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German Pages 372 [373] Year 2005
JÜRGEN KRAFCZYK
Der parlamentarische Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 980
Der parlamentarische Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung Perspektiven für eine nähere Bestimmung der Zulässigkeit direktdemokratischer Entscheidungen mit Auswirkungen auf den Haushalt de lege lata und de lege ferenda
Von
Jürgen Krafczyk
Duncker & Humblot • Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bremen hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11550-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit lag i m Wintersemester 2002/2003 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen als Dissertation vor. Für die Veröffentlichung wurden Rechtsprechung und Literatur bis Anfang 2004 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Alfred Rinken. Er hat die Anregung zur Behandlung des Themas gegeben und die Arbeit eingehend begutachtet. Für die Erstellung des Zweitgutachtens gebührt mein besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Dian Schefold. Herrn Dr. Florian Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die „Schriften zum Öffentlichen Recht". Eine besondere Hilfe waren mir Frau Rechtsanwältin Grit Wönicker und Herr Richter am Verwaltungsgericht Frank Hüsing, die sich der Mühe einer Korrektur unterzogen haben. Vor allem aber danke ich meiner Frau Tanja Roth, die die Arbeit ebenfalls mit korrigiert hat und mir mit Geduld und Interesse zur Seite stand. Ihr ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, i m A p r i l 2004
Jürgen Krafczyk
Inhaltsübersicht
Einführung
17
I. Gegenstand der Untersuchung
19
II. Methode der Untersuchung
23
1. Teil Der Finanzvorbehalt bei direktdemokratischen Verfahren in den Ländern de lege lata
A. Verortung des Finanzvorbehalts bei der plebiszitären Gesetzgebung I. Der Finanzvorbehalt bei der an das Parlament gerichteten Volksinitiative II. Der Finanzvorbehalt beim Referendum über ein Parlamentsgesetz in. Der Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände I. Abgaben, Steuern und Gebühren II. Besoldungen, Dienst- und Versorgungsbezüge III. Sonstige spezielle Finanzausschlüsse C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts I. Legislative Formen und Funktionen der Haushaltswirtschaft II. Überblick über die Auslegung des Haushaltsvorbehalts in Rechtsprechung und Literatur
25
26 26 29 34 55 55 61 67 68 70
87
8
Inhaltsübersicht III. Grundsätzliche Aspekte der Auslegung des Haushaltsvorbehalts IV. Abgrenzungskriterien
95 175
2. Teil Möglichkeiten der Installierung einer haushaltswirksamen Volksgesetzgebung de lege ferenda
A. Die schlichte Aufhebung des Finanzvorbehalts I. Folgen der Streichung des Finanzvorbehalts für die Volksgesetzgebung
222
223 224
IL Rechtsprechung und Literatur zu den bisherigen Versuchen der Regelung einer finanzwirksamen Volksgesetzgebung 231 III. Zulässigkeit einer einfachen Streichung des Finanzvorbehalts
241
B. Alternative Regelung einer finanzwirksamen Volksgesetzgebung unter Sicherung der Schutzzwecke des Finanzvorbehalts 291 I. Parlamentarische Regelungen als Anknüpfungspunkt für eine verantwortbare finanzwirksame Volksgesetzgebung 292 II. Realisierungsmöglichkeiten für die Normierung eines Deckungsjunktims III. Zulässigkeit der finanzwirksamen Volksgesetzgebung mit Deckungsjunktim
297 319
Schluss
342
Literaturverzeichnis
345
Sachregister
367
Inhaltsverzeichnis Einführung
17
I. Gegenstand der Untersuchung
19
II. Methode der Untersuchung
23
1. Teil Der Finanzvorbehalt bei direktdemokratischen Verfahren in den Ländern de lege lata
A. Verortung des Finanzvorbehalts bei der plebiszitären Gesetzgebung I. Der Finanzvorbehalt bei der an das Parlament gerichteten Volksinitiative II. Der Finanzvorbehalt beim Referendum über ein Parlamentsgesetz III. Der Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung 1. Stufen der Volksgesetzgebung a) Initiierung durch Volksinitiative bzw. -begehren
25
26 26 29 34 34 35
aa) Vorgeschaltete Volksinitiative
35
bb) Volksbegehren
37
b) Volksentscheid 2. Verortung des Finanzvorbehalts bei der Volksgesetzgebung
42 46
a) Der Finanzvorbehalt des Art. 73 Abs. 4 WRV
47
b) Der Finanzvorbehalt in Bayern, Baden-Württemberg und Bremen
50
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände I. Abgaben, Steuern und Gebühren
55 55
10
Inhaltsverzeichnis 1. Steuern
57
2. Sonstige nichtsteuerliche Abgaben
59
II. Besoldungen, Dienst- und Versorgungsbezüge
61
1. Bezüge der Beamten, Soldaten, Richter und Regierungsmitglieder
62
2. Abgeordnetendiäten
65
III. Sonstige spezielle Finanzausschlüsse C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts I. Legislative Formen und Funktionen der Haushaltswirtschaft 1. Formen haushaltsrelevanter Gesetzgebungsentscheidungen
67 68 70 70
a) Haushaltsgesetz
71
b) Allgemeine finanzwirksame Einzelgesetzgebung
74
c) Verhältnis zwischen Haushaltsgesetz und Einzelgesetz
77
2. Funktionen des öffentlichen Haushalts II. Überblick über die Auslegung des Haushaltsvorbehalts in Rechtsprechung und Literatur 1. Rechtsprechung
81
87 87
a) Orientierungsphase
87
b) Konsolidierungsphase
89
c) Differenzierungsphase
92
2. Literatur III. Grundsätzliche Aspekte der Auslegung des Haushaltsvorbehalts 1. Begriff des „Haushaltsplans" nach Art. 73 Abs. 4 WRV 2. Grammatikalische, systematische und historische Aspekte
94 95 96 104
a) Wortlaut
104
b) Systematik
107
c) Entstehungsgeschichte
113
Inhaltsverzeichnis 3. Teleologische Aspekte: Sinn und Zweck des Finanzvorbehalts a) Ausschluss aufgrund der Erfordernisse struktureller Komplexität aa) Konsistenz und Komplexität haushaltsrelevanter Entscheidungen (1) Dimensionen der Planungsbezogenheit
119 120 123 124
(2) Verhältnis zwischen Planung und politischer Einzelentscheidung 126 bb) Intellektuelle Überforderung des Volksgesetzgebers
129
cc) Unzulängliche Berücksichtigung des finanziellen Ausgleichserfordernisses 134 (1) Koordinations-und Ausgleichsdefizit
137
(2) Informations- und Abwägungsdefizit
140
b) Verhinderung von Missbrauch
141
aa) Privatinteresse und Selbstbedienung
144
bb) Demagogie- und Manipulationsgefahr
149
c) Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts
152
aa) Das Budgetrecht als Verwirklichung der politischen Gestaltungsfunktion des Haushalts 155 (1) Revision parlamentarischer Gestaltung infolge Ausgleichsverpflichtung 157 (2) Einschränkung des budgetären Gestaltungsspielraums
158
bb) Einwände gegen das Budgetrecht als Normzweck des Finanzvorbehalts 159 (1) Mangelnde praktische Relevanz der Gestaltungsmöglichkeiten 160 (2) Finanzwirksame Volksgesetze als bloße externe Vorgaben für das Budgetrecht 161 (3) Parlamentarische Selbstbegrenzung
163
(4) Möglichkeiten des Parlaments zur Erhaltung des Gestaltungsspielraums 164 (a) Möglichkeit der Aufhebung finanzwirksamer Volksgesetze 164 (b) Möglichkeit der Kreditaufnahme d) Sicherung der Leistungsfähigkeit des Staates und seiner Verwaltung 4. Zusammenfassung IV. Abgrenzungskriterien
167 170 174 175
1. Abgrenzungen bzgl. Art. 73 Abs. 4 WRV
176
2. Abgrenzungen bzgl. der aktuellen Finanzausschlussklauseln
178
12
Inhaltsverzeichnis a) Abgrenzung nach quantitativen Aspekten
180
aa) Positive oder negative Einnahmen-oder Ausgabenwirkung
180
bb) Absolute Höhe der finanziellen Folgen
184
cc) Höhe der finanziellen Folgen in Relation zu Haushaltsstrukturdaten
185
dd) Höhe der finanziellen Auswirkungen in Relation zu den Einwohnern 191 b) Abgrenzung nach qualitativen Aspekten aa) Art der Auswirkungen hinsichtlich Dauer und Disponibilität
191 192
bb) Gefahr einer Häufung von Volksbegehren
194
cc) Sachgehalt und Wertigkeit des Anliegens
195
dd) Einnahmen und Ausgaben als Regelungsgegenstand
198
ee) Zusammenhang mit konkreten haushaltspolitischen Entscheidungen des Parlaments oder der Regierung 201 3. Perspektiven für die Entwicklung einer Abgrenzungssystematik
203
a) Modelle der Verknüpfung einzelner Bewertungskriterien
204
aa) Volksgesetze mit einmaliger Ausgabe
205
bb) Volksgesetze mit mehrjährigen Ausgaben
209
b) Festsetzung von Grenzwerten
215
c) Zuständiger Entscheidungsträger für die Konkretisierung des Abgrenzungserfordernisses 218
2. Teil Möglichkeiten der Installierung einer haushaltswirksamen Völksgesetzgebung de lege ferenda
A. Die schlichte Aufhebung des Finanzvorbehalts
222
223
I. Folgen der Streichung des Finanzvorbehalts für die Volksgesetzgebung
224
1. Kompetenzerweiterungen im Bereich der Einzelgesetzgebung
225
2. Kompetenzerweiterungen im Bereich der Haushaltsgesetzgebung
225
a) Änderung des Haushaltsgesetzes im laufenden Haushaltsgesetzgebungsverfahren 227 b) Änderung des Haushaltsgesetzes durch ein Nachtragshaushaltsgesetz
228
c) Tatsächliche Möglichkeit der Haushaltsgesetzgebung
230
Inhaltsverzeichnis II. Rechtsprechung und Literatur zu den bisherigen Versuchen der Regelung einer finanzwirksamen Volksgesetzgebung 231 1. Die Regelungsvorstöße im Lichte der Rechtsprechung
232
2. Auffassungen der Literatur
238
III. Zulässigkeit einer einfachen Streichung des Finanzvorbehalts 1. Prüfungsmaßstäbe für die Streichung des Finanzvorbehalts a) Regelungsgrenzen für den verfassungsändernden Landesgesetzgeber
241 243 243
b) Die Weite der Demokratie- und Rechtsstaatsbegriffe als Strukturprinzipien 245 2. Verstoß gegen das Demokratieprinzip a) Ermöglichung der Partizipation
247 249
aa) Unverkürzte Entscheidungsmöglichkeit
251
bb) Manipulationsfreie Entscheidungsmöglichkeit
252
b) Orientierung am Gemeinwohl im Rahmen der Volksvertretungsgarantie 253 aa) Umfang der Volksvertretungsgarantie
257
(1) Existenz-und Kompetenzgarantie
257
(2) Prävalenz- bzw. Dominanzgarantie
258
(a) Formelle Herleitung eines Parlamentsvorrangs (b) Materielle Herleitung eines Parlamentsvorrangs bb) Verletzung der Volksvertretungsgarantie
259 262 265
(1) Gewährleistung der Gestaltungsfunktion des Parlaments ...
266
(2) Sicherung der Verantwortlichkeitsbeziehung des Parlaments
269
3. Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip a) Elemente der Rechtsstaatlichkeit
272 273
aa) Organadäquate Kompetenzordnung
273
bb) Rationale Verfahrensregeln
276
b) Verletzung der rechtsstaatlichen Anforderungen an die staatliche Kompetenz-und Verfahrensordnung 279 aa) Verfahrensmäßiges Koordinations- und Ausgleichserfordernis ..
280
bb) Sicherung der Leistungsfähigkeit des Staates
280
4. Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
282
a) Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
284
14
Inhaltsverzeichnis b) Das Gebot zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts als Gestaltungsgrenze für die Volksgesetzgebung 285 aa) Unmittelbarer Kontrollmaßstab für die Volksgesetze
285
bb) Materieller Gestaltungsauftrag für das Parlament
288
5. Zusammenfassung
290
B. Alternative Regelung einer finanzwirksamen Völksgesetzgebung unter Sicherung der Schutzzwecke des Finanzvorbehalts 291 I. Parlamentarische Regelungen als Anknüpfungspunkt für eine verantwortbare finanzwirksame Volksgesetzgebung 292 1. Regelung einer Interventionsmöglichkeit der Regierung
292
2. Installierung eines Deckungsjunktims
295
II. Realisierungsmöglichkeiten für die Normierung eines Deckungsjunktims
297
1. Art der Deckungsbestimmung
298
2. Verfahren der Deckungsvorsorge
300
a) Einbringung des Deckungsvorschlags unter Beratung und Hilfestellung durch die Regierung 301 b) Zeitpunkt der Einbringung der Deckungsbestimmung
303
c) Folgen einer Übernahme der Finanzierungsregelung durch das Parlament 307 3. Voraussetzungen einer Deckungspflicht
309
a) Tatbestandliche Voraussetzungen des Finanzierungserfordernisses ...
309
b) Festlegung einer Bagatellgrenze
312
4. Zulässiger Inhalt der Deckungsbestimmung
314
a) Erhöhung der Einnahmen
314
b) Verringerung der Ausgaben
317
5. Zusammenfassung III. Zulässigkeit der finanzwirksamen Volksgesetzgebung mit Deckungsjunktim 1. Ermöglichung der Partizipation a) Gefahr der Erdrosselung in der Entwurfsphase
318 319 319 320
Inhaltsverzeichnis b) Gefährdung der freien Entscheidungsmöglichkeit bei der direktdemokratischen Willensäußerung 321 aa) Hinreichende Informationsgrundlage für eine Abwägungsentscheidung 322 bb) Gewährleistung einer unbeschränkten Entscheidungsfreiheit 2. Verhinderung von Missbrauch a) Stimmenfang
323 327 328
aa) Koalitionsbildung
329
bb) Trittbrettfahrer
330
b) Abwälzungseffekt
331
aa) Minderheitenschutz durch materielle Verfassungswerte
332
(1) Minderheitenschutz durch das Sozialstaatsprinzip
332
(2) Minderheitenschutz durch Grundrechte
333
bb) Minderheitenschutz durch Quoren
336
3. Schutz des Repräsentationsprinzips
337
4. Sicherung der Leistungsfähigkeit des Staates
338
5. Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
339
6. Zusammenfassung
340
Schluss
342
Literaturverzeichnis
345
Sachregister
367
Einführung „Wir sind das Volk!" - Unter diesem Motto standen die Demonstrationen in Leipzig im Jahre 1989, die schließlich zum friedlichen Umsturz der DDR führten und in Deutschland eine Diskussion über die politische Rolle des Volkes und die Möglichkeiten einer Ausweitung seiner Teilnahme am Verfassungsleben entfachten. Der Ruf nach „mehr Demokratie" spiegelt dabei die Forderung nach verstärkter direkter Mitwirkung bei der staatlichen Willensbildung wider: Ein Mehr an Bürgerbeteiligung soll der oft beklagten Politikverdrossenheit entgegenwirken, die Undurchschaubarkeit und Unbeweglichkeit des politischen Betriebs überwinden und der Entfremdung der Politik von den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbeugen. Mittlerweile ist in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eines direktdemokratischen Gesetzgebungsverfahrens eröffnet. Neben den acht Ländern, in denen bereits die Verfassungen nach 1945 die Volksgesetzgebung geregelt haben1, wurde diese in den anderen Ländern von 1990 bis 1996 etabliert 2: Den Anfang machte Schleswig-Holstein mit der neuen Landesverfassung von 1990; zwischen 1992 und 1993 haben die fünf neuen Länder die direktdemokratische Gesetzgebung konstitutionell verankert; mit den neuen Landesverfassungen Niedersachsens 1993 und Berlins 1995 - aus der alten Verfassung Berlins wurden die Bestimmungen über die Volksgesetzgebung 1974 entfernt 3 - und schließlich mit der Verfassungsänderung Hamburgs 1996 besteht nun in allen Ländern die Möglichkeit der unmittelbaren Gesetzgebung4. Dem Volk wird allerdings nicht im gleichen Umfang wie dem parlamentarischen Gesetzgeber die Teilnahme am staatlichen Willensbildungsprozess erlaubt, denn in allen Landesverfassungen werden - allgemein gesprochen - Haushalts- bzw. Finanzfragen von der Volksgesetzgebung ausgenommen und somit allein dem Parlament vorbehalten5. Tatsächlich kann dieser sog. Finanzvorbehalt von erheblicher 1 Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland. Zum Sonderfall Berlins siehe sogleich weiter unten im Text. 2 Vgl. zu den Verfassungsentwicklungen in Bezug auf direktdemokratische Verfahren Rinken Hollerbach-FS S. 403 (404) sowie ausführlich Jung JöR 1993, 29; ders. ZG 1998, 295; ders. JöR 2000, 39. 3 Durch das 17. Änderungsgesetz vom 22. 11. 1974 (BerlGVBl. S. 2741). Zur Begründung der Streichung mit der besonderen Rechtslage Berlins infolge des Besatzungsstatusses vgl. Magen in: Pfennig / Neumann Art. 61 Rdnr. 6. 4 Inzwischen wurden die direktdemokratischen Instrumente z.T. sogar noch weiter ausgebaut, vgl. zuletzt die Verfassungsänderungen in Rheinland-Pfalz vom 08. 03. 2000 (RhPfGVBl. S. 65), in Hamburg vom 16. 05. 2001 (HambGVBl. S. 105) und in NordrheinWestfalen vom 01. 03. 2002 (NRW-GVB1. S. 108).
2 Krafczyk
18
Einführung
Bedeutung sein, wenn man bedenkt, dass sich viele, ja letztlich sogar fast alle staatlichen Entscheidungen mehr oder weniger auf den Haushalt auswirken 6. Die sich seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts nahezu zu einem politischen Dauerbrenner entwickelnde Diskussion um den Nutzen und die Risiken der unmittelbaren Demokratie spitzt sich bei der Frage, in welchem Umfang die Volksgesetzgebung auch über Finanzfragen zulässig sein soll, in besonderem Maße zu. In dieser von einer bemerkenswert hohen Emotionalität geprägten Auseinandersetzung über das Für und Wider der direkten Demokratie stehen sich zwei „Lager" gegenüber7: Die eine Seite der lebhaften Befürworter der Volksgesetzgebung möchte den direktdemokratischen Elementen einen möglichst großen Anwendungsbereich verschaffen und strebt eine Erweiterung der Volkskompetenzen insbesondere auch im finanzrelevanten Bereich an; sie sehen gerade bei finanziellen Fragen ein gesteigertes Bedürfnis nach Teilnahme des Volkes, da der Bürger durch Leistungs- und Abgabengesetze in besonderem Maße betroffen sei8. Die andere Seite, die den Elementen der direkten Demokratie eher skeptisch gegenübersteht, tritt dagegen für eine weitgehende Beschränkung der Volksgesetzgebung ein und hält deren Ausschluss für zwingend erforderlich, sobald Finanzfragen betroffen sind; sie sorgen sich um die Folgen für den Haushalt, sehen die Leistungsfähigkeit des Staates in Gefahr und hegen die Befürchtung, dass bei einer Volksabstimmung über diese Fragen das Gemeinwohl auf der Strecke bleibe9. Die Frage, ob und inwieweit finanzielle Gesetze von dem Verfahren der Volksgesetzgebung ausgeschlossen sein müssen, stellt somit gleichsam eine der Schlüsselfragen der direkten Demokratie dar und „betrifft in ihrem letzten Grunde die Frage nach den Grenzen der unmittelbaren Demokratie überhaupt" 10.
5 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 73 BayVerf; Art. 70 Abs. 2 und Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Art. 59 Abs. 2 und Art. 60 Abs. 2 MV-Verf; Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf; Art. 108a Abs. 1 S. 2, 109 Abs. 3 S. 3 und Art. 114 S. 3 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 68 Abs. 2 und Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 6 Vgl. BayVerfGHE 29, 244 (269); 47, 276 (304); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (670); Heun in: Dreier, Grundgesetz, vor Art. 104 a Rdnr. 23; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 186 f.; Rux DVB1. 549 (551 Fn. 20). Zu den unterschiedlichen finanziellen Auswirkungen der Gesetze siehe im 1. Teil unter C11 b. 7 Vgl. zur Ideologieanfälligkeit der Diskussion über die direkte Demokratie Rinken Hollerbach-FS S. 403. 8 Deutlich kommt diese Einstellung zum Ausdruck, wenn etwa vom „Siegeszug" der direkten Demokratie die Rede ist, vgl. die Titel der Beiträge von Jung in: v. Arnim, Demokratie vor neuen Herausforderungen, S. 103 und Gleitmann in: Heußner/Jung S. 237. 9 Auch die Rechtsprechung ist nicht frei von entsprechend tendenziösem Vokabular, wenn etwa davon gesprochen wird, dass direktdemokratische Entscheidungen zu „Betriebsunfällen" führen und „Reparaturarbeiten" erfordern würden, vgl. ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (41,43). 10 So bereits im Jahre 1927 C. Schmitt S. 31.
Einführung
19
I. Gegenstand der Untersuchung Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zu dem Themenkomplex der finanzwirksamen Volksgesetzgebung leisten, indem systematisch untersucht werden soll, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich direktdemokratische Gesetzgebungsverfahren auf finanzielle und haushaltsrelevante Fragen beziehen dürfen. Sie beschränkt dabei ihren Gegenstand auf den in den Landesverfassungen geregelten parlamentarischen Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung. Unberücksichtigt bleiben daher die zwar verfahrensmäßig mit der Volksgesetzgebung vergleichbaren, aber funktionell von dieser zu trennenden Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf der Kommunalebene. Auch für diese mittlerweile in fast allen Ländern eingerichteten Institute der unmittelbaren Demokratie 11 ist ein mehr oder weniger weit gefasstes Finanztabu ähnlich dem im Volksgesetzgebungsverfahren geregelt 12. Trotz der auf dem ersten Blick gleichen Problematik muss die kommunale Ebene für die vorliegende Untersuchung aber außer Betracht bleiben. Zum einen handelt es sich bei den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden nicht um Gesetzgebung im eigentlichen Sinne, sondern um die Ausübung von Verwaltungstätigkeit, so dass sich die direktdemokratischen Elemente hier in strukturell unterschiedlichen Funktionsbereichen bewegen13, zum anderen ist auch ein von finanz11 In Berlin ist gem. §§ 40 ff. BerlBezVerwG lediglich ein Bürgerbegehren auf Bezirksebene geregelt. Für die Stadt Bremen als eigenständige Gemeinde im Zwei-Städte-Staat gelten die Regelungen über Volksbegehren und Volksentscheid in der Landesverfassung entsprechend, Art. 148 Abs. 1 S. 2 BremVerf, in Hamburg sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Bezirksebene aufgrund des Gesetzes zur Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid vom 06. 10. 1998 (HambGVBl. S. 207) möglich. - Besonders konfliktreich war die Einführung dieser Institute in Bayern, die schließlich 1995 im Wege eines Volksentscheides auf Kommunalebene eingeführt und verfassungsrechtlich in Art. 12 Abs. 3 und 7 Abs. 2 BayVerf verankert wurden, vgl. hierzu die Darstellung bei Nemitz in: v. Heußner/Jung S. 255 ff. sowie BayVerfGHE 50,181 ff. 12
In den Gemeindeordnungen wird überwiegend die Haushaltssatzung (§ 20 b Abs. 1 S. 3, § 21 Abs. 2 Nr. 4 BW-GemO; Art. 18 a Abs. 3 BayGemO; § 20 Abs. 3 Buchst, d BrandGemO; § 8 b Abs. 2 Nr. 4 HessGemO; § 22 b Abs. 3 S. 2 Nr. 3 NdsGemO; § 26 Abs. 5 Nr. 3 NRW-GemO; § 24 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SächsGemO; § 24 Abs. 1 S. 4, § 26 Abs. 3 Nr. 4 SAnhGemO; § 16 g Abs. 2 Nr. 3 SchlH-GemO; § 17 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 2 ThürKommO), zum Teil zusammen mit dem Haushaltssicherungskonzept (§ 21 a Abs. 4 Nr. 3 SaarlKSVG), mit dem Haushaltsplan (§ 15 b Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 Buchst, h BremerhavenVerf) oder mit beiden zusammen (§ 17 a Abs. 2 Nr. 4 RhPfGemO) ausgenommen. In Mecklenburg-Vorpommern ist das Haushaltswesen ausgeschlossen (§ 20 Abs. 3 Nr. 3 MV-KV). 13 Vgl. insbesondere in Bezug auf die mangelnde Übertragbarkeit der Auslegung des Finanzvorbehalts in Art. 73 BayVerf auf den kommunalen Bürgerentscheid BayVerfGH BayVBl. 1997, 622 (628) und C. Gebhardt S. 204 f. - Aus der nahezu unüberschaubaren Literatur zur direkten Demokratie auf Kommunalebene vgl. etwa: Fischer DÖV 1996, 181; Gleitmann in: Heußner/Jung S. 237; Hofmann VR 1997, 156; Knemeyer DVB1. 1998, 113; ders., Bürgerbeteiligung und Kommunalpolitik, passim; Kühne /Meissner passim; Schmitt Glaeser DÖV 1998, 824; Seeger ZParl 1988, 516; Treffer/Kroll passim; Schliesky passim; Wollmann APuZ 1999, Beilage 24-25, S. 13. 2*
20
Einführung
wirksamen Gesetzen betroffener Landeshaushalt nach Inhalt und Umfang mit einem Gemeindehaushalt nur bedingt vergleichbar. Die Untersuchung erstreckt sich auch nicht auf etwaige Regelungen einer direktdemokratischen Gesetzgebung auf Bundesebene. Im Rahmen der Diskussion um die bundesrechtliche Einführung des Volksgesetzgebungsverfahrens ist neben der Frage, wie diese konkret auszugestalten wäre, nach wie vor umstritten, ob überhaupt mehr direktdemokratische Elemente auf Bundesebene etabliert werden sollen 14 . Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten für die 14. Legislaturperiode in ihrem Koalitionsvertrag von 199815 vereinbart, die Volksgesetzgebung in die Verfassung aufzunehmen, und dementsprechend noch im März 2002 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht 16. Dieser Entwurf, der entsprechend den Landesverfassungen auch einen Finanzvorbehalt vorsah 17, hat jedoch aufgrund des Widerstands der Opposition nicht die für Grundgesetzänderungen erforderliche qualifizierte Mehrheit im Parlament erhalten. Zwar hat die Regierungskoalition für die 15. Wahlperiode erneut die Schaffung einer bundesgesetzlichen Volksgesetzgebung vereinbart 18, da hierfür aber eine ausreichende Mehrheit im Bundestag nicht absehbar ist, soll diese bundespolitische Dimension hier ebenfalls außer Betracht bleiben 19 . Schließlich kann auch keine Einbeziehung der direktdemokratischen Regelungen in anderen Ländern außerhalb der Bundesrepublik Deutschland erfolgen. Zwar sind in zahlreichen anderen Staaten direktdemokratische Institute auf gesamtstaatlicher Ebene oder in den entsprechenden Gliedstaaten geregelt 20, wobei insbeson14 Vgl. zu dieser Diskussion u. a. Berlit KritV 1993, 318; Degenhart Der Staat 31 (1992), 77; Fliegauf JR 1992,485 (488 ff.); J. Giehl passim; Hufschlag passim; Jung RuP 1991, 167; Krause, in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 39. 15 Vom 20. 10. 1998, http://www.trend.partisan.net/trdl098/vertrag.html (Stand: 21. 10. 2002), unter X I 13. Zur Entwicklung der Gesetzesvorhaben von 1993 bis 1998 vgl. T. Mayer/T. Weber in: Heußner/Jung S. 352. 16 Vom 13. 03. 2002, BT-Drs. 14/8503. Der Entwurf basiert im Wesentlichen auf einem im März 2001 von der SPD beschlossenen Eckpunktepapier. Vgl. hierzu Jung RuP 2001, 61 ff. und 144 ff. und zur aktuellen Diskussion Blankart Wirtschaftsdienst 2000,607. 17 Art. 82 a Abs. 1 des Entwurfs lautet: „Finanzwirksame Volksinitiativen sind zulässig. Ausgeschlossen sind Volksinitiativen über das Haushaltsgesetz, über Abgabengesetze, Dienst- und Versorgungsbezüge sowie die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie über eine Wiedereinführung der Todesstrafe." 18
Koalitionsvertrag vom 16. 10. 2002, http://www.bundesregierung.de/Regierung/Koalitionsvertrag-I._Praeambel-, 1774/VIII.-Sicherheit_-Toleranz-und.htm (Stand: 16. 12. 2002), unter VIII 1.10. 19 Vgl. zur politischen Diskussion die Übersicht zu den Positionen der Parteien und des Vereins „Mehr Demokratie" unter http://www.mehr-demokratie.de/bu/dd/parteien.htm (Stand: 16. 12. 2002). 20 Vgl. die Überblicke bei Bugiel ZParl 18 (1987), 394 (398 ff.); Butler/Ranney passim; Hölscheidt/Putz DÖV 2003, 737; Möckli APuZ 1991, Beilage 23, S. 31; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 19 ff.; Stejfani/Thaysen passim.
Einführung
dere die Erfahrungen in der Schweiz21 und den USA 2 2 das Blickfeld für die gegebene Thematik erweitern könnten. Eine Betrachtung einzelner Regelungen in anderen Staaten kann jedoch nicht ohne Verzerrungen gelingen, wenn sie isoliert ohne Berücksichtigung des Gesamtsystems, in das die unmittelbaren Demokratieelemente eingebettet sind, vorgenommen würde 23 - der hierfür notwendige Systemvergleich würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, so dass sie sich auf das Völksgesetzgebungsverfahren in den deutschen Ländern beschränken muss. Die Untersuchung des parlamentarischen Finanzvorbehalts bewegt sich zwischen zwei unterschiedlichen Inhaltsebenen: das Volksgesetzgebungsverfahren auf der einen und das staatliche Haushaltswesen auf der anderen Seite, die jeweils für sich weitgehend eigenständige Regelungssysteme innerhalb der Landesverfassungen bilden. Durch das Finanztabu sind die beiden Normkreise in einer Verfassungsbestimmung insoweit miteinander verbunden, als gegenseitige Überschneidungen in den genannten Bereichen weitestgehend ausgeschlossen werden. Würde man dagegen unter Aufhebung dieser Trennung beide Systeme übereinander legen, wäre zu untersuchen, inwieweit sie in der Schnittmenge gleicher Anwendungsbereiche miteinander vereinbar wären. Es sind somit zwei grundlegende Fragekreise zu unterscheiden: Erstens: Für die Anwendung der gegenwärtig in den jeweiligen Landesverfassungen geregelten Finanzvorbehalte sind die in den Ländern z.T. unterschiedlich formulierten Ausschlussklauseln auszulegen. Diese Auslegungsproblematik, die in ähnlicher Form bereits in der Weimarer Republik unter den damals geltenden Landesverfassungen sowie der Reichsverfassung bestand24 und schon damals Gegen21 Aus der Fülle der Literatur vgl. nur etwa die Darstellungen bei Berger passim; Giacometti S. 525 ff.; Gross in: Heußner/Jung S. 87; Hernekamp passim; Hertig in: Klöti, S. 247 ff.; Kleinewerfers in: Börner/Rentsch S. 61 ff.; Kriesti APuZ 1991, Beilage 23, S. 23; Luthardt in: Luthardt/Waschkuhn S. 225 ff.; Lutz/Strohmann passim; Möckli in: Steffani/ Thaysen S. 289 ff.; Rhinow in: Borner/Rentsch S. 135 ff. Zum Zusammenhang mit Finanzfragen insbesondere: W Haller ZSR 103 I I (1984), 479; Imboden, Staat und Recht, S. 163 ff.; Ate/Imboden-FS S. 255; Wallender O. Kaufmann-FS S. 185. 22 Vgl. hierzu die Darstellungen bei Billerbeck passim; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, passim; ders. in: Heußner/Jung S. 101; Glaser passim und Stelzenmüller passim. Speziell zum Zusammenhang zwischen der direkten Demokratie und Finanzfragen: Bauer passim; Waldhoff S. 145 ff. 23 Kritisch insoweit auch Rinken Hollerbach-FS S. 403 (410 Fn. 26) und Zschoch NVwZ 2003,438 (440). Siehe hierzu auch im 1. Teil unter C III 3 d. 24 Auf Reichsebene in Art. 73 Abs. 4 WRV sowie auf Landesebene in § 9 Abs. 3 AnhVerf v. 18. 07. 1919; § 23 Abs. 3 BadVerf v. 21. 03. 1919; §§ 10 Abs. 1 Nr. 2, 77 Abs. 1 BayVerf v. 14. 08. 1919; Art. 41 Abs. 2 BraunschwVerf v. 06. 01. 1922; § 4 Abs. 2 BremVerf v. 18. 05. 1920; Art. 58 Abs. 3 HambVerf v. 07. 01. 1921; Art. 14 HessVerf v. 12. 12. 1919; Art. 10 Abs. 5 LippVerf v. 21. 12. 1920; § 46 MecklSchwVerf v. 17. 12. 1920, § 32 Abs. 2 MecklStrelitzVerf v. 29. 01. 1919; § 65 Abs. 2 OldenbVerf v. 17. 06. 1919; Art. 6 Abs. 3 PreußVerf v. 30. 11. 1920; Art. 37 SächsVerf v. 01. 11. 1920; § 10 Abs. 5 Schaumb.-LippeVerf v. 24. 02. 1921; § 26 ThürVerf v. 11. 03. 1921; § 45 WürttVerf v. 25. 09. 1919. Nur die
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stand heftiger Auseinandersetzungen war 25 , ist auch heute nach wie vor alles andere als gelöst. Nachdem in mehreren Ländern geplante Volksbegehren bzw. Volksinitiativen aufgrund des Finanzvorbehalts von den Verfassungsgerichten für unzulässig erklärt, in anderen Ländern dagegen zugelassen worden sind 26 , hat sich die Diskussion über die Bedeutung und die Reichweite des sog. „Finanztabus" zunehmend verschärft. Es wird sich auch in Zukunft immer wieder die Frage stellen, wann ein Volksbegehren gegen den parlamentarischen Finanzvorbehalt verstößt. Gibt es überhaupt überzeugende Kriterien, die eine vorhersehbare und bestimmbare Abgrenzung zwischen der zulässigen und unzulässigen finanzwirksamen Volksgesetzgebung ermöglichen? Zweitens: Nicht nur wegen der schwierigen Handhabbarkeit der Finanzausschlussklauseln in der Praxis, sondern auch in rechtspolitisch grundsätzlicher Weise wird darüber hinaus in letzter Zeit zunehmend der Sinn und die Berechtigung des Ausschlusses der Volksgesetzgebung von Haushaltsfragen kritisch hinterfragt. Kann der Inhalt des Finanzvorbehalt geändert oder ganz gestrichen werden, oder gibt es für das Finanztabu eine rechtliche Notwendigkeit im Sinne eines verfassungsrechtlich garantierten Mindestumfangs, der auch im Wege einer Verfassungsänderung nicht beseitigt werden darf? Vorstöße zur Abschaffung des Finanztabus blieben bisher jedenfalls ohne Erfolg, entsprechende Volksbegehren, die auf eine Streichung oder Modifizierung der Finanzvorbehaltsklausel gerichtet waren, wurden von den Verfassungsgerichten für unzulässig erklärt 27 . Auch mit diesen Urteilen ist die Diskussion noch nicht beendet, insbesondere gilt es nun zu untersuchen, ob unter veränderten Bedingungen eine Erweiterung der finanziellen Kompetenzen des Volkes ermöglicht werden kann. Die beiden hier aufgezeigten Problemkreise hängen eng miteinander zusammen, denn während einerseits nur dann, wenn der Inhalt einer Norm geklärt ist, sinnvoll über die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten ihrer Änderung nachgedacht werden kann, bestimmt sich andererseits die Auslegung der Norm auch nach den verfassungsrechtlichen Anforderungen und Grenzen.
Lübeckische Landesverfassung v. 23. 05. 1920, die nur das Referendum, nicht aber das Volksbegehren vorgesehen hatte, kannte keinen Finanzvorbehalt. 25 Zur Diskussion um den Art. 73 Abs. 4 WRV siehe im 1. Teil unter A III 2 a, C III 1 und CIV1. 26 Entsprechende Entscheidungen liegen vor aus Bayern, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Zu den Entscheidungen im Einzelnen siehe im 1. Teil unter C H I . 27
In Bayern, Bremen und Thüringen. Siehe hierzu im Einzelnen im 2. Teil unter A I I 1 .
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II. Methode der Untersuchung Diese Arbeit ist eine verfassungsrechtliche Untersuchung. Der Rechtswissenschaft als normative Wissenschaft geht es in erster Linie um Aussagen von Sollenssätzen, die die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen und institutionellen Handelns beschreiben. Erkenntnisquellen sind daher in erster Linie die auszulegenden und auf den jeweiligen Einzelfall anzuwendenden Normen der geltenden (Verfassungs-)Rechtsordnung als maßgebliche Beurteilungsgrundlage 28. Die Rechtswissenschaft kann auch eine Änderung des geltenden Rechts thematisieren, wobei wiederum ein Überprüfen der Gestaltungsmöglichkeiten anhand der nicht geänderten oder auch nicht veränderbaren geltenden Normen erforderlich ist. Bei der Untersuchung künftig zu setzender - oder zu streichender - Rechtssätze ist die Frage der (verfassungs-)rechtlichen Zulässigkeit aber zu trennen von der rechtspolitischen Frage, ob eine Ausweitung der Volksgesetzgebung auf Finanz- und Haushaltsfragen grundsätzlich wünschenswert ist. Die Rechtsanwendung und die Rechtspolitik stehen jedoch in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander 29, denn jede Rechtsanwendung muss sich den Sinn und Zweck der Regelung bewusst machen, wobei sich diese teleologische Beurteilung letztlich an dem zu orientieren hat, was als gesellschaftlich und wirtschaftlich zweckdienlich angesehen wird 3 0 . Für eine Herstellung des Bezugs der Normen auf die Lebenswirklichkeit können dabei die Erkenntnisse empirischer Sozial Wissenschaften einbezogen werden 31, deren Berücksichtigung im Rahmen dieser Untersuchung allerdings nur ergänzend möglich ist: So analysiert etwa die (Rechts-)Soziologie die Entstehungsbedingungen und Wirkungsweise des Rechts innerhalb der menschlichen Gesellschaft unter Berücksichtigung der gegenseitigen Einflüsse und Zusammenhänge von gesellschaftlichen Gruppen und der Staatsgewalten untereinander 32; die Politologie befasst sich mit den Herrschaftsphänomenen und deren Bedeutung für Entscheidungsstrukturen der politischen Ordnung 33 ; und schließlich beschäftigt sich mit der Volksgesetzgebung und ihrer Auswirkung auf die öffentlichen Haushalte auch die Finanzwissenschaft als Teilgebiet der Volkswirtschaftslehre, die das mit Einnahmen und Ausgaben verbundene Handeln des Staates daraufhin untersucht, wie den Bedürfnissen in der Gesellschaft unter der gegebenen Begrenzung der Res28 N. Horn Rdnr. 40; Mayer-Maly S. 74. 29 Zum Verhältnis von Politik und Jurisprudenz, insbesondere der konservativen und insoweit bereits politischen Tendenz der Rechtsprechung vgl. Mayer-Maly S. 74 ff. Vgl. zum Vorwurf der verfassungspolitisch orientierten Rechtsprechung auch Rux LKV 2002, 252 (257). 30 N. Horn Rdnr. 41. 31 Vgl. auch allgemein zum Zusammenhang der unterschiedlichen Sozialwissenschaften zueinander Baumann S. 18 ff.; N. Horn Rdnr. 40. 32 Vgl. N. Horn Rdnr. 61; Stern, Staatsrecht I, S. 31 und speziell zum Zusammenhang zwischen Soziologie und Rechtswissenschaft etwa Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 9 ff. 33 Hättich in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon Bd. 4, S. 443 (444).
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sourcen am besten entsprochen werden kann 34 , und vor diesem Hintergrund unmittelbare Entscheidungen des Volks auf ihre Wirkungsbedingungen für die Herstellung maximaler ökonomischer Rationalität betrachtet 35. Im Rahmen der hier im Vordergrund stehenden rechtswissenschaftlichen Diskussion um die Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen muss man sich vergegenwärtigen, dass die Interpretation immer auch von der Person des Rechtsanwenders mitbestimmt wird. Daher spielt bei der Frage des Finanzvorbehalts die grundlegende Einstellung des Interpreten zur direkten Demokratie eine wichtige Rolle, wobei die unterschiedlichen Positionen oftmals Ausdruck eines bestimmten Menschenbildes sind, das als Vorurteil in der einen oder anderen Richtung den meisten Auslegungen - i.d.R. unausgesprochen - zugrunde liegt 36 . Gerade in der oft leidenschaftlich geführten Diskussion über die Ausweitung oder Einschränkung der direktdemokratischen Elemente sind viele Argumente und Begriffe emotional besetzt und führen häufig zu einer scharfen Polemik und Unsachlichkeit37. Es gilt daher auch, den Stil der Auseinandersetzung auf ein sachorientiertes Niveau zu transformieren. In diesem hier aufgezeigten Rahmen widmet sich die vorliegende Arbeit den Fragen nach dem Inhalt und den Grenzen des Finanztabus unter jeweiliger Berücksichtigung der gegenwärtigen Rechtslage, der rechtshistorischen Dimension sowie der künftigen Regelungsmöglichkeiten. Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst in einer systematischen Darstellung anhand der bisherigen Rechtsprechung und der Stimmen der Literatur die aktuelle Rechtslage zum bestehenden Finanzvorbehalt in den Landesverfassungen aufbereitet und - hierauf aufbauend - ein Maßstabskonzept für eine Konkretisierung der Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger finanzwirksamer Volksgesetzgebung entwickelt. Im zweiten Teil soll sodann untersucht werden, ob unter Berücksichtigung der gegebenen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen die Möglichkeit besteht, die aktuelle Rechtslage durch Erweiterung der direktdemokratischen Kompetenzen im Hinblick auf finanzwirksame Entscheidungen zu verändern, m.a.W. ob es eine zulässige Alternative zum gegenwärtigen Finanzvorbehalt in den Landesverfassungen gibt.
34 Wobei insbesondere der sozioökonomische Ansatz die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben aus den jeweils wirksamen gesellschaftlichen Kräften erklärt, Andel S. 7. 35 Vgl. hierzu Blankart, Öffentliche Finanzen, S. 107 ff.; BrümmerhoffS. 104 ff.; Musgrave / Musgrave / Kullmer S. 114 ff. 36 J. Giehl S. 26; Obst S. 267. 37 Vgl. die obigen Beispiele in Fn. 8 und 9.
7. Teil
Der Finanzvorbehalt bei direktdemokratischen Verfahren in den Ländern de lege lata Gegenstand der Untersuchung des 1. Teils ist der parlamentarische Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung in seiner konkreten Ausformung nach der aktuellen Rechts- und insbesondere Verfassungslage 1. Dabei ist zunächst zu bestimmen, auf welchen Ebenen des mehrstufigen plebiszitären2 Gesetzgebungsprozesses das Finanztabu in den einzelnen Ländern überhaupt zum Tragen kommt (A). Nach dieser Standortklärung ist die Frage zu behandeln, welche Materien der Haushaltsvorbehalt inhaltlich umfasst; dabei werden die in den jeweiligen Landesverfassungen geregelten Finanzausschlussklauseln und ihre Auslegung in Rechtsprechung und Literatur systematisch dargestellt und analysiert. Hierfür lassen sich zwei Kategorien von Finanzmaterien unterscheiden: Neben den bis auf Bayern 3 in allen Ländern enthaltenen speziellen Ausschlusstatbeständen der Abgaben, Besoldungen und sonstigen konkret benannten Finanzausschlüssen, die auf ihren Inhalt und ihre Relevanz für die direktdemokratische Landesgesetzgebung zu untersuchen sind (B), ist auf das in den einzelnen Ländern unterschiedlich formulierte und in Rechtsprechung und Literatur in seiner inhaltlichen Auslegung umstrittene Vorbehaltselement, das sich auf den Haushalt4, den Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz5 oder auf Finanzgesetze bzw. Finanzfragen 6 bezieht, einzugehen (C).
1
Berücksichtigt ist die zuletzt beschlossene Änderung der direktdemokratischen Instrumente in der Verfassung Nordrhein-Westfalens vom Ol. 03. 2002 (NRW-GVB1. S. 108). 2 „Plebiszitär" wird im Folgenden verwendet als „die direkten Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes betreffend". Die mit dem Begriff des „Plebiszits" z.T. verbundene Assoziation einer bloßen Abstimmung mit akklamatorischem Charakter ist in der deutschen Rechtswissenschaft - anders als etwa in der Schweiz - nicht vorherrschend, vgl. zum unterschiedlichen Sprachgebrauch Jürgens S. 42 ff. m. w. N. 3 Vgl. Art. 73 BayVerf. 4 Art. 73 BayVerf; Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf (für Bürgeranträge); Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 59 Abs. 2 MV-Verf (für Volksinitiativen); Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 5 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 70 Abs. 2 BremVerf (für Volksentscheid); Art. 69 Abs. 2 MV-Verf (für Volksbegehren); Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
A. Verortung des Finanzvorbehalts bei der plebiszitären Gesetzgebung Will man den Bezugsrahmen des parlamentarischen Finanzvorbehalts7 darstellen, hat man sich zunächst vor Augen zu führen, welche verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten dem Volk bei der Gesetzgebung eröffnet sind. Für eine zusammenfassende Betrachtung der in den Landesverfassungen unterschiedlich ausgeformten plebiszitären Elemente geben zwei Bezugspunkte legislatorischer Willensbildung die Struktur der Darstellung vor, nämlich die Einleitung und der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens. Dementsprechend lässt sich die Einbringung eines Gesetzentwurfs durch die an das Parlament gerichtete Volksinitiative (I) von dem die Gesetzgebung abschließenden Volksentscheid im Referendum (II) unterscheiden; erst aber die spezifische Verbindung beider Verfahrenselemente, die dem Volk die Gesetzgebung ohne entscheidende Mitwirkung des Parlaments erlaubt, stellt die Volksgesetzgebung im eigentlichen Sinne dar 8 (III). Entsprechend der Vielfalt der unterschiedlichen landesspezifischen Ausgestaltungen der plebiszitären Elemente ist der Finanzvorbehalt jeweils auf unterschiedlichen Verfahrensstufen geregelt.
I. Der Finanzvorbehalt bei der an das Parlament gerichteten Volksinitiative Die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens durch Einbringung eines Gesetzes in die Volksvertretung mit dem Ziel, dass sich das Parlament mit dem initiierten Anliegen befasst und abschließend über dieses entscheidet, stellt, wenn dieses Recht - anstatt von der Regierung oder den Abgeordneten selbst9 - von einem qualifizierten Teils des Landesvolks wahrgenommen wird, eine Volksinitiative dar 10 . Dieses Institut ist in den Verfassungen von zwölf Ländern verankert: In Berlin wird sie schlicht als „Initiative" 11 , in Bremen und Thüringen als „Bürger6 Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf. 7 Die Begriffe „Finanzvorbehalt", „Haushaltsvorbehalt", „Finanztabu" sowie „finanzrelevante Gesetze", „Haushaltsangelegenheiten" etc. beziehen sich in diesem Abschnitt ganz allgemein auf die jeweilige Ausschlussklausel und die darin bezeichnete Materie, ohne diese im Einzelnen zu differenzieren. Die Darstellung der jeweiligen Inhalte erfolgt unten unter B undC.
8 Fell S. 8; A. Weber DÖV 1985, 178 (178). Grundlegend für diese Begriffsprägung C. Schmitt S. 10. 9 In Bayern hatte zudem der Senat bis zu seiner Abschaffung zum 01. 01. 2000 ein Initiativrecht: Art. 39,71 BayVerf a.F. 10 Zur unterschiedlichen Terminologie vgl. Jürgens S. 38 f.; Stelzenmüller S. 29 ff. n Art. 61 BerlVerf.
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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antrag" 12 , in Sachsen als „Volksantrag" 13 und im Übrigen als „Volksinitiative" 14 bezeichnet. Nur in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Saarland ist dieses Institut nicht geregelt, hier besteht nur die Möglichkeit der unmittelbaren Einleitung eines Volksbegehrens im Rahmen der zweistufig gestalteten, weiter unten noch näher zu behandelnden Volksgesetzgebung15. Die Volksinitiative hat ihre historische Wurzel im Petitionsrecht 16: Als eine Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Sammel- bzw. Massenpetition17 kann sie inhaltlich grundsätzlich alle Gegenstände betreffen, die auch im Petitionsausschuss behandelt werden können 18 . Dabei kann es sich auch um einen mit einer Begründung versehenen Gesetzentwurf handeln19 - in Sachsen ist dies sogar der einzig mögliche Inhalt 20 . Die Funktion der Volksinitiative ist es, auf die politische Öffentlichkeit und den parlamentarischen Gesetzgeber einzuwirken 21, darüber hinaus ist sie in Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein auch als notwendige erste Stufe im Volksgesetzgebungsverfahren ausgestaltet22. Anders als das Petitionsrecht gewährt die Volksinitiative einen Anspruch darauf, dass das Parlament den Gegenstand behandelt und darüber beschließt, wobei das gesamte Plenum mit der Sache 12 Art. 87 BremVerf; Art. 68 ThürVerf. 13 Art. 70,71 SächsVerf. 14 Art. 76 BrandVerf; Art. 50 Abs. 1 HambVerf; Art. 59 MV-Verf; Art. 42, 47 NdsVerf; Art. 67a NRW-Verf; Art. 108a RhPfVerf; Art. 80 SAnhVerf. Ähnlich Art. 37; 41 SchlH-Verf: „Initiativen aus dem Volk". 15 Siehe hierzu unter A III 1. 16 Zum Übergang der Petition von einer ursprünglich privaten Bitte über ein politisches Agitationsinstrument bis zum Element der politischen Partizipation vgl. Rinken NordÖR 1998,132 (132 f.). 17 Vgl. BrandVerfG LKV 2002, 77 (78); Berlit KritV 1993, 318 (329, 354); Magen in: Pfennig/Neumann Art. 61 Rdnr. 11; Mann in: Löwer/Tettingen Art. 67a Rdnr. 5 ff. Ablehnend zur Petitionsähnlichkeit der Volksinitiative dagegen Engelken BayVBl. 2002, 289 (292). 18 Vgl. Reich Art. 80 Anm. 1.1. Abs. 3; Röper ZParl 1997,461 (462); Przygode S. 401. 19 Art. 76 Abs. 1 S. 2 BrandVerf; Art. 123 Abs. 1 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 1 HambVerf; Art. 55, 59 MV-Verf; Art. 42 Abs. 1 NdsVerf; Art. 67a Abs. 1 S. 2 NRW-Verf; Art. 108a RhPfVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf; Art. 41 Abs. 1 S. 2 SchlH-Verf; Art. 68 Abs. 1 S. 2 ThürVerf. - In Berlin ist dies nicht ausdrücklich geregelt: Nach Art. 61 BerlVerf kann sich die Initiative auf „bestimmte Gegenstände der politischen Willensbildung" beziehen, wobei in Art. 59 Abs. 2 BerlVerf als Möglichkeit der direktdemokratische Einbringung von Gesetzesvorlagen lediglich das Volksbegehren vorgesehen ist. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass für Gesetzentwürfe ausschließlich das Volksbegehren und der Volksentscheid als spezielleres Verfahren vorgesehen sind und die Initiative in Berlin nur für sonstige Angelegenheiten der politischen Willensbildung in Betracht kommt; vielmehr ist die Volksinitiative ein eigenständiges Institut, das nicht als Vorstufe zum Volksbegehren ausgebaut ist, und kann sich somit aufgrund des umfassenden Anwendungsbereichs des Art. 61 BerlVerf auch auf Gesetze beziehen, vgl. Magen in: Pfennig/Neumann Art. 61 Rdnr. 15. 20 Art. 71 Abs. 1 S. 3 SächsVerf. 21 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). 22 Siehe hierzu im Einzelnen unter A III 1.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
befasst werden muss, eine bloße Behandlung in einem Ausschuss genügt nicht 2 3 . Die Initianten haben zudem einen Anspruch darauf, ihre Vorlage in einer amtlichen Befragung darzulegen und zu begründen, was sich, wenn nicht ausdrücklich in der Verfassung geregelt 2 4 , aus dem allgemeinen Prozessgrundrecht des fairen Verfahrens ergibt 2 5 . Die Volksinitiative ist in Hamburg an den Senat 2 6 , in Nordrhein-Westfalen an das Innenministerium 2 7 , in Niedersachsen an den Landeswahlleiter 28 als Hilfsorgan der Regierung und i m Übrigen an das Landesparlament 29 oder an den Landtagspräsidenten 30 zu richten. Sie bedarf, anders als die Petition, einer Mindestunterstützung: Dieses Quorum liegt am niedrigsten in Nordrhein-Westfalen mit 0,5 % 3 1 , i m Übrigen etwa zwischen 0,8 % und 2 % der Wahl- bzw. Stimmberechtigten 3 2 , am höchsten dagegen in Thüringen mit 6 % der Stimmberechtigten, wobei hier sogar noch in der Hälfte der Landkreise und kreisfreien Städte 5% der Stimm-
23 Reich Art. 80 Anm. LI. Abs. 3; RöperZPail 1997, 461 (464). - Regelmäßig werden die Petitionen im Plenum nur auf Antrag einer qualifizierten Minderheit besprochen, i.d.R. auf Antrag einer Fraktion oder 5 % der Abgeordneten (§ 112 Abs. 2 S. 2 GOßT); 1/4 der Abgeordneten (§ 9 Abs. 2 BremPetG; § 100 Abs. 6 S. 2 NRW-GOLT); 2/3 der Mitglieder des Petitionsausschusses oder 20 Abgeordneter (§ 84 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BayGOLT u. Art. 5 Abs. 1 S. 2 BayPetG); 10 Abgeordneter (§ 46 Abs. 4 S. 1 BerlGOAH; § 86 HambGOBgsch) oder 8 Abgeordneter (§ 50 Abs. 2 S. 3 SAnhGOLT). 24 So in Art. 61 Abs. 1 S. 3 BerlVerf; Art. 76 Abs. 1 S. 4 BrandVerf; Art. 59 Abs. 2 S. 2 MV-Verf; Art. 47 S. 2 NdsVerf; Art. 71 Abs. 4 SächsVerf; Art. 80 Abs. 2 S. 2 SAnhVerf; Art. 41 Abs. 1 S. 4 SchlH-Verf; Art. 68 Abs. 4 S. 2 ThürVerf. 25 Leibholz/Rinck/Hesselberger Art. 17 Rdnr. 3; H. Neumann, BremVerf, Art. 87 Rdnr. 4; RöperZParl 1997, 461 (465). 26 §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 3, 5 Abs. 1 S. 1 HambVVVG, wobei dem Senat zunächst angezeigt werden muss, dass mit der Sammlung der Unterschriften begonnen wird, und die Unterschriftenlisten nach sechs Monaten nachzureichen sind. 27 § 2 NRW-VVVG. 28 § 6 Abs. 1 NdsVAG. 29 § 1 Abs. 1, § 3 BremVEG, § 7 MV-VAG; § 4 Abs. 1 ThürBVVG. 30 § 4 S. 1 BerlVVVG; § 9 Abs. 1 BrandVAG; § 60e Abs. 1 RhPfLWG; § 8 Abs. 1 SächsVVVG; § 5 Abs. 1 SAnhVAG; § 6 Abs. 1 SchlH-VAG. 31 Art. 76a Abs. 2 NRW-Verf. 32 In Hamburg bei ca. 0,8% (Art. 50 Abs. 1 S. 3 HambVerf: 10.000 von insgesamt 1.211.300 Wahlberechtigten); in Schleswig-Holstein ca. 0,9% (Art. 41 Abs. 1 S. 3 SchlHVerf: 20.000 von insgesamt 2.135.900 Stimmberechtigten); in Rheinland-Pfalz ca. 1,0 der Stimmberechtigten (Art. 108a Abs. 2 S. 1 RhPfVerf: 30.000 von insgesamt 3.025.1000 Stimmberechtigten); in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ca. 1,1 % (Art. 59 Abs. 2 S. 2 MV-Verf: 15.000 von insgesamt 104.600 Wahlberechtigten; Art. 71 Abs. 1 S. 2 SächsVerf: 40.000 von insgesamt 3.592.500 Stimmberechtigten); in Niedersachsen ca. 1,2% (Art. 47 S. 1 NdsVerf: 70.000 von insgesamt 5.929.300 Wahlberechtigten); in Sachsen-Anhalt ca. 1,6% (Art. 80 Abs. 2 SAnhVerf: 35.000 von insgesamt 2.148.400 Wahlberechtigten). Die Gesamtzahl der Wahlberechtigten bezieht sich auf die letzte Landtagswahl und ist hier und im Folgenden entnommen aus Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2001, S. 93.
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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berechtigten unterzeichnet haben müssen 33 . In Berlin, Bremen und Brandenburg knüpft das Quorum an die Zahl der Einwohner an - so dass also auch Ausländer initiativberechtigt s i n d 3 4 - und liegt dabei zwischen 0,9 % und 3,1 % 3 5 . Die Verfassungen treffen für die Volksinitiative in Bezug auf die Geltung des Finanztabus unterschiedliche Regelungen: In den meisten Ländern steht sie ausdrücklich unter einem Haushaltsvorbehalt 36 , dagegen enthalten die Verfassungen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt für die Volksinitiative - i m Unterschied zur entsprechenden Bestimmung über das Volksbegehren - keine entsprechende Normierung 3 7 , so dass sich der Finanzvorbehalt in diesen Ländern nicht auf die Volksinitiative erstreckt 38 .
II. Der Finanzvorbehalt beim Referendum über ein Parlamentsgesetz I m Unterschied zu der zuvor genannten Möglichkeit der plebiszitären Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens kann dem Volk auch erst am Ende des Gesetzgebungsprozesses eine aus dem Parlament oder von der Regierung eingebrachte Vorlage zur abschließenden Abstimmung vorgelegt werden. Die Durchführung die-
33 Art. 68 Abs. 3 ThürVerf. 34 Die Erstreckung auf Ausländer halten wegen Verstößen gegen Art. 20 Abs. 2 S. 2 und Art. 28 Abs. 1 GG für unzulässig Hans v. Mangoldt S. 77 Fn. 292; H. Neumann, BremVerf, Art. 87 Rdnr. 14, 16; Oschatz Remmers-FS S. 101 (105) Engelken BayVBl. 2002, 289 (291, 293 f.). Da mit der bloßen Volksinitiative aber gerade keine Staatsgewalt ausgeübt wird, greifen diese Einwände nicht durch, vgl. Pestalozza LKV 1995, 344 (349); Brünneck/Epting in: Simon/Franke/Sachs § 22 Rdnr. 15. Kritisch aber zur Bezeichnung „Volksinitiative" insoweit Pestalozza in: Beck-Verlag, Deutsche Verfassungen, S. XXXV Fn. 9. 35 In Brandenburg ca. 0,9 % der volljährigen Einwohner (Art. 76 Abs. 1 S. 3 BrandVerf: 20.000 - bei Landtagsauflösung 150.000 - von insgesamt 2.118.000 erwachsenen Einwohnern - das Beteiligungsrecht erstreckt sich in Brandenburg allerdings auch auf Jugendliche ab 16 Jahren bei Sachangelegenheiten, die diese vornehmlich betreffen: § 7 Abs. 1 BrandVAG); in Bremen 2 % der Einwohner ab 16 Jahre (Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf) und in Berlin ca. 3,2 % der volljährigen Einwohner (Art. 61 Abs. 1 S. 2 BerlVerf: 90.000 der insgesamt 2.812.900 volljährigen Einwohner). 36 Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 61 Abs. 2 BerlVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 59 Abs. 2 MV-Verf; Art. 108a Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 68 Abs. 2 ThürVerf. Zum Inhalt des Haushaltsvorbehalts siehe unten unter B und C. 37 Art. 47 gegenüber Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 67a gegenüber Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf; Art. 80 gegenüber Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf. Die Erstreckung des Finanzvorbehalts auf die Volksinitiative wurde in der jüngsten Verfassungsänderung zur Einführung der Völksinitiative in Nordrhein-Westfalen in der vom Landtag übernommenen Beschlussempfehlung des Hauptausschusses herausgenommen, vgl. NRW-LT-Drs. 13/2264 S. 2. 38 Ebenso Birk/Wernsmann
DVB1. 2000, 669 (675).
3 0 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata ses sog. Referendums 39 ist in drei Ländern zwingend vorgeschrieben (obligatorisches Referendum 40 ), wenn eine Verfassungsänderung beschlossen werden soll: So muss bei jedem vom Parlament beschlossenen verfassungsändernden Gesetz in Bayern und Hessen - bei Änderung der Verfassungsregelungen über Volksentscheid und Volksbegehren auch in Berlin - das Volk über das Gesetz abstimmen 4 1 . Der Volksentscheid kann darüber hinaus in einigen Ländern auch durch die W i l lensentschließung eines bestimmten Staatsorgans eingeleitet werden (fakultatives Referendum): In Bremen kann der Volksentscheid durch die Bürgerschaft 42 , in Baden* Württemberg und Nordrhein-Westfalen durch die Regierung 4 3 initiiert werden. Bei verfassungsändernden Gesetzen steht diese Befugnis auch den Landesparlamenten in Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen 44 zu. Schließ-
39 Vgl. zum Begriff des Referendums in diesem Sinne auch Jürgens S. 41 f.; Degenhart Der Staat 1992, 77 (86) 42; H. Huber S. 9 mit Hinweis auf den Ursprung des Wortes: referre = zurücktragen, also an das Volk die Entscheidung zurückgeben. 40 Zur Unterscheidung von obligatorischem und fakultativem Referendum vgl. nur Abelein ZParl 1971, 187 (188); Jürgens S. 81; Kühne in: Kühne/Meissner S. 20; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 20. Im Einzelnen ist jedoch strittig, unter welchen Voraussetzungen das Referendum als zwingend anzusehen ist, vgl. hierzu sogleich die folgende Fn. 41. 41 Art. 75 Abs. 2 S. 2 BayVerf; Art. 123 Abs. 2 HessVerf; Art. 100 S. 2 BerlVerf. - Dagegen sind die für Bremen in Art. 125 Abs. 3 BremVerf und für Rheinland-Pfalz in Art. 129 Abs. 1 RhPfVerf genannten Verfassungsreferenden entgegen einer verbreiteten Auffassung nicht obligatorisch, auch nicht bedingt-obligatorisch. Nach diesen Regelungen kommt ein verfassungsänderndes Gesetz nur zustande, wenn das Parlament mit Zweidrittelmehrheit oder das Volk im Volksentscheid zugestimmt hat. Die Vorschriften ordnen nicht an, dass es bei fehlender qualifizierter Mehrheit im Parlament zwingend zu einer Volksabstimmung kommen muss. Für Bremen ist dies aus Art. 70 Abs. 1 Buchst, a) BremVerf ersichtlich, wonach die Bürgerschaft mit der einfachen Mehrheit eine Verfassungsänderung dem Volk unterbreiten kann, vgl. die ähnliche Regelung in Art. 69 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf. Für Rheinland-Pfalz kann nichts anderes gelten, ansonsten könnte eine kleine Fraktion im Landtag mit jedem von vornherein aussichtslosen Antrag über eine Verfassungsänderung einen Volksentscheid herbeiführen. Im Ergebnis zustimmend: Abelein ZParl 1971, 187 (193); Fell S. 67 f.; für Art. 129 RhPfVerf auch Jürgens S. 81; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 20. A.A.: Degenhart Der Staat 1992, 77 (88); A. Weber DÖV 1985, 178 (180). 42 Art. 70 Abs. 1 Buchst, b) BremVerf (einfache Gesetze) und Art. 70 Abs. 1 Buchst, a) BremVerf (Verfassungsänderungen, wobei die Mehrheit der Mitglieder erforderlich ist - alternativ zum alleinigen Beschluss durch die Bürgerschaft gem. Art. 125 Abs. 3 und 4 BremVerf, der eine Zweidrittelmehrheit oder sogar Einstimmigkeit erfordert, vgl. noch zur alten Gesetzeslage Stuby in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken S. 288 [294]).
43 Art. 60 Abs. 2 und 3 BW-Verf; Art. 68 Abs. 3 NRW-Verf (Diese Möglichkeit hat jedoch weitreichende Konsequenzen: Wird der Gesetzentwurf durch das Volksbegehren abgelehnt, muss die Regierung zurücktreten, wird der Entwurf angenommen, so kann die Regierung den Landtag auflösen); § 69 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf (für Verfassungsänderungen, die nicht die nötige Zweidrittelmehrheit im Landtag finden). 44 Art. 64 Abs. 3 S. 1 BW-Verf, Art. 69 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf (wenn die nötige Zweidrittelmehrheit im Landtag nicht erreicht wurde); Art. 74 Abs. 3 S. 1 SächsVerf. Nicht dagegen in Rheinland-Pfalz, da hier Art. 129 Abs. 1 RhPfVerf, der die Möglichkeit des Zustandekommens eines verfassungsändernden Gesetzes durch Volksentscheid regelt, gerade nicht die Vorlage des Gesetzes durch den Landtag oder die Landesregierung ermöglicht.
A. Verortung des Finanzvorbehalts
31
lieh kann in Rheinland-Pfalz der Landtag dem Volk selbst die Möglichkeit der Referendumsinitiative eröffnen: Auf Antrag von ca. 5,1% der Stimmberechtigten kann das Volk die Durchführung eines Volksentscheids beantragen und damit ein bereits im Parlament beschlossenes Gesetz, dessen Verkündung von einem Drittel der Mitglieder des Landtags ausgesetzt wurde, verwerfen 45. Das Referendum erfüllt je nach Ausgestaltung zwei unterschiedliche Funktionen: Legt das Parlament - aus eigenem Entschluss oder weil es hierzu verfassungsrechtlich verpflichtet ist - dem Volk ein Gesetz vor, so erhöht das Volk durch die Zustimmung die Legitimation des Gesetzes46. Dagegen hat das Volk, wenn es auf Veranlassung eines anderen Staatsorgans bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen diesem und dem Parlament über eine gesetzliche Regelung entscheiden soll, die Funktion eines Schiedsrichters 47. Die Frage, inwieweit sich der Finanzvorbehalt auch auf das Referendum bezieht, ist in den einzelnen Verfassungen unterschiedlich geregelt. Das in Bayern, Hessen und eingeschränkt auch in Berlin geregelte obligatorische Verfassungsreferendum ist in den beiden letzteren Ländern nicht von der Finanzmaterie ausgenommen, da hier nur das Völksbegehren unter einem Haushaltsvorbehalt steht48, so dass für diese Länder im Gegenschluss von der Zulässigkeit - und damit auch von der Notwendigkeit - einer Volksabstimmung über finanzrelevante Verfassungsänderungen auszugehen ist 49 . Problematisch ist dies dagegen für Bayern, denn hier ist die Finanzmaterie - genau umgekehrt - nicht dem Volksbegehren, sondern dem Volksentscheid entzogen50. Es fragt sich hier, welche Norm im Falle einer finanz45 Art. 115 RhPfVerf (auf Antrag von 150.000 von insgesamt 3.025.100 Stimmberechtigten). Mit der Neufassung wird dieser Antrag wie ein „Volksbegehren" behandelt, was auch der bereits nach der alten Fassung geltende und sich u. a. auf den Antrag nach Art. 115 RhPfVerf beziehende Ausnahme vorbehält zum Quorum des Volksbegehrens in Art. 109 RhPfVerf nahe legt, vgl. ebenso i.E. Jürgens S. 131; Süsterhenn/Schäfer Art. 115 Anm. 2; Mayer/Ule S. 53; Ley in: Ley/Priimm A Rdnr. 59. Systematisch handelt es sich hierbei jedoch um ein Referendum über ein vom Parlament beschlossenes Gesetz, über das das Volk als Schiedsrichter nach vorheriger Aussetzung der Verkündung entscheidet. Besser wäre daher die Bezeichnung als „Referendumsinitiative" oder „Referendumsantrag" (so auch Jürgens S. 131). 46 Schefold ZParl 1989,425 (439). 47 H. Huber S. 15; Preuß ZRP 1993, 131 (137). Kritisch zu dieser Funktion A. Weber DÖV 1985, 178 (182) und Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 24. 48 Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 124 Abs. 1 S. 3. HessVerf. 49 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 163; A. Weber DÖV 1985, 178 (182). Auch Verfassungsnormen können erhebliche Haushaltswirkungen haben, und zwar neben Bestimmungen, die unmittelbar die Finanzverfassung betreffen, auch solche, die z. B. bestimmte staatliche Leistungen vorsehen, etwa im Zusammenhang mit Grundrechten oder Institutsgarantien. In Berlin, wo ein Referendum nur bei der Änderung der Verfassungsbestimmungen über das Volksbegehren und den Volksentscheid zu erfolgen hat, würde diese Frage etwa für den Fall einer Regelung der Kostenerstattung für die Initiatoren eines Volksbegehrens relevant werden. so Art. 73 BayVerf.
3 2 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
wirksamen Verfassungsänderung zurücktreten muss: Art. 75 Abs. 2 BayVerf, der für jede Verfassungsänderung die Durchführung eines Volksentscheids vorschreibt, oder Art. 73 BayVerf, der den Volksentscheid über den „Staatshaushalt" und damit - jedenfalls, soweit man der Rechtsprechung und den zustimmenden Ansichten in der Literatur folgt - über Gesetze, die den Haushalt wesentlich berühren 51, untersagt. Die ganz herrschende Ansicht vertritt die zweite Alternative und verlangt, dass auch ausgabenwirksame verfassungsändernde Gesetze dem Volk zur Entscheidung vorzulegen seien52. Art. 73 BayVerf beziehe sich als Sondervorschrift allein auf die Volksgesetzgebung nach Art. 72 BayVerf, nicht dagegen auf die parlamentarische, die nur durch das Erfordernis eines Referendums ergänzt werde 53. Dies zeige sich auch in der unterschiedlichen Terminologie der Verfassung, die einerseits bei Verfassungsänderungen nach Art. 75 Abs. 2 BayVerf von „Entscheidungen des Volks", andererseits im Rahmen der Volksgesetzgebung nach Art. 73 und 74 BayVerf vom „Volksentscheid" spreche 54. Letzteres Argument ist allerdings wenig überzeugend, denn die Formulierung in Art. 75 Abs. 2 BayVerf, dass Verfassungsänderungen dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden müssen, kehrt ebenso in dem die Volksgesetzgebung näher ausgestaltenden Art. 74 Abs. 7 BayVerf wieder 55 . Anders aber als bei der Volksgesetzgebung wird hier nicht über einen Entwurf aus dem Volk abgestimmt, sondern über einen Gesetzentwurf der Regierung bzw. des Parlaments, die die finanziellen Folgen für das Land, insbesondere in Bezug auf den Haushaltsplan gemäß Art. 79 BayVerf und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nach Art. 109 Abs. 2 GG zu berücksichtigen haben56. Da das Volk dieses verfassungsändernde, bereits vom Parlament beschlossene Gesetz nicht abändern, sondern nur in der vorgegebenen Form annehmen oder ablehnen kann, ist hier insbesondere die Gefahr ungedeckter Ausgaben durch die Durchführung eines Referendums nicht gegeben57. Es überwiegt hier die durch den Volksentscheid bezweckte Erhöhung der Legitimationsgrundlage für die Verfassungsbestimmungen als vorrangiger Regelungszweck des Referendums, so dass im Ergebnis eine Erstreckung des Finanztabus auf Verfassungsänderungen nach Art. 75 Abs. 2 BayVerf abzulehnen ist. Damit ist in allen drei Ländern, die ein obligatorisches (Verfassungs-)Referendum kennen, die Finanzmaterie nicht ausgeschlossen.
51
Siehe hierzu im Einzelnen unter CIV. 52 Engels BayVBl. 1976, 201 (203 f.); Fessmann BayVBl. 1976, 389 (394), der darüber hinaus auch den Volksentscheid im Anschluss an ein auf eine finanzwirksame Verfassungsänderung gerichtetes Volksbegehren zulassen will. 53 Engels BayVBl. 1976,201 (203). 54 Engels BayVBl. 1976,201 (203). 55 Vgl. Fessmann BayVBl. 1976, 389 (394). 56 Vgl. hierzu näher im 2. Teil unter A IE 4. 57 Vgl. A. Weber DÖV 1985, 178 (182) und für die vergleichbare Situation beim fakultativen Referendum Busse S. 193; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 44.
A. Verortung des Finanzvorbehalts
33
Unterschiedlich ist aber der Regelungsbefund beim fakultativen Referendum: Von den vier Ländern, in denen die Regierung oder das Parlament dem Volk ein Gesetz zum Volksentscheid unterbreiten kann, bezieht sich allein in NordrheinWestfalen der Finanzvorbehalt nur auf das Volksbegehren58, so dass hier der Durchführung eines seitens der Regierung oder des Landtags veranlassten Referendums ein Finanzvorbehalt nicht entgegen steht59. Dagegen beziehen die Verfassungen Baden-Württembergs, Bremens und Sachsens den Ausschluss von Haushaltsfragen ausdrücklich (auch oder nur) auf den Volksentscheid bzw. die Volksabstimmung 60 . In diesen drei Ländern muss zwischen dem (in Sachsen allerdings nicht möglichen) einfachen und dem Verfassungsreferendum unterschieden werden. Für das einfachgesetzliche Referendum in Bremen ergibt sich aus der systematischen Stellung der Finanzvorbehaltsklausel in Art. 70 Abs. 2 BremVerf in unmittelbarem Anschluss an die Regelungen zu den einzelnen Möglichkeiten des Volksentscheids in Art. 70 Abs. 1 BremVerf eine eindeutige Erstreckung des Finanztabus auf das Referendum 61; das Gleiche gilt in Baden-Württemberg für die Vorbehaltsklausel des Art. 60 Abs. 6 BW-Verf hinsichtlich der Referendumsmöglichkeiten in Art. 60 Abs. 2 und 3 BW-Verf 62 . Anders stellt sich die Situation dagegen für das - in allen drei Ländern mögliche - fakultative Verfassungsreferendum dar: Während in Bremen die in Art. 125 Abs. 3 und 4 BremVerf genannten Möglichkeiten des Zustandekommens einer Verfassungsänderung keine eigenständigen Regelungen des verfassungsändernden Referendums darstellen, sondern im Zusammenhang mit Art. 70 Abs. 1 Buchst, a BremVerf gesehen werden müssen, wird das Verfassungsreferendum in Baden-Württemberg in Art. 64 Abs. 3 S. 1 BW-Verf und in Sachsen in Art. 74 Abs. 3 S. 1 SächsVerf in einer gesonderten Bestimmung und systematisch erst nach der Normierung des in einer engen Verbindung zur Volksgesetzgebung stehenden Finanzvorbehalts geregelt. Diese besondere Normierungsreihenfolge erlaubt es, anders als in Bremen in Baden-Württemberg und Sachsen das Finanztabu lediglich auf das eigentliche Volksgesetzgebungsverfahren zu beziehen und das Referendum aus den gleichen Erwägungen wie zur bayerischen Rechtslage mangels einer Gefährdung des Landeshaushalts auch für haushaltswirksame Fragen zu öffnen. - Schließlich ist noch kurz das in Rheinland-Pfalz mögliche Referendumsbegehren gem. Art. 115 RhPfVerf zu betrachten, das für haushaltswirksame Gesetze gesperrt ist, da die hierfür nach Art. 114 S. 3 RhPfVerf erforderliche
58 Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf. 59 Berger S. 108; Busse S. 193; Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 3 a bb; Gensior/Krieg/Grimm § 17 VVG Erl. zu 2.; Hernekamp S. 278; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 163; Jürgens S. 131; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 27; Vogels Art. 68 Anm. 4; A. Weber DÖV 1985, 178 (182). Ebenso, aber kritisch Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 44. 60 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 70 Abs. 2 BremVerf; Art 73 Abs. 1 SächsVerf. 61 Spannhake S. 8, in der Tendenz offenbar auch Berger S. 108; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 163; Jürgens S. 133; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 27. 62 K Braun Art. 60 Rdnr. 17. 3 Krafczyk
3 4 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Aussetzung der Verkündung bei Gesetzen dieser Materie ausdrücklich für unzulässig erklärt ist 63 . Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass nur in Nordrhein-Westfalen uneingeschränkt ein Referendum über finanzrelevante Gesetze und Verfassungsänderungen stattfinden kann, in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und eingeschränkt auch in Berlin ist ein finanzwirksames Referendum lediglich bei Verfassungsänderungen möglich bzw. in Bayern und Hessen in diesem Fall sogar zwingend. In Bremen und Rheinland-Pfalz ist ein Referendum über Finanzfragen dagegen gänzlich ausgeschlossen.
I I I . Der Finanzvorbehalt bei der Volksgesetzgebung Von der Volksgesetzgebung spricht man, wenn das Volk im Wege der Volksinitiative bzw. des Volksbegehrens eine Vorlage in den Gesetzgebungsprozess einführen und durch Volksentscheid über das Gesetz am Ende auch selbst abstimmen kann. Im Gegensatz zu den zuvor genannten direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten kann hier das Volk - ohne auf die Mitwirkung des Repräsentativorgans angewiesen zu sein - in unmittelbarer Weise die Gesetzgebung mitgestalten. Dem Parlament wird zwar die Möglichkeit eingeräumt, das volksinitiierte Gesetz zu übernehmen und damit eine Volksabstimmung zu verhindern; stimmt es dem Gesetzentwurf aber nicht zu, muss zwingend ein Volksentscheid durchgeführt werden. Zunächst wird das Volksgesetzgebungsverfahren in seinen unterschiedlichen Stufen dargestellt, um im Anschluss aufzuzeigen, auf welchen Stufen das Finanztabu in den Verfassungen geregelt ist.
1. Stufen der Volksgesetzgebung Das Volksgesetzgebungsverfahren durchläuft mehrere Etappen, die in den Verfassungen der Länder und den entsprechenden Ausführungsgesetzen näher ausgestaltet sind. Die folgende Darstellung orientiert sich an den beiden genannten Verfahrensstadien der Gesetzesinitiative und der abschließenden Abstimmung über das Gesetz64. 63 Damit hat sich die Streitfrage erledigt, ob sich hierauf nach früherem Recht die Finanzausschlussklausel des Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf bezog; dafür Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 163; Jürgens S. 131 f.; Mayer/Ule S. 53; Süsterhenn/Schäfer Art. 115 Anm. 2, Art. 109 Anm. 3 a bb; dagegen Hernekamp S. 279 Fn. 1; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 28. 64 Für eine dreistufige Gliederung Przygode S. 53; Stuby in: Kröning/Pottschmidt/ Preuß/Rinken S. 288 (297). Für einen vierstufigen Aufbau Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. V 2; Schlenker VB1BW 1988, 121 (123). Fünf Stufen der Gesetzgebung formuliert schließlich B. J. Hartmann, DVB1. 2001,776 (777, 780 f.).
A. Verortung des Finanzvorbehalts
a) Initiierung durch Volksinitiative
35
bzw. -begehren
Auf der ersten Stufe im Volksgesetzgebungsverfahren wird ein bestimmter Gesetzentwurf formuliert und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Hierbei hat sich die politische Relevanz der Sachfrage zu erweisen: Das Gesetzesvorhaben bedarf einer gewissen Mindestunterstützung; von vornherein aussichtslose Begehren und Partikularinteressen sollen erst gar nicht zur Abstimmung gebracht werden 65. Darüber hinaus wird der Entwurf auf dieser Stufe durch eine präventive Rechtskontrolle auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüft, wodurch verfassungswidrige Vorhaben schon im Vorfeld unterbunden werden können. Die erste Stufe untergliedert sich ihrerseits in zwei Verfahrensabschnitte: Zunächst müssen die Initiatoren durch eigenständige Sammlung von Unterschriften den ersten Nachweis erbringen, dass der Gesetzentwurf von einer bestimmten, noch relativ niedrig angesetzten Zahl der Bevölkerung unterstützt wird 66 . In einem zweiten Abschnitt erfolgt ein zumeist öffentlich unterstütztes Eintragungsverfahren, für das ein deutlich höheres Unterstützungsquorum besteht. Herkömmlicherweise wird die erste Stufe mit ihren beiden Abschnitten einheitlich als Volksbegehren bezeichnet, wobei der erste Abschnitt als ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren ausgestaltet ist, das den Weg für die anschließende Durchführung des eigentlichen Eintragungsverfahrens eröffnet. Dagegen ist in einigen Landesverfassungen der erste Abschnitt als eine eigenständige fakultative oder aber auch als zwingend zu durchlaufende Etappe der Volksinitiative ausgestaltet. Durch diese ist - im Unterschied zum herkömmlichen Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens das Parlament bereits frühzeitig gezwungen, sich mit dem Gesetzentwurf in der Sache zu befassen, wodurch die Volksinitiative den Charakter einer selbständigen Stufe in einem dann dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahren erhält.
aa) Vorgeschaltete Volksinitiative Nur in den vier Landesverfassungen Brandenburgs, Hamburgs, Sachsens und Schleswig-Holsteins ist diese Volksinitiative als notwendige erste Station im Volksgesetzgebungsverfahren ausgestaltet67. In den anderen Ländern, deren Verfassungen die Volksinitiative geregelt haben68, ist diese lediglich fakultativ 69 und 65 BayVerfGH BayVBl. 2000, 397 (401); BremStGH NordÖR 2000,186 (188). 66
Anders allein in Mecklenburg-Vorpommern: Hier beginnt das Völksbegehren unmittelbar mit dem Eintragungsverfahren ohne vorgeschaltete Zulassung (§§12 und 13 MV-VAG). 67 Art. 76 BrandVerf; Art. 50 Abs. 1 und 2 HambVerf; Art. 70, 71 SächsVerf; Art. 37, 41 SchlH-Verf. 68 Art. 61 BerlVerf; Art. 87 BremVerf; Art. 59 MV-Verf; Art. 42, 47 NdsVerf; Art. 67a NRW-Verf; Art. 108a RhPfVerf; Art. 80 SAnhVerf; Art. 68 ThürVerf. 69 A.A. für Rheinland-Pfalz Jung RuP 2001, 61 (65), der auch hier das obligatorische dreistufige Verfahren annimmt. Aus Art. 108a, 109 RhPfVerf lässt sich das Erfordernis einer 3*
36
1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
wird i m Falle ihrer Durchführung in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt in das Volksgesetzgebungsverfahren integriert 7 0 , während sie in Berlin, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen ein gänzlich von der Volksgesetzgebung getrenntes Institut darstellt 7 1 . Die als obligatorische erste Stufe ausgestaltete Initiative, die beim Landtagspräsidenten 72 , in Hamburg beim Senat 7 3 einzureichen ist, muss, wenn mit ihr ein Gesetz verfolgt w i r d 7 4 , einen ausgearbeiteten und mit Gründen versehenen Gesetzentwurf enthalten 75 . Die auf Unterschriftenlisten zu dokumentierende Mindestunterstützung für das Zustandekommen der Volksinitiative liegt in Hamburg bei ca. 0,8 % 7 6 , in Schleswig-Holstein bei ca. 0,9 % 7 7 und in Sachsen bei ca. 1,1 % 7 8 der Stimmberechtigten, in Brandenburg dagegen bei ca. 0,9 % der volljährigen Einwohner 7 9 . Daraufhin erfolgt eine Prüfung der Volksinitiative auf die formellen Voraussetzungen, insbesondere auf das Erreichen der erforderlichen Unterschriften 80 ,
Volksinitiative für die Zulässigkeit des Volksbegehrens jedoch nicht entnehmen. I.Ü. ging auch der Landesgesetzgeber bei der Regelung des § 60 f. Abs. 6 S. 3 RhPfLWG offensichtlich davon aus, dass die Volksinitiative keine zwingende Stufe im Volksgesetzgebungsverfahren darstellt: Nach dieser Regelung entfällt für den Fall einer erfolgreichen Durchführung der Volksinitiative das Zulassungsverfahren für das Volksbegehren. 70 In Mecklenburg-Vorpommern eröffnet eine vorgeschaltete Volksinitiative beim anschließenden Volksbegehren die Möglichkeit der Unterstützung durch die Gemeinden bei der Unterschriftensammlung, § 12 Abs. 1 MV-VAG. In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt entfällt dagegen das besondere Zulassungsverfahren für das Volksbegehren, § 60 f. Abs. 6 S. 3 RhPfLWG und § 10 Abs. 3 S. 3 SAnhVAG. 71 Zu dieser selbständigen Völksinitiative siehe im Einzelnen auch oben unter A I . 7 2 § 9 Abs. 1 BrandVAG, § 8 Abs. 1 SächsVVVG, § 6 Abs. 1 SchlH-VAG. 73
§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 3, 5 Abs. 1 S. 1 HambVVVG, wobei dem Senat zunächst angezeigt werden muss, dass mit der Sammlung der Unterschriften begonnen wird, und die Unterschriftenlisten nach sechs Monaten nachzureichen sind. 74 In Sachsen ist ein Gesetzentwurf der einzig mögliche Inhalt: Art. 71 Abs. 1 S. 3 SächsVerf. Dagegen steht in Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein die Volksinitiative sowie das folgende Volksbegehren und der Volksentscheid grundsätzlich für alle Gegenstände offen: Art. 76 Abs. 1 S. 1 und 2, Art. 77, 78 BrandVerf; Art. 50 Abs. 1 bis 3 HambVerf; Art. 41 Abs. 1 S. 1 und 2, Art. 42 SchlH-Verf. Nur wenn das Verfahren auf ein Gesetz gerichtet ist, handelt es sich insoweit um Volksgesetzgebung. 7
5 § 6 Abs. 1 S. 1 BrandVAG; § 3 Abs. 2 Nr. 1 HambVVVG; Art. 71 Abs. 1 S. 3 SächsVerf, § 4 Abs. 2 SächsVVVG; Art. 41 Abs. 1 S. 2 SchlH-Verf, § 6 Abs. 2 Nr. 1 b) SchlHVAG. 7 6 Art. 50 Abs. 2 S. 1 HambVerf: 10.000 von insgesamt 1.211.300 Wahlberechtigten. 77
Art. 41 Abs. 1 S. 3 SchlH-Verf: 20.000 von insgesamt 2.135.900 Stimmberechtigten.
™ Art. 71 Abs. 1 S. 2 SächsVerf: 40.000 von insgesamt 3.592.500 Stimmberechtigten. 7 9 Art. 76 Abs. 1 S. 3 BrandVerf: 20.000 (bei Landtagsauflösung 150.000) von insgesamt 2.118.000 erwachsenen Einwohnern. Das Beteiligungsrecht erstreckt sich in Brandenburg auch auf Jugendliche ab 16 Jahren bei Sachangelegenheiten, die diese vornehmlich betreffen: § 7 Abs. 1 BrandVAG. 80
In Brandenburg vom Landesabstimmungsleiter: 9 Abs. 5 BrandVAG, in Hamburg vom Senat: § 5 Abs. 2 HambVVVG; in Sachsen vom Landtagspräsidenten: §§ 10, 11 Abs. 1
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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sowie auf deren inhaltliche Verfassungsmäßigkeit 81. Während in Sachsen der Verfassungsgerichtshof angerufen werden muss, wenn sich die Volksinitiative als unzulässig erweist 82 , kann der Landtag in Brandenburg und Schleswig-Holstein selbst über die Zulässigkeit in materieller Hinsicht entscheiden83, wogegen die Initiatoren das Verfassungsgericht anrufen können84. Stehen der Initiative keine Zulässigkeitshindernisse entgegen, hat sich die Volksvertretung daraufhin mit ihr in der Sache zu befassen und über sie zu beschließen85, wobei die Bürgerschaft in Hamburg mangels anderweitiger Regelung auch im Falle der Verfassungswidrigkeit der Initiative über diese in der Sache - ablehnend - beschließen muss.
bb) Völksbegehren In den Ländern, deren Verfassungen die Volksinitiative nicht als obligatorischen ersten Schritt der Volksgesetzgebung installiert haben, beginnt das Volksgesetzgebungsverfahren regelmäßig mit dem Antrag auf Zulassung des Völksbegehrens 86 , der schriftlich bei der Landesregierung 87 - bzw. beim Innenminister 88 oder beim Landeswahlleiter 89 als dessen Hilfsorgan - oder beim Landtagspräsidenten90 SächsVVVG und in Schleswig-Holstein vom Landtag, der sich der Amtshilfe des Innenministers bedienen kann: § 8 Abs. 2 S. 1 SchlH-VAG. 81 In Brandenburg durch den Hauptausschuss des Landtags: § 9 Abs. 6 S. 1 BrandVAG; in Sachsen wie bei den formellen Voraussetzungen durch den Landtagspräsidenten: §§ 10, 11 Abs. 1 SächsVVVG; in Schleswig-Holstein ist wieder die Amtshilfe durch den Innenminister möglich: § 8 Abs. 2 S. 1 SchlH-VAG. In Hamburg ist eine materiellrechtliche Prüfung auf der Stufe der Volksinitiative nicht ausdrücklich vorgesehen (vgl. §§5 Abs. 2, 26 Abs. 1 Nr. 1 und § 27 Abs. 1 Nr. 1 HambVVVG), folgt aber daraus, dass die Bürgerschaft bei der Beratung und Beschlussfassung über die Angelegenheit auch deren Verfassungsmäßigkeit berücksichtigen muss. 82
Durch den Landtagspräsidenten, § 11 Abs. 1 SächsVVVG.
