Der Organische Unterricht. Erstes Bändchen [Reprint 2018 ed.] 9783111419459, 9783111055084


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Der Organische Unterricht. Erstes Bändchen [Reprint 2018 ed.]
 9783111419459, 9783111055084

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organische Unterricht. Von

K. F. Schnell.

Die lebendige Bildung muß eine neue Grundlage erhalten. Die Bildung muß v e re in facht werden, indem sie auf ein Grundprincip zurückgeführt wird, das die Herrschaft über den Tod hat.“

Schultz - Schultzenstein.

Erstes Händchen.

Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer.

1856.

Concentration u ii d

organische Vereinfachung des Unterrichts.

Ein

neuer Beitrag zur Kritik, tiefere» Begründung und weiteren Förderung der Sache.

Vorwort.

-

Erster Abschnitt.

Das Princip. Die organische und mechanische Bildungsweise. Ä)ie Organismus und Mechanismus einen Gegensatz bilden, so die organische und mechanische Bildungsweise und Einrichtung des Unterrichts. Wir nennen mechanisch, was sich nicht in und aus sich selber thätig erweist, organisch hingegen, was den Grund seiner Erregung und Thätigkeit hauptsächlich in sich selber trägt und sich daher von Junen heraus entwickelt. Es ist ein großer Unterschied, ob man z. B. einen Kirschkern mechanisch durch Zerschlagen enthüllt oder ob man ihn in die Erde steckt, wo er seiner Zeit durch die Entwicke­ lung seines Kerns die Hülle selbst sprengen wird. Man spricht daher auch von einer organischen und mechanischen Bildungsweise des Unterrichts. Was heißt das? Der Unterricht bezieht sich haupt­ sächlich aus die Bildung des Menschen, des Kindes. Der Schüler ist der Hauptgegenstand, worauf das Denken und Thun, alle Mühe und Arbeit des Lehrers hinzielt. Der Unterricht muß daher der Natur und Einrichtung des menschlichen Wesens angemessen sein. Wer dies nicht erkennt und zugiebt, verdient nicht, Lehrer zu sein. Denn er wird die Kinder nicht bilden, sondern verbilden, nicht er­ ziehlich unterrichten, wohl aber mißhandeln und verderben. Schnell, ctg. UutevriAt,

1

2 Was seiner ganzen Natur nach organisch ist, muß dieser seiner Natur gemäß behandelt werden, also organisch.

Der Mensch ist

nach Leib und Seele organischer Natur, ein organisches Wesen.

Will

man richtig auf ihn einwirken, so muß man auf ihn also nickt wie ans ein seelen- und wesenloses Ding, sondern wie auf einen Orga­ nismus einwirken.

Das Geheimniß der Erziehung und des Unter­

richts liegt in der Natur des Menschen: es liegt im Organismus. Nur wer die Idee des Organismus begreift, vermag, die übrige» Eigenschaften und Kenntnisse vorausgesetzt, ein richtiger und tüch­ tiger Erzieher und Lehrer zu werden.

Den Gegensatz zu dem or­

ganisch bildenden Erzieher und Lehrer finden wir in dem mechanischen. Der organische Lehrer und der mechanische werden sich nie mit ein­ ander befreunden und vereinigen; sie sind als solche geborne Feinde und sollen es sein und bleiben.

Denn diese Gegensätze lassen sich

nicht in einer höhern Einheit ausgleichend vereinigen. Wie es sich jetzt fast auf allen Lebensgebieten darum handelt, ob die Idee des Organismus oder ob der todte Mechanismus zur Herrschaft gelange und im ersteren Falle gesundes Werden und Ge­ deihen die Folge sei, oder im anderen Auflösung und Verderben, so auch bei der Erziehung und dem Unterrichte.

Auch hierbei tritt

der alte Gegensatz scharf genug hervor, so daß auch der pädagogische Streit, immerhin zur Entwickelung der Wahrheit nothwendig, we­ niger ein Streit um äußere Dinge und Einrichtungen, als vielmehr um Principien und Ideen ist.

Siegen die richtigen Anschauungen

und finden sie endlich allgemeinen Eingang, so wird uns das in der alltäglichen Schulamts-Praxis ein gutes Stück vorwärts hel­ fen. — Die vielen pädagogischen Regeln, die immer noch in Brauch sind und von pädagogischen Handwerkern bis zum Ueberdruß und Ekel aufgestellt werden, thun es nicht; sie verwirren oft mehr, als sie nützen, zumal nicht selten die eine Regel der andern, wenn nicht geradezu, so doch verdeckt widerspricht.

»Einzelne

Regeln

ohne

den Geist der Erziehung sind ein Wörterbuch ohne Sprachlehre.« I. Paul.

3 Die Hauptsache sind richtige Grundanschauungen und Grund­ gesetze.

Wer diese erkennt und in sich klar und bewußt ausbildet,

kann der zahllosen Handwerksregeln entbehren; er wird sie, wenn und wo sie nöthig sind, in bewußter Praxis selbst finden, sie wer­ den sich ihm aufdrängen. fremder Leitung folgen.

Wer dessen nicht fähig ist, muß billig Das geht nun einmal nicht anders, im

Leben so wenig als in der Schule. organische Bildung,

Wir Lehrer müssen darum eine

wir müssen vor Allem die richtigen Grund­

ansichten vom Menschen und dem Leben zu gewinnen suchen, ins­ besondere aber lernen, wie der Unterricht in organischer Weise ein­ zurichten und durchzuführen ist. Ein solches gründliches Wissen hat für jeden Schulmann ohne Ausnahme um so mehr Werth und Bedeutung, als dadurch der nachhaltige Erfolg seiner Arbeit hauptsächlich mitbedingt ist, und als er nur dadurch in seinem so schwierigen als mühsamen Berufe die andauernde Befriedigung und einen unversiegbaren Springquell der Freude und Kräftigung zu finden vermag. Erkenntniß entsteht die rechte Liebe

Denn aus der rechten

und das rechte Wohlgefallen,

die rechte That, Treue und Freude, wie die Frucht aus dem Licht­ leben der Blüthe.

Ueberdies gilt, wenn irgend wo, so hier das

Wort fort und fort: "Den schlechten Mann muß man verachten, Der nie bedacht, was er vollbringt.« Ja, es gilt ganz besonders von dem Schulmanne, da, wie der ehrwürdige Schwarz sagt: "Wer Menschen bildet, das Göttliche auf­ stellt, so daß das Erziehungs- und Lehrgeschäft zu den Ideen der höchsten Menschenbildung gehört.-- — Diese Vorbemerkungen deuten zur Genüge an, wie wichtig es sei, das Erziehungsgeschäft, die Erziehungs- und Lehrknnst der lebendigen Natur des Menschen gemäß einzurichten und auszuüben.

Das hat schon Rattich, später Amos

Comuenius gewollt; das wollte

hauptsächlich auch Pestalozzi.

Viele seiner Anhänger und Nachfolger haben diesen Grundgedanken nicht festgehalten und noch weniger weiter entwickelt und verfolgt, 1*

4 obwol es für sie um so leichter gewesen wäre, als in neuerer Zeit die Wissenschaft von dem Menschen namhafte Fortschritte gemacht hat. Man bedenke nur, waö ein Schubert, Heinroth, Burdach, Carus, Beneke, Jdeler, Fortlage, Schultz-Schultzenstein und viele andere namhafte Männer in dieser Beziehung geleistet, was auch Phrenologen von Gall bis auf Scheve an ihrem Theile in diesem Betracht gefördert haben. Bevor wir auf die Hauptaufgabe dieser Schrift eingehen, ist es nöthig, einen prüfenden Blick auf die organische und mechanische Auffassung der menschlichen Seele zu richten, da jener Gegensatz der Bildungs- und Unterrichtsweise darin wesentlich begründet ist und die hier näher zu begründende Einrichtung des Unterrichts in der organischen Bildungs-Idee wurzelt. Die Einen sagen: Auch die menschliche Seele, die innere Per­ sönlichkeit des Menschen, ist in ihrer Art ein Organismus und ent­ faltet sich daher gleich allem Organischen aus einem Keime von Innen heraus, so daß sie dazu eben nur der Anregung und Bethä­ tigung von Außen bedarf. "Es ist die Aufgabe des menschlichen Geistes, sich selbst zu bilden und seine Schöpfung durch Verjüngung und Wiedergeburt zu vollenden. Dies kann er, wenn die Bildung naturgemäß sein soll, nicht nach anorganischen, sondern nur nach den organischen Bildungs­ gesetzen vollbringen, weil der Mensch selbst organischer Natur ist. Die organischen Ideen müssen von Innen geboren werden, aber nicht aus der Außenwelt eingeprägt, wie der Rübezahl und der Donnergott.« "Wie das organische Leben der Außenwelt als Lebensbedingung bedarf, um durch Ernährung zu wachsen, die Stufen des organischen Lebens abhängen von der Macht, mit welcher das Leben die Herr­ schaft über den todten Stoff gewinnt und dessen Thätigkeitsgesetze überwältigt, so auch der menschliche Geist. Er muß von der Außen­ welt gebrütet und ernährt werden; er muß durch sinnliche Assimi­ lation wachsen." Schultz-Schultzenstein.

5 Diejenigen, welche der organischen Anschauungsgungsweise des

menschlichen

Wesens

huldigen,

und Erre­

erkennen

in

dem

Menschen --Angebornes" an und gehen bei der Erziehung und beim Unterrichte von dieser --Annaburt,-- wie es unsere Altvorderen so kräftig als treffend bezeichneten, aus.

Ihr Princip ist

einerseits

das der Bethätigung, der Ernährung und Erregung und an­ dererseits daS der Verjüngung und.Wiedergeburt, der Entwicke­ lung, wie sich diese Grundgesetze des Lebens in allem Lebendigen kundgeben, und namentlich in der evangelisch-biblischen Anschauungs­ weise klar und entschieden ausgesprochen sind. Wir sprechen daher von Seele,"

und

verstehen

"Anlagen, Gaben und Kräften der

darunter

die

dem Menschen

theils allgemeinen, theils besonderen Kräfte Allgemeinen gesprochen:

angeborenen

und Fähigkeiten,

im

den organischen Keim des persön­

lichen Lebens. "Ob das Himmelreich aus

den Wolken

und Gewittern der

Außenwelt kommt, oder ob es innerlich aus den Herzen der Men­ schen geboren wird und aufwächst, ist ein großer Unterschied," be­ merkt Schultz-Schultzenstein, und in dem Worte des Lebens heißt es kurz und gut: "Das Reich Gottes ist inwendig in euch."

Auch

sind dieser Lebensanschauung viele Schulmänner bereits entschieden zugethan; die Begriffe --Leben-- und --Entwickelung" sind ihnen we­ sentlich Eins. --Das Princip der Entwickelung ist unserer Zeit bereits allge­ mein zum Bewußtsein gekommen.

Was die von den Momenten

der Zeit angeregten Menschen wollen, bekundet der häufige Gebrauch des Wortes --entwickeln."

Es fehlt in keiner Rede.

Und in der

That bezeichnet dies eine Wort Alles, was der gesunde, kräftige Mensch bedarf und wünscht. Sich entwickeln.

Was will das zur Geburt reife Kind?

Der Säugling, der Knabe, das Mädchen?

Die

Jungfrau, der Jüngling?

Der Mann, die Frau?

Entfaltung, Entwickelung.

Und selbst der Greis, der lebensmüde,

der Mensch auf dem Sterbelager?

Alle dasselbe:

Aus der Puppe des hinster-

6 benden Leibes entwickelt sich der Schmetterling der frei werdenden Seele.

Und so durch die ganze Natur, durch alle Räume des Him­

mels.

Darum hat wohl auch der Lehrer recht, dieses eine Wort

von so allgemeiner, mannichfaltiger und tiefer Bedeutung zu seinem Shmbolum zu wählen.

Er kann sein Lebenlang darüber nachdenken,

er wird seinen Begriff und die Anforderungen, die derselbe an ihn macht, nicht ausdenken."

Diesterweg.

Andere dagegen sind freilich ganz anderer Meinung; sie meinen, Kräfte in der Seele machen zu können und machen zu müssen. Als Beleg zu diesem Satze diene des Beispiels halber das Wort eines tiefsinnigen Denkers, eines Herrn MiquÄ, der bei Ge­ legenheit seiner geistvollen "Bemerkungen am Studirtische" in der Monatsschrift von F. Löw, Heft 3, S. 205 mit Bezug

auf die

"Methodik und Organisation des Elementar- und Volksunterrichts-vom Verfasser derselben und dieser Zeilen sagt: "Der Verfasser ist reich an allgemeinen Bezeichnungen eines guten Unterrichts, die aber theils etwas sehr altes, wie z. B. --erziehend," oder sehr unrichtig, wie z. B. --organisch-- enthalten.

Denn er

versteht unter diesem

Letzteren, daß die Entwickelung des Menschen von Innen heraus komme.

--Die Erziehung kann den jungen Menschen nicht

aus eigener Machtvollkommenheit und nach eigenem Be­ lieben zu etwas machen wollen.--

Dies Wort von uns führt

Hr. Miqu^l als Beweis für unsere Behauptung an und wir sind ihm dafür nur verbunden. er,

wie

billig,

Dann fährt Hr. MiquÄ fort, indem

seine Weisheit

unserer

Thorheit gegenüberstellt:

--Gewiß kann sie das, und es wäre Thorheit, wenn sie annähme, daß Alles, was sie in der jungen Seele macht, nur das Erwecken schlummernder Kräfte sei; sie macht im Gegentheil Kräfte und soll es thun, damit nicht andere Einflüsse verderbliche machen.

Davon

hat der Verfasser, der noch tief in dem alten mythologischen Seelenvermögen steckt, freilich keine Ahnung.-Pas heißt wenigstens offen und deutlich gesprochen von Herrn Miqusl --am Studirtische,-- wiewol wir in keinem Seelenvermögen

7 stecken, sondern diese letzteren mit des Philosophen, in uns.

Erlaubniß

des Herrn Miqusl,

Wenn seine Sprüche von seinem hohen

Olymp herab, dem »Studirtische,» auch gerade leine Göttersprüche sind, so beschäftigen wir uns doch mit ihnen, wie gesagt, des Bei­ spiels halber.

Ein moderner Prometheus verdient das schon, zumal

er Einem nicht alle Tage in

solcher liebenswürdigen Offenheit be­

gegnet. Daß die von uns vertretene Anschauung und unterrichtlich er­ ziehende Behandlung der aufkeimenden Menschenseele jener des Herrn Dr. Miquäl geradezu entgegenstehe;

daß der Grund unserer Auf­

fassung etwas alt sei, älter sogar als die immerhin sinnige Auffassnngsweise der alten Griechen, so alt als die lebendige Natur, als das Leben selbst; daß wir, wie er sagt, keine »Ahnung"

von seinem Machen

haben; daß wir im Verhältniß zur Miqusl'schen

Weisheit der »Thorheit» huldigen: dies und noch nianches Andere, was uns unser guter Freund, der originelle Herbartianer am Studirtische, wo er der wirklichen Lebensanschauuug natürlich entrückt ist, zu sagen beliebt, können wir uns in unserer Natureiufalt schon ge­ fallen lassen und geben wir ihm gern und ohne Widerrede zu, nur mit der einzigen Einschränkung,

daß

wir von

seinem »Machen»

mehr als eine Ahnung, nämlich sogar eine Kenntniß, ja mit seiner gütigen Erlaubniß sogar eine Erkenntniß haben trotz aller Abnei­ gung,

die

wir dagegen

aus

dem innersten Grunde des

Herzens

empfinden. Es wird diese Weisheit ja fort und fort in Schriften gelehrt und gepriesen, und in der alltäglichen Schulpraxis eben so breit­ spurig und großthuerisch ausgeübt, Geltung zu Menschen,

verschaffen sucht. »gemachte Genies»

wie sie sich dort immer noch

Und wem

wären nicht »gemachte»

genug bekannt, und wer hätte nicht

mit dem »Gemachten,» mit dem Aus- und Angeklebten in und an sich selber immer aufs Neue zu kämpfen?

Herr Miquol allein

ganz gewiß nicht. Mancher mag in seinem ganzen Erdendasein das nicht wieder

8 los werden, was an ihm verpfuscht und gemacht worden ist; denn gar Mancher kriecht aus dem Larvenzustande nicht heraus, in wel­ chem er entweder eingesponnen worden ist oder sich selbst eingespon­ nen hat.

Unsere Ansichten, unsere Künste, selbst das Heiligste und

Beste, was der Mensch hat und haben kann: die religiösen Ge­ fühle und Wahrheiten sind nur darum so oft etwas Aeußeres und Aeußerliches, weil sie eben nur gemacht, nur äußerlich durch bloße Worte und Redensarten aufgeklebt, weil sie nicht aus dem Grunde und Urgründe des Lebens geboren sind und nicht fort und fort sich daraus verjüngen und erneuern. Es würde ohne Zweifel wenigere ungezogene Gebildete geben, weniger Mißvergnügen und Mißklänge, weniger verschrobene Köpfe und todte, böse Herzen, weniger Scheinbildung und geistige und sitt­ liche Unfreiheit und Knechtschaft, wenn nicht die mechanische Bil­ dung immer noch vorherrschte und an den Menschen zum Schaden und Verderben ihrer Seele

herumpfuschte;

wenn nicht in

Folge

dessen die tüchtigsten Kräfte gar oft ruinirt, die unbefähigteren da­ gegen nicht selten auf eine Höhe der Bildung geschraubt würden, auf die sie so wenig gehören, so wenig sie sich darauf befriedigt fühlen und Andere dauernd und wahrhaft zu befriedigen im Stande sind. Darum wird es gut sein, uns den unvereinbaren Gegensatz der organischen und mechanischen Auffassung und Bildung des Menschen klar zu machen und ihn in seiner ganzen folgerechten Schärfe hin­ zustellen. — Diejenigen, die sich der organischen Auffassung und Behand­ lung des jungen Menschen befleißigen, sind weit entfernt davon, der Jugend vermittelst des Unterrichts den Bildungsstoff etwa einzu­ trichtern und aufzuzwingen,

sie damit und davon

vollzupfropfen,

weil sie weit davon entfernt sind, durch Ansetzung geistigen Stoffes den Geist wachsen und in ihm Kräfte im Sinne der Keime und Anlagen »machen« zu wollen.

Läßt sich ja nicht einmal an den

Leib etwas ansetzen und wenn auch an ihm »machen,« so doch im­ mer nur etwas Verkrüppeltes, wie z. B. bei den vornehmen Chine-

9 sinnen die kleinen Füße, und bei unseren Modedamen die wespen­ artigen, zerbrechlichen Leiber, wie

bei

manchen

Indianerstämmen

die viereckigen Schädel. — Die Kunde und Kunst ist dem organisch schauenden und wir­ kenden Lehrer nur ein bescheidenes Mittel dazu, daß sich der jugend­ liche Geist rege und entfalte, daß er seine Schwingen entwickele und gebrauchen lerne; daß sich, mit andern Worten, die Keime mit ihren Entwickelungen, den lebendigen Kräften des individuellen Lebens von Innen heraus, gleich der Knospe, Blüthe und Frucht und der gesammten Pflanze aus einem Grundkeime, in welchem sie grundrißlich vorgebildet liegen, ausgestalten. Das zeigt sich beispielsweise so ganz klar und deutlich an der Sprache des Menschen.

Wäre sie ihm nicht der Anlage nach an-

und eingeboren, so würde es ein Ding der Unmöglichkeit sein, sie als den Träger und Organismus seiner geistigen Entwickelung von Außen zu bethätigen und zur Erscheinung hervorzurufen; sie ist in und mit seiner gesammten Organisation gegeben und wird nur von Außen ernährt und geweckt, um sich, wie die Pflanze aus dem Keime, zur organischen lebendigen Kraft und Gestalt zu entfalten.

Daß

dabei diese oder jene Laut- oder Wort- oder Satzverbindung, obwol auch diese ihren inneren Grund hat, das Wesentliche nicht sei, be­ darf keines Beweises. — Und

weil eben bethätigend und erregend, ernährend und ent­

wickelnd, darum ist die organische Bildungöweise nicht die übereilende und abstracte, sondern die stetige, allmählige und von dem Leben, von Anschauungen ausgehende und zum Leben und lebensvollen An­ schauungen hinführende. --Alles, was lebt,

ist Organismus.

Was Organismus ist,

entwickelt sich, das heißt, es setzt sich aus der Unbestimmtheit in die Bestimmtheit, aus der Einheit in Vielheit. weil Setzen, ein Nacheinander, Zeit. geht die Entwickelung vor sich.

Entwickelung aber ist,

Nur in der Zeit und als Zeit

Entwickelung fordert Allinähligkeit.

Nicht mit einem Schlage ist der Organismus fertig, er wird.

Auch

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der des Geistes. Haufen hilft nicht zum Schnellsein. Nicht in Sprüngen kann man weite Reisen machen, sondern in bedächtigen Schritten. Entwickeln muß daher der Lehrer, beim Einzelnen an­ sangen und zum Allgemeinen fortgehen; den Geist des Zöglings aus der Unbestimmtheit immer mehr zur Bestimmtheit herausarbeiten; das Werden des Organismus der Natur ablauschen, und dann bei der Erziehung also thun. Mit Milch muß der Geist zuerst genährt werden: der Lehrer muß die geistige Mutter des Kindes fein, an deren Brust es Nahrung für Herz und Geist einsaugt. Erst später darf Brot und Butter und ganz spät erst Erbsen und Fleisch ge­ nossen werden. Wird dem Kindesorganismus etwas geboten, was nicht dem bereits in ihm Vorhandenen ähnlich ist, so kann keine wahrhafte Endosmose stattfinden und keine lebendige Neubildung von Zellen eintreten. Eile mit Weile." K. Schmidt. Vater Pestalozzi war bekanntlich auch dieser gesunden Ansicht, obwol gar manche seiner Nachbeter in einem ganz anderen Sinne verfahren, und daher den kindlichen Geist wahrhaft nothzüchtigen, um nur, wie es scheint, dem Kinde seine Kindheit und Kindlichkeit, die Frische und Kraft der Unmittelbarkeit seines Gefühls und seiner Anschauung zu rauben. »Mensch, Vater deiner Kinder," sprach er, --dränge die Kraft ihres Geistes nicht in ferne Weiten, ehe er durch nahe Uebung Stärke erlangt hat und fürchte dich vor Härte und Anstrengung. Wenn die Menschen dem Gange dieser Ordnung voreilen, so verstören sie in sich selbst ihre innere Kraft und lösen die Ruhe und das Gleichgewicht ihres Wesens im Innern auf. Sie thun dies, wenn sie eher, als sie durch Realkenntnisse wirklicher Gegenstände ihren Geist zur Wahrheit und Weisheit lenksam gebildet haben, sich in das tausendfache Gewirr von Wortlehren und Meinungen hinein­ wagen und Schall und Rede und Wort anstatt Wahrheit aus Real­ gegenständen zur Grundlage ihrer Geistesrichtung und zur ersten Bildung ihrer Kräfte machen." Ferner läßt sich laut aller Erfahrung nicht läugnen, daß, wie

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es höchst verschiedene Berufsarten giebt, ebenso von der göttlichen Weisheit ursprünglich gegebene Anlagen und Fähigkeiten und Nei­ gungen denselben in den verschiedenen Persönlichkeiten entsprechen. ■— Aus dem Allen folgt? — Daß der gute, organisch entwickelnde Unterricht nur eine Ernährung, Anregung und Anleitung zum Selbst­ lernen, zum Selbstwerden sein könne und sein müsse, und wenn schon Mittheilung und in der Mittheilung Richtung und Uebung der Kraft, so doch immer nur im Sinne der Bethätigung und An­ regung, der Beihülfe und Unterstützung behufs Selbstentfaltung der gottgegebenen Natur und Persönlichkeit. »Der Unterricht ist Mittheilung,» — das hat einer unserer gediegensten Schulmänner schon längst gesprochen, — »jedoch, wie alle Mittheilung in der Natur, nur Erregung. So theilt ein Kör­ per dem andern Bewegung dadurch mit, daß er die dem letzteren eigenen Bewegungskräfte in ihm aufregt und zur Bewegung be­ stimmt. So theilt das Licht dem Auge das Sehen mit, indem es die, diesem Organe eigenthümliche Sehkraft zur Thätigkeit, zum Sehen erregt, welches eine dem Lichte der Natur ähnliche Thätig­ keit ist. So theilt sich der Schall dem Ohr mit, indem er das Ohr und seine Nerven zum Hören erregt, d. h. zu einer ähnlichen Bewegung, wie diejenige ist, die sich aus dem schallenden und tö­ nenden Körper durch die Luft verbreitet. So theilt sich endlich bei der Zeugung, z. B. im Pflanzenreiche der Blüthenstaub der Narbe mit, nämlich auch nur erregend, indem er in letzterer das schluminernde Leben aufweckt, damit es nun wirkend und schaffend, in seinem Stoffe diesen zur Frucht ausbilden könne. Und nur in diesem und in keinem anderen Sinne ist auch der Unterricht eine Mittheilung.» Blasche. Die ab- iittb zurichtende mechanische Bildung ist und kennt keine solche Ernährung, Erregung und Bethätigung, keine solche Entwickelung und Erneuerung von Innen heraus. Das ist ihr eitel Thorheit und Unverstand. Ihre Wahrheit und Weisheit besteht in dem reinen Gegentheil, in dem beliebigen und willkürlichen

12 Gestalten von Außen nach Innen, vulgo "Machen." »Die Er­ ziehung macht Kräfte und soll es thun," sagt und betont unser Gewährsmann, Herr Dr. Miquel, und das ist zweifelsohne ein Meistersprnch — in seiner Art, würdig eines modernen Prometheus. Denn der Ausdruck "Machen« ist hier unübertrefflich gebraucht: er ist schlagend. — Die mechanische, machende Bildungsweise ist die seelenverbil­ dende und seelenverderbende; sie behandelt die lebendige, persönliche Seele als ein Ding; sie arbeitet daran roh und blind herum, sie zwingt ihr Worte ohne Anschauung und Verständniß auf; sie meint Kinder z. B. durch vieles Lesen in Büchern bilden zu können; sie gestattet nicht, daß der jugendliche Geist sich von Innen rege und ausgestalte; sie macht das anorganische Wissen und Können, das todte Viel- und Vielerleiwissen; sie maltraitirt den Menschen als persönliches Wesen, sie entnervt seinen Leib und seine Seele, sie handelt verbrecherisch. Und wie ihre Weise blind und gewaltsam ist, so natürlich das Product gelähmt und todt, und wenn noch lebend, so doch an­ maßend und aufgebläht, nicht selten dabei bewußt oder unbewußt mit verborgenem oder offenem Groll gegen Die erfüllt, welche diese Verunstaltung in ihrer Afterweisheit zu Wege gebracht haben. Oder ist es etwa nicht der Fall, daß ein Menschenkind fertig lesen und schreiben und rechnen und selbst sprechen, viel wissen, ja sogar von der Religion viel wissen, und doch dabei ungebildet, unerzogen und ungezogen, unreligiös und unsittlich durch und durch sein könne?-----Rückert singt und sagt: "Vor Jedem steht ein Bild des, was er werden soll; So lang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll." Das ist's! Der von dem Gedanken der organischen Bildung durch­ drungene und geleitete Erzieher und Lehrer achtet dies Urbild, und damit zugleich die besondere, eigenthümliche Bildungsfähigkeit des Zöglings, dessen besondere eigenthümliche Persönlichkeit; er ist be­ sorgt und bestrebt, jenes Bild des Einzelnen zu erschauen und har-

13 «ionisch zu beleben: die von dem Schöpfer gegebene geheiligte Natur und Wesenheit ist ihm heilig. Der machende Lehrer hat davon kaum eine Ahnung, geschweige ist er bemüht, das Ureigene aufzufinden und zu pflegen; er macht aus dem Kinde, was ihm gefällt; er ist der pädagogische Charlatan, der aus Allen Alles macht, oder doch zu machen vorgiebt und ver­ spricht, und weil er keine Gaben und Kräfte als angeboren und verliehen anerkennt, nichts Ureigenes, Gegebenes kennt und will, so macht er nach Willkühr, was er will, aus Thon, Holz oder Stein allenfalls einen Zeus. Und das ist nicht so gar schwer. "Eine leichte Kunst ist es, Maschinen aus Menschen zu schnitzen; aber die menschliche Natur in ihrer Würde zu lassen und ihren Kräften zu ihrer vollkommenen Entwickelung behülflich zu sein, das ist eine schwere Kunst," be­ merkt Förster. In jedem Falle gehört dazu viel Einsicht und Ver­ stand, genaue und tiefe Kenntniß und Erkenntniß des Menschen und des Lebens, viel Selbstüberwindung und Demuth, und endlich jeden­ falls ein höherer und tieferer Kunstsinn, als dazu erforderlich ist, aus Holz oder Stein oder mit Griffel und Pinsel eine schöne Figur zu schaffen, und wäre es auch ein Kopf, eines Raphaels würdig. Das anerkannte schon der ehrwürdige Chrhsostomuö: "Höher als jeden Maler, als jeden Bildhauer und alle anderen ähnlichen Künstler achte ich denjenigen, der jugendliche Seelen zu bilden ver­ steht. " In der That! Der natur- und kunstsinnige Gärtner freut sich seiner Blüthen und Bluinen und pflegt ihre Entfaltung mit treuer sorgsamer Hand. So der Erzieher und Lehrer in seinem Jugendgarten. Die Kinder ihrem innersten Eigenleben gemäß anzuregen, zu veredeln und in ihrer gesunden Entwickelung zum "ewigen Le­ ben« zu fördern, ist sein seliges Geschäft, seine heilige, über die Er­ scheinung der Dinge hinausreichende Kunst und Würde. Der organisch erziehende Lehrer fühlt und weiß sich als Diener und Gehülfe der fort und fort von Innen herausschaffenden und

14 bildenden Kraft, des lebendigen Gottes, der mechanische

gebehrdet

sich gleich dem auf der Scheibe sitzenden Töpfer, und wenn er sich auch nicht ein Schöpfer zu sein dünkt, denn bis zu dem Gedanken des Schaffens erhebt er sich gar nicht, so beansprucht doch er vor Allen die Würde der Meisterschaft, die Seele, das Ding, als eine

tabula rasa betrachtend und behandelnd, der er natürlich die Spur und das Bild ein- und aufdrückt, das ihm beliebt, das aber in der Regel höchstens ein Conterfey von ihm selber, sein Idol ist. Er gleicht dem charlatauen Arzte, der nicht minister, sondern

maglster naturae sein will und zu sein behauptet;

und in dem

abstracten Formalismus, in dem er bis über den Kopf steckt, finden wir es ganz natürlich, daß er den Kräfte

wahnwitzigen Gedanken faßt,

in dem Menschen und den Menschen

selbst "machen« zu

wollen. Haben wir es doch oft genug erlebt, daß die abstracte, boden­ lose Speculation den lebendigen Gott sowol, als die lebendige, or­ ganische Natur rein nach Belieben construirte

und postulirte und

so folgerichtig zur reinen Verneinung gelangte, statt daß es eben nur klug und verständig gewesen wäre,

das

(positiv) Gegebene in

Natur und geschichtlicher Offenbarung und Entwickelung in seiner Wahrheit und Weisheit zu erkennen und so der Wahrheit und Weis­ heit und dem Leben einen dankenswerthen Dienst zu erweisen. Und die abstracten Psychologen und Pädagogen machen es mit dem lebendigen Menschen nicht um einen Deut besser und mißhandeln ihn demgemäß geradezu.

Sie haben nicht das concrete, heilige Ur­

bild der Menschheit, wie es in Jesum Christum in reiner, vollen­ deter Wahrheit persönlich erschienen ist, vor Augen und im Herzen, sondern ihr eigenes liebes, die wirklichen darnach

sollen

oft sehr winziges Ich; darnach werden

lebendigen Persönlichkeiten gemessen und müssen diese sich

und behandelt;

machen und modeln

lassen,

darnach kritisiren und negiren solche Leute Alles, zuletzt folgerecht sich selbst. — Daß es leider nur zu oft gelingt, aus den Menschen, aus den

15 hülflosen Kindern, die sich das wohl oder übel gefallen lassen müssen, Manches zu machen, sogar Karicaturen und noch viel Schlimmeres, wer möchte es leugnen? Wenn die Geschichte so mancher unglückseligen Seele bekannt würde, wir würden, fürchten wir, nur zu oft in der verkehrten unterrichtlichen und erziehlichen Behanrlnng den Schlüssel finden zu ihrem Elende oder schmählichen Untergange. Man gehe in die Häuser der Unglücklichen und Gefangenen und inan wird finden, daß die Mehrzahl sehr befähigte Menschen, oft die begabtesten Köpfe sind. Auch haben ja viele der größten Männer aller Zeiten bekannt, daß sie nahe daran gewesen seien, Taugenichs und Bösewichte zu werden. Theilweiö mag der Erklä­ rungsgrund davon wol darin liegen, daß bei begabten, vollkräfügen Naturen die Triebe und Strebungen mächtiger hervortreten und ihre richtige Leitung und Behandlung daher schwieriger ist, als bei minder begabten, theilweis aber auch gewiß darin, daß solche Natnren von ihren Eltern und Lehrern nicht richtig erkannt und be handelt worden sind. Letzteres ist um so wahrscheinlicher, als viele der begabtesten Männer in ihrem Knaben und manche selbst noch im angehenden Jünglingsalter von kurzsichtigen und mechanischen Lehrern die einfache Auszeichnung "Dummkopf« erhalten haben, und der Eine oder Andere gehörige «Bakel« obendrein. Wir erin­ nern hier nur an Linnöe und die Brüder v. Humboldt. Das unbegreiflich zu nennen, dazu möchte gerade kein Grund vorhanden sein. Einerseits sind auch die besten Erzieher nur Men­ schen und keine Engel, dann aber gehört viel Einsicht und Beob achtungsgabe dazu, um die eigenthümlichen Fähigkeiten, zumal tut jugendlichen Alter dem Keime nach zu erkennen und richtig zu leiten. Ist schon ein feiner Lerstaitd und ein feines Gefühl erforderlich, um ein gutes Wort in seiner Tiefe und Schärfe zu verstehen und zu würdigen, so gehört doch noch viel mehr dazu, einen Menschen nach seinem ganzen Sein und Werden zu beurtheilen, so leicht sich das auch viele Leute machen und daher nur zu oft einander leicht-

16 fertig und oberflächlich bekritteln. Ein verständiger Mann hat die Regel aufgestellt: "Achte leinen Menschen als zu unbedeutend." Das sollten sich besonders die Erzieher und Lehrer merken, um so mehr, als die ausgezeichnetesten Gaben und Kräfte des Geistes, ähnlich den besten und schönsten Früchten der Pflanzen, sehr allmählig und oft erst spät zur Entwickelung und Reife gelangen. — Und so wird der organische, der individualisirende Lehrer und Er­ zieher am wenigsten in seinen Anforderungen zu weit gehen, weil er eben die Geister nach Anlagen und Fähigkeiten zu unterscheiden sucht und weiß, weil er eben aus Beobachtung und Erfahrung das große, erhabene Gesetz der Mannichfaltigkeit kennt und ehrt, und sich dessen freut, statt es mit dunkel- und frevelhaftem Sinne nieder­ zutreten und zu höhnen. Endlich beachte man noch ein Wort von Tegnvr: "Der Lehrer kann sich trösten, wenn die größere Zahl seiner Schüler nur mittelmäßige oder geringe Anlagen hat; denn nirgends auf Erden giebt es alle Jahre gleiche Ernten und hierüber muß man sich mit dem allgemeinen Lose der Menschheit trösten." Wie dem aber auch sei, alles das giebt viel zu denken, und sollte uns Erzieher und Lehrer doch mindestens dahin führen, bei Beurtheilung und Erziehung der Kinder nicht willkührlich, nicht mechanisch zu verfahren und am wenigsten Kräfte anmaßend »machen" zu wollen. Lassen sich das selbst die sogenannten mechanischen Köpfe nicht einmal gefallen. Wie viel mehr mag mancher vortreffliche Kopf, mancher der Anlage nach tüchtige und große Character durch eine verkehrte, ober­ flächliche, willkührlich mechanische Behandlungsweise schon in der Kindheit und Jugend in seinem urkräftigen und eigenthümlichen Entwickelungsgänge gestört, und aus diese Weise in sich und mit Gott und den Menschen zerfallen, auf die abschüssige Bahn des Verderbens und Verbrechens oder mindestens eines ungeordneten, fruchtlosen und mißvergnügten Lebensganges gedrängt worden sein. Genug, die Erziehung soll die schlummernden Keime und Kräfte wecken und anregen, die werdenden pflegen, die Triebe leitend und



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richtend veredeln, die Fähigkeiten kräftigen und stärken, Disharmonie tut innern Leben mit zartem Sinne ausgleichen helfen; sie soll den Boden lockern, soll säen und begießen; sie mag auch ab und zu in einzelnen Fällen, wo es Noth thut, scharf drein greifen rc.; aber wir erachten es für sehr gefährlich, für verderblich und darum für unerlaubt, bei der Erziehung und Bildung des Menschen etwas Be­ liebiges "machen-- zu wollen, mit eigenmächtiger Hand in die Kraft und Eigenthümlichkeit des Einzelnen hineinzugreifen und stimmen daher vollkommen dem ehrwürdigen Schwarz bei, der in der Ein­ leitung zu seinem größeren Erziehungswerke bemerkt: daß Einen schon in dem bloßen Gedanken des "Mächens" bei der Erziehung ein wahrer Ekel ergreife und ergreifen müsse, und verweisen in dieser Beziehung auch auf das gediegene Werk: "Lehrbuch der Er­ ziehung und des Unterrichts. Ein Handbuch für Eltern, Lehrer und Geistliche von Dr. W. I. G. Curtmann. Leipzig und Heidel­ berg, Winter'sche Verlagshandlung," das in diesem Jahre in 6. Auf­ lage vollständig erschienen ist, und den Geist ächter Erziehung und Bildung durch und durch athmet. Freilich gehört zu der rechten Erziehung viel, sehr viel Selbst­ überwindung, so daß das, was Herder überhaupt für ein ächt menschliches Leben als Regel aufstellt: "In Andern, Nicht in dir, o Mensch, sei deines Daseins Reiz Und Seligkeit und deines Wirkens Ziel!" doppelt für die Erzieher und Lehrer gilt. Denn wer sein Leben hingiebt, der wird es gewinnen. Doch wird dies nie und nimmer dem mechanischen, sondern nur dem organisch bildenden Lehrer ge­ lingen, denn nur dieser lebt und steht mit dem Schüler in einem wahren, inneren, lebendigen Verhältnisse, sieht und fördert den Ent­ wickelungsgang und Bildnngsproceß mit dem innern Auge des Gei­ stes und ist bei aller Einsicht, Liebe und Treue — bescheiden, was sich sehr wohl mit Klarheit und Entschiedenheit des Sinnes und Characters verträgt. Schnell, org. Unterricht.

18 Das

erhabenste Beispiel eines

ächt erziehlichen Unterrichts,

einer wahrhaft organischen Bildungsweise

haben wir in der Art

und Weise, wie Jesus Christus seine Jünger nach und nach zu dein heranbildete, was sie später werden sollten, wie er überhaupt lehrte und wirkte, trat den in der persönlichen Natur des Menschen gege­ benen Keim des ewigen Lebens zu wecken und zu befruchten.

Hier,

wenn irgendwo, ist die mustergültige Pädagogik in lebensvoller An­ schaulichkeit gegeben. --------------Allerdings giebt eS bei dem Bildungsgeschäfte, wie für den Lehrer, so für die Schüler, insbesondere bei dem Unterrichte in der Schule, eine Art von Mechanismus, der auch nicht wohl zu entrathen ist, wenn und wo eine größere Gemeinschaft auf einem bestimmten Wege zu einem bestimmten Ziele geführt werden soll; allein dieser Mechanismus hat als solcher durchaus nichts mit der naturgemäßen

Ernährung, Bethätigung und

entwickelnden Pflege

der Bildungskräfte zu thun, sondern er zielt neben Erhaltung äußerer Ordnung auf Sicherheit und Fertigkeit des durch vielfältige Uebung zu bewirkenden Könnens in den technischen Dingen und im gere­ gelten ordnungsmäßigen Verhalten und Thun der Schüler, und ver­ dient in dieser Beziehung alle Achtung und Beachtung. Was bei folgerechter Durchführung jener entgegengesetzten Grundansichten, die in der Theorie und Praxis freilich wol nur selten oder gar nicht in ihrer ganzen Schärfe und völligen Getrenntheit auftreten »lögen, nach beiden Seiten hin sich noch weiter crgiebt und nothwendig ergeben muß, überlassen wir dem denkenden Leser. Das Gesagte dürfte den bercgtcn Gegensatz dem Wesen und der Hauptsache nach klar gemacht haben. cipien der Schlüssel zum Verständnisse

Jedenfalls sind diese Prin­ so

mancher Erscheinungen

auf dem zwar stillen und unbemerkten, aber in seinen Folgen weit­ greifenden Gebiete der Erziehung und

des Unterrichts;

und um

nicht dahin mißverstanden zu werden, als ob der organisch bildende Lehrer in seiner Weise auch stets und unfehlbar das Richtige treffen und thun werde, wird schließlich noch die, sich freilich von selber

19

verstehende Bemerkung an rechter Stelle stehen, daß auch der richtig und tiefer sehende Lehrer und Erzieher wegen seiner immerhin be­ grenzten Einsicht und Kunde noch gar mancher Fehlgriffe sich schul­ dig machen werde, oft vielleicht sogar trotz seiner besseren Einsicht und Erkenntniß. Denn auch dem einsichtsvollen Erzieher und Lehrer spielt Herz und Character und äußerer Druck noch gar manchen Streich. Daruin aber eben wird er sein Werk jederzeit mit Be­ scheidenheit und Besonnenheit zu vollbringen bemüht sein, und sich vor groben Mißgriffen und grundfalschen Bestrebungen sorgfältig zu hüten suchen. lind so schließen wir diesen einleitenden Abschnitt mit folgenden, wohlzubeachtenden Sätzen, in die wir diesen Abschnitt zugleich kurz zusammenfassen: "Jeder Mensch ist ein ganz besonderer Mensch. Und so wenig die Sonne aus ihrem Kreise treten kann, eben so wenig vermag der Mensch aus dem durch seine Organisation vorgeschriebenen Kreise seiner Gedanken, Gefühle und Willungen zu treten. Die Gesammt­ heit der Fähigkeiten ist bei jedem Individuum gerade bis auf den Punkt vorgemesseu, wo Gott sein allmächtiges Halt gebot. Die Erziehung soll ivcitcv nichts, als die im Geiste enthaltenen Ver­ mögen in und mit der Zeit entwickeln. Sie soll eine geistige Ge­ burtshülfe sein: das sich von Junen heraus Entwickeln des Orga­ nismus durch 'Anstoß und Leitung fördern, und dem, was als An­ lage vorliegt und werden will, zum Werden helfen. Sie muß der Organisation des Kindes angemessen sein." Dr. K. Schmidt. Anlangend insbesondere den organisch oder niechanisch eingerich­ teten Unterricht, so unterscheidet er sich natürlich dem Wesen nach ebenso wie die organische nud mechanische Bildnngsweise überhaupt. Jener hält namentlich Maß, während dieser maßlos ist; jener strebt nach gegliedertem, innerem Zusammenhange, während' dieser Alles mechanisch durch einander wirst, und jener beachtet daher eine rich­ tige Anseinanderfclgc des Unterrichts, indeß dieser wenig oder gar nichts davon weiß nnd versteht. Doch Maß, Zusammenhang 2*

20 und richtige



Aufeinanderfolge der Lehre und

Uebung

sind drei so wichtige, ja die wichtigsten Hauptpunkte deö organisch eingerichteten Unterrichts, daß die Nothwendigkeit, darüber im Ein­ zelnen ausführlich zu sprechen um so mehr in die Augen springt, als dies bisher unseres Wissens noch nirgends geschehen ist. stehe aber

als ein

Hier

würdiger Schluß dieses Abschnittes ein Wort

unseres in so manchem Betracht ächt pädagogischen Dichters Rückert, das wir uns nicht oft genug wiederholen können: "Alles ist im Keim enthalten, alles Wachsthum ein Entfalten, leises Auseinanderrücken, daß sich einzeln könne schmücken, was zusammen war gewoben; wie am Stengel stets nach oben Blüth' und Blüthe rücket weiter. — Sieh' es an und lern' so heiter zu entwickeln, zu entfalten, was im Herzen ist enthalten. —

Zweiter Abschnitt

Drei Hauptpunkte der organischen Ordnung und Einrichtung des Unterrichts. I. Hauptpunkt. Maß des Unterrichts. E6as ist Maß und wo und wie waltet eS? Maß ist die natürliche Grenze und Schranke eines jeden Din­ ges, einer jeden Schranke überall.

Kraft

und

Thätigkeit: daher waltet Maß und

Wir mögen den Blick zu den Sternen des Him­

mels erheben oder ans das Kleinste der Erde senken, überall

im

Einzelnen und Ganzen tritt uns Begrenzung entgegen. Besondere Bedeutung hat Maß und Schranke für bewußte, sitt­ liche, für persönliche

Wesen, wie wir Menschen sind; es ist ein

Grundgesetz ihres inneren Lebens und Werdens, und wird daher nicht ungerochen übertreten.

Seine Nichtbeachtung führt zur Unfrei­

heit und Knechtschaft, seine Befolgung zum Leben, zur Gesundheit, zur persönlichen Freiheit.

Denn die persönliche Freiheit ist Selbst­

bestimmung, Selbstbegrenzung, und "in der Beschränkung zeigt sich der Meister." Maß gilt also, wo Leben gilt, und soll auch im geistigen Leben überall zur Herrschaft gelangen.

Denn es schützt und bewahrt und

ist doch zugleich der Hebel gesunder Kultur und Selbstendwickelung,

22 ein Quell des Friedens und der Freude.

Daher ,steht das Maß

mit dem Starken im Bunde und macht ihn ruhig und gewaltig in seiner Kraft, aber auch in dem Schwachen zeigt es seine erhaltende und fördernde Macht. Daher ohne Maß und Ziel kein Segen nnd Gedeihen, kein Werden und Vollenden. Und der Unterricht?

Steht er mir allein nicht unter dem Ge­

setze des Maßes, dem Gesetze des Kleinsten und Größten? Eine Frage, die sorgsam erörtert zu werden

verdient.

Der

Unterricht ist in seiner Gesetzmäßigkeit — und gesetzmäßig soll er durch und durch sein — zunächst und zuoberst durch den Schüler bedingt, um deßwillen er ertheilt wird. lebendigen Gesetze seines Werdens,

Das steht fest. — Die

seiner Entwickelung und Ver­

jüngung, ihm einwohnend, sind die maßgebenden für jede Art von Lehre und Uebung, von den Anfängen des Gehens und Sprechens bis hinauf auf die Höhen der Wissenschaft und Kunst, des Glau­ bens und der Liebe der gebildeten Menschheit. Indem der Unterricht vor Allem die Empfänglichkeit und Thätig­ keit des Schülers voraussetzt und in Anspruch nimmt, muß er das natürliche, gesunde Maß

dieser Empfänglichkeit und Erregbarkeit,

nach Alter, Geschlecht rc. verschieden, beachten: eine Forderung, die erst mit dem organischen Unterrichte vollständig gewonnen nnd er­ füllt wird. Schon der alte Quintilian gab daher die Regel: "Es ist daö Geschäft des Lehrers, wenn er mehr auf das Wesen, als auf den Schein hält, daß er bei der Behandlung der noch ungebildeten Ge­ müther ihre Kräfte zuvor prüfe, und nicht gleich belaste, sondern sich nach den verschiedenen Fassungsvermögen der Schüler richte." Ueberschreitet der Unterricht das gesunde, richtige Maß, so hört er auf, ein organischer, lebendiger zu sein, so zerstört er seine eigne Wirksamkeit, so hebt er sich selbst auf und verdirbt und mißbildct den Schüler obendrein.

Ein Unterricht, der die rechten, oft sehr fein

gezogenen Grenzlinien überschreitet, iiberreizt die Erregbarkeit, das

23 natürliche Maß der Empfänglichkeit und res Bedürfnisses, und er­ zeugt beim gesunden Kinde, bei der lebenskräftigen, frischen Jugend jenen oft bemerkten und beklagten Widerwillen, jenen tiefen Ekel und Abscheu gegen das Lernen, ein so natürliches Bedürfniß letzteres auch fein mag und wirklich ist. »Man muß sich aber hüten, daß dem Schüler die Studien nicht verhaßt werden und ihn dann der einmal empfundene Ekel auch über die Jahre der Unwissenheit noch schüttele.» Qnintilian. Ganz anders, ganz entgegengesetzt wirkt das rechte, das ganische, gesunde Maß des Unterrichts.

or­

Dasselbe befriedigt und

kräftigt nicht nur, es weckt auch das Berlangen »ach neuer Nahrung und Uebung, indem es den Lerntrieb,

die edle Wißbegierde, den

geistigen Hunger und Durst, de» Grund- und Lebenstrieb der Er­ kenntniß weckt und nährt, der den Menschen treibt und nöthigt, sich von Innen heraus zu bilden und zu erneuern. Der geistlose, mechanische, ja sogar der an sich gute Unterricht, der aber das gesunde Maß der Kraft und Erregbarkeit überschreitet, wirkt endlich, so ausgezeichnet er an sich sein mag, gleich der besten, zur Unzeit und im Uebermaß genossenen Speise, wie Gift:, er tödtet. — Das kommt unserer Zeit mehr und mehr zum Bewußtsein. Director Curtmann, einer unserer einsichtsvollsten Schulmänner, hat namentlich aus der Bersainmlung der Realschulmänner zu Braun­ schweig im vorvorigen Jahre an das nöthige, gesunde Maß des lknterrichts so angelegentlich als treffend erinnert.

Andere Männer

stimmen darin völlig mit ihm überein. »Weniges, aber das Wenige recht, dies ist der Grundsatz alles ächten Unterrichts.

Vielerlei und alles mir oberflächlich, dies der

herrschende Grundsatz im Unterrichtswesen unserer Zeit, dies der Grnnd des Sinkens aller ächt wissenschaftlichen Enltur, dies zugleich ein Symptom und eine Förderung des allgemeinen Sinkens der sitt­ lichen Tüchtigkeit.

Gründlichkeit des Unterrichts, Gründlichkeit des

Lernens ist eine sittliche Pflicht.

Miau darf nur einen Blick in die

24

jetzigen Schulen und den Geisteszustand der Jugend werfen, um zu sehen, wie sie durch die herrschende Oberflächlichkeit demoralisirt wird. Doch so hoch scheint das Uebel bereits gestiegen zu sein, daß man selbst die Fähigkeit, diese sittliche Erschlaffung und ihren Zusammen­ hang mit dem Unterrichtswesen einzusehen verloren hat. Einen ver­ ächtlichen Character bezeichnet der altgriechische Dichter Homer mit den Worten: --Vielerlei Dinge verstand, doch schlecht ver­ stand er sie alle.-- —> Multum non multa, war der Grundsatz des Unterrichtswesens in einer noch nicht lange vergangenen bessern Zeit. Jetzt hat sich der umgekehrte Grundsatz: multa non mul­ tum, zur Herrschaft erhoben und die Erziehung wird, soll sie zeit­ gemäß sein und den Forderungen der Gegenwart entsprechen, darauf eingerichtet, Menschen zu bilden, welche vielerlei, aber nichts recht wissen.-Heinrich Thiersch. Unsere Behauptungen sind nicht Meinungen, sondern Wahr­ heiten, auf Thatsachen begründet, die Jeder an jedem Kinde täglich erproben und beobachten kann, und die nur von der rohen, gemeinen und gemüthlosen Handwerkerpraxis übersehen und verneint werden. Wo und wie wird aber beim Unterrichte das rechte Maß nicht nne gehalten? Auf diese Frage ist näher einzugehen. Es geschieht, wenn und wo der Lehrer beim Vortrage kein Ende finden kann, wiewol die Lernenden schon längst nicht mehr mit dem Ohr des Geistes hören; wenn und wo man ohne Aufhören ins Breite und Weite katechisirt, so daß die Schüler die Theil­ nahme und Freude an der Sache und an dem Lehrer verlieren und theils verkehrt antworten, theils nur mit großer Mühe zum Sprechen zu bringen sind; wenn und wo man den Schülern nur viel vor­ trägt und sie nicht durch Zwiegespräch, durch Fragen und Ant­ worten zur inneren, lebendigen Theilnahme an dem Unterrichte nöthigt; wenn und wo die Kinder zu viel oder zu wenig zur Reflexion ver­ anlaßt oder gezwungen werden. Jenes Unmaß herrscht nur zu häufig auch in anderer Bezie­ hung beim Unterrichte, weil der unorganische, der mechanische Unter-

25 richt darin vorherrscht, und zum Theil nach den häufigen unzuläng­ lichen äußern Verhältnissen der Schule, z. B. wegen Ueberzahl an Schülern in einer Klasse rc. darin vorherrschen muß. Wenn aber schon Luther die weise Regel aufstellt: "Die Lehrer sollen die armen Kinder nicht mit solcher Mannigfaltigkeit be­ schweren, die nicht allein unfruchtbar, sondern auch schädlich ist; und sollen wohl Fleiß haben,

daß die Kinder nicht überladen

werden,« so bedenke man, was das in heutiger Zeit besagen will, nachdem namentlich in dem letzten halben Jahrhundert nicht nur die Lehr- und Uebungsgegenstände vermehrt, sondern auch die einzelnen Theile jedes Lehrgegenstandes ungemein verzweigt und

ausgebildet

worden sind. Unsere Kindheit und Jugend ist und bleibt aber immer Kind­ heit und Jugend, ebenso bildungsbedürftig und bildungsfähig, als zu Luthers Zeiten, und wenn sich auch die Forderungen des Lebens in Ansehung der Jugendbildung tut Laufe der Jahrhunderte gestei­ gert und die Methoden des Unterrichts verbessert haben, so daß die Schüler jetzt allerdings in verhältnißmäßig kürzerer Zeit ganz füg­ lich mehr lernen können, als vor Jahrhunderten, so kommt doch immerhin "der Verstand nicht vor Jahren", und kann in dem Kindesund Jugendalter nie und nimmer Alles gelernt werden, was dem Menschen Noth thut und frommt zu können und zu wissen.

Das

ganze Leben soll ein Entwickelungs- und Bildungsgang, ein Verjüngungs- und Länterungsprozeß sein.

Dian kann sich auch geistiger

Weise nicht für immer satt essen. Nichts destoweniger geht man, ohne an die Folgen zu denken, mit Windeseile daran,, schon die kleinen Leute mit Allem, was nütz­ lich ist oder scheint, frühzeitig zu überladen, mit allerlei geistiger Nahrung zu übersättigen.

Dian gönnt ihnen nicht einmal die nöthi­

gen Stunden zur beliebigen Beschäftigung, zu freiem Spiel und freier Thätigkeit, keine Muße, keine Rast und Ruh,

so sehr dies Alles

ihrem Alter zum Zwecke ihrer leiblich und geistig gedeihlichen Ent­ faltung und Gesundheit das erste und natürlichste Bedürfniß ist; man

26 raubt ihnen das schönste Glück ihres Ätzens, den reinen Gennst ihrer Kinderjahre, ohne zu beachten, was z. B. I. Paul so treffend be­ merkte: "Daß nur der Hunger verdaut und die Liebe befruchtet. Das bedenkt ihr nicht, ihr Fluglehrer, die ihr den Kindern den Trank früher gebt, als den Durst, die ihr, wie einige Blumisten, in den gespaltenen Stengel der Blumen fertige Lackfarben und in den Kelchen fremden Bisam legt, anstatt ihnen bloß Morgensvnne und Blumenerde zu geben, und die ihr jungen Seelen keine stillen Stun­ den gönnt, um sie unter dem Stäuben ihres blühenden Weins, gegen alle Winzerregeln mit Behacken, Bedüngen, Beschneiden handthiert.» Fürwabr! was müssen heut zu Tage nicht schon Kinder im Alter von 6—14 Jahren lernen! Schulen an.

Man sehe die Stundenpläne der

Wie sind dieselben überfüllt!

Und die Zeitdauer?

Morgens 4 Stunden, Nachmittags 2, dann eine Ueberzahl von Auf­ gaben zur Lösung außer der Schulzeit, der Privatstunden gar nicht zu gedenken, die noch gar häufig als eine edle Mitgift dem Unsinn des Ganzen die Krone aufsetzen. zum Lernen herkommen? Abfütterung werden.

Wo soll da Hunger und Durst

Es kann nur eine Eintrichterung, eine

--Alles, was in die jungen Seelen aber ein­

getrichtert wird, was sie nicht aus reiner Lust und Liebe lernen, haftet nicht und ist vergebliche Schulmeisterei» bemerkt Heinse. Noch öfter führt es zum Schlendrian uud zu jenem Schlaraffen­ leben, das färb- und charakterlos, wie es durch und durch ist, den Menschen sein ganzes Erdendasein hindurch behindert, sich selbst zu erfassen und zusammen zu nehmen, um zu einer gedeiylicheir That und Kraftverjüngung von Innen heraus zu gelangen, um ein Zög­ ling des Geistes zu werden, um auf den Springquell des Lebens in sich merken und daraus schöpfen zu lernen. — Gewiß, Anstrengung und Arbeit sind gut, und schon der Knabe und das Mädchen sollen und müssen täglich zeitweise ernst und an­ strengend arbeiten lernen, zu Hause sowol, als in der Schule, um auf den heilsamen Ernst des Lebens, den kein Mensch zu seinem gr^en 'Nachtheile zu entrathen vermag, vorbereitet zu werden. Ar-

27 beit und Anstrengung stählen die Kraft, schaffen straffe Muskeln und feste Nerven; sie sind für Leib und Seele ein Heil-, ein Schutzund Bildungsmittel zugleich.

Das steht fest.

Allein was zu viel

ist, was unter allen Umständen das gesunde Maß überschreitet, ist zu viel, uud daher folgenschwer, verderblich und verwerflich.

Macht

man doch kaum einen Unterschied zwischen 6—8 jährigen Kindern und 16—18 jährigen Jünglingen; denn jene werden wie diese in der Regel täglich 6 Stunden hindurch unterrichtet. Wie viele Gehirnentzündungen und andere Krankheiten mögen durch unzeitiges und unmäßiges Lernen, zumal in ungesunden über­ füllten Schulzimmern erzeugt worden sein?! Man denke nur all die allgemeinste moderne Kinderkrankheit, an die Scropheln, die hauptsächlich durch vielfache Bewegungen jn reiner, frischer Luft zu heben und zu heilen sind. Die meisten schlimnien Folgen mit einem Heere treten jedoch erst im späteren Leben hervor.

von Leiden

Eine unglückselige Früh­

reife und Mannbarkeit ist die gewöhnliche Frucht der Ueberreizung, des Uebermaßes.

Doch sehen wir uns noch weiter um!

Jn dieser Schule müssen die kleinen Leute so arihaltend und rastlos singen, daß ihre kleinen, schwachen, unausgebildeten Lungen nothlveildig erlahmen, so daß sich nur zu oft, fürchten wir, der erste Keim zu manchen späteren Lungen- und Kehlkopfleiden ansetzen mag. Eine halbe Stunde ohne Unterbrechung zu singen, ist schon zu viel, geschweige also eine ganze Stunde, wie es so häufig geschieht und fast allgemeine Regel ist. — Jn jener Schule sitzen die Kinder stundenlang schief und krumm und die Gegenstände ihrer schwachen, unausgebildeteil Sehkraft sind winzige Buchstaben, bis die Augen halb erblinden. Man halte nur in den Schulen gehörige Umschau und man wird finden, daß so mancher Schüler in Folge dessen die Anlage zu einem blöden Gesicht regelrecht anobildet, wie man denn auch bereits beinerkt hat, daß die Zahl Derer, die wegen schlechten Gesichts zum Dienste im stehenden Heere untauglich sind, sich ungemein vergrößert.

28 Ganz natürlich das.

Was fast täglich nachtheilig einwirkt, jahr­

aus, jahrein, muß endlich wohl schwere traurige Folgen nach sich ziehen.

Wenn irgendwo und wie, so "gilt es in und von dem Hause

und der Schule, daß hier das Größte oft durch das Kleinste be­ dingt und vorbereitet wird in gar mancher Beziehung, im Schlimmen wie im Guten. Pestalozzi sagt: --Es ist unglaublich, was die Festhaltung ge­ wisser Kleinigkeiten für Fundamente zu großen Zwecken giebt--, und I. Fölsing, ein ächter Pestalozzianer: --Manchem ist es wohl un­ glaublich, weil sie das Tieferliegende der gewissen Kleinigkeiten nicht gehörig fühlen und verstehen. Erkenntniß.

Dazu gehört eigene Erfahrung und

Weil das Kleine oft einen kleinen Raum einnimmt, so

stoßen sich manche Menschen nicht dawider und deßwegen bleibt es unbeachtet, als unschädlich und auch wohl als nutzlos daliegen. Dies ist nicht recht.

Zu dem Ganzen gehört auch das kleinste Theilchen,

das unscheinbarste Theilchen.

Und mancher kleine Theil wirkt schäd­

licher oder nützlicher als man denkt.--------------In der Erziehung ist mit einem Worte, Nichts

gering zu schätzen; wir haben uns in

Nr. 12 (vergl. --das Elternhaus und die Kleinkinderschule rc.-I. Fölsing.

Von

Darmstadt. W. Leske) überzeugt, wie es hierin mit

unseren Begriffen und Redensarten steht.-- — Weiter! In dieser Schule wird iinmer und immer geredet mit den Kindern, so daß sie nur zu oft mehr sprechen als denken, und sich unter den Augen und unter Anleitung der Lehrer allenfalls zu Schwätzern ausbilden.

Kommt dazu

noch,

daß die Gegenstände,

worüber viel gesprochen wird, den Kindern

und dein jugendlichen

Alter fern liegen, wie es so häufig der Fall ist, so daß auf Erfah­ rung und Anschauung verzichtet werden muß, so gilt erst recht: --Sie haben Worte da gegeben, Doch in den Worten war kein Leben,-sondern der Tod. Daher

bemerkte

schon

der alte Meister Ainos Comnenius:

--Weil'n die Worte Bedeutungen der Dinge, was sollen sie doch, so

29 die Dinge nicht erkannt werden, wol bedeuten?

Es mag gleich ein

Knabe tausendmal tausend Wörter herzusagen wisse», so er sie den Dingen nicht weiß zuzueignen, was wird wol diese Menge für Nutz haben?" Höchstens beschwert sie

das Gedächtniß

und

überreizt sie die

Einbildungskraft, oder erzeugt sie ein saalbaderndes Geschlecht, oder dient sie der ganzen Seele als eine ungesunde Speise, immer aber mechanisirt und lähmt sie den Geist.

Die Schule,

auch die beste,

wird nie und nimmer die alten uttb besten Lehrmeister: Leben und Erfahrung und das ursprüngliche Gefühl ersetzen. Inzwischen reden sollen und müssen unsere Kinder und Schüler lernen, wenn auch manche von ihnen, ohne viel zu reden, eine ganz treffliche Bildung gewinnen; reden, denkend sprechen und sprechend denken müssen sie lernen, weil die Sprache der organische Träger, der Organismus der Bildung ist, und man den Menschen, die innere Persönlichkeit, erst vollständig sieht und hört, wenn er redet. "Rede, daß ich dich sehe."

Allein Reden und Reden ist ein

großer, ein sehr großer Unterschied, und darum sollen die Kinder das Reden mit Maß und Verstand, mit maßvollem Gefühl und Ausdruck lernen. Wo sie in den Schulen also zu viel oder zu wenig oder gar nicht reden lernen, wie Letzteres auch gar häufig vorkommt, weil hier und da stille Arbeit, stille Beschäftigung wegen einer Ueberzahl von Schülern die Regel ist und

sein muß, oder weil die Lehrer selbst

nicht zu reden verstehen, da regiert und waltet nicht das Maß, das gesunde und heilsame. — Weiter!

In jener Schule werden die Kinder alle Tage mit

dem edelsten Bildungsmaterial, mit biblischen Geschichten, Sprüchen und geistlichen lieblichen Liedern regalirt, wiewol diese Maßlosigkeit den religiösen Sinn geradezu abstumpft und verdirbt, wenn nicht gar ertödtet oder, was natürlich das Schlimmste ist, gegen die hei­ ligste Angelegenheit des Herzens sogar Widerwillen und Abneigung erzeugt.

Mindestens gilt auch in dieser Beziehung "Vielwissen macht

30 Kopfweh", um so »»ehr, als Wissen von der Religion noch nicht Religion ist. Was verlangt ein namhafter Schulmann in dieser Beziehung? Man höre und lese es, womöglich, dreimal! Die Schüler, die Eleinentarschüler sollen wöchentlich in der Reli­ gion lernen: 1. Das Evangelium und die Epistel;

2.

ein Wochenlied; 3. einen

Abschnitt aus deni Katechismus; 4. einen Wochenpsalm und 5. an jedem

Wochentage

obenein

eine

neue biblische Geschichte

mit

Sprüchen ans dem alten und neuen Testament auswendig*). Was setzt ein solches Maß des zu bewältigenden Bildungs­ materials für eine geistige Genuß- und Verdauungs-Kraft und Fähig­ keit voraus! Inwendig wird von dieser Fülle wenig sitzen bleiben oder es bleibt am Ende Alles sitzen und macht die Schüler von Ueberfülle hartleibig, krank und elend. Die Gewürzinsulaner verlieren den Geruch.

Kanu und wird

es hier anders sein?

Ob ein studiosus thcologiae wol ein ähnliches Quantum seines Bildnngsmaterialö binnen Tag und Woche zu bewältigen im Stande sein möchte? Es kommt freilich darauf an, wie, ob oberflächlich oder gründlich, ob leichtfertig oder tiefgehend, ob innig und sinnig oder mechanisch, todt und tödtend gelehrt und gelernt wirb.

Aber eben

das Zuviel dürfte, fürchten wir, znni leichtfertigen Darüberhinsahren geradeswegs Veranlassung geben. So gut solche Vorschläge und Bestrebungen gemeint sind, so verderblich wirken sie, müssen sie wirken.

Die Lehrer selbst bekom­

men, beiläufig gesagt, zuerst einen Ekel vor dem Uebermaß und dann vor der Sache selbst; sie bekommen

dieselbe mindestens satt oder

behandeln sie allenfalls wie das Schreiben und Rechnen. "Du sollst den Namen Deines Gottes nicht unnützlich führen!" lautet auch in diesem Bedacht das alte Grundgesetz.

Man sollte

*) Das Pr. Regulativ vom 3. Octbr. 1854 verlangt in dieser Beziehung viel, aber im Verhältniß zu solchen maßlosen Forderungen doch nur wenig.

31 die Schule in ihrer Wirksamkeit nicht unterschätzen, aber sich auch hüten, sie zu überschätzen.

Wann blühte das Christenthum? wann

trieb es die herrlichsten Früchte: Als

es noch keine Schulen gab.

Wie einfach ist nicht auch die Milch des reinen, des lauteren Evan­ geliums !

Es gehört eben nur ein Vater- und Mutterherz dazu, um

Äinderseelen damit zu nähren.

Gewiß vermag der Lehrer, der wahr­

haft religiös-sittliche Sinn eines rein gestimmten Lehrerherzens, viel, um das heiligste Bedürfniß des kindlichen Gemüthes und Geistes anzuregen und zu befriedigen, allein wo sind solche Lehrer immer anzutreffen und wo bleibt der heilige Glaube und die heilige Liebe und die heilige Hoffnung, wenn der Lehrer in einer überfüllten Klasse, unter einer rohen Jugend,

vielleicht unter Hunger und Kummer

obenein sein Werk treiben soll? Wir haben schon viele Lehrer kennen gelernt, aber — Gott sei's geklagt, denn Menschen haben bis jetzt kein Erbarmen gezeigt, selbst die nicht, deren Mund immer und immer davon überfließt, — aber wir haben nur sehr wenige gefunden, die unter sothanen Umständen blieben, was sie waren und sein sollten. Die Lehrer sind eben auch nur Menschenkinder. — Doch hören wir über den beregten Punkt einen klar sehenden Zeitgenossen. "Man fängt hier und da an, die hier drohende Gefahr, nachdeni sie das Uebermaß erreicht hat, zu sehen. Recht Vereinfachung deS Unterrichts.

Alan

Man verlangt mit

verlangt zugleich, um

recht gründlich zu Helsen, mehr Unterricht in der Religion und hul­ digt damit nur demselben Grundirrthum, ans welchem das ganze deutsche Schulwesen aufgebaut ist. den Schulen gelehrt." bezeichnet zu haben. sagen.

"Es wird zu wenig Religion in

Hiermit glaubt man den Grund des Uebels Es

ist nicht wahr, was diese Gutgesinnten

Es wird zu viel Religion in

den Schulen gelehrt.

So

viel, daß Vater und Mutter sich gerechtfertigt glauben, wenn ihre Herzen, auö denen die Religion in die Herzen der Kinder über­ strömen sollte, erkaltet und verschlossen sind.

So viel, daß alle Welt

in dem Wahne befestigt ist, die Religion lasse sich lernen, wie das Schreiben und Rechnen.

So sehr hat nian sie zum Schulgegenstand

32 gemacht, daß der heilige Name Gottes und die Geheimiisse des christlichen Glaubens auf gleiche Stufe mit dem Einmaleins gesun­ ken und zum kraftlosen Geklapper für Lebenszeit geworden sind. ist nicht zu wenig Religionsunterricht in den Volksschulen. zu wenig Religion in den Lehrern.

Es

Es ist

Soll aber diesem Manzel durch

gehäufte Religionsstunden abgeholfen werden, so sehe man zu, daß nicht aus dem blossen Mangel ein zerstörendes Gift werde

Lieber

kein Wort von Religion, als Religionsunterricht von einem irreli­ giösen Menschen.

Nicht der rationalistische, sondern gerade der ortho­

doxe Unterricht, von einem sittlich stumpfen Lehrer ertheilt, ist das schädlichste." Vergl.: "Ueber christliches Familienleben. VonH.W.J.THiersch. 2. Ausl. Frankfurt a. M. und Erlangen.

Hehder u. Zimmer. 1855.

S. 108—109." — In den anderen Fächern des Unterrichts sieht es übrigens in der Regel nicht anders und nicht besser nus. So gehört z. B., um noch einen Hauptpunkt des alltäglichen Unmaßes hervorzuheben, ba§ fiesen zu den grenzenlos übertriebenen Uebungen. Es wird Vormittags oft 2 Stunden lind Nachmittags 1 Stunde an allen vollen Schultagen zum großen namhaften Verderben der Kinder, nicht bloß der Augen, sondern auch des inneren und inner­ sten, des persönlichen Lebens gelesen.

"Du sollst nicht tödten!" Das

gilt auch und noch mehr in Bezug auf das Seelenleben. Ganz abgesehen davon, daß am wenigsten Kinder aus Büchern die nöthigen Sachkenntnisse und Anregungen, Geist und Leben zu schöpfen vermögen, so verbildet das viele Lesen den Geist geradezu, ja es tobtet ihn und führt zum halben Irrsinn, wie einer unserer namhaften Physiologen und Seelenforscher befürchtet, worauf wir jedoch erst später zurückkommen. Das Lesen ist gewiß gut und nothwendig, und kann auch, richtig geübt, wozu täglich eine Stunde um so mehr ausreicht, als es auch beim Schreiben und noch anderweitig in Uebung kommt, für die

33 Seele bildend sein und werden; aber von ihm Alles erwarten und das Lesebuch zum Mittelpunkt der Schule und des Unterrichts machen, wie es ;etzt in aberwitziger Verblendung so häufig geschieht und die Parole einiger Stimmführer ist, das heißt sehr unverständig und verkehrt handeln.

Nicht das Lesebuch, sondern der Schüler ist der

Mittelpunkt des Unterrichts.

Das ist die einfache, unumstößliche

Wahrheit. — Wenn übrigens der Menschenwelt durch Lesen geholfen werden könnte, so wäre ihr schon längst geholfen.

Das wird wol jeder un­

befangene Mann zugeben. Was sagt dagegen Dr. Luther:

"Die Bücher aber müßte man

weniger», und erlesen die besten (NB. aus den Evangelien). Denn viel Bücher machen nicht gelehrt, viel Lesen auch nicht; sondern gut Ding und oft (dasselbe) lesen, das macht gelehrt in der Schrift und fromm dazu." — Das sind Worte des Lebens. Wie selbst denkende und gescheidte Schulmänner das Lesen auf ihren Schulplänen zur großen Hauptsache stempeln und da meinen können, dadurch namentlich die Bibel den Kindern lieb und werth zu machen oder durch Lesen die Realien zu lehren, daS begreife, wer da mag. Wir sind gern bereit, anzuerkemie», was in Bezug auf eine zweckmäßigere Einrichtung des Lesestoffes von Grube vorgeschlagen und von den einsichtsvollen sächsischen Schulmännern Berthelt, Jäckel, Thomas rc. in ihren vortrefflichen Lesebüchern bereits früher that­ sächlich geltend gemacht worden ist; doch fürchten wir alles Ernstes, daß die sogenannte »ästhetische Form«, wie sie jetzt in den meisten neuern Lesebüchern bis zur Ungebühr hervortritt und allgemein, selbst in Lehrbüchern Mode zu werden droht, mehr verflachen als bilden, also mehr schaden als nützen werde. die Absicht und ist verstiinmt.»

Auch hier gilt: »Man merkt

Selbst Kinder merken bald, wo das

hinaus will und sind gerade nicht darob verstimmt, aber in ihrer natürlichen Leichtfertigkeit nur noch leichtfertiger und oberflächlicher. Schnell, mit. Unterricht.

3

34 Wenn das so fortgeht, so werden unsere Knaben und Mägdlein an gesunder Hausmannskost den gesunden Geschmack verlieren und selbst eine ästhetisirende Behandlung der Rauni- und Größenlehre und des Rechnens verlangen. Jedenfalls bahnt der sogenannte ästhe­ tische Unterricht den sichern, geraden Weg zum Genusse der Romanlectüre an. — Besonders wird jetzt auch wieder einmal in den Landschulen mit dem Lesen eitel und viel böses Spiel getrieben, wie diese sich denn überhaupt von dem guten modernen Wesen des Unterrichts nicht all zu viel, von den modernen Ueberschwenglichkeiten und Verirrungen aber ein hübsches Sümmchen angeeignet haben. Denn auch in der kleinsten Dorfschule ist jetzt der Lehr- und Stundenplan nicht so natürlich als einfach, sondern über und über buntfächrig, so daß die Lehrer darnach als planmäßige Stundengeber zu figuriren sich ge­ zwungen sehen und sich allenfalls wegen der unnatürlichen täglichen und stündlichen Anstrengung im Dociren und Sprechen rc. die Schwind­ sucht an den Hals reden, ohne das Hauptziel des Unterrichts zu erreichen. Folgt doch selbst beispielsweise nach dem Lectionsplane von Goltzsch auf Religion das liebe Rechnen, dann Schreiben und Singen, ein andermal was anderes u. s. w., so daß der ganze Wechsel der Lehrund Uebungsgegenstäude ein niechanischcr und zufälliger ist, wovon wir jedoch später noch besonders reden. Was ländlich ist, ist darum noch nicht immer sittlich, wir meinen hier, nicht gesund, wenn selbst der Herr Pastor, wie uns neulich ein einfacher Landmann er­ zählte, nach der Predigt gewöhnlich von den Getreidepreisen mit sei­ nen lieben Kirchgängern redet. Denn selbst dieser einfache Mann fügte hinzu: »das will sich doch nicht schicken«. — Zu jenen Uebelständen kommt noch oft hinzu, daß dieser und jener Lehrer ein besonderer Freund des Rechnens oder des Zeichnens oder eines anderen Fachs ist, und daraus folgt gewöhnlich? — daß das Lieblingsfach auf Kosten der andern Gegenstände übermäßig be­ günstigt wird, daß die Schüler mit ihrem Lehrer ein Steckenpferd

35

reiten oder reiten müssen, sie mögen wollen oder nicht. Das ist eine schlechte Anwendung unseres Grundsatzes: »In einem Punkt die ganze Kraft.» — Wir könnten zu jeder unserer vorhergehenden einzelnen Be­ hauptungen viele Thatsachen aus dem wirklichen Schulleben als Be­ läge anfuhren, begnügen uns indeß, nur noch ein treffendes Wort dazu von K. Steiger hervorzuheben, da ältere Schulmänner Bei­ spiele genug aus ihren: eigenen Erfahrungskreise kennen werden. »Vielwissen macht Kopfweh, besonders das Wissen ohne Gewissen. Das Wissen behufs der Prahlerei und Gleißnerei. Biel wissen, sagt auch der alte Prediger schon, viel Wissen macht Grämen, Zer­ streuung, Unruhe, Täuschung. Besser wenig, aber das Wenige gut. Am besten das Nöthige und dieses völlig und fest. Viel kommt untereinander. Das Wissen bläht auf und macht hochsüchtig — bis man die Stirn anstößt. Nicht dem Kopfe allein ist thätig zu sein vorgeschrieben. Die Lebensgeister muffen circuliren. Die Hände, die Füße sollen auch etwas bekommen von der Weisheit, sonst ver­ ursachen die Stockungen Kopfweh. Speculation und practische Thä­ tigkeit haben sich gegenseitig zu ergänzen, belebend zu durchdringen. Es muß die Wahrheit dessen, waö man begriffen hat, den Werth und die Brauchbarkeit des Ausgesaßteu in der Anwendung und Aus­ übung sich erproben. Unter Anderem, waö du wissen sollst, mußt du auch wissen zu entbehren, zu verzichten, zu glauben. Sonst ver­ gißt du über betn Vielen, das du festhalten willst, das Nächste, dich selbst, und kommst vor lauter Lernen nie zum Leben, zum Heben, bleibst trotz der Vielwisserei — ein Halbwisser und kommst, indem du die vielen Gedanken durchblätterst, nie auf die rechte Seite. Die vielen Curiositäten im Kopfe machen den ganzen Menschen curios.» Karl Steiger. Wodurch werden wir vor dieser Ueber- und Verbildung im Wissen, namentlich auch in religiöser Beziehung sicher gestellt? Allein durch die organische, lebendige Bildung, denn sie trägt das richtige Maß in sich selber, indem sie einerseits Kunde und 3*

36 Wissen nur als ein Nahrungsmittel für das Seelenleben behandelt, und andererseits harmonisch

wirkt und nicht bloß

den Verstand,

sondern den ganzen innern Menschen erfaßt und ernährt, bethätigt und erzieht, so daß die Bildung des Kopfes und Herzens, die Sachund Wortbildung, die Anschauungs-, Begriffs- und Characterentwickelung, Hand in Hand gehen, sich gegenseitig fördernd und be­ schränkend zugleich. Der Leim und Firniß der Bildung, der sich allerdings leicht geben und aufkleben läßt, hält nicht lange Stich und Stand, ver­ schwindet im Gegentheil eben so bald und so leicht wieder, wie er ausgetragen ist. Bei manchen Verkehrtheiten, die jetzt so recht zur Tagesord­ nung gehören, ist es dringend nothwendig, auf ältere Männer, und zwar auf solche zurück zu gehen, die gediegene Bildung besaßen und zu ihrer Zeit namhaft fördern halfen. Herder.

Ein

solcher Mann

war

Wie urtheilte er in seinen musterhaften Schulreden, wie

solche jetzt selten genug oder an vielen Orten gar nicht mehr ge­ halten werden, über das maßlose, hohle Wortlernen? "Was heißt lernen?

Man hat davon falsche Begriffe, wenn

man glaubt, es heiße: fremde Worte sich einprägen. Schälle; ohne Gedanken drücken sie sich zuweilen,

Worte sind

zumal

iit der

Jugend, mit großer Kraft ein; ohne Gedanken hat man sie aber nur als Papagei gelernt, denn bekanntermaßen lernt auch der Rabe, der Papagei Wortschälle und sagt sie zu rechter und unrechter Zeit. Worte ohne Gedanken lernen, ist der menschlichen Seele ein schäd­ liches Opium. ling auf.

O wie viele leere Worte faßt das Kind, der Jüng­

Merkt euch dieses, ihr Katecheten!

Das ewige Wenden

und Drehen vom Subject aufs Pradicat und umgekehrt: --Wer hat dich erschaffen?

Wen hat er erschaffen? ist noch kein Catechisiren,

sondern ein leibhaftes Wortgähnen, da man den Mund zur Rechten und Linken auf- und abwärts zieht, und immer doch nichts als den gähnenden Fuhrmanns-Laut: --Oho! Oho! saget!-- — Gewiß! die Kinder schon müssen sachgemäß denken lernen und

37 sprechen dazu, und darnm ist die Forderung der sogenannten rein formalen, der reinen Kraft-Bildung eben so einseitig und unaus­ führbar, wie die der bloßen materialen.

Auch in diesem Betracht

haben wir je länger je mehr die richtige, gesunde Mitte zu gewin­ nen, also Sach-, Gedanken- und Wortbildung in dem rechten Maßverhältnisse zu verbinden, um zur fruchthaltigen Geistesbildung bei­ zutragen. — Endlich ist das richtige Maß in Bezug auf die einzelnen SchulCnrse mehr und mehr zu gewinnen und intte zu halten.

Was wird

von den Lehrern nicht gefordert, daß sie binnen Jahr und Tag lehren und leisten sollen, lehren und leisten müssen?

Was fordern

sie nicht selbst, zumeist »die Afterlehrer," wie sie Blasche nannte, denen die Lehrgegenstände und ihr vermeintlicher Ruhm mehr gelten, als die Schüler und deren wahrhaftes Gedeihen? »Der Afterlehrer macht seine Lehrlinge

zum Fußgestelle der

vermeintlichen Ehrensäule, die er s i ch erbauen lotst oder zum Theater, auf welchem er sich der Welt in der Stelle eines großen Erziehers zeigen will.

Sein Werk ist eine mit dem Kenntnißdünkel an­

gesteckte Jugend." Und unser I. Paul erinnert wiederholt daran:

»daß die Ge­

würz-Insulaner den Geruch verlieren und daß die überfüllten Schüler bald Abgebrannte des Lebens werden, für die es keine neuen Freu­ den, keine neuen Wahrheiten mehr giebt, sondern nur eine vertrock­ nete Zukunft voll Hochmuth, Lebensekel, Unglaube und Widerspruch," was nicht oft genug, allermeist in unserer Zeit wiederholt werden kann, diesem Geschlecht, dein Alles geboten werden kann und das Alles zu bieten andererseits unverschämt genug ist. Im Uebrigen gehört allerineist zu einer soliden, nachhaltig wirk­ samen Bildung Zeit, viel Zeit, weil das Gute und Beste sehr allmählig, ja am langsamsten reift, und daraus folgt? —• Unzweifel­ haft, daß wir die Jugend in ihrer Bildung nicht übereilen, daß wir dem Mädchen und Knaben nicht bieten dürfen, ivaö dem reifen Jünglingsalter, und diesem nicht, was dem reifen Manne zukommt

38 und gebührt.

Darum Maß und Ziel auch in Ansehung des Um­

fanges der halbjährigen und jährigen Schulcurse.

Das Ziel hierbei

zu weit ausdehnen, heißt, entweder der Oberflächlichkeit Thor und Thür öffnen, oder Lehrer und Schüler zu Tode Hetzen, wie es so häufig namentlich auch in den Lehrer-Seminaren geschieht.

Eile

mit Weile! — Wenn wir uns auf das richtige Maß des Unterrichts ver­ ständen oder verstehen könnten und dürften, so würden wir vielleicht täglich nicht die Hälfte von dem lehren, was wir lehren, ja auf die ganze Woche vertheilen, was wir jetzt den Kindern alltäglich bieten und aufzwingen, und? — Und die Kinder würden doch mehr ler­ nen, würden an Leib und Seele erstarken, und der Schule und ihres Daseins auch beim Lernen froh werden. Genug, soll der Unterricht, sollen Lehre und Uebung sich mehr innerlich wirksam erweisen, so berücksichtige man Dr. Luthers Wort, so beachte man das Lebensgesetz des Maßes nach allen Seiten und Beziehungen, so lasse man es auch in der Schule walten, erkenne man es als leitende Richtschnur an in Rücksicht auf Leib und Seele, auf Alter, Geschlecht, Fähigkeit, Entwickelung rc. der Schüler; er­ kenne es an beim Geben und Nehmen, beim Vortragen und Fragen, bei Lehre und Uebung; beachte es in der Religion, bei den Realien, in

der

Sprachkunde,

wie beim

Sprechen

und Schweigen, beim

Schreiben und Lesen, beim Rechnen und Singen, und selbst beim Stehen und Sitzen, beim Sehen und Hören der Kinder jahraus jahrein, täglich und stündlich, wie klein und kleinlich dies auch schei­ nen mag.

»Bei der Erziehung ist das scheinbar Kleine oft wich­

tiger, als das scheinbar Große.» Dies gilt auch vom Unterrichte.

A. Spiez. Wer mag überhaupt jagen,

was in der Schule klein und groß oder zu klein sei.

Ruht nicht

das Größte hier oft in den unscheinbaren Keimen und Trieben eines kleinen, winzigen Kinderherzens? die Geißel oder der Segen xanzer Völker, der Menschheit? und wenn dies nicht, treibt nicht in ;ebetn Kinde der Keim der Persönlichkeit, der Keim des ewigen Leben«? —

39 Wer aber auch nur einem einzigen Kinde ein Verderber geworden ist, hat schon eine große, eine namhafte Schuld auf sich geladen, wie gering auch das Erziehungs- und Lehrgeschäft noch angesehen, wie unwürdig und unbillig die Erzieher und Lehrer auch noch be­ handelt werden mögen.

Es bleibt die Strafe dafür auch nicht aus,

für die Mißhandelten sowol, als für die Mißhandelnden. Leibliche Mißhandlungen sind mit Recht verpönt und als ver­ brecherisch strafbar; aber sollten es die der Seelen nicht noch viel mehr sein? Wer eine Kinder-, eine Schulstube betritt, betritt einen heiligen, einen geheiligten Boden. -,O Menschheit! zeuge nicht wider deinen Ursprung; denn aller Anfang ist heilig und in Gott, heilig die Kinderzeit, heilig die Zeit unserer Väter.«

Bogumil Goltz.

Wir leben auch in dieser Beziehung noch lange nicht in dem goldenen Zeitalter eines wahrhaft christlichen Lebens, haben indeß, bei Lichte betrachtet, alle Ursache darauf loszugehen und werden ihm näher kommen, werden der eisernen Zeit, deren Früchte wir genug­ sam kennen, uns entwinden, wenn es mit Gottes Hülfe gelingt, der Jugend zu helfen,

sie richtig zu erziehen und heranzubilden zu

einem gesunden vollen Leben nicht bloß des Leibes, sondern auch der Seele und des Geistes. Der unvergeßliche Schwarz sagt:

«Man sollte sich durchaus

einem Kinde mit keiner anderen als freundlichen oder wenigstens heiteren

Miene

nähern.

Dies ist

von unglaublichem

Einflüsse.

Solon, der weise Gesetzgeber zu Athen, setzte die Todesstrafe dar­ auf, wenn Jemand ohne Erlaubniß den heiligen Ort betrat, wo sich Kinder versammelten, damit die Unschuld ja nicht, auch nur von weitem verletzt werde.

Aber wie viel größer ist die Verletzung

der Unschuld, wenn dem Blicke aus der Paradieseswelt die Züge der trüben Errenverhältnisse entgegenkommen.« Was geschieht dagegen?

Man denke an die Noth des Lehr­

standes, an seine begründete Unzufriedenheit und erinnere sich dabei

40 auch der bekannten evangelischen Worte Matth. 18. — Doch zum Schluß.

Wie man auch über das beregte Grundgesetz denke, es ist

das Maß der treue Grenzhüter, wie im Leben, so in der Schule, von dem unser Königsberger Denker sagte:

"Es sei der Gipfel aller

Vernunft.« — "Haltet Maß in allen Dingen"

tönt es ja auch

herüber aus jener ernsten, großen Zeit, in welcher der Organismus der Menschheit an der Wurzel befruchtet und in einen neuen, gro­ ßen Lebens- und Entwickelungsgang, in den verjüngenden Heil- und Bildungsprozeß geleitet wurde. — Darum gelange das Grundgesetz des Maßes auch beim Unterricht zu seiner vollen Geltung!

II.

Hauptpunkt.

Zusammenhang des Unterrichts.

»Im Leben kommt Alles auf den Zusammenhang an.»

Dies

Wort eines lebenskundigen Mannes verdient alle Beachtung, auch beim Unterricht. Wo Leben, wo Organismus ist, da ist lebendiger Zusammen­ hang,

inniges Ineinandergreifen.

Alles

in der Welt hat daher

seinen äußern und innern Zusammenhang, steht in engster Verbin­ dung untereinander:

das Kleinste, wie daö Größte, das Ganze, wie

das Einzelne, im Raume sowol, als in der Zeit.

Was heut ge­

schieht, ist die Folge von gestern, ehegestern rc., von Ewigkeit und wirkt in Ewigkeit.

Wie der kleinste Thautropfen und jedes Blüthen-

stäublein mit der Erde, so stehen die Weltkörper mit Weltkörpern, die Sonnenshsteme und Weltinseln mit Sonnenshstemen und Welt­ inseln in Berührung, in stetem Verkehr und gegenseitiger Einwirkung, mögen auch Myriaden von Weiten, mögen auch unzählige Mittel­ glieder dazwischen liegen. »Alle Dinge im Kosmos

sind organisch verbunden, Glieder

41 eines Ganzen.

Alle Dinge sind deshalb mit einander in Spannung,

berühren einander mittelst ihrer Atmosphäre, mittelbar.

mittelbar oder un­

Der Zweig vernimmt, was in der Wurzel vorgeht.» Dr. K. Schmidt.

So im Kleinen, so im Großen. Und was vom Leben überhaupt gilt, gilt insbesondere vom menschlichen.

So besteht das leibliche Leben durch die Gesammt-

thätigkeit seiner Glieder und Gebilde.

Durch das gegenseitige stetige

Ineinandergreifen dieser Kräfte und Thätigkeiten wird der leibliche Mensch gefördert und gehoben, entwickelt und verjüngt fort und fort.

Novalis, der sinnige und innige Naturkenner, gab daher so

kurz als treffend die Regel: »Es soll Alles in einander greifen, Das Eine durch das Andere gedeihen und reifen.» Dasselbe ist von dem inneren Leben, von dem menschlichen Seelenund Geistesleben zu sagen.

Wenn es sich auch als Gefühls-, Bor-

stellungs- und Willensleben verzweigt und ausgestaltet, so bilden diese Glieder andererseits doch ein so inniges, organisch verbundenes Ganze, daß das Werden des einen von dem des andern gar nicht getrennt zu werden vermag, daß auch in diesem Betracht »das Eine durch das Andere gedeiht und reift.»

Wir »vollen hier nur, da

dies für dieses Kapitel von Belang ist, auf die Bedeutung des Wil­ lens für das persönliche Leben des Menschen durch ein gutes Wort von Burdach hinweisen. »Die Geisteszustände bieten eine Mannigfaltigkeit dar, zuvör­ derst in Beziehung auf das Maß der Kraft, mit welcher wir die Dinge in der Erkenntniß auffassen.

Außer der ursprünglich uns

verliehenen Kraft und dem organischen Hergange der Seelenthätigkeit hat auch das Bermögen des Willens bedeutenden Antheil daran, indem derselbe sowol auf die Stimmung, als auf die Richtung deS Geistes wirkt.

Wem: man sich träge fühlt und durch Freiheit zur

Thätigkeit bestimmt,

so

wird man durch diese selbst munter und

rüstig; durch ein ernstes Wollen und Anfangen des Denkens wird

42 das Denken reger und kräftiger, und so nimmt mit der Uebung dir Kraft und Stärke, wie auch die Neigung zu." --Nur aus der Kräfte schön vereintem Streben Erhebt sich wirkend erst das wahre Leben." — Auch der Unterricht soll und muß äußern

Zusammenhang haben,

soll

er

daher sich

einen innern und fruchtbar

erweisen.

Und der ächte Unterricht hat einen solchen Zusammenhang; er be­ thätigt und übt alle Kräfte im schönen, gesunden Verein zur Blüthe und Frucht für die innerste Persönlichkeit.

Er ist ja wesentlich auf

den ganzen Menschen, auf sein ganzes Wesen und Werden ge­ richtet; er soll und will nicht halbe Seelen bilden; er soll und will nicht geistige Kräfte "machen," sondern nur zur Selbstthätigkeit und zur Selbstentwickelung von Innen heraus mitwirken gleich der gesammten Erziehung. »Nicht Körperkraft allein, aber auch nicht Geisteskraft allein, nicht bloß blühende Gesundheit, nicht bloß Stärke und Gewandtheit, nicht bloß Verstand und Kenntnisse, nicht bloß edles Gefühl, nicht bloß gesetzlicher Wille, nicht bloß-Eins oder Mehreres, was man als ein Gut in dem Menschen erstrebt, sondern dieses Alles zu­ sammen, Alles in Einem, im vollsten Einklänge, in der Erhebung der Menschheit nach allen ihren angelegten Richtungen, dieses Eine und Große ist das Geschäft der vollkommenen Erziehung.

Einsicht,

Geist und practischer Blick müssen sich hierzu in dem Erzieher ver­ einigen, und unter dem unmerklichen Einflüsse des Beispiels zu dem Ziele hinarbeiten."

Schwarz.

Was für das Ganze der Erziehung gilt, das gilt auch für das Einzelne, für den Unterricht.

In solcher Weise soll er eingerichtet

und beschaffen sein, soll er bildend wirken und schaffen. Es giebt einen entgegengesetzt eingerichteten und wirtenden Un­ terricht, einen todten, weil zusammenhangslosen; es ist der mechanische, aufklebende, der "machende". — "Das Princip der mechanischen Methode, die sich haupt­ sächlich an das Wortgedächtniß hält, lautet: "Bereichere deinen Lehr-

43

fing mit vielen Kenntnissen". Das Princip der bildenden Me­ thode hingegen spricht sich so aus: »Behandle jeden Lehrgegenstand als Stoff, an welchem sich die Kräfte deiner Schüler selbstthätig üben müssen, um zu ihrer großen Bestimmung zu reifen». Stephani. Jener mechanische, machende Unterricht bedarf nicht des Zu­ sammenhangs und fragt nicht darnach; er wirft die Bildungsgegen­ stände bunt durcheinander, wie's ihm nach Willkür und Belieben, nach zufälligen und unwesentlichen äußern Rücksichten gut scheint; der organisch-entwickelnde, der innerlich verknüpfende, der concentrirende und combinirende dagegen kann nie und nimmer ohne leben­ dige Verbindung der Bildungsmittel einerseits und der zu ernähren­ den und bildenden Kräfte des Lernenden andererseits aus- und durchgeführt werden: er darf es nicht, weil die Concentration und innere Verbindung des Unterrichts eines seiner ersten Grundgesetze ist. »Die Schule», sagt Spilleke, »ist auch in Bezug auf den Unterricht nicht ein todter und mechanisch bewegter Körper; sie soll vielmehr ein in sich.Lebendiges und von Innen heraus sich Ge­ staltendes sein.» — Werfen wir einen kurzen Blick auf die Aufgabe alles Unter­ richts; worin besteht sie? Wir können sie dreifach bestimmen. Der Lehrer hat vermittelst des Unterrichts die gesammte Kraft des Schü­ lers anzuregen, das Gefühl, den Gedanken und Willen hervorzulocken und zu kräftigen; er hat die innig verbundenen Glieder des inwen­ digen Menschen in ihrer gesunden Entfaltung zu unterstützen, in der rechten Weise und Richtung zu bethätigen. Man Pflegt das schlecht­ hin und ganz richtig als Kraftbildung zu bezeichnen. Doch ist diese Aufgabe immer nur eine einseitige, auch, streng genommen, gar nicht denk- und ausführbar, ohne die zweite, ohne sogenannte Mittheilung von Kenntnissen, ohne Nahrungsstosfe, ohne Bildungsgegenstände, kraft welcher jener Zweck der Kraftbildnng eben erreicht und der Schüler zugleich für seine künftigen Lebens- und Bildungskreise ein bestimmtes Maß von Lebenskunde zu gewinnen angeleitet und vor­ bereitet wird. Indeß ist damit die volle Aufgabe eines fruchtbaren

44 Unterrichts noch keineswegs erreicht. hinzukommen.

Es muß noch ein dritter Zweck

Denn das Wissen allein thut es

nicht im Leben.

Die Menschen wissen oft sehr viel und sind doch unnütze, unge­ schickte, unbrauchbare Subjecte.

Selbst das organische, das zusam-

menhangende, lebendige Wissen thut es nicht,

wenn es nicht mit

einem tüchtigen Willen, einem sicheren Thun und Können gepaart ist.

Dies erst, die That und das Können führt erst zum vollen und

vollständigen Menschenleben, giebt zumeist den Ausschlag über das innere und äußere Geschick und Gedeihen des Menschen, soweit dies von ihm selbst abhangt.

Darum

»Richtet den herrschenden Stab Auf Leben und Handeln!" — Diesen Punkt müssen wir besonders in's Auge fassen, da er der schwächste des heutigen Unterrichts, der heutigen Bildung ist, und doch der stärkste zu sein verdiente. Vorausgesetzt, daß der Schüler eine tüchtige Gesinnung ge­ winne, daß sein religiös-sittlicher Sinn durch den Unterricht gepflegt werde rc., kommt in jetziger Zeit das Meiste mit darauf an, daß der Schüler zum tüchtigen sittlichen Wollen und Thun einerseits, an­ dererseits zum tüchtigen Können, zu Geschicklichkeiten und Fertigkeiten geführt werde; daß er nicht bloß denken und wissen, sondern auch thun, darstellen, etwas Ordentliches werkthätig ausführen und voll­ bringen lerne.

Damit erst erfüllt der Schulunterricht seine Auf­

gabe ganz und vollständig, und es ist, wie gesagt, diese letzt ange­ deutete Seite der Bildung um so wichtiger, als die Jetztzeit die Bildung des sittlichen Willens und Characters

offenbar

vernach­

lässigt, weil sie den Irrthum hegt, als genüge es schon, wenn der Schüler viel wisse und erkenne, während schon Pestalozzi ganz an­ derer Ansicht war.

Er verdient in dieser, wie in so mancher an­

deren Beziehung immer wiederholt gehört zu werden. »Es handelt sich beim Unterricht nicht bloß um die Führung des Kindes zu Einsichten und Kenntnissen, sondern auch um Fertig­ keiten.

Kraft-

und

Willenlosigkeit muß

verhütet werden.

Die

45 Fertigkeiten und Kenntnisse gehen von gleichen Anfangspunkten aus und den gleichen Weg.

Aber die letzteren sind bei weitem bildender.

Beim Lernen (von Kenntnissen) kann ich mich leidend verhalten, nicht so beim Können.

Wie die Kenntnisse zu Begriffen führen, so

die Fertigkeiten zur Tugend (Tüchtigkeit). ein Lebenserforderniß.

Und diese ist doch auch

Aber eben, weil wir die Tugend durch De­

finition bilden wollen, darum steht es so schlecht bei uns mit der Jugend.

Wie wir die Elemente der Erkenntniß auszubilden streben,

so sollten wir auch die Gewohnheit zur Tugend fördern.

Es ist

ein schlechtes Geschenk, das ein feindlicher Genius unserem Zeitalter macht:

Kenntnisse ohne Fertigkeiten, Einsichten ohne Anstrengung,

Tugend ohne Selbstüberwindung, Religion ohne Gemüth." — Wer möchte dieser Ansicht nicht beistimmen?

Wie manches

Jahr auch seit Pestalozzi vergangen ist, immer noch bezeichnen jene Worte eine namhafte Schattenseite unserer Zeit und Schulbildung, namentlich in Deutschland.

Wir könnten in dieser Beziehung etwas

von den practischen thatkräftigen Britten Dr. Wiese in seinen deutschen Briefen

lernen nach dem, was über Englische Erziehung

so klar als anziehend mitgetheilt hat. "Man sieht in England auf den letzten Zweck der Erziehung, und findet diesen in der Fähigkeit zum Handeln, wie auch bei uns einst Wilhelm von Humboldt, als er Minister war, aussprach: der Staat müsse bei der Jugend nichts so sehr begünstigen, als was zur Energie des Handelns führen könne.

Um dieses Zieles willen

hält man in England vom Unterrichte Alles fern, was die geistige Kraft der Knaben überbürden, überreizen oder zerstreuen könnte.« — Doch

lenken

wir unsere

Aufmerksamkeit behufs Lösung der

Aufgabe dieses Kapitels auf das zur Zeit in der Schule besonders gepflegte Bildungsziel, wobei es immerhin noch ein großer Unter­ schied ist, ob mit Rücksicht auf den in Rede stehenden Punkt das Eine oder Andere geschieht.

Es betrifft den Unterricht in Kennt­

nissen. Die Erfahrung lehrt, daß dieselben dem Menschen nur nützen,

46 wenn sie lebendig sind, wenn er das, was er kennt und weiß, nicht bloß wie einen todten Schatz

im Gedächtnisse trägt,

Zusammenhange kennt und weiß (erkennt).

sondern im

Es ist ein großer Unter­

schied, ob der Schüler z. B. die biblische Geschichte bruchstückweise, außer dem Zusammenhange lernt und weiß, oder ob er sie in ihrem geschichtlichen inneren Zusammenhange gewinnt und versteht; oh der Schüler ferner die Geographie so erlernt, daß er sich auf der Erde,

in

einem

nur die Namen

Lande

orientiren lernt

von Städten, Flüssen rc.

oder ob man ihm todt ins

Gedächtniß

prägt u. s. w. — »Die im Unterrichte vorzuführenden Thatsachen müssen in den wahren organischen Zusammenhang aus dem Keim ihres Ursprungs gebracht und zu dem natürlichen Bilde vereinigt werden, das uns der organische Körper im Ganzen unmittelbar vor Augen stellt.« Schultz-Schultzenstein. In dieser Beziehung hat sich der verehrte Dr. Lindner sen. zu Leipzig schon längst ein großes Verdienst erworben, indem von ihn» ein derartiger Unterricht in den meisten Gegenständen folge­ richtig angebahnt worden ist.

»Ihm ist,«

wie einer seiner zahl­

reichen Schüler in der »Pädagogischen Real - Encyclopädie« hervor­ hebt, »die genetische Methode diejenige, welche eineu Gang nimmt, der möglichst gleich ist dem Gange, in welchem wir die Gegenstände des Unterrichts selbst entstehen und

sich vielseitig entwickeln und

gestalten sehen; sie versetzt die Kinder so in den Gegenstand, daß sie mit dem inneren und äußeren Auge zusehen, wie er entsteht; sie entwickelt und vollendet; sie ist so veranschaulichend, daß sie den ganzen Menschen bethätigt und fesselt.«

Die neueren Bestrebungen,

die Geographie organisch zu lehren, wie dies von Guts-Muths, Ritter, rc. geschehen ist, sind unseres Wissens namentlich von Lindner angeregt und von Anderen nur weiter ausgeführt worden. Anregung

Jene

geschah für weitere Kreise namentlich in Guts-Muths

pädagogischer Zeitschrift, und ein unwürdiger Schüler Lindners gab später unter seinem eigenen

Namen

eine derartige geographische

47 Schrift heraus, die er aus Lindners Borträgen zusammen geschrieben hatte.

Lindners Güte, die bekanntlich sehr groß ist, ging so weit,

ihm dies

stillschweigend

zu

verzeihen.

"Wenn

ich davon

Reden

machte, so könnte es dem jungen Manne schaden» bemerkte der edle Lindner.

Dies hier beiläufig. —

Wer so glücklich gewesen ist, Br. Lindner unterrichten zu sehen und zu hören, wird erst ganz verstehen, was es sagen will, orga­ nisch entwickelnd zu unterrichten. — Ein anderer namhafter Pädagog, Blasche, spricht sich über den Werth zusammenhangender Erkenntniß also aus: --Wer nur Einzelnes weiß, weiß nichts; denn außer der Ver­ bindung miteinander, ohne nothwendige Beziehung aufeinander, sind die Kenntnisse ohne Bedeutung und Leben.

Etwas verstehen und

begreifen heißt eben, es im Zusammenhange und daher in seiner Nothwendigkeit begreifen," — Göthe aber:

"Was man nicht ver­

steht, besitzt man nicht.« Leider kann man jedoch davon besessen sein bis zur Lähmung des Geistes, bis zum Irrewerden, und in diesem Betracht gilt das bekannte Wort:

»Vielwissen macht Kopfweh.«

Unter diesem Vielwissen kann nur das Vielerleiwissen, das me­ chanische, gemachte, zusammenhangslose gemeint sein; denn das or­ ganische ist ein einiges und einigendes, ein lebenzeugendes, ein ge­ sundes und Gesundheit förderndes. Das mechanische Vielerleiwissen ist das dunkle und verworrene Wissen;

»das Dunkle unv Verworrene ist uns aber widerlich, und

wir finden nur an Klarheit, Ordnung und innerem Zusammenhange der Gedanken Wohlgefallen; je klarer und zusammenhangender diese sind, je mehr sie also der Natur unseres Geistes entsprechen, um so mehr Vergnügen gewähren sie uns.

Die Entstehung eines Ge­

dankens durch unsere eigene Thätigkeit ergreift mächtig das Gefühl, und zur Klarheit gesellt sich dann die Wärme.»

Burdach.

Jenes bloß gedächtnißmäßige Wissen, das zusammenhangslose Kennen ist jedenfalls das unfruchtbare, das anorganische, das aus-

48 blähende, den Hochmuthsteufel nährende, das todte Wissen und Ken­ ne», das bloße Wortwissen, das nicht erfreut, sondern Geist und Gemüth verödet, und für That und Leben unbrauchbar, weil unklar und verdrossen macht, so daß es von dem Inhaber eines solchen hohlen Wissens nicht gar selten mit Recht heißt: »Je gelehrter, desto verkehrter,« d. h. desto ungeschickter, desto schräger, desto un­ brauchbarer für That und Leben. »Mir wird von alle dem so dumm, Als ging' ein Mühlrad mir in dem Kopf herum.» — Ganz andere Blüthen und Früchte erzeugt das einsichtsvolle, das organische Denken, Wissen und Kennen. Es macht bescheiden und bildet doch die Kraft; es erhebt Geist und Gemüth und erzeugt doch eine erhabene Eigenschaft, die aufrichtige »Demuth vor Gott und dem Großen» und, wohl zu merken, »auch vor dem Kleinen und Kleinsten-' in der Natur- und Menschenwelt; es befruchtet das Ge­ müth und stählt den Willen zur Selbstbegrcnzung und Thatkraft, indem es diesem die Nothwendigkeit der Selbstbeschränkung und Selbstbeherrschung und jenem die Schönheit des harmonischen, maß­ vollen Lebens vorhält. Weil das organische Wissen inneren, lebendigen Zusammenhang hat, darum bildet es auch das innere Leben organisch, als ein ge­ gliedertes Ganze, in innerer Einheit und Uebereinstimmung aus. Das organische Kennen lehrt im Kleinsten das Große schauen und erkennen; es ist intensiver Natur, das mechanische hingegen extensiv: es zerstreut, statt zu sammeln, es inacht unruhig und unstetig, statt ruhig und gefaßt. Das organische Wissen trägt den Keiln der Selbsterregung und Zeugung, der Verjüngung und Neugeburt in sich, wie das gesunde Samenkorn Keim und Trieb zu unendlichen Entwickelungen; das anorganische, mechanische Wissen hingegen ist, streng genommen, gar kein Wissen, weil kein Leben und Werden, und beschwert den Geist und hemmt seine Wiedergeburt und Verjüngung, macht ihn dumm und stumm, verdrossen und mißinüthig.

49



"Die Probe der wahren Bildung ist aber Frohsinn und Offen­ heit des Kindes."

DaS ist ein untrügliches Zeichen.

Auch hier

heißt es: "An den Früchten sollt ihr sie erkennen," die rechten Er­ zieher und Lehrer. Das zusammenhangslose Vielerleiwissen

gleicht einem

todten

Kapitale, das sein Eigner besitzt, ohne es gebrauchen zu können; es wird übrigens auch nur auf mechanische Weise, ohne Verstand, ohne Freude und Theilnahme, ohne innere Thätigkeit und Arbeit der Seele gewonnen oder ihr vielmehr nur aufgezwungen, wie man Lack und Firniß aufklebt. Anders, ganz entgegengesetzt steht es um das lebendige, frucht­ bare Denken und Erkennen.

Das gewinnt der Schüler in und mit

der Thätigkeit seines Geistes; es entfaltet sich, von Außen ernährt und angeregt,

von Innen heraus als lebendiger Gedanke aus ge­

sunden, kräftigen Empfindungen und

Gefühlen nach

den Gesetzen

der Verwandtschaft und Anziehung; es überhebt uns aller Gedächt­ nißkünsteleien und charlatanen Gedächtnißkünstler. Bei der unverkennbaren Wichtigkeit des fraglichen Hauptpunktes in Bezug auf die Einrichtung des Unterrichts entsteht, namentlich mit Rücksicht darauf, daß in den meisten Schulen der zusammen­ hangslose Unterricht zur Zeit noch vorherrscht, die Frage: wie und wodurch diesem großen Uebelstande abzuhelfen sei. Nach unserer Ansicht dadurch, daß man sich erstens klar und deutlich überzeugt, wie der organisch-zusammenhangende Unterricht durchaus in der ganzen Einrichtung des Seelenlebens begründet sei, und daß man dann zweitens thatsächlich drauf und dran geht, den Unterricht demgemäß einzurichten. Zu dem Behufe hier nur das Folgende. Was zuvörderst die

organische Einrichtung des Seelenlebens,

besonders des Vorstellungslebens betrifft, worauf es hier hauptsäch­ lich ankommt, so mögen die desfallsigen Gesetze nach einigen seelen­ kundigen Schriftstellern kürz hervorgehoben werden. «Die einzelnen lebendigen Vorstellungen treten in ZusammenSchnell, ctg. Unterricht.

4

50 hang neben und nacheinander, sie gliedern sich in Glieder und Sy­ steme, nach den Gesetzen des Raumes und der Zeit, wo sie sich entwickeln und der Verwandtschaft überhaupt, in der sie unter ein­ ander stehen.

In dieser Gliederung kann die einzelne Vorstellung

so sehr untergeordnet werden, daß sie für den Augenblick gar nicht selbstständig thätig sein kann:

die Vorstellung ist dann gehemmt,

was nichts anders heißt, als: eine qualitativ und quantitativ kräf­ tigere Vorstellung ist für die schwächere Mittelpunkt geworden, so daß letztere ihren eigenen Nüttelpunkt verloren hat, und demnach auch ihre Thätigkeit so weit auf Null gesetzt ist, daß sie nicht mehr klar und

selbstständig aufzutreten

vermag.

Wie lange aber auch

die einzelne Vorstellung gehemmt ist, immer kann sie wieder und zwar nach folgenden Gesetzen hervortreten: 1. Vorstellungen

von Objecten,

welche in demselben Raume

miteinander wahrgenommen werden, wecken einander.

2. Vorstel­

lungen, welche in der Zeit öfters aufeinander folgten, wecken ein­ ander. 4.

3.

Die einander ähnlichen Vorstellungen wecken einander.

Entgegengesetzte Vorstellungen

wecken einander.

5.

Die Vor­

stellung des Ganzen weckt die Vorstellung des Theiles und die Vor­ stellung des Theiles die Vorstellung des Ganzen.

6. Wenn Vor­

stellungen nach mehreren Seiten hin Vorstellungen erwecken können, so werden diejenigen erweckt,

welche schon öfter mit der

gegen­

wärtigen Stimmung oder mit einer ähnlichen zusammen existiren. 7. Die neuesten, die öfter dagewesenen, die klarsten, die vollkommen­ sten, die liebsten, die interessantesten, vor allen aber diejenigen Vor­ stellungen,

die den größten Hirnorganen

öftersten und leichtesten geweckt.

angehören,

werden am

So ist die Borstellungswelt ein

lebendiger Organismus mit beständiger Bewegung und mit bestän­ digem Leben: Glieder treten vor und bilden den Mittelpunkt, andere werden dadurch Peripherie, die Peripherie wird wiederum Centrum und das frühere Centrum Peripherie; Vorstellungeu treten auf und verdrängen andere; neue bilden sich und rufen die ihnen verwandten aus dem Schlummer auf, — aber immer ist solches Bewegen und

51 Leben der Vorstellungswelt eine Harmonie von Tönen, die je in verschiedenen Dur- und Mollweisen klingen, je nachdem die Grund­ töne verschieden waren, in denen sich die Shnffonie anschlug." Dr. K. Schmidt. Wie die Vorstellungen, so erzeugen sich die Anschauungen, Vor­ stellungen, Urtheile und Begriffe aus einander und stehen wechselseitiger

Verbindung,

so

daß das

sie

in

gestimmte Denkleben ein

fortdauernder Corndinations- und Associations-, weil eir. fortgehender Entwickelungs- und Verjüngungs-Prozeß ist. Es giebt in der That einen künstlichen, unnatürlichen, mecha­ nischen und einen lebendigen, natürlichen, organischen Zusammenhang der Vorstellungen. Schultz-Schultzenstein sagt darüber in seinem neuesten Werke: „Neues System der Psychologie.

Die Bildung

des menschlichen

Geistes durch Kultur der Verjüngung seines Lebens in Hinsicht auf Erziehung zur Humanität und Civilisation. 1855."

Berlin, A. Hirschwald,

S. 639.

„Nach der Verschiedenheit der Vereinigungsprincipien der sinn­ lichen Bilder haben wir einen künstlichen und einen natürlichen Zu­ sammenhang in den Vorstellungen zu unterscheiden.

Die anorga­

nischen (mechanischen und chemischen, kategorischen) Vereinigungs­ principien geben für organisch-lebendige Dinge einen künstlichen Zusammenhang lebendiger Bilder in der Vorstellung (künstliche Vorstellungs-Systeme), wie wenn man die Pflanzen- und Thier­ arten nach Zahlen, Größen oder mathematischen Figuren klassificirt, wodurch lauter, natürlich nicht zusammengehörige Dinge in der Vor­ stellung vereinigt werden, Dinge, die ihrem organischen Ursprünge nach nicht zusammengehören.

Dies giebt keine lebendige Einheit

der Vorstellungen. — Natürliche Vorstellungen dagegen sind solche, wodurch man die sinnlichen und Gefühlsbilder nach ihrem lebendigen Einheitsprincip, ihrer natürlichen Verwandtschaft und

ihrer Abstammung in einen *

52 natürlichen Zusammenhang bringt.

Es giebt natürliche Systeme

von Vorstellungen so gut, als natürliche Systeme der Natur. — Die Fähigkeit, die sinnlichen Bilder in den Zusammenhang der Vorstellungen zu bringen, ist die Fassungskraft, oder das Fas­ sungsvermögen.

Die Ausbildung dieser Fassungskraft ist ein

wesentliches Erforderniß der Geistesbildung.

Ihr gegenüber steht

die Zerstreuung des Geistes, bei der die Gefühle und Empfin­ dungen Haltungslos auseinander fallen.

Die Fassungskraft ist

durchaus lebendiger Natur, und hat in der Assimilations­ kraft, in der Lebenskraft der Seele, ihren Grund, in der Herrschaft der Selbsterregung und Verjüngung des Lebens über die todten äußeren Eindrücke.

Sie kann aber künstlich nach todten Prin­

cipien gebildet werden, wie man einen Baum künstlich am Spalier oder zu Hecken formt, oder einen Kürbis in eine ganz anders ge­ staltete Flasche wachsen läßt.

Wir haben daher auch eine künstlich

gebildete, mechanische Fassungskraft, von einer natürlich gebildeten, lebendigen Fassungskraft noch sehr zu unterscheiden.

Es giebt Leute,

die eine Fertigkeit haben, alle Dinge in mechanische Verbindung zu bringen und alles Leben der Vorstellungen zu lebten." — Immer wieder zu sagen, daß der Lehrer dieses wisse und ein­ sehe, sei nicht nothwendig, weil sich das Natürliche von selber mache, das ist, mild ausgedrückt, sehr unverständig.

Es macht sich nicht

von selber, am wenigsten beim mechanischen Unterricht.

Was thun

denn die Lehrer, die das nicht einsehen und was haben die gethan, die es nicht erkannten?

Sie haben die Schüler nur zu oft durch

ihr mechanisches, unnatürliches Verfahren gepeinigt und gemartert, und das. thun die Afterlehrer noch heut, zu ihrer Strafe natürlich ohne Freude und Befriedigung, mit Mißmuth und Verdruß. — Die Sache ist und bleibt

überaus wichtig, und wenn diese

Einsicht und die Liebe zum Beruf auch nicht der Hauptpunkt ist, der den Lehrer zum tüchtigen Lehrer macht, da auch bei dem Erziehungs- und Lehrgeschäft das Thun, das Können, die Kunst und Treue die große Hauptsache und der Lebenspunkt sind: so bleibt

53 jenes immerhin ein Hauptpunkt, weil eine der ersten Grundbedin­ gungen zur richtigen Lehrkunst, uin so unzweifelhafter, als offenbar durch die richtigere Erkenntniß der Einrichtung

des Seelenlebens

die Unterrichtsweise namhaft verbessert worden ist, und ferner ver­ bessert werden wird.

Nichten wir darum noch einen kurzen Blick

auf den Combinationsprozeß der menschlichen Seele. „Combinationsprozeß verknüpfen, verbinden,

(Combinationsgesetz)

vereinigen,

von combinare:

ist wohl einer der wichtigsten

Grundprozesse in der menschlichen Seele, ohne welchen sie nur Ver­ wirrung und Unklarheit in sich erzeugen würde. Anziehungsprozeß

heißen,

denn die Anziehung

Er könnte auch des Gleichartigen,

Aehnlichen, Verwandten, die als allgemeines Naturgesetz auch Leib und Seele beherrscht, ist das Wesen dieses Prozesses.

Es ist ein­

leuchtend, daß diejenigen Combinationen (Verknüpfungen), welche die Außenwelt der wahrnehmenden Seele darbietet, sich auch als Com­ binationen und nicht

als Zerspaltungen in der Seele abspiegeln;

man denke z. B. an die verschiedenen Wahrnehmungen, die in einem blühenden Baume, in einem umfänglichen Gebäude, in einer grü­ nenden Wiese rc. für die Auffassung sich darstellen?' — Um das Combinationsgesetz in bestimmte Worte zu fassen, kann man sagen:

Alle Thätigkeiten der menschlichen Seele streben um so

mehr sich mit einander zu vereinigen, je mehr sie einander gleich sind.

Die bloß ähnlichen sind also diesem Gesetze weniger unter­

worfen, je weiter sie von der Gleichheit abstehen, um so mehr, je näher sie dieser kommen." „Die Entstehung der Begriffe, Urtheile und Schlüsse verdankt die Seele der Anziehung des Gleichartigen.

Aus den verschiedenen

Wahrnehmungen combinirt diese die gleichen Elemente, und so ist mit Hülfe des Ausgleichungsprozesses der Begriff fertig, der, obschon er sich nicht aus den ungleichen Elementen losreißt, doch als geson­ derter Bewußtseinsact in und an denselben fortdauert.

Was wir

denken nennen, ist zunächst das Verbunden- und Zusammenbewußt­ werden eines Begriffs mit Anschauungen, aus denen er entstanden

54 ist, mit denen er also gleiche Elemente gemein hat.

Es bleibt der

gleiche Denkact, mag nun die Anziehung von der Anschauung auf den Begriff, oder vom Begriff auf die Anschauung aus- und über­ gehen, je nachdem dieser oder jener erst bewußt war, und je leb­ hafter der Anziehungsprozeß in einer Seele waltet, desto mehr wird und muß ihr Anschauen von dieser Thätigkeit begleitet sein." „Was wir denken nennen, kann aber auch ein Berbunden- und Zusammenbcwußtwerden der verwandten Bestandtheile zweier oder mehrerer Urtheile sein.

Hierdurch entstehen Schlüsse, und wie dort

das Denken ein Urtheilen war, so ist es hier ein Schließen, dessen Combinationen des Gleichartigen, mehr oder weniger umfassend und tiefgreifend sein können." „Da in der menschlichen Seele anfangs lauter solche Gebilde entstehen, welche ans ungleichartigen Elementen zusammengesetzt sind, weil die erste Entwickelung durch die Außenwelt erfolgt,

welche

nicht Einfaches für die Sinneswahrnehmnng darbietet; da folglich das vollkommen Gleiche erst durch das innere Leben und Weben der Seele allmahlig erzeugt werden kann, so müssen natürlich die klaren Begriffe und Urtheile später zu Stande kommen,

als die

dunklen und halbklaren, und der Combinationsprozeß schafft daher anfangs Combinationen, die zwar die llrtheilsform an sich tragen, aber als eigentliche Urtheile deshalb nicht gelten können, weil sie keine wahre Erkenntniß des beurtheilten Gegenstandes geben." „Die Witzcombiuation, wie die Gleichnißcoinbination, welche der Entstehung nach der Begriffs- und Urtheilsbildung immer voraus­ gehen, sind Urtheile, welche keinen Gegenstand nach seinem wahren Wesen aufklären, und wer daher die zahlreichsten Witze und Gleich­ nisse über die Dinge zu bilden wüßte, sonst aber nichts weiter über sie aussagen könnte, würde Niemanden als ein Mann von eigent­ lichen Kenntnissen gelten." „Uebrigens ist die Anziehung des Gleichartigen nicht etwa bloß im Gebiete des Vorstellens, sondern auch des Begehrens und Fühlrns wirksam.

Gleichartige Begehrungen fließen ebenso zusammen,

55 wie gleichartige Gefühle, und so wachsen hierdurch die anfangs ein­ fachen Begehrungen allmählig zu vielräumigen Gebilden an, welche nach Maßgabe ihrer Stärke die Benennung: Neigung, Hang und Leidenschaft bekommen." „Alles Wachsen des Menschen in geistiger, wie in leiblicher Hin­ sicht ist durch den Anziehungsprozeß bedingt.

Ohne ihn gäbe es

keine Entstehung der einzelnen Seelengebilde, keine Verstärkung der­ selben aus dem unbewußten Sein znm Bewußtsein, — keine voll­ kommene Entwickelung der

Seele.

Und

ist

das

Wachsen

und

Stärkerwerden des Leibes nicht ebenfalls eine Folge des Combina­ tionsgesetzes?

Ist die Assimilation des Nahrungssaftes etwas An­

deres, als das Angezogen- und Angeeignetwerden desselben durch die bereits vorhandenen Kräfte?"

Dressier.

Was folgt aus diesem Allen? — Daß ein anorganisch ein­ gerichteter, ein zusammenhangsloser, ein nicht combinirender,

ein

nicht concentrirender Unterricht, gar nicht „Unterricht" genannt zu werden verdient, und wir daher den Unterricht gemäß jenen Ge­ setzen der Entwickelung und Bildung des Seelenlebens sorgfältigst einzurichten haben. Und darum ist demnächst das die wichtige Frage, wie Lehre und Uebung als Theile und Ganzes organisch einzurichten, wie ein lebendiger, wirksamer Zusammenhang des Unterrichts einerseits auf Grund der geistigen Thätigkeit, der Anziehung und Verwandtschaft der Vorstellungen rc., andererseits auf Grund sachgemäßer Ver­ wandtschaft der Objecte zu bewerkstelligen und zu erzielen sei. Es kann bei Beantwortung dieser Frage zuvörderst nur von einer Anbahnung des betreffenden Weges die Rede sein; denn so fruchtbar der Gedanke ist, so wenig ist er bereits nach allen Bezie­ hungen ausgebildet, ja so falsch kann er aufgefaßt und durchgeführt werden, wie wir es bereits erlebt haben. Doch davon kann hier an dieser Stelle nicht weiter die Rede sein, da es überdies immerhin verschiedene Ansichten und sogar ver­ schiedene Wege zur Ausführung derselben geben wird, selbst unter

56 der Zahl Derer, die in der Grundanschauung vollständig überein­ stimmen. — Nach unserer Ansicht sind, um den Unterricht dem in Frage stehenden Grundgesetze gemäß einzurichten, zwei Hauptwege einzu­ schlagen:

1. ihn den Objecten nach zu centralisiren, und

2. ihn den Subjecten gemäß zu concentriren,

und zwar

beides in wechselseitiger Beziehung. Was heißt es nun den Unterricht nach den Objecten centra­ lisiren? Das heißt, ihn nach einzelnen gegenständlichen Mittelpunkten gruppiren, also, daß das Bewußtsein mit der gesammten Thätigkeit des inneren Lebens zeitweise auf einzelne Gegenstände gelenkt, darin gesammelt, zusammengefaßt und vermittelst der verschiedenen Thätig­ keitsweisen des Denkens, Sprechens, Schreibens und

Lesens ent­

wickelt, geübt und gekräftigt wird. Dieö führt zu einer theilweisen äußern Verknüpfung der Lehrund Uebungsgegenstände, zum System der Centralisation, beziehungs­ weise zu einer Vereinfachung des Unterrichts-Systems und wird auf den sogenannten Lections- oder Stundenplänen für Tag und Woche einzeln und bestimmt festgestellt. Auf den zeitherigen Lectionsplänen ist der Zusammenhang und die Verbindung der Unterrichtsfächer wenig oder gar nicht beachtet; sie sind mechanisch eingerichtet: ein zufälliges Durcheinander ohne innern Grund und Zusammenhang, weil ohne genaue Beziehung auf die zu bildenden Schüler eingerichtet, und passen daher durchaus nicht mehr zu den übrigen Fortschritten des Unterrichts, zu den trefflichen, organisch eingerichteten Lehrgängen so wenig, als zu den organischen Lehrformen, wie sie bereits fast überall mehr oder we­ niger gäng und gäbe sind. Wir kommen auf die Centralisation des Unterrichts noch mehr­ fach zurück; darum für hier genug davon. — Den Unterricht den Subjecten gemäß concentriren, heißt, einestheils die Unterrichtsgegenstänbe, den

Stoff des Unterrichts

57 innerlich in betn Gefühl und Bewußtsein und Gedanken der Schüler aus einender beziehen und mit einander verbinden (combiniren und ctffociim), anderntheils aber überhaupt: die zu entwickelnden und zu bitdcnden Kräfte

gemäß den beregten Gesetzen der Anziehung

und Berwandtschaft ernähren, bethätigen, anregen, in Bewegung und Zusammenhang setzen, in Einheit zusammenfassen, in einzelnen Punk­ ten sammeln, (concentriren) rc., und dafür läßt sich auf dem Pa­ piere allerdings kein Shstem oder Schema, sondern es lassen sich nur

Gesetze und Grundregeln aufstellen.

Die

folgerichtige und

fruchtbare Durchführung derselben ist ganz Sache des Augenblicks und der freien Thätigkeit, der Einsicht und Geschicklichkeit des sachund seelenkundigen Lehrers, findet jedoch seinen Anknüpfungs- und Haltpunkt in dem gegenständlichen Unterrichte, in der Centralisation, so daß Centralisation und Concentration in der Schulpraxis stets in Einem, in einem allgemeinen Hauptpunkt zusammentreffen und daher Hand in Hand durchzuführen sind, wie oben schon bemerkt wurde. Es erscheint dies um so natürlicher und nothwendiger, als Form und Wesen der Dinge so wenig, wie formale und materiale Bil­ dung in der Praxis füglich von einander zu trenne» sind. wollen daher die Centralisation und

Wir

Concentration zugleich als

nothwendig zusammengehörige Dinge und Einrichtungen des orga­ nischen, beziehungsweise organisch vereinfachten Unterrichts und haben wol nur nöthig, darauf hinzuweisen, daß auch die Centralisation der Lehrgegenstände, wenn zunächst auch «ach gegenständlichen (ob­ jectiven) Gesichtspunkten festgestellt, doch wesentlich in dem Bedürf­ nisse und in den organischen Gesetzen des Bildungs-Subjects ihren Grund hat, darum schon, weil sie dem Bewußtsein und der ganzen Einrichtung des Subjects entspricht und entsprechen soll, weil sie ja eben nur ein Mittel zum Zwecke seiner Entwickelung und Bil­ dung ist, was zum Behufe einer richtigen Auffassung, Beurtheilung und Durchführung unserer übersehen werden darf.

desfallsigen Vorschläge durchaus nicht

58 Als allgemeine Grundregel stellen wir aber für die Sache der Centralisation und Concentration des Unterrichts folgende auf: Jedes Hauptfach bleibe, wie es im Laufe der Zeit durch den Fleiß und Eifer unserer tüchtigsten Methodiker ausgebildet ist, für sich, und bilde also für Gefühl und Bewußtsein und Strebkraft des Schülers, da die Beziehungen des Seelenlebens gegenständlich ver­ schieden sind, die Seele sich demgemäß in verschiedenen Richtungen entwickelt, ein gegliedertes Ganze, zunächst also l. die Gottes-, dann 2. die Welt- und endlich 3. die Sprachknnde; demnächst 4. Gesang, 5. Raumformen-

und Ranmgrößenlehre mit

Zeichnen und 6. das Rechnen. Damit soll gesagt sein, daß, wie diese Fächer oder Gegenstände nach den verschiedenen Beziehungen, Bedürfnissen und Formen des innern Lebens einzeln und äußerlich von einander getrennt auf dem Wochenplane der Schule stehen, so werden sie auch einzeln inner­ halb bestimmter Zeitabschnitte durch Lehre und Uebung behandelt, d. h. dem Schüler vorgeführt und in und mit ihm verarbeitet und geübt. Diese Seite der Centralisation wird füglich als die Gruppirung des Unterrichts, als Gruppenunterricht zu bezeichnen sein, eine Bezeichnung, die unseres Wissens

zuerst von dem Seminar-

director Jungklaaß in Schlesien treffend gebraucht worden ist und die wir gern annehmen.

Ueber die Gliederung der Uebungen in

Fertigkeiten sprechen wir im nächsten Kapitel, wo von der richtigen Aufeinanderfolge der Gegenstände die Rede sein wird, noch be­ sonders. Der innere Zusammenhang, die innere Verbindung und Ver­ knüpfung der verschiedenen Hauptgegenstände (von substanziellem Ge­ halt), so wie die Verbindung dieser mit den Fertigkeiten und Uebun­ gen des Sprechens, Schreibens rc.

kann und soll hier nur

im

Allgemeinen durch einige einzelne Regeln angedeutet werden, zumal da jedem Lehrer hierin der freieste Bewegungsraum zu gestatten ist und Alter und Zahl der Schüler das Mehr oder Minder mit be-

59 dingen.

Wir betrachten die Gegenstände in ihrer Beziehung zu ein­

ander zu dem Behufe nunmehr einzeln. 1.

Gotteskunde.

Zu einer lebendigen, kräftigen Ernährung

und Entwickelung

des religiös-sittlichen Gefühls und Bewußtseins werden zunächst die einzelnen Zweige des Religionsunterrichts,

als da sind: biblische

und Kirchen-Geschichte, das geistliche Lied, Katechismus und Bibel­ sprüche innig mit einander verbunden.

In die engste Verkettung

damit treten Sprechen, Schreiben, Lesen und Singen. Aus den Realien (Weltkunde) wird in den Religionsstunden nur herangezogen, was daraus zur Förderung der religiösen An­ schauung und Erhebung in diesem oder jenem Falle wirksame Dienste zu leisten vermag, wie dazu ja in der Bibel und in manchen geist­ lichen Liedern

mannichfache Veranlassung

gegeben

und

in diesen

Hinweisungen selbst schon ein reiches Material dargeboten ist. denke nur an die Gleichnisse rc.

Man

Indeß darf die Religionsstunde

nie weder eine bloße Sprachübungsstunde, noch eine weltkundliche Lehrstunde werden. Vielmehr sei das ganze Schulleben der Ausdruck und die Uebung des sittlich-religiösen Lebens, einer lebendigen religiös-sittlichen Le­ bensgemeinschaft, int Wandel vor Gott und

in der Kraft

seiner

Wahrheit, insbesondere aber werde Anfang und Schluß jedes Schul­ tages zur religiösen Uebung und Erhebung durch Gebet und Gesang benutzt.

Kinder beten bekanntlich gern und

„betende Kinder

sind

Engelserscheinungen." — Ausgeschlossen aus den Religionsunterrichtsstunden sind also die Realien und die Sprache als Gegenstände der Lehre, ferner die Formenlehre mit Zeichnen und Rechnen, weil diese Gegenstände mit der Religion als solcher selbstverständlich nichts zu schaffen haben und das religiöse Gefühl und sittliche Bewußtsein als solches da­ durch nicht zu fördern ist. Daß damit nicht etwa gesagt sein soll, Bild und Form wären

60 oder seien beim Religionsunterrichte nicht anzuwenden, bedarf wol nur der Andeutung, da im Gegentheil der biblische Geschichtsunter­ richt der Bilder vorzugsweise behufs größerer Anschaulichkeit benöthigt ist und kaum zu entrathen vermag, wenn er auf Gefühl und Sinn der Jugend tiefer und nachhaltiger einwirken soll. In keinem Fall darf die eigentliche Religionsstunde eine bloße Denk- und Sprechübungsstunde werde, so nothwendig es anderer­ seits auch bleibt, daß die Schüler die biblische Geschichte erzählen und sich auch in religiös-sittlicher Beziehung in vollständigen Sätzen aussprechen lernen. —

2.

Weltkunde.

Die einzelnen Zweige derselben werden, soweit dieselben bereits durch die Methodik als ein gegliedertes Ganze verbunden sind, in enger Beziehung auf einander gelehrt oder doch wenigstens hier und da an der rechten Stelle mit einander in Verbindung gesetzt.

Es

kommt hierbei das Meiste um so mehr auf die llmsicht und Ge­ wandtheit des Lehrers an, als die Methode in diesem Betracht noch sehr schwankend ist,

und überdies auch

in dieser Beziehung wol

immerhin verschiedene Wege zum Ziele führen werden.

Am füg-

lichsten lassen sich Geographie und Geschichte mit einander verbinden. Wir unsererseits haben es damit in der Regel so gehalten, daß im Sommer-Cursus Geographie

mit Bezug auf Geschichte und

im

Winter Geschichte mit Bezug auf Geographie gelehrt wurde; daneben im Sommer Naturgeschichte, im Winter dagegen Naturlehre (Physik). In engster Verbindung mit den Realien steht ebenfalls, wie beim Religionsunterrichte das Sprechen, Schreiben, Lesen und dem­ nächst der Gesang

volksthümlicher Lieder behufs einfacher und

sinniger Auffassung des Natur- und Menschenlebens und zum Zwecke der Gemüthsbildung; ferner Rechnen, Formen- und Größenlehre mit Zeichnen.

Das heißt, die letzteren Gegenstände sind für die

Weltkunde gelegentliche Hülfsmittel und werden daher während des

61 weltkundlichen Unterrichts als solche ab und zu je nach Gelegenheit und Bedürfniß herangezogen und in Anwendung gebracht. Ausgeschlossen aus dem weltkundlichen Unterrichte ist die Gottes­ kunde als Kunde, desgleichen die Sprachknnde, woraus natürlich nicht folgt, daß in dem Realunterricht nicht religiös-sittliche Bezie­ hungen und sprachliche Bemerkungen, letztere als Sache der Erkennt­ niß ab und zu vorkommen dürften, da namentlich bei den schrift­ lichen Uebungen dazu eine besondere Veranlassung immerhin gefunden werden wird. Es soll damit nur gesagt sein, daß die weltkund­ lichen Stunden keine Religions- und keine sprachlichen Lehrstunden sein sollen, wie es in einer durchaus unklaren Auffassungsweise der Unterrichts-Zwecke und Mittel bereits versucht und anempfoh­ len worden ist. Ist nur sonst der Grundton der Schule ein reli­ giös-sittlicher und der reine, lautere Geist des Evangeliums in dem Lehrer mächtig, so wird auch jeder Zweig des weltkundlichen Unterrichts die rechte Beziehung und Weise zu dem lebendigen Ur­ gründe alles Lebens erhalten, ohne daß er immer den Mund voll nimmt von Gott und göttlichen Dingen. Das viele Reden von Gott thut es überhaupt nicht, am wenigsten aber zur Unzeit, obwol der Grundgedanke des Menschen, weil er eben persönlicher Natur ist, immerhin Gott sein wird und in diesem Gedanken die Ueber­ windung der Welt als Zweck und Mittel zugleich gegeben ist. — 3. Sprachknnde. Die verschiedenen Zweige dieses Gegenstandes, als da sind: Satz- und Aufsatz-, Wort-, Silben- und Lautlehre werden möglichst in einander geflochten und als ein organisches Ganze gelehrt und geübt, wie die desfaüsigen bessern Schriften in reicher Zahl zeigen, wonach die Veranschaulichung an Mustersätzen und Musteraufsätzen die erste Bedingung eines fruchtbaren Unterrichts ist. Natürlich gehen damit, wie bei den andern Lehrgegenständen, die Uebungen im Denken, Sprechen, Schreiben und Lesen Hand in Hand. Auch werden damit der Text der Volkslieder und andere Gedichte, Pa-

62 rabeln rc., so wie das Material aus den übrigen Lehrgegenständen in Verbindung gesetzt. Ausgeschlossen von den Sprachstunden als solchen ist Zeichnen und Rechnen, während ein Lied auch in diesen Stunden bei passen­ der Gelegenheit angestimmt werden mag, wäre es auch nur, um den Ton des Unterrichts zu erfrischen.

Eben so sind ab und zu

Gedichte und Musterstücke aus dem Gedächtnisse sprechend zu wieder­ holen.

Was schriftlich ausgearbeitet ist, wird, wenn nicht von allen,

so doch von einzelnen Schülern laut vorgelesen.

In der Regel ge­

schieht dies am zweckmäßigsten von den Schülern, welche die besten Arbeiten geliefert haben.

Auch erscheint es nur zweckmäßig, zu dem

Behufe die Schreibhefte unter den Schülern wechseln zu lassen. — 4.

Gesang, Rechnen und Formenlehre mit Zeichnen. Diese Gegenstände kommen trotz ihrer Anwendung in dem einen

oder anderen der vorgenannten Fächer auch selbstständig als Lehrund Uebungsgegenstände wöchentlich in einzelnen festbestimmten Stun­ den an die Reihe; sie sind natürlich überwiegend Uebungsgegen­ stände.

In den Gesangstunden wird theils das geistliche, theils das

Volks-Lied geübt, dieses gewöhnlich Mittwochs, jenes dagegen Sonn­ abends.

Rechnen, Formenlehre und Zeichnen bieten zur tüchtigen

Uebung des Denkens und Sprechens vielfach Gelegenheit. —

Es liegt auf offener Hand, daß hiernach die Gegenstände, die überwiegend Uebungsgegenstände sind und daher das Können der Schüler bezwecken, sehr vielfach, die meisten vermöge einer solchen gegliederten Einrichtung des Unterrichts, fast täglich an die Reihe kommen, was auch unumgänglich nöthig ist, da hauptsächlich die Uebung die Kraft entwickelt und nur Uebung zur Sicherheit und Fertigkeit im Können führt, das Thun und Können aber und nicht da« Wissen die große Hauptsache für die meisten Menschen, ja für jeden Menschen ohne Ausnahme ist, wie wir dies im 1. Kapitel



dieses Abschnittes

durch

63



ein treffliches Wort Pestalozzi's ausge­

sprochen und bekräftigt haben. Für die Ernährung, Anregung und Kräftigung der verschie­ denen Seiten und Beziehungen des Gefühls und Gedankens, des Wissens und Bewußtseins ist inzwischen nach jener Anordnung und Einrichtung des Unterrichts nicht minder gesorgt, zumal es aller Erfahrung zufolge besser erscheint,

wenig und gut,

als viel und

schlecht zu lehren, durch die vielfache Verarbeitung der einen und selben Bildungssubstauz, vermittelst des Sprechens, Schreibens und Lesens diese aber

in

und

mit dem Schüler zu seinem geistigen

Wachsthum so natürlich als wirksam verarbeitet wird. — Daß sich die hier angedeutete Einrichtung des Unterrichts be­ währe und in welchem Umfange dies geschehe, das hangt natürlich, wie die Erreichung eines jeden Zweckes, von verschiedenen inneren und äußeren Bedingungen

ab.

Wir wollen hier nur auf einige

hindeuten. Zuvörderst müssen die Lehr- und Schulbücher demgemäß ein­ gerichtet sein.

Wie dies geschehen könne, darüber zu sprechen, ist

hier nicht der Ort; aber es ist bereits geschehen und wird noch besser geschehen, und die Erfüllung dieser Bedingung wird der Sache und der weiteren Einführung unserer Vorschläge namhafte Dienste leisten. Demnächst kommt es aber auch hierbei vor allen Dingen auf tüchtige, einsichtige und thatkräftige Lehrer an. und

Lernmittel,

Die besten Lehr-

die zweckmäßigsten unterrichtlichen Einrichtungen

helfen wenig, wenn der tüchtige Mann fehlt, durch den sie eine lebendige fruchtbare Anwendung erhalten.

Es ist das eine der nam­

haftesten inneren Grundbedingungen alles gedeihlichen Unterrichts, die zuerst und zuletzt erfüllt sein will, wenn aus einer Schule oder Schulklaffe etwas werden soll.

„Denn der

wahre Erzieher und

Lehrer betrachtet und behandelt den Lehr- und Erziehungsstoff als Nahrungsmittel für Geist und Gemüth des Zöglings, das er nur aus der eigenen Bildung nehmen kann und welchem er durch die

64 zweckmäßige Methode eine zweckmäßige Zubereitung giebt, damit es nicht nur einen Wohlgeschmack erhalte, sondern auch gut verdaut werden könne, um dann sicher in die Bildung der Jugend einzuzugehen, zum Wachsthum und Gedeihen des geistigen Organismus. Nicht so beachtet die größere Masse der Erzieher den Bildungsstoff, sondern er ist bloß Werkzeug, geschaffen zur Handhabe für die künst­ liche Methode, in welcher allein man das Heil für die Jugend ge­ funden zu

haben glaubt.

Der Erziehungshandwerker greift den

Stoff, wie er ihn vorfindet als fertig auf, wie der eigentliche Hand­ werker das Werkzeug, ohne ihn anders erlernt zu haben, als me­ chanisch, ohne ihn anders zu kennen, als oberfiächlich, d. h. als em­ pirisches Stückwerk.

Und damit meint man, im festen Glauben an

die Wunderkraft der Methode, der Jugend zu geben, was man selbst nicht hat — Bildung!"

Blasche.

Prof. Dr. Schultz-Schultzenstein, von dem die Lehrer überhaupt viel lernen können, sagt in seinem ausgezeichneten Werke: „Die Ver­ jüngung des Lebens. Berlin, Hirschwald. 2. Aufl.":

„Die Lehrer

sind die Köche der Geistesnahrung und wie für eine gute Magen­ verdauung sehr viel auf den Koch ankommt, so auch bei der Geistes­ bildung.

Die größten Wahrheiten bleiben oft unverdaut und un­

verstanden Jahrhunderte liegen, bloß weil sie nicht für die Geistes­ assimilation passend zubereitet sind, und hinwiederum findet man an dem oberflächlichsten Zeuge Geschmack, wenn es nur eine leicht ver­ dauliche Form hat." — Demnächst hangt die leichtere oder schwierigere Durchführung eines lebendig in einander greifenden Unterrichts zugleich von äußern Umständen ab.

Wir erinnern hier nur an die Größe der Schüler­

zahl einer Klasse; ferner daran, ob in einer Schule das sogenannte Fach- oder Klassensystem vorherrschend ist, u. s. w. Wie dem aber auch sei, bei einem derartig eingerichteten Unter­ richte, ist und bleibt das dw Hauptsache und Spitze, worauf Alles ankommt: daß er durchgreifend und nachhaltig wirke, was bei der laxen und ungeordneten Kinderzucht der untern und bei der vielseitig

65 abgeschliffenen und abgeleckten, aber innerlich zerfahrenen und kranken Bildung der höheren Stände in jetziger Zeit doppelt nöthig

ist;

daß er also die ganze Kraft erfasse und durchdringe; daß der Schüler mit Neigung und Freudigkeit, mit Hingabe, Anstrengung und Aus­ dauer „das Lernen lerne" und sich durch den Unterricht gefördert finde und fühle. „Denn nur das, was der Geist mit Liebe ergreift, und worin er Befriedigung findet, gewährt ihm Bildung, nur in der Selbst­ erzeugung vollständiger Begriffe und Anschauungen findet er die ihm zusagende Thätigkeit und gewinnt dadurch an gediegener Bildung." Es ist daher sehr wohl denkbar und durch die Erfahrung auch mehrfach bestätigt, daß der Lehrer, der einer Klasse ganz und ungetheilt vorsteht, in Bezug

auf tiefere und fruchtbarere Bildung

mehr leisten und schaffen werde, als Lehrer, die von Klasse zu Klasse wandern und sich in keiner ganz heimisch fühlen.

Immerhin wird

jedoch Alles auf den rechten, gesunden Unterricht ankommen.

Dieser

ist dem zeugenden und gestaltenden Wirken des Lichtes zu vergleichen. Der sinnige Blasche sagt in seinem gediegenen „Handbuche der Er­ ziehungswissenschaft," das jeder Lehrer studiren sollte, der das Be­ dürfniß nach gründlicher Einsicht in das Wesen seines Berufes fühlt: „Die Bedingung des schaffenden Einflusses des Lichts auf die Materie ist die Erwärmung.

Das Licht ruft zunächst Erwärmung

hervor, und diese Wärme ist das Treibende, Bewegende, sie ist der Trieb in allen Dingen, ohne welchen keine Veränderung, kein Wachs­ thum z. B., mithin auch keine Entwickelung möglich ist.

Je weniger

das Licht gewisse Körper erwärmt, desto geringere Veränderungen bringt es in ihnen hervor, die geringsten also bei durchsichtigen Kör­ pern.

Und verhält es sich denn mit dem Unterrichte nicht ebenso?

Kann er bildend einwirken, wenn er nicht zunächst Wärme des Ge­ müths erregt?

Daran erkennt man die Güte, Naturgemäßheit und

echte Methode eines Unterrichts, wenn er, wie daö Licht die Pflanze, das jugendliche Gemüth im Innern erwärmt, d. h. Liebe für den Gegenstand des Unterrichts, also den ächten Lern- oder BildungsSchnell, org. Unterricht.

5

trieb erweckt und erhält.

Und nur derjenige Lehrer wirkt mit sei­

nem Unterrichte zeugend auf die Bildung der Jugend ein, der, selbst für den Gegenstand des Unterrichts erwärmt, der Methode mächtig ist, das Bedürfniß und die Empfänglichkeit jedes Alters kennt, und die demselben entsprechende Anlage im Schüler unfehlbar kräftig erregen wird, wenn keine Verbildung oder sonstige Geisteskrankheit die Wirkung vereitelt. Nicht so der Afterlehrer, der seine Schüler mit eitlem Glanze beleuchtet, mit einem Lichte, das nicht erwärmt und also nicht bildet, der den Mangel wahrer Bildung durch Künsteleien der Methode zu ersetzen strebt und nachher genöthigt ist, die unbeschäftigte, über­ strömende, Störung und Unruhe stiftende Kraft der Jugend durch strenge,

meist schlecht berechnete Disciplin

zu beschränken, welche

aber gewöhnlich das Uebel ärger macht." Es ist in diesen trefflichen Worten zugleich das rechte Wesen und Verhältniß der Bildung des Gemüths durch den Unterricht be­ zeichnet, das, falsch aufgefaßt, wie wir dermalen in dieser Gefahr schweben, in ein verderbliches und lächerliches Extrem umzuschla­ gen droht. Wie jene (associirende) Verbindung der Lehrgegenstände gemäß den Gesetzen der Aehnlichkeit, Verwandtschaft und des Zusammen­ hanges der Bildungsgegenstände und mehr noch der zu bildenden Kräfte, — beides läßt sich nicht füglich von einander trennen, — auf den verschiedenen Unterrichtsstufen mehr oder weniger folgerichtig durchzuführen, und die Verzweigung, besonders der einzelnen Theile eines Hauptlehrgegenstandes einzurichten sei: dies und noch manches Andere sind für die verschiedenen Schulen verschiedene, aber sehr nahe liegende Aufgaben, die indeß erst int Laufe der Zeit gelöst werden dürften und woran sich noch Viele zu betheiligen haben werden,

um das schöne gute Ziel auch nur annäherungsweise zu

erreichen. Bekanntlich sind darin bereits anerkennungswerthe Vorversuche gemacht und die ganze Richtung der neueren Methodik hat

uns

darauf hingedrängt, allein das Beste in der einzelnen Durchführung steht doch wol noch zu erwarten. — Endlich hüte man sich bei Ausbildung und Ausführung dieses gesunden Gedankens vor Uebertreibungen und Verkehrtheiten, zwänge also nicht ineinander, was nicht zu einander gehört, oder doch in sehr ferner Verwandtschaft steht, zumal sich doch nicht Alles zugleich weder lehren noch üben läßt,

und

die verschiedenen

Seiten und

Kräfte des Lernenden mit ihren Lebensbeziehungen immerhin zu ver­ schiedenen Zeiten in Anspruch und Angriff genommen werden wollen und werden müssen.

Es ist nicht „Alles in Allem," vielmehr gilt

gerade beim Unterricht besonders streng und fest: „Jedes hat seinen Ort und seine Zeit und Ordnung, und die strengste Ordnung ist Methode." — Wer alle Unterrichtsstoffe zu einem geschmacklosen Ragout zu­ sammenrührt, wie wir es hier und da bemerkt haben, kann sich frei­ lich auf den beliebten Mischmasch von Speisen und natürlich auch auf seinen absonderlichen Geschmack berufen; allein solches Ragout oder Sammelsurium läßt man sich allenfalls ab und zu, nie aber als tägliche gesunde Hausmannskost gefallen und der absonderliche, weil verdorbene Geschmack Einzelner kann nie allgemein gültig maß­ gebend sein.

Wir wenigstens empfinden vor solcher Nahrung einen

entschiedenen Ekel, weil wir Freunde des schmackhaft zugerichteten Einfachen sind. — Auch unter den geistigen Nahrungsmitteln giebt es überdies he­ terogene Substanzen und wenn sich allenfalls auch Alles in Zusam­ menhang setzen, zu einem geschmacklosen Brei oder Kloß zusammen­ rühren läßt,

so ist es doch nicht gut gethan, in der Schule zu

versuchen, was dem Witze und der sorcirenden Geistreichigkeit ein­ zelner Witzbolde oder

verdorbener Köche und

Gäume überlassen

werden muß. Nur auf den nahen und natürlichen, die Sache und vor Allem den Schüler fördernden Zusammenhang, auf eine angemessene Ver­ bindung des Unterrichts werde und bleibe es abgesehen. —

5*

68 Von namhafter Bedeutung für die in Rede stehende Einrichtung des Unterrichts ist endlich die zweckmäßige Aufeinanderfolge der Lehrund Uebungsgegenstände.

Doch verdient diese Frage als eine um­

fassende besonders behandelt zu werden, um so mehr, als dadurch die

hier

empfohlene nnterrichtliche Einrichtung

erst, wenn nicht

vollendet, so doch vollständig dargestellt wird. Geben wir uns zunächst nur dem großen lebensvollen Gedanken des Organismus, des lebendigen Zusammenhanges aller Dinge und Wesen hin, und lernen wir je länger je mehr ahnen und schauen die innere Harmonie, die alles Leben durchdringt, um das Größte und Kleinste zu entwickeln

und zu beglücken; lernen wir einsehen

und begreifen, daß wir mitten int Organismus des Lebens stehen und werden, daß Außen und Innen nur beziehungsweise Begriffe sind; erkenne Jeder, wie das wahre Leben ewige Entwickelung und ewiges Werden und ewige Vollendung zugleich ist in Dem, in dem wir leben, weben und sind.

"Alles lebt und Alles stirbt, Alles

zieht sich an und stößt sich ab als Glied in dem Einen, Ewigen, in Gott,« darum ist, im Grunde betrachtet, nicht der Mensch, sondern Er, der lebendige Gott, das lebendige Centrum auch des Unterrichts, weil das lebendige, persönliche Centrum der inneren, persön­ lichen Natur des Menschen, weil der Grundgedanke seines Lebens, in welchem sich Kraft und Wesen seiner ewigen Natur erschließt und vollendet zugleich. —

III. Hauptpunkt. Aufeinanderfolge des Unterrichts. Alles, was gethan und ausgeführt wird, wird im Laufe der Zeit gethan und vollbracht, geschieht also nacheinander, in zeitlicher Aufeinanderfolge.

Auch der Unterricht wird nach Zeitabschnitten,

69 nach Stunden, Tagen, Wochen, halb- und ganzjährigen Cnrsen ein­ getheilt und in dieser zeitgemäßen Weise und Folge durchgeführt. Wir bezeichnen diese bestimmte Regel, diesen festen Plan in der Aufeinanderfolge des Unterrichts kurz und treffend durch das Wort Ordnung. Die Ordnung ist bei der Erziehung und Bildung, wie über­ haupt im Leben von tiefgehender Bedeutung. "Ordnung regiert die Welt« sagt das Sprüchwort.

Welt hängt

zusammen mit Walten, Walten als gesetzmäßiges, weises, geordnetes Regieren, steht dem Schalten gegenüber. ginnt der christliche Abendsegen.

"Das walte Gott-- be­

Die Griechen nennen ihre Welt

--Kosmos-- d. h. Ordnung, Anordnung, geordnete Einrichtung; und wir sprechen von einem Mikrokosmus, von einer kleinen Welt, in­ dem wir damit den Organismus des Menschen, seine ganze Wesen­ heit bezeichnen.

Schönheit ist nicht ohne Zweckmäßigkeit, Harmonie,

Symmetrie, Ordnung.

Und in der That, was ziert mehr als Ord­

nung in den Gedanken und Worten den Styl und die Rede, was den Unterricht mehr als Ordnung in der Methode; was die Seele mehr

als Maß und Ordnung in den Gefühlen, Neigungen

Handlungen?

und

Die Familie oder das Elternhaus ist ein Organismus,

ebenso die Schule; sie bedürfen daher als Organismus der Ord­ nung.--

Dr. E. Dürre.

Wir unterscheiden beim Unterrichte aber, wie in allem Leben, insbesondere des Menschen, eine äußere und innere Ordnung. äußere Ordnung ist nothwendig, sie ist das Erstnothwendize.

Die Doch

ist sie eben nur eine Form, welcher als solcher der Inhalt, das Wesen fehlt. Die äußere Zeiteintheilung erscheint auch in sofern von Bedeu­ tung, als des Menschen Denken, Fühlen

und Thun zunächst an

äußere Bedingungen, an die Zeit und ihren Wechsel geknüpft ist und der zeitgemäße Wechsel von Ruhe und Thätigkeit seiner ganzen leib­ lichen und geistigen Einrichtung» dem Rhythmus und der Periodicität seines Lebens bedürfnißmäßig entspricht.

70 Wichtiger und bedeutungsvoller als eine äußere ist indeß jeden­ falls die innere Ordnung des Unterrichts.

Diese gehört zum Wesen

desselben; sie ist die Hauptsache einer guten Einrichtung des Unter­ richts; denn mit ihr steht oder fallt die Schule, wird dem Lehrer die Arbeit erschwert oder erleichtert;

von ihr ist der Erziehungs­

und Unterrichtserfolg jeder Schule wesentlich abhängig. Die innere Ordnung des Unterrichts ist durch die richtige, zweckmäßige Aufeinanderfolge der Lehr- und Uebungsgegenstände be­ dingt; sie ist diese Aufeinanderfolge selbst und muß natürlich nach der von uns schon früher hervorgehobenen Einrichtung des Menschen eine innerlich begründete, zusammenhangende, eine gegliederte sein, weil der Unterricht mit des Schülers willen da ist, und die unter» richtliche Art und Weise und Einrichtung sich vor Allem nach ihm zu richten hat. Jener äußere zeitgemäße Wechsel des Unterrichts kann regel­ mäßig stattfinden, ohne daß der Schüler innerlich befriedigt, ge­ fördert und erfreut wird, ja er vermag sogar zu seinem inneren Nachtheile und Verderben statt zu finden, wenn nämlich die Nach­ einanderfolge der einzelnen Lernthätigkeiten, die Erregung und Rich­ tung der zu bildenden Kräfte, die eben von der richtigen natürlichen Aufeinanderfolge der Unterrichtsgegenstände, insbesondere der Uebun­ gen abhangt, den Gesetzen und Bedürfnissen der gesunden, lebendigen Empfänglichkeit und Thätigkeit des Lernenden theils nicht angemessen ist, theils geradezu widerstrebt, wenn sie also nicht in der rechten Aufeinanderfolge, nicht

in

dem

gesunden,

lebendigen Zusammen­

hange steht. Wie in dem vorhergehenden Abschnitte der Nachdruck auf den Zusammenhang

der Unterrichtsgegenstände,

inwiefern sie

neben-

und ineinander stehen, gelegt wurde, so in diesem in Bezug auf das Nacheinander, Gliederung.

auf

ihre richtige,

sich

an einanderschließende

Auch in dieser Beziehung kann

eine natürliche oder

unnatürliche, eine gesunde oder kranke, eine organische oder mecha­ nische

Einrichtung des

Unterrichts

beliebt

und befolgt,

und

soll

71

natürlich das Schlechte vermieden werden. Oder meint man etwa, es sei einerlei und gleichgültig, ob man den Schüler z. B. an einem Vormittage zuerst mündlich und dann schriftlich, zuerst in der Gottes­ und dann in der Sprachkunde u. s. w. unterrichte und beschäftige? Dem Gleichgültigen oder Leichtfertigen ist freilich Alles einerlei, natürlich auch der Mechanismus, in welchem er sich fest gefahren hat. Was würde dem Menschen nicht lieb und werth durch die liebe Gewohnheit?! Sehen wir auf die alltägliche Schulamts-Praxis, so wird Nie­ mand die Behauptung aufstellen, daß der wesentlichen, der inneren Ordnung, der wohlgegliederten Folge und Einrichtung des täglichen und wöchentlichen Unterrichtsplanes in Bezug auf die richtige, stünd­ liche und tägliche Aufeinanderfolge der Unterrichtsgegenstände recht und allgemein genügt werde. Erscheint es den Lehrern und ihren Behörden doch nur zu oft ganz einerlei, ob die Kinder heut erst diesen Lehrgegenstand oder einen andern und so fort zum Genusse und zur Uebung dargeboten erhalten, obwol man dies selbst in Bezug auf leibliche Ernährung und Uebung nicht als gleichgültig ansieht, sondern dabei nach gewissen Grundregeln folgerichtig verfährt. Es herrscht in jener Beziehung ein planloses, wirres und ver­ wirrendes Durcheinander, bei aller äußeren Ordnung die innerste Unordnung, und, streng genommen, keine andere Regel, als etwa die, wie sichs eben mit Rücksicht auf die Lehrer einer Schule füglich macht und machen läßt, hier so, dort anders, in diesem Jahre auf diese Art, in einem andern auf eine andere, so daß sie tausendfach verschieden, weil nicht in sich begründet ist. — Ist das Organismus oder Mechanismus des Unterrichts? Ist das organische Regel und Gesetzmäßigkeit oder mechanische? — Es ist pädagogischer Vanda­ lismus. — Ist das in der organischen Einrichtung und in dem Bedürfnisse der Kindes-, der menschlichen Natur oder sonst wo und wie begründet? Heißt das richtige oder falsche oder gar keine Ge­ sichtspunkte bei Aufstellung des Wechsels der Lehre und Uebung beobachten? — Beim leiblichen Leben, beim Genuß von Speise und

72 Trank und bei leiblichen Uebungen wird nach einer zweckmäßigen Ordnung der Ernährung und Thätigkeit gefragt und dieselbe ange­ strebt; und das sollte nicht auch bei der Ernährung und Uebung des inneren, persönlichen Lebens geschehen? Dieselben Gründe, die dort dafür sprechen, haben auch hier ihre Geltung und wollen hier in einem noch bei weitem höheren Grade beachtet sein. Selbst in den Schulen und Klassen, denen je nur ein Lehrer vorsteht, werden die Unterrichtsgegenstände bunt und wirr durchein­ ander geworfen.

Dieser Wirrwarr geht so weit, daß man selten

den einfachen Unterschied von überwiegenden Lehr- und Uebungs­ gegenständen beachtet findet,

wie wichtig auch die Sache für den

täglichen Unterricht und den Erfolg desselben ist, wie nothwendig auch die Uebung im Verhältniß zur Lehre das Uebergewicht haben sollte, wie folgerecht und wirksam die innere Verbindung beider auch ist und stets bleiben wird, und wie wenig überhaupt eine gegliederte Einrichtung des Ganzen entbehrt zu werden vermag, wenn etwas Ganzes und Gesundes zu Stande kommen soll.

Wir erachten das

als einen namhaften Fehler, als einen Krebsschaden der Schulen und als einen redenden Beweis mehr dafür, daß unsere Unterrichtspflege theilweis noch so recht im Mittelpunkte ihrer täglichen Bestrebung übel berathen sei znin Kreuz und Verderben für Schüler und Lehrer. Die verschiedenen Unterrichtsformen und Lehrgänge sind seit Pesta­ lozzi vortrefflich ausgebildet worden und werden täglich und vervollkommt.

verbessert

Das zeigt ein Blick auf die zahlreichen Lehr-

und Uebungsbücher, die noch jährlich erscheinen. Was dagegen das Maß, den Zusammenhang und die Aufein­ anderfolge, überhaupt die organische Ordnung und Einrichtung des Unterrichts im Ganzen und Einzelnen anbetrifft, so bleibt noch gar viel zu denken und zu thun übrig, um das Richtige und Bessere aufzufinden und allgemein zur Geltung zu bringen; denn es ist da­ mit eben nur ein Anfang gemacht, und die richtige Einrichtung des Lehr- und Uebungs- Systems so wenig bedacht und getroffen, daß es noch viele Lehrer und Pädagogiker giebt, die darüber kaum gedacht,

73 geschweige dafür etwas gethan haben, ja die deshalb nachzusinnen, es gar nicht einmal der Mühe werth halten, und daher auf der­ artige Bestrebungen höchstens einen zweideutigen Seitenblick werfen. Und wenn schon,

was hier

ausdrücklich bemerkt wird, wir

durchaus nicht der Meinung sind, daß auch in dieser Beziehung die Schulen, selbst die allgemeinen Elementarschulen,

alle schlechtweg

über einen Leisten geschlagen werden mögen, weil die örtlichen und besondern Verhältnisse der Schüler rc. immerhin Berücksichtigung ver­ dienen, so sind wir doch andererseits entschieden der Ansicht, daß, da die Subjecte der Bildung, die Schulzöglinge, überall in ihren wesentlichen Bedürfnissen

und

Entwickelungsgesetzen

sich gleichen,

eine dem Subjecte angemessene Grundnorm in besagter Beziehung aufgefunden und als die allgemein gültige Hauptsache der organischen Einrichtung des Unterrichts aufgestellt werden müsse. Erwägen wir zunächst die Nachtheile der mechanischen Einrich­ tung der Lectionspläne in fraglicher Beziehung. Die gewöhnliche Einrichtung besteht darin,

daß die Schüler

alle Stunden in einem anderen Lehrgegenstande unterrichtet werden, ohne daß eine zweckmäßige Folge der Sachen und Uebungen berück­ sichtigt wird.

Darnach wird Gefühl und Gedanke nebst dem Willen

nicht nur stündlich anders angeregt, gelenkt und gerichtet, sondern auch gewöhnlich alle Tage in ganz entgegengesetzter Ordnung be­ thätigt, und der Schüler, weil wie ein Automat behandelt, auch zu einem Automaten gemacht.

Es gilt in diesem Betracht, was Faust'S

Famulus, wenn auch in anderer Beziehung, sagt: »Mir wird von alle dem so dumm, Als ging ein Mühlrad mir in dem Kopf herum.» Wer hätte das nicht als Schüler und auch als Lehrer erfahren? Es fehlt ja in dem Unterrichte die feste, gleichmäßige Gedankensamm­ lung;

es fehlen die Krystallisationskerne, die organischen Mittel­

punkte, und es ist daher die Versenkung und Vertiefung in eine Sache, die Bewegung in einer stetigen festen Richtung geradehin un­ möglich.

Der bloß äußere, zufällige, mechanische Wechsel ist vor-

74 herrschend, ohne Rücksicht darauf, ob das keimende Bewußtsein zer­ stückelt und geschwächt oder gesammelt und gestärkt,

ob der ge-

sammte Entwickelungs- und Ausgleichungsvorgang des inneren Le­ bens, insbesondere deö denkenden, gestört oder gefördert, ob Gefühl und Verstand aufgeregt oder befriedigt, und das ganze persönliche Leben gesetzmäßig und heilsam erregt oder willkuhrlich und verderb­ lich behandelt werde. Und doch lehrt die alltägliche Erfahrung, daß es

selbst

für

reife, vollkräftige Menschen nicht gleichgültig sei, ob sie stundenlang hintereinander im Zusammenhange sprechen oder schreiben oder ob es zusammenhangslos geschieht, ob sie alle Stunden

eine andere

Sache vornehmen oder sich andauernd mit einer und derselben theils sprechend, theils schreibend beschäftigen.

Comnenius bemerkte daher

schon vor etwa 200 Jahren: --Die Verirrung der Schulen besteht darin, daß sie den Schülern vieles zugleich beibringen wollen.

Wer

kennt nicht den Wechsel der Lehrgegenstände an einem Tage?

Der

Geist wird aber zerstreut, wenn dem Schüler zu einer und der­ selben Zeit Verschiedenes vorgelegt wird.« Wer hätte nicht auch schon Menschen kennen gelernt, die in einer wechselnden, unsteten Vielgeschäftigkeit die Zeit vergeuden und so viel als nichts thun, die aber in Folge dessen auch folgerecht zu keiner Ruhe und Ordnung in ihrem Denken, Wesen und Character gelangen, sondern im Gegentheil sich aufreiben, sich und Anderen daneben das Leben verleidend und verbitternd.

Immer und immer

aufgeregt, gleichen sie dem Quecksilber, das, kaum gesammelt, auch schon wieder

durch

eine

geringe

Bewegung

auseinander

läuft.

Solche Quecksilberseelen sind halbe Tollhäusler, eö ist schwer oder gar nicht mit ihnen fertig zu werden. Nach

unserem gewöhnlichen Unterrichtsplane bilden wir die

Jugend planmäßig zu solchen Quecksilberseelen heran, und

darin

eben liegt der Grund mit, warum jetzt so oft bei aller äußeren Gewandtheit und Abgelecktheit innere Zerfahrenheit und zerflossenes Wesen vorherrscht, warum jetzt so selten inneres Genügen und Der-

75 gnügen,

so selten

ganze,

ungetheilte Hingabe an eine

bestimmte

Lebensaufgabe, so selten die heilsame Sammlung der ganzen Kraft in einem Punkte unter uns gefunden wird, obwol das bei unseren ausgebildeten Lebenszuständen, bei der nothwendigen Theilung der Arbeit und Berufsarten doppelt nöthig ist.

Wir

arbeiten

mit

einem Worte dem Schlendrian in die Arme, begünstigen die Schlen­ deret und bilden Schlenderer. "Ein Uebel, das alle praktische und wahre Religion aufhebt, ist aber die in unserer Zeit überhand nehmende Schlenderei, jene Lvögebnndenheit von festen Grundsätzen, von richtiger Arbeit, von strenger Mühe und Arbeit. — Unter dem Vorwände,

daß man

sich das Leben leicht machen, daß man sich so genau nicht an Regel, Zeit, Ordnung halten dürfe; daß der Geist, das Genie uns treibe, entwöhnt man sich aller Anstrengung seiner Kräfte, mithin auch ihres besten Gebrauches, ihrer höchsten Wirkung:

denn nur durch

einen schärferen Fleiß, durch eine schwerere Uebung, durch eine nicht gemeine Anspannung der Kraft wird das weitere Ziel, das höhere Vortreffliche errungen; dem Schlummernden, Schlendernden bleibt es ungesehen und unerreicht. — Wodurch haben sich die großen Geister, die

festen Seelen aller Zeiten ausgezeichnet?

Wesentlich

waren sie nicht anders gebaut, als andere Seelen; aber sie hatten ihre innere Organisation geregelt, gestärkt, sie konnten einen Ge­ danken länger festhalten und von allen Seiten verfolgen, eine und dieselbe Arbeit länger, kräftiger treiben; sie hatten sich mehr geübt.

Diese stärkere und längere Intensität

der Seelenkräfte machten jenen Roger und Franz Bacon, Kepler und Newton, Leibnitz, Haller, Euler, Stimme, Bussen und in poli­ tischen Geschäften alle vor anders tüchtige, erfahrene, nützliche Leute. Schwierigkeiten, Gefahren, Hindernisse, ihr Geschäft selbst besiegten sie; so wurden sie Ueberwinder.

Der Schlenderer, der sich Alles

leicht und kurz macht, gelangt zu nichts; und wer von Jugend auf schlendert, nichts als schlendert, setzt, wenn ihn nicht das Unglück anstrüttelt, dieses Schweben fort bis an sein unrühmliches Ende."

76 Diese Worte Herders,

der eS sich auch hatte sauer werden

lassen, um etwas Tüchtiges zu lernen und zu leisten, passen vor­ trefflich auf unser ganzes tägliches Schultreiben, auf unsere bunten Schulpläne.

Oder irren wir etwa?

Hören wir darüber noch eine

andere vollwichtige Stimme aus neuerer Zeit:

«Beschränkung

auf Weniges, Concentration, Ausdauer bis zur völligen Aneignung, Nöthigung zur Beharrlichkeit bei ermüden­ den und schwierigen Aufgaben, alles dies zielt auf die Charakterbildung ab, und

es bedarf keines Beweises,

daß es ihr wirklich dient, und daß umgekehrt, ein nicht streng geregeltes Verfahren und ein willkührliches Hinund Herschweifen in wissenschaftlichen Dingen, auch der Characterlosigkeit Vorschub leistet.

Als Sir Robert Peel

das Rectorat der Universität zu Glasgow antrat, warnte er in sei­ ner Rede die Studenten vor dem Vertrauen zu den Inspirationen des Genius; zu einem «realen Succeß« Fleiß und unermüdete Ausdauer.

gelange man nur durch

Das Ganze ist, wie ein Com­

mentar zu Schillers Wort: »Das Genie ist der Fleiß.« Dr. Wiese. Wir strengen allerdings die Jugend an durch das Vielerlei und den stündlichen, unsteten Wechsel des Lernens, aber es liegt darin kein Heil und Segen, sondern es erzeugt nur blasirte, genußsüchtige, unstete, schlendernde Menschen, die keine Stetigkeit und Ruhe, weil keine innere,

sich zusammenfassende und

zusammenhaltende Kraft

haben, und die sich daher in demselben Maße unbefriedigt fühlen und die später oder früher in demselben Grade ausschweifen (extravagiren), in welchem sie den inneren Einheits- und Lebenspunkt, die Samm­ lung ihrer Kräfte nothwendig verlieren und verloren haben. — «Durch die erneuerte Aufmerksamkeit erneuert sich die Bindekraft der Elemente denen es besteht.

eines festen Bildes, aus

Nichts ist daher zuträglicher für die

Klarheit und treue Erinnerungsfähigkeit unserer Vor­ stellungen als eine anhaltende und immer erneuerte Be-

77 schäftigung mit einem bestimmten, in sich abgeschlossenen Kreise von Gegenständen, auf welche die Aufmerksamkeit und das Nachdenken immer und immer wieder zurück­ kömmt, nichts hingegen nachtheiliger, als die Beschäfti­ gung mit tausend unzusammenhängenden Dingen, welche nur immer nach dem Neuen hascht, oder eine wilde, unge­ regelte Seetüre, bei welcher sich keine festen Ruhepunkte bilden, auf welche das Nachdenken als auf einen erwor­ benen geistigen Besitz immer aufs Neue zurückkehren kann." "Weiße'S, des berühmten Verfassers des Kinderfreundes; Ge­ dächtniß war,« wie sein Biograph erzählt, »in der That nicht treu, weder für Ort und Zeit, noch für Namen und Zahlen, noch für Sachen. Aber es war dies keine natürliche Schwäche desselben. Er las, wie er oftmals selbst klagte, auf der Schule und Uni­ versität Alles durcheinander, wirklich in der Absicht, sich mit Kennt­ nissen zu bereichern. Aber er war zu begierig, etwas Neues zu lernen, ohne sich des Vorigen ganz bemächtigt zu haben. So ver­ drängte eine Vorstellung die andere; sie ordneten' sich nicht gehörig, knüpften sich nicht aneinander, erweckten sich nicht gegenseitig. Nach­ her kam er bald i» sehr vielfache Zerstreuungen. Seine Verhält­ nisse als Schriftsteller, Hofmeister, Redacteur eines Journals, Cor­ respondenten brachten einen unaufhörlichen und schnellen Wechsel in seine Beschäftigungen. Er ging zu den wenigsten über, ohne nicht in Gedanken noch an den vorigen zu hangen; die eigenen Schöpfun­ gen seines Geistes, die Bilder seiner Phantasie schwebten ihm leb­ haft vor der Seele, — das verwöhnte ihn, auf Nichts außer ihm ganz bestimmt und ausschließend seine Aufmerksamkeit zu richten.« Prof. Fortlage. Es wäre über diese Sache noch viel zu sagen, wenn wir nickt befürchten müßten, daß das hier bereits Gesagte schon Manchem zu viel sein werde. Wer beschäftigt isich heut zu Tage noch gründlich mit einer Sache, mit einem Gedanken, wo Alle Alles wissen und

78 thun und Alken Alles gelehrt wird und gelehrt werden muß? Wir verstehen unS nicht mehr auf die einfache Kunst, ohne Rast und doch ohne Hast thätig zu fein, zu denken und zu schaffen, und arbeiten ihr in der Schule systematisch entgegen. Giebt es doch sogar hochweise Pädagogiker, welche die bemän­ gelten Punkte unserer Unterrichtseinrichtung als eine große Kleinig­ keit erachten und zu Betrachtungen und Vorschlägen der Art höch­ stens die Nase rümpfen. Sie übersehen in ihrer »abstracten In­ telligenz« freilich, daß, wer sich mit einer Sache ganz und gründlich beschäftigt, für alle anderen Dinge und Verhältnisse des Lebens eine Schärfe und Tiefe des Blickes und Urtheils gewinnt, wie sie die beliebte Vielseitigkeit und Abgeschliffenheit der Bildung selten oder gar nicht gewährt. Wer das Glück und Gedeihen der Jugend und in weiterer Folge des Gemeinwohls will, versetze sich nur einmal recht ernstlich in die Lage eines Kindes, das in lebendiger, gesetzmäßiger Einheit fühlt und empfindet, und in welchem sich der organische Anziehungs­ und Ausgleichungsprozeß des inneren, persönlichen Lebens im ge­ sunden Zusammenhange nach den bekannten Gesetzen der Association und Combination natürlich vollzieht, und dann vergleiche er damit, wie in der Schule gewöhnlich die Empfindungs- und Gedankenkeime und der natürliche, gesunde Vorgang der Entwickelung willkührlich und roh tagtäglich Stunde um Stunde das ganze Jahr hindurch unterbrochen und auseinänder gezerrt werden, so daß das Kind sich an Nichts mit Ruhe und Stetigkeit anzuschließen und hinzugeben vermag, wie sehr dies ihm auch Bedürfniß ist, um darin seine Kraft und sich selbst zu sammeln und zu finden und zu tüchtigen. Wenn die Kinder aber mit einem ganz gewöhnlichen Spielzeuge sich stundenlang beschäftigen und es gern thun, warum sollte es ihnen nicht bei anderen ernsten Dingen möglich und nützlich sein? — Was man auch sagen möge von dem natürlichen Bedürfnisse des Wechsels, das wir auch anerkennen, berücksichtigen und zu be­ friedigen suchen: nur in der Zusammenfassung der Kraft, nur in

79 der

andauernden Sammlung in einem Punkte liegt die

gesunde Kräftigung und Stärkung auch der Seele, und jedes ge­ sunde Kind ist nur darum so natürlich und unbefangen, so frisch und

vollkräftig,

weil es

in

Einheit

und Harmonie fühlt, wie

denn der Mensch überhaupt nur darum so hoch hervorragt über alle anderen Dinge und Wesen der Erde, weil er die Concentration und Einheit aller ist in seiner organischen persönlichen Natur. Und die Lehrer selbst?

Wie sind sie bei den gebräuchlichen

verzwickten, anorganischen Schulplänen berathen? Machen wir uns das Sachverhältniß klar, zumal viele Lehrer gar nicht wissen, wo sie der Schuh am meisten drückt, trotz Hals-, Lungen- und Leberleiden, die ihnen die Schule und die leidliche Gotteswelt zur Hölle machen, oft mehr, als Noth und Hunger, die freilich meistens ihr Loos sind. Also wie fahren die Lehrer bei den üblichen

Schulplänen,

wenn sie ihre Schuldigkeit thun? Sie müssen oft stundenlang hintereinander reden und immer wieder reden, und wer da weiß, was sprechen, was unterrichten heißt, auch nur so leidlich, wird wissen, wie diese Arbeit des Geistes Leib und Seele in Spannung setzt und angreift.

Wenn irgend ein

Arbeiter seinem Geiste und Wesen die unnatürlichste Gewalt alle Tage anthun muß, so ist eö der Schullehrer.

Kaum in ein Object

des Gedankens hineingekommen, muß er schon wieder an ein anderes denken und sich damit angelegentlich beschäftigen und davon reden, während er doch zu gleicher Zeit vielen lebendigen Schülern erst recht die sorgfältigste Achtsamkeit und Pflege zu widmen hat. bedenke, was das besagen will!

Man

Es geht einige Zeit, vielleicht einige

Jahre hindurch; aber endlich und nur zu bald ruinkrt eö geradezu und sichtbar; es ruinirt Leib und Seele; es erzeugt jene Reizbarkeit und Gereiztheit, wodurch Schulmänner oft so unleidlich und unan­ genehm werden. wendige Folge,

Das ist unter den jetzigen Umständen die noth­ falls der Lehrer streng und

gewissenhaft seine

Pflicht und Schuldigkeit thut, oder er müßte ein Riese an Geist

80 und Körper sein und die sind bekanntlich eine Seltenheit, zumeist unter uns Schulleuten.

Nach statistischen Beobachtungen stehen die

Lehrer wenigstens in einem Punkte obenan, behaupten sie den ersten Rang: cd herrscht unter ihnen die

größte Siechheit

und Sterb­

lichkeit. Daß eine solche unnatürliche Aufregung und Ueberreizung, sich täglich wiederholend, Leib und Seele aufreibt, weiß Verfasser aus vielfacher Beobachtung und eigener

Erfahrung.

Welcher

andere

Kopfarbeiter ist auch nur in ähnlicher Weise bei einer stets dop­ pelten, Schüler und Sache gleichbeachtenden, auf eine stets regel­ mäßig alle Stunden wechselnde Geistesthätigkeit gewiesen und dazu genöthigt?

Mag hier und da der Wechsel nach Ort und Zeit groß

sein, es herrscht doch immerhin eine gewisse Einheit der Richtung des Geistes vor, so daß der Geist darin zur stetigen, gleichmäßigen Bewegung zu gelangen, sich in eine Grundrichtung des Gedankens und der That hinein zu leben vermag, was hinterher, wenn sonst das Maß der Anstrengung und Arbeit nicht überschritten wird, immerhin stärkt und kräftigt. Das reine Gegentheil waltet bei der lehrlichen Thätigkeit vor; denn der Lehrer muß die Schüler mit Geistesnahrung überfüllen zu ihrem Nachtheile und Verderben; er muß ein unstetes, schlenderndes Geschlecht erziehen und sich dabei obenein selbst zu Grunde richten. Ohne Gesundheit und Kraftfülle ist aber das Paradies eine Hölle, wie vielmehr erst die selten beneidenSwerthe Lage eines armen siechen Lehrers! Es ist so!

Wo soll, wo kann unter solchen Umständen die

Freude und Liebe und die Kraft zum Unterrichten gedeihen?

--Die

Hauptsumme aller Lehrertugenden ist aber Liebe und frohe Laune. Wenn ichs sonst nicht wüßte, wie Seele auf Seele so stark wirkt, so würde ich das in meiner Schule lernen.

Wenn ich so recht froh

in dieselbe komme, sind meine Kinder Engel, und es geht Alles herrlich,-- sagte der menschen- und kinderfreundliche Bischof Seiler, als er noch Lehrer war.

81

Um zur Hauptsache zurück zu kommen, wollen wir nun nur noch hervorheben, was wir aus reifer Erfahrung für Elementarund Mittelschulen als das Natürlichste und Beste erachten, als das Zweckmäßigste, um eine nicht bloß äußere, sondern wahrhaft in­ nere, eine so einfache als wirksame, eine so bildende als befriedi­ gende Ordnung und Einrichtung des täglichen Wochenunterrichts für Schüler und Lehrer herbeizuführen. Auf die Vormittagsstunden als Hauptschulstunden des Tages, wo Geist und Körper der Lehrenden und Lernenden am frischesten und empfänglichsten sind, werden die Hauptgegenstände des Unter­ richts gelegt, also Gottes-, Welt- und Sprachkunde mit Gesang. Auf die Nachmittage fallen dagegen Formenlehre mit Zeichnen und Rechnen, also Gegenstände, die überwiegend formeller Natur sind und der Seele mehr zur Uebung, als zur Ernährung dienen. Von den täglichen Vormittagsstunden einer jeden Schulwoche wird die erste als Sprech-, die zweite als Schreibe- und die dritte als Leseübungsstunde, die letztere an je zwei Tagen, Mittwochs und Sonnabends, ausnahmsweise als Gesangübungsstunde verwandt. Auf diese Weise treten die Uebungen im Sprechen, Schreiben und Lesen mit dem Stoffe des Unterrichts in eine enge und durchaus natür­ liche, wohlgeordnete Verbindung, so daß die Sprache überhaupt als Träger und Organ der Bildung scharf und bestimmt zur Geltung gelangt, wie es die gute Ordnung des Unterrichts verlangt und der organischen Einrichtung desselben durchaus angemessen ist. Daß es aber eben so nothwendig als zweckmäßig sei, das, was geschrieben und gelesen werden soll, mit den Kindern der Regel nach vorher zu durchsprechen, ist die Ansicht anerkannter Pädagoge», wie es für sich selbst spricht. »Es ist von wenig Menschen zu verlangen," bemerkt Chr. Weiß in seinen »Erfahrungen und Rathschlägen," »daß sie beim ersten Aufschlagen eines Buches seinen Inhalt tonisch richtig vorlesen sollen, so wie nur der fertigste Spieler eines musikalischen Instruments im Stande sein wird, eine ihm vorgelegte unbekannte Composition so« Schnell, ctg. Unterricht,

6

82 fort fehlerfrei vorzutragen.

Daher muß dem Schüler der Volks­

schule, was er gut lesen soll, schon dem Inhalte nach bekannt, schon von ihm still durchgelesen, oder vom Lehrer mit ihm durchsprechen, oder

auch

von dem

letzteren selbst

musterhaft vorgelesen worden

sein.« — Was demnächst die tagweise Aufeinanderfolge der Hauptlehr­ gegenstände, die unterrichtliche Gruppenfolge

an den Vormittagen

im Laufe einer Schulwoche betrifft, so wird Montags und Donners­ tags die Religion oder Gotteskünde, Dienstags und Freitags die Weltkunde (Realien) und Mittwochs und Sonnabends Sprachkunde gelehrt, so daß diese Gegenstände, die überwiegend zur Ernährung der Seele dienen und daher weniger zur bloßen Uebung ihrer Thätig­ keit,

den Inhalt für die täglichen Sprach-, Schreibe-

und Lese­

übungen abgeben und durch die letzteren dem Gefühle und Bewußt­ sein der Kinder einverleibt (assimilirt) werden. Diese Einrichtung des Unterrichts nennen wir die --Centralisa­ tion« und gewiß mit vollem Rechte, da einzelne Objecte je zeitweise Gruppen, Mittelpunkte (Centra) bilden, an die sich die Ernährung und Uebung des Geistes anschließt, um welche sich die gesammte Kraft sammelt, die Uebungen zur Entwickelung von Fertigkeiten sich gleichmäßig und

folgerecht gruppiren, und wodurch neben einem

sichern, festen Wissen

und

Können

gleichzeitig

Geläufigkeit

darin erzielt wird, als worauf es doch zugleich wesentlich ankommt. Denn --Daß etwas gründlich du verstehest, ist nicht genug; Geläufig muß dir's sein, dann übest du's mit Fug.« Rückert. Auf die beregte Weise wird zugleich der wöchentliche und täg­ liche Plan des Unterrichts ungemein vereinfacht, was namentlich auch in Hinsicht seiner Artung für besondere Verhältnisse von Be­ lang und Bedeutung ist, weil sie sich füglicher demgemäß machen läßt, ohne den Grundplan aufzuheben.

Es

sind dazu täglich 6,

Mittwochs und Sonnabends je 3 Stunden erforderlich, und Verfasser

83 zweifelt nach feinen Erfahrungen nicht einen Augenblick daran, daß er, wiewol er kein ausgezeichneter Lehrer ist, nach dieser Einrichtung bei einem fünf-, beziehungsweise dreistündigen Tagesunterricht eben so viel leisten würde, als ein tüchtiger Lehrer in täglich 6 Stunden, möglichst gleiche Umstände und Verhältnisse natürlich vorausgesetzt, und dabei will er sich gar nicht einmal besonders anstrengen, weil, wenn die Schüler mit Lust und innerer Befriedigung lernen, dies gar nicht nöthig ist, am wenigsten aber das viele Reden des Lehrers. So viel kommt allerdings auf Einrichtungen an, auch beim Unter­ richte.

Gewiß ist, daß, wo viel gelehrt wird, wenig gelernt zu wer­

den Pflegt. Will man die dritte vormittägliche Stunde, statt auf Lesen, auf eine andere Uebung, an je vier Wochentagen verwenden und das Lese» auf die erste oder zweite Nachmittagsstunve legen, so haben wir auch nichts dagegen, wenn das Lesen des Nachmittags sich nur auf den Inhalt des Vormittagsunterrichts bezieht und so Nachmit­ tags in der Hauptsache wiederholt wird, was Vormittags gelehrt worden ist.

Wo es die eiserne Nothwendigkeit, wie gewöhnlich in

Landschulen zur Sommerzeit, gebietet, läßt sich unser Plan, unbe­ schadet seines wesentlichen Characters füglich in

2—3

Stunden zu­

sammenfassen, indem man dann nur statt des stündlichen Wechsels der Uebungen etwa halbstündlichen eintreten zu lassen nöthig hat, was sich in der Unterklasse so wie so empfiehlt. Wenn man bedenkt, daß und wie die ganze neuere Anschauung des Lebens anerkennt: es komme im Leben für ven Einzelnen mehr auf That und Arbeit an, als aus Bielwissen und Vielreden, so liegt nahe, daß eine Vereinfachung des Unterrichts, die es möglich macht, in drei Stunden der Hauptsache nach zu erreichen, was sonst nur in 6 Stunden zu erreichen ist, für sich selbst spricht. Kinder, zumal die des Handwerker- und Landbauerstandes,

müssen frühzeitig die

Hand aus Werk legen, d. h. handtiren lernen, sei es im elterlichen Haufe, oder in sogenannten Arbeitsschulen,

die sich besonders in

Städten für arme, unbeschäftigte Knaben und Mädchen empfehlen.

6*

84 Zu dem Behufe wird man später gewiß den Unterricht auf den Vormittag beschränken und den Nachmittag für Handarbeiten und körperliche Uebungen verwenden, um so mehr, als diese der Jugend ein wesentliches Bedürfniß sind.

Bor der Hand wird es freilich

noch beim Alten bleiben, weil man noch nicht allgemein anerkennt und begreift, was Noth thut und das Beste ist. — In Mittelschulen, in denen zugleich etwa eine fremde Sprache oder deren einige gelehrt werden, ist genug Zeit dazu übrig, wenn man diesen Unterricht von 11—12 auf den Vormittag legt. Wo dies nicht der Fall ist, dagegen es an Zeit fehlt, um Leibes­ übungen in der Schule vorzunehmen, was so dringend wünschenswerth erscheint, kann dies füglich alle Tage eine Stunde hindurch Vormittags nach den ersten beiden Schulstunden geschehen; in der vierten Stunde

wird dann gelesen oder gerechnet oder gesungen.

Die Knaben können so schon in der Schule die militairischen Grund­ übungen erlernen, was sie überdies so gern mögen, und außerdem giebt es für Knaben und Mädchen ja so viele Uebungen und Spiele zur geschickten und gewandten Ausbildung des Leibes, und thut es so dringend Noth, daß auch die Schule endlich der leiblichen Aus­ bildung an ihrem Theile ersprießliche Dienste leiste und unter die Arme greife. — Abgesehen davon, so kommt auf diese Weise in jedem Falle mehr sachliche und geistige Einheit und Einfachheit in den ganzen Unterrichtsorganismus, mehr Maß und Gleichmaß, mehr Stetigkeit, Zusammenhang und Beständigkeit, indeß doch andererseits dem natür­ lichen Bedürfnisse des Wechsels Thätigkeit der Schüler durch

in der geistigen und körperlichen die

verschiedenen,

in sich festgere­

gelten und wohlgegliederten Uebungen das erforderliche Genüge ge­ leistet wird. Daß dabei nicht die Objecte, sondern die Subjecte wesent­ lich maßgebende sind, versteht sich von selber, denn die Schüler sind nicht um des Unterrichts, sondern die Objecte mit dem Unterrichte um der Schüler willen da.

Auch liegt auf offener Hand für Den,



85



der sehen will und sehen kann, daß durch die von uns angebahnte Centralisation hauptsächlich die Concentration der zu bilden­ den Kräfte des Schulzöglings erstrebt werden soll, und ganz füg­ lich erreicht werden kann, wenn der Lehrer mir ernstlich will und das Seine ehrlich und redlich thut. Die

pädagogischen Ignoranten

wissen davon freilich

nichts,

wie sie denn überhaupt die Objecte als Hauptzweck ins Auge fassen und die natürliche, gesunde Ordnung der Dinge nur zu oft geradezu auf den Kopf stellen.

Diese Art Lehrer haben überhaupt kein rich­

tiges Unterscheidungsvermögen und es ist mit solchen Querköpfen am besten gar nicht zu streiten, weil dabei mit fertigen Leuten doch nichts herauskommt. Genug, auch bei Feststellung und Beurtheilung eines Schul­ planes ist zuerst und zuletzt nur der

subjective

Gesichtspunkt,

d. h. int pädagogischen Sinne der Gesichtspunkt nach dem Schüler und durchaus nicht der nach den Lehrgegenständen (der objective) der überwiegend entscheidende und maßgebende, obwol letzterer bis zur Ungebühr immer moch festgehalten

und obwol in der ganzen

Angelegenheit mit seltener Unklarheit und Rohheit verfahren wird. Die nächste Folge davon ist Mechanismus, der geistloseste Mecha­ nismus und todte Bildung. — Ist nun aber der jugendliche Geist keine Maschine, sondern ein Organismus, und ist alle gesunde, or­ ganische Ernährung und Thätigkeit an das Gesetz des Zusammen­ hanges gebunden; ist ferner ein wohlgeordneter Wechsel selbst der scheinbar äußeren Thätigkeiten des Hörens und Sehens, des Ste­ hens und Sitzens, des Sprechens und Schreibens und Lesens unttr Festhaltnng

und Verarbeitung

des geistigen Nahrungsstoffes,

der

Substanz des Unterrichts und der Grundrichtung der Seelenthätigkeit aus namhaften inneren Gründen so wünschenswerth als rathsam: so wird sich ein demgemäß eingerichteter Unterricht durch sich selbst empfehlen, weil er dem Wesen des Geistes eben so sehr, als der richtigen Vorbildung fürs Leben entspricht, weil er das bestän­ dige und bewegliche Element in sich

vereinigt

und Uebung und

86 Wiederholung als Hauptpunkte jedes Unterrichts in das recht« Brr. hältniß zur Lehre stellt, letztere aber auf das Maß des Bedürfnisses zurückführt und beschränkt. »Wer nicht bloß Blüthen, sondern auch Früchte ziehen will, der muß die Kinder gewöhnen, Weniges gründlich und anhaltend zu bearbeiten, und muß sie lieber eine Sache zehnmal aufs neue machen lassen, als zehn Sachen jede nur einmal.» Rauschenbusch. Das mag schwer sein, aber es ist probat, und darum muß es geschehen.

Denn der Unterricht wirkt so erst intensiv,

innerlich,

auf die ganze Kraft; er wirkt concentrirend, erziehend, sittlich bil­ dend; er wird, wie Pestalozzi, Herbart und Andere wollten, Erzie­ hung,

und

unsere Schulen

werden

auch

als Unterrichtsanstalten

mehr und mehr Erziehungsschulen, was jetzt von den einsichtsvollsten Schulmännern und von der Zeit entschieden gefordert wird. Das wird bei einer demgemäßen Einrichtung des Unterrichts sich freilich nicht am ersten Tage, auch nicht in der ersten Woche in seiner ganzen Fruchtbarkeit zeigen, wiewol die zweckmäßige, die na­ türliche Gestaltung des täglichen Unterrichts die Schüler und Lehrer sofort freudiger stimmen; allein wenn man einen Schüler jahrelang so oder anders täglich unterrichtet, das wird in und an ihm allge­ mach und sehr wesentlich wahrzunehmen sein; es wird in Absicht auf seine körperliche und geistige Kraft und Bildung einen großen Unterschied ausmachen; und ein Knabe, nach unserem Systeme einige Jahre hindurch unterrichtet,

wird unter sonst gleichen Umständen

sich als ein ganz anderer Bursche zeigen und bewähren, als wenn er nach einem mechanisch zerstückelten Unterrichtsplane dieselbe Zeit hindurch unterrichtet worden wäre,

selbst wenn er nach unseren

Vorschlägen täglich 1—2 Stunden weniger Unterricht erhalten haben sollte, und der Lehrer selbst wird das nicht minder in und an sich merken und sich tüchtiger und geisteskräftiger fühlen.

Auf ihn, den

Lehrer kommt freilich viel, kommt Alles an; aber, wie wir schon oben andeuteten, steht es eben so fest, daß die bessere Einrichtuug

87 auch für den treusten und geschicktesten Lehrer den bessern Erfolg bedingt. Dadurch aber, daß Gottes-, Welt- und Sprachkunde als solche, als Lehre nicht alle Tage, sondern in angemessenen Zwischenzeiten, an die Reihe kommen, sind die Gegenstände des Unterrichts als geistige Nahrungsstoffe jedenfalls für Sinn und Geist der Schüler und Lehrer neuer und anregender und darum gewiß schon bildender und nachhaltig wirksamer, als wenn dies mit jedem täglich geschieht, da nichts mehr gegen ein Nahrungsmittel gleichgültiger macht, als wenn es täglich geboten und genossen wird.

Die beste Nahrung

wird dadurch weniger genießbar, die schönste Musik einem gleich­ gültig, der edelste Genuß schaal und überdrüssig bei täglicher Wieder­ holung.

Das lehrt die Erfahrung.---------------

Endlich anlangend die Aufeinanderfolge der Lehrgegenstände in und nach längeren Zeitabschnitten, so bleibt in diesem Punkte eben­ falls noch viel zu wünschen übrig, da bekanntlich nach dem jetzigen Treiben und Thun in den Schulen zu viele Gegenstände nebenein­ ander gelehrt werden, obwol dies weder dem gesunden Maße der Empfänglichkeit, noch dem natürlichen Entwickelungsgänge des jugend­ lichen Alters entspricht und entsprechen kann. Das Vielerlei neben einander ist geradezu verkehrt, und so gut es gemeint sei, so schlecht sorgt man für das wahre Beste der Kin­ der und jungen Leute, wenn in einem und demselben Schuljahre viele Gegenstände nebeneinander gelehrt werden.

Es verflacht und

zerstreut Geist und Gemüth der Schüler, und doch ist auch für die höheren Stände und Kreise der Gesellschaft in jetziger und jeder Zeit nichts von solcher Bedeutung für sie selbst sowol, als für die unteren,

auf die sie einen so mächtigen

Einfluß

im Guten und

Schlimmen ausüben, als innere Gediegenheit, Kraft und Har­ monie, als sichere Haltung und stetiges, thatkräftiges Wesen, und gewiß ist daher

höchst beachtenswerth, was in dieser Beziehung

neuerdings von dem Mangel der deutschen Jugenderziehung im Ver­ hältniß zur englischen gesagt worden ist.

88 "Wenn man die ganze Aufgabe der Erziehung darin zusam­ menfassen kann, daß dem Herzen Liebe zur Wahrheit eingepflanzt und der Wille zu der Charakter kraft gebildet werde, feste zu halten an der Wahrheit, und zu der Entschlossenheit, sich vor der Wahrheit unter allen Umständen zu demüthigen:

so sehe ich die

deutsche Jugend trotz ihrer größeren Sittsamkeit, im Allgemeinen weiter von diesem Ziele entfernt, als die englische.

Und zeigt nicht

auch unser öffentliches Leben, daß dem reiferen Mannesalter zwar die subjective Wahrheitsliebe jedem für seine Person, oft genug eigen ist, daß aber der Muth und die Entschiedenheit für das als wahr Erkannte zu zeugen und auch mit Aufopferungen dafür in weiteren Kreisen mit Gleichgesinnten thätig zu sein nur gar selten vorkommt?« Dr. Wiese. Wenden wir indeß unsern Blick wieder auf die engeren Gren­ zen unserer Aufgabe zurück. Anlangend die organischen Thätigkeiten und formalen Fertig­ keiten als Sprechen, Schreiben, Lesen, Singen, Zeichnen, Rechnen, so machen diese von der obigen Regel allerdings eine Ausnahme, weil sie fort und fort auf jeder elementaren Bildungsstufe geübt sein wollen und geübt werden müssen. sollten in Bezug auf

die überwiegenden

Ganz andere Regeln aber Lehr gegenstände befolgt

werden, auch in den Elementar- und Mittelschulen, welche die Kin­ der der Regel nach nur bis zum 14. Lebensjahre besuchen, so daß zuerst die anschaulich formalen Uebungen in den Fertigkeiten vor­ walten müsse», dann einige Jahre hindurch die Naturerkenntniß und dann die Erkenntniß des inneren, höheren Lebens, wie sie beson­ ders aus der Geschichte gewonnen wird. Bon einem unserer würdigsten Pädagogen, dem Prof. Dr. Lindner senior zu Leipzig, der sich insbesondere das Verdienst erworben hat, die organisch-genetische Methode begründet und allseitig fast auf alle Unterrichtsfächer angewandt zu haben, ist in gedachter Be­ ziehung folgendes Gesetz schon längst ausgesprochen worden:

--Kein

Gegenstand werde eher genommen, als bis der vorbereitende vor-

89 ausgegangen ist. gestört werden.

Die natürliche Ordnung darf im Unterrichte nicht Wie die Gegenstände des Wissens in helfender Ord­

nung zueinander stehen, so müssen sie auch nacheinander gelehrt werden." Demgemäß werden beim ersten Unterrichte die sinnlichen Anschauungs-, Sprech- und Zeichenübungen den Schreibe- und Lese­ übungen vorangehen und es werden die Denk- und Sprechübungen als die ersten und wichtigsten zu jeder Zeit und fortdauernd allen anderen voranstehen, wobei sich von selber versteht, daß damit nicht die sogenannten

reinen Denkübungen, sondern

diejenigen gemeint

sind, die mit den Lehrgegenständen, also namentlich in der Weltund Sprachkunde gegeben sind. Leider wird diese so wichtige als richtige Regel und Ordnung immer noch nicht allgemein befolgt, und die ersten Schuljahre sind daher immer noch die ersten Qual- unb Nothjahre für die lern­ lustigen Kleinen, während sich die Lehrer auf diesem Wege allen späteren erfolgreichen Unterricht so ungemein erschweren und ver­ derben oder erschweren und verderben müssen. »Während der ersten Thatäußerungen des Geistes sollen immer die Sinne des Kindes Führer sein.

Kein anderes Buch als die

Welt, kein anderer Unterricht als Thatsachen.

Das Kind, welches

lieft, denkt nicht, es lieft eben nur; es unterrichtet sich nicht, es lernt mir Wörter."

Rousseau.

Es kann nichts Berkehrteres und darnni nichts Verderblicheres geben, als die Kinder sogleich beim Eintritt in die Schule mit Buch­ staben und mit dem Lernen aus dem Buche zu beschäftigen, zumal die ftinber der unteren

Stände, denen der Regel nach erst Sinn

und Zunge gelöset werden müssen, um sie nnterrichtsempfänglich und für erziehende und sittliche Einflüsse bildungsfähig zu machen. wir auch in dieser Beziehung ein Wort Pestalozzis. und Gertrud heißt es unter Anderem:

Hören

In Lienhard

--Er sah es als die erste,

tiefgreifende Verkehrtheit im Unterrichte an, daß man für das Reden­ können, das offenbar dem Lese- und Schreibunterrichte vorhergehen

90 müsse, nichts thue, und das Letzte, das bestimmt nur eine künstliche Art des Redens sei, zu lehren sucht, ehe man für die Erlernung des Redelehrens irgend etwas gethan hat. — Der Mensch hat Un­ recht, wenn er in irgend einer Sache das, was Gott und die Natur vorangestellt, zurücksetzt und hinten nachstellt; erst reden, dann schrei­ ben und lesen; das letzte ist nur eine künstliche Art des Redens.« Statt auf Pestalozzi zu schmähen, sollten die, die es jetzt oft recht weidlich thun, doch erst zu ihm in die Schule gehen, um von ihm etwas Ordentliches zu lernen, um sich auf die rechte Bahn führen zu lassen und diesem großen, unvergeßlichen Manne gegen­ über Demuth und Weisheit zu lernen. Es paßt hierher auch ein gehaltreiches Wort vom Professor Dr. Schultz - Schultzenstein aus dem schon früher genannten Werke »Ueber die Verjüngung des menschlichen Lebens und die Mittel und Wege zu ihrer Kultur,» dem wir unter der Rubrik »GeisteSnahrung» Folgendes entnehmen. »Das Lernen ist ein physiologischer Assimilationsprozeß, bei dem auf die Beschaffenheit der Geistesnahrung eben so viel ankommt, wie bei der Verdauung im Magen. 1.

Es giebt aber zweierlei Geistesnahrung:

Die sinnliche Aufnahme der Welt, ihrer Erschei­

nungen und Begebenheiten.

Die sinnlichen Anschauungen bil­

den das natürliche Fundament der Geistesbildung.

Man könnte sie

unter dem Namen der Naturbildung unterscheiden.

Es ist die

Sprache der Natur, die hier zu uns redet, und wir haben uns da­ bei vorzüglich zu bemühen, diese Natursprache zu verstehen, den Gang der Erscheinungen, der Dinge und der Ereignisse in richtigen Bildern in uns abzudrücken.

Das Verstehenlernen der Natursprache

sollte einen wesentlichen Theil des Unterrichts bilden, der vielleicht in unserer Zeit zum Nachtheil der Geistesbildung nicht genug be­ achtet wird. — Pestalozzi hat durch seine Anschauungslehre für Maß- und Zahlenverhältnisse den Unterricht in der Geometrie und im Rechnen auf eine durchaus natürliche Grundlage zurückgeführt. — Fassen wir die Sache rein von der physiologischen Seite be# gei-

91 stigen Assimilationsprozesses auf, so ergiebt sich, daß wesentlich auf Versinnlichung der Geistesnahrung, schon in sinnlicher Gestalt existirt, ankommt.

wenn

es hierbei sie nicht

Wie man für den

Magen die Speisen zubereitet, so hat man sie für den Geist in sinnliche Formen zu bringen, wenn sie diese Formen nicht schon an sich haben, wie die Gegenstände der äußeren Natur.

An die sinn­

lichen Formen knüpfen sich viel leichter geistige Anschauungen, als sich die sinnlichen Formen an den Verstand knüpfen. zuerst alle Religion müssen.

in

die Form sinnlicher

Hat man doch

Anschauung bringen

Es scheint auch, als ob selbst die sinnlichen Formen des

katholischen Kultus immer noch mehr religiöse Ueberzeugung ver­ schafften, als die reine Vernünftigkeit des dem auch sein mag,

Protestantismus.

Wie

so ist es eben ein Punkt von der höchsten

Wichtigkeit, alle Geistesbildung von sinnlichen Anschauungen begin­ nen zu lassen, und wo die Anschauungen selbst nicht schon in sinn­ licher Gestalt sind, wie in der Natur, sie auf eine entsprechende Art in Beispielen und Bildern zu versinnlichen.

Am zweckmäßigsten

scheint es überhaupt, der Beschäftigung mit den sinnlichen Gegen­ ständen der Welt beim ersten Unterrichte den Vortritt zu

geben,

was durch geographische, ethnographische, naturgeschichtliche Beschäf­ tigungen vorzüglich zu erreichen ist.

Nach Analogie dieser von Natur

sinnlichen Anschauungen, muß dann zur Versinnlichung historischer Begebenheiten durch bildliche Darstellungen weiter fortgegangen wer­ den. — Der Grund,

weshalb eine solide, wahre Geistesbildung

durchaus von sinnlichen Anschauungen

ausgehen muß,

wenn sie

natürlich fortschreiten soll, liegt darin, daß eine wirkliche Assimila­ tion der Gegenstände, d. i. eine Verarbeitung zu geistigem Lebens­ saft nur auf diese Art möglich wird.

Der Geistesmagen sitzt nun

einmal bei den Menschen in den Sinnen, folglich muß Alles in diese gebracht werden,

was

zu geistigem Lebenssaft

werden soll.

Was dem Geiste nicht in irgend einer sinnlichen Form geboten wer­ den kann, kann er nicht assimiliren. 2,

Die Aufnahme der menschlichen

Gedanken aus

92 Rede und Schrift.

Sie sind schon gedacht, fertig assimilirt und

ihre mechanische Uebertragung ist nur eine geistige Transfusion. Wir wollen dieses die Kunstbildung des Geistes nennen.

Die Auf­

nahme ist eine mehr äußerliche, zunächst Gedächtnißsache, man hat sie nur allenfalls nachzudenken, nicht zu assimiliren.

Das Geistes­

gebäude wird so mit fremden Steinen aufgeführt, und wie sehr das ganze auch mit dem

eigenen Material übereinstimmen möchte, so

bleibt es doch fremdes Eigenthum.

Dieser reine Gedankenunterricht

(Rede und Schrift) kann uns ein Beispiel, wonach die eigene Bil­ dung zu leiten ist, geben, aber nicht das Bildungsmaterial selbst werden,

wenn

es

nicht vorher

assimilirbar gemacht worden ist.

Der Geist kann wahrhaft nur durch Naturbildung sich gestalten, durch Kunstbildung wird er zur mechanischen Puppe, ohne eigene, organische Lebenskraft.

Durch Kunstbildung allein ist keine wahre

Assimilation und keine Verjüngung möglich.

Rede und Unterricht

sollten im Unterrichte nur dazu dienen, der Naturbildung des Geistes und seiner Verjüngung nachzuhelfen, damit gelernt werde, wie die sinnlichen Materialien vergeistigt oder verdaut werden müssen.

Denn

die geistige Verdauung ist selbst eine Kunst, der höheren Ausbildung fähig und ihre Formen sind mitzutheilen. — Was für unsern Zweck hieraus folgt, ist, daß alle Naturbildung das Lernen erleichtert und den Geist verjüngt, alle Kunstbildung das Lernen erschwert und den Geist mit fremdem Material belastet; daß daher nur ersteres Vor­ theilhaft, letzteres nachtheilig aus die Gesundheit wirkt.

Die vielen

Gehirnkrankheiten bei Kindern (Gehirnwassersucht, Gehirnhypertro­ phien) liegen nicht sowol in dem Lernen selbst, als in der schlechten unnatürlichen Methode, nicht von sinnlichen (bekannten) Anschauungen beim Unterrichte auszugehen, sondern den Kopf mit auswendig ge­ lernten, geistigen Formen voll zu pfropfen, die dann in Verderbniß übergehen

und die Gehirnorganisation in diese mit hineinziehen.

Auch noch im späteren Alter hat das äußere Aufnehmen von gei­ stigen Formen

eine

völlige Abstumpfung der Empfänglichkeit des

Gehirns für assimilirbare Geistesnahrung, für Natur- und Welt-

93 spräche, zur Folge.

Wie in dem Sinnenleben durch Verhinderung

einer vollständigen, sinnlichen Assimilation Gelegenheit zu phantasti­ schen Sinneserscheinungen gegeben wird, so wiederholt sich dasselbe im Seelenleben des Gehirns.

Die unvollkommene geistige Assimila­

tion oder die Verhinderung der Vergeistigung der sinnlichen Welt giebt vorzüglich Gelegenheit zum phantastischen Seelen- und Geistes­ leben.

Das Gehirn, anstatt die Objecte zu denken, bringt (subjective)

Schwärmereien hervor, und macht sich seine eigene Welt und wenn die Ansicht der psychischen Aerzte richtig ist, daß die Zahl der Irren und Halbirren, die theils ihre phantastische Tollheit durch brutale Handlungen, theils ihre stumpfe Schwäche durch dienstbare Unter­ würfigkeit bekunden, unter uns immer mehr zunimmt, so liegt dies nicht in historischer Nothwendigkeit des Zeitalters, sondern in dem geistigen Parasitenleben, sich der Mühe des Berdauens der wahren Geistesnahrung zu überheben, und lieber von schon assimilirten, oft selbst schon phantastischen Gerichten bequem zu leben, die dann un­ verdaut

und ohne daß

die geistige Assimilationskraft sich

daran

hätte üben und stärken können, wieder auf die Welt auSgespieen wird.

Die Reaction auf solche mechanische Geistesnahrung bleibt

nur instinctartig, man geht aufs Gerathewohl zu Handlungen fort, die mehr durch Nachahmung als freie Selbstbestimmung vollbracht werden, und so das Affenleben im Menschen wiederholen; wie denn auch die ganze, auf solche Art entstandene Geistesbildung dem Win­ den

und

Krümmen

der schmarotzenden Schlingpflanzen

lind

des

thierischen Gewürms ähnlich ist.-Möchten die Schulmänner solche Ansichten und Lehren gründ­ lich studiren und prüfen! — Hinsichtlich der Realien wird jener Lindner'schen Regel gemäß erst Erd- mit Naturkunde und darnach Völkerkunde mit Geschichte zu lehren sein; hinsichtlich der Religion jedenfalls

zuerst biblische

und Kirchen-Geschichte und darnach erst Religionslehre als Lehre; hinsichtlich der Sprache erst Sprechen, Schreiben und Lesen und dann Sprachkunde rc. und das Alles nicht in zu umfangreichen,

sondern in wohlabgemessenen Lehrgängen, weil es jedenfalls besser ist, einen Lehrgang zwei- bis dreimal, als einen einmal durch­ zumachen, was selbst für die begabteren Schüler das Beste sein wird. Denn auch im großen Ganzen gilt das Gesetz der stetigen und flei­ ßigen Wiederholung als ein fundamentales alles Unterrichts, aller Bildung. Mager sagt: "Wer im Kriege und in der Schule siegen will, der kann es in der Regel nur so, daß er mit einer größeren Masse eine kleinereerdrückt. Zehn Wochen Eins getrieben, fördert wohl so viel, als Dreierlei zugleich in zweimal dreimal zehn Wochen." — Wer je bewußt und andauernd Studien getrieben hat, wird aus Erfahrung wissen, daß man Einsicht und Kenntnisse am sicher­ sten gewinnt, wenn man sich mit einem Gegenstände oder einigen wenigen längere Zeit hindurch beschäftigt, und Alles, was man sonst denkt, hört und lieft darauf bezieht und damit in Verbindung setzt, soweit es nur möglich ist. Hippel gab daher den Rath: »Inoculir Alles ans dein Lieb­ lingsstudium und es ist dir anch im späteren Alter, als hättest du es vor dem dreißigsten Jahre, bis zu welcher Zeit beim Menschen Alles in Blüthe steht, gelernt." Was daraus für die Schule folgt, werden sich denkende Leser selbst sagen.

Jedenfalls sind wir mit der Einrichtung des Unter­

richts noch nicht am Ziele und werden noch Wege betreten werden, die wir jetzt kaum ahnen.

Vor der Hand wird es beim Alten blei­

ben und werden wir dem Ziele näher kommen, wenn es zunächst nur gelingt, den Lehrplan allmählig zu erweitern und nie zu viele Lehrgegenstände zugleich in Angriff und Uebung zu nehmen, wie es theilweise schon geschieht; ferner auf jeder Hauptstufe viel­ leicht einen, den dazu geeignetsten vorwalten zu lassen, um so über­ haupt die innere und äußere Verbindung des Unterrichts und da­ durch die Sammlung (Concentration) des gesammten inneren Lebens sicherer zu erreichen. Wie

durch die richtige äußere

und innere Verbindung und

Durchdringung des Unterrichts, so wird es auch auf diese Weise

SS gelingen, die mechanische Ueberfüllung von Gegenständen auf den verschiedenen Bildungsstufen mehr und mehr zu beseitigen und kraft dieser Vereinfachung des Unterrichts einen inneren, nachhaltigen Er­ folg des Lernens herbeizuführen, um so mehr, als »nicht die Masse des Aufgenommenen den menschlichen Körper groß, und nicht die Masse des Auswendiggelernten den Geist stark macht, sondern die Zurichtung der Massen und ihre Erhebung zum Leben.» Das alte natürliche und erziehlich wirksamere Klassensystem, vermöge dessen sich die Lehrer an eine kleinere Zahl von Schülern und diese an einen Lehrer ganz hinzugeben im Stande sind, wird so über das künstliche Fachshstem, bei dem das reine Gegentheil von jenem die nothwendige, aber selten heilsame Folge ist, den Sieg da­ von tragen, selbst in den unteren und mittleren Klassen der höheren Schulanstalten, die ebenfalls am besten fahren und am heilsamsten wirken, wenn sie mehr und mehr den Character der Erziehungs­ schulen zu gewinnen suchen. — In jedem Falle sind gesundes Maß, lebendiger Zusammenhang und richtige Aufeinanderfolge drei wohl zu beachtende und fort und fort zu erwägende Hauptpunkte des organischen Princips und der organischen Ordnung des Unterrichts und bedingen dieselben wesent­ lich die organische Weise aller Bildung, weil sie in der organischen Natur und Entwickelungsweise des Menschen begründet sind, diese aber vor allen Dingen gefragt und beachtet sein will, wenn sich der Unterricht fruchtbar erweisen soll. Ohne organische Lehrer, ohne organisch vorgebildete Lehrer wird freilich die Sache des organischen Unterrichts einstweilen im Allge­ meinen ein frommer Wunsch bleiben. Inzwischen haben schon viele Schulmänner thatkräftig Hand ans Werk gelegt, um die hier zur Sprache gebrachte organische Einrichtung des Unterrichts nicht bloß zu bedenken und zu besprechen, sondern thatkräftig in die Schulen einzuführen. Auf diesem Wege muß ruhig und folgerichtig fort­ geschritten werden, um die Sache zugleich weiter auszubilden und unter verschiedenen Umständen und Verhältnissen zu erproben. Die

96 Lehrer selbst können dabei nur gnt fahren und werden dadurch an eigener Kraft,

an Harmonie und Einheit des Geistes

gewinnen.

Denn in einer mehr natürlichen Thätigkeit und Arbeit des Geistes, in einer gesunden Concentration und Combination der Kraft, in einer zeitweise mehr einheitlichen Wirksamkeit ist uns ein wahres Kultur- und Schutz-, ja ein wahres Heilmittel für unser eigenes persönliches Leben gegeben, und von der Art und Weise, wie wir erziehen und unterrichten, hangt der Segen oder Unsegen unserer Arbeit für uns selbst um so mehr ab, als der Erfolg des Unter­ richts unser schönster Lohn und der Mangel daran unsere härteste Strafe ist, ein unbefriedigtes Berufsleben aber zumeist den Erzieher und Lehrer ruinirt und innerlichst zu Grunde richtet, gar nicht zu gedenken der traurigen unberechenbaren Folgen, die aus einem miß­ vergnügten Lehrerherzen für Die entstehen müssen, die seiner geistigen Pflege und Obhut anvertraut sind. In Bezug auf die organische Vorbildung der Lehrer, nament­ lich in den Seminarien, steht zu erwarten, was geschehen werde. Curtman sagt ganz richtig: "Der ganze Unterricht eines Seminars soll ein Vorbild des Unterrichts in der Volksschule sein." — Die Sache ließe sich schon und zwar in organischer Einfachheit machen, wenn man nur ernstlich wollte.

Allein Niemeher bemerkte schon:

„Ich wünsche zu irren, wenn ich befürchte, daß in mehreren neueren Schullehrerseminarien gegen den wichtigsten Grundsatz der höchsten Einfachheit und Popularität gefehlt ist.--

Jedenfalls müßte auch in

diesen Anstalten das Klassen- vor dem Fachsystem bevorzugt werden, wenn Curtmanns und Niemehers Forderung und

eine

organische

Vereinfachung des Unterrichts erzielt werden soll. »Gutes Ding will Weile haben-- wirds wol auch hier, wie in allen menschlichen Dingen heißen.

Doch ausbleiben wird auch in

diesen Anstalten nicht, was wir wünschen und wollen, und unsere Sache wird, wenn auch nicht der Form, so doch dem Wesen nach den Sieg davon tragen.

Das ist unser Wunsch und unsere, bereits

vielfach erfüllte Hoffnung. —

Dritter Abschnitt.

Zur Kritik der Centralisation und Concentration, resp. organischen Vereinfachung des Unterrichts. Vorbemerkung.

Verfasser läßt hier noch drei Aufsätze folgen,

die sich aus den Gegenstand dieser Schrift beziehen und Beachtung verdienm, weil sie geeignet sind, die Sache der organischen Ver­ einfachung des Unterrichts fördern zu helfen. Dcr erste Aufsatz ist von ihm selbst und dürfte insbesondere zur Widerlegung von Gegenbemerkungen dienen, die unserer Sache in verschiedenen Blättern, so wie von Freunden und Bekannten münd­ lich gemacht worden sind. Der zweite Aufsatz von Herrn Günther, ist die Einleitung zu einer derartigen gekrönten Preisarbeit, die in der schlesischen Schul­ lehrerzeitung erschienen ist und woraus wir hierdurch besonders auf­ merksam machen möchten. Anlangend den dritten Aufsatz von Herrn Hörnig, so theilen wir ihn hier deshalb mit, weil er die Sache nach einigen Seiten zu stützen und aufzuklären ganz wohl im Stande ist und mit zu den besten zählt, die über unser Thema erschienen sind, theils aber auch, um unsererseits hier und da einige Randbemerkungen daran anzu­ schließen.

Durch eine sachgemäße Beurtheilung und Gegenrede kann

der Gegenstand nur gewinnen und weiter geführt werden. —

98 I.

Die Centralisation des Unterrichts. Unter dieser Ueberschrift steht in No. 2 S. 12 des III. Jahrg. der "Allgemeinen deutschen Lehrerzeitung" ein Aufsatz, von N. O. unterzeichnet. Herr N. 0. spricht sich darin gegen die Centralisation aus, wie er es bereits in dem vorhergehenden Jahrgange derselben Zeit­ schrift gethan hat, und zwar ans Grund der "Centralisation des allgemeinen Schulunterrichts. Von K. F. Schnell." —■ Jene frühere Abhandlung ist mir nicht zu Gesicht gekommen; ich kann mich daher hier nur in Bezug auf den zweiten Aufsatz aussprechen, gegen den ich denn auch Mehreres zu bemerken habe. Es möge dies um der Sache willen ausführlich, wenn auch gedrängt geschehen, zumal es eine Frage betrifft, die durchgearbeitet und durch­ gekämpft werden muß, weil sie das bessere Gedeihen des Schul­ unterrichts bedingt, und selbst für die leibliche und geistige Gesund­ heit der Lehrer von tiefgehender Bedeutung ist, während sie anderer­ seits einen richtigen Maßstab zur Beurtheilung deö Lehrers selbst und seiner Tüchtigkeit liefert. Gewöhnlich wird die Brauchbarkeit des Lehrers nach einer Probelection und nach einigen Probearbeiten bemessen. Das gewährt aber einen sehr unzulänglichen Maßstab zu seiner richtigen Würdigung. Will man einen Schulmann kennen lernen, so muß man zusehen, wie er seine Schule eingerichtet hat und wie er demgemäß den Unterricht durchführt und die Kinder erzieht und bildet. Ein leidlicher Aufsatz ist bald geschrieben, eine Probelection bald und mit Geschick und Glück gehalten, wenn Thema und Schüler darnach sind; allein den Unterricht einer Schule oder Schulklasse zweckmäßig einzurichten, ist schon schwerer, und am schwer­ sten, ihn demgemäß unter den Beschränkungen gegebener Verhält­ nisse folgerichtig und mit Erfolg Tag für Tag, Jahr für Jahr durchzuführen. Denn dazu gehört nicht bloß Geschick, sondern nach­ haltige Kraft und jene Treue und Achtsamkeit, die auch das Kleine

99 und Kleinste zu würdigen weiß und das Größere und Größte er=strebt durch Fleiß und männliche Ausdauer. Die Concentration gehört zu einer derartigen Einrichtung des Unterrichts, und wenn sie daher hier und da nicht richtig verstanden, sondern wol gar ganz falsch aufgefaßt und gedeutet worden ist, so liegt das gewiß weniger in der Sache selbst, als vielmehr in den Subjecten, die sie oberflächlich betrachtet und beurtheilt haben.

Doch

wir haben uns hier speziell mit Herrn N. O. zu beschäftigen. Derselbe behauptet in seiner Gegenrede von vorn herein, daß weder von den Sprechern für die Centralisation auf der allge­ meinen Lehrerversammlung zu Meißen, n>o diese Zeitfrage als Hauptthema behandelt wurde, noch von jener Schrift über die Ausführung einer solchen Concentration des Schulunterrichts Auf­ schluß gegeben worden sei. — Diese Behauptung ist nicht richtig, am wenigsten mit Bezug auf obige Schrift, da dieselbe nicht nur einen centralisirteu, beziehungsweise vereinfachten Lehr- und Ucbungsplan aufstellt, sondern sich auch, wenngleich nur kurz und gedrängt, so doch klar und bestimmt über die Ausführung desselben ausspricht. Herr N. O. sagt ferner, er habe eine neuere Schrift von mir: »Die Methodik und Organisation des Elementar- und Bolksschulunterrichts. richts.

Ein Leitfaden zur erziehenden Behandlung deö Unter­

Für die Leiter und Lehrer der betreffenden Schulen« mit

Begier in die Hand genommen, weil er darin den gewünschten Auf­ schluß zu finden hoffte.

Aber auch diese Schrift hat ihn rücksicht­

lich dieses Themas unbefriedigt gelassen, was freilich sehr natürlich ist, da dieselbe der Hauptsache nach allerdings einen allgemeineren Zweck verfolgt: die Anbahnung eines erziehenden Unterrichts.

Wenn

er indeß auch diese Arbeit näher angesehen und geprüft hätte, so glaube ich, würde er die fragliche Centralisation und Vereinfachung in der von uns angestrebten Weise mehrfach anders beurtheilt ha­ ben, als dies seinerseits geschehen ist.

Dies im Ganzen und Allge­

meinen. — Herr N. O. knüpft demnächst seine Bemerkungen an meinen 7 *

100 bekannten Lectionsplan an, indem er aus meiner Methodik, jedoch nur die §§ 50 und 52 berührt, und, merkwürdig genug, gerade den § 51, den wichtigsten mit für die fragliche Sache, überspringt, so aber weder auf die tiefere Begründung und Bedeutung unserer unterrichtlichen Einrichtung, noch überhaupt auf eine Besprechung jener Schrift eingeht. Er sagt namentlich: »Es lasse sich nicht läugnen, daß jener Plan sich durch »Einfachheit auszeichne,« stellt indeß sogleich die naive Frage, »ob dadurch auch der Unterricht eine ein­ fachere Gestalt gewinne.« — Was soll das heißen? Etwa: der Weg ist eben, aber der Gang darauf uneben? — Es giebt doch ganz eigene Logiker. — Dann hebt unser Herr Gegner, sehr leise tadelnd, hervor, daß wir auf unserem vereinfachten Plane zehn, sage zehn Unterrichts­ gegenstände haben. Das, Herr N. O., ist eben die Sache, worauf es bei der, von Manchem freilich nicht begriffenen Centralisation mit abgesehen ist, nämlich die Zusammenfassung des Vielfachen und Mannichfaltigen in schlichte Einfachheit, oder wie unser Herr Recensent zu sagen beliebt, in »ausgezeichnete Einfachheit,« und zwar NB. um der Schüler und Lehrer willen. — Dann stellt derselbe ein Räthsel auf, (solche Räthselfragen gehören ja auch in Recensionen) und lös't dasselbe überaus glücklich und geschickt durch ein sprechendes Citat aus der gedachten Methodik, indem er anführt, wie wir namentlich den jün­ geren Schülern den religeös-sittlichen Unterricht an einem Vormit­ tage ertheilt zu sehen wünschen. Es geschieht bekanntlich zuerst durch Erzählung einer kleinen Geschichte, dann durch Schreiben eines dazu passenden Spruches und endlich durch Lesen dieser Ge­ schichte rc. Hierzu fügt N. O. fragend und ausrufend hinzu: »Darum also, weil in der 2. Stunde der Spruch.geschrieben und in der 3. die in der ersten Stunde benutzte kleine Geschichte gelesen wird, darum also sollen diese Stunden ebenfalls Religionsstunden sein?! Dazu gehört allerdings ein starker Glaube!«

101 Was versteht Herr N. 0. unter Religionsunterricht für Un­ mündige?

Versteht er darunter

eine Verstandes- und Sprech­

übung über religiöse Gegenstände, dann hat er Recht und wir haben Unrecht.

Wir verstehen unter Unterricht in der Religion aber etwas

Anderes, und betonen dabei durchaus nicht weder das Sprechen, Schreiben und Lesen, noch überhaupt das. Wissen von der Sache, sondern die Herzenögesinnung, die Nahrung für die sittliche Natur des Kindes rc.

Und wie wünschen wir diesen Unterricht Kindern,

zumal kleinen, ertheilt zu sehen? Hierzu ein Wort Pestalozzi's aus Lienhard und Gertrud: „Nachdem sich die Kinder alle an ihre Arbeiten (NB. Wolle­ spinnen) setzten, sangen sie ihre gewohnten Morgenlieder. — Dann nahm Gertrud ihre Bibel, las ihnen ein Kapitel daraus vor, und die Kinder mußten es ihr während ihrer Arbeit (NB. Wollespinnen) von Wort zu Wort nachsprechen und die lehrreichsten und rührend­ sten Stellen davon so lange wiederholen, bis sie selbige auswendig konnten.

Aber Gertrud erklärte sie ihnen nicht.

Sie glaubte das

Lesen der Bibel und das Auswendiglernen ihrer erbaulichsten Stel­ len gar nicht geeignet als Verstandes- oder Sprachübung für ihre Kinder zu dienen, sondern als eine Handlung der inneren Erhebung ihres Herzens durch Vorstellung von Gegen­ ständen, die sie glauben, über die sie aber nicht grübeln sollen." — Wenn die Kinder so während des Wollespinnens in der Religion unterrichtet werden können, so wird es auch wol während des Schreibens und Lesens geschehen können im Pestalozzischen d. h. im kindlichen Sinne.

Oder soll etwa der alte Unsinn immer wieder

zur Geltung gelangen, der Unsinn nämlich: daß man Kindern re­ ligiöse Nahrung nach Wesen und Form spende, wie sie dem gereiften Manne Bedürfniß und heilsam ist? — Wer Kinder kennt, wird wissen und verstehen, was sie verlangen und wovon sie befriedigt werden.

Es wäre viel darüber

zu

sagen.

Jünglinge vertra­

gen nicht einmal, was Männer nährt und kräftigt und zufrieden stellt. —

102

Wir führen ferner noch an, was ein als Methodiker weithin anerkannter Pädagog, Dr. Diesterweg gesagt hat: »daß es nämlich besser sei, eine Geschichte zehnmal, als zehn Geschichten einmal zu wiederholen.» Demnächst aber wollen wir unsere Sache noch selbst vertheidigen, da es uns gerade nicht schwer wird, und die Frage es schon verdient. Mit jenem letzten Ausrufe des Erstaunens, »daß dazu aller­ dings ein starker Glaube gehöre," hat IST. O. den Nagel wirklich auf den Kopf geschlagen. Denn es gehört wirklich ein starker Glaube dazu, in der gewöhnlich überzahlreichen Klasse einer Volksschule, die überdies nur zli oft, waö die Räumlichkeit anbetrifft, feucht, dunkel und ungesund ist, wie z. B. Verfasser dieser Zeilen seit etwa 18 Jah­ ren dieses Vergnügen tagtäglich genießt, was ein ganz besonderes Vergnügen wird, allermeist in der Religion, in welcher sich dem Kinde der Himmel auf Erden erschließen soll. Allein es gehört immer noch nicht der stärkste Glaube dazu, wenn man einmal mit den Kindern in der Religion und im Himmel ist, drei Stunden darin hintereinander zu verharren. Der Gertrud gelang es ja in der ärmlichen Spinnstube beim Wollespinnen. Die Sache macht sich einfach genug, wie Alles, wenn man es nur anzufangen weiß, wenn man nur Glauben hat, wir meinen den Senfkorn-Glauben und der günstige Leser, der das Evangelium kennt, wirds schon ver­ stehen; verstand es doch die arme Wollspinnerin, die Gertrud. — Ist es uns nämlich in der 1. Stunde eines solchen Vormittags gelungen, den religiös-sittlichen Sinn der Kinder durch Gesang und Gebet, durch Erzählung und einfaches Gespräch zu nähren und zu beleben, das Herz zu erwärmen und den Kleinen, derer das Himmel­ reich ist, den Himmel zu erschließen — bei Kindern gehört dazu bekanntlich nicht viel, denn sie pflegen schon mitten drinnen zu sein; —> so sagen wir etwa: »Kinder! nun gehen wir zum Schrei­ ben über. Ihr Größeren werdet den Spruch unserer Geschichte einigemal schön und richtig abschreiben, nachdem ich ihn euch an der großen Tafel vorgeschrieben haben werde. Es wird nun

103 aber ganz geräuschlos

und

still

gearbeitet.

Ihr versteht mich,

Kinder! — Fast alle Kinder ohne Ausnahme gehen rasch und freudig an die Arbeit und da ihnen der Inhalt des Spruches schon bekannt und eben deswegen, so wie wegen des Zusammenhanges mit der erzählten Geschichte lieb ist, so schreiben sie den Spruch um so lie­ ber.

Wenn nun die Kleinen so recht gern und freudig ihre Pflicht

und Schuldigkeit thun, wenn sie sich den betreffenden Bibelspruch zugleich ins Herz und Gedächtniß prägen, wenn in der Schreibestunde Ton und Geist und Wort der ersten Stunde

still fortwirkt und

nachklingt, so darf man eine solche Stunde allerdings eine Religions-, wenn auch gerade nicht eine Religionö-Lehrstunde, so doch eine Religions-Lebensstunde nennen.

Ganz unzweifelhaft aber ver­

dient sie diesen Namen, sofern der betreffende Spruch, wie in der Regel, der Art ist, daß er die Losung und Leitung für einen Haupt­ punkt des sittlichen Verhaltens der Kinder für die ganze Schulwoche enthält und daher in allen, zumeist jedoch in den ersten Stunden werkthätig zu üben ist, um den Kindern zunl vollen Gefühl und Bewußtsein zu kommen, wie dies bei den meisten Sprüchen nicht bloß ganz füglich angeht, sondern sogar nöthig erscheint, sofern die Religion nicht bloß Sache der Erkenntniß und des Wissens, sondern That und Leben in dem Kinde werden soll. — Mehr jedoch als das Schreiben ist ohne Zweifel die folgende Lesestunde eine Religionsstunde, auch in dem gewöhnlichen Wortsinne, falls sie ist, wie sie sein kann und sein soll.

Denn in dieser Stunde

wird nicht bloß die betreffende Geschichte, desgleichen der Spruch in angemessener Stimmung mit guter Betonung gelesen, sondern es werden auch wol verwandte, früher erzählte und erlernte Geschichten und Sprüche lesend tviederholt, wie denn auch hier

und da ein

freundliches Wort der Ermahnung und Erniunterung rc. mit ein­ fließt. Nebenbei sei bemerkt, daß es eben nicht ankommt.

auf drei Stunden

Es wird das hauptsächlich von der größeren oder geriu-

104 geren Schülerzahl und auch von dem Alter der Kinder abhangen. Je jünger die Kinder sind, desto öfter ist ein Wechsel der Uebungen nöthig, bei 6 — 8jährigen etwa ein halbstündlicher; und je größer die Schülerzahl ist, desto länger muß nothwendiger Weise die eine und selbe Uebung durchgeführt werden, wenn man eö nicht vorzieht, die eine Abtheilung etwa lesen zu lassen, während die andere schreibt und so uingekehrt, wobei natürlich das Helfershstem seine berechtigte Anwendung findet.

Beim Schreiben können natürlich verschiedene

Formen der Uebung in Anwendung kommen: Abschreiben, Dictando, freie Ausarbeitungen oder Beantwortung von Fragen rc.

und es

wird je nach der Bildungsstufe der Schüler nur angemessen sein, dieselben entweder vorzugsweise mit Bezug auf Wort- oder Satz­ oder auf Aufsatzbildung zu beschäftigen, so daß das Material dazu hauptsächlich aus dem vorhergegangenen mündlichen Unterrichte ge­ nommen wird.

Jeder Lehrer bildet sich wol selbst nach und nach

eine feste Regel, um jene verschiedenen Uebungsformen in einer ge­ wissen Ordnung wechseln zu lassen.

Nebenbei sei auch noch bemerkt,

daß wir, um zugleich neben der deutschen die lateinische Schrift regel­ mäßig zu üben, Dienstagsund Freitags die letztere schreiben lassen. Sollte es einmal dahin kommen,

daß

die

Religion in den

Schulen nicht mehr als Gegenstand der Lehre, des Wissens und der Erkenntniß, sondern überwiegend als Erbauungs- und Uebungsmittel behandelt werden möchte, was ganz füglich in der ersten Morgen­ stunde jedes Tages

geschehen könnte,

so

kann als Substanz

des

Unterrichts für Montag Geographie, für Dienstag Naturgeschichte, für Donnerstag Geschichte und für Freitag Naturlehre gewählt und es können die Sprech-, Denk-, Schreib- und Leseübungen in je 2—3 Stunden damit verbunden werden. So lange jedoch die Religion in den Schulen hauptsächlich als Lehr gegenständ behandelt, und ein umfassendes Maß des Wissens darin angestrebt wird, wird sich die Verbindung des Schreibens, Le­ sens rc. auch mit der Substanz des Religionsunterrichtes vertragen. — Endlich führen wir noch für die Sache die Erfahrung wackerer

105 Lehrer an, denen sich eine solche Weise und Ordnung des Unter­ richts vollkommen bewährt hat. — Es ist so! Und warum sollte es auch nicht so sein? Wird doch auf diese Art der Bildungsstoff als Nahrungsmittel der Seele verarbeitet (assimilirt) und der em­ pfängliche Sinn der Kinder nachhaltig angeregt und gesammelt, ihr Gemüth und Wesen in einer Grundrichtung bethätigt und entwickelt. Dadurch aber erstarkt und wächst nicht allein der Ge­ danke, sondern das ganze Gemüth mit der Kraft des Triebes und Willens, kurz das ganze innere persönliche Wesen als eine orga­ nische Kraft: der Unterricht wirkt erziehend. Und warum sollte es nicht also sein, da ja so der Schüler der lebendige Mittelpunkt (das Centrum) des Unterrichts ist, da es ja auf diesem Wege andererseits durchaus nicht an Mannichfaltigkeit und Abwechselung der Thätigkeit und Uebung gebricht? Erst Hören, Sehen und Sprechen, dann Schreiben und Lesen, und hinsichtlich des Inhalts doch auch eine verschiedene Auffassung und Betrachtung und eine den Worten nach inannichfaltige Darstellung des Gegen­ standes, also eine verschiedene Ernährung und vielseitige Bethätigung des inneren Lebens innerhalb einer bestimmten Grundanschauung; ferner ein Anschließen des Bekannten an das Bekannte, des Ver­ wandten an das Verwandte, so wie Wiederholen des früher Er­ lernten. Wiederholung aber ist die Mutter nicht bloß des Wis­ sens, sondern auch des Könnens, und auch in den Elementar- und Mittelschulen ist ein festes, sicheres, ein fertiges Wissen und Kön­ nen, wenngleich nicht oberster und letzter, so doch ein nothwendiger Zweck, weil ein nothwendiges Mittel zu einem allerdings höheren und allgemeineren Ziele, zu dem des gesunden, vollen Seelenlebens, zur gesunden Entwickelung des persönlichen Lebens, was ja der Re­ ligionsunterricht ganz besonders will und bezweckt. — Wenn man sagt: »In unserem Plane herrsche Einerleiheit," so ist das eine ganz unrichtige und durchaus falsche Behauptung. Es herrscht darin nicht Einerleiheit, sondern Einheit, die Einheit der Sache, des Stoffes und zwar auch nur eben momentan zwei

106

bis drei Stunden, in und mit dieser Einheit aber zugleich Mannichfaltigkeit sowol der Ernährung, als Uebung und Thätigkeit der zu bildenden Subjecte, der Schüler, und das, meinen wir, sei doch wol etwas werth, da Einheit in der Mannichfaltigkeit ja so viel als Ordnung, Harmonie und Gesundheit, ja sogar Schönheit bedeutet. Dann aber: was tönt und wirkt denn bildend fort in der Seele, in dem Gemüthe des Menschen, zumeist in dem Gemüthe des empfänglichen, bildungsbedürftigen Kindes? Was stärkt und entfaltet auch den inwendigen Menschen? Was ernährt, kräf­ tigt und bildet ihn? Doch wohl, was er ganz und allseitig auf­ nimmt, erfaßt und gewinnt, und womit er sich mannichfaltig und andauernd beschäftigt, nicht aber jenes unruhige, unstete Ueberspringen von Einem zum Andern, jener flüchtige, jener zufällige und bunte Wechsel des Bildungs-, des Nahrungs- und Uebungsstoffes. Es gilt hier das gute, tiefgedachte Wort: "Willst du ins Unendliche schreiten, Geh nur im Endlichen nach allen Seiten. Willst du dich am Ganzen erquicken, So mußt du das Ganze im Kleinen erblicken." Die Jugend ist überdies doch schon quecksilbrig und leichtfertig, veränderlich und wandelbar, .flach und flatterhaft genug, als daß man sie noch systematisch dazu auszubilden nöthig hätte; nach Eurer Einrichtung des Unterrichts, worin der bunteste, planloseste Wechsel, ohne Einheit des Stoffes und ohne Einheit der Thä­ tigkeit des zu bildenden Subjects vorherrscht, worin alle Dinge planlos und wüst durcheinander geworfen werden Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche das ganze lange liebe Jahr hindurch, geschieht dies aber planmäßig, werden sie alle Tage mit Allerlei gefüttert und auch überfüttert. Das ist Euer nam­ haftes Verdienst um die Bildung der Jugend, das macht Euch die Sache so unleidlich und reibt euch selbst so sichtbarlich auf. Denkt darüber nur einmal halbwegs gründlich nach, und Ihr werdet uns zuletzt gewiß aus voller Seele beistimmen. —

107

Endlich kommt noch in Betracht, und das ist ein Hauptpunkt, der ebenfalls gründlich und unbefangen erwogen zu werden verdient: daß jetzt in den Schulen überhaupt zu viel gelehrt, zu viel docirt, zu viel Bildungsmaterial mitgetheilt wird, während die, das feste und sichere Können bezweckende Uebung geradezu brach liegen bleibt. Daher begegnen Einem heut zu Tage wol häufig oberfläch­ liche, geschwätzige und aufgeblähte Vielwisser, aber wenn und wo es auf ein gründlicheres, tieferes Urtheil, und noch mehr, wenn und wo es aufs Thun und Können, auf That und Ausdauer, auf charactervolle Beständigkeit ankommt, dann und da sind die allwissenden Leute und Leutchen nicht zu Hause, dann räumen sie alsbald das Feld, das Hasenpanier ergreifend. Kommt Einem jetzt doch die viel­ seitige Abgeschliffenheit und unverschämte, freche Lüge schon oft in den Kreisen mit Katzenbuckeln entgegen, denen sonst noch gerader, natür­ licher, gesunder Sinn eigen war. — Unsere Einrichtung des Unterrichts wird freilich keine Wunder thun, da deren doch genug in der Welt geschehen, aber sie ist eini­ germaßen dazu angethan, manchem Uebelstande der Zeit und Bil­ dung mit abzuhelfen, wenn die Lehrer sonst nur wollen. Was und wie wirs wollen, wissen wir übrigens sehr wohl; was wollen und thun aber unsere Gegner? — Sie möge» sich diese Frage doch einmal selbst ordentlich und gründlich beantworten, um über ihr verkehrtes und ungerechtfertigtes Thun ins Reine zu kommen. Der beste Lehrgang, der anschaulichste Unterricht gedeiht nicht und kann nicht recht gedeihen, wenn der tägliche Schulunterricht, was Maß, Folge und Zusammenhang der Lehre und Uebungen be­ trifft, unnatürlich und verkehrt ist, wenn täglich die viele» Objecte planlos durcheinander geworfen werden, wenn heut auf Religion das Rechnen und auf Rechnen die Sprachkunde rc., morgen dies und das, übermorgen dies und das und so weiter auf einander folgt. — Wer als Lehrer viele Kinder gleichzeitig zu unterrichten hat, und das ist das süße LooS der meisten unter uns, wird diese Der-

108 einfachung des Unterrichtsplanes doppelt nothwendig und zweckmäßig finden, wie uns das bereits von verschiedenen Seiten mündlich und schriftlich versichert worden ist. Allein auch andere Schulmänner könnten davon Gebrauch machen, zunächst und zumeist die Seminar­ lehrer. Oder sollte diese Ordnung des Unterrichts in den Semi­ naren nicht anwendbar, nicht durchführbar sein? Sollte hier wirk­ lich die leidige Stundengeberei und das zerfahrene und zerfahrende Fachlehrshstem gerechtfertigt erscheinen? Wir sagen entschieden Nein! Doch das ist Sache derer, die darin etwas zu sagen und zu be­ stimmen haben. — Herr N. 0. spricht schließlich seine Verwunderung darüber aus, daß wir in den oberen Klassen die Realien getrennt lehren. Darauf diene Folgendes: Es ist unsere innerste, auf Erfahrung begründete Ueberzeugung, daß das, was dem Schüler angeeignet werden soll, immerhin ein­ zeln gelehrt werden müsse. Daher sind wir entschieden nicht dafür, z. B. die Religion als solche und noch weniger als Lehre in alle Dinge zu mischen, eben so wenig, wie wir wünschen und wollen, daß alle Seiten und Beziehungen des persönlichen Lebens gleichzeitig und im gleichen Grade ernährt, bethätigt und gekräftigt werden mögen. Wer Alles zugleich will, erreicht in der Regel nichts, oder doch keinen Zweck ordentlich und genügend. Das ist ein alter bekannter Erfahrungssatz, der auch seine volle Gültigkeit beim Unter­ richte behauptet. Im Uebrigen führen wir noch an, was ein stimm­ berechtigter Mann namentlich in Bezug auf den gesondert ertheil­ ten Geschichtsunterricht bemerkt. "Wo die Zeit zum gesonderten Geschichtsunterricht hat ge­ wonnen werden können und wo ein nicht bloß mit dem erforder­ lichen geschichtlichen Material und einer schlechthin handwerks­ mäßigen Verarbeitung desselben, sondern mit sinniger Benutzung der formalen Bildungselemente der Geschichte für Stand, Verhält­ nisse, Alter, Geistesfähigkeiten der Kinder vertrauter, in der Ge­ schichte lebender Lehrer den Unterricht in die Hand nimmt: nur

109 da wird leicht das Meiste, Beste, Erfreulichste geleistet werden. Der Faden der Darstellung erleidet keinerlei Unterbrechungen, die Kraft bleibt immer auf einen Punkt hingerichtet, der Sinn lebt immer frisch in der Sache und die Sammlung des Frühern zu dem Spätern ist auf jedem Punkte um Vieles leichter als bei den andern Weisen; die mancherlei Förderungsmittel, Karten, Bilder, Pläne, graphische Darstellungen aller Art, so weit sie hergehören, sind besser auszubeuten: kurz, die wichtigsten äußern Bedingungen kommen dann zu statten.« Vergl. die treffliche Schrift: «Der Unterricht in der Geschichte und Geographie. Von W. Prange. Leipzig, Fr. Brandstetter. S. 22.« Wir geben gern zu, daß, wie eine Kraft durch die andere an­ geregt wird, so ein Lehrobject durch das andere zu ergänzen und zu fördern sei, was wir ja eben durch eine angemessene wechselseitige Verbindung und Beziehung der verschiedenen Gegenstände und zwar um des zu bildenden Schülers willen und in ihm wünschen und wollen, allein das kann und darf nur in einem bescheidenen, in einem richtigen, gesunden Maße geschehen, wenn die neue Ordnung des Unterrichts nicht eine noch größere Unordnung werden soll, als die alte war und ist. Wir haben uns darüber in unserer Methodik, sowie unter Rubrik II. und III. des zweiten Abschnittes dieser Schrift ausgesprochen und dort vor den nahen Abwegen und Uebertreibungen der guten Sache gewarnt. Möge man das wohl beachten. Das Beste müssen in fraglicher Beziehung die Lesebücher leisten, wie sie jetzt mehr und mehr nach dem Muster der «Lebensbilder,« welche die so einsichtsvollen als tüchtigen sächsischen Schulmänner, Berthelt, Petermann, Jäkel und Thomas, soviel uns be­ kannt, zuerst in solcher Art herausgegeben haben, eingerichtet wer­ den, so daß in den Lesestuuden im Zusammenhange und in einem ausgedehnteren Umfange lesend wiederholt werden kann, was in den mündlichen Unterrichtsstunden nothwendiger Weise einzeln und gesondert betrachtet und behandelt werden muß.

110 Der Lehrer, auch der geschickteste und kenntnißreichste, ist nicht im Stande, beim Unterrichte allerlei Passendes mit einander passend zu verflechten und in Verbindung zn setzen, denn er wird immer in Gefahr schweben, das Eine auf Kosten des Andern zu begün­ stigen, selbst wenn er im Stande wäre, in gewandter Rede und lebensvoller Darstellung einzelne Bilder aus den verschiedenen Real­ fächern den Schülern frei vorzutragen. Die Beredtsamkeit, poeti­ sches Talent rc. sind überdies selten in einem Manne vereinigt. Dagegen wird es in der Lesestunde ganz füglich angehen, ein passendes Gedicht, eine passende Geschichte, einen passenden Abschnitt aus der Geschichte etwa mit einem geographischen Gegenstände rc. in Verbindung zu setzen, sofern sie in einem inneren Zusammen­ hange damit stehen. Gewöhnt man die Schüler so den Inhalt des Lesebuches zu combiniren, Verwandtes an Verwandtes zu schließen rc.; so versuchen sie das selbst und die fähigeren finden darin ein eigen­ thümliches Vergnügen. Dies kann ich wenigstens aus vielfältiger Erfahrung versichern. Warum sollte auch die lebendige Förderung der Bildung dem Schüler nicht Freude machen? — Wo das per­ sönliche Leben in lebendigem Flusse, in gesunder Thätigkeit sich ent­ wickelt, da ist auch Wärme, Liebe, Freude. — Wir glauben hiermit Herrn N. O. das Nöthige ans seinen letzten Aufsatz über Centralisation erwidert zu haben. Wenn der­ selbe am Schlüsse desselben sagt: »Wir vermeiden es absichtlich, mehr Worte zu machen, denn die Sache ist es auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte nicht werth,» so grenzt solche Redeweise an übermüthige Absprecherei, wenn sie es nicht schon in ihrer ganzen, vollen Glorie ist. WaS für die Schule und Lehrer Bedeutung hat, und wäre es auch nur einer einzigen Wahrheit wegen, verdient sorgfältig und gründlich ermessen und geprüft zu werden; waö aber durch viel­ jährige Arbeit aufgefunden und erprobt, auch von anerkannten Män­ nern öffentlich besprochen und empfohlen worden ist, darüber sollte sich am wenigsten ein Anonymus in so absprechender Weise äußern. Wenn die Gegner überhaupt nicht auf die innere Bedeutung

111 der Sache einzugehen geneigt sind, so mögen sie doch wenigstens durch klare und gute Gründe darthun, daß ihre zerstückelten und zerfetzten Stundenpläne für Schüler und Lehrer das Beste sind. Wir sind sehr gespannt auf die Wahrheit, die da zu Tage kommen werde. — Eins wünschen wir besonders angelegentlich: daß unsere Vor­ schläge unter verschiedenen Verhältnissen weiter erprobt und aus­ gebildet und von denkenden Männern der Schule nach reiflicher Er­ probung besprochen und beurtheilt werden mögen, wie dies nament­ lich in Schlesien, Sachsen, besonders im Königreich Sachsen, am Rhein rc. geschehen ist. Vergl. z. B. das Triersche Schulblatt Jahr­ gang 1854. Denn das Brauchbare lernt man der Hauptsache nach nur durch Gebrauch richtig kennen, würdigen und —• vervollkommnen. Und dann liegt in der Natur der fraglichen Sache, daß es nicht die Arbeit eines Einzelnen sein kann, diese Ordnung und Einrich­ tung des Unterrichts weder für alle Arten von Schulen, noch nach allen Richtungen auszubilden; dazu würde die Kraft eines Einzelnen, auch die reichste, nie und nimmer ausreichen; es werden daher, wie Herr Prof. Dr. Schultz-Schultzenstein bei Gelegenheit der Recension unserer in Rede stehenden Schrift richtig beinerkte, --sich dabei noch viele Hände beschäftigen müssen; es wird freilich noch viel und lange daran zu bauen sein.-Was übrigens die principielle Beurtheilung der Sache an­ belangt, so, dünkt uns, sei sie sehr einfach, wenn man das beachtet, was wir von vorn herein in unserer oben genannten und auch na­ mentlich in den vorhergehenden Abschnitten dieser Schrift hervor­ gehoben haben, als wonach uns die organische Entwickelung der Schüler einfacher Zweck, der Unterricht mit seinen Gegenständen und mit seiner Einrichtung also nur Mittel zum Zwecke ist. Doch genug davon, zumal wir hierauf noch in dem Folgenden zurückzukommen Veranlassung finden werden. —

112

II.

Die zweckmäßigste anwendbare Coneentration des Unter­ richts in der Volksschule. Von Friedrich August Günther in Lüben. Motto: Man zerreiße nicht, was ein organischeGanze bildet. Petermann.

I.

Was hat man unter der Coneentration -es Unterrichts in der Volks­ schule zu verstehen? ^Die Coneentration des Unterrichts in der Volksschule schließt

zweierlei in sich.

Ein Deal versteht man darunter das bloße Aus­

scheiden des überflüssigen Lehrstoffs, das andere Mal diejenige An­ ordnung des Unterrichts-Materials, nach welcher die verwandten Gegenstände des Unterrichts an Central-Objekte gelehnt,

und die

einzelnen Unterrichtszweige in eine organische Verbindung mit ein­ ander gebracht werden. Die Coneentration der ersten Art ist theils ein Wegwerfen sol­ cher Unterrichtsgegenstände, die sich als bloße Luxus-Artikel in die Schule gedrängt haben, theils ein Ausscheiden von Lehr- und Er­ kenntnißformen, welche an und für sich selbst zwar viele nützliche Elemente besitzen, die aber, bei größerer Ausbildung gewisser anderer einfacherer Objekte an diesen passende Stellvertreter finden.

ES kann

demnach die Coneentration der ersteren Art entweder mit, oder ohne Beibringung entsprechender Aequivalente stattfinden, so daß wir die­ selbe vergleichungsweise bald als Ausscheidung von Schlacken zu be­ trachten haben, bald sie als einen solchen geistigen Mischungsprozeß zu bezeichnen berechtigt sind, bei welchem stellvertretende Erkenntniß­ substanzen (?)

gleichen

Atomengewichtes

Anwendung gefunden. —

Für die Ausscheidung bloßer Unterrichtsschlacken ist während

der

113 letzten Dezennien in unsern Schulen viel geschehen.

Wo finden wir

z. B. im Religionsunterrichte jetzt noch jene Aengstlichkeit, den Kin­ dern die biblischen Beweisstellen genau nach Kapitel- und Verszahl einzuprägen?

Wo wird in der biblischen Geschichte noch auf das

sichere Hersagen der 16 Richter Israels

und der 41 Könige des

getheilten Reiches großes Gewicht gelegt?

In welcher Landschule

quält man die Kinder noch mit Kettensatz und Reesischer Regel? Wo herrscht noch des Grammatisirens pedantisches Treiben?

Wo

hält man noch über alle römische und deutsche Kaiser beim Schul­ examen Revue?

Wo wälzt inan beim geographischen Unterrichte

noch riesige Namen- und Zahlenberge?

Fort auch ist die Schrift­

malerei aus der Schule, auf die sich die alten Meister so viel zu Gute thaten; fort ist der bunte Gedächtnißkram; fort sind die dick­ leibigen Rechenhefte. Auch für die Concentration mit Aequivalenten erwachte in den letzten Jahren der Sinn.

Hat nicht Scholz durch seine ausgedehnte

Anwendung der Bruchform aus vielen Schulen schon die Propor­ tionslehre verdrängt? Gleiches gethan?

Hat nicht Stern durch seinen Zweisatz ein

Erhielt nicht die Hoffnung auf Erlangung des

Bürgerrechts für das Schnellzeichnen (ich erinnere an die Erschei­ nungen : Reichel, Prof. Richter u. s. w.) durch den gesteigerten Sinn unserer Zeit für freies Handzeichuen von vorne herein den Todesstoß? Und was hat die Lautir-Lese-Lehre der Buchstabir-Methode nicht alles schon angethan? ■— Was endlich diejenige Concentrirung des Unterrichts

betrifft,

die in dem Anlehnen verwandter Gegenstände an gewisse Central­ objekte besteht, so begreift dieselbe sowohl die Verknüpfung von früher gesondert gewesenen Lehrdisciplinen mit gewissen Centralfächern in sich, als auch diejenige Bearbeitung der selbstständig fortbestehenden Unterrichtszweige,! nach welcher wisse Grundideen

sich die Stoffe derselben um ge­

als um die eigentlich biloendcn Elemente grup-

piren, ohne daß dadurch der organische Zusammenhang der einzelnen Gegenstände und Disciplinen gestört wird. Schnell, ctg. Unterricht.

Für die Aufstellung von 8

114 Centralfächern und die Verknüpfung verwandter Lehrzweige mit ihnen sind auch schon viele Geister thätig gewesen. Was ist denn die „Schreiblese-Lehre-- andersj, als ein Anlehnen der „Lautirmethode« an den Schreibunterricht? Findet nicht eben so bei dem Sprach­ unterrichte nach den Grundsätzen von Otto, Vernaleuken u. s. w. eine Conccntrirung der bezeichneten Art statt, da derselbe fortgesetzt das Lesebuch als den „Mittelpunkt" der sprachlichen Unterweisung fest­ hält? Um noch eine ähnliche Thatsache zu erwähnen, erinnere ich daran, daß die Chemie nicht mehr bloß mischen lehrt, sondern daß sie, wie ein Blick in die neusten mineralogischen Schulschriften zeigt, nunmehr das Schicksal hat, selbst gemischt, nämlich eingemischt zu werden. — Am wenigsten ist für die Concentration bis jetzt nach derjenigen Seite hin geschehen, welche die Stoffe der einzelnen Lehr­ zweige um gewisse Grundideen gruppirt, und das Princip der „An­ lehnung" bis auf das Gebiet der kleineren und kleinsten Abstufungen des Unterrichts hinüber leitet. Hier erschließt sich ein Feld so reicher Arbeit, und dabei so fruchtbarer Natur, daß im Interesse der Schule gewünscht werden muß, wenn recht viele Geister sich regen möchten, den Wald lichten zu helfen, der vor uns sich ausbreitet. Aber regt sich's nicht hie und da für eine solche Art der Con­ centration des Unterrichts in der Volksschule, die in dem Vorste­ henden noch gar nicht bezeichnet ist? Ja wohl regt sich's; aber dieses Regen gleicht der Regung des Wildes, wenn sich dasselbe erhebt, um in liebliche Fluren zu brechen und nützlichen Pslanzenwuchs in den Staub hinab zu treten. Lesen, Schreiben und Rechnen nur sollen die Kinder, Nichts, weiter, so wollen's heut Viele. Selbst eine würdige Gottesidee will Man­ cher denen vertreten, von denen der Herr gesagt: „Ihrer ist das Himmelreich!" Nicht anschauen mehr sollen sie den Schöpfer in dem Buche der Natur und der Geschichte! Nicht mehr entgegen­ blicken soll ihnen der Höchste in der freundlichen Quelle und in der Blumen Farbenstrahl und in des Thieres munterer Regsamkeit. Zugedeckt soll wieder werden der Vorhang in's Heiligste. Nebel

115 soll füllen die Köpfe und düster die Welt sein.

Der Concentration

dieser Richtung reicht meine Hand nicht die Feder, der Südwind wehe sie fort, daß fest, fest sie umfange der Nordpol.

Ja dort,

wo Nacht und Schauer sich concentriren, und starre Form nur und Grausen wohnt, dahin gebannt sei der geistige Tod!

II.

Ist in der Volksschnle der jetzigen Organisation eine noch größere Concentrirung des Unterrichts wünschenswerth?

Wenn ich auf vorstehende Frage zuerst im Sinne der aus­ scheidenden Concentration eingehe, so beantworte ich dieselbe im All­ gemeinen mit »Nein," im Einzeln mit »Ja."

Nicht allen Lehrern

der Jetztzeit braucht das alte Wort: »Nicht Vielerlei, sondern Viel!« zur Beherzigung empfohlen zu werden; aber leugnen läßt sich jedoch nicht, daß es auch jetzt noch der Schulen so manche giebt, die des Guten in der einen over andern Hinsicht zu viel thun.

Oft gerade

die strebsmnsten Lehrer sind es, die sich in dieser Weise verirren. Entweder sie trauen sich Kraft und Energie genug zu, ihre Schüler über die gewöhnliche Elementarbildung erheben zu können, oder der Feuereifer der Jugend, vielleicht auch der Hang zu einer Lieblings­ wissenschaft, hebt sie heraus aus der passendsten Bahn.

Wenn es

wahr ist, daß die rechte Schulweisheit nicht einzig durch Studiren, sonvern vielmehr vorzugsweise durch Prakticiren erreicht wird, so gleichen die Lehrer in sofern den Aerzten, als je älter sie werden, sie ihre Praxis gewöhnlich durch intim1 größere Einfachheit zu ver­ vollkommnen suchen. Unterrichtsschlacken

Doch ich schweife ab. in

dem Schmelzofen der

Es schwimmen noch Schule.

Thatsachen

sollen dieses als Wahrheit erhärten. Mir ist eine Schule bekannt, in welcher den Kindern die Auf­ einanderfolge aller einzelnen Stationen bei den Reisen Pauli bis zur vollkommensten Sicherheit eingeprägt wird. Mir ist eine Landschule bekannt, wo die Kinder nach der Ungerschen Rechenweise das Wurzelausziehen treiben.

116

Mir ist eine andere Landschule bekannt, wo man sich in der Geschichte bis zu den Specialien des Gera'schen Vertrages versteigt. Mir ist eine Stadtschule bekannt, wo der Lehrer der Natur­ geschichte den Anlauf machte, in den botanischen Stunden der Ober­ klassen das Reichenbachsche System, wenn auch nur beschränkter Maßen, in Anwendung zu bringen. Also ich wage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß sich noch mancher Lehrer durch ein --Zuviel" an seinen Schülern versündigt. Ob aber immer und jedesmal er nur allein, ist eine andere Frage; denn Fälle, doch, Gott Lob! sehr vereinzelt, sind auch wohl bekannt, wo das Bildungserz einer Schule durch andere, als des Lehrers Verschuldung in dieser oder jener Hinsicht roth- oder kalkbrüchig wurde. Auch hiezu ein Beispiel aus der Wirklichkeit. Wir ver­ setzen uns im Geiste in ein Kirchdorf, in welchem bei den Begräb­ nissen aus dem alten Liegnitzer Gesangbuche, und beim öffentlichen Gottesdienste aus dem Hirschberger Anhange gesungen wird, wo also beide Bücher in jedem Hause anzutreffen sind. --Hier ist das Jahrespensum der von den Kindern zu lernenden Lieder,-- so lautet die Botschaft des Revisors an seinen Lehrer. --Aber, Herr Pastor, 16 Lieder, das ist zu viel, verlautet schüchtern der Lehrer, zwölf nur der Monate sind, zwölf Lieder, das wäre mir möglich.---Sie müssen's können; ich will's!-- lautet die strenge Entgeg­ nung. Der Lehrer seufzt still, und blicket bescheiden die Lieder sich an. --Aber, Herr Pastor, sie sind doch unserm Gesangbuche ent­ nommen, die Lieder," so fragt der pflichteifrige Lehrer, --daß sie sich --auffrischen-- können durch Gesang und Gebet im Gedächtniß, und nicht verloren gehen den Kindern im spätern Leben, was Trost ihnen könne gewähren und Stärkung, Vertrauen zum Höchsten und Vorsicht?-- „Nein,-- so lautet die Antwort, --sie sind gesammelt von dem christlichen norddeutschen Verein. Diktiren können Sie ja die Lieder, oder sehen Sie sonst, wie Sie's zu schaffen vermögen!--

117

Traurig schleichet der Lehrer zur Werkstatt: "Spreu*), leider! sä't meine Hand, die baldigst zerstreut der Wind." Ich gehe mm zur weitern Lösung der obigen Frage über, die in der zweiten Lesart lauten muß: --Ist für unsere Schulen die Anwendung auch derjenigen Concentration des Unterrichts wünschenswerth, bei welcher sich die verwandten Lehrobjecte um einen CentralGegenstand harmonisch gruppiren und die einzelnen Unterrichtsdis­ ciplinen in eine organische Verbindung zu einander treten? Ich ant­ worte hieraus: So lange Wünsche für eine Steigerung des Einflusses der Volksschule gehegt werden, so lange die Sehnsucht nach einer immer innigeren Harmonie aller derjenigen wirkenden Kräfte rege bleibt, welche vereint den Hebel der Jugend- und Volksbildung aus­ machen, so lange wird man auch Ursache haben, eine Concentration in dem angedeuteten Sinne anzustreben. Unsere Schulen haben keineswegs denjenigen Grad innerer Harmonie erreicht, der für sie als der möglichst höchste gelten könnte. Wenn auch nicht behauptet werden soll, daß die Volksschule einzig und allein durch eine größere Concentrirung des Unterrichts auf den Gipfelpunkt ihres Einflusses und ihrer Entwickelung gebracht werden könne, so läßt sich doch nicht leugnen, wie durch dieselbe ein großer Schritt wenigstens zur Annäherung dazu gethan wird. — Gleichen nicht unsere Kinder, wenn sie zur Schule kommen, gegenwärtig solchen Touristen, denen ein Führer und eine Marschroute zu dem Zwecke gegeben, um in einem großen und weiten Lande reisend zu forschen? Der Führer ist gut, denn er kennt das Land, die Aufgabe ist schön, denn sie erstrebt Klugheit und Kraft; aber die Marschroute taugt nichts, da zu viel sind der Pfade, die sich durchschlingend verwirren. Der Feiertag flieht. Der Werkeltag kommt. Die Reise geht an. In jäher Hast treibt der Führer die Kleinen; nicht rechts, nicht links, *) Der Verfasser will die betreffenden resp. Lieder nicht an sich, sondern mir in sofern Spreu genannt haben, als sie in dem berührten Falle unter un­ zweckmäßigen Umständen in den Unterricht gezogen wurden; denn auch ihm ist das Heilige heilig. Der Verf.

118

nicht hin und her dürfen sie schauen; denn lang, lang ist der Weg. Doch seht! Was thut jetzt der Lehrer? — Er bricht ja ab von dem Pfade, ein zweiter Weg kommt, jetzt noch ein dritter, ein vierter, ja fünfter darauf. So wechselt's noch fort Dienstag und Mittwoch. Der Donnerstag endlich erscheint. Nun erforscht der Führer die Stelle, wo er am Montag verlassen die erste betretene Bahn. Aber schwer hält's die Bahn zu erkennen; ein tückisches Schneegestöber hat gänzlich die Spur verweht. Da ruft ein Kleiner verdrießlich: »Nähmen wir doch der Wege nur zwei, oder drei, oder vier, und gingen still und bedächtig, und machten bald Abstecher, bald Ruhen; gewiß, wir gewännen so mehr!» »Wohl möglich!» entgegnet der Führer; aber noch sind nicht verzeichnet die Wege, die einfach und unverworren uns Erkenntniß bringen und Glück, darum hilft's nichts, wir müssen schon weiter; werdet klüger dadurch ihr auch nicht und gescheidter, so habt ihr die Tour doch vollbracht. Hl. Worauf muß sich die Concentratio» des Unterrichts in der Volksschule nothwendig stütze», wenn sie sich als ein wahrer Fortschritt geltend machen will?

Antwort: Auf ein möglichst einfaches und darum überall im Unterrichte leicht anwendbares Prinzip, nämlich auf das Bedürfniß des kindlichen Geistes*). 1. Das Bedürfniß des kindlichen Geistes im Allgemeinen werden lvir nur dann richtig erkennen, wenn wir diesen nach seinem Wesen und nach seiner Entwickelung in den drei Bildungsstadien der Schulzeit richtig erfassen. Zum besseren Verständniß des unter ad V. entworfenen Lehrplans einer concentrirten Unterrichtsweise ist es nothwendig, auf die berührten Entwickelungsstufen der Seele lpährend der Schulzeit genauer einzugehen. Wir blicken zunächst: A. auf das erste Bildungsstadium, die Unterrichts*) Sehr richtig, aber doch wol auch aus die Forderungen der Lebensgemeiuschaften, denen das Kind angehört I Sch.

119 zeit b>m 5.—7. Lebensjahre oder die Kindheit des Schul­ lebe ne.

Wir können uns den kindlichen Geist als zwei innig ver­

mählte Kräfte denken,

von denen die eine die aufnehmende,

andere >ie rückwirkende Kraft genannt zu werden verdient.

die

Die auf-

nehmenoe Kraft (gleichsam die Oberfläche der Seele), bildet die gehermrißvolle Brücke zwischen der rückwirkenden Kraft, (dem Grunde der Seele) und dem Leibe. digen Wechselverkehr.

Beide Kräfte stehen im innigen leben­

Erfaßt die aufnehmende Kraft eine Anschauung

mit Bewußtsein und Lebendigkeit, so, daß der Aufnahmeprozeß bis in den Grund der Seele hinabdringt, so regt sich die rückwirkende Kraft in inniger Reflexion, indem sie die gewonnene Anschauung als Verstellung in den Vordergrund der Seele zurückwirft.

Daß

sich in dem bezeichneten Unterrichtsstadium hauptsächlich nur Vor­ stellungen als vollendetste Endresultate der Anschauung ergeben, be­ ruht auf der noch geringen Jntension des erst im Werden begriffenen Geistes.

Die anfängliche Undeutlichkeit dieser Seelenbilder erklärt

sich aus der Ungeübtheit und dem beweglichen Leben der noch zarten Geistesnatur.

Da die Oberfläche der kindlichen Seele selten oder

nie als ruhiger Spiegel erscheint, so ist es nicht zu verwundern, daß so manches geistige Bild in den Wellen verzerrt wird, daß sich, wie wir zu sagen belieben, die Einbildungskraft regt.

Wie mächtig

die erregten Vorstellungen den Geist des Kindes auf dieser Stufe bewegen, und wie sehr die Wellen davon an die Brücke zu schlagen vermögen, die den Geist mit dem Körper verbindet, zeigt die große äußere Beweglichkeit des Kindes (die freilich zum Theil auch ihre Ursache in dem raschen körperlichen Wachsthum findet), und in der bewundernswürdigen Lebendigkeit des nächtlichen Traumes. Die Aufgabe des Unterrichts ergiebt sich aus dem Gesagten für diese Stufe nun leicht.

Es gilt, die Seele fleißig durch An­

schauung zu übe», dadurch den Geist nüchtern zu machen, die Bilder des Trugs zu zerstreuen.

Klares Erkennen, sinnlich und geistig, ist

hier sowohl Mittel als Zweck. B.

Zweites Bildungsstadium, das Jünglingsalter

120 der Schulzeit, die Zeit vom 7.—10. Lebensjahre.

Diese

Periode ist die Zeit beginnender, genauerer Zergliederung der durch die Anschauung gewonnenen Vorstellungen.

Untersuchen, Vergleichen,

Unterscheiden u. s. w. sind die Thätigkeiten, zu denen hier die Seele heranreift.

Schon merkt hier der Geist den (Sotttraft, er ordnet,

er sondert, er urtheilt. das Gefühl.

Als Reflexion des Urtheils bildet sich nun

Das Letztere darf uns nicht wundern.

Wenn schon

bloße Vorstellungen die Oberfläche der Seele in Schwingungen zu setzen vermochten, so muß dies durch die Urtheile in einem noch höheren Grade geschehen.

Das Sondern und Ordnen rührt auf.

Stärker schlagen die Wellen an die Pfeiler der einenden Brücke. Nicht der Schmer; nur der Züchtigung entlockt hier Thränen dem Auge, nicht der Ueberraschungsaffect nur bei unrechtem Thun röthet das Antlitz.

Welcher Lehrer hätte sich nicht schon gelabt an dem

zitternden Auge der Kleinen dieser Stufe, wenn er ihnen vom Hei­ land erzählt, von seinem Leiden und Sterben? schon den Strahl heiligen Staunens gesehen in

Wer hätte nicht dem funkelnden

Blicke der Kinder, wenn sie den Herrn begleiten auf seiner Wunder­ bahn?

Welche Wonne ruft nicht eine lebendige Weihnachts- und

Oster-Erzählung in ihr freundlich Gesicht?

Also Berichtigung des

beginnenden Urtheils und Reinigung des hervorquellenden Gefühls sind auf dieser Stufe des Unterrichts die festen Strebepunkte. C.

Drittes Bildungsstadium, das Mannesalter*)

der Schulzeit, die Zeit vom 10.—14. Lebensjahre.

Hier

wird der Geist frei zu beginnen dem selbstständigen Thun.

Frei

schaltet er mit dem angeeigneten Wissensstoffe.

Er dringt hinein

in den Wald der Verwickelungen, er wagt sich an gordische Knoten auch ohne Alexanderschwert.

Diese

Bildungsperiode gebiert also

den reiferen Schluß. —• Der Schluß aber prallt ab von dem Boden der Seele, und schlägt als Entschluß, als Wille an die Kettenbrücke des Geistes.

Da zuckt es, da regt sich's im Körper, und der freie

*) Ein Greisenalter der Schulzeit giebt es nicht. Wille auch keins für das Leben gelten lassen.

Will doch der menschliche Der Vers.

121

energische Wille schlägt die Schwingen der Seele in wohlbedachter That. — Also hebe den Schüler auf die Höhen des reiferen Schlusses, stärke sein sittlich Bewußtsein zur Freiheit christlich vernünftigen Wollens, und du hast das Ebenbild Gottes erzeugt. Zu 'größerer Veranschaulichung der drei Entwickelungsperioden der kindlichen Seele während der Schulzeit diene folgende Uebersicht: 1. Stadium: Anschauen — vorstellen — denken. 2. Stadium: Orientiren — urtheilen — fühlen. 3. Stadium: Produciren — schließen — wollen. Die vorstehende Auseinandersetzung will nicht beweisen, daß die Seele des Kindes vor der zweiten Unterrichtsperiode nicht urtheilen und fühlen; und vor der dritten nicht schließen und wollen könne: sondern nur, daß diese geistigen Thätigkeiten im Allgemeinen erst auf dieser Stufe zu der gehörigen Deutlichkeit und Reife gelangen. Obige Auffassung der drei Unterrichtsstufen ist so einfach und natürlich, daß sie nicht nur über das auf jeder Stufe zu verwen­ dende Material die deutlichsten Fingerzeige giebt, sondern selbst über die Methode und über die ganze Haltung des Lehrers, den Kindern gegenüber, die dankenswerthesten Rathschläge ertheilt. Der Geist des Schülers auf der ersten Unterrichtsstufe gleicht einem Balle von Federharz, der leicht von Ort zu Ort hüpft, ohne große Eindrücke weder zu erlangen, noch zu bewirken. Freude und Trauer wechseln bei dem Kinde dieser Stufe in größter Schnelligkeit. Plötzliches Anstrengen und eben so schnelles Nachlassen im Thun, Gerührtund Ungezogensein jagen einander im muntern Generalmarsch, so daß uns, den fix und fertig sein wollenden Erwachsenen diese Weise bald so reizend, bald so unausstehlich erscheint. Kinder dieses Alters verdienen im Schülerverhältniß die größte Nachsicht und Schonung. Ein plötzliches Hemmen der muntern Regsamkeit würde geistige Beinbrüche erzeugen. Ein zu großes Anstrengen im Lernen und Ueben raubt dem Geiste die nöthige Spannkraft. Darum sei der Lehrer den Schülern dieser Stufe "Vater," Vater nicht bloß in der äußeren Haltung, Vater in den Ansprüchen und Leistungen,

122 Vater namentlich aber in der Wahl des Unterrichtsstoffes und der Mechode. Die Kinder der zweiten Stufe gleichen Metallkugeln, die, im Innern und Aeußern erstarrt, Form und Eindruck bewahren. Die Gliedchen dieser Wesen sind nicht mehr so kurz, daß sie jeder schwache Sehnenzug in eine andere Lage zu bringen vermöchte, und ihre Geisteswelt ist so geordnet, daß sie schon einige Versuche im Laufe sittlichen und vernünftigen Handelns wagen können. Nur Mangel ist es, geistige Armuth, wodurch sie sich gedrückt fühlen. Nicht genug Privat-Arbeiten können sie daher bekommen, nicht genug Aufgaben für das Gedächtniß. Welcher Lehrer hätte nicht schon die Erfahrung gemacht, daß Kinder dieser Stufe statt einer Seite Ge­ schriebenes zwei Tafeln voll, statt 2 oder 3 Rechnungsaufgaben 30 dergleichen bringen? Hier ist daher ein wenig Kühnheit in der Methode und in der Wahl des Unterrichtsstoffes ganz wohl ange­ bracht. Bei guter Behandlung und zweckmäßiger Disciplin macht die Lernfreudigkeit der Schüler jeden Verstoß gegen ein lückenloses Fortschreiten vollkommen wieder gut. Ja, das Aufhören des zu ängstlichen, methodischen Gängelns haben Kinder dieser Stufe ge­ radezu von Nöthen, damit sie sich zu größerer Selbstthätigkeit vor­ bereiten. Hier ist also der Lehrer in disciplinarischer, so wie in methodischer Hinsicht nicht mehr gängelnder Vater, sondern lieb­ reicher Freund, der gern mittheilt, gern erfreut, gern hilft, aber nicht trägt. Die Schüler der dritten Stufe gleichen den im Krhstallisationsprozesse begriffenen Edelsteinen. Das spätere Leben braucht die­ selben nur zu schleifen, um sie der größtmöglichen Vollendung ent­ gegen zu führen. Hier hat der Lehrer also die Aufgabe, den Bil­ dungsprozeß in natürlicher Art und Folge zu erhalten, damit die zu fester Gestalt und Struktur sich ordnenden Elemente vor Ver­ schrobenheit bewahrt bleiben, vor einem Blätterdurchgang, dem der Schleifstein des spätern Lebens nicht nur kein Feuer abgewinnt, sondern den er zermalmt und zerreißt. Kindern dieser Stufe sei der Lehrer in der Gesinnung zwar auch Vater; aber in der Methode,

123 in der Wahl des Unterrichtsstoffes und in der äußeren Haltung »Lehrer," nichts als Lehrer. hier des Lehrers Losung, Schüler.

Ernst, Energie, Würde und Weihe sei selbstständige

Uebung

die Aufgabe

der

Nur da komme der Lehrer den strebsamen Geistern zu

Hülfe, wenn sich diese keck in Labyrinthe gewagt, oder kühn auf jähe Felsen verstiegen *). 2.

Die Bedürfnisse des kindlichen Geistes im Einzelnen führen

uns auf die Verschiedenheit der Kinder nach Anlage und Entwicke­ lung.

Wir Lehrer wissen aus Erfahrung, daß nicht alle Schüler

genau der Stufe entsprechen, der sie dem Lebensalter nach ange­ hören sollten.

Einzelne kindliche Geister sind schon von Natur in

Fesseln gelegt, andere keimen unter solchen Verhältnissen zum Leben empor, welche ihre natürliche Entfaltung in irgend einer Weise be­ einträchtigen.

Welchen Einfluß die Standesverhältnisse der Eltern,

die Localitäten der engeren Heimath, die Zeitrichtung und andere Umstände

auf

die Entwickelung

des

kindlichen

Geistes ausüben,

wissen wir gewiß alle, und ebenso ist uns auch bekannt, daß wir die Kleinen nicht durch einen Zauberschlag zu dem umwandeln kön­ nen,

was wir an ihnen gerne haben möchten.

Wir

müssen

die

Kinder jederzeit so nehmen, wie sie sind, und nicht wie sie sein sollen.

Daraus geht aber hervor,

daß sich Fragen, wie die über

Concentration des Unterrichts nicht in solcher Vollkommenheit be­ antworten lassen, daß davon eine Anwendung bis in die feinsten Details in jeder einzelnen Volksschule gemacht werden könnte. Lehrer muß seine Schule

nach

seinen Kräften und

Jeder

Verhältnissen

organisiren, und ebenso auch viele Einzelnheiten bei einer Concen­ tration des Unterrichts selbst feststellen.

Daß die Grundideen dieser

Concentration für alle Volksschulen dieselben bleiben, versieht sich wohl von selbst. *) Was der Herr Verfasser hier unter Rubrik 1 bemerkt, ist gut und vor­ trefflich; allein in Ansehung der dreiklassigen Einthcilung kann ich ihm mit Rück­ sicht ans das gewöhnliche Bedürfniß nicht beistimmen, da sactisch und practisch eine zweitheilige in je zwei Hauptabtheilungen, also in Städten eine vierklassige Eintheilung gewöhnlich besteht und gut ist, Sch.

124 Als die beste Concentration des Unterricbts wird jedenfalls die­ jenige Einrichtung desselben bezeichnet werden müssen, welche, bei der größtmöglichen Rücksichtsnahme auf

die

geistigen Verschiedenheiten

der Kinder, dennoch den Zielpunkt der auf jeder Stufe des Unter­ richts möglichen sittlichen und praktischen Bildung für sämmtliche Zöglinge ruhig und sicher vor Augen behält.

Bei einer solchen Con­

centration werden folgende Unterrichtsgrundsätze angewendet werden müssen. a. Alles, was der Volksschule einen gelehrten oder künstlerischen Anstrich zu geben geeignet ist, bleibt von dem Unterrichte aus­ geschlossen, ebenso auch jede rein berufliche Seite der Schul­ bildung. b. Die extensive Beschränkung des Unterrichts muß der Bereiche­ rung desselben an Elementen für intensive Bildung die Hand bieten. c. Jedem Unterrichtsgegenstande ist eine sittliche Wirkung abzu­ gewinnen*).

Lebendiges Wachsthum des Geistes und

nicht

bloßer Wissensflitter sei Gegenstand des Strebens. d. Jeder Unterrichtsstoff und jedes Lehrmittel hat die Beschaffen­ heit, daß eine Nutzbarmachung desselben sowohl für den geistig stärkeren, als auch für den schwächeren Theil der gleichzeitig beschulten Kinder möglich ist. e. Der Unterricht muß cncyklisch sein, d. h. die Gegenstände des vorhergehenden Cursus müssen stets in den folgenden einge­ schlossen werden. f. Der Unterricht jeder Stufe lehnt sich an eine aus dem vor­ liegenden Bedürfniß der Kinder hergeleitete Hauptidee.

Auch

die Stoffe der einzelnen Unterrichtsdisciplinen gruppiren sich um gewisse Grundgedanken, damit die bildendsten didaktischen Elemente bei den jungen Geistern

in

eine möglichst ausge­

dehnte Wirksamkeit treten können.

*) »Mach ich euch rechnen, so lehr' ich euch Liebe re..

Pestalozzi.

125 g. Die verschiedenen Wissenszweige werden zu einer organischen Einheit verbunden, und in Hinsicht auf die Aufeinanderfolge beim Unterrichte in lichtvolle Brennpunkte zerlegt, damit eine lebendige Auffassung möglich werde.

Sinnige Vor- und Rück­

blicke und fest geregelte Ausscheidungen aus dem granitartigen Wissensstoffe bringen Ordnung und Sicherheit in das Ganze. h. Jede erlangte Fertigkeit tritt in den Dienst der Wissenschaft, so wie umgekehrt die Wissenschaft den Fertigkeiten durch Dar­ reichung des benöthigten Uebungsmaterials ebenfalls unter die Arme greift. Des Neuen ist an dem Allen wahrlich nicht viel, wird man­ cher kopfschüttelnd hier sagen.

Ich entgegne: Eine Schule mit con-

centrirtem Unterrichte kann auch nicht in allen Stücken etwas so ganz Nagelneues sein; sie kann sich nur darstellen als eine wohl organisirte Volksschule,

welche in Hinsicht auf das gesteckte Ziel,

auf den gewählten Unterrichtsstoff, auf die gebrauchte Methode und auf die angewandten Lehrmittel zu der natürlichsten Einfachheit, oder umgekehrt zu der einfachsten Natürlichkeit zurückgekehrt, oder viel­ mehr fortgeschritten ist.

IV.

Welche llnterrichtsgegcnstände sind für eine Volksschule mit concentrirtem Unterrichte erforderlich?

Das Haupt-Centrum des Unterrichts ist der Gedanke. Geist des Menschen lebt und wirkt in Gedanken.

Der

Jede geistige

Thätigkeit, selbst das Fühlen, das Wollen, ist zugleich ein Denken. Der Verein aller der Gedanken, welche ein Geist sich an- und aus­ bildet, stellt für diesen einen Organismus dar, entsprechend dem Leibe in seinem Verhältniß zur Seele.

Daraus ergiebt sich für

die Schule die Lehre, daß aller und jeder Unterricht an das Denken gelehnt werden müsse.

Selbst der Religionsunterricht ist hier mit

inbegriffen; denn auch der Glaube kann ohne das Denken nicht be­ stehen.

Daß ich unter dem Denken nicht etwa jenen Secirungs-

126 Proceß, der jeden Begriff in die feinsteil Atome zerlegt, noch viel weniger aber jenen Jagdtrieb unruhiger Geister, der nur deswegen den Spuren ernster, heiliger Ideen nachgeht, um diese wo möglich der Vernichtung preiszugeben, verstanden wissen will, fühle ich mich gedrungen, besonders zu erwähnen. Man würde die concentrirte Unterrichtsverfassung, wie ich mir sie denke, sehr unrichtig beurtheilen, wenn man aus dem Umstande, daß sie von dem Denken, von dem Gedanken ausgeht, den Schluß ziehen wollte, als begünstige und er­ strebe sie vorzugsweise mir eine bloße Verstandesbildung. Die Denk­ kraft ist die Fähigkeit des Geistes, Vorstellungen, Begriffe, Gedanken, Ideen auffassen, verarbeiten und nutzbar machen zu können. An jedem Gedanken ist Material und Form zu unterscheiden. Das Material besteht entweder in Ideen über Gott und göttliche Dinge, oder in Vorstellungen über die Welt und deren Zubehör. Die Form des Gedankens ist die Sprache. Es ergiebt sich nun sehr einfach, daß der gesammte Unterricht am Natürlichsten in Gottes-, Welt-, und Sprachkunde getheilt werden müsse. Die sogenannten Uebungs­ gegenstände, als Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen, Zeichnen u. s. w. werden mit den drei Hauptfächern in eine organische Verbindung gebracht, ohne daß darum gerade jeder einzelne dieser Zweige seinen Character als selbstständige Lection zu verlieren braucht. In Hin­ sicht auf das Schreiben und Lesen ist es allerdings am zweckmäßig­ sten, den letzt berührten Fall wirklich eintreten zu lassen. — Die tägliche Schulzeit ist in vier Abschnitte zu theilen, von denen der erste der Gottes-, der zweite der Sprach-, der dritte der Weltkunde und der vierte der praktischen Uebung zugewiesen wird. Es ist nicht nothwendig, diesen täglichen Unterrichtsabschnitten immer ganz gleiche Dauer zu geben. In solchen Schulen, wo die Kinder so­ wohl Bor- als Nachmittags Unterricht erhalten, sind die praktischen Uebungsgegenstände, so weit sie als gesonderte Lectionen stehen blei­ ben, in die Nachmiltagsstunden zu verlegen*). *) Auch hier braucht nicht bemerkt zu werden, daß ich bi» hieher ganz und gar mit dem-Herrn Berf. übereinstimme, da derselbe vollkommen und fast idört»

127 Vorschläge, wie der Schnell'sche, Montag und Donnerstag durch alle Vormittagsstunden Religion, Dienstag und Freitag in derselben Weise Weltkunde und Mittwoch und Sonnabend Sprachkunde zu lehren, haben keinen rechten praktischen Hintergrund.

Wenn z. B.

auch die Sprachlehre in mehreren Gestalten, nämlich als Lese-, or­ thographische, grammatische und sthlistische Uebung auftreten kann, so ist doch die dadurch gebotene Abwechselung, namentlich bei Fest­ haltung der Otto-Kellner'schen Unterrichtsweise so gering, daß für die Erregung der Spannkraft des kindlichen Geistes wenig oder gar nichts gewonnen wird.

Warum sollen ferner nur der Montag und

der Donnerstag durch eine religiöse Weihe bevorzugt sein?

Oder

bedürfen die Kinder nicht alle Tage der religiösen Erhebungen?**) Und was wird am Montage und Donnerstage zuletzt aus der an­ dächtigen, feierlichen Stimmung werden, wenn sie auf einen Zeit­ raum von 3 bis 4 Stunden beansprucht wird? **)

Zuviel unmit­

telbarer Religionsunterricht hinter einander, wirkt in ähnlicher Weise nachtheilig auf den nach Kraft ringenden Geist, wie es der Genuß übermäßiger Quantitäten Arzenei an einem kranken Leibe thut ***),

lich mit Dem übereinstimmt, waö ich darüber früher gesagt habe. Methodik und Centralisation des Unterrichts.

Vergl. meine Sch.

*) Diese ist ihnen ganz füglich zu gewähren auf die Weise, daß, wie wir es seit Jahren gethan haben,

alle Tage beim Beginn der Schule eine kurze

Morgenandacht, aus Gesang, Gebet, Vorlesung und Betrachtung einer, aus den, betreffenden Wochenunterricht in derReligion bezüglichen Bibelstelle bestehend, gehalten wird. **) Eine seierliche

Sch. und

eine

ernst heitere Stimmung ist ein Unterschied.

Die in der ersten Lehrstunde erzeugte Grundstimmung giebt, wenn sie rechter Art ist, den Ton der Schüler für den ganzen Schultag.

Die Kinder sollen über­

dies in Gottesfreudigkeit arbeiten, d. h. in der Schule schreiben, lesen:c. lernen, wodurch ihr Gottgefühl, ihr Glaube, ihre Erkenntniß von Gott rc. wahrlich nicht gestört wird.

Sch.

***) Der Herr Verf. unterscheidet nicht, abgesehen hier von der Arzenei, wofür schlechthin Nahrungösubstanz zu setzen ist, Genuß und Verarbeitung der­ selben.

Genießen die Kinder, d. h. empfangen sie religiöse Nahrung als Lehre

und assimiliren sie sich dieselbe nachher auf verschiedene Weise, so haben sie noch keineswegs zu viel Substanz empfangen.

Sch^.

128 Darum werde jeden Tag Religionsunterricht ertheilt*), aber nie­ mals habe derselbe in seiner unmittelbaren Gestalt die Dauer von 2 oder 3 Stunden. und Stützpunkt.

Die Bibel bilde den vorzugsweisen Ausgangs­

Der Katechismus behalte in so fern seine Bedeu­

tung für die Schule, als er den Umfang des religiösen Wissens­ stoffes in einem

engen Rahmen

faßt.

Der jedesmal behandelte

Religionsstosf wirke tonangebend auf das gesammte Unterrichtspen­ sum des Tages, ohne darum den andern Hauptfächern Selbständig­ keit zu rauben. Auf die Gotteskunde folgt am natürlichsten die Sprachkunde, theils deshalb, weil es zweckmäßig ist, nach der Anstrengung reli­ giöser Beschauung der Spannkraft des Geistes durch äußere An­ knüpfungsobjecte zu Hülfe zu kommen, was am Leichtesten

durch

das mit der Sprachkunde verbundene Schreiben und Lesen geschieht, theils darum, weil sich der Sprachunterricht in der Wahl des Stoffes leichter dem Religionsunterrichte anbequemt, als die Weltkundd**). Der Sprachunterricht bildet die natürlichste Brücke von der erha­ benen Stimmung der Seele, wie sie der Religionsunterricht fordert, zu der Stimmung ruhiger, harmloser, nach Umstünden selbst schalk-

*) Da« heißt nicht, jeden Tag eine ausführliche Katechisation; denn schon das Lesen und kurze Betrachten eines Psalmes, einer Perikope ic. ist Religions­ unterricht.

Der Vers.

**) Nach der Ansicht des Herrn Günther soll also iit jeder Stunde neue Reflexion ic. stattfinden.

Das möge man doch recht bedenken.

Der Mann,

der 3—4 Stunden hindurch reflectirend denkt, wird die Anstrengung trotz seines ausgebildeten Gehirns stark fiihlen

und

matt werde».

Durch

einen

andern

Gegenstand des Denkens kommt allerdings ein neuer Reiz, allein ein schädlicher. Wer gegessen hat und satt geworden ist, dem schmeckt dieselbe Speise nicht weiter, eine andere reizt auss Neue den Gaumen u. s. w., und so ißt er natürlich leicht zu viel und schwächt den Leib und dessen Gesundheit.

Jene andauernde Auf­

regung der Kinderseele durch verschiedene BildungSgcgenstände wirkt ähnlich und hat ihr sehr Bedenkliches für das gedeihliche gesunde Leben und Werden des Kin­ des, selbst in physischer Beziehung, ganz abgesehen davon, daß die Stimmungen de» Gemüthes und Geistes demgemäß wie Aprilwetter veränderlich sind und so natürlich zuletzt eine Verstimmung erzeugen.

Sch.

129 Hafter Betrachtung, welche der Weltkunde eigen sein muß*).

Der

Unterricht in den practischen Uebungen endlich kehrt die Thätigkeit des durch die Arbeit in der Spannkraft nachlassenden Geistes noch mehr nach Außen, als die beiden vorangegangenen Gegenstände es thaten.

Er wird dadurch

zum zweckmäßigen Schlußgliede in der

Kette des täglichen Unterrichts.

Er gleicht dem Spaziergange, den

ein Fußgänger nach Beendigung einer strengen Tour unternimmt, um die aufgeregten Kräfte nicht durch ein plötzliches Eintretenlassen der Ruhe in Mißverhältnisse zu bringen.

Wie ein Fußgänger der

angedeuteten Art oft selbst noch kleine Hügel besteigt, um dadurch die angegriffenen Sehnen möglichst vielseitig zu stärken, so kommt in den practischen Uebungsstunden mitunter noch ein förmliches Nach­ turnen des Geistes vor (ich erinnere z. B. an den Rechenunterricht), jedoch ohne daß die geistigen Kräfte dadurch bis in ihre tiefsten Grund­ lagen erschüttert werden. Die angedeutete Aufeinanderfolge der Unter­ richtsgegenstände hat auch das für sich, daß sie einen heilsamen Wech­ sel von receptiver und productiver Geistesthätigkeit herbeiführt**). Wir müssen hier abbrechen, da wir nicht die ganze, in der That wohldurchdachte und mittheilen können.

vortreffliche Abhandlung des Herrn Günther In Bezug

auf die tägliche Aufeinanderfolge

*) Der Herr Verfasser will also planmäßig einen namhaften Wechsel der Stimmung.

Uns fällt dabei ein:

nur ein Schritt."

„Vom Erhabenen biö zum Lächerlichen ist

Wenns eben nur auf Wechsel abgesehen ist, so kann derselbe

leider bei einer und derselben Sache nur zu

leicht erreicht werden, wenn der

Lehrer will oder wenn er ein Mann ist, dessen Stimmungen leicht wechseln, was immer als ein Zeichen von Krankheit gilt.

Kinder sind aber nicht krank,

wenn ihre Stimmung auch leicht wechselt, denn sie sind Kinder, d. h. schwache Wesen, die eben gekräftigt und gestärkt werden und 31t dem Behufe auch in gleichmäßigeren Stimmungen erhalten werden sollen.

Sch.

**) Dasselbe wird auch bei dem Wechsel der Uebungen, wie wir sie täglich wollen, erreicht, oder kann wenigstens erreicht werden, wenn sonst der Lehrer nur will und die Sache darnach einzurichten versteht.

Im. Uebrigen läßt sich

beides, die Aufgabe des Sprachunterrichts mit der des Religionsunterrichts ver­ einigen und zwar um so fnglicher, als

eben beim Sprachunterrichte nicht bloß

Sprachwissen, sondern Sprachkunst die Hauptaufgabe aller Sprachübungen, insbesondere aber der schriftlichen, d. h. der Schreib- und Leseübungen ist.

Schnell, org. Unterricht.

9

Sch.

130 der Unterrichtsfächer schlägt der Herr Verf. vor, was wir selber früher jahrelang ansgeführt haben. Vergl. das Schlußwort unserer Methodik. Wir sind von der Erfahrung auf einen anderen Weg geführt worden, der sich uns noch besser bewährt hat und mit dem durchaus nicht die Nachtheile verbunden sind, die der Herr Verf. davon befürchtet. Wir verweisen den geneigten Leser in dieser Be­ ziehung auf den Aufsatz unter Rubrik I. des dritten Abschnittes dieser Schrift, und bitten Jeden, dem es gestattet ist, in dieser Be­ ziehung frei zu wählen, ein Jahr hindurch die eine und ein anderes Jahr lang die andere Einrichtung und Ordnung des Unterrichts zu erproben, und zwar so, daß bei den schriftlichen d. h. Schreibe- und Leseübungen die Fertigkeit im richtigen Gebrauch der Sprache als Hauptziel, nicht aber sprachliches Wissen als solches verfolgt wird. Viel wird dabei allerdings auf Sinn, Character, Individualität jedes Lehrers ankommen. Inzwischen sollte doch wol zuerst und zu­ letzt immer das maßgebend sein, was den Kindern am ersprießlich­ sten ist und für diese sich am fruchtbarsten zeigt, da jeder Lehrer sich diesem Gesichtspunkte streng unterzuordnen hat. Was übrigens von der Thätigkeit des Leibes gilt, gilt auch von der der Seele. »Ein Organ von dem Boden des Ganzen getragen, kann un­ glaublich viel leisten, toemt die übrigen in dieser Zeit ruhen. Man beobachte also eine Abwechselung in der Uebung der verschiedenen Organe. Durch gleichzeitige Anspannung verschiedener Organe ent­ steht eine Zerstreuung der Körperfunctionen, wie der Geistesthätig­ keiten. Man muß also die Körperfunctionen so wenig, wie den Geist zerstreuen.« Dafür ist bei unserer Ordnung und Einrichtung des Unterrichts grundsätzlich gesorgt; denn es gilt hier als Grundregel: »In einem Punkte die ganze Kraft.« — Uns selber ist die andauernde Beschäftigung mit einem Gegen­ stände in einer Hauptrichtung des Geistes so wohlthuend als heilsam gewesen. Doch muß zugegeben werden, daß auch hierbei

131 die Gewohnheit eine große Macht ausübt und daß es anderer­ seits nicht Jedermanns Ding ist, sich von einer gewohnten Weise alsbald und leicht loszumachen. So viel steht indeß unbedingt fest, daß die andauerndere Beschäf­ tigung mit einem Gegenstände, die andauerndere Sammlung der Kraft in einem Punkte den Willen und Character, wie Geist und Gemüth am nachhaltigsten kräftigen und daß erst ein gesammelter Mensch ein ganzer, ein zerstreuter dagegen ein getheilter, ein halber Mensch ist. Auch läßt es sich nach unserer Erfahrung ganz wohl einrichten und durchführen, an jedem Morgen zuerst eine biblische Geschichte oder einen Spruch als Eingang zum Tagesuuterricht zu wiederholen, insbesondere mit der Morgenandacht zu verbinden, die ja so wie so in jeder Schule stattfindet und stattfinden muß, soll uns nicht alle Weihe und Erhebung in der Schule und ans dem Schulleben ver­ loren gehen.

Das Leben, auch das Schullebcu, ist prosaisch und

profan genug, alö daß wir Ursache hätten, es planmäßig zu profaniren.

Natürlich muß in der Andacht Würde und Wahrheit sein

und zu dem Ende darf sic nicht zu weit ausgedehnt werden. — Wir lassen auch am Schluffe der Schule singen und Nachmittags zuni Schlüsse des Unterrichts sogar die Wochensprüche oder einen Psalm ic. theils von einzelnen Schülern, theils gemeinschaftlich in angemessenem Tone sprechen, so daß der religiös-sittliche Gedanke der Grundgedanke der Schule, resp. der Kinder wird, haben uns nur guter Früchte davon zu erfreuen gehabt.

und wir Es kommt

dabei, wie bei Allem was man in der Schule thut und treibt, wie gesagt, hauptsächlich auf den Geist und Character an, mit und in dem mau es thut.

Doch der läßt sich nicht auf dem Papiere vor­

schreiben; er geht von dem lebendigen, pflichttreuen, rechtschaffenen Erzieher und Lehrer aus und muß bei ihm vor allen Dingen in der Wahrheit und in lauterer Gesinnung begründet fein, die zu be­ haupten unter dem Druck und unter der Unbill, die Lehrer so oft erfahren müssen, freilich sehr schwer sein mag. Wir gehen nun zu No. III. dieses Abschnitts über.

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9*

132

III.

Centralisation oder Concentration des Unterrichts? (Vergl. Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Jahrg. III. No. 22. S. 161—167.)

AfVlmt denke bei diesen Worten nicht an eine totale Reform unseres Unterrichts, denn es wird bannt nur ein" Grundsatz für den­ selben ausgesprochen, der in einem andern Sinne genommen und consequenter durchgeführt werde» soll, als der: "Knüpfe an das Bekannte an!" Man glaube aber auch nicht, daß es sich hierbei um eine ge­ ringfügige Sache, oder bloß um den Namen einer Sache, die schon längst existirt hat, handelt. Im Gegentheil ist der Gegenstand, der sich hinter dem Namen --Centralisation" oder --Concentration" ver­ birgt, von der größten Bedeutung, kann aber seinem Umfange und Werthe nach nur von dem recht gewürdigt werden, der ent­ weder einen tiefen Blick auf die neuste Gestaltung der Psychologie, so wie auf die Bedürfnisse der Pädagogik geworfen, oder mit der Didaktik und Methodik des Unterrichts noch nicht ganz abgeschlossen hat. Die Wichtigkeit des fraglichen Gegenstandes geht auch daraus hervor, daß er von dem Kommit6 in das Programm der 5. allge­ meinen sächsischen Lehrerversammlung aufgenommen, so wie daß er von der Versammlung vorzugsweise zur Besprechung ausgewählt wurde, und daß die Debatte darüber, die eben so wenig erschöpfend sein konnte, als sie unerwartet und von dem eigentlichen Referenten nicht bevorwortet war, doch für die Mehrzahl anregend und befrie­ digend gewesen ist. Mit dem Folgenden soll der Gegenstand noch einmal, und zwar in weitern Kreisen, zur Sprache gebracht werden.



133

Centralisation und Concentration deuten auf ein Zusammen­ ziehen oder Zusammendrängen, Vereinigen oder Sammeln in einem Mittelpunct (Centrum) oder in mehreren Mittelpuncten (Centra) hin; aber rücksichtlich der ersteren ist mehr eine Bewegung um einen oder mehrere Mittelpuncte herum, und rücksichtlich der letzter» mehr ein Bewegen nach und in einem oder mehreren Mittelpuncten ge­ meint. Noch mehr tritt der Unterschied zwischen Centralisation und Concentration ins Licht, wenn wir darauf sehen, daß jene mehr auf eine Vereinfachung und Erleichterung, diese dagegen mehr auf eine Verstärkung und Krafterhöhung hindeutet. Man denke deshalb nur an die verschiedene Bedeutung der Centralisation in der Astronomie und Politik, sowie der Concentration in Physik und Chemie. Man sagt daher nicht: »Diese Säure ist centralisirt» — sondern, »sie ist »concentrirt« worden;» oder: Die Revolutionen Frankreichs sind eine Folge »seines Concentrations-,» sondern, »seines Centralisations­ systemes" rc. Wenn wir daher fest im Auge behalten, daß concentriren zu gleicher Zeit auch verdichten, verstärken heißt, und daß also die Concentration vorzugsweise den Zweck der Verstärkung und Krafterhöhung hat: so ist auch die innigere Verwandtschaft der Con­ centration mit Condensation (condensiren) und Consistenz (consistiren) leicht nachweisbar. Soviel im Allgemeinen zur Unterscheidung der Wörter »Centralisation» und »Concentration.» Was nun die Centralisation des Unterrichts insbesondere be­ trifft, so hat sie demnach einen mehr objectiven Gesichtspunct; und man hat mit diesem Worte, genau genommen, eigentlich auch weiter Nichts, als eine äußere Verbindung mehrerer Unterrichtsstoffe, je nachdem sie unter einander ähnlich sind, gemeint. Die Concen­ tration deö Unterrichts dagegen hat einen mehr subjectiven Gesichts­ punct; das Wissen soll in Bezug auf das in der Seele seiende, be­ reits angelegte Wissen verknüpft werden. Der Psycholog denkt daher bei der Concentration des Unterrichts, nicht an eine äußere Ver­ bindung der verschiedenen Lehrobjecte, sondern an ein Verknüpfen dessen, was in die Seele des Schülers hineingegeben werden soll,

134

mit dem, was bereits in derselben ist. Daher redet der Psycholog nie von einem centralisirten, wohl aber von einem concentrirten Wissen. Der Psycholog will aber mit dem concentrirenden Unter­ richte dem Wissen nicht blos einen mehr sub- als objectiven Zu­ sammenhang geben; sondern er will damit zugleich auch die Kräfte der Seele bilden und stärken, und somit die Wirksamkeit des Unter­ richts steigern. Doch genügt es uns, vor der Hand zu wissen, daß die Centralisation des Unterrichts mehr auf eine äußere (objective oder reale), die Concentration des Unterrichts dagegen mehr auf eine innere (subjective oder formale) Bildung hinzielt. Halten wir daher daran fest, daß die Centralisation des Unterrichts die ver­ schiