematisch.“



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So lag die Abstimmungsbeteiligung bei der Abstimmung über die Volksini­ tiative „Wir wollen lernen“, die 2010 die Schulreform der schwarz-grünen Hamburger Regierung zum Gegenstand hatte, in den Stadtteilen Hamburgs mit unterdurchschnittlichem Einkommen etwa bei einem Drittel der Beteiligung des wohlhabenden Blankenese.85 Hier zeige sich außerdem noch, dass aufgrund des Umstands, dass in eigener Sache entschieden werde, eine Gefahr des Distanzverlustes zwischen den Entscheidern und dem zu Entscheidenden entstehe. Dieser Distanzverlust führe zu einem Gemeinwohlverlust.86 Das Problem der Gemeinwohlorientierung manifestiere sich insbesondere auch in der Frage des Budgetrechts, da durch Volksgesetzgebung Mittel für die Zukunft gebunden werden könnten, die dann an anderer Stelle fehlten. c) Diktatur der Mehrheit Aber nicht nur Gefährdungen, die von Minderheiten ausgehen, werden beschworen, sondern umgekehrt auch Gefährdungen, die von der Mehrheit ausgehen.87 Dieser falle es naturgemäß leichter als der Minderheit, ihre Ansichten durchzusetzen. Dies könne unter Umständen auf Kosten der Interessen und sogar Rechte der Minderheit gehen. Zusätzlich problematisch aus soziologischer Sicht wird dieses Argument dann, wenn man bedenkt, dass gerade marginalisierte Gruppen weniger zu Abstimmungen gehen und damit auch hier die formelle Gleichheit der Demokratie bedroht ist.88

85  Willfried Maier, Ist direkte Demokratie nur ein Mittel für die Reichen?, Forum Kommune: Politik, Ökonomie, Kultur, 2010, S. 10–11, 11. 86  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 32 f. 87  S. dazu die Beiträge von Gebhard Kirchgässner, Direkte Demokratie und Menschenrechte, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 66–89; Hermann K. Heußner, Direkte Demokratie in den US-Gliedstaaten im Jahr 2008, in: Lars Feld/ Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 165–204, 172 f., 195 f., und Axel Tschentscher, Direkte Demokratie in der Schweiz – Länderbericht 2008/2009, in: Lars Feld/Peter M. Huber/ Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 205–240, 219 ff.; Kevin R. Johnson, A Handicapped, Not „Sleeping“ ­Giant. The Devastating Impact of the Initiative Process on Latina/o and Immigrant Communities, 96 California Law Review 2008, S. 1259–1297. 88  S. die Nachweise auf S. 442, Fn. 84.

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d) Mangelnde Funktionalität Als weiteres Argument gegen Volksgesetzgebung wird die mangelnde Funktionalität direkter Demokratie vorgebracht. Direkte Demokratie beeinträchtige die Steuerungsfähigkeit des Staates. Das Argument wird auf zwei unterschiedlichen Ebenen betont. Es bezieht sich zum einen auf die angeb­ liche Unfähigkeit der Akteure mit dem Instrument der direkten Demokratie umzugehen und zum anderen auf die Ungeeignetheit des Verfahrens, effektive Gesetzgebung zu garantieren. Das Argument der Unfähigkeit des Volkes lässt sich wiederum in zwei Unterargumente unterteilen. Zum einen heißt es, dass bestimmte Sachfragen vom Volk nicht entschieden werden könnten, da sie zu komplex seien und daher nur von Experten entschieden werden sollten. Die Komplexität der Sachfragen verhindere, dass sich das Volk sachadäquat mit den Gesetzesvorschlägen auseinandersetzen könne. Das Volk sei aufgrund mangelnder Informiertheit und kognitiver Fähigkeiten nicht in der Lage, komplexe Entscheidungen zu treffen.89 Zum anderen wird vorgebracht, dass das Volk anfällig sei für Demagogie und falsche Entscheidungen. Prägnant brachte das ­Bundespräsident Theodor Heuss auf den Punkt, der direkte Demokratie als „­Prämie für Demagogen“ bezeichnete.90 Dies wird auch als „Gefahr einer Entrationalisierung von Entscheidungen“ bezeichnet.91 Nicht nur die Komplexität der Materie zeige die mangelnde Funktionalität der direkten Demokratie, sondern auch die dem Volksgesetzgebungsverfahren inhärenten Unzulänglichkeiten, die dazu führten, dass das Verfahren als solches schlechthin ungeeignet sei, effektive Gesetzgebung hervorzubringen. Zuerst wird auf das Problem der Kompromissunfähigkeit von plebiszitären

89  S.  z. B. Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, 1927, S. 35; Roman Herzog, Art. 20 Abs. 2 GG, in: Maunz/Dürig, GrundgesetzKommentar, 1980, Rn. 41. Vgl. dazu auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 91, 94 ff. 90  Zit. nach Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien: Eine Einführung, 2. Aufl. 1997, S. 262; Uwe Berlit, Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, KritV 1993, S. 318–359, 340 ff. unterscheidet das von der „Dummheit“ des Volkes, S. 342 ff.; Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 23, sehen den Kern der Aussage darin, dass Volkabstimmungen leichter als Wahlen und Abstimmungen im Parlament zu beeinflussen seien. 91  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 284 ff.; Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BTDrs. 12/6000, S. 85.



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Entscheidungsverfahren verwiesen.92 Die Ja/Nein-Dichotomie von Volksgesetzgebung helfe oft nicht als adäquate Lösung für die Sachfragen, es mangele an einem gestuften Verfahren wie im Parlament, das auf Kompromissbildung ausgerichtet sei.93 Außerdem wird vorgebracht, dass Volksgesetzgebung viel mehr Zeit in Anspruch nehme als die parlamentarische Gesetzgebung.94 Dies liege einmal an der Dauer des Verfahrens, aber auch daran, dass Volksgesetzgebung schnellere und möglicherweise notwendige Parlamentsgesetzgebung verhindern könnte, etwa wenn aufgrund der Volksgesetzgebung eine gewisse Sperrwirkung wie in Hamburg95 für die parlamentarische Gesetzgebungstätigkeit besteht und langwierige Aushandlungsprozesse zwischen den Initiatoren des Volksgesetzgebungsverfahrens und Vertretern des Parlaments zu befürchten seien.96 Ungeeignet sei das Verfahren schließlich auch, weil es die Versprechen, die von ihm ausgingen, nicht einlösen könne: Politikverdrossenheit und Politikferne werde nur vergrößert, weil bestimmte Politikbereiche von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen seien und so Enttäuschung mit diesem vermeintlichen Allheilmittel vorprogrammiert sei.97 e) Gefährdungen für den Bundesstaat Ein ebenfalls häufig formulierter Einwand gegen die Einführung von direkter Demokratie stellt auf die Befürchtung ab, dass die Länder in einem Volksgesetzgebungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden, weil ja nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat nicht mit mitentscheiden dürfte.98 So könnten u. U. Bürger aus Bayern und Baden-Württemberg den Rest des Volkes überstimmen. Dieses Argument ist damit ein 92  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 282 ff.; Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BTDrs. 12/6000, S. 85. 93  Vgl. Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 26 ff. 94  Peter Krause, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten unmittelbarer Demokratie (§ 35), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Aufl. 2005, S. 55–86, Rn. 47. 95  S. unten S. 460 ff. 96  Das widerspricht natürlich schon dem Gedanken der mangelnden Kompromissfähigkeit. 97  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 292 ff. 98  Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 290 ff. Ausführlich s. Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006.

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abgewandeltes Argument hinsichtlich der Überstimmbarkeit der Mehrheit durch eine Minderheit, hier allerdings angereichert mit bundesstaatlichen Erwägungen. 2. Intra-Gewaltenteilung: Die Balance des Verhältnisses von Parlament und Volk und ihr Beitrag zu Herrschaftsermöglichung, -beschränkung und -effektivierung Die unterschiedlichen Gefährdungen sind mittels der Gewalten- und Or­ ganteilung beherrschbar. Die Legislative unterteilt sich in das Parlament und in das Volk. In der Abgrenzung und Ausbalancierung beider Organe sind dieselben Grundsätze anzuwenden, wie in der Abgrenzung der Gewalten untereinander. Diese Intra-Gewaltenteilung99 existiert neben der Inter-Gewal­ tenteilung. Sie dient ebenso der demokratischen Willensbildung (Herrschaftsermöglichung), der Hemmung, Kontrolle und Mäßigung (Herrschaftsbeschränkung) sowie der Effektivierung funktionalen Handelns (Herrschaft­ seffektivierung). Eine Betrachtung der Gefährdungen aufgrund einer Beteiligung des Volkes auf Legislativebene durch die Linse der Gewaltenteilung bedingt eine umfassende Betrachtung beider Organe. Direkte Demokratie kann nicht isoliert bewertet werden, sondern nur unter Bezugnahme auf repräsentative Demokratie und die von ihr ausgehenden Gefährdungen. Die Gefahren von Demokratie insgesamt sind in der Tat mannigfaltig. Das betrifft zum einen die ­direkte Demokratie: Könnten die Wähler heute frei über die Todesstrafe abstimmen, so drohte ihre Einführung100 und das Scheitern des europäischen Projekts würde ebenfalls prophezeit.101 Das betrifft zum anderen aber auch die repräsentative Demokratie: So ist der Deutsche Bundestag für im Schnitt fünf verfassungswidrige Gesetze pro Jahr102 (mit-)verantwortlich, ebenso 99  Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 3.  Aufl. 1975, S. 167  ff.; Andreas von Arnauld, Gewaltenteilung jenseits der Gewaltentrennung. Das gewaltenteilige System in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, ZParl 2001, S. 678–698, 695 ff., spricht auch noch von Extra-Organ-Kontrolle und meint damit u. a. die Öffentlichkeit und private Verbände. 100  Vgl. dazu Hermann K. Heußner, Mehr Demokratie e. V., Positionspapier Nr. 5, Droht bei Volksentscheid die Todesstrafe?, 2. Aufl. 2014. 101  Es sei nur an die Volksabstimmungen zum Verfassungsvertrag in den Niederlanden und in Frankreich erinnert, s. dazu unten S. 476 f. Außerdem ist 2015 ein entsprechendes Volksbegehren in Österreich initiiert worden, Matthias Benz, 260.000 Österreicher fordern EU-Austritt, Neue Zürcher Zeitung, 2. Juli 2015. 102  Etwas mehr als 200 Gesetze zwischen 1951 und 1996 nach der Auflistung von Peter Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Bd. II, 1999, S. 2495–2511; etwas mehr als 40 Gesetze zwischen 1997 und 2002 nach der Auflistung von Michael F. Feldkamp/Birgit Ströbel, Datenhandbuch



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für eine Staatsverschuldung des Bundes i. H. v. von knapp 1.430 Milliarden Euro.103 Schon an diesen Beispielen zeigt sich, dass auch die repräsentative Demokratie Gefährdungen ausgesetzt ist, die aus ihr selbst heraus entstehen und nicht von außen an sie herangetragen werden. Gegenstand sind im Folgenden gleichwohl die Gefährdungen durch die direkte Demokratie. Die Gefährdungen durch die repräsentative Demokratie dienen als Vergleichsmaßstab, um die Argumente gegen direkte Demokratie in die richtige Perspektive zu setzen und die Vorteile bzw. mangelnden Nachteile einer Intra-Gewaltenteilung herausstellen zu können. Die richtige Ausgestaltung des Verhältnisses von Volk und Parlament wird einen wesentlichen Teil der Gefährdungen minimieren. Für diese Ausgestaltung lässt sich auf die Gewaltenteilungslehre, und zwar in ihrer Ausprägung als Intra-Gewaltenteilung, zurückgreifen: Aus demokratischer Sicht dient das Volk selbst der Demokratie, sofern bestimmte Quoren beachtet werden (a)). Aus rechtsstaatlicher Sicht hemmen, mäßigen und kontrollieren sich Volk und Parlament gegenseitig (b)). Effektive Funktionalität schließlich entsteht durch das Zusammenspiel beider Formen von Gesetzgebung (c)). Durch die richtige Ausbalancierung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entsprechend dem Gewaltenteilungsgrundsatz entsteht damit ein funktionales und effektives System demokratisch legitimierter Volksgesetzgebung (d)). a) Der demokratische Aspekt: Demokratieermöglichung Die Gewaltenteilung besitzt eine bislang nicht ausreichend beachtete demokratische Funktion, die gerade innerhalb der Legislative zum Tragen kommt. Der Gewaltenteilungsgrundsatz soll Demokratie ermöglichen, indem dem jeweiligen Organ demokratisch Macht zugeordnet wird.104 zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1994 bis 2003, 2005, S. 594–600; etwas mehr als 90 Gesetze zwischen 2004 und 2019 nach der Auflistung des Deutschen Bundestages, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages (Stand 24. Juni 2019), https://www.bundestag.de/resource/blob/274408/55f0885b7fb0f4a39c dc69a96ecb664d/Kapitel_10_06_F__r_nichtig_oder_verfassungswidrig_erkl__rte_ Bundes­gesetze-pdf-data.pdf; s. ferner die Zusammenfassung bei Horst Dreier, Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: (§ 1) Deutschland, in: Armin von Bog­dandy/P. Cruz Villalon/Peter M. Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Bd. I, 2007, S. 3–86, Rn. 87. 103  Statistisches Bundesamt, Vorläufiger Schuldenstand des Öffentlichen Gesamthaushalts beim nicht-öffentlichen Bereich am 30.09.2020, www.destatis.de/DE/The men/Staat/Oeffentliche-Finanzen/Schulden-Finanzvermoegen/Tabellen/liste-vorlaufi ger-schuldenstand-gesamthaushalt.html. 104  S. oben S. 89 ff.

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Dass Volksgesetzgebung direkte Demokratie ermöglicht und fördert, scheint offensichtlich zu sein. Aus dem Gewaltenteilungsprinzip – zusammen mit dem Demokratieprinzip – folgt, dass Entscheidungsfindung im Wege direkter Demokratie auch tatsächlich demokratisch sein muss – und das ist sie nur, wenn das Volk entscheidet. Was sich wie eine petitio principii anhören mag, deutet auf eine, wenn nicht die wesentliche Schwierigkeit der Demokratie insgesamt hin: Wie viele müssen sich beteiligen von denen, die sich beteiligen dürfen, damit eine Bindungswirkung für alle hergestellt wird? Für Wahlen gibt es, anders als für Abstimmungen auf Landesebene, keine Quoren. Sie werden rechtlich also auch dann anerkannt, wenn sich nur wenig Menschen beteiligen. Dennoch stellt eine niedrige Wahlbeteiligung ein Legitimationsproblem dar.105 Folgendes Rechenbeispiel verdeutlicht das: Die die Regierung tragende Parlamentsmehrheit verfügt bei einer Wahlbeteiligung von ca. 80 % erst bei einer Mehrheit von ca. 60 % der abgegebenen Stimmen auch wirklich über eine Mehrheit der stimmberechtigten Bürger. Das wird grundsätzlich nicht der Fall sein.106 Die letzte Bundesregierung, die sich nicht aus einer großen oder Dreier-Koalition zusammensetzte, erreichte 2009 eine Zustimmung von ca. 29 % aller wahlberechtigten Bürger (ca. 18 Millionen Stimmen von ca. 62 Millionen Stimmberechtigten). Auch wenn die Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen im Schnitt bei ca. 60 % liegt,107 so ist es nicht ganz unüblich, dass die Wahlbeteiligung, wie bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg im Jahr 2014, unter 50 % sinkt. Die dort jeweils die Regierung tragenden „großen“ Koalitionen (54,9 % Mehrheit in Brandenburg; 51,4 % Mehrheit in Sachsen)108 waren nur von etwas mehr als 25 % der Wahlberechtigten gewählt worden. Um das demokratische Legitimationsniveau zu sichern, legt man bei Abstimmungen einen höheren Maßstab an die Beteiligung an.109 Hier wird ei105  Robert Vehrkamp, Bundestagswahl 2013 – warum die niedrige Wahlbeteiligung der Demokratie schadet, Einwurf. Policy Brief des Programms „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung, 2/2013. S. bzgl. einer niedrigen Abstimmungsbeteiligung Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 372. 106  Christoph Degenhart, Direkte Demokratie auf Bundesebene nach dem Grundgesetz – Anmerkungen zu einem Gesetzesentwurf, in: Klaus Stern u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Joachim Burmeister, 2005, S. 87–99, 92. 107  Armin Schäfer, Demokratie? Mehr oder weniger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Dezember 2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/wahlbe teiligung-demokratie-mehr-oder-weniger-13900793.html. 108  www.wahlrecht.de/ergebnisse/brandenburg.htm bzw. www.wahlrecht.de/ergeb nisse/sachsen.htm. 109  S. dazu die grundlegende Kritik bei Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar



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nerseits argumentiert, dass anders als bei Wahlen das Staatsorgan „Volk“110 erst dann hinreichend konstituiert sei, wenn eine bestimmte Anzahl an Bürgern zusammengekommen ist, um Staatsgewalt auszuüben. Vorher lasse sich nicht vom Volk als Staatsorgan sprechen. Minderheiten seien kein Organteil oder gar selbst Staatsorgan. Zudem heißt es, dass sich aus dem Grundsatz der Volkssouveränität ableiten lasse, dass ein effektiver Einfluss des Volkes auf die Ausübung von Staatsgewalt bestehen müsse.111 Dies sei nur dann der Fall, wenn der Legitimationszusammenhang zwischen Gesetzgeber und Volk hinreichend effektiv sei.112 Dieser hinreichend effektive Legitimationszusam­ menhang soll – anders als bei Wahlen – v. a. durch Quoren erreicht werden, wie u. a. der Thüringer Verfassungsgerichtshof in einem grundlegenden Urteil aus dem Jahr 2002 angenommen hat.113 Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 29 ff. 110  Das „Volk“ kann ein „Verfassungs- und Kreationsorgan“ sein, wenn es durch Wahlen und Abstimmungen selbst die Staatsgewalt ausübt, vgl. Hans Hofmann, Art. 20 GG, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/ders./Hans-Günter Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Rn. 43; s. auch Michael Kloepfer, Handbuch der Verfassungsorgane im Grundgesetz, 2012, S. 24; BVerfGE 8, 104 (114) – Volksbefragung. 111  Hans Hofmann, Art. 20 GG, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/ders./Hans-Günter Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Rn. 40; ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87. 112  Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 127, Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 117; BVerfGE 83, 60, 71 f. Dies ist ständige Rechtsprechung, das Bundesverfassungsgericht bezieht sich direkt auf Volkssouveränität: Der Grundsatz der Volkssouveränität „legt fest, daß das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluß auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt.“ 113  ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 87. Ganz ähnlich HmbVerfG, Urt. v. 13.10. 2016 – HmbVerfG 2/16, S. 44 ff. S. aber auch die grundsätzliche Kritik an Quoren bei Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 30 m. w. N. und die Kritik an dem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts Roman Kaiser, Horror populi: Verfassungsidentität contra Volksentscheid – Anmerkung zu HmbVerfG, Urt. v. 13. Oktober 2016, HmbVerfG 2/16, DÖV 2017, S. 716–722 und Klaus David, Vorbe-

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Quoren seien, so der Thüringer Verfassungsgerichtshof weiter, auch deshalb nötig, weil sie die sog. Prävalenz des parlamentarischen Gesetzgebers, die sich aus der Entscheidung der (thüringischen) Verfassung für das repräsentative System ergebe, schützen. Durch die Einführung einer Volksgesetzgebung, die auf sehr niedrige Quoren setzt, und damit zu mehr Volksgesetzgebung führt, die wiederum dem Parlament zu wenig faktische Einflussmöglichkeiten lasse, werde eben dieses repräsentative System aushöhlen und damit die Prävalenz des parlamentarischen Gesetzgebers untergraben. Daher erklärte der Thüringer Verfassungsgerichtshof das entsprechende Gesetz wegen Verstoßes gegen die Ewigkeitsklausel für verfassungswidrig.114 Schließlich stellt der Thüringer Verfassungsgerichtshof auf das demokratische Mehrheitsprinzip ab. Dieses verkomme ohne Quoren zur Fiktion.115 Daher sei „die verlässliche Bekundung des Mehrheitswillens“ sicherzustellen.116 Das Mehrheitsprinzip verlange grundsätzlich, dass die (einfache117) Mehrheit des Volkes entscheide.118 Bestünden keine Quoren, so bestehe die Gefahr, dass direkte Demokratie durch Minderheiten instrumentalisiert werde. Eine solche Möglichkeit eröffne sich immer dann, wenn die Mehrheit nicht abstimmt und so aufgrund zu geringer Beteiligung Minderheiten ihre Positionen gegen den eigentlichen, aber nicht manifestierten Willen der Mehrheit, durchsetzten.119 Deshalb sei das Mehrheitsprinzip nicht nur ein formales Prinzip, da nicht übersehen werden dürfte, „dass diese Entscheidungen dem gesamten Volk zugerechnet werden und Wirkung für das gesamte Volk entfalten“.120 Quoren sollen verhindern, dass sich meinungsstarke Minmerkungen, in: ders./Stephan Stüber (Hrsg.), Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Kommentar zum Wahl- und Volkswillensbildungsrecht, zum Haushaltsrecht und zum Recht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, 2. Aufl. 2020, S. 15–25, Rn. 14 ff. 114  ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 91. 115  So Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323– 326, 326; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 127. 116  Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 127. 117  Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323–326, 326; Bernd Grzeszick, Art. 20 GG (Die Verfassungsentscheidung für die Demokratie), in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 43: Qualifizierte Mehrheiten bedürfen der Rechtfertigung. 118  Hans Hofmann, Art. 20 GG, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/ders./Hans-Günter Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Rn. 43. 119  Vgl. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 286 f.; Gemeinsame Verfassungskommission, Bericht, BT-Drs. 12/6000, S.  85 f.; Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 97 ff. 120  Sebastian Graf Kielmansegg, Mehr Macht dem Volke, JuS 2006, S. 323–326, 326.



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derheiten gegen die „schweigende“ Mehrheit durchsetzen können.121 Dass Quoren Minderheiten einhegen können, zeigt das Beispiel Kalifornien – allerdings nur im Umkehrschluss. Dort haben sich Spezialinteressen das Gemeinwohl untertan gemacht,122 gerade weil das Quorum, das erreicht werden muss, damit es zu einem Volksentscheid kommt, mit nur ca. 2 % der Wahlberechtigten123 besonders niedrig ist und so überhaupt erst die Gefährdung des Gemeinwohls ermöglicht wird. Neben der Herstellung des notwendigen Legitimationsniveaus und dem Schutz der Minderheiten vor der Mehrheit sollen Quoren auch dazu dienen, die demokratische Gleichheit der Bürger zu sichern.124 Die Gleichheit der Bürger im Rahmen von Abstimmungen ist vornehmlich ein soziologisches, kein rechtliches Problem, da untere Schichten Abstimmungen – wie auch Wahlen – eher meiden.125 Diese ungleiche faktische Verteilung der Wahrnehmung von Partizipationsmöglichkeiten führt zu einer faktischen Ungleichheit und wird damit eine Frage des Schutzes von Minderheiten. Dies ist wiederum eine genuin rechtliche Problematik. Mit Hilfe von Quoren können Minderheiten zumindest teilweise geschützt werden, da so sichergestellt wird, dass die Ungleichheit nicht zu weit ausschlägt. Aber wie müssen die Quoren ausgestaltet sein, damit sie nicht zu niedrig sind? Die Höhe der Quoren variiert von Land zu Land. Es werden drei unterschiedliche Quoren unterschieden. Das Unterstützungsquorum regelt, wie vieler Unterschriften es bedarf, damit ein Volksbegehren zustande kommt. 121  S. dazu auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S.  51 ff. 122  Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 54. 123  California Constitution, Article II, Section 8 (b): „An initiative measure may be proposed by presenting to the Secretary of State a petition that sets forth the text of the proposed statute or amendment to the Constitution and is certified to have been signed by electors equal in number to 5 percent in the case of a statute, and 8 percent in the case of an amendment to the Constitution, of the votes for all candidates for Governor at the last gubernatorial election.“ 124  Sebastian Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S.  280  f. S. dazu auch Christoph Degenhart, Volksgesetzgebungsverfahren und Verfassungsänderung nach der Verfassung des Freistaats Thüringen. ThürVBl 2001, S. 201–211, 206 f., der wohl auch den „passiven“ Bürger nicht zu sehr vor dem „aktiven“ Bürger schützen möchte; wohl anders: Peter Badura, Die politische Freiheit in der Demokratie, in: Willy Brandt/Helmut Gollwitzer/Johann Friedrich Henschel (Hrsg.), Ein Richter, ein Bürger, ein Christ. Festschrift Helmut Simon, 1987, S. 193–208, 200; Sebastian Müller-Franken, Unmittelbare Demokratie und Direktiven der Verfassung, DÖV 2005, S. 489–498, 494 f. 125  S. die Nachweise auf S. 442, Fn. 84.

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Beteiligungsquorum und Zustimmungsquorum kommen im Volksentscheid zum Tragen. Ihr Bezug ist ein anderer: Während das Beteiligungsquorum verlangt, wie viele sich beteiligen müssen, stellt das Zustimmungsquorum alleine auf die Zustimmung ab. Insgesamt kommt es nicht nur auf das einzelne Quorum an, sondern auch auf das Zusammenspiel der Quoren auf Volksbegehrens- und Volksentscheidsebene. Aus einer Volksinitiative folgt die Pflicht des Parlaments, sich mit einer Gesetzesvorlage zu befassen. Die Quoren in den Verfassungen variieren zwischen 0,5 % und 2 %, in Berlin ist es 1 %. Ist entweder keine Gesetzesinitiative innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens vorgesehen oder wurde diese Hürde genommen, das Gesetz aber nicht vom Parlament angenommen, folgt der nächste Schritt. Zwischen 4 % und 20 %, in Berlin 7 %,126 müssen ein Volksbegehren unterstützen (sog. Unterstützungsquorum), damit es in der Folge zu einem Volksentscheid kommen kann – sofern der Vorschlag nicht vorher im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren in ein Gesetz aufgenommen wurde. Auf Ebene des Volksentscheides beträgt das Beteiligungsquorum zwischen 0 % und 50 % für einfache Gesetze. Z. B. wird in Hessen und Bayern kein Quorum bei gleichzeitiger einfacher Abstimmungsmehrheit vorgesehen; in Berlin wird ein Zustimmungsquorum i. H. v. 25 % gefordert und im Saarland von 50 %. Für verfassungsändernde Gesetze sind die Quoren entsprechend höher, so existiert z. B. in Berlin und Nordrhein-Westfalen ein Beteiligungsquorum i. H. v 50 % und ein Zustimmungsquorum von zwei Dritteln der Abstimmenden. In Hamburg besteht hingegen kein Beteiligungsquorum bei gleichzeitiger 2/3 Abstimmungsmehrheit. In den meisten Ländern müssen meist 50 % der Wahlberechtigten zustimmen. Wichtig ist dabei, das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen zu betrachten. So werden niedrige Quoren etwa im Rahmen der Volksinitiative mit höheren Quoren im Rahmen des Volksbegehrens und/oder des Volksentscheides kombiniert. So zeigt sich, dass Länder, die z. T. gar keine Quoren für Volksentscheide vorsehen, ein erhöhtes Unterstützungsquorum i. R. d. Volksbegehrens verlangen: Beispielsweise sieht Hessen ein Quorum i. H. v. 20 %, Bayern i. H. v. 10 %, Nordrhein-Westfalen i. H. v. 20 % und Sachsen i. H. v. ca. 12 % vor. Brandenburg verlangt ein Quorum i. H. v. 4 % bei Volksbegehren und ein Quorum i. H. v. 25 % bei Volksentscheiden. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat zwar eine Absenkung des Quorums bei Volksbegehren von 14 % auf 5 % für verfassungswidrig erklärt, aber nur im Zusammenhang 126  Holger Schmitz, Volksgesetzgebung: eine kritische Analyse am Beispiel des Gesetzes für die vollständige Offenlegung von Geheimverträgen zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe, DVBl. 2012, S. 731–737, 733.



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mit anderen Änderungen, etwa der Abschaffung eines Quorums auf Ebene des Volksentscheids.127 Vergleichbares gilt für die Rechtsprechung des Bremer Staatsgerichtshofs.128 Bei Volksentscheiden zu einfachen Gesetzen kennen Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen überhaupt keine Zustimmungsquoren. Der Mittelwert beträgt 21 %, die Spannbreite geht von 15 % bis 50 % der Stimmberechtigten. Bei Verfassungsänderungen werden grundsätzlich höhere Zustimmungsquoren gefordert, zwölf Länder verlangen ein Zustimmungsquorum i. H. v. 50 % der Wahlberechtigten, Bayern aber z. B. nur i. H. v. 25 %. Neben der verlangten Stimmenzahl sind weitere Faktoren entscheidend. So kommt es nach Ansicht des Thüringer Verfassungsgerichtshofs auch noch darauf an, ob eine öffentliche Sammlung möglich ist oder ob sie amtlich erfolgen muss. Ebenso ist die Zeitdauer, in der Unterschriften gesammelt werden dürfen, relevant. Eine öffentliche Sammlung führt nach Ansicht des Thüringer Verfassungsgerichtshofs auch dazu, dass viele der Unterstützer gar nicht aus Erkenntnis und Überzeugung, sondern vielmehr durch die Beeinflussung der Unterschriftensammler, sei es aufgrund des Überraschungseffekts, sei es aufgrund besonderer Verbundenheit mit dem Sammler oder der von ihm repräsentierten Partei oder Organisation, ihre Unterschrift leisten. Die Relevanz der Zeitspanne begründet der Thüringer Verfassungsgerichtshof nicht explizit, geht aber ersichtlich davon aus, dass eine kurze Zeitspanne die Erreichung des Quorums erschwert und damit die Legitimation auch niedriger Quoren zu erhöhen vermag.129 Dementsprechend bestehen in Thüringen unterschiedliche Quoren abhängig von Zeitdauer und Art der Sammlung. Ein Volksbegehren ist nach Art. 82 Abs. 5 ThürVerf zustande gekommen, wenn ihm durch Eintragung in die amtlich ausgelegten Unterschrifts­ bögen 8 % der Stimmberechtigten innerhalb von zwei Monaten oder in freier Sammlung mindestens 10 % der Stimmberechtigten innerhalb von vier Monaten zugestimmt haben. Eine kurze Zeitdauer wirkt sich legitimationskrafterhöhend aus und trägt z. B. zum Schutz der Mehrheit vor einer besonders aktiven Minderheit bei.130 Schließlich schützen Quoren vor der Gefahr eines permanenten Nebenwahlkampfs: Wenn die Quoren hoch genug sind, sind die Kosten für Parteien 127  ThürVerfGH,

LKV 2002, S. 83, 91 ff. Urteil v. 14. Februar 2000, St 1/98: ca. 6 % Unterstützungsquorum für das Volksbegehren, weder Beteiligungs- noch Zustimmungsquorum (für Verfassungsänderung); ca. 3 % Unterstützungsquorum für das Volksbegehren, weder Beteiligungs- noch Zustimmungsquorum (für einfache Gesetzgebung). 129  ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 89. 130  S. auch Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 347  ff. für Quoren. 128  BremStGH,

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in den meisten Fällen zu hoch, Oppositionspolitik mittels direkter Demokratie zu gestalten. Die Erfahrungen aus den Bundesländern, die alle zumindest auf einer Ebene der Volksgesetzgebung Quoren kennen, zeigen, dass Volkgesetzgebung kein häufiges Mittel der Politik darstellt. Vielmehr werden die Bürger im Schnitt nur zwischen 0,5 und 1,5mal in jedem Land pro Jahr zu Volksinitiativen aufgerufen.131 Die Zahl der Volksbegehren und Volksentscheide ist dementsprechend noch viel kleiner. Bayern, das Land mit den meisten Volksinitiativen, rief die Wähler in 70 Jahren nur 21mal zu den Abstimmungskabinen. In Berlin gab es zwischen 1999 und 2020 sechs Volksentscheide. Es geht also faktisch und rechtlich um eine Ergänzung des repräsentativen Systems, keine Ersetzung. Abschließend ist vor zu hohen Quoren zu warnen, da auch so Demokratie verhindert werden kann. Daher dürfen sie nicht „so hoch sein, dass sie einen Entmutigungseffekt haben und im Ergebnis die Inanspruchnahme dieses In­ struments demokratischer Partizipation verhindern.“132 b) Der rechtsstaatliche Aspekt: Hemmen, mäßigen und kontrollieren Die Gewaltenteilung dient nicht nur der Herrschaftsermöglichung, sondern auch der Herrschaftsbegrenzung und hemmt, mäßigt und kontrolliert die Ausübung staatlicher Gewalt zum Zwecke der Sicherung individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Im Rahmen der Organteilung innerhalb der ­legislativen Gewalt muss sich diese Funktion zwangsläufig wandeln: Hier hemmen, mäßigen und kontrollieren sich Volksgesetzgebung und parlamentarische Gesetzgebung gegenseitig zur Sicherung von kollektiver Selbstbestimmung und Freiheit. Gesetzgebung ermöglicht nämlich zuallererst kollektive Selbstbestimmung. Zwar muss auch die Gesetzgebung individuelle Selbstbestimmung beachten, zuvörderst ist aber die Rechtsprechung zur Sicherung individueller Selbstbestimmung berufen. Damit dient der Rechtsstaat auch der Sicherung von repräsentativer Demokratie gegenüber einem Zuviel an direkter Demokratie – ebenso wie direkte Demokratie auch repräsentative Demokratie hemmt, mäßigt und kontrolliert, um so kollektive Selbstbestimmung zu ermöglichen. Da es in diesem Abschnitt vornehmlich um die Gefährdungen und weniger die Chancen der direkten Demokratie geht, steht im Folgenden der Herrschaftsbegrenzungsaspekt durch die repräsentative Demokratie im Vordergrund.

131  Holger Obermann, Entwicklung direkter Demokratie im Ländervergleich, LKV 2012, S. 241–248, 247. 132  BremStGH, Urteil v. 31. Januar 2014, St 1/13.



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Das Verhältnis von Volksgesetzgeber und parlamentarischem Gesetzgeber ist durch ihre Gleichrangigkeit geprägt, die gegenseitige Herrschaftsbegrenzung erlaubt (aa)). Werden bestimmte Vorgaben beachtet, so kann die gegenseitige Herrschaftsbegrenzung zu einem kompromissorientierten Zusammenwirken beider Gesetzgeber (bb)), einem Schutz des Gemeinwohls vor Spezialinteressen (cc)) und der Verhinderung „falscher“ Entscheidungen in zu komplexen Sachfragen (dd)) führen. aa) G  leichrangigkeit von Volksgesetzgeber und parlamentarischem ­Gesetzgeber Das Verhältnis von Volksgesetzgeber und parlamentarischem Gesetzgeber ist geprägt von einem grundsätzlichen Gleichklang und Miteinander beider Gesetzgeber. Keinem kommt gegenüber dem anderen der Vorrang zu. Das Volk wird genauso wie das Parlament als einfacher Gesetzgeber (pouvoir constitué) tätig. Ihm und seinen Akten kommt daher keine höhere Dignität zu133 und es ist ebenso wie das Parlament an die Verfassung gebunden, sofern es nicht als pouvoir constituant handelt.134 Trotz dieser prinzipiellen Gleichrangigkeit können und müssen sich beide Gesetzgeber gegenseitig hemmen, mäßigen und kontrollieren. Die dabei bestehenden Grenzen sind weit gefasst und gründen rechtlich vor allem im Grundsatz der Organtreue. Die gegenseitige Beeinflussung findet auf drei möglichen Wegen statt, die so oder in ähnlicher Weise auch in den landesverfassungsrechtlichen Normen, die das Verhältnis von Volksgesetzgeber und Parlament regeln, vorge133  Matthias Rossi/Sophie-Charlotte Lenski, Treuepflichten im Nebeneinander von plebiszitärer und repräsentativer Demokratie. DVBl. 2008, S. 416–425, 417, 418 f. m. w. N.; Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 98. Dies wurde in der Weimarer Staatsrechtslehre ausführlich diskutiert. Für einen höheren Rang der Volksgesetze sprachen sich damals u. a. Erich Heyen, Das höchste Reichsorgan, 1930, S.  59 ff.; Hans Venator, Volksentscheid und Volksbegehren im Reich und den Ländern, AöR 43 (1922), S. 40–102, 98; Reinhard Wüst, Diskussionsbeitrag des 34. Deutschen Juristentags, Bd. 2, 1927, S. 261, aus. 134  Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 47, 88 ff. m. w. N. insbesondere auf Gerichtsurteile; Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46–84, 58 ff.; Jürgen Kühling, Volksgesetzgebung und Grundgesetz – Mehr direkte Demokratie wagen, JuS 2009, S. 777–783, 778. S. aber Christian Pestalozza, Der Popularvorbehalt, Direkte Demokratie in Deutschland, 1981, S. 12, der darauf hinweist, dass nach Art. 20 Abs. 3 GG nur die drei Gewalten, nicht aber das Volk an das Grundgesetz gebunden sei. Ebenso Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 2. Aufl. 1968, S. 62 f. Dem kann aber schon deshalb nicht gefolgt werden, da in Art. 20 Abs. 3 GG von Gesetzgebung die Rede ist und damit auch von der Volksgesetzgebung. S. dazu auch Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 58 ff.

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sehen sind. Diese drei Wege lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Die erste Kategorie bezieht sich auf das Tätigwerden des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen eines Volksgesetzgebungsverfahrens. Die zweite Kategorie erfasst parlamentarisches Handeln, das zwar anlässlich des Volksgesetzgebungsverfahrens stattfindet, aber innerhalb eines parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Im Rahmen der ersten Kategorie, also innerhalb des Volksgesetzgebungsverfahrens, besitzt in manchen, aber nicht allen deutschen Bundesländern das Parlament die Kompetenz, dem Volk einen Parallelentwurf vorzulegen.135 Ein solches Recht zum Gegenentwurf ist schon alleine deshalb nötig, weil grundsätzlich die Kompetenz des Parlaments, ein abänderndes Gesetz im Rahmen der zweiten Kategorie, also außerhalb des Volksgesetzgebungsverfahrens, zu erlassen, fortbesteht.136 Dies wirkt sich in zweifacher Hinsicht aus: Die Parlamente besitzen die Möglichkeit, während des Volksgesetzgebungsverfahrens ein Gesetz zur selben Sachmaterie zu verabschieden, es besteht also keine Sperrwirkung des Volksgesetzgebungsverfahrens. Ein solches Parlamentsgesetz wird als sog. überholendes Parlamentsgesetz bezeichnet.137 Parlamente dürfen außerdem nach Abschluss des Verfahrens ein unter Umständen auch konträres, d. h. kassatorisches Gesetz (sog. Konterlegis­ latur)138 zur selben Sachmaterie verabschieden, das das Volksgesetz nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori aufhebt.139 Volksgesetzen kommt als solches keine Bindungswirkung140 gegenüber dem parlamentari-

135  Z. B. § 18 S. 2 MVorVaG; Art. 60 Abs. 1 S. BaWüVerf; Art. 74 Abs. 4 ­BayVerf; Art. 100 Abs. 2 SaarVerf; Art. 50 Abs. 3 S. 6 HmbVerf. 136  Im Ergebnis ebenso Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 401. 137  Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskus­ sionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74, 55. 138  Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskus­ sionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74, 55. 139  Martin Borowski, Parlamentsgesetzliche Änderungen volksbeschlossener Gesetze, DÖV 2000, S. 481–491, 489, 491. 140  Es wird teilweise zwischen Sperrwirkung und Bindungswirkung unterschieden und Sperrwirkung dann auf die Zeit des Verfahrens angewendet. Bindungswirkung wird verwendet, wenn das volksbeschlossene Gesetz zustande gekommen ist.



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schen Gesetzgeber zu.141 Durch das weiterhin bestehende umfassende Gesetzgebungsrecht behalten die Parlamente Einfluss auf die Gesetzgebung und können so den Gefährdungen durch die Aushöhlung des parlamentarischen Systems, der Nichtbeachtung von Gemeinwohlbelangen und der mangelnden Funktionalität des Volksgesetzgebungsverfahrens wirksam entgegentreten. Es bestehen aber Grenzen für den parlamentarischen Gesetzgeber, die ihn in vielen Fällen davon abhalten werden, den Volksgesetzgeber zu korrigieren. Diese Grenzen tragen zum Ausgleich von Korrekturmöglichkeiten und tatsächlicher Ausübung dieser Kompetenz bei. Die erste Grenze ist eine der Opportunität: Ein Parlament, das sich gegen ein Volksgesetz stellt, ist von Abwahl bedroht. In sechs Bundesländern ist dies initiativ möglich,142 ansonsten kann die Regierung und das Parlament in den nächsten Wahlen abgewählt werden. Eine weitere Grenze stellt der Grundsatz der Organtreue dar.143 Dieser betrifft zum einen die nachträgliche Änderung eines Volksgesetzes. Der Grundsatz der Organtreue verlangt, dass zumindest sachliche Gründe für eine Gesetzesänderung vorgebracht werden müssen. Eine rein willkürliche Änderung ist unzulässig.144 Der hessische Verfassungsgerichtshof hat dazu prägnant ausgeführt: 141  S. HmbVerfG, NVwZ 2005, S. 685, LS 2; VerfGH Bln, Urteil v. 6. Oktober 2009, NVwZ-RR 2010, S. 169, 172. Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 402; m. w. N.; Margarete Schuler-Harms, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 417–470, 427 m. w. N.; Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 420 f.; Theodor Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994, S. 444; Peter Hübner, Art. 42 SHVerf, in: Albert von Mutius/Horst Wuttke/ders., Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Rn. 16; Hans-Peter Schneider, Das parlamentarische System (§ 13), in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepu­blik Deutschland, 2. Aufl. 1994, S. 234–243, Rn. 138; für Weimar s. Georg Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, Art. 73 WRV, Anm. 4; Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 98; Albert Hensel, Die Rangordnung der Rechtsquellen, insbesondere das Verhältnis von Reichs- und Landesgesetzgeber, in: Georg Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band II, 1932, S. 313–329, 318, Anm. 7. 142  Art. 76 Abs. 1 Bbg Verf; Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 RhPfVerf; Art. 62 Abs. 6 VvB; Art. 70 Abs. 1 S. 1 lit. c) BremVerf; Art. 18 Abs. 3 BayVerf; Art. 43 Abs. 2 ­BaWüVerf. 143  S. aber auch Martin Borowski, Parlamentsgesetzliche Änderungen volksbeschlossener Gesetze, DÖV 2000, S. 481–491, der die Organtreue nur während des Verfahrens selbst, nicht aber nach abgeschlossener Volksgesetzgebung anwenden will, diesen Ausschluss aber nicht näher begründet, S. 490. S. ausführlich zur Organtreue Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S. 119. 144  S. dazu ausführlich Matthias Rossi/Sophie-Charlotte Lenski, Treuepflichten im Nebeneinander von plebiszitärer und repräsentativer Demokratie, DVBl. 2008, S.  416–425, 420 ff., Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschrän-

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„Der Grundsatz der Organtreue erfordert bei der Wahrnehmung der Kompetenzen der Verfassungsorgane eine gegenseitige Rücksichtnahme, insbesondere eine Berücksichtigung der Auffassung des anderen Staatsorgans bei der eigenen Entscheidung. Im Verhältnis zwischen parlamentarischer und Volksgesetzgebung bedeutet dies, dass das Parlament bei einer späteren eigenen Beschlussfassung über ein Gesetz nicht leichtfertig über den im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen des Volkes hinweggehen darf, sondern diesen würdigen und dann eine Abwägung vornehmen muss […] Nur wenn anhand ausführlicher und abwägender Ausführungen erkennbar wird, dass sich der parlamentarische Gesetzgeber mit dem Volksentscheid und den darin zum Ausdruck gekommenen Willen des Volkes in der Sache auseinandergesetzt hat und diesen bei seiner eigenen Entscheidungsfindung berücksichtigt hat, kann davon ausgegangen werden, dass der Parlamentsgesetzgeber nicht leichtfertig über den im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen des Volkes hinweggegangen ist.“145

Aber auch während des Volksgesetzgebungsverfahrens ist der Zugriff des Parlaments eingeschränkt. Man wird nämlich ein „Vereitelungsverbot“ aus dem Grundsatz der Organtreue ableiten können. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber während der laufenden Verfahren von Volksbegehren und Volksentscheid zwar die in Frage stehenden Gesetze abändern kann, aber nicht in einer Art und Weise, die bösgläubig oder trickreich ist. Eine solche Situation läge z. B. dann vor, wenn vor einem Volksentscheid der Landtag das bisher geltende Recht so ändert, dass sich die Gesetzesänderung des Volkes nicht mehr in das neue Gesetz einfügen kann146 oder der vom Volksgesetz intendierte Erfolg auf andere Art nicht mehr eintreten kann, untergraben oder konterkariert wird.147 Es gilt, dass die Verfassung gewährleisten muss, „dass das Verfassungs­ institut der Volksgesetzgebung auch praktisch erfolgreich Anwendung finden kann“.148 Im Gegenschluss ist es dann erlaubt, dass der parlamentarische Gesetzgeber u. U. den Initiatoren „den Wind aus den Segeln“ nimmt, indem kung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskussionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74, 60 ff.; Peter M. Huber, Parlamentarische und plebiszitäre Gesetzgebung im Widerstreit, Zeitschrift für Gesetzgebung 2009, S. 311–337, 319 ff., s. allgemein Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977. 145  HmbVerfG, Urteil v. 27. April 2007, HmbVerfG 4/06, Nr. 98 f., NordÖR 2007, 301 ff.; ganz ähnlich auch HmbVerfG, NVwZ 2005, S. 685, 688. 146  Matthias Rossi/Sophie-Charlotte Lenski, Treuepflichten im Nebeneinander von plebiszitärer und repräsentativer Demokratie, DVBl. 2008, S. 416–425, 423 m. w. N. 147  Martin Borowski, Parlamentsgesetzliche Änderungen volksbeschlossener Gesetze, DÖV 2000, S. 481–491, 489. 148  VerfGH Bln, LVerfGE 19, 39, 58 – Volksentscheid „Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen“ = LKV 2001, S. 121.



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er ein vergleichbares, aber doch anderes Gesetz verabschiedet, dass auf viele, aber eben nicht alle Wünsche eines erfolgreichen Volksbegehrens eingeht. Eine absolute Sperre aus allgemeinen Grundsätzen würde den parlamentarischen Gesetzgeber zu weit einschränken. Hier wäre auch schon unklar, welche allgemeinen Grundsätze in Betracht kämen und wie diese begründet würden. Die Möglichkeiten des Parlaments, die trotz dieser Grenzen bestehen, stellen sicher, dass die Gefährdungen durch die direkte Demokratie beherrschbar bleiben. Vor allem die Gefahr der Aushöhlung des parlamentarischen Prozesses besteht nicht, denn das Parlament besitzt die Mittel sich gegen eine solche Aushöhlung zu wehren. Sperrfristen, seien es solche, die auf eine (wohl nur sehr schwer abgrenzbare) Änderung der Sach- und Rechtslage abstellen149 oder solche, die starre150 oder an der Legislatur orientierte151 Fristen vorsehen, sind vor diesem Hintergrund skeptisch zu betrachten: Sie verhindern nämlich, dass das Parlament seinen Möglichkeiten zur Hemmung, Mäßigung und Kontrolle des Volksgesetzgebers nachkommen kann. bb) Kompromissfähigkeit des Volksgesetzgebungsverfahrens Dieses Mit- und Gegeneinander von Volksgesetzgebungsverfahren und parlamentarischem Verfahren ermöglicht die Kompromissfähigkeit des Volks­ gesetzgebungsverfahrens, indem indirekte, z. T. sogar direkte Interaktionsmöglichkeiten und Aushandlungsprozesse zwischen beiden Verfahren ermöglicht werden. Interaktion und Aushandlungsprozess zwischen Gesetzgeber und Volksgesetzgebung funktionieren trotz des Umstandes, dass das Volk immer nur mit

149  Franz-Joseph Peine, Volksbeschlossene Gesetze und ihre Änderung durch den parlamentarischen Gesetzgeber, Der Staat 18 (1979), S. 375–401, 398 f.; Stefan Przygode, Die deutsche Rechtsprechung zur unmittelbaren Demokratie, 1995, S. 434; vgl. Georg Jellinek, Das einfache Reichsgesetz, in: Georg Anschütz/Richard Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band II, 1932, S. 108–159; s. dazu auch Martin Borowski, Parlamentsgesetzliche Änderungen volksbeschlossener Gesetze, DÖV 2000, S. 481–491, 487. 150  Dies ist z. B. in einigen US-Bundesstaaten üblich, etwa in Washington State, Art. II Sec. 1 (c) Wash State Const.: 2 Jahre. S. die Ablehnung einer dreijährigen Sperrfrist in BayVerfGHE 50, 181, 203. 151  Erwin Jacobi, Reichsverfassungsänderung, in: Otto Schreiber (Hrsg.), Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Bd. 1, 1929, S. 240–277, 256; Richard Thoma, Grundbegriffe und Grundsätze, Georg Anschütz/ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band II, 1932, S. 117; Paul Feuchte, Art. 60 BadWürtt. Verf., in: ders. (Hrsg.), Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1987, Rn. 11.

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Ja oder Nein abstimmen kann.152 Kompromisse sind trotz gegenteiliger Ansicht153 immer möglich. Hierfür ist es nötig, den gesamten Prozess der Volksgesetzgebung zu betrachten. Die Verfahrensphase gliedert sich in drei Teilphasen und beginnt mit der Einreichung der Volksinitiative bzw. des Volksantrags; bei dessen Erfolg wird ein Antrag auf Volksbegehren und schließlich ein Antrag auf Volksentscheid gestellt.154 In allen Phasen darf der parlamentarische Gesetzgeber innerhalb der oben dargestellten Grenzen eigene Gesetzgebungsverfahren betreiben. Erlässt er beispielsweise ein Gesetz, das als fairer Kompromiss das Volk überzeugen kann, so wird das Volksgesetzgebungsverfahren nicht erfolgreich sein. Das Grundanliegen hat sich damit unter Umständen durchgesetzt, aber in einer anderen als der ursprünglich vorgesehenen Form, einer Kompromissform. Sollte der Kompromiss hingegen nicht ausreichend sein, so werden die Verfahren weiterlaufen. In diesem Fall hat aber das Parlament das Recht zum Gegenvorschlag innerhalb des Volksgesetzgebungsverfahrens. So lässt sich anhand der Beispiele Hamburg und Bayern sehen, dass erfolgreiche Volksbegehren auf verschiedene Arten politische Zugeständnisse – und damit Kompromisse – erzeugt haben. Die Vorschläge des parlamentarischen Gesetzgebers werden zudem meist das Ergebnis von Beratungen und dem Austausch von Gedanken und Argumenten, kurz: einer offenen Debatte sein, die auf den Kommunikationsgrundrechten und der Überzeugung beruht, dass durch Kommunikation und Diskurs Demokratie verwirklicht wird.155 152  Margarete Schuler-Harms, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 417– 470, 429 ff. 153  Vgl. Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 26 ff.; dazu auch ausführlich Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskussionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74. 154  Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskus­ sionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74, 56. 155  Ähnlich Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 27; Uwe Berlit, Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, KritV 1993, S. 318–359, 342 f.; Otmar Jung, Volksgesetzgebung. Die „Weimarer Erfahrungen“ aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzungen zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, 2. Aufl. 1996, S. 1073 ff. S. auch Fabian Rei-



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Die Geschichte des Ringens um das Wahl- und Abstimmungsrecht in Hamburg zeigt, dass von einer Ja/Nein-Dichotomie keinesfalls die Rede sein kann: Ein erfolgreicher Volksentscheid (2004), ein parlamentarisches Gesetz (2007), ein erfolgreiches Volksbegehren (2009) und schließlich eine Verfassungsänderung (2009) zeugen davon, dass hier Parlament und Volk miteinander debattierten und rangen, um schließlich einen Kompromiss hinsichtlich der Neufassung zu finden.156 Das Verhältnis von parlamentarischem Gesetzgeber und Volksgesetzgebung lässt sich als „Konkordanz, Konkurrenz, Konfrontation“ treffend umschreiben.157 Aus dieser einerseits reichen, aber gleichzeitig aufgrund des langjährigen Konflikts doch ineffektiven Hamburger Erfahrung,158 entstanden neue verfassungsrechtliche Regelungen: Diese zielen darauf ab, einen Dissens zwischen parlamentarischer und Volksgesetzgebung schneller auflösen zu können. Die Verfassungsänderung sieht vor, dass zwar die Bürgerschaft einen Volksentscheid per Gesetz ändern kann, dieses Gesetz aber drei Monate keine Rechtskraft entfaltet. In dieser Zeit kann durch ca. 30.000 Unterschriften,159 bei einem Volksbegehren bedarf es grundsätzlich mehr Unterschriften, nämlich ca. 65.000,160 ein Referendum über das abändernde Gesetz verlangt werden. Das ist zwar ein Verfahren, das die Rechte des Parlaments beeinträchtigt, aber es gibt ihm zumindest eine zweite Chance, seine Version zu präsentieren und das Volk von seinem Gedinger, Baden-Württemberg zwischen Wählen, Mitsprechen und Entscheiden – Mehr Partizipation als Regierungsauftrag, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 275–291, 290 f., der die öffentlichen Diskussionen herausstellt, die während eines Volksgesetzgebunsgverfahrens den Diskurs vorantreiben. 156  S. dazu Manfred Brandt, Lotta continua – Der Kampf geht weiter, in: Andreas Dressel/Gerhard Fuchs/Jürgen Warmke (Hrsg.), Direkte Demokratie in Hamburg: fast zwanzig Jahre direkte Bürgerbeteiligung, 2014, S. 40–50, 49 f. 157  Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskussionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 53–74, 54; Peter M. Huber, Parlamentarische und plebiszitäre Gesetzgebung im Widerstreit, Zeitschrift für Gesetzgebung 2009, S. 311–337. 158  Es sei an dieser Stelle allerdings darauf verwiesen, dass der Bundestag es seit dem Urteil des BVerfGs vom 25. Juli 2012, in der es das Wahlrecht für verfassungswidrig erklärt hat, immer noch nicht geschafft hat, ein verfassungskonformes Wahlgesetz zu verabschieden. Auch hier zeigt sich, dass der Parlamentarismus nicht immer so gut funktioniert, wie es die Kritiker direktdemokratischer Elemente darstellen. 159  Art. 50 Abs. 4 Hmb Verf: zweieinhalb vom Hundert Wahlberechtigte. Es gibt insgesamt knapp 1,3 Millionen Wahlberechtigte in Hamburg (https://www.bundes wahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/ergebnisse/bund-99/land-2.html). 160  Art. 50 Abs. 2 S. 8 Hmb Verf: ein Zwanzigstel.

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setz zu überzeugen.161 Hier wird ein differenziertes Verfahren angewendet, das zeigt, dass es gelingen kann, besondere Mechanismen zu entwickeln, die es dem parlamentarischen Gesetzgeber erschweren, aber nicht unmöglich machen, Volksgesetzgebung rückgängig zu machen und dieses Erschwernis gleichzeitig in eine besondere Art des Dialogs zwischen Volk und Parlament einzubetten. Ein solches Verfahren stellt den richtigen Kompromiss zwischen checks einerseits und balances andererseits dar. Wichtig für die Art der Kompromissfähigkeit ist es, ob die Initiatoren als Verfügungsberechtigte über das Volksbegehren angesehen werden. So kam es beim Volksgesetzgebungsverfahren zu der Rundfunkfreiheit in Bayern nach einem erfolgreichen Volksbegehren zu einem Kompromiss zwischen den ­Initiatoren und der bayerischen Landesregierung. Über diesen Kompromissvorschlag stimmte das Volk im Wege eines Volksentscheids ab.162 Das ursprünglich erfolgreiche Volksbegehren hingegen war nicht mehr Teil des Volksentscheids. Ein solches Verfahren erlaubt Kompromisse – scheint aber doch die direkte Demokratie in ihr Gegenteil zu verkehren163 und fördert demokratietheoretisch Unbehagen.164 Entsprechend ist es umstritten, ob die Initiatoren eines Volksentscheids als Repräsentanten des Anliegens Kompromisse mit dem Parlament aushandeln können sollen.165 In Berlin sieht die 161  Vgl. auch Roman Lehner, Direkte Demokratie und Gruppenrechte – Probleme der Kollektivierung individueller Partizipation in plebiszitären Rechtsetzungsverfahren, in: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht (Hrsg.), Öffentliches Recht zwischen Gruppeninteressen und Gemeinwohl, 2012, S. 271–291, 287 ff., der darüber nachdenkt, dem Volksgesetz bis zum Ende der Legislaturperiode Schutz zukommen zu lassen oder entsprechend der Zustimmungsrate eine höhere Stimmenzahl im Parlament zu fordern. S. auch Mario Martini, Wenn das Volk mitentscheidet……: Wechselbeziehungen und Konfliktlinien zwischen direkter und indirekter Demokratie als Herausforderung für die Rechtsordnung, 2011, S. 84 f., der gewisse Rücksichtnahmepflichten verlangt; s. auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 89 f. und 922 ff.; s. auch Peter Neumann, Sachunmittelbare Demokratie, 2009, S. 99 ff., über die Entwicklung in Hamburg, u. a. zum Volksbegehren „Gesundheit ist keine Ware“ und dem entsprechenden Urteil des hamburgischen Verfassungsgerichts. 162  Karl-Ulrich Gelberg, Dynamischer Wandel und Kontinuität (§ 33), in: Alois Schmid (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band 4, Das neue Bayern, 1. Teilband, Staat und Politik, 2003, S. 857–936; s. Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 295. 163  S. dazu Hermann K. Heußner, Zur Integration von Volksgesetzgebung in das politische System Deutschlands, Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 21–39, 29 f. 164  S. z. B. BremStGH, Urteil v. 14. Februar 2000 – St 1/98. 165  S. Pascale Cancik, Konfrontation oder Kooperation: zur Verschränkung von direktdemokratischem und parlamentarischem Abstimmungsverfahren – ein Diskus­ sionsbeitrag, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regie-



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Verfassung die Möglichkeit vor, dass das Abgeordnetenhaus das Volksgesetz „inhaltlich in seinem wesentlichen Bestand unverändert annimmt“ (Art. 62 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 4 VvB). Hier besteht Raum für solche Aushandlungen. Grundsätzlich ist es aber bedenklich, wenn die Initiatoren als Repräsentanten betrachtet werden, denn das kehrt die direkte Demokratie in eine indirekte Demokratie um. Gleichzeitig gilt, dass Kompromisse oft besser sind. Für deren Aushandlung bedarf es auf Seiten des Volksbegehrens Verhandlungsführer. So sollten die Initiatoren auch verstanden werden: als Verhandlungsführer, aber nicht als Repräsentanten. Beide unterscheiden sich dadurch, dass der Repräsentant Entscheidungen treffen kann, der Verhandlungsführer nicht. So sollte etwa ein erfolgreiches Volksbegehren nicht durch einen Kompromissvorschlag zwischen Initiatoren und Regierung gestoppt werden können. Stattdessen sollte der Kompromissvorschlag zusammen mit dem ursprünglichen Volksgesetzgebungsvorschlag dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Dieser Kompromissvorschlag hat dann große Chancen, vom Volk angenommen zu werden. Dies zeigt das Beispiel von zwei von SPD einerseits und CSU andererseits initiierten Volksbegehren zur Reform der (Bekenntnis-)Schulen in Bayern aus dem Jahre 1967. Nachdem beide erfolgreich waren, einigten sich CSU und SPD auf einen Kompromissvorschlag, den sie als Vorschlag des Landtags dem Volk als dritten Vorschlag vorlegten. CSU und SPD empfahlen die Annahme des Kompromisses und die Ablehnung der erfolgreichen Volksbegehren. Der Kompromiss erreichte im Volksentscheid vom 7. Juli 1968 eine Zustimmung von ca. 76 % der Stimmen.166 So werden Kompromisse ermöglicht, Volksgesetzgebung effektiviert und der Charakter der direkten Demokratie nicht beschädigt. Kompromissfähig ist das Volksgesetzgebungsverfahren167 oft schon auch ohne die Befugnis der Initiatoren, den Gesetzesvorschlag zu ändern: Es reicht aus, dass das Volk zwischen dem ursprünglichen Vorschlag und dem Parlamentsvorschlag entscheiden kann. Der Parlamentsvorschlag wird oft ein Kompromiss zwischen alter und der vom Volksbegehren vorgeschlagenen Rechtslage sein.

rungssystem, 2013, S. 53–74, 67 f.; Harald Baumann-Hasske, Gesetzgebung durch das Parlament oder durch das Volk unmittelbar: Wege einer sach- und gemeinwohl­ orientierten Zusammenarbeit, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 75–81, 77 ff. 166  Karl-Ulrich Gelberg, Dynamischer Wandel und Kontinuität (§ 33), in: Alois Schmid (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte, Band 4, Das neue Bayern, 1. Teilband, Staat und Politik, 2003, S. 857–956, 881 ff. 167  S. dazu Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 282 ff.

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cc) Gemeinwohl und Spezialinteressen Das Parlament kann und muss gegebenenfalls die (drohende) Beeinträchtigung des Gemeinwohls vor Spezialinteressen durch das Volk verhindern. Hier kann das Parlament den Volksgesetzgeber entsprechend hemmen, mäßigen und kontrollieren, etwa indem es einen entsprechenden Gegenvorschlag zum Volksgesetz macht, der dem Volk vorgelegt wird. Auch ist daran zu denken, dass das Parlament nach der Annahme des Volksgesetzes ein eigenes Gesetz verabschiedet, das dann als lex posterior dem Volksgesetz vorgeht.168 Unter Umständen ist der Gesetzgeber sogar verpflichtet, tätig zu werden, sofern grundrechtliche Schutzpflichten einschlägig sind.169 Hierbei sind die Grundsätze der Organtreue zu beachten. Darüberhinausgehend kann das Parlament nicht nur Spezialinteressen bremsen, sondern sogar in Zusammenarbeit mit dem Volk das Gemeinwohl fördern. Das Gemeinwohl ist keine feste Größe. Eine objektive Bestimmbarkeit scheidet aus. In entscheidender Weise kommt es auf den politischen Prozess, d. h. die demokratische Interaktion, an. Das Ergebnis dieses Prozesses ist das, was wir gemeinhin das Gemeinwohl nennen.170 Aufgrund der Fähigkeit von Verfahren direkter und parlamentarischer Demokratie ineinanderzugreifen und zu interagieren und so das Gemeinwohl auszuhandeln, kann direkte Demokratie – zusammen mit und ausbalanciert durch die parlamentarische Demokratie – zur Gemeinwohlsteigerung beitragen. dd) Komplexitätsargument Das letzte Argument, das gegen die Einführung von direkter Demokratie auf Bundesebene genannt und dem die Kompetenz des Parlaments entgegengesetzt werden kann, ist das Komplexitätsargument. Nimmt man an, dass das Argument in der Sache zutreffend ist und der parlamentarische Gesetzgeber weiser ist als das Volk,171 sollte das Volk also aufgrund der Komplexität der 168  S. dazu

oben S. 436. Calliess, Schutzpflichten (§ 44), in: Detlef Merten/Hans Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band 2, 2006, S. 964–991; Heike Krieger, Funktionen von Grund- und Menschenrechten, in: Oliver Dörr/Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl. 2013, Band 1, S. 287–365. 170  Vgl. Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 29. S. auch Karsten Nowrot, Das Republikprinzip in der Rechtsordnungengemeinschaft. Methodische Annäherungen an die Normalität eines Verfassungsprinzips, 2014, S. 367 ff., insb. S. 393 ff. der auch auf das materielle Verständnis von Gemeinwohlorientierung eingeht. 171  S. dazu sogleich S. 466 ff. 169  S. Christian



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Materie nicht verstehen, welche Gesetze es zu erlassen plant und welche Auswirkungen von ihnen ausgehen, so kann das Parlament eigene Gesetze vorschlagen, im Rahmen der Organtreue auch eigene Gesetze erlassen und somit den Volksgesetzgeber hemmen, mäßigen und kontrollieren. Entscheidend ist, dass der parlamentarische Gesetzgeber in bestimmten Grenzen jederzeit frei ist, über die Sachmaterien, die dem Volk vorliegen, ebenfalls zu entscheiden. „Mögen die […] Folgen […] für die Mehrzahl der Abstimmungsberechtigten nicht selbst ermittelbar sein, rechtfertigt dies noch nicht die Befürchtung, dass sie sich in der Mehrheit entsprechenden Darlegungen im Vorfeld einer Abstimmung verschließen oder die Entscheidung des Abgeordnetenhauses, ein Volksgesetz ganz oder teilweise wieder aufzuheben, nicht nachzuvollziehen bereit oder in der Lage wären. Führt ein Volksgesetz zu Folgen, die aus der Sicht des Abgeordnetenhauses nicht vertretbar erscheinen, und wird das Volksgesetz deshalb korrigiert, dürfte dies mündigen und verantwortungsbewussten Bürgern auch in Anbetracht komplizierter Sachzusammenhänge vermittelbar sein. Im Übrigen schützt die Verfassung den Senat und das Abgeordnetenhaus auch sonst nicht vor unpopulären Entscheidungen, die sie als verfassungsrechtlich oder politisch geboten erachten.“172

Die Risiken der Volksgesetzgebung sind also trotz der Komplexität mancher Entscheidungen allein schon deshalb überschaubar, da dem parlamentarischen Gesetzgeber die Rolle eines Kontrolleurs und Gegenspielers zukommt. c) Effektive Funktionalität staatlichen Handelns Neben der Demokratieermöglichungs- und der Rechtsstaatssicherungsfunktion des Gewaltenteilungsgrundsatzes soll Gewaltenteilung auch die effektive Funktionalität staatlichen Handelns sicherstellen. Dies geschieht vor allem durch die Zuordnung von bestimmten Kompetenzen zu bestimmten Gewalten.173 In der Intra-Gewaltenteilung teilen sich Parlament und Volk grundsätzlich dieselben Kompetenzen. Es stellt sich die Frage, ob das Volk, oder auch das Parlament, für die Erfüllung mancher Aufgaben gerade nicht nach „Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfüg[t]“ und sich daher nicht in der Lage befindet, „Entscheidungen möglichst richtig“ zu treffen.174 Das Volk scheint nämlich nach Ansicht mancher Kritiker zwar geeignet zu sein zu wählen, 172  VerfGH Bln, Urteil v. 6. Oktober 2009, NVwZ-RR 2010, S. 169, 172. S. auch VerfG Bbg, LVerfGE 12, 119, 139. 173  S. oben S. 82 f., 86 f. 174  BVerfGE 68, 1, 86; 95, 1, 15; 98, 218, 251 f. S. schon Hans Peters, Die Gewaltentrennung in moderner Sicht, 1954, S. 27 f.

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aber nicht selbst zu entscheiden.175 Eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Staates aufgrund mangelnder effektiver Funktionalität von Volksgesetzgebung spräche in der Tat gegen die Einführung von direkter Demokratie. Demokratie soll für die Menschen wirken, der Staat für die Menschen da sein.176 Entscheidend ist der Vergleich beider Organe innerhalb derselben Gewalt, also des Volks einerseits mit dem Gesetzgeber andererseits. Ein solcher Vergleich wird zeigen, dass einerseits die Funktionalität des Handelns des Parlaments überschätzt und andererseits die Funktionalität des Handelns des Volkes unterschätzt wird. Werden Verfahren direkter Demokratie mit solchen der repräsentativen Demokratie verglichen, so ist Maßstab meist ein ideales Funktionieren des Parlaments auf der einen Seite und eine dysfunk­ tionale Volksgesetzgebung auf der anderen Seite. Den Verfassungsgerichten wird sogar ein „hymnische[r] Duktus“177 attestiert, wenn sie die zahlreichen Vorzüge des Parlamentarismus hervorheben. Im Folgenden soll die effektive Funktionalität der Volksgesetzgebung einer realistischen Betrachtungsweise unterzogen werden und so die beschworenen Gefährdungen vor dem Hintergrund der Kompetenzzuweisung zu dem Staatsorgan „Volk“ beleuchtet werden. In einem ersten Schritt wird zunächst der Vergleich zum parlamentarischen System gezogen (aa)), um dann in einem zweiten Schritt auf das Zusammenwirken von Volk und Parlament einzugehen und hier Funktionalitätsgewinne auszumachen (bb)). aa) E  ffektive Funktionalität der Volksgesetzgebung und der Parlamentsgesetzgebung im Vergleich Allen Argumenten, die gegen die Volksgesetzgebung vorgebracht werden, liegt letztlich der Gedanke zugrunde, dass Volksgesetzgebung nicht funktionabel sei, die effektive Steuerungsfähigkeit des Staates untergrabe und zu falschen Entscheidungen führe. Der Vergleich zwischen Volksgesetzgebung 175  Auf diesen Wertungswiderspruch weisen u. a. Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 27 und Oliver W. Lembcke/Enrico Peuker/Dennis Sei­ farth, Anmerkung zu BayVerGH, Entscheidung v. 4. April 2008 – Vf. 8–IX-08, DVBl. 2008, S. 787–791, 790 hin. S. auch Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 94 ff. 176  Art. 1 Herrenchiemsee-Entwurf, Verfassungsausschuss der Ministerpräsidentenkonferenz der westlichen Besatzungszonen (Hrsg.), Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, 1948, S. 61. 177  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 37.



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und der Parlamentsgesetzgebung hinkt aber in vielerlei Fällen. Oft wird direkte Demokratie, oft sogar: ihr Zerrbild, mit einem Idealbild der repräsentativen Demokratie verglichen. Dass in diesen Fällen die direkte Demokratie als Gefahr erkannt wird, verwundert nicht. Ein ernsthafter Vergleich wird zeigen, dass die funktionale Effektivität durch direkte Demokratie nicht in Frage gestellt wird. Weder die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens (1), noch das Argument mangelnder Verantwortlichkeit (2), noch ein Mangel an Gemeinwohlorientierung (3) oder das Komplexitätsargument (4) führen im Vergleich beider Verfahren dazu, dass Volksgesetze schlechtere Gesetze sind und Volksgesetzgebung daher als unfunktionabel bezeichnet werden muss. (1) Dauer des Gesetzgebungsverfahrens Kritiker der Volksgesetzgebung bringen vor, dass ein Volksgesetzgebungsverfahren viel Zeit in Anspruch nehme und viel länger dauere als ein parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren. Es ist aber schon falsch anzunehmen, dass parlamentarische Gesetzgebungsverfahren schnell seien. Ein durchschnittliches Gesetzgebungsverfahren von der Einbringung eines Gesetzes bis zur Verkündung dauert zwischen sieben und acht Monaten.178 Umstrittene Gesetzgebungsprojekte dauern entsprechend länger – und Volksgesetzgebungsverfahren erfassen meist keine rein technische Materie, sondern gesellschaftlich relevante und damit grundsätzlich umstrittene Fragen. Ein markantes Beispiel, das sich allerdings nicht auf ein reines Gesetzgebungsverfahren beschränkt, sondern auch zusätzliche, von der Verwaltung zu erbringende Planungsleistungen aufweist, ist ein mit Stuttgart 21 vergleichbares Projekt in der Schweiz. Die sog. Glattalbahn gilt dabei sogar als planerisch anspruchsvoller. Das Vorhaben wurde ebenfalls Ende der 1980er Jahre angestoßen, nahm die Hürde zweier Abstimmungen und wurde 2010 fertiggestellt.179 Die Beteiligung des Volkes führte hier wohl offensichtlich nicht zu einer Verlängerung der Fertigstellungsdauer im Vergleich zu der erst für 2025 prognostizierten Fertigstellung des neuen Stuttgarter Bahnhofs, dessen Planungsbeginn ebenfalls in die 1980er Jahre zurückreicht.180 Die erhöhte 178  Simone Burkhart/Philip Manow, MPIfG Working Paper 06/6, Oktober 2006, Was bringt die Föderalismusreform? Wahrscheinliche Effekte der geänderten Zustimmungspflicht, abrufbar unter https://d-nb.info/1053227973/34. 179  Manfred Brandt, Lotta continua – Der Kampf geht weiter, in: Andreas Dressel/Gerhard Fuchs/Jürgen Warmke (Hrsg.), Direkte Demokratie in Hamburg: fast zwanzig Jahre direkte Bürgerbeteiligung, 2014, S. 40–50, 42. 180  Als erstes Ziel des Projekts wurde im Jahr 1985 die Verbesserung der Bahnverbindung zwischen Stuttgart und Ulm als Vorhaben des vordringlichen Bedarfs in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. 1988 wurde im Rahmen der Überlegungen zu diesem Streckenaus- und -neubau auch erstmals ein Umbau des Stuttgarter

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Funktionalität direkter Demokratie beruht zu einem großen Anteil auf erhöhter Akzeptanz der Volksgesetzgebung und auf ihrem Befriedungspotential. Als weiteres Argument wird vorgebracht, dass das Volksgesetzgebungsverfahren schnellere und möglicherweise notwendige Parlamentsgesetzgebung verhindern könne, etwa durch eine Sperrwirkung. Dies ist in der Tat richtig und spricht dafür, eine Sperrwirkung entweder nicht vorzusehen oder sie entsprechend flexibel und entsprechend dem Hamburger Beispiel181 auch als Kommunikationsmittel und nicht als reines Sperrmittel auszugestalten. (2) Mangelnde Verantwortlichkeit Das Argument mangelnder Verantwortlichkeit von Verfahren direkter Volksgesetzgebung hat zwei Seiten. Zum einen wird darauf verwiesen, dass Verantwortlichkeit zwingend zur Demokratie gehöre und sich in Fällen direkter Demokratie niemand verantwortlich zeichne für das beschlossene Gesetz. Zum anderen wird prognostiziert, dass sich die Parlamentarier aus der Verantwortung stehlen, indem sie bestimmte Entscheidungen dem Volk überlassen. Das erste Argument übersieht erstens, dass die Verantwortlichkeit der Gewählten die Kehrseite der repräsentativen Demokratie ist: Weil das Volk die Staatsgewalt in die Hände von Repräsentanten legt, müssen diese gleichzeitig verantwortlich sein für ihre Handlungen. Zweitens tragen alle Abstimmungsfähigen die Verantwortung für das beschlossene Gesetz, da es als abstraktgenerelle Regel jeden bindet und betrifft und jeder auch die Möglichkeit zur kollektiven Selbstbestimmung hatte. Die Verantwortlichkeit erhöht sich dadurch vielmehr: „Anstatt [den Bürgern] die Distanz zu erlauben, sollten sie involviert werden in die Komplexität der Politik, die dann diejenige ihrer eigenen Handlungen wäre. Alle Fehler, Probleme, aber auch Lösungen wären dann kein Gegenstand mehr, über den man jammert und schimpft, sondern our own thing oder, altmodisch: res publica.“182 Kopfbahnhofs zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof diskutiert (sog. „HeimerlKonzept“). S. dazu https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/historie-stutt gart-21–100~_detailPage-1_-dc56264c3eed6f7453c3f263012a8308a11ab691.html. 181  S. oben S. 461 f. 182  Birger Priddat, Signale aus dem schwarzen Loch, DIE ZEIT 3. Juni 2004 Nr. 24, S. 3. Auch Bundespräsident Joachim Gauck hat 2012 in seiner Antrittsrede im Deutschen Bundestag auf den Zusammenhang von Partizipation und Verantwortlichkeit verwiesen: „Wem Teilhabe möglich ist und wer ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der schönsten und größten Möglichkeiten des menschlichen Daseins: Verantwortung zu leben“, zitiert nach Matthias Wyssuwa, Der Zumuter, FAZ Nr. 229, 2. Oktober 2015, S. 10.



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In der Schweiz zeigt sich an einem auch für viele Deutsche besonders wichtigen Thema der positive Effekt der Verantwortlichkeit der Bürger. Es geht hierbei um den Effekt direkter Demokratie auf das eigene Geld.183 Empirischen Untersuchungen zufolge stehen diejenigen Kantone, die sog. finanzwirksame Volksabstimmungen kennen, finanziell auf gesünderen Füßen als Kantone, in denen die direkte Demokratie zurückhaltender ausgestaltet ist.184 Kantone, die auch Volksabstimmungen über Steuern zulassen, sind im Schnitt finanziell gesünder.185 Negative Effekte für den Haushalt entstehen durch Volksgesetzgebungsverfahren grundsätzlich nicht.186 Daher wird auch vorgebracht, dass die insgesamt gute finanzielle Lage der Schweiz mit auf die Volksgesetzgebung zurückzuführen ist.187 Direkte Demokratie führt u. a. 183  Kritisch zur direkten Demokratie und Geld s. Walter Frenz, Geld und Demokratie: CETA, OMT, ESM und die repräsentative Demokratie nach Brexit und BayVerfGH vom 21.11.2016, DVBl. 2017, S. 468–473. 184  Reiner Eichenberger, Mit direkter Demokratie zu besserer Wirtschafts- und Finanzpolitik: Theorie und Empirie, in: Hans Herbert von Arnim (Hrsg.), Adäquate Institutionen, 1999, S. 259–288; Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 33; Gebhard Kirchgässner, Volksgesetzgebungsreform im Freistaat Thüringen, in: Peter Neumann (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im Freistaat Thüringen, 2002, S. 177–184, 182. 185  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 33 m. w. N. 186  Markus Möstl, Elemente direkter Demokratie als Entwicklungsperspektive, Repräsentative Demokratie in der Krise?, VVDStRL 71 (2012), S. 355–416, 386 m. w. N.; Reiner Eichenberger, Mit direkter Demokratie zu besserer Wirtschafts- und Finanzpolitik: Theorie und Empirie, in: Hans Herbert von Arnim (Hrsg.), Adäquate Institutionen, 1999, S. 259–288; Bruno S. Frey, Wie vertragen sich direkte Demokratie und Wirtschaft?, Neue Zürcher Zeitung, 19. März 2014; Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 33; Gebhard Kirchgaessner/Lars Feld/Marcel Savioz, Die direkte Demokratie: Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig, 1999, S. 71 ff. (für die Schweiz), S. 111 ff. (für US-Bundesstaaten); Christoph Schalt­ egger/Lars Feld, Behindert die direkte Demokratie eine erfolgreiche Konsolidierungspolitik?, in: Markus Freitag/Uwe Wagschal (Hrsg.), Direkte Demokratie – Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, 2007, S. 363–384. 187  Markus Freitag/Adrian Vatter, Direkte Demokratie, Konkordanz und Wirtschaftsleistung: Eine empirische Analyse am Beispiel der Schweizer Kantone, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 2000, S. 579–606; Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 514; Axel Tschentscher, Direkte Demokratie in der Schweiz – Länderbericht 2008/2009, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/ Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 205–240, 210 f.; Andreas Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, 2006, S. 165 f.; Christian

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zu „einer nachhaltigen Finanzpolitik mit weniger Defiziten“,188 indem es zu einer Einschränkung der Staatsquote,189 Ausgabenkürzungen190 und reduzierten Steuern kommt191 und die Regierungen ihre Leistungen effizienter erbringen.192 Insgesamt soll Volksgesetzgebung wirtschaftliche Aktivitäten erleichtern und so zu mehr Wohlstand193 und einer Erhöhung der Wirtschaftsleistung führen.194 Diese Vielzahl an Beispielen zeigt zumindest, dass es begründungsbedürftig ist und keineswegs einfach angenommen werden darf, Waldhoff, Finanzwirtschaftliche Entscheidungen in der Demokratie, in: Martin Bertschi u. a. (Hrsg.), Freiheit und Demokratie, 1999, S. 181–227, 215 ff. 188  Reiner Eichenberger, Direkte Demokratie ist besser – Auch bei Haushaltsentscheidungen, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 113–130, 121 m. w. N.; Lars Feld/Christoph Schaltegger/Jan Schnellenbach, On Government Centralization and Fiscal Referendums, European Economic Review 2008, S. 611–645; Lars Feld/Marcel Savioz, Direct Democracy Matters for Economic Performance: An Empirical Investigation, 1997, S. 507–538; Markus Freitag/Adrian Vatter/Christoph Müller, Bremse oder Gaspedal? Eine empirische Untersuchung zur Wirkung der direkten Demokratie auf den Steuerstaat. Politische Vierteljahresschrift 2003, S. 348–369; Werner W. Pommerehne, Private versus öffentliche Müllabfuhr – nochmals betrachtet, Finanzarchiv 1983, S. 466–475. 189  Markus Freitag/Adrian Vatter/Christoph Müller, Bremse oder Gaspedal? Eine empirische Untersuchung zur Wirkung der direkten Demokratie auf den Steuerstaat. Politische Vierteljahresschrift 2003, S. 348–369, zitiert nach Reiner Eichenberger, Direkte Demokratie ist besser – Auch bei Haushaltsentscheidungen, in: Tobias Mörschel/ Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direkt­ demokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 113–130, 121. 190  Lars Feld/John Matsusaka, Budget Referendums and Government Spending: Evidence from Swiss Cantons, Journal of Public Economics 2003, S. 2703–2724, die in einer empirischen Untersuchung auf eine Ausgabenkürzung von im Schnitt 19 % in Schweizer Kantonen kamen. 191  Christina Eder, Direkte Demokratie auf subnationaler Ebene, 2010, S. 16; John Matsusaka, For the Many or the Few: The Initiative, Public Policy, and American Democracy, 2004. 192  Werner W. Pommerehne, Private versus öffentliche Müllabfuhr – nochmals betrachtet, Finanzarchiv 1983, S. 466–475; Reiner Eichenberger, Direkte Demokratie ist besser – Auch bei Haushaltsentscheidungen, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 113–130, 121 m. w. N. 193  Lars Feld/Marcel Savioz, Direct Democracy Matters for Economic Performance: An Empirical Investigation, Kyklos 1997, S. 507–538; Reiner Eichenberger, Direkte Demokratie ist besser – Auch bei Haushaltsentscheidungen, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Aus­gestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 113–130, 121 m. w. N. 194  Christina Eder, Direkte Demokratie auf subnationaler Ebene, 2010, S. 16; John Matsusaka, For the Many or the Few: The Initiative, Public Policy, and American Democracy, 2004.



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dass die repräsentative Demokratie besser funktioniert und zu finanziell klügeren Entscheidungen führt als die direkte Demokratie. Ein sehr eindrückliches Beispiel für den Umgang mit fremdem Geld durch Parlamentarier stammt aus den Anfangswochen der im Jahre 2010 gewählten CDU/FDP Koalition. Sie senkte den Mehrwertsteuersatz von Hotelübernachtungen von 19 % auf 7 %. Diese Senkung wurde nach Ansicht der Kritiker maßgeblich durch Parteispenden des Mitbesitzers der Mövenpick Gruppe, die auch Hotels betreibt, angeregt.195 Eine Gewaltengliederung innerhalb derselben Gewalt und damit eine unmittelbare demokratische Kontrolle durch das Volk hätte eine solche Entscheidung u. U. verhindert, zumindest hätte das Volk wohl kaum genauso entschieden. Gerade Geldfragen scheinen in den Händen derjenigen, deren eigenes Geld betroffen ist, besser aufgehoben zu sein. Auch das zweite Argument ist nicht haltbar. Auf Landesebene hat sich die befürchtete Flucht aus der Verantwortung der Parlamentarier nicht bewahrheitet. Selbst wenn sich die Prognose für die Bundesebene als valide herausstellen sollte, so herrscht dieses Problem heute schon mit dem viel kritisierten „Gang nach Karlsruhe“.196 Das Bundesverfassungsgericht entscheidet teilweise über Fragen, die der Gesetzgeber regeln müsste. Dies ist ein Problem der Gewaltenteilung. Wird nun dieses Problem verlagert auf den Volksgesetzgeber, so stellt das unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung gerade kein Problem, sondern die Lösung des Problems dar: Die Legislative entscheidet über das, was von der Legislative entschieden werden soll. (3) Mangel an Gemeinwohlorientierung Genausowenig hält der Vorwurf der (mangelnden) Gemeinwohlverwirklichung durch den Volksgesetzgeber einem Vergleich mit dem Parlament stand. Der Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen führt zu dieser Frage prägnant aus, dass „[d]ie Erfahrung lehrt, dass die Formen und Verfahren der parlamentarisch-repräsentativen Gesetzgebung keine Garantie, sondern lediglich eine erhöhte Chance der Gemeinwohlverwirklichung enthalten. Die parlamentarische Repräsentation unterliegt den Gefahren der Absonderung der Repräsentanten von dem von ihnen 195  Florian Gathmann/Veit Medick, Debatte um FDP-Spende – Hohn und Spott für die „Mövenpick-Partei“ 19. Januar 2010, https://www.spiegel.de/politik/deutsch land/debatte-um-fdp-spende-hohn-und-spott-fuer-die-moevenpick-partei-a-672756. html. 196  S. Matthias Jestaedt/Oliver Lepsius/Christoph Möllers/Christoph Schönberger, Das entgrenzte Gericht, 2011; Alexander Grau, Gang nach Karlsruhe. Auf dem Weg in die Juristenherrschaft, 25. Juli 2015, www.cicero.de/berliner-republik/gangnach-karlsruhe-auf-dem-weg-die-juristenherrschaft/59617.

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repräsentierten Volk, der Erstarrung des politischen Betriebes und der Undurchschaubarkeit für die Bürger, der Privilegierung mächtiger und gut organisierter Interessengruppen beim Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen und der Vernachlässigung von Minderheiten, die sich wegen ihrer geringen gesellschaft­ lichen Macht kein Gehör im politischen Prozess zu verschaffen vermögen.“197

Dieser Blick auf das Parlament deutet darauf hin, dass das Gemeinwohl in den Händen der Repräsentanten nicht immer am besten aufgehoben ist. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Verfahren parlamentarischer und unmittelbarer Demokratie in einem Aushandlungs- und Transformationsprozess gemeinsam das Gemeinwohl entwickeln.198 Direkte Demokratie ermöglicht es den Bürgern, Einfluss zurückzugewinnen, um genau das zu erreichen. Richtig ist, dass in jedem Herrschaftssystem die Gefahr der Ungleichheit besteht und dies besonders auf die Konkurrenz- oder Mehrheitsdemokratie zutrifft. Hier helfen vor allem Quoren. Ein Vergleich zwischen direkter Mehrheitsdemokratie und repräsentativer Mehrheitsdemokratie ergibt, dass Ungleichheit nicht alleine ein Problem direkter Demokratie ist. Momentan besitzen die oberen Schichten einen besonderen Einfluss aufgrund eines ­privilegierten Zugangs zur Politik, etwa durch die Mittel des Lobbyismus.199 Dieser Zugang würde durch Formen direkter Demokratie zwar nicht geringer, aber weniger relevant.200 Gleichzeitig besitzen auch schon jetzt die mittleren Schichten aufgrund ihrer grundsätzlichen Bereitschaft zur Wahl zu gehen, mehr „voice“ in der Politik als diejenigen, die gar nicht zur Wahl gehen. Eine Stärkung von direkter Demokratie kann aber helfen, den Graben nach oben hin zu schließen. Gleichzeitig und mit Hilfe geeigneter Instrumente kann und muss versucht werden, den Graben nach unten zumindest nicht noch weiter zu vergrößern, bestenfalls sogar zu verringern. Es bedarf hierzu Empowerment-Strukturen, die es Menschen aus marginalisierten Schichten ermöglichen, an Volksgesetzgebung teilzuhaben und selbst 197  BremStGH, Urteil v. 31. Januar 2014, St 1/13, unter Verweis auf Dieter Grimm, Repräsentation, in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 4, 7. Aufl. 1995, Sp. 878–882; Klaus von Beyme, Der Gesetzgeber. Der Bundestag als Entscheidungszentrum, 1997, S. 207 ff. 198  S. dazu S. 441 ff. und S  464 ff. 199  Parteispenden sind auch eine Form von Lobbyismus. S. die zahlreichen Parteispenden-Urteile des Bundesverfassungsgerichts, u. a. BVerfGE 8, 51 – 1. Parteispenden-Urteil; BVerfGE 20, 56 – Parteienfinanzierung I; BVerfGE 52, 63 – 2. Partei­ spenden-Urteil; BVerfGE 85, 264 – Parteienfinanzierung II; s. ausführlich Andreas Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, 2002, S. 301 ff. 200  Peter M. Huber, Direkte Demokratie? Gefahren und Chancen für das repräsentative System, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 295–312, 307 f, 311.



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auch initiieren zu können. Dazu gehört u. a. ein gewisses Potential, sich kritisch mit Meinungen, Strukturen und Verfahren auseinandersetzen zu können. Darauf hat der Staat hinzuwirken, etwa durch entsprechende Angebote in der Schule.201 (4) K  omplexitätsargument, insbesondere Finanzwirksamkeit von direkter Demokratie Schließlich lässt sich auch das Komplexitätsargument unter Funktionalitätsgesichtspunkten entkräften. Früher wurde mit denselben Argumenten weiten Teilen des Volkes, beispielsweise Landlosen, schwarzen Menschen oder Frauen, das Wahlrecht vorenthalten.202 Die Verweigerung von Abstimmungen aufgrund mangelnden Sachverstands stellt zudem auch die Existenz der repräsentativen Demokratie in Frage. Konsequenterweise müssten dann auch Wahlen abgeschafft werden,203 da sowohl repräsentative wie auch direkte Demokratie auf der Annahme gründen, dass der Einzelne tatsächlich befähigt ist, über sich selbst zu bestimmen. Ob das Parlament immer oder auch nur regelmäßig informiertere Entscheidungen treffen würde als das Volk, ist überdies mehr als fraglich. Es hat sich jedenfalls schon vielfach gezeigt, dass hochkomplexe Themen von den Par201  „Allgemeine Schulpflicht ist deshalb ein zwingendes Erfordernis des demokratischen Prinzips.“, Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46–84, 63; Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 41; Gerhard Robbers, Art. 7 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 7. Aufl. 2018, Rn. 35 und 38: „Das Demokratiegebot der Verfassung setzt nicht erst auf der Ebene vorausgesetzter, je schon bestehender politischer Souveränität der Bürger an. Vielmehr geht es […] davon aus, daß politische Mündigkeit Wissen, Erfahrung und Bildung voraussetzt. Diese Demokratievoraussetzungen zu schaffen ist nicht zuletzt Aufgabe der staatlich verfaßten Gemeinschaft in der Schule.“; s. dazu auch Peter Häberle, Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, in: Kurt Eichenberger/Peter Liver (Hrsg.), Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, 1981, S. 211–239, 211 ff. sowie die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften zu den Erziehungszielen, z. B. Art. 131 Abs. 3 BayVerf; Art. 28 VerfBbg; Art. 7 Abs. 2 NWVerf; Art. 33 RhPfVerf. S. auch Art. 26 BremVerf.; Art. 56 Abs. 4 HessVerf.; Art. 15 Abs. 4 MVVerf. 202  So ähnlich auch August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 1879, Neudruck 1973, S. 325: „Dieselben Gründe, die gegen das Stimmrecht der Frauen angeführt werden, wurden in der ersten Hälfte der sechziger Jahre gegen das allgemeine Stimmrecht der Männer geltend gemacht.“ 203  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 27.

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lamentariern nicht beherrscht werden, wie eine ARD-Umfrage kurz vor der Abstimmung zu einem der EURO-Rettungsschirme den Wählerinnen und Wählern vor Augen führte. Viele Abgeordnete wussten nicht, wie hoch die Garantiesummen (211 Milliarden Euro) waren.204 Stattdessen vertrauten die Parlamentarier ihrer Fraktionsführung. Das ist bei der Vielzahl der Entscheidungen, die ein Parlamentarier zu treffen hat, kaum anders handhabbar. Überdies ist es mit Art. 38 GG vereinbar. Genauso verhält es sich aber auch mit dem Volk: Viele Abstimmende vertrauen den Hinweisen der Führung der Partei, die sie regelmäßig wählen. Zu viel Vertrauen in das Parlament ist fehl am Platze. Auf die hohe Staatsverschuldung, die das Parlament zu verantworten hat, und die durchschnittlich etwa fünf Gesetze pro Jahr, die das BVerfG als verfassungswidrig be­ anstandet, wurde schon hingewiesen.205 Auch die Modifizierung des im Jahre 2000 vereinbarten Atomausstiegs im Jahre 2010 und die wenige Monate folgende Kehrtwende nach dem Unglück von Fukushima lässt sich in ihrer Art und Weise kaum als Sternstunde rationalen und weitsichtigen Verhaltens von Regierung und Politik bezeichnen.206 Untersuchungen kommen sogar zu dem Ergebnis, dass Volksgesetzgebung zu sachgerechteren Ergebnissen führt,207 weshalb sich in der Forschung inzwischen die Meinung durchgesetzt hat, „dass eine klare Präferenz für oder gegen direkte Demokratie von der Outputseite her nicht (mehr) begründet werden kann.“208 Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn direkte Demokratie mit Argumenten der Finanzwirksamkeit beschränkt wird.209 Hier heißt es, dass das Budgetrecht als das Vorrecht des Parlaments absolut vor der Volksgesetzgebung 204  Christian Teevs, Euro-Votum im Bundestag: Denn sie wussten nicht, worüber sie abstimmen, 30. September 2011, www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/euro-votumim-bundestag-denn-sie-wussten-nicht-worueber-sie-abstimmen-a-789405.html. 205  S. oben S. 446. 206  S. dazu Martin Wellnhofer, Energiepolitik in Deutschland nach Fukushima: Der Einfluss des Atomunglücks auf die deutsche Energiepolitik, 2012; Peter Hennicke/Paul Welfens, Energiewende nach Fukushima: Deutscher Sonderweg oder weltweites Vorbild?, 2012; sowie die Beiträge in Jörg Radtke/Bettina Hennig (Hrsg.), Die deutsche „Energiewende“ nach Fukushima: Der wissenschaftliche Diskurs zwischen Atomausstieg und Wachstumsdebatte, 2013. 207  Frank Decker, Volksgesetzgebung oder Volksveto? Überlegungen zur institutionellen Ausgestaltung der Direktdemokratie in der Bundesrepublik, Jahrbuch Direkte Demokratie 2010, 2011, S. 37–62, 40. 208  Frank Decker, Volksgesetzgebung oder Volksveto? Überlegungen zur institutionellen Ausgestaltung der Direktdemokratie in der Bundesrepublik, Jahrbuch Direkte Demokratie 2010, 2011, S. 37–62, 41. 209  S. aber dazu die bestehenden eher restriktiven Regeln in den Landesverfassungen, oben S. 130 ff.



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geschützt sein müsse.210 Dem ist zunächst entgegenzusetzen, dass durch die Zuordnung der Budgethoheit zum Parlament aufgrund der historischen Entwicklung heraus noch nichts gesagt ist bzgl. einer etwaigen Kompetenz des Volkes.211 Das Budgetrecht als das „Königsrecht“ des Parlaments hat sich in Abgrenzung zum König, also der Exekutive, entwickelt. Neben der so ausübbaren Kontrolle über den König, erlaubt die Budgetkompetenz des Parlaments, dass die Repräsentanten derjenigen, die zahlen – also das Volk – über die Ausgaben bestimmen sollen. Damit ist das Budgetrecht prädestiniert, vom Volk selbst ausgeübt zu werden, sei es, indem es finanzwirksame Gesetze beschließt, sei es indem es sogar das Haushaltsgesetz selbst beschließt. Die bestehenden Restriktionen in den Landesverfassungen sind dann auch weniger dem ursprünglichen Gedanken geschuldet, dass dieses Recht dem Parlament zustehen muss, sondern dem Gedanken der effektiven Funktio­ nalität staatlichen Handelns.212 Zum einen sei das Haushaltsgesetz u. a. aufgrund der vielen Einzelposten umfangreich und besonders komplex, zum anderen müsse es nicht für einen bestimmten Zeitrahmen verabschiedet werden, sondern auch innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens. Aber auch die funktionalen Argumente gegen Entscheidungen des Volkes über das Haushaltsgesetz sind letztlich nicht stichhaltig. Weder Komplexität noch Zeitgebundenheit sprechen für den Ausschluss jeglicher Einflussnahme durch das Volk. Sollte sich beispielsweise die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durch die Involvierung des Volkes verzögern, schadet dies nicht unmittelbar. So bedarf es z. B. anders als in den USA in Deutschland nicht unbedingt eines Haushaltsgesetzes für das Funktionieren der Regierung. Art. 111 GG sieht entsprechende Notregeln vor, die die Bundesregierung u. a. ermächtigen, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen sowie die rechtlich begründeten Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen.213 Außerdem ist der Nachtragshaushalt nicht nur ein altbewährtes und

210  BayVerfGH, NVwZ-RR 2000, S. 401, 404. Der ThürVerfGH bezieht sich auf die „demokratische Gewaltenteilung“, ThürVerfGH, LKV 2002, S. 83, 93. S. auch Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 151: „Unaufgebbar mit dem Parlament als dem Hauptorgan der gesetzgebenden Gewalt verknüpft bleiben muss das Budgetrecht.“ 211  Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 26. 212  Vgl. Matthias Klatt, Die Zulässigkeit des finanzwirksamen Plebiszits, Der Staat 2011, S. 3–44, 24 f. 213  S. dazu etwa Roger Fischer, Handeln in fremdem Interesse. Zur Auslegung der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes, VerwArch 2007, S. 543–560.

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bekanntes, sondern auch vielfach angewandtes Instrument.214 Insgesamt kann hier letztlich nichts Anderes gelten als bei anderen Gesetzen: das Volk hat grundsätzlich ein volles Zugriffsrecht. Dass von der Outputseite eine Präferenz für oder wider direkte Demokratie auch in komplexen Fragen nicht begründet werden kann, zeigt sich auch an folgendem, immer wieder angeführten Beispiel im Hinblick auf Volks­ abstimmungen über Fragen der Europäischen Union. Die politische Elite wünscht die Europäische Union, das Volk scheint ihr skeptisch gegenüber zu stehen. Es handelt sich um ein überaus komplexes Thema. Aber selbst die Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich über den Verfassungsvertrag im Jahre 2005 haben zu keinen katastrophalen, vielleicht nicht einmal nachteiligen Folgen geführt. Es ist natürlich richtig, dass so die weitere Integration der EU verlangsamt wurde.215 Doch enthält der Vertrag von Lissabon alle wichtigen Regelungen der EU-Verfassung, abzüglich der Staatssymbolik, wie dem Wort Verfassung, der gemeinsamen Hymne und ähnlichem.216 Selbst wenn es stimmt, dass vor allem innenpolitische Gründe eine Rolle bei der Ablehnung des Verfassungsvertrags gespielt haben,217 so lassen sich mindestens zwei weitere Gründe finden. Zum einen lässt sich darauf abstellen, dass Parlament und Regierung sich als unfähig erwiesen haben, dem Volk die Vorteile des Verfassungsvertrages deutlich zu machen. Dann hat die Kommunikation zwischen Volk und Politik nicht gestimmt. Dies wäre aber weniger ein Argument gegen direkte Demokratie als ein Argument für eine verbesserte Kommunikation und eine intensivere Hinwendung zum Volk und dessen Bedürfnissen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die Menschen in Europa, oder zumindest in Frankreich und den Niederlanden, noch nicht für eine vertiefte Integration bereit waren und den Verfassungsvertrag für falsche Politik hielten. Das ist eine akzeptable Position in einer Demokratie. Es gibt nicht die eine richtige Lösung. So zu tun, als gäbe es sie, entfremdet Menschen von ihren Repräsentanten. Zu beobachten war dies in Deutschland in Bezug auf die Euro-Rettungsschirme. Auch hier hat die Politik nur wenige Anstrengungen unternommen, ihre Politik der Euro214  S. zum

2007.

Instrument des Nachtraghaushalts BVerfG, 2 BvF 1/04, Urteil v. 9. Juli

215  S. zum Problem des Missbrauchs der direkten Demokratie für „Legitimierungs-“ und „Profilierungsabstimmungen“ Thomas Jaeger, Alle Macht dem Volk? Direkte Demokratie und ihr Missbrauch als Integrationsproblem, EuZW 2017, S. 127–131. 216  Eckhard Pache/Franziska Rösch, Der Vertrag von Lissabon, NVwZ 2008, S. 473–489, 474; Albrecht Weber, Vom Verfassungsvertrag zum Vertrag von Lissabon, EuZW 2008, S. 7–14, 7. 217  S. die differenzierende Analyse von Andreas Mauer, Die Ratifikationsverfahren zum EU-Verfassungsvertrag. Diskussionspapier der Forschungsgruppe EU Inte­ gration, SWP Berlin, 11. Aufl. 2006, S. 23 (Frankreich) und S. 58 f. (Niederlande).



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rettung zu erklären und offensiv für sie zu werben. TINA („there is no alternative“) ist kein Argument, sondern ein Postulat, das zumindest irreführend ist: „Richtig“ oder „falsch“ sind Kategorien, die sich innerhalb eines Verfahrens zeigen und doch gleichzeitig der Änderbarkeit durch ein neues Verfahren unterliegen. Wenn also das Volk nach Ansicht der Politik „falsch“ entscheidet, so beinhaltet das Ergebnis der Volksabstimmung dennoch die gegenteilige Überzeugung „richtig“ entschieden zu haben. Blickt man auf die nicht in Kraft getretene EU-Verfassung, so lässt sich heute vortrefflich darüber streiten, ob Europa mit ihr besser dastünde oder nicht. Vielleicht war es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich richtig, die europäische Integration zu entschleunigen, weil die Bürger noch nicht bereit dafür waren? Demokratie betrifft vielfach Willens- und nicht Wissensentscheidungen.218 Nichts spricht dagegen, dass diese das Volk treffen darf, vor allem weil es selbst die Konsequenzen zu tragen hat und somit die demokratische Verantwortung und Verantwortlichkeit trifft. Die schlimmste und folgenreichste aller deutschen Parlamentsentscheidungen war die Selbstabschaffung des Reichstags 1933, die für sich genommen eine wenig komplexe Entscheidung war. Selbstverständlich sind die Geschehnisse von damals einzigartig. Sie fanden zu einer anderen Zeit, unter einer anderen Verfassung und in einer Ausnahmesituation statt. Dennoch handelte ein demokratisch gewähltes Parlament unter einer demokratischen Verfassung, so dass der Vergleich zwischen dem Verhältnis des Volkes von damals zum Parlament von damals und dem Volk von heute zum Parlament von heute erhellend ist. Das Ende der Weimarer Republik, obwohl gerade die Weimarer Erfahrung fälschlicherweise immer wieder gegen die Volksgesetzgebung angeführt wird,219 beweist, dass das Parlament nicht immer die besseren Entscheidungen trifft als das Volk. Das sog. Ermächtigungsgesetz, mit dem das Parlament Hitler endgültig die Macht übertrug, wurde am 24. März 1933 von 69 % aller Reichstagsabgeordneten unterstützt, obgleich die NSDAP in den Wahlen des November 1932 nur 33,1 % der Stimmen erhalten hatte und damit sogar 4 % weniger als in der Wahl im Juli 1932. 218  Hansjörg Seiler, Gewaltenteilung. Allgemeine Grundlagen und schweizerische Ausgestaltung, 1994, S. 312; s. auch S. 320. 219  S. dazu Horst Dreier/Fabian Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 11–39, 21 f. m. w. N. Vgl. Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Gesetzgebung in das Grundgesetz?, in: Peter Neumann/Denise Renger (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im interdisziplinären und internationalen Kontext (Deutschland, Liechtenstein, Österreich, Schweiz), 2012, S. 48–72, 49: acht Versuche, nur zwei Volksentscheide, die beide am Quorum scheiterten. Er verweist auch darauf, dass der Parlamentarische Rat sich nicht deswegen gegen direkte Demokratie entschieden hat, sondern eher wegen der Verführ- und Manipulierbarkeit des Menschen, S. 49.

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bb) Synergie-Effekte Zwischen parlamentarischer Demokratie und direkter Demokratie bestehen Synergieeffekte. Dies gilt zum einen auf der Makroebene, da direkte Demokratie systemstabilisierend wirkt.220 So lässt etwa der Blick nach Bayern vermuten, dass die knapp 70-jährige Herrschaft der CSU auch in der Volksgesetzgebung begründet liegt.221 Hier kann das Volk den Herrschenden zeigen, dass es in bestimmten Fällen, etwa dem fehlenden Rauchverbot auch in Festzelten, anderer Ansicht ist, ohne die CSU gleich abwählen zu müssen. Das, was manche als „Schizophrenie“ bezeichnen mögen, ist tief in der Demokratie verwurzelt. Das Volk unterteilt sich – und zwar immer wieder neu – in Mehrheit und Minderheit. Dies ist eine Chance, denn die Minderheit besitzt die Möglichkeit, die Mehrheit zu werden und sie ist nicht verpflichtet, der Mehrheit in der Sache zuzustimmen, und damit ihre eigenen Überzeugungen zu verraten, sondern lediglich verpflichtet, die Entscheidung zu akzeptieren, bis sie selbst Mehrheit wird. Durch direkte Demokratie werden so Relativismus und Pluralismus gewahrt.222 Zum anderen existieren auch Synergieeffekte auf der Mikroebene, d. h. auf der Ebene der einzelnen Gesetzgebung.223 Eine „drohende“ Volksgesetzgebung mag das Parlament veranlassen, selbst ein besseres Gesetz zu entwerfen. Eine öffentliche Diskussion aufgrund eines (sich abzeichnenden) Volksgesetzgebungsverfahrens mag den Diskurs vorantreiben und mangelndes Interesse in der Bevölkerung mag darauf hindeuten, dass bestimmte Projekte vielleicht nicht gesetzlich geregelt werden müssen. Auch umgekehrt gilt dies: Bleibt das Parlament untätig, weil es nicht denkt, dass es einen entsprechenden Wunsch nach einer Regelung gibt, so kann diese Lücke von der Volksgesetzgebung gefüllt werden, wie es etwa beim Nichtrauchergesetz in Bayern gewesen ist.

220  Johannes Rux, Direkte Demokratie in Deutschland, 2008, S. 105; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Demokratische Willensbildung und Repräsentation (§ 34), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. ­ 2005, S. 31–54, Rn. 22; vgl. auch Uwe Berlit, Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über ­direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, KritV 1993, S. 318–359, 346 ff. 221  Ebenso Hermann K. Heußner, Zur Integration von Volksgesetzgebung in das politische System Deutschlands, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 21–39, 34. 222  Oliver Lepsius, Rechtswissenschaft in der Demokratie, Der Staat 2013, S. 157– 186, 169 f. 223  S. oben S. 459 ff.



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d) Balance von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung durch Gewaltenteilungsgrundsatz Die richtige Balance von Volksgesetzgebung und parlamentarischer Gesetzgebung entsteht unter Berücksichtigung von Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip und effektiver Funktionalität staatlichen Handelns. Der Gedanke Abraham Lincolns aus der Gettysburg-Address des „government of, by and for the people“ entspricht diesem Dreisatz: Volksgesetze gehen ebenso wie die Parlamentsgesetze vom Volk aus (Abstimmungen/Wahlen), die Gesetze werden direkt oder indirekt durch das Volk beschlossen (Volksentscheid/Parlamentsvotum) und wirken für das Volk (möglichst richtige Entscheidung). Sowohl das Parlament wie auch der Volksgesetzgeber verwirklichen, unter Umständen gemeinsam, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien und schaffen so eine effektive und funktionale Staatsgewalt. Gesteuert wird dies vom Gewaltenteilungsprinzip, das hier auf der Ebene der Legislative die Organe Volk und Parlament teilt und sie dadurch nicht nur hemmt, mäßigt und kontrolliert, sondern sie auch demokratisch ermächtigt und effektiv funktionieren lässt. Dies geschieht im besten Fall demokratischer, rechtsstaatlicher und effektiver als in den Fällen, in denen das Parlament alleine agiert. So stärkt direkte Demokratie die Legitimation von Staatsgewalt. 3. Inter-Gewaltenteilung: Der Kernbereich der Exekutive und das Volk Die Legislative steuert die Exekutive mittels Gesetzgebung. Ebenso wie das Parlament muss das Volk die Exekutive durch Gesetzgebung steuern dürfen, um so die Exekutive kontrollieren, hemmen und mäßigen zu können. Darauf folgt aber kein volles Zugriffsrecht des Volks auf die Materien, die der Exekutive zukommen. Es bestehen Grenzen, die aus der Gewaltenteilung stammen. Durch die Begrenzung wird auch gleichzeitig der Volksgesetzgeber eingeschränkt und kontrolliert, gehemmt und gemäßigt. Bestimmte Kompetenzen fallen in den Kernbereich der Exekutive, weil sie zur Ausführung dieser Aufgaben besser geeignet und ausgestattet ist. Ebenso wie das Parlament Kernbereiche exekutiver und administrativer Gewalt zu respektieren hat muss das Volk als Gesetzgeber diesen Kernbereich der Exekutive respektieren. Der Grundsatz der Gewaltenteilung dient also als Schutz gegen einen Übergriff des Volkes auf Sachverhalte, die alleine der Verwaltung zustehen.

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Es besteht jedoch ein wenngleich enger Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich der Frage, ob er selbst eine Materie regeln darf, die üblicherweise der Verwaltung zukommt. Hierfür müssen jeweils bedeutsame Gründe vorliegen.224 Diese Gründe müssen nicht nur für die Volksgesetzgebung noch genauer bestimmt werden. Klar ist aber, dass diese Gründe nicht allein in der Konfliktbehaftetheit der strittigen Frage liegen können, weil so letztlich der Gewaltenteilungsgrundsatz bei direkter Demokratie aufgegeben werden würde.225 4. Inter-Gewaltenteilung: Gerichtliche Kontrolle des Volkes durch die Verfassungsgerichte Der positive Einfluss der Gewaltenteilung auf die Eindämmung der (vermeintlichen) Gefährdungen der direkten Demokratie bestätigt sich, berücksichtigt man zusätzlich die Teilung der Gewalten zwischen Judikative und Volksgesetzgeber. Hier kann auf Bundesebene den Beispielen auf Landesebene gefolgt werden. Die rechtsprechende Gewalt begegnet den Gefahren der direkten Demokratie, indem sie die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Volkes überwacht (a)). Damit schafft sie einen Raum, in dem sich Demokratie verwirklichen kann (b)) und der die effektive Funktionalität staatlichen Handelns schützt und fördert (c)). a) Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsgericht Ebenso wie das Verfassungsgericht den Einzelnen vor dem Parlament schützt, schützt das Verfassungsgericht den Einzelnen auch vor dem Volk. Neben Parlamentsgesetzen kann es auch Volksgesetze für (teil-)nichtig erklären oder, als milderes Mittel, verfassungskonform auslegen. Der rechtsstaatliche Grundrechtsschutz gilt aufgrund der Gleichwertigkeit aller drei Gewal-

224  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 114; Paul Kirchhof, Gutachterliche Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der SPD im Landtag von Baden-Württemberg für eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, 2010, S. 23 ff. 225  Ähnlich und im Ergebnis zustimmend Jan Ziekow, Neue Formen der Bürger­ beteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 114; Wolfgang Ewer, Kein Volksentscheid über die Zulassung von Infrastrukturprojekten, NJW 2011, S. 1328–1331, 1330; Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsper­ spektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 278.



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ten und aller Staatsorgane auch gegenüber dem Volk.226 Grundrechte müssen dementsprechend auch vom Volksgesetzgeber beachtet werden.227 Dies schützt aber nur vor solchen Fragen, die rechtlich relevant sind. Die Gefährdung, die die Judikative am besten neutralisieren kann, ist die, dass die Mehrheit die Minderheit unterdrücken könnte.228 Gerichte können und müssen im Falle der Geltendmachung einer Rechtsverletzung entsprechend einschreiten. Zwar gibt es im Grundgesetz keine Minderheitenrechte an sich, aber viele der Minderheitenrechte sind von den Menschenrechten, vor allem dem Gleichheitssatz, umfasst. So würde in der Bundesrepublik ein Volksgesetz, das die Änderung einer Bauordnung dergestalt vorsieht, dass Moscheeneubauten zwingend ohne Minarette zu bauen wären, auf die zu­lässige Beschwerde eines Einzelnen vom Bundesoder Landesverfassungs­gericht als verfassungswidrig verworfen werden.229 Aber nicht nur Ab­ wehrrechte werden vom Verfassungsgericht geschützt, sondern durch Leistungs- und Teilhaberechte auch soziale Rechte.230 So 226  A. A. Thomas Puhl, Gewaltenteilung, in: Hanno Kube/Rudolf Mellinghoff/ Gerd Morgenthaler/Ulrich Palm/ders./Christian Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts. Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, 2013, S. 249–261, 260, der schreibt, dass das Volk außerhalb der Gewaltenteilung stehe und deshalb u. a. auch ein Volksentscheid über Exekutivakte zugelassen werden könne. Puhls Verweis auf Udo Di Fabio, Gewaltenteilung (§ 27), in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl. 2004, S. 613–658, Rn. 58 ff. geht aber fehl. S. auch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 529. 227  Vgl. zu dieser Frage Bernd Hartmann, Volksgesetzgebung und Grundrechte, 2005; Gebhard Kirchgässner, Direkte Demokratie und Menschenrechte, in: Lars Feld/ Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch Direkte Demokratie 2009, 2010, S. 66–89. S. auch oben die Nachweise auf S. 444, Fn. 90. 228  S. dazu die Beiträge von Gebhard Kirchgässner, Direkte Demokratie und Menschenrechte, in: Lars Feld/Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 66–89; Hermann K. Heußner, Direkte Demokratie in den US-Gliedstaaten im Jahr 2008, in: Lars Feld/ Peter M. Huber/Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 165–204, 172 f., 195 f., und Axel Tschentscher, Direkte Demokratie in der Schweiz – Länderbericht 2008/2009, in: Lars Feld/Peter M. Huber/ Otmar Jung/Christian Welzel/Fabian Wittreck (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 205–240, 219 ff.; Kevin R. Johnson, A Handicapped, Not „Sleeping“ ­Giant. The Devastating Impact of the Initiative Process on Latina/o and Immigrant Communities, 96 California Law Review 2008, S. 1259–1297. 229  S. zur Nichtvereinbarkeit des entsprechenden Schweizer Volksgesetzes mit den universellen und europäischen Menschenrechtsgarantien ausführlich Ralph Zimmermann, Zur Minarettverbotsinitiative in der Schweiz, ZaöRV 69 (2009), S. 829– 864; s. auch Hermann K. Heußner, Minarettverbot in der Schweiz: Argument gegen Volksentscheide in Deutschland? Zur Diskussion über Volksgesetzgebung, Minderheitenschutz und Völkerrecht, Recht und Politik 2010, S. 19–26. 230  S. aus der umfassenden Literatur zu der Frage nach den „sozialen Grundrechten“ nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die sozialen Grundrechte im Verfassungsge-

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wacht das Bundes­ verfassungsgericht z. B. über das Grundrecht auf Gewährleistung eines men­schenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Dazu gehört, dass jedem Hilfebedürftigen „diejenigen materiellen Voraussetzungen zu[gesichert sind], die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.“231 Auch gegen das Komplexitätsargument kann die Verfassungsgerichtsbarkeit partiell in Stellung gebracht werden. Sofern die Gesetze rechtliche Grenzen überschreiten, aber nicht lediglich die der Vernunft und Zweckmäßigkeit, kann und muss das Bundesverfassungsgericht, ebenfalls sofern es mit der Sache befasst wird, das Volksgesetz für nichtig erklären. Selbst das Gemeinwohlinteresse schützen die Verfassungsgerichte, zumindest mittelbar. So prüfen die Verfassungsgerichte Gemeinwohlerwägungen, etwa im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.232 b) Demokratie und Verfassungsgericht Außerdem schützen Verfassungsgerichte das Gemeinwohlinteresse durch den Schutz der demokratischen Meinungsbildung und des demokratischen Prozesses: Die Ermöglichung von Volksgesetzgebung und der Schutz des Volksgesetzgebers vor dem Parlament und umgekehrt der Schutz des Parlaments vor dem Volksgesetzgeber erlauben es, dass um das Gemeinwohl demokratisch gerungen werden kann. Die Verfassungsgerichte schützen nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Spielregeln der Demokratie.233 Dementsprechend schützen und verstärken die Verfassungsgerichte die Regeln, die die Verfassung und die Wahlgesetze zum Verhältnis von Parlamentsgesetzgebung und Volksgesetzgebung normieren. Hier sehen die Landesverfassungen Beschwerde- bzw. Antragsrechte nicht nur der Initiatoren von Volksgesetzgefüge, in: ders./Jürgen Jekewitz/Thilo Ramm (Hrsg.), Soziale Grundrechte, 1981, S. 7–16; Peter Badura, Das Prinzip der sozialen Grundrechte und seine Verwirk­ lichung im Recht der Bundesrepublik Deutschland, Der Staat 14 (1975), S. 17–48; Jörg Lücke, Soziale Grundrechte als Staatszielbestimmungen und Gesetzgebungsaufträge, AöR 107 (1982), S. 15–60; Hans-Jürgen Papier, Grundrechte und Sozialordnung (§ 30), in: Klaus Merten/ders. (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band II, S. 253–290, 2006. 231  BVerfGE, Urteil v. 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 –, LS 1. 232  S. nur BVerfGE 7, 377, 405 – Apothekerurteil. 233  S. zu dieser schwierigen Gratwanderung Dominik Steiger, Entgrenzte Gerichte? Die Ausweitung des subjektiven Rechts und der richterlichen Kontrollbefugnisse – Parlament und Verwaltung im „Kooperationsverhältnis“ der deutschen Verfassungsund Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem EuGH, VerwArch 2016, S. 497–535.



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bung, sondern auch der Landesregierungen, der Landesparlamente, der Fraktionen etc. vor. Die Verfassungsgerichte schützen damit die Kompetenzen des Parlaments und die Kompetenzen des Volkes gleichermaßen. c) Effektive Funktionalität und Verfassungsgericht Auch zur effektiven Funktionalität staatlichen Handelns tragen die Verfassungsgerichte bei. Auf Beschwerde oder Antrag hin überprüfen sie anhand der Verfassung Gesetze. Rechtlich falsche, weil verfassungswidrige Gesetze erklären sie für nichtig oder teilnichtig oder legen sie verfassungskonform und damit rechtlich richtig aus. Dies gilt auch für Volksgesetze, unter Umständen sogar schon in einem frühen Stadium des Volksgesetzgebungsver­ fahrens. Durch eine Vorabprüfung der Rechtmäßigkeit eines Volksgesetzgebungsvorhabens durch das Verfassungsgericht kann im Fall der Verfassungswidrigkeit des Volksgesetzes viel Zeit gespart werden.234 Verfassungsgerichte tragen weiter zu möglichst richtigen Entscheidungen des Parlaments bei: Sobald hinreichend konkretisierte Staatszielbestimmungen oder grundrecht­ liche Schutzpflichten betroffen sind, ist das Parlament gezwungen zu handeln. Kommt es dieser Pflicht nicht nach, hilft im Wege der Gewaltenteilung das Bundesverfassungsgericht.235 Es muss, auf eine entsprechende Verfassungsbeschwerde hin, das Parlament verpflichten zu handeln und seiner Pflicht nachzukommen, Entscheidungen zu treffen. Ein Einzelner, der betroffen ist, muss nicht etwa erst ein Volksgesetzgebungsverfahren initiieren, sondern kann vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde einlegen. Allerdings kommt dem Parlamentsgesetzgeber grundsätzlich ein sehr weiter Spielraum bezüglich der Art der Abhilfe zu. 5. „Vertikale Gewaltenteilung“ Schließlich wird als letztes Argument gegen direkte Demokratie immer wieder vorgebracht, dass die Kompetenzen der Länder unterlaufen werden können, wenn der Bundesrat im Rahmen von Verfahren direkter Demokratie auf Bundesebene nicht beteiligt werden würde.236 In der Tat sah bislang

234  S. dazu VerfGH Bln, Entscheidung v. 13. Mai 2013, DVBl. 2013, S. 848; s. auch VerfGH Bln, Urteil v. 6. Oktober 2009, NVwZ-RR 2010, S. 169. 235  S. ausführlich Mathias Kleuker, Gesetzgebungsaufträge des Bundesverfassungs­ gerichts, 1992. 236  Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 290 ff. Ausführlich s. Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006.

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kein Gesetzesvorschlag zur Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene die Beteiligung des Bundesrates vor. Hier gilt, dass die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, die auch Art. 79 Abs. 3 GG vorsieht, verletzt sein würde, wenn es bei der Schaffung von direkter Demokratie an einer Möglichkeit fehlt, die eine Ländermitwirkung sowohl für die einfache Gesetzgebung wie für die Verfassungsgesetzgebung, vorsieht. Der verfassungsändernde Gesetzgeber besitzt aber einen sehr weiten Spielraum: So ist für die Ländermitwirkung nicht unbedingt zwingend, dass der Bundesrat involviert wird, die Wahl der Form der Beteiligung ist offen.237 Außerdem wird nach überwiegender Ansicht das heute geltende System von Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen nicht geschützt.238 Mitwirkung verlangt außerdem keine Mitbestimmung, eine bloße Anhörung ist aber auch nicht hinreichend, da Mitwirkung eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit impliziert.239 Zudem wird nur eine „grundsätzliche“ Beteiligung der Länder verlangt. Z. T. wird daraus geschlossen, dass Volksbegehren etc. als zulässige Ausnahmen zu betrachten seien.240 Dies solle auch deswegen möglich sein, weil das Volksgesetzgebungsverfahren nur selten vorkomme. Ein solcher Ausschluss der Ländermitwirkung ist dann möglich, wenn man die grundsätz­ liche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung des Art. 79 Abs. 3 GG als ein Regel-Ausnahme Verhältnis versteht.241 Diesem verfahrensrechtlichen 237  Christoph Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 36. Aufl. 2020, Rn. 745; Matthias Herdegen, Art. 79 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 94. Ergänzungslieferung 2021, Rn. 101; Brun-Otto Bryde, Art. 79 GG, in: Ingo von Münch/ Philip Kunig, GG-Kommentar, 7. Aufl. 2021, Rn. 44; Karl-Eberhard Hain, Art. 79 GG, in: Hans von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Band 3, 7. Aufl. 2018, Rn. 133 f.; Andreas Haratsch, Art. 79 GG, in: Helge Sodan, Grundgesetz. Beck’scher Kompakt-Kommentar, 4. Aufl. 2018, Rn. 23. 238  Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, S. 50 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 196. 239  Jürgen Kühling, Volksgesetzgebung und Grundgesetz – Mehr direkte Demokratie wagen, JuS 2009, S. 777–783, 779; zweifelnd Michael Sachs, Art. 79 GG, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 8. Aufl. 2020, Rn. 46. 240  Christoph Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 36. Aufl. 2020, Rn. 745; Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, S.  253 ff.; Uwe Berlit, Soll das Volk abstimmen? Zur Debatte über direktdemokratische Elemente im Grundgesetz, KritV 1993, S. 318–359, 351; Bertold Huber, Formen direktdemokratischer Staatswillensbildung – seine Herausforderung an das parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland, ZRP 1984, S. 245–251, 248. Gegenteilig und damit Volksgesetzgebung vollständig ablehnend: Klaas Engelken, Volksgesetzgebung auf Bundesebene und die unantastbare Ländermitwirkung nach Art. 79 Abs. 3 GG, DÖV 2006, S. 550–555. 241  Vgl. Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, S. 256 f.



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Verständnis wird ein materielles Verständnis entgegengesetzt, das die Länderbeteiligung als Leitgedanken oder Prinzip versteht.242 Gegen die Annahme eines verfahrensrechtlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis spricht, dass dies dazu führt, dass die Länder in einem regulären Gesetzgebungsverfahren – unabhängig von der Relevanz der Materie – von der Mitwirkung ausgeschlossen sind. Dies entspricht aber nicht dem Zweck der Beteiligung der Länder, der auch in einer vertikalen Gewaltenteilung liegt, die so umgangen werden kann.243 Außerdem ist hier die Verfassungsgesetzgebung von dem Ausschluss der Beteiligung der Länder berührt. Der Ausschluss der Länder wiegt damit umso schwerer. Gerade hier zeigt sich die Schwäche des Regel-Ausnahme-Verständnisses. Zudem unterscheidet Art. 79 Abs. 3 GG ­ nicht zwischen verschiedenen Gesetzgebungsverfahren.244 Dementsprechend müssen die Länder ihre spezifischen Interessen zumindest jederzeit einbringen können. Dies ist faktisch und rechtlich auch durch eine Berücksichtigung der Abstimmungen in den einzelnen Ländern gestaltbar, etwa indem die Voraussetzung aufgestellt wird, dass in mindestens acht (oder neun) Bundesländern eine Mehrheit des Landesvolkes für das Volksgesetz stimmen muss. So würde verhindert werden, dass z. B. die finanzstarken und bevölkerungsreichen Länder Hessen, Baden-Württemberg und Bayern bei dortiger besonders hoher Abstimmungsbeteiligung die restlichen Länder marginalisieren könnten. Hier sind viele unterschiedliche Varianten vorstellbar, um die Länder und den Föderalismus zu schützen.245 6. Zusammenfassung und Ausblick: Verfassungspflicht zur Einführung direkter Demokratie Repräsentative und direkte Demokratie können nebeneinander existieren, ohne die Steuerungsfähigkeit des Staates, den Schutz von Minderheiten, die Orientierung des Staates auf das Gemeinwohl oder den Föderalismus in 242  So Jürgen Kühling, Volksgesetzgebung und Grundgesetz – Mehr direkte Demokratie wagen, JuS 2009, S. 777–783, 779; s. Sebastian Blasche, Die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung, 2006, S. 130 ff. 243  Jürgen Kühling, Volksgesetzgebung und Grundgesetz – Mehr direkte Demokratie wagen, JuS 2009, S. 777–783, 779. 244  Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 122; Uwe Leonardy, Plebiszit und Bundesstaat: Eine Rezension mit Ergänzungen zur Diskussion, ZParl 1992, S. 163–167, 166. 245  S. Hermann K. Heußner, Zur Integration von Volksgesetzgebung in das politische System Deutschlands, in: Tobias Mörschel/Michael Efler (Hrsg.), Direkte Demokratie auf Bundesebene. Ausgestaltung direktdemokratischer Verfahren im deutschen Regierungssystem, 2013, S. 21–39, 33; s. auch Denise Estel, Bundesstaatsprinzip und direkte Demokratie im Grundgesetz, 2006, passim; Hans-Peter Hufschlag, Einfügung plebiszitärer Komponenten in das Grundgesetz?, 1999, S. 290 ff.

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Deutschland zu gefährden. Die gegen direkte Demokratie vorgebrachten Gefährdungen sind entweder nur vermeintliche Gefährdungen oder lassen sich mit Hilfe des Gewaltenteilungsprinzips einhegen. Direkte Demokratie erlaubt kollektive Selbstbestimmung und achtet individuelle Selbstbestimmung und erhöht so die Legitimation staatlicher Entscheidungen. Vor allem das Parlament und die Verfassungsgerichte erlauben eine Kontrolle der Gefährdungen, die von der Volksgesetzgebung ausgehen. Nichts steht somit der Einführung direkter Demokratie durch den Verfassungsgesetzgeber im Wege. Auch die direkte Demokratie auf Landesebene lässt sich entsprechend verbessern, etwa indem Sachbereiche, die bislang im Wege direkter Demokratie nicht geregelt werden dürfen, ausgeweitet werden oder die Integration von direkter und repräsentativer Demokratie entwickelt wird. Als Optimierungsgebot ist das Demokratieprinzip auf volle Verwirklichung angelegt. Mangels entgegenstehender Gründe existiert eine Pflicht des verfassungsändernden Gesetzgebers, direkte Demokratie auf Bundesebene einzuführen. Darüberhinausgehend ist der Einzelne zur Abstimmung zu aktivieren. Hier ist daran zu denken, dass der Staat die Einzelnen informiert, ihnen frühzeitig die Abstimmungsunterlagen zukommen lässt sowie entsprechende sachliche Informationen zu der Abstimmungsfrage, u. a., aber nicht nur, im Internet,246 zur Verfügung stellt, ausreichend und leicht erreichbare Abstimmungslokale und die Möglichkeit für Briefwahlen eröffnet und, sofern möglich, die Abstimmungen auf Wahltage legt.

B. Stärkung der Beteiligung am parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren Weitere Optimierungsmöglichkeiten bestehen im Bereich der parlamentarischen Gesetzgebung. Hier existieren zwar auch Beteiligungsformen, die aber 246  Zu Demokratie und Internet gibt es inzwischen eine unübersichtliche Menge an Literatur. Trotz aller Hoffnungen wird man momentan noch das Internet lediglich als Informations- und Kommunikationsmedium nutzen können, aber auch müssen. S. dazu Torsten Siegel, E-Government und das Verwaltungsverfahrensgesetz, DVBl. 2020, S. 552–558; Bernd Hartmann, Digitale Partizipation: Chancen und Risiken elektronischer Bürgerbeteiligung in Verwaltungsverfahren, MMR 2017, S. 383–386; Daniel Rüscher, Der digitale Zugang der Bürger zum Staat durch das Onlinezugangsgesetz, DVBl. 2017, S. 1530–1535; Gabriele Buchholtz, Demokratie und Teilhabe in der digitalen Zeit, DÖV 2017, S. 1009–1016. Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Partizipationsstudie 2014: Online mitmachen und entscheiden, 2014; Kathrin Voss (Hrsg.), Internet und Partizipation. Bottom-up oder Top-down? Politische Beteiligungsmöglichkeiten im Internet, 2014; Miriam Meckel/Christian P. Hoffmann/Christoph Lutz/Robin Poëll, DIVSI-Studie zu Bereichen und Formen der Beteiligung im Internet: Ein Überblick über den Stand der Forschung, 2014; Schlussbericht der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“, 5. April 2013, BT-Drs. 17/12550.



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zumeist ins freie Ermessen des Bundestages gestellt sind. Um Demokratie zu stärken, sollten die Einzelnen ein Recht auf Beteiligung im Wege eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens besitzen. Hier hilft ein Blick nach Südafrika. Südafrika ist als Verfassungsstaat mit einem starken Verfassungsgericht unserem System ähnlich,247 besitzt aber ein weitergehendes Demokratieverständnis.248 Die demokratische Fundierung dieser Beteiligungsform ist in der Verfassung angelegt249 und wurde zudem vom Verfassungsgericht in verschiedenen Urteilen ausgelegt und entwickelt.250 Die in Südafrika stark ausgeprägte Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung wird auf das Prinzip des Reponsive government zurückgeführt.251 Das Prinzip ist gleich zu Beginn der Verfassung normiert. In Section 1 heißt es, dass Südafrika ein souveräner, demokratischer Staat ist, der auf bestimmten Werten beruht, zu denen nach litera d) „universal adult suffrage, a national common voters roll, regular elections and a multi-party system of democratic government, to ensure accountability, responsiveness and openness“ gehören. Diese Werte sprechen 247  S. Henk Botha, Learning to Live with Plurality and Dissent: The Grundgesetz in South Africa, in: Peter Häberle (Hrsg.), 60 Jahre deutsches Grundgesetz, 2011, S. 409–430. 248  S. dazu ausführlich S. Theunis Roux, The Principle of Democracy in South African Constitutional Law, in: Stu Woolman/Michael Bishop (Hrsg.), Constitutional Conversations, 2008, S. 79–96; Henk Botha, Learning to Live with Plurality and Dissent: The Grundgesetz in South Africa, in: Peter Häberle (Hrsg.), 60 Jahre deutsches Grundgesetz, 2011, S. 409–430; Barbara Loots, Civic Dignity as the Basis for Public Participation in the Legislative Process, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 257–274. 249  Section 59 Constitution of South Africa ist überschrieben mit „Public access to and involvement in the National Assembly“. Absatz 1 sieht vor: „The National Assembly must a. facilitate public involvement in the legislative and other processes of the Assembly and its committees; and b. conduct its business in an open manner, and hold its sittings, and those of its committees, in public, but reasonable measures may be taken i. to regulate public access, including access of the media, to the Assembly and its committees; and ii. to provide for the searching of any person and, where appropriate, the refusal of entry to, or the removal of, any person. Absatz 2 bestimmt: The National Assembly may not exclude the public, including the media, from a sitting of a committee unless it is reasonable and justifiable to do so in an open and democratic society“. 250  S. z. B. South African Constitutional Court, Doctors for Life International v the Speaker of the National Assembly and Others, 2006 (6) SA 416 (CC); South African Constitutional Court, Matatiele Municipality and Others v President of the Republic of South Africa and Others, 2007 (1) BCLR 47 (CC); South African Constitutional Court, Merafong Demarcation Forum and Others v President of the RSA & Others, 2008 (10) BCLR 969 (CC). 251  S. zum Begriff der Responsivität die Nachweise oben S. 50, Fn. 13.

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nach dem Verfassungsgericht für ein partizipatorisches Verständnis von Demokratie: „[The c]ommitment to principles of accountability, responsiveness and openness shows that our constitutional democracy is not only representative but also contains participatory elements. This is a defining feature of the democracy that is contemplated. It is apparent from the preamble of the Constitution that one of the basic objectives of our constitutional enterprise is the establishment of a democratic and open government in which the people shall participate to some degree in the law-making process.“252

Um eine solche Beteiligung zu ermöglichen, besteht entsprechend der USamerikanischen Notice-and-comment-Procedure und dem deutschen Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren die Möglichkeit auf Parlamentsebene Einwendungen zu erheben. Die „method of public participation in the law-making process [is] through the submission of written or oral representations on the bill under consideration by Parliament or through a combination of both written and oral submissions [or] public hearings.“253

Nachdem die Einwendungen erhoben worden sind, müssen sie berücksichtigt werden: „Legislatures have discretion to determine how to fulfil the obligation. Citizens must however have a meaningful opportunity to be heard. The question for a court to determine is whether a legislature has done what is reasonable in all the circumstances. […] Public involvement cannot be meaningful in the absence of a willingness to consider all views expressed by the public.“254

Da die Pflicht, Bürger ausreichend im Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen, nicht immer eingehalten wurde, wurden schon Gesetze für rechtswidrig erklärt.255 252  South African Constitutional Court, Doctors for Life International v the Speaker of the National Assembly and Others, 2006 (6) SA 416 (CC), Rn. 111. 253  South African Constitutional Court, Doctors for Life International v the Speaker of the National Assembly and Others, 2006 (6) SA 416 (CC), Rn. 142. S. auch die Joint Rules of Parliament, Rule 6(1)(b)(ii); Rules of the National Council of Provinces, Rule 5(1)(c)(iii); Standing Rules of the Eastern Cape Provincial Legislature, Rule 32.1. 254  South African Constitutional Court, Merafong Demarcation Forum and Others v President of the RSA & Others, 2008 (10) BCLR 969 (CC), Rn. 27, 51. 255  South African Constitutional Court, Doctors for Life International v the Speaker of the National Assembly and Others, 2006 (6) SA 416 (CC); South African Constitutional Court, Matatiele Municipality and Others v President of the Republic of South Africa and Others, 2007 (1) BCLR 47 (CC). Siehe dazu Theunis Roux, The Principle of Democracy in South African Constitutional Law, in: Stu Woolman/Michael Bishop (Hrsg.), Constitutional Conversations, 2008, S. 79–96 und Danie Brand, Reply: Writing the Law Democratically, in: ebd., S. 97–111; Barbara Loots, Civic



Kapitel 8: Optimierung der Legislative: Mehr Beteiligung wagen489

An diesem aus Südafrika stammenden Vorbild lässt sich de lege ferenda gut orientieren. Im Sinne einer Stärkung demokratischer Legitimation durch Beteiligung Einzelner sollte auch in Deutschland ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren auf parlamentarischer Gesetzgebungsebene eingeführt werden.256 Von einem solchen Verfahren drohen keine Gefährdungen des parlamentarischen Verfahrens. Die oben genannten Gefährdungen durch direkte Demokratie sind hier alle nicht einschlägig: Da die Entscheidungs­ hoheit in der Hand des Parlaments bleibt, besteht keine der Gefahren, die sich auf die Entscheidungshoheit des Volkes bezieht. Der davon unabhängige Vorwurf mangelnder Funktionalität aufgrund der Verzögerung des Verfahrens muss ernst genommen, aber auch richtig gewichtet werden: Durch angemessene Verfahrensregeln und eine entsprechende Einbettung in den Gesetzgebungsprozess lässt sich das Verfahren entsprechend straffen.

C. Fazit und Bewertung: Stärkung der Legitimation staatlicher Hoheitsgewalt durch mehr imperative Partizipation auf Legislativebene Auf Legislativebene besteht viel Raum kollektive Selbstbestimmung zu stärken, Partizipation auszuweiten und so die Legitimation von Gesetzen noch weiter zu steigern. Die Einführung direkter Demokratie auf Bundesebene, eines Beteiligungsverfahrens im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung und die Ausweitung der abstimmungsfähigen Materien direkter Demokratie auf Landesebene sind dabei nicht nur möglich, sondern ein Gebot, das aus dem Demokratieprinzip als Optimierungsgebot folgt und in dem von der Theorie imperativer Partizipation vorgegebenen Rahmen ausgefüllt werden sollte. Es gilt also, dass auf Ebene der Legislative mehr Beteiligung gewagt werden kann und auch zu wagen ist. Dadurch lässt sich auch die Legitimation deutscher Staatsgewalt steigern.

Dignity as the Basis for Public Participation in the Legislative Process, in: Henk Botha/Nils Schaks/Dominik Steiger (Hrsg.), Das Ende des repräsentativen Staates? Demokratie am Scheideweg – Eine Deutsch-Südafrikanische Perspektive/The End of the Representative State? Democracy at the Crossroads – A German-South African Perspective, 2016, S. 257–274; s. auch Monica de Souza/Nolundi Luwaya/Thuto Thipe, „The Advert Was Put Up Yesterday“: Public Participation in the Traditional Courts Bill Legislative Process, New York Law School Law Review 2015–2016, S. 519–551. 256  Ebenfalls aufgeschlossen für ein solches Beteiligungsverfahren Felix Ekardt/ Katharina Pöhlmann, Die neue EG-Öffentlichkeitsrichtlinie – mehr Partizipation für die Bürger?, ThürVBl. 2005, S. 252–256, 256 m. w. N.

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Kapitel 9

Optimierung der Exekutive: Mehr und bessere Beteiligung wagen Die Beteiligung an der Ausübung von Staatsgewalt durch die Exekutive de lege lata hat sich als ambivalent herausgestellt. Zum einen fehlt es ganz an demokratischen Beteiligungsverfahren, z. B. bei der Rechtsverordnungsgebung. Zum anderen existieren dem Grunde nach vorbildhafte demokratische Beteiligungsverfahren als Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren, die aber oft im Einzelnen verbesserungsfähig sind. Die rechtsstaatlichen Beteiligungsverfahren sind zwar grundsätzlich hinlänglich ausgeprägt, durch die Möglichkeit der Nachholung einer unterbliebenen Anhörung wird das Recht aus § 28 VwVfG aber unterlaufen. In allen Bereichen der Verwaltung zeigt sich daher ein Optimierungsbedarf. Aus einer Zusammenschau der Theorie der imperativen Partizipation und dem Verständnis von Demokratie- und Rechtsstaatsgebot als Optimierungsgebot folgen Verbesserungsvorschläge de lege ferenda für die Beteiligung an Handlungen der Exekutive, die der Stärkung der Legitimation staatlichen Handelns dienen. Es wird vorgeschlagen, das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren auch bei der Rechtsverordnungsgebung einzuführen (A.). Auf Planungsebene ist es zu optimieren, um eine effektive Wirksamkeit der Beteiligung sicherzustellen (B.), ebenso im Rahmen von Genehmigungsverfahren, die auch kollektiver Selbstbestimmung dienen (C.). Die funktionale Selbstverwaltung kann hier Legitimationsdefizite verringern, wenn sie entsprechende Partizipationsformen einführt (D.). Schließlich ist das rechtsstaatliche Beteiligungsverfahren zu stärken (E.). Abschließend ist zu untersuchen, ob die vorgeschlagenen Optimierungen der Beteiligungsmöglichkeiten zu Gefährdungen von Demokratie und Rechtsstaat führen und diese gegen verstärkte Partizipation sprechen können (F.).

A. Rechtsverordnungsgebung: Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens Rechtsverordnungsgebung orientiert sich an der repräsentativen Demo­ kratie auf Bundesebene. Dementsprechend wurde auch beim exekutiven Handeln eine repräsentative Herangehensweise gewählt. Einzelne, sofern sie sich überhaupt beteiligen dürfen, dürfen sich nur als Repräsentanten bestimmter Gruppen beteiligen.257 Damit existiert zwar dem Grunde nach der 257  S. oben

S. 163 ff.



Kapitel 9: Optimierung der Exekutive491

Partizipationsgedanke auch in der Rechtsverordnungsgebung, er ist jedoch pluralistisch und nicht partizipativ ausgestaltet. Bei der Rechtsverordnungsgebung sind dementsprechend nur „spärliche“258 Beteiligungsmöglichkeiten vorgesehen. Es zeigt sich eine Parallele der Beteiligung im parlamentarischen System und der Beteiligung bei der Rechtsverordnungsgebung de lege lata: jeweils wird der Repräsentation ein hoher Stellenwert zugemessen. Dies entspricht der Logik eines repräsentativen Systems. Rechtsverordnungsgebung und Parlamentsgesetzgebung sind eng miteinander verbunden, da Rechtsverordnungen von allen exekutiven Handlungsformen am ehesten kollektive Selbstbestimmung ermöglichen. Entsprechend dem Argument auf der Ebene der Legislative, dass eine Entwicklung des repräsentativen Systems hin zu mehr partizipativ-demokratischen Elementen notwendig ist, sind dann auch hier mehr solcher Elemente einzuführen, um Demokratie zu stärken und die Legitimation von Rechtsverordnungen zu erhöhen. Aus dem Demokratieprinzip als Optimierungsgebot folgt nicht nur eine Pflicht zur Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsver­ fahrens,259 sondern mutatis mutandis auch eine entsprechende Pflicht zur Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens im Rahmen der Rechtsverordnungsgebung. Im Mittelpunkt des Beteiligungsverfahren steht dann jeweils der Einzelne und nicht mehr der Repräsentant. Das bedeutet nicht, dass das Volk an Stelle der Regierung entscheiden können soll: Dieses Recht, ein anderes Staatsorgan zu ersetzen, kommt ihm alleine auf der Ebene der Legislative, der formellen Gesetzgebung zu.260 Es soll sich aber auch bei der Rechtsverordnungsgebung einbringen können und zwar direkt und nicht über „Vertreter“. Aus der freiwilligen Beteiligung von „Repräsentanten“ sollte also eine für den Staat verpflichtende und für den Einzelnen freiwillige Partizipationsmöglichkeit entsprechend dem Vorbild des Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens geschaffen werden.

von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000, S. 410. S. 486 ff. 260  Damit kann das Volk im Fall der Einführung der direkten Demokratie auf Bundesebene aber auch direkt über die Änderungen von Rechtsverordnungen entscheiden, jedoch nur anstelle des Parlaments und nicht anstelle der Regierung. S. zu den Voraussetzungen der Änderung einer Rechtsverordnung durch das Parlament BVerfGE 114, 196 – Beitragssatzsicherungsgesetz. S. dazu Christofer Lenz, Die Umgehung des Bundesrats bei der Verordnungsänderung durch Parlamentsgesetz, NVwZ 2006, S. 296–298, 297 f. 258  Armin

259  S. oben

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B. Planung: Stärkung demokratischer Beteiligung im Detail Abgesehen von wenigen Ausnahmen (I.) entsprechen anders als bei der Rechtsverordnungsgebung bei der Planung das „ob“ und das „wie“ der Beteiligung größtenteils der Theorie imperativer Partizipation: Die betroffene Öffentlichkeit darf nicht entscheiden, jedoch müssen ihre Eingaben berücksichtigt werden. Im Detail jedoch bestehen vielfach Verbesserungsmöglichkeiten. Die Anforderungen an die Qualität der Beteiligung misst sich vor allem daran, ob die verschiedenen Ziele von Beteiligung erreicht werden können. Der Maßstab folgt aus dem Optimierungsgebot sowie dem Gebot der effektiven Funktionalität.261 Unabhängig davon, ob der Zweck der Beteiligung die Informierung der Behörde, der Schutz von Individualrechten oder die Stärkung und Ermöglichung von Demokratie ist, muss die planende Stelle in der Lage sein, ihre bisherige Planung aufgrund der Partizipationsergebnisse gegebenenfalls anzupassen und zu ändern. Dies ist z. B. dann nicht mehr möglich, wenn bestimmte Festlegungen schon vor dem Beteiligungsverfahren getroffen wurden. Kategorien für eine effektive Beteiligung sind der Zeitpunkt der Beteiligung im Planungsprozess (II.), die Länge der Fristen, die für die Beteiligung zur Verfügung stehen (III.), die Art und Weise der Bekanntmachung der Beteiligungsverfahren und die Auslegung der Planunterlagen (IV.) und die Art und Weise der Beteiligung selbst (V.) und schließlich, wie die Berücksichtigungspflichten genau ausgestaltet sind (VI.). Abschließend sollen Überlegungen angestellt werden, ob der Öffentlichkeitsbeteiligung insgesamt ein höherer Stellenwert zugewiesen werden sollte, indem zentrale Beteiligungsverfahren und Beteiligungsinstitutionen geschaffen werden (VII.). I. Planung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung: Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens Es ist nicht falsch zu sagen, dass Planung sich neben der finalen Programmierung der Verwaltung vor allem durch ihre ausgeprägte Öffentlichkeitsbeteiligung auszeichnet. Gleichwohl gibt es kommunale Planung ohne Beteili261  Auf die effektive, angemessene und wirksame Beteiligung wird auch einfachgesetzlich abgestellt. Art. 6 UVP-RL und Art. 15 IVU-RL verlangen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung frühzeitig und in effektiver Weise erfolgen muss. Nach § 42 Abs. 2 S. 1 UVPG n. F. (§ 14i Abs. 2 S. 1 UVPG a. F.) hat die Behörde eine angemessene Äußerungsfrist von mindestens einem Monat zu bestimmen. § 42 Abs. 2 S. 2 UVPG n. F. (§ 14i Abs. 2 S. 2 UVPG a. F.) verlangt, dass der Auslegungsort so festzulegen ist, dass eine wirksame Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit gewährleistet ist.



Kapitel 9: Optimierung der Exekutive493

gung.262 Hier besteht Verbesserungsbedarf. Das Beispiel der Aufstellung von Krankenhausplänen hat gezeigt, dass die deutsche Öffentlichkeitsbeteiligung vielfach Stückwerk ist. Ebenso wie beim Fehlen von Möglichkeiten direkter Demokratie auf Legislativebene oder von echten Beteiligungsmöglichkeiten beim Erlass von Rechtsverordnungen zeigt sich, dass obgleich kollektive Selbstbestimmung betroffen ist, keine entsprechenden alle erfassenden Beteiligungsmöglichkeiten existieren, sondern die Beteiligung pluralistisch oder korporativ verstanden wird, indem Interessensverbände eingeladen werden. Dies gilt, obgleich Beteiligungsmöglichkeiten sich gut in die Ausübung der Staatsgewalt einfügen und kollektive Selbstbestimmung fördern und so auch demokratische Legitimation erhöhen. Aufgrund des Optimierungsgehalts des Demokratieprinzips ist hier eine zwingende Beteiligung der (betroffenen) Öffentlichkeit einzuführen. Ähnlich verhält es sich bei der Genehmigung von Flugrouten im Rahmen eines Flughafenbaus.263 Da das Planfeststellungsverfahren sich nicht hierauf erstreckt, ist keine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen. Die Flugrouten sind so wesentlich für die betroffene Öffentlichkeit, dass es hier zu einer entsprechenden Ausweitung kommen sollte – zumal keine anderen Formen der Beteiligung vorgesehen sind. II. Erweiterung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung auf weitere Planungsstufen Es kann inzwischen als Binsenweisheit gelten, dass je früher die Öffentlichkeitsbeteiligung einsetzt, desto eher einerseits noch konkret Einfluss auf die Planung genommen werden kann und desto höher andererseits die positiven Wirkungen der Beteiligung nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Vorhabenträger und den Staat sind.264 Je früher die Öffentlichkeit invol262  S. dazu oben S 335. Hinzu kommt die vorbereitende, politische Planung der Bundesregierung. Sie ist aber nicht Gegenstand dieser Arbeit, weil sie bislang als dem Verfahrensrecht entzogen angesehen wird, s. dazu Thomas Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, 1979. Wenn aber kein Verfahrensrecht Anwendung findet, dann können auch keine Beteiligungsregeln Anwendung finden. Im Fall zukünftiger Entwicklungen in diesem Bereich kann dieses Ergebnis reevaluiert werden und unter Umständen zu einer anderen Antwort führen. 263  Nach § 27a LuftVO; § 27c LuftVG werden sie nicht im Planfeststellungsverfahren festgesetzt, ebenso fehlt eine andere Öffentlichkeitsbeteiligung, so dass es gar keine gibt, BVerwG UPR 1999, S. 355 f.; BVerwGE 125, 116, 182; BVerwG UPR 2008, S. 186, 187 f.; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 227 m. w. N.; dies kritisiert auch Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512. 264  Vgl. dazu u. a. Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012,

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viert wird, umso eher kann Fehlentwicklungen entgegengesteuert werden. Für den Vorhabenträger kann es fatal sein, wenn die Öffentlichkeit gegen sein Projekt eingestellt ist, z. B. wenn Proteste und eventuelle Gerichtsverfahren das Vorhaben hinauszögern und verteuern. Es ist daher wichtig, so früh wie möglich die Öffentlichkeit zu beteiligen, um besser mit eventuellen Widerständen umgehen zu können. Aus dieser Logik heraus sehen Art. 6 UVP-RL und Art. 15 IVU-RL vor, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung „frühzeitig und in effektiver Weise“ erfolgen muss. Ganz im Gegenteil ist aber bei der Raum- und Fachplanung zu bemängeln, dass Öffentlichkeitsbeteiligung für das konkrete Projekt, also dann, wenn sich die Öffentlichkeit zu interessieren beginnt, zu spät stattfindet.265 Diese Kritik lässt sich auf alle Planungsebenen übertragen. Auch beim Bundesverkehrswegeplan findet die Beteiligung zu spät, nämlich erst nach der Konzept-, Prognose- und Bewertungsphase statt. Dies ist deswegen zu spät, weil ein schon fertiger und in sich abgestimmter Planentwurf vorliegt. Hier muss insgesamt früher angesetzt werden. Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob es „um die rechtsstaatliche Dimension des Schutzes vor [einer schon getroffenen Planungsentscheidung oder] um die Eröffnung politischer Teilhabe an einer erst noch zu treffenden Planungsentscheidung geht“.266 Nur eine frühzeitige Beteiligung garantiert die Eröffnung politischer Teilhabe. Zwar wird auf freiwilliger Basis inzwischen eine solche frühe Beteiligung durchgeführt, sie sollte aber gesetzlich verankert sein.

S. 91–94, 92. Wenngleich ebenfalls vorgebracht wird, dass die Aktivierung des Bürgers schwierig ist, wenn keine individuelle Betroffenheit zu erkennen ist, Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363; Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 236 ff. S. schon Dieter Haack, Eröffnungsansprache des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, in: Willi Blümel (Hrsg.), Frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Planungen, 1982, S. 13–21, 13 f. 265  Michael Fehling, Reform der Bürgerbeteiligung für die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben, Bucerius Law Journal 2012, S. 92–100, 95; Alfred G. Debus, Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung am Beispiel des Erörterungtermins, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 32. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. Leipzig 2008, 2009, S. 185–203, 199; Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 344; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 839. 266  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 229.



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Die oben positiv hervorgehobene Öffentlichkeitsbeteiligung nach EnWG267 dient aber nur bedingt als Vorbild für die Schienen- und Straßenbedarfsplanung. Während hier die Vorhabenträger staatlich sind, sind sie bei der Netzentwicklungsplanung privat. Es ist daher zu empfehlen, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung einzuführen und die Öffentlichkeitsbeteiligung zusätzlich schon vor der Aufstellung des Planentwurfs zu ermöglichen. Das Gleiche gilt für das Beteiligungsverfahren in der Raumplanung.268 Auch hier sollte eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung zwingend eingeführt und aus dem einstufigen Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren ein zweistufiges Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren gemacht werden. Das würde verhindern, dass die Öffentlichkeit mit einem schon fertigen Plan konfrontiert wird. Gerade Alternativen, etwa nach Nr. 2d Anlage 1 zu § 8 Abs. 1 ROG n. F. (§ 9 Abs. 1 ROG a. F.), lassen sich dann am besten diskutieren, wenn es noch keine (Vor-)festlegungen gibt.269 In den Fällen, in denen das UVPG Anwendung findet, ist ebenfalls keine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben. Das führt dazu, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung „grundsätzlich erst im Zulassungsverfahren, d. h. dann durchgeführt werden, wenn wesentliche Entscheidungen über Standort, Dimension und eingesetzte Umwelttechnik des Vorhabens bereits gefallen sind.“270 Abhilfe erscheint möglich, indem etwa für die mögliche Besprechung vor der Unterrichtung über den Untersuchungsrahmen der UVP, § 15 Abs. 3 UVPG n. F., bzw. der Besprechung vor der Festlegung des Untersuchungsrahmens der SUP, § 39 Abs. 4 S. 2 UVPG, (also dem „Scoping-Termin“) festgeschrieben wird, dass Dritte mit einzubeziehen sind.271 Zwar dient diese Besprechung vor allem der Vermeidung von Unklarheiten bezüg267  S. dazu

oben S. 186 ff.; S. 201 ff. oben S. 208 ff. 269  Peter Runkel, § 9 ROG, in: Willy Spannowsky/ders./Konrad Goppel (Hrsg.), Raumordnungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2018, Rn. 4. S. auch Michael Fehling, Reform der Bürgerbeteiligung für die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben, Bucerius Law Journal 2012, S. 92–100, 95; Alfred G. Debus, Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung am Beispiel des Erörterungtermins, in: Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Dokumentation zur 32. Wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V. Leipzig 2008, 2009, S. 185–203, 199; Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 344; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 839. 270  Alexander Schink, Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung und neue UVPAnforderungen für Unternehmen, DVBl. 2013, S. 1347–1355, 1348. 271  Vgl. Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 91 ff. 268  S. dazu

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lich Umfang, Inhalt oder Methoden der UVP. Gleichzeitig führt das Verfahren, obgleich es nicht auf Absprachen bezüglich der Genehmigungsfähigkeit abzielt, faktisch dennoch zu entsprechenden Vorfestlegungen, indem Entscheidungen über Antragsunterlagen und Gutachtenaufträge getroffen werden. So kann in diesen Verfahrensschritten das Verfahrensergebnis bereits vorweggenommen werden, so dass die folgende Öffentlichkeitsbeteiligung unter Umständen keinerlei Einfluss mehr hat.272 Gerade deshalb sollte schon die jeweilige Besprechung des § 15 Abs. 3 UVPG n. F. und des § 39 Abs. 4 S. 2 UVPG („Scoping-Termin“) benutzt werden, um auch die Öffentlichkeit zu beteiligen. Noch besser ist es, ein zentrales Beteiligungsverfahren zu schaffen.273 Auch beim Planfeststellungsverfahren findet die Öffentlichkeitsbeteiligung erst statt, nachdem der Plan schon vorliegt und eingereicht wurde. Dies gilt, obgleich gerade im Planfeststellungsverfahren eine frühzeitige Beteiligung gerade deshalb von Bedeutung ist, weil die Behörde den Plan des Vorhabenträgers nur nachvollzieht. Eine frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit in Bezug auf das konkrete Projekt dient daher nicht nur der Demokratisierung des Vorhabens, sondern auch der Vertrauensbildung. Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, die 2013 mit dem neuen § 25 Abs. 3 VwVfG eingeführt wurde, kann die hier artikulierten Erwartungen nicht erfüllen, da er weder Vorhabenträger noch die Verwaltung verpflichtet, eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen. § 25 Abs. 3 VwVfG lässt sich aber modifizieren und kann dann als allgemeine frühe Öffentlichkeitsbeteiligungsnorm dienen. Die dafür erforderliche Verpflichtung von Vorhabenträger und Verwaltung ist bei der Erstellung von Bauleitplänen schon lange üblich. Zwar wird der Unterschied einer verpflichtenden frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Bauplanungsrecht zu anderen Planungsverfahren mit den Besonderheiten erklärt, dass das Bauplanungsrecht einerseits kommunal radiziert sei und es andererseits aufgrund der „Reichweite“ der Planung nicht zu einer Betroffenheit der individuellen Selbstbestimmung eines Vorhabenträgers komme und daher Grundrechte des Vorhabenträgers einer frühen Beteiligung im Wege stehen können.274 Beide Argumente haben einen wahren Kern, reichen aber nicht aus, die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung im Bauplanungsrecht zu einer singulären Erscheinung zu minimieren. Gegen das erste Argument, das die Besonderheit der Selbstverwaltungsgarantie hervorhebt, spricht schon, dass nicht die Gemeindebürger, sondern die 272  Alexander Schink, Bürgerakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 238. 273  S. dazu sogleich unten S. 505 ff. 274  Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 5.



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Öffentlichkeit, und damit jedermann, beteiligtenfähig ist. Gegen das zweite Argument spricht, dass auf manchen Planungsstufen, etwa der Raumordnung, kein konkretes Vorhaben und damit keine Grundrechte betroffen sind, sondern der Gesamtraum. Aber auch in den Fällen, in denen es um konkrete Vorhaben geht, stehen Grundrechte einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung nicht zwingendermaßen entgegen. Zwar stellt die Pflicht zur Öffentlichkeitsbeteiligung einen Eingriff in die Handlungsfreiheit dar,275 aber hier dienen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip als rechtfertigende Elemente. Auch im EnWG werden die privaten Vorhabenträger verpflichtet, eine Art frühe Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Erstellung des Szenariorahmens und des Netzentwicklungsplans durchzuführen. Eine solche verpflichtende frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist also möglich, stärkt die Ziele von Beteiligung und damit auch die Legitimation staatlichen Handelns. III. Verlängerung der Auslegungs- und Äußerungsfristen Vielfach wird bemängelt, dass die Beteiligungsfristen zu kurz angelegt seien.276 Dies betrifft neben der Auslegungsfrist277 auch die Äußerungsfrist278. Diese Kritik trifft oft, aber nicht immer zu, denn es ist entscheidend auf die Komplexität der jeweiligen Sachfrage abzustellen. Die Auslegungsfristen für die Pläne betragen in der Regel einen Monat, die anschließenden Äußerungsfristen in der Regel zwei Wochen. Dies kann unter Umständen zu kurz sein. Es kommt jeweils auf die Komplexität der Materie an, weshalb von starren Fristen abzuraten ist. Außerdem bedürfen nicht nur Großprojekte der Akzeptanz der Öffentlichkeit, sondern auch die Öffentlichkeitsbeteiligung bedarf der Akzeptanz der Öffentlichkeit. Im Sinne einer effektiven Handlungsfähigkeit des Staates dürfen die Fristen deshalb auch nicht zu lang sein. Gleichzeitig muss der Öffentlichkeit ausreichend Zeit bleiben, damit sie sich möglichst fundiert beteiligen kann. Die Auslegungsfrist im Rahmen der Bedarfsplanung und der meisten anderen Planungen von einem Monat ist eher kurz gefasst. Da es sich hier um 275  Darauf

zu Recht hinweisend der Gesetzesentwurf, BT-Drs. 17/9666, S. 15. EuGH, Urteil v. 15. Oktober 2015 – C-137/14, Rn. 75 ff. Für eine kritische Überprüfung der einmonatigen Auslegungs- und zweiwöchigen Äußerungsfristen Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 184. Für kürzere Fristen allerdings Matthias Knauff, Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DÖV 2012, S. 1–8, 7. 277  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012, S. 91–94, 92. 278  S. dazu oben S 287. 276  S. z. B.

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die erste Stufe der Planung handelt, sollte der Öffentlichkeit mehr Zeit gegeben werden, sich zu informieren. Nur so ist eine sinnvolle Beteiligung der Einzelnen möglich. Alternativ zu starren Fristen sehen die Verfahren der Raumplanung und der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Auslegungsfrist von „mindestens einem Monat“ vor. Dies erscheint der richtige Ansatz zu sein. Voraussetzung ist aber, dass die Behörde ihr Ermessen auch immer ausübt und nicht unabhängig von der Komplexität der Materie an der Ein­ monatsfrist starr festhält. Es erscheint überdies ratsam, auch in anderen Fällen der Behörde ein Ermessen bezüglich der Fristen einzuräumen. Dies gälte dann etwa für die Äußerungsfrist, die meist kürzer bemessen ist als die Auslegungsfrist und in der Regel zwei Wochen beträgt. Im SUP-Verfahren, § 42 UVPG n. F. (§ 14i UVPG a. F.) und in der Raumordnung beträgt sie aber ­einen Monat. Dies spricht dafür, grundsätzlich eine Verlängerungsoption für die Verwaltung vorzusehen. Die unterschiedlichen Fristenregeln sind aufgrund der unterschiedlichen Komplexität der Materie sachangemessen.279 Eine Vereinheitlichung der Fristen, obgleich vielfach für sie plädiert wird,280 ist daher nicht angezeigt. Die Komplexität eines Bebauungsplans wird aber öfter unter der eines Raumordnungsplans liegen, vor allem weil der Bürger weniger damit vertraut sein wird.281 Eine angemessene Äußerungsfrist wird daher in manchen Fällen länger bemessen sein müssen.282 So sah § 7 Abs. 3 S. 3 Hessisches Landesplanungsgesetz vor der Reform des Raumordnungsgesetzes, das die Öffentlichkeitsbeteiligung in § 9 ROG n. F. (§ 10 ROG a. F.) einheitlich regelte, sogar eine viermonatige Frist bei der Regionalplanung vor. Eine Vereinheitlichung ist aber insofern hilfreich, indem man mit der Regelungstechnik arbeitet, nach der die Behörde eine Mindestfrist zu beachten hat, die aber je nach Komplexität der Planung ausgedehnt werden kann. Dafür spricht auch, dass die meisten Fristen ja schon angeglichen sind.

279  Ebenso Martin Wickel, Die Änderungen im Planfeststellungsverfahren durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben, UPR 2007, S. 201–206, 201. 280  U. a. Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Per­ spektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 105 f.: entsprechend denen des Planfeststellungsrechts; s. auch ebd., S. 72. 281  Aus diesem Grund gegen eine Vereinheitlichung Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 61. 282  So Jan Ziekow, Perspektiven von Öffentlichkeitsbeteiligung und Verbandsbeteiligung in der Raumordnung, NuR 2002, S. 701–708, 706.



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IV. Bekanntmachung des Beteiligungsverfahrens und Auslegung der Planunterlagen: Steigerung der Anzahl der sich tatsächlich Beteiligenden Die Art und Weise der Bekanntmachung muss ebenfalls dem Zweck der Beteiligung dienen. Deshalb wird im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung, zwar relativ allgemein, aber in der Sache dennoch völlig richtig, ausdrücklich bestimmt, dass die Auslegungsorte so festzulegen sind, dass eine wirksame Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit gewährleistet ist, § 42 Abs. 1 S. 2 UVPG n. F. (§ 14i UVPG a. F.). Damit ist das Ziel klar benannt. Konkrete Auslegungsorte werden aber nicht genannt. Bei ihrer Festlegung geht es darum, den Einzelnen, die sich beteiligen dürfen, die Beteiligung zu erleichtern. Je mehr und je besser der Staat informiert, desto effektiver wird er Beteiligung steigern können. Dies beginnt bei der Bekanntmachung des Beteiligungsverfahrens, die von der Auslegung der Unterlagen zu unterscheiden ist. Hier hat der Gesetzgeber 2013 mit der Einführung des § 27a VwVfG erkannt, dass das Internet auch als Bekanntmachungsort dienen kann. Die Norm ist aber von einer Soll- in eine Muss-Vorschrift zu ändern, so dass in dem Fall, in dem eine ortsübliche Bekanntmachung vorgeschrieben ist, diese zwingend auch im Internet bekannt gemacht werden muss. Außerdem ist die Regel, dass die Bekanntmachung eine Woche vor der Auslegung erfolgen muss, wiedereinzuführen. Dass die Vorlauffrist von einer Woche im Verwaltungsverfahrensgesetz gestrichen wurde und nunmehr ein Tag als ausreichend angesehen wird,283 trägt nicht zu einer effektiven und optimalen Öffentlichkeitsbeteiligung bei. Wichtiger als die Metainformation der Bekanntmachung der Auslegung ist die Information selbst: die Auslegungsunterlagen. Diese müssen vollständig sein. Regelungen, wie etwa in der 9. BImSchV, die vorsehen, dass nur bestimmte Unterlagen auszulegen sind, sind zu korrigieren. Der insgesamt re­ ­ striktive Ansatz im Bereich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ist aufzugeben,284 da nur so eine wirksame Beteiligung sichergestellt werden kann. Neben dem bloß passiven Auslegen der Unterlagen kann der Staat auch aktiv tätig werden und um Partizipation werben. Die Aktivierung der Öffent283  OVG Münster, Urteil v. 12. März 2009 – 20 D 60/07.AK UA S 9; Norbert Kämper, § 73 VwVfG, in: Johann Bader/Michael Ronellenfitsch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar VwVfG, Stand: 1. Juli 2015, Rn. 42. 284  Vgl. Johanna Wolff, Grenze der Heimlichkeit – Nicht-öffentliche Schiedsverfahren mit Beteiligung der öffentlichen Hand am Maßstab des Verfassungsrechts, NVwZ 2012, S. 205–209.

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lichkeit ist besonders wichtig: Je mehr Menschen sich beteiligen, desto demokratischer wird der Prozess.285 In der Realität ist hier noch viel Raum nach oben, auch wenn Broschüren wie das „Konzept zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2015“ oder das im Internet verfügbare „Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung – Planung von Großvorhaben im Verkehrssektor“ zeigen, dass der Staat Öffentlichkeitsbeteiligung ernster nimmt als früher und aktivierend tätig wird. Allerdings fehlt es an einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift, die eine solche aktivierende Beteiligung der Behörde vorschreibt. Dies ist anders im Wasserhaushaltsgesetz. Nach § 85 WHG fördert die zuständige Behörde die aktive Beteiligung aller interessierten Stellen an der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne.286 Eine solche Vorschrift ist allgemein in das Verwaltungsverfahren einzuführen. Effektiv ist Öffentlichkeitsbeteiligung schließlich nur dann, wenn der Einzelne Kenntnis besitzt über die Wirkungen der Öffentlichkeitsbeteiligung. Dies ist aber meist nicht der Fall: „Für den rechtsunkundigen Bürger, in den Details sogar für den Fachjuristen, ist das Zusammenspiel der verschiedenen Planungsebenen und sind vor allem die daraus für die nachfolgenden Ebenen resultierenden Bindungswirkungen kaum durchschaubar.“287

Hier ist der Staat in der Pflicht, die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten und Limitierungen von Öffentlichkeitsbeteiligung zu unterrichten:288 Beim Umgang mit der Öffentlichkeitsbeteiligung in der stufenweisen Planung ist etwa deutlich zu machen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht bindend ist und nicht sein kann, da sie ansonsten plebiszitähnlich wird. Der Staat muss über die Komplexität der Planung und vor allem den Umstand aufklären, dass auf bestimmten Stufen nur bestimmte Fragen mit oft nur einer 285  Bernhard Stüer, Stuttgart 21: Empfehlen sich Änderungen des Bau-, Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts? Beschlüsse des Arbeitskreises VIII des 4. Deutschen Baugerichtstags 2012, DVBl. 2012, S. 885–887, 886, spricht zu Recht von einer „Bringschuld der planenden Verwaltung.“ 286  S. auch die ähnliche Vorschrift des § 79 WHG, nachdem die Behörden eine aktive Beteiligung der interessierten Stellen bei der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Risikomanagementpläne nach § 75 fördern und sie mit den Maßnahmen nach § 83 Abs. 4 und § 85 WHG koordinieren. Der Begriff der interessierten Stelle wird gleich verwandt, Michael Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 2011, § 85, Rn. 3. 287  Michael Fehling, Reform der Bürgerbeteiligung für die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben, Bucerius Law Journal 2012, S. 92–100, 95. 288  S. auch Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1365 f.



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eingeschränkten Bindungswirkung entschieden werden. Gerade deshalb muss vor allem verdeutlicht werden, auf welchen Planungsstufen die Öffentlichkeit stärker auf die Frage des „Ob“ und nicht nur des „Wie“ Einfluss nehmen kann.289 Denkt die Öffentlichkeit hingegen, dass ihr Einfluss über ihre Erwartungen hinauswirkt, kommt es zwangsläufig zu Enttäuschungen, die wiederum in mangelnder Akzeptanz münden. V. Erweiterter Anwendungsbereich des Erörterungstermins Der Erörterungstermin dient dem Austausch über die Einwendungen der Öffentlichkeit. Er ist im UVPG,290 dem NABEG291 und dem VwVfG für Planfeststellungsverfahren,292 verpflichtend vorgesehen. Für spezielle Fälle der UVP und für spezielle Planfeststellungsverfahren ist er jedoch fakultativ gestellt.293 In anderen Fällen, etwa bei der Raumordnungsplanung, ist er grundsätzlich nicht einmal fakultativ vorgesehen.294 Der oft zu findende Verzicht auf den Erörterungstermin sollte trotz all der berechtigten Kritik an ihm295 geändert werden. Der Erörterungstermin ist vor allem aus demokratischen Gesichtspunkten zwingend vorzunehmen. Ihm kommt aufgrund seines kommunikativen Charakters sowie der grundsätzlichen Offenheit des Entscheidungsprozesses eine wesentliche demokratische Funktion zu. Durch ihn wird über die bloße Aggregation von Interessen hinausgegangen – und auch diese ist schon ein Fortschritt. Durch Deliberation und Diskurs wird die Möglichkeit, dass sich Interessen ändern und vielleicht sogar aufeinander zu bewegen. Die mög­ liche Transformation von Meinungen und Interessen hebt einen Diskurs besonders von anderen Beteiligungsformen hervor.296 Es ist ein Unterschied, ob 289  Vgl. nur Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 230; Birgit Peters, Die Bürgerbeteiligung nach dem Energiewirtschaftsund Netzausbaubeschleunigungsgesetz – Paradigmenwechsel für die Öffentlichkeitsbeteiligung im Verwaltungsverfahren, DVBl. 2015, S. 808–815, 815. 290  S. oben S. 198 f. 291  S. oben S. 274. 292  S. oben S. 271. 293  S. oben S. 276. 294  S. oben S. 217. 295  Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235. 296  Uwe Volkmann, Art. 20 GG (4. Teil), in: Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Ergänzungslieferung 11/2021, Rn. 12, spricht sogar von „transzendieren“; vgl. auch Jürgen Habermas, Faktizität

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man seine Einwendungen schriftlich geltend macht oder im Dialog und in einer Diskussion. Hier wird es schwieriger, sich Argumenten, Interessen und Anliegen der anderen zu entziehen.297 Der Erörterungstermin zwingt in besonderer Weise zu einer Auseinandersetzung in der Sache und erfüllt so eine Informations-, Diskurs-, Kontroll- und Transparenzfunktion.298 Er führt zu mehr Akzeptanz durch eine Entemotionalisierung der Debatte. Eine solche mittel- und langfristige Entemotionalisierung gilt selbst dann, wenn die Debatte selbst sehr emotional durchgeführt werden mag,299 die Ventilfunktion des Erörterungstermins ist nicht zu unterschätzen. Außerdem erlaubt die mit ihm einhergehende Transparenz Kontrolle.300 Auch führt der „Transparenzdruck“ ebenso wie der Dialog unter Umständen dazu, dass der Vorhabenträger die Planung noch einmal überdenkt.“301 Er wird dementsprechend als „Kernstück und Höhepunkt der Beteiligung“302 beschrieben. Gegen diese und Geltung, 1992, S. 349 ff.; J. Joshua Cohen, Deliberation and Democratic Legitimacy, in: Alan P. Hamlin/Philip Pettit (Hrsg.), The Good Polity, 1989, S. 17–34; David Miller, Deliberative Democracy and Social Choice, in: David Held (Hrsg.), Prospects for Democracy, 1993, S. 74–92. 297  Annette Guckelberger, Die diversen Facetten der Öffentlichkeitsbeteiligung bei wasserrechtlichen Planungen, NuR 2010, S. 835–842, 841; Pascale Cancik, Beschleunigung oder Re-Arkanisierung? Die Einschränkungen der Erörterung im Planfeststellungsverfahren, DÖV 2007, S. 107–115, 113, die auf die mangelnde empirische Forschung hinweist. 298  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 838. 299  Vgl. Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 36; Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 233, spricht von „Kampftermin“; ebenso Annette Guckelberger, Bürokratieabbau durch Abschaffung des Erörterungstermins?, DÖV 2006, S. 97–106, 101. 300  Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 235. 301  Vgl. Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 36. 302  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363. Ähnlich Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837; Wolfgang Hoffmann-Riem/Susanne Rubbert, Atom-rechtlicher Erörterungstermin und Öffentlichkeitsbeteiligung, 1984, S. 1; Alexander Schink, Bürger-



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positiven Effekte sind die Kosten, die der Erörterungstermin produziert – seien es die, die durch seine Veranstaltung selbst, aber auch durch eventuelle Verzögerungen anfallen – vernachlässigbar, auch weil es durch ihn nur zu geringen Verzögerungen kommt.303 Dies gilt zumindest dann, wenn man ihn vor dem Hintergrund der Gesamtdauer eines Vorhabens betrachtet, die mehrere Jahre beträgt. Selbst, wenn wie behauptet wird, bis zu 90 % der Äußerungen gar nichts mit der Sache zu tun haben,304 so überwiegen bei weitem die positiven Effekte. Allerdings wird er oft als lästige Pflichtaufgabe betrachtet,305 außerdem ist er vielfach fakultativ gestellt worden und trotz gegenteiliger Annahmen im Schrifttum306 wird zu häufig auf ihn verzichtet. Dies betrifft knapp jedes fünfte Planfeststellungsverfahren für Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen und fast jedes zweite Planfeststellungsverfahren für Eisenbahnen des Bundes.307 Dieser Verzicht entspricht nicht seinem zentralen Wert für einen demokratischen Diskurs. Neben der Pflicht zum Erörterungstermin ist auch eine Pflicht zur Teilnahme der relevanten Akteure wie etwa der Planfeststellungsbehörde oder der Vorhabenträger einzuführen. Außerdem sollten mehakzeptanz durch Öffentlichkeitsbeteiligung in der Planfeststellung, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 226–248, 233; Michael Ronellenfitsch, Die Planfeststellung, VerwArch 80 (1989), S. 92–123, 104: „Höhepunkt, in der Praxis zumeist die crux“; Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 72: „Kernstück“. 303  Vgl. zu den Kosten von Beteiligungsverfahren allgemein die Nachweise auf S. 71, Fn. 97. A. A. Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard SchmidtAßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 223. 304  Auf die 90 % verweist Günter Gaentzsch, Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren – Instrument der Sachverhaltsaufklärung oder Einladung zur Verfahrensverzögerung? in: Klaus-Peter Dolde/Klaus Hansmann/Stefan Paetow/Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft. Festschrift für Dieter Sellner, 2010, S. 219–235, 234, der aber keine Abschaffung fordert. 305  Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 512; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 227. 306  Heribert Schmitz/Lorenz Prell, Planvereinheitlichungsgesetz. Neue Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, NVwZ 2013, S. 745–754, 749; Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 837 f. 307  BT-Drs. 17/3331 v. 19. Oktober 2010, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Herbert Behrens, Eva Bulling-Schröter, Sabine Leidig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

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rere Erörterungstermine stattfinden, da jedenfalls der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren oft überladen ist.308 VI. Berücksichtigungspflicht: Genauere Vorgaben für die Verwaltung nötig Es besteht Übereinstimmung hinsichtlich der grundsätzlichen Rechtsfolgen der Beteiligung: Die Einwendungen des Bürgers sind zu berücksichtigen. So kann das Mehrheitsprinzip z. B. hier keine Anwendung finden. Zuhören, eine Dokumentation der Beteiligung und vor allem eine Abwägung inklusive einer Alternativenprüfung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung entspricht den demokratischen und rechtsstaatlichen Zielen der Beteiligung. Die verschiedenen einfachen Gesetze zeichnen sich dadurch aus, dass es keine kohärenten und umfassenden Vorgaben gibt, wie mit den Ergebnissen der Öffentlichkeitsbeteiligung umzugehen ist. Das Bundesverwaltungsgericht bringt das lapidar zum Ausdruck, indem es feststellt, das UVPG „verlangt also nur, daß die Zulassungsbehörde das Ziel der Umweltverträglichkeitsprüfung in ihre Erwägungen einbezieht, schreibt aber nicht vor, welche Folgerungen hieraus zu ziehen sind.“309 Dies ist zu ändern. Hier sollte der Gesetzgeber bestimmtere Vorgaben aufstellen und die Öffentlichkeitsbeteiligung dadurch weiterentwickeln und optimieren. So ist für den Einzelnen oft nicht ersichtlich, welche der für ihn wichtigen Gesichtspunkte in der Entscheidung der Behörde überhaupt berücksichtigungsfähig sind. Dies ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig, wie dem Gestaltungsspielraum der Behörde, der zu entscheidenden Sachfrage und vor allem den zwingend zu beachtenden Vorgaben. Hier bedarf es deutlicherer Hinweise für den Einzelnen. So sollte ausdrücklich festgelegt werden, zu welchen Sachkomplexen sich der Einzelne äußern darf. Ebenso muss der der Exekutive vom Gesetzgeber gewährte Abwägungsspielraum sowie die Bandbreite der in die Abwägung einzustellenden Belange deutlicher für den Einzelnen offengelegt werden. Nur so weiß der Einzelne, ob sein Interesse berücksichtigungsfähig ist oder nicht. Auch um das Wissen über die Berücksichtigung(sfähigkeit) von Einwendungen zu stärken, sowie um die Behörde besser kontrollieren zu können, ist es notwendig, dass die Dokumentations- und Nachsorgepflichten einheitlich geregelt werden. Hier kann die Abfallwirtschaftsplanung als Vorbild dienen: Danach ist die Annahme des Plans von der zuständigen Behörde in einem 308  Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1365. 309  BVerwG, NVwZ-RR 1999, S. 429, 430.



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amtlichen Veröffentlichungsblatt und auf einer öffentlich zugänglichen Webseite öffentlich bekannt zu machen; dabei ist in zusammengefasster Form über den Ablauf des Beteiligungsverfahrens und über die Gründe und Erwägungen, auf denen die getroffene Entscheidung beruht, zu unterrichten. Der angenommene Plan ist dauerhaft310 – und nicht wie beispielsweise bei Luftreinhalteplänen lediglich zwei Wochen – zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen, hierauf ist in der öffentlichen Bekanntmachung hinzuweisen. Des Weiteren muss im Sinne einer effektiven Beteiligung im Rahmen der Berücksichtigungspflicht die Pflicht zur aktiven Alternativenprüfung durch die Behörde ausgeweitet werden und die „Null-Variante“ so lange wie rechtlich möglich als Alternative in Betracht kommen. Die Pflicht zur Alterna­ tivenprüfung ist bislang zu schwach ausgeprägt.311 Das bedeutet unter Umständen, dass in dem Fall, in dem eine Einwenderin eine Alternative vorschlägt, die sie selbst nicht genau prüfen kann und die Behörde nicht ermitteln muss, keine Berücksichtigungspflicht der Behörde besteht. Dies ist nicht im Sinne einer wirksamen Beteiligung. Im Sinne einer effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung muss die Ermittlungspflicht auf allen Ebenen eng ausgelegt werden und nicht erst dann greifen, wenn sich Planungsalternativen auf­ drängen oder anderweitig hätten anbieten müssen.312 Vielmehr greift die ­Ermittlungspflicht entsprechend der oben zu § 53 UVPG n. F. vertretenen Aus­legung schon dann, wenn eine Alternative, „nicht offensichtlich … fern­ lieg[t].“313 Gerade dann, wenn die Öffentlichkeit sinnvolle Alternativen ins Spiel bringt, muss die Planfeststellungsbehörde diese ernsthaft in Betracht ziehen und nach einer Vorprüfung gegebenenfalls einer genauen Prüfung unterziehen. VII. Einrichtung zentraler Beteiligungsverfahren und -institutionen Die bislang vorgebrachten Verbesserungsmöglichkeiten erlauben eine weitgehende Demokratisierung der Verwaltung. Noch effektiver würde Be310  Matthias Schubert, § 32 KrWG, in: Hans D. Jarass/Frank Petersen (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsgesetz. Kommentar, 2014, Rn. 35. 311  Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225– 236, 231 m. w. N. 312  BVerwGE 69, 256, 273; 98, 339, 353; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 231; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 61; kritisch Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 342 f. 313  Reinhard Wulfhorst, Die Untersuchung von Alternativen im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung, NVwZ 2011, S. 1099–1103, 1101 f. m. w. N.

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teiligung wirken, wenn ein zentrales Beteiligungsverfahren geschaffen wird und gleichzeitig diese Beteiligung nicht nur punktuell, sondern dauerhaft begleitend wäre.314 Um ein solches Beteiligungsverfahren institutionell zu begleiten, sollte eine Öffentlichkeitsbeteiligungsbehörde geschaffen werden, deren Aufgabe die Durchführung und Effektivierung der verschiedenen Beteiligungsverfahren wäre. Ein solches zentrales Beteiligungsverfahren muss einerseits zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem sich bestimmte Vorhaben schon verdichtet und konkretisiert haben und andererseits auch noch zu einem solch offenen Planungsstadium, dass die „Null-Variante“ weiterhin möglich ist. Gerade wegen dieser notwendigen Offenheit wird der Begriff des Bedarfserörterungsverfahrens verwendet.315 Da es im Raumordnungsverfahren zwar grundsätzlich noch zu keiner parzellengenauen Planung kommt, dennoch unter Umständen Standort und Trassenverläufe als Zielbestimmungen schon gebiets- oder ­parzellenscharf festgelegt werden,316 erscheint es als Standort eines zentralen Beteiligungsverfahrens geeignet zu sein.317 Hier sollte das Interesse der 314  Ebenso plädiert Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 127 ff. für eine projektbegleitende und intergierende Sturktur der Beteiligung. 315  Martin Burgi, Das Bedarfserörterungsverfahren: Eine Reformoption für die Bürgerbeteiligung bei Grossprojekten, NVwZ 2012, S. 277–280. 316  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 835; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 226; Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 178; Rudolf Steinberg, Standortplanung umweltbelastender Großvorhaben durch Volksbegehren und Volksentscheid?, ZRP 1982, S. 113–118, 114; Wolfgang Durner, Konflikte räumlicher Planungen, 2005, S. 216 ff.; Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361–1369, 1363, Fn. 24; a. A. wohl Michael Fehling, Der Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), S. 278–337, 309. 317  Ebenso Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 839; Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 228 f.; s. auch Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 91 ff., der noch das „Scoping“-Verfahren und das Linienbestimmungsverfahren als mögliche oder gar zusätzliche Alternativen nennt; ähnlich auch Landesregierung Baden Württemberg, 7–Punkte-Porgramm für die Zeit nach der Faktenschlichtung zu Stuttgart 21, 2010, S. 2: „eine möglichst frühzeitige und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung einschließlich der Diskussion von Alternativentwürfen noch vor dem eigentlichen Planfeststellungsverfahren (etwa durch ein „Vorerörterungsverfahren“ oder im Rahmen des Raumordnungs- oder Linienbestimmungsver-



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Öffentlichkeit sich zu beteiligen am stärksten ausgeprägt sein, da langsam schon mögliche Beeinträchtigungen für den Einzelnen konkretisiert werden und bis zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig möglichst wenig Vorabfestlegungen getroffen wurden. Die Öffentlichkeit kann also schon grob absehen, welche Folgen aus dem Projekt entstehen. Andererseits ist das Projekt wegen der Abstraktheit noch nicht so hinreichend konkretisiert, dass die Beeinträchtigung eigener Belange schon in Frage steht. Weder auf Vorhabenträgerseite noch auf Öffentlichkeitsseite haben sich Erwartungen schon konkretisiert und Fronten in Folge schon verhärtet. An dieser Stelle ist noch vieles offen, weshalb das Raumordnungsverfahren der richtige Zeitpunkt für ein zentrales Beteiligungsverfahren darstellt. So wichtig ein solches frühes Bedarfserörterungsverfahren ist, so ist weitergehend in einem nächsten Schritt zu überlegen, wie das Beteiligungsverfahren von einem punktuellen zu einem dauerhaften Verfahren ausgebaut werden kann.318 Hier können neben den Regeln zum Netzausbau auch § 83 Abs. 4 WHG, der Art. 14 Abs. 1 S. 2 der Wasserrahmenrichtlinie in nationales Recht umsetzt,319 als Vorbild dienen. Danach hat jedermann dreimal die Gelegenheit zur Stellungnahme bei der Aufstellung der Bewirtschaftungspläne. Sie unterscheidet sich damit von allen vorher besprochenen Beteiligungsformen. Will man für alle verwaltungsrechtlichen Planungsverfahren ein zentrales Beteiligungsverfahren einerseits und eine kontinuierliches Beteiligungsverfahren andererseits schaffen, so ist als nächstes das Augenmerk auf die Institutionalisierung des Beteiligungsverfahrens zu richten. Hierfür sollte eine Öffentlichkeitsbeteiligungsbehörde geschaffen werden. So kann Beteiligung effektiver gestaltet werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligungsbehörde würde dann das Verwaltungsverfahren von Anfang an dauerhaft und kontinuierlich und nicht nur punktuell begleiten. Sie würde in gewisser Weise die Aufgabe fahrens).“; Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 276; ebenso Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 344 f.; s. auch Martin Burgi/Wolfgang Durner, Modernisierung des Verwaltungsverfahrensrechts durch Stärkung des VwVfG. Transparenz, Bürgerfreundlichkeit und Perspektiven der Bürgerbeteiligung insbesondere in Verfahren der Eröffnungskontrolle, 2012, S. 177 f. 318  S. Claudio Franzius, Stuttgart 21: Eine Epochenwende, GewArch 2012, S. 225–236, 229; Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 345. 319  Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie – WRRL), in Kraft seit 22. Dezember 2002.

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eines öffentlichen Prokurators oder eines Ombudsmanns einnehmen und wäre zentrale Anlaufstelle für alle Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung.320 „Hierhin liegt nicht nur eine Maßnahme der glaubwürdigen Neutralitätssicherung vor, sondern auch ein Instrument, um einen dauerhaften Dialog zu konstituieren und damit das in einem Verfahren erarbeitete Kommunikationsvertrauen in das nachfolgende Verfahren zu transferieren.“321

Außerdem würden so die Beteiligungsverfahren auf den verschiedenen Planungsstufen besser zusammengeführt werden können.322 Eine relativ leicht vorzunehmende, aber auch viel begrenztere Änderung wäre eine organisatorische Trennung zwischen Anhörungsbehörde und Planfeststellungsbehörde. Eine Trennung zwischen den beiden Behörden, wie sie auch in § 73 VwVfG angelegt ist, würde die Anhörungsbehörde eher neutral erscheinen lassen.323 Ziel ist es, die „fachbezogene Integrität“ zu sichern.324 Diese „distanzschaffende Instanz“325 wird in den Spezialgesetzen meist nicht durchgehalten.326 320  Eine solche Behörde befürwortend Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 840; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 131 f.; s. auch Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340– 351, 345, 348 und den Antrag des Landes Baden-Württemberg, BR-Drs. 135/11. 321  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 840. S auch Ivo Appel, Staat und Bürger im Umweltverwaltungsverfahren, NVwZ 2012, S. 1361– 1369, 1365 ff.; BR-Drs. 135/11, Gesetzesvorschlag des Landes Baden-Württemberg, „Stärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großvorhaben“; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 62 f., S.  81 ff., 89 ff. und S.  127 ff. 322  Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, Gutachten D zum 69. Deutschen Juristentag, 2012, S. 62 f., S. 81 ff., 89 ff. und S. 127 ff. 323  Vgl.  Julia Stender-Vorwachs, Neue Formen der Bürgerbeteiligung?, NVwZ 2012, S. 1061–1066, 1064; Jan Ziekow, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, NJW-Beilage 2012, S. 91–94, 93 f.; sehr kritisch bzgl. der oft zu findenden Identität beider Behörden Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 838. Die gleichwohl verfassungsrechtlich unbedenklich ist, BVerwGE 120, 87, 99; 58, 344, 347 ff.; BVerwG NVwZ 2002, S. 1103, 1104; Michael Fehling, Verwaltung zwischen Unparteilichkeit und Gestaltungsaufgaben, 2001, S. 264 ff. 324  BVerwGE 75, 214, 320. 325  Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 838.



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VIII. Fazit: Optimierung von Partizipation de lege ferenda auf Planungsebene Aus all diesen hier positiv hervorgehobenen Beteiligungselementen ergibt sich ein Bild, wie Beteiligung im Rahmen der Planung geregelt sein sollte, um optimal im Sinne kollektiver Selbstbestimmung Beteiligung zu ermög­ lichen. Dazu gehört eine möglichst frühe, begleitende und nicht nur punk­ tuelle, aktivierende und nicht nur passive, inklusive Öffentlichkeitsbeteiligung. Diese sollte zumindest zwei Erörterungstermine vorsehen, die Beteiligungsergebnisse gebührend berücksichtigen und die Beteiligungsergebnisse schließlich im Nachhinein offenlegen, um so ein Maximum an Transparenz und Kontrolle zu ermöglichen. Hier besteht offenkundig noch Regelungsbedarf.

C. Selbstverwaltung: Legitimatorische Notwendigkeit von Partizipation in der funktionalen Selbstverwaltung und Erweiterung von Beteiligungsmöglichkeiten bei Gemeinderatsbeschlüssen in der territorialen Selbstverwaltung Die funktionale Selbstverwaltung, obgleich oft als besonders partizipativ verstanden, ist aus partizipatorischen Gründen reformbedürftig.327 Mit Hilfe des aus der Planung bekannten und in der funktionalen Selbstverwaltung weitgehend fehlenden Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens lassen sich die dort bestehenden Legitimationsdefizite beheben. Anders als die funktionale Selbstverwaltung ist die territoriale Selbstverwaltung demokratisch-partizipatorisch strukturiert, so dass lediglich kleinere Verbesserungsvorschläge vorgebracht werden sollen. So sollte die Öffentlichkeit Einwendungen erheben dürfen, wenn Gemeinderatsbeschlüsse vorbe­ reitet werden, so wie die Öffentlichkeit de lege ferenda sich auch bei der Rechtsverordnungsgebung und der parlamentarischen Gesetzgebung beteiligen dürfen sollte. Außerdem ist daran zu denken, bestimmte Restriktionen bezüglich der Materien der Bürgerentscheide aufzugeben. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Materie in den Selbstverwaltungsbereich fällt und damit im Rahmen der Kompetenz des Kommunalvertretungsorgans verbleibt. Fra-

326  So z. B. § 14 Abs. 1 S. 3 WaStrG für die Wasser- und Schifffahrtdirektion; landesrechtlich etwa nach §§ 6 Abs. 7, 49 Abs. 2 LStrG RP für straßenrechtliche Planfeststellungen. 327  S. oben S. 371 ff.

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gen, die sich außerhalb des Kompetenzbereichs befinden, wie beispielsweise Rüstungsfragen, können auch nicht Gegenstand von Beteiligung sein.328 Das Partizipationsdefizit in der funktionalen Selbstverwaltung geht so weit, dass die funktionale Selbstverwaltung als Teil des pluralistischen Staates, nicht aber des partizipativen Staates verstanden werden muss. In den meisten Fällen dürfen Verbändevertreter mitentscheiden, nicht die Betroffenen oder die von ihnen nach demokratischen Grundsätzen gewählten Repräsentanten. Funktionale Selbstverwaltung ist insofern unterentwickelt und lässt viel Raum für ein Mehr an Partizipation mit dem Ziel, alle potentiell Betroffenen zu involvieren und so das dort bestehende demokratische Defizit zu lindern. Wie vielfach gesehen, trägt Partizipation, wenn sie im Sinne der hier entwickelten Theorie der imperativen Partizipation ausgestaltet ist, zur Stärkung von Legitimation bei.329 In der funktionalen Selbstverwaltung bedarf es de lege ferenda dringend eines Mehr an Partizipation.330 In Betracht kommen gleiche Wahlen. Dies ist aber kein Optimum, sondern ein Maximum und daher rechtlich nicht gefordert, sondern lediglich wünschenswert. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass die gewachsenen Strukturen aufgegeben werden. Deshalb sollte das Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren entsprechend dem planungsrechtlichen Vorbild eingeführt werden. Dies gilt gerade für den Bundesausschuss, dem keine gewählten Vertreter angehören.331 Das Gleiche gilt für die Bundesagentur für Arbeit, die ebenfalls keine Wahlen kennt.332 Letztlich ist der Verzicht auf eine echte repräsentative Partizipation nachvollziehbar, da ein rein verwirklichtes individualistisch-genossenschaftliches Modell nahezu die gesamte Bevölkerung einschlösse und so die Bundesagentur für Arbeit ein „Nebenparlament für die Belange von Arbeit und Wirtschaft“ würde.333 Außerdem ist ja auch gerade ein Ziel die Einbeziehung der Arbeitgeber. Dies würde aber mit einer auf dem Prinzip „one man, one vote“ begründete Organisationsstruktur nicht möglich sein. Gerade aber deswegen ist hier auf die bekannte Partizipationsform als zusätzliche Legitimation zurückzugreifen: Entscheidungen kollektiver Selbstbestimmung sind in einem Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren der 328  S. BVerfGE

8, 104 – Volksbefragung. S 156 ff. 330  Ebenso Andreas Hartisch, Verfassungsrechtliches Leistungsprinzip und Partizipationsverbot im Verwaltungsverfahren, 1975, S. 110. S. dazu auch oben S. 371 ff. 331  S. oben S. 366 ff. 332  S. oben S. 370 f. 333  Ernst T. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 1991, S. 200. 329  S. oben



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betroffenen Öffentlichkeit vorzulegen, die Ergebnisse sind zu berücksichtigen. So würden alle Betroffenen, also alle sozialversicherungspflichtigen Angestellten, demokratisch involviert. Auch ist darüber nachzudenken, dass im Bereich der Sozialversicherungsträger insgesamt ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren eingeführt wird, da auch hier die Verbindung zwischen Wähler und Gewähltem sehr schwach ausgeprägt ist – und daher auch die Legitimation. Für den Fall, dass Wasserverbände die reguläre Vollversammlung mit einem Verbandsausschuss ersetzt haben sollten,334 sind auch hier Beteiligungsrechte und eine damit korrespondierende Berücksichtigungspflicht im Wege eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens zu schaffen. Es besteht keine Gefahr, dass Spezialinteressen den Entscheidungsprozess übernehmen könnten – jedenfalls keine größere als jetzt, in der die mächtigsten und solventesten Verbände einen gesetzlich abgesicherten exklusiven Zugang besitzen. De lege ferenda sollte in der gesamten funktionalen Selbstverwaltung Partizipation entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation ausgebaut werden. Dafür ist zunächst festzustellen, ob eine bestimmte Entscheidung kollektiver oder individueller Selbstbestimmung dient. In einem zweiten Schritt richtet sich danach die Öffentlichkeitsbeteiligung: Geht es um eine Entscheidung, die viele betrifft, in die Zukunft gerichtet ist und rechtlich wenig gebunden ist, so ist die betroffene Öffentlichkeit in Form eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens in den Prozess einzubinden. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn die Versammlung im Rahmen der Satzungsgebung tätig wird. Da das Handeln der Selbstverwaltung der Exekutive zuzuordnen ist, verbleibt hier die Entscheidungshoheit bei der Selbstverwaltungseinheit. Die Einwendungen müssen aber eben auch zumindest berücksichtigt werden. Dies steigert die Legitimation der funktionalen Selbstverwaltungseinheit. So werden i.Ü. auch Dritte eingebunden, die u. U. in anderen Entscheidungen dann unmittelbar und direkt Objekt des Handelns der Selbstverwaltungseinheit werden. Dies löst zwar das Problem der Drittbetroffenheit nicht, entschärft es aber.

D. Rechtsstaatliche Partizipationsdefizite: Das Recht auf Anhörung stärken Partizipationsdefizite auf der ordnungsbehördlichen Ebene bestehen dem Wortlaut des Gesetzes nach nicht. Die gesetzlich ausdrücklich vorgesehene rechtsstaatliche Partizipation scheint anders als demokratische Partizipation auf einem hohen Niveau angesiedelt: Jedes Verwaltungsverfahren, in dem 334  S. oben

S. 369.

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subjektive Rechte und damit individuelle Selbstbestimmung betroffen sind, erfordert eine Anhörung nach § 28 VwVfG. Durch § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG wurde das Recht aus § 28 VwVfG allerdings faktisch ausgehöhlt, indem eine Anhörung sogar im Verwaltungsgerichtsverfahren selbst nach­ holbar ist.335 Damit wird ein Unterlassen der Anhörung faktisch sanktionslos gestellt. Hier bedarf es einer Rückkehr zur alten Rechtslage, die das Recht auf Anhörung nicht aushöhlt, sondern aufwertet.

E. Gefährdungen durch Beteiligung auf Verwaltungsebene und Gewaltenteilung De lege lata existieren zwar vielfältige Partizipationsformen auf Exekutiv­ ebene, aber es bestehen vielfältige Defizite, die es de lege ferenda vor allem mit der Einführung und Optimierung von Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren auszugleichen gilt. Allerdings werden ebenso wie auf Legislativebene336 auch auf Exekutiv­ ebene echte und vermeintliche Gefährdungen beschworen, die gegen eine Erweiterung von Partizipationsmöglichkeiten sprechen sollen (I.). Wie auf Legislativebene dient Gewaltenteilung nicht nur der Konzeptualisierung von Partizipation, sondern auch der Abwehr der (vermeintlichen) Gefährdungen, die von Partizipation ausgehen. Zunächst wird das Verhältnis von Öffentlichkeit und Verwaltung in den Mittelpunkt gestellt (Intra-Gewaltenteilung, II.), dann die Inter-Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive (III.) sowie Judikative und Exekutive (IV.). I. Gefährdungen durch Öffentlichkeitsbeteiligung Grundsätzlich bestehen gegenüber Vorschlägen für mehr Beteiligung auf Exekutivebene weniger Vorbehalte gegen das „Ob“ der Partizipation als gegenüber Vorschlägen für mehr Beteiligung auf Legislativebene. Dies liegt daran, dass der Öffentlichkeit grundsätzlich keine (Mit-)Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden. Dies entspricht dem monistisch-holistischen 335  S. Kap. 4 E. II. Vgl. dazu Heinz Joachim Bonk, Strukturelle Änderungen des Verwaltungsverfahrens durch das Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz, NVwZ 1997, S. 320–330, 324 f.; die Norm für verfassungswidrig haltend Armin Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, S. 477–485; Christian-Dietrich Bracher, Nachholung der Anhörung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, DVBl. 1997, S. 534–538. 336  Für die Legislative s. oben S. 437 ff.



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Legitimationsmodell337 und ist außerdem Ausdruck der Konzeptualisierung von Partizipation durch das Gewaltenteilungsprinzip und damit der Theorie der imperativen Partizipation.338 Die Argumente gegen Beteiligung auf Exekutivebene sind daher anderer Natur als auf Ebene der Legislative. Die Hauptkritikpunkte an der Öffentlichkeitsbeteiligung in der Verwaltung beziehen sich auf funktionale Pro­ bleme. Neben der Verfahrensdauer werden immer wieder die Kosten und der Verwaltungsaufwand kritisiert, die Beteiligung mit sich bringt.339 Dies stelle die effektive Funktionalität und Handlungsfähigkeit staatlichen Handelns in Frage. Oben wurde es schon versucht, diese auch in Bezug auf die Legislative geäußerte Kritik weitestgehend auszuräumen.340 Entscheidend ist, dass die Beteiligungsregeln durch die Legislative so ausgestaltet werden, dass eine Balance zwischen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und effektiver Funktionalität erreicht wird. Auch dies ist letztlich eine Frage der Gewaltenteilung. Informelle Gefährdungen bestehen selbstverständlich weiterhin. Diese unterscheiden sich aber nicht von den Gefährdungen, die auch ohne Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren, etwa durch Lobbygruppen oder eine Me­dienkampagne entstehen. Zu diesem Grundsatz, dass aufgrund des Fehlens eines (Mit-)Entscheidungsrechts keine oder kaum Gefährdungen bestehen, existiert eine Ausnahme: In der Selbstverwaltung bestehen gerade (Mit-)Entscheidungsrechte der Beteiligten. Auf Ebene der Kommunen sehen alle Länder den Bürgerentscheid vor, der im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung den Beschluss der Gemeindeversammlung ersetzen. So verbleibt Raum für gewisse Gefährdungen durch Partizipation: Minderheiten können marginalisiert werden, das Gemeinwohlinteresse kann von Spezialinteressen in den Hintergrund gedrängt werden oder die Bürger können falsche Entscheidungen treffen, weil der Sachverhalt für sie zu komplex ist. Auch in der funktionalen Selbstverwaltung ist Raum für diese Gefährdungen. Diese verschärfen sich in einigen Selbstverwaltungskörperschaften sogar, weil der Einzelne durch die Verbände marginalisiert wird. Hier wissen die Mechanismen der Gewaltenteilung den Einzelnen besonders gut vor den negativen Kosten von Partizipation zu schützen. Damit bleibt für die unmittelbare Staatsverwaltung neben den informellen Schwierigkeiten, die jede Einflussnahme auf den Staat mit sich bringen kann, 337  S. oben

S. 149 ff. S. 134 ff. 339  Wolfram Hertel/Christoph-David Munding, „Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung“ bei Planung von Großvorhaben, NJW 2012, S. 2622–2625, 2624 f., für die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 25 Abs. 3 VwVfG. 340  S. oben S. 446 ff. 338  S. oben

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nur die Gefahr, dass durch eine falsche Ausgestaltung der Beteiligungsregeln die Steuerungsfähigkeit des Staates beeinträchtigt wird. Im Rahmen der kommunalen wie funktionalen Selbstverwaltung hingegen verbleibt es dabei, dass Minderheiten und das Gemeinwohl marginalisiert werden können und unter Umständen zu komplexen Sachverhalten Entscheidungen getroffen werden können, die manche als falsch bezeichnen mögen. Diese Gefährdungen bestehen aber schon heute – und sind, wie gleich zu sehen sein wird, kontrollier- und einhegbar. II. Intra-Gewaltenteilung: Das Letztentscheidungsrecht der Exekutive Die Intra-Gewaltenteilung, also die Verteilung der Entscheidungshoheit zwischen der Exekutive und den Beteiligten auf Ebene der Verwaltung selbst, schützt die Verwaltung vor den Gefährdungen durch Partizipation: Entscheidend ist, dass das Letztentscheidungsrecht bei der staatlichen Verwaltung verbleibt. Dadurch stellt es einen auf der Gewaltenteilung basierenden Sicherungsmechanismus dar. Durch das Bestehen einer Berücksichtigungspflicht können die Kompetenzen der Verwaltung durch Partizipation nicht ausgehöhlt werden, das Entscheidungsmonopol verbleibt bei der Verwaltung. Eine Marginalisierung des entscheidenden Organs kommt folglich nicht in Betracht. Dadurch kann die Verwaltung – und muss gegebenenfalls – weiterhin Minderheiten und ihre Rechte schützen und so eine Diktatur der Mehrheit verhindern. Ebenso ist sie aufgrund ihres Entscheidungsmonopols in der Lage, den Einfluss von Spezialinteressen auf Gemeinwohlinteressen abzuwehren. Auch für den Fall, dass die Komplexität eines bestimmten Sachverhalts zu hoch sein sollte341 und es dem einzelnen Bürger daher unmöglich sein sollte, die Implikationen einer Entscheidung zu verstehen, ist die Verwaltung in der Lage, die Gefährdung durch eine falsch informierte Entscheidung abzuwenden, indem sie selbst entscheidet. All das betrifft selbstverständlich nur die Entscheidungsseite. Einfluss besitzen die Partizipationsberechtigten auf die Verwaltung und sollen ihn auch gerade haben. Aber das Letztentscheidungsrecht – und das ist entscheidend – liegt bei der Verwaltung. Dies sichert Rechtstaatlichkeit und Demokratie – so wie auch Partizipation auf Verwaltungsebene, allerdings eben ohne Letztentscheidungsrecht, Rechtstaatlichkeit und Demokratie sichert. Dieser Sicherungsmechanismus ist überdies ein doppelter: Für den Fall, dass die Verwaltung innerhalb der unmittelbaren Staatsverwaltung aufgrund eines zu starken informellen Drucks durch die Beteiligung zu falschen Entscheidungen kommen sollte, können übergeordnete Behörden, denen die Rechts- und grundsätzlich auch die Fach341  S. dazu

schon oben S. 444 f., S 464 ff.



Kapitel 9: Optimierung der Exekutive515

aufsicht zukommt, ihre Weisungskompetenzen geltend machen und so die untergeordnete Behörde korrigieren. Von der unmittelbaren Staatsverwaltung unterscheidet sich die mittelbare Staatsverwaltung. Es bestehen nicht nur (Mit-)Entscheidungsrechte der Beteiligten, es fehlt auch an einer Fachaufsicht. Dementsprechend besteht mehr Einfluss der Einzelnen. Dieser wird aber auch durch die Exekutive beschränkt. So kann bezüglich der territorialen Selbstverwaltung der Gemeinderat in Fällen der Planung ebenso wie in Fällen von Bürgerentscheiden korrigierend eingreifen. Für die funktionale und territoriale Selbstverwaltung gleichermaßen gilt, dass den staatlichen Aufsichtsbehörden die Rechtsaufsicht zukommt. Damit lässt sich ein Großteil der Gefährdungen abwehren. Trotz der staatlichen Aufsicht besteht in der funktionalen Selbstverwaltung die Gefahr, dass Minderheiten marginalisiert werden. Der Schutz von Minderheiten ist zwar nicht über das normale demokratische und rechtsstaatliche Maß hinaus gefährdet, wenn alle Kammermitglieder gleich sind und ihnen ausreichend Artikulationsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Mitentscheidungsbefugnis zur Verfügung stehen, wie dies in den Kammern grundsätzlich der Fall ist. Z. T. sind aber nicht nur Kammermitglieder, sondern auch Dritte von den Kammerbeschlüssen betroffen, ohne dass ihnen auch nur ein Beteiligungsrecht zukäme.342 Eine Marginalisierung von Minderheiten ist auch in Selbstverwaltungseinheiten zu befürchten, die von Verbänden dominiert werden. Dazu gehören vor allem die Sozialversicherungen, aber auch die IHK oder die Wasserverbände. Hier verpflichtet das Bundesverfassungsgericht die Selbstverwaltungseinheiten, dass sie die einzelnen Interessen in der Organisation berücksichtigen. Beteiligungsrechte sind an dieser Stelle besonders relevant, da sie dazu dienen, innerhalb eines demokratischen Diskurses die zu berücksichtigenden Interessen zu artikulieren. III. Inter-Gewaltenteilung: Die Festlegung der Partizipationsregeln durch die Legislative Die Legislative legt im Rahmen des Grundgesetzes die Regeln fest, innerhalb derer Partizipation an der Ausübung von Staatsgewalt durch die Exe­ kutive stattfindet. Dadurch hemmt, mäßigt und kontrolliert sie gleichermaßen die Exekutive und die Einzelnen, die partizipieren. Durch entsprechende Regeln ermächtigt die Legislative die Einzelnen überhaupt erst teilzuhaben. Um den Gefährdungen durch Partizipation zu begegnen, ist weiterhin sicherzustellen, dass den Beteiligten keine Entscheidungsbefugnisse zukommen. Ein Betroffenenentscheid, der es ähnlich wie bei einem Bürgerentscheid 342  S. oben

S. 362 ff.

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allen Betroffenen ermöglicht, eine Entscheidung zu treffen über eine Frage, die ansonsten von einer Behörde der unmittelbaren Staatsverwaltung entschieden werden würde, wäre daher unzulässig.343 Zudem muss die Legislative als die Gewalt, die die Regeln von Partizipation im Wege der Gesetzgebung festlegt, Partizipation so ausgestalten, dass der von dem Gewaltenteilungsgrundsatz vorgegebene Bogen zwischen kollektiver und individueller Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Je mehr die Entscheidungen der staatlichen Organe kollektiver Selbstbestimmung dienen, desto weiter muss der Kreis der Beteiligten sein und desto mehr Einfluss muss den Beteiligten zukommen. Gleichzeitig muss die Legislative Partizipation auch so ausgestalten, dass sie die Ausübung von Staatsgewalt hemmt, mäßigt und kontrolliert. Kurz: Partizipation muss entsprechend den aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz entwickelten Vorgaben entsprechend der Theorie der imperativen Partizipation grundsätzlich so ausgestaltet sein, dass demokratische Verfahren weiter demokratisiert und rechtsstaatliche Verfahren noch rechtsstaatlicher werden. IV. Inter-Gewaltenteilung: Die Sicherung der Partizipationsregeln durch die Judikative Schließlich trägt auch die Judikative dazu bei, rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien sowie Funktionalität in der Exekutive zu stärken. So hemmt, mäßigt und kontrolliert die Judikative nicht nur die Verwaltung, 343  Gegen die Betroffenenentscheide auch Wolfgang Ewer, Kein Volksentscheid über die Zulassung von Infrastrukturprojekten, NJW 2011, S. 1328–1331, 1329; Wolfgang Durner, Möglichkeiten der Verbesserung förmlicher Verwaltungsverfahren am Beispiel der Planfeststellung, ZUR 2011, S. 354–363, 361; Rudolf Steinberg, Die Bewältigung von Infrastrukturvorhaben durch Verwaltungsverfahren – eine Bilanz, ZUR 2011, S. 340–351, 348 f.; Karl Ferdinand Gärditz, Entwicklungen und Entwicklungsperspektiven des Verwaltungsprozessrechts zwischen konstitutioneller Beharrung und unionsrechtlicher Dynamisierung, Die Verwaltung 46 (2013), S. 257–285, 278; ders., Angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturplanungen als Herausforderung an das Verwaltungsrecht im demokratischen Rechtsstaat, GewArch 2011, S. 273–279, 277 f.; s. auch Fabian Wittreck, Demokratische Legitimation von Großvorhaben, Zeitschrift für Gesetzgebung 2011, S. 209–226, 222, 223, Fn. 81. Hingegen ist eine solche projektbezogene Abstimmung auf kommunaler Ebene gut denkbar und schon vielfach erprobt, s. Thomas Groß, Stuttgart 21: Folgerungen für Demokratie und Verwaltungsverfahren, DÖV 2011, S. 510–515, 513 mit Hinweis auf den Überblick bei Volker Mittendorf, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Deutschland, Regelungen – Nutzungen – Analysen, in: Hermann K. Heußner/Otmar Jung (Hrsg.), Mehr direkte Demokratie wagen, 2. Aufl. 2009, S. 327–342; s. auch Martin Müller, Bürgerbeteiligung in Finanzfragen, 2009, S. 58 ff. und auch Elke Gurlit, Neue Formen der Bürgerbeteiligung? Planung und Zulassung von Projekten in der parlamentarischen Demokratie, JZ 2012, S. 833–841, 840.



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sondern auch die Einzelnen, die an der Ausübung von Staatsgewalt teilhaben, indem sie auf die Einhaltung der Regeln, innerhalb derer Partizipation stattfindet, achtet. Dies umfasst nur den Bereich der Rechtmäßigkeit, nicht der Zweckmäßigkeit und wehrt damit unter Umständen nicht alle Gefährdungen ab. So werden Fragen der Dauer eines Verfahrens nur unter Extremumständen rechtliche Auswirkungen haben, sofern die Legislative keine entsprechenden Vorschriften erlassen hat, um Verfahren zu beschleunigen. Hat die Legislative aber entsprechend gehandelt, dann kann auch die Judikative tätig werden. Selbst gegen informellen Druck kann die Judikative helfen. Kommt die Verwaltung nicht nur zu unzweckmäßigen, sondern aufgrund ausgeübten Drucks sogar zu rechtswidrigen Entscheidungen, so können und müssen die Gerichte die rechtswidrige Entscheidung korrigieren – sofern sich ein Kläger findet. Die Judikative schützt nicht nur den Rechtsstaat, sondern auch die Demokratie. Es ist die Aufgabe der Judikative, den von der Legislative eröffneten demokratischen Raum der Beteiligung gegen die Exekutive zu schützen. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Judikative, auch die Exekutive zu schützen. Diese Gratwanderung zeigt sich etwa an der Rechtsprechung zum Ermessens- oder Abwägungsspielraum, der der Verwaltung zukommt, den sie aber auch nicht überschreiten darf. Da Ermessens- und Abwägungsspielräume nicht nur demokratiebasiert sind, sondern auch der Funktionalität dienen – die Verwaltung kann die Zweckmäßigkeit einer Entscheidung besser beurteilen als die Gerichte – hilft die Judikative, Funktionalität zu fördern. Außerdem basiert Öffentlichkeitsbeteiligung auch darauf, dass der Bürger seine Expertise als Mittel zu einer besseren Verwaltung einbringen kann. Der Schutz von Beteiligung dient damit auch der Funktionalität staatlicher Verwaltung und fördert diese.

F. Fazit und Bewertung: Mehr Legitimation durch mehr imperative Partizipation auf Exekutivebene Noch weniger als auf Ebene der Legislative sprechen die vorgebrachten Gefährdungen auf Exekutivebene gegen eine Ausweitung von Partizipation innerhalb des hier entwickelten, durch Gewaltenteilung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorgegebenen Rahmens. Partizipation ist daher zu optimieren. Sie trägt aufgrund ihrer legitimierenden Wirkung als fünfter Legi­ timationsmodus, neben der organisatorisch-personellen Legitimation, der sachlich-inhaltlichen Legitimation, der funktionellen Legitimation und der institutionellen Legitimation, wesentlich zur Legitimation der Exekutive bei.

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Teil 3: Der partizipative Staat de lege ferenda

Auf der Ebene der Intra-Gewaltenteilung zeigt sich, dass sich Öffentlichkeit und Verwaltung gegenseitig hemmen, mäßigen und kontrollieren. Die Machtbalance schlägt dabei zu Gunsten der staatlichen Verwaltung aus, da der Öffentlichkeit keine (Mit-)Entscheidungskompetenz zukommt. Aufgrund der Entscheidungshoheit des Staates bleiben wenige bis gar keine Gefährdungen übrig. In den Fällen der Selbstverwaltung hingegen bestehen solche Mitentscheidungskompetenzen. Ebenso wie sich Öffentlichkeit und Verwaltung hemmen, mäßigen und kontrollieren, steigert ihr durch die Gewaltenteilung gesteuertes Zusammenspiel die effektive Funktionalität der Staatsgewalt sowie ihre demokratische Legitimation. Die Inter-Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive einerseits und Judikative und Exekutive andererseits trägt ebenfalls zur Abwehr partizipationsspezifischer Gefährdungen bei, indem der Einfluss der Beteiligten gehemmt, gemäßigt und kontrolliert wird und gleichzeitig Demokratie durch ein gelungenes Zusammenspiel der Beteiligten mit den staatlichen Organen gestärkt und gewährleistet und effektive Funktionalität garantiert wird. Insgesamt gilt, dass z. T. mehr, wie im Rahmen der Rechtsverordnungen, z. T. eine (noch) bessere Beteiligung gewagt werden kann und aufgrund des Status von Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips als Optimierungsgebote auch zu wagen ist. Dementsprechend sollte Partizipation zum Zwecke der Stärkung staatlicher Legitimation auf Verwaltungsebene weiterentwickelt und der Öffentlichkeit umfänglich die Möglichkeit gegeben werden, sich zu Entscheidungen der Exekutive, die kollektive Selbstbestimmung ermöglichen sollen, einzubringen. Dies betrifft sowohl die Einführung eines Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahrens im Rahmen der Rechtsverordnungsgebung und der Krankenhaus- und Personennahverkehrsplanung sowie die Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten in den schon bestehenden Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren.

Fazit und Schluss Die Bundesrepublik Deutschland ist ein partizipativer Staat. Das Volk darf durch Wahlen auf Bundesebene und durch Wahlen und Abstimmungen auf Landesebene über die Zusammensetzung der Parlamente und über Gesetze entscheiden. Die Öffentlichkeit und teilweise auch die betroffene Öffentlichkeit dürfen sich an der exekutiven Planung beteiligen. Dies betrifft neben der Planung durch die Regierung auch die darunter angesiedelten Planungsebenen. Daneben finden sich Beteiligungsmöglichkeiten bei anlagenbezogenen Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, dem Gentechnikgesetz und dem Atomgesetz. Auch die kommunale Selbstverwaltung sieht vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten durch die Einwohner und die (betroffene) Öffentlichkeit vor. Individuen sind außerdem immer dann auf Exekutiv- wie auf Judikativebene beteiligungsfähig, wenn sie in ihren rechtlich geschützten Interessen verletzt sein können. Die heute schon bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten unterscheiden sich, je nachdem, ob die staatliche Entscheidung, an der sich beteiligt werden soll, mehr kollektive Selbstbestimmung verwirklichen soll und damit mehr der Sphäre der Demokratie zugeordnet wird oder ob die staatliche Entscheidung mehr individuelle Selbstbestimmung sichern soll und damit der Sphäre der Rechtsstaatlichkeit zugehörig ist. Existenz und Ausformung der unterschiedlichen Partizipationsformen beruhen auf der Überlegung, dass nur so die Spannung zwischen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ausgeglichen werden kann. Um diesen Ausgleich zu erreichen, werden unter Zuhilfenahme des Gewaltenteilungsgrundsatzes die Partizipationsakteure und die ihnen zukommende Entscheidungsmacht entsprechend der hier entwickelten verfassungsrechtlichen Theorie der imperativen Partizipation konzipiert: Die Ausübung der Staatsgewalt durch Organe der Legislative, der Exe­ kutive und der Judikative folgt unterschiedlichen Funktionen. Während die Legislative vornehmlich kollektive Selbstbestimmung ermöglicht, schützt die Judikative vornehmlich individuelle Selbstbestimmung. Die Exekutive ist zwischen diesen beiden Polen angesiedelt: Mal ermöglicht sie mehr kollektive Selbstbestimmung, mal schützt sie mehr individuelle Selbstbestimmung. Durch die mit der Funktionenteilung einhergehende Verteilung von Kompetenzen und Aufgaben wird die richtige Balance geschaffen, um das Spannungsverhältnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie von kollektiver Selbstbestimmung und individueller Selbstbestimmung aufzulösen.

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Fazit und Schluss

Partizipation ist Teilhabe an oder Innehaben von Staatsgewalt durch ­ inzelne. Auch in ihr zeigt sich das Spannungsverhältnis von Demokratie E und Rechtsstaatlichkeit, von kollektiver Selbstbestimmung und individueller Selbstbestimmung: Partizipation kann Teilnahme an einer Wahl bedeuten oder der Versuch sein, die eigene Ansicht in einen staatlichen Entscheidungsfindungsprozess einzubringen, oder auch der Sicherung eigener Rechte dienen. Hier kommt ein Spannungsverhältnis zwischen dem Kollektiv, also dem Volk, und dem Individuum, d. h. dem Einzelnen, zum Ausdruck, das ebenfalls der Auflösung bedarf. Auch hier findet eine Kompetenzzuordnung statt: Die Sicherung seiner individuellen Selbstbestimmung erreicht der Einzelne vor Gericht. Er darf dementsprechend nach der Dispositionsmaxime ein Verfahren einleiten. Das staatliche Gericht entscheidet aber letztendlich über den Fall. Wählt der Einzelne, so geht es um die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung, die Frage, von wem das Volk, oder besser alle Einzelnen in Deutschland, künftig regiert werden wollen. Diese Fragen sind der Legislative zugeordnet, hier darf der Einzelne zusammen mit allen anderen entscheiden. Bringt sich der Einzelne in die Diskussion mit ein, so handelt es sich nur um Teilhabe an Staatsgewalt, wenn ein gesetzliches Verfahren vorgesehen ist, das regelt, wie die Teilhabe in die staatliche Entscheidung mit einfließt. Solche Verfahren finden sich zuhauf im Verwaltungsrecht. Auf vielfältige Art und Weise wird der Einzelne mit eingebunden in die Ausübung von Staatsgewalt. Allerdings findet nur eine Berücksichtigung statt, die Entscheidung trifft das staatliche Organ. Auf diese Art und Weise findet auch hier eine Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, von kollektiver Selbstbestimmung und individueller Selbstbestimmung statt. Diese Balance erlaubt es schließlich auch, Partizipation als fünften Legitimationsmodus zu betrachten. Wie Partizipation im Einzelnen in der Bundesrepublik stattfindet, wurde im 2. Teil für alle drei Gewalten ausgeführt. Es hat sich gezeigt, dass sich die theoretischen Annahmen, die einerseits auf der Auflösung des Spannungsverhältnisses von Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip durch das Gewaltenteilungsprinzip und andererseits auf einem grundgesetzlich geleiteten Verständnis von Partizipation als Teilhabe an oder Innehaben von (legitimationsbedürftiger) Staatsgewalt beruhen, weitestgehend bestätigen. In Kapitel 4 wurde ausgeführt, dass die Legislative kollektive Selbstbestimmung ­ermöglicht: Sie erlässt vornehmlich Gesetze, die prospektiv und rechtlich wenig determiniert sind und eine Vielzahl von Sachverhalten und Personen betreffen. Teilhabe daran passiert dementsprechend gemeinsam durch alle Einzelnen, die gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zum Volk gehören. Hier kommt der Teilhabe Entscheidungskraft zu, es handelt sich um das Innehaben von Staatsgewalt. Während auf Landesebene neben legislativen Personal- auch Sachentscheidungen, also Wahlen und Abstimmungen, verfassungsrechtlich vorgesehen sind, sind auf Bundesebene bislang nur Wahlen normiert.



Fazit und Schluss521

In Kapitel 5 wurde der Blick auf die Exekutive gelenkt. Sie ist viel vielfältiger organisiert als die Legislative und schon ein Stück weit mehr auf individuelle Selbstbestimmung orientiert. Dementsprechend sind ihre Entscheidungen neben dem Verfassungsrecht auch durch das einfache Recht vorgegeben, sie betreffen meist weniger Personen und kennen auch retro­ aktive Maßnahmen. Die Regierung handelt beispielsweise durch Rechtsverordnungen, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die den Anforderungen des Art. 80 GG gerecht wird. Dies schränkt ihre Entscheidungsfreiheiten ein. Gleichzeitig handelt es sich um materielle Gesetze, die eine weite „Reichweite“ besitzen und Fragen der Zukunft regeln. Hier kommt kollektive Selbstbestimmung zum Ausdruck. Allerdings bleiben die Partizipationsmöglichkeiten hinter der Theorie zurück: Es dürfen sich höchstens Repräsentanten der Betroffenen beteiligen. Nach dem Raumordnungsgesetz dürfen sich aber auch Betroffene bei dem Erlass von Rechtsverordnungen beteiligen. Dies mag man als Ausnahme verstehen, die die Regel bestätigt, zeugt aber vor allem davon, dass eine andere Ordnung von Beteiligungsmöglichkeiten beim Erlass von Rechtsverordnungen grundgesetzlich möglich ist. Gleichzeitig ist die Regelung des Raumordnungsgesetzes paradigmatisch für staatliche Planung. Planung durch die Exekutive, und in einigen wenigen Fällen auch durch die Legislative, ist immer in die Zukunft gerichtet. Die „Reichweite“ der Planung und die rechtliche Determiniertheit schwankt je nach Planungsstufe. So bauen Planungen kaskadenhaft aufeinander auf. Auf den unteren Stufen sind mehr Planungsergebnisse zu berücksichtigen bzw. zu beachten als auf den oberen Planungsstufen. Dementsprechend verringert sich der Gestaltungsspielraum, in dem Öffentlichkeitsbeteiligung berücksichtigt werden kann. Trotz dieser immer stärker werdenden Bindungen gehört die staatliche Planungstätigkeit grundsätzlich zu den Aufgaben der Exekutive, in der ihr relativ viele Freiräume gewährt werden. Dies liegt an der hier vorherrschenden finalen Programmierung der Verwaltung. Anders als bei der konditionalen Programmierung, die nach dem „Wenn-Dann-Schema“ funktioniert, wird hier die Verwaltung auf ein Ziel festgelegt, das sie erreichen soll. Auch die „Reichweite“ der Planung spricht für ein Verständnis von Planung, das eher kollektive Selbstbestimmung ermöglichen soll. Allerdings wird die Planung von Planungsstufe zu Planungsstufe immer exakter, bis sie schließlich auch konkrete Vorhaben erfasst und damit der Schutz individueller Selbstbestimmung deutlicher zu Tage tritt. Dieser Bogen zeigt sich auch in den Beteiligungsformen, die auf allen Planungsstufen vorgesehen sind. Allein das zeugt schon vom partizipativen Staat. Die Ausgestaltung der Partizipation erlaubt es, dass sich grundsätzlich alle beteiligen dürfen, indem jedermann Einwendungen erheben darf und diese Einwendungen dann auch berücksichtigt werden müssen. Je eher die Planung in Richtung Schutz individueller Selbstbestimmung tendiert,

522

Fazit und Schluss

desto geringer ist der Gestaltungsspielraum der Behörde, innerhalb derer sie die Einwendungen berücksichtigen kann. Außerdem nimmt der Kreis der Partizipationsberechtigten ab, hier allerdings fehlt es an einer wirklich kohärenten Ausgestaltung. Einen deutlichen Schnitt stellen dann die anlagenbezogenen Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, dem Gentechnikgesetz und dem Atomgesetz dar. Hier spielt der Schutz individueller Selbstbestimmung der rechtlichen Betroffenen neben der Ermög­ lichung kollektiver Selbstbestimmung aller schon eine wesentliche Rolle. Das lässt sich u. a. daran erkennen, dass die Genehmigungstatbestände gebundene Entscheidungen mit konditionalem Charakter vorsehen. Hier darf sich zwar jedermann beteiligen, es ist aber kein Berücksichtigungsverfahren vorgesehen, sodass die Genehmigungsbehörden nur in einem sehr engen Rahmen die Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung in ihre Entscheidung einfließen lassen können. Kein Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren ist hingegen im Ordnungsrecht vorgesehen. Hier geht es alleine um den von der staatlichen Maßnahme in seinen Rechten betroffenen Einzelnen, alleine dieser darf sich beteiligen. Diese grundsätzliche Ausgestaltung von Partizipation auf Exekutivebene trägt zur Legitimation von Staatsgewalt bei: Sie bindet nahezu alle ein und stärkt den demokratischen Diskurs in den Fällen, in denen kollektive Selbstbestimmung ermöglicht werden soll und sie erlaubt nur den in ihren Rechten verletzten Einzelnen sich zu beteiligen, wenn es um den Schutz ihrer individuellen Selbstbestimmung geht. Hier zeigt sich die legitimierende Kraft der durch die Gewaltenteilung (und der damit einhergehenden Kompetenzbeschränkung und -ermöglichung) geschaffenen Balance zwischen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In Kapitel 6 schließlich wurde das Augenmerk auf die Judikative gelegt. Sie dient allein der Sicherung individueller Selbstbestimmung. Hier darf der Einzelne das Verfahren einleiten, die Entscheidung verbleibt bei Gericht. Gerichte unterscheiden sich in einer wesentlichen Hinsicht von den beiden anderen Gewalten: Sie können nur tätig werden, wenn ein Einzelner sich an der Ausübung von Staatsgewalt durch die Gerichte beteiligen möchte. Außerdem sind sie an den Antrag gebunden und dürfen nicht darüber hinaus tätig werden. Ohne Partizipation dürften Gerichte nicht tätig werden und wären dementsprechend nicht legitimiert. Da die Gerichte in die Entscheidungen der beiden anderen Gewalten eingreifen, obwohl sie demokratisch weniger stark legitimiert sind, ist gerade die Abgrenzung der Gewalten voneinander ein schwieriges Terrain. Die Balance gelingt einerseits durch die Voraussetzungen der Geltendmachung der Verletzung eines subjektiven Rechts, zu dem auch die Beteiligungsrechte gehören müssen, und andererseits durch die richtige Austarierung des gerichtlichen Kontrollumfangs.



Fazit und Schluss523

Diese Beobachtungen im 2. Teil führen zu folgender Überlegung: Entweder ist die Art und Weise, wie Partizipation auf einfachgesetzlicher Ebene durch das Bundeswahlgesetz, die Wahl- und Volksgesetzgebungsgesetze der Länder, das Energiewirtschaftsgesetz, das Raumordnungsgesetz, das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, das Verwaltungsverfahrensgesetz, das Energieleitungsausbaugesetz, das Baugesetzbuch, das Bundesimmis­ sionsschutzgesetz, das Gentechnikgesetz, das Atomgesetz, das Standortauswahlgesetz, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz oder die Verwaltungsgerichtsordnung, nicht verfassungsgemäß – was offenkundig nicht der Fall ist – oder die immer wieder aufkehrenden Muster sind Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertung. Diese Wertung betrifft die Frage, wie Staatsgewalt ausgeübt werden muss. Eine Antwort findet sich zunächst in Art. 20 Abs. 2 GG: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Die Legitimation der Staatsgewalt wird mit dieser Norm begründet. Aber gleichzeitig ist die Bundesrepublik ein Rechtsstaat, über den die Gerichte wachen. Sie sollen vor allem die individuelle Selbstbestimmung des Einzelnen schützen. Das Bundesverfassungsgericht darf sogar demokratisch legitimierte Gesetze wegen eines Grundrechtsverstoßes aufheben. Dieses Spannungsverhältnis wird durch die Gewaltenteilung ausbalanciert, wodurch Legitimation geschaffen wird. Partizipation, die dieser verfassungsrechtlichen Wertung der Ausbalancierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und damit von kollektiver Selbstbestimmung und individueller Selbstbestimmung folgt, trägt ebenfalls zu dieser Balance bei und legitimiert somit die Ausübung von Staatsgewalt. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich, dass Weiterentwicklungen von Partizipation ebenso dieser Wertung folgen müssen. Außerdem muss Partizipation effektiv wirken können, um so Legitimation zu vermitteln. Da Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Optimierungsgebote sind, ist die Gesetzgebung angehalten, Partizipation auszubauen. Exekutive und Judikative müssen Partizipationsvorschriften partizipationsfreundlich auslegen. Da Optimierung nicht Maximierung bedeutet und verlangt, dass Weiterentwicklungen nur dann vorgenommen werden, wenn dies im Ausgleich mit anderen Verfassungsnormen möglich ist, wurde ein wesentlicher Aspekt der Untersuchung auf die möglichen Gefährdungen gelegt, die von verstärkter Beteiligung ausgehen. Hierbei stellte sich heraus, dass die Gefährdungen entweder überzeichnet werden oder durch den Gewaltenteilungsgrundsatz gehemmt werden. Dazu gehört etwa, dass das Parlament grundsätzlich weiterhin Gesetze erlassen darf und die Gerichte auch Partizipation kontrollieren dürfen. Weiterentwicklungen von Partizipation, die wegen des Optimierungsgebots nicht nur politisch, sondern auch rechtlich gefordert sind, müssen sich also an den Kriterien der Theorie der imperativen Partizipation orientieren, um die Legitimation staatlicher Herrschaftsausübung zu stärken. Notwendige

524

Fazit und Schluss

Weiterentwicklungen betreffen aufgrund der beteiligungsfreundlichen Rechtsprechung des EuGH für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten vor allem Legislative und Exekutive. Auf Legislativebene muss neben der direkten ­ Demokratie ein sich an dem planungsrechtlichen Einwendungs- und ­Berücksichtigungsverfahren orientierendes Beteiligungsverfahren an der Gesetzgebung eingerichtet werden. Auf Exekutivebene unterscheiden sich die erforderlichen Maßnahmen je nach Aufgabe und Stellung des Organs. Im Rahmen der Rechtsverordnungsgebung muss ebenso wie bei der Gesetzgebung ein Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren geschaffen werden. Beteiligung innerhalb der Planung ist dem Grunde nach den Partizipationsvorgaben des Grundgesetzes nach ausgestaltet. Hier bedarf es nur leichter Optimierungen, um die effektive Wirksamkeit von Beteiligung sicherzustellen. Das Gleiche trifft auf die kommunale Selbstverwaltung zu, nicht jedoch auf die funktionale Selbstverwaltung. Gerade hier bedarf es des Ausbaus partizipativer Mechanismen, um die Legitimität zu stärken. Kurz gefasst muss sich Beteiligung an dem folgenden, aus dem Prinzip der Gewaltenteilung und der Ausbalancierung von kollektiver und individueller Selbstbestimmung abgeleiteten und die Legitimation staatlicher Entscheidungen steigernden Leitbild orientieren: Auf Ebene der Judikative dürfen sich nur Einzelne beteiligen, die in ihren Rechten betroffen sind. Die Entscheidungsmacht verbleibt beim Gericht. Auf Ebene der Legislative muss das Volk neben Personal- auch Sachfragen entscheiden können. Auf Ebene der Exekutive bedarf es einer genauen Analyse, ob Rechtsstaatlichkeit oder demokratische Willensbildung im Vordergrund steht. Die Entscheidung wird unabhängig davon immer vom staatlichen Organ getroffen. Die Interessen der Partizipationsberechtigten müssen stärker berücksichtigt werden, wenn der demokratische Charakter des Verfahrens im Vordergrund steht und müssen weniger bis gar nicht berücksichtigt werden, wenn der rechtsstaatliche Charakter des Verfahrens im Vordergrund steht. Parallel verläuft die Bestimmung der zu Beteiligenden. Sie verläuft von „allen“ über diejenigen, die in ihren Belangen berührt sind, hin zu denjenigen, die in ihren Rechten betroffen sind. Beteiligung in der Bundesrepublik Deutschland folgt grundsätzlich schon diesem Muster. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein zutiefst partizipa­ tiver Staat. Beteiligung ist weit verbreitet, jede Staatsgewalt wird von ihr bestimmt: Ohne Partizipation könnten Gerichte nicht entscheiden, ohne Parti­zipation gäbe es kein Parlament und damit auch keine Gesetze. Ohne Parlament und ohne Gesetze gäbe es auch keine Exekutive. Die Bundesrepublik Deutschland baut auf der „freien Selbstbestimmung aller“ auf. Die in



Fazit und Schluss525

Art. 1 GG festgehaltene Menschenwürde und das in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip zeugen von der Legitimation der Staatsgewalt durch die Sicherung individueller Selbstbestimmung und die Ermöglichung kollektiver Selbstbestimmung.

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Sachverzeichnis Aarhus-Konvention  44, 68, 182, 188, 191, 192 ff., 392 f., 400 ff. Abfallplanung  231 ff. Abstimmungen  49, 51, 54, 64 f., 118 ff., 126 ff., 138 ff., 143 f., 319 ff., 338 f., 434 ff., 519 f. abstrakte Normenkontrolle  98, 108 Abwägungsentscheidung  255, 292, 322 f., 376, 412 f. Abwägungsfehler  412 ff. Abwägungsgebot  173 ff., 184 f., 187, 214, 231, 233, 235, 236, 240, 242 f., 248, 260, 266 f., 273, 328 f., 412 Abwägungsspielraum  179, 240, 273, 412 f., 504, 517 AfD  38 f. Akteneinsicht  296, 298, 307 Akzeptanz  69 ff., 157, 250, 255, 468, 497, 501, 502 Allgemeinverfügung  S.146 Alternativenprüfung  177 f., 184 f., 221, 228, 231, 254, 267 f., 277, 291, 293, 504 f. Altrip-Rechtsprechung  43, 401, 403 ff., 416 f. Anhörungsverfahren  142, 160, 196, 375 Anlagengenehmigung  299 Antragskonferenz  253 ff., 274 Auftragsangelegenheiten  318 Auseinandersetzungspflicht  167 f. Auslandsdeutsche  54, 122 f. Äußerungsrecht  254 f., 258, 274, 285 Auszubildende  362 Bauplanungsrecht  312 f., 329, 339, 496 Bebauungsplan  287, 322 f., 325 ff., 331, 498

Bedarfserörterungsverfahren  506 f. Bedarfsplanung  169 f., 180 ff., 195 ff., 201 ff., 203 ff., 227, 242, 261, 279, 334, 495, 497 f. Befriedung  225 Beliehene  60 Berücksichtigungspflicht  128, 143, 158, 200 ff., 207, 218, 224, 248, 251, 255, 281, 283, 296, 301, 304, 396, 504 f., 511, 514 Beteiligung –– s. auch Partizipation –– Ausländerbeteiligung  136, 191 –– Dokumentation der Beteiligung  504 –– Korporative Beteiligung  36, 57, 58, 156, 261, 281, 284, 285, 493 –– Paritätische Beteiligung  365 –– Pluralistische Beteiligung  57, 160, 163 f., 167 f., 251, 344, 491, 493 –– Problem der „doppelten Beteiligung“  381 ff. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse  296, 499 Betroffene Öffentlichkeit  59, 188 ff., 205 f., 216 ff., 224 ff., 250, 254, 269 ff., 277, 286 ff., 294 f., 304, 329, 493, 511, 519 Beurteilungsspielraum  480 Brexit  38 Briefwahlen  486 Bundesbedarfsplanung  180 ff. Bundesfachplanung  228 ff. Bundesrat  81, 104 f., 108, 124, 125, 282, 370, 378, 382, 445, 483 f. Bundesregierung  35, 56, 102, 106, 108, 164, 181 f., 186 ff., 196, 203, 370, 448, 475

584 Sachverzeichnis Bundesrepublik Deutschland  45, 79, 124, 127, 278, 381, 426, 433, 519, 524 Bundestag  37 ff., 57, 81, 104 ff., 124 f., 141, 279, 282, 378, 382, 439, 445 ff., 487 Bundestagspräsident  105 Bundestagswahlen  38 Bundesvolk  53 f., 129, 149, 153, 310, 312 f., 319, 344 Bürgerbegehren  43, 320 ff. Bürgerentscheid  55, 309, 319 ff. Bürgerinitiativen  49, 165, 202 Bürgermeister  317 f., 336 ff. CDU  37, 471 CETA  49, 376 Datenschutz  56 Deliberation  66 ff., 74, 75, 501 Demokratie –– s. direkte Demokratie –– s. repräsentative Demokratie Demokratieprinzip  54, 63 ff., 72 ff., 84, 92 ff., 100 ff., 112, 118 ff., 153, 156, 233, 236, 240, 243, 345, 349 ff., 372, 382, 419, 424 ff., 440, 448, 479, 486, 489, 491, 493, 520, 525 Demokratische Gleichheit  158, 441, 451 Demonstrationen  49 f., 52 f. Die Linke  37 Direkte Demokratie  120, 126 ff., 319 ff., 372, 434 ff. Dispositionsmaxime  520 Dokumentations- und Nachsorgepflichten  504 Drittwiderspruchsverfahren  289 Effektive Funktionalität  41, 60 ff., 74 ff., 84., 87 ff., 92 ff., 109, 111, 117, 201, 438 ff., 447, 465 ff., 480, 483, 513, 518 Einbürgerung  124 Einwendungs- und Berücksichtigungsverfahren  195 ff., 201, 203 ff., 218,

224 ff., 227 f., 245 ff., 253 ff., 257 ff., 275 ff., 281 ff., 314, 329 ff., 368 f., 487 ff., 490 f., 509 ff., 512 f., 518 Einzelfallgesetz  102, 105, 122, 146 Eliten  35 Energiewende  42, 76 Entmutigungseffekt  454 Entwicklungsgebot  208 Erörterungstermin  198 f., 217, 219, 228, 245, 253 ff., 258, 271 ff., 276 f., 281 ff., 296 f., 301, 303, 501 ff., 509 EU-Ausländer  123 Europäische Bürgerinitiative  43 Europäische Integration  138, 477 Europawahl  39 EU-Verfassung  476 f. Ewigkeitsklausel  132, 450 Experten  59 f., 141 f., 155 f. EZB  49 Fachaufsicht  313, 340, 346, 355, 359, 515 Fachplanung  178, 209, 219, 221 f., 224, 228 ff., 286, 325, 329, 494, FDP  471 Finanzhoheit  317 Finanzplanung  259 Flächennutzungsplan  325 f., 415 Flugrouten  265, 493 Frankreich  291, 476 Freiheitsentziehung  108 Fremdaufgaben  305 Fremdbestimmung  157, 369, 373 f. Friedenswahlen  365 f., 373 Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung  43, 270, 278, 329 ff., 495 ff. Funktionale Selbstverwaltung  58, 211, 339 ff., 373, 375, 490, 509 ff., 524 Gemeindeeinwohner  309, 316, 318 f., 339 Gemeinderat  309, 312, 314 ff., 326, 332, 336 ff., 509, 515

Sachverzeichnis585 Gemeinwohl  S.42, 44, 221, 387 f., 438, 441 ff., 451, 457, 464, 471 f., 482, 485, 513 f. Gesetzesinitiativrecht  106, 135 f. Gesetzesreferenden  128 Gewaltenteilung  45 f., 79 ff., 100 ff., 109 ff., 117, 123, 147, 168, 380, 420 f., 426, 435 ff., 446 ff., 465, 471, 479 ff., 512 ff., 517 f. –– Inter-Gewaltenteilung  446, 479 ff., 515 ff., 518 –– Intra-Gewaltenteilung  82, 446 ff., 465, 514 f., 518 Gewaltenverschränkung  81 f., 105 Gewerkschaften  57 f., 365, 370 Gleichheit  41, 59, 63, 77, 147, 156 ff., 347, 362 ff., 441, 443, 451, 481 Grundgesetzänderungen  139 Grundrechtsschutz  62, 409, 434, 480 Handwerkskammer  362 f. Haushalt  130 ff. Haushaltsvorbehalt  131 Herrschaftsbeschränkung  446 Herrschaftseffektivierung  446 Herrschaftsermöglichung  92, 446, 454 Homogenitätsklausel  126, 320 Impeachment  86 Informelle Einflussnahme  159 Internet  34, 198 f., 206 f., 217, 252, 254 f., 274, 281, 295, 331, 486, 499 f. Kalifornien  133, 451 Kernbereichslehre  108 Klagebefugnis  381, 383, 384 ff. Klagerechte  393 Kollegialorgane  341 Kommunale Planung  325 ff., 334 ff. Kommunale Selbstverwaltung  372, 373, 520, 524 Kompetenznormen  83, 128 Komplexitätsargument  464 ff., 473 ff. Konterlegislatur  456

Laienrichter  419, 421 Landesentwicklungsplan  210 f. Landesplanung  210, 219 ff., 230, 242, 262 Landesregierungen  105, 124, 231, 483 Landesverfassungsgerichte  131, 382, 419 Landesvolk  53, 128, 133, 149, 153, 310 f., 314, 319, 342, 351 f., 485 Landschaftsplanung  235 ff., 243, 250 ff., 257 Legitimation –– Exekutive  148 ff., 490 ff. –– Judikative  375 ff. –– Legislative  118 ff., 434 ff. Legitimationsdefizit  256, 352, 362, 490, 509 Legitimationskette  65, 150, 152, 163, 177, 204 f., 309, 312 f., 342, 345, 361 Legitimationskrise  39, 372 Legitimationsverlust  34 ff. Lehrlinge  362 f. Leistungsstaat  72 Linienbestimmung  185, 222, 226, 230 ff., 235, 240, 243, 245 ff., 254, 256 Lobbyismus  472 Massenverfahren  44, 375 f. Mediationsverfahren  36, 49 Mediatisierung des Einzelnen  36, 58 Mehrheit –– Mehrheitsprinzip  38, 125, 207, 427, 436, 450, 504 –– „schweigende“ Mehrheit  445 Menschenrechte  39, 60 ff., 76, 97, 481 Menschenwürde  63, 92, 155, 525 Minderheit  76f., 85, 135, 157, 325, 438, 440 ff., 449 ff., 478, 481, 485, 513 ff. Minderjährige  125, 136 Mitberatung  51 Mitbestimmung  158, 434, 484 Mitentscheidung  51, 158, 204 f., 309, 344, 420, 515

586 Sachverzeichnis Mühlheim-Kärlich Entscheidung  75 Nachsorge  200 f., 217, 219, 247, 248, 257 f., 504 Naturschutzverbände  55, 58, 395 Nichtwähler  120 Niederlande  476 Notice-and-Comment-Verfahren  201 Null-Variante  268, 286, 323, 505 f. Optimierungsgebot  46, 115 f., 423 ff., 486, 489 ff., 518, 523 Ordnungsrecht  305 ff., 337, 374, 522 Ordnungsverwaltung  113, 305 ff. Organstreitverfahren  98 Organtreue  455, 457 f., 464 f. Parteispenden  471 Partizipation –– s. auch Beteiligung –– Funktionen von Partizipation  48, 60 ff., 78, 84, 109 –– Gefährdungen durch Partizipation  76, 513 ff. –– imperative Partizipation  47 ff., 143, 489 –– Partizipationsdefizit  362, 510, 511 f. Petitionen  49, 137, 140 f., 143, 191 Pilotverfahren  376 Planergänzung  415 Planfeststellung  43, 55, 170, 178, 185, 187 f., 196, 221, 226, 229, 242, 261 ff., 286 ff., 290 ff., 302, 321, 327, 329, 395, 415, 493, 496, 501 ff. Plangenehmigung  187, 415 Planung –– s. Abfallplanung –– s. Bedarfsplanung –– s. Bundesbedarfsplanung –– s. Bundesfachplanung –– s. Fachplanung –– s. Finanzplanung –– s. kommunale Planung –– s. Landesplanung

–– s. Landschaftsplanung –– s. Linienbestimmung –– s. Raumordnungsplanung –– s. Regionalplanung Planungsalternativen  267, 505 Planungshoheit der Gemeinde  169 Politikverdrossenheit  445 Popularbeteiligung  195 Popularklagebefugnis  384 Popularwahl  420 Populismus  38 f., 437 Post-Demokratie  35 Präklusion  307, 410 f. Präsidentenanklage  86 Private-Public Partnerships  53 Publizitätsgebot  200 Quoren  127, 133 ff., 324 f., 365, 436, 438, 447 ff., 472 Raumordnungsplanung  183, 208 ff., 501 Rechtsanwaltskammern  354, 356, 363 Rechtsaufsicht  312, 317, 346, 355, 515 Rechtsstaat –– demokratischer Rechtsstaat  426 rechtsstaatliche Legitimation  376, 377 ff., 421 Rechtsstaatsprinzip  47 ff., 60 ff., 75 ff., 93, 103, 104, 110, 112, 122, 174, 233, 236, 243, 364, 372, 373, 380, 382, 423 ff., 479, 497, 518, 520 Rechtsverordnungen  51, 57, 105 f., 146 f., 152, 160 ff., 236, 243, 268, 315, 317 f., 337, 374, 491, 493, 518, 521 Regionalplanung  209, 287, 498 Repräsentation  35, 121, 315, 420, 471, 491 Repräsentative Demokratie  77, 121 ff., 440 f., 446 f., 454, 471 Responsivität  50 ff., 68, 157, 159, 175, 335, 427 Richtervorbehalte  107 f.

Sachverzeichnis587 Richterwahlausschuss, Richterwahlausschüsse  341, 378 Sachverständige  141, 367 Satzungsgebung  312, 319, 355, 511 Schöffen  60, 418 ff. Schutznormlehre  389 ff., 410 Schweiz  77, 467, 469 Scoping  183, 225, 254, 495, 496 Selbstverwaltung –– s. funktionale Selbstverwaltung  58, 211, 339 ff., 373, 375, 490, 509 ff., 524 –– s. territoriale Selbstverwaltung  Sozialstaatsprinzip  482 SPD  37, 434, 463 Staatsangehörigkeit  122, 191, 195, 204, 419 Staatsgewalt –– Innehaben der Staatsgewalt  51, 53, 63, 79, 101, 109, 520 –– Teilhabe an der Staatsgewalt  51, 60, 65, 67, 79, 85, 204, 207, 481 f., 494, 507, 520 Staatsvolk  149, 313 Staatszielbestimmung  424 ff., 483 Standortauswahlverfahren  278 ff. Strategische Umweltprüfung  182 ff., 195, 204, 227, 249, 252, 257, 499 Stuttgart 21  41 f., 49, 467, subjektive Rechte  52, 178, 273, 383 ff., 412, 423 f., 512 Südafrika  91, 125, 257, 487 ff. Teilvolk  149 Territoriale Selbstverwaltung  309 ff., 509 ff. Transparenz  69, 159, 201, 255, 502 Umweltverträglichkeitsprüfung  182 ff., 207, 219 ff., 257 f., 396 f., 498, 504 Ungleichheit  363, 451, 472, USA  86, 125, 475

Verantwortungszusammenhang  68 f., 157 Verbandsklagerecht  55 f., 58 Verbraucherschutz  56, 165, 234, 300 Verfahrensbeschleunigung  411 Verfahrensdauer  513 Verfahrensfehler  397 ff. Verfahrensrechte –– Absolute Verfahrensrechte   395 ff. –– Relative Verfahrensrechte  398 ff. Verfassungsänderung  128, 132, 134, 138 f., 427, 435, 453, 461 Verfassungsbeschwerde  49, 99, 107, 161, 181, 187, 191, 384, 483 Verfassungsneugebung  138 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  433, 482 Versammlungsfreiheit  52 f. Vertrauen  34 ff., 282, 474, 508 Vertrauensverlust  34 ff. Verwaltungsakt  52, 117, 145 ff., 152, 171, 221, 263 f., 268 f., 289, 300, 302, 306 f., 327, 337, 358, 364, 374, 414 Verwaltungsvorschriften  146 f., 170, 292, 318 Volksbefragungen  128 Volksbegehren  127, 131 ff., 325, 434, 451 ff., 484 Volksentscheid  44, 126 ff., 320, 325, 434 ff. Volksgesetzgebung  43, 126 ff., 129 ff., 434 ff., 523 Volksinitiative  127, 131, 133, 135 ff., 443, 452, 454, 460 Volkssouveränität  119, 121, 436, 449 Wahlberechtigte  120, 133 f., 136 ff., 325, 364, 448, 451 ff. Wahlbeteiligung  38, 448 Wahlprüfung  105 Weimarer Republik  477 Wesentlichkeitstheorie  105, 349 Widerspruchsverfahren  289, 339 Zivilgesellschaft  39 ff., 251