83 § 9 Abs. 6 S. 1 BrandVAG; § 8 Abs. 3 S. 1 SchlH-VAG. 84 § 11 BrandVAG; § 9 SchlH-VAG. 85 § 12 Abs. 2 BrandVAG, § 14 SächsVVVG § 10 SchlH-VAG. Nicht explizit geregelt in Hamburg. 86 Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern: Der Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens nach § 13 MV-VAG, der beim Landtagspräsidenten einzureichen ist, leitet hier nicht das Völksbegehren ein, sondern schließt es nach erfolgter Durchführung ab, ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren für das Volksbegehren gibt es hier nicht. S7 § 63 Abs. 1 bzw. § 60 f. Abs. 6 S. 2 RhPfLWG. 88 § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BW-VAG; Art. 64 Abs. 1 S. 1 BayLWG; § 14 S. 1 BerlVVVG (Senatsverwaltung für Inneres); § 2 Abs. 1 S. 1 NRW-VVVG (Innenministerium); § 2 Abs. 1 SaarlVAG; § 10 Abs. 1 SAnhVAG (Innenministerium). S9 § 10 Abs. 1 BremVEG, § 2 Abs. 1 HessVVG; § 19 Abs. 2 NdsVAG (die Absicht, Unterschriften zu sammeln, muss dem Landeswahlleiter zunächst angezeigt werden, die Unterschriftenlisten sind ihm dann binnen sechs Monaten nachzureichen: §§ 15 Abs. 1, 19 Abs. 1 S. 2 NdsVAG).
90 § 10 Abs. 1 ThürBVVG.
3 8 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata einzureichen ist. Wie bei der Volksinitiative muss auch hier ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf 91 sowie i.d.R. eine Unterschriftsliste beigefügt werden, wobei die erforderliche Zahl der Unterschriften in NordrheinWestfalen mit nur 0,02 % der Stimmberechtigten 92 am niedrigsten ist, in den meisten Ländern zwischen 0,1 % und 1,1 % 9 3 liegt und am höchsten in Hessen mit 3,0 % der Stimmberechtigten 94 normiert i s t 9 5 . In Sachsen-Anhalt und RheinlandPfalz ist eine erneute Sammlung von Unterstützungsunterschriften für den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens entbehrlich, wenn zuvor zu demselben Gesetzentwurf eine Volksinitiative zustande gekommen und vom Landtag nicht angenommen worden i s t 9 6 . Der Antrag wird auf seine formelle und materielle Zulässigkeit hin geprüft; liegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht vor, kann das Begehren in einigen Ländern unmittelbar für unzulässig erklärt werden 9 7 , in anderen Län-
§ 25 Abs. 3 BW-VAG; Art. 64 Abs. 1 S. 2 BayLWG; Art. 62 Abs. 1 S. 3 BerlVerf; § 10 Abs. 2 Nr. 1 BremVEG; Art. 124 Abs. 1 S. 2 HessVerf; Art. 60 Abs. 1 S. 1 MV-Verf; Art. 48 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 2 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 2 S. 2 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 2 SAnhVerf; Art. 82 Abs. 1 ThürVerf und § 10 Abs. 2 Nr. 1 ThürBVVG. 92 § 7 Abs. 1 S. 2 NRW-VVVG: 3.000 bei insgesamt 13.061.300 Stimmberechtigten. 93 Ca. 0,1 % in Baden-Württemberg (§ 25 Abs. 4 BW-VAG: 10.000 von insgesamt 7.313.800 Wahlberechtigten); ca. 0,3% in Bayern und Thüringen (Art. 64 Abs. 1 S. 3 BayLWG: 25.000 von insgesamt 8.846.200 Stimmberechtigten; § 10 Abs. 2 Nr. 2 ThürBVVG: 5.000 von insgesamt 1.965.900 Stimmberechtigten); ca. 0,4% in Niedersachsen (§ 19 Abs. 1 S. 1 NdsVAG: 25.000 von insgesamt 5.929.300 Stimmberechtigten); ca. 0,6% im Saarland (Art. 99 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf: 5.000 von insgesamt 822.800 Stimmberechtigten); 0,7 % in Rheinland-Pfalz (§ 63 Abs. 2 Nr. 3 RhPfLWG: 20.000 von insgesamt 3.025.100 Stimmberechtigten); ca. 1,0% in Berlin und Bremen (§ 15 Abs. 1 S. 1 BerlVVVG: 25.000 von insgesamt 2.414.500 Wahlberechtigten; § 10 Abs. 2 Nr. 2 BremVEG: 5.000 von insgesamt 488.800 Stimmberechtigten); 1,1 % in Sachsen-Anhalt (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 SAnhVAG: 10.000 von insgesamt 2.148.400 Wahlberechtigten). 94 § 2 Abs. 2 Buchst, b HessVVG. 95 In Mecklenburg-Vorpommern, das kein solches vorgeschaltetes Zulassungsverfahren für die Durchführung des Volksbegehrens hat (siehe oben Fn. 86), müssen mit dem Antrag bereits die für das Zustandekommen des Volksbegehrens erforderlichen Unterschriften vorliegen: § 13 S. 2 Nr. 2 MV-VAG. 96 § 60 f. Abs. 6 S. 3 RhPfLWG; § 10 Abs. 3 SAnhVAG. Das Unterstützungsquorum für die Volksinitiative liegt dabei über dem Antragsquorum für das Volksbegehren: in RheinlandPfalz 30.000 Stimmberechtigte für die Volksinitiative (Art. 108a Abs. 2 S. 1 RhPfVerf) gegenüber 20.000 für den Antrag zum Volksbegehren (§ 63 Abs. 2 Nr. 2 RhPfLWG); in Sachsen-Anhalt beträgt das Verhältnis sogar 35.000 (Art. 80 Abs. 2 SAnhVerf) zu 10.000 (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 SAnhVAG). In Rheinland-Pfalz ist die Unterschriftensammlung für den Antrag auch dann insgesamt entbehrlich, wenn der Landesverband einer im Landtag vertretenen Partei oder Wählervereinigung den Antrag stellt, § 63 Abs. 5 RhPfLWG. 97 I.d.R. von der Landesregierung bzw. vom Senat: § 17 Abs. 4 BerlVVVG; § 3 Abs. 1 S. 1 HessVVG; Art. 48 Abs. 2 NdsVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 5 NRW-Verf; § 64 Abs. 1 S. 1 RhPfLWG; Art. 99 Abs. 3 S. 1 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 SAnhVerf. In Baden-Württemberg dagegen vom Innenminister: § 27 BW-VAG und in Thüringen vom Landtagspräsidenten § 11 Abs. 1 ThürBVVG. Allein bei formeller Unzulässigkeit auch in Bremen vom Senat: § 12
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dem muss dagegen das Verfassungsgericht angerufen werden 98. In Niedersachsen wird den Initiatoren zuvor die beschränkte Möglichkeit einer Änderung des Gesetzentwurfs eingeräumt 99. Bei der dreistufig konzipierten Volksgesetzgebung ist der Weg zum Volksbegehren dagegen immer dann eröffnet, wenn das Parlament der Vorlage der obligatorischen Volksinitiative nicht zustimmt 100 , wobei die Einleitung des Volksbegehrens von den Initiatoren innerhalb einer bestimmten Frist beim Präsident des Landtages - in Hamburg beim Senat - zu beantragen ist 1 0 1 oder lediglich erklärt werden muss 102 . Dabei besteht in Hamburg und Sachsen die Möglichkeit, für das Volksbegehren einen überarbeiteten Gesetzentwurf einzureichen 103. Wenn die Regierung oder das Parlament das Volksbegehren in dieser Verfahrensstufe für unzulässig halten, müssen sie das Verfassungsgericht anrufen 104 . Ist das Volksbegehren - mit oder ohne vorgeschalteter Völksinitiative - zulässig, beginnt das Eintragungsverfahren 105. Nach Bekanntmachung des Volksbegehrens 106 können sich alle Stimmberechtigten des Landes in Listen eintragen. Diese Eintragungslisten müssen einem bestimmten vorgegebenen Muster entsprechen Abs. 2 BremVEG und in Mecklenburg-Vorpommern vom Landeswahlleiter: § 14 Abs. 2 S. 1 MV-VAG. 98 In Bayern vom Staatsministerium des Innern Art. 65 Abs. 1 BayLWG. Bei materieller Unzulässigkeit in Bremen vom Senat: § 12 Abs. 2 BremVEG und in Mecklenburg-Vorpommern von der Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Landtags: Art. 60 Abs. 2 S. 2 MV-Verf. 99 § 21 Abs. 1 NdsVAG: Lassen die Änderungen den „Kern des Volksbegehrens unberührt", so können die bisher gesammelten Unterschriften auf das Volksbegehren angerechnet werden. 100 Art. 77 Abs. 1 S. 1 BrandVerf; Art. 50 Abs. 2 S. 1 HambVerf; Art. 72 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 42 Abs. 1 S. 1 SchlH-Verf. 101 Art. 50 Abs. 2 S. 1 HambVerf und § 6 Abs. 2 HambVVVG; § 11 Abs. 1 S. 1 SchlHVAG. 102 § 13 Abs. 1 S. 2 BrandVAG, § 16 Abs. 1 und 2 SächsVVVG. loa § 6 Abs. 3 HambVVVG; § 16 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 SächsVVVG. 104 § 13 Abs. 3 BrandVAG; § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HambVVVG (auch hinsichtlich der Frage, ob die Grenzen der Überarbeitung des ursprünglichen Gesetzentwurfs gewahrt sind); § 13 Abs. 1 SchlH-VAG. In Sachsen ist auf dieser Stufe gem. §§ 16 Abs. 3, 12 Abs. 1 SächsVVVG nur dann ein Antrag des Landtagspräsidenten an das Verfassungsgericht vorgesehen, wenn der Entwurf überarbeitet worden ist. - In Schleswig-Holstein kann der Landtag den Antrag auf Durchführung des Volksbegehrens ausdrücklich nur noch aus formellen Gründen als unzulässig ablehnen, § 12 Abs. 1 S. 1 SchlH-VAG. Hiergegen können wiederum die Initiatoren das Verfassungsgericht anrufen, § 13 Abs. 2 SchlH-VAG. 105 Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern: Hier geht das Eintragungsverfahren dem Zulassungsverfahren voraus. 106 § 28 Abs. 1 S. 1 BW-VAG; Art. 66 Abs. 1 BayLWG; § 18 Abs. 1 BerlVVVG; § 14 Abs. 1 S. 1 BrandVAG; § 13 Abs. 1 BremVEG; § 7 HambVVVG; § 5 Abs. 1 HessVVG; § 20 S. 1 NdsVAG; § 11 Abs. 1 NRW-VVVG; § 64 Abs. 3 RhPfLWG; § 4 S. 1 SaarlVAG; § 17 SächsVVVG; § 13 SAnhVAG; § 12 Abs. 4 SchlH-VAG; § 13 ThürBVVG.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
und sind grundsätzlich von den Initiatoren selbst zur Verfügung zu stellen 1 0 7 . Die Sammlung der Unterschriften erfolgt herkömmlicherweise in einem amtlich unterstützten Verfahren, bei dem die Gemeindeverwaltungen oder sonstige hierfür bestimmte Eintragungsstellen die Listen auslegen 1 0 8 . Zum Teil ist aber auch die freie Sammlung der Unterschriften vorgesehen, wobei die Listen dann i m Nachhinein bei den Gemeinden einzureichen und die Stimmberechtigung zu bescheinigen i s t 1 0 9 . Die Einzeichnungsfrist beträgt in einigen Ländern 14 Tage 1 1 0 , in anderen besteht eine deutlich längere Frist von acht Wochen bis zu acht Monaten 1 1 1 . Nach Ablauf der Eintragungsfrist wird das Ergebnis festgestellt 1 1 2 : Das Volksbegehren ist erfolgreich 1 1 3 , wenn die erforderliche Zahl der Eintragungen erreicht
107 § 30 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 BW-VAG; Art. 68 Abs. 1 BayLWG; § 22 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BerlVVVG; § 14 Abs. 1 S. 2 BremVEG; § 7 Abs. 1 HessVVG; § 12 Abs. 2 MV-VAG; § 15 Abs. 3 NdsVAG, § 12 Abs. 1 NRW-VVVG; § 67 Abs. 3 RhPfLWG § 6 Abs. 1 SaarlVAG; § 18 SächsVVVG; § 12 Abs. 5 S. 1 SchlH-VAG; § 14 Abs. 2 und 3 ThürBVVG. Anders in Hamburg bei Auslegung der Listen durch die Volksinitiative: § 9 Abs. 2 HambVVVG. Keine Regelung in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. los § 30 Abs. 2 S. 2 BW-VAG; Art. 68 Abs. 2 BayLWG; § 21 BerlVVVG; § 15 Abs. 3 BrandVAG; § 7 S. 2 Nr. 4, § 10 Abs. 2 HambVVVG; § 7 Abs. 2 und 3 HessVVG; § 12 MVVAG (nur bei vorheriger Zurückweisung einer entsprechenden Volksinitiative durch den Landtag); § 12 Abs. 2 NRW-VVVG; § 67 Abs. 2 und 4 RhPfLWG; § 6 Abs. 2 und 3 SaarlVAG; § 12 Abs. 5 S. 2 und § 14 SchlH-VAG. 109 §§ 14, 18 BremVEG; § 11 Abs. 2 MV-VAG (wenn keine Volksinitiative durchgeführt wurde); § 17 NdsVAG (die Unterschriften für das Zulassungsverfahren gelten auch für das Eintragungsverfahren); §§ 19, 20 SächsVVVG; § 17 SAnhVAG; § 15 Abs. 2 ThürBVVG. Zusätzlich zum amtlichen Verfahren auch in Hamburg möglich: § 7 S. 2 Nr. 4, § 9 Abs. 2 HambVVVG. ho § 28 Abs. 1 S. 3 BW-VAG, Art. 66 Abs. 3 S. 1 BayLWG; § 9 Abs. 3 S. 1 HambVVVG; § 5 Abs. 1 S. 3 HessVVG; § 4 S. 2 SaarlLWG. in Acht Wochen in Nordrhein-Westfalen: § 12 Abs. 2 S. 2 NRW-VVVG; zwei Monate in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz: Art. 62 Abs. 4 BerlVerf, § 12 Abs. 3 S. 1 MV-VAG (nur bei Auslegung der Eintragungslisten bei den Gemeindebehörden), Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf; drei Monate in Bremen: § 18 Abs. 1 BremVEG; vier Monate in Brandenburg und Thüringen: Art. 77 Abs. 3 S. 1 BrandVerf, Art. 82 Abs. 3 ThürVerf; sechs Monate in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein: § 17 Abs. 1 S. 1 NdsVAG (ab Feststellung der Zulässigkeit, die zuvor innerhalb von 6 Monaten gesammelten Unterschriften werden jedoch mit berücksichtigt, so dass die Unterschriftensammlung insgesamt bis zu 12 Monate möglich ist), § 12 Abs. 2 S. 1 SAnhVAG; Art. 42 Abs. 1 S. 3 SchlHVerf; acht Monate in Sachsen: § 20 SächsVVVG (vgl. auch Art. 72 Abs. 2 S. 2 SächsVerf.: mindestens 6 Monate). 112 § 37 Abs. 2 S. 1 BW-VAG; Art. 71 Abs. 1 S. 1 BayLWG; § 25 Abs. 2 BerlVVVG; § 21 Abs. 4 BrandVAG; § 19 Abs. 1 BremVEG; § 16 Abs. 1 S. 1 HambVVVG; §§ 11 und 12 HessVVG; § 22 Abs. 1 S. 1 NdsVAG; § 20 Abs. 1 NRW-VVVG; § 72 Abs. 2 RhPfLWG; § 11 Abs. 1 SaarlVAG; § 22 Abs. 1 SächsVVVG; § 19 Abs. 2 SchlH-VAG; § 17 Abs. 2 ThürBVVG. 113 Nach der Terminologie der Verfassungen auch „zustande gekommen" (vgl. Art. 59 Abs. 2 S. 2 BW-Verf; Art. 62 Abs. 4 BerlVerf; Art. 50 Abs. 2 S. 3 HambVerf; Art. 48 Abs. 3 S. 1 NdsVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 3 SaarlVerf; Art. 82 Abs. 3 ThürVerf) bzw. „rechts-
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worden ist. Dieses Unterstützungsquorum liegt am niedrigsten in Brandenburg mit ca. 4,1 % 1 1 4 sowie in Hamburg und Schleswig-Holstein mit 5% der Stimmberechtigten 115 , in den meisten Ländern dagegen zwischen 8% und 16,7% 116 . Mit 20% der stimmberechtigten Bevölkerung ist es in Hessen und im Saarland am höchsten 117 . Bei Verfassungsänderungen wird auch in Bremen mit einer 20%igen Unterstützung doppelt so viel wie bei einfachen Gesetzen verlangt 118 . Bei Erfolg des Volksbegehrens versieht die Landesregierung regelmäßig den Gesetzentwurf mit einer Stellungnahme119; anschließend befasst sich grundsätzlich das Parlament mit dem Entwurf 120 . Nimmt ihn das Parlament unverändert an, dann ist das Volksgesetzgebungsverfahren beendet121. In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen reicht es aus, dass der Gesetzentwurf „im Wesentlichen" 1 2 2 bzw. „inhaltlich in seinem wesentlichen Bestand unverändert" 123 akzeptiert wird. Im Saarland kann die Regierung die Einleitung eines Völksentscheids ablehnen, wenn der Landtag den Gesetzentwurf in einer „dem Grundanliegen des Volksbegehrens" entsprechenden Form annimmt 124 , in Brandenburg, Rheinlandwirksam" (vgl. Art. 74 Abs. 5 S. 1 BayVerf.; Art. 68 Abs. 1 S. 7 NRW-Verf) oder auch „erfolgreich abgeschlossen" (vgl. Art. 72 Abs. 3 S. 1 SächsVerf). H4 Art. 77 Abs. 3 S. 1 BrandVerf 80.000 von insgesamt 2.056.800 Stimmberechtigten. Iis Art. 50 Abs. 2 S. 2 HambVerf; Art. 42 Abs. 1 S. 3 SchlH-Verf. 116 8 % in Nordrhein-Westfalen (Art. 68 Abs. 1 S. 7 NRW-Verf); 9,9 % in Rheinland-Pfalz (Art. 109 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf: 300.000 von insgesamt 3.025.100 Stimmberechtigten); 10,0% in Mecklenburg-Vorpommern (Art. 60 Abs. 1 S. 3 MV-Verf: 140.000 von insgesamt 1.404.600 Wahlberechtigten) sowie in Bayern (Art. 74 Abs. 1 BayVerf), Berlin (Art. 62 Abs. 4 BerlVerf), Bremen (Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 1) und Niedersachsen (Art. 48 Abs. 3 S. 1 NdsVerf); ca. 11,6% in Sachsen-Anhalt (Art. 81 Abs. 1 S. 4 SAnhVerf: 250.000 von insgesamt 2.148.400 Wahlberechtigten); ca. 12,5% in Sachsen (Art. 72 Abs. 2 S. 1 SächsVerf: 450.000 von insgesamt 3.592.500 Stimmberechtigten, jedoch nicht mehr als 15 %); 14 % in Thüringen (Art. 82 Abs. 2 ThürVerf); 16,7 % in Baden-Württemberg (Art. 59 Abs. 2 S. 2 BW-Verf: 1 / 6 der Wahlberechtigten). 117 Art. 124 HessVerf; Art. 99 Abs. 2 S. 3 SaarlVerf. Ii» Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 2 BremVerf. ii9 Art. 74 Abs. 3 BayVerf; Art. 62 Abs. 2 BerlVerf; § 22 BrandVAG; Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 4 BremVerf; Art. 124 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 48 Abs. 3 S. 2 NdsVerf; Art. 68 Abs. 2 S. 1 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 4 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 2 SAnhVerf; Art. 82 Abs. 4 ThürVerf. 12° Nicht in Sachsen und Schleswig-Holstein: Hier wird dem Landtag nach der Behandlung der Gesetzesvorlage auf der Stufe der Volksinitiative keine zweite Befassungsmöglichkeit eingeräumt: Art. 72 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 1 SchlH-Verf. 121 Art. 60 Abs. 1 S. 1 BW-Verf; Art. 73 Abs. 3 BayLWG; Art. 78 Abs. 1 S. 1 BrandVerf und § 24 Abs. 2 BrandVAG; Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 4 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 1 HambVerf; Art. 124 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 48 Abs. 2 S. 3 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 4 S. 1 RhPfVerf und § 74 Abs. 2 RhPfLWG; Art. 100 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf und § 14 Abs. 1 S. 2 SaarlVAG. 122 Art. 60 Abs. 3 S. 1 MV-Verf, § 16 Abs. 3 MV-VAG; Art. 49 Abs. 1 S. 1 NdsVerf. 123 Art. 63 Abs. 1 S. 3 BerlVerf. 124 § 14 Abs. 1 S. 3 SaarlVAG.
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Pfalz und Thüringen kann in diesem Fall der Landtag das Volksbegehren für erledigt erklären, allerdings nur dann, wenn die Vertreter des Volksbegehrens dies beantragt haben 1 2 5 .
b) Volksentscheid Wenn das Landesparlament dem Volksbegehren nicht entspricht, findet in Hamburg auf Antrag der Initiatoren 1 2 6 , i m Übrigen ohne weiteren Antrag ein Volksentscheid 1 2 7 statt, wobei das Parlament i.d.R. dem Volk einen eigenen, konkurrierenden Gesetzentwurf zur Entscheidung mit vorlegen k a n n 1 2 8 . In Hamburg besteht darüber hinaus erneut die Möglichkeit, den Gesetzentwurf in überarbeiteter Form einzureichen 1 2 9 . Es werden zusammen mit den Gesetzentwürfen des Volksbegehrens und ggf. des Parlaments die Auffassungen der Regierung und des Parlaments - einschließlich des i m Parlament erzielten Abstimmungsergebnisses - 1 3 0 sowie ein bestimm125 § 26 Abs. 2 S. 1 BrandVAG; § 74 Abs. 3 RhPfLWG (bei Annahme des Gesetzes „inhaltlich in seinem wesentlichen Bestand"); § 19 Abs. 2 S. 1 ThürBVVG. 126 Art. 50 Abs. 3 S. 1 HambVerf. 127 In Baden-Württemberg „Volksabstimmung" genannt, Art. 60 BW-Verf. 128 Art. 60 Abs. 1 S. 2 BW-Verf; Art. 74 Abs. 4 BayVerf; Art. 63 Abs. 1 S. 2 BerlVerf; Art. 78 Abs. 1 S. 2 BrandVerf; Art. 50 Abs. 3 S. 2 HambVerf; Art. 60 Abs. 3 S. 2 MV-Verf; Art. 49 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 100 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf; Art. 72 Abs. 2 S. 3 SächsVerf; Art. 81 Abs. 4 S. 1 SAnhVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 2 SchlH-Verf; Art. 82 Abs. 6 S. 1 2. Hs. ThürVerf. - Nicht ausdrücklich geregelt in Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Allerdings kann in Bremen jederzeit ein Volksentscheid durch die Bürgerschaft initiiert werden (Art. 70 Abs. 1 Buchst, a und b BremVerf). Dagegen kann in NordrheinWestfalen ein Völksentscheid über ein einfaches Gesetz zwar durch die Regierung (Art. 68 Abs. 3 NRW-Verf), bei verfassungsändernden Gesetzen auch durch das Parlament (Art. 69 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf) initiiert werden, aber nur, wenn der Entwurf zuvor nicht die erforderliche Mehrheit im Parlament erhalten hat. In Hessen ist ein Volksentscheid bei einer vom Parlament beschlossenen konkurrierenden Verfassungsänderungen nach Art. 123 Abs. 2 HessVerf obligatorisch, ansonsten sieht das HessVVG vor, dass das Parlament den Gesetzentwurf mit Änderungen übernehmen kann, wobei dann darüber abgestimmt wird, ob das begehrte Gesetz anstelle des vom Landtag beschlossenen Gesetzes gelten soll, vgl. § 17 Abs. 2 HessVVG. 129 § 18 Abs. 3 HambVVVG. Auch hier kann das Verfassungsgericht mit der Frage angerufen werden, ob die Grenzen der Überarbeitung des früheren Entwurfs gewahrt sind, § 26 Abs. 1 Nr. 2 HambVVVG. 130 Obligatorisch in Art. 74 Abs. 7 BayVerf und Art. 75 Abs. 2 Nr. 3 BayLWG; § 25 S. 1 NdsVAG (bzgl. des ablehnenden Landtagsbeschlusses); § 78 Abs. 1 S. 2 RhPfLWG; § 14 Abs. 2 SaarlVAG; § 22 SAnhVAG (nur bzgl. des ablehnenden Landtagsbeschlusses). In Hamburg ist nun die Verteilung eines Informationsheftes vorgesehen, in der auch Minderheiten der Bürgerschaft eine Stellungnahme abgeben können: § 19 Abs. 1 HambVVVG. Fakultativ dagegen ausdrücklich § 19 Abs. 1 MV-VAG; § 25 S. 2 NdsVAG (bzgl. der Stellungnahme der Regierung). Ähnlich § 36 BrandVAG (Der Landtagspräsident sorgt „für eine angemessene Verbreitung des Gegenstandes des Volksentscheids"); § 25 Abs. 1 S. 2 NRW-VVVG („Das Innenministerium sorgt für eine ausreichende weitere Veröffentlichung").
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ter Abstimmungstag bekanntgegeben 131 . A n diesem kann jeder Stimmberechtigte, der zuvor in einem entsprechenden (Wähler-)Verzeichnis erfasst w u r d e 1 3 2 , auf einem amtlichen Stimmzettel über den zur Frage gestellten Gesetzentwurf mit „Ja" oder „ N e i n " stimmen 1 3 3 . Besonderheiten sind i m Falle eines zusätzlichen Aiternati ventwurfs des Parlaments gegeben 1 3 4 . Nach Beendigung der Abstimmung wird das Ergebnis festgestellt 1 3 5 , wobei zwischen einem einfachgesetzlichen und einem verfassungsändernden Gesetz zu unterscheiden ist. Für die Annahme eines einfachgesetzlichen Entwurfs ist zunächst erforderlich, dass die Mehrheit derjenigen, die ihre Stimme abgegeben haben, zus t i m m e n 1 3 6 . Während in Bayern, Hessen und Sachsen über diese relative Mehrheit hinaus keine weiteren Anforderungen gestellt werden 1 3 7 , fordern die Verfassungen 131 § 6 Abs. 1 BW-VAG; Art. 75 Abs. 1 BayLWG; § 32 Abs. 1 und 2 BerlVVVG; § 35 BrandVAG; § 2 Abs. 2 S. 1 BremVEG; § 19 Abs. 1 HambVVVG; § 18 HessVVG; § 19 Abs. 1 S. 1 MV-VAG; § 25 S. 1 Nr. 1 NdsVAG; § 25 Abs. 1 S. 1 NRW-WVG; § 78 Abs. 1 S. 1 RhPfLWG; § 14 Abs. 2 SaarlVAG; § 27 SächsVVVG; § 22 SAnhVAG; §§ 21, 23 Abs. 3 SchlH-VAG; § 20 Abs. 2 ThürBVVG. 132 § 8 BW-VAG; Art. 4 Abs. 1 BayLWG; § 43 Nr. 4 BerlVVVG; § 37 BrandVAG; § 27 Abs. 1 Nr. 2 und 4 BremVEG i.V.m. §§ 3, 15 Abs. 1 BremWahlG; §§ 20 Abs. 1 S. 2, 11 Abs. 2 und 3 HambVVVG; § 19 HessVVG; § 20 Abs. 1 MV-VAG; § 29 NdsVAG; § 30 NRW-WVG i.V.m. §§ 3, 16 und 17 NRW-LWG; § 5 RhPfLWG; §§ 15 Abs. 2 Nr. 1 und 16 Abs. 1 Nr. 4 SaarlVAG; §§ 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SächsVVVG; § 23 Abs. 1 Nr. 4 SAnhVAG; § 22 Nr. 6 SchlH-VAG; §§ 21 Nr. 1 und 22 Abs. 1 Nr. 14 ThürBVVG i.V.m. § 19 ThürLWG. 133 §§ 15 und 16 BW-VAG; Art. 76 BayLWG; § 34 BerlVVVG; §§ 44, 45 BrandVAG; §§ 2 Abs. 3, 3 Abs. 2 u. 3 BremVEG; §§ 21 und 22 HambVVVG; § 20 Abs. 2 HessVVG; § 21 Abs. 1 MV-VAG; §§ 28 und 30 NdsVAG; §§ 25 Abs. 2, 26 Abs. 1 NRW-WVG; § 78 Abs. 2 und § 79 Abs. 1 RhPfLWG; § 17 Abs. 1 und 2 SaarlVAG; §§ 33 und 37 SächsVVVG; § 24 SAnhVAG; § 23 SchlH-VAG; § 23 ThürBVVG. 134 I.d.R. ist für jeden Entwurf jeweils eine Stimmabgabe, also auch eine doppelte „Ja"-Stimme möglich: §§ 15 Abs. 2 BW-VAG; § 34 Abs. 3 BerlWVG; § 3 Abs. 4 BremVEG; § 21 Abs. 2 S. 4 HambVVVG; § 20 Abs. 3 HessVVG; § 30 Abs. 2 NdsVAG; § 24 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 NRW-WVG; § 78 Abs. 2 und § 79 Abs. 2 RhPfLWG; § 25 Abs. 2 SAnhVAG. In Bayern ist zudem gleichzeitig für den Fall, dass beide Gesetzentwürfe eine Mehrheit erreichen sollten, eine Stichfrage zu stellen, Art. 76 Abs. 4 BayLWG. In andern Ländern kann bei konkurrierenden Entwürfen nur eine einzige , Ja"-Stimme abgegeben werden: § 45 Abs. 3 BrandVAG; § 21 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 MV-VAG; § 17 Abs. 3 und 4 SaarlVAG; § 23 Abs. 1 S. 2 SchlH-VAG; § 23 Abs. 5 S. 2 ThürBVVG. Widersprüchlich geregelt in Sachsen: vgl. §§ 33 Abs. 3 und 37 Abs. 2 SächsVVVG einerseits und § 39 Abs. 1 Nr. 6 SächsVWG andererseits. 135 § 18 BW-VAG; Art. 78, 79 BayLWG; § 37 und 38 BerlVVVG; §§ 48 und 49 BrandVAG; § 5 Abs. 1 S. 1 BremVEG; § 23 Abs. 3 HambVWG; § 23 Abs. 1 HessVVG; § 22 Abs. 1 MV-VAG; § 32 NdsVAG; § 27 Abs. 1 NRW-WVG; § 80 RhPfLWG; § 18 SaarlVAG; § 40 SächsVVVG; § 26 SAnhVAG; § 24 SchlH-VAG; § 24 ThürBVVG. 136 Art. 60 Abs. 5 S. 1 BW-Verf; Art. 63 Abs. 2 BerlVerf; Art. 78 Abs. 2 BrandVerf; Art. 72 Abs. 1 BremVerf; Art. 50 Abs. 3 S. 4 HambVerf; Art. 124 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 60 Abs. 4 S. 1 MV-Verf; Art. 49 Abs. 2 S. 1 NdsVerf; Art. 68 Abs. 4 S. 2 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 4 RhPfVerf; Art. 100 Abs. 3 SaarlVerf; Art. 72 Abs. 4 S. 2 SächsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 2 SAnhVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 4 SchlH-Verf; Art. 82 Abs. 6 S. 2 1. Hs. ThürVerf.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
der übrigen Länder zusätzlich bestimmte Mindest-Stimmzahlen im Verhältnis zu der gesamten Anzahl der Stimmberechtigten des Landes in Form von Zustimmungs- oder Beteiligungsquoren. Beim Zustimmungsquorum muss ein bestimmter Anteil der Bevölkerung für das Gesetz stimmen, wobei die „Ja"-Stimmen dabei 15 % 1 3 8 , ein Fünftel (20 %) 1 3 9 , ein Viertel (25 %) 1 4 0 , ein Drittel (33,3 % ) 1 4 1 oder gar die Hälfte (50%) 1 4 2 der stimmberechtigten Bevölkerung betragen müssen. Dagegen stellt die Verfassung in Rheinland-Pfalz ein Beteiligungsquorum auf, wonach das Gesetz nur dann zustande kommt, wenn mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten an der Abstimmung teilnimmt 143 . Die Verfassung Berlins wiederum lässt alternativ zu einem Zustimmungsquorum von einem Drittel auch ein Beteiligungsquorum von der Hälfte der Stimmberechtigten zu 1 4 4 . Soweit die Verfassungen eine Abstimmung über alternative Gesetzentwürfe ermöglichen, gilt - falls mehrere Entwürfe das erforderliche Quorum erreicht haben - derjenige als angenommen, der die meisten „Ja"-Stimmen erhalten hat 1 4 5 . Soll durch Völksentscheid auf ein Volksbegehren hin die Verfassung geändert werden, was allerdings in Berlin, Saarland und auch in Hessen nicht möglich ist 1 4 6 , 137 Vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 2 BayVerf; Art. 124 Abs. 3 S. 2 HessVerf; Art. 72 Abs. 4 S. 2 SächsVerf. 138 Art. 68 Abs. 4 S. 2 NRW-Verf. 139 Art. 50 Abs. 3 S. 4 HambVerf. 140 Art. 78 Abs. 2 BrandVerf; Art. 72 Abs. 1 BremVerf; Art. 49 Abs. 2 S. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 2 SAnhVerf (nicht aber, wenn der Landtag einen eigenen Gesetzentwurf mit vorlegt: Art. 81 Abs. 4 S. 2 SAnhVerf); Art. 42 Abs. 2 S. 4 SchlH-Verf. 141 Art. 60 Abs. 5 S. 2 BW-Verf; Art. 60 Abs. 4 S. 1 MV-Verf; Art. 82 Abs. 6 S. 2 2. Hs. ThürVerf. 142 Art. 100 Abs. 3 SaarlVerf. 143 Zur Problematik eines Beteiligungsquorums insbesondere im Hinblick auf die Abstimmungsfreiheit und die Möglichkeit eines strategischen Abstimmungsboykotts vgl. H.-D. Horn Der Staat 1999, 399 (409); Jung RuP 2001, 61 (67 f.); Pestalozzi Der Popularvorbehalt, S. 33. 144 Art. 63 Abs. 2 Alt. 1 und 2 BerlVerf. 145 Sind mehrfache Stimmabgaben möglich, gilt bei Stimmengleichheit das Gesetz mit den wenigsten „Nein"-Stimmen, § 20 BW-VAG; § 36 Abs. 2 BerlVVVG; § 6 Abs. 2 BremVEG; § 23 Abs. 2 HambVVVG; § 22 Abs. 2 HessVVG; § 33 Abs. 2 NdsVAG; § 81 Abs. 3 RhPfLWG; § 42 Abs. 2 SächsVVVG; § 27 Abs. 2 SAnhVAG. Auch geregelt in § 25 Abs. 2 ThürBVVG, obwohl diese Regelung hier - da nur eine Stimme abgegeben werden kann nicht praktikabel ist. In Bayern entscheidet demgegenüber in erster Linie das Ergebnis der Stichfrage: Art. 80 Abs. 2 BayLWG. In Schleswig-Holstein gilt diejenige Vorlage als angenommen, die auf dem Abstimmungszettel als erste angeführt ist, § 26 Abs. 2 SchlH-VAG. Im Übrigen sind bei Stimmengleichheit alle Vorlagen abgelehnt, vgl. § 50 Abs. 2 BrandVAG; § 22 Abs. 2 MV-VAG; § 27 Abs. 2 NRW-VVVG. 146 Ausdrücklich für Berlin und Saarland gem. Art. 62 Abs. 5 BerlVerf und Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf. Das Gleiche gilt richtigerweise auch für Hessen, da nach Art. 123 Abs. 2 HessVerf die Beteiligung des Landtags erforderlich ist, vgl. Danwitz DÖV 1992, 601 (603); Degenhart Der Staat 31 (1992), 77 (85, 94); Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 20; A. Weber DÖV 1985, 178 (180); Wolff S. 57; Zinn in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. II 2. A.A. dagegen Abelein
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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so werden hierfür erhöhte Anforderungen an das Mehrheitserfordernis und das Zustimmungs- bzw. Beteiligungsquorum gestellt. Bis auf Bayern ist in allen Ländern, in denen eine verfassungsändernde Völksgesetzgebung zulässig ist, ein Quorum geregelt, und zwar i.d.R. als Zustimmungsquorum von mindestens der Hälfte (50 % ) 1 4 7 bzw. der Mehrheit (über 50 % ) 1 4 8 der Stimmberechtigten; dagegen ist in Nordrhein-Westfalen für eine Verfassungsänderung eine Beteiligungsquorum, und zwar von mindestens der Hälfte der Stimmberechtigten normiert 149 . Nach der jüngsten Rechtsprechung des BayVerfGH soll allerdings aufgrund des Erfordernisses eines erhöhten Bestandsschutzes der Verfassung auch für Bayern eine Zustimmung von mindestens 25% der Stimmberechtigung erforderlich sein 150 . Schließlich muss über das Quorumserfordernis hinaus in sechs Ländern auch eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erreicht sein 151 . Wird ein Gesetzentwurf durch Volksentscheid angenommen, wird er als Gesetz ausgefertigt und bekanntgemacht152. Scheitert der Volksentscheid, kann nach den Vorschriften einiger Länder eine erneute Volksinitiative bzw. ein erneutes VolksZParl 1971,187 (192); v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 252; Fell S. 71 f.; Jung KritV 1993, 14. Zweifelnd P. Neumann in: Neumann/v. Raumer S. 17 (29) m. w. N. In Nordrhein-Westfalen sind Verfassungsänderungen nach der Neuregelung des Art. 69 Abs. 3 S. 2 NRW-Verf nun ausdrücklich statthaft, so dass sich die für die alten Rechtslage strittige Frage erledigt hat. Vgl. zu diesem Streit zuletzt Mann NWVB1. 2000, 445 (448) auf der einen und Muckel in: Neumann/Raumer S. 109 (132 f.) sowie Tillmanns DÖV 2000, 269 (275) auf der anderen Seite jeweils m. w. N. 147 Art. 78 Abs. 3 S. 1 BrandVerf; Art. 50 Abs. 3 S. 5 HambVerf; Art. 60 Abs. 4 S. 2 MV-Verf; Art. 49 Abs. 2 S. 2 NdsVerf; Art. 81 Abs. 5 SAnhVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 5 SchlHVerf. 148 Art. 60 Abs. 5 S. 1 BW-Verf; Art. 72 Abs. 1 BremVerf; Art. 129 Abs. 1 RhPfVerf; Art. 72 Abs. 4 S. 2 SächsVerf; Art. 83 Abs. 2 S. 2 ThürVerf. 149 Art. 69 Abs. 3 S. 3 NRW-Verf. 150 BayVerfGHE 52, 104 in Abkehr von seiner früheren Entscheidung in BayVerfGHE 2, 181; ebenso BayVerfGH BayVBl. 200, 397 (399) und auf der gleichen Linie BremStGH NordÖR 2000, 186 (189 f.) und - im Ansatz noch strenger - ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (44). Grundsätzlich zustimmend Isensee, Verfassungsreferendum mit einfacher Mehrheit, S. 69 und ders. DVB1. 2001, 1161 (1169), der eine Zustimmung von 25 % allerdings noch für zu niedrig hält; Rinken in: Hollerbach-FS S. 403 (424), der 20%-25 % für ausreichend erachtet. Ablehnend etwa v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 257; Bovenschulte/Fisahn RuP 2000, 48 (55); Degenhart ThürVBl. 2001, 201 (208); Dreier BayVBl. 1999, 513 (523); Schweiger BayVBl. 2002, 65 (68). Grundsätzlich für ein Zustimmungsquorum von 25 % plädiert H.-D. Horn Der Staat 1999, 399 (421). 151 Art. 78 Abs. 3 S. 1 BrandVerf; Art. 50 Abs. 3 S. 5 HambVerf; Art. 60 Abs. 4 S. 2 MVVerf; Art. 69 Abs. 3 S. 3 NRW-Verf; Art. 81 Abs. 5 SAnhVerf; Art. 42 Abs. 2 S. 5 SchlHVerf. 152 Art. 63 Abs. 1 S. 1 BW-Verf; Art. 76 Abs. 1 BayVerf; Art. 60 Abs. 2 BerlVerf; Art 85 Abs. 1 S. 1 BrandVerf; Art. 73 BremVerf; Art. 52 HambVerf; Art. 120 HessVerf; Art. 58 Abs. 1 MV-Verf; Art. 45 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 71 Abs. 1 S. 1 NRW-Verf; Art. 113 Abs. 1 RhPfVerf; Art. 102 SaarlVerf; Art. 76 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 82 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 39 Abs. 1 SchlH-Verf; Art. 85 Abs. 1 ThürVerf.
4 6 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
begehren zum selben Gegenstand erst nach Ablauf bestimmter Fristen in Gang gesetzt werden 153 .
2. Verortung des Finanzvorbehalts bei der Volksgesetzgebung Im Rahmen der eigentlichen Volksgesetzgebung sind die Finanzvorbehalte in den Ländern jeweils an unterschiedlichen Stufen angesiedelt. Für die nähere Untersuchung lässt sich entsprechend der bisherigen Unterscheidung nach Einleitung und Abschluss des Volksgesetzgebungsverfahrens auch im Folgenden differenzieren. In den Ländern, die als erste von drei Stufen des Volksgesetzgebungsverfahrens die obligatorische Volksinitiative eingerichtet haben, steht bereits diese Stufe unter dem Finanzvorbehalt 154. Während in Sachsen der Finanzvorbehalt ausdrücklich auch auf alle weiteren Stufen bezogen ist, besteht in Brandenburg, Hamburg, und Schleswig-Holstein keine entsprechende Regelung für das Volksbegehren und den Volksentscheid; da die Volksinitiative in diesen Ländern aber - wie oben aufgezeigt - die zwingende Vorstufe für die Durchführung eines Volksbegehrens und eines anschließenden Volksentscheids darstellt, ist zwangsläufig die gesamte Volksgesetzgebung vom Finanzvorbehalt erfasst 155. In den Ländern, die das herkömmliche zweistufige Verfahren etabliert haben, bezieht sich der Finanzausschluss überwiegend auf das Volksbegehren 156, womit also auch die Möglichkeit eines durch Volksbegehren initiierten Volksentscheids ausgeschlossen ist 1 5 7 . In Baden-Württemberg, Bayern und Bremen ist der Finanzvorbehalt dagegen vom Wortlaut der Regelung allein auf den Volksentscheid bzw. die Volksabstimmung bezogen 158 . Dies wirft die Frage auf, ob damit auch das Volksbegehren für derartige Gegenstände gesperrt ist 1 5 9 oder ob auch die Möglich153 Nach einem Jahr: § 5 Abs. 3 BrandVAG; nach 2 Jahren - und bei Ablehnung von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen -: § 24 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 S. 2 HessVVG; erst nach Ablauf der Wahlperiode: Art. 70 Abs. 1 Buchst, d) S. 5 BremVerf und Art. 73 Abs. 2 SächsVerf. 154 Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf.
155 Birk/Wernsmann DVB1. 2000,669 (675). 156 Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; 60 Abs. 2 MV-Verf; Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 157 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (675); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 163. 158 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 73 BayVerf; Art. 70 Abs. 2 BremVerf. 159 Hiervon geht das BremVEG aus: Nach § 9 Nr. 1 BremVEG soll der Finanzvorbehalt auch schon auf der Ebene des Volksbegehrens gelten.
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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keit bestehen soll, ein „imperfektes" Volksbegehren durchzuführen, das nicht zu einem Volksentscheid führt 160 . Dieses Problem ist bereits in der Weimarer Republik diskutiert worden, denn schon damals enthielten alle Landesverfassungen sowie die Reichsverfassung direktdemokratische Elemente, und ebenso war auch hier ein Finanzvorbehalt normiert 1 6 1 , der nach dem VerfassungsWortlaut zum Teil nur auf das Volksbegehren 1 6 2 , nur auf den Volksentscheid163 oder auf beide Institute 164 erstreckt wurde. Auf Reichsebene konnte ein Volksentscheid über den Haushaltsplan, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen nach Art. 74 Abs. 3 WRV nur vom Reichspräsidenten veranlasst werden, womit der Weg zu einem solchen Volksentscheid auch über das Volksbegehren gesperrt war. Hier stellte sich bereits die Frage, ob zumindest ein isoliertes Volksbegehren als solches über Haushaltsangelegenheiten durchgeführt werden konnte. Bevor die gegenwärtige Verfassungslage in Baden-Württemberg, Bayern und Bremen untersucht wird, kann es daher aufschlussreich sein, zunächst die Situation in der Weimarer Republik zu betrachten.
a) Der Finanzvorbehalt des Art. 73 Abs. 4 WRV Wurde unter der Weimarer Verfassung auf Reichsebene die Zulassung eines Volksbegehrens beantragt, hatte hierüber die Reichsregierung zu entscheiden, die dabei auch prüfte, ob der Finanzvorbehalt des Art. 73 Abs. 4 WRV betroffen war; drei Volksbegehren wurden so wegen Verstoßes gegen den Finanzvorbehalt nicht zugelassen165. Die Rechtspraxis verneinte also die Zulässigkeit eines isolierten Volksbegehrens bezüglich Haushaltsangelegenheiten166 und befand sich damit im 160
Hierfür scheint die Regelung in Art. 63 Abs. 2 BayLWG zu sprechen: Sie unterscheidet zwischen der Unzulässigkeit bei Vorlagen zum Staatshaushalt (nur bzgl. Volksentscheid, S. 1) und der Unzulässigkeit bei bestimmten Verfassungsänderungen (hier bzgl. Volksbegehren und Volksentscheid, S. 2). Das BW-VAG liefert für diese Frage keine Anhaltspunkte. 161 Mit Ausnahme der Landesverfassung von Lübeck v. 23. 05. 1920, die nur das Referendum, nicht aber das Volksbegehren vorgesehen hatte. Vgl. zum Folgenden auch zusammenfassend Thoma ZöR 1928,489 (498). 162 Bzw. „Volksverlangen": in Anhalt, Braunschweig, Lippe, Preußen, Sachsen und Schaumburg-Lippe (§ 9 Abs. 3 AnhVerf v. 18. 07. 1919; Art. 41 Abs. 2 BraunschwVerf v. 06. 01. 1922; Art. 10 Abs. 5 LippVerf v. 21. 12. 1920; Art. 6 Abs. 3 PreußVerf v. 30. 11. 1920; Art. 37 SächsVerf v. 01. 11. 1920; § 10 Abs. 5 Schaumb.-LippeVerf v. 24. 02. 1921).
163 Bzw. „Volksabstimmung": in Baden, Bremen, Hamburg, Hessen, Thüringen und Württemberg (§ 23 Abs. 3 BadVerf v. 21. 03. 1919; § 4 Abs. 2 BremVerf v. 18. 05. 1920; Art. 58 Abs. 3 HambVerf v. 07. 01. 1921; Art. 14 HessVerf v. 12. 12. 1919; § 26 ThürVerf v. 11. 03. 1921; § 45 WürttVerf v. 25. 09. 1919). 164 In Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz und Oldenburg (§§ 10 Abs. 1 Nr. 2, 77 Abs. 1 BayVerf v. 14. 08. 1919; § 46 MecklSchwVerf v. 17. 12. 1920, § 32 Abs. 2 MecklStrelitzVerf v. 29. 01. 1919; § 65 Abs. 2 OldenbVerf v. 17. 06. 1919). 165 Vgl. Kaisenberg ZöR 6 (1927), 169 (170, 185) und Poetzsch-Heffter JöR 17 (1929), 1 (134, 136). Zu den einzelnen Volksbegehren siehe näher unten unter C III 1.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Einklang mit der rechtswissenschaftlichen Literatur. Nach der damaligen ganz herrschender Meinung habe der verfassungsrechtliche Ausschluss des finanzwirksamen Volksentscheids auch ein entsprechendes Volksbegehren mit umfasst 1 6 7 . Das Volksbegehren sei mehr als eine einfache Gesetzgebungsinitiative, da es auf die Herbeiführung eines Volksentscheids abziele 1 6 8 , und bilde daher mit dem Volksentscheid seinem Wesen nach ein einheitliches Verfahren 1 6 9 . Könne das Völksbegehren aber nicht zu dem bestimmungsgemäßen Ziel des Volksentscheids führen, ergebe es keinen Sinn und sei damit wertlos 1 7 0 . Zwar entfalle der Volksentscheid, wenn der Reichstag dem Völksbegehren zustimme, doch erfolge dies allein aus Zweckmäßigkeitsgründen, damit das umständliche Verfahren des Volksentscheids erspart b l e i b e 1 7 1 ; übernehme das Parlament den Gesetzentwurf aber nicht, dann müsse immer dem Volk die letzte Entscheidung hierüber zustehen 1 7 2 . Die Erstreckung des Finanzvorbehalts auf des Volksbegehren ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 73 Abs. 4 WRV. I m Verfassungsausschuss der Nationalversammlung sei man davon ausgegangen, dass auch das Volksbegehren von Finanzfragen ausgeschlossen sein s o l l e 1 7 3 . I m Übrigen sei man bei der
166 Eine Rechtsprechung zu der Frage, ob das Finanztabu auch auf das Volksbegehren angewandt werden durfte, hat sich nicht entwickelt, weil den Initiatoren eines Volksbegehrens nach einer Ablehnung der Zulassung der Rechtsweg nicht offenstand. Zur Frage, ob gegenüber der Entscheidung der Reichsregierung de lege ferenda ein Rechtsmittel eingeführt werden sollte, vgl. Kaisenberg ZöR 1927, 169 (187 f.); ders., Volksentscheid und Völksbegehren, S. 38 Anm. 2; C. Schmitt S. 31; Glum JW 1929, 1099. 167 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 10; Arndt Art. 73 Erl. 5; E. Braun AöR 1923, 42 (76); Bredt S. 259; Fetzer S. 40; H. Fritz VerwArch 1922, 339 (349); Giese Art. 73 Anm. 11; Glum JW 1929, 1099; Hansen S. 40 Fn. 64; Hatschek S. 285; Heckel in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 392 (409); Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (169); Kaisenberg ZöR 6, 170; ders. in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207); Merk AöR 1930, 83 (88); Poetzsch-Heffter, Handkommentar, Art. 73 Anm. 20; C. Schmitt S. 13, Stier-Somlo S. 534; Thoma ZöR 1928, 489 (491); Triepel AöR Bd. 39 (1920), 456 (495); ders. DJZ 1926, 845 (847); Venator AöR 1922,40 (93). 168 C. Schmitt S. 13 f.; Hansen S. 7; Hartwig S. 66. 169 C. Schmitt S. 11 \ Hansen S. 7; Fetzer S. 41; Stier-Somlo S. 534. 170 Fetzer S. 41; Merk AöR 1930, 83 (88); Stier-Somlo S. 534.
171 Bredt S. 257. 172 Triepel AöR 1920,456 (494). 173 Triepel AöR 1920,456 (494); Fetzer S. 41: Nach der ersten durch Antrag des Abgeordneten Keil eingeführten Entwurfsfassung habe auf das erfolgreiche Volksbegehren unmittelbar der Volksentscheid folgen sollen, ohne dass der Reichstag das begehrte Gesetz übernehmen konnte. Das Volksbegehren sei daher von Beginn an so konzipiert worden, dass sein einziges Ziel die Durchführung des Volksentscheids sei. Auch im zweite Entwurf im Antrag des Abgeordneten Ablaß u. a habe sich der Finanzvorbehalt sowohl auf das Volksbegehren als auch auf den Volksentscheid bezogen. Art. 64a Abs. 3 und 4 des Verfassungsentwurfs lautete (Drucks. 169, Protokoll des Verfassungsausschusses, 1919, S. 307): (Abs. 3): „Eine Volksabstimmung hat femer stattzufinden, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Die Volksabstimmung findet erst statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag verhandelt worden ist."
A. Verortung des Finanzvorbehalts
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Regelung der Einrichtungen der unmittelbaren Demokratie nicht besonders wissenschaftlich vorgegangen, denn die Formulierung der endgültigen Fassung des Art. 73 Abs. 4 WRV sei weder terminologisch noch systematisch abgewogen174. Auch aus einem Rechtsvergleich mit den unterschiedlichen Regelungen der Länder 1 7 5 könne man die Zulässigkeit eines isolierten Volksbegehrens nicht begründen, da diese zu vielfältig seien; es wäre ein „unzulässiger Formalismus" und würde die „Ausdrucksweise pressen", wollte man aus den Unterschieden zwischen den Verfassungen bestimmte Schlüsse ziehen 176 . Die Zulassung eines finanzwirksamen Völksbegehrens würde schließlich auch dem restriktiven Zweck des Art. 73 Abs. 4 WRV widersprechen, denn Sinn dieser Regelung sei es gerade gewesen, die Beteiligung des Volkes bei Finanzfragen möglichst einzuschränken 177. Gegen diese herrschende Ansicht gab es nur eine vereinzelte Gegenstimme178: Ein „imperfektes" Volksbegehren sei nicht sinnlos, es führe auch dann zum Ziel, wenn der Reichstag das begehrte Gesetz unverändert annehme. Auch könne der Reichspräsident unter Umständen einem eindrucksvollen finanzwirksamen Volksbegehren entsprechen und den Völksentscheid hierüber anordnen, und selbst wenn das Volksbegehren nicht zum Erfolg führe, bringe es zumindest in klarem Maße den Willen der Bevölkerung zum Ausdruck 179 . In jüngster Zeit hat diese Ansicht zu Art. 73 Abs. 4 WRV mit der Argumentation Unterstützung erhalten, dass insbesondere die Entstehungsgeschichte in der Nationalversammlung für die von der vorherrschenden Ansicht vorgenommene ausdehnende Interpretation des Finanzvorbehalts nichts hergebe, da dessen endgültige Fassung eben in dem hier entscheidenden Punkt von den vorherigen Entwürfen abweiche: Mit der Beschränkung des Finanzvorbehalts auf den Volksentscheid sei die ursprüngliche Konzeption gerade nicht verwirklicht worden 180 . (Abs. 4): „Auf den Haushaltsplan findet diese Bestimmung keine Anwendung." Diese Konzeption sei auch bei der Änderung des Finanzvorbehalts im folgenden dritten Entwurf im Antrag des Abgeordneten Gröber, der inhaltlich der endgültigen Fassung entsprochen habe, beibehalten worden (Drucks. 189, Protokoll des Verfassungsausschusses, 1919, S. 307): (Abs. 4): „Auf den Haushaltsplan, Abgabengesetze und Besoldungsordnung der Reichsbeamten findet diese Bestimmung keine Anwendung, es sei denn, daß der Reichspräsident das Gesetz zur Volksabstimmung bringt." 174 C. Schmitt S. 16; Glum JW 1929, 1099. 175 Siehe oben unter Fn. 162-164. 176 C. Schmitt S. 15 f.; Glum JW 1929, 1099. 177 FetzerS. 41; Stier-Somlo S. 534. 178 Clemen, zitiert bei Jung Der Staat 1999, 41 (50). 179 Clemen a. a. O. 180 Jung Der Staat 1999, 41 (48). Der Hinweis von Jung a. a. O. S. 46, nach § 9 der Verfassung des Landes Anhalt von 1919 habe es auch ein „imperfektes" Volksbegehren gegeben, geht dagegen fehl, da es sich hier bei dem Volksbegehren lediglich um eine schlichte Volksinitiative gehandelt hat, die von vornherein nicht auf einen Volksentscheid zielte. Durch Volksentscheid konnte dagegen allein die Auflösung des Landtags erreicht werden, § 11 AnhVerf. 4 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
b) Der Finanzvorbehalt in Bayern, Baden-Württemberg
und Bremen
Der herrschenden Auslegung zu Art. 73 Abs. 4 WRV folgend zieht die Rechtsprechung in Bayern und Bremen den Finanzvorbehalt ebenfalls auf die Stufe des Volksbegehrens vor 1 8 1 , was auch von zahlreichen Stimmen in der Literatur befürwortet wird 1 8 2 . Als Begründung wird an die genannten Argumente zur Einheitlichkeit von Volksbegehren und Volksentscheid angeknüpft: Volksbegehren und Volksentscheid seien so eng miteinander verflochten, dass das Volksbegehren kein eigenständiges Institut darstelle, sondern lediglich eine unselbständige Vorstufe zum gesetzgebenden Volksentscheid sei 1 8 3 und damit auf die Durchführung eines Volksentscheids abziele 184 . Wie auch nach der WRV entfalle der Volksentscheid zwar, wenn der Landtag den Gesetzentwurf unverändert annehme, das Volksbegehren habe aber keinen Sinn, wenn dem Volk nicht die Möglichkeit bliebe, ein Gesetz auch gegen den Landtag durchzusetzen 185. Es sei das Wesen der Volksgesetzgebung, dass ein Gesetz ohne Zustimmung des Landtags allein vom Volk beschlossen werden könne, was infolge des Finanzvorbehalts beim Volksentscheid gerade ausgeschlossen sei 1 8 6 . Insbesondere aus der Verfassung Bremens lasse sich erkennen, dass das Volksbegehren nicht als eigenständiges Institut ausgestaltet sei, da es nur im Unterabschnitt „Der Volksentscheid" genannt werde 187 und in Art. 70 Abs. 1 Buchst, d, 71, 72 Abs. 2 BremVerf auch nur als ein möglicher Weg zum Volksentscheid erwähnt sei 1 8 8 . Auch die Regelung des Art. 67 Abs. 1 BremVerf 189 nenne im Klammerzusatz allein den Völksentscheid190, und ebenso - so müsste man ergänzen - beziehe sich der Regelungsauftrag des Art. 74 BremVerf allein auf das Verfahren „beim Volksentscheid"191. 181 BayVerfGHE 29, 244 (263); BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (424); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389); BremStGH NordÖR 1998, 297 (298). In Baden-Württemberg wurde diese Frage bisher noch nicht praktisch relevant. 182 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (675); K. Braun Art. 59 Rdnr. 40; Berger S. 108; Degenhart Der Staat 31 (1992) 77 (94 Fn. 99); Feneberg/Simader Art. 69 Anm. 2; Fessmann BayVBl. 1976, 389 (390); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976,486 (487); Jürgens S. 132; Meder Art. 73 Rdnr. 1; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 27; Schweiger in: Nawiasky / Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 3 und 9; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 45; A. Weber DÖV 1985,178 (182). 183 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389); BremStGH NordÖR 1998, 297 (298). 184 BayVerfGHE 29, 244 (263) insbesondere unter Verweis auf Triepel AöR 39 (1920), 456 (494 f.); Feneberg/Simader Art. 69 Anm. 2; Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (487). 185 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (675); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (487) mit Verweis auf Triepel AöR 39 (1920), 456 (494 f.) und C. Schmitt S. 12 ff. 186 Berger S. 108 Fn. 18; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 27; Jürgens S. 132. 187 BremStGH NordÖR 1998, 297 (298). iss BremStGH NVwZ 1998, 388 (389); BremStGH NordÖR 1998, 297 (298). 189 „Die gesetzgebende Gewalt steht ausschließlich dem Volk (Völksentscheid) und der Bürgerschaft zu". 190 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389).
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Gegen diese überkommene Ansicht wendet sich jedoch eine Auffassung im Schrifttum, wonach auch ein isoliertes Volksbegehren über Finanzfragen zulässig sei 1 9 2 . Da das Parlament die Möglichkeit habe, den Volksgesetzentwurf zu übernehmen und als Gesetz zu beschließen, seien Volksbegehren und Volksabstimmung gerade nicht unlösbar miteinander verkoppelt 193 ; vielmehr sei die Völksabstimmung lediglich ultima ratio des Volksbegehrens 194. Von der Möglichkeit eines isolierten Volksbegehrens gehe u. a. auch Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf aus, wonach über ein Volksbegehren, das auf Änderung der Verfassung gerichtet ist, ein Volksentscheid nicht stattfinde 195 ; darüber hinaus sei ebenso im Ausland die Möglichkeit solcher „imperfekten" Volksbegehren bekannt 196 . Das Volksbegehren sei zudem deshalb als eigenständiges Rechtsinstitut anzusehen, weil es noch mehr Funktionen als die Einleitung eines Volksentscheids aufweise 197 . Das Volk könne durch das Volksbegehren seine Anliegen öffentlich artikulieren 198 und damit anzeigen, „wo der Schuh drückt" 199 . Diese Bedarfsmeldung des Volkes könne dem Parlament und der Exekutive als Informationsquelle dienen und damit deren Meinungsbildungs- und Entscheidungsgrundlage vergrößern 200. Das Begehren könne insbesondere auf die Herbeiführung eines bestimmten Landtagsbeschlusses abzielen 201 , wobei der von einem erfolgreichen Volksbegehren ausgehende politische Druck die Chance erhöhen könne, dass es zu einem Einlenken durch das Parlament zugunsten der Unterstützer des Begehrens komme 202 . Erreiche das Volksbegehren dagegen nicht die erforderliche Stimmenzahl, werde der 191 Im Unterschied etwa zur ansonsten wortgleichen Regelung des Art. 124 Abs. 4 HessVerf, die sich auf das Verfahren „beim Volksbegehren und Volksentscheid" bezieht. 192 ßugiel ZParl 1987, 394 (399 f.); Feuchte Art. 59 Rdnr. 7 und 13, Art. 60 Rdnr. 10; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 164; Jung NVwZ 1998, 372; ders. NordÖR 1999,281 (282); ders. Der Staat 1999,41 (59); Krause in: Isensee/Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 21 Fn. 84 und Rdnr. 22; Lippold DÖV 1989, 663 (667 Fn. 31); Maurer in: Maurer/ Hendler S. 27 (84); Obst S. 228; Przygode S. 399. 193 Feuchte Art. 59 Rdnr. 13; Przygode S. 400. 194 Feuchte Art. 59 Rdnr. 7, Art. 60 Rdnr. 10. 195 Krause in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 21 Fn. 84 und Rdnr. 22; Lippold DÖV 1989, 663 (667 Fn. 31); Przygode S. 399. 196 Bugiel ZParl 1987, 394 (399 f.), Obst S. 228 m. w. N. 197 Przygode S. 400 unterscheidet zwischen „Ventil-, Signal- und Warnfunktion" und „Befriedungsfunktion". 198 Nach Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 164 habe ein imperfektes Volksbegehren die Funktion, das „Fragepotential bei der Bildung des Volkswillens zu optimieren". 199 Przygode S. 400. 200 Stuby in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken S. 288 (296); Przygode S. 400. 201 Maurer in: Maurer/Hendler S. 27 (84). 202 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 164. Nach Jung Der Staat 1999, 41 (59) könne es auch zu weiteren „differenzierten Interaktionen zwischen Parlament und plebiszitärer Basis" kommen. So bestehe neben einem Einlenken durch das Parlament etwa auch die von Jung allerdings nicht näher beschriebene - Möglichkeit, dem zum Ausdruck gekommenen Wollen „auf andere Weise entgegenzukommen". *
5 2 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
unterlegenen Minderheit die Erfolglosigkeit ihres partikularistischen Anliegens deutlich vor Augen geführt 203 . Insbesondere auch aus der Bremischen Verfassung könne die Zulässigkeit eines finanzwirksamen Volksbegehrens hergeleitet werden. So sei aus Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 4 BremVerf erkennbar, dass die Fälle, in denen ein Völksbegehren unzulässig sein solle, ausdrücklich und abschließend benannt würden, wobei das Finanztabu hier gerade nicht genannt sei 2 0 4 . Die genannten Funktionen zeigen, dass ein Volksbegehren als solches auch ohne einen anschließenden Volksentscheid grundsätzlich sinnvoll sein kann. Ein Volksbegehren über finanzwirksame Inhalte wird man in Bayern, Baden-Württemberg und Bremen aber dann ablehnen müssen, wenn sich aus den Verfassungen Anhaltspunkte gegen eine Anerkennung als eigenständiges Institut entnehmen lassen. Hierbei ist zunächst festzustellen, dass in den Verfassungen der drei Länder das Volksbegehren als eine eigene Form der Gesetzesinitiative aufgeführt und gleichwertig neben die entsprechenden Initiativen von Abgeordneten und der Regierung gestellt wird 2 0 5 - im Unterschied zu der Regelung in Art. 68 Abs. 1 WRV, der bestimmte, dass Gesetzesvorlagen von der Reichsregierung oder aus der Mitte des Reichstags eingebracht werden konnten. Damit ist auch in Bremen - entgegen der Argumentation des BremStGH 206 - das Volksbegehren nicht etwa nur im Unterabschnitt „Der Volksentscheid" geregelt; die ausdrückliche Benennung des Völksbegehrens im Zusammenhang mit der Gesetzesinitiative spricht daher zunächst eher dafür, dass die Verfassungen das Völksbegehren grundsätzlich als eigenständiges Initiativinstitut auffassen. Soweit die Verfassung Bremens in Art. 67 Abs. 1 BremVerf bei der Regelung der gesetzgebenden Gewalt allein auf den Volksentscheid Bezug nimmt, nimmt sie hier offensichtlich nur auf den entscheidenden letzten Akt des Gesetzgebungsverfahrens Bezug, nicht dagegen auf die Gesetzesinitiative, die schließlich auch vom Senat oder von der Mitte der Bürgerschaft ausgehen kann 207 . Allerdings vermag die Auffassung, in Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 4 BremVerf seien alle Fälle der Unzulässigkeit eines Volksbegehrens abschließend benannt 208 , die Möglichkeit eines imperfekten Volksbegehrens nicht überzeugend begründen. Es handelt sich hier lediglich um eine formelle Verfahrensbestimmung, ab welchem Zeitpunkt bei erfolglosem Volksentscheid ein erneutes Volksbegehren 203
Przygode S. 400. 04 Jung NVwZ 1998, 372 (372); Przygode S. 399. Ebenso Stuby in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken S. 288 (296), der allerdings - insoweit inkonsequent - den einfachen Gesetzgeber für befugt hält, den Finanzvorbehalt in § 9 Nr. 1 BremVEG vorzuverlagern. 205 Art. 59 Abs. 1 BW-Verf (hier wird im Anschluss in Art. 59 Abs. 2 BW-Verf das Volksbegehren sogar im Einzelnen näher ausgestaltet); Art. 71 BayVerf; Art. 123 Abs. 1 BremVerf. 206 BremStGH NordÖR 1998, 297 (298) 207 im Ergebnis auch Jung NVwZ 1998, 372 mit der Begründung, die Vorschrift des Art. 67 Abs. 1 BremVerf sei der Gewaltenteilung gewidmet. 208 Siehe oben zu Fn. 204. 2
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in der gleichen Sache wieder möglich ist; über die Frage eines Ausschlusses bestimmter materieller Inhalte des Volksbegehrens lässt sich dieser Bestimmung daher überhaupt keine Aussage entnehmen209. Eine entscheidende Bedeutung für die Lösung dieser Problematik ist hier dem Umstand beizumessen, dass einige Länder dem Bedürfnis nach einer unmittelbaren Einwirkung des Volkes auf das Parlament dadurch entsprochen haben, dass sie in ihre Verfassungen die Volksinitiative aufgenommen haben 210 , deren Inanspruchnahme dadurch erleichtert wird, dass sie niedrigere Zugangshürden und damit einen geringeren Kostenaufwand als das Volksbegehren haben 211 . Unter den drei hier betroffenen Ländern hat allerdings nur Bremen mit der Regelung des Bürgerantrags in Art. 87 BremVerf dieses Institut aufgegriffen. Damit können die Funktionen der Artikulation, Information, Warnung und Befriedung, die grundsätzlich auch das Volksbegehren erfüllen kann, in Bremen vollständig durch dieses Institut wahrgenommen werden, so dass insoweit über die Einleitung eines Volksentscheids hinaus keine eigenständige Bedeutung des Volksbegehrens mehr ersichtlich ist. Hinzu kommt, dass selbst der Bürgerantrag in Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf dem Finanzvorbehalt unterstellt ist. Wenn aber schon auf dieser unteren Ebene die Einflussnahme des Volks auf das Parlament bei finanzwirksamen Fragen ausgeschlossen ist, dann kann diese Materie erst recht nicht auf der Ebene des Völksbegehrens behandelt werden 212 . Dass der Bürgerantrag erst nachträglich eingefügt worden ist 2 1 3 , steht einer systematischen Auslegung der gesamten Verfassung nicht entgegen: Wenn es auch Ziel der Verfassungsrevision war, die Möglichkeiten der direktdemokratischen Einflussnahme auf die aktuelle Politik zu verbessern, so war andererseits eben auch beabsichtigt, die neuen direktdemokratischen Möglichkeiten gerade nicht für die Finanzmaterie zu eröffnen 214 . Die Gegenauffassung will ihre Ansicht in diesem Zusammenhang zudem aus einer Gegenüberstellung der unterschiedlich geregelten Ermächtigungen zum Er209 So auch BremStGH NordÖR 1998, 297 (298). 210
Hierauf weist auch Przygode S. 401 hin, ohne allerdings zu berücksichtigen, dass auch diese Institute in den meisten Ländern ein Finanztabu enthalten. 211 Siehe zu der schlichten Volksinitiative oben unter A I. 212 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). Nach BremStGH NordÖR 1998, 297 (298) würde die Durchführung eines solchen imperfekten Volksbegehrens ausschließlich der Umgehung der Haushaltsklausel des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf dienen. 213 Mit Verfassungsänderung vom 01. 11. 1994 (BremGBl. S. 289). 214 A.A. dagegen Jung NordÖR 1999, 281 (282): Ziehe man aus dieser Norm Rückschlüsse auf den viel älteren Art. 70 BremVerf, zäume man „das Pferd am Schwanz auf. Sein Argument, der verfassungsrevidierende Gesetzgeber habe 1994 die Finanzvorbehaltsklausel des Art. 70 Abs. 2 BremVerf nicht ausdrücklich auf das Volksbegehren erstreckt, wie starke politische Kräfte es 1947 bzw. 1971 vorgeschlagen hätten, geht dagegen fehl: Diese früheren Formulierungsvorschläge waren gar nicht Gegenstand der Beratungen, vielmehr ist die Bremer Bürgerschaft bei der Verfassungsänderung 1994 von einer Erstreckung des Finanzvorbehalts auf das Volksbegehren ausgegangen, vgl. Drucks. 13/592, S. 6 der Bremische Bürgerschaft (Landtag). Ebenso BremStGH NordÖR 1998, 297 (298).
5 4 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
lass von Ausführungsgesetzen herleiten. Die entsprechende, den Bürgerantrag betreffende Ermächtigungsnorm in Art. 87 Abs. 2 S. 3 BremVerf („Das nähere regelt ein Gesetz.") beziehe sich, obwohl sie vom Wortlaut relativ weit gefasst sei, nicht auf die Regelung eines Finanztabus, da dieses von der Verfassung in Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf bereits selbst aufgestellt worden sei. Demgegenüber sei der Regelungsauftrag an den Gesetzgeber hinsichtlich der Volksgesetzgebung in Art. 74 BremVerf („Das Verfahren beim Volksentscheid regelt ein besonderes Gesetz.") vergleichsweise eng gefasst, beziehe sich nur auf den Volksentscheid und könne den Gesetzgeber daher nicht zur Vorverlagerung des Finanztabus ermächtigen 215 . Diese formalistische Auslegung überinterpretiert die Regelungsaufträge, denn ob sich der Finanzvorbehalt auf das Volksbegehren bezieht, ist keine Frage, die der Regelungsbefugnis des einfachgesetzlichen Gesetzgebers unterliegt, wenn sich dies - wie hier - unmittelbar aus der Verfassung selbst ergibt. Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass sich in Bremen der Finanzvorbehalt auch auf das Volksbegehren erstreckt; in Bayern und Baden-Württemberg, wo dagegen eine dem Bürgerantrag in Bremen entsprechende gesonderte Regelung der Völksinitiative nicht gegeben ist, behält das Volksbegehren somit auch für die genannten Funktionen über die bloße Einleitung eines Volksentscheids hinaus seine Bedeutung bei. Andere Anhaltspunkte dafür, dass dem Volk zu Finanzfragen, über die es nicht selbst abstimmen kann, auch die Möglichkeiten der öffentlichen Artikulation in Richtung Parlament verwehrt sein soll, sind in den Verfassungen nicht erkennbar. Der Finanzausschluss soll zwar Entscheidungen über den Haushalt dem Parlament vorbehalten, es ist aber nicht ersichtlich, dass das Parlament von jedem Einfluss durch das Volk ferngehalten werden soll. Politischem Druck sieht sich das Parlament auch im Wege anderer Formen außerparlamentarischer Artikulation des Volkswillens ausgesetzt - durch Verbände, Demonstrationen und die durch die Medien transportierte Öffentlichkeit 216 - und hier bleibt ebenso wie nach einem erfolgreichen finanzrelevanten Volksbegehren die Entscheidungsfreiheit des Parlaments im Rahmen einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik nach wie vor bestehen. Schließlich hält sich auch das Kostenrisiko für das Land bzw. die Gemeinden in Grenzen, denn die Kosten des Zulassungsantrags und der Eintragungslisten und ihre Versendung an die Gemeinden tragen die Initiatoren 217 ; die öffentliche Hand trägt nur die Kosten der Entscheidung über den Zulassungsantrag und die Kosten der Feststellung des Eintragungsergebnisses 218. In Baden-Württemberg und Bayern bezieht sich der Finanzvorbehalt daher nicht auf das Volksbegehren, so dass ein finanzwirksames Völksbegehren hier - entgegen der Rechtsprechung des BayVerfGH - nicht von der Verfassung ausgeschlossen ist. 215 Jung NVwZ 1998, 372 (372). 216 Vgl. zum Einfluss der Medien für die Meinungsbildung im repräsentativen System und zu den Auswirkungen direktdemokratischer Elemente auf die öffentliche Diskussion J. Klein in: Rüther S. 244. 217 § 39 Abs. 1 S. 1 BW-VAG; Art. 74 S. 1 BayLWG. 218 § 39 Abs. 1 S. 2 BW-VAG; Art. 74 S. 2 BayLWG.
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände Während bisher der Finanzvorbehalt nur als pauschaler Sammelbegriff für alle ausgeschlossenen Haushaltsgegenstände verwendet wurde, soll im Folgenden untersucht werden, welche einzelnen Materien inhaltlich von den jeweiligen Finanzvorbehalten in den Landesverfassungen umfasst sind. Hierbei lassen sich zwei Kategorien von Ausschlussmaterien unterscheiden: Neben den in Rechtsprechung und Literatur eher allgemein interpretierten Begriffen wie „Staatshaushalt", „Haushaltsplan", „Haushaltsgesetz" oder auch „Finanzfragen", die in einem späteren Abschnitt (unter C) behandelt werden, zählen die Vorbehaltsklauseln - mit Ausnahme der bayerischen Regelung - einzelne spezielle Ausschlusstatbestände auf. Diese besonderen Bereiche, die hier in ihrem Inhalt und ihrer Relevanz für das landesverfassungsrechtliche Volksgesetzgebungsverfahren dargestellt werden sollen, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die Abgaben einschließlich der Steuern und Gebühren (hierzu unter I), die Besoldungen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge (II) und schließlich die sonstigen speziellen Finanzausschlüsse (III).
I. Abgaben, Steuern und Gebühren In allen Ländern - bis auf Bayern - sind Abgaben als Gegenstand der Volksgesetzgebung ausgeschlossen. Während in einigen Verfassungen lediglich „Abgaben" genannt werden 219 , ist in anderen - inhaltlich gleichbedeutend - von „öffentlichen Abgaben" 220 , „Abgabengesetzen"221 bzw. „Gesetze über Abgaben" 222 die Rede. In Bremen werden neben den Abgaben „Steuern und Gebühren" 223 genannt. Allein in Bayern ist diese Materie nicht von vornherein der Volksgesetzgebung entzogen224. Mit dem Argument, dass Abgabengesetze zu wichtig seien, als dass man sie pauschal der Einwirkung des Volkes entziehen könne, wurden sie vom Bayerischen Verfassungsgeber nicht in die Finanzausschlussklausel aufgenommen 2 2 5 . Ansonsten wird der Ausschluss der Abgaben mit der Argumentation be219 Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 70 Abs. 2 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 59 Abs. 2 MV-Verf (für Volksinitiativen); Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 220 Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf. 221 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Art. 69 Abs. 2 MV-Verf (für Volksbegehren); Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf. 222 Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf. 223 Art. 70 Abs. 2 BremVerf. 224 Art. 73 BayVerf nimmt lediglich den „Staatshaushalt" vom Volksentscheid aus. 225 Vgl. die Äußerungen Nawiaskys und des Abgeordneten Ehards in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Verfassungsausschusses der Bayerischen Verfas-
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gründet, dass die Leistungsfähigkeit des Staates gewährleistet und ein Missbrauch der Volksgesetzgebung verhindert werden solle 226 , da mangels repräsentativer Distanz die Gefahr bestehe, dass das Volk seine Abgaben ohne Rücksicht auf den Haushalt herabsetzen werde 227 . Abgaben sind die von einem Hoheitsträger kraft öffentlichen Rechts auferlegte Geldleistungspflichten zur Förderung öffentlicher Zwecke 228 . Durch das Merkmal der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung lassen sie sich von Geldleistungen abgrenzen, die freiwillig oder auf der Grundlage privaten Rechts an die öffentliche Hand geleistet werden, durch das Merkmal der Geldlichkeit unterscheiden sie sich von den Naturallasten wie z. B. Hand- und Spanndienste oder die Wehrpflicht. Ebensowenig unterfallen sonstige Geldleistungen an die öffentliche Hand, die nicht der Finanzierung des Staates dienen (z. B. Geldstrafen und -büßen, Zwangsgelder, Verspätungs- oder Säumniszuschläge), dem Abgabenbegriff, da sie anderen als fiskalischen Zwecken dienen und daher die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates nicht erheblich beeinflussen können 229 . Abgaben lassen sich unterteilen in Steuern, Gebühren, Beiträge und sog. Sonderabgaben230; in Bremen ist aufgrund der gleichzeitigen Nennung von Steuern und Gebühren neben den Abgaben in der Finanzausschlussklausel des Art. 70 Abs. 2 BremVerf von einem engeren Abgabenbegriff auszugehen, der alle Geldleistungspflichten ohne Steuern und Gebühren umfasst 231 . Im Folgenden sollen die einzelsungsgebenden Landesversammlung, Band II, S. 412. Ausführlich hierzu vgl. Waldhoff S. 158. 226 Zur Entstehungsgeschichte in den einzelnen Bundesländern vgl. Heußner, Völksgesetzgebung in den USA, S. 167 f. 227 Starck, Die Verfassungen, S. 29. 22 8 Vgl. Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. III 3 zu Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Dickersbach in: Geller /Kleinrahm Art. 68 Erl. 2 b bb zu Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRW-Verf; Poetzsch-Heffter, Handkommentar, Art. 73 Erl. 22 zu Art. 73 Abs. 4 WRV. 229 Henneke Rdnr. 272. A.A. offenbar K. Braun Art. 59 Rdnr. 40 zu Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Hopfe in: Linck/Jutzi/Hopfe Rdnr. 9 zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf; allgemein einen weiten Abgabenbegriff vertritt etwa auch Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 105 Rdnr. 7. 230
Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 168; Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Erl. 2 b bb und Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2 zu Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRWVerf; Hopfe in: Link/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9 zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf; Kaisenberg in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (208) zu Art. 73 Abs. 4 WRV. 231 H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 19. A.A. Spannhake S. 8, der den Abgabenbegriff weiter fasst und hierunter auch die Steuern zählt. Beachte, dass bei dem Finanzvorbehalt zum Bürgerantrag in Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf die Gebühren und Steuern nicht mit aufgenommen sind, woraus H Neumann, BremVerf, Art. 87 Rdnr. 17 folgert, sie seien nicht vom Finanzvorbehalt zum Bürgerantrag erfasst. Offenbar hat der Verfassungsgesetzgeber aber bei der Einfügung des Bürgerantrags die Fassung des Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf nicht mit der Fassung des Art. 70 Abs. 2 BremVerf abgeglichen, so dass sich aus der unterschiedlichen Formulierung keine derartigen Schlussfolgerungen ableiten lassen (vgl. „Haushalt" gegenüber „Haushaltsplan", „Dienst- und Versorgungsbezüge" gegenüber „Dienstbezüge".
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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nen Elemente der Abgaben dargestellt und daraufhin untersucht werden, ob und wie weit deren Ausschluss für die Volksgesetzgebung in den Ländern insoweit überhaupt relevant ist, als diesen auch die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet zusteht.
1. Steuern Steuern sind Geldleistungen, die ein öffentlich-rechtliches Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften aufgrund einer gesetzlichen Regelung erlangt und die weder eine Gegenleistung für eine besondere Leistung der öffentlichen Hand darstellen noch in ihrer Bestimmung an bestimmte Zwecke gebunden sind. Ihr einziger Entstehungsgrund ist der Tatbestand, an den das Gesetz die Zahlungspflicht knüpft, und ihr alleiniger Zweck die Erzielung von Einkünften 232 . Durch das Fehlen des Gegenleistungscharakters unterscheiden sie sich von den sog. Vorzugslasten der Gebühren und Beiträge 233 . Die Steuern lassen sich nach der Besteuerungsgrundlage einteilen 234 in Steuern auf den Erwerb von Eigentum bzw. auf die Einkommensentstehung (Einkommensteuer, Körperschaftssteuer und Gewerbesteuer), auf die Innehabung des Eigentums bzw. auf den Vermögensbestand (Vermögenssteuer und Grundsteuer) sowie auf den Gebrauch des Eigentums bzw. auf die Einkommens- und Vermögensverwendung (Verkehrs-, Verbrauchs- und Aufwandsteuern) 235 . Eine eigenständige Bedeutung hat der Ausschluss der Steuern von der Volksgesetzgebung aber nur, soweit den Ländern überhaupt auf diesem Gebiet die in Art. 105 ff. GG abschließend geregelte 236 Regelungskompetenz - und nicht dem Bund oder den Gemeinden - zusteht. Eine ausschließliche Befugnis zur Gesetzgebung für die Länder ist nach Art. 105 Abs. 2a GG nur für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern gegeben, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die Verbrauchs- und Aufwandsteuern knüpfen an die Besteuerungsgrundlage der Ein„Personalentscheidungen" sind in Art. 70 Abs. 2 BremVerf nicht aufgeführt, „Einzelheiten solcher Gesetzesvorlagen" dagegen nicht in Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf). 232 Vgl. § 3 Abs. 1 AO. Wenn auch der Verfassungsbegriff nicht durch eine einfachgesetzliche Definition bestimmt werden kann (BVerfGE 55, 274 [299]), so trifft die hier getroffene Bestimmung nach herrschender Ansicht dennoch den Inhalt des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs, BVerfGE 67, 256 (282); Henneke Rdnr. 285; Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HBdStR IV, § 88 Rdnr. 53; H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 17. Kritisch Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a- 115 Rdnr. 371 ff. (nur „wichtige Auslegungshilfe"). 2 33 Birk § 4 Rdnr. 9; Kruse S. 39. 234 Zu den unterschiedlichen Klassifizierungen der Steuern vgl. Birk § 6 Rdnr. 6 ff.; Brümmerhofs S. 376; Lang in: Tipke/Lang § 8 Rdnr. 29 ff.; Zimmermann /Henke S. 128 ff. 235 Näher zu den einzelnen Steuern siehe sogleich unten. 2 36 Henneke Rdnr. 644.
5 8 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata kommens- bzw. Vermögens Verwendung a n 2 3 7 : Die Verbrauchsteuer wird für die Verwertung verbrauchsfähige Güter erhoben 2 3 8 , während die Aufwandsteuer den Einsatz finanzieller Mittel für die Aufrechterhaltung eines tatsächlichen oder rechtlichen Zustands erfasst 2 3 9 . Örtlich i.S.v. Art. 105 Abs. 2a GG bedeutet, dass die unmittelbare Wirkung der Steuer auf den Erhebungsort begrenzt sein m u s s 2 4 0 . Zu den hergebrachten Steuern dieser Kategorie gehören insbesondere die Getränke-, Vergnügungs-, Jagd-, Fischerei- und Hundesteuer 2 4 1 , in neuerer Zeit etwa die Zweitwohn- oder die Spielgeräte- oder Verpackungssteuer 242 . Da die Ertragshoheit über diese Steuern nach Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG grundsätzlich den Gemeinden eingeräumt i s t 2 4 3 , haben die Flächenländer in der Praxis in den Kommunalabgabengesetzen zumeist auch die Normierungshoheit über diese Steuern den Gemeinden überlassen 244 , so dass insoweit für die Einflussnahme des Volks auf diese Steuern maßgeblich das Bürgerbegehren bzw. der Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene in Betracht kommt. Die örtlichen Steuern, die insoweit noch der Gesetzgebungsbefugnis der Länder unterliegen, machen daher nur etwa 0,4 % der Steuereinnahmen insgesamt a u s 2 4 5 .
237 Birk § 4 Rdnr. 9; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 105 Rdnr. 24; Lang in: Tipke/ Lang § 8 Rdnr. 51 f. Nicht von Art. 105 Abs. 2a GG erfasst ist dagegen die auch auf die Eigentumsverwendung Bezug nehmende Verkehrssteuer, bei der die reine rechtsgeschäftliche, nicht auf ein Verbrauchsgut gerichtete Übertragung von Vermögen oder Einkommen im Vordergrund steht, wie z. B. die Erbschafts-, Schenkungs-, Grunderwerbs-, Wechsel-, Versicherungs-, Feuerschutz-, Rennwett-, Sportwett- und Lotteriesteuer. 238 Anknüpfungspunkt ist dabei ein äußerer Vorgang wie etwa der Übergang in den Rechtsverkehr. Die Verbrauchsteuern werden von demjenigen erhoben, in dessen Bereich der Vorgang stattfindet, vgl. Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 106 Rdnr. 16. Sie lassen sich in allgemeine Verbrauchssteuern, etwa die Umsatzsteuer, und in spezielle Verbrauchssteuern, insb. die (bundesrechtlichen) Mineralöl-, Tabak-, Branntwein-, Schaumwein-, Bier- und Kaffeesteuer, unterteilen. Auch die als Steuern zu qualifizierenden Zölle (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 AO), die aufgrund der Warenbewegung über die Zollgrenze erhobene „Einfuhrsteuern" darstellen (vgl. BVerfGE 8, 260 [269 f.] und Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 31), lassen sich insoweit der Kategorie der allgemeinen Verbrauchssteuer zuordnen, sie sind aber gem. Art. 105 Abs. 1 GG ausschließlich dem Bund zugewiesen. 239 Wobei der Zustand durch eine über die normale Bedarfsdeckung hinausgehende Einkommensverwendung geschaffen sein muss, z. B. die Hunde-, Spielgeräte- oder Zweitwohnungssteuer, vgl. Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 105 Rdnr. 24, 26; BVerfGE 16, 64 (74). 2 40 BVerfGE 40, 56 (61); Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 56. 241 Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 55, 58. Vgl. zur Getränkesteuer BVerfGE 44, 216; zur Vergnügungssteuer BVerfGE 40, 52; 40, 56; 42, 38, zur Jagdsteuer BVerwGE 5, 339. 2 2 4 Vgl. zur Spielgerätesteuer BVerwG DÖV 1994, 1056; BVerwG DÖV 1995, 446; zur Verpackungssteuer insbesondere BVerwG NVwZ 1995, 59; BVerfGE 98, 83. 24 3 Nur in den Stadtstaaten steht der Ertrag dem Land zu, Art. 106 Abs. 6 S. 3 GG. 2 44 Birk § 4 Rdnr. 9. 24 5 F. Klein S. 1 (S. 35, Rdnr. 88); daher die Bezeichnung „Bagatellsteuern", vgl. BriimmerhoffS. 380 Fn. 1; Schöberle in: F. Klein S. 69 (74, Rdnr. 4).
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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Für alle übrigen Steuern liegt die Regelungskompetenz bei den Gemeinden und beim Bund. Hinsichtlich der grundsätzlich auch den Gemeinen zustehenden Realsteuern 246 - also den Grundsteuern und Gewerbesteuern - haben die Gemeinden nach Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG das Recht, die Hebesätze festzusetzen 247. Durch Landesgesetze kann hier den Gemeinden allenfalls ein bestimmter Rahmen für die Hebesätze vorgegeben werden, deren konkrete Festsetzung ist daher nicht der Volksgesetzgebung, sondern nur dem Bürgerbegehren bzw. dem Bürgerentscheid auf Gemeindeebene zugänglich. Die übrigen Steuern stehen dagegen in der ausschließlichen oder konkurrierenden Regelungskompetenz des Bundes. Die ausschließliche Gesetzgebung steht ihm nach Art. 105 Abs. 1 GG über die Zölle und Finanzmonopole zu, und die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 105 Abs. 2 GG über die übrigen Steuern, wenn dem Bund entweder das Aufkommen dieser Steuer ganz oder zum Teil zusteht oder wenn die Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 2 GG vorliegen; daher sind die Länder in diesem Bereich nur dann gesetzgebungsbefugt, wenn und soweit der Bund nicht von seiner Befugnis Gebrauch gemacht hat, Art. 72 Abs. 1 GG. Da den Ländern die Regelung einer Steuer also nur möglich ist, wenn diese nicht einer bereits bestehenden Steuer des Bundes gleichartig ist 2 4 8 . und der Bundesgesetzgeber die meisten Quellen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bereits selbst besteuert hat 2 4 9 , verbleiben den Ländern im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nur noch ganz vereinzelte Zuständigkeiten, so z. B. für die Schankerlaubnissteuer 250 oder die Abgabe zur Deckung kommunaler Wohnungsbaufolgekosten 251.
2. Sonstige nichtsteuerliche Abgaben Eine größere Relevanz für den Landesgesetzgeber könnte dagegen den sonstigen Abgaben, also den Gebühren, Beiträgen und den sog. Sonderabgaben, zukommen. 246 Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG, wiederum mit Ausnahme der Stadtstaaten, Art. 106 Abs. 6 S. 3 GG. Im Übrigen können die Flächenländer aber neben dem Bund durch eine Umlage an den am Aufkommen der Gewerbesteuer beteiligt werden, Art. 106 Abs. 6 S. 4 GG. 247 Ein nach Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG mögliches Hebesatzrecht der Gemeinden für den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer wurde bisher noch nicht geregelt. 2 *8 Zum Begriff der Gleichartigkeit vgl. BVerfGE 7, 244 (258 f.); Birk § 4 Rdnr. 7; Henneke, Rdnr. 669 f.; Vogel /Walter in: Dolzer/Vogel Art. 105 Rdnr. 120 ff. 249 Waldhoff S. 50. So sind etwa die Feuerschutzsteuer und die Grunderwerbssteuer inzwischen durch Bundesgesetze geregelt und damit der Länderkompetenz entzogen worden, vgl. hierzu Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 105 Rdnr. 19. Der Bund kann sein Kompetenzrecht auch negativ ausüben und bestimmte Tatbestände „regeln", indem er sie aus bestimmten Motiven von der Besteuerung ausnimmt, vgl. Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 42; Waldhoff S. 51. 250 Sie ist weder eine Verbrauchs- noch eine Aufwandsteuer, sondern eine von Art. 105 Abs. 2a GG nicht erfasste Verkehrssteuer, vgl. hierzu BVerfGE 13, 181 (192); Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 55; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 105 Rdnr. 26. 2 si BVerfGE 49, 343 (355).
6 0 1 . Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Gebühren sind Geldleistungen, die aus Anlass einer individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen durch oder aufgrund einer gesetzlicher Norm erhoben werden, um - nach dem Äquivalenzprinzip - die Kosten der Leistung ganz oder teilweise zu decken 252 . Sie können unterschieden werden in Verwaltungsgebühren für die Vornahme von individuellen Amtshandlungen253 und Benutzungsgebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen254; als dritter Gebührentyp wird in der Literatur die Verleihungsgebühr genannt, die als Entgelt für die Einräumung eines subjektiven öffentlichen Rechts erhoben wird 2 5 5 . Beiträge dagegen sind Geldleistungen, die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen für das bevorzugte Angebot einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage aufgrund gesetzlicher Ermächtigung von denjenigen erhoben werden, die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen und Anlagen wirtschaftliche Vorteile erhalten 256 ; es kommt dabei nur auf den potentiellen Vorteil, nicht dagegen auf die tatsächliche Inanspruchnahme an 2 5 7 . Die Beiträge lassen sich untergliedern in finanzrechtliche Beiträge, die zur Beteiligung an den Kosten für die Bereitstellung eines konkreten, den Beitragspflichtigen zugänglichen Vorteils als Vorzugslast erhoben werden 258 , und korporative Beiträge, die von Körperschaften von ihren Mitgliedern zur Finanzierung ihrer Aufgaben als Verbandslast gefordert werden 259 . Neben den Steuern, Gebühren und Beiträgen als Abgaben im klassischen Sinne haben sich auch die sog. Sonderabgaben als vierte Kategorie etabliert 260 , die ihre 252 BVerfGE 20, 257 (269); 50, 217 (226); 79, 1 (27). H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 17; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 104a^Rdnr. 3; Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 407 ff. 253 z. B. für die Ausstellung eines Führerscheins oder für die Inanspruchnahme des Akteneinsichtsrechts. 254 Z. B. für die Benutzung der Badeanstalt. Zur strittigen Qualifizierung der Rundfunkgebühr vgl. Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 462 m. w. N. 255 Auch „Duldungs-" bzw. „Ressourcennutzungsgebühr", vgl. Vogel /Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 422 m. w. N. Z. B. die Gebühr für die straßenrechtliche Sondernutzung oder die Spielbankkonzession. 256 Vgl. BVerfGE 9, 291 (297). 257 Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 416. 258 BVerfGE 14, 312 (317); 49, 343 (353); Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 429; z. B. Erschließungsbeiträge, Fremden Verkehrsabgaben. Zur Abgrenzung zu den anderen Abgabentypen vgl. Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HBdStR IV, § 88 Rdnr. 214 ff. 259 BVerfGE 38, 281 (311); Maunz in: Maunz/Dürig Art. 104a Rdnr. 8, der die Mitgliedschaftsbeiträge allerdings nicht den „Beiträgen im herkömmlichen Sinne" zuordnet; kritisch auch Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 427. So z. B. Beiträge zur Rechtsanwalts- oder zur Industrie- und Handelskammer. 260 BVerfGE 82, 159 (180); Maunz in: Maunz/Dürig Art. 104a Rdnr. 8 und Art. 105 Rdnr. 19 und Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 430 ff. und 436 ff., die die Sonderabgaben i.e.S. von den Ausgleichsabgaben, Lenkungsabgaben abgrenzen.
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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Entstehung den strengen verfassungsrechtlichen Regeln über die steuerlichen Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen verdanken und daher überwiegend so konstruiert worden sind, dass sie - wenn auch nur formal - eines der Merkmale der Steuer vermeiden 261 : Zwar begründen sie auch eine Geldleistungspflicht, der - wie bei den Steuern - keine Gegenleistung gegenübersteht, doch werden sie von einer homogenen gesellschaftlichen Gruppe erhoben und entsprechend zweckgebunden bzw. „gruppennützig" verwendet 262 . Es handelt sich dabei zumeist um wirtschaftsverwaltungsrechtliche oder umweltrechtliche Abgaben mit einer ökonomischen oder sozialen Umverteilungseigenschaft 263. Für die Gesetzgebungskompetenz der Länder hinsichtlich dieser nichtsteuerlichen Abgaben kommt die Auffangnorm des Art. 70 Abs. 1 GG zum Tragen 264 , wonach dem Bund nur ausnahmsweise dann die Regelungsbefugnis zusteht, wenn die Gebühren, Beiträge oder Sonderabgaben in engem Zusammenhang mit einer Sachmaterie stehen, für die der Bund die Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit hat 2 6 5 . Insgesamt lässt sich damit feststellen, dass die Ausschlussklausel bezüglich Abgaben für das Volksgesetzgebungsverfahren eine selbständige Bedeutung im Wesentlichen nur für Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben hat, im Bereich der Steuern dagegen, die die weitaus größte Einnahmequelle für die Länder darstellen, ist die Gesetzgebungsbefugnis der Länder weitestgehend ausgeschlossen266.
II. Besoldungen, Dienst- und Versorgungsbezüge Ein weiterer in allen Landesverfassungen enthaltener spezieller Vorbehalt bezieht sich auf die „Besoldung" 267 , „Gesetze über Besoldung" 268 bzw. auf „Besoldungs-
261 F. Klein S. 1 (53, Rdnr. 136). 262 BVerfGE 67, 256 (276 f.); 75, 108 (147). Eine Übersicht über die unterschiedlichen Sonderabgaben bei Henneke Rdnr. 423, 452 ff.; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 105 Rdnr. 13 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 105 Rdnr. 8. 263 F Klein S. 1 (53, Rdnr. 136). 264 Für die Erschließungsbeiträge ist die konkurrierende Zuständigkeit des Bundes durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG sogar ausdrücklich ausgenommen worden. 265 Wobei die Frage strittig ist, ob es sich um eine Annexkompetenz oder eine unmittelbare Sachkompetenz aus den Art. 73, 74 GG handelt, vgl. hierzu Vogel/Waldhoff in: Dolzer/ Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 425; Henneke Rdnr. 680. 266 Vgl. hierzu die Einschätzungen von Starck, Die Verfassungen, S. 29, dass wegen der weitgehenden Kompetenz des Bundes „Vorsicht unnötig" sei, und von Waldhoff S. 161, wonach es sich bei dieser Materie im Rahmen des parlamentarischen Finanzvorbehalts insoweit nur um ein „Detailproblem" handele. 267 Art. 59 Abs. 2 MV-Verf (für Volksinitiativen). 268 Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gesetze" 269 , ,,-regelungen" 270 oder ,,-ordnungen" 271; in anderen Ländern sind - inhaltlich gleichbedeutend - „Dienstbezüge" 272 , „Dienst- und Versorgungsbezüge" 273 bzw. „Gesetze über Dienst- und Versorgungsbezüge" 274 von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen. Ebenso wie bei den Abgaben wurde auch dieser Bereich aus Sorge um die Leistungsfähigkeit des Staates und zur Verhinderung des Mißbrauchs ausgeschlossen. Hinzu kam die Befürchtung, dass die Bürger bei dieser Frage eine übertriebene Sparsamkeit zeigen könnten 275 . Neben den zunächst zu behandelnden Bezügen der Beamten, Soldaten, Richter und Regierungsmitglieder im Hinblick auf diesbezügliche Regelungsbefugnis des Landesgesetzgebers ist auch darauf einzugehen, inwieweit die Abgeordnetendiäten unter diesen Ausschluss fallen.
1. Bezüge der Beamten, Soldaten, Richter und Regierungsmitglieder Der Begriff der Besoldung bzw. der Dienstbezüge beinhaltet alle Dienst- und Arbeitsentgelte im öffentlichen Dienst 276 , m.a.W. die Entgelte der in die Staatsorganisation eingegliederten abhängig Beschäftigten 277, soweit ihre Regelung nicht der Tarifhoheit der Sozialpartner vorbehalten und damit dem Gesetzgeber ohnehin entzogen ist 2 7 8 . Nicht von den Dienstbezügen erfasst sind daher die Gehälter der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes, wohl aber die Bezüge der Beamten, Soldaten und Richter. Das Gleiche gilt für die Vergütung der Mitglieder der Landesregierung 279, die ebenfalls in einem besonderen öffentlich269 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 60 Abs. 2 MV-Verf (für Volksbegehren); Art. 73 Abs. 1 SächsVerf. 270 Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf. 271 Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf. 272 Art. 70 Abs. 2 BremVerf. 273 Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 68 Abs. 2 S. 2, Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 274 Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf. 275 Vgl. hierzu die Nachweise bei Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 170. Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 43 schließt aus Beispielen aus der Schweiz und den USA, dass „das Volk eine vorurteilhafte Abneigung gegen die in den Besoldungsordnungen enthaltenen staatserhaltenen Prinzipien" hege. 276 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (673); K Braun Art. 59 Rdnr. 40; Jürgens S. 133. Vgl. auch Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Anm. III 3. 277 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (673); Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HBdVerfR, § 32 Rdnr. 2. 278 Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2 zu Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRW-Verf. 279 Hopfe in: Link/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9 zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf; H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 17 zu Art. 70 Abs. 2 BremVerf; Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. III 3 zu Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf.
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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rechtlichen Amtsverhältnis zum Land stehen und daher nach den meisten Verfassungen ausdrücklich als Inhaber eines besoldeten Amtes angesehen werden 280 . Auch wenn sie selbst keinem Dienstherrn unterstehen, steht dies ihrer Zuordnung zum öffentlichen Dienst nicht entgegen281 sondern ist letztlich nur die Konsequenz des hierarchischen Aufbaus der staatlichen Exekutive, an deren Spitze sie stehen und in die sie insoweit auch eingegliedert sind. Inhaltlich umfasst der Besoldungsbegriff alle Geld- und Sachleistungen im öffentlichen Dienst, die Ausfluss des Alimentationsprinzips 282 und nicht allein der Fürsorgepflicht des Dienstheim sind 283 . Hierzu zählen das Grundgehalt, Zuschüsse, Ortszuschläge, Zulagen und Vergütungen, Anwärterbezüge, Sonderzuwendungen und vermögenswirksame Leistungen 284 . In einem weiteren Sinne lassen sich dem Besoldungsbegriff aber auch die nicht auf der Alimentationspflicht beruhenden Zuwendungen zuordnen, die allein Gegenstand der Fürsorgepflicht des Dienstherrn sind, z. B. dienstliche oder außerdienstliche Entschädigungen für Sonderbelastungen (etwa Kleidergeld, Reise- und Umzugskostenerstattung, Trennungsgeld) oder Jubiläumszuwendungen285, denn auch bei diesen nur der Fürsorgepflicht entspringenden Leistungen des Dienstherrn besteht die Gefahr, dass der Volksgesetzgeber hier, von einer besonderen Sparsamkeit geleitet, zu drastischen Kürzungen neigen könnte. Zu den Bezügen gehören schließlich neben den aktiven auch die passiven Bezüge, also die Versorgungsansprüche der öffentlich Bediensteten286. Die Versorgung 280 Art. 53 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 BW-Verf; Art. 57 S. 1 BayVerf; Art. 95 S. 1 BrandVerf; Art. 39 Abs. 1 HambVerf; Art. 105 S. 1 HessVerf; Art. 45 Abs. 1 S. 2 MV-Verf; Art. 34 Abs. 2 S. 1 NdsVerf; Art. 64 Abs. 1 NRW-Verf; Art. 106 RhPfVerf; Art. 62 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 67 Abs. 1 S. 1 SAnhVerf; Art. 34 SchlH-Verf; Art. 72 Abs. 2 ThürVerf. Ausdrücklich ist die Regelung der Vergütung dem Parlament in Bremen vorbehalten: Art. 112 Abs. 2 S. 1 BremVerf. 281 So aber Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (673), Isensee in: Benda/Maihofer/Vogel, HBdVerfR, § 32 Rdnr. 2. 282 Kunig in: v. Münch Art. 74 a Rdnr. 7; Stettner in: Dreier, Grundgesetz, Art. 74 a Rdnr. 6. 283 Wichmann in: Wind/Schimana/Wichmann S. 325; Kunig in: v. Münch Art. 74 a Rdnr. 8; Stettner in: Dreier, Grundgesetz, Art. 74a Rdnr. 6. 284 Vgl. die Aufzählung in § 1 Abs. 2 und 3 BBesG, der allerdings für die Auslegung der Landesverfassungen nicht bindend ist (vgl. Art. IX § 1 Abs. 1 2. BesVNG). Die hier vorgenommene Unterteilung der Besoldung in „Dienstbezüge" (i.e.S.) und - wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung hiervon getrennten - „sonstigen Bezüge" ist allein regelungstechnisch bedingt, vgl. Wichmann in: Wind/Schimana/Wichmann S. 326. - Strittig ist, ob auch die Beihilfe und die freie Heilfürsorge zur Alimentationspflicht zählen: Bejahend Kunig in: v. Münch Art. 74a Rdnr. 8; Stettner in: Dreier, Grundgesetz, Art. 74a Rdnr. 6; BVerfGE 62, 354 (368). Allein als Ausfluss der Fürsorgepflicht dagegen: Maunz in: Maunz/Dürig Art. 74a Rdnr. 7; BVerfGE 58, 68 (78). 285 Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2. Zu den unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs „Dienstbezüge" im engen, weiteren und weitesten Sinn vgl. auch BVerwGE 16, 235 (237); 47, 23 (25).
1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
umfasst alle Leistungen, die den Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst sichern 287 ; hierzu zählen Ruhegehalt, Unterhaltsbeitrag, Hinterbliebenenversorgung, Unfallfürsorge, Übergangsgeld u. a . 2 8 8 . Dienstbezüge und Pensionsleistungen stehen in einem so engen Zusammenhang, dass letztere auch von denjenigen Ausschlussklauseln als passive Dienstbezüge erfasst sind, die die Versorgungsleistungen nicht ausdrücklich nennen 289 . Relevant ist dieser Ausschlusstatbestand aber wiederum nur, soweit die Länder selbst auf diesem Gebiet gesetzgeberisch tätig werden dürfen. Nach Art. 74a Abs. 1, Abs. 4 S. 1 GG unterliegt die Besoldung und Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Treueverhältnis stehen, der konkurrierenden Gesetzgebung290. Dabei ist der Begriff der Besoldung i.S.v. Art. 74a Abs. 1 GG enger als der landesverfassungsrechtliche und umfasst nur die aus dem Alimentationsprinzip abgeleiteten Besoldungs- und Versorgungsleistungen 291. Für diese Materie steht den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis nach Art. 72 Abs. 1 GG nur dann zu, wenn und soweit der Bund von seiner Befugnis noch nicht Gebrauch gemacht hat, was allerdings weitgehend der Fall ist: So enthält das BeamtVG eine abschließende Regelung der Beamtenversorgung 292 , und auch im BBesG sind die Bezüge der Beamten umfassend geregelt, wobei das Gesetz hier den Ländern nur in weniger bedeutenden „Randzonen der Besoldung" 293 Raum zur eigenen Gestaltung lässt 294 , so z. B. für die Anrechnung von Sachbezügen oder die Gewährung von Leistungsprämien 295. Mit dem Bundesbesoldungs- und -Versorgungsanpassungsgesetz 2003 /2004 2 9 6 wurde zudem die 286 Kaisenberg, Volksentscheid und Volksbegehren, § 1 Anm. 9 zu Art. 73 Abs. 4 WRV; Hopfe in: Link/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9 zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. So ausdrücklich auch Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 287 Wichmann in: Wind/Schimana/Wichmann S. 360. 288 Vgl. die Aufzählung in § 2 BeamtVG. 289 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; Art. 70 Abs. 2 BremVerf; Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf; Art. 59 Abs. 2, Art. 60 Abs. 2 MV-Verf; Art. 68 Abs. 1 S. 3 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf. 29
0 Diese Norm wurde erst 1971 in das Grundgesetz eingefügt, um die als unbefriedigend empfundene Konkurrenzsituation zwischen Bund und Ländern, die zu einem langjährigen Wettlauf im Bereich der Besoldungspolitik geführt hatte, zu beenden. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 74 a GG ausführlich Degenhart in: Dolzer/Vogel Art. 74a Erl. I. 291
Kunig in: v. Münch Art. 74a Rdnr. 7; Stettner in: Dreier, Grundgesetz, Art. 74a Rdnr. 6. Wichmann in: Wind /Schimana /Wichmann, Öffentliches Dienstrecht, S. 361. 29 3 BVerfGE 62, 354 (369); 64, 367 (376). 294 Vgl. § 1 Abs. 4 BBesG. 29 5 Vgl. Schinkel/Seifert in: Fürst, GKÖD Bd. III BesR, Teil 2, K § 1 Rdnr. 37 mit einem Überblick über die Rechtsetzungsbefugnisse der Länder. 29 6 BBVAnpG vom 10. 09. 2003, BGBl. IS. 1798. 292
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
65
Leistung der jährlichen Sonderzuwendungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) für Landesbeamte der Regelungskompetenz der Länder überlassen 297. Daneben obliegt lediglich noch die aus der Fürsorgepflicht entspringende Regelung von Kleidergeld, Reise- und Umzugskostenerstattung, Trennungsgeld oder Jubiläumszuwendungen dem Landesgesetzgeber nach der Grundregel des Art. 70 Abs. 1 GG. Entsprechend ist daher nur für diese beiden Bereiche der fürsorgerechtlichen Leistungen und der „Randzonen der Besoldung", die von den Ländern in unterschiedlichem Umfang geregelt worden sind 298 , die Ausschlussklausel für die Volksgesetzgebung von eigenständiger Bedeutung.
2. Abgeordnetendiäten Strittig ist, ob auch die Diäten der Abgeordneten in den Landesparlamenten vom Begriff der Besoldung oder der Dienstbezüge mitumfasst sind. Abgeordnete sind keine Beamten, denn von deren Berufsbild unterscheidet sich das der Abgeordneten grundlegend. Sie werden zu ihrem Amt nicht ernannt und „dienen" keinem Dienstherrn 299, sondern sie werden vom Volk gewählt und sind Vertreter des ganzen Volkes 300 , an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen 301. Daher beziehen sie auch keine Dienstbezüge, sondern eine Entschädigung302, die somit gerade keine Besoldung in dem oben dargestellten Sinne darstellt 303 . Aus diesem Grund wird in der Literatur überwiegend die Anwendung der Ausschlussregelung auf Abgeordnetendiäten abgelehnt304. 297 § 67 BBesG und § 50 Abs. 4 BeamtVG i.d.F. des BBVAnpG vom 10. 09. 2003. Kritisch hierzu Meier ZBR 2004, 29 (41 f.). 298 Vgl. hierzu die entsprechenden Regelungen in den jeweiligen Landesbesoldungsgesetzen der Länder. 299 BVerfGE 40, 296 (316); Kai in: Maunz/Dürig Art. 48 Rdnr. 31; Magiera in: Sachs, Grundgesetz, Art. 48 Rdnr. 19. 300 Art. 27 Abs. 3 S. 1 BW-Verf; Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayVerf; Art. 38 Abs. 4 S. 1 BerlVerf; Art. 56 Abs. 1 S. 1 BrandVerf; Art. 83 Abs. 1 S. 1 BremVerf; Art. 7 Abs. 1 S. 1 HambVerf; Art. 77 HessVerf; Art. 22 Abs. 1 MV-Verf; Art. 12 S. 1 NdsVerf; Art. 79 S. 2 RhPfVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 S. 1 SAnhVerf; Art. 11 Abs. 1 S. 1 SchlH-Verf; Art. 53 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 301 Art. 27 Abs. 3 S. 2 BW-Verf; Art. 13 Abs. 2 S. 2 BayVerf; Art. 38 Abs. 4 S. 2 BerlVerf; Art. 56 Abs. 1 BrandVerf; Art. 83 Abs. 1 S. 3 BremVerf; Art. 7 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 22 Abs. 1 MV-Verf; Art. 12 S. 2 NdsVerf; Art. 30 Abs. 2 NRW-Verf; Art. 79 S. 2 RhPfVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 3 S. 2 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 S. 2 SAnhVerf; Art. 11 Abs. 1 S. 2 SchlH-Verf; Art. 53 Abs. 1 S. 2 ThürVerf. 302 So auch ausdrücklich Art. 40 S. 1 BW-Verf.; Art. 31 BayVerf; Art. 53 S. 1 BerlVerf; Art. 60 S. 1 BrandVerf; Art. 22 Abs. 3 S. 1 MV-Verf; Art. 13 Abs. 3 S. 1 NdsVerf; Art. 50 S. 1 NRW-Verf; Art. 97 Abs. 1 S. 1 RhPfVerf; Art. 42 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 56 Abs. 5 S. 1 SAnhVerf; Art. 11 Abs. 3 S. 1 SchlH-Verf; Art. 54 Abs. 1 und 2 ThürVerf. 303 BVerfGE 40, 296 (316); v. Arnim in: Schneider/Zeh § 16 Rdnr. 29; K Braun Art. 59 Rdnr. 40 zu Art. 60 Abs. 6 BW-Verf; H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 17 zu Art. 70 Abs. 2 BremVerf; Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (673) unter Verweis auf die 5 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Es fragt sich aber, ob im Wege der Analogie die Entschädigung der Abgeordneten in den Besoldungsausschluss mit einzubeziehen ist. Dies wäre der Fall, wenn für beide Bereiche eine vergleichbare Lebenssituation gegeben ist, aus der nach dem Zweck der Ausschlussregelung ein entsprechendes Regelungsbedürfnis für die Abgeordnetendiäten erwächst. So wird vertreten, dass angesichts des Wandels des Abgeordnetenentgelts von einer bloßen Entschädigung in eine Alimentation als Gegenleistung für die Inanspruchnahme durch das zur Hauptbeschäftigung gewordene Mandat 305 die gesetzliche Regelung der Diäten dem Besoldungsgesetz zumindest gleichzustellen sei 3 0 6 . Hinzu komme, dass gleichermaßen wie bei den Besoldungsregelungen die Gefahr bestehe, dass das Volk durch besondere Sparsamkeit die Leistungsbereitschaft der Abgeordneten und damit letztlich die Leistungsfähigkeit des Parlaments entscheidend schwächen könnte 307 . Demgegenüber liegt ein entscheidender Unterschied zu den Beamtenbesoldungen aber darin, dass die Abgeordneten im Parlament über ihre eigenen Diäten selbst entscheiden und diese Entscheidung nicht der Kontrolle durch ein anderes Staatsorgan unterliegt. Da das die Gewaltenteilung auszeichnende System der „checks and balances" 308 hier insoweit keinen Ausdruck findet, ist die Gefahr des Missbrauchs seitens der Abgeordneten nicht von der Hand zu weisen 309 . Das BVerfG hat daher der Öffentlichkeit eine maßgebende Rolle zugeschrieben: Jede Veränderung der Diätenhöhe muss „vor den Augen der Öffentlichkeit" entschieden werden, da dies die einzige wirksame Kontrollinstanz ist 3 1 0 . Hierin zeigt sich, dass für die Frage der Abgeordnetenentschädigungen ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle durch das Volk besteht, dem durch die Zulassung einer entsprechenden Volksgesetzgebung wirkungsvoll entsprochen werden kann. Darüber hinaus ist die Kompliziertheit der Besoldungsregelungen, die das Ergebnis sorgfältiger Abwägung der Besoldungskategorien untereinander sind, bei den Diäten nicht gegeunterschiedliche Behandlung im Einkommensteuerrecht, wonach sich Bezüge und Versorgungsleistungen nach § 19 EStG, Abgeordnetendiäten dagegen nach § 22 Nr. 4 EStG beurteilen. Für die Auslegung der Verfassung hat die Regelung im EStG allerdings keine Bedeutung. 304 ßerlit NVwZ 1994, 11 (14); K. Braun Art. 59 Rdnr. 40; Hagebölling Art. 48 Erl. 1; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 170 ff.; Jürgens S. 202; H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 17; Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (Fn. 3). 305 BVerfGE 40, 296 (315). 306 Hopfe in: Link/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9 zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf; Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. III 3; Starck, Die Verfassungen, S. 30; ders. in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR IX, § 208 Rdnr. 39. Unentschieden dagegen noch ders. NdsVBl. 1994, 2 (5 f.). 307 Das Gegenargument von Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 172, dass bisher noch kein Volksbegehren über diese Frage beantragt worden sei, gibt für die Frage der Zulässigkeit eines solchen Begehrens keine Antwort. 308 Siehe hierzu unten im 3. Teil unter B III 1. 309 v. Arnim in: Schneider/Zeh § 16 Rdnr. 30. 310 BVerfGE 40, 296 (317, 327).
B. Inhaltliche Reichweite der speziellen Ausschlusstatbestände
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ben 311 . Es gibt keine unterschiedlichen Abgeordnetenklassen, jeder Abgeordnete erhält grundsätzlich die gleiche Entschädigung, allein für den Parlamentspräsidenten und seinen Stellvertreter sind höhere Diäten zulässig 312 . Schließlich besteht auch nicht die Gefahr einer unmittelbaren „Selbstbedienung" des Volkes - die Gruppe der Abgeordneten selbst ist zu klein, um sich im Wege der Volksgesetzgebung Sondervorteile verschaffen zu können 313 . Eine analoge Anwendung der Ausschlussklausel für Besoldungsregelungen auf die Diäten der Abgeordneten ist daher aufgrund der unterschiedlichen Situation nicht vorzunehmen.
I I I . Sonstige spezielle Finanzausschüsse Neben den Abgaben und den Besoldungen enthalten die Finanzausschlussklauseln nur noch in wenigen Ländern vereinzelte besondere haushaltsrelevante Materien, die hier noch im Überblick dargestellt werden sollen 314 . So dürfen im Saarland Volksbegehren nicht Gesetze über „Staatsleistungen" - als ein Fall der als Oberbegriff genannten „finanzwirksamen Gesetze" - zum Inhalt haben 315 . Staatsleistungen lassen sich definieren als alle Zuwendungen der öffentlichen Hand, die sowohl Sach-, Dienst- als auch Geldleistungen zum Inhalt haben können. Als Anwendungsfall der „finanzwirksamen Gesetze" betreffen sie die Ausgabenseite des Haushalts und stehen damit im Gegensatz zu den ebenfalls aufgeführten einnahmerelevanten Abgaben. Diese Tatbestandsalternative ist wegen der Vielzahl möglicher gesetzlich regelbarer Staatsleistungen im Rahmen des auf den Staatshaushalt bezogenen „allgemeinen" Finanzvorbehalts zu behandeln316. In Berlin und Hamburg werden die Tarife der öffentlichen Unternehmen von der Volksgesetzgebung ausgenommen317. Diese Materie betrifft die wirtschaftliche 311
Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 171. Allerdings ist sein Argument, dass die Diätenregelung nach dem BVerfG wegen des Charakters der „Entscheidung in eigener Sache" für den Bürger durchschaubar und verständlich sein müsse, zweifelhaft: Ob die Regelungsmaterie als solche komplex ist oder nicht, ergibt sich primär aus dieser selbst, nicht aber daraus, ob der parlamentarische Gesetzgeber sie transparent geregelt hat oder nicht. 312 BVerfGE 40, 296 (318). 313 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (674); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 171; Jürgens S. 202 Fn. 13. Allerdings besteht diese Gefahr bei den Besoldungsregelungen angesichts der verhältnismäßig geringen Zahl von Beamten und anderen im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Berufsgruppen auch nicht. 314 Ohne besonderen Finanzbezug ist der Ausschluss der Verfassung in Berlin und Saarland, Art. 62 Abs. 5 BerlVerf (bzgl. Volksbegehren, beachte aber das Erfordernis einer Volksabstimmung bei einer Änderung der Verfassungsbestimmungen über das Volksbegehren und den Volksentscheid, Art. 100 S. 2 BerlVerf), Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf (bzgl. Volksentscheid, ausdrücklich nicht aber bzgl. Volksbegehren). 315 Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf. 316 Siehe sogleich unter C. 317 Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf, Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf. 5*
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Betätigung der Kommunen 318 und ist daher in erster Linie Gegenstand spezieller Ausschlusstatbestände in den Regelungen der Kommunalverfassungen der Flächenländer zum Bürgerbegehren und Bürgerentscheid 319. Sie wurde deshalb in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg aufgenommen, weil hier die kommunale von der staatlichen Ebene nicht getrennt ist 3 2 0 . Da die Festlegung der Tarife i.d.R. keine Gesetzgebungstätigkeit erfordert und systematisch in den Bereich der direktdemokratischen Elemente auf Gemeindeebene gehört, erfährt sie hier keine nähere Betrachtung 321 . Schließlich sind in Berlin, Brandenburg und Thüringen Personalentscheidungen von der Volksgesetzgebung ausgenommen322. Da diese aber ohnehin nicht Gegenstand einer Gesetzgebung sein können, handelt es sich in Berlin und Thüringen offenbar um eine redaktionell versehentliche Übernahme aus der entsprechenden Regelung der - nicht nur auf Gesetze beschränkten, sondern grundsätzlich allen Formen der politischen Willensbildung offen stehenden - Initiative in Art. 61 Abs. 2 BerlVerf bzw. Art. 68 Abs. 2 ThürVerf (Bürgerantrag) 323.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen"324 Haushaltsvorbehalts Fällt ein vom Volksgesetzgeber beabsichtigtes Gesetz nicht unter einen der vorgenannten konkreten Ausschlusstatbestände, so ist es schließlich noch insoweit auf 318
Vgl. zu den Tarifen öffentlicher Unternehmen Sander/Weiblen S. 107 ff. 319 § 21 Abs. 2 Nr. 4 BW-GemO; § 20 Abs. 3 Buchst, e BrandGemO; § 8b Abs. 2 Nr. 4 HessGemO; § 17a Abs. 2 Nr. 4 RhPfGemO; § 24 Abs. 2 Nr. 4 SächsGemO; § 26 Abs. 3 Nr. 4 SAnhGemO. Nicht ausdrücklich Tarife, aber Entgelte der öffentlichen Unternehmen nennen § 20 Abs. 3 Nr. 3 MV-KV („Entscheidungen über Entgelte und kommunale Betriebe"); § 22b Abs. 3 Nr. 3 NdsGemO; § 26 Abs. 5 Nr. 3 NRW-GemO; § 21a Abs. 4 Nr. 3 SaarlKSVG; § 16g Abs. 2 Nr. 3 SchlH-GemO („privatrechtliche Entgelte"). Nicht erwähnt in den Gemeindeordnungen Bayerns und Thüringens. 320 Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 2 BerlVerf; Art. 4 Abs. 1 Hamb Verf. 321 Das Gleiche gilt auch für die in Hamburg bis zur Verfassungsänderung 2001 noch ausgeschlossenen Einzelvorhaben, Bauleitpläne und vergleichbare Pläne. Auch diese sind i.d.R. nicht Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens, sondern der kommunalen Ebene zuzurechnen, vgl. die entsprechenden Ausschlussregelungen in den Gemeindeordnungen: § 20 Abs. 3 Buchst, j BrandGemO; § 20 Abs. 3 Nr. 4 MV-KV; § 22b Abs. 3 Nr. 5 und 6 NdsGemO; § 26 Abs. 5 Nr. 5 und 6 NRW-GemO; § 17a Abs. 2 Nr. 6 und 7 RhPfGemO; § 21a Abs. 4 Nr. 5 und 6 SaarlKSVG; § 16g Abs. 2 Nr. 6 SchlH-GemO. 322 Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 323 Hopfe in: Link/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9. 324 Dieses Attribut wird hier entsprechend einer verbreiteten Formulierung für diejenigen Ausschlusstatbestände verwendet, die nicht zu den zuvor genannten speziellen zählen, vgl. etwa Burmeister Der Staat 1996,181 (203); Przygode S. 339 f.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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die Vereinbarkeit mit dem Haushalts- bzw. Finanzvorbehalt zu überprüfen, als dieser zur Bezeichnung der ausgeschlossenen Materie den „Haushalt" 325 , „Staats-" 326 bzw. „Landeshaushalt" , „Haushalt des Landes" oder „Haushaltsangelegenheiten" 329 nennt. Andere Verfassungen schließen den „Haushaltsplan"330, „Haushaltsgesetze"331 bzw. das „Staatshaushaltsgesetz"332 aus, andere wiederum knüpfen an den Finanzbegriff an und erstrecken den Ausschluss auf „finanzwirksame Gesetze" 333 oder schlicht auf „Finanzfragen" 334 . Während die speziellen Ausschlusstatbestände in der Praxis bisher keine Rolle gespielt haben, stehen die hier genannten Begriffe im Brennpunkt der Auseinandersetzung um den parlamentarischen Haushaltsvorbehalt. In Bezug auf die Auslegung dieser Tatbestandselemente lassen sich zwei grundsätzliche Fragestellungen unterscheiden. Zum einen ist zu klären, ob sich diejenigen Ausschlussklauseln, die anknüpfend an den „Haushalts"-Begriff den Haushalt, Haushaltsplan oder das Haushaltsgesetz von der Volksgesetzgebung ausschließen, tatsächlich nur auf diese konkreten Institute des Haushaltsplans bzw. Haushaltsgesetzes im technischen Sinne beziehen, oder ob sie weiter zu verstehen sind und auch sonstige auf den Haushalt einwirkende Gesetze erfassen. Der zweite Problemkreis dagegen bezieht sich insbesondere auf diejenigen Ausschlusstatbestände, die von vornherein weiter gefasst sind und sich schon nach dem Wortlaut auch auf „finanzwirksame Gesetze" bzw. „Finanzfragen" erstrecken, im Übrigen aber auch auf die anderen Klauseln, sofern man diese über das Haushaltsgesetz hinaus erstreckt: Da es kaum ein Gesetz gibt, das nicht mit Ausgaben verbunden ist 3 3 5 , wäre zu befürchten, dass das Institut der Volksgesetzgebung bei einer ganz weiten Auslegung des Finanzvorbehalts praktisch bedeutungslos würde, so dass eine sinnvolle Abgrenzung zwischen einer noch zulässigen und einer bereits unzulässigen Volksgesetzgebung gefunden werden muss.
325 Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf (für Bürgeranträge). 326 Art. 73 BayVerf. Ebenso auch Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf, wobei der Staatshaushalt hier als Unterbegriff den „finanzwirksamen Gesetzen" zugeordnet wird. 327 Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. 328 Art. 59 Abs. 2 MV-Verf (für Volksinitiativen); Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf. 329 Art. 50 Abs. 1 S. 2 Hamb Verf. 330 Art. 70 Abs. 2 BremVerf (für Volksentscheid); Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf. 331 Art. 69 Abs. 2 MV-Verf (für Volksbegehren); Art. 73 Abs. 1 SächsVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf. 332 Art. 60 Abs. 6 BW-Verf. 333 Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf. 334 Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf. 335 Vgl. BayVerfGHE 29, 244 (269); 47, 276 (304); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (670); Heun in: Dreier, Grundgesetz, vor Art. 104a Rdnr. 23; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 186 f.; Rux DVB1. 2001, 549 (551 Fn. 20).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Interpretation dieser „allgemeinen" Ausschlusstatbestände soll im Folgenden näher untersucht werden. Hierfür soll der Blick zunächst auf den Charakter der finanzrelevanten Gesetzgebungsgegenstände und deren jeweiligen Einfluss auf die staatliche Haushaltswirtschaft gelenkt werden, weshalb zu Beginn die elementaren Aufgaben der Haushaltswirtschaft sowie die Grundformen haushaltsrelevanter Entscheidungen der Legislative dargestellt werden (I). Vor diesem Hintergrund erfolgt im Anschluss ein Überblick über den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur zur Frage der Auslegung und Abgrenzung des allgemeinen Finanzvorbehalts (II), bevor im Anschluss dessen Reichweite anhand der Methoden der Gesetzesinterpretation näher bestimmt (III) und schließlich nach Kriterien für eine Abgrenzung zwischen der noch zulässigen und bereits unzulässigen Volksgesetzgebung gesucht wird (IV).
I. Legislative Formen und Funktionen der Haushaltswirtschaft Um sich die Bedeutung und den Stellenwert haushaltswirksamer Entscheidungen des Gesetzgebers zu vergegenwärtigen, soll zunächst aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten dem Gesetzgeber gegeben sind, auf den öffentlichen Haushalt einzuwirken und in welchem Verhältnis diese Instrumente zueinander stehen. Alle budgetrelevanten Maßnahmen stehen jeweils im Zusammenhang mit bestimmten, in jedem staatlichen Gemeinwesen zu beobachtenden Funktionen des Haushalts. Soweit sich diese Funktionen gerade in den gesetzgeberischen Haushaltsinstrumenten des Parlaments manifestieren, muss die Gesetzgebung so ausgestaltet sein, dass sie den Funktionen auch hinreichend gerecht werden kann.
1. Formen haushaltsrelevanter Gesetzgebungsentscheidungen Die Legislative hat zwei grundlegende Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Staatsfinanzen: Zum einen die alle Einnahmen und Ausgaben umfassende Haushaltsbewilligung und zum anderen die jeweils nur einzelne Gegenstände regelnde außerbudgetäre Gesetzgebung336. Beide Erscheinungsformen finanzwirksamer Gesetzgebung und ihr Verhältnis zueinander sind für die nähere Bestimmung des parlamentarischen Finanzvorbehalts von elementarer Bedeutung und sollen daher sowohl jeweils für sich als auch in ihrem gegenseitigen Zusammenhang einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
336 Vgl. Heun S. 151 ff. und 259 ff., der als dritte Entscheidungsart der Haushaltsgewalt die auf mehrere Jahre konzipierte Finanzplanung der Regierung anführt, die allerdings nicht Gegenstand der Gesetzgebung ist und daher hier außer Betracht bleibt. Siehe hierzu näher unter C III 3 a aa (1).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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a) Haushaltsgesetz Die wichtigste Form der Ausübung der öffentlichen Haushaltsgewalt liegt in dem sich in regelmäßigen Zeitabständen wiederholenden Beschluss des Parlaments über das Haushaltsgesetz, das im Wesentlichen - neben einer Ermächtigung der Exekutive zur Aufnahme von Krediten 337 - als Kernstück die Feststellung des als Anlage beigefügten Haushaltsplans zum Inhalt hat. Dieser ist die Grundlage der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes und spiegelt zugleich die gesamte wirtschaftliche Situation des Landes wider 338 . Er enthält eine systematisch gegliederte Gegenüberstellung grundsätzlich aller in einem bestimmten Zeitabschnitt zu leistenden Ausgaben und der zu ihrer Deckung zu erwartenden Einnahmen einschließlich der Verpflichtungsermächtigungen 339 und unterteilt sich in einen Gesamtplan, mehrere Einzelpläne sowie diverse Anlagen 340 . Der Gesamtplan enthält alle wichtigen Eckdaten der Einzelpläne und gliedert sich seinerseits erstens in die alle Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen der Einzelpläne zusammenstellende Haushaltsübersicht 341, zweitens in die Finanzierungsübersicht mit den sich aus der Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben ergebenden Finanzierungssalden 342 und drittens in den Kreditfinanzierungsplan, der die Einnahmen aus Krediten und die Tilgungsausgaben ausweist 343 . Die Einzelpläne dagegen enthalten als Grundlage der Bewirtschaftung das umfangreiche, nach Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen aufgeschlüsselte Zahlenwerk der einzelnen Verwaltungsbereiche 344 und werden in Kapitel und Titel einge337
Zur Deckung von Ausgaben und als sog. „Kassenverstärkungskredite", § 13 Abs. 1 HGrG, § 18 Abs. 2 der jeweiligen LHO (im Folgenden wird mit der Gesetzesbezeichnung LHO auf die insoweit jeweils weitgehend gleichlautenden Vorschriften der Haushaltsordnungen in den Ländern Bezug genommen und i.Ü. auf landesspezifische Abweichungen hingewiesen). 338 Zu den Funktionen des Haushaltsplans siehe im Einzelnen unter C I 2, zu dessen Plancharakter in seinen unterschiedlichen Dimensionen unter C III 3 a aa (1). 33 9 § 8 Abs. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 LHO. 340 Vgl. die übersichtlichen Darstellungen bei Neumark in: Gerloff/Neumark, HBdFinWiss I (1. Aufl.), S. 554 (558); Vogt in: F. Klein S. 131 (142, Rdnr. 8 ff.); Brümmerhoff S. 128; Krüger-Spitta/Bronk S. 26 f. 341 § 10 Abs. 4 Nr. 1 HGrG, § 13 Abs. 4 Nr. 1 LHO. 342 Betroffen sind hiervon aber weitgehend nur die ordentlichen Einnahmen und Ausgaben, d. h. bei den Einnahmen bleiben solche aus Krediten vom Kreditmarkt, Entnahmen aus Rücklagen sowie Einnahmen aus kassenmäßigen Überschüssen außer Betracht, bei den Ausgaben diejenigen zur Schuldentilgung am Kreditmarkt, der Zuführungen an Rücklagen und der Ausgaben zur Deckung eines kassenmäßigen Fehlbetrages, § 10 Abs. 4 Nr. 2 HGrG, § 13 Abs. 4 Nr. 2 LHO. 343 § 10 Abs. 4 Nr. 3 HGrG, § 13 Abs. 4 Nr. 3 LHO. 344
Üblicherweise erfolgt deren Gliederung nach dem Ressort- bzw. Ministerialprinzip, das nach der organisatorischen Zuständigkeit bestimmter Verwaltungszweige - entsprechend der Geschäftsbereiche der Regierungsmitglieder, dem Parlament, dem Rechnungshof, des Landesverfassungsgerichts etc. - unterscheidet. Das theoretisch auch mögliche Realprinzip stellt dagegen eine funktionelle Gliederung dar und fasst bestimmte Gruppen von Einnah-
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
teilt 3 4 5 : Die Kapitel dienen der Grobgliederung des Haushaltsplans und enthalten jeweils geordnet nach Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen die einzelnen Titel, unter denen die einzelnen Beträge verbucht werden. Die Einnahmen und Ausgaben werden dabei nach Gruppen, die einheitlich für Bund und Länder im sog. Gruppierungsplan vorgegeben sind, geordnet 346 . Die dem Haushaltsplan beizufügenden Anlagen schließlich enthalten Übersichten über die nach bestimmten Strukturdaten gegliederten Positionen 347 , eine Zusammenstellung der durchlaufenden Posten 348 sowie eine Stellenübersicht 349. Die Haushaltsbewilligung durch das Parlament ist nur ein Teilabschnitt einer sich regelmäßig wiederholenden und daher als Kreislauf bzw. Zyklus bescheibbaren Abfolge von Arbeitsschritten 350, die sich auf vier Phasen erstreckt 351 . Die erste Phase der Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs obliegt der Exekutive und beginnt mit einem Rundschreiben des Finanzministers bzw. -senators an die obersten Verwaltungsbehörden mit dem Auftrag, den Bedarf ihres jeweiligen Ressorts zu ermitteln und als Voranschlag einzureichen 352. Nach deren Prüfung 353 und ggf. erforderlichen Verhandlungen mit einzelnen Ressorts 354 fertigt der Finanzminister bzw. -Senator den Entwurf des Haushaltsplans, der im Kabinett beraten und zusammen mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes beschlossen wird 3 5 5 . Mit der Einbringung beider Entwürfe ins Parlament 356 beginnt die zweite Phase. Die Abgeordmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen ressortübergreifend zusammen. Vgl. hierzu Vogt in: F. Klein S. 131 (143, Rdnr. 38). 345 § 10 Abs. 2 S. 2 HGrG, § 13 Abs. 2 S. 2 LHO. 346 § 10 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 HGrG, § 13 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 LHO. 347 Entsprechend dem Gruppierungsplan (Gruppierungsübersicht), nach Aufgabengebieten (Funktionenübersicht) und unter Verschmelzung beider Übersichten in einem Haushaltsquerschnitt, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a-c HGrG, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a-c LHO. 348 Dies sind solche Beträge, die dem Land zwar als Gläubiger zustehen, aber an andere Gläubiger weiterzuleiten sind bzw. die das Land schuldet, aber die sich das Land von anderen Schuldnern seinerseits erstatten lassen kann, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HGrG, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 LHO. 349 Sie fasst alle Planstellen der Beamten und die Stellen der Angestellten und Arbeiter zusammen, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 HGrG, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LHO. 350 Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 110; Vogt in: F. Klein S. 131 (160, Rdnr. 106). Genau genommen handelt es sich jedoch nicht um eine zyklische, sondern um mehrere parallel-lineare Bewegungen, denn die Phasen aufeinanderfolgender Haushaltsjahre schließen nie aneinander an, sondern überschneiden sich: Während des Vollzugs des aktuellen Haushaltsplans wird der vorherige Haushaltszeitraum noch geprüft und der folgende schon wieder geplant. 351 Vgl. zu den unterschiedlichen Phasen etwa v. Zezschwitz in: Zinn/Stein Art. 139-145 Vorb. B III 2; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 110; Wiesner S. 56 ff. 352 § 27 Abs. 1 S. 1 LHO; ggf. durch den Haushaltsbeauftragten, vgl. § 9 LHO. 353 § 28 Abs. 1 S. 1 LHO. 354 Vgl. § 28 Abs. 1 S. 2 LHO. 355 § 29 Abs. 1 LHO. 356 § 30 LHO und ausdrücklich auch Art. 66 Abs. 2 HambVerf; Art. 61 Abs. 3 MV-Verf; Art. 93 Abs. 3 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 3 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 3 S. 1 ThürVerf.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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neten beraten die Entwürfe in mehreren Lesungen sowie im Haushaltsausschuss und verabschieden sie 3 5 7 , was wegen der Ermächtigungswirkung des Haushalts für die Verwaltung rechtzeitig vor Beginn der jeweiligen Haushaltsperiode erfolgen soll 3 5 8 . Der verbindlich festgestellte Haushaltsplan wird in der dritten Phase durch die Exekutive im Wege der administrativen Erhebung der Einnahmen bzw. Anweisung der Ausgaben vollzogen 359 ; im Falle eines sog. qualifizierten Sperrvermerks für bestimmte Ausgaben oder die Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen ist aber auch das Parlament durch das Erfordernis einer Zustimmung am Etatvollzug zu beteiligen 360 . Die letzte Phase ist schließlich durch die Kontrolle des Haushaltsvollzugs gekennzeichnet, bei der die Regierung bzw. deren Finanzminister dem Parlament, das die gesamte Haushaltsführung des Landes unter maßgeblicher Beteiligung des Landesrechnungshofs prüft 3 6 1 , über die Haushaltswirtschaft Rechnung zu legen hat 3 6 2 . Mit der Entlastung der Regierung durch das Parlament ist der Budgetzyklus der entsprechenden Haushaltsperiode beendet.
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§ 1 S. 1 LHO. Die Feststellung des Haushaltes durch Gesetz ist in allen Verfassungen ausdrücklich geregelt: Art. 79 Abs. 2 S. 1 BW-Verf; Art. 78 Abs. 3 BayVerf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 2. Hs. BerlVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BrandVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 66 Abs. 2 S. 1 HambVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 2 MV-Verf; Art. 65 Abs. 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 2 SchlHVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 358 So ausdrücklich Art. 79 Abs. 2 S. 2 BW-Verf; Art. 78 Abs. 3 BayVerf; Art. 101 Abs. 3 S. 1 BrandVerf; Art. 131 Abs. 2 S. 1 BremVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 61 Abs. 2 MV-Verf; Art. 65 Abs. 4 NdsVerf; Art. 81 Abs. 3 S. 1 NRW-Verf; Art. 116 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 2 S. 1 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 35
9 Die Zuordnung der Vollzugskompetenz ist in den Verfassungen nicht ausdrücklich normiert, entspricht aber dem Erfordernis einer sachgerechten Funktionenteilung, vgl. FischerMenshausen in: v. Münch Art. 110-115 Rdnr. 5. Vgl. hierzu auch §§ 34-69 LHO und v. Zezschwitz in: Zinn/Stein Art. 139-145 Vorb. B III 2 c. 360 Vgl. § 22 S. 3, 36 S. 2 LHO. Erfolgte die Sperre aufgrund der fehlenden Etatreife bei Aufstellung des Haushaltsplans, so kann die Freigabe als eine bloße nachgeholte Bewilligung verstanden werden, vgl. Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 5 a. 3 61 Art. 83 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 BW-Verf; Art. 80 Abs. 1 BayVerf; Art. 94 Abs. 2 S. 1, Art. 95 Abs. 3 S. 1 BerlVerf; Art. 106 Abs. 1 u. 2 BrandVerf; Art. 133a Abs. 1 BremVerf; Art 70 Abs. 1 HambVerf; Art. 144 HessVerf; Art. 67 Abs. 2 u. 3 MV-Verf; Art. 69 S. 2, Art. 70 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 86 Abs. 1 S. 1 u. Abs. 2 NRW-Verf; Art. 120 Abs. 1 u. Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 106 Abs. 1 u. Abs. 2 S. 3 SaarlVerf; Art. 99, Art. 100 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 97 Abs. 2 u. 3 SAnhVerf; Art. 55 Abs. 2, Art. 56 Abs. 1 SchlH-Verf; Art. 102 Abs. 3, Art. 103 Abs. 3 ThürVerf. Siehe auch §§ 88 ff. und § 114 LHO. 3 62 Art. 83 Abs. 1 BW-Verf; Art. 80 Abs. 1 S. 1 BayVerf; Art. 94 Abs. 1 BerlVerf; Art. 106 Abs. 1 BrandVerf; Art. 133 BremVerf; Art. 70 S. 1 HambVerf; Art. 144 S. 2 HessVerf; Art. 67 Abs. 1 MV-Verf; Art. 69 S. 1 NdsVerf; Art. 86 Abs. 1 NRW-Verf; Art. 120 Abs. 1 RhPfVerf; Art. 106 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 99 SächsVerf; Art. 97 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 55 Abs. 1 S. 1 SchlH-Verf; Art. 102 Abs. 1 ThürVerf. Zu den Einzelheiten vgl. §§ 80 ff. LHO.
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b) Allgemeine finanzwirksame Einzelgesetzgebung Als zweite Möglichkeit der Ausübung von Finanzgewalt kann der Gesetzgeber den Etat auch im Wege der außerbudgetären, also außerhalb des Haushaltskreislaufs erfolgenden Gesetzgebungstätigkeit beeinflussen. Von jedem Gesetz, durch das der Staat zu Einnahmen ermächtigt oder Ausgaben verpflichtet wird, ist insoweit auch die Haushaltswirtschaft betroffen - mit entsprechenden, noch näher darzustellenden Auswirkungen auf den Budgetzyklus. Zunächst sind hier diese Einnahmen- und Ausgabengesetze näher zu betrachten. Der Begriff des Ausgabengesetzes lässt sich definieren als ein Gesetz, das öffentliche Ausgaben verursacht, wobei unter öffentlichen Ausgaben alle vom Staat zu erbringenden Zahlungen zu verstehen sind 363 . Der Begriff der Gesetzesausgaben wird in der Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis häufig als gleichbedeutend mit dem der Gesetzeskosten verwendet, obwohl beide Begriffe inhaltlich nicht deckungsgleich sind 364 : Im Gegensatz zu den Ausgaben sind Kosten die in Geld bewerteten Mengen an Produktionsfaktoren, die bei der Beschaffung bzw. Erstellung einer Leistung verbraucht werden, unabhängig davon, ob dies mit einer tatsächlichen Geldleistung verbunden ist 3 6 5 . Während der Kostenbegriff in erster Linie einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung entspricht, stellt die kameralistische Haushaltswirtschaft traditionell den Ausgabenbegriff in den Mittelpunkt 366 , der daher auch hier im Folgenden zugrunde gelegt werden soll. Ausgaben können sowohl bei der Herstellung eines Gesetzes - von der Vorbereitung und Erarbeitung bis zur Verabschiedung - als auch bei dessen Vollzug anfallen. Bereits die Herstellungsausgaben, also die Personal- und Sachausgaben der am Gesetzgebungsprozess beteiligten Staatsorgane, können erhebliche Beträge annehmen 367 , stehen aber letztlich in keinem spezifischen Zusammenhang mit dem
363 Trapp S. 255. Vgl. auch allgemein zum Ausgabenbegriff Piduch Art. 110 Rdnr. 40; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 17. 364 Trapp S. 254; Eichhorn S. 28. Vgl. etwa die unterschiedliche Verwendung des Kostenund Ausgabenbegriffs in Art. 68 Abs. 1 NdsVerf. 365 Ein Gesetz kann Kosten verursachen, ohne dass dabei Ausgaben entstehen, z. B. wenn ein Gesetz einen erhöhten Arbeitsbedarf erfordert, ohne dass neue Arbeitskräfte eingestellt werden, oder wenn angemietete, aber bisher ungenutzte Räume nunmehr genutzt werden. Ein Gesetz kann andererseits Ausgaben verursachen, die keine Kosten darstellen, sondern lediglich eine Transformation von Geldmittel in Sachmittel beinhalten, z. B. die Anschaffung von Anlagegütern, vgl. Eichhorn S. 28, Trapp S. 255. Auch sind solche Gesetzeskosten nicht mit Ausgaben verbunden, die lediglich beim Bürger anfallen oder auf diesen „abgebürdet" werden, Leisner DVB1. 2001, 1799 (1805). 366 Für die haushaltsrechtliche Betrachtung sind allerdings auch Kosten, die sich nicht unmittelbar in öffentlichen Ausgaben niederschlagen, von Bedeutung: Nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (vgl. § 7 Abs. 1 LHO, § 6 Abs. 1 HGrG) sind für alle finanzwirksamen Maßnahmen angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen (§ 7 Abs. 2 LHO, § 6 Abs. 2 HGrG), in geeigneten Bereichen ist sogar eine Kosten-Leistungsrechnung einzuführen (§ 7 Abs. 3 LHO, § 6 Abs. 3 HGrG). Siehe hierzu näher unter C I V 2 b cc.
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Regelungsinhalt des Gesetzes und lassen sich auch kaum für jedes einzelne Gesetz gesondert aufschlüsseln 368. Für die Beurteilung der durch das Gesetz verursachten Ausgaben im Rahmen des Finanzvorbehalts ist daher sinnvollerweise allein auf die finanziellen Wirkungen des Gesetzes, also auf die Vollzugsaufwendungen abzustellen. Diese lassen sich ihrerseits nach dem Verwendungsziel zwischen Zweckausgaben und Verwaltungsausgaben unterscheiden 369: Die Verwaltungsausgaben eines Gesetzes umfassen alle Sach- und Personalausgaben, die sich aus der zum Vollzug des Gesetzes erforderlichen Errichtung und Erhaltung der Verwaltung und öffentlicher Einrichtungen ergeben 370; die Zweckausgaben bezeichnen dagegen diejenigen Mittel, die zur Erreichung eines außerhalb der Verwaltung liegenden Gesetzeszwecks aufgebracht werden müssen und in ihrer Höhe in erster Linie durch das Leistungsgesetz selbst, nicht dagegen durch den behördeninternen Verwaltungsablauf bedingt sind 371 . Bei den Zweckausgaben lassen sich weiterhin die investiven von den konsumtiven Ausgaben trennen: Investitionsausgaben sind langfristige Anlagen von Kapital in produktive, nicht dem Verbrauch dienende Sachwerte, durch die die Produktionsmittel vermehrt, erhalten oder verbessert werden und dadurch einen zukunftsbegünstigenden Charakter erhalten 372 ; konsumtive Ausgaben bezeichnen dagegen die allein dem Ge- oder Verbrauch dienenden Personal- oder Sachausgaben373. Nach der Dauer der Ausgabenbelastung lassen sich die Gesetze danach unterscheiden, ob sie zu einmaligen, mehrmaligen oder laufenden Ausgaben führen. So ist bei vielen Gesetzen, insbesondere solchen, die öffentliche Investitionen zum Gegenstand haben, zu beachten, dass sie neben den unmittelbar im Zeitpunkt der Herstellung oder Anschaffung entstehenden Zahlungspflichten auch Folgeausgaben nach sich ziehen, die erst in späteren Haushaltsperioden anfallen 374 . So können bei 367 Im parlamentarischen Verfahren etwa für die Ausarbeitung der Entwürfe, die interne Verwaltungsabstimmung, die Einschaltung von Kommissionen etc., vgl. Leisner DVB1. 2001, 1799(1806). 368 Vgl. Bülow in: Benda/Maihofer/Vogel, HBdVerfR, § 30 Rdnr. 67 für das parlamentarische Verfahren; das Gleiche gilt aber auch für die Völksgesetzgebung, an der das Parlament und die Regierung ebenfalls durch Abstimmungsverfahren und Stellungnahmen beteiligt sind. 3 69 Eichhorn S. 28; Leisner DVB1. 2001, 1799 (1800 f.); Maunz in: Maunz/Dürig Art. 104 a Rdnr. 62; Vogel/Waldhoffin: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a - 115 Rdnr. 606. 370
Maunz in: Maunz/Dürig Art. 104 a Rdnr. 62 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 104 a Rdnr. 18; Vogel/Waldhoff in: Dolzer/Vogel Vorb. Art. 104a- 115 Rdnr. 607 („Beschaffungsausgaben"). 37 1 Trapp S. 258. 372 BVerfGE 79, 311 (334); Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (501). Vgl. hierzu auch die Aufgliederung unterschiedlicher Investitionsausgaben im Gruppierungsplan entsprechend § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 a-g HGrG. 373 374
Vgl. Maunz in: Maunz/Dürig Art. 115 Rdnr. 36. Brümmerhoff S. 146; Wendt/Elicker DVB1. 2001,497 (501).
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Investitionen mit langer Nutzungsdauer die Folgeausgaben einen erheblichen Umfang annehmen und die folgenden Haushaltsjahre mehr belasten als die Haushaltsperiode der Investition selbst 375 . Ebenso hat etwa die Schaffung neuer Planstellen eine dauerhafte Erhöhung der Personalkosten aufgrund der hierdurch entstehenden langfristigen Besoldungs- und Versorgungsverpflichtungen zur Folge. Die zweite Kategorie von Finanzgesetzen sind die Einnahmengesetze, also Gesetze, die den Staat zur Erzielung von Einnahmen ermächtigen, wobei Einnahmen alle Geldbeträge sind, die als Deckungsmittel der Haushaltsfinanzierung zufließen 376 . Unterschieden werden kann auch hier grundlegend zwischen laufenden und einmaligen Einnahmen. Laufende Einnahmen sind alle Mittel, die dem Staat im Rahmen der Wahrnehmung seiner Aufgaben zufließen und ihrem Wesen nach regelmäßig erzielt werden 377 . Hierzu zählen im Wesentlichen die Abgaben, Erwerbseinkünfte und wiederkehrende Zuweisungen anderer Länder 378 . Die Abgaben sind i.d.R. als tatbestandliches Element der Finanzausschlussklauseln gesondert erfasst und wurden bereits im Einzelnen dargestellt 379. Im Gegensatz zu diesen erzielt der Staat die Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit nicht kraft seiner Finanzhoheit, sondern im Wege der aktiven Teilnahme am Wirtschaftsprozess auf der Grundlage von Verträgen. Hierbei kann das Gesetz die Errichtung und den Betrieb eines eigenen oder die Beteiligung an einem fremden Wirtschaftsunternehmen sowie die Erzeugung von Gütern und Diensten für Dritte durch Betriebszweige der Verwaltung oder durch Nutzung des allgemeinen Grund- und Kapitalvermögens regeln 380 . Finanzzuweisungen schließlich als dritte Form der laufenden Einnahmen, die dem Haushaltsplan aus dem öffentlichen Bereich (z. B. vom Bund, von den Ländern, aus dem ERP-Sondervermögen) zufließen, unterliegen grundsätzlich nicht der alleinigen Regelungskompetenz des Landesgesetzgebers und können hier daher außer Betracht bleiben. Die einmaligen Einnahmen, zu deren Erzielung die Exekutive durch Gesetze ermächtigt werden kann, sind alle sonstigen Mittelzuflüsse, die sich nicht aus laufenden Einnahmen ergeben und ihrem Wesen nach - unabhängig von ihrer tatsächlichen Häufigkeit - nicht auf einen längeren Mittelzufluss angelegt sind 381 . Zu ih375 Vgl. BrümmerhoffS. 146 f. 376 Vgl. § 2 S. 1 HGrG. 377 Wiesner S. 28. 378 Insbesondere im Rahmen des Finanzausgleichs, vgl. Heller S. 77; Wiesner S. 36. 379 Nur in Bayern sind die Abgaben nicht gesondert aufgeführt, so dass hier nur auf das allgemeine Tatbestandsmerkmal des „Staatshaushalts" in Art. 73 BayVerf zurückgegriffen werden kann. Siehe zu den Abgaben im Einzelnen oben unter B I. 380 Vgl. zur wirtschaftlichen Betätigung etwa Musil/Kirchner Rdnr. 450 ff. und Henneke Rdnr. 456 ff. Einnahmen können auf diese Weise durch Gewinne aus Unternehmen und Beteiligungen, Konzessionsabgaben und sonstigen Entgelten, Mieten und Pachten, regelmäßigen Erlösen aus dem Verkauf von hergestellten Gütern, Diensten und öffentlichen Vermögensgütern und schließlich auch aus Zinseinnahmen erzielt werden. 381 Wiesner S. 29.
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nen gehören im Wesentlichen die öffentlichen Kreditaufnahmen, Privatisierungserlöse und Einnahmen aus sonstigen einmaligen Betätigungen am Wirtschaftspro_
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zess Die Unterscheidung in Ausgaben- und Einnahmengesetze ist allerdings dann wenig aussagekräftig, wenn man die Wirkung der Gesetze auf den Haushalt im Vergleich zum status quo erfassen will. So kann sich ein Gesetz zwar auf Ausgaben beziehen, aber im Ergebnis zu deren Senkung führen, und ebenso kann umgekehrt ein die Einnahmen betreffendes Gesetz die Möglichkeiten der Einnahmenerzielung reduzieren anstatt zu erhöhen. Hier empfiehlt sich die Unterscheidung nach der Auswirkung auf den Haushalt danach zu treffen, ob es sich um ein haushaltsbelastendes oder -entlastendes Gesetz handelt. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass beide Formen der Einnahmen- und Ausgabengesetze in einem einheitlichen Gesetz miteinander kombiniert sind, wobei es dann maßgeblich darauf ankommt, ob im Saldo die Belastungs- oder die Entlastungswirkung überwiegt. c) Verhältnis zwischen Haushaltsgesetz und Einzelgesetz In welchem Zusammenhang stehen nun das Haushaltsgesetz und die finanzwirksamen Einzelgesetze? In formeller Hinsicht sind beide Gesetze streng voneinander zu trennende und eigenständige Erscheinungen, was nach überkommenem Verständnis auch dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass der Haushaltsplan mit dem Haushaltsgesetz, soweit es diesen feststellt, als lediglich formelles Gesetz den eigentlichen materiellen Einzelgesetzen gegenübergestellt wird 3 8 3 . Gleichwohl sind Haushaltsgesetz und Einzelgesetzgebung inhaltlich in spezifischer Weise aufeinander bezogen, und zwar - je nach dem, ob die öffentlichen Einnahmen oder die Ausgaben betroffen sind - in unterschiedlichem Maße. Weniger eng ist dabei der Zusammenhang bei den einnahmenwirksamen Gesetzen, denn hier stellt bereits das einfache Einzelgesetz grundsätzlich eine hinreichende Ermächtigung für die Exekutive zur entsprechenden Erhebung der Mittel dar, ohne dass es hierfür einer weiteren Ermächtigung im Haushaltsplan bzw. Haushaltsgesetz bedürfte 384 . 382 Heller S. 77; Wiesner S. 36, die auch die Sonderabgaben (siehe hierzu oben unter B 12) aufgrund ihrer besonderen Rechtsnatur zu den einmaligen Einnahmen zählen, was im Einzelfall aber zweifelhaft erscheint. Unerheblich in diesem Zusammenhang ist schließlich auch die Wertschöpfung aus Münzeinnahmen, für die dem Bund nach Art. 73 Nr. 4 GG die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zusteht. Schließlich sind auch mögliche Einnahmen aus Rücklagen und kassenmäßigen Überschüssen eher buchungstechnisch und nicht in erster Linie gesetzlich bedingt. 383 So noch im Ansatz Kisker in: Isensee/Kirchhof, HBdStR IV, § 89 Rdnr. 25; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 110 Rdnr. 10. Heute ist jedoch weitgehend anerkannt, dass auch das Haushaltsgesetz ein Gesetz wie jedes andere ist, allerdings mit besonderem Inhalt, vgl. Mußgnug S. 355; Sachs, Grundgesetz, Art. 110 Rdnr. 23; Wiesner S. 50. Vgl. zu dieser Problematik auch Moeser S. 69; Heun S. 151. 384 Eine Ausnahme gilt gem. § 13 Abs. 1 HGrG für die Kreditaufnahmen, die auch im Haushaltsgesetz bestimmt werden müssen.
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Die Ausweisung der Einnahmen im Haushaltsplan ist insofern nur deklaratorischer Natur 385 ; gleichwohl ist der Haushaltsgesetzgeber aus dem Grundsatz der Vollständigkeit verpflichtet, alle sich aus den Gesetzen ergebenden Einnahmen in den Haushaltsplan einzustellen386. Im Gegensatz hierzu stehen die ausgabenerhöhenden Gesetze in einem anderen, engerem Verhältnis zum Haushaltsplan, denn die Exekutive ist nach allgemeiner Ansicht zur Leistung von Ausgaben grundsätzlich erst dann ermächtigt, wenn die Auszahlung der Haushaltsmittel vom Haushaltsgesetzgeber bewilligt worden ist 3 8 7 , jedenfalls soweit die Ausgabe nicht auf einer entsprechenden einfachgesetzlichen Verpflichtung beruht 388 - in diesem Fall wird sogar eine rechtliche Subordination der Haushaltsgesetzgebung unter die allgemeine ausgabenwirksame Gesetzgebung angenommen: Der Haushaltsgesetzgeber ist demnach verpflichtet, die gesetzlich vorgesehenen Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen, und die Verwaltung ist berechtigt, die gesetzlichen Ausgaben selbst dann zu leisten, wenn diese nicht im Haushaltsplan bewilligt worden sind 389 . Als Begründungen für die Vörrangigkeit der ausgabenerhöhenden Einzelgesetze werden sehr unterschiedliche Argumente vorgebracht. So wird vertreten, es führe zu einem „Parlamentsabsolutismus", wenn alle Gesetze unter einem Haushaltsvorbehalt stünden 390 ; das Parlament dürfe mit einer Verweigerung der Ausgabenbewilligung die Exekutive nicht blockieren - schon gar nicht dürfe es in dieser Weise die Regierung stürzen, sondern müsse sich hierfür des konstruktiven Misstrauensvotums bedienen391. Weiterhin fehle dem Haushaltsplan die Rechts385 Maunz in: Maunz/Dürig Art. 110 Rdnr. 12; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 110 Rdnr. 10. 386 § 8 Abs. 2 Nr. 1 HGrG, § 11 Abs. 2 Nr. 1 LHO. Vgl. hierzu etwa Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 110 Rdnr. 12. Weil die Realisierung der Einnahmen von zahlreichen anderen Faktoren abhängig ist, finden sie nur als Schätzwerte Eingang in den Haushaltsplan, vgl. Puhl S. 5 f. 387 Ausnahmen bestehen für die vorläufige Haushaltswirtschaft und für über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen bei einem unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnis. 388 Die Regierung ist nach h.M. jedoch nicht verpflichtet, die im Haushaltsplan veranschlagten Mittel auch ohne entsprechendes Ausgabengesetz zu leisten, vgl. Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 5; Mußgnug S. 29; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 110 Rdnr. 14 m. w. N.; Anders v. Zezschwitz in: Zinn /Stein Art. 139 Erl. IV 5 a, wonach eine Ausgabenpflicht insoweit bestehen soll, wie in den Ermächtigungen „eine eindeutig politische Entscheidung über die Ausgabenprioritäten zum Ausdruck kommt oder wo die parlamentarischen Haushaltsberatungen ein Ausgabeverlangen erkennen lassen". Diese Ansicht verkennt aber, dass es sich hierbei allenfalls um eine politische, nicht aber um eine rechtliche Pflicht handeln kann. 389 Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 111; Haenel S. 146 ff.; Lange Der Staat 1972, 313 (319 ff.); Moeser S. 72; Mußgnug S. 341; v. Zezschwitz in: Zinn/Stein Art. 139 II 1 a. 390 Böckenförde, Die Organisationsgewalt, S. 111; ähnlich bereits Haenel S. 146 ff. 391 Lange Der Staat 1972, 313 (319 ff.).
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klarheit, die Öffentlichkeit und die Dauerhaftigkeit und könne deswegen die allgemeinen Gesetze nicht ändern 392 ; zudem komme in den allgemeinen Gesetzen ein Konsens zum Ausdruck, der eines Mindestmaßes an Verbindlichkeit bedürfe und daher nicht durch das Haushaltsgesetz unterminiert werden dürfe 393 . Neben diesen eher diffuses Ansätzen liegt das entscheidende Argument für die Subordination des Haushaltsplans unter die Einzelgesetze darin, dass die Exekutive aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten rechtsstaatlichen Grundsatz des Gesetzesvorrangs 394 an die Ausgabengesetze gebunden ist, und dieser Verpflichtung insoweit von den Verfassungen Rechnung getragen wird, dass sie der Exekutive auch ohne eine (rechtzeitige) Bewilligung im Haushaltsplan die Erfüllung dieser Gesetze im Wege der Notbewilligung erlauben 395. Nach dem Haushaltsgrundsatz der Vollständigkeit ist der Haushaltsgeber zudem verpflichtet, diese Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen396 - wenn er nicht das zugrunde liegende Einzelgesetz zuvor ändert bzw. aufhebt. Dies gilt insbesondere für solche Gesetze, die dem Bürger einen dem Grunde und der Höhe nach bestimmten Anspruch auf eine Geldleistung gewähren 397, muss aber gleichermaßen für andere, nur objektivrechtliche Gesetze gelten, die bestimmte Ausgaben zwingend festsetzen und insoweit den Staat ebenso zu einer entsprechenden Leistung verpflichten. Auch wenn in dem Einzelgesetz nur über das „Ob" der Ausgabe, nicht aber über die Höhe entschieden wurde, so obliegt dem Haushaltsgesetzgeber zwar die Entscheidung über den Ausgabenbetrag 398, doch darf er die Ausgabebewilligung als solche nicht verweigern 399 . Nur wenn in einem Gesetz die ausgabenwirksame Maßnahme insgesamt unter den Vorbehalt einer entsprechenden Mittelbewilligung im Haushaltsplan eingestellt ist, kann sich der Haushaltsgesetzgeber je nach den haushaltsmäßigen Möglichkeiten für oder gegen eine entsprechende Bewilligung entscheiden.
392 Mußgnug S. 341. 393 Moeser S. 72. 394 in den Landesverfassungen normiert in Art. 25 Abs. 2 BW-Verf; Art. 4 MV-Verf; Art. 2 Abs. 2 NdsVerf; Art 77 Abs. 2 RhPfVerf; Art. 61 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 3 Abs. 3 SächsVerf; Art. 2 Abs. 4 SAnhVerf; Art. 45 Abs. 1 SchlH-Verf; Art. 47 Abs. 2 ThürVerf. 395 Art. 80 BW-Verf; Art. 89 BerlVerf; Art. 102 BrandVerf; Art. 132 a BremVerf; Art. 67 HambVerf; Art. 140 HessVerf; Art. 62 MV-Verf; Art. 66 NdsVerf; Art. 82 NRW-Verf; Art. 105 Abs. 3 und 4 SaarlVerf; Art. 98 SächsVerf; Art. 94 SAnhVerf; Art. 51 SchlH-Verf; Art. 100 ThürVerf. Anders dagegen nur Art. 78 Abs. 4 Bay Verf (siehe aber die Verpflichtung in Art. 78 Abs. 2 Bay Verf) und Art. 116 Abs. 4 und 5 RhPfVerf. 396 So ausdrücklich Art. 78 Abs. 2 Bay Verf und § 8 Abs. 2 Nr. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 Nr. 2 LHO. Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 110 Rdnr. 12. 397 Moeser S. 69; Mußgnug S. 290. 398 So hatte etwa nach § 8 des Gesetzes zur Förderung der Zonenrandgebiete (BGBl. I, 1971, S. 1237) eine Förderung nach Maßgabe der im Haushaltsplan vorgesehenen Mittel zu erfolgen; vgl. hierzu Moeser S. 73. 399 Auch die Bewilligung einer nur ganz geringen Summe wäre unzulässig und käme einer verdeckten faktischen Gesetzesauflösung gleich, vgl. Moeser S. 72.
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Die Unterordnung des Haushaltsplans unter die ausgabenwirksamen Einzelgesetze muss allerdings in zweifacher Hinsicht wieder eingeschränkt werden. Wie bereits angedeutet kann der Gesetzgeber zum einen, will er die gesetzlichen Ausgabeverpflichtungen nicht im Haushaltsplan berücksichtigen, das entsprechende Ausgabengesetz ändern, jedenfalls soweit ihm hierfür die Gesetzgebungskompetenz zusteht 400 . Mit den in unmittelbarer zeitlichen Verbindung zum Haushaltsgesetz erlassenen sog. Haushaltsbegleitgesetzen401, die selbst aber regelmäßig nicht Bestandteil des Haushaltsgesetzes sind, kann der Gesetzgeber den Umfang der in außerbudgetären Einzelgesetzen geregelten gesetzlichen Verpflichtungen einschränken und damit das im Haushaltsplan beabsichtigte Ausgabevolumen auf die erforderliche gesetzliche Grundlage stellen. Zum anderen - dies ist die zweite Einschränkung - bedeutet die Subordination des Haushaltsplans unter die ausgabenwirksamen Einzelgesetze nicht, dass der Gesetzgeber bei Erlass der haushaltswirksamen Gesetze das Budget völlig unberücksichtigt lassen könnte, denn ohne Rücksichtnahme auf die finanziellen Möglichkeiten des Staats wäre eine vernünftige Haushaltswirtschaft von vornherein unmöglich. In fast allen Ländern regeln die Landesverfassungen daher, dass bei Beschlüssen über Gesetze, die Ausgaben nach sich ziehen oder die Einnahmen senken und somit den Haushalt belasten, die haushaltsmäßige Deckung sicherzustellen ist 4 0 2 . Damit werden solche Gesetzesvorhaben, für die im Rahmen des gegebenen bzw. künftig zu erwartenden Budgets keine Finanzierungsmöglichkeiten gegeben sind, von vornherein ausgefil. .403
tert Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass das Haushaltsgesetz und die finanzwirksamen Einzelgesetze in einer engen, wechselseitig aufeinander einwirkenden Beziehung zueinander stehen und insoweit jeweils auch inhaltlich aufeinander Bezug nehmen müssen. Die Ausübung der Haushaltsgewalt durch das Parlament erfolgt so im Zusammenspiel der ermächtigenden Bewilligungen im Haushaltsgesetz, der einzelnen verpflichtenden Ausgabengesetze sowie der Steuer- und sonstigen Einnahmegesetze.
400 Vgl. hierzu v. Zezschwitz in: Zinn/Stein Art. 139 I I 1 a. 401 Für sie wurden in der Praxis unterschiedliche Bezeichnungen gewählt, vgl. auf Bundesebene etwa das „Haushaltssicherungsgesetz" (BGBl. I. 1965, S. 2065), „Finanzplanungsgesetz" (BGBl. I, 1966, S. 697), „Finanzänderungsgesetz" (BGBl. I., 1967, S. 1259), „Haushaltsstrukturgesetz" (BGBl. I, 1975, S. 3091, ähnlich auch BGBl. I, 1981, S. 523), „Haushaltsbegleitgesetz" (BGBl. I, 1982, S. 1857, BGBl. I, 1983, S. 532 und BGBl. I, 1991, S. 1314). Vgl. hierzu die Übersicht bei Sachs, Grundgesetz, Art. 110 Rdnr. 19.
Art. 82 Abs. 1 S. 3 BW-Verf; Art. 79 BayVerf; Art. 90 Abs. 2 BerlVerf; Art 104 BrandVerf; Art. 102 BremVerf; Art. 142 HessVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf; Art. 68 Abs. 2 NdsVerf; Art. 84 NRW-Verf; Art. 118 S. 1 RhPfVerf; Art. 107 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 97 Abs. 1 S. 3 SächsVerf; Art. 96 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 54 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. Keine entsprechende Regelung enthält die Verfassung Hamburgs. 403 Siehe zu den einzelnen Regelungen über die Deckung haushaltsbelastender Einzelgesetze näher unter C III 3 a cc (1).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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2. Funktionen des öffentlichen Haushalts Mit den vorgenannten Formen haushaltswirksamer Entscheidungen nimmt der Gesetzgeber grundlegende Aufgaben wahr, die sich unter einem budgetwirtschaftlichen Blickwinkel in verschiedene, mit entsprechenden Haushaltsfunktionen korrespondierende Wirkungszusammenhänge zusammenfassen lassen. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden dem Staatshaushalt drei grundlegende Funktionen eine politische, eine finanzpolitische und eine rechtliche Funktion - zugeordnet 404, die später, ausgehend von der maßgeblich von Keynes entwickelten volkswirtschaftlichen Theorie der Fiskalpolitik, noch um eine wirtschaftspolitische Funktion ergänzt wurden 405 . Die Abgrenzung dieser klassischen vier Bereiche und deren Verhältnis zueinander ist im Einzelnen jedoch umstritten 406 , zumal in der neueren Literatur neben der Entwicklung zahlreicher weiterer Budgetfunktionen 407 zunehmend auch eine Abgrenzung nach gänzlich anderen Kriterien erfolgt 408 . Unter weitgehender Berücksichtigung der unterschiedlichen Ansätze sollen im Folgenden die Funktionen der politischen Gestaltung, der rechtlichen Bindung, der finanzwirtschaftlichen Bedarfsdeckung und der methodischen Rationalität unterschieden werden. a) Mit der politischen Gestaltungsfunktion des Haushalts wird der Einsatz der Haushaltswirtschaft als Instrument zur politischen Gestaltung beschrieben 409. Das Parlament legt im Zusammenspiel mit der von ihr getragenen Regierung im Haushaltsplan als „staatsleitenden Hoheitsakt" die ordnungs- und verteilungspolitischen 404 Vgl. grundlegend: Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 15 ff.; ders. in: Gerloff/Neumark, HBdFinWiss 1(1. Aufl.), S. 554 (558). 405 Vgl. Piduch Art. 109; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 109; Maunz in: Maunz/ Dürig Art. 109 m. w. N. Siehe auch die zusammenfassenden Darstellungen bei Kisker in: Isensee/Kirchhof, HBdStR V, § 89 Rdnr. 13, 16 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 1195 ff.; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 78 ff., 81; Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 7; Rehm S. 25 f. 406 Nach Senf in: Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (374) sind alle Funktionen nur Aspekte der politischen Funktion. Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 9 sieht die juristische Bindungsfunktion als die entscheidende Funktion an, aus der sich alle anderen Funktionen ergeben. Nach § 2 S. 1 HGrG, der die Deckung des Finanzbedarfs für die Staatsaufgaben als Ziel des Haushaltsplans bezeichnet, scheint dagegen die finanzwirtschaftliche Funktion im Vordergrund zu stehen. 407 Vgl. die „modernen" Budgetfunktionen bei Wittmann S. 37 f.; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 82 m. w. N.; sowie die „Funktionsaspekte" der Dokumentation, Koordinierung und Analyse bei Senf in: Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (375 f.). 408 Heun S. 269 ff. unterscheidet zwischen Koordinierungs-, Staatslenkungs-, Außensteuerungs-, Informations- und Kontrollfunktion; Hirsch S. 37 ff. teilt in Planung, Verwaltungsführung und Kontrolle ein; Musgrave, Finanztheorie, S. 5 ff. differenziert von einem finanztheoretischen Ansatz her grundlegend zwischen der Allokations-, Distibutions- und Stabilitätsfunktion; Puhl S. 3 ff. wiederum macht gar sieben Funktionen mit zahlreichen Unterfunktionen aus. 4 09 Piduch Art. 110 Rdnr. 3 und 10.
6 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Ziele der Politik fest und trifft damit die gesamtpolitischen Grundentscheidungen für zentrale Bereiche der Politik während des Planungszeitraums 410. Mit der Festsetzung der Prioritäten und Schwerpunkte über die notwendigen und wünschenswerten Aufgaben wird der Haushaltsplan zum „Regierungsprogramm in Gesetzesform" 4 1 1 bzw. zum „Ausdruck des politischen Handlungsprogramms" von Parlament und Regierung 412 , wobei er im Idealfall den bestmöglichen Kompromiss zwischen allen konkurrierenden politischen Kräften verkörpert 413 . Das Budget bestimmt durch Zuweisungen von Personal- und Sachmitteln über die Struktur und das Gewicht der Staatsorganisation 414; es legt damit zum einen die Ausstattung des Staatsapparates fest und ermöglicht zum anderen die Lenkung der staatlichen Verwaltung 415 . Daneben ist der Haushalt aber insbesondere auch ein außenwirksames Instrument der Gesellschafts- und Sozialpolitik, da er aufgrund seines Volumens, dessen Umfang mit anwachsenden Aufgaben des Staates immer noch weiter steigt 416 , über ein bedeutendes gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Steuerungspotential verfügt 417 . Hierbei lassen sich drei lenkungspolitische Aufgaben unterscheiden 418: Der Haushaltsplan steuert zunächst die Aufteilung der volkswirtschaftlichen Ressourcen zur Erfüllung von Bedürfnissen, die der freie Markt ohne die Betätigung des Staates ansonsten unbefriedigt ließe, z. B. im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit („Allokationsfunktion"). Er dient weiterhin der Umverteilung des Einkommens und der Versorgung der bedürftigen Gesellschaftsmitglieder („Distributionsfunktion") 419 und schließlich auch - infolge 410 BVerfGE 45, 1 (32); Rupp NJW 1966,1099. 411 BVerfGE 70, 324 (355); 79, 311 (329); Puhl S. 5. 412 Neumark in: Gerloff/Neumark, HBdFinWiss 1(1. Aufl.), S. 554 (558); Stern, Staatsrecht II, S. 1198 m. w. N. Vgl. zusammenfassend auch Piduch Art. 110 Rdnr. 10. 413 Senf in: Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (375); Stern, Staatsrecht II, S. 1198; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 78. 414 „Organisationsfunktion", vgl. Vogels in: Isensee / Kirchhof, HBdStR I, § 27 Rdnr. 28 ff.; Puhl S. 8. 415 „Administrative Lenkungsfunktion", vgl. Krüger-Spitta/Bronk S. 30; Zimmermann/ Henke S. 79 f.; Neumark in: Gerloff/Neumark, HBdFinWiss I (1. Aufl.), S. 554 (569 ff.); Hirsch S. 44 ff. Etwas anders, auf die staatliche Ebene abstellend Heun S. 276: „Staatslenkungsfunktion". 416 Zum „Gesetz der wachsenden Staatstätigkeit" erstmals Wagner S. 895; vgl. auch Zimmermann/Henke S. 25 ff. 417 „Außensteuerungsfunktion", vgl. Heun S. 279. In Abgrenzung zur „administrativen Lenkungsfunktion" könnte man auch von einer „gesellschaftspolitischen Lenkungsfunktion" sprechen. 418 Zur folgenden Dreiteilung vgl. grundlegend Musgrave, Finanztheorie, S. 5 ff.; siehe auch Krüger-Spitta/Bronk S. 31 ff.; Timm in: Neumark, HBdFinWiss III, S. 135 ff.; Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 17; Stern, Staatsrecht II, S. 1198 f. 419 Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 17; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 109 Rdnr. 11 a: „Versorgungs- und Verteilungsfunktion"; Stern, Staatsrecht II, S. 1199: „Einkommensumverteilung". Nach Puhl S. 11 f. ist damit zugleich eine freiheits- und gleichheitssichernde Funktion verbunden.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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seiner erheblichen Auswirkungen auf den Konjunkturverlauf der Wirtschaft - der Stabilisierung des gesamten Wirtschaftsprozesses („konjunkturpolitische Funktion") 4 2 0 . b) Die rechtliche Bindungsfunktion kennzeichnet die Aufgabe des Haushalts, die Regierung zur Ausgabe der im Haushaltsplan und den Einzelgesetzen festgelegten Zwecke zu ermächtigen 421 und so der staatlichen Haushalts Wirtschaft die erforderliche demokratische Legitimation zu verleihen 422 . Durch das Haushaltsgesetz wird die ausführende Gewalt an die Feststellungen des Parlaments im Haushaltsplan rechtlich gebunden423, so dass eine Geldleistung des Staates ohne die Bewilligung im Haushaltsplan oder zumindest ohne die Verpflichtung in einem Einzelgesetz grundsätzlich unzulässig ist 4 2 4 Die Befugnis zur Vereinnahmung von Geld, insbesondere zur Erhebung der laufenden Einnahmen, beruht dagegen grundsätzlich nicht auf dem Haushaltsgesetz425, sondern allein auf den jeweiligen Abgaben- und sonstigen Einnahmengesetzen. Mit der Prüfung der Haushaltsansätze im Entwurf der Regierung und der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes übt das Parlament eine erste Kontrolle über die Regierung aus 426 , darüber hinaus ermöglicht der festgestellte Haushaltsplan infolge der Bindung der Exekutive an dessen Feststellungen eine nachträgliche Überprüfung der Vorschriftsmäßigkeit, Planmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Haushaltsvollzugs427 , wodurch die juristische Verbindlichkeitsfunktion des Haushaltsplans und damit letztlich die Prärogative des Parlaments gesichert wird 4 2 8 . Eine wesentliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang neben den mit Unabhän420 Als eine von mehreren lenkungspolitischen Aufgaben ist die gesamtwirtschaftliche Steuerung somit - entgegen der klassischen Einteilung - eine der politischen Gestaltungsfunktion untergeordnete Funktion. Zur Pflicht zur Rücksichtnahme auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und den Instrumenten einer konjunkturgerechten Globalsteuerung der Wirtschaft siehe im Einzelnen unten im 2. Teil unter A III 4. 42 1 „Ermächtigungsfunktion", vgl. Vogt in: F. Klein S. 131 (135, Rdnr. 8). Vgl. auch Henle S. 82 ff.; Neumark in: Gerloff/Neumark, HBdFinWiss I (1. Aufl.), S. 554 (569 ff.); Hirsch S. 44 ff. 422 „Legitimationsfunktion", vgl. Heun S. 280; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 1. 423 „Verbindlichkeitsfunktion" bzw. „Bindungsfunktion", vgl. Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 8 ff.; Wiesner S. 49; Rehm S. 26 m. w. N. Die Verbindlichkeitsfunktion in diesem Sinne vernachlässigend Krüger-Spitta/Bronk S. 28 ff. Vgl. auch Wittmann S. 37, der der juristischen Funktion neben der Verbindlichkeitsfunktion eine „Basisfunktion" im Sinne einer Fundierung des Haushalts in der Verfassung und den Gesetzen zuordnet. Anders wieder Kisker in: Isensee / Kirchhof, HBdStR V, § 89 Rdnr. 15, der im Rahmen der rechtlichen Funktion allein auf die Kontrollfunktion abstellt. 424
Siehe hierzu und zu den Ausnahmen im Einzelnen bereits oben unter C III 3 a cc. Mit Ausnahme der Kreditaufnahmen, § 13 Abs. 1 HGrG. 42 6 Dobiey S. 63. Siehe zu der hierin zum Ausdruck kommenden rechtsstaatlichen Mäßigungsfunktion im Rahmen des gewaltenteilenden Staatsaufbaus näher im 2. Teil unter A III 3 a. 425
427 „Kontrollfunktion", vgl. Heun S. 280; Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 25; Piduch Art. 110 Rdnr. 10; Wiesner S. 55.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gigkeit ausgestatteten Rechnungshöfen der Länder 429 auch der Öffentlichkeit zu. Nach dem Grundsatz der Budgetöffentlichkeit 430 soll sich jedermann vom Finanzgebaren des Staates Kenntnis verschaffen und diese zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion machen können 431 . c) Die finanzwirtschaftliche Bedarfsdeckungsfunktion beschreibt das Ziel, die knappen Mittel des Staates auf die konkurrierenden politischen Ziele so zu verteilen, dass ein verantwortbarer Ausgleich zwischen Bedarf und Deckung hergestellt und die Finanzierbarkeit der staatlichen, zahlenmäßig im Haushaltsplan dargestellten Aufgaben gesichert werden kann 432 . Entsprechend bestimmt § 2 S. 1 HGrG: „Der Haushaltsplan dient der Feststellung und Deckung des Finanzbedarfs, der zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes oder des Landes im Bewilligungszeitraum voraussichtlich notwendig ist." Viele Haushaltsgrundsätze sind Ausdruck dieser finanzwirtschaftlichen Funktion und haben in den Verfassungen der Länder, im Haushaltsgrundsätzegesetz und den Haushaltsordnungen der Ländern ihren Niederschlag gefunden 433. So sind im Haushaltsplan alle Einnahmen und Ausgaben 434 des betreffenden Haushaltsjahres 435 zu erfassen und in einer übersichtlichen und sinnvoll gegliederten Haushaltssystematik436 in voller Höhe ohne gegenseitige 428 Wittmann S. 59 f.; Piduch Art. 110 Rdnr. 10, der hierin die historischen Wurzeln des parlamentarischen Budgetrechts erblickt. Zur Unterscheidung dieser politischen Kontrolle von der im Anschluss unter (4) zu behandelnden Durchführungskontrolle vgl. Heun S. 286 und ähnlich Hirsch S. 47; Wittmann S. 19 f. 429 Vgl. hierzu die kritische Darstellung bei Heinig Bd. I S. 11; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 119. 430 BVerfGE 70, 324 (358). 431 „Informationsfunktion" des Haushalts, vgl. Heun S. 282; Stern, Staatsrecht II, S. 1247; Puhl S. 11. 432 „Bedarfsdeckungsfunktion" bzw. „Ordnungsfunktion", vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 1197; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 80; Kisker in: Isensee/Kirchhof, HBdStR V, § 89 Rdnr. 14. Vgl. auch Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 1, der in diesem Zusammenhang zudem auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens abstellt. Eine eigenständige Bedeutung dieser Funktion dagegen verneinend Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 110 Rdnr. 21. 433 Krüger-Spitta/Bronk S. 29. Zu den jeweiligen Haushaltsgrundsätzen im Einzelnen vgl. u. a. Piduch Art. 110 Rdnr. 17 ff.; Wittmann S. 46 ff.; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 110 Rdnr. 7 ff.; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 110 Rdnr. 28 ff. 434 Grundsatz der Einheit und der Vollständigkeit, § 8 Abs. 2 HGrG und Art. 78 Abs. 1 BayVerf; Art. 79 Abs. 1 S. 1 BW-Verf; Art. 85 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 101 Abs. 2 S. 1 BrandVerf; Art. 66 Abs. 1 HambVerf; Art. 139 Abs. 2 S. 1 HessVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 1 MVVerf; Art. 49 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 1 NRW-Verf; Art. 116 Abs. 1 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 1 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 1 SchlH-Verf; Art. 98 Abs. 1 S. 1 ThürVerf. 435 Fälligkeitsprinzip, ausdrücklich geregelt in Art. 79 Abs. 3 S. 1 BW-Verf; Art. 139 Abs. 3 HessVerf; Art. 61 Abs. 4 S. 1 MV-Verf; Art. 49 Abs. 3 S. 1 NdsVerf; Art. 116 Abs. 3 S. 1 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 94 Abs. 4 S. 1 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 4 S. 1 SchlH-Verf. 436 Grundsatz der Klarheit, vgl. §§ 10, 11 HGrG.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Verrechnung auszuweisen437. Die Ausgaben sind in genau bestimmter Höhe und auf einzelne Zwecke festzulegen 438, wobei die Höhe der voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben mit größtmöglicher Präzision zu schätzen ist 4 3 9 . Nach dem hinter diesen Maximen stehenden Grundsatz des Haushaltsgleichgewichts ist der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen440, wobei grundsätzlich alle Einnahmen als Deckungsmittel für alle Ausgaben dienen 441 ; Maßstab für die rationale Erfüllung dieser Aufgabe stellt dabei das Wirtschaftlichkeitsprinzip dar 4 4 2 . Schließlich wird der finanzwirtschaftlichen Funktion auch die Forderung zugeordnet, dass die Deckung der Staatsausgaben ohne übermäßige Inanspruchnahme von Krediten in einer langfristig vertretbaren Weise erfolgen soll 4 4 3 . d) Die methodische Rationalisierungsfunktion beschreibt schließlich das Erfordernis einer vorausschauenden und ordnenden Planung sowie einer nachträglichen Erfolgskontrolle 444, um eine gewisse Ordnung in das unübersehbare Netz von Einzelhandlungen zu bringen und an die Stelle des irrationalen Spiel des Zufalls eine planmäßige Fürsorge für die Zukunft zu setzen445. Im Wege der zukunftsbezogenen Planung werden hierfür zunächst unter Abwägung von Kosten und Nutzen bestimmte Ziele gesetzt 446 und dann Programme zur Erreichung dieser Ziele erarbeitet 447, die die einzelnen Etatposten im Rahmen eines geschlossenen Finanzierungskonzepts so koordinieren, dass sowohl innerhalb des budgetären Bereiches wie auch im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen der Geld- und Währungspolitik alle Regierungs- und Verwaltungsstellen ihre Auf437 Bruttoprinzip, § 12 Abs. 1 S. 1 HGrG. 438 Grundsatz der Einzel Veranschlagung, § 12 Abs. 4 HGrG. 4 39 Grundsatz der Wahrheit und Genauigkeit, vgl. Piduch Art. 110 Rdnr. 26. 440 Art. 79 Abs. 1 S. 2 BW-Verf; Art. 101 Abs. 2 S. 4 BrandVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 MV-Verf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 NRW-Verf; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlH-Verf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 ThürVerf. Siehe hierzu näher unter C III 3 a. 441 Grundsatz der Gesamtdeckung, § 7 HGrG. 442 § 6 Abs. 1 HGrG. Siehe hierzu näher unter C IV 2 b cc. 443 „Verschuldungsbegrenzende Funktion", vgl. Kisker in: Isensee/Kirchhof, HBdStR V, § 89 Rdnr. 14; Puhl S. 15 f., wonach die erforderliche Konkretisierung im Haushaltsgesetz eine „Warn- und Klarstellungsfunktion" für Parlament und Öffentlichkeit hat. Siehe zu den Grenzen der Verschuldung unten unter C III 3 c bb (3) (b). 444 WittmannS. 37. 445 Neumark, Reichshaushaltsplan, S. 16. 446 „Planungsfunktion" bzw. „Zielfunktion", vgl. Krüger-Spitta/Bronk S. 29, die diese Funktion allerdings als Bestandteil der finanzpolitischen Funktion sehen. Sie geht jedoch über diese hinaus, da die Planung und Rationalität nicht nur hinsichtlich des finanzwissenschaftlichen Aspekts der Bedarfsdeckung von Bedeutung ist, sondern insbesondere auch die politische Gestaltungsfunktion betrifft. Diesen Aspekt betont u. a. Senf in: Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (377). 447 „Programmfunktion" im planungstheoretischen Sinne, vgl. Wittmann S. 37.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gaben erfüllen können 448 . Die koordinierende Planung, für deren Effizienzsteigerung in der Finanzwissenschaft bestimmte Verfahren entwickelt worden sind 449 , bedarf einer Konzentration der Haushaltsgewalt auf eine zentrale Instanz und wird daher maßgeblich von der Regierung im Wege der Haushaltsplanaufstellung, der Mitzeichnung haushaltsrelevanter Einzelgesetzentwürfe und durch die übergreifende Finanzplanung ausgeübt, da sie hierfür mit der sachverständigen Ministerialbürokratie über die erforderlichen Kapazitäten verfügt; dagegen erhält das Parlament im Wege der Budgetinitiative erst das Ergebnis der Planung vorgelegt, die allerdings aufgrund der Parlamentsprärogative nur vorläufigen Charakter hat 4 5 0 . Eine rationale Planung bedarf am Ende auch einer Erfolgskontrolle: Durch den Vergleich zwischen dem Plansoll und dem tatsächlichen Ergebnis kann die Erreichung der politischen und finanzwirtschaftlichen Ziele überprüft werden. Anders als bei der im Rahmen der rechtlichen Bindungsfunktion im Vordergrund stehenden politischen Kontrolle handelt es sich bei der Durchführungskontrolle um eine empirische finanz- und wirtschaftspolitische Wirkungsanalyse 451, die der Effizienz und Rationalität der im Haushaltsplan niedergelegten Ziele dient und damit die Grundlage für die weitere Haushaltsplanung darstellt 452 . Auch diese Funktion der Wirkungskontrolle als Vorbereitung für die weitere Planung betrifft insoweit wiederum in erster Linie die Regierung.
448 „Koordinations-" bzw. „Koordinierungsfunktion", vgl. Senf in: Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (375); Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 83. Als umfassende, die Bedarfsdeckungsfunktion einschließende Funktion verstanden von Heun S. 270 ff.; Puhl S. 5 ff. Vgl. zur Planbezogenheit finanzwirksamer Entscheidungen unter C III 3 a aa. 449 Hierzu zählen insbesondere die mehrjährige Finanzplanung §§9, 10, 11, 14 StabG und §§50-52 HGrG und die Kosten-Nutzen-Analyse, vgl. Zimmermann/Henke S. 85 ff. Letztere ist für die Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen nach § 6 Abs. 2 HGrG/§ 7 Abs. 2 LHO von Bedeutung, insbesondere aufgrund der Verpflichtung zu einer Kosten- und Leistungsrechnung gem. § 6 Abs. 3 HGrG/§ 7 Abs. 3 LHO. Das Modell des Planning-Programming-Budgeting-System (PPBS) ist dagegen nicht mit dem gegebenen Budgetsystem vereinbar und deshalb nicht ohne weiteres umsetzbar, vgl. hierzu Zimmermann/Henke S. 90 f.; Brümmerhoff S. 149 ff. 4 50 Zur grundsätzlichen Zuordnung der Planung zur Exekutive vgl. Dobiey S. 77 ff.; WürtenbergerS. 146,218. 4 51 „Analysefunktion", vgl. Wittmann S. 37. Hirsch S. 47 und Wittmann S. 19 f. unterscheiden zwischen der Rechnungsprüfung als nachträgliche Kassenkontrolle bzw. Revision, die die zahlenmäßige Richtigkeit der Rechnung und die Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der aufgeführten Belege untersucht, und der laufenden Verwaltungskontrolle, die die Sachgerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit und Gesetzmäßigkeit nachprüft und sich teilweise mit der oben dargestellten politischen Kontrolle überschneidet. 4 52 Senf in : Neumark, HBdFinWiss I, S. 371 (377); Wittmann S. 37, Patzig, Haushaltsrecht I, S. 106.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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II. Überblick über die Auslegung des Haushaltsvorbehalts in Rechtsprechung und Literatur Mit diesen grundlegenden Ausführungen ist die Basis für die Untersuchung des Umfangs der allgemeinen landesverfassungsrechtlichen Finanzvorbehalte gelegt. Hierfür sollen zunächst die Rechtsprechung anhand der bisherigen Anwendungsfälle in der Praxis und die in diesem Zusammenhang vertretenen unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur im Überblick dargestellt werden, bevor dann (unter III und IV) auf die Auslegung und Abgrenzung im Einzelnen eingegangen wird.
1. Rechtsprechung In der Rechtsprechung lässt sich - aus einer länderübergreifenden Perspektive bei der Auslegung der Finanzvorbehalte in den Landesverfassungen eine Entwicklung beobachten, die sich grob in drei zeitlich aufeinanderfolgende Abschnitte einteilen und als Orientierungs-, Konsolidierungs- und Differenzierungsphase beschreiben lässt.
a) Orientierungsphase In den 70er und 80er Jahren begann der Finanzvorbehalt - wenn auch nur ganz vereinzelt - Gegenstand verfassungsgerichtlicher Auseinandersetzungen zu werden; in dieser Zeit wurden bereits wesentliche Kriterien für die Auslegung der Finanzvorbehalte in den Landesverfassungen durch die Rechtsprechung entwickelt. So hat sich erstmals im Jahre 1976 mit dem BayVerfGH ein deutsches Gericht in einem Urteil zu einem Volksbegehren im Schulbereich (Volksbegehren „Lernmittel-, Ausbildungskosten- und Schulwegkostenfreiheit") mit dieser Materie auseinandergesetzt 453: [1] Ende 1975 hatte der Bayerische Landtag ein sog. Finanzplanungsgesetz verabschiedet, durch das zur Konsolidierung des Haushalts gesetzlich festgelegte Leistungen reduziert wurden. Unter anderem wurde die bisherige Lernmittel- und die Schulwegkostenfreiheit eingeschränkt und die Ausbildungsförderung begrenzt. Das „Landesbürgerkomitee Lernmittelfreiheit e.V." initiierte daraufhin ein Volksbegehren, das die Rückgängigmachung dieser Einsparungsmaßnahmen beinhaltete. - Der BayVerfGH hatte zu beurteilen, ob es sich hierbei um ein unzulässiges Volksbegehren über den „Staatshaushalt" i. S. d. Art. 73 Bay Verf handelt. Er führte aus, dass der Begriff des Staatshaushalts in diesem Sinne zwar nicht nur den Haushaltsplan als solchen, sondern grundsätzlich alle Gesetze mit Auswirkungen auf den Gesamtbestand des Haushalt erfasse; das hier zu prüfende Volksbegehren 453 Entscheidung des BayVerfGH v. 15. 12. 1976, BayVerfGHE 29, 244 = BayVBl. 1977, 143.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata falle jedoch nicht darunter, da es lediglich Ausgaben i.H.v. 0,06 % des Gesamtvolumens des Staatshaushalts zur Folge habe, und sei daher zulässig 454 .
Weitere Auseinandersetzungen mit dem Finanzvorbehalt in den Landesverfassungen sind in den folgenden Jahren selten geblieben. Der NRW-VerfGH hat sich in einer Entscheidung aus dem Jahre 1981 - allerdings nur sehr knapp - mit dem Finanztabu des Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf in Bezug auf eine „Bürgerinitiative Ausländerstopp" befasst 4 5 5 : [2] Die Bürgerinitiative, nach deren Ansicht zu viele Ausländer in Nordrhein-Westfalen lebten, beantragte die Zulassung eines Volksbegehrens zur Förderung der Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien in deren Heimatland. Nach dem Gesetzentwurf der Bürgerinitiative sollte das Land Nordrhein-Westfalen u. a. verpflichtet werden, eine Aufbauhilfe für eine Arbeitslosenversicherung und für eine wirksame Arbeitsvermittlung in den Heimatländern der ausländischen Mitbürger zu erbringen und sich dort an Betriebsgründungen und -erweiterungen zu beteiligen. Neben dem Einsatz von Kapital und technischer Hilfe war auch eine Beteiligung an einem Fonds zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Heimatländern vorgesehen. - Der NRW-VerfGH hatte zu entscheiden, ob das Volksbegehren Finanzfragen i.S.v. Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf betrifft. Dies sei nach Auffassung des Gerichtshofs nicht schon dann der Fall, wenn ein Gesetz finanzielle Auswirkungen mit sich bringe, sondern erst dann, wenn der Schwerpunkt des Gesetzes in der Anordnung von Einnahmen oder Ausgaben liege, die den Staatshaushalt wesentlich beeinflussen. Dies sei bei dem zu beurteilenden Gesetzentwurf gegeben, da er schwerpunktmäßig Ausgaben anordne, so dass das Volksbegehren unzulässig sei 4 5 6 . Ein Verfahren vor dem SaarlVerfGH betraf - wie bereits in Bayern - das Schulwesen (Volksbegehren „Rettet die Schulen"). Der SaarlVerfGH hätte in seiner Entscheidung i m Jahre 1987 zwar die Gelegenheit zu einer Auslegung des Haushaltstabus in Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf gehabt, er ließ diese Frage aber letztlich dahingestellt s e i n 4 5 7 : [3] Eine Aktionsgemeinschaft strebte mit dem Volksbegehren die Änderung des saarländischen Schulordnungsgesetzes an und beabsichtigte insbesondere für alle Schulformen die Herabsetzung der geregelten Mindestschülerzahlen in den Klassen. Die Regierung war der Ansicht, dass das Volksbegehren auf den Erlass eines finanzwirksamen Gesetzes abziele, weil es die Schließung von Schulen und damit finanzielle Einsparungen verhindern wolle. Noch bevor die Regierung über den Zulassungsantrag entschied, änderte der Landtag grundlegend die Vorschriften des Schulordnungsgesetzes, auf die sich das Volksbegehren bezog. - Der SaarlVerfGH ließ in diesem Fall die „rechtlich nicht ohne weiteres zu beantwortende Frage" der Finanzwirksamkeit i. S. d. Art. 100 Abs. 4 SaarlVerf offen und verneinte die Zulässigkeit des Begehrens mit der Begründung, dass es infolge der parlamentarischen Gesetzesänderung seinen inhaltlichen Bezugspunkt verloren habe 458 . 454 455 456 457 458
BayVerfGHE 29, 244 (268 f.). Entscheidung des NRW-VerfGH v. 26. 6. 1981, NVwZ 1982, 188. NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189). Entscheidung des SaarlVerfGH v. 14. 07. 1987, NVwZ 1988, 245. SaarlVerfGH NVwZ 1988, 245 (246).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
89
b) Konsolidierungsphase Die Thematik des Finanzvorbehalts ist in den 90er Jahren mit dem wachsenden Interesse an der Volksgesetzgebung verstärkt zum Gegenstand verfassungsgerichtlicher Streitigkeiten geworden, wobei die Mehrzahl der in diesem Zusammenhang relevanten Volksinitiativen bzw. -begehren auch hier wieder die Erziehungspolitik im Schul- und Kindergartenbereich betrafen. In Bezug auf die Fragestellung, ob allein der Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz im technischen Sinne oder auch alle sonstigen finanzwirksamen Einzelgesetze vom Haushaltsvorbehalt erfasst seien, hat sich in dieser Zeit - anknüpfend an das grundlegende Urteil des BayVerfGH von 1976 - in den Ländern eine im Ergebnis mehr oder weniger einheitliche Rechtsprechung entwickelt 459 . Die mit dem Finanzvorbehalt befassten Verfassungsgerichte führen weitgehend übereinstimmend und unabhängig von der in der jeweiligen Landesverfassung enthaltenen Formulierung der Haushaltsausschlussklausel aus, dass sich diese grundsätzlich auch auf finanzwirksame Einzelgesetze beziehe. Andererseits sei aber nicht etwa jedes Gesetz von nur unerheblicher finanzieller Tragweite vom Finanztabu erfasst, vielmehr sei hierfür im Rahmen einer Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Volksgesetzgebung entscheidend, welche finanziellen Auswirkungen das vom Volk begehrte Gesetz nach seinem Gesamtinhalt auf die Haushaltsplanung im Ganzen habe, wobei es jeweils auf eine Gesamtbeurteilung aller Umstände im Einzelfall ankomme 460 . Bei dieser Beurteilung des Einzelfalls wenden die Gerichte allerdings z.T. unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe an, wobei etwa an die Höhe der Gesetzesausgaben im Verhältnis zur Gesamthaushaltssumme oder zu den disponiblen Mitteln im betreffenden Einzelplan angeknüpft wird 4 6 1 . Auch diese Phase begann mit dem BayVerfGH, der 1994 zum Völksbegehren „Erziehungs- und Unterrichtswesen" erneut über den Finanzvorbehalt in der Bayerischen Verfassung zu urteilen hatte 462 : [4] Das Verfahren hatte zwei Volksbegehren zur Änderung des bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen zum Gegenstand. Durch die begehrten Gesetze sollte u. a. in gewissem Umfang die schulische Selbstverwaltung eingeführt, aus den bestehenden Haupt- und Realschulen ein neuer Typus der „Regionalschule" gebildet und die Schulklassenhöchstzahl auf 30 Schüler begrenzt werden. - Der BayVerfGH beurteilte die Rege459
In der Begründung sind dagegen im Einzelnen Abweichungen gegeben, hierzu näher unter C III. 460 So die weitgehend übereinstimmende Formel, die bereits in den frühen Entscheidungen vom BayVerfGHE 29, 244 (269) und NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189) vorbereitet und vom BayVerfGHE 47, 276 (425 f.); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389 f.); BremStGH NordÖR 1998, 297 (298 f.); BVerfGE 102, 176 (188) und ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40 f.) übernommen wurde. Siehe näher hierzu im Einzelnen unter CIV. 461 Siehe hierzu die sogleich im Überblick dargestellten Verfahren sowie näher zu den einzelnen Abgrenzungskriterien unter C IV. 4 62 Entscheidung des BayVerfGH v. 17. 11. 1994, BayVerfGHE 47, 276 = DVB1. 1995, 419.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata lung über die Höchstschülerzahl anhand des Haushaltsvorbehalts des Art. 73 BayVerf 463 und knüpfte dabei weitgehend an seine Entscheidung von 1976 an. Das Volksbegehren sei in diesem Fall jedoch unzulässig, da die beabsichtigte Regelung die Schaffung einer großen Zahl von Beamtenplanstellen erfordere, wodurch die parlamentarische Haushaltsplanung in schwerwiegender Weise betroffen sei 4 6 4 .
In Bremen führte 1997 ein thematisch ähnlich gelagertes Volksbegehren („Schulunterrichtsversorgung, Schulraum und Lernmittelfreiheit") zu einer Entscheidung des BremStGH über die Auslegung der Ausschlussklausel in Art. 70 Abs. 2 BremVerf 465 : [5] Hier wurde die Zulassung von drei Volksbegehren beantragt, die ebenfalls auf die Verbesserung der Situation an den Schulen abzielten. Das erste verfolgte ein „Schulunterrichtsversorgungsgesetz", das im Wesentlichen die Grundlage für die Versorgung der Schulen mit einer bestimmten Anzahl von Lehrerstunden regelte und eine Obergrenze für die Schülerzahlen in den Klassen festlegte. Das zweite Begehren zielte auf ein „Schulraumgesetz" zur Garantie der baulichen und sonstigen Mindestausstattung der Schulen. Schließlich regelte das mit dem dritten Begehren verfolgte „Lernmittelfreiheitsgesetz" die nähere Ausgestaltung der in Art. 31 Abs. 3 BremVerf verankerten Lehr- und Lernmittelfreiheit. - Der BremStGH überprüfte die Volksbegehren im Wesentlichen anhand desFinanzvorbehalts des Art. 70 Abs. 2 BremVerf und erstreckte den hierin enthaltenen Begriff des „Haushaltsplans" unter weitgehender Orientierung an der Rechtsprechung des BayVerfGH auch auf Gesetze mit wesentlichen finanziellen Auswirkungen. Dabei erklärte er die beiden ersten Volksbegehren wegen der hohen und langfristigen Kosten für Lehrpersonal und bauliche Investitions- und Unterhaltskosten für unzulässig466 und ließ allein das dritte über das „Lernmittelfreiheitsgesetz" aufgrund der weitgehenden Disponibilität der hierdurch entstehenden Kosten zu 4 6 7 .
Der BremStGH beschäftigte sich bereits 1998 erneut mit der Auslegung der Ausschlussklausel in Art. 70 Abs. 2 BremVerf anlässlich eines Volksbegehrens „Verbot der Veräußerung kommunalen 468 Wohnungseigentums"469: 463 Die anderen Regelungen prüfte der BayVerfGH dagegen anhand der Bestimmungen zur staatlichen Schulaufsicht und zum staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 128, 130 und 131 BayVerf) sowie des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts (Art. 3 BayVerf). 464 BayVerfGH DVB1. 1995,419 (424 f.). 4 65 Entscheidung des BremStGH v. 17. 06. 1997, LVerfGE 6, 123 = NVwZ 1998, 388. 4 66 BremStGH NVwZ 1998, 388 (391). 4 67 BremStGH NVwZ 1998, 388 (392). 468
In diesem Fall ging es im Grunde um eine kommunalrechtliche Angelegenheit allein für das Gebiet der Stadtgemeinde Bremen. Diese hat aber - im Unterschied zu Bremerhaven - keine eigene Kommunal Verfassung, für sie sind stattdessen nach Art. 148 Abs. 1 S. 2 BremVerf die Vorschriften der Landesverfassung entsprechend anwendbar. Daher gelten auf der Gemeindeebene in Bremen im Unterschied zu allen anderen Bundesländern für Bürgerbegehren und Bürgerentscheid die verfassungsrechtlichen Institute des Volksbegehrens und Volksentscheids, was es rechtfertigt, auch diesen Fall in den Rahmen dieser Untersuchung mit einzubeziehen. A.A. dagegen Jung ZG 1998, 295 (321). Entscheidung des BremStGH v. 11. 05. 1998, LVerfGE 8, 203 = NordÖR 1998, 297 mit Sondervotum der Richter Preuß/Rinken, LVerfGE 8, 217 = NordÖR 1998, 299.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
91
[6] Die Stadtgemeinde Bremen hatte in der Vergangenheit aus Gründen der Haushaltssanierung Anteile an kommunalen Wohnungsbaugesellschaften veräußert. Zwar bestanden seitens des Senates derzeit keine konkreten Pläne zum Verkauf weiterer Anteile, für die Zukunft wurde dies aber - je nach Entwicklung der Haushaltslage - nicht ausgeschlossen. Daraufhin plante eine Bürgerinitiative die Durchführung eines Volksbegehrens über ein Ortsgesetz, durch das eine weitere Veräußerung untersagt werden sollte. - Nach Ansicht des BremStGH, der über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden hatte, verstoße das Begehren gegen den Finanzvorbehalt in Art. 70 Abs. 2 Brem Verf. Zwar seien mangels konkreter Verkaufspläne des Senats keine Positionen eines konkreten Haushaltsplans betroffen, doch könne eine Veräußerung angesichts der derzeitigen Verhandlungen mit dem Bund über die Haushaltssanierung jederzeit aktuell werden, so dass in diesem Falle die Handlungsfähigkeit des Haushaltsgesetzgebers in Höhe von mehreren hundert Millionen DM erheblich eingeschränkt sei 4 7 0 .
Im Jahre 2000 befasste sich schließlich auch das BVerfG mit dem Finanzvorbehalt in Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf 471 in Bezug auf eine Volksinitiative „Schule in Freiheit" 472 : [7] Die Bürgerinitiative „Aktion mündige Schule" beabsichtigte die Durchführung einer Volksinitiative über einen Gesetzentwurf, mit dem Art. 8 SchlH-Verf bezüglich des Schulwesens dahingehend geändert werden sollte, dass u. a. die Finanzierung der kommunalen, staatlichen oder freien Schulen unabhängig von der Trägerschaft nach gleichen Maßstäben garantiert werde. Die öffentlichen Zuschüsse an die Schulen sollten dabei so bemessen sein, dass ein unentgeltlicher Zugang zu den Schulen ermöglicht werde. - Das BVerfG überprüfte die Volksinitiative anhand des Finanzvorbehalts in Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf und entschied, dass es sich hierbei um eine unzulässige Initiative über den „Haushalt des Landes" handele. Die zu erwartenden Mehrbelastungen durch eine Gleichstellung der öffentlichen und privaten Schulen würden den Bildungsetat des Landeshaushalts wesentlich betreffen und müssten daher - angesichts der in diesem Etat nur in geringem Umfang vorhandenen frei verfügbaren Mittel - außerhalb des entsprechenden Einzelplans ausgeglichen werden 473 .
Nachdem also auch das BVerfG - freilich in der Funktion eines Landesverfassungsgerichts - den Finanzvorbehalt in der Verfassung Schleswig-Holsteins im Wesentlichen ebenso auslegte wie die Verfassungsgerichte der anderen Länder und das Finanztabu somit grundsätzlich auch auf finanzwirksame Gesetze bezogen hat, schien sich insoweit eine Einheitlichkeit der nun vom höchsten Gericht bestätigten 470 BremStGH NordÖR 1998, 297 (298 f.). Die beiden dissentierenden Richter Preuß und Rinken halten dagegen in NordÖR 1998, 299 ff. das Volksbegehren für zulässig, da es mangels konkreter Verkaufspläne des Senats Einnahmeminderungen nicht „zum Gegenstand", sondern lediglich „zur Folge" habe und sich nicht auf den konkreten Haushalt oder die Haushaltsplanung auswirke. 471 Mangels eigener Staatsgerichtsbarkeit für Rechtsmittel gegen eine Nichtzulassung der Volksinitiative durch den Landtag ist das BVerfG zuständig, vgl. § 9 Abs. 1 SchlH-VAG. 472 Entscheidung des BVerfG v. 03. 07. 2000, BVerfGE 102, 176 = BayVBl. 2001, 549 = DVB1. 2001, 188 = NVwZ 2002, 67. 473 BVerfGE 102, 176 (190 ff.).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Rechtsprechung in den Ländern abzuzeichnen. Diese Entwicklung fand ihren Höhepunkt und - vorläufigen - Abschluss, als schließlich die Verfassungsgerichte in Bayern, Bremen und Thüringen in den Jahren 2000 und 2001 in grundlegenden Entscheidungen - die an anderer Stelle noch näher zu behandeln sind 4 7 4 - die Erstreckung des Haushaltsvorbehalts auf finanzwirksame Einzelgesetze für unveränderbar und eine Streichung der geltenden Haushaltsvorbehaltsregelung für verfassungswidrig erklärt haben 475 . Dabei hat sich inzidenter auch in Thüringen der ThürVerfGH hinsichtlich des Finanzvorbehalts in Art. 82 Abs. 2 ThürVerf der Auslegungspraxis in den anderen Ländern angeschlossen476.
c) Differenzierungsphase Im Jahre 2001 begann allerdings die Rechtsprechung in anderen Ländern, sich von der bisher vorherrschenden einheitlichen Linie zu distanzieren und neue Wege in Bezug auf die Auslegung des Finanzvorbehalts einzuschlagen477. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang mit einer Entscheidung des BrandVerfG zum Art. 76 Abs. 2 BrandVerf, das zwar im Ergebnis noch auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung liegt, dieser in der Begründung allerdings in vielen Punkten entgegentritt. Das Verfahren betraf die Initiative „Für unsere Kinder - Volksinitiative zur Sicherung des Rechtsanspruchs aller Kinder auf Erziehung, Bildung, Betreuung und Versorgung in Kindertagesstätten" 478: [8] Die Volksinitiative beabsichtigte, die im Wege des Haushaltsstrukturgesetzes 2000 erfolgte Änderung des brandenburgischen Kindertagesstätten-Gesetzes rückgängig zu machen. In dem Haushaltsstrukturgesetz wurde zum Zwecke der Konsolidierung des Haus474
Zu den einzelnen Entscheidungen und der Problematik der Änderungsmöglichkeiten des Finanzvorbehalts siehe im 2. Teil unter A II 1. 4 ?5 „Mehr Demokratie in Bremen" - Entscheidung des BremStGH v. 14. 02. 2000, LVerfGE 11, 179 (197) = BayVBl. 2000, 342 = NordÖR 2000, 186 = NVwZ-RR 2001, 1; „Mehr Demokratie in Bayern" - Entscheidung des BayVerfGH v. 31. 03. 2000, BayVerfGHE 53, 42 = BayVBl. 2000, 397 = DVB1. 2000, 1145 (LS) = NVwZ-RR 2000, 401 = DÖV 2000, 911, mit Sondervotum eines Richters, BayVerfGHE 53, 74 = BayVBl. 2000, 430; „Mehr Demokratie in Thüringen"- Entscheidung des ThürVerfGH v. 19. 09. 2001, LVerfGE 12, 405 = ThürVBl. 2002, 31 = LKV 2002, 83 = DVB1. 2002, 1777. 476
Auch wenn es hier in erster Linie um die Möglichkeiten der Änderung bzw. Streichung des Haushaltsvorbehalts in Art. 82 Abs. 2 ThürVerf geht, finden sich in diesen Entscheidungen auch Aussagen über dessen Auslegung - allerdings ohne konkreten Anwendungsfall. Insoweit wird im Folgenden auch diese Entscheidung im Zusammenhang mit der Auslegung des Finanzvorbehalts berücksichtigt. 477 Vgl. R Neumann SächsVBl. 2002, 229 (232), der hier zunächst „zaghafte korrigierende Ansätze" erkennt und schließlich sogar von einer „Trendwende" in der Rechtsprechung spricht. 478 Entscheidung des BrandVerfG v. 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 64 = LKV 2002, 77 = NVwZ 2002, 598 (LS) = NJ 2002, 86 (LS) = DVB1. 2001, 1777 (LS) = BayVBl. 2002, 305 (LS), mit Sondervotum der Richter Jegutidse/Havemann LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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halts der Betreuungsumfang in den Kindertagesstätten begrenzt, wodurch Einsparungen i.H.v. 25 Mio. DM für das Jahr 2000 und 68 Mio. DM für die Jahre 2001-2004 erwartet wurden. Der volksinitiierte Gesetzentwurf sah die Aufhebung dieser Regelung des Haushaltsstrukturgesetzes vor. - Das BrandVerfG entschied, dass die Volksinitiative den „Landeshaushalt" i.S.v. Art. 76 Abs. 2 BrandVerf betreffe. Außer dem Schutzzweck des Budgetrechts des Parlaments seien allerdings die von der Rechtsprechung in den anderen Ländern angeführten Begründungen für eine weite Auslegung des Finanzvorbehalts weitgehend abzulehnen479. Das Budgetrecht sei hier allerdings verletzt, da die Volksinitiative in zeitlicher und sachlicher Nähe zu einer bewussten haushaltspolitischen Entscheidung des Parlaments stehe 480 .
Eine Distanz zur oben dargestellten traditionellen Rechtsprechung weist auch ein Urteil des NdsStGH aus dem gleichen Jahr auf, der das Volksbegehren „Kindertagesstätten-Gesetz Niedersachsen" in Bezug auf Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf zu prüfen hatte 481 . [9] Ähnlich wie in Brandenburg verfolgte dieses Volksbegehren das Ziel, vom Landtag im Haushaltsbegleitgesetz 1999 beschlossene Änderungen des niedersächsischen Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder (KiTaG) zu revidieren. Das Haushaltsbegleitgesetz sah u. a. eine Streichung des bisher im KiTaG geregelten direkten Personalkostenzuschusses des Landes an die Tagesstätten vor und stellte stattdessen die hierfür bisher aufgebrachten Mittel in vollem Umfang, allerdings nicht zweckgebunden, in den kommunalen Finanzausgleich ein. Um die Möglichkeit einer Umverteilung dieser Mittel zu anderen Zwecken als der Finanzierung von Betreuungsstellen zu verhindern, beabsichtigte das Volksbegehren, diese Regelung des Haushaltsbegleitgesetzes wieder rückgängig zu machen. - Nach dem Urteil des NdsStGH verstoße das Volksbegehren nicht gegen den Finanzvorbehalt des Art. 48 Abs. 1 S. 2 NdsVerf. Hinsichtlich der Auslegung des hier maßgebenden Begriffs der „Gesetze über den Landeshaushalt" hat sich der NdsStGH dabei nicht der bisherigen Rechtsprechung angeschlossen, sondern diese Frage ausdrücklich offengelassen. Das Finanztabu sei vorliegend jedenfalls deshalb nicht betroffen, weil die Umsetzung des Begehrens für den Haushaltsgesetzgeber kostenneutral möglich sei 4 8 2 . Dabei ging der NdsStGH allerdings nicht auf das vom BrandVerfG als entscheidend angesehene Kriterium ein, dass die Völksinitiative in zeitlicher und sachlicher Nähe zu einer bewussten haushaltspolitischen Entscheidung des Parlaments stehe.
Erstmals wieder seit dem Urteil des BayVerfGH im Jahre 1976 hat damit der NdsStGH ein Volksbegehren, das auf einen Verstoß gegen den Finanzvorbehalt geprüft wurde, die präventive Rechtskontrolle in vollem Umfang erfolgreich passieren lassen 483 . Die kritische Tendenz, die sich in den beiden Urteilen der Verfas479 BrandVerfG LKV 2002, 77 (78 ff.). 480 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.). A.A. dagegen die dissentierenden Richter Jegutidse und Havemann LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114, die in ihrem Sondervotum den Finanzvorbehalt des Art. 76 Abs. 2 BrandVerf allein auf den Haushalt als solchen beziehen wollen und daher die Völksinitiative für zulässig halten. 481 Entscheidung des NdsStGH v. 23. 10. 2001, NdsVBl. 2002, 11 = DVB1. 2002, 43 = DÖV 2002, 160 = NVwZ-RR 2002, 161. 482 NdsStGH NdsVBl. 2002, 11 (14).
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
sungsgerichte Brandenburgs und Niedersachsens angekündigt hat, wird in einem Urteil des SächsVerfGH zum Volksantrag „Zukunft braucht Schule" aus dem Jahre 2002 mit aller Deutlichkeit manifest: Der SächsVerfGH wendet sich ausdrücklich von der bisher vorherrschenden Rechtsprechungslinie ab und bezieht den Finanzvorbehalt in Art. 73 Abs. 1 SächsVerf lediglich auf das Haushaltsgesetz als solches484: [10] Gegenstand des Volksantrags war die Änderung des Sächsischen Schulgesetzes, mit der insbesondere die minimale Klassengröße auf 10 (an der Grundschule) bzw. auf 15 (an der weiterführenden Schule), die maximale Klassengröße auf 25 Schülerinnen bzw. Schüler festgesetzt werden sollte. Entgegen der Auffassung des Landtagspräsidenten und der Landesregierung, die hierdurch Mehrkosten von jährlich 96 bis 256 Mio. € errechneten, hielt der SächsVerfGH durch die Verringerung der Klassengröße den Finanzvorbehalt nicht betroffen. Der Verfassungsgerichtshof interpretierte den Ausschluss der „Haushaltsgesetze" in Art. 73 Abs. 1 SächsVerf dahingehend, dass hiervon grundsätzlich keine finanzwirksamen Einzelgesetze erfasst seien 485 . Die Volksgesetzgebung werde zwar außerhalb des Finanzvorbehalts - durch das parlamentarische Budgetrecht, durch Anforderungen an einen verfassungsgemäßen Haushalt sowie durch etwaige bundes- oder europarechtliche Vorgaben begrenzt. Insbesondere werde in die Kompetenzen des Parlaments aber erst eingegriffen, wenn dieses das Volksgesetz nicht mehr kostenneutral aufheben könne, was vorliegend nicht der Fall sei 4 8 6
2. Literatur In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die bisher von der traditionellen Rechtsprechung vertretene, eher weite Interpretation des Haushaltstabus zwar von vielen Stimmen grundsätzlich befürwortet 4 8 7 , schon früh haben sich jedoch auch 483 Zugelassen wurde ansonsten lediglich im Urteil des BremStGH NVwZ 1998, 388 ein Teil des Volksbegehrens bezüglich des „Lernmittelfreiheitsgesetzes". 484 Entscheidung des SächsVerfGH vom 11. 07. 2002, SächsVBl. 2002, 236. 485 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238 ff.). 486 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241). 487 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (670 ff.); differenzierend zwischen alten und neuen Landesverfassungen Jach DVP 1999, 179 (182). Zu Art. 73 BayVerf: Burmeister Der Staat 1996, 181 (204 ff., kritisch allerdings hinsichtlich der Lage in den anderen Ländern); Engels BayVBl. 1976, 201 (203); Feneberg/Simader Art. 69 LWG Erl. I I 2; Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392 f., allerdings nur als „äußerste und deshalb als hoch zu beurteilende Schranke"); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486, (487); Meder Art. 73 Rdnr. 1; Tilch BayVerfGHFS S. 275 (280). Zu Art. 76 Abs. 2 BrandVerf wohl zustimmend Wolnicki NJ 2002, 87 (88). Zu Art. 70 Abs. 2 BremVerf: Spannhake s. 31 f. Fn. 23. Zu Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf: Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. III 3. Zu Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf: Geller/ Kleinrahm/Fleck Art. 68 Anm. 2 b) bb); Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2; Vogels Art. 68 Anm. 3. Zu Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf: Süsterhenn/Schäfer Art. 109 Erl. 3 a) aa). Zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf: Hopfe in: Linck/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9; Isensee DVB1. 2001, 1161 (1162); Rux ThürVBl. 2002, 48 (51). Zu Art. 73 Abs. 1 SächsVerf: Zschoch NVwZ 2003,438.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushalts Vorbehalts
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viele Stimmen entschieden dagegen gewandt und vertreten - wie nun auch der SächsVerfGH - eine engere Interpretation des Finanztabus. Insbesondere diejenigen Finanzausschlussklauseln, die an den Haushaltsbegriff anknüpfen, müssten dieser Ansicht nach restriktiv ausgelegt werden und könnten lediglich den Ausschluss des Haushaltsplans bzw. des Haushaltsgesetzes von der Volksgesetzgebung rechtfertigen 488. Die bisherige Rechtsprechung betreibe eine unstatthafte Nivellierung der ganz unterschiedlichen landesverfassungsrechtlichen Regelungen und fördere damit eine „Selbstgleichschaltung" der Länder 489 . Zudem sei - wie auch der SächsVerfGH kritisiert - die von der übrigen Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger finanzwirksamen Volksgesetzgebung alles andere als klar, sondern nur das Ergebnis einer unkalkulierbaren Situationsjurisprudenz 490. Eine solche Auslegungspraxis missachte das Gebot des , judicial selfrestraint" und führe zu einer die unmittelbare Mitwirkung der Bürger zurückdrängenden „Ver- und Behinderungs"-Rechtsprechung 491.
III. Grundsätzliche Aspekte der Auslegung des Haushaltsvorbehalts Bei der Untersuchung, wie die in den einzelnen Vorbehaltsklauseln enthaltenen „allgemeinen" Ausschlussmaterien auszulegen sind, geht es zunächst um die grundsätzliche Frage, ob vom Finanztabu nur das Haushaltsgesetz als solches oder auch sonstige finanzwirksame Einzelgesetze - ohne dass es in diesem Zusammenhang bereits auf einzelne Abgrenzungskriterien ankommt 492 - erfasst sind. Diese Problematik gilt in erster Linie für diejenigen Länder, deren Ausschlussklauseln sich tatbestandlich auf den „Staatshaushalt"493, den „Haushalt des Landes" 494 , den 488 Jürgens S. 133 ff. allerdings auf S. 135 einschränkend, dass sich in der Praxis keine großen Unterschiede zwischen den weiten und engeren Formulierungen ausmachen ließen. Zu Art. 73 BayVerf: Przygode S. 408 f.; Schweiger in: Nawiasky / Schweiger /Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8 („restriktive Auslegung"); ders. BayVBl. 2002, 65 (69 ff.). Zu Art. 70 Abs. 2 BremVerf: Jung NVwZ 1998, 372 (373); ders. NordÖR 1998, 281 (282 f.); wohl auch H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 16 („konkreter, hinreichend bestimmter Begriff i.S.v. Art. 131, 132"). Zu Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf: Kinkel Art. 124 Erl. 2 („restriktiv"). Zu Art. 60 Abs. 6 BW-Verf: K. Braun Art. 59 Rdnr. 40; Sondervotum zur Entscheidung des BayVerfGH v. 31. 03. 2000, BayVBl. 2000,430(432). Zu Art. 73 Abs. 1 SächsVerf: Jung LKV 2003, 308; P. Neumann SächsVBl. 2002, 229 (231); wohl auch Baumann-Hasske in: Kunzmann / Haas / Baumann-Hasske Art. 73 Rdnr. 1 („nur eine Klarstellung"). Zu Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. nicht ganz eindeutig - P.M. Huber, Volksgesetzgebung, S. 70 f. 489 Jung NVwZ 2002,41 (42). 490 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 178; Janz LKV 2002, 67 (69); Jung NVwZ 1998, 372; Przygode S. 407 f., 410 f.; Röper ZParl 1997, 461 (469 f.); Siekmann in: Neumann/Raumer S. 181 (199). So nun auch SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241).
491 Jung NordÖR 1998, 281 (284); Przygode S. 413. 492 Siehe hierzu im Einzelnen näher unter C IV. 493 in Bayern (Art. 73 BayVerf).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
„Haushaltsplan"495 oder „Haushaltsgesetze"496 beziehen. Gleichwohl kann die Untersuchung auch für die anderen Länder, die von vornherein mit einer weiteren Formulierung ausdrücklich „Finanzfragen" bzw. „finanzwirksame Gesetze" von der Volksgesetzgebung ausnehmen497, von Bedeutung sein, da sich hieraus für die im Anschluss zu behandelnde Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Finanzmaterie möglicherweise entscheidende Anhaltspunkte gewinnen lassen. Im Folgenden sollen zur Bestimmung der Reichweite der Ausschlussmaterien des „Haushalts", „Haushaltsplans" bzw. „Haushaltsgesetzes" die Auffassung der Rechtsprechung und deren Kritik in der Literatur im Einzelnen analysiert werden, indem die jeweiligen Finanzausschlussklauseln nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Regelungszweck untersucht werden. Zuvor jedoch sollen, um die gesamte Entwicklung dieser Problematik zu erfassen, die historischen Vorläufer der Regelungen und insbesondere die Auseinandersetzungen um die Reichweite des Art. 73 Abs. 4 WRV näher betrachtet werden.
1. Begriff des „Haushaltsplans" nach Art. 73 Abs. 4 WRV Die gegenwärtige Kontroverse in der deutschen Staatsrechtswissenschaft um die weite oder enge Interpretation des Finanz Vorbehalts in den jeweiligen Landesverfassungen geht zurück auf eine entsprechende Diskussion in der Weimarer Republik. Bereits damals waren in nahezu allen Landesverfassungen, soweit sie das Volksgesetzgebungsverfahren geregelt hatten, ebenso wie heute vergleichbare Finanzvorbehaltsregelungen mit entsprechenden allgemeinen Ausschlusstatbeständen des „Haushalts", „Haushaltsplans" etc. normiert 498 , die - ähnlich wie heute 494 in Berlin (Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf), Bremen (für Bürgeranträge, Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf), Brandenburg (Art. 76 Abs. 2 BrandVerf), Mecklenburg-Vorpommern (für Volksinitiativen, Art. 59 Abs. 2 MV-Verf), Niedersachsen (Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf), Schleswig-Holstein (Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf) und Thüringen (Art. 68 Abs. 2 und Art. 82 Abs. 2 ThürVerf). Etwas anders in Hamburg (Art. 50 Abs. 1 S. 2 HambVerf): „Haushaltsangelegenheiten". 495 in Bremen (für Volksentscheide, Art. 70 Abs. 2 BremVerf) und Hessen (Art. 124 Abs. 1 S. 3 HessVerf). 496 in Mecklenburg-Vorpommern (für Volksbegehren, Art. 69 Abs. 2 MV-Verf), Sachsen (Art. 73 Abs. 1 SächsVerf) und Sachsen-Anhalt (Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf). Ähnlich in Baden-Württemberg (Art. 60 Abs. 6 BW-Verf): „das Staatshaushaltsgesetz". 497 in Nordrhein-Westfalen (Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf) und in Rheinland-Pfalz (Art. 108a Abs. 1 und Art. 109 Abs. 3 S. 2 RhPfVerf). Ähnlich im Saarland: „finanzwirksame Gesetze" (Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf). 498 Vgl. zur Rechtslage in den Landesverfassungen zusammenfassend Thoma ZöR 1928, 489 (498); Klinghoffer AöR 1928, 1 (9 ff.) sowie Waldhoff S. 150 - mit ausführlicher Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Finanzvorbehalts in der badischen Verfassung - und S. 155 f. Zur praktischen Bedeutung der Volksgesetzgebung in den Ländern, in denen der Finanzvorbehalts insoweit allerdings keine Rolle spielte, vgl. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 96.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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ein buntes B i l d von Formulierungen aufwiesen 4 9 9 . In der Staatspraxis und der wissenschaftlichen Literatur war allerdings i m besonderen Maße das reichsrechtliche Finanztabu des Art. 73 Abs. 4 W R V Gegenstand der Auseinandersetzung, die bis heute den Streit um die richtige Auslegung des Finanztabu nachhaltig prägt. Nach der für die direktdemokratischen Verfahren auf Reichsebene 5 0 0 geltenden Regelung des Art 73 Abs. 4 W R V konnte über bestimmte finanzwirksame Themen allein der Reichspräsident die Anordnung eines Volksentscheids veranlassen, und zwar neben den speziellen Materien der Abgabengesetze und Besoldungsordnungen auch über den „Haushaltsplan". Die Diskussion um die Auslegung des Begriffs des Haushaltsplans entzündete sich an einem Antrag des „Sparerbundes" 5 0 1 auf Zulassung eines Volksbegehrens aus dem Jahre 1926: [11] Das Volksbegehren des „Sparerbundes" zielte auf die Revision zweier 1925 vom Reichstag erlassener „Aufwertungsgesetze" 502 ab. Durch diese Gesetze wurden nach der Währungsreform von 1923 die noch auf die alte Währung lautenden Geldforderungen gegen die öffentliche Hand an die neue Währung angepasst, indem der Nennwert der Forderungen in unterschiedlicher Höhe aufgewertet wurde 503 - allerdings unter Ausschluss von Kriegsanleihen und ungesicherter Forderungen, wodurch insbesondere die Kleinanleger 499 In Thüringen, Sachsen und Schaumburg-Lippe waren der „Haushaltsplan" bzw. der „Staatshaushaltsplan" ausgeschlossen (§ 26 ThürVerf v. 11. 03. 1921, Art. 37 SächsVerf v. 01. 11. 1920, § 10 Abs. 5 SchaumbLippVerf v. 24. 02. 1921), in Oldenburg, Württemberg und Mecklenburg-Strelitz das „Staatshaushaltsgesetz" (§ 65 Abs. 2 OldenbVerf v. 17. 06. 1919; § 45 WürttVerf v. 25. 09. 1919) bzw. „Staatshaushaltsgesetze" (§ 32 Abs. 2 MecklStrelitzVerf v. 29. 01. 1919), in Baden und Hessen „das Finanzgesetz" (§ 23 Abs. 3 BadVerf v. 21. 03. 1919; Art. 14 HessVerf v. 12. 12. 1919 - neben dem „Staatsvoranschlag"), in Anhalt und Mecklenburg-Schwerin der „Haushalt" (§ 9 Abs. 3 AnhVerf v. 18. 07. 1919) bzw. „Staatshaushalt,,^ 46 MecklSchwVerf v. 17. 12. 1920), in Bayern insbesondere „Finanzgesetze" (§ 77 Abs. 1 BayVerf v. 14. 08. 1919) und in Braunschweig und Preußen „Finanzfragen" (Art. 41 Abs. 2 BraunschwVerf v. 06. 01. 1922; Art. 6 Abs. 3 PreußVerf v. 30. 11. 1920). Die Bremische Verfassung erklärte einen Völksentscheid über Einzelheiten des Haushaltsplans für unzulässig, der Haushaltsplan als Ganzes konnte jedoch, wenn zwischen Senat und Bürgerschaft keine Übereinstimmung herrschte, dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden (§ 4 Abs. 2 BremVerf v. 18. 05. 1920). In Hamburg waren allein Besoldungsordnungen und Abgabengesetze ausgenommen (Art. 58 Abs. 3 HambVerf v. 07. 01. 1921), die Landesverfassung von Lippe schloss neben diesen beiden Materien den „Landeskassenvoranschlag" aus (Art. 10 Abs. 5 LippVerf v. 21. 12. 1920). In Lübeck schließlich enthielt die Verfassung, die nur das Referendum regelte, keinen Finanzvorbehalt.
500 Eine Übersicht über die direktdemokratischen Elemente gibt Frotscher DVB1. 1989, 541. 501
„Sparerbund, Hypothekengläubiger- und Sparerschutz verband für das Deutsche Reich
e.V." 502 „Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen (Aufwertungsgesetz)" vom 16. 07. 1925, RGBl. I S. 117 und „Gesetz über die Ablösung öffentlicher Anleihen" vom 16. 07. 1925, RGBl. I S. 137. 503 Hypothekenforderungen um 25%, Staatsanleihen um 15% und Sparguthaben um 12,5%.
7 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata betroffen waren. Das Volksbegehren sah daher vor, den Aufwertungssatz generell auf 50 % des Nennwertes zu erhöhen und auf alle Geldforderungen auszuweiten504.
Die Reichsregierung, die bei einem Erfolg der Initiative schwere Konsequenzen für den Haushalt des Reichs und der Länder, für die Währung und die gesamte deutsche Wirtschaft befürchtete, ging davon aus, dass das Begehren mit dem Haushaltsvorbehalt des Art 73 Abs. 4 WRV nicht vereinbar sei. Sie lehnte den Antrag auf Zulassung mit der Begründung ab, dass die durch die beabsichtigte Aufwertung Begünstigten einen klagbaren Rechtsanspruch gegen das Reich auf Zahlung der Aufwertungsquote erwerben würden. Dies aber würde „von stärkster und unmittelbarster finanzieller Auswirkung auf die haushaltsplanmäßig festzustellenden Ausgaben des Reichs ( . . . ) sein. ( . . . ) Das Reich würde ( . . . ) verpflichtet sein, den Betrag in den Haushaltsplan neu einzustellen, der sich ergibt aus der Erhöhung der Anleiheablösungsschuld gegenüber den Verpflichtungen, die nach den jetzt geltenden Vorschriften bestehen. Das Gesetz würde demnach einen unmittelbaren Einfluß auf den Gesamtbestand des Haushaltsplanes ausüben, und zwar wegen der Höhe der in Betracht kommenden Beträge in einer Weise, die den Haushaltsplan tatsächlich umstoßen würde" 505 . Um die geplante Ablehnung der Initiative des „Sparerbundes" auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage zu stellen, entwarf die Reichsregierung ein Gesetz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Volksentscheid506, in dem solche volksbegehrten Gesetze, die die Folgen der Geldentwertung regelten - womit auch der Entwurf des vorliegenden Völksbegehrens erfasst worden wäre - , dem Reichshaushaltsplan und den Abgabengesetzen i.S.v. Art. 73 Abs. 4 WRV als „gleichgestellt" erklärt werden sollten. Nach Ansicht der Reichsregierung sollte dadurch „zur Vermeidung von Zweifeln" lediglich eine „Klarstellung" der gegebenen Rechtslage erfolgen, denn Art. 73 Abs. 4 WRV sei von der Erwägung getragen, „daß bei Gesetzen finanzieller Natur es nicht schwierig sei, aus den Reihen der unmittelbar betroffenen Interessenten die erforderliche Zahl von Unterschriften zu erhalten, und daß derartige Gesetze auch nicht aus dem Zusammenhange mit dem gesamten Steuer und Wirtschaftsplan herausgenommen werden könnten." Der Bestimmung des Art. 73 Abs. 4 WRV liege „der Gedanke zugrunde, daß nicht ein Teil der Völksgesamtheit die Initiative ergreifen soll, um zuungunsten des anderen Teiles über die Verteilung wirtschaftlicher Lasten Bestimmung zu treffen." 507 . 504 Vgl. hierzu Poetzsch-Heffter JöR 1929, 1 (134). 505 Beschluss der Reichsregierung vom 18. 08. 1926, abgedruckt bei Poetzsch-Heffter JöR 1929, 1 (135). 506 Entwurf für ein „Zweites Gesetz über den Volksentscheid", Reichsdrucks. Nr. 2263 / III. WP., abgedruckt bei Poetzsch-Heffter JöR 1929,1 (134). 507 Reichsdrucks. Nr. 2263/in. WP., abgedruckt bei Poetzsch-Heffter JöR 1929, 1 (134). Die Reichsregierung verweist dabei auf den Bericht des Verfassungsausschusses in: Verhandlungen der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, S. 310-312. Vgl. insbesondere die Äußerungen des Abgeordneten Gröber (S. 310: „Was die Finanzfrage betrifft, so bin ich auch der Überzeugung, daß hier eine Ausnahme gemacht werden muß, da das
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushalts Vorbehalts
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Den Gesetzentwurf, der als „Abdrosselungsgesetz" in Teilen der Literatur heftig bekämpft wurde 508 , zog die Reichsregierung jedoch alsbald wieder zurück, da sich abzeichnete, dass sich im Reichstag nicht die erforderliche Mehrheit finden werde 5 0 9 . Den Antrag zum Volksbegehren lehnte die Reichsregierung aber dennoch mit den genannten Argumenten ab. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung stand den Initiatoren seinerzeit nicht zu 5 1 0 . Der Großteil der juristischen Literatur pflichtete dem weiten Interpretationsansatz der Reichsregierung bei, wonach der Begriff des „Haushaltsplans" mehr umfasse als den formellen Reichshaushalt im technischen Sinne 511 . Eine solch enge Auslegung sei vom Wortlaut nicht gefordert, denn Art. 73 Abs. 4 WRV spreche vom „Haushaltsplan", nicht aber vom „Haushaltsgesetz", so dass es sprachlich möglich sei, auch andere finanzielle Gesetze als „Gesetze über den Haushaltsplan" zu bezeichnen512. Weiterhin ließen die in den Protokollen des Weimarer Verfassungsausschusses dokumentierten Beratungen, aus denen der Art. 73 Abs. 4 WRV hervorgegangen sei, den Grundgedanke erkennen, dass Finanzfragen möglichst der Völksgesetzgebung entzogen werden sollten 513 . Dabei seien die entsprechenden Begriffe gewählt worden, ohne dass der Wortlaut bewusst und scharf abgegrenzt worden sei 5 1 4 , was insbesondere auch daran zu erkennen sei, dass in den BeratunZustandekommen von Steuergesetzen dadurch fast unmöglich gemacht werden könnte; denn es ist nicht schwierig, eine genügende Zahl von Stimmen aus den Reihen der unmittelbar betroffenen Interessenten und sonstigen Gegner gegen irgendein Steuergesetz zusammenzubringen."). 508 Best DJZ 1926, 991; Hachenburg DJZ 1926, 719; Mügel DJZ 1926, 693; ders. DJZ 1926,995; Triepel DJZ 1926, 845; Wunderlich DJZ 1926, 701. 509 Sten. Ber. S. 7583/III. WP, vgl. Poetzsch-Heffter JöR 1929, 1 (135). Das Gesetz wurde, obwohl es lediglich auf eine Änderung des Ausführungsgesetzes zum Volksentscheid abzielte, als verfassungsänderndes Gesetz beurteilt, so dass eine Dreiviertelmehrheit im Parlament für nötig erachtet wurde. 510 Vgl. _ auch zur Frage, ob de lege ferenda ein Rechtsmittel eingeführt werden sollte Kaisenberg ZöR 1927, 169 (187 f.); ders., Volksentscheid und Volksbegehren, S. 38 Anm. 2; C. Schmitt S. 31; Glum JW 1929, 1099. 511 Anschütz; Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 10; Giese Art. 73 Anm. 4; Hansen S. 42; Hatschek S. 344; Kaisenberg ZöR 1927, 169 (189); ders. in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207); Mügel DJZ 1926,693 (699); Poetzsch-Heffter, Handkommentar, Art. 73 Anm. 21; C. Schmitt S. 18 ff. Wohl auch Wittmayer S. 433 („nur zu einzelnen Sonderbestimmungen getroffene und keineswegs geschlossene Einschränkung"). Differenzierend Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (169): es sei „einer engen, aber nicht ganz engen Auslegung der Vorzug zu geben". Unklar Hartwig S. 137: „Mag die Auslegung der Reichsregierung, die sie anläßlich der Aufwertungsvolksbegehren eingenommen hat, richtig sein oder nicht, im Ergebnis ist sie zu billigen". 512 C. Schmitt S.2\. 513 Kaisenberg ZöR 1927, 169 (188 f.). 514 C. Schmitt S. 20 unter Verweis auf die Äußerungen von Keil im Bericht des Verfassungsausschusses (vgl. Fn. 507), S. 294, 296 (Ausschluss von „Besoldungsfragen" und „Haushaltsplan", nicht aber von „Abgabengesetzen"); Cohn, S. 311 (Ausschluss von „Abgabengesetzen"); Koch, S. 311 (Ausschluss von „Haushaltsplan" und „Finanzgesetzen", nicht 7*
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gen mehrmals die allgemeineren Ausdrücke Finanzgesetze bzw. Finanzfragen verwandt worden seien 5 1 5 . I m Übrigen spreche auch der Zweck des Art. 73 Abs. 4 W R V für eine weite Auslegung 5 1 6 : Die Vorschrift diene dem Schutz des Haushaltsplans, der ein geordnetes und ausbalanciertes Gleichgewicht darstelle. Jedes Gesetz, das dieses Gleichgewicht ändere oder störe, sei daher eine Angelegenheit des Haushaltsplans selbst 5 1 7 bzw. zumindest genauso zu behandeln wie der Haushaltsplan 5 1 8 . Der Haushaltsplan könne darüber hinaus nicht nur durch ausdrückliche Änderung eines bestimmten Einzelansatzes betroffen sein, sondern auch dadurch, dass durch ein materielles Gesetz eine bestimmte Ausgabe vorgeschrieben werde, ohne dabei das Wort „Haushaltsplan" zu verwenden 5 1 9 . Zudem wäre die Vorschrift bei einer engen Auslegung in der Praxis so gut wie bedeutungslos, denn die Initianten seien überhaupt nicht in der Lage, einen ausgearbeiteten und ins Gleichgewicht gebrachten Reichshaushaltsplan, der alle Übersichten über die Einnahmen und Ausgaben des Reiches enthält, zustande zu bringen 5 2 0 . Auch für viele andere Finanzfragen könne das Volk weder das nötige Verständnis noch die erforderliche Objektivität aufbrin-
aber bestimmter „Finanzfragen"); Gröber, S. 312 (Ausschluss von „Haushaltsplan", „Abgabengesetzen" und „Besoldungsordnung") und Saemisch, S. 312 (Ausschluss des „Etats", der „Steuergesetze" und „Besoldungsordnungen"). 515 C. Schmitt S. 20 mit Verweis auf die Äußerungen von Koch im Bericht des Verfassungsausschusses (vgl. Fn. 507), S. 308 („Ich erwähne noch, daß in dem letzten Absatz unseres Antrags nachgefügt werden soll: 'Auf den Haushaltsplan und auf die Finanzgesetze findet diese Bestimmung keine Anwendung.'") und S. 311 ( „ [ . . . ] aber ich möchte doch auch nicht, daß in einem parlamentarischen Staate dem Volke die Möglichkeit verschlossen wird, sich über solche Finanzfragen zu äußern, deren Folgen es durch die Steuerbelastung besonders zu tragen hat."); Katzenstein, S. 310 (" In der Frage der Finanzgesetze muß ich zugeben, daß den vom Abgeordneten Gröber angeführten Gründen großes Gewicht beizulegen ist."); Delbrück, S. 311 („Daß das Referendum infinanziellen Fragen ausgeschlossen werden muß, ist von den Vorrednern ja schon genügend begründet worden. [ . . . ] Ich halte es für ausreichend, wenn mit den drei Ausnahmen: der Auflösung des Reichstags, der Finanzgesetze und der Verfassungsänderung dem Reichspräsidenten allgemein die Ermächtigung gegeben wird, ein Referendum herbeizuführen.") und Quarck, S. 312 („Was die Frage der Finanzen betrifft, so gebe ich zu, daß es bei großen Steueraktionen mißlich ist, einen Teil herauszureißen und der Volksabstimmung zu unterstellen, ja, ich gehe sogar so weit, anzunehmen, daß eine Volksabstimmung in Finanzfragen kaum rätlich ist."). (Kursivdruck jeweils nicht im Original) 516 Mit bloßem Verweis auf die ratio legis, ohne diese zu erklären, auch Giese Art. 73 Anm. 4 und Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 10 Fn. 1. 517 c. Schmitt S. 24. 518 Kaisenberg ZöR 1927, 169(191). 519 Kaisenberg ZöR 1927, 169(189). 520 c. Schmitt S. 21.
521 Hartwig S. 137.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Die Gegenauffassung lehnte die weite Interpretation des Finanzvorbehalts jedoch entschieden ab 5 2 2 . Mit dem Begriff des Haushaltsplans i.S.v. Art. 73 Abs. 4 WRV sei allein der Haushaltsplan im technischen Sinne, also die Anlage zum Gesetz zur Feststellung des Reichshaushaltsplans - einschließlich der Nachtragshaushalte - gemeint 523 . Es handele sich hier dem Wortlaut nach um einen ganz eindeutigen Begriff des Reichsstaatsrechts, der auch in Art. 85 WRV gebraucht werde 524 . Aus der Aufzählung von Haushalt, Abgabengesetzen und Besoldungsordnungen in Art. 73 Abs. 4 WRV sei zudem zu schließen, dass von allen Gesetzen, die lediglich einen Einfluss auf den Haushaltsplan haben, eben nur Abgaben- und Besoldungsordnungen ausgeschlossen sein sollten 525 ; die Verfassung hätte, wenn sie darüber hinaus weitere finanzwirksame Gesetze ausnehmen wolle, dies - wie es später in der Preußischen Verfassung erfolgt sei 5 2 6 - durch den Begriff „Finanzfragen" ausdrücken können, was aber gerade nicht der Fall sei 5 2 7 . Daher dürfe auch keine analoge Ausdehnung auf andere Gesetze finanziellen Inhalts erfolgen 528 , was sich darüber hinaus daraus ergebe, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handele, die das in Art. 73 Abs. 2 und 3 WRV grundsätzlich unbegrenzt gewährte Volksinitiativrecht einschränke 529. Auch die Protokolle des Weimarer Verfassungsausschusses sprächen für eine enge Auslegung 530 . Der Verfassungsausschuss habe die drei Arten von Gesetzen, die er vor Völksinitiative und Referendum schützen wollte, nicht etwa willkürlich, sondern mit allem Bedacht und nur schrittweise - erst den Haushaltsplan, dann die Abgabengesetze, dann die Besoldungsordnungen - in den Text eingefügt. Für jede Ausnahme vom allgemeinen Prinzip sei bei den Verhandlungen ein besonderer Grund angeführt worden 531 . Die Äußerung des Abgeordneten Keil, der mit dem Begriff des „Haushaltsplans" beabsichtigt habe, nur den Etat in seiner Gesamtheit von der Volksabstimmung auszunehmen, sei prägend für das Verständnis dieses Begriffs im Verfassungsausschuss geworden, so dass sich alle Anträge, in denen das Finanztabu thematisiert worden sei und auf denen im Wesentlichen auch der 522 Glum JW 1929, 1099 (1100); Merk AöR 1930, 83 (88 f.); Triepel AöR 1920,456 (507); ders. DJZ 1926, 845 (847). Ebenso in jüngster Zeit Jung Der Staat 1999, 41 (60 ff.) und kritisch auch SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238). 523 Merk AöR 1930,83(91). 524 Glum JW 1929, 1099 (1100). 525 Triepel DJZ 1926, 845 (847). 526 Art. 6 Abs. 3 PreußVerf: „Über Finanzfragen, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen ist ein Völksbegehren nicht zulässig". 527 Triepel DJZ 1926, 845 (847). 528 Glum JW 1929, 1099 (1100); Merk AöR 1930, 83 (88 f.); Triepel AöR 1920,456 (507); ders. DJZ 1926, 845 (847). 529 Merk AöR 1930,83(91). 530 Vgl. hierzu auch die ausführlichen Zitate aus den Protokollen bei Waldhoff S. 151 ff. 531 Triepel DJZ 1926, 845 (848) unter pauschalem Verweis auf die S. 294 ff. und 306 des Berichts des Verfassungsausschusses (vgl. Fn. 507).
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Art. 73 Abs. 4 WRV beruhe, auf den „Haushaltsplan" in diesem Sinne bezogen hätten 532 . Soweit in den späteren Beratungen auch der weitere Begriff der „Finanzgesetze" verwendet worden sei, sei dieser gerade nicht in den Wortlaut des Art 73 Abs. 4 WRV übernommen worden 533 . Schließlich wurde auch die von der Reichsregierung dem Art. 73 Abs. 4 WRV beigelegte Zweckbestimmung angezweifelt: Sinn der Norm sei es nicht, zu verhindern, dass ein Teil des Volkes zuungunsten anderer Volksteile über die Verteilung wirtschaftlicher Lasten bestimme, denn sonst gäbe es nur wenige Gesetze, die der Volksgesetzgebung zugänglich wären, da schließlich die überwiegende Anzahl der Gesetze mit z.T. recht erheblichen Ausgaben verbunden seien 534 . Zuletzt sei es auch - zumindest theoretisch - denkbar, dass sogar ein Haushaltsgesetz im Wege des Volksbegehrens eingebracht werde, und selbst wenn dies praktisch kaum durchführbar sein sollte, so sei es juristisch jedenfalls gar nicht so ungewöhnlich, diese Möglichkeit zu verbieten 535 . Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass - trotz gewichtiger Gegenstimmen - die überwiegende Auffassung zu Art. 73 Abs. 4 WRV im Einklang mit der Staatspraxis nicht nur den Haushaltsplan als solchen von der Volksgesetzgebung ausnahm, sondern eine weite Auslegung des Finanztabus bevorzugte 536 . In der weiteren Staatspraxis erlangte diese Problematik keine weitere Bedeutung, denn das Volksbegehren des „Sparerbundes" war der einzige Fall, in
532 Merk AöR 1930, 83 (90) mit Verweis auf die Äußerung von Keil im Bericht des Verfassungsausschusses (vgl. Fn. 507), S. 295 f. („Wir schlagen das fakultative Referendum vor, und wir wollen nur davon ausnehmen den Etat und Gesetze, die vom Reichstag für dringlich erklärt worden sind [ . . . ] . Schließlich mache ich darauf aufmerksam, daß wir, wie auch die Herren Demokraten vorschlagen, den Haushaltsplan von der Volksabstimmung ausnehmen wollen. Der Etat in seiner Gesamtheit ist in keinem der Staaten, die Völksabstimmung haben, der Volksabstimmung unterworfen. Dagegen gibt es in den meisten Kantonen der Schweiz und in etwa einem Drittel der amerikanischen Staaten ein sog. Finanzreferendum, d. h. Abstimmungen über einzelne Finanzfragen, z. B. Genehmigung gewisser Ausgaben und Anleiheaufnahmen, wenn sie eine bestimmte Summe überschreiten. Eine Völksabstimmung über den Etat würde zu einer Lähmung der Verwaltung führen, die wir nicht wünschen können.") und den Antrag Ablaß u. Gen. Nr. 169 im Bericht des Verfassungsausschusses, S. 307 („Eine Völksabstimmung hat ferner stattzufinden, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Die Völksabstimmung findet erst statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag verhandelt worden ist. Auf den Haushaltsplan findet diese Bestimmung keine Anwendung.") (Kursivdruck jeweils nicht im Original). 533 Glum JW 1929, 1099(1100). 534 Merk AöR 1930, 83 (92); Triepel DJZ 1926, 845 (848); Glum JW 1929,1099 (1101). 535 Glum JW 1929, 1099 (1100). 536 Kritisch hierzu Bugiel S. 202; Jung Der Staat 1999, 41 (67): Die herrschende Ansicht einer weiten Auslegung würde etatistische Gesichtspunkte zu sehr den Volksrechten überordnen und sei von einer „repräsentativ-demokratischen Misanthropie" der im Kaiserreich sozialisierten Hochschullehrer getragen, die der demokratischen Republik zumeist distanziert, bestenfalls neutral gegenüberständen.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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dem einem Volksbegehren als den „Haushaltsplan" betreffend die Zulassung verweigert wurde. Die Gegenstände zweier weiterer nach Art. 73 Abs. 4 WRV als unzulässig erklärter Volksbegehren von 1925 537 und 1927 538 wurden von der Reichsregierung als „Abgabengesetze" eingestuft 539. Vereinzelt wurden allerdings darüber hinaus in der Literatur weitere Volksbegehren als den Haushaltsplan betreffend für unzulässig erachtet: das Volksbegehren zur Revision des YoungPlans 540 und das Volksbegehren gegen das Panzerkreuzerverbot 541. Die Reichs537 Der „Reichsbund für Siedlung und Pachtung" beantragte 1925 die Zulassung eines Volksbegehren, das im Wege einer Änderung des Reichssiedlungsgesetzes die Zahlung einer einmaligen Vermögensabgabe zugunsten von Kriegsbeschädigten vorsah. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, es handele sich bei der Vermögensabgabe um Abgaben i.S.v. Art. 73 Abs. 4 WRV. 538 Gegen die Folgen der Aufwertungsgesetze richtete sich auch das 1927 beantragte Volksbegehren der „Reichsarbeitsgemeinschaft der Aufwertungsgeschädigten und Mieterorganisation". Diesem lag der Entwurf eines „Gesetzes zur Wiederherstellung des Volksvermögens" zugrunde, der die Restitution bestimmter vor dem 01.01. 1924 begründeter Ansprüche nebst entsprechender Zinsen sowie die Zahlung dieser Zinsen an eine „Überleitungsstelle" vorsah, soweit sie 2,25 % überstiegen. Die derart gesammelten Gelder sollten dann gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung gestellt werden. Die Reichsregierung lehnte die Zulassung des Völksbegehrens ab, da es auf ein Abgabengesetz gerichtet sei: Die der Überleitungsstelle zufließenden Zinsbeträge seien öffentliche Abgaben, weil sie der Erfüllung öffentlicher Zwecke dienten und die Überleitungsstelle den Charakter einer öffentlich-rechtlichen Anstalt habe.
539 Siehe zu den weiteren Volksbegehren die ausführlichen Darstellungen bei PoetzschHeffter JöR 17 (1929), 1 (131 ff.) sowie in neuerer Zeit Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 177 ff.; Jung, Direkte Demokratie in der Weimarer Republik, passim; Schiffers, passim. 540 Das 1929 u. a. vom „Stahlhelm" und der „Deutschnationalen Volkspartei" beantragte Volksbegehren enthielt den Entwurf eines „Gesetzes gegen die Versklavung des Deutschen Volkes", in dem die Reichsregierung u. a. verpflichtet wurde, das Kriegsschuldanerkenntnis im Versailler Vertrag zu widerrufen und neue, auf diesem beruhende Reparationsverpflichtungen nicht mehr zu übernehmen. Dies betraf insbesondere den „Young-Plan" über die Neuregelung der Reparationszahlungen, der gegenüber dem geltenden „Dawes-Planes" von 1924 eine Senkung und Befristung der Belastungen vorsah. Nach erfolgreicher Durchführung des von der Reichsregierung zugelassenen Volksbegehrens fand am 22. 12. 1929 ein Volksentscheid statt, der jedoch ohne Erfolg blieb, da sich nicht die nach Art. 75 WRV erforderliche Mehrheit der Stimmberechtigten an ihm beteiligt hatten. - Nach Ansicht von Anschütz, Staatsrechtliche Betrachtungen zum Volksbegehren, Frankfurter Zeitung vom 13. 11. 1929, Nr. 847, zitiert in: Merk AöR 19 n.F. (1930), 83 (89) sei der Haushaltsplan des Reichs hier wesentlich betroffen gewesen, da durch die Annahme des begehrten Gesetzes der Young-Plan verworfen und der Dawes-Plan wieder in Kraft gesetzt worden wäre, aus dem für das Reich eine finanzielle Mehrbelastung größten Ausmaßes erwachsen wäre. A.A. dagegen Hansen S. 43 f. Fn. 70. Kritisch hierzu Rux DVB1. 2001, 549 (550). 541 1928 beantragte die Kommunistische Partei ein Volksbegehren gegen den von der Reichsregierung beschlossenen Bau von Panzerkreuzern. Das Begehren wurde zwar zugelassen, scheitelte aber daran, dass die erforderliche Stimmenzahl von einem Zehntel der Stimmberechtigten nicht erreicht wurde. Bilfinger AöR 1929, 416 (435) sah in dem Volksbegehren einen „Ängriff gegen den Haushaltsplan", da es eigentlich auf eine Streichung des entsprechenden, die Mittel für den Bau des Panzerkreuzers enthaltenen Haushaltspostens ziele.
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regierung hatte beide Volksbegehren jedoch ohne weitere Problematisierung dieser Frage zugelassen.
2. Grammatikalische, systematische und historische Aspekte Die Argumente aus der Weimarer Zeit für ein enges oder weites Verständnis des Haushaltsvorbehalts haben auch in der heutigen Diskussion um die Auslegung des Finanztabus in den gegenwärtigen Landesverfassungen nicht an Aktualität verloren. Anknüpfend an den dargestellten Streitstand zu Art. 73 Abs. 4 WRV sollen im Folgenden die allgemeinen Ausschlusstatbestände der geltenden Verfassungen nach Wortlaut, Gesetzeszusammenhang und Entstehungsgeschichte untersucht werden, bevor im Anschluss eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Finanzausschlussklauseln erfolgt. a) Wortlaut Den Ausgangspunkt für die Auslegung einer Rechtsnorm bildet der Wortlaut. Die unterschiedlichen Formulierungen der Ausschlussklauseln sieht die bisher überwiegende Rechtsprechung allerdings nicht als Hindernis für eine weite Auslegung an und erstreckt deren Anwendung jedenfalls über den Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz als solche hinaus. So führt der Bay VerfGH aus, unter dem von Art. 73 BayVerf verwendeten Begriff „Staatshaushalt" sei nach allgemeinem Sprachgebrauch die Gesamtheit der Einnahmen und Ausgaben des Staates zu verstehen 542 ; diese seien nicht nur durch den Haushaltsplan und das formelle Haushaltsgesetz bestimmt, sondern fänden auch in zahlreichen anderen Gesetzen ihren Niederschlag, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Staatshaushalt auswirkten 5 4 3 . In den Ländern, deren Verfassungen in der Finanzausschlussklausel die Begriffe „Haushalt des Landes" bzw. „Landeshaushalt" verwenden 544, wird diese Ansicht von den jeweiligen, bisher mit dieser Frage befassten Verfassungsgerichten geteilt: Da die Haushaltsgewalt auch im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebung ausgeübt werde, stehe hier der Wortlaut einer extensiven Auslegung zumindest nicht entgegen545. Und schließlich erlaube selbst der engere, in Bremen und Hes542 BayVerfGHE 29, 244 (267). 543 BayVerfGHE 29, 244 (268 f.). 544 in Berlin (Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf), Bremen (für Bürgeranträge, Art. 87 Abs. 2 S. 2 BremVerf), Brandenburg (Art. 76 Abs. 2 BrandVerf), Mecklenburg-Vorpommern (für Volksinitiativen, Art. 59 Abs. 2 MV-Verf), Niedersachsen (Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf), Schleswig-Holstein (Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf) und Thüringen (Art. 68 Abs. 2 und Art. 82 Abs. 2 ThürVerf). 545 BVerfGE 102, 176 (185); BrandVerfG LKV 2002, 77 (77 f.); 2002, 31 (39). Das BVerfG konstatiert allerdings a. a. O., der Begriff ließe zumindest auch die Deutung zu, es seien nur Initiativen mit gesetzlichen Regelungen unzulässig. Ebenso vage das BrandVerfG
ThürVerfGH ThürVBl. sei nicht eindeutig und unmittelbar haushaltsa. a. O., nach dem es
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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sen verwendete und mit Art. 73 Abs. 4 W R V übereinstimmende Begriff des „Haushaltsplans" 5 4 6 nach Ansicht des BremStGH ein solches weites Verständnis, denn diese Formulierung sei nicht „rein wörtlich", sondern „ i n einem weiteren Sinne" zu verstehen 5 4 7 und müsse daher nicht auf den Haushaltsplan als solchen beschränkt werden. A u f einen Vergleich mit dem Wortlaut anderer Landesverfassungen komme es dabei nicht an; dass die bayerische Verfassung etwa den Begriff „Staatshaushalt" oder andere Landesverfassungen den Begriff der „Finanzfragen" verwendeten, sei daher ohne Bedeutung 5 4 8 . Der SächsVerfGH verweist demgegenüber auf den unterschiedlichen Wortlaut in den einzelnen Landesverfassungen und versteht den Begriff der „Haushaltsgesetze" in Art. 73 Abs. 1 SächsVerf 5 4 9 als „terminus technicus", der allein die periodisch zu beschließenden Gesetze über den gesamten Landeshaushalt als solchen bezeichne 5 5 0 . Auch in der Literatur wird zum Teil aus den Unterschieden in den landesverfassungsrechtlichen Formulierungen auf einen jeweils verschiedenen Bedeutungsumfang geschlossen 551 : Während der Begriff der „Finanzfragen" bzw. „finanzwirksame Gesetze" vom Wortlaut her die weitest mögliche Fassung des Finanzvorbehalts darstelle 5 5 2 , sei der Begriff des „(Staats- bzw. Landes-)Haushalts"
„eher gegen" ein weites Verständnis spreche, dass der Begriff „Haushalt" als ein den Haushaltsplan und das Haushaltsgesetz umfassender Oberbegriff verstanden werden könne, und dass dem Verfassungsgeber auch eine andere Formulierung wie „Finanzfragen" möglich gewesen sei. Das Gleiche räumt der ThürVerfGH a. a. O. ein, hält aber die Möglichkeit eines weiten Verständnisses „ohne weiteres" für gegeben. 546 In Bremen für Volksentscheide gem. Art. 70 Abs. 2 BremVerf und in Hessen gem. Art. 124 Abs. 1 S. 3 Hess Verf. 547 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389), wobei das Gericht allerdings im Unklaren lässt, ob es die Einbeziehung einfacher finanzwirksamer Gesetze als eine noch vom Wortsinn gedeckte Auslegung oder bereits als eine analoge Anwendung der Haushaltsausschlussklausel versteht. Für Letzteres spricht die Aussage, die Ausschlussklausel sei „über eine rein wörtliche Interpretation hinaus" zu verstehen, da sie „durch eine wörtliche Interpretation ( . . . ) ihre eigentliche Funktion einbüßen würde". In diesem Sinne verstehen das Urteil auch Jung NordÖR 1998, 281 (282) und Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300), die von einer „erweiternden Auslegung" und „Rechtsfortbildung" durch das Gericht sprechen. 548 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). Nicht ganz so entschieden, im Ergebnis aber ebenso ablehnend gegenüber einem Rechtsvergleich der Formulierungen BrandVerfG LKV 2002, 77 (78). 549 Ebenso in Mecklenburg-Vorpommern (für Volksbegehren, Art. 69 Abs. 2 MV-Verf) und Sachsen-Anhalt (Art. 81 Abs. 1 S. 3 SAnhVerf). Ähnlich, aber im Singular in BadenWürttemberg (Art. 60 Abs. 6 BW-Verf): „das Staatshaushaltsgesetz". 550 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238). 551 Ausdrücklich Jung NVwZ 2002, 41 f.; Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (37), Rux DVB1. 2001, 549 (550) - anders dagegen ders. LKV 2002, 252 (253). Keine praktische Bedeutung habe der terminologische Unterschied dagegen nach Abelein ZParl 1971, 187 (194); Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 303; Jürgens S. 135. 552 Jung Der Staat 1999, 41 (44); Jürgens S. 134; Süsterhenn/Schäfer Art. 109 Erl. 3 a) aa); Rux DVB1. 2000, 549 (550); ders. LKV 2002, 252 (253).
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rein sprachlich schon weniger weit gefasst 553, und die engste Formulierung hätten die Verfassungen in Baden-Württemberg mit dem Begriff „Staatshaushaltsgesetz" und in Bremen und Hessen mit dem Begriff „Haushaltsplan" gewählt 554 . Anders als die überwiegende Rechtsprechung, die diese Unterschiede der Formulierungen ignoriere, müsse man die Beschränkung der Verfassungen beim Wort nehmen und die Tatbestandsmerkmale des „Haushaltsplans" oder des „Haushaltsgesetzes" entsprechend eng auf Haushaltsplan bzw. Haushaltsgesetz im technischen Sinne beziehen 555 . Das Gleiche gelte auch für die Begriffe „Staatshaushalt" bzw. „Haushalt des Landes" 556 , denn der Landeshaushalt werde durch das Haushaltsgesetz festgestellt, so dass die Begriffe „Haushaltsplan" und "-gesetz" mit dem des „Staatshaushalts" identisch seien 557 . Ob der Wortlaut der Finanzvorbehaltsklauseln die Einbeziehung der finanzwirksamen Einzelgesetze umfasst, ist anhand des konkreten Bedeutungsinhalts zu überprüfen. Wie bereits oben dargestellt bezeichnet der Begriff des „Haushaltsplans" als rechtstechnischer Begriff das die Einnahmen und Ausgaben für einen bestimmten Zeitraum feststellende, aus Gesamt- und Einzelplänen bestehende Zahlenwerk als Kernstück des Haushaltsgesetzes, welches neben der Feststellung des Haushaltsplans weitere finanzwirtschaftliche Regelungen, insbesondere die Kreditermächtigung der Regierung enthält 558 . Haushaltsplan und Haushaltsgesetz spiegeln somit die gesamte finanzielle Situation des Landes, m.a.W. den gesamten Staatshaushalt wider. Integrierter Bestandteil des Haushalts sind damit auch alle Einnahmen und Ausgaben, die auf Gesetzen beruhen, da zwischen den Einzelgesetzen und dem Haushaltsgesetz - wie gezeigt - ein untrennbarer innerer Zusammenhang besteht 559 . Weil alle Einnahmen- und Ausgabengesetze im Haushaltsplan abgebildet werden, liegt es noch innerhalb des Wortsinnes, diese finanzwirksamen Gesetze ebenfalls als Gesetze über den Staatshaushalt560 und somit auch über den Haus553 Jung NVwZ 2002, 41; ders. Der Staat 1999, 41 (44); Rux DVB1. 2001, 549 (550). Noch entschiedener Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (37), der den Begriff „Staatshaushalt" in Art. 73 BayVerf als den engsten Begriff ansieht. 554 Jürgens S. 134; Rux DVB1. 2001, 549 (550). Den Begriff des „Staatshaushaltsgesetzes" hält Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 180 am engsten, den Begriff des „Haushaltsplans" am engsten halten dagegen Jung NVwZ 1998, 372 (373); ders. Der Staat 1999, 41 (44) und Preuß/Rinken, Sondervotum zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300), nach denen aber eine erweiternden Auslegung „bis zur Grenze des funktionell unabdingbar Notwendigen zulässig" sei. 555 j Ung NVwZ 1998, 372 (373); Rux DVB1. 2001, 549 (550), der a. a. O. Fn. 13 eine Ausnahme macht, wenn der Finanzausschluss umgangen zu werden droht. Vgl. auch H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 16, der insoweit auf die Regelung zum „Haushaltsgesetz" in Art. 132 BremVerf verweist. 556 Schweiger BayVBl. 2002, 65 (69) und tendenziell wohl auch Jung NVwZ 2002, 41 (42). 557 Schweiger BayVBl. 2002, 65 (69). 558 Siehe oben unter C 11 a. 559 Siehe oben unter C 1 1 c.
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haltsplan bzw. das Haushaltsgesetz zu begreifen 561. Ein solches weites Verständnis legt insbesondere die Finanzausschlussklausel des Art. 70 Abs. 2 BremVerf nahe, wonach ausdrücklich auch Volksentscheide „über Einzelheiten solcher Gesetzesvorlagen" unzulässig sind; damit wird klargestellt, dass nicht nur der Haushaltsplan insgesamt, sondern auch gesonderte Teilaspekte, die sich gerade in einzelnen haushaltswirksamen Gesetzen ausdrücken können, erfasst sind 562 . Eine maßgebende semantische Bedeutung lässt sich im Übrigen jedoch weder daraus ableiten, ob die ausgeschlossene Materie im Singular oder im Plural bezeichnet wird 5 6 3 , noch aus den Formulierungen, dass Volksentscheide „über" 5 6 4 den oder „zum" 5 6 5 Haushaltsplan bzw. Haushaltsgesetz unzulässig sind oder der Haushaltsplan als „Gegenstand" 566 des Volksbegehrens ausgeschlossen ist; diese Formulierungen lassen somit schon vom Wortlaut her für eine weite Interpretation ausreichend Spielraum, so dass sich hieraus eine einschränkende Auslegung nur bezogen auf das den Haushalt bzw. das Haushaltsgesetz als solches nicht zwingend folgern lässt 567 .
b) Systematik Im Rahmen einer systematischen Auslegung stellt die traditionelle Rechtsprechung unter Heranziehung der übrigen Normen der Haushaltsverfassung sowohl 560 Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486, (487); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 180. Insoweit bezeichnet selbst Jung NVwZ 1998, 372 (373) die Formulierung „Staatshaushalt" als „weiter und schon mehrdeutig". 561 Vgl. Jach DVP 1999, 179 (183) und Jutzi ZG 2003, 273 (280): „materiell gleichbedeutend" bzw. „identisch"; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 180, der allerdings das „Staatshaushaltsgesetz" in Art. 60 Abs. 6 BW-Verf ausnimmt. 562 Auf diese Regelung weist auch Jung NVwZ 1998, 372 (373) hin, ohne jedoch auf deren Folgen für den Finanzausschluss in Art. 70 Abs. 2 BremVerf einzugehen. 563 Spannhake s. 31 f. Fn. 23. Die „Haushaltsgesetze" bzw. die „Gesetze über den Staatshaushalt" werden in der Mehrzahl, der „(Landes- bzw. Staatshaushalt", der „Haushaltsplan" und das „Staatshaushaltsgesetz" in der Einzahl genannt. Ebenso SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238), der allerdings im Ergebnis für einen engen Anwendungsbereich argumentiert. 564 Neben Bremen auch in Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein. Eine Bedeutung im Sinne einer engen Interpretation will dagegen Jung NVwZ 2002, 41 dieser Formulierung beimessen, ohne dies jedoch näher zu erläutern. 565 So in Berlin, Brandenburg, Bremen und Thüringen. Vgl. insoweit auch zur Entstehungsgeschichte des Art. 42 Abs. 2 SchlH-Verf Jach DVP 1999, 179 (183 Fn. 56, 57). 566 Neben Hessen auch in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern (bei Volksbegehren), Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. 567 Doch selbst wer hier für einzelne Formulierungen zu einem engeren Verständnis neigen sollte, müsste dann zumindest die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung der Klausel im Wege der Analogie in Betracht ziehen, wenn sich ergibt, dass für finanzielle Einzelgesetze eine Regelunglücke gegeben ist und eine entsprechende Anwendung nach Sinn und Zweck der Finanzvorbehaltsklausel geboten ist.
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auf sprachliche Parallelen als auch auf die inhaltliche Beziehung der Normen untereinander innerhalb des Verfassungskontextes ab. So sei nach dem BayVerfGH in sprachlicher Hinsicht der in der Bayerischen Verfassung an anderer Stelle verwendete Begriff des „Staatshaushalts" nicht mit einem eindeutig festgelegten Inhalt belegt, sondern werde zum Teil weiter i. S. d. Gesamtheit aller Einnahmen und Ausgaben 568 , zum Teil enger i.S.v. „Haushaltsgesetz" 569 verstanden 570. Allerdings - so führt der BayVerfGH im Anschluss aus bezögen sich diese Normen zur Gewährleistung eines geordneten Staatshaushalts letztlich aber doch auf alle öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, die eben nicht nur im Haushaltsplan selbst, sondern auch durch andere Gesetze begründet würden 571 . Nach dem ThürVerfGH führe ein bloßer sprachlicher Vergleich der einzelnen Formulierungen der ThürVerf ebenfalls nicht weiter, da der Begriff des „Landeshaushalts" in der Vorbehaltsklausel des Art. 82 Abs. 2 ThürVerf in den übrigen finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht vorkomme, sondern in diesen lediglich vom „Haushaltsplan", „Haushaltsgesetz" und „Haushalt" die Rede sei 5 7 2 . Der ThürVerfGH - und ebenso das BVerfG - verweisen allerdings auf den Gesamtkontext zu einzelnen Regelungen, die die haushaltsrechtliche Aufgabenverteilung zwischen Regierung und Parlament festlegen, indem sie einerseits dem Parlament die Feststellung des Haushaltsplans und andererseits der Regierung die Budgetinitiative und die Möglichkeiten der vorläufigen Haushaltsführung sowie über- bzw. außerplanmäßiger Ausgaben zuweisen; in dieses „austarierte Zusammenwirken" könnte durch wesentlich haushaltswirksame Volksgesetzgebung auch außerhalb des Budgetprozesses selbst eingegriffen werden, was der Finanzvorbehalt verhindern solle 573 . Darüber hinaus zeige sich in denjenigen Verfassun-
568 Unter Verweis auf den am 01. 01. 2000 aufgehobenen Art. 40 BayVerf: „Der Senat ist dazu berufen, zu den Gesetzesvorlagen der Staatsregierung auf deren Ersuchen gutachtlich Stellung zu nehmen. Die Staatsregierung soll diese Stellungnahme bei allen wichtigen Angelegenheiten einholen; sie muß es tun bei dem Gesetz über den Staatshaushalt, bei verfassungsändernden Gesetzen und bei solchen Gesetzen, die dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden sollen." und in Art. 70 Abs. 2 BayVerf: „Auch der Staatshaushalt muß vom Landtag durch formelles Gesetz festgestellt werden." 569 Unter Verweis auf Art. 78 Abs. 2 BayVerf: „Wird der Staatshaushalt im Landtag nicht rechtzeitig verabschiedet, so führt die Staatsregierung den Haushalt zunächst nach dem Haushaltsplan des Vorjahrs weiter." 570 BayVerfGHE 29, 244 (263 f.). Vgl. dagegen die im Einzelnen abweichende Auslegung von Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391, Fußn. 7): Der auch in Art. 78 Abs. 4 BayVerf gebrauchte Begriff Staatshaushalt meine den Gesamtetat, also das Haushaltsgesetz im Ganzen, während der in Art 78 Abs. 1 - 5 sowie 79 BayVerf verwendete Begriff Haushaltsplan nur die im Haushaltsplan eingesetzten Einzelposten meine. 571 BayVerfGHE 29, 244 (269) ohne konkrete Bezugnahme auf bestimmte Regelungen. 572 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (39). 573 BVerfGE 102, 176 (186) unter Verweis auf Art. 37, 50, 51 und 52 SchlH-Verf; ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40) unter Verweis auf Art. 98, 99, 100, 101 ThürVerf. Hierbei ist zu beachten, dass bereits teleologische Aspekte in die systematische Begründung mit einflie-
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gen, die der Landesregierung das ausschließliche Recht der Budgetinitiative zugeschrieben haben 574 , dass das Volk ohnehin nicht an der förmlichen Haushaltsgesetzgebung beteiligt sei, so dass dem Finanztabu bei enger Auslegung nur eine deklaratorische Bedeutung ohne eigenständigen Regelungsgehalt zukommen würde 575 . Die Gegenmeinung vertritt dagegen, dass die Systematik eher gegen eine weite Auslegung spreche. Da die Finanzvorbehaltsklausel eine Ausnahmeregelung von der grundsätzlich zulässigen Völksgesetzgebung darstelle - was insbesondere für Art. 73 BayVerf auch aus dessen Voranstellung vor die in Art. 74 Bay Verf folgenden Vorschriften über Volksentscheid und Volksbegehren zum Ausdruck komme 576 - , müsse das Finanztabu entsprechend eng ausgelegt werden 577 . Dessen Vergleich mit den von der herrschenden Rechtsprechung herangezogenen, das „austarierte" Zusammenwirken von Regierung und Parlament betreffenden Normen sei nicht weiterführend, da parlamentarischer Gesetzgeber und Volksgesetzgeber von der Verfassung als gleichberechtigt anerkannt seien und Reibungsverluste und Koordinationsschwierigkeiten im Verhältnis von Exekutive und Legislative hinzunehmen seien 578 . Der Finanzvorbehalt könne selbst dann auf den Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz beschränkt werden, wenn diese Materie der Volksgesetzgebung schon aufgrund anderer Verfassungsvorschriften ausdrücklich entzogen sei, denn die deklaratorische Wiedergabe bereits bestehender Normen sei an sich nicht ungebräuchlich 579. Darüber hinaus würden aber auch nicht alle Verfassungen eine solche ausdrückliche Zuweisung der Budgetinitiative an die Regierung enthalten z. B. in Sachsen oder in Brandenburg - , so dass dem Finanztabu hier etwa für den ßen. Gänzlich ablehnend gegenüber dieser Argumentation dagegen BrandVerfG LKV 2002, 77 (79). 574 Art. 66 Abs. 2 S. 1 HambVerf; Art. 61 Abs. 3 MV-Verf; Art. 93 Abs. 3 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 3 SchlH-Verf und Art. 99 Abs. 3 S. 1 ThürVerf. 575 BVerfGE 102, 176 (186) und ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). Zustimmend Rux LKV 2002, 252 (253). Für Bayern und Bremen, deren Verfassungen derartige Bestimmungen nicht enthalten, argumentieren der BayVerfGHE 29, 244 (267) und der BremStGH NVwZ 1998, 388 (389) ähnlich: Haushaltsplan und -gesetz seien ohnehin - wegen ihrer Komplexität - ausgeschlossen. A.A. dagegen BrandVerfG LKV 2002, 77 (79), das diesen Hinweis für „nur bedingt stichhaltig" hält; ebenso SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (239 f.). - Siehe hierzu sogleich unter C III 3 a. 576 Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392). In allen anderen Ländern ist das Finanztabu als nachgeordneter Absatz oder Satz in die die Volksgesetzgebung regelnde Norm oder in eine nachgestellten Bestimmung aufgenommen. 577 Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392) zu Art. 73 BayVerf.; Jung NVwZ 2002, 41 (42) und Rux DVB1. 2001, 549 (551) zu Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf, wobei letzterer dem Finanzvorbehalt allerdings nicht nur das formelle Haushaltsgesetz als solches unterstellen will, sondern auch solche Gesetze, die den Gesamtbestand des Haushalts in Frage stellen, Rux a. a. O. S. 552. 578 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (237); ebenso bereits BrandVerfG LKV 2002, 77 (79). 579 Schweiger in: Nawiasky/ Schweiger /Knöpfle Art. 73 Rdnr. 7.
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Fall, dass eine Volksinitiative einen einzelnen Haushaltsansatz im laufenden Haushaltsverfahren betreffe, ein eigenständiger Regelungsgehalt zukomme 580 . Weiter spreche die generelle Einordnung der Finanzausschlussklauseln in den Abschnitt „Gesetzgebung" der meisten Verfassungen 581 für eine enge Auslegung der Begriffe „Staatshaushalt", „Haushaltsplan" etc. in der Weise, dass hierdurch die Gesetzgebung ermöglicht und nicht etwa verhindert werde 582 . Und schließlich ergebe sich ein solch enges Verständnis auch aus dem Umstand, dass - abgesehen von Bayern - neben dem Begriff des Haushalts, Haushaltsplan etc. noch weitere Elemente - Abgaben, Besoldungsordnungen etc. - aufgeführt seien, die bei einer weiten Auslegung zu überflüssigen Fallbeispielen herabgestuft würden 583 . Im Rahmen dieser systematischen Auseinandersetzung ist zunächst zu klären, ob es sich bei der Finanzausschlussklausel wirklich um eine Ausnahmevorschrift handelt, die eine enge Auslegung nahelegen würde. Für Art. 73 BayVerf ist die Begründung des Ausnahmecharakters der Bestimmung aus deren Stellung vor den Vorschriften über die Volksgesetzgebung in Art. 74 BayVerf jedenfalls nicht überzeugend; die Stellung legt im Gegenteil eher die umgekehrte Ansicht nahe, denn es entspricht der üblichen Normierungspraxis, zuerst die Grundsätze aufzustellen und im Anschluss deren Ausnahmen zu formulieren. Die Annahme eines Ausnahmecharakters des Haushaltsvorbehalts erweist sich darüber hinaus auch dann als zweifelhaft, wenn man das Finanztabu im Zusammenhang zu den Normen der Haushaltsverfassung betrachtet und diese Bestimmungen weniger im Hinblick auf die von der herrschenden Rechtsprechung in den Vordergrund gestellten Beziehungen zwischen Parlament und Regierung, als vielmehr in Bezug auf das in ihnen zum Ausdruck kommende Gebot zur Rücksichtnahme auf die Staatsfinanzen heranzieht. In diesen Bestimmungen manifestiert sich der Grundsatz, dass alle Staats580 BrandVerfG LKV 2002, 77 (79); SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240); D.-D. Hartmann S. 70. 581 Eigenständige Überschriften bestehen dagegen in Bremen (Ziffer I.: Der Volksentscheid im 2. Abschnitt: Volksentscheid, Landtag und Landesregierung), in Mecklenburg-Vorpommern (Ziff. II.: Initiativen aus dem Volk, Völksbegehren und Völksentscheid im 3. Abschnitt: Staatsfunktionen), in Niedersachsen (5. Abschnitt: Völksinitiative, Volksbegehren und Völksentscheid) und in Schleswig-Holstein (Abschnitt V.: Initiativen aus dem Volk, Volksbegehren und Völksentscheid). 582 Przygode S. 406 zu Art. 73 BayVerf. 583 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (239 f.); Rux DVB1. 2001, 549 (551); ders. LKV 2002, 252 (253); Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG vom 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 f. unter Verweis auf die gleichrangige Aufzählung der Begriffe in Art. 76 Abs. 2 BrandVerf statt der Verwendung des Wortes „insbesondere". Vgl. hierzu die entsprechende Formulierung in Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf, wonach ein Volksbegehren über finanzwirksame Gesetze, „insbesondere" Gesetze über Abgaben, Besoldung, Staatsleistungen und den Staatshaushalt unzulässig ist. Siehe zu Art. 73 Abs. 4 WRV bereits Triepel DJZ 1926, 845 (847). Vgl. auch Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (670), die mit diesem Argument allerdings die Begrenzung der Reichweite des Finanzvorbehalts begründen. Ähnlich, aber unentschieden auch BrandVerfG LKV 2002, 77 (78), wonach es sich hierbei um eine Aufzählung von Beispielen bzw. Fallgruppen handele.
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organe auf die Solidität des gesamten Staatshaushalts Rücksicht zu nehmen hab e n 5 8 4 . So müssen i n einigen Ländern bei ausgabenwirksamen Gesetzesvorlagen aus der Mitte der Landtage die finanziellen Auswirkungen in der Begründung dargelegt werden 5 8 5 , das Parlament muss bei seinen Beschlüssen für die notwendige Deckung sorgen 5 8 6 , und in Berlin müssen zwischen den betreffenden Lesungen mindestens 48 Stunden l i e g e n 5 8 7 . Die Regierung ihrerseits darf Haushaltsüberschreitungen nur unter strengen Voraussetzungen und Auflagen vornehmen 5 8 8 und hat in einigen Ländern ein Zustimmungs- bzw. Interventionsrecht bei finanzwirksamen Beschlüssen des Parlaments 5 8 9 ; in Bremen schließlich muss der Senat die Bürgerschaft frühzeitig über mögliche finanzielle Auswirkungen geplanter Vorhaben unterrichten 5 9 0 . In diese Regelungen, die jeweils einzelne Maßnahmen oder Gesetzesvorhaben betreffen, reihen sich die Bestimmungen über den Finanzausschluss bei der Volksgesetzgebung e i n 5 9 1 und stellen damit keine singuläre Ausnahmeregelung, sondern eine Ausprägung des in den genannten Verfassungsnormen zum Ausdruck kommenden Prinzips der Rücksichtnahme auf eine ordnungsgemäße Haushaltswirtschaft d a r 5 9 2 .
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Siehe hierzu näher unten unter B I I 3 d. 585 Art. 68 Abs. 1 NdsVerf; Art. 79 BayVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf. 586 Art. 82 Abs. 1 S. 3 BW-Verf; Art. 79 BayVerf; Art. 90 Abs. 2 BerlVerf; Art 104 BrandVerf; Art. 102 BremVerf; Art. 142 HessVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf; Art. 68 Abs. 2 NdsVerf; Art. 84 NRW-Verf; Art. 118 S. 1 RhPfVerf; Art. 107 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 97 Abs. 1 S. 3 SächsVerf; Art. 96 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 54 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. Keine entsprechende Regelung in Hamburg. Auf die fehlende Deckungsverpflichtung bei der Volksgesetzgebung weisen in diesem Zusammenhang insbesondere auch Engels BayVBl. 1976, 201 (203) und das BrandVerfG LKV 2002, 77 (79) hin. 587 Art. 90 Abs. 2 BerlVerf. 588 Art. 81 BW-Verf; Art. 88 BerlVerf; Art. 105 BrandVerf; Art. 68 Abs. 2 HambVerf; Art. 143 HessVerf; Art. 63 MV-Verf; Art. 67 NdsVerf; Art. 85 NRW-Verf; Art. 119 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 1 SaarlVerf; Art. 96 SächsVerf; Art, 95 SAnhVerf; Art. 52 SchlH-Verf; Art. 101 ThürVerf; anders Art. 101 Abs. 1 Nr. 5 und Art. 119 S. 2 BremVerf; nicht geregelt in Bayern. 589 Art. 82 BW-Verf; Art. 78 Abs. 5 BayVerf; Art. 64 Abs. 2 MV-Verf; Art. 118 S. 2 RhPfVerf; Art. 97 SächsVerf und Art. 96 Abs. 2 SAnhVerf. Keine derartige Möglichkeiten eröffnen dagegen die Verfassungen Berlins, Brandenburgs, Bremens, Hamburgs, Hessens, Niedersachsens, des Saarlands, Schleswig-Holsteins und Thüringens. 590 Art. 79 S. 2 BremVerf. 591 Vgl. Zschoch NVwZ 2003,438 (440). 592 Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976,486 (488), i.E. auch Spannhake S. 31 f. Fn. 23, dessen Versuch allerdings, aus einem Vergleich der heutigen Regelungen mit Art. 73 Abs. 4 WRV den Ausnahmecharakter zu verneinen, wenig überzeugend ist: Die Veranlassung eines Volksentscheid über den Haushaltsplan durch den Reichspräsidenten sei damals eine Ausnahme vom grundsätzlichen Finanzausschluss gewesen, heute sei der Haushaltsplan der Volksgesetzgebung demgegenüber gänzlich entzogen und damit zur ausnahmslosen Regel geworden. Diese Schlussfolgerung geht bereits im Ansatz fehl, denn der Umstand, dass die Veranlassung des Volksentscheids durch den Reichspräsidenten eine Ausnahme darstellte, besagt noch nicht, ob das im Übrigen bestehende Finanztabu in Art. 73 Abs. 4 WRV nicht seinerseits eine Ausnahme zur grundsätzlich inhaltlich unbeschränkten Volksgesetzgebung darstellt.
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Im Übrigen ist den Vertretern einer weiten Auslegung auch darin beizupflichten, dass der Regelungsgehalt des Finanztabus äußerst gering wäre, wollte man ihn nur auf den Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz beschränken. Zwar wäre in den Ländern, in denen die formelle Haushaltsgesetzgebung durch die Verfassung nicht ausschließlich der Regierung und dem Parlament zugewiesen ist, eine Volksinitiative zu einzelnen Haushaltsansätzen theoretisch denkbar, praktisch ist dies jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, nahezu ausgeschlossen593. Würde man dem Finanzvorbehalt insoweit nur eine deklaratorische Funktion beimessen, wäre nicht zu erklären, warum diese Regelung dann überhaupt getroffen wurde. Es kann weiterhin nicht überzeugen, dass die Einordnung der Finanzausschlussklauseln in die Abschnitte „Gesetzgebung" der jeweiligen Verfassung eine enge Auslegung nahe legen solle, denn das Finanztabu steht in so enger Verbindung zur Volksgesetzgebung, dass es sinnvollerweise auch in diesem Zusammenhang geregelt wird. Und schließlich kann auch der Einwand, dass die weiteren Elemente der Abgaben, Besoldungsordnungen etc. durch eine weite Auslegung des Haushaltsbegriffs überflüssig würden, letztlich nicht greifen, da Abgaben- und Besoldungsgesetze selbst bei einem weitem Verständnis des Haushaltsvorbehalts nicht zwangsläufig von diesem erfasst werden. Zum einen behalten die besonderen Ausschlusstatbestände außerhalb der unmittelbaren Landesverwaltung, also insbesondere für Gemeindehaushalte und für die Budgets der Kirchenträger, ihre eigenständige Bedeutung, da sich der Finanzvorbehalt insoweit nur auf den Landeshaushalt bezieht 594 . Zum anderen wird durch die gesonderte Nennung von Abgaben- und Besoldungsgesetzen deutlich, dass diese Materien auch ohne Rücksicht auf den Umfang der be- oder entlastenden Wirkungen auf den Haushalt ausgenommen sein sollen, während der allgemeine Finanzausschluss auch bei einer weiten Auslegung nicht etwa schon jedes Gesetz mit finanziellen Auswirkungen, sondern - wie noch näher auszuführen sein wird 5 9 5 - nur Gesetze mit bestimmten erheblichen Folgen erfasst sind 596 . Insgesamt spricht der Verfassungszusammenhang somit eher für als gegen eine weite Auslegung des Finanzvorbehalts über das bloße formelle Haushaltsgesetz 593 Berlit KritV 1993, 318 (358); Zschoch, NVwZ 2003, 438 (439). Vgl. hierzu ausführlich unten im 2. Teil unter A12. 594 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40) für Art. 82 Abs. 2 ThürVerf; Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (37) für Art. 73 BayVerf. Kritisch dagegen SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (239). Ausdrücklich auf den Haushalt des Landes beziehen sich Art. 61 Abs. 2 und Art. 62 Abs. 5 BerlVerf; Art. 76 Abs. 2 BrandVerf; Art. 59 Abs. 2 MV-Verf (für Volksinitiativen); Art. 48 Abs. 1 S. 3 NdsVerf; Art. 41 Abs. 2 SchlH-Verf; Art. 82 Abs. 2 ThürVerf. Die gleiche Bedeutung hat die Bezugnahme auf den Staatshaushalt in Art. 60 Abs. 6 BW-Verf und Art. 73 BayVerf. - Vgl. auch Rux DVB1. 2001, 549 (551), der darauf hinweist, dass etwa die Abgaben der Schankerlaubnis- und Getränkesteuer nicht in den Landeshaushalt fließen und der Landtag in Schleswig-Holstein im Jahre 1995 eine gegen deren Einführung gerichtete Volksinitiative für zulässig erklärt hat, obwohl es sich dabei ohne Zweifel um Abgaben handelte. 595 Siehe hierzu unten unter C IV. 596 Vgl. BrandVerfG LKV 2002, 77 (78); Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Zschoch, NVwZ 2003, 438 (439).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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hinaus - wenn auch eine ganz eindeutige Schlussfolgerung nicht gezogen werden kann.
c) Entstehungsgeschichte Im Rahmen einer historischen Auslegung weist die Rechtsprechung als Bezugspunkt des geltenden Finanzvorbehalts in der jeweiligen Landesverfassung sowohl auf Art. 73 Abs. 4 WRV und dessen herrschende Auslegung in der Weimarer Staatspraxis und Verfassungsrechtslehre als auch auf entsprechende Vorgängerregelungen in den Verfassungen der damaligen Länder der Weimarer Republik hin 5 9 7 . Anhaltspunkte werden zudem aus den sich auf die jeweilige Finanzvorbehaltsregelung in den gegenwärtigen Verfassungen beziehenden Anträge und Äußerungen in den verfassungsgebenden Gremien der Länder gewonnen. So führt der BremStGH aus, Art. 70 Abs. 2 BremVerf knüpfe an den Finanzvorbehalt in § 4 Abs. 2 der BremVerf vom 18. 05. 1920 an, der weitestgehend dem von der herrschenden Staatspraxis weit interpretierten - Art. 73 Abs. 4 WRV entsprochen habe 598 . Bei der Fassung des Art. 70 Abs. 2 BremVerf habe der Landesverfassungsgeber dann sogar über die Regelung in Art. 73 Abs. 4 WRV hinaus noch weitere Einschränkungen vorgenommen, indem neben dem Haushaltsplan, Dienstbezügen und Abgaben auch Gebühren, Steuern und Einzelheiten solcher Gesetzesvorlagen ausgenommen worden seien, und diese Fassung habe auch keine Änderung erfahren, als bei der Verfassungsänderung von 1994 die formellen Voraussetzungen für die Wahrnehmung der direktdemokratischen Instrumente erleichtert worden seien 599 . In Bezug auf das Finanztabu in Art. 41 Abs. 2 SchlHVerf weist das BVerfG auf die in einem Sonderausschuss des Landtags zur Verfassungsreform 600 erfolgte Empfehlung hin, die Entscheidungen über den Haushalt 597 NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389 f.); nur bzgl. Art. 73 Abs. 4 WRV BVerfGE 102, 176 (185 f.); differenzierend BayVerfGHE 29, 244 (265). Ohne entsprechenden Bezug dagegen ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (39 ff.). Sehr kritisch SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238 f.), der auf die bereits damals kontroverse Diskussion um die Auslegung des Art. 73 Abs. 4 WRV hinweist; gänzlich ablehnend bzgl. einer Fortsetzung der Weimarer Tradition BrandVerfG LKV 2002, 77 (78). Vgl. zur Diskussion zu Art. 73 Abs. 4 WRV oben unter C III 1. 598 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). § 4 Abs. 2 BremVerf v. 18. 05. 1920 lautete: „Ein Volksentscheid über Einzelheiten des Haushaltsplans oder einer Besoldungsordnung ist unzulässig, ein Volksentscheid über den Haushaltsplan als Ganzes oder über eine Besoldungsordnung als Ganzes, sowie bei Gesetzen über Steuern, Abgaben und Gebühren ist nur im Falle des Absatzes 4 dieses Paragraphen zulässig", wobei Abs. 4 die Möglichkeit eines von Senat initiierten Referendums regelte. 599 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390). 600
Sonderausschuss des Landtags zur Beratung des Schlussberichts der Enquête-Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform", die selbst allerdings von der Einführung der Volksgesetzgebung aus Sorge um eine zu große Schwächung des Parlaments abriet, vgl. LTDrs. 12/180, S. 126 f. 8 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
sowie über Dienstbezüge, Steuern, Abgaben und Gebühren von der Volksgesetzgebung auszunehmen, um die Budgethoheit des Parlaments und die Leistungsfähigkeit des Staates und seiner Verwaltung zu gewährleisten 601. Der ThürVerfGH verweist in Bezug auf Art. 82 Abs. 2 ThürVerf darauf, dass ein Antrag im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss, die Bezeichnung „Landeshaushalt" durch den Begriff „Landeshaushaltsgesetz" zu ersetzen, damit nach dem Vorbild Amerikas und der Schweiz nicht alle Finanzfragen, sondern nur solche zum Haushaltsgesetz selbst ausgeschlossen seien, von der Ausschussmehrheit mit dem Argument der Missbrauchsgefahr zurückgewiesen worden sei 6 0 2 . Etwas zurückhaltender schätzen dagegen der BayVerfGH und das BrandVerfG den Interpretationsgewinn aus der Entstehungsgeschichte ein, können dieser aber auch keinen eindeutigen Anhaltspunkt gegen eine weite Auslegung entnehmen. So führt das BrandVerfG aus, der Regelung in Brandenburg habe zwar die entsprechende Norm in Schleswig-Holstein als Vorbild gedient, der hieran angelehnte Formulierungsvorschlag sei im zuständigen Unterausschuss des Verfassungsausschusses aber hinsichtlich des Inhalts und der Reichweite des Begriffs des Haushalts des Landes nicht näher beraten worden; soweit in den Beratungen die Empfindung einer besonders plebiszitfreundlichen Tendenz der brandenburgischen Regelung vorherrschend gewesen sei, habe diese jedenfalls eher auf der Regelung vergleichsweise niedriger Quoren beruht 603 . Zu Art. 73 BayVerf führt der BayVerfGH - neben der Staatspraxis zu Art. 73 Abs. 4 WRV - die Bestimmung des § 77 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung vom 14. 08. 1919 als Bezugspunkt an, wonach neben Finanzgesetzen auch Gesetze über Steuern und Abgaben vom Volksentscheid ausgenommen gewesen seien 604 . Im Verfassungsausschuss habe man zudem aus den schweizer Erfahrungen mit dem Referendum geschlossen, dass sich Steuergesetze und Haushaltsgesetze am allerwenigsten für eine Volksabstimmung eigneten 605 . Andererseits sei auch die Ansicht vertreten worden, den Ausschluss nur auf den 601 BVerfGE 102, 176 (186) unter Verweis auf LTDrs. 12/620 (neu), S. 48 und LTDrs.
12/826.
602 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40) unter Verweis auf das Wortprotokoll der 26. Sitzung des Verfassungsausschusses, S. 64. 603 BrandVerfG LKV 2002, 77 (78). 604 BayVerfGHE 29, 244 (265), wobei der Begriff der „Finanzgesetze" als Gesetze i.S.v. § 80 Abs. 1 der Verfassung, also Gesetze „über die nach den bestehenden Steuergesetzen zu erhebenden Steuern" verstanden worden sei. 605 BayVerfGHE 29, 244 (266) unter Verweis auf die Äußerung des Berichterstatters im Verfassungsausschuss Hoegner in: Stenographische Berichte, Bd. I S. 166: „Meines Erachtens eignen sich gerade auch nach den Erfahrungen, die in der Schweiz gemacht wurden, Steuergesetze und Haushaltsgesetze am allerwenigsten für eine Volksabstimmung. ( . . . ) [Es] ist ( . . . ) tatsächlich vorgekommen, daß ein Steuergesetz nach dem anderen von den Staatsbürgern verworfen wurde und dann der betreffende Kanton in Verlegenheit kam, wie er die notwendigen Bedürfnisse überhaupt decken sollte ( . . . ) . Hier hat sich der Nachteil der Volksgesetzgebung erwiesen bei Staatsbürgern, die für die Bedürfnisse der Allgemeinheit doch nicht das richtige Verständnis haben, sondern nur an ihren eigenen Geldbeutel denken. Diese wollen natürlich von Steuern überhaupt nichts wissen."
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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„Staatshaushalt" zu beschränken und nicht auch andere Gesetzesmaterien auszunehmen606, letztlich könne aber der Meinung einzelner an der Gesetzgebung beteiligter Personen über Sinn und Bedeutung der Norm ohnehin nur eine untergeordnete und für die Auslegung der Finanzausschlussklausel unmaßgebliche Bedeutung beigemessen werden 607 . Für die Sächsische Verfassung spreche die Entstehungsgeschichte allerdings nach Ansicht des SächsVerfGH eher für eine enge Auslegung des Finanzvorbehalts. Die Wurzeln des Art. 73 Abs. 1 SächsVerf mit dem Ausschluss der „Haushaltsgesetze" verwiesen auf Art. 60 Abs. 6 BW-Verf, der mit dem Ausschluss des „Staatshaushaltsgesetzes" eine im Wesentlichen vergleichbare Vorschrift enthalte, die in der Literatur verbreitet in einem engen Sinne verstanden werde 608 . Zusammen mit dem SächsVerfGH hält auch ein Großteil des Schrifttums die historische Argumentation der - traditionellen - Rechtsprechung für unzureichend bzw. fehlerhaft und begründet aus der Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorbehaltsklauseln, insbesondere aus den Beratungsniederschriften der jeweiligen Landesverfassungsausschüsse, das Erfordernis einer engen Auslegung 609 . So wird kritisiert, dass nicht einfach auf die Weimarer Verfassungslage Bezug genommen werden könne, da sich diese nicht bruchlos in den Verfassungen der Länder nach 1946 - und schon gar nicht in den neuen Verfassungen nach 1990 - fortgesetzt habe 610 . Im Übrigen sei bei einem Vergleich mit den Finanzvorbehalten in der 606 BayVerfGHE 29, 244 (266) unter Verweis auf die Äußerung von Ehard in: Stenographische Berichte Bd. I I S. 412: " Das Völksbegehren sollte nicht weiter eingeschränkt werden als es notwendig ist. Über den Staatshaushalt als solchen ein Volksbegehren herbeizuführen, ist schon deshalb unzweckmäßig, weil die Sache viel zu kompliziert wäre. Ich würde es aber, wenn man schon einen Völksentscheid beläßt, nicht für tragbar halten, Abgabengesetze, Besoldungsordnungen, also einzelne Gesetze herauszunehmen und sie dem Volksentscheid zu entziehen. ( . . . ) Ich kann mir vorstellen, daß man Einzelfragen aus dem Haushalt, z. B. ein notwendiges Gesetz, das Steuerergänzungen oder sonst etwas Ähnliches, das einen Teil mit einer Summe des Haushaltsplans enthält, dem Völksentscheid unterstellt, aber den Haushaltsplan als solchen nicht. Einzelgesetze möchte ich nicht dem Volksentscheid entzogen wissen." 607 BayVerfGHE 29, 244 (264), nach dem a. a. O. S. 267 sich aus der historischen Auslegung aber insgesamt eher Anhaltspunkte für eine restriktive Begriffsbedeutung ergäben. 608 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (239) mit Verweis auf Przygode S. 394 f.; K. Braun Art. 59 Rdnr. 40 und Jürgens S. 134 sowie - allgemein bzgl. Hinweisen auf ein enges Verständnis aus historischer Interpretation - auf Baumann-Hasske in: Kunzmann /Haas/ Baumann-Hasske Art. 73 Rdnr. 1. 609 Zu Art. 73 BayVerf: Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 178 f.; Hoegner S. 112; Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 3; Przygode S. 405 f.; Sondervotum zum Urteil des BayVerfGH vom 31. 03. 2000, BayVBl. 2000, 430 (432); Waldhoff S. 158 ff. Zu Art. 72 Abs. 2 BremVerf: Jung NordÖR 1998, 281 (282) und differenzierend Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300), die allerdings nicht nur eine Beschränkung auf den Haushaltsplan als solchen vornehmen. Zu Art. 42 Abs. 2 SchlH-Verf Jung NVwZ 2002, 41 (42); Jach DVP 1999, 179 (183). Die historische Auslegung für unmaßgeblich halten dagegen Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976,486 (488).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Weimarer Republik auch zu beachten, dass in denjenigen Ländern, deren Verfassungen die Formulierung „Haushaltsplan", „Staatshaushalt" oder „Landeshaushalt" enthalten, gerade nicht die „preußische" Tradition aufgegriffen worden sei, die alle Finanzfragen von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen habe, sondern die engere „Weimarer" Tradition 611 . Hätte der Verfassungsgeber auch finanzwirksame Gesetze ausschließen wollen, so hätte er dies auch durch eine entsprechende Formulierung zum Ausdruck bringen müssen612. Speziell in Bezug auf das Finanztabu in Art. 73 BayVerf wird angeführt, das Hauptmotiv für diese Regelung sei die Übernahme der alten Rechtslage nach der Bayerischen Verfassung von 1919 insoweit gewesen, als damals ein Volksentscheid über den Haushaltsplan als solchen schon deshalb ausgeschlossen gewesen sei, weil der Landtag über diesen - anders als heute - nicht in Form eines Gesetzes beschlossen habe; daher habe man 1946 mit Art. 73 BayVerf auch nur den Haushaltsplan als solchen erfassen wollen 613 . In den Beratungen der Verfassungsgebenden Versammlung habe man sich dabei bewusst von den Formulierungen der älteren Verfassungen distanziert 614 und nur für den Ausschluss des Staatshaushalts als solchen, nicht aber auch einzelner Steuer- oder Abgabengesetze ausgesprochen615, wobei es sich hier nicht nur um Zufallsmeinungen einzelner Mitglieder, sondern um die Mehrheitsmeinung gehandelt habe 616 . Dass die noch im Vorentwurf enthaltene Formulierung „Staatshaushalt im ganzen" 617 nicht übernommen worden sei, 610 Jung NVwZ 2002, 41 (42); für die Verfassungen nach 1990 insbesondere Jach DVP 1999, 179 (182); Rux DVB1. 2001, 549 (550). Ebenso BrandVerfG LKV 2002, 77 (78); SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (239). 611 Jung NVwZ 1998, 372 (373); ders. NVwZ 2002, 41 (41 f.); Kenels/Brink NVwZ 2003, 435 (436). Vgl. hierzu die Entscheidung des NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189), der sich neben Art. 73 Abs. 4 WRV auf Art. 6 Abs. 3 der preußischen Verfassung vom 30. 11. 1920 beruft, der anstelle des Wortes „Haushaltsplan" den Begriff „Finanzfragen" verwendet habe, um der erforderlichen Auslegung durch eine weite Fassung Rechnung zu tragen; mit dieser Vorschrift stimme Art. 68 Abs. 1 S. 4 NRW-Verf wörtlich überein. 612 Jach DVP 1999, 179 (183) in Bezug auf die Landesverfassungsgeber nach 1990; SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240). 613 Przygode S. 405 f. Vgl. hierzu auch Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 2. 614 Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391); Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 3; Waldhoff S. 160. 615 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 178 f.; Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391); Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 3; Waldhoff S. 160 f. jeweils unter Verweis auf die Äußerungen von Ehard in: Stenographische Berichte Bd. I I S. 412 (siehe hierzu oben Fn. 606), und Nawiasky, ebd.: „Unsere Auffassung ist aber unmaßgeblich die, daß diese Einschränkung [nämlich der Ausschluss von Steuergesetzen, Anm. d. Verf.] nicht erfolgen soll. In der Schweiz werden z. B. die Steuergesetze grundsätzlich vom Volk beschlossen. Das Volk soll selbst beschließen, welche Leistungen es für den Staat macht. Dem steht natürlich auch die Verantwortung dafür gegenüber, wenn neue Aufgaben auf den Staat übertragen werden." Allein auf Letzteren hinweisend auch Hoegner S. 112. 616 Waldhoff
S. 161.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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sei insoweit unerheblich, denn mit dem Wortlaut „Staatshaushalt" habe man eine bloße Textstraffung und Verdeutlichung bezweckt 618 . - Auch für Bremen wird ein enges Verständnis des Finanztabus in Art. 70 Abs. 2 BremVerf aus dessen Beziehung zur Vorgängernorm des § 4 Abs. 2 der Bremischen Verfassung von 1920 begründet: Mit dem dort enthaltenen Begriff „Haushaltsplan", an den der Verfassungsgesetzgeber angeknüpft habe, sei der Haushaltsplan im engen, rechtstechnischen Sinne gemeint gewesen619. Einige der hier im Rahmen der rechtshistorischen Diskussion vorgebrachten Argumente sind bei genauerer Betrachtung nur wenig stichhaltig. Dies betrifft in erster Linie die in der Literatur und vom SächsVerfGH vertretene Herleitung eines engen Verständnisses der gegenwärtigen Finanzvorbehalte aus dem Umstand, dass diese - bis auf Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen - nicht den in der Preußischen Verfassung von 1920 enthaltenen Begriff der „Finanzfragen" übernommen hätten. Die Ansicht, dass mit dieser Begriffswahl eine bewusste Entscheidung gegen den Ausschluss finanzwirksamer Einzelgesetze verbunden gewesen sei, kann nicht überzeugen, da schließlich sowohl die vorherrschende Auslegungspraxis in der Weimarer Zeit als auch die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte, die den Verfassungsgebern der ostdeutschen Länder nach 1989 bekannt sein konnte, gerade von einem weiteren Verständnis des „Haushalts"-Begriffs ausgingen. Angesichts dieser überwiegenden Auffassung zu Art. 73 Abs. 4 WRV und dem Umstand, dass in Preußen die Volksgesetzgebung nie eine praktische Relevanz erlangt hat, kann auch kaum von einer „Weimarer" und einer dieser entgegengesetzten „Preußischen" Tradition gesprochen werden. Die in Bezug auf Art. 73 BayVerf vertretene Ansicht, dass die Aufnahme des Ausschlussmerkmals „Staatshaushalt" nur deshalb erfolgt sei, um die bisherige Rechtslage wieder herzustellen, also den Beschluss über den Haushaltsplan, der zuvor nicht in der Form eines Gesetzes erfolgt sei, auch unter der neuen Verfassung der Volksgesetzgebung zu entziehen, kann ebenfalls nicht überzeugen. Diese Argumentation findet in der Entstehungsgeschichte des Art. 73 BayVerf keine Stütze: Auf die den Beschluss des Haushaltsplans betreffende Regelung des § 48 der Bayerischen Verfassung von 1919 wurde in den Beratungen nie Bezug genommen. Darüber hinaus lässt sich aber auch aus den in der Verfassungsgebenden Landesversammlung getätigten Äußerungen das Erfordernis einer engen, nur auf den Haushaltsplan selbst bezogenen Auslegung des Finanzvorbehalts nicht begründen. Der Abgeordnete Ehard, auf den hier maßgeblich Bezug genommen wird, nahm 617 Art. 40 Hoegner-Entwurf, vgl. Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391); Schweiger in: Nawiasky / Schweiger / Knöpfle Art. 73 Rdnr. 1. 618 Fessmann BayVBl. 1976,389(391). 619 Jung NordÖR 1998, 281 (282); Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300), die allerdings selbst hieraus nicht den Schluss ziehen, Art. 70 Abs. 2 BremVerf erfasse nur den Haushaltsplan i.e.S., sondern nur die Anwendung des Finanztabus auf den konkreten Einzelfall in dieser Entscheidung bemängeln.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
nämlich zu einem Antrag Stellung, nach dem auch die Abgabengesetze aus der Volksgesetzgebung ausgeklammert werden sollten 620 , und begründete hierbei seine Ansicht, diese als solche nicht von vornherein von der Volksgesetzgebung auszuschließen. Daher waren die Abgabengesetze, nicht aber der Begriff „Staatshaushalt" Gegenstand der Erörterung; über dessen genauen Bedeutungsumfang wurde im Einzelnen gar nicht diskutiert. Zur Bezeichnung des förmlichen Haushaltsplans verwendete Ehard im Übrigen auch die Formulierung „Haushaltsplan als solcher" 621 , die im Verfassungstext entgegen der Fassung des Vorentwurfs gerade keinen Niederschlag gefunden hat. Statt dessen erläuterte Ehard, dass der Ausschluss des „Staatshaushalts" mit den früheren Verfassungen übereinstimme 622 und damit auf den Regelungsumfang des § 77 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung von 1919 und den des Art. 73 Abs. 4 WRV mit seiner vorherrschenden Auslegungspraxis verwies; eine bewusste Distanzierung von diesem früheren Verständnis lässt sich hieraus jedenfalls nicht schließen623. Auch das für eine engere Auslegung des Finanztabus in Art. 70 Abs. 2 BremVerf vorgebrachte Argument der Übereinstimmung zwischen der damaligen, eng verstandenen Fassung des Haushaltsvorbehalts in § 4 Abs. 2 der Bremischen Verfassung von 1920 und der heutigen Fassung ist nicht durchschlagend. Bei näherer Betrachtung ist nämlich festzustellen, dass die hier behauptete begriffliche Kongruenz zwischen beiden Verfassungsnormen gar nicht besteht: Die alte Verfassung sprach ausdrücklich vom „Haushaltsplan als Ganzen" und von „Einzelheiten des Haushaltsplans", während Art. 70 Abs. 2 BremVerf dagegen den „Haushaltsplan" und „Einzelheiten solcher Gesetzesvorlagen" ausschließt, also die enge und eindeutige Formulierung „Haushaltsplan als Ganzes" gerade nicht übernommen hat und insoweit offener formuliert ist. Schließlich ist auch die enge Auslegung, die der SächsVerfGH aus der seinerzeit als Vorbild für die Regelung des Art. 73 Abs. 1 SächsVerf herangezogenen Vorschrift des Art. 60 Abs. 6 BW-Verf schließt, nicht überzeugend. Zunächst fällt auf, dass die Formulierungen in den beiden Normen sich nur ähneln, aber keineswegs identisch sind („Haushaltsgesetze" in Art. 73 Abs. 1 SächsVerf auf der einen und „Staatshaushaltsgesetz" in Art. 60 Abs. 6 BW-Verf auf der anderen Seite). Weiterhin kann der SächsVerfGH das behauptete „in der Literatur weit verbreitere]" enge Verständnis von Art. 60 Abs. 6 BW-Verf mit den angeführten Fundstellen nicht hinreichend belegen 624 ; zumal auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass 620 Hierauf weisen auch Hoegner S. 112 und Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391) hin. 621 Vgl. die Äußerung Ehards, Stenographische Berichte Bd. II. S. 412 (siehe oben unter Fn. 606). 622 Ehard, Stenographische Berichte Bd. II. S. 412: „Diese Beschränkung war schon in den früheren Verfassungen enthalten und ist aus diesen übernommen. Es ist zweckmäßig, sie beizubehalten." 623 So jedoch - aber nicht nachvollziehbar - Fessmann BayVBl. 1976, 389 (391). 624 Allein der Verweis auf K. Braun Art. 59 Rdnr. 40 könnte hier für eine solche Auffassung herangezogen werden. Der vom SächsVerfGH zitierte Przygode S. 394 f. nimmt hierzu
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auch der sächsische Verfassungsgeber diese Auffassungen der Literatur gekannt, geschweige denn geteilt haben sollte 625 . Aus den Materialien zur Entstehung der SächsVerf ergeben sich jedenfalls Hinweise, dass als Vorbild für die Regelung von Volksbegehren und Volksentscheid auch die entsprechende Regelung in der BayVerf herangezogen worden ist 6 2 6 , zu der die Rechtsprechung des Bay VerfGH eher bekannt gewesen sein dürfte. Zusammenfassend lässt sich für die hier untersuchten und in der Rechtsprechung bisher relevanten Fälle festhalten, dass sich der historischen Auslegung in keiner der betrachteten Fälle überzeugende Argumente für ein zwingendes enges oder weites Verständnis der Finanzvorbehalte entnehmen lassen, also die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Landesverfassungen eine Ausdehnung auf finanzwirksame Einzelgesetze weder fordert noch dieser entgegensteht. Das gleiche gilt für die zuvor untersuchten systematischen und - soweit nicht von vornherein eine weite Formulierung wie „Finanzfragen" bzw. „finanzwirksame Gesetze" gewählt wurde - für die grammatischen Aspekte.
3. Teleologische Aspekte: Sinn und Zweck des Finanzvorbehalts Als maßgeblich für eine weite Interpretation des Finanzvorbehalts sieht insoweit auch die bisher herrschende Rechtsprechung letztlich die teleologische Auslegung an und beruft sich hierzu auf mehrere objektive Normziele der Finanzausschlussklausel. Sie bezwecke zunächst, die aufgrund ihrer Komplexität für die Volksgesetzgebung ungeeignete Finanzmaterie auszuschließen, sie verhindere einen Missbrauch der Volksgesetzgebung, diene darüber hinaus der Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts und sichere schließlich die Leistungsfähigkeit des dagegen keine Stellung, sondern verweist lediglich auf die fehlenden Aussagen anderer Autoren zur Reichweite des Art. 60 Abs. 6 BW-Verf. Jürgens, den der Gerichtshof ebenfalls zitiert, spricht sich zwar auf S. 134 für ein enges Verständnis aus, erklärt aber zusammenfassend auf S. 135, dass sich in der Praxis keine großen Unterschiede zwischen den einzelnen Formulierungen in den Ländern ausmachen ließen; zudem wird sein 1992 erschienenes Buch kaum mehr ausschlaggebend in die bereits im Mai desselben Jahres beschlossene Verfassung Sachsens eingeflossen sein. 625 Vgl. Zschoch NVwZ 2003, 438 (439), die aufgrund der Tatsache, dass die Protokolle des Verfassungs- und Rechtsausschusses lediglich die Diskussion des Begriffs „Besoldungsgesetze" nicht aber des Begriffs „Haushaltsgesetze" erkennen lassen, davon ausgeht, dass der Verfassungsgesetzgeber die Problematik der Auslegung des Finanzvorbehalts schlicht übersehen habe. 626 Vgl. Ziff. 5.6. des Berichts des Verfassungs- und Rechtsausschusses zum Ausschußentwurf der Verfassung des Freistaates Sachsen (DS 1/1800) vom 18. 5. 1992, abgedruckt in Stober, Quellen zur Entstehungsgeschichte, S. 384 (400). Der vom SächsVerfGH als Beleg für angebliche Hinweise der historischen Interpretation auf ein eher enges Begriffsverständnis angeführte Baumann-Hasske in: Kunzmann / Haas / Baumann-Hasske Art. 73 Rdnr. 1 ist dagegen völlig unergiebig, denn zur Entstehungsgeschichte des Art. 73 SächsVerf verliert Baumann-Hasske hier kein Wort.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Staates und seiner Verwaltung 627 . Diese vier Zweckbestimmungen werden in der jüngeren Rechtsprechung jedoch - zum Teil oder sogar insgesamt, wie etwa zuletzt vom SächsVerfGH - abgelehnt und auch in Teilen der Literatur äußerst kritisch beurteilt. Sie sollen im Folgenden näher untersucht werden.
a) Ausschluss aufgrund der Erfordernisse struktureller Komplexität Ein Zweck des Finanzvorbehalts sei zunächst der Ausschluss der für die Volksgesetzgebung ungeeigneten Materien, was jedenfalls für den Haushaltsplan und das Haushaltsgesetz zum einen aufgrund der Kompliziertheit der Materie und zum anderen, weil die Stimmberechtigten nur mit „Ja" oder „Nein" stimmen" könnten, der Fall sei 6 2 8 , wobei der Ausschluss von Haushaltsplan und -gesetz allerdings so der BayVerfGH und der BremStGH - ohnehin eine Selbstverständlichkeit sei 6 2 9 . Diesen Gedanken der Ungeeignetheit übertragen das BVerfG und der ThürVerfGH über den Haushaltsplan und das Haushaltsgesetz hinaus auf alle anderen haushaltswirksamen Entscheidungen schlechthin, die wegen ihrer ebenfalls komplexen Natur eine plebiszitäre Entscheidung ausschlössen630: Alle kostenverursachenden Entscheidungen müssten im Rahmen eines sämtliche Einnahmen und Ausgaben in ein sachgerechtes Verhältnis zueinander setzendes finanz- und wirtschaftspolitischen Gesamtkonzepts ausgeglichen werden, wobei der Gestaltungsspielraum hierfür durch zahlreiche vorbestimmte Eckwerte wie Personalkosten, Leistungsgesetze, vertragliche Bindungen und Zins- und Tilgungslasten erheblich eingeschränkt sei 6 3 1 . Vor diesem Hintergrund würde es dem Völksgesetzgeber schwer fallen, die finanzielle Tragweite von Entscheidungen in vollem Umfang zu ermessen 632, er würde „mangels Kenntnis aller zu berücksichtigenden Wirtschaftsund Haushaltsfaktoren nicht in der Lage sein, jederzeit abzuschätzen, ob er das vom Volksbegehren vorgeschlagene Gesetz innerhalb des dem Gesetzgeber überantworteten Gestaltungsraums als sachgerechte, dem Gemeinwohl letztlich nicht abträgliche Problemlösung beschließt" 633 . Der parlamentarische Gesetzgeber dagegen habe alle Einnahmen und notwendige Ausgaben „insgesamt im Blick", daher könne nur er „diese unter Beachtung der haushaltsrechtlichen Vorgaben der Verfassung und des Vorbehalts des Möglichen sowie eines demokratisch zu verant627
Siehe im Einzelnen die sogleich folgenden Nachweise im Text. 628 Insoweit noch übereinstimmend mit BayVerfGHE 29, 244 (267) und BremStGH NVwZ 1998, 388 (389) auch der SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240). 629 BayVerfGHE 29, 244 (267); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). 630 BVerfGE 102, 176 (187); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). 631 BVerfGE 102,176 (188); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). 632 BVerfGE 102, 176 (188); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40) mit dem Zusatz „wenn nicht gar unmöglich sein". 633 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (42).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
121
wortenden Gesamtkonzepts in eine sachgerechte Relation zueinander setzen" 634 . Bei jeder Einzelentscheidung bezüglich des Haushalts sei das Bestreben notwendig, „möglichst allen Aufgaben des Staates entsprechend ihrer Bedeutung für den gesamten Staat und den einzelnen Bürger nach Maßgabe der vorhanden Mittel gerecht zu werden", was nur vom Parlament geleistet werden könne 635 . Die Bedenken dieser herrschenden Rechtsprechung, dass dem Volk der nötige Sachverstand für haushaltswirksame Entscheidungen fehle, werden insoweit auch von zahlreichen Stimmen in der Literatur geteilt 636 . So wird vorgebracht, der Laie könne, selbst wenn er mit gesunden Menschenverstand oder einer breiten Allgemeinbildung ausgestattet sei, die komplizierten wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht übersehen 637. Auch durch die öffentliche Diskussion, durch die Reden der Anhänger oder Gegner der Maßnahme und selbst durch verbreitete Broschüren könne das erforderliche Wissen nicht in hinreichendem Umfang vermittelt werden 6 3 8 ; solle das Volk dennoch über diese Themen entscheiden, wäre es hierbei schlicht überfordert 639. Der Bürger sei damit an Sachverständige oder solche, die dafür gehalten werden, ausgeliefert und auf deren Beratung und Anleitung angewiesen 640 , so dass es sich beim Volksentscheid letztlich eher um eine Vertrauensabstimmung über die hinter den Sachalternativen stehenden Personen oder Gruppen als um eine Sachabstimmung handele 641 . Zudem seien haushaltsrelevante Anliegen in der Regel nur im Kompromisswege durch Abstriche an anderen Haushaltsansätzen realisierbar; eine einfache Ja/Nein-Alternative im Plebiszit, das nur einen punktuellen Antwortcharakter habe, sei hierfür nicht geeignet 642 . Und schließlich sei auch zu befürchten, dass ein volksbegehrtes Gesetz die gesamte Haushalts- und Finanzplanung durcheinander bringen könnte 643 . 634 BayVerfGH DVB1. 1995,419(425). 635 BayVerfGH DVB1. 1995,419 (425); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). 636 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 467; Busse S. 193; v. Danwitz DÖV 1992, 601 (607); Jürgens S. 135; Hagebölling Art. 48 Erl. 1; Krause in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 27; Schmitt Glaeser Rdnr. 39; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 38; Thieme Art. 50 Erl. 3; Vogels Art. 68 Erl. 3; Zschoch NVwZ 2003,438 (440). Kritisch Degenhart Der Staat 1992, 77 (94). 637 Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 38. 638 Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 95 f. 639 Vgl. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 467; Krause in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 25; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 96. Nach Tipke a. a. O. S. 97 f. sei die Inkompetenz des Volkes auch der Grund, weshalb in der Schweiz noch lange Zeit den Frauen das Stimmrecht vorenthalten worden sei: „Das Stimmrecht würde die Frau moralisch zu jährlich 4 - 5 Urnengängen verpflichten und zu einer entsprechenden Vorbereitung der zu entscheidenden Sachfragen", was aber selbst die Frauen in der Schweiz nicht wünschen würden. 640 Schmitt Glaeser Rdnr. 39; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 97. 641 Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 470 f.; Ritterbach S. 52. 642 Engelken DÖV 2000, 881 (891). 643 Pfennig/Neumann Art. 62 Rdnr. 5.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
In der Rechtsprechung ist diese Auffassung jedoch nicht ganz unbestritten. Nach Auffassung des BrandVerfG habe der Verfassungsgeber in Brandenburg die von den anderen Verfassungsgerichten bestehenden Befürchtungen, dass dem Bürger der nötige Sachverstand fehle, „offensichtlich nicht geteilt" 644 . Auch in der Literatur wird eingewandt, dass dem Volk der finanzwirtschaftliche Sachverstand nicht einfach abgesprochen werden könne 645 ; ganz im Gegenteil sei durch die Aufnahme der Volksgesetzgebung in die Verfassung die Fähigkeit der mündigen Bürger vorausgesetzt worden, in der öffentlichen Diskussion die Konsequenzen eines finanzrelevanten Gesetzentwurfs zu erkennen und sich eine vernünftige Meinung zu bilden 646 . Dieser „Vertrauensvorschuss" dürfe nicht über eine extensive Anwendung des Finanztabus wieder zurückgenommen werden 647 , zumal ein empirischer Beleg für die Inkompetenz der Bürger von der Rechtsprechung nicht geliefert werde 6 4 8 ; es entspreche vielmehr der Erfahrung, dass sich inkonsistente und vereinfachende Lösungen in der Diskussion am Ende nicht durchsetzen würden 649 . Darüber hinaus sei die Mehrzahl der Parlamentarier mangels entsprechenden Fachwissens ebenfalls nicht in der Lage, den gesamten Haushaltsplan in seiner Komplexität zu erfassen 650 und könne gerade im Finanzbereich nur unter Verzicht auf Problembewusstsein und ausführlicher Abwägung zu einer Entscheidung gelangen 6 5 1 , so dass vom Abstimmungsbürger nicht mehr verlangt werden könne, ganz abgesehen davon, dass viele finanzwirksame Gesetze denkbar seien, die keinen besonderen Sachverstand erforderten 652. Auch der Kompromisscharakter vieler Haushaltsentscheidungen sei kein Argument gegen die direkte Beteiligung des Volks, denn der Zwang zum Kompromiss und zu politischen „Paketlösungen" im Betrieb der politischen Volksparteien, die auf die unterschiedlichsten Sonderinteressen ihrer breit gestreuten Wahlerbasis Rücksicht nehmen müssten, sei nicht immer rational und problemadäquat 653. Erfahrungen in anderen Ländern würden zudem zeigen, dass direktdemokratische Verfahren über finanzielle Fragen in z.T. großem Umfang getroffen werden und sich hier keine Ungeeignetheit der Materie erwiesen habe 654 . 644 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80). 645 Kenels/Brink NVwZ 2003, 435 (437); Pestalozzi Der Popularvorbehalt, S. 28; Wassermann RuP 1986, 125 (129). 646 Rux DVB1. 2001, 549 (552); A. Weber DÖV 1985 176 (182). 647 Vgl. im Ansatz Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302). 648 Rux DVB1. 2001, 549 (551). 649 ßerlit KritV 1993, 318 (343). 650 Hirsch S. 111 f., 105; Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 203; Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 120. 651 Greifeid S. 59. 652 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 183. 653 ßerlit KritV 1993, 318 (343); v. Arnim, Vom Schönen Schein, S. 186. 654 v. Arnim, Vom Schönen Schein, S. 184 f.; D.-D. Hartmann S. 70; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 28; Siekmann, in: Neumann/v. Raumer, S. 181 (184); Sondervotum
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Das Argument der komplexitätsbedingten „Ungeeignetheit" haushaltsrelevanter Entscheidungen betrifft mehrere inhaltlich voneinander zu trennende Aspekte: Zunächst soll näher beleuchtet werden, welche spezifische Besonderheit der Finanzmaterie eigentlich ihren komplexen Charakter verleiht und welche Folgen grundsätzlicher Art sich hieraus für den politischen Entscheidungsprozess ergeben. Vor dem Hintergrund dieser Untersuchung ist dann der Frage nachzugehen, ob die Finanzthematik das Volk als Initiativ- und Abstimmungssubjekt überfordert oder ob gewährleistet ist, dass die unmittelbare Legislativtätigkeit von hinreichendem, den komplexitätsbedingten Anforderungen genügendem Sachverstand getragen ist. Zuletzt ist auch an die Besonderheiten des Verfahrens der Volksgesetzgebung anzuknüpfen und im Hinblick auf die an den Entscheidungsprozess im finanzwirksamen Bereich zu stellenden Anforderungen die Eignung der Volksgesetzgebung zu haushaltspolitisch vertretbaren Entscheidungen zu betrachten.
aa) Konsistenz und Komplexität haushaltsrelevanter Entscheidungen Was also ist das wesentliche Charakteristikum, das die Finanzmaterie so komplex erscheinen lässt? Die maßgebliche Ursache für die enge gegenseitige Verflechtung finanzieller Entscheidungen ist letztlich in dem Umstand begründet, dass der Staat grundsätzlich nicht mehr ausgeben kann, als er einnimmt, und somit die Haushaltsmittel, über die im Wege der Gesetze verfügt werden kann, ihrer Natur nach begrenzt sind. Die erforderliche Abstimmung zwischen allen Einnahmen und Ausgaben kommt im Grundsatz des Haushaltsausgleichs zum Ausdruck, der die Deckung aller staatlichen Ausgaben durch die Einnahmen vorschreibt 655 ; er ist in den meisten Landesverfassungen ausdrücklich normiert 656 und indirekt auch in § 2 S. 1 HGrG und der entsprechenden Vorschrift des § 2 S. 1 LHO der Länder enthalten 657 . Um diesen Ausgleich erreichen zu können, bedarf die staatliche Haushaltswirtschaft einer rationalen, längerfristigen Planung, die Einnahmen und zum Urteil des BayVerfGH vom 31. 03. 2000, BayVBl. 2000, 430 (431 f.). Vgl. auch Waldhoff S. 178 mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum der Schweiz. 655 Siehe zur finanzwirtschaftlichen Bedarfsdeckungsfunktion des Haushalts oben unter C12. 656 Art. 101 Abs. 2 S. 4 BrandVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 MVVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 ThürVerf. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist der Haushaltsausgleich als Soll-Vorschrift aufgenommen: Art. 79 Abs. 1 S. 2 BW-Verf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 NRW-Verf. Allein in Bayern, Berlin, Bremen und Hessen fehlt eine entsprechende Bestimmung. 657 v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm, Bundeshaushaltsordnung, § 2 Erl. 2 zum insoweit gleich lautenden § 2 BHO, wonach der Haushaltsplan der Feststellung und Deckung des voraussichtlich notwendigen Finanzbedarfs, also der Herstellung eines Ausgleichs zwischen den Ausgaben und den Einnahmen des Staates dient.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Ausgaben aufeinander abstimmt und die Finanzströme koordiniert 658 . Der Zwang zur Herstellung des Haushaltsausgleichs führt dabei zu einer zunehmenden Vernetzung der einzelnen finanzrelevanten Entscheidungen in mehrere Planungszusammenhänge, die im Folgenden in ihren einzelnen Ausprägungen und in ihrer Bedeutung für die politische Entscheidungskompetenz näher betrachtet werden sollen. (1) Dimensionen der Planungsbezogenheit Jede einzelne finanzwirksame Entscheidung lässt sich als Gegenstand eines Systems mehrerer in sich zusammenhängender staatlicher Planungen darstellen, das sich anhand dreier Koordinaten in eine horizontale, vertikale und temporale Dimension erstreckt. Der horizontale Zusammenhang bezeichnet dabei die im jeweiligen Haushaltsplan zum Ausdruck kommende Verteilung der dem Staat zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel in Bezug auf ihre Herkunft und ihre Verwendung. Diese Festlegung im Rahmen der Haushaltsplanung als sog. Ressourcenplanung659 dient insbesondere der Kosten- und Nutzenoptimierung bei der Zuordnung der Ausgaben zu den einzelnen Haushaltspositionen unter der determinierenden Bedingung eines ausgeglichenen Haushalts, wobei als Ergebnis dieser Mittelzuteilung alle Ausgaben und Einnahmen in einem bestimmten, zahlenmäßig quantifizierbaren Verhältnis zueinander stehen und somit eine - mehr oder weniger steuerbare - Verteilungsrelation zum Ausdruck bringen. Diese horizontale Planung betrifft lediglich die Verteilung finanzieller Mittel, hinter denen - in vertikaler Hinsicht - konkrete öffentlichen Aufgaben bzw. Ziele stehen. Der Haushaltsplanung als Ressourcenplanung liegt also eine nur indirekt aus dieser bestimmbaren Aufgabenplanung zugrunde, die der Festlegung von Art, Umfang und Prioritäten der politischen Vorhaben und Maßnahmen dient, entsprechend den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Interessen der Gesellschaft bestimmte inhaltliche Zielvorstellungen formuliert und diese nach der ihnen beigemessenen Priorität in eine Reihenfolge einordnet 660 . Im Haushaltsplan spiegeln sich die ordnungs- und verteilungspolitischen Ziele der Politik wider, wobei - wie an anderer Stelle näher ausgeführt worden ist 6 6 1 - insbesondere neben den gesellschaftspolitischen Aufgaben der Allokations- und Distributionspolitik die konjunkturpolitische Aufgabe zu nennen ist, nach der die Länder und der Bund nach 658 Zum Instrument der Planung als Ausdruck der methodischen Rationalitätsfunktion siehe oben unter C12. Vgl. zum Begriff der politischen Planung auch Dobiey S. 14 ff.; Vitzthum S. 60 ff.; Würtenberger S. 38 ff. 659 Neben den finanziellen Ressourcen umfasst die Ressourcenplanung im weiteren Sinne auch alle anderen verfügbaren materiellen und immateriellen Güter wie personelle und sächliche, aber etwa auch intellektuelle (Know-how) und psychologische Güter (z. B. Konsens), vgl. Würtenberger S. 58 f. 660 Vgl. Dobiey S. 18; Würtenberger S. 56 f.
661 Zu dieser politischen Gestaltungsfunktion des Haushalts siehe oben unter C III 3 c aa.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Art. 109 Abs. 2 GG und § 2 S. 3 HGrG dazu verpflichtet sind, den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts als einem Zustand des Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Interessen der am Wirtschaftsprozess Beteiligten Rechnung zu tragen 662 . Diese Zielplanung steht somit in einer engen Wechselbeziehung zur Haushaltsplanung663: Die Bestimmung der Ziele muss die für ihre Verwirklichung benötigten Mittel berücksichtigen, so dass die verfügbaren Ressourcen das „Nadelöhr" für die Aufgabenplanung darstellen 664 , und andererseits bilden die festgelegten Ziele aber auch die Vorgabe für die Verteilung der Ressourcen und stellen das Ergebnis der eigentlichen politischen Entscheidung dar. Die temporale Vernetzung schließlich bezeichnet den spezifischen Kontinuitätszusammenhang, in den alle Haushaltsentscheidungen eingebettet sind. Über die jeweilige Haushaltsperiode hinaus stehen diese Entscheidungen regelmäßig in längerfristigen planerischen Zusammenhängen der Haushaltsplanung für das folgende Haushaltsjahr und der gesamten künftigen Haushaltsentwicklung665. Diesem Aspekt wurde mit der Einführung der fünfjährigen Finanzplanung durch § 9 StabG und §§ 50 ff. HGrG Rechnung getragen, die die voraussichtliche Entwicklung aller Einnahmen und Ausgaben - gegliedert nach Ausgabearten und Sachbereichen des jeweiligen Landes über den Zeitraum von fünf Jahren mit den Wechselbeziehungen zu wesentlichen gesamtwirtschaftlichen Eckdaten in einem Finanzplan zusammenfassend darstellt 666 . Dieser wird von der Regierung beschlossen, ist dem Parlament spätestens mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes vorzulegen 667 und dann der gesamten Haushalts Wirtschaft zugrunde zu legen 668 . Durch diese dreifache Einbindung aller finanzwirksamen Entscheidungen in ein planvolles Gesamtwerk der Aufgaben-, Haushalts- und Finanzplanung erfolgt eine weitgehende Festlegung des politischen Gestaltungsrahmens, der die finanzrelevante Einzelgesetzgebung in den aufgezeigten Dimensionen determiniert. Ein finanzwirksames Gesetz, das sich nicht in diesen Planungszusammenhang einfügt, würde - wie ein Fremdkörper - der Rationalität des Plans widersprechen 669, wobei 662 Vgl. zum Inhalt und zur Bedeutung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts näher im 2. Teil unter A III 4. 663 Dobiey S. 35 f.; Würtenberger S. 58 f. 664 Würtenberger S. 59. Die Aufgabe des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts entzieht sich dabei allerdings dem engen Rahmen der Ressourcenplanung durch die weitgehende Möglichkeit einer Kreditaufnahme, vgl. hierzu im Einzelnen unter C 14 c cc (3) (b). 665 Fischer-Menshausen Art. llORdnr. 1. 666 § 9 Abs. 1 S. 2 StabG. Dabei bildet das laufende Jahr gem. § 50 Abs. 2 HGrG den Ausgangspunkt, das zweite Planungsjahr entspricht der Planung, die sich im Haushaltsplanentwurf widerspiegelt, so dass nur die letzten drei Jahre den eigentlichen prognostischen Planungshorizont bilden, vgl. Heun S. 233.
667 §§ 9 Abs. 2, 14 StabG; § 50 Abs. 3 S. 1 HGrG. 668 § 9 Abs. 1 S. 1, 14 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG; ebenso auch in Art. 86 Abs. 3 S. 1 BerlVerf. 669 Vgl. Pfennig/Neumann Art. 62 Rdnr. 5.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
die Intensität der Störwirkung eines solchen Gesetzes auf die einzelnen Planungsstufen mit dem Bindungs- und Verfestigungsgrad der jeweiligen Planungen wächst, d. h. je weiter die Planung schon fortgeschritten ist, um so schwieriger wird eine Integration zusätzlicher Aufgaben bzw. der damit verbundenen Ausgaben. (2) Verhältnis zwischen Planung und politischer Einzelentscheidung Angesichts dieser Mehrdimensionalität einnahmen- und ausgabenrelevanter Entscheidungen stellt sich die grundlegende Frage, in welchem Umfang die aufgaben-, haushalts- und finanzplanbezogenen Budgetzusammenhänge eine determinierende Wirkung auf den politischen Entscheidungsprozess - und insoweit auch auf das Völksgesetzgebungsverfahren - haben. Hierbei lassen sich ein technokratischer Ansatz, der die Rationalität staatlicher Gesamtplanung in den Vordergrund stellt, von einer dezisionistischen, der politischen Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers den Vorrang einräumenden Perspektive unterscheiden. Nach dem technokratischen Verständnis stehen die Sachzwänge einer am Gesamtsysteminteresse orientierten Planung ganz im Vordergrund. Da aufgrund der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft letztlich nur sachverständige Experten in der Lage seien, die maßgeblichen Zusammenhänge zu überblicken und hierfür die erforderlichen Entscheidungen zu treffen, könne der Politik demgegenüber lediglich die Aufgabe zukommen, den ordnungsgemäßen Vollzug der Planung zu gewährleisten 670. Die Entscheidungen seien daher schwerpunktmäßig durch die Regierung zu treffen, die mit ihrer Ministerialbürokratie das ausreichende Fachwissen mitbringe, wogegen die Gesetzgebung dagegen im Wesentlichen nur noch der LegalitätsVermittlung diene 671 . Aufgrund der Überlegenheit der mit großem Sachverstand ausgestatteten Regierung sei dieser deshalb die Planungskompetenz zugeordnet, wobei insbesondere dem übergreifenden, die Rationalität eines geschlossenen Finanzkonzepts realisierenden Finanzplan eine große Bedeutung als maßgebendes Steuerungsinstrument zugemessen werden müsse, dem sich jede einzelne finanzwirksame Gesetzesentscheidung sowie der jeweilige Haushaltsplan unterzuordnen habe. Unter diesem Betrachtungswinkel müsste man entsprechend weiter schlussfolgern, dass das Parlament aufgrund der durch das parlamentarische Regierungssystem geförderten engen Abstimmung mit der Exekutive noch eine weitgehende Einhaltung der Planvorgaben erwarten lässt, dies jedoch durch eine Volksgesetzgebung, die sich gerade durch ihre Gegenläufigkeit zum parlamentarischen Entscheidungsprozess auszeichnet, nicht mehr gesichert wäre. Um die Verwirklichung der Haushalts- und Finanzplanung nicht zu gefährden, müsste daher 670
Vgl. hierzu die technokratischen Ansätze bei Schelsky S. 453 und Luhmann JbRSoz 1970, 175 (201). Siehe zusammenfassend und ablehnend Bäumlin S. 28 f. 671 Vgl. Dobiey S. 85. Schelsky S. 453 geht indes noch weiter und verneint das Bedürfnis einer über die Erfüllung der Sachgesetzlichkeit hinausgehenden Legitimitätsvermittlung: „Die moderne Technik bedarf keiner Legitimität; mit ihr herrscht man, weil sie funktioniert."
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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das Volk als das im Zweifel am wenigsten informierte Gesetzgebungsorgan weitgehend von solchen Entscheidungen ausgeschlossen werden, die sich dergestalt auf finanz- und haushaltswirtschaftliche Planungszusammenhänge auswirken. Im Gegensatz dazu legt der dezisionistische Ansatz den Schwerpunkt auf den politischen Charakter einer Entscheidung672. Danach solle die exekutive Planung den Entscheidungsspielraum nicht etwa verengen, sondern - im Gegenteil - erweitern, indem sie die Komplexität der lebensweltlichen Zusammenhänge reduziere und damit als erkenntnisförderndes Instrument der Vorbereitung der Entscheidung diene. In einer Demokratie 673 müsse die maßgebliche Bedeutung dem Gesetzgebungsorgan zukommen, dessen Funktion nicht allein durch das „nackte Recht zur Beschlussfassung" zum Ausdruck komme, sondern durch die Möglichkeit, eine eigene, autonome politische Entscheidung zu treffen 674 . Daher sei insbesondere auch die Finanzplanung nicht als Entscheidungs-, sondern allein als unverbindliches Informationsinstrument zu verstehen, das lediglich über die Entwicklung des Haushalts und die finanzpolitischen Absichten der Regierung informiere und den Haushalt zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Beziehung setze 675 . Inhaltlich komme dem Finanzplan jedenfalls keine rechtliche, sondern allenfalls eine politische Bindungswirkung zu 6 7 6 , zumal er in der Praxis aufgrund der erheblichen Prognoseunsicherheiten und der sich ständig ändernden wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklungen häufig kaum über die bloße Fortschreibung des Haushaltsplans hinausgehe. Alle haushaltswirksamen Entscheidungen stehen nach diesem Verständnis unter dem Primat der Politik, so dass insoweit die Forderung nach einer entsprechenden Öffnung der Volksgesetzgebung diesem Vorrang der politischen Gestaltungsprärogative entspräche. Eine realistische Sichtweise, die nicht einseitig jeweils nur einen der genannten Aspekte haushaltswirksamer Entscheidungen in den Vordergrund stellt, wird dagegen in der Mitte zu finden sein, in der beide Gesichtspunkte zu einem pragmatischen bzw. integrierenden Ansatz im Sinne einer Wechselbeziehung zwischen dem Erfordernis haushalts- und gesamtwirtschaftlicher Planung auf der einen und der demokratischen Forderung nach einer legitimierten politischen Entscheidung auf der anderen Seite zu verbinden sind. Das Verhältnis zwischen politischen Entscheidungsträgern und sachverständigen Planexperten lässt sich somit am ehesten als eine Art Beauftragungsverhältnis beschreiben, aufgrund dessen die Gesetzgebung gemäß ihren gesellschaftlichen Zielvorstellungen der Exekutive aufgibt, Planungskonzepte zu entwickeln und die Entscheidungsträger entsprechend zu beraten und 672 Vgl. Bäumlin S. 59 f.; Dobiey S. 20. 673 Siehe zum Demokratieprinzip und seinen unterschiedlichen Aspekten, insbesondere auch zum Zusammenhang zum input- bzw. output-orientierten Ansatz im Einzelnen unten im 2. Teil unter A I I 2. 674 Vgl. Dobiey S. 20. 675 Heun S. 254 f. 676 Dobiey S. 30; Heun S. 235 und 244 f.; Vitzthum S. 71 ff.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
zu informieren, um so einen möglichst hohen Sachverstand und eine effiziente Planmäßigkeit in den Entscheidungsprozess einzubringen 6 7 7 . Nur aufgrund und i m Rahmen einer solchen Planung, die alle gesetzlichen Regelungen gerade auch mit ihren Wirkungen in der Zukunft berücksichtigen muss, kann der Legislative der Erlass von vernünftigen finanzwirksamen Gesetzen gelingen 6 7 8 , wobei die Planung mit zunehmender Verfestigung die weiteren gesetzgeberischen Entscheidungen zwar faktisch zunehmend bindet, Abweichungen und Korrekturen der Planung durch den Gesetzgeber aber solange möglich bleiben, soweit sie nicht in einen planlosen Zustand münden, sondern sich i m Rahmen des selben oder eines alternativen Planungskonzepts bewegen. Diese Konzeption der Wechselbeziehung zwischen politischer Entscheidung und Planung, die den Vorrang der Politik erhält und zugleich der Notwendigkeit staatlicher Planung entspricht, liegt letztlich auch zahlreichen, die Beziehung zwischen einzelgesetzlicher Entscheidung und Haushalts- und Finanzplanung betreffenden Regelungen zugrunde. So hat etwa die Regierung bei Einbringung eines Gesetzentwurfs anzugeben, wie sich das Gesetz auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung auswirkt 6 7 9 , auch die Abgeordneten sind in einigen Ländern bei eigenen Entwürfen zur Angabe der finanziellen Auswirkungen ausdrücklich verpflichtet 6 8 0 , und bei haushaltsbelastenden Beschlüssen muss
677 Vgl. Dobiey S. 20. 678 Dies gilt nicht nur für finanzwirksame Gesetze. Allgemein besteht für den Gesetzgeber die Anforderung, die der Regelung zugrunde liegenden realen Bedingungen zu erforschen, die relevanten Tatsachen - auch komplizierte Zusammenhänge des gesamtwirtschaftlichen Geschehens - durch hinreichende Aufklärung und Aufbereitung festzustellen, vgl. BVerfGE 50, 290 (333); Gusy ZRP 1985, 291 (292); Schwerdtfeger Ipsen-FS S. 173 (179 f.). Da Gesetze in der Regel auf Gestaltung der Wirklichkeit in der Zukunft gerichtet sind, erfordern sie die Erstellung von Prognosen, mit denen der Gesetzgeber die möglichen künftigen Auswirkungen der Regelungen abschätzen muss, vgl. allgemein Lübbe-WolffS. 11 ff. 679 § 10 Abs. 1 S. 1 LHO. Dies ist in den meisten Geschäftsordnungen der Landesministerien noch konkretisiert, vgl. hierzu etwa die detaillierte Regelung auf Bundesebene in § 44 Abs. 2 GGO: „Die Auswirkungen auf die Einnahmen und Ausgaben (brutto) der öffentlichen Haushalte sind einschließlich der voraussichtlichen vollzugsbedingten Auswirkungen darzustellen. ( . . . ) Die auf den Bundeshaushalt entfallenden Einnahmen und Ausgaben sind für den Zeitraum der jeweils gültigen mehrjährigen Finanzplanung des Bundes aufzugliedern. Dabei ist anzugeben, ob und inwieweit die Mehrausgaben oder Mindereinnahmen in der mehrjährigen Finanzplanung berücksichtigt sind und auf welche Weise ein Ausgleich gefunden werden kann. Die Beträge sind im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen zu errechnen, notfalls zu schätzen. ( . . . ) " . 680 Art. 68 Abs. 1 NdsVerf. Eine Angabe der finanziellen Auswirkungen ist auch in weiter gehenden Regelungen in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern enthalten, da die nach Art. 79 BayVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf erforderliche Bestimmung der Deckungsmöglichkeiten mit der Vorlage die Darlegung der finanziellen Folgen mit einschließt. Vgl. auch die entsprechenden Regelungen in den Geschäftsordnungen der Parlamente in § 11 Abs. 2 HessGOLT; § 50 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 RhPfGOLT; § 23 Abs. 3 SAnhGOLT. In Berlin enthält die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses eine inhaltlich weitergehende Sollvorschrift in § 37 S. 2 BerlGOAbgh.: „Anträge sollen mit einem Ausgleichsantrag zu ihrer Deckung verbunden werden.", wobei auch hier die Deckung die vorherige Angabe der finanziellen Auswirkungen mit einschließt. Die Regelungen der Darlegungspflicht sind allerdings z.T.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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das Parlament die finanzielle Deckung sicherstellen 681. Das bereits an anderer Stelle dargestellte 682 Subordinationsverhältnis des Haushaltsplans zum Einzelgesetz gilt entsprechend auch für die Finanzplanung: Zwar ist der Finanzplan der Haushaltswirtschaft zugrunde zu legen 683 , hat letztlich aber als exekutive Maßnahme für die Gesetzgebung keinen rechtlich bindenden Charakter, was sich im Übrigen bereits aus der Notwendigkeit einer ständigen Anpassung an die sich ändernde gesamtwirtschaftliche Entwicklung ergibt 684 . Vielmehr kann das Parlament von der Regierung sogar die Vorlage einer Alternativplanung verlangen 685. Und schließlich sind auch die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bei der Haushaltswirtschaft zu beachten686, doch bleibt dem Parlament hier ein weiter Beurteilungsspielraum, wie es diesen Erfordernissen gerecht werden will.
bb) Intellektuelle Überforderung des Volksgesetzgebers Aus der dargelegten Einbindung finanzwirksamer legislatorischer Einzelentscheidungen in die vielschichtige Aufgaben-, Haushalts- und Finanzplanung ergibt sich als Konsequenz für die folgende Untersuchung, dass ein Wissens- oder Informationsdefizit des Gesetzgebers nicht von vornherein den Ausschluss der planbezogenen Gesetzgebung rechtfertigen kann, sondern in erster Linie die Verpflichtung zum Austausch der relevanten Daten begründet: Die Wissensträger sind zur Weitergabe der Information, Aufklärung und Beratung angehalten, die Entscheidungsträger zur Entgegennahme und Verarbeitung der Informationen. Das Argument der intellektuellen Überforderung des Volksgesetzgebers ist daher schon aus diesen grundlegenden Überlegungen kaum überzeugend. Eine aufgeklärte Gesellschaft kann nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass seine mündigen Bürger aufgrund ihres geistigen Potentials weniger in der Lage sind, eine rationale Entscheidung zu treffen, als ein Abgeordneter. Das Problem liegt daher nicht in der Frage, ob, sondern allenfalls wie dem Volksgesetzgeber die entscheidungserheblichen Informationen in geeigneter Weise vermittelt werden können.
missverständlich, weil der Ausgabenbegriff mit dem Kostenbegriff oft synonym verwendet wird (siehe hierzu oben unter C I 1 b) und keine verbindliche Ermittlungsmethode festgelegt ist, vgl. Heuer § 10 BHO Rdnr. 3; Eichhorn S. 30. 681 Art. 82 Abs. 1 S. 3 BW-Verf; Art. 79 BayVerf; Art. 90 Abs. 2 BerlVerf; Art 104 BrandVerf; Art. 102 BremVerf; Art. 142 HessVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf; Art. 68 Abs. 2 NdsVerf; Art. 84 NRW-Verf; Art. 118 S. 1 RhPfVerf; Art. 107 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 97 Abs. 1 S. 3 SächsVerf; Art. 96 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 54 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. Keine entsprechende Regelung enthält die Verfassung Hamburgs. 682 Siehe oben unter C 1 1 c. 683 § 9 Abs. 1 S. 1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG. 684 Heun S. 235 und 244 f.; Vitzthum S. 71 ff. 685 § 50 Abs. 3 S. 2 HGrG. 686 Art. 109 Abs. 2 GG. 9 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Dem kann auch nicht der Hinweis entgegengehalten werden, dass sich der Abgeordnete für die Ermittlung und Beurteilung der finanziellen Auswirkungen der Gesetze zahlreicher Einrichtungen bedienen könne, die den Initiatoren eines Volksbegehrens und den Abstimmungsbürgern nicht zur Verfügung stehen. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Informationsmöglichkeiten der Parlamentarier vergleichsweise besser sind: Jede Fraktion ist mit einigen Abgeordneten i m Haushaltsausschuss des Parlaments vertreten 6 8 7 , in denen das konzentrierte Haushaltsfachwissen der entsprechenden spezialisierten Abgeordneten i m Parlament gebündelt i s t 6 8 8 . Darüber hinaus können die Volksvertreter aber auch die Regierung und eigene hausinterne Hilfsdienste 6 9 0 in Anspruch nehmen und i m Gesetzgebungsverfahren Informationen über ein „Hearing" oder eine Enquete-Kommission gewinnen 6 9 1 . Trotz dieser Möglichkeiten ist die Ermittlung der finanziellen Auswirkungen aber selbst für die Abgeordneten regelmäßig mit vielen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Häufig führen Zeitdruck, hohe Arbeitsbelastung oder unzureichendes Datenmaterial nur zu einer ungenauen Ermittlung bei der Erstel687 in einigen Ländern auch der Finanzausschuss oder der Hauptausschuss. Bei der Beratung der allgemeinen Gesetze können haushaltswirtschaftliche Aspekte zunächst in den federführenden Fachausschuss eingebracht werden, dessen Beratungsrecht umfassend ist und neben den gesellschaftspolitischen Auswirkungen auch die haushaltswirtschaftliche Perspektive abdecken kann. In erster Linie zuständig für die Einbringung finanzwirtschaftlicher Aspekte ist dagegen in der Regel der Haushaltsausschuss, der die finanziellen Auswirkungen einer Vorlage im Hinblick auf ihre Deckungsfähigkeit im Haushalt beurteilt. Für eine Prüfung der Auswirkungen auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht innerhalb des Parlaments kommen als zuständige Fachausschüsse ebenfalls der Haushaltsausschuss oder ein entsprechender Wirtschaftsausschuss in Betracht. Da ein Gesetz das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht regelmäßig erst dann beeinflusst, wenn es erhebliche finanzielle Auswirkungen aufweist, sind diese Gesetzentwürfe i.d.R. auch immer Finanzvorlagen, für die daher ohnehin der Haushaltsausschuss zuständig ist. Vgl. hierzu insbesondere Moeser S. 88 ff.; Troßmann § 96 Rdnr. 2.1. 688 Vgl. Schwerdtfeger Ipsen-FS S. 173 (180). 689 Nach § 10 Abs. 3 LHO (in Hessen und Thüringen Abs. 4, in Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland Abs. 5, nicht geregelt in Baden-Württemberg) sind die Landesregierungen verpflichtet, den Abgeordneten Hilfe bei der Ermittlung der finanziellen Auswirkungen zu leisten. Die Pflicht der Regierung zur Hilfestellung ist auch in einigen Geschäftsordnungen der Landesministerien konkretisiert, vgl. hierzu auf Bundesebene § 31 Abs. 2 GGO (i.d.F. vom 09. 08. 2000, GMB1. S. 526): „Bei einem Antrag eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages, der eine Einnahmeminderung oder Ausgabeerhöhung zur Folge hat, hilft das zuständige Bundesministerium im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen bei der Ermittlung der finanziellen Auswirkungen (§ 10 Abs. 3 Bundeshaushaltsordnung)." 690 Der wissenschaftliche Dienst begutachtet die Gesetzesvorlagen und kann Lösungsvorschläge erarbeiten, Ausschussassistenten bereiten das Material aus Verbänden, Ministerien und Sachverständigenanhörungen zur übersichtlichen Information auf, vgl. Donner DVB1. 1974, 187. 691 Vgl. die ausdrückliche Regelung in Art. 25 a BayVerf; Art. 44 Abs. 4 BerlVerf; Art. 73 BrandVerf; Art. 25 a HambVerf; Art. 77 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 55 SAnhVerf; Art. 63 ThürVerf. Möglich ist daneben auch die Befassung von beteiligten Fachkreisen und Verbänden (vgl. auf Bundesebene § 47 GGO).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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lung der Vorlagen. Darüber hinaus hat die Erfahrung gezeigt, dass die Ausgabenwirkung der Gesetzentwürfe meist so niedrig wie möglich kalkuliert werden, um den Erfolg der Vorlage im Parlament nicht zu gefährden, so dass zwischen den im Voraus geschätzten und den tatsächlichen Durchführungskosten oft erhebliche Unterschiede bestehen692. Die richtige Prognose der Haushaltsauswirkungen gelingt somit oft selbst dem Parlament bzw. der Regierung nicht, wodurch - zusätzlich bedingt durch die konjunkturbedingten Unwägbarkeiten der Einnahmenentwicklung - häufig Nachtragshaushalte und Haushaltsstrukturgesetze erforderlich werden, um die Gesetzeslage wieder an die jeweilige Haushaltslage anzupassen693. Insoweit wird die für die Parlamentarier bestehende Pflicht zur Ermittlung und Darlegung der finanziellen Auswirkungen durch das Kriterium der Zumutbarkeit eingeschränkt, insbesondere bei großer Eilbedürftigkeit 694 oder bei einem unverhältnismäßig hohem Ermittlungsaufwand 695, zudem kommt es bei Prognosen aufgrund ihrer Zukunftsgerichtetheit nur darauf an, dass die Ansätze im Rahmen einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung sachgerecht und vertretbar sind 696 . Lassen sich die finanziellen Auswirkungen nicht mit hinreichender Sicherheit oder mit zumutbarem Aufwand ermitteln, so sind zumindest die haushaltsrechtlichen Faktoren anzugeben, die die finanziellen Auswirkungen beeinflussen 697. Insgesamt können die zahlreichen Informationsmöglichkeiten des Parlaments aber nicht verhindern, dass letztlich auch die Mehrheit der Abgeordneten die Vernetzung finanzwirksamer Entscheidungen mit der gesamten Haushalts- und Finanzplanung einschließlich der dahinter stehenden Aufgabenplanungen nicht hinreichend überschauen kann. Da der Abgeordnete allenfalls in seinem Spezialbereich hinreichende Kenntnis besitzt, aber hinsichtlich der haushalts- und finanzrechtlichen Fragen sowie den meisten Gesetzesvorhaben außerhalb seines Fachgebiets kaum ausreichenden Sachverstand aufweisen kann, bleibt er bei seiner Meinungsbildung von den Empfehlungen der Regierung, der Fraktionsexperten oder externer Sachverständiger abhängig 698 und befindet sich daher strukturell in derselben Situation wie der nicht sachverständige Bürger 699 . 692 693 694 695 6% 697
Heuer § 10 BHO Rdnr. 3. Siehe hierzu oben unter C 1 1 c. BVerfGE 27, 380 (387). Vgl. hierzu im Zusammenhang mit dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unten C I V 2 b cc. BVerfGE 30, 250 (263); 39, 210 (230). Hagebölling Art. 68 Erl. 1.
698 Obst S. 280 f.; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 418 f. Vgl. hierzu den Bericht im Berliner Tagesspiegel vom 09. 04. 2002 über die Abstimmungen im Berliner Abgeordnetenhaus über das sog. „Risikoabschirmungsgesetz" im Zusammenhang mit der landeseigenen Bankgesellschaft: „Viele Abgeordnete verstanden gar nichts oder nur wenig von der komplizierten Materie. Manche gaben das offen zu." sowie die Äußerung des Abgeordneten Helms, a. a. O.: „Man kann den Eindruck gewinnen, dass heute mehr über die Hoffnungen und Einschätzungen und weniger über einen konkreten Gesetzentwurf abgestimmt wird, weil fast alle, die darüber abstimmen sollen, wegen der Kompliziertheit gar nicht wissen, worüber sie abstimmen." 9*
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Für die Volksgesetzgebung dürfen insoweit jedenfalls keine strengeren Maßstäbe gelten, zumal den Initiatoren und den Abstimmungsbürgern der parlamentarische Informationsapparat nicht zur Verfügung steht. Damit sich die Abstimmenden über die Tragweite ihrer Entscheidung ein Urteil bilden und eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen können, müssen sie vielmehr zuvor ausreichend informiert sein, die Auswirkungen des Gesetzentwurfs, insbesondere die Folgen für die bestehenden Planungen überblicken und seine Vor- und Nachteile abschätzen können 7 0 0 , wobei das Informationsbedürfnis um so größer ist, je mehr in bestehende Aufgaben-, Haushalts- und Finanzplanungen eingegriffen wird. Die erforderliche Information kann dabei nicht nur einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, die ein besonderes Interesse an einem bestimmten Ergebnis und daher an der Unterstützung entsprechender Informationskampagnen haben, überlassen werden. Hier wird man auch die staatlichen Organe in die Pflicht nehmen müssen, auf deren ergänzende Beurteilung die Völksgesetzgebung in besonderem Maße angewiesen ist 7 0 1 . Neben dem Parlament ist damit in besonderem Maße die Regierung und ihre mit hinreichendem Personal und Sachverstand ausgestattete Ministerialbürokratie gefordert, dieses Informationsdefizit zu kompensieren, die Auswirkungen einer finanzwirksamen Völksinitiative aufzuzeigen und verständlich aufbereitet der Öffentlichkeit zu vermitteln. Ebenso wie die Regierung auf das laufende parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durch die Möglichkeit von Stellungnahmen Einfluss nehmen kann 7 0 2 , hat sie den Entwurf eines Volksgesetzes regelmäßig mit einer Stellungnahme zu versehen, wenn das Volksbegehren zustande gekommen ist 7 0 3 . Damit kann sie insbesondere auf solche Folgen des Gesetzentwurfs aufmerksam machen, die von den Initiatoren nicht hinreichend beachtet wurden, womit sich auch möglichen Bedenken begegnen ließe, dass die Initiatoren eines Volksbegehrens - wie beim parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren - die prognostizierten Kosten so 699 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 419 f., der daraufhinweist, dass der Bürger insoweit sogar in einer besseren Position als der in die Fraktionsdisziplin eingebundene Abgeordnete ist, als er von dem Votum der Experten leichter abweichen und - besser als der Berufspolitiker - aus eigener Anschauung ein Problembewusstsein entwickeln kann. Zur Fraktionsdisziplin siehe auch unten Fn. 736. 700 BayVerfGHE 29, 244 (255); 47, 1 (15).
701 BayVerfGHE 47, 1 (16). 702 Insbesondere durch das Zutritts- und Anhörungsrecht im Parlament: Art. 34 Abs. 2 S. 1 BW-Verf; Art. 24 Abs. 2 BayVerf; Art. 49 Abs. 2 und 3 BerlVerf; Art. 66 Abs. 2 BrandVerf; Art. 98 Abs. 3 S. 1 BremVerf (regelt nur das Zutrittsrecht); Art. 23 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 HambVerf; Art. 91 S. 2 und 3 HessVerf; Art. 38 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 MV-Verf; Art. 45 Abs. 1 NRW-Verf; Art. 89 Abs. 2 und 3 RhPfVerf; Art. 76 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 49 Abs. 2 S. 1 SächsVerf; Art. 52 Abs. 2 SAnhVerf; Art 21 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 SchlH-Verf; Art. 66 Abs. 2 ThürVerf. Von großer Bedeutung ist allerdings auch der Einfluss der Regierung über die Arbeitsgruppen der Fraktionen der eigenen Partei. 703 Art. 74 Abs. 3 BayVerf; Art. 62 Abs. 2 BerlVerf; § 22 BrandVAG; Art. 70 Abs. 1 Buchst, d S. 4 BremVerf; Art. 124 Abs. 2 S. 2 HessVerf; Art. 48 Abs. 3 S. 2 NdsVerf; Art. 68 Abs. 2 S. 1 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 2 S. 1 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 4 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 2 S. 2 SAnhVerf; Art. 82 Abs. 4 ThürVerf.
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niedrig wie möglich kalkulieren, um den Erfolg des Begehrens nicht zu gefährden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass in den Ländern zunehmend der freie Zugang zu allen staatlichen Vorgängen und Unterlagen gesetzlich gewährleistet wird, wodurch die Informationsmöglichkeiten der Bürger erheblich gestärkt werden 704 . Man kann auch nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Auswirkungen auf den Haushalt aufgrund dessen Komplexität den Bürgern nur schwer vermittelbar seien. Aus dem Zusammenhang einzelner haushaltswirksamer Entscheidungen mit der Aufgaben-, Haushalts-, und Finanzplanung folgt nicht, dass etwa alle Einnahmen und Ausgaben im Haushalt und die gesamte hierauf bezogenen Planungen für die Beurteilung der Auswirkungen eines finanzwirksamen Gesetzes relevant sind. Selbst das Parlament bzw. der Haushaltsausschuss wird bei einer finanzwirksamen Entscheidung nicht jede Haushaltsposition berücksichtigen, sondern lediglich die für die Entscheidung maßgeblichen haushalts- und gesamtwirtschaftlichen Eckdaten heranziehen, anhand derer sich messen lässt, wie sich ein geplantes Gesetz etwa auf den Gesamthaushalt und das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht auswirkt. Und schließlich ist es auch zu begrüßen, wenn die Volksgesetzgebung dazu führt, dass die Komplexität von Entscheidungen reduziert wird und die Gesetze einfacher, klarer und bürgernäher gestaltet werden 705 . Dabei wird ein Volksbegehren, dass kompliziert ist und Verwirrung oder Zweifel bei den Abstimmungsbürgern hervorruft, eher abgelehnt werden oder mangels Beteiligung nicht die erforderliche Stimmenzahl erreichen. Die Erfolgschancen eines Entwurfs steigen daher umso mehr, je verständlicher er verfasst und begründet ist 7 0 6 . Im Übrigen ist es auch nicht von vornherein als defizitär zu beurteilen, wenn sich die Bürger mangels eigener Sachkenntnis am Urteil anderer, besser informierter Bürger oder Experten orientieren, denn damit unterscheidet sich der Bürger - wie gezeigt - nicht vom einzelnen Abgeordneten. Das Vertrauen auf die Sachkompetenz anderer steht dabei der Möglichkeit, eine eigene wertende Entscheidung zu treffen, nicht entgegen. Das Argument der eingeschränkten Möglichkeiten des Volks zur intellektuellen Aufarbeitung der vielschichtigen Finanzmaterie kann zu guter Letzt auch deshalb nicht die Unzulässigkeit der finanzwirksamen Volksgesetzgebung überzeugend begründen, weil die Komplexität insoweit nicht nur Haushaltsfragen, sondern alle 704 Vgl. hierzu das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz in Brandenburg v. 10. 03. 1998 (BrandGVBl. S. 46) und die Informationsfreiheitsgesetze in Berlin v. 15. 10. 1999 (BerlGVBl. S. 561), in Schleswig-Holstein v. 09. 02. 2000 (SchlH-GVBl. S. 46) und Nordrhein-Westfalen v. 27. 11. 01 (NRW-GVB1. S. 805). 705 Berlit KritV 1993, 318 (343); Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 192, ders. RuP 1986, 126 (129), der das Argument der Komplexität als „Legende" bezeichnet, „hinter der sich die Furcht der an der Macht befindlichen Gruppen vor politischen Entscheidungen verbirgt, die sie nicht ausreichend kontrollieren können". 706 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 411, 414 mit Verweisen auf Erfahrungen in den USA.
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fachlich komplizierten Gesetzesmaterien - nicht nur finanzieller Art - betrifft, die etwa einen besonderen naturwissenschaftlich-technischen Sachverstand erfordern oder die eine nur schwer überschaubare Ausstrahlung auf andere Rechtsmaterien haben und in größere Planungszusammenhänge eingebettet sind 707 . So können etwa das Datenschutzrecht, das Bauordnungs- und Bauplanungsrecht, das Abfall-, Umwelt- und Technikrecht oder selbst das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht komplizierte inhaltliche Fragen aufwerten, die ohne entsprechendes Fachwissen nicht zu bewältigen sind, die aber ohne Zweifel Gegenstand direktdemokratischer Regelungen sein können 708 ; auch hier wird vom Bürger die Erfassung und Bewertung komplexer Regelwerke erwartet 709 . Das Argument der Überforderung des Bürgers kann daher als solches noch nicht begründen, warum gerade finanzwirksame Themen ausgeschlossen sein sollen, sondern richtet sich im Grunde gegen die Volksgesetzgebung insgesamt710.
cc) Unzulängliche Berücksichtigung des finanziellen Ausgleichserfordernisses Ist es also nicht die Überforderung des Volksgesetzgebers, mit der sich die Ungeeignetheit der Finanzmaterie für die Volksgesetzgebung überzeugend begründen lässt, so steht aber möglicherweise das Erfordernis eines bestimmten, auf Kompromiss und Ausgleich abzielenden Verfahrens der Eignung dieser Materie entgegen. Die Planungsbedürftigkeit der Haushaltswirtschaft erfordert, dass finanzielle Entscheidungen entweder unter konformer Einfügung in die gegebenen Planungszusammenhänge ergehen oder aber unter Abänderung der Planung und Überführung in einen neuen Planungszusammenhang getroffen werden. So bedürfen insbesondere die Auswirkungen eines Gesetzes auf die Haushaltsplanung nach dem Grundsatz des Haushaltsausgleichs einer entsprechenden ausgleichenden Korrektur, die sich umso schwieriger erweisen wird, je weiter der Haushalt durch Verausgabung der eingestellten Mittel schon vollzogen ist 7 1 1 . Jede Entscheidung für eine
707 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80); v. Danwitz DÖV 1992, 601 (607); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 183; Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (184); Waldhoff S. 180, nach dem es in hochentwickelten Industriegesellschaften sogar überhaupt kaum noch „unkomplexe" Entscheidungslagen gebe. 708 Vgl. etwa das am 27. 02. 1991 in Bayern durch Volksentscheid beschlossene Bayerische Abfallwirtschafts- und Altlastengesetz (GVB1. S. 64) und das vorausgegangene Urteil des BayVerfGHE 43, 35. 709 BayVGH BayVBl. 1998,242. 710 Waldhoff S. 180. Vgl. auch Krause in: Isensee/Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 25; v. Danwitz DÖV 1992, 601 (607); Schneider Jellinek-FS S. 155 (168 f.), der aus diesem Gesichtspunkt heraus lediglich außenpolitische Fragen ausschließen möchte (allerdings auch einen Ausschluss von Haushalts- und Finanzfragen - aber mit anderer Begründung - befürwortet). 711 Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a.
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zusätzliche Ausgabe muss damit grundsätzlich mit einer entsprechenden ausgleichenden Entscheidung verbunden sein: entweder mit der Verringerung einer anderen Ausgabe oder mit einer Einnahmenerhöhung. Aber auch im Falle der freien Verfügbarkeit von Mitteln 7 1 2 folgt aus der Disposition, diese für einen bestimmten Zweck auszugeben, dass in gleichem Umfang ein anderes, konkurrierendes Ziel nicht mehr verfolgt werden kann. Die Entscheidung für den Einsatz begrenzter Mittel ist damit zugleich eine Entscheidung gegen eine andere Verwendung - mit entsprechenden Folgen für die Aufgabenplanung und ggf. auch für die längerfristige Finanzplanung. Jede ausgabenrelevante Maßnahme impliziert somit immer, dass die Herkunft der zu verwendenden Mittel - gegebenenfalls durch Verzicht auf einen alternativen Mitteleinsatz - gesichert werden muss. Die vom Grundsatz des Haushaltsausgleichs geforderte Vermeidung von Beschlüssen über ungedeckte Ausgaben 713 betrifft dabei nicht nur den Beschluss über den Haushalt als solchen, sondern jede finanzielle Entscheidung des Gesetzgebers, die sich auf den Haushalt der gegenwärtigen oder einer zukünftigen Haushaltsperiode auswirkt 714 . Für das parlamentarische Verfahren haben die Verfassungen Vorkehrungen getroffen, die die Einhaltung des Haushaltsausgleichs sicherstellen: In fast allen Ländern regeln die Landesverfassungen ausdrücklich, dass das Parlament bereits zur vorsorgenden Rücksichtnahme auf den Haushaltsausgleich angehalten wird 7 1 5 , indem bei Beschlüssen über finanzwirksame Gesetze deren haushaltsmäßige Deckung sicherzustellen ist 7 1 6 ; die Nichtbeachtung dieser Pflicht führt unmittelbar zur Verfassungswidrigkeit des beschlossenen Gesetzes717. Dabei unterscheiden sich die Regelungen insbesondere dahingehend, ob die Haushaltsauswirkungen noch in der laufenden oder erst in späteren Budgetperioden eintreten: Während einige Deckungsbestimmungen nur Auswirkungen auf den bereits festgestellten Haushaltsplan betreffen 718, beziehen andere auch den Haushaltsplanentwurf mit 712 Insbesondere infolge unerwarteter Einnahmeerhöhungen oder Ausgaben Verringerungen, z. B. durch höhere Steuereinnahmen als durch die Steuerschätzung prognostiziert, oder durch eine Abnahme der Zahl der Berechtigten für die Beanspruchung staatlicher Leistungen. 713 Geller/Kleinrahm/Dickersbach/Kühne Art. 84 Erl. 2.
714 Zum Zusammenhang zwischen finanzwirksamen Einzelgesetzen und Haushalt siehe insoweit auch oben unter C 1 1 c und unten unter C III 3 c bb (2). 715 Hagebölling Art. 68 Erl. 2; Meder Art. 79 Rdnr. 4. 716 Art. 82 Abs. 1 S. 3 BW-Verf; Art. 79 BayVerf; Art. 90 Abs. 2 BerlVerf; Art 104 BrandVerf; Art. 102 BremVerf; Art. 142 HessVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf; Art. 68 Abs. 2 NdsVerf; Art. 84 NRW-Verf; Art. 118 S. 1 RhPfVerf; Art. 107 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 97 Abs. 1 S. 3 SächsVerf; Art. 96 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 54 SchlH-Verf; Art. 99 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. Keine entsprechende Regelung dagegen in der Verfassung Hamburgs. 717 Giesen/Fricke Art. 84 Rdnr. 8; Hagebölling Art. 68 Erl. 2; v. Mutius/Wuttke/Hübner Art. 54 Rdnr. 8; H. Neumann, BremVerf, Art. 102 Rdnr. 12; Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 84 Rdnr. 5; Spitta Anm. zu Art. 102; Schweiger in: Nawiasky / Schweiger/Knöpfle Art. 79 Rdnr. 3. Nach v. Zezschwitz in: Zinn/Stein Art. 142 Erl. V 1 wirke die Verfassungswidrigkeit nur zwischen Landesregierung und Parlament, gewähre das Gesetz Ansprüche des Bürgers, so bleibe das Gesetz im Verhältnis Staat und Bürger wirksam.
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ein 7 1 9 . Dagegen wird in anderen Verfassungen ohne Bezugnahme auf die Haushaltsplanung allein darauf abgestellt, ob das Gesetz Ausgaben bzw. Einnahmensenkungen mit sich bringt 720 , in Hessen werden sogar ausdrücklich zukünftige Ausgaben mit umfasst 721 . Bei der Volksgesetzgebung ist eine solche Verknüpfung zwischen dem Haushaltsgesetz und dem einzelnen außerbudgetären Gesetz dagegen nicht vorgesehen. Der in den Landesverfassungen 722 und in § 2 S. 1 HGrG bzw. § 2 S. 1 LHO normierte Grundsatz des Haushaltsausgleichs bezieht sich insoweit allein auf die Aufstellung und Verabschiedung des Haushaltsplans, nicht dagegen auf die finanzwirksame Einzelgesetzgebung. Auch die Pflicht zur Berücksichtigung der finanziellen Deckung für außerbudgetäre Gesetze gilt nach den Verfassungen ausdrücklich nur für das Parlament 723 und ist daher auf die Volksgesetzgebung nicht anwendbar 724; das Gleiche gilt für die verfassungsrechtlich geregelten Ablehnungs- und Interventionsrechte der Regierungen 725. Lediglich die niedersächsische Regelung, dass bei Gesetzesvorlagen die finanziellen Auswirkungen in der Begründung dargelegt werden müssen726, gälte nicht nur für den parlamentarischen Gesetzgeber, sondern gleichermaßen für finanzwirksame Entwürfe aus dem Volk. Könnte der Völksgesetzgeber über finanzwirksame Gesetze beschließen, unterläge er damit also weder einer Deckungspflicht noch hätte er die Intervention der Regierung zu befürchten. Daraus ergeben sich in zweifacher Hinsicht deutliche Män718 Art. 82 Abs. 1 S. 3 BW-Verf; Art. 79 BayVerf; Art. 90 Abs. 2 BerlVerf; Art. 68 Abs. 2 NdsVerf; Art. 97 Abs. 1 S. 3 SächsVerf. 719 Art. 118 S. 1 RhPfVerf; Art. 107 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 99 Abs. 3 S. 2 ThürVerf. 720 Art 104 BrandVerf; Art. 102 BremVerf; Art. 142 HessVerf; Art. 64 Abs. 1 MV-Verf; Art. 84 NRW-Verf; Art. 96 Abs. 1 SAnhVerf; Art. 54 SchlH-Verf. 721 Art. 142 HessVerf. Zur Möglichkeit der Berücksichtigung zukünftiger Ausgaben vgl. ausführlicher im 2. Teil unter B II 3 a. 722 Art. 101 Abs. 2 S. 4 BrandVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 MVVerf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlHVerf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 ThürVerf. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist der Haushaltsausgleich als Soll-Vorschrift aufgenommen: Art. 79 Abs. 1 S. 2 BW-Verf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 NRW-Verf. Allein in Bayern, Berlin, Bremen und Hessen fehlt eine solche Bestimmung. 723 Für Berlin und Sachsen geht dies aus der Bezugnahme der die Deckungsbestimmung regelnden Norm auf Bestimmungen, die Beschlüsse des Parlaments betreffen, hervor, vgl. Art. 90 Abs. 1 und Abs. 2 BerlVerf und Art. 97 Abs. 1 S. 1 und S. 3 SächsVerf. 724 BayVerfGHE 29, 244 (270); BremStGH NVwZ 1988, 388 (390); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (488); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 183 f.; Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (202); vgl. auch Engels BayVBl. 1976, 201 (203); Röper ZParl 1997, 461 (469); Schweiger in: Nawiasky / Schweiger /Knöpfle Art. 73 Rdnr. 7, Art. 74 Rdnr. 4a. 725 Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (488); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 183 f. 726 Art. 68 Abs. 1 NdsVerf.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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gel einer etwaigen finanzwirksamen Volksgesetzgebung, deren Ausschluss der Finanzvorbehalt dient, nämlich zum einen in Bezug auf die Koordination der Finanzierungsmöglichkeiten und zum anderen hinsichtlich der Bereitstellung der erforderlichen Entscheidungsgrundlage. (1) Koordinations-
und Ausgleichsdefizit
Ist die Völksgesetzgebung rechtlich nicht zur Berücksichtigung der Finanzierungsfrage verpflichtet, so besteht auch in verfahrenspraktischer Hinsicht keine Möglichkeit, diesen Aspekt noch im Verlauf des Völksgesetzgebungsverfahrens in ausreichendem Maße in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist der erhebliche verfahrensstrukturelle Unterschied zwischen dem mehrstufigen direktdemokratischen Verfahrensablauf, der in die Abstimmung mit „Ja" oder „Nein" im Volksentscheid mündet, und den parlamentarischen Entscheidungen von Bedeutung. Die repräsentative Willensbildung zielt im Rahmen des politischen Programms der Parlamentsmehrheit i.d.R. auf die Herstellung eines Kompromisses 727, der alle gesellschaftlichen und staatlichen Interessen weitgehend zu berücksichtigen sucht, wobei die unterschiedlichen Anliegen noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren - durch Änderungen des Gesetzentwurfs - einbezogen werden können. Die entsprechende Meinungsbildung im Parlament erfolgt dabei auf mehreren institutionellen Ebenen im vorbereitenden Wirken sog. „Clearingstellen", in denen ein Entwurf diskutiert und modifiziert werden kann 728 : Während die maßgeblichen Beratungen in den Arbeitskreisen der Fraktionen stattfinden, in denen die innerparteiliche Willensbildung erfolgt, werden die Standpunkte der Fraktionen untereinander im sogenannten „innere" Gesetzgebungsverfahren in den einzelnen Ausschüssen des Parlaments koordiniert 729 . Eine entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Haushaltsausschuss zu, in dem die unterschiedlichen Deckungsmöglichkeiten eines Gesetzes entwickelt und erörtert werden und mit den im Diskurs zutage tretenden unterschiedlichen öffentlichen und privaten Interessen im Wege der Kompromissbildung in Übereinstimmung gebracht werden können 730 . Dabei kann der 727
Vgl. zum Kompromiss als Wesenselement der haushaltsrelevanten Entscheidung Ossenbühl in: Isensee / Kirchhof, HBdStR III, § 63 Rdnr. 6; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis, S. 408 f. 72 « Vgl. Berlit KritV 1993, 318 (342); Moeser S. 88 ff.; Troßmann § 96 Rdnr. 2.1. 72 9 Schwerdtfeger Ipsen-FS S. 173 (183). 730 Dabei bestehen grundsätzlich drei verschiedene Möglichkeiten für die Einbeziehung des Haushaltsausschusses: Zum einen kann er - auch ohne ausdrücklichen Überweisungsbeschluss des Plenums - eine gutachterliche Stellungnahme zu allen Gesetzen abgeben, die sich in den Fachausschussberatungen befinden, da die Ausschüsse jederzeit das Recht haben, Fragen aus ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich aufzugreifen und zu beraten. Das Plenum kann ein Gesetz neben dem federführenden Fachausschuss aber auch dem Haushaltsausschuss zur Mitberatung überweisen; als mitberatender Ausschuss übermittelt er dann seine Stellungnahme dem federführenden Ausschuss, der diese Stellungnahme bei seiner Beratung
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. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Gesetzentwurf gegebenenfalls auch an die haushaltsmäßigen Zwänge angepasst werden, um dadurch seine finanzielle Realisierung u.U. erst zu ermöglichen oder jedenfalls zu optimieren. Eine solche Flexibilität ist im Volksgesetzgebungsverfahren, das sich durch eine strenge Kompromisslosigkeit auszeichnet, nicht gegeben. Damit der volksbegehrte Entwurf als berechenbare Grundlage der öffentlichen Diskussion und Abstimmung zugrunde gelegt werden kann, sehen die Verfahrensvorschriften für die Volksgesetzgebung in den Ländern grundsätzlich keine Möglichkeit einer inhaltlichen Ergänzung oder Korrektur des Volksbegehrens im laufenden Verfahren vor 7 3 1 ; Volksentscheid und Völksbegehren haben also lediglich Antwortcharakter 732. Es wäre nun aber zu kurz gegriffen, wollte man allein mit dem Argument der Kompromisslosigkeit die Volksgesetzgebung generell als defizitär betrachten und daher etwa für alle wichtige Materien ausnehmen733, denn dies würde dem Sinn und der Funktion der direktdemokratischen Gesetzgebung nicht gerecht. Zweck des direktdemokratischen Verfahrens ist es gerade, nur einen ganz konkreten Vorschlag, der bereits abschließend eine bestimmte Abwägungsentscheidung im Sinne der begehrten Regelung getroffen hat, in die öffentliche Diskussion einzubringen und zur Abstimmung zu stellen. Infolge der fehlenden Möglichkeit einer Nachbesserung wird den Initiatoren zunächst lediglich die Möglichkeit genommen, durch eine Änderung die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Vorlage eine ausreichende Unterstützung im Volk erhalten wird 7 3 4 . Die Chance auf einen Erfolg im Volksentscheid ist dabei umso kleiner, je weniger unterschiedliche Interessen von der begehrten Regelung bedient werden 735 . Dieses Problem der Kompromisslosigzu berücksichtigen und in seinen Bericht gegenüber dem Plenum mit aufzunehmen hat. Schließlich kann der Gesetzentwurf auch dem Haushaltsausschuss zu Federführung überwiesen werden. 731 Vgl. hierzu v. Danwitz DÖV 1992, 601 (606); Geller/Kleinrahm/Fleck Art. 68 Anm. 2c; Krause Rdnr. 27; Stuby in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken S. 298; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 101. Nur in Hamburg und Sachsen haben die Initiatoren die begrenzte Möglichkeit, nach erfolgreicher Volksinitiative für das Volksbegehren (in Hamburg auch nach dem Volksbegehren für den Volksentscheid) einen überarbeiteten Gesetzentwurf einzureichen, §§ 6 Abs. 2, 18 Abs. 2 HambVVVG; § 16 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 SächsVWG. In Sachsen handelt es sich dann allerdings um eine erneute Volksinitiative, vgl. § 16 Abs. 3 SächsVWG, der die Einhaltung der Voraussetzungen für die Volksinitiative fordert. Anders dagegen in Hamburg, wo es sich dabei aber, um die Beteiligungsquoren nicht zu unterlaufen, nur um inhaltlich unbedeutende, redaktionelle Änderungen handeln darf, was vom Verfassungsgericht insoweit auch überprüft werden kann, § 26 Abs. 1 Nr. 2 HambVVVG. Vgl. im Übrigen oben unter A III. 732 Böckenförde in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 30 Rdnr. 4 und bereits C. Schmitt S. 36. Vgl. auch bereits Kaufmann S. 13: Es gibt „keine Deliberation, keine Diskussion, keine Möglichkeit der Amendation; es gibt nur Approbation oder Reprobation." 733 So Engelken DÖV 2000, 881 (891). 734 Maurer, Plebiszitäre Elemente, S. 29. 735 Auch die Ansätze in Hamburg und Sachsen, die nur eine ganz begrenzte Änderung der Vorlage noch im laufenden Volksgesetzgebungsverfahren ermöglichen (siehe hierzu unter A
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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keit betrifft daher insoweit jede politisch relevante Frage, denn es werden letztlich bei jedem Volksbegehren im Laufe der Diskussion bestimmte gesellschaftliche Interessen zutage treten, die möglicherweise besser in der Gesetzesregelung hätten berücksichtigt werden können. Damit handelt es sich bei dieser Problematik letztlich um eine Frage der ausreichenden Gemeinwohlorientierung des Gesetzentwurfs. Zwar kann sich die Kompromisslosigkeit der Volksgesetzgebung in Einzelfällen auch als Vorteil erweisen, wenn nämlich eine mehrheitlich als notwendig angesehene Regelung durch einen im repräsentativen Verfahren erarbeiteten und im Wege der Fraktionsdisziplin 736 durchgesetzten Kompromiss in ihrer Anwendbarkeit oder Effektivität so eingeschränkt würde, dass die erhoffte Wirkung etwa durch die Inanspruchnahme zahlreicher Ausnahmeregelungen letztlich ausbleibt. Nicht immer also führt der notwendige Zwang zum Kompromiss schließlich zu besseren und problemadäquaten Lösungen 737 . Die Kompromisslosigkeit und Unflexibilität des Volksgesetzgebungsverfahrens erweist sich aber dann als problematisch, wenn das Volksbegehren mit finanziellen Folgen verbunden ist, die eine haushaltsmäßige Deckung erfordern. Wird die Deckungsproblematik nicht schon bei der Ausarbeitung der Vorlage von Anfang an berücksichtigt, sondern erst während des Volksgesetzgebungsverfahrens öffentlich diskutiert, kann sie bei der Formulierung des Volksbegehrens selbst keine Berücksichtigung mehr finden, da die Anpassung des Gesetzentwurfs an die Haushaltslage im Verlauf des direktdemokratischen Verfahrens nicht möglich ist. Damit wäre nicht gewährleistet, dass eine ausgabenintensive Regelung in den untrennbar mit ihr verbundenen Finanzierungszusammenhang eingebunden wird und so die Auswirkungen auf die einzelnen Haushaltspositionen koordiniert und ausgeglichen werden. Die im parlamentarischen Verfahren mögliche nachträgliche Suche und Bestimmung einer Deckungsmöglichkeit unter Anpassung des Gesetzentwurfs noch im laufenden Gesetzgebungsprozess ist dem direktdemokratischen Verfahren verwehrt. III 1 a bb), können in diesem Zusammenhang dieser Unbeweglichkeit auch nicht entscheidend entgegenwirken. 736 Durch die faktische Fraktionsdisziplin als Ausprägung der parteienstaatlichen Demokratie ist das Stimmverhalten der Abgeordneten maßgeblich vorbestimmt. Da der Abgeordnete sein Mandat i.d.R. als Vertreter seiner Partei erteilt bekommt und damit seine praktische Mitwirkung an der Arbeit des Parlaments in besonderer Weise von seiner Partei- und Fraktionszugehörigkeit bestimmt wird, können die Fraktionen daher in Grenzen auf ihre Abgeordneten einwirken und sie an deren Positionen binden, um eine gewisse Stabilität und Geschlossenheit als Voraussetzung für eine wirksame Fraktionsarbeit zu erhalten. Dadurch wird eine berechenbare Konformität im Abstimmungsverhalten hergestellt, die beim Volksentscheid nicht besteht. Vgl. hierzu Hesse Rdnr. 599; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rdnr. 495 f. Zu den Grenzen der Fraktionsdisziplin vgl. Schneider in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 38 Rdnr. 36 f.; Klein in: Isensee/Kirchhof, HBdStR II, § 41 Rdnr. 16. 737 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 185 f.; Berlit KritV 1993, 318 (343). Wie sehr der Zwang zu einem Kompromiss die Effektivität der Regelung beeinträchtigt, zeigen aktuelle Ergebnisse etwa aus den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich oder zum Dosenpfand, oder im internationalen Rahmen etwa die Regelungen zur Umsetzung der Klimaschutzziele.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
(2) Informations-
und Abwägungsdefizit
Die fehlende Berücksichtigungsmöglichkeit der Haushaltsdeckung führt zu einem weiteren Komplexitäts-Problem: Wäre durch einen Volksentscheid die Regelung einer bestimmten Mittelverwendung möglich, ohne dass gleichzeitig die Mittelherkunft geregelt würde, müsste das Finanzierungsproblem nachträglich vom Parlament gelöst werden. Damit würden die konkreten Auswirkungen des Gesetzes also auch davon abhängen, wie das Parlament den Ausgleich herstellen würde, so dass angesichts der insoweit bestehenden Ungewissheit über die noch zu treffende Ausgleichsentscheidung eine vollständige Kenntnis der für die individuelle Entscheidung relevanten Tatsachen durch den isoliert zur Abstimmung gebrachten Volksgesetzentwurf nicht gegeben wäre. Weil das Volk in die Entwurfsvorbereitung nicht eingebunden ist, ist es aber in besonderem Maße darauf angewiesen, die Folgen der Entscheidung bereits bei der Abstimmung abschätzen zu können 738 . Der Bürger muss den Inhalt und die Tragweite des Entwurfs aus dem Gesetzentwurf selbst und dessen Begründung erkennen können 739 , da sonst die Gefahr besteht, dass das Abstimmungsergebnis verfälscht wird 7 4 0 . Gerade diese Gefahr besteht hier aber, wenn die finanziellen (Ausgleichs-)Folgen für den Einzelnen aus dem ausgabenerhöhenden oder einnahmenmindernden Gesetz nicht absehbar sind. Das Vertrauen auf die Einsicht der Bürger, dass die Finanzierung einer zur Abstimmung stehenden Gesetzesmaßnahme immer auch zu persönlichen Einkommens- oder Leistungseinbußen führen wird, indem etwa die Steuern und Abgaben erhöht oder bestimmte staatliche Leistungen gekürzt werden 741 , kann diese Bedenken indes nicht ausräumen. Das bloße Bewusstsein einer bestehenden Ausgleichspflicht des Parlaments reicht als Grundlage für eine Abstimmungsentscheidung nicht aus, denn diese kann auch mit der Hoffnung verbunden sein, dass zusätzliche Abgaben oder Einsparungen nicht die eigene Person treffen werden oder jedenfalls bei einem selbst nicht so schwer ins Gewicht fallen, dass sie die persönlichen Vorteile aus dem Gesetz aufwiegen. Nach diesem „Floriansprinzip" (Gütiger St. Florian, verschon' mein Haus, zünd's andre an 7 4 2 ) hat ein Gesetz immer dann größere Chancen auf Verwirklichung, wenn als Ausgleich für eine den Abstimmenden begünstigende Ausgabenerhöhung eine Einsparung in einem Bereich propagiert wird, die den Abstimmenden selbst nicht betrifft. Die von jedem Einzelnen zu treffende Präferenzwahl zwischen mehreren staatlichen Gütern oder Leistungen setzt also voraus, dass die Entscheidung über die finanzwirksame Angelegenheit unter gleichzeitiger Berücksichtigung einer entsprechenden Ausgleichsmaßnahme er738 Vgl. BremStGH NordÖR 2000, 186 (151). 739 BayVerfGHE 29, 244 (254); 31, 77 (95); BayVerfGH BayVBl. 2000, 397 (400). 740 BayVerfGHE 31,77 (95). 741 So BrandVerfG LKV 2002, 77 (80); Berlit KritV 1993, 318 (358). 742 Vgl. Maunz/Zippelius S. 76; Seckler S. 245.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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folgt. Bliebe dagegen der Ausgleich einer späteren Bestimmung durch das Parlament vorbehalten, könnte insoweit keine konkrete Abwägung zwischen den Zielen des finanzwirksamen Gesetzes und dessen haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen stattfinden, so dass die Entscheidung des Einzelnen auf weitgehend irrationalen Vermutungen und Hoffnungen oder auf einer Verdrängung der Folgen beruhen würde. Dies gälte insbesondere auch für diejenigen, die von den Regelungen des finanzwirksamen Gesetzes gar nicht unmittelbar betroffen wären und sich daher, soweit sie möglicherweise dem Volksbegehren gleichgültig gegenüberständen, an der Abstimmung nicht beteiligen würden. Zeigte sich dann im Nachhinein, dass sie von den Ausgleichsfolgen betroffen wären, so hätten sie sich, wenn sie diese Auswirkungen schon vorher gekannt hätten, u.U. aktiv an der Volksgesetzgebung beteiligt und sich gegen das geplante Gesetz entschieden. Diesem Informationsdefizit lässt sich nicht durch Vorlage eines eigenen haushaltsrechtlich verantwortbaren Gesetzentwurfs des Parlaments oder einer Stellungnahme der Regierung begegnen743. Ein konkurrierender Parlamentsentwurf, der aufgrund der Deckungsnotwendigkeit eine eingeschränkte Regelung träfe, würde zwangsläufig nicht so attraktiv sein wie das weiter gehende Volksbegehren selbst, und auch eine Ankündigung von erforderlichen Einschnitten zur Finanzierung durch Regierung oder Parlament böte hier keine hinreichende Beurteilungsgrundlage, denn eine verbindliche Entscheidung über die Ausgleichsmaßnahmen wäre damit noch nicht erfolgt. Als angekündigte Finanzierung könnten von Parlament oder Regierung sogar nach abstimmungstaktischen Gesichtspunkten etwa besonders unpopuläre Ausgabenkürzungen oder Abgabenerhöhungen in Aussicht gestellt werden, damit der Gesetzentwurf möglichst wenig Zustimmung erhält, wie umgekehrt auch von den Befürworten eine möglichst unmerkliche Finanzierung über Kreditaufnahme vorgeschlagen werden könnte, wodurch die Finanzierungsproblematik allerdings nur in die Zukunft verlagert und die erforderliche Belastung der Bürger verschleiert würde 744 . Insoweit erweist sich die Volksgesetzgebung somit - jedenfalls in ihrer derzeitigen Ausgestaltung, in der keine Festlegung auf eine Deckungsmaßnahme erfolgt 745 - als ungeeignet für finanzwirksame Entscheidungen.
b) Verhinderung
von Missbrauch
Ein weiterer Sinn und Zweck des Finanzvorbehalts wird von einem Teil der Rechtsprechung darin gesehen, einem Missbrauch der Volksgesetzgebung vor-
743
So aber Schweiger in: Nawiasky / Schweiger /Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8. Zu dieser Verzerrung der politischen Willensbildung als Folge einer „Staatsschuldillusion" vgl. v. Arnim /Weinberger S. 76 f. Siehe hierzu auch unter C III 2 c bb (3)(b). 745 Zu entsprechenden anderen Regelungsmöglichkeiten vgl. im 2. Teil unter B I und II. 744
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
zubeugen746. Diese Gefahr sei vor allem in den Ländern besonders hoch, in denen die Verfassung beim Volksentscheid keine Mindestbeteiligung der Stimmberechtigten vorsehe, sondern die einfache Mehrheit der Abstimmenden genüge 747 . Damit könnte eine verhältnismäßig kleine aktive Gruppe gegen den wahren Willen der Mehrheit der Staatsbürger staatliche Leistungen zugunsten bestimmter Bevölkerungsgruppen durchsetzen oder staatliche Einnahmen verkürzen, denn es sei nach Ansicht des BayVerfGH „bei Gesetzesinitiativen finanzieller Natur ( . . . ) erfahrungsgemäß nicht schwierig, aus den Reihen der unmittelbar betroffenen Interessenten die erforderliche Zahl von Unterschriften zu erhalten". Auf diese Weise könne „verhältnismäßig leicht erreicht werden, daß ein Teil des Volkes zuungunsten eines anderen Teiles über die Verteilung wirtschaftlicher Lasten entscheidet" 7 4 8 , „besonders, wenn der belastete Teil eine Minderheit darstellt oder wenn der Mehrheit des Volkes die betreffende Frage aus irgendwelchen Gründen, z. B. persönliche Nichtbetroffenheit, gleichgültig" sei 7 4 9 Dies führe zu einer Selbstbedienung, die gerade bei finanzwirksamen Gesetzgebungsgegenständen zu befürchten sei, da der einzelne Stimmberechtigte sich hierbei allein danach ausrichten werde, ob das Volksbegehren seine Interessen fördere. Für eine gemeinwohlorientierte Entscheidung sei dagegen eine Distanz zu populären und eigensüchtigen Interessen erforderlich, die allein der Abgeordnete als Vertreter aller Bürger aufbringen könne 750 . Diese Gefahr des Missbrauchs bei einer haushaltsrelevanten Völksgesetzgebung wird auch in Teilen der Literatur beschrieben 751: Abstimmungen über finanzielle Angelegenheiten, die maßgeblich vom Eigennutz und der Rücksicht auf den eigenen Geldbeutel bestimmt wären 752 , widersprächen dem Rechtsstaatsprinzip, das bei staatlichen Entscheidungen eine Rücksicht auf die Interessen der Entscheidungsträger verbiete 753 , so dass finanzielle Abstimmungen des Volks in eigener 746 Grundlegend BayVerfGHE 29, 244 (287 f.) und BayVerfGH BayVBl. 2000, 397 (400). Ebenso ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40 und 41). Ablehnend dagegen BrandVerfG LKV 2002, 77 (80 f.) und SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240). Der BremStGH und das BVerfG gehen in den oben genannten Urteilen gar nicht auf die Missbrauchsproblematik ein. 747 So in Bayern (Art. 2 Abs. 2 S. 2 BayVerf), Hessen (Art. 124 Abs. 3 S. 2 HessVerf) und Sachsen (Art. 72 Abs. 4 S. 2 SächsVerf). 748 BayVerfGHE 29, 244 (268). 749 BayVerfGH BayVBl. 2000, 397 (400). 750 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (41). 751 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Busse S. 193; v. Danwitz DÖV 1992, 601 (603, 607); Engelken DÖV 2000, 881 (891 f.); Fessmann BayVBl. 1976, 389 (390); Hagebölling Art. 48 Erl. 1; Hartwig S. 187; Isensee DVB1. 2001, 1161 (1164); Krause in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 27; Schmitt Glaeser DÖV 1998, 824 (830); Schneider Jellinek-FS S. 155 (168); Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. III 3; Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (35 f.); Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 42. 752 Engelken DÖV 2000, 881 (892). 753 Henke in: Dolzer/Vogel Art. 21 Rdnr. 322; Isensee DVB1. 2001, 1161 (1164); Stöffler ThürVBl. 1999, 33 (35 f.).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushalts Vorbehalts
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Sache verhindert werden müssten754. Der Stimmbürger sei unter dem Schutz des Abstimmungsgeheimnisses keiner öffentlichen Beobachtung oder Kritik ausgesetzt, die ihn zwinge, partikuläre Interessen zurückzusetzen und auf andere Interessen Rücksicht zu nehmen, so dass niemand für die Entscheidung des Volkes die Verantwortung trage oder diese Verantwortung einfordern könne 755 . Zudem wird auch die Gefahr gesehen, dass das Volk gerade bei Haushaltsfragen dazu neige, populistisch erzeugten Stimmungen zu folgen, so dass hier besonders die Gefahr einer demagogischen Beeinflussung bestehe756. Auf anderer Seite wird diese Argumentation aber sowohl in der Literatur 757 als auch von Teilen der Rechtsprechung 758 abgelehnt. In der Betonung der Missbrauchsgefahr, so die Gegenansicht, komme ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Volk und ein Zweifel an dessen demokratischer Reife zum Ausdruck, dass der jeweilige Landesverfassungsgeber nicht geteilt habe 759 . Es gebe kein Erfahrungswissen, wonach die im besonderen Maße auf Öffentlichkeit angewiesene Volksgesetzgebung einen größeren Hang zur kollektiven Selbstschädigung habe als die parlamentarische 760; statt dessen zeigten die Erfahrungen in den USA und der Schweiz, wo haushaltsbezogene Volksentscheidungen zulässig seien, dass dort die Bürger auch in Finanzfragen Verantwortungsbewusstsein beweisen würden 761 . 754 Vgl. neben den zuvor Genannten ebenso Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Hartwig S. 187; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 42. 755 Vgl. Engelken DÖV 2000, 881 (892); Krause in: Isensee/Kirchhof, HBdStR I, § 27 Rdnr. 26; Isensee DVB1. 2001, 1161 (1164); Schmitt Glaeser DÖV 1998, 824 (830), der die direkte Demokratie daher als „sehr gefährliche Regierungsform" betrachtet. 756 Krause in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 27 unter Bezugnahme auf die Äußerung Heuss' im Parlamentarischen Rat, Stenographischer Bericht, 3. Sitzung vom 09. 09. 1948, S. 43, die direkte Demokratie sei eine „Prämie für jeden Demagogen"; Tipke, Das Recht des Völksentscheids, S. 43. 757 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 185 ff., 290 ff.; Heußner, Völksgesetzgebung in den USA, S. 182; Kertels/Brink NVwZ 2003, 435 (431); Kühne ZGG 1991, 116 (118); Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 28; Przygode S. 406 („Überbetonung der Missbrauchsgefahr"); Rux LKV 2002, 252 (254); Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (185); Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302). Zweifelnd auch Burmeister Die Verwaltung 1996, 181 (208); Degenhart Der Staat 1992, 77 (94) und Hinkel Art. 124 Erl. 2. Offengelassen von Röper ZParl 1997,461 (470). 758 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80 f.); SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240). Ebenso scheinen der BremStGH und das BVerfG dem Missbrauchsargument distanziert gegenüberzustehen, da beide Gerichte trotz umfangreicher Bezugnahme auf den BayVerfGH gerade diesen Gesichtspunkt nicht aufgenommen haben. 759 Kühne ZGG 1991,116 (118); Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (185). 760 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80); Kühne ZGG 1991, 116 (118); Sondervotum Preuß/ Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302); Siekmann in: Neumann/v. RaumerS. 181 (185). 761 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240); v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 295 f.; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 182; P.M. Huber, Volksgesetzgebung, S. 80; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 28; Rux LKV 2002, 252 (254); Sondervotum zum Urteil des BayVerfGH vom 31. 03. 2000, BayVBl. 2000,430 (431 f.).
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Der Missbrauchsgefahr werde zudem durch erhebliche verfahrensrechtliche Hürden begegnet, die eine Volksinitiative bis zum Volksentscheid zu überwinden habe 7 6 2 . Es habe sich im Übrigen gerade umgekehrt erwiesen, dass sich in der repräsentativen Demokratie gut organisierte Partikularinteressen häufig zu Lasten von allgemeinen Interessen durchsetzen könnten 763 . In dem hier skizzierten Meinungsstreit besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass die Auslegung der Finanzvorbehaltsklausel einem ideologischen, mit Mutmaßungen über die Anfälligkeit des Volks für Demagogie oder Gruppenegoismus argumentierenden Zweckrationalismus unterliegt 764 . Problematisch ist darüber hinaus auch der Hinweis auf positive Erfahrungen mit den unterschiedlich ausgestalteten und daher nicht ohne weiteres vergleichbaren Regelungen der Volksgesetzgebung in anderen Staaten, zumal der Umstand, dass es bisher nicht zu einem Missbrauch gekommen ist, nichts darüber aussagt, inwieweit die Gefahr eines Missbrauchs besteht, der vorgebeugt werden muss 765 . Das Missbrauchsargument soll daher im Rahmen der aktuellen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Volksgesetzgebung einer näheren Betrachtung unterzogen und auf dessen rationale Stichhaltigkeit hin untersucht werden. Zwei grundlegende Komplexe sind hierbei zu unterscheiden: zum einen die Befürchtung einer gemeinwohlschädlichen Selbstbedienung von Sonderinteressen und zum anderen die Gefahr der demagogischen Manipulation.
aa) Privatinteresse und Selbstbedienung Zunächst ist das Argument zu untersuchen, dass bei haushaltsrelevanten Fragen einzelnen Gruppen die Möglichkeit eröffnet sei, im Wege einer Selbstbedienung unter Vernachlässigung des Allgemeinwohls ihre Sonderinteressen durchzusetzen, und der Bürger sein Abstimmungsverhalten - im Unterschied zum uneigennützigen, am Gemeinwohl orientierten Handeln des Abgeordneten - allein an seinem durch private Wünsche bestimmten Eigeninteresse ausrichten und ohne Distanz zu eigenen Interessen und ohne jede Verantwortung in eigener Sache entscheiden könne. Hier erweist sich bereits die tragende Prämisse, dass bei finanziell erheblichen Fragen materielle Privatinteressen in besonderem Maße in den Vordergrund treten, bei näherer Betrachtung als fragwürdig. So wurden etwa die in den oben dar762 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80); Burmeister Die Verwaltung 1996, 181 (208); Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299. 763 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 185. 764 Vgl. im Zusammenhang mit dem Missbrauchsargument Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (185). Zur Ideologieanfälligkeit der Diskussion über die Volksgesetzgebung siehe bereits oben in der Einführung vor I sowie Rinken Hollerbach-FS S. 403 (403,411). 765 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). Kritisch auch Rinken Hollerbach-FS S. 403 (410 Fn. 26).
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gestellten Verfahren behandelten Gesetzesvorhaben bezüglich der Rückführung von Ausländern 766 oder der Verkleinerung von Schulklassen767 wegen erheblicher finanzieller Wirkungen für unzulässig erklärt, doch wären die beabsichtigten Regelungen nicht mit unmittelbar finanziellen Vorteilen der abstimmenden Bürger verbunden gewesen768. Umgekehrt spricht auch nichts für die Annahme, dass bei finanziell unbedeutenden Gesetzen, die die Bürger lediglich in ideeller Hinsicht betreffen, der Eigennutz eine weniger große Bedeutung hat. Die Ausrichtung am individuellen Interesse kann unabhängig davon erfolgen, ob es um die Verteilung von Freiheiten, um die Zuteilung von Rechten und Pflichten oder die Zuweisung finanzieller Mittel geht. Es wäre aber auch geradezu widersinnig, wollte man nur solche Gegenstände zur Abstimmung zulassen, die nicht mit einem Vorteil oder Nachteil für die Bürger verbunden sind, denn die Motivation für eine Beteiligung an einem Volksentscheid wird in erster Linie erst durch die persönliche Betroffenheit von oder jedenfalls durch ein privates Interesse an einer politischen Frage geweckt 7 6 9 ; die von den Abstimmungsquoren geforderte hohe Beteiligung am Volksentscheid ist somit geradezu davon abhängig, dass möglichst viele Stimmberechtigten an dem Abstimmungsgegenstand ein eigenes Interesse haben - unabhängig von seiner materiellen oder ideellen Natur. Dass die Völksabstimmung die persönlichen Angelegenheiten der einzelnen Stimmbürger betrifft, kann sich daher geradezu fördernd auf das Funktionieren der direkten Demokratie auswirken und eignet sich somit nicht als Argument gegen die haushaltswirksame Volksgesetzgebung. Weiterhin ist auch fraglich, ob die Vorstellung vom Abgeordneten, dem in Distanz zu den Einzelinteressen das persönliche Interesse an dem Ergebnis einer politischen Entscheidung fehlt, der Wirklichkeit gerecht wird. Nach dem Leitbild des die Staatstätigkeit uneigennützig ausübenden und sich am Gemeinwohl orientierenden Abgeordneten 770 soll das öffentliche Amt durch die Abkoppelung des Entscheidungsprozesses von der direkten Betroffenheit des Abgeordneten als Entscheidungsträger die treuhänderische Wahrnehmung der fremden Interessen der Bürger ermöglichen 771 . Durch die Weisungsfreiheit der Abgeordneten sei zudem die Voraussetzung dafür gegeben, dass das Mandat nicht an das Interesse bestimm766 NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188. 767 BayVerfGHE 47, 276; BremStGH NVwZ 1998, 388. 768 Die Förderung der Rückführung der Ausländer ist in erster Linie eine migrationspolitische Problematik, das hierauf gerichtete Volksbegehren hätte keine direkten persönlichen finanziellen Vorteile für die Bürger gehabt, allenfalls indirekt etwa als Hoffnung auf eine Verbesserung der Arbeitsmarktsituation. Die Völksbegehren zur Verkleinerung von Schulklassen betrafen in erster Linie die nicht-abstimmungsberechtigten Schulkinder; finanzielle oder materielle Vorteile der Eltern wären hiermit ebenfalls nicht verbunden gewesen. 769 Jung Leviathan 1987, 242 (254). 770 Vgl. Z ur entsprechenden Auslegung des Amtsbegriffs im Rahmen der Repräsentation Böckenförde Eichenberger-FS S. 301 (320 ff.), zur Bedeutung des Amts für rechtsstaatliche Entscheidungen Isensee Schiedermair-FS S. 181 ff.; Henke in: Dolzer/ Vogel Art. 21 Rdnr. 322; ders. Der Staat 1992, 98 (102 f.). 771 Böckenförde Eichenberger-FS S. 301 (320). 10 Krafczyk
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ter Bevölkerungsgruppen oder Wahlkreise geknüpft sei 7 7 2 , da sie entsprechend ihrer verfassungsrechtlichen Stellung Vertreter des ganzen Volks sind 773 . Dieses Bild des zu allen populären und eigensüchtigen Interessen distanziert gegenüberstehenden Abgeordneten ist jedoch eher Anspruch, als dass es der Wirklichkeit entspricht 774 . Selbst wenn die Amtsstellung und das freie Mandat grundsätzlich die Berücksichtigung aller gesamtstaatlichen Interessen ermöglichen mag, verhindert dies nicht, dass der auf seine Wiederwahl angewiesene Abgeordnete die Sonderinteressen bestimmter Bevölkerungsgruppen bevorzugt vertritt. Durch das Vorhandensein verschiedener Parteien wird die Existenz eines bestimmten Klienteis sogar geradezu vorausgesetzt 775. Der Amtsbegriff verdeckt darüber hinaus den Umstand, dass auch die Abgeordneten selbst nicht frei von persönlichen Interessen sind, sondern ein spezifisches privates Berufsinteresse haben: Die „ökonomische Theorie der Politik" 7 7 6 knüpft an diesen Zusammenhang an und geht sogar davon aus, dass die Entscheidungen der Politiker gerade nicht selbstlos auf das Gemeinwohl zielten, sondern sich in erster Linie an deren beruflichen und damit persönlichen Motiven orientierten und am Erhalt und Zuwachs von Einfluss, Ansehen und Einkommen ausgerichtet seien. Im Konkurrenzkampf um Macht, Prestige und Amt werde die Politik nur als Mittel zur Stimmenmaximierung genutzt, die soziale Gemeinwohlfunktion werde dabei nur als Nebenprodukt privater Motivation erfüllt 777 . Es wäre nun aber eine ebenso einseitige Sichtweise, wollte man mit dieser Argumentation dem Abgeordneten jede Gemeinwohlorientierung absprechen, wie umgekehrt auch eine idealistische Überhöhung der Abgeordneten zum „besseren Ich der Nation" 7 7 8 den Blick auf die politische Realität verstellen würde. Die repräsentationsorientierte Ansicht von der dem Amtsethos zukommenden „Vergütungsfunktion" muss zumindest relativiert werden 779 , denn in der Praxis kann nicht übersehen werden, dass die Stimmenmaximierung insbesondere vor Wahlterminen 77 2
Maunz in: Maunz/Dürig Art. 38 Rdnr. 11. Art. 27 Abs. 3 S. 1 BW-Verf; Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayVerf; Art. 38 Abs. 4 S. 1 BerlVerf; 56 Abs. 1 S. 1 BrandVerf; Art. 83 Abs. 1 S. 1 BremVerf; Art. 7 Abs. 1 S. 1 HambVerf; 77 HessVerf; Art. 22 Abs. 1 MV-Verf; Art. 12 S. 1 NdsVerf; Art. 79 S. 2 RhPfVerf; 66 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 39 Abs. 3 S. 1 SächsVerf; Art. 41 Abs. 2 S. 1 SAnhVerf, 11 Abs. 1 S. 1 SchlH-Verf; Art. 53 Abs. 1 S. 1 ThürVerf.
773
Art. Art. Art. Art.
™ Vgl. Sachs LKV 2002, 249 (251); Rux LKV 2002, 252 (254); v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 290, der von einem „unzulässigen Schluss von dem normativ vorausgesetzten Bild auf die Wirklichkeit" spricht. 77 5 v. Münch (3. Auflage) Art. 38 Rdnr. 68. 77 6 Vgl. hierzu und zu dem Zusammenhang mit der „Neuen Politischen Ökonomie" Herder-Dorneich JbNPÖ 1995, 1 (3 ff.), zur sog. Theorie der Stimmenmaximierung vgl. etwa Downs S. 50 ff.; Zimmermann/Henke S. 65 ff. 77 7
Schumpeter S. 448.
™ Isensee DVB1. 2001, 1161 (1164), Krause in: Isensee/Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 27. 77 9 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 290. Vgl. kritisch zum Amtsethos auch Wassermann NJW 2000, 1159 f.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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regelmäßig zum beherrschenden Verhaltensgrundsatz der Abgeordneten im Parlament wird und sie dazu verleitet, großzügige Sozialmaßnahmen und andere Ausgaben als „Wahlgeschenke" zu Lasten des Gemeinwohls und späterer Generationen zu beschließen780. Deutlich zeigt sich die Befangenheit der Abgeordneten etwa auch bei der Diskussion um die Regelung der Diätenhöhe oder der Parteienfinanzierung 781. Der im Zusammenhang mit der Missbrauchsproblematik gegen die Volksgesetzgebung im Finanzbereich vorgebrachte Einwand, dass es hier keine dem parlamentarischen Verfahren vergleichbare Verantwortungsbeziehung des Abstimmungsvolkes oder dessen Mehrheit gegenüber einem übergeordneten Verantwortungssubjekt gebe, ist ebenfalls fragwürdig. Der Umstand, dass das Volk nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, ist schließlich die zwangsläufige Folge der Volkssouveränität und liegt gleichermaßen auch den Wahlentscheidungen zu Grunde 782 ; es ist daher bedenklich, wenn für die beiden institutionell verschiedenen Gesetzgebungsformen mit ihren unterschiedlichen Entscheidungsstrukturen ein gleiches öffentliches Kontrollerfordernis unterstellt wird. Die Kontrolle des Parlaments durch Öffentlichkeit ist dagegen gerade deshalb von Bedeutung, weil die Abgeordneten aufgrund der Repräsentativstruktur der Volksvertretung der Gefahr unterliegen können, sich von dem durch sie zu repräsentierenden Volk abzusondern und gut organisierte Interessengruppen bei ihrer Entscheidungsbildung zu bevorzugen 783 . Diese durch die Mittelbarkeit der Repräsentation bedingte Entfremdungsgefahr besteht beim Volksentscheid dagegen nicht, da hier das Volk selbst unmittelbar entscheidet784. Die Argumente der fehlenden Kontrollmöglichkeiten und der Selbstbegünstigungsgefahr betreffen auch hier wieder nicht speziell die finanzwirksame Volksgesetzgebung, sondern richten sich gegen die direkte Demokratie insgesamt. Bei konsequenter Anwendung des Fremdnützigkeitsgedankens und bei Übertragung der Anforderungen an die Amtsführung auf die Funktionsweise der direkten Demokratie müsste man die Volksgesetzgebung als solche, bei der jeder Einzelne in der Abstimmung seine eigene Präferenz kundtut und damit das Volk letztlich 780
Zur „Theorie der Wahlgeschenke" vgl. Schmölders S. 205. Auf die Ausweitung der Staatsausgaben zur Befriedigung von Partikularinteressen durch das Parlament verweist auch BrandVerfG LKV 2002,77 (80). 781 Isensee Schiedmair-FS S. 181 (188 ff., 198 ff.). Zur Diätenregelung siehe ausführlich oben unter B I 2. Die Regelung der Parteienfinanzierung gehört insofern in diesen Zusammenhang, als die das Parteiengesetz beschließenden Abgeordneten grundsätzlich auch Mitglieder einer bestimmten Partei sind, vgl. hierzu auch Henke in: Dolzer/Vogel Art. 21 Rdnr. 321 und ders. Der Staat 1992, 98 ff. Weitere Beispiele betreffen die Regelungen des Wahl Verfahrens, der Inkompatibilitäten, der Wahlprüfung und der Untersuchungsausschüsse, vgl. hierzu ausführlich Isensee Schiedmair-FS S. 181 (191 ff., 203 ff.). 7 82 Berlit KritV 1993, 318 (346); Sachs LKV 2002, 249 (251). 7 83 BremStGH NordÖR 2000,186 (188). 784 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 186 f. Zur Verantwortungsbeziehung zwischen Parlament und Volk siehe unten im 2. Teil unter A III 2 b bb (2).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
immer „in eigener Sache" entscheidet, insgesamt für unzulässig erklären 785 . Da sich die Verfassungen aber grundsätzlich für die Aufnahme der Volksgesetzgebung entschieden haben, haben sie das Prinzip der Entscheidung in eigener Sache durch das Volk gerade als demokratische Form der Willensbildung anerkannt. Zudem kann die abstrakte Gefahr eines in verschiedenen Formen möglichen Missbrauchs von Rechten und Institutionen 786 allein für sich noch nicht die Abschaffung, Einschränkung oder Versagung dieses Rechts oder der Institution rechtfertigen. So wird etwa niemand fordern, das in Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Institut der Ehe auf Deutsche i. S. d. Grundgesetzes zu beschränken, obwohl dieser Schutz häufig von Ausländern durch das Eingehen einer Scheinehe zur Erwirkung einer Aufenthaltserlaubnis missbraucht wird; auch aus der Möglichkeit einer missbräuchlichen Anrufung der Verfassungsgerichte wird nicht etwa gefolgert, diese selbst abzuschaffen oder deren Zuständigkeiten nur auf bestimmte, weniger missbrauchsanfällige Grundrechte zu beschränken. Ebensowenig ließe sich mit der Gefahr einer missbräuchlichen und einseitig begünstigenden Entscheidung des Völksgesetzgebers gegen den Willen der Mehrheit begründen, dass die Volksgesetzgebung für bestimmte Materien ausgenommen werden müsse, jedenfalls wenn der Gefahr durch spezifische, nicht an dem Repräsentativverfahren orientierte Instrumentarien begegnet werden kann 787 . Gerade diesem Zweck dienen aber insbesondere die Beteiligungs- und Zustimmungsquoren, durch die grundsätzlich erreicht werden kann, dass kleine Gruppen ihre Sonderinteressen nicht gegen den Willen der Mehrheit durchsetzen können 788 . Soweit die Verfassungen in Bayern, Hessen und Sachsen dagegen kein entsprechendes Quorum beim Völksentscheid vorsehen und dadurch eine höhere Gefahr gemeinwohlschädlicher Volksentscheide gegeben ist, liegt auch hierin kein spezifisches Problem der Finanzwirksamkeit der Materie. Vielmehr betrifft die Gefahr, dass eine Minderheit infolge der Indifferenz der Mehrheit begünstigt oder belastet wird, letztlich jeden Gegenstand einer Volksgesetzgebung. Der Hinweis auf erhöhte Missbrauchsgefahr wegen fehlender Quoren kann daher zwar die Forderung einer Einführung bestimmter Quoren begründen 789, nicht aber den 785 Rux LKV 2002, 252 (254). Folgerichtig insoweit auch Engelken DÖV 2000, 881 (892), der alle Fälle, in denen eine „Vielfalt möglicher Betroffenheit und Sonderinteressen und der dringende Wunsch gerade dieser Bürger, an den Abstimmungen teilzunehmen", gegeben sind, durch einen umfangreichen Positivkatalog von der Volksgesetzgebung ausnehmen will. 786 Vgl. zu den unterschiedlichen Formen des Missbrauchs die Aufzählungen bei Tilch/ Arloth S. 2884 ff., zur dogmatischen Einordnung des Rechtsmissbrauchs vgl. Knödler S. 388 ff. 787 Maurer, Plebiszitäre Elemente, S. 29. 788 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 177 f.; Pestalozza, Der Popularvorbehalt, S. 28; BrandVerfG LKV 2002, 77 (80). Vgl. auch allgemein zu der mäßigenden Wirkung konkurrierender Interessen Henke in: Dolzer/Vogel Art. 21 Rdnr. 322 (a.E.). 789 Aus diesem Grunde wurde jüngst in die Verfassungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die bisher für einfache Gesetze im Volksgesetzgebungsverfahren keine Quoren vorgesehen hatten, nunmehr mit Änderungsgesetz vom 08. 03. 2000 (RhPfGVBl. S. 65) bzw. 05. 03. 2002 (NRW-GVB1. S. 108) ein Zustimmungs- bzw. Beteiligungsquorum eingeführt, vgl. näher hierzu oben unter A III 1 b.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushalts Vorbehalts
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Ausschluss bestimmter Gegenstände von der Volksgesetzgebung. Zum anderen kann aber auch im Wege der präventiven Rechtskontrolle durch die Verfassungsgerichte ein konkretes rechtsmissbräuchliches Gesetzesvorhaben - unabhängig davon, ob es finanzielle Auswirkungen hat oder nicht - von vornherein als unzulässig verhindert werden 790 . Damit lässt sich der Missbrauchsgefahr im Einzelfall wirksam begegnen, ohne dass es eines generellen Ausschlusses ganzer Regelungsmaterien bedarf. Insgesamt ist daher die Verhinderung des Missbrauchs aufgrund einer Selbstbedienung privater Sonderinteressen nicht als Schutzziel des Finanzvorbehalts anzuerkennen.
bb) Demagogie- und Manipulationsgefahr Der zweite Gesichtspunkt der Missbrauchsproblematik betrifft die in der Literatur befürchtete besondere Anfälligkeit finanzieller Fragen für eine demagogische Beeinflussung 791, die in erster Linie damit begründet wird, dass die Volksgesetzgebung gar nicht die Gewähr für die erforderliche sachliche Diskussion der finanziellen Materie bieten könne, da sich die öffentliche Meinungsbildung nicht an der Überzeugungskraft rationaler Sachargumente orientiere, sondern allein an den mit einer politischen Äußerung ausgelösten und emotional gesteuerten assoziativen Vorstellungen, also primär an sachfremden und irrationalen Erwägungen 792. Gerade finanzielle Fragen würden im besonderen Maße dazu führen, dass die Diskussion emotionalisiert und entrationalisiert werde und das Volk lediglich populistisch erzeugten Stimmungen folge 793 , was insbesondere durch die modernen Massenmedien noch verstärkt werde. Vor allem das Fernsehen bediene, statt zu informieren und aufzuklären, das Unterhaltungsbedürfnis der Menschen; es arbeite mit Verkürzungen und Vereinfachungen und brauche affektive und personalisierte Reize, die unabhängig vom Inhalt der Sendungen und damit auch bei politischen Themen eingesetzt würden, so dass der Sympathie oder dem Charisma der hinter einer Sachalternative stehenden Person oftmals eine größere Bedeutung zukomme als der von ihr vertretenen Auffassung 794. 790 Zum Zusammenhang des Missbrauchsgedankens mit dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip siehe unten im 2. Teil unter A III 2 a bb. Insbesondere zum grundrechtlichen Minderheitenschutz siehe näher im 2. Teil unter B III 2 b. 791 Dies entspricht der bereits in der Weimarer Republik allgemein für die Volksgesetzgebung geäußerten Befürchtung, Agitatoren könnten „das Blaue vom Himmel herunter" versprechen (Miigel DJZ 1926, 693 [694]), es könne sich die „zügellose Agitation" und die „Herrschaft des Schlagworts" ungehemmt ausbreiten (Freythag-Loringhoven S. 226), und schon durch die autoritative Formulierung der Frage allein könne bereits eine Gefährdung oder Irreleitung des Volkswillens vorgenommen und dadurch das Ergebnis beeinflusst werden (C. Schmitt S. 36). 79 2 Hartwig S. 187; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 43, 92 ff. 793 Krause in: Isensee / Kirchhof, HBdStR II, § 39 Rdnr. 27; Tipke, Das Recht des Volksentscheids, S. 43, der zudem eine vorurteilhafte Abneigung des Volkes gegen die in den Haushaltsgrundsätzen enthaltenen staatserhaltenden Prinzipien erkennen will.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
In diesen Befürchtungen einer unsachlichen und manipulierten Diskussion drücken sich häufig Vorbehalte gegenüber der direkten Demokratie insgesamt aus, wie etwa die deutlich tendenziösen Formulierungen zeigen, durch Finanzthemen würden die „Leidenschaften aufgepeitscht" 795 und „trübe Instinkte aufgewühlt" 796 . Es ist indes nicht ersichtlich, warum die Gefahr einer Entrationalisierung oder Manipulation dann nicht für andere als finanzielle Gesetzesmaterien ebenso bestehen soll. So gibt es viele politische Bereiche, die als solche in weitaus höherem Maße den Bürger berühren und anfälliger für eine emotionsgeladene Diskussion sind als Finanzfragen, so z. B. bei ethischen Konflikten im Asyl- oder Strafrecht 797, aber gleichermaßen etwa hinsichtlich der den einzelnen Bürger unmittelbar betreffenden Frage der Rechtschreibreform 798. Ebenso wenig kann die Beeinflussbarkeit des Abstimmungsverhaltens durch Massenmedien den Ausschluss finanzwirksamer Volksabstimmungen begründen. Wenn auch die suggestive Wirkung der aus der Marktwerbung bekannten massenpsychologischen Steuerungsmechanismen, derer man sich zunehmend im politischen Bereich bewusst wird, nicht zu unterschätzen ist, so muss in diesem Zusammenhang bedacht werden, dass es in der Demokratie ohnehin keinen reinen, unmanipulierten politischen Willen gibt; seine Bildung wird immer ein von Berichterstattung und zyklischen Themenkonjunkturen abhängiger Prozess sein 799 . Es ist auch hier wieder darauf zu verweisen, dass die Landesverfassungen sich für die Einrichtung der Volksgesetzgebung entschieden und insofern den Bürgern einen Vertrauensvorschuss gegeben haben, so dass diesen grundsätzlich die Bildung einer vernünftigen politischen Meinung nicht nur bei den Wahlen, sondern genauso bei einzelnen Sachfragen - und unabhängig von den jeweils gegebenen sozialen Rahmenbedingungen wie Bildungsgrad, soziale Zusammensetzung oder politische Tradition - zuzutrauen ist 8 0 0 . Im Übrigen sind die ihre Wiederwahl anstrebenden Abgeordneten ebenfalls nicht frei von den durch die Medien transportierten populistischen Einflüssen 801 , und die im Parlament ge794 Vgl. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 471 und Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 148: Im Zeitalter des „Zwei-Minuten-Beitrags" im Fernsehen sei zu besorgen, dass das Schlagwort und die Polemik an die Stelle einer differenzierenden Argumentation trete. Selbst die Politiker würden diesen Trend in dem Bewusstsein mitmachen, ihm ausgeliefert zu sein. 795 Mügel DJZ 1926, 693 (694). 796 Freythag-Loringhoven S. 227.
797 So etwa die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (vgl. hierzu auch unten unter C IV) oder die in diesem Zusammenhang diskutierte Einführung der Todesstrafe (vgl. zur Behandlung dieser Frage im Rahmen der Volksgesetzgebung v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 184; Heußner RuP 1999, 92 ff.). 798 Vgl. zur Rechtschreibreform als Gegenstand der Volksgesetzgebung Jung Schefold-FS S. 145 (146 ff.). 799 Berlit KritV 1993, 318 (341). 800 Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302). 801 Vgl. hierzu etwa Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 471; Berlit KritV 1993, 318 (342).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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führten Diskussionen sind nicht immer von sachlichen Argumenten getragen, wie etwa die hoch emotionalen Debatten über den Regierungsumzug nach Berlin oder über den Auslandseinsatz der Streitkräfte gezeigt haben. Aus diesen Aspekten lässt sich damit kein Argument dafür ableiten, dass gerade haushaltswirksame Fragen per se von diesen Tendenzen stärker als andere Themen betroffen sind. Trotz dieser notwendigen Relativierungen liegt in der Manipulationsgefahr aber dennoch ein gerade für die Finanzgesetze wesentlicher Kern, wenn man in diesem Zusammenhang die fehlende Verpflichtung für volksinitiierte Gesetzentwürfe zur Klärung der Finanzierungsfrage betrachtet 802. Könnte über ein mit Ausgaben verbundenes Gesetzesvorhaben isoliert ohne gleichzeitige Regelung der Finanzierungsfrage beschlossen werden, würde die Diskussion über die finanziellen Ausgleichsfolgen höchst spekulativ ausfallen. Das begehrte Anliegen würde in der Öffentlichkeit immer dann positiv beurteilt werden, wenn der Einzelne nicht mit einer ihn entsprechend belastenden Ausgleichsmaßnahme rechnet 803 . Mit dem Hinweis auf das bloß zu weckende Bewußtsein einer Ausgleichsnotwendigkeit804 kann dieses Problem nicht gelöst werden. Bliebe der Haushaltsausgleich nämlich einer späteren parlamentarischen Lösung vorbehalten, würde es zu dem oben beschriebenen „Florianseffekt" kommen 805 : Die Befürworter würden möglichst unmerkliche Finanzierungswege vorschlagen, während die Gegner dazu neigen würden, unpopuläre und einschneidende Kürzungsmaßnahmen in solchen Bereichen, die ihnen besonders öffentlichkeitswirksam erscheinen, als zwingende Folge darzustellen. Diese Ungewissheit bietet somit in der Tat die Möglichkeit für eine manipulative Beeinflussung der Diskussion. Diesen Gefahren kann auch nicht durch die gegebenen verfahrensrechtlichen Hürden eines Zustimmungs- oder Beteiligungsquorums begegnet werden, die eine Volksinitiative bis zum Volksentscheid zu überwinden hat 8 0 6 , da sich hierdurch die aufgezeigte Ungewissheit nicht beseitigen lässt; ebenso würde auch eine präventive verfassungsgerichtliche Überprüfung des Gesetzentwurfs als solchen keine Abhilfe schaffen. Unter diesem Aspekt ist die Gefahr einer unsachlichen und manipulierbaren Diskussion in Haushaltsfragen als Folge der fehlenden Deckungsverpflichtung im Ergebnis ein nicht zu vernachlässigendes Argument gegen eine so ausgestaltete finanzwirksame Volksgesetzgebung, so dass sich damit ein weiterer Zweck des Finanzvorbehalts und dessen Anwendung auf finanzwirksame Einzelgesetze begründen lässt.
802
Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a cc. so3 BayVerfGH BayVB1. 2000, 397 (400). Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a cc (2). S04 So BrandVerfG LKV 2002, 77 (80); Berlit KritV 1993, 318 (358). 805
Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a cc. So aber Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 177 f.; Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302) und Wassermann RuP 1986, 125 (129), die aber offenbar die hier aufgezeigte Problematik nicht im Blick haben. 806
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
c) Sicherung des parlamentarischen Budgetrechts Mit der Entscheidung des BayVerfGH im Jahre 1994 rückt in der Rechtsprechung ein weiterer Zweck in den Mittelpunkt der Auslegung: der Schutz des Budgetrechts des Parlaments 807. Das Budgetrecht zeichne sich durch „die rechtlich umfassende, alleinige Entscheidungs- und Feststellungskompetenz" des parlamentarischen Gesetzgebers über den Haushalt aus 808 . Als Gesamtprogramm der staatlichen Wirtschaftsführung verleihe der Haushaltsplan der Regierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit das wirtschafts- und sozialpolitische Profil und stelle zudem ein wesentliches Instrument der parlamentarischen Regierungskontrolle dar 8 0 9 . Bei der Bewilligung von Ausgaben könne das Parlament Prioritäten setzen, also entscheiden, wo das Schwergewicht des finanziellen Engagements des Staates liegen solle und welche Bereiche demgegenüber zurücktreten müssten 8 1 0 , wobei das Parlament zwar durch zahlreiche Vorgaben eingeengt sei, in deren Rahmen ihm jedoch ein Entscheidungsspielraum zustehe811. Jede finanzielle Einzelentscheidung sei „untrennbar mit dem notwendigen Bestreben verbunden, im Rahmen der Haushaltsplanung möglichst allen Aufgaben des Staates entsprechend ihrer Bedeutung für den gesamten Staat und dem einzelnen Bürger nach Maßgabe der vorhandenen Mittel gerecht zu werden" 812 . Da allein das Parlament alle Einnahmen und Ausgaben im Blick habe, habe nur dieses für die Ausübung des Budgetrechts eine hinreichende und maßgeblich von der verantwortungsbewussten Bewertung der Gesamtsituation des Staates geprägte Beurteilungsgrundlage. Der Parlamentsvorbehalt solle daher verhindern, „dass Haushaltsschief807 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425 f.); BrandVerfG LKV 2002, 77 (79 f.); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389); BremStGH NordÖR 1998, 297 (298 f.); BVerfGE 102, 176 (187 f.): „Etathoheit des Landtags"; ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (41 f.), der allerdings das Budgetrecht des Parlaments - insoweit inkonsequent - nicht bei der Beschreibung von Sinn und Zweck des Finanzvorbehalts (a. a. O. S. 40), sondern erst im Zusammenhang mit dessen Änderungsmöglichkeiten als irreversible Grenze anführt (a. a. O. S. 41). Ablehnend dagegen gegenüber der Heranziehung des Budgetrechts als Normzweck des Finanzvorbehalts SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240 f.). 808 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425). 809 BrandVerfG LKV 2002, 77 (79 f.); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389) mit Verweis auf BVerfGE 79, 311 (328) und 82, 159 (179). 810 BayVerfGH DVB1. 1995,419 (425); BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). 811 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425); BVerfGE 102, 176 (187 f.); BrandVerfG LKV 2002, 77 (83). Das BVerfG nennt Personalkosten, sozialstaatliche Leistungsgesetze sowie Zins- und Tilgungslasten infolge hoher Staatsverschuldung, der BayVerfGH bezieht sich allgemein auf wirtschaftliche Gegebenheiten, rechtliche Verpflichtungen, mittel- und langfristige Planungen und deren finanziellen Zwangsläufigkeiten. Dabei sieht der BayVerfGH als „Wurzel" dieser Aufgaben verfassungsrechtliche Gebote, insbesondere das Rechts-, Kulturund Sozialstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayVerf), die Gemeinwohl Verpflichtung (Art. 3 Abs. 1 S. 2 BayVerf) und das Bestreben, den Interessen und Bedürfnissen der Staatsbürger in möglichst gerechter und vernünftiger Weise zu genügen. 812 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390); ähnlich auch BrandVerfG LKV 2002, 77 (80).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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lagen dadurch entstehen, daß entweder Prioritäten neu festgelegt werden müssen oder entsprechende Korrekturen bei der Durchführung staatlicher Aufgaben erforderlich sind, ohne daß diese Konsequenzen für jedermann bei der Abstimmung erkennbar würden" 813 . Sinn und Zweck der Finanzvorbehaltsklausel sei es deshalb, ausgabenwirksame Gesetze „weitgehend" dem parlamentarischen Gesetzgeber zuzuweisen 814 bzw. „das gesamte staatliche Finanzvolumen der Budgetplanung und -entscheidung von Parlament und Regierung zu unterstellen" 815 , so dass das Budgetrecht jedenfalls dann berührt sei, wenn der finanzielle Spielraum des Parlaments durch Gesetze mit weitreichenden Auswirkungen eingeengt werde 816 . Dieser von der überwiegenden Rechtsprechung maßgeblich herangezogene Schutzzweck des parlamentarischen Haushaltsbewilligungsrechts findet auch in der Literatur Zustimmung 817 , er wird andererseits aber vom SächsVerfGH und von einigen Stimmen im Schrifttum als unsachgemäß verworfen 818 . Gegen die Anknüpfung an das Budgetrecht des Parlaments wird eingewandt, dass diese Argumentation schon im Ansatz verfehlt sei, weil das „Budgetrecht" als Begriff in der Verfassung gar nicht genannt werde 819 und darüber hinaus als subjektive Berechtigung der Volksvertretung allein zur Abgrenzung der Kompetenzen gegenüber der Regierung bzw. der Exekutive, nicht aber gegenüber dem Volk als konkurrierendem Gesetzgeber sinnvoll sein könne 820 , zumal die repräsentative und die plebiszitäre Gesetzgebung materiell gleichwertig seien 821 . Ein finanzwirksames Volks813 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390). 814 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426). 815 BremStGH NVwZ 1998, 388 (389). 816 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80). 817 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (672); Isensee DVB1. 2001, 1161 (1162 f.); Jutzi ZG 2003, 273 (284); Rux LKV 2002, 252 (254); Wolnicki NJ 2002, 87 (88); Zschoch NVwZ 2003, 438 (440). Im Grundsatz zustimmend wohl auch Röper ZParl 1997, 461 (468 f.) und unter dem Gesichtspunkt der „Funktionstüchtigkeit des Staates" auch Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 185 ff. 818 Neben SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240 f.) auch v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 202; Jutzi NJ 2001, 645 (646); Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. S. 181 (207); Sondervotum Jegutidse /Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (117 ff.); Kenels/Brink NVwZ 2003, 435 (437); Schweiger in: Nawiasky/ Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 6; ders. BayVBl. 2002, 65 (70). Kritisch auch Burmeister Die Verwaltung 1996, 181 (210) und Jung NVwZ 1998, 372 (373), der die vom BremStGH NVwZ 1998, 388 (389) in Bezug genommenen Urteile des BVerfG für nicht einschlägig hält: BVerfGE 79, 311 ff. betreffe die Grenzen der Staatsverschuldung, BVerfGE 82, 159 ff. die Zulässigkeit von Sonderabgaben. 819 Jung NVwZ 2002, 41 (42), der die Anknüpfung an die Budgethoheit damit als unmaßgebliche „Verfassungfolklore" ablehnt. 820 Jutzi NJ 2001, 645 (646); Schweiger BayVBl. 2002, 65 (70); Siekmann in: Neumann/v. RaumerS. 181 (207). 821 Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (116); Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 5.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gesetz könne auch deshalb das Budgetrecht des Parlaments nicht beeinträchtigen, weil es - ebenso wie das Parlament als Sachgesetzgeber oder das Verfassungsgericht als Interpret der Verfassung - lediglich externe finanzielle Vorgaben für den Haushaltsgesetzgeber mache und daher gar nicht auf den Budgetprozess als solchen einwirke 822 . Dass die für das Parlament und die mehrheitlich von ihr getragene Regierung bestehenden Möglichkeiten der Setzung politischer Prioritäten infolge finanzwirksamer Volksgesetzgebung eingeschränkt werde, sei letztlich genau der Sinn der Völksgesetzgebung823. Außerdem könne das Parlament auch im Falle einer drohenden Einschränkung seines Budgetrechts ein vom Volk beschlossenes Gesetz jederzeit wieder aufheben oder ändern und damit die Budgethoheit wieder zurückgewinnen 824. Die herrschende Rechtsprechung sei von einer traditionellen Vorstellung getragen, nach der das Parlament die Ausgabenfreudigkeit der jeweiligen Regierung zügele, doch zeige die Verfassungswirklichkeit in den deutschen Ländern, dass gerade umgekehrt das Parlament zur ständigen Erhöhung der Staatsausgaben neige 825 . Das ursprünglich dem Monarchen abgerungene Budgetrecht dürfe das Parlament nun nicht wie ein eigenes Privileg verteidigen und seinen eigenen Wählern vorenthalten 826. Das Budgetrecht des Parlaments bilde allerdings nach Ansicht des SächsVerfGH eine außerhalb der Finanzvorbehaltsklausel des Art. 73 Abs. 1 SächsVerf stehende Schranke für haushaltswirksame Volksgesetze. Danach sei ein Volksgesetz aber erst dann verfassungswidrig, wenn der Haushalt infolge des Volksgesetzes mit haushaltsrechtlichen Vorschriften der Art. 93 bis 95 SächsVerf unvereinbar würde und es dem Parlament aus Rechtsgründen nicht mehr möglich wäre, die vom Volksgesetzgeber geschaffene Position durch Aufhebung des Gesetzes zu beseif-
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tigen Um diese Auseinandersetzung einer Lösung zuzuführen, sind die Berührungspunkte der Volksgesetzgebung mit dem parlamentarischen Budgetrecht zu ermit822 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240 f.); Jung KritV 2001, 24 (48); Schweiger in: Nawiasky/ Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 6; ders. BayVBl. 2002, 65 (70). Vgl. auch Rux LKV 2002, 252 (256). 823 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241). 824 H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 14; P. Neumann in: Neumann/v. Raumer S. 52 f. Vgl. insoweit auch Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (675); Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 182 und Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8, wobei er einräumt, dass dies nur in einem Extremfall zu erwarten wäre. 825 So auch Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671 f.) unter Verweis auf die verfassungsrechtliche Regelung des Art. 113 GG, die die parlamentarische Gesetzgebung mit Ausgabewirkungen von der Zustimmung der Regierung abhängig macht. Zur Ausgabenfreudigkeit des Parlaments vgl. auch Degenhart Der Staat 1992, 77 (94); Kirchhof in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR IV, § 88 Rdnr. 104. 826 v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 202; Jung NVwZ 2002, 41 (42); Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (206 f.). 827 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241). Ebenso bereits Bovenschulte/Fisahn RuP 2000,48 (57).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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teln. Hierfür sind - anknüpfend an die oben ausgeführten grundsätzlichen Aufgabenbereiche der staatlichen Haushaltswirtschaft - diejenigen Funktionsbereiche des Haushalts, die in inhaltlich-funktionaler Hinsicht ausschließlich der Volksvertretung zur Wahrnehmung zugeordnet sind, herauszuarbeiten und daraufhin zu untersuchen, ob und inwieweit sie durch eine finanzwirksame Volksgesetzgebung in einem Maße betroffen und gefährdet sein können, dass hierdurch der weitgehende Ausschluss der Finanzmaterie auch für Einzelgesetze begründet werden kann. aa) Das Budgetrecht als Verwirklichung der politischen Gestaltungsfunktion des Haushalts Es wurden bereits vier verschiedene Funktionsbereiche des öffentlichen Haushalts unterschieden: Die auf die Lenkung der staatlichen und gesellschaftlichen Lebensbereiche gerichtete politische Gestaltungsfunktion, die die Haushaltswirtschaft der Exekutive ermächtigende und legitimierende sowie deren Kontrolle ermöglichende rechtliche Bindungsfunktion, die in einzelnen haushaltsrechtlichen Grundsätzen zum Ausdruck kommende finanzwirtschaftliche Bedarfsdeckungsfunktion sowie die planende und koordinierende methodische Rationalisierungsfunktion 828 . Mit der Ausübung des parlamentarischen Budgetrechts sind die dargestellten Funktionen des Haushalts allerdings nicht alle in gleichem Maße betroffen. In erster Linie ist die Wahrnehmung der haushaltsmäßigen Kompetenzen Ausdruck der politischen Gestaltung und der rechtlichen Ermächtigung und Kontrolle der Regierung. Dagegen wirken sich die haushaltsrechtlichen Vorschriften der finanzwirtschaftlichen Bedarfsdeckungsfunktion und die planungstheoretischen Anforderungen der methodischen Rationalität eher begrenzend auf das Budgetrecht aus, wie etwa in der determinierenden Wirkung der exekutiven Planung auf die politische Gestaltung829 oder in den nach dem HGrG auch für die Länder verbindlichen finanzwirtschaftlichen Budgetgrundsätzen zum Ausdruck kommt, die ebenfalls Schranken für die parlamentarische Ausübung der Haushaltsgewalt enthalten 830 Aber auch die beiden Funktionsaspekte der Gestaltung und Bindung sind nicht im selben Umfang durch finanzwirksame direktdemokratische Entscheidungen betroffen. Da die direktdemokratischen Gesetze für die Regierung gleichermaßen verbindlich sind wie die parlamentarischen, ist eine Beeinträchtigung der Bindungs- und Ermächtigungsfunktion der haushaltsrelevanten Gesetze und des festgestellten Haushaltsplans gegenüber der Exekutive durch finanzwirksame Volksentscheide nicht zu befürchten. Ebenso ist auch die parlamentarische Haushaltskontrolle nicht von der Volksgesetzgebung berührt, da die Prüfung der Haushaltsansätze im Budgetentwurf und die nachträgliche Kontrolle, ob die Exekutive sich 828 829 830
Siehe hierzu im Einzelnen oben unter C12. Zur politischen Planung siehe näher unter C III 3 a aa. Zu den einzelnen Haushaltsgrundsätzen siehe oben unter C 1 2 c.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
an die gesetzliche Bindung gehalten hat, dem Parlament nach wie vor offen steht 831 . Der Schwerpunkt des Verhältnisses direktdemokratischer Finanzgesetze zum Budgetrecht liegt daher im Funktionsbereich der auf die Befriedigung der unterschiedlichen Bedürfnisse des Gemeinwesens gerichteten haushaltspolitischen Gestaltung. Voraussetzung jeder politischen Entscheidung und damit auch für die gestaltenden finanzwirksamen Maßnahmen des Parlaments ist das Vorhandensein eines entsprechenden Gestaltungsspielraums, der eine eigene schöpferische Formung der staatlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen mit gezielten inhaltlichen Schwerpunktsetzungen erlaubt. Ohne diesen Spielraum wäre das Budgetrecht nur eine formelle Völlzugskompetenz und wäre seinem eigentlichen, der politischen Funktion des Parlaments entsprechenden Gestaltungspotential entkleidet. Nun ließe sich aber einwenden, dass jede, auch nicht-finanzwirksame Völksgesetzgebung das Parlament in seinen Gestaltungsmöglichkeiten einschränkt, ohne dass deshalb gleich ein Ausschluss bestimmter Gegenstände vorgenommen würde. Es ist gerade Kennzeichen der direktdemokratischen Meinungsäußerung, dass sie dem parlamentarisch gestalteten Programm mit seiner Prioritätensetzung zuwiderläuft 8 3 2 , die letztlich nicht nur im Haushaltsplan und den finanzrelevanten Vorhaben, sondern ebenso in anderen Zielplanungen und grundsätzlichen Wertentscheidungen nicht-finanzieller Natur zum Ausdruck kommt. Es kann mithin nicht Ziel des Finanzvorbehalts sein, das Parlament in Schutz davor zu nehmen, dass sich eine andere Auffassung als die von diesem vertretene durchsetzt 833. Allerdings unterscheiden sich die Entscheidungsmöglichkeiten für finanziell erhebliche Maßnahmen - wie bereits dargestellt - maßgeblich von der sonstigen allgemeinen haushaltsneutralen Gesetzgebung aufgrund des Gesichtspunkts der Knappheit finanzieller Mittel und dem damit eng verbundenen finanzwirtschaftlichen Grundsatz des Haushaltsausgleichs834. Insoweit ist über die durch das Völksgesetz als solches erfolgende Abweichung von der parlamentarischen Schwerpunktsetzung hinaus die im Budgetrecht des Parlaments zum Ausdruck kommende Gestaltungsmacht des Parlaments noch weitergehend betroffen, und zwar gleich in zweifacher Weise: Die Ausgleichs Verpflichtung zwingt - aktuell - zu einer Revision der Haushaltsgestaltung und schränkt - in potentieller Hinsicht - den finanziellen Gestaltungsspielraum des Parlaments ein. Beide Aspekte sollen im Folgenden näher betrachtet werden.
831 Auch der BremStGH NVwZ 1998, 388 (389) und der ThürVerfGH ThürVBl. 31 (39 und 41), die das Haushaltsbewilligungsrecht zunächst als wesentliches Instrument der Regierungskontrolle betonen, stellen im weiteren Verlauf der Entscheidungen nicht mehr auf diese Kontrollfunktion ab. 832 Vgl. SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (238); Kenels/Brink NVwZ 2003, 435 (436). 833 BayVerfGH BayVBl 2000, 397 (401). 834 Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a aa.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
(1) Revision parlamentarischer
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Gestaltung infolge Ausgleichsverpflichtung
Da in der Regel alle Haushaltsmittel schon weitgehend verplant sind, zwänge ein ausgabenintensiver Volksentscheid zu einer entsprechenden Ausgleichsmaßnahme, die vom Parlament getroffen werden müsste. Damit trüge das Parlament die Gestaltungslast, ohne dass ihm eine dieser entsprechenden eigenen positiven Gestaltungsmacht zukäme 835 . Je höher die Ausgaben sind, um so schwerer wäre die Finanzierungsaufgabe zu lösen, die unter Umständen nur mit erheblichen Eingriffen in die eigene Haushaltsgestaltung und gegebenenfalls mit der Notwendigkeit, „das geltende Recht in wichtigen Regelungsfeldern der neuen Ausgabensituation nachhaltig anzupassen"836, umsetzbar wäre. Aufgrund dieser haushaltsmäßigen Verklammerung aller finanziellen Entscheidungen wäre das Parlament unter Umständen gezwungen, eigene Gestaltungsmaßnahmen und Prioritätensetzungen, mit denen es sein politisches Handlungsprogramm verwirklichen will, wieder zu ändern oder rückgängig zu machen. Diese erforderlichen Korrekturen müssen dabei noch nicht einmal inhaltlich mit dem Volksgesetz selbst zusammenhängen, wie etwa die (ohnehin nur sehr eingeschränkt mögliche 837 ) Entscheidung, den zuvor begrenzten Kreditrahmen zu erweitern oder bestimmte Abgaben zu erhöhen. Da diese Möglichkeiten der Einnahmenerhöhung - wie sogleich noch näher zu zeigen ist 8 3 8 - insgesamt sehr gering sind, wird i.d.R. nur eine Änderung der Ausgabensituation in Betracht kommen und damit eine Neustrukturierung der Mittelverteilung auf die Aufgabenbereiche erforderlich sein. Bei entsprechend hohem Ausgleichsbedarf und geringem Gestaltungsspielraum könnte sogar die Gefahr bestehen, dass die Deckung der Ausgaben dem Parlament selbst unter Aufgabe seiner mehrheitlichen politischen Positionen gänzlich unmöglich ist. Diese Gefahr würde zudem noch erhöht, wenn es zu einer - durchaus möglichen - Häufung mehrerer finanzieller Volksentscheide in einem Haushaltsjahr käme 839 , wenn man auch nicht die gelegentlich geäußerten Befürchtungen teilen muss, kleine Gruppen und außerparlamentarische Minoritäten könnten mit ihren Sonderinteressen ständig die parlamentarische Tagesordnung diktieren 840 und das Parlament „in Atem halten", „treiben" und „vor sich heijagen" und damit gleichsam zu ihrem „Spielball" machen 841 . Derartige Szenarien sind schon aufgrund der
835 Isensee DVB1. 2001, 1161 (1163). Siehe zu dem Problem der Last der Ausgleichsmaßnahme im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments im 2. Teil unter A III 2 b bb (2). 836 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). 837 Siehe hierzu unten unter C III 3 c bb (4) (b). 838 Siehe sogleich unter C III 3 c aa (2). 839 BayVerfGH Bay VB1 2000, 397 (400). 840 BayVerfGH BayVBl 2000, 397 (402) für den der Gefahr eines Funktionsminderung der Quoren vergleichbaren Fall der Senkung der Quoren für das Volksbegehren. 841 Isensee DVB1. 2001, 1161 (1163, 1167).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
punktuellen Natur der Volksgesetzgebung, die immer nur aus einzelnen Anlässen eingeleitet wird und jeweils nur einzelne eng umgrenzte Angelegenheiten behandeln kann, nicht zu erwarten, zumal ihre Durchführung einen erheblichen Aufwand an personellen und sachlichen Mitteln und einen besonderen persönlichen und zeitlichen Einsatz der Initiatoren erfordert 842 ; auch würde sich bei Überbeanspruchung der Unterstützungsbereitschaft der Bevölkerung eine allmähliche Ermüdung einstellen. Das direktdemokratische Verfahren stellt daher schon aus tatsächlicher Hinsicht immer nur eine Ausnahme und damit eine Ergänzung des repräsentativen Systems dar 843 . Aber auch für einzelne Volksentscheidungen, die mit erheblichen finanziellen Auswirkungen verbunden sind, bleibt die Frage der finanziellen Deckung bestehen, die das Parlament zu einer Anpassung bzw. Umgestaltung des Haushalts und der dahinterstehenden Aufgaben zwänge. (2) Einschränkung des budgetären Gestaltungsspielraums Neben dieser aktuellen Ausgleichsnotwendigkeit hätte eine haushaltswirksame Volksentscheidung darüber hinaus auch die Folge, dass das Parlament insbesondere für die Zukunft für eine eigene Gestaltung in seinem Entscheidungsspielraum stärker als bei einer haushaltsneutralen Volksgesetzgebung eingeschränkt wäre, denn die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Gelder stünden dann aufgrund der plebiszitären Disposition für andere, konkurrierende Zwecke nicht mehr zur Verfügung. Je mehr Ausgaben mit dem volksbegehrten Gesetz verbunden wären, umso mehr eigene gestaltende Maßnahmen würden für das Parlament dadurch verhindert; neben dem allokations- und distributionspolitischen Spielraum 844 könnte insbesondere auch die konjunkturpolitische Beweglichkeit des Haushalts so eingeschränkt sein, dass die Verpflichtungen aus Art. 109 Abs. 2 GG zur Beachtung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht mehr erfüllt werden können 845 . Die Volksgesetzgebung darf daher nicht dazu führen, dass der finanzpolitische Handlungs- und Gestaltungsspielraum des Parlaments weitgehend marginalisiert oder sogar bis auf Null reduziert wird. Dabei ist zu beachten, dass die Landesparlamente bei ihrer Budgetwirtschaft nicht nur den erwähnten, aus der finanzwirtschaftlichen und der methodisch-rationalen Funktion folgenden haushaltsgesetzlichen und planungstheoretischen Anfor842
P. Neumann in: Neumann/v. Raumer S. 52. BayVerfGH BayVBl. 2000, 397 (398). Vgl. auch BremStGH NordÖR 2000, 186 (189); BayVerfGH BayVBl. 1997, 622 (626); Dreier, Grundgesetz, Art. 28 Rdnr. 59; Löwer in: v. Münch Art. 28 Rdnr. 20. 843
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Vgl. zu diesen gesellschaftspolitischen Zielen oben unter C12. M5 Vgl. BVerfGE 86, 148 (266); BerlVerfGH NVwZ 2004, 210 (212). Auf diese Gestaltungsbeschränkung insbesondere als Folge einer zu hohen Staatsverschuldung wird hingewiesen von Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 115 Rdnr. 14 a; Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (500 f.). Auf Art. 109 Abs. 2 GG weist auch der BremStGH, LVerfGE 11, 179 (197) hin; siehe hierzu näher im 2. Teil unter A I I 1.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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derungen ausgesetzt sind, sondern deren Spielraum auch - worauf die Rechtsprechung stets hinweist 846 - durch gesetzliche, vertragliche und durch Zusagen begründete Ausgabeverpflichtungen 847, aber auch durch die begrenzte Möglichkeit der Erzielung weiterer Einnahmen stark eingeschränkt ist. Dabei können die durch Vertrag und Zusage begründeten Verpflichtungen den Gestaltungsspielraum des Parlaments qualitativ sogar noch mehr einengen als gesetzlich bestimmte Ausgaben, da der Gesetzgeber jene Verpflichtungen nicht im Gesetzeswege rückgängig machen kann. Auch die Ausgaben im Personalbereich weisen infolge der Vorgaben des Beamtenrechts und tarifvertraglicher Bindungen eine äußerst geringe Flexibilität auf 8 4 8 . Die disponible Finanzmasse, über die ohne Bindung an andere Verpflichtungen entschieden werden kann, wird z.T. auf ca. 5 - 1 0 % des Gesamtvolumens geschätzt 849 , wobei die Zahl aufgrund der konjunkturellen Entwicklung in jüngster Zeit eher deutlich nach unten auf etwa 1 % zu korrigieren ist 8 5 0 .
bb) Einwände gegen das Budgetrecht als Normzweck des Finanzvorbehalts Ist damit die spezifische doppelte Betroffenheit des Budgetrechts in aktueller und potentieller Hinsicht durch finanzwirksame Völksgesetze aufgezeigt, ist im Folgenden zu prüfen, ob die Einwände, die sich gegen das Abstellen auf das haushaltsrechtliche Gestaltungsrecht des Parlaments zur Auslegung des Haushaltstabus wenden, dem hier beschriebenen Wirkungszusammenhang entgegenstehen - oder ihn zumindest entscheidend relativieren können. Hierbei ist zu untersuchen, inwieweit der budgetäre Gestaltungsspielraum überhaupt in der Parlamentspraxis wahrgenommen wird und wie sich externe Beschränkungen der Landeshaushalte - insbesondere vom Bundesgesetzgeber und von den Verfassungsgerichten - in diesem Zusammenhang auswirken; schließlich ist auch zu fragen, ob das Parlament am Ende nicht selbst für die Beschränkung seines Spielraums verantwortlich ist oder
846 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425 f.); BVerfGE 102, 176 (187 f.); BrandVerfG LKV 2002,77 (83). 847 Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 203 spricht insoweit gar von einer fortschreitenden „Versteinerung" der öffentlichen Haushalte. g 48 Aber selbst die ohne eine entsprechende Verpflichtung gewährten Zuwendungen sind oft nicht mehr ohne massiven Widerstand der Zuwendungsempfänger rückführbar. 849 Vgl. Krüger-Spitta/Bronk S. 30; Mössle S. 128; Stern, Staatsrecht II, S. 1219; Stachels S. 35; Vitzthum S. 322; Rausch S. 111; Eickenboom in: Schneider/Zeh § 44 Rdnr. 25. 850 Nach Einschätzung der Landesregierung von Brandenburg lag der Handlungsspielraum im Haushaltsjahr 2001 bei lediglich 1,4% des Gesamtetats, BrandVerfG LKV 2002, 77 (83). In Schleswig-Holstein betrug das „Einsparpotential" im Haushaltsjahr 1998 nach BVerfGE 102, 176 (191) sogar nur ca. 0,7 % (121,8 Mio. DM im Verhältnis zum Gesamtvolumen von ca. 18 Mrd. DM).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
zumindest aber die Möglichkeiten hat, seinen Gestaltungsspielraum selbst zu erweitern. (1) Mangelnde praktische Relevanz der Gestaltungsmöglichkeiten Der Schutz der budgetären Gestaltungsfreiheit des Parlaments wäre dann nicht als sachgerechtes Ziel anzusehen, wenn sich aus der Praxis ergäbe, dass das Parlament - selbst im Falle des Bestehens mehrerer theoretischer Gestaltungsmöglichkeiten - diesen Spielraum tatsächlich überhaupt nicht nutzt. In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte zu erörtern, die einer auf den Schutz des parlamentarischen Budgetrechts orientierten Auslegung des Finanzvorbehalts entgegenstehen könnten. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich die in besonderem Maße durch das parlamentarische Regierungssystem geprägte Volksvertretung gerade nicht durch einen originären Entscheidungs- und Gestaltungscharakter auszeichne. Da der jeweilige Regierungschef sein Amt von der ihn und sein Kabinett unterstützenden Parlamentsmehrheit erhalte, komme den exekutiven Gesetz- und Budgetentwürfen eine weitestgehend präjudizielle Wirkung zu, so dass die Debatten weniger zwischen Regierung und Parlament, sondern eher innerhalb des Parlaments zwischen Regierungsmehrheit und Opposition ausgetragen würden. Dies aber habe zur Folge, dass die Opposition - da in der Minderheit - den jeweiligen Entwurf nicht entscheidend verändern könne, die Regierungsmehrheit dies dagegen zwar könnte, aber gar nicht wolle 8 5 1 , da sie ihre Aufgabe weniger in der kritischen Kontrolle der Regierung als in einer Abschirmung der Regierung gegen die Kritik in der Opposition sehe 852 . Zum anderen wird auch hier der bereits oben dargestellt e 8 5 3 Umstand angeführt, die Mehrzahl der Abgeordneten sei gar nicht in der Lage, den umfangreichen und komplexen Haushaltsplan mit allen seinen finanziellen Einzelregelungen inhaltlich nachzuvollziehen854, sie könnten den Ausgabenberg daher insgesamt nur oberflächlich durchmustern und bei finanzwirksamen Gesetzesvorhaben gar nicht alle Auswirkungen auf die Staatsfinanzen im Blick haben 8 5 5 . Zum Teil wird das Parlament daher nur noch als „Dekorationsstück" der öffentlichen Finanzwirtschaft mit kaum mehr ausspielbaren Kompetenzen wahrgenommen, dessen Haushaltsdebatten im Plenum den Charakter einer nur „pflicht851 Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 205. 852 BrümmerhojfS. 137. Dieses Gegenüber von Regierungsfraktionen und Opposition werde zudem überwiegend von den politischen Parteien beherrscht: Da die Abgeordneten ihr Stimmverhalten i.d.R. an der Parteizugehörigkeit ausrichteten, würden die Haushaltsentscheidungen aus den staatlichen Funktionen weitgehend in den internen Meinungsbildungsprozess der Parteigremien verlagert, vgl. Maurer, Plebiszitäre Elemente, S. 23; Hesse Rdnr. 479; Stern, Staatsrecht I, S. 794. Vgl. auch Model/Müller Art. 20 Rdnr. 28, die in diesem Zusammenhang ein Bedürfnis nach einer Kontrolle des Parlaments sehen. 853 Siehe oben unter C III 3 a bb. 854 Vgl. Zimmermann/Henke S. 63 ff. 855 Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 203 will sogar eine Tendenz zur Lustlosigkeit hinsichtlich der Einzelheiten der Haushaltsgestaltung beobachten.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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gemäß absolvierten und kurzgefassten Reprise der Vorberatungen" hätten 856 , so dass sich die parlamentarische Mitbestimmung in eine bloße Zustimmung - wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts - zurückverwandelt habe 857 . Dieses Bild vom Parlament als überfordertes Akklamationsorgan erscheint jedoch überzogen. Der in der Öffentlichkeit vorherrschende, durch die Plenardebatten geprägte Eindruck parlamentarischer Auseinandersetzung verdeckt, dass die Ausübung der Gestaltungsfunktion des Haushalts wie auch die parlamentarische Arbeit insgesamt nicht im Plenum, sondern vielmehr in formellen und informellen „Clearingstellen" des Parlaments, insbesondere in den Arbeitskreisen der Fraktionen und im Haushaltsausschuss erfolgt, wo alle wichtigen Entscheidungen vordiskutiert und vorstrukturiert werden und wo durch den hier konzentrierten parlamentarischen Haushaltssachverstand die Defizite der Plenarberatungen, die in erster Linie der Information der Öffentlichkeit dienen, weitgehend aufgefangen werden 8 5 8 . Die präjudizielle Wirkung der Regierungsinitiativen ist daher kein überzeugendes Argument gegen den Gestaltungsspielraum des Parlaments. Die faktische Gewichtsverlagerung auf die Exekutive wird dadurch erheblich relativiert, dass diese ihre Vorschläge von vornherein auf einen hohen Grad an Zustimmungsfähigkeit bei den Volksvertretern, insbesondere den in den Fraktionen, Ausschüssen und Fachkreisen relevanten Entscheidungsträgern ausrichten muss, da bei nicht mehrheitsfähigen Budgetentwürfen die Regierung Gefahr liefe, vom Parlament das Vertrauen entzogen zu bekommen. Zudem erfolgt die enge Abstimmung nicht nur im Rahmen der Finanzgesetzgebung, sondern betrifft letztlich die gesamte Gesetzgebung und somit die Gestaltungsbereitschaft und -fähigkeit des Parlaments schlechthin859. (2) Finanzwirksame Volksgesetze als bloße externe Vorgaben für das Budgetrecht Weiterhin wird eingewandt, dass ein Wertungswiderspruch gegeben sei, wenn die finanzielle Kompetenz des Volksgesetzgebers zum Schutz des Budgetrechts stark beschnitten werde, andererseits aber zum Teil erhebliche Einschränkungen des parlamentarischen Budgetrechts durch die Entscheidung anderer staatlicher Stellen „ohne Problematisierung hingenommen" würden 860 . So könnten insbeson856 Hirsch S. 111 f., 105. 857 Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 203. Vgl. auch H. Haller S. 323 ff., der die Regierung mit dem hinter ihr stehenden bürokratischen Apparat als „Exekutivausschuss" des Parlaments betrachtet und daher den Einfluss des Parlaments bei einer Übertragung der Budgetkompetenzen auf die Regierung als hinreichend gewahrt sieht. 858 Siehe hierzu bereits oben unter C III 3 a bb. Der Haushaltsausschuss wird insoweit auch als „heimlicher Gesetzgeber" bezeichnet, vgl. Patzig, Haushaltsrecht I, Rdnr. 203. 859 Vgl. allgemein zur Tendenz des Parlaments, die Regierungsvorlagen ohne Änderungen zu übernehmen Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 131. 860 So kritisch zur Misstrauenshaltung der deutschen Gerichtspraxis Rinken NordÖR 2000, 89 (96), ebenso Jung KritV 2001, 24 (48 f.). 11 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
dere durch den Bundesgesetzgeber oder durch die Verfassungsgerichte Entscheidungen getroffen werden, die in beträchtlichem Umfang auf die Landesfinanzen einwirkten, wobei es dann Sache des Parlaments sei, die für den Haushaltsausgleich notwendigen Beschlüsse zu fassen 861. In Verallgemeinerung dieses Ansatzes wird darüber hinaus sogar vertreten, es könne insoweit gar keine Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments vorliegen, wenn ein haushaltswirksames Gesetz lediglich externe finanzielle Vorgaben für den Haushaltsgesetzgeber mache und daher gar nicht auf den Budgetprozess als solchen einwirke 862 . Diese Ansicht wird aber der Gestaltungsfunktion des Haushalts nicht gerecht. Das hier zum Ausdruck kommende Verständnis des parlamentarischen Budgetrechts als bloße Kompetenz zur Feststellung des formellen Haushaltsgesetzes unter strenger Trennung von der materiellen Gesetzgebung863 ist der überkommenen Vorstellung vom liberalen Ordnungsstaat verhaftet und verkennt, dass der Großteil staatlicher Ausgabengestaltung in Gesetzen festgelegt wird und daher die Haushaltsfeststellung und die finanzwirksame Einzelgesetzgebung als Instrumente der Haushaltsgewalt nicht isoliert voneinander betrachtet werden können, sondern das Budgetrecht vielmehr im Zusammenspiel beider Formen der Ausübung staatlicher Haushaltsgewalt zum Ausdruck kommt 8 6 4 . Der Einwand verwischt daher die Unterschiede zwischen den äußeren und den inneren Grenzen des Budgetrechts. Die Einschränkung des parlamentarischen Budgetrechts durch den Bundesgesetzgeber und die Verfassungsgerichte ist dem föderalen und gewaltenteilenden Aufbau des Staates geschuldet: Diese Entscheidungen erfolgen in anderen Funktionsbereichen bzw. auf einer anderen Kompetenzebene und stecken somit, da sie dem Einfluss des Landesgesetzgebers entzogen sind, den Rahmen für den Gestaltungsspielraum des Parlaments ab. Die Entscheidungen der Verfassungsgerichte werden darüber hinaus auf der Grundlage des bereits geltenden Rechts getroffen und konkretisieren damit i.d.R. nur die ohnehin bestehende Rechtslage. Dagegen stehen sich der parlamentarische und der direktdemokratische Gesetzgeber als konkurrierende rechtssetzende Organe auf gleicher Ebene mit grundsätzlich gleichen Gestaltungskompetenzen gegenüber. Diese Gleichordnung wäre zu Lasten des Parlaments gestört, wenn dem Volksgesetzgeber die Gestaltungsmacht über finanzielle Fragen eingeräumt würde, ohne dass er die Last der Deckungsvorsorge zu tragen hätte, sondern das Parlament alleine für die Finanzierung sorgen müsste. Zudem kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die finanziellen Auswirkungen von Entscheidungen des Bundes oder der Verfassungsgerichte den Ländern keine Probleme bereite861 Jung KritV 2001, 24 (49). Vgl. auch Rux LKV 2002, 252 (256). 862 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240 f.); Jung KritV 2001, 24 (48); Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 6; ders. BayVBl. 2002, 65 (70); ders. NVwZ 2002, 1471 (1474). 863 Vgl. Jung KritV 2001, 24 (47); Siekmann in: Neumann/v. Raumer 181 (201); Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 6; ders. BayVBl. 2002, 65 (70). 864 Zschoch NVwZ 2003, 438 (440). Siehe zum Zusammenhang der Haushaltsgesetzgebung und der Einzelgesetzgebung oben unter C I 3.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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ten. Statt dessen zeigt die Erfahrung, dass etwa auf ein verfassungsgerichtliches Urteil mit erheblichen finanziellen Auswirkungen regelmäßig intensive und oft schwierige Anstrengungen unternommen werden müssen, um der drohenden Einschränkung der budgetären Bewegungsfreiheit zu begegnen865. Darüber hinaus treffen Überlegungen des Bundesgesetzgebers mit dem Ziel, finanzielle Lasten auf die Länder abzuwälzen, regelmäßig auf deren massiven Widerstand unter Hinweis auf den eingeschränkten Gestaltungsspielraum der Landeshaushalte866. Schließlich aber kann es auch in grundsätzlicher Hinsicht nicht überzeugen, wenn mit dem Hinweis auf anderweitige Risiken für den parlamentarischen Gestaltungsspielraum dessen Schutzwürdigkeit in Frage gestellt wird. Ganz im Gegenteil muss aus einer erhöhten Gefährdung der politischen Gestaltungsfreiheit auf eine entsprechend höhere Schutzbedürftigkeit geschlossen werden. (3) Parlamentarische
Selbstbegrenzung
Gegen das Budgetrecht als Schutzzweck des Finanzvorbehalts wird darüber hinaus argumentiert, dass das Parlament durch die zunehmende Steigerung der Ausgaben die Einschränkung seiner Gestaltungsmöglichkeiten in großem Umfang selbst verursachen würde und der Spielraum nur deshalb so gering sei, weil der Ausgabenbedarf bereits durch zahlreiche Gesetze vorweggenommen sei, die im Haushaltsplan nur noch fortgeschrieben würden 867 . Insoweit seien die gesetzlichen Ausgabenverpflichtungen im Grunde auch gar keine Einschränkung der Gestaltungsfreiheit des Parlaments, sondern letztlich nur die Ausübung der Gestaltungsmacht in anderer Form 868 . Entscheidend ist aber, dass durch volksbeschlossene Ausgabengesetze der dem Parlament verbleibende Gestaltungsspielraum noch weiter eingeschränkt würde. Der Vorwurf der parlamentarischen Selbstverursachung kann es hier nicht rechtfertigen, das Parlament noch weiter in die haushaltspolitische Unbeweglichkeit zu treiben. Im Übrigen träfe die hier ins Feld geführte Selbstverursachung der Spielraumbegrenzung die Landesparlamente ohnehin nur insoweit, als es sich bei den Ausgabegesetzen um Landesrecht handelt; die meisten Ausgaben insbesondere im Sozialleistungsbereich werden jedoch durch bundesrechtliche Gesetze geregelt. Aber auch die landesrechtlichen Verpflichtungen sind häufig bereits in früheren 8 65 Vgl. z. B. die kontroversen Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich, dessen Neuregelung aufgrund des Urteils des BVerfG vom 11. 11. 1999, BVerfGE 101, 158 erforderlich wurde. 866 Etwa wenn Leistungen des Bundes mit der Folge zusätzlicher Lasten für kommunale Sozialhilfeträger reduziert oder eingestellt werden, z. B. Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe. Zur aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Länder und dem Zusammenhang mit dem Bundesstaatsprinzip vgl. Wendt in: Isensee / Kirchhof, HBdStR IV, § 104 Rdnr. 48. 867 Götz JZ 1969, 89 (91); Mössle S. 128. 868 Vgl. Eickenboom in: Schneider/Zeh § 44 Rdnr. 24 (für den Haushaltsausschuss); Mössle S. 127 f.; Vogel in: Isensee/Kirchhof, HBdStR I, § 27 Rdnr. 36. Ii*
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Haushaltsjahren oder sogar in vergangenen Legislaturperioden festgelegt worden und legen den gegenwärtigen Haushaltsgesetzgeber häufig schon allein deshalb fest, weil er die jeweiligen Einzelgesetze seinerseits nicht unbesehen wieder ändern oder aufheben kann. Schranken können sich hier etwa aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes oder aufgrund von zwingenden Folgeausgaben aus Investitions- bzw. Personalmaßnahmen oder Kreditverpflichtungen ergeben 869. (4) Möglichkeiten des Parlaments zur Erhaltung des Gestaltungsspielraums Schließlich wird gegen die Gefahr einer erheblichen Verschiebung der haushaltspolitischen Prioritäten und einer übermäßigen Einengung des Gestaltungsspielraums des Parlaments durch die Volksgesetzgebung eingewandt, dass das Parlament ohne weiteres die Möglichkeit habe, seine budgetäre Beweglichkeit zu erhalten bzw. wieder zurückzugewinnen. Im Wesentlichen werden in diesem Zusammenhang zwei Ansätze diskutiert, die hier näher zu untersuchen sind: Einerseits wird auf die Möglichkeit des Parlaments hingewiesen, die volksbeschlossenen Gesetze wieder aufzuheben, zum anderen ist aber auch die Möglichkeit der Finanzierung durch eine Kreditaufnahme in Betracht zu ziehen. (a) Möglichkeit der Aufhebung finanzwirksamer Volksgesetze Zunächst ist zu untersuchen, inwieweit das Parlament sich der Ausgleichspflicht entziehen und seinen finanziellen Gestaltungsspielraum zurückgewinnen kann, indem es das direktdemokratisch beschlossene Gesetz einfach wieder aufhebt 870 . Das Bestehen dieser Möglichkeit setzt zunächst grundsätzlich voraus, dass die Aufhebung eines Volksgesetzes durch das Parlament nicht bereits aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, was bereits strittig ist. Während die herrschende Ansicht von der Aufhebungsmöglichkeit des Parlaments wegen der Gleichrangigkeit von direktdemokratischen und repräsentativen Gesetzen ausgeht871, fordern andere 869 Siehe zu den Folgeausgaben insbesondere bei Investitionsgesetzen oben unter C I 1 b und unten unter C IV 2 a. 870 Diesen Ansatz vertreten H. Neumann, BremVerf, Art. 70 Rdnr. 14; P. Neumann in: Neumann /v. Raumer S. 52 f.; Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (675); Schneider, Gesetzgebung, Rdnr. 182; Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8; ders. BayVBl. 2002, 65 (70). 871 BayVerfGH BayVBl. 1994, 203 (206); SaarlVerfGH NVwZ 1988, 245 (249); SächsVerfGH LKV 1998, 443 (443 f.). Aus der Literatur vgl. K. Braun Art. 60 Rdnr. 18; Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392 f.); Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 4; Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976,486 (488 Fn. 7); v. Danwitz DÖV 1982, 601 (607 f.); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 100 ff., 184; Jürgens S. 137; Ley in: Ley/Prümm S. 27, 29; Meder Art. 72 Rdnr. 1; Möllers/Ooyen ZfP 2000, 458 (463); Schonebohm Stein-FS S. 317 (335); ders. in: Zinn/Stein Art. 124 Anm. IX. Zur WRV bereits Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 4; Hensel in: Anschütz / Thoma, HBdDStR II, S. 313 (318 Fn. 7); Fetzer S. 22 ff.; Mügel DJZ 1926, 694; Wunderlich DJZ 1926, 705.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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dagegen einen besonderen Bestandsschutz der direktdemokratischen Willensbildung gegenüber den Beschlüssen der Volksvertretung 8 7 2 . So sei eine solche erhöhte Bestandskraft nach einer Ansicht aus der Stellung des Volkes als des Trägers der Staatsgewalt und des höchsten Staatsorgans herzuleiten 8 7 3 ; nach anderer Ansicht begründe sich der besondere Bestandsschutz der Volksgesetze aus dem Gedanken des „actus contrarius", nach dem jeder Rechtsakt grundsätzlich nur durch einen gleichartigen A k t und nur durch dasselbe Organ oder jedenfalls nur mit dessen Zustimmung wieder abgeändert oder aufgehoben werden k ö n n e 8 7 4 . Diese Ansichten können jedoch nicht überzeugen. Gegen eine entsprechende Schlussfolgerung aus der Stellung des Volks als des obersten Staatsorgans ist einzuwenden, dass das Volk bei der Völksgesetzgebung nicht als das die Verfassung konstituierendes Organ (pouvoir constituant), sondern als konstituiertes Gesetzgebungsorgan (pouvoir constitué) handelt und damit auf der gleichen Rangstufe wie das Parlament steht 8 7 5 , wofür i m Übrigen auch die Bestimmungen in allen Landesverfassungen sprechen 8 7 6 , die bei der Nennung der gesetzgebenden Gewalt den Völksgesetzgeber und das Parlament nebeneinander stellen 8 7 7 . Auch der Gedanke des „actus
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Dabei wird zum einen vertreten, dass das volksbeschlossene Gesetz den absoluten Vorrang genieße, also generell von der Volksvertretung nicht geändert oder aufgehoben werden könne, so zur WRV Heyen S. 59 ff.; Michaelis DJZ 1929, 1451 (1452 ff.). Zum Teil wird eine Ausnahme für die Fälle gemacht, in denen sich die dem Gesetz zugrunde liegende Situation geändert hat: Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (181); Jung Schefold-FS S. 145 (162); Peine Der Staat 1979, 375 (399). Andere wiederum wollen den Vorrang nur auf das Parlament derjenigen Legislaturperiode beziehen, in der das Volksgesetz zustande gekommen ist, da ein Dissens zwischen Volk und einer neu gewählte Volksvertretung nicht mehr gegeben sei, Feuchte Art. 60 Rdnr. 11; Fritz/Musall SächsVBl. 2001, 233 (237); Gensior/Krieg/Grimm Erl. zu § 24 VVG; Püttner/Kretschmer S. 97; zur WRV: Thoma in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 108 (116); Hartwig S. 61. Unklar Zivier S. 209: Eine sofortige Aufhebung durch das Parlament sei „im Hinblick auf das Demokratieprinzip höchst bedenklich", der Verfassungstext biete für eine Beschränkung aber „keine Anhaltspunkte". 8 73 Feuchte Art. 60 Rdnr. 11; Fritz/Musall SächsVBl. 2001, 233 (237); Gensior/Krieg/ Grimm Erl. zu § 24 VVG; Püttner/Kretschmer S. 97. 8 74 Peine Der Staat 1979, 375 (398 f.). 8 75 BremStGH NordÖR 2000, 186 (187); BayVerfGH BayVBl. 1977, 143; 1994, 203 (206); 2000, 397 (398); Grawert Jura 1982, 247 ff. u. 300 (304); Meder Art. 72 Rdnr. 1; Möllers/Ooyen ZfP 2000,458 (463); Preuß DVB1. 1985, 710 (711); Przygode S. 429. 876 Art. 25 Abs. 3 S. 1, Art. 59 Abs. 1 BW-Verf; Art 5 Abs. 1, Art. 71, 72 BayVerf; Art. 3 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 2 Abs. 4 S. 1, Art. 75 BrandVerf; Art. 67 Abs. 1, 123 Abs. 1 BremVerf; Art. 48 Abs. 1 und 2 HambVerf; Art. 116, 117 HessVerf; Art. 55 Abs. 1 S. 1 MV-Verf; Art. 42 Abs. 1 und Abs. 3 NdsVerf; Art. 3 Abs. 1 NRW-Verf; Art. 107, 108 RhPfVerf; Art. 65 Abs. 2 SaarlVerf; Art. 70 Abs. 1 und 2 SächsVerf; Art. 77 Abs. 1 und 2 SAnhVerf; Art. 37 Abs. 1 und 2 SchlH-Verf; Art. 47 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1 und 2 ThürVerf. 877 Insbesondere auch aus der Reihenfolge der Aufzählung ist nichts anderes herzuleiten; dass bei einer Aufzählung eines der Elemente als erstes genannt wird, ist sprachlich nicht anders möglich. A.A. dagegen ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (37), der aus Art. 81 Abs. 1 und 2 sowie Art. 45 S. 2 ThürVerf einen Nachrang der Volksgesetzgebung ablesen will, da diese in Art. 45 S. 2 ThürVerf „entgegen der an sich angezeigten alphabetischen Reihenfolge" nach den Wahlen aufgezählt sei. Unklar dagegen Möllers/Ooyen ZfP 2000, 458 (463),
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
contrarius" ist nicht überzeugend, seine Anwendbarkeit auf gleichberechtigte konkurrierende Organe mit grundsätzlich gleichen Kompetenzen ist vielmehr höchst zweifelhaft. Deren jeweilige Eigenkompetenzen werden im Verhältnis zueinander schon ausreichend durch den Grundsatz der Organtreue geschützt878, und zudem würde die Anwendung des actus-contrarius-Gedankens letztlich zu einem Prioritätsprinzip führen, das demjenigen Organ die ständige Regelungskompetenz zuschriebe, das sich als erstes einer bestimmten Materie annimmt. Dadurch wäre die Volksgesetzgebung grundsätzlich nur noch auf die Regelung bisher ungeregelter Gegenstände beschränkt und folglich in weitem Umfang ausgeschlossen, da es kaum einen Bereich gibt, der nicht schon einmal durch ein Parlamentsgesetz geregelt worden ist 8 7 9 . Bei einem kurzfristig entstehenden Änderungsbedarf wäre der Volksgesetzgeber aufgrund der langen Verfahrensdauer darüber hinaus gar nicht in der Lage, in angemessener Zeit zu reagieren 880. Die Verfassungen gehen im Übrigen auch nicht etwa von der Erforderlichkeit eines Referendums über die ein Volksgesetz ändernden Parlamentsgesetze aus 881 . Aber selbst wenn die Volksvertretung somit die rechtliche Möglichkeit hat, durch Änderung der Volksgesetze seinen Gestaltungsspielraum wieder zurückzugewinnen, so geht die Vorstellung, das Parlament könne ohne Weiteres ein ihm nicht genehmes Volksgesetz wieder aufheben, an der politischen Realität vorbei. Soweit aufgrund von Volksgesetzen langfristige Investitionen von Personal oder Sachgütern vorgenommen worden sind, würde - wie bereits gezeigt - die Aufhebung des Gesetzes das Land nicht von den zwangsläufig sich ergebenden investiven Folgeausgaben befreien 882 . Darüber hinaus hat das Votum der Abstimmenden aber auch ein so bedeutendes Gewicht in der öffentlichen Meinungsbildung, dass die Fraktionen im Parlament hieran nicht vorbei können, ohne ihre Verbundenheit wonach sich aus der Stellung des plebiszitären Elements an zweiter Stelle in der SchlH-Verf ergebe, dass Parlament und Volk auf derselben Stufe der Normenhierarchie ständen. Zum Verhältnis zwischen Parlament und Volksgesetzgeber siehe auch im 2. Teil unter A III 2 b aa (2). 878 Vgl. BVerfGE 68, 1 (67); SächsVerfGH LKV 1998,443 (444). 879 Przygode S. 431. A.A. Peine Der Staat 1979, 375 (398 f.), soweit die Verfassungsbestimmungen ausdrücklich die Änderung oder Aufhebung von Parlamentsgesetzen durch Volksgesetzgebung erlauben. Eine solche Regelung kann den Verfassungen aber nicht entnommen werden: Während Art. 62 Abs. 1 S. 1 BerlVerf; Art. 71 BremVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 1 HambVerf; Art. 60 Abs. 1 S. 1 MV-Verf; Art. 48 Abs. 1 S. 1 NdsVerf; Art. 68 Abs. 1 S. 1 NRW-Verf; Art. 109 Abs. 1 Nr. 1 RhPfVerf; Art. 99 Abs. 1 S. 1 SaarlVerf; Art. 81 Abs. 1 S. 1 SAnhVerf hinsichtlich der den direktdemokratischen Verfahren offenstehenden Regelungsformen nur schlicht von „Gesetzen" sprechen, ist in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen gar keine entsprechende Regelung gegeben. 880 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 104. 881 Eine zwingende Zustimmung des Volks zu einem Parlamentsgesetz ist nur in drei Verfassungen und nur für den Fall einer Verfassungsänderung vorgesehen; ein obligatorisches Referendum für einfache Parlamentsgesetze kennt keine der Verfassungen. 882 Siehe oben unter C 1 1 b und C III 3 c bb (3).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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mit der Wählerschaft zu riskieren 883. Würde sich das Parlament dem im Volksentscheid zum Ausdruck gekommenen Willen einer Bevölkerungsmehrheit lediglich zur Gewinnung eines größeren Handlungsspielraums widersetzen, so drohte der Volksvertretung, dass das Volk dies bei der nächsten Wahlentscheidung zu Lasten der derzeitigen Parlamentsmehrheit berücksichtigt 884. Die theoretisch an sich mögliche Rückgewinnung des budgetären Handlungsspielraums durch parlamentarische Aufhebung der Volksgesetze erweist sich damit in vielen Fällen als nicht praktikabel 885 . (b) Möglichkeit der Kreditaufnahme Möglicherweise könnte das Parlament aber die Deckung der entstehenden Mehrausgaben unter Erhaltung seines Gestaltungsspielraum dadurch sicherstellen, dass es die Regierung zur entsprechend hohen Aufnahme eines Kredits ermächtigt. Diese Möglichkeit ist allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, wobei sich nach den verfassungsrechtlichen Regelungen in den Landesverfassungen zwei Systeme unterscheiden lassen. In Bayern, Hamburg und Hessen ist - entsprechend der klassischen Finanzpolitik, die die Staatspraxis im 19. Jahrhundert bis zur Finanzreform 1969 geprägt hat - die Kreditaufnahme an bestimmte Zwecke, nämlich die Deckung eines außergewöhnlichen Bedarfs und in Hamburg und Hessen zusätzlich an „werbende", also investive 886 Zwecke gebunden887. Nach dieser zwischen ordentlichem und außerordentlichem Haushalt unterscheidenden Konzeption müssen die laufenden Ausgaben durch die laufenden ordentlichen Einnahmen gedeckt sein, wobei mit der Beschränkung auf investive Zwecke zudem gesichert werden soll, dass mit den kreditfinanzierten Ausgaben Werte geschaffen werden, die auch später noch Nut883 Vgl. Hartwig S. 60; Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 99 f., 102; Peine Der Staat 1979, 375 (376); Schlenker VB1BW 1988, 121 (122); Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. IX. 884 Schlenker VB1BW 1988, 121 (122 Fn. 21); Jürgens S. 137. Hinzu kommt die in einigen Ländern gegebene Möglichkeit, auch im Wege des Volksbegehren den Landtag aufzulösen: Art. 43 BW-Verf; Art. 18 Abs. 3 BayVerf; Art. 76 Abs. 1 S. 1 und 3; Art. 62 Abs. 3 BerlVerf; Art. 76 Abs. 1 S. 2 BrandVerf; Art. 70 Abs. 1 Ziff. c BremVerf; Art. 109 Abs. 1 Nr. 2 RhPfVerf. 885 Kirchhof in: Isensee/Kirchhof, HBdStR IX, § 221 Rdnr. 51; Jutzi ZG 2003, 273 (285), der den Verweis des Parlaments auf die Aufhebungsmöglichkeit des Volksgesetzes als kaum ernst gemeinte Zumutung bezeichnet. 886 Investitionen werden in § 13 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 LHO als im Gruppierungsplan aufzuführende Ausgaben für einzelne Positionen wie Baumaßnahmen, Erwerb von unbeweglichen und bestimmten beweglichen Sachen definiert. Die Bestimmung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Investitionen ist im Einzelnen aber umstritten, vgl. Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 115 Rdnr. 13; Pfennig/Neumann Art. 87 Rdnr. 21; Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (501). Siehe zu den Investitionsausgaben auch oben unter C I 1 b. 887 Art. 82 S. 1 BayVerf; Art. 72 Abs. 1 HambVerf; Art. 141 S. 1 Hess Verf.
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. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
zen stiften und damit eine Überwälzung des Schuldendienstes an künftige Haushalte rechtfertigen 888. Damit lassen sich in diesen Ländern grundsätzlich weder laufende noch konsumtive Ausgaben im Wege eines Kredits finanzieren. In allen anderen Ländern wurde dagegen als Ergebnis der Finanzreform 1969 ein formales Ausgleichsverständnis zugrunde gelegt und - unter Änderung des objektbezogenen in ein abstraktes Investitionsjunktim - für die Kreditaufnahme lediglich die Kredithöhe durch die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen begrenzt 889 . Um der ebenfalls 1969 in Art. 109 Abs. 2 GG eingefügten Verpflichtung zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Wege einer antizyklischen Wirtschaftspolitik Rechnung zu tragen 890 , wofür ein materiell ausgeglichener Haushalt nicht in gleichem Umfang geeignet wäre, ist eine Überschreitung der durch die Investitionsausgaben beschriebenen Kreditobergrenze ausnahmsweise zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zulässig 891 . Eine Verschuldung des Staates in Zeiten des konjunkturbedingten Abschwungs wird damit gerechtfertigt, dass die Kredite später in einer folgenden Periode des Aufschwungs aus den dann - jedenfalls der Theorie nach - zu erwartenden Haushaltsüberschüssen getilgt werden können. Neben den gezeigten landesverfassungsrechtlichen Beschränkungen der Kreditaufnahme stellt die für alle Länder nach Art. 109 Abs. 2 GG verbindliche Sorge um das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht aber auch eine Grenze dar, denn der antizyklische Einsatz des Haushalts verbietet ein prozyklisches Verhalten, so dass in einer konjunkturellen Normallage die Aufnahme von Krediten im Grunde weitgehend zu unterbleiben hat; dies gilt erst recht in einer Aufschwungphase, in der die Kredite vielmehr zurückgeführt werden müssen892. 888 Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (501). 889 Art. 84 S. 2 Hs. 1 BW-Verf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 2 BrandVerf; Art. 131a S. 2 Hs. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 S. 1 MV-Verf; Art. 71 S. 2 NdsVerf (keine Überschreitung der Höhe der Ausgaben für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung); Art. 83 S. 2 NRW-Verf; Art. 117 S. 2 Hs. 1 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 2 S. 1 SaarlVerf; Art. 95 S. 2 Hs. 1 SächsVerf; Art. 99 Abs. 2 SAnhVerf; Art. 53 S. 2 Hs. 1 SchlH-Verf; Art. 98 Abs. 2 S. 2 ThürVerf. In Berlin ist die Kreditaufnahme ausdrücklich nur dann erlaubt, wenn andere Mittel zur Deckung nicht vorhanden sind, Art. 87 Abs. 2 S. 1 BerlVerf. 890 Zu dem dahinter stehenden fiskalischen Steuerungskonzept des „surplus saving" und „deficit spending" siehe unten im 2. Teil unter A III 4 a. Vgl. hierzu auch Maunz in: Maunz/ Dürig Art. 109 Rdnr. 25; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 109 Rdnr. 11. 891 Art. 84 S. 2 Hs. 2 BW-Verf; Art. 87 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BerlVerf; Art. 103 Abs. 1 S. 3 BrandVerf; Art. 131a S. 2 Hs. 2 BremVerf; Art. 65 Abs. 2 S. 2 u. 3 MV-Verf; Art. 71 S. 3 NdsVerf (auch zur Abwehr einer Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen); Art. 83 S. 2 NRW-Verf; Art. 117 S. 2 Hs. 2 RhPfVerf; Art. 108 Abs. 2 S. 2 SaarlVerf (auch bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs); Art. 95 S. 2 Hs. 2 SächsVerf; Art. 99 Abs. 3 SAnhVerf; Art. 53 S. 2 Hs. 2 SchlH-Verf; Art. 98 Abs. 2 S. 3 ThürVerf. 892 v. Arnim/Weinberg S. 89; Friauf in: Isensee/Kirchhof, HBdStR IV, § 91 Rdnr. 34; Frotscher Rdnr. 105; Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (500). Zur Problematik der Ableitung inhaltlicher Vorgaben siehe unten im 2. Teil unter A III 4 b.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Für die Staatspraxis haben sich die aufgezeigten Beschränkungen allerdings kaum hemmend auf die Kreditfinanzierung ausgewirkt: Seit den siebziger Jahren wurde die Verschuldung weniger als Instrument antizyklischer Konjunkturpolitik, sondern vielmehr zu einer zunehmenden Ausweitung der Staatsaktivität genutzt 893 , indem die Begriffe „außerordentlicher Bedarf' und „werbende Zwecke" bzw. „Investitionen" weit ausgelegt worden sind 894 . Angesichts der zu beobachtenden ansteigenden Schuldenlast ist es heute zunehmend anerkannt, dass zwischen dem Nutzen und der derzeitigen Belastung durch den wachsenden Schuldendienst kein angemessenes Verhältnis mehr besteht895. Im Ergebnis besteht Einigkeit, dass eine unbedachte Ausweitung des Umfangs der Ausgaben unter Hinweis auf zukünftige Einnahmen zu Lasten späterer Generationen verhindert werden muss 896 . Dieses Postulat erhält durch die wachsende gemeinschaftsrechtliche Dimension der Kreditaufnahmen eine besondere Aktualität 897 . Seit Beginn der dritten Stufe der Währungsunion am Ol. Ol. 1999 sind die Mitgliedstaaten nach Art. 104 Abs. 1 EGV verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden 898 . Wenn auch im Einzelnen noch höchst umstritten ist, ob diese Bestimmung für die Länder unmittelbar oder nur indirekt gegenüber dem Bund gilt und welche Verbindlichkeit ihr für die Länder zukommt 899 , so unterstreicht die europarechtliche Komponente doch das dringende Postulat einer wirksamen Beschränkung staatlicher Kreditfinanzierungen auch in den Ländern 900 . Aber selbst wenn alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine zusätzliche Verschuldung gegeben und damit dem Haushaltsgesetzgeber durch die Kreditaufnahme zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet wären, so würde die Kreditaufnahme die Bewegungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers allenfalls kurz893 Friauf in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR IV, § 91 Rdnr. 12 f.; Halstenberg DVB1. 2001, 1405; Henneke Rdnr. 536 f.; Wendt/Elicker DVB1. 2001, 497 (499). 894 Vgl. rückblickend BVerfGE 79, 311 (353); Wendt/Elicker DVB1. 2001,497 (501 ff.). 895 Vgl. auch Halstenberg DVB1. 2001, 1405 (1406), der auf die geringe Effektivität der bisherigen Verschuldung hinweist. Zweifelnd bereits Maunz in: Maunz/Dürig Art. 110 Rdnr. 56. 896 Nonnenmacher S. 23. 897 Vgl. insoweit den Hinweis des SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241) auf die das Budgetrecht des Parlaments begrenzenden europarechtlichen Vorgaben. 898 Gemäß Art. 311 EGV ist auch das auf der Grundlage von Art. 104 Abs. 2 Buchst, b EGV beigefügte Protokoll Nr. 20 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit Bestandteil des Vertrages, das die Referenzwerte festlegt: Es dürfen das Defizit pro Haushaltsjahr nicht 3 % und der gesamte öffentliche Schuldenstand nicht 60 % des BIP übersteigen. Dabei bestimmt das Protokoll auch, dass neben dem Haushalt des Bundes insbesondere auch die Haushalte der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zu den „öffentlichen Defiziten" in Art. 104 Abs. 1 EGV zählen. 899 Vgl. hierzu ausführlich Kloepfer/Rossi VerwArch 2003, 319 (335 ff.) m. w. N. 900 Insoweit sehen auch Kloepfer/Rossi VerwArch 2003, 319 (342) hier einen dringenden Regelungsbedarf zur Festlegung eines Maßstabes für die Höhe der zulässigen Verschuldung der Länder.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
fristig ausweiten, mittel- und langfristig würde der steigende Schuldendienst aus Tilgungs- und Zinszahlungsverpflichtungen dagegen zu einer weiteren Einschränkung des Spielraums führen 901 , so dass die Einschränkung der politischen Gestaltung erheblich größer wäre als bei einer Finanzierung aus dem laufenden Haushalt 9 0 2 . Diese Gefahr erhöht sich insbesondere in Zeiten einer wirtschaftlichen Stagnation oder eines Abschwungs, wenn den Zinsbelastungen kein entsprechendes Wachstum des Sozialprodukts gegenübersteht und damit die Last aus der Verschuldung immer drückender wird 9 0 3 . Es muss daher verhindert werden, dass sich „ein stetig wachsender Schuldensockel bildet, der die Fähigkeit des Staatshaushalts, auf die Probleme der Gegenwart und Zukunft zu reagieren, in Frage stellt" 904 . Insgesamt wird also durch eine Erhöhung der Kredite die Gefahr der Marginalisierung der Gestaltungsfunktion nicht verringert, sondern im Gegenteil weiter verstärkt, so dass zur Erweiterung des Gestaltungsspielraums eine Ermächtigung der Regierung zur Kreditaufnahme - selbst wenn sie verfassungsrechtlich zulässig sein sollte letztlich nicht geeignet wäre. Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass die Einwände gegen das parlamentarische Budgetrecht als Schutzzweck des Finanzvorbehalts im Ergebnis unbegründet sind. Die Sicherung des Budgetrechts des Parlaments spricht damit für eine Erstreckung des Haushaltsausschlusses auch auf finanz wirksame Einzelgesetze.
d) Sicherung der Leistungsfähigkeit und seiner Verwaltung
des Staates
Das BVerfG sieht schließlich neben dem parlamentarischen Budgetrecht die Leistungsfähigkeit des Staates und seiner Verwaltung als Schutzzweck des Finanztabus an 9 0 5 , was auch in der Literatur unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung einer Lähmung der Verwaltung vertreten wird 9 0 6 . Dem tritt das BrandVerfG aller901 Vgl. BVerfGE 79, 311 (354 f.); v. Arnim/Weinberg S. 58 ff.; Fischer-Menshausen in: v. Münch Art. 115 Rdnr. 14 a; Kirchner DVB1. 2002, 1569 (1571); Wendt/Elicker DVB1. 2001,497 (500 f.). 902 Zudem greift die lebende Generation durch die weitgehende Abwälzung der Pflicht zur Tilgungs- und Zinszahlung auf die nachfolgende Generation bzw. auf deren künftige Einkommen zu, was unter dem Gesichtspunkt des demokratischen Prinzips der „Macht auf Zeit" bedenklich ist, vgl. Nonnenmacher S. 16; Kirchner DVB1. 2002, 1569 (1571); Wendt/Elicker DVB1. 2001,497 (500 f.). Das BVerfGE 79, 311 (343) sieht das Demokratieprinzip aber unter Hinweis auf die Aufgabe des Gesetzgebers, für die dauerhafte Befriedigung von Gemeinschaftsinteressen zu sorgen, durch die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kreditaufnahme als gewahrt. 903 Vgl. zu diesen Zusammenhängen v. Arnim/Weinberg S. 60. 904 BVerfGE 79, 311 (355 f.). 905 BVerfGE 102, 176 (187), ohne diesen Begriff aber näher zu erläutern. Es verweist hierzu lediglich auf die Komplexität haushaltswirksamer Entscheidungen, die ein „Ja" oder „Nein" weitgehend ausschlössen, und auf die Schwierigkeiten für den Volksgesetzgeber, die finanziellen Folgen seiner Entscheidung zu ermessen.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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dings mit dem Hinweis entgegen, dass gerade auch die Parlamente der Versuchung ausgesetzt seien, durch Ausweitung der Staatsausgaben das staatliche Leistungsvermögen zu überfordern, der Volksgesetzgeber dagegen der Ausgabenfreudigkeit des Parlaments entgegentreten und kostensenkend wirken könne 907 . In der Literatur wird zudem auf die Praxis der direkten Demokratie in den Bundesstaaten der USA und den Kantonen der Schweiz verwiesen, die auch für finanzielle Angelegenheiten gegeben sei und deren Ausübung bisher zu keiner existentiellen Bedrohung der staatlichen Leistungsfähigkeit geführt habe 908 . Die Leistungsfähigkeit des Staates bezeichnet die Fähigkeit des Gemeinwesens, alle ihm obliegenden öffentlichen Aufgaben zu erfüllen. Sie ist eng mit der öffentlichen Haushaltswirtschaft verknüpft. Da der Staat grundsätzlich nicht mehr ausgeben kann, als er einnimmt, ist für die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben ein ausgeglichener Haushalt zwingende Voraussetzung. Die öffentlichen Finanzen sind daher unabdingbare Mittel zur Ausübung der Staatsgewalt, sie sind gleichsam die „Lebenskraft" des Staates909. Eine verantwortungsvolle, das Leistungsvermögen eines Staatswesens sichernde Haushaltsführung muss daher entsprechend der finanzwirtschaftlichen Funktion des Haushalts910 gewährleisten, dass alle vom Staat zu tragenden Leistungen durch entsprechende Einnahmen gedeckt sind 911 . Kann der Staat seine Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen, hätte dies schwerwiegende Folgen nicht nur für den öffentlichen Dienst und das gesamte von der öffentlichen Hand beeinflusste bzw. abhängige Wirtschaftssystem, sondern für das Vertrauen der Bürger in Staat und Politik und letztlich auch für den sozialen Frieden in der Gesellschaft. Dabei ist in der Geschichte „der Ruin der Staaten über einer zügellosen Finanzgebahrung nicht der seltenste"912, wie 906 Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 185: „Funktionstüchtigkeit des Staates"; ebenso bereits zur WRV Hatschek S. 136. 907 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80) unter Verweis auf die kostensparende Wirkung der Abschaffung des Senats in Bayern infolge eines durch Völksentscheid vom 08. 02. 1998 beschlossenen Gesetzes vom 20. 02. 1998 (BayGVBl. S. 42). 908 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (240); v. Arnim, Vom schönen Schein, S. 295 f.; Jutzi ZG 2003, 273 (287); Kenels/Brink NVwZ 2003, 435 (437); Pestalozzi Der Popularvorbehalt, S. 28; Rux LKV 2002, 252 (254); Sondervotum zum Urteil des BayVerfGH vom 31. 03. 2000, BayVBl. 2000, 430 (431 f.). Vgl. auch Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 198. 909 Vogel in: Isensee/Kirchhof, HBdStR I, § 27 Rdnr. 22. 910 Vgl. oben unter C12. 911 Zum Haushaltsausgleich siehe bereits oben unter C III 3 a aa. Vgl. insoweit Art. 101 Abs. 2 S. 4 BrandVerf; Art. 66 Abs. 1 S. 2 HambVerf; Art. 61 Abs. 1 S. 3 MV-Verf; Art. 65 Abs. 1 S. 2 NdsVerf; Art. 116 Abs. 1 S. 2 RhPfVerf; Art. 105 Abs. 1 S. 2 SaarlVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SächsVerf; Art. 93 Abs. 1 S. 2 SAnhVerf; Art. 50 Abs. 1 S. 2 SchlH-Verf; Art. 98 Abs. 1 S. 3 Thür Verf. in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist der Haushaltsausgleich als Soll-Vorschrift aufgenommen: Art. 79 Abs. 1 S. 2 BW-Verf; Art. 81 Abs. 2 S. 3 NRW-Verf. Allein in Bayern, Berlin, Bremen und Hessen fehlt eine solche Bestimmung in den Landesverfassungen. 912 Stern, Staatsrecht II, S. 1056.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
sich in Deutschland besonders deutlich in den Zusammenbrüchen des Dritten Reichs und der DDR oder in den Finanzkrisen anderer Staaten, wie z. B. in Argentinien zeigt 913 . Und auch die Haushaltsnotlagen in den Ländern Bremen und Saarland 914 sowie jüngst auch Berlin 9 1 5 belegen, dass eine nachhaltige und verantwortungsvolle Finanzpolitik „eine Frage von fundamentaler Bedeutung" für die Existenz des Staates i s t 9 1 6 und damit zu den „Grundfragen der Nation" bzw. des betroffenen Landes gehört. Die Verantwortung für einen ausgeglichenen Haushalt gilt aber nicht nur für die Aufstellung und Feststellung des Haushaltsplans selbst, sondern auch außerhalb des Budgetkreislaufs und ist, wie bereits gezeigt, in zahlreichen Vorschriften der Verfassungen zum Ausdruck gebracht, wonach insbesondere das Parlament neben der Darlegung der finanziellen Auswirkungen eines Gesetzes für dessen notwendige Deckung sorgen muss und zudem einem Zustimmungs- bzw. Interventionsrecht der Regierung unterliegt, die ihrerseits Haushaltsüberschreitungen nur unter strengen Voraussetzungen und Auflagen vornehmen darf 918 . Zudem muss die Haushaltswirtschaft die mittelfristige Finanzplanung der Regierung berücksichtigen und dabei auch in dieser Zeitperspektive die Leistungsfähigkeit des Staates und der gesamten Wirtschaft berücksichtigen 919. Die Finanzierung der Ausgaben darf darüber hinaus - wie gerade gezeigt - nicht in zu großem Maße durch die Aufnahme von Krediten gedeckt werden, da dies auf lange Sicht zu einer Überschuldung des Staates führen würde, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, seine wachsenden Tilgungs- und Zinsverbindlichkeiten zu bedienen920. Verantwortbar ist eine Finanzpolitik nur, wenn sie sich langfristig am materiellen Haushaltsausgleich orientiert, nach dem alle konsumtiven und laufenden Ausgaben durch die laufenden ordentlichen Einnahmen gedeckt werden und eine Kreditaufnahme nur zur Deckung von außerordentlichen, dauerhaft zukunftsbegünstigenden Ausgaben erOO1
folgt
ooo
, so dass die Nettoneuverschuldung insgesamt gleich Null beträgt
.
913 Zur Situation in Argentinien vgl. z. B. die Berichte von Kaufmann, „In der Schuldenfalle. Argentinien ist de facto bankrott", Berliner Zeitung vom 31. 10. 2002; Stausberg, „Argentinien droht jetzt der totale Zusammenbruch" vom 13. 05. 2002 in: http://www.welt.de/ daten/2002/05/13/0513wi331641 .htx (Stand: 16. 12. 2002). 914 Vgl. hierzu BVerfGE 86, 148 (258 ff.). 915 Vgl. BerlVerfGH NVwZ 2004, 210, der die Frage allerdings dahingestellt sein lässt, ob sich das Land Berlin tatsächlich in einer Haushaltsnotlage befindet. 916 Vogel in: Isensee/ Kirchhof, HBdStR I, § 27 Rdnr. 22; Stern, Staatsrecht II, S. 1063.
917 Achterberg DVB1. 1974, 693 (697). 918 Siehe hierzu im Einzelnen oben unter C III 2 b sowie C III 3 a cc. 919 Siehe hierzu unter C III 3 a aa. 920 Siehe gerade zuvor unter C III 3 c bb (4) (a). 921 Vgl. hierzu im Halstenberg DVB1. 2001, 1405 (1406); Nonnenmacher S. 17; Püttner, Staats Verschuldung, S. 11 f. sowie zum Inhalt des materiellen Haushaltsausgleichs FischerMenshausen in: v. Münch Art. 115 Rdnr. 4; Mahrenholz in: Wassermann, Alternativkommentar, Art. 115 Rdnr. 17; Maunz in: Maunz/Dürig Art. 115 Rdnr. 32; Wendt/Elicker DVB1. 2001,497 (504); Wiebel in: Dolzer/Vogel Art. 115 Rdnr. 109.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Während das Parlament und die Regierung aufgrund der Deckungsbestimmungen, der Begrenzung der Möglichkeiten der Kreditaufnahme und der Einbindung in die Finanzplanung verfassungsrechtlich sowohl bei der Feststellung des Haushaltsplans als auch bei jedem einzelnen Gesetz in die Pflicht genommen sind, Ausgaben nur dann zu beschließen, wenn es auch einen Ausgleich im Sinne einer soliden Haushaltswirtschaft verantworten kann, sind entsprechende Vorschriften für den Volksgesetzgeber in den Verfassungen nicht enthalten. Solange aber der Volksgesetzgeber nicht verpflichtet ist, bei seiner Willensbildung auf den gegenwärtigen und künftigen Haushaltsausgleich Rücksicht zu nehmen, ist dem Finanzvorbehalt auch die Funktion beizumessen, den Haushaltsausgleich und damit die Leistungsfähigkeit des Staates gefährdende Volksentscheide zu verhindern. Der Einwand, dass die Parlamente trotz dieser verfassungsrechtlichen Sicherungselemente in der Praxis kaum in der Lage seien, die wachsende Verschuldung in den Griff zu bekommen, mag als solches in der Sache eine berechtigte Kritik an der parlamentarischen Haushaltswirtschaft beinhalten, doch lässt sich hieraus nicht etwa folgern, dass insoweit dem Finanzvorbehalt keine entsprechende Schutzfunktion beizumessen wäre. Das Risiko einer weiteren Überschuldung des Haushalts lässt sich nicht durch eine Beseitigung von entsprechenden Schutzinstrumenten verkleinern, indem etwa weitere Entscheidungsmöglichkeiten im Staat eröffnet werden, die von der Sorge um eine langfristig verantwortungsvolle Finanzierung ganz freigestellt sind. Zur Stärkung der Finanzierungsverantwortung bedarf es im Gegenteil statt eines entsprechenden Abbaus eher der Installierung weiterer inhaltlicher oder verfahrensmäßiger Schranken. Dem kann auch nicht der Umstand entgegengestellt werden, dass die Volksgesetzgebung ggf. auch eine Kostensenkung bewirken könne 923 . Zwar wäre in diesem Fall der Haushaltsausgleich und damit die Leistungsfähigkeit des Staates nicht gefährdet, entscheidend ist aber, dass sich die Volksgesetzgebung eben auch ausgabensteigernd auf den Haushalt auswirken kann, und diesem Risiko kann durch eine Öffnung der Volksgesetzgebung ohne jede Absicherung des Haushaltsausgleichs nicht entgegengewirkt werden. Schließlich kann auch der Hinweis auf die Erfahrungen bezüglich finanzwirksamer Volksentscheide in den Bundesstaaten der USA und den Kantonen der Schweiz den hier dargestellten Gefahren für die Leistungsfähigkeit des Staates nicht entgegengehalten werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass im Hinblick auf die Finanzverfassung ganz erhebliche Unterschiede zwischen den deutschen Ländern auf der einen und den Gliedstaaten der USA und der Schweiz auf der anderen Seite bestehen, die der Vergleichbarkeit hier enge Grenzen setzen. Die Bundesverfassung der USA und die der Schweiz gestehen den Gliedstaaten ein weitreichendes Steuerfindungsrecht zu und belassen ihnen die Steuergesetzgebungskompetenz auch dann, wenn der Bund von seiner konkurrierenden Gesetz922 Siekmann in: Sachs, Grundgesetz, Art. 115 Rdnr. 51; Wendt/Elicker (500). 923 BrandVerfG LKV 2002, 77 (80).
DVB1. 2001, 497
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gebung Gebrauch macht 924 ; demgegenüber folgt in Deutschland mit der Inanspruchnahme der Bundeskompetenz der Verlust entsprechender Zuständigkeiten der Länder 925 , so dass diesen insoweit nur noch eine sehr beschränkte Finanzautonomie verblieben ist. Ebenso sind die Länder, wie bereits dargestellt, in Bezug auf die Ausgaben in erheblichem Umfang gebunden926 und unterliegen hier weitaus mehr als in den USA und der Schweiz erheblichen Beschränkungen. Daher wären die deutschen Länder in viel geringerem Maße in der Lage, von Volksgesetzen ausgehende erhebliche Haushaltsauswirkungen aufzufangen. Dass derartige beträchtliche finanzielle Folgen eintreten können, ist zudem - wie insbesondere die Erfahrungen in den USA zeigen - auch keineswegs unwahrscheinlich: So folgte etwa den in einigen us-amerikanischen Staaten im Rahmen der sog. „tax revolt" erfolgreich durchgeführten Völksinitiativen, durch die die kommunalen Steuern massiv reduziert wurden 927 , in den betroffenen Staaten eine schwere Haushaltskrise sowie eine Existenzgefährdung der Kommunen 928 . Die hierdurch bewirkten erheblichen Finanzierungslücken im Haushalt konnten letztlich nur dadurch ausgeglichen werden, dass den Lokalkörperschaften alternative Einnahmequellen erschlossen wurden und die Ausgaben für den öffentlichen Dienst und für öffentliche Investitionen drastisch gesenkt wurden 929 . Eine derartige haushaltswirtschaftliche Flexibilität ist den deutschen Ländern nicht gegeben, so dass die bereits für die USA als äußerst problematisch bewerteten Auswirkungen dieser Völksentscheide 9 3 0 im Rahmen der deutschen Finanzverfassung wohl kaum hätten gelöst werden können.
4. Zusammenfassung Insgesamt hat sich gezeigt, dass bei der Anwendung der Finanzvorbehaltsklauseln in den Landesverfassungen - auch wenn sie dem Wortlaut nach eine Bezugnahme nur auf den Haushaltsplan oder das Haushaltsgesetz nahelegen - eine Erstreckung auf finanzwirksame Einzelgesetze erforderlich ist. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik der Ausschlussklauseln stehen einer weiten Aus924 Vgl. hierzu Kruis DÖV 2003, 10 f.; speziell zur Schweiz Waldhoff USA Welz in: Jäger/Welz S. 80 (95) und 198 ff. 925 Siehe hierzu im Einzelnen oben unter B I. 926 Siehe oben unter C III c bb (2) und (3).
S. 52 ff. und zu den
927 im Jahre 1978 in Kalifornien (proposition 13) und Idaho sowie 1980 in Massachusetts (proposition 2 1/2). Vgl. hierzu Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 195; Stelzenmüller S. 159. Als weiteres Beispiel mit erheblichen Auswirkungen auf das Budget des Staates Kalifornien ließe sich etwa die Proposition 98 im Jahre 1988 nennen, die das öffentliche Schulsystem mit einer Mindestgarantie versah, vgl. hierzu Bauer S. 269. 928 Stelzenmüller S. 159. Zum Bankrott des Orange County in Kalifornien vgl. etwa Bauer S. 118. 929 Vgl. hierzu Billerbeck S. 76 ff. 930 Vgl. zu den Bewertungen Bauer S. 269, 276; Stelzenmüller S. 159 f.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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legung jedenfalls nicht entgegen. Insbesondere aber der Zweck des Finanzvorbehalts macht die Notwendigkeit einer solchen Auslegung deutlich, wobei vier verschiedene Zielrichtungen gegeben sind: • Ausschluss ungeeigneter, der strukturellen Komplexität haushaltsrelevanter Entscheidungen nicht genügender Normsetzungsverfahren: Eine finanzwirksame Volksgesetzgebung über Ausgaben steigernde oder Einnahmen mindernde Gesetze ohne gleichzeitige Regelung der Finanzierung erlaubt keine Anpassung des Gesetzes an die Finanzierbarkeit und ermöglicht keine rationale Abstimmungsentscheidung, da der Einzelne die Auswirkungen des Gesetzes im Hinblick auf den erforderlichen Haushaltsausgleich nicht abschätzen kann. • Missbrauchsgefahr: Die Ungewissheit über die Ausgleichsfolgen bringt ein spekulatives Element in die öffentliche Diskussion und fördert damit die Gefahr einer manipulativen Beeinflussung des Entscheidungsprozesses. • Sicherung des Budgetrechts des Parlaments: Einzelne Volksentscheide mit hoher Ausgabenintensität oder Häufungen finanzieller Völksentscheide können eine Revision haushaltsmäßig relevanter Gestaltungsentscheidungen des Parlaments erfordern und dessen künftigen Gestaltungsspielraum für Haushaltsentscheidungen erheblich einschränken oder sogar ganz beseitigen. • Gefährdung der staatlichen Leistungsfähigkeit: Ausgabenintensive Volksentscheide können zu einer Überforderung des staatlichen Leistungsvermögens führen und damit den sozialen Frieden gefährden.
IV. Abgrenzungskriterien Wenn demnach mit der überwiegenden Rechtsprechung und einem Teil der Literatur eine Beschränkung des Finanztabus auf den Haushaltsplan bzw. das Haushaltsgesetz abzulehnen ist, so ist es andererseits aber - auch unter den Vertretern der weiten Auslegung - allgemein anerkannt, dass nicht bereits jede finanzielle Auswirkung eines Gesetzes schon zur Unzulässigkeit der Volksgesetzgebung führt. Nahezu alle staatlichen Entscheidungen wirken sich mehr oder weniger in irgendeiner Weise auf den Haushalt aus 931 , viele an sich rein wertorientierte Fragen haben immer zugleich eine finanzielle Komponente, wie sich etwa bei der Diskussion um die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs zeigte, der sich zum Streit um die „Abtreibung auf Krankenschein" entwickelt hat 9 3 2 . Wäre aber jedes Gesetz auch mit nur geringen finanziellen Folgen vom Finanzvorbehalt erfasst 933, würde 931
Vgl. nur Heun in: Dreier, Grundgesetz, vor Art. 104 a Rdnr. 23; Heußner, Völksgesetzgebung in den USA, S. 186 f.; Rux DVB1. 2001, 549 (551 Fn. 20); Zschoch NVwZ 2003,438 (440). Zur gleichen Situation nach Art. 73 Abs. 4 WRV vgl. bereits Hansen S. 43; Kaisenberg in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207). 932 Vgl. Jung Leviathan 1987, 242 (254 Fn. 17). 933 Nach der Formulierung des ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40) etwa jedes Volksbegehren, dass nicht vom Vermerk „Ausgaben: keine" begleitet ist.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
die Volksgesetzgebung faktisch nur auf wenige unbedeutende Bereiche beschränkt sein 934 , was der grundsätzlichen Gleichberechtigung von parlamentarischer und direktdemokratischer Volksgesetzgebung widerspräche 935. Um also nicht durch das „trojanische Pferd" der Haushaltsverantwortung des Parlaments 936 die grundlegende Entscheidung der Landesverfassungen für eine Volksgesetzgebung zu konterkarieren, sondern dieser einen hinreichend bedeutenden Anwendungsbereich zu erhalten 937 , müssen einer allzu weiten Auslegung Grenzen gesetzt werden 938 . Bevor auf die einzelnen Abgrenzungsversuche zu den landesverfassungsrechtlichen Finanzausschlussklauseln eingegangen wird, soll der Blick zunächst wiederum auf die insoweit bereits nach Art. 73 Abs. 4 WRV gleich gelagerte Situation gerichtet werden.
1. Abgrenzungen bzgl. Art. 73 Abs. 4 WRV Schon in der Weimarer Republik wurde in Bezug auf Art. 73 Abs. 4 WRV die Notwendigkeit erkannt, einer allzu weiten, ins „Uferlose" führenden Auslegung Grenzen zu setzen, um die direktdemokratischen Elemente nicht zu sehr zu verdrängen 939. Es war jedoch strittig, wie die vom Finanzvorbehalt erfassten Gesetze von den übrigen, die der Volksgesetzgebung zugänglich sein sollten, abzugrenzen seien, wenn nicht sogar eine solche Abgrenzung überhaupt für unmöglich gehalten wurde 940 . Insgesamt lassen sich drei verschiedene Differenzierungsansätze unterscheiden:
934 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). Noch entschiedener BayVerfGHE 29, 244 (269); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390) und ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40), wonach die Volksgesetzgebung bei einer zu weiten Auslegung des Finanzvorbehalts zur „Bedeutungslosigkeit absinken" bzw. „leerlaufen" würde, so auch Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (672); Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 186 f. 935 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). Vgl. auch BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), nach dem die parlamentarische Gesetzgebung durch eine Volksgesetzgebung ergänzt, „unter Umständen sogar verdrängt werden" solle. 936 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 1063, der mit diesem Bild allerdings nicht den Einfluss des Haushalts auf die Volksgesetzgebung, sondern auf den Rechts- und Sozialstaat beschreibt. 937 Vgl. BVerfGE 102, 176 (189), das als ausreichenden Anwendungsbereich etwa Fragen der Reichweite staatlicher Eingriffsbefugnisse im Polizeirecht, der Ausgestaltung der Kommunalverfassung und auch des Schulwesens nennt, soweit damit keine wesentliche haushaltswirksamen Ausgaben verbunden sind. Ähnlich auch BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). 938 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390). Nachdrücklicher das Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300). 939 Hansen S. 43; Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (169); Kaisenberg in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207). 940 Glum JW 1929, 1099 (1101), der eine weite Auslegung ohnehin ablehnte; vgl. auch Hansen S. 43: „Die Grenzziehung ist im Einzelfall schwer, und ganz allgemein Grenzen abzustecken, unmöglich."
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Die Reichsregierung knüpfte hierbei an das Gleichgewicht des Gesamtetats an und erachtete Gesetze über den Haushaltsplan i.S.v. Art. 73 Abs. 4 WRV dann als gegeben, wenn sie „einen unmittelbaren Einfluss auf den Gesamtbestand des Haushalts ausüben, und zwar wegen der Höhe der in Betracht kommenden Beträge in einer Weise, die den Haushaltsplan tatsächlich umstoßen würde" 941 . In der Literatur wurde dieser Gesichtspunkt aufgegriffen und eine Betroffenheit des Haushaltsplans im Ganzen bzw. in seiner „Totalität" 942 auch dann angenommen, wenn das Gesetz den Gesamtbestand des Haushaltsplans materiell aufhebe 943 oder vernichte 9 4 4 , wenn der von den angeordneten Einnahmen oder Ausgaben ausgehende Einfluss auf den Staatshaushalt wesentlich sei 9 4 5 oder - anknüpfend an die Möglichkeit, den Haushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen - wenn ein balancierter Etat überhaupt nicht mehr aufgestellt werden könne 946 . Einem anderen Ansatz zufolge sollte es dagegen unerheblich sein, ob das Gesamtgleichgewicht des Plans betroffen sei oder nur einzelne Posten des Plans geändert würden, als entscheidend wurde vielmehr das tatsächliche „Wesen" des Gesetzes angesehen: Erfasst seien alle Gesetze, die einen „wesentlich geldlichen Charakter", bzw. eine „wesentlich budgetrechtliche Bedeutung" 947 oder einen „wesentlich finanziellen Inhalt" 9 4 8 aufwiesen. Diese „Geldgesetze" bewegten sich ihrer Materie nach in der Sphäre der Finanzhoheit des Staates und hätten damit einen unmittelbaren Einfluss auf den Haushaltsplan949. Ein solches finanzielles Wesen der Gesetze sei dabei insbesondere dann anzunehmen, wenn dem Staatshaushalt nach der Regelungsabsicht des Gesetzgebers als Hauptwirkung neue Einnahmen verschafft oder neue Ausgaben auferlegt würden, nicht dagegen, wenn die Einsetzung oder Streichung von Mitteln im Etat nur finanzielle Nebenwirkung und bloße mittelbare Folge eines sich eigentlich auf andere Gebiete erstreckenden Inhalts sei 9 5 0 . Nach einer weiteren Ansicht schließlich sollte danach abzugrenzen sein, ob der Gesetzentwurf zum Geschäftsbereich des Reichsfinanzministers gehöre oder nicht 9 5 1 . Hiergegen wurde allerdings von anderer Seite eingewandt, dieser Stand941 Beschluss der Reichsregierung vom 18. 08. 1926, abgedruckt bei Poetzsch-Heffter JöR 1929, 1 (135); ebenso: Kaisenberg in: Anschütz / Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207); Poetzsch-Heffter, Handkommentar, Art. 73 Anm. 21. 942 Hansen S. 42. 943 Kaisenberg ZöR 1927, 169 (191). 944
Hansen S. 42 im Anschluss an eine Erklärung des Reichsinnenministers Külz, zitiert in: Poetzsch-Heffter, JöR 1929, 1 (135) und in: Hansen S. 42. 945 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 10 Fn. 1. 946 Heckel in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 392 (410), der die Entscheidung hierüber der Regierung und dem Parlament zusammen als staatsrechtlichen Gesamtakt zuweist. 94
7 Hatschek S. 343 f.; C. Schmitt S. 22.
948
Hansen S. 43 f. Hatschek S. 343; C. Schmitt S. 22. 9 50 Giese Art. 73 Anm. 4; Hatschek S. 344; C. Schmitt S. 22; Hansen S. 43. 949
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51 Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (169).
12 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
punkt sei zu formalistisch und praktisch unbefriedigend, da die Federführung der Ressorts lediglich aus der internen Geschäftsverteilung der Reichsregierung resultiere und daher für die Frage der Zulassungsfähigkeit eines Volksbegehrens allenfalls ein Auslegungsbehelf sein könne 952 . Die Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Ressorts ließen sich zudem nicht scharf abgrenzen; falle ein Gesetzentwurf in die Zuständigkeit mehrerer Ministerien, so sei die Federführung erst noch zu vereinbaren 953.
2. Abgrenzungen bzgl. der aktuellen Finanzausschlussklauseln Die von der Reichsregierung verwendete Abgrenzungsformel ist prägend für die überwiegende Rechtsprechung zu den gegenwärtigen landesverfassungsrechtlichen Haushaltsvorbehaltsklauseln geworden. Nach einer von den Verfassungsgerichten der Länder weitgehend übereinstimmend angewandten Formulierung sei ein Völksbegehren dann unzulässig, wenn es gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslöse954, wenn es Einfluss auf den Gesamtbestand des Haushalts nehme, das Gleichgewicht des gesamten Haushalts störe und zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges zwinge 955 und wenn es zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments führe 956 , was dann gegeben sei, wenn das Gesetz den Haushaltsgesetzgeber zu einer „Revision der Gesamtbeurteilung, der Prioritätensetzung sowie zu einer Überprüfung der einzelnen Haushaltsansätze untereinander" 9 5 7 und in „wichtigen Regelungsfeldern" zu einer nachhaltigen Anpassung des geltenden Rechts zwinge 958 . Auch in der Literatur wird - soweit nicht von vornherein eine Beschränkung allein auf das formelle Haushaltsgesetz befürwortet wird - die Anknüpfung an die allgemeinen Abgrenzungsformeln dieser Rechtsprechung als „mittlere Li952 Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, Art. 73 Anm. 10 Fußn. 1; Kaisenberg in: Anschütz /Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207 f. Fn. 8). 9 53 Kaisenberg in: Anschütz / Thoma, HBdDStR II, S. 204 (208 Fn. 8). 954
BVerfGE 102, 176 (185), das damit zugleich eine wesentliche Beeinflussung des Landeshaushalts gegeben sieht, vgl. auch BVerfGE a. a. O. S. 188; BrandVerfG LKV 2002, 77 (81), das statt Einnahmen die Auslösung von Minderausgaben einbezieht. 9 55 BVerfGE 102, 176 (188); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), NordÖR 1998, 296 (299). Lediglich auf eine Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Gesamtgefüge des Haushalts abstellend BrandVerfG LKV 2002, 77 (79, 81), ohne Bezugnahme auf die Neuordnung des Gesamtgefüges dagegen: BayVerfGHE 29, 244 (269), BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425), ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40). 9 56 BVerfGE 102, 176 (185, 188); BayVerfGHE 29, 244 (269), BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425); BrandVerfG LKV 2002, 77 (79, 81); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), NordÖR 1998, 296 (299); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40), der statt einer „wesentlichen" eine „bedeutsame" Beeinträchtigung fordert. 9 57 BayVerfGHE 29, 244 (269); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390). 9 58 ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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nie" 9 5 9 weitgehend geteilt, wobei allerdings graduelle Unterschiede deutlich werden. So müssten die finanziellen Auswirkungen eine bestimmte Wesentlichkeitsschwelle überschreiten 960, die im Einzelnen unterschiedlich gefasst wird: Während zum Teil nur Gesetze mit „geringfügigen" finanziellen Auswirkungen der Volksgesetzgebung offen stehen sollen 961 , also Entwürfe mit „nicht nur völlig unerheblichen" Haushaltsfolgen bereits unzulässig sein sollen 962 , seien nach anderen Stimmen im Schrifttum selbst Gesetze „mit stärkeren finanziellen Auswirkungen" 9 6 3 zulässig, da nur „gravierende" Auswirkungen vom Finanztabu erfasst seien 9 6 4 . Dabei wird auch der Aspekt der Gesamtbetroffenheit bzw. des Gesamtbestands aufgegriffen 965 und durch weitere allgemeine Umschreibungen die Grenze zur unzulässigen Finanzwirksamkeit markiert, die in der Tendenz eher ein engeres Verständnis des Finanzvorbehalts zum Ausdruck bringen. So sei eine Initiative unzulässig, wenn sie den Haushaltsplan „umstoßen" 966 , „gänzlich umwerfen" bzw. „nachhaltig stören" 967 oder das Finanzgefüge des Staates „aus den Angeln heben" würde 968 , oder wenn sie den Haushaltsplan „insgesamt gegenstandslos" werden lässt 969 . Ein Gesetz sei dann zulässig, wenn eine Ausbalancierung des Haushalts noch relativ problemlos ohne grundsätzliche Umstrukturierungen möglich wäre, nicht dagegen, wenn der Haushalt nicht wieder ins Gleichgewicht gebracht werden könne 970 . 959 Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. V 3. Vgl. auch BayVerfGHE 29, 244 (269): „differenzierende Lösung". 960 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (672); Fessmann BayVBl. 1967, 389 (392); v. Danwitz DÖV 1992, 601 (603); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1967, 486 (489); Isensee DVB1. 2001, 1161 (1162); Janz LKV 2002, 67 (68); Rux DVB1. 2001, 549 (553); Schonebohm in: Zinn / Stein Art. 124 Anm. III 3. 961 K. Braun Art. 59 Rdnr. 40, Hopfe in: Linck/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9; Meder Art. 73 Rdnr. 1. 962 Engels BayVBl. 1976, 201 (203) zu Art. 73 BayVerf. Ähnlich Jürgens S. 135 zu Art. 99 Abs. 1 S. 3 SaarlVerf: „nicht nur unwesentliche Erhöhungen der Staatsausgaben". 963 Jach DVP 1999, 179 (184). Weniger eindeutig dagegen Rux LKV 2002, 252 (254), der kritisiert, dass die Rechtsprechung schon eine „sehr geringe Mehrbelastung" für die Unzulässigkeit der Volksgesetzgebung ausreichen lasse. 964 Janz LKV 2002, 67 (68); Jach DVP 1999, 179 (182): „in gravierender Weise" in den Haushaltsplan eingreifende Gesetze. 965 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (672); Isensee DVB1. 2001, 1161 (1162); Jach DVP 1999, 179 (182); Jürgens S. 135; Meder Art. 73 Rdnr. 1; Rux DVB1. 2001, 549 (552 f.). Ähnlich Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392): Gesetze, die „den Staatshaushalt als Ganzes" gefährden, und Feneberg/Simader Art. 68 LWG Rdnr. 2: wenn die Gesetze „das Gesamtgleichgewicht des Haushalts berühren". Unverständlich Jach DVP 1999, 179 (182): „bei einer eklatanten Gefährdung des Gesamtgewichts des Haushalts". 966 Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392) und ähnlich Schweiger in: Nawiasky /Schweiger/ Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8, nach dem die Umstoßung des Haushalts allerdings das Ziel des Gesetzentwurfs „als Werkzeug zur Destabilisierung der staatlichen Ordnung" sein müsse. 967 j ach DVP 1999,179 (182). 968 Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392); Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Anm. III 3. 969 Jach DVP 1999,179 (182). 12*
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
Diese in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Formeln legen mit den wertungsbedürftigen Begriffen der Gewichtigkeit, Gesamtbezogenheit und Wesentlichkeit zunächst nur eine allgemeine und weitgehend unbestimmte Schwelle zur unzulässigen Finanzwirksamkeit fest. Auch wenn sich aus diesen Umschreibungen im Ansatz gewisse Anhaltspunkte für ein engeres oder weiteres Verständnis des Finanzvorbehalts entnehmen lassen, so eröffnen alle dargestellten Formulierungen einen weitgehenden Interpretationsspielraum; mehr als eine Anknüpfung für den Einstieg in eine konkrete Abgrenzung können diese Formeln daher nicht leisten. Die Rechtsprechung betont insoweit auch stets das Erfordernis einer Einzelfallentscheidung: Wann die Grenze zwischen der zulässigen von der unzulässigen Finanzmaterie überschritten sei, lasse sich nur unter Zugrundelegung der jeweiligen Verhältnisse bestimmen, wobei eine wertende Gesamtbetrachtung erfolgen müsse, in deren Rahmen die finanzielle Belastung nach einzelnen quantitativen und qualitativen Aspekten zu gewichten sei 971 . Es kommt daher weniger auf die genaue Formulierung der allgemeinen Abgrenzungsformel, als vielmehr auf die konkrete Wahl der Abgrenzungskriterien an. Diese werden in Rechtsprechung und Literatur in großer Anzahl diskutiert und sollen im Folgenden nach der von der Rechtsprechung vorgenommenen Einteilung in quantitative und qualitative Kriterien näher untersucht werden.
a) Abgrenzung nach quantitativen Aspekten Beurteilt man die Auswirkungen auf den Haushalt bzw. auf das Budgetrecht des Parlaments nach dem quantitativen Umfang der finanziellen Folgen des volksbegehrten Gesetzes, so kann prinzipiell danach unterschieden werden, ob das Gesetz eine Erhöhung oder eine Senkung der Einnahmen bzw. Ausgaben zur Folge hat. Daneben lassen sich die finanziellen Gesetzesauswirkungen auch in gradueller Hinsicht nach ihrer Höhe beurteilen, und zwar als absolute Zahl oder als relativer Anteil an einer bestimmten Bezugsgröße.
aa) Positive oder negative Einnahmen- oder Ausgabenwirkung Ein Gesetz kann zunächst grundlegend danach beurteilt werden, ob es eine Erweiterung oder eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums des Parlaments zur Folge hat 9 7 2 . Entscheidender Maßstab wäre dabei, ob die Folgen des Gesetzes 970 Hopfe in: Linck/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9; Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Anm. III 3; Spannhake S. 33. 971 BVerfGE 102, 176 (188); BayVerfGHE 29, 244 (269), BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425); BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), NordÖR 1998, 296 (299); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40 f.). 972 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Jung NVwZ 2002, 41 (43); Meder Art. 73 Rdnr. 1; Waldhoff S. 161.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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ausgleichsbedürftig sind, was bei einer Erhöhung der Ausgaben oder einer Senkung der Einnahmen der Fall wäre, nicht dagegen bei solchen Initiativen, die eine Senkung der Ausgaben bzw. eine Erhöhung der Einnahmen zur Folge haben. Hier wird der finanzielle Gestaltungsspielraum des Parlaments nicht eingeengt, sondern vielmehr erweitert 973 , und mangels einer Pflicht zum finanziellen Ausgleich besteht auch kein weiterer Regelungsbedarf, der zu Ungewissheiten bei der Abstimmung über das Gesetz führen würde. Daraus ergibt sich, dass ein solches haushaltsrelevantes Volksgesetzgebungsverfahren, das lediglich eine Ausgabensenkung oder eine Einnahmensteigerung zur Folge hat, entsprechend dem Schutzzweck des Finanzvorbehalts nicht von der allgemeinen Finanzvorbehaltsklausel erfasst wird 9 7 4 . In der Rechtsprechung, die diese Unterscheidung zwar bisher nicht getroffen hat, ist insoweit noch kein Gesetz aufgrund seiner haushaltsentlastenden Wirkungen für unzulässig erklärt worden. So spielte etwa für die im Wege der Volksgesetzgebung unter dem Schlagwort „Schlanker Staat ohne Senat" erfolgte Abschaffung des Senats in Bayern 975 , die von den Initiatoren gerade auch mit den damit verbundenen kostensenkenden Folgen für den Staatshaushalt begründet wurde 976 , die Haushaltswirksamkeit der Abschaffung bei der Beurteilung der Zulässigkeit keine Rolle 9 7 7 . Neben der Ausgabensenkung wird allerdings eine Erhöhung der Einnahmen schon deshalb nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, weil der gesamte Bereich der Abgaben, der den Großteil der staatlichen Einnahmen ausmacht, regelmäßig bereits durch den entsprechenden speziellen Ausschlusstatbestand von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen ist 9 7 8 , und auch darüber hinaus der Bereich der Steuergesetzgebung ohnehin weitgehend dem Landesgesetzgeber entzogen ist 9 7 9 . Fraglich ist aber, inwieweit die gleichen Erwägungen auch für solche Gesetze gelten, die sich haushaltsneutral, also ohne zusätzliche Einnahmen oder Ausgaben umsetzen lassen. So hat der NdsStGH ein Völksbegehren, das die Regelung der Zuschüsse für Kindertagesstätten zum Gegenstand hatte, mit der Begründung für 973 Jung NVwZ 2002, 41 (43). Vgl. auch Waldhoff S. 161 bzgl. einnahmenerhöhender Gesetze. 974 Birk/Wernsmann DVB1. 2000, 669 (671); Meder Art. 73 Rdnr. 1. 975 „Gesetz zur Abschaffung des Bayerischen Senats" vom 20. 02. 1998, BayGVBl. S. 42. Der Volksentscheid fand am 08. 02. 1998 statt. 976 Vgl. die Bekanntmachung im BayGVBl. 1998, S. 42 ff.: „Die Antragsteller sind desweiteren der Auffassung, daß angesichts der unvermeidbaren und in den nächsten Jahren wohl noch andauernden Sparbemühungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte jetzt der richtige Zeitpunkt zur längst überfälligen Abschaffung des Bayerischen Senats ist." Vgl. hierzu die Darstellung bei Isensee, Verfassungsreferendum, S. 19. 977 Vgl. BayVerfGH BayVBl. 1999, 719 ff. 978 Siehe oben unter B I. Nur für Art. 73 BayVerf, der einen solchen speziellen Ausschluss nicht enthält, befürwortet die Literatur insoweit - insbesondere im Hinblick auf die Äußerungen in den Verfassungsberatungen - eine entsprechende Möglichkeit der direktdemokratischen Steuergesetzgebung, vgl. etwa Waldhoff S. 161 m. w. N. 979 Siehe oben unter B 11.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
zulässig erklärt, dass es zwar zu umfangreichen finanziellen Umstrukturierungen im Haushalt führe, dies aber nur die Art der Mittelzuwendung betreffe; dagegen beinhalte es nicht die Forderung nach zusätzlichen Mitteln und habe daher im Ergebnis keine Auswirkungen auf das Finanzvolumen des Haushalts980. Nach anderer Ansicht müsse dagegen auch ein Gesetz, das zwar keine Positionserhöhungen oder -Senkungen im Haushaltsplan vorsehe, aber eine Positionsverschiebung bewirke, dem Finanzvorbehalt unterstellt werden. Zwar sei hier keine Störung des Budgetgleichgewichts zu befürchten, doch spreche gegen die Zulassung eines solchen Volksbegehrens, dass „die große Masse nicht politische Ziele hinter finanzielle Eigeninteressen zurückstellen" solle 981 . Weil die Verhinderung des Einflusses von finanziellen Eigeninteressen auf die Volksgesetzgebung jedoch, wie bereits ausgeführt, kein anzuerkennender Regelungszweck des Finanzvorbehalts ist 9 8 2 , kann damit der Ausschluss eines „haushaltsneutralen" Plebiszits nicht begründet werden. Da bei derartigen Volksentscheiden eine Ausgleichsentscheidung nicht erforderlich ist und daher keine Ungewissheit über die Finanzierung besteht, ist weder die Abstimmungsrationalität zweifelhaft noch die Gefahr der Manipulation gegeben. Ebenso ist die Ausgeglichenheit des Haushalts nicht gefährdet, so dass der Entscheidung des NdsStGH insoweit grundsätzlich zuzustimmen ist. Gleichwohl ist es aber denkbar, dass sich ein Gesetz, dass sich haushaltsneutral, also ohne eine Ausgleichsmaßnahme umsetzen lässt, insofern auf das parlamentarische Budgetrecht auswirkt, als es den - künftigen - budgetrechtlichen Gestaltungsspielraum des Parlaments erheblich einschränken kann. Dies wäre etwa der Fall, wenn eine bisher ohne rechtliche Verpflichtung erfolgte Disposition über Haushaltsmittel im Wege der Völksgesetzgebung einer gesetzlichen Grundlage unterstellt wird, denn damit würde ein Teil der disponiblen Finanzmasse der freien Verfügung des Parlaments insoweit entzogen, als es nunmehr für eine Änderung der Zuweisungen einer Gesetzesänderung bedarf. So lag der Fall in dem Verfahren vor dem BremStGH, der über die Zulässigkeit eines Volksbegehrens zu entscheiden hatte, das ein Veräußerungsverbot des öffentlichen Wohnungseigentums gesetzlich festlegen wollte 9 8 3 . Da ein Verkauf der Wohnungen bisher nicht geplant war, wäre mit der gesetzlichen Fixierung der bestehenden Vermögenslage zwar keine haushaltsmäßige Reaktion des Parlaments erforderlich gewesen, der BremStGH erblickte hierin aber dennoch eine erhebliche Einschränkung des Budgetrechts des Parlaments in einem nicht hinzunehmenden Maße: Da die Frage der Vermögensveräußerung aufgrund anstehender Verhandlungen mit dem Bund über die Haushaltssanierung jederzeit aktuell werden könne, wäre der Haushaltsgesetzgeber dann durch die Verfügungsbeschränkung in seiner finanzwirtschaftlichen Handlungsfähigkeit in einem Umfang von mehreren hundert Millionen DM beein-
980 NdsStGH NdsVBl. 2002, 11 (14). 981 Hansen S. 44. 982 Siehe oben unter C I I I b aa. 983 BremStGH NordÖR 1998, 297 ff.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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trächtigt 984 . Nach anderer Ansicht führe es dagegen zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts, wenn das Volksbegehren eine Frage betreffe, die keine konkrete haushaltspolitische Reaktion im derzeitigen Haushaltsplan, dem Haushaltsplanentwurf oder der Haushalts- bzw. Finanzplanung erfordere, sondern nur die künftige Gestaltungsmöglichkeit des Haushaltsgesetzgebers betreffe 985 . In diesem Fall müsse die außerbudgetäre materielle Gesetzgebung dem Volk offen stehen, da sie keine Umschichtung innerhalb der laufenden oder künftigen Haushalte erfordere, keine Station im Haushaltskreislauf sei und daher das Budget nur als mittelbare Folge beeinflusse 986. Gegen letztere Ansicht ist zunächst einzuwenden, dass eine Einschränkung des Budgetrechts des Haushaltsgesetzgebers nicht allein dadurch entfallt, dass die finanziellen Auswirkungen erst zu einem Zeitpunkt eintreten, der noch nicht von der aktuellen Haushalts- oder Finanzplanung erfasst ist. Auch Gesetze, die zwar nicht den laufenden Haushalt und die Planung der unmittelbar anschließenden Haushalte, sondern erst spätere Haushalte mit hohen Ausgaben belasten, wie etwa künftige Besoldungs- und Versorgungslasten für Beamte oder Zins- und Tilgungspflichten infolge von Kreditaufnahmen, können die disponible Finanzmasse für langfristige bzw. künftige Maßnahmen des Gesetzgebers erheblich einengen und damit dessen Gestaltungsspielraum beschneiden987, so dass der Schutzzweck des Finanzvorbehalts auch in diesem Fall betroffen ist. Auf der anderen Seite aber führen solche Gesetze, die nicht eine tatsächliche dynamische Veränderung, sondern nur eine statische Fixierung bestehender Einnahme- oder Ausgabepositionen im Haushalt zur Folge haben und damit zu keiner konkreten Reaktion des Haushaltsgesetzgebers zwingen, nicht zu einer Revision bisheriger Gestaltungsentscheidungen, sondern allein zu einer möglichen Beschränkung der künftigen Handlungsmöglichkeiten. Jedenfalls dann, wenn das Parlament noch nicht konkret geplant hat, gerade die im Volksbegehren fixierte Position in den folgenden Haushaltsplänen zu dynamisieren und daher noch keine Planung revidiert und kein Ausgleich gefunden werden muss, ist die Einschränkung des Budgetrechts weniger stark als im Falle der tatsächlichen Erhöhung einer Ausgabeposition. Daher ist es angemessen, eine unzulässige Marginalisierung des künftigen Gestaltungsspielraums des Parlaments bei einer derartigen, lediglich potentiellen Beeinträchtigung nur dann anzunehmen, wenn - im Vergleich zu einer aktuellen Haushaltsbelastung - der insoweit geringere Intensitätsgrad durch eine entsprechende Zunahme der Intensität in anderer Hinsicht, etwa bezüglich der betragsmäßigen Höhe der Auswirkungen, in ausreichendem Maße aufgewogen wird. Dieser Realisierungsgrad der Belastung des par984 BremStGH NordÖR 1998, 297 (299). 985 Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300 f.). 986 Sondervotum Preuß/Rinken a. a. O. S. 301. Zu den hier angeführten Kriterien der Unmittelbarkeit und der Abgrenzung zwischen Gegenstand und bloßer Folge des Gesetzes siehe unten unter C IV 2 b dd. 987 BayVerfGHE 47, 276 (308). Vgl. auch Engels BayVBl. 1976, 201 (203).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
lamentarischen Budgetrechts muss daher im Rahmen einer näheren Abgrenzung berücksichtigt werden 988 . Nicht weiterführend ist dagegen die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Ansicht, dass eine unzulässige Haushaltswirkung in diesen Fällen erst dann anzunehmen sei, wenn „ein balanzierter Etat überhaupt nicht mehr aufgestellt werden" könne 989 . Denn die bloße Fixierung bestimmter Haushaltsposten, die lediglich den Spielraum für künftige, aber bisher noch nicht näher konkretisierte Gestaltungen einschränkt, berührt die Möglichkeit der Herstellung des Haushaltsausgleichs gar nicht, wenn diese Positionen selbst nach den bisherigen Haushaltsplanungen noch unangetastet geblieben sind. bb) Absolute Höhe der finanziellen Folgen Für eine Abgrenzung nach dem Umfang der haushaltsbelastenden Auswirkungen eines volksinitiierten Gesetzes wird in der Rechtsprechung zunächst die absolute Höhe der von dem Gesetz ausgehenden Ausgaben herangezogen 990. So sieht der BayVerfGH schon allein aufgrund der Höhe des über eine lange Zeit jährlich zu zahlenden Betrags von 387,2 Mio. DM infolge einer nach dem Volksbegehren erforderlichen Neueinstellung von Lehrern das Budgetrecht als verletzt an 9 9 1 . Ähnlich stellt auch der BremStGH im Verfahren zum Verbot des Verkaufs von Wohnungseigentum ohne jede Vergleichsgröße allein auf die absolute Zahl ab und hält das Volksbegehren für unzulässig, das die Veräußerung öffentlichen Wirtschaftsvermögens in einem Finanzvolumen von „mehreren 100 Mio. DM" einschränkt 992, in einer anderen Entscheidung begründet der BremStGH die Unzulässigkeit eines die Einstellung von Lehrpersonals erfordernden Volksbegehrens u. a. mit einem zu erwartenden Mehrbedarf in „mehrstelliger Millionenhöhe" 993 . Noch vager bleibt der NRW-VerfGH, der ein Volksbegehren für unzulässig erklärt hat, das nicht nur „geringfügige Ausgaben" hervorrufe, sondern für das „erhebliche Summen" aufgebracht werden müssten994. 988
Siehe hierzu im Einzelnen den Vorschlag unter C IV 3 b. So aber Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302) unter Verweis auf Heckel in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 392 (410). " o BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426), der sich unter Gleichsetzung der Begriffe Kosten und Ausgaben auf die abstrakte Höhe der „Kosten des Volksbegehrens" bezieht. Zur Unterscheidung der Begriffe und zur allein entscheidenden Beurteilungsgrundlage der Vollzugs-, nicht dagegen der Herstellungsausgaben siehe oben unter C 11 b. 989
BayVerfGH DVB1. 1995,419(427). " 2 BremStGH NordÖR 1998, 297 (299). "3 BremStGH NVwZ 1995, 388 (390), unter Mitberücksichtigung der Dauer der Ausgabenbelastung. 994 NRW-VerfGH, Beschluss vom 26. 06. 1981, - VerfGH 19/80 - Umdruck S. 5 (insoweit in NVwZ 1982, 188 [189] nicht abgedruckt).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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Aus der bloßen Nennung derartiger unbestimmter Größenordnungen lassen sich allerdings keine seriösen Schlüsse ziehen. Daher ist auch der Versuch des BayVerfGH, die Erheblichkeit der Summe von 300 bis 450 Mio. DM allein aufgrund des absoluten Betrages „unabhängig von der relativen (prozentualen) Beziehung zum Gesamthaushalt"995 zu begründen, alles andere als überzeugend: Aus einem Pressebericht entnimmt der BayVerfGH, dass im Rahmen einer Klage der Stadt München gegen Bestimmungen des bayerischen Finanzausgleichsgesetzes und des Schulfinanzierungsgesetzes die Stadt eine finanzielle Besserstellung um einen Betrag in dieser Höhe anstrebe, um einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen zu können. Hieraus ergebe sich, dass Beträge in dieser Höhe „im gesamten staatlichen Gefüge eine erhebliche Rolle spielen und demgemäß von entscheidender Bedeutung für die Planung der gesamten Staatsfinanzen und für das Budgetrecht des Parlaments" seien 996 . Aus der Relevanz eines bestimmten Betrages für einen einzelnen kommunalen Haushalt kann allerdings wohl kaum auf die Bedeutung dieser Summe für den staatlichen Gesamthaushalt geschlossen werden, zumal zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht einmal feststand, ob dieser in dem zitierten Verfahren von der Stadt München erstrebte Betrag überhaupt für den Haushaltsausgleich erforderlich war. Dieser Versuch der Begründung einer bestimmten Betragshöhe als Grenzwert für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Völksgesetzgebungsvorhabens zeigt vielmehr deutlich, dass eine absolute Geldsumme auf diese Weise ohne die Berücksichtigung einer Vergleichsgröße nicht bestimmt werden kann.
cc) Höhe der finanziellen Folgen in Relation zu Haushaltsstrukturdaten Zur Bestimmung der Schwelle zur unzulässigen Volksgesetzgebung werden daher die zu erwartenden Ausgaben des Völksbegehrens zumeist ins Verhältnis zu bestimmten Haushaltswerten gesetzt, wobei in Rechtsprechung und Literatur unterschiedliche Anknüpfungspunkte diskutiert werden. Zunächst lässt sich die Höhe der voraussichtlich für ein Haushaltsjahr anfallenden Kosten des Gesetzentwurfs ins Verhältnis zur jeweiligen Gesamthaushaltssumme setzen. In der Literatur werden dabei entsprechende Grenzwerte vorgeschlagen, mit deren Erreichen ein Völksbegehren unzulässig sei: So dürften etwa einer Auffassung zufolge die Mehrausgaben nicht mehr als 0,1 % des Gesamthaushalts997 ausmachen, nach anderer Ansicht sei die Schwelle dagegen bei 0,25 % 9 9 8 oder so-
995 BayVerfGHE 47, 276 (309). 996 BayVerfGH a. a. O. S. 309. 997 Engels BayVBl. 1976, 201 (203), der allerdings zuvor a. a. O. S. 202 auch die Zahl 0,5 % als „alles andere als unerheblich" nennt. 998 Janz LKV 2002, 67 (68). Dezidiert dagegen Rux LKV 2002, 252 (254 Fn. 20).
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
gar erst ab 10 % bzw. zwischen 20 und 25 % 9 9 9 des Gesamtetats erreicht. Auch der BayVerfGH stellte in seiner ersten Entscheidung zum Finanzvorbehalt allein auf das Verhältnis zum Gesamthaushalt ab und sah die mit einem Volksbegehren angestrebten Leistungen in Höhe von 0,06 % des Gesamthaushaltsvolumens nicht als wesentliche Beeinflussung des Haushalts a n 1 0 0 0 ; in späteren Entscheidungen betonen der BayVerfGH und die übrige Rechtsprechung jedoch, dass sich für die Beurteilung der Zulässigkeit der Völksgesetzgebung kein bestimmter Grenzwert festlegen lasse, zumal es sich bei dieser Kennzahl auch nur um eines von mehreren Kriterien handele 1001 . In den Entscheidungen der Verfassungsgerichte, die Volksbegehren aufgrund des Finanzvorbehalts für unzulässig erklärten, wiesen die prozentualen Anteile - soweit sie in den Begründungen überhaupt eine Rolle spielten -jedenfalls durchweg einen höheren Betrag als 0,06 % auf: So wäre die Anstellung von Lehrern in Bremen mit Mehrausgaben i.H.v. jährlich 0,68 % bzw. 1,36 % des Gesamthaushalts verbunden gewesen 1002 , in Bayern dagegen ansteigend von 0,07% im ersten Jahr bis ca. 0,71% des Haushalts ab dem 10. Jahr 1 0 0 3 . Die Gleichstellung der Privatschulen mit öffentlichen Schulen in Schleswig-Holstein hätte zusätzlich jährliche Ausgaben i.H.v. 0,18 % bzw. 0,27 % des Gesamthaushalts erfordert 1004 , und die Mehrausgaben für zusätzliches Personal in Kindertagesstätten in Brandenburg beliefen sich auf 0,18 % bis 0,25 % des jährlichen Haushaltsvolumens 1005 . Statt auf die Gesamtsumme des Etats wird in der Rechtsprechung auch auf einzelne Eckdaten innerhalb des Haushaltsplans abgestellt. So vergleichen das Brand999
Fessmann BayVBl. 1976, 389 (393) mit der Begründung, dass nur ein Umstoßen des Staatshaushalts insgesamt verhindert werden solle. Dabei geht er davon aus, dass im Wirtschaftsbereich bei Erreichen eines solchen Gesellschafts- bzw. Marktanteils von einer beherrschenden Einflussnahme auf das jeweilige Unternehmen bzw. den jeweiligen Marktsektor ausgegangen werde. 1000 BayVerfGHE 29, 244 (269): jährlich 15,8 Mio. DM bei einem Gesamtvolumen des Haushalts i.H.v. 25,7 (1977) bzw. 27,2 (1978) Milliarden DM. 1001 So ausdrücklich BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390). 1002 BremStGH NVwZ. 1995, 388 (390): Je nach Berechnung war mit einer jährlichen Mehrbelastung von mindestens 57, 6 Mio. bis 115,4 Mio. DM bei einem Gesamthaushaltsvolumen von 8,5 Mrd. DM zu rechnen. 1003 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426 f.): Zu erwarten wäre eine Mehrbelastung von 38,72 Mio. im ersten Jahr bis zu 387,2 Mio. im zehnten Jahr und den darauf folgenden Jahren bei einem (gleichbleibend unterstellten) Gesamthaushaltsvolumen von 54,8 Mrd. DM. 1004 BVerfGE 102, 176 (190 f.), das allerdings bei einer Mehrbelastung im Jahre 1998 von 32,82 Mio. - bzw. nach anderer Berechnung 50 Mio. DM - bei einem Gesamtetat von 18 Mrd. DM fälschlicherweise einen prozentualen Anteil von 0,5 % bis 0,7 % errechnet hat. Auf diesen Fehler, den auch Janz LKV 2002, 67 übernimmt, weist das BrandVerfG LKV 2002, 77 (82) zu Recht hin. 1005 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.): 34 Mio. DM im Jahr 2001 und 48 Mio. DM für die folgenden Jahre bei einem Haushaltsvolumen von 19 Mrd. DM, vgl. auch Janz LKV 2002, 67 (68).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
VerfG und das B VerfG die Mehrausgaben der Volksinitiative etwa mit der Gesamtsumme des betroffenen Einzelplans: In Schleswig-Holstein wäre der Einzelplan für Bildung und Wissenschaft durch Mehrausgaben für die beabsichtigte Gleichstellung der Schulen mit einem Anteil von 1,0% bzw. 1,52% betroffen gewesen 1 0 0 6 , in Brandenburg hätten die infolge des begehrten Gesetzes entstandenen Mehrausgaben für zusätzliches Personal für Kindertagesstätten einen Anteil von 1,4% bis 1,9% am entsprechenden Einzelplan gehabt 1007 . Neben der Summe des betreffenden Einzelplans lassen sich schließlich auch lediglich die durch das Volksbegehren betroffenen Ausgabetitel heranziehen. So folgert der BremStGH einen Eingriff in die Budgethoheit des Parlaments aus einer durch das Volksbegehren ausgelösten Steigerung der im Haushaltsplan vorgesehenen Ausgaben für Lehrer l. H.v. 20,3% bzw. 10,1 % 1 0 0 8 , ebenso führe auch eine Steigerung von Unterhalts- und Investitionskosten für Schulbauten i.H.v. 51,2% bzw. 3,0 % 1 0 0 9 zur Unzulässigkeit des entsprechenden Völksbegehrens. Das BrandVerfG verweist auf eine vom Volksbegehren ausgelöste Steigerungsrate für Zuweisungen an Gemeinden und Gemeindeverbände von 13,49 % 1 0 1 0 . Schließlich können die Mehrausgaben auch mit der Summe der dem Haushaltsgeber als „Manövriermasse" zur Verfügung stehenden disponiblen Haushaltsmitteln verglichen werden 1011 . Da der weit überwiegende Teil der Ausgaben bereits festgelegt ist, steht nur ein geringer Anteil des Haushalts zur Disposition des Parlaments, um die staatsleitenden politischen Ziele zu erreichen und dabei den Haushalt insgesamt auszugleichen. Hierauf stellen in der Rechtsprechung bisher allein das BrandVerfG und das BVerfG ab. Das BrandVerfG setzt die Mehrausgaben dabei ins Verhältnis zu den insgesamt im Haushalt verfügbaren disponiblen Mitteln: 1006 BVerfGE 102, 176 (190): eine Mehrbelastung im Jahre 1998 von 32,82 Mio. - bzw. nach anderer Berechnung 50 Mio. DM - bei einer Einzelplansumme von 3,28 Mrd. DM. 1007 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.): 34 Mio. DM im Jahr 2001 und 48 Mio. DM für die folgenden Jahre bei einer Einzelplansumme im Jahre 2001 von 2,478 Mrd. DM. 1008 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390): jährliche Mehrkosten i.H.v. 115.427.000 DM bzw. nach anderer Berechnung mindestens 57.608.000 DM - gegenüber den im Haushaltsplan vorgesehenen 569.655.000 DM. Dabei sei bei der Steigerung von 20,3 % „offenkundig" ein Eingriff in das Budgetrecht der Bürgerschaft gegeben, und selbst der nach der anderen Berechnung zugrunde zu legenden Steigerung von 10,1 % sei die Grenze „eindeutig überschritten". 1009 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390): um 11.000.000 DM auf 32.500.000. DM bzw. um 4.500.000 DM auf 152.7000.000 Mio. DM. 1010 BrandVerfG LKV 2002, 77 (82). ion Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (488); Jach DVP 1999, 179 (182, 184); H. Neumann, NdsVerf, Art. 48 Rdnr. 9; Ritgen NVwZ 2000, 129 (136); Rux LKV 2002, 252 (255) und ähnlich ders. DVB1. 2001, 549 (553); Zschoch NVwZ 2003, 438 (441). Nicht nachvollziehbar ist allerdings, wie Rux DVB1. 2001, 549 (553) im Anschluss ohne jede Bezugnahme auf diese Kenngröße zu der Einschätzung gelangt, das angesichts der angespannten Haushaltslage des Landes Schleswig-Holstein die Annahme eine Gefährdung des Gesamtbestands des Haushalts bei Mehrausgaben i.H.v. 35 bis 50 Mio. DM „vertretbar erscheint". Ablehnend gegenüber der Anknüpfung an die Manövriermasse dagegen Janz LKV 2002, 67 (69).
1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
So seien in Brandenburg durch das begehrte Gesetz 12,8 % bzw. 18,1 % der nicht durch feststehende Ausgabeverpflichtungen gebundenen Haushaltsmittel des gesamten Haushalts betroffen 1012 . Das BVerfG zieht dagegen die frei verfügbaren Mittel des entsprechenden Einzelplans mit der Begründung heran, dass der Gesamtetat aus dem Gleichgewicht geraten würde, wenn die veranlassten Ausgaben auch außerhalb des betroffenen Etats ausgeglichen werden müssten 1013 . Dies sah das BVerfG bei dem Volksbegehren in Schleswig-Holstein als gegeben an, bei dem die ausgelösten Mehrausgaben 4,6 % bis 6,9 % der disponiblen Finanzmasse im betroffenen Bildungsetat betragen würden 1014 . Der Vergleich der durch das Gesetz hervorgerufenen Mehrausgaben mit dem Gesamtvolumen des Haushalts oder einzelnen Teilsummen - etwa der Einzelpläne oder bestimmter Titel - ist zwar grundsätzlich geeignet, relativ exakte Kennzahlen zur Beurteilung der finanziellen Auswirkungen des begehrten Gesetzes zu liefern, doch lassen diese Vergleichsdaten weder eine Aussage darüber zu, ob und wie der Haushaltsausgleich durch das Parlament hergestellt werden kann, noch inwieweit dessen Gestaltungsspielraum eingeschränkt ist. Ein Vergleich mit den disponiblen Mitteln erscheint daher eher geeignet, den Umfang der zulässigen Volksgesetzgebung zu bestimmen, da die Höhe der dem Parlament zur Disposition stehenden Mittel den Rahmen für die Möglichkeiten zur Bestimmung einer Ausgleichsmaßnahme und den Umfang des bestehenden Gestaltungsspielraums festlegen. Dem widerspricht jedoch eine Ansicht, nach der die jeweils bestehende und ggf. prekäre Haushaltslage von vornherein nichts mit der Zulässigkeit plebiszitärer Vorhaben zu tun habe und sich auch nicht in den Begriff des „Landeshaushalt" hineinlesen lasse; zudem könnten die Initianten eines Volksbegehrens nicht für die finanzielle Schieflage des Landes, die von der Misswirtschaft der Repräsentanten verursacht worden sei, verantwortlich gemacht werden 1015 . Es habe sonst der Haushaltsgesetzgeber in der Hand, den Umfang der freien Spitze nach Maßgabe der Opportunität zu gestalten 1016 . Diese Einwände können jedoch nicht überzeugen, denn der Volksgesetzgeber kann den finanziellen Gestaltungsspielraum des Haushalts genauso wenig ignorieren wie das Parlament. Die Folgen einer angespannten
1012 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.): 34 Mio. DM im Jahr 2001 und 48 Mio. DM für die folgenden Jahre bei einer Gesamthaushaltssumme im Jahre 2001 von 19 Mrd. DM, die zu 98, 6 %, also i.H.v. 18.734 Mrd. DM finanziell gebunden seien; frei sind danach Mittel i.H.v. 266 Mio. DM. 1013 BVerfGE 102, 176 (190) mit dem Hinweis, dass auch in anderen Bereichen jeweils ein erheblicher Anteil der Ausgaben langfristig festgelegt und damit der kurzfristigen Disposition des Gesetzgebers entzogen sei. Allerdings lässt das BVerfG im zu beurteilenden Fall offen, ob die Ausgaben auch tatsächlich außerhalb des betreffenden Einzelplans ausgeglichen werden müssen oder nicht. 1014 BVerfGE 102, 176 (190): Mehrausgaben i.H.v. 32,8 bis 50 Mio. DM gegenüber einem im Einzelplan für Bildung und Schule bestehenden disponiblen Betrag von 720 Mio. DM. 1015 Janz LKV 2002, 67 (69), Jung NVwZ 2002, 41 (43). 1016 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241).
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Haushaltslage, die im Übrigen unterschiedliche Ursachen haben kann, müssen, auch wenn sie vom Parlament zu verantworten sind, von allen Stellen im Staat gleichermaßen getragen werden. Der Volksgesetzgeber steht nicht außerhalb des Staates und der staatlichen Haushalts Wirtschaft, sondern ist wie jedes andere Staatsorgan in diese eingebunden und von dieser abhängig, selbst wenn er ansonsten keinen erheblichen Einfluss auf dessen Gestaltung hat 1 0 1 7 . Daher kann in der Nichtzulassung eines Volksbegehrens wegen dessen finanziellen Auswirkungen auch keine unzulässige Überwälzung der Verantwortung auf den Volksgesetzgeber gesehen werden. Das Verhältnis der vom Volksgesetz ausgelösten Ausgaben zum entsprechenden Gestaltungsspielraum des Parlaments bietet sich somit grundsätzlich als Kriterium für die Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Volksgesetzgebung an. Häufig wird die Ermittlung der „freien Spitze" allerdings von erheblichen Unsicherheiten geprägt sein 1 0 1 8 , da der Umfang der Einnahmen und Ausgaben auch von nur schwer prognostizierbaren Faktoren, z. B. der Höhe der Steuererträge oder der Zahl der gestellten Leistungsanträge abhängt. Dieses allen Haushalts- und Finanzfragen immanente Prognoserisiko ist aber kein Argument dafür, ganz auf jede Zukunftsplanung zu verzichten, sondern begründet vielmehr das Erfordernis, das Risiko einer Fehlbewertung durch eine vorsichtige Entwicklungseinschätzung möglichst gering zu halten. In diesem Zusammenhang ist allerdings fraglich, ob sinnvollerweise auf das Verhältnis zum Gesamtspielraum abzustellen ist, oder ob es auf einen Vergleich mit dem Spielraum im Einzelplan selbst ankommt. Indem das BVerfG hier u. a. auf den Einzelplan und die Notwendigkeit eines Ausgleichs außerhalb des betroffenen Bildungsetats abstellt 1019 , zeigt sich offenbar der Versuch, die Formel vom Einfluss auf den „Gesamtbestand" bzw. das „Gesamtgefüge" zu konkretisieren 1020 : Besteht die Möglichkeit, die Mehrausgaben im gleichen Einzelplan aufzufangen, könnte dies dafür sprechen, dass insoweit keine grundsätzlichen Umstrukturierungen erforderlich sind 1 0 2 1 . Gegen eine solche Differenzierung spricht aber, dass dann der Aufgliederung der Einzelpläne und damit der korrespondierenden Aufteilung der einzelnen Geschäftsbereiche in der Landesregierung eine erhebliche Relevanz für haushaltswirksame Gesetze zukäme; dies kann aber kaum maßgebend für die Frage der Zulassungsfähigkeit eines Gesetzes sein, denn sonst würde letztlich die Anzahl und der Zuschnitt der Ressorts über die Finanzwirksamkeit eines Ge1017 Ebenso i.E. Rux LKV 2002, 252 (255). 1018 Als „unscharfes Element" ebenso kritisiert von Janz LKV 2002, 67 (69). 1019 BVerfGE 102, 176 (190). 1020 Vgl. auch Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (301): „wenn das Gefüge der Haushaltsposten, ihre innere Einheit, betroffen ist". 1021 Vgl. Hopfe in: Linck/Jutzi/Hopfe Art. 82 Rdnr. 9; Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. V 3.
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setzes bestimmen 1022 . Entscheidend ist darüber hinaus, dass eine isolierte Betrachtung der Einzelpläne im Widerspruch zum Grundsatz der Gesamtdeckung gemäß § 7 HGrG steht, nach dem grundsätzlich alle Einnahmen zur Deckung aller Ausgaben dienen - und zwar unabhängig von ihrer Aufteilung auf bestimmte Einzelpläne. Zu überlegen ist weiterhin, ob es sachgerecht ist, sämtliche Bindungen des Haushaltsgesetzgebers auch aufgrund einfacher landesgesetzlicher Regelungen stets als feststehende, der Disposition des Haushaltsgesetzgebers entzogene Ausgaben zu betrachten. Dies könnte aus der Erwägung heraus bezweifelt werden, dass sich das Landesparlament hier noch am ehesten seinen Spielraum im Wege einer gesetzlichen Leistungskürzung, etwa mit einem Haushaltsstrukturgesetz erweitern kann 1 0 2 3 und es insoweit in der Hand der Regierung und der Mehrheitsfraktionen liegt, den Handlungsspielraum insoweit zu verändern 1024 . Demgegenüber ist aber einzuwenden, dass die Festlegung des eigenen Gestaltungsspielraums gerade eine wesentliche Ausprägung des Budgetrechts des Parlaments ist. Genauso wie die (begrenzten) Möglichkeiten einer der Länderkompetenz noch unterliegenden Einnahmesteigerung zu einem wesentlichen Teil durch die politische Prioritätensetzung der Regierungsfraktionen bestimmt werden und das Parlament damit seinen Haushaltsspielraum nach oben hin begrenzt, ist auch die gesetzliche Festlegung einzelner Ausgabentatbestände das Ergebnis einer bestimmten Politik, mit der das Parlament seinen Spielraum gleichermaßen nach unten einschränkt. Die landesgesetzliche Fixierung finanzwirksamer Gesetze durch das Parlament verleiht dem hierdurch eingeschränkten Gestaltungsrahmen ein gewisses Maß an Festigkeit; diese Bindungen des Landes können auch von der Volksgesetzgebung nicht ignoriert werden. Soweit dieses an sich geeignete Kriterium des Verhältnisses zur „freien Spitze" von der Rechtsprechung angewandt wird, ist es allerdings bedenklich, dass die Gerichte keine Orientierung an irgendwelchen Grenzwerten erkennen lassen und sich zum Teil sogar ausdrücklich nicht auf bestimmte Größen festlegen wollen 1 0 2 5 . Insofern bleiben die Schlussfolgerungen, die die Verfassungsgerichte aus den zahlreichen Kennzahlen ziehen, eher vage. Dass etwa nach dem BVerfG Mehrausgaben 1022 Eine ähnliche, an die Geschäftsbereiche der Regierung anknüpfende Unterscheidung hatte bereits Jellinek in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 160 (169) getroffen: Entscheidend sei, ob der Entwurf zum Geschäftsbereich des Reichsfinanzministers als federführenden Ministers gehöre oder nicht. Mit dieser Differenzierung ist Jellinek schon damals zu Recht auf starke Kritik gestoßen, siehe hierzu oben unter C I V 1. 1023
Siehe hierzu oben unter C 1 1 c. 1024 Vgl. Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 188. 1025 BrandVerfG LKV 2002, 77 (82); ebenso BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425) und BremStGH NVwZ 1995, 388 (390) in Bezug auf den Prozentwert der Gesetzesauswirkungen auf die Gesamthaushaltssumme. Unklar dagegen BVerfGE 102, 176 (190 f.), das sich jedenfalls nicht als Festlegung auf bestimmte Vergleichsgrößen interpretieren lässt - so aber offenbar Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 9. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (120).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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von 4,6 % der nicht gebundenen Mittel im gleichen Etat zu einer wesentlichen Einschränkung des Budgetrechts führen, erscheint jedenfalls schon deshalb fragwürdig, weil die Mehrausgaben des Gesetzes i.H.v. 32,8 bis 50 Mio. DM nach den Ausführungen des BVerfG noch innerhalb des möglichen Einsparpotentials von 121,8 Mio. DM liegen 102 6 .
dd) Höhe der finanziellen Auswirkungen in Relation zu den Einwohnern Vergegenwärtigt man sich den Zweck des Finanzvorbehalts, die Irrationalität isolierter finanzieller Entscheidungen zu vermeiden und den Bürger vor ungewissen Ausgleichsfolgen zu schützen, könnte man erwägen, die finanziellen Auswirkungen danach zu beurteilen, inwieweit der einzelne Bürger hiervon anteilsmäßig betroffen wäre. Diese Betrachtungsweise, die das Finanzierungsrisiko - ähnlich einer Kopfsteuer - gleichmäßig auf alle Einwohner verteilt, wäre jedoch insoweit eine grobe Vereinfachung, als die Ausgleichsmaßnahmen in der Praxis regelmäßig nur einen Teil der Einwohner und die Betroffenen zudem unterschiedlich stark belasten würde. Daher wäre ein solcher am Einwohnermaßstab orientierte Wert letztlich nicht geeignet, das Risiko für den Einzelnen aufzuzeigen, von der Finanzierungslast eines Volksbegehrens betroffen zu sein.
b) Abgrenzung nach qualitativen Aspekten Über diese rein quantitative Betrachtung der Ausgabenhöhe hinaus sind in Rechtsprechung und Literatur auch qualitative Aspekte entwickelt worden, nach denen die finanziellen Folgen eines volksbegehrten Gesetzes beurteilt werden 1027 : Neben der Art, Dauer und Disponibilität der Belastung 1028 werden Sachgehalt und Wertigkeit des Anliegens 1029 , der Zusammenhang mit konkreten haushaltspoliti1026 Hierauf verweist zu Recht auch Rux DVB1. 2001, 549 (553). Vgl. hierzu BVerfGE 102, 176 (191), wobei auch der Betrag von 121,8 Mio. DM nicht nachvollziehbar ist, da der für Kürzungen im betroffenen Einzelplan zur Verfügung stehende Betrag i.H.v. 720 Mio. DM bereits nahezu die sechsfache Summe ausmacht. 1027 Gegen qualitative Aspekte wendet sich dagegen Fessmann BayVBl. 1976, 389 (393) mit dem Argument, dass es sich beim Haushalt um ein Zahlenwerk handele und das Volksbegehren nicht mit qualitativen Maßstäben einer sachfremden, politischen Wertung unterworfen werden solle. 1028 BVerfGE 102, 176 (188); BayVerfGHE 29, 244 (269), DVB1. 1995, 419 (425); BrandVerfG LKV 2002, 77 (81); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), NordÖR 1998, 296 (299); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40 f.). Ebenso Birk/Wernsmann DVB1. 2001, 669 (672); Isensee DVB1. 2001,1161 (1162). 1029 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). Unklar dagegen Engels BayVBl. 1976, 201 (202), der auf eine qualitative Veränderung des Haushalts als „Modifizierung des in concreto vorgesehenen Haushaltsausgleichs" abstellt, ohne dies im Folgenden näher zu erläutern.
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1. Teil: Der Finanzvorbehlt bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
sehen Entscheidungen des Parlaments 1030 oder die Gefahr der Häufung von Volksbegehren 1031 herangezogen, und schließlich wird darauf abgestellt, ob sich die Einnahmen- oder Ausgabenwirkung nach der Regelungsabsicht, dem Schwerpunkt oder der Hauptwirkung des Gesetzes oder der Unmittelbarkeit der finanziellen Folgen als Regelungsgegenstand des Gesetzes darstellt 1032 . Diese Kriterien sollen im Folgenden auf ihre Sachgerechtigkeit hin näher betrachtet werden, wobei hier zunächst unbeachtet bleiben kann, ob es sich bei den genannten Merkmalen jeweils auch tatsächlich um rein qualitative oder nicht auch - oder sogar in erster Linie um quantitative oder zumindest quantifizierbare Positionen handelt 1033 .
aa) Art der Auswirkungen hinsichtlich Dauer und Disponibilität Der Umfang der von einem Gesetz ausgehenden Ausgaben lässt sich neben der Dimension der Höhe des Ausgabenbetrages auch in zeitlicher Hinsicht nach ihrer Verteilung auf die einzelnen Haushaltsperioden beurteilen, womit nicht nur die Auswirkungen auf den Haushaltsplanentwurf für das folgende Jahr und die zeitlich noch weiter reichenden Haushalts- und Finanzplanungen1034, sondern zudem die künftigen Haushalte, die außerhalb der Finanzplanung liegen und noch nicht beplant sind, einbezogen werden müssen 1035 . Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Haushaltsgestaltung eine in die Zukunft reichende Planung ist und gleichermaßen für die Zukunft die Ausgeglichenheit und Gestaltbarkeit des Haushalts gesichert sein muss 1 0 3 6 . Der Umfang der zu leistenden Ausgaben ist dabei maßgeblich von der Dauer der Verpflichtung zur Ausgabenleistung bestimmt, wobei hierfür zwei verschiedene Aspekte zu unterscheiden sind. Zum einen ist der zeitliche Umfang von der im Gesetz selbst angelegten Geltungsdauer der Regelung 1030 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). 1031 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426). 1032 NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189) sowie S. 5 des insoweit nicht veröffentlichten Beschlusses (siehe oben Fn. 994); v. Brünneck/Epting in: Simon / Franke / Sachs § 22 Rdnr. 15; v. Danwitz DÖV 1992, 601 (603); Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 2 b) bb); Feneberg/Simader Art. 69 Anm. II 2; Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2; Vogels Art. 68 Anm. 3; Jach DVP 1999, 179 (184); Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil d. BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300 f.). Ähnlich auch Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (489). Vgl. zu Art. 73 Abs. 4 WRV den Beschluss der Reichsregierung vom 18. 08. 1926, abgedruckt bei Poetzsch-Heffter, JöR 1929, 1 (135); Giese Art. 73 Anm. 4; Hansen S. 43; Kaisenberg in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207); C. Schmitt S. 22 f. !033 Siehe hierzu näher unter C I V 3. 1034 Hierauf stellen das BVerfGE 102, 176 (188) sowie das Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH vom 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (301) ab. 1035 BayVerfGHE 47, 276 (308); Engels BayVBl. 1976, 201 (203). Siehe hierzu bereits oben unter C I V 2 aa. 1036 Zur temporalen Dimension haushaltswirksamer Entscheidungen siehe oben unter C III 3 a aa (1).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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festgelegt und kann auf eine einmalige oder auf eine dauerhafte Zahlungsverpflichtung gerichtet sein. Gesetze, die nur eine einmalige Ausgabe erfordern, wiegen daher grundsätzlich weniger schwer als solche, die entsprechende Ausgaben dauerhaft verursachen, wobei allerdings maßgeblich die Gesamthöhe der finanziellen Folgen zu beachten ist. Bei gleichem Gesamtvolumen erweist sich eine Streckung der Ausgaben auf mehrere Jahre mit jeweils geringer Belastung sogar als weniger einschneidend für den Handlungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers als bei sofortiger Fälligkeit der Gesamtsumme. Als zweiter Gesichtspunkt ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Dauer der Ausgabenbelastung auch von der Möglichkeit abhängig ist, diese Verpflichtung in Zukunft durch Änderung des Gesetzes zu reduzieren bzw. zu beseitigen. Diese Möglichkeit einer Anpassung der Kosten an die tatsächlichen Gegebenheiten und die Haushaltslage belässt dem Haushaltsgesetzgeber einen größeren Spielraum als fixe Kosten, durch die er in der Zukunft dauerhaft gebunden ist. Die beiden Aspekte werden in der Rechtsprechung insbesondere vom BayVerfGH und vom BremStGH herangezogen. So könnten etwa die Mehraufwendungen infolge eines Gesetzes, das die unentgeltliche Bereitstellung von Lehr- und Lernmitteln vorsieht, weitgehend flexibel an die jeweilige Haushaltslage und den tatsächlichen Gegebenheiten, z. B. bei sinkenden Schülerzahlen, angepasst werden 1 0 3 7 . Dagegen sei die Schaffung von Beamtenplanstellen qualitativ anders und von wesentlich schwerwiegender Natur, da sie mit verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, Besoldungs- und Versorgungszahlungen verbunden wären und dadurch der Haushaltsgesetzgeber erheblich festgelegt wäre 1 0 3 8 . Ebenso bedürfe die Errichtung neuer Schulbauten eine mehrjährige Bautätigkeit und anschließende Unterhaltung und Sanierung und sei damit der Disponibilität weitgehend entzogen 1039 . Die genannten Beispiele zeigen, dass Kriterien der Dauer und Disponibilität grundsätzlich geeignet sind, die Auswirkungen eines Gesetzes auf den Haushalt zu kennzeichnen, denn je dauerhafter und inflexibler die Belastung ist, umso mehr schränkt sie den Spielraum des Haushaltsgesetzgebers ein und umso dringender stellt sich die Frage einer nachhaltigen Finanzierung. Anhaltspunkte für ein bestimmtes Größenverhältnis werden von der Rechtsprechung aber nicht geliefert, was allerdings auch nicht weiter erstaunt: Hat sich bereits gezeigt, dass die zur Bewertung des parlamentarischen Gestaltungsspielraums heranzuziehende Finanzmasse schon allein in Bezug auf die zeitlich nahen Haushaltsperioden nur schwer zu ermitteln ist, so ist es aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Haushaltsentwicklung noch schwieriger, diese auch für die Zukunft zu bestimmen und mit den künftigen Mehrbelastungen in Relation zu setzen. 1037 BremStGH NVwZ 1998, 388 (391), ohne dass es hier auf eine nähere Bezifferung des Mehraufwands ankomme. 1038 BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (426); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390 f.); vgl. auch BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). 1039 BremStGH NVwZ 1998, 388 (390 f.). 13 Krafczyk
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1. Teil: Der Finanz vorbehält bei direktdemokratischen Verfahren de lege lata
bb) Gefahr einer Häufung von Volksbegehren Nach dem BayVerfGH müsse für die Beurteilung der Intensität der finanziellen Auswirkungen auch die Möglichkeit beachtet werden, dass von anderen interessierten Gruppen ähnliche Begehren mit kostenrelevanten Zielen erhoben werden könnten, mit dem Effekt, dass sich die Kosten all dieser Begehren zu einer wesentlichen Belastung addieren 1040 . Auch in der Literatur wird es von einigen Stimmen als erforderlich angesehen, die Einzelwirkungen mehrerer Volksbegehren im Zusammenhang zu betrachten 1041 . In der Tat ist nicht auszuschließen, dass es zu einer Häufung einzelner Volksentscheide kommen könnte, die zwar jeder für sich genommen noch unterhalb einer jeweils maßgeblichen Erheblichkeitsschwelle liegen, die aber insgesamt infolge der Kumulationswirkung eine so wesentliche Auswirkung auf den Staatshaushalt haben könnten, dass dadurch der Spielraum des Haushaltsgesetzgebers beseitigt und ein Ausgleich unter Umständen nicht mehr möglich wäre. Als Abgrenzungskriterium für die Ermittlung der Zulässigkeit der Volksgesetzgebung sind die Erwägungen einer Kumulation von finanzwirksamen Volksbegehren jedoch in der vom BayVerfGH angeführten Form kaum geeignet. Wollte man die bloße Möglichkeit weiterer Völksbegehren für die Beurteilung eines einzelnen Volksbegehrens heranziehen, so stände man vor der kaum zu lösenden Aufgabe, bereits im Vorhinein bestimmen zu müssen, ob und inwieweit es zu weiteren Volksbegehren kommen wird, die dann insgesamt zu einer übermäßigen Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Parlaments führen könnten. Es ließen sich in diesem Fall weder Höhe noch Art der zu befürchtenden Nachahmungsfolgen auch nur annähernd überzeugend ermitteln. Die bloße Gefahr einer Nachahmung stellt somit nur eine rein theoretische Befürchtung dar 1 0 4 2 und ist daher zur Bestimmung der Schwelle zur Unzulässigkeit nicht praktikabel. Bezeichnenderweise wendet selbst der BayVerfGH dieses Kriterium für die weitere Abgrenzung nicht mehr an. Die gleichwohl gegebene Problematik der Häufung mehrerer Volksbegehren lässt sich im Übrigen überzeugend nur unter Beachtung des Prioritätsprinzips lösen, indem in die Beurteilung der finanziellen Auswirkungen eines Volksbegehrens lediglich die finanziellen Auswirkungen der vorherigen, nicht aber die der nachfolgenden Volksentscheide berücksichtigt werden. Die negativen Folgen einer möglichen Häufung von Volksbegehren sind also nicht schon im Vorgriff bei der Beurteilung eines direktdemokratischen Verfahrens zu beachten, für das die Durchführung späterer Volksbegehren, geschweige denn deren Erfolg noch gar nicht absehbar ist, sondern allenfalls bei der Prüfung einer zeitlich nachfolgenden Volks1040 BayVerfGH DVB1. 1995,419 (426): Dies sei zumindest „ohne weiteres denkbar". 1041 Dem Kriterium des BayVerfGH zustimmend Birk/Wernsmann DVB1. 2001, 669 (672). Vgl. auch Engels BayVBl. 1976, 201 (203) zur Notwendigkeit einer Addition der Einzelwirkungen bei einer eventuellen Spaltung des Volksbegehrens. 1042 Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (302).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsvorbehalts
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gesetzgebung, und auch nur dann, wenn das vorherige Begehren tatsächlich erfolgreich gewesen ist und eine zusätzliche Auswirkung auf den Haushalt zur Folge gehabt hat. Nur in diesem Fall kann überhaupt von einer entsprechende Häufung die Rede sein 1 0 4 3 .
cc) Sachgehalt und Wertigkeit des Anliegens Nach dem BrandVerfG seien neben den bereits genannten Aspekten auch der Sachgehalt und die Wertigkeit des Anliegens zu berücksichtigen, da diese gegebenenfalls für die Kosten-Nutzen-Relation von Bedeutung sein könnten 1044 . In der Sache betrifft das Kosten-Nutzen-Verhältnis den Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit 1045 , der den Staat verpflichtet, die finanzielle Belastung der Bürger so gering wie möglich zu halten und mit den ihm von den Bürgern anvertrauten Mitteln eine effektive Leistung zu erbringen, wobei die bestmögliche Nutzung gegebener Ressourcen dann erreicht ist, wenn die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln gewählt wurde 1 0 4 6 . Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist gemäß § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 LHO bei der Haushaltsaufstellung 1047, aber auch bei sonstigen finanzwirksamen Maßnahmen nach § 6 Abs. 2 HGrG, § 7 Abs. 2 LHO in Form von angemessenen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zu beachten und gilt somit für alle staatlichen Maßnahmen, also gleichermaßen für volksbegehrte Gesetze 1048 . Sachgehalt und Wertigkeit i.S.v. Kosten und Nutzen einer gesetzlichen Maßnahme lassen sich dabei anhand des Kostenminimierungs- und des Nutzenmaximierungsprinzips beurteilen. Das Kostenminimierungsprinzip 1049 zielt auf das Erreichen eines bestimmten Ergebnisses 1043 Diese Vorgehensweise könnte u.U. dazu führen, dass ein in kurzem Abstand nachfolgendes Volksbegehren im Falle des Erfolgs eines vorhergehenden Volksentscheids, der zu erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt geführt hat, wegen der nun drohenden Kumulationswirkung nachträglich unzulässig wird. Stehen dagegen zwei volksbegehrten Gesetze gleichzeitig zur Abstimmung, die zwar jedes für sich genommen, infolge ihrer Haushaltsfolgen aber nicht beide zusammen als zulässig bewertet werden können, so lässt sich diese Konstellation nur dadurch lösen, dass sie wie zwei sich gegenseitig ausschließende Gesetzesvorhaben zu behandeln sind. 1044 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81). 1045 Zusammen mit dem eng hierzu in Verbindung stehenden Prinzip der Sparsamkeit, vgl. § 6 HGrG bzw. § 7 LHO. Vgl. auch die Regelungen auf Verfassungsebene in Art. 86 Abs. 2 BerlVerf; Art. 132 S. 3 BremVerf und Art. 94 Abs. 2 SächsVerf. Das Sparsamkeitsprinzip wird dabei vollständig vom Wirtschaftlichkeitsprinzip umfasst, siehe hierzu sogleich in Fn. 1049. 1046 Dommach in: Heuer § 7 BHO Rdnr. 2. 1047 Für den Haushaltsvollzug dagegen normiert in § 34 Abs. 2 u. 3 LHO. 1048 Vgl. Piduch Art. 110 Rdnr. 25. 1049 Minimalprinzip, z.T. auch als Sparsamkeitsprinzip bezeichnet, vgl. v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm § 7 Erl. 2.1, 2.2.; Helm in: Piduch § 7 BHO, Rdnr. 2. Der Sparsamkeitsgrundsatz geht aber über das Kostenminimierungsprinzip hinaus, wenn auf die Erzielung 1
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mit einem möglichst geringen Mitteleinsatz 1050 , das Nutzenmaximierungsprinz i p 1 0 5 1 dagegen bezweckt das Erreichen des bestmöglichen Ergebnisses mit einem bestimmten Einsatz von Mitteln 1 0 5 2 . Daneben lassen sich aber auch zwei verschiedene, bereits nach diesen Prinzipien optimierte Maßnahmen vergleichen, indem jeweils die Differenz oder der Quotient aus Kosten und Nutzen gebildet und der Maßnahme mit dem besten Nutzen-Kosten-Verhältnis der Vorrang eingeräumt wird 1 0 5 3 . Häufig entziehen sich dabei die zu berücksichtigenden Positionen einer zahlenmäßig exakten oder überhaupt einer quantifizierbaren Bewertung, so dass die Entscheidung für oder gegen eine Option weniger das Ergebnis einer rechnerischen Kalkulation als das einer wertenden Abwägung ist. Wie die Prüfung der Wirtschaftlichkeit eines Gesetzentwurfs erfolgt, steht dabei weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers 1054: Die Kostenvergleichsrechnung ermittelt für unterschiedliche Lösungsvorschläge die sich für den einzelnen Leistungsträger ergebenden Kosten und vergleicht sie miteinander 1055 , bei der Kapitalwertmethode werden dabei auch die langfristigen Auswirkungen der Maßnahme einbezogen 1056 . Ist eine monetäre Bewertung der Kosten und Leistungen nicht möglich, so kommt eine Nutzwertanalyse in Betracht, bei der die Bewertung von Kosten und Nutzen der geplanten Maßnahme nach qualitativen Gesichtspunkten stattfindet, wie z. B. nach Sicherheit, Umweltgesichtspunkten, Serviceleistung, eines Ergebnisses gänzlich verzichtet wird, weil die Ausgaben hierfür selbst in ihrer wirtschaftlichsten Verwendung nicht vertretbar sind, Dreßler in: Piduch Einf. IV, S. 39 f. 1050 Unwirtschaftlich ist es also, wenn eine bestimmte, vorgegebene Aufgabe mit geringerem Personal- oder Sachaufwand erfüllt werden kann, v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 20. So auch die entsprechenden Formulierungen in § 90 Nr. 4 BHO/LHO. 1051 Maximalprinzip, auch Ergiebigkeits- oder Effektivitätsprinzip, vgl. v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 20. 1052 Unwirtschaftlich ist eine Maßnahme danach, wenn es andere Möglichkeiten gibt, mit dem vorgegebenen Aufwand ein Aufgabengebiet wirksamer oder ergiebiger zu erfüllen, v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 20, ebenfalls mit Verweis auf § 90 Nr. 4 BHO/LHO. 1053
v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 21. Sowohl die Mittel als auch der Zweck werden dabei als Variable behandelt. Unzutreffend, weil nicht operabel ist allerdings die Formel, es sei mit dem geringstmöglichen Aufwand der bestmögliche Erfolg zu erzielen, vgl. die Nachweise dieser noch immer anzutreffenden Formulierung bei v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 19 Fn. 1. 1054 Da die Wahl der Untersuchungsmethode ihrerseits dem Wirtschaflichkeitsgebot unterliegt, ist die einfachste und wirtschaftlichste Verfahrensweise anzuwenden, vgl. v. Köckritz/ Ermisch/Dittrich/Lamm § 7 Erl. 15.2. Vgl. hierzu und zum Folgenden die „Arbeitsanleitung Einführung in Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen" des Bundesministers der Finanzen vom 31. 09. 1995, abgedruckt in: v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm § 7, S. 8. 1055 Voraussetzung dieser Methode ist, dass die Kosten- und Nutzenaspekte monetär bewertet werden können, wobei davon ausgegangen wird, dass die Kosten und Nutzen in Zukunft unverändert bleiben. Insoweit handelt es sich um ein statisches Verfahren. 1056
Es handelt sich um ein dynamisches Verfahren, das berücksichtigt, dass die in späteren Jahren anfallenden Zahlungsvorgänge vom Kapitalwert her weniger Gewicht haben, als die früher liegenden. Alle Ausgaben und Einnahmen innerhalb des Betrachtungszeitraumes werden ab Beginn der Maßnahme abgezinst.
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushalts Vorbehalts
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Qualität der Maßnahme, etc. 1 0 5 7 . Schließlich bietet die Kosten-Nutzen-Analyse eine Möglichkeit zu einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, bei der alle externen Wirkungen mit einzubeziehen sind 1 0 5 8 . Mit dem Erfordernis der Bewertung ist aber bereits das Problem bei der Berücksichtigung derartiger materieller Gesichtspunkte benannt, denn bei der Auswahl der Maßnahme mit dem „wirtschaftlichsten" Kosten-Nutzen-Verhältnis handelt es sich vor allem um eine politische Abwägungsentscheidung mit einem entsprechend großen Beurteilungsspielraum 1 0 5 9 . Als Grundsatz gilt das Wirtschaftlichkeitsprinzip zudem nicht absolut, sondern ist vielmehr neben anderen Rechtsprinzipien zu berücksichtigen 1060. So kann es z. B. im Falle einer Rezession angezeigt sein, anstatt die Ausgaben - dem Gebot der Sparsamkeit entsprechend - zu reduzieren, die Wirtschaftstätigkeit zur Aufrechterhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 GG durch Erhöhung der Staatsausgaben zu beleben 1061 . Die Berücksichtigung der Aspekte der Wertigkeit und des Sachgehalts obliegt damit in erster Linie dem Gesetzgeber selbst und entzieht sich weitgehend einer juristischen Kontrolle 1062 . Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist insoweit immer schon dann beachtet, wenn die Entscheidung wirtschaftlich vertretbar i s t 1 0 6 3 , ein Verstoß also nicht schon dann gegeben, wenn die Maßnahme wirtschaftlicher durchgeführt werden könnte, sondern erst, wenn sie mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlechthin unvereinbar ist 1 0 6 4 . Insoweit ließen sich diese Gesichtspunkte auch unmittelbar anhand der bundesgesetzlichen Regelung des § 6 HGrG bzw. der entsprechenden Landes1057 Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Maßnahmen herzustellen, sind die einzelnen qualitativen Kriterien je nach ihrer Bedeutung in Prozenten zu gewichten. Bei jeder Maßnahme ist dann je nach Grad der Erfüllung des Kriteriums eine Bewertung mit Punkten von 1 bis 10 vorzunehmen und die erreichten Gesamtpunktzahlen miteinander zu vergleichen. Soweit möglich, kann die Nutzwertanalyse mit der Methode der monetären Bewertung zusammengefasst werden. 1058 Diese gesamtwirtschaftliche Untersuchung ist daher im Unterschied zu den drei zuvor genannten nicht betriebswirtschaftlich, sondern volkswirtschaftlich motiviert. Die Bewertung unterscheidet sich von der Nutzwertanalyse dadurch, dass sie nicht auf der Grundlage einer Gewichtung der einzelnen Nutzen und Kosten, sondern ausschließlich aufgrund der tatsächlichen oder unterstellten Marktpreise erfolgt. 1059 v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm § 7 Erl. 6. 1060 D i e s Z eigt sich auch in den Formulierungen des § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 LHO, wonach die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Haushaltsaufstellung zu „beachten" sind. Nach Art. 94 Abs. 2 SächsVerf ist diesen Grundsätzen „Rechnung zu tragen". Vgl. insoweit Krüger-Spitta/Bronk S. 68 ff.; v. Arnim, Wirtschaftlichkeit, S. 95; Dommach in: Heuer § 7 BHO Rdnr. 3; v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm § 7 Erl. 5. 1061 Auch das Sozialstaatsprinzip und insbesondere die Grundrechte in ihrer objektivrechtlichen Funktion können haushaltsrelevante Maßnahmen zum Schutz bestimmter Bevölkerungsgruppen erforderlich machen. 1062 Vgl. Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 9. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (117) und Fessmann BayVBl. 1976, 389 (393), der sich insoweit insgesamt gegen jedes qualitatives Kriterium wendet. 1063 v. Köckritz/Ermisch/Dittrich/Lamm § 7 Erl. 6. 1064 BayVGH BayVBl. 1998,402 (403); BayVBl. 1992, 628 (630).
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Verfassungsnormen überprüfen, die ohnehin eine Schranke für die Volksgesetzgebung darstellen 1065 . Außerdem lässt sich eine Nutzenmaximierung im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse nur dann ermitteln, wenn ein konkurrierender Nutzen aufgezeigt wird, der im Falle einer Entscheidung für das Volksbegehren aufgegeben oder jedenfalls nicht verwirklicht würde; bleibt diese Entscheidung offen - wie es aufgrund der fehlenden Ausgleichsverpflichtung für den Volksgesetzgeber der Fall wäre 1 0 6 6 , fehlt eine konkrete Vergleichsmöglichkeit. Insgesamt erweisen sich daher die angeführten Aspekte der Wertigkeit und des Sachgehalts nicht als sachgerechte Kriterien 1067 - selbst das BrandVerfG, das diese Aspekte angeführt hat, wendet sie letztlich nicht an.
dd) Einnahmen und Ausgaben als Regelungsgegenstand Nach einer weiteren Ansicht sei die Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Volksbegehren nach dem Inhalt des begehrten Gesetzes danach zu treffen, ob es sich seinem Gegenstand nach auf dem Gebiet der Finanzhoheit des Staates bewege 1068 bzw. die Regelung von Einnahmen und Ausgaben gerade zum Gegenstand habe 1 0 6 9 oder hierin zumindest der Schwerpunkt liege 1 0 7 0 . Beziehe sich das Gesetz dagegen auf andere Gegenstände, so sei auch dann keine unzulässige Regelung über den Staatshaushalt gegeben, wenn finanzielle Auswirkungen mit ihm verbunden seien 1071 . Wann aber eine Regelung von Einnahmen und Ausgaben in diesem Sinne als Gegenstand des Gesetzes anzusehen ist, wird im Einzelnen in unterschiedlicher Weise beurteilt. So wird teilweise auf die Regelungsintention des Gesetzgebers abgestellt und ein Volksbegehren dann als unzulässig qualifiziert, wenn das begehrte Gesetz seiner Absicht nach auf die Finanzen des Staates, also auf die Einnahmen und Ausgaben, das Vermögen und die Schulden einwirken w i l l 1 0 7 2 ; andere stellen dagegen auf den objektiven Regelungsgehalt ab und halten 1065 z u r Überprüfung direktdemokratischer Entscheidungen anhand des Wirtschaftlichkeitsprinzips auf Kommunalebene vgl. Seckler passim. 1066 Allenfalls bei einem vom Parlament vorgelegten konkurrierenden Gesetzentwurf ließe sich ein entsprechender Vergleich anstellen. Allerdings kann ein solcher Parlamentsentwurf offensichtlich nicht dazu führen, dass sich der Volksgesetzentwurf daraufhin, weil er vergleichsweise weniger wirtschaftlich ist, nachträglich als unzulässig erweist. 1067 Ebenso, aber ohne nähere Begründung Janz LKV 2002, 67 (69). 1068 Feneberg/Simader Art. 69 Anm. I I 2; Fessmann BayVBl. 1976, 389 (392); Gensior/ Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2; C. Schmitt S. 23. 1069 Vgl. Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (300 f.), die allerdings in erster Linie nicht auf den Regelungsinhalt als solchen abstellen, sondern darauf, ob die finanziellen Folgen sich auf die konkrete Haushaltsplanung niederschlagen und eine Reaktion des Haushaltsgesetzgebers erfordern, siehe hierzu bereits oben unter C I V 2 a aa. 1070 NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189); v. Danwitz DÖV 1992, 601 (603). 1071 Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 2 b) bb).
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das Finanztabu dann für einschlägig, wenn das Gesetz den Haushalt und das Budgetrecht unmittelbar betreffe und damit eine Ausgabenmehrung bzw. Einnahmenminderung als unmittelbar etatbezogene Leistung zum Gegenstand habe 1 0 7 3 , nicht dagegen, wenn die Einsetzung oder Streichung von Mitteln im Etat nur mittelbare Folge eines sich eigentlich auf andere Gebiete erstreckenden Inhalts sei 1 0 7 4 ; m.a.W. sei der Finanzvorbehalt betroffen, wenn die inhaltliche Beeinflussung des Haushaltsplans die Hauptwirkung und nicht lediglich eine finanzielle Nebenwirkung darstelle 1075 . So sei etwa ein Volksbegehren nicht schon deshalb unzulässig, weil es die Schaffung neuer Behörden oder die Einführung neuer Schulen oder Ausbildungsstätten mit sich bringe 1 0 7 6 , ebenso wenn es das Hauptanliegen des Gesetzes sei, die Verfassung zu ergänzen, auch wenn damit finanzielle Auswirkungen verbunden seien 1077 . Eine solche Abgrenzung nach dem subjektiv oder objektiv zu bestimmenden Regelungsgehalt ist jedoch höchst problematisch. Nicht überzeugen kann es zunächst, im Wege einer historischen Auslegung die Vorstellung des Volksgesetzgebers bzw. - da die Prüfung der Zulässigkeit i.d.R. vor der Volksabstimmung selbst erfolgt - der Initiatoren über die Haushaltsauswirkungen zum maßgeblichen Unterscheidungskriterium zu machen, da die finanziellen Folgen und die Einschränkung des Budgetrechts des Parlaments unabhängig davon eintreten, ob es den Initiatoren des Volksbegehrens bzw. den abstimmenden Bürgern bewusst wird oder nicht. Zudem hinge es dann maßgeblich von der Gestaltung der Gesetzes1072 Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 2 b) bb); Gensior/Krieg/Grimm §3 VVG Erl. 2; C. Schmitt S. 22. Auf die gesetzgeberische Absicht, die allerdings über eine bloße Einwirkungsabsicht hinausgehen müsse, stellen auch Jach DVP 1999, 179 (182) und Schweiger in: Nawiasky/Schweiger/Knöpfle Art. 73 Rdnr. 8 ab: Gesetze, die zielgerichtet darauf aus sind, den Gesamthaushalt nachhaltig zu stören (Jach a. a. O.) oder deren Ziel die Umstoßung des Staatshaushalts ist (Schweiger a. a. O.). 1073 Feneberg/Simader Art. 69 Anm. I I 2; Gensior/Krieg/Grimm § 3 VVG Erl. 2; Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (489), allerdings mit der Einschränkung, dass dies ausnahmsweise dann nicht gelte, wenn in die Staatsfmanzen „so unerheblich eingegriffen" werde, dass der Schutzzweck des Finanztabus „offenbar nicht berührt sein" könne; C. Schmitt S. 22; Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (301) bzgl. Gesetzesvorlagen zu ordentlichen Einnahmen. 1074 NRW-VerfGH, Beschluss vom 26. 06. 1981, S. 5 (nicht veröffentlicht, vgl. oben Fn. 994); v. Brünneck/Epting in: Simon/Franke/Sachs § 22 Rdnr. 15; Hansen S. 43; Jach DVP 1999, 179 (184); Vogels Art. 68 Anm. 3. Differenzierend Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (489 f.), nach denen es bei mittelbaren finanziellen Auswirkungen allein auf deren Wirkung ankomme. 1075 Feneberg/Simader Art. 69 Anm. I I 2; Giese Art. 73 Anm. 4; C. Schmitt S. 23. 1076 NRW-VerfGH NVwZ 1982, 188 (189); Dickersbach in: Geller/Kleinrahm Art. 68 Anm. 2 b) bb); Vogels Art. 68 Anm. 3. Vgl. auch Kaisenberg in: Anschütz/Thoma, HBdDStR II, S. 204 (207 f.), der generell Organisationsgesetze nicht dem Finanzvorbehalt unterstellt. 1077 So BayVerfGHE 29, 244 (270), der ansonsten aber das Unmittelbarkeitskriterium ablehnt.
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begründung ab, welche Absicht der Gesetzgeber nach außen offenbart. Wie bei der Auslegung anderer Gesetze kommt es insoweit in erster Linie nicht auf den Willen des historischen Gesetzgebers, sondern maßgeblich auf den objektiven Zweck einer Regelung an 1 0 7 8 . Aber auch die Unterscheidung danach, ob das Gesetz nach dem objektive Regelungszweck lediglich mittelbar den Haushalt betrifft oder aber eine finanzielle Hauptwirkung hat, entspricht nicht dem Schutzzweck des Finanzvorbehalts. Für die Budgethoheit des Parlaments, die Ausgleichsbedürftigkeit und die Ungewissheit über die Ausgleichsfolgen kann allein ausschlaggebend sein, ob ein Gesetz sich tatsächlich erheblich auf den Haushalt auswirkt, unabhängig davon, ob sich diese Wirkung unmittelbar aus der Regelung des Gesetzes selbst ergibt und damit im Gesetzeswortlaut selbst der finanzielle Charakter des Gesetzes offen gelegt ist, oder ob sich diese Wirkungen als notwendige Folge oder Nebenwirkung einstellen. Auch lediglich mittelbar verursachte Ausgaben können einen erheblichen Einfluss auf den Staatshaushalt haben und das Budgetrecht wesentlich beeinträchtigen 1079. Das Ziel einer fundierten Abwägungsentscheidung, einer Verhinderung von Manipulation und eines geordneten Staatshaushalts verlangt vielmehr umgekehrt für Gesetzentwürfe, bei denen die finanzielle Belastung nicht so klar ersichtlich ist, eine stärkere Sicherung als bei denen, die die finanziellen Auswirkungen von vornherein aufdecken. Es würde im Übrigen maßgeblich von der Formulierung des Volksbegehrens abhängen, ob der Staat durch das Gesetz ausdrücklich zu haushaltsrelevanten Leistungen verpflichtet wird, oder ob die Entstehung neuer finanzieller Leistungen des Staates als bloße Nebenwirkung einer Bestimmung ausgelöst wird, die sich im Übrigen auf die materielle Regelung einer bestimmten Wertentscheidung beschränkt 1080 . Aus dem gleichen Grund kann es schließlich ebenfalls nicht entscheidend sein, ob die finanziellen Auswirkungen unmittelbar durch das Gesetz selbst oder erst aufgrund einer noch zu schaffenden Ausführungs- oder Ausgleichsregelung eintreten, wenn feststeht, dass das Gesetz am Ende jedenfalls zu finanziellen Auswirkungen in einer beachtlichen Höhe führt 1 0 8 1 . Zu Recht hält es das BVerfG daher für unerheblich, dass die im Volksbegehren beabsichtigte Verfassungsänderung zur Gleichstellung privater Schulen nicht unmittelbar Mehrausgaben anordne, sondern dies noch einer einfachgesetzlichen Konkretisierung bedürfte 1082 . Ebenso ist es - wie das BrandVerfG insoweit zutreffend festgestellt hat - unbeachtlich, dass die Pflicht zur Finanzierung von 1078 Zur historischen Auslegung als bloßes Hilfskriterium vgl. etwa BVerfGE 1, 299 (312); 11, 126 (129 f.). Kritisch hierzu Degenhart in: Neumann/v. Raumer S. 57 (68 ff.). 1079 BayVerfGHE 29, 244 (269); Engels BayVBl. 1976, 201 (203); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976,486 (490). »oso BayVerfGHE 29, 244 (269); Giehl/v. Scheurl BayVBl. 1976, 486 (490). Ähnlich Waldhoff S. 162, der insoweit eine Abgrenzung nach rationalen Kriterien kaum für möglich hält. 1081 Zu dem etwas anderen Verständnis des Begriffs der „Unmittelbarkeit" i.S.v. die konkrete Haushaltsplanung betreffend im Sondervotum Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998,299 (300 f.) siehe oben unter C IV 2 a aa. 1082 BVerfGE 102, 176 (190).
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zusätzlichem Betreuungspersonal für Kindertagesstätten zunächst direkt die Kommunen und nur mittelbar das Land träfe, das für die Mehrbelastung der Gemeinden am Ende einen entsprechenden Ausgleich schaffen müsste 1083 . Insgesamt ist somit festzuhalten, dass der Aspekt der Unmittelbarkeit oder die Einordnung der finanziellen Auswirkung als Haupt- oder Nebenfolge für die hier erforderliche Abgrenzung kein geeignetes Kriterium darstellt.
ee) Zusammenhang mit konkreten haushaltspolitischen Entscheidungen des Parlaments oder der Regierung Nach dem BrandVerfG soll ein Volksbegehren mit gewichtigen Ausgabenfolgen dann unzulässig sein, wenn ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit einer bewussten Haushaltsentscheidung des Parlaments bestehe. Dies sei insbesondere der Fall, wenn das Begehren nicht nur zu einer Korrektur einzelner Haushaltsansätze führen würde, sondern wenn es auf die Revision einer haushaltspolitischen Grundentscheidung des Parlaments gerichtet sei 1 0 8 4 . So entschied das BrandVerfG, dass ein Volksbegehren, das den im Rahmen eines Haushaltsstrukturgesetzes eingeschränkten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wieder uneingeschränkt herstellen wollte, unzulässig sei, da das Haushaltsstrukturgesetz zum Ziel gehabt habe, auch durch fachgesetzliche Einschränkung von Leistungen zur Konsolidierung des Haushalts beizutragen 1085 , und der Gesetzgeber daher eine entsprechende haushaltspolitische Entscheidung getroffen habe. Obwohl die Unterschriftensammlung noch vor dem Beschluss zum Haushaltsstrukturgesetz erfolgt sei, stehe die Volksinitiative in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit diesem, da sie in die sich anbahnende Entscheidung des Parlaments gemündet sei und dem Haushaltsgesetzgeber damit „in den Arm zu fallen versuchte" 1086 . Dieses Kriterium des Zusammenhangs mit einer Haushaltsgrundentscheidung verlagert allerdings das Abgrenzungsproblem lediglich vom Volksbegehren auf das Parlamentsgesetz, dessen Änderung oder Aufhebung das Volksbegehren an1083 BrandVerfG LKV 2002, 77 (82), selbst dann, wenn der Ausgleich nicht notwendig bei 100 % zu liegen brauche. 1084 BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 ff.). Der BayVerfGHE 29, 244 (270) hat es dagegen angesichts der Unerheblichkeit der finanziellen Auswirkungen des Volksbegehrens und dessen Hauptanliegens, die Verfassung zu ändern - dahingestellt sein lassen, ob die Änderung eines vom Parlament zum Haushaltsausgleich bestimmten Gesetzes durch ein Volksgesetz statthaft sei. Auch nach dem NdsStGH NdsVBl. 2002, 11 (14) sei es wegen der Möglichkeit, das begehrte Gesetz kostenneutral umzusetzen, ohne Bedeutung gewesen, dass das Gesetz auf die Änderung einer entsprechenden Regelung des zuvor vom Parlament erlassenen Haushaltsbegleitgesetz gerichtet war. 1085 Durch die Einschränkung des Rechtsanspruchs auf einen Platz in einer Kindertagesstätte war die Einsparung von 25 Mio. DM im Jahre 2000 und 68 Mio. DM im Jahre 2001 bezweckt. 1086 BrandVerfG LKV 2002, 77 (83).
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strebt. Es kommt dann nämlich auf die Frage an, ob es sich bei diesem Parlamentsgesetz um eine entsprechend erhebliche haushaltsrelevante Entscheidung handelt. Dabei stellt das BrandVerfG entscheidend auf die haushaltspolitische Motivation ab, aufgrund derer das Parlament die gesetzliche Regelung vornimmt 1 0 8 7 - die Unzulänglichkeit einer solchen Abgrenzung wurde bereits dargelegt 1088 . Hier besteht die Gefahr einer übermäßigen Einschränkung der Volksgesetzgebung: Führt ein vom Volksbegehren angegriffenes Parlamentsgesetz zu einer Einsparung, wird es nicht schwerfallen, einen Zusammenhang dieses Gesetzes zu einer grundlegenden Bemühung zur Haushaltskonsolidierung herzustellen. Das gleiche gälte aber ebenso für ein Volksbegehren, das gar nicht auf die Revision eines Parlamentsgesetzes zielt, denn auch in diesem Fall könnte das Parlament seine Ablehnung mit haushaltspolitischen Argumenten begründen und damit einen sachlichen und zeitlichen Konnex zu einer entsprechenden Haushaltsentscheidung herstellen - sogar wenn das Volksbegehren keine erheblichen Ausgaben zur Folge hätte. Gegebenenfalls könnten Regierung oder Parlament die Volksinitiative auch dadurch vereiteln, dass sie einen eigenen Gesetzentwurf einbringen, der die bestehende Gesetzeslage durch eine entsprechende Entscheidung auf eine haushaltspolitische Grundlage stellt 1 0 8 9 . Im Ergebnis wäre damit das parlamentarische Budgetrecht gegen jede Auswirkung der Volksgesetzgebung immunisiert 1090 . Darüber hinaus ist die Einschränkung, es müsse sich um einen engen zeitlichen Zusammenhang handeln, in diesem Zusammenhang weder mit genügender Sicherheit bestimmbar noch sachgerecht, denn eine haushaltspolitische Grundentscheidung kann ebenso grundlegend für die Planung des folgenden Haushaltsjahres oder die mehrjährige Finanzplanung sein. Warum bei einem zeitlich entfernteren, aber sachlich noch eng mit der Haushaltsentscheidung zusammenhängenden Volksbegehren etwas anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich. Fasst man die bisherige Untersuchung zusammen, so lässt sich festhalten, dass von den dargestellten, von Rechtsprechung und Literatur angewandten Kriterien allein die Höhe der finanziellen Auswirkungen des Gesetzes im Vergleich zur disponiblen Finanzmasse, die Dauer und Disponibilität der finanziellen Auswirkungen und der Grad der Realisierung der Haushaltsbelastung den Schutzzwecken des Finanztabus entsprechen.
1087 Vgl. Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (119). 1088 Siehe oben unter C I V 2 b dd. 1089 j mz LKV 2002, 67 (69); Jutzi ZG 2003, 273 (276); Sondervotum Jegutidse/Havemann zum Urteil des BrandVerfG v. 20. 09. 2001, LVerfGE, Suppl. Bbg. zu Bd. 12, 114 (123). 1090 Vgl. insoweit die in einem anderen Zusammenhang geäußerte Kritik des Sondervotums Preuß/Rinken zum Urteil des BremStGH v. 11. 05. 1998, NordÖR 1998, 299 (301), die sich gegen eine „Verabsolutierung" des Budgetrechts wendet.
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3. Perspektiven für die Entwicklung einer Abgrenzungssystematik Mit der Herausarbeitung derartiger Abgrenzungsmerkmale allein ist jedoch noch nichts gewonnen, wenn diese Kenngrößen nicht auch zueinander in ein sinnvolles Verhältnis gesetzt und anhand eines bestimmten Maßstabs bewertet werden. Ohne einen solchen Beurteilungsrahmen läge nur eine beziehungslose Aneinanderreihung von angesammelten haushaltsbezogenen Größen vor, mit denen sich überzeugend keine bestimmten Ergebnisse begründen ließen. Diese Aufgabe der Bildung eines Bewertungssystems ist bisher jedoch weder in Rechtsprechung noch Literatur auch nur ansatzweise gelöst worden. Mit der regelmäßig wiederholten Betonung, dass eine wertende Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorzunehmen sei 1 0 9 1 , versucht sich die Rechtsprechung statt dessen darüber hinwegzuhelfen, dass sie keine nachvollziehbaren Maßstäbe für die Anwendung der von ihr angeführten Beurteilungskriterien hat. Die Beliebigkeit der Argumentation, die die Bedeutung der angeführten Daten für die Entscheidung letztlich ganz in Frage stellt, kommt etwa in der folgenden Ausführung des BayVerfGH zum Ausdruck, wonach „auch schon solche Gesetze, die - absolut gesehen - einen relativ geringen Finanzbedarf erfordern, Auswirkungen auf das Budgetrecht des Parlaments haben. Denn sie erfordern auf jeden Fall eine Revision der Gesamtbeurteilung, der Prioritätensetzung sowie der Überprüfung der einzelnen Haushaltsansätze untereinander" 1092. Auf diese Weise kann jedenfalls keine vernünftige Abgrenzung gelingen 1093 . Mit der Betonung des Einzelfalls entwickelt sich die Rechtsprechung zunehmend zu einer Situationsjurisprudenz 1094, die den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens zu einem „Vabanquespiel" werden lässt 1095 . Den Initiatoren einer Volksinitiative werden keine Grenzen aufgezeigt, die die Unzulässigkeit eines Volksbegehrens markieren, was letztlich zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit 1096 und Unzufriedenheit führen muss - eine Befriedungsfunktion des 1091 BVerfGE 102, 176 (188); BayVerfGHE 29, 244 (269), BayVerfGH DVB1. 1995, 419 (425); BrandVerfG LKV 2002, 77 (81 f.); BremStGH NVwZ 1998, 388 (390), NordÖR 1998, 296 (299); ThürVerfGH ThürVBl. 2002, 31 (40 f.). 1092 BayVerfGH DVB1. 1995,419 (425), Kursivdruck nicht im Original. 1093 Ebenso kritisch Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 178; Janz LKV 2002, 67 (69). Zuversichtlicher dagegen in Bezug auf die Abgrenzungen der Rechtsprechung Schonebohm in: Zinn/Stein Art. 124 Erl. I I I 3. Zschoch NVwZ 2003, 438 (441) hält die Einzelfallbetrachtung der Rechtsprechung unter Verweis auf die „Wesentlichkeitstheorie" für hinreichend praktikabel. 1094 j ung NVwZ 1998, 372; Przygode S. 407 f.; Röper ZParl 1997,461 (469 f.); Siekmann in: Neumann/v. Raumer S. 181 (199). Die Besorgnis eines Dezisionismus sieht auch Heußner, Volksgesetzgebung in den USA, S. 187.
1095 Janz LKV 2002, 67 (69). 1096 SächsVerfGH SächsVBl. 2002, 236 (241); P Neumann SächsVBl. 2002, 229 (231); Przygode S. 407 f. zum BayVerfGH, und S. 410 f. zum NRW-VerfGH; Röper ZParl 1997, 461 (469 f.). Kritisch auch Janz LKV 2002, 67 (69) zum BrandVerfG.
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Rechts kann sich hier nicht entfalten. Es führt zudem zu einer ineffektiven Ressourcenverschwendung, wenn infolge der auf den Einzelfall abstellenden Rechtsprechung immer wieder neue Volksinitiativen lanciert werden, deren Zulässigkeit nicht im Vorhinein mit auch nur annähernd hinreichender Sicherheit bestimmt werden kann. Die bisher unbewältigte Problematik liegt also nach wie vor darin, eine verlässliche und vorhersehbare Abgrenzung zwischen der zulässigen und unzulässigen Volksgesetzgebung mit finanziellen Auswirkungen zu finden. Im Widerstreit zwischen einer möglichst engen Orientierung an den maßgeblichen Schutzzielen des Finanzvorbehalts und dem Bedürfnis nach einer praxisnahen Operationalität der Bewertungskriterien ist daher eine Lösung zu aufzusuchen, die die entscheidenden Merkmale nachvollziehbar verknüpft und anhand berechenbarer Maßstäbe bewertet. Hierfür soll im Folgenden ein Modell entwickelt werden, das die einzelnen Bewertungskriterien in ein schlüssiges Verhältnis zueinander setzt und dieses in einer anwendbaren Form abbildet; dabei ist auch zu klären, auf welcher staatlichen Ebene die Festlegung eines solchen Bewertungssystems eigentlich vorgenommen werden muss.
a) Modelle der Verknüpfung
einzelner Bewertungskriterien
Um die für eine Abgrenzung relevanten Aspekte der Höhe der finanziellen Auswirkungen im Vergleich zur disponiblen Finanzmasse sowie der Dauer, der Disponibilität und des Realisierungsgrads der Belastungen in einem abgestimmten Modell berücksichtigen zu können, bedarf es eines durchgängig einheitlichen Bewertungsrahmens. Da es sich bei dem budgetären Gestaltungsspielraum des Parlaments letztlich um eine haushaltsmäßig quantifizierbare und damit in Zahlenwerten darstellbare Größe handelt 1097 , lassen sich die hier maßgebenden Kriterien, selbst wenn ihnen auch qualitative Aspekte innewohnen mögen, insoweit als Quantitätsmerkmale darstellen. Damit lässt sich eine Vergleichbarkeit der einzelnen Kriterien herstellen, wobei sich hierfür die Form einer mathematischen Darstellung anbietet. Ausgangspunkt des nachfolgenden Gedankengangs ist dabei - anknüpfend an das parlamentarische Budgetrecht als einem wesentlichen Schutzzweck des Finanzvorbehalts - folgendes Axiom: Die Volksgesetzgebung ist unzulässig, wenn die durch das Volksgesetz verursachte Belastung des parlamentarischen Budgetrechts in einer Haushaltsperiode größer als die maximal noch hinzunehmenden Belastung in dieser Periode ist. Das Maß dieser zulässigen Maximalbelastung ist durch einen noch näher zu bestimmenden Vergleichswert zum Ausdruck zu bringen. Damit die Volksgesetzgebung zulässig ist, muss also die vom Volksgesetz ausgehende Belastung des Budgetrechts in der Haushaltsperiode kleiner als der ent1097 Vgl. Fessmann BayVBl. 1976, 389 (393).
C. Inhaltliche Reichweite des „allgemeinen" Haushaltsorbehalts
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sprechende Vergleichswert oder zumindest genauso groß sein. Bezeichnet man die Belastung des parlamentarischen Budgetrechts mit B und den Vergleichswert mit V, so ergibt sich folgende Aussage: [1]
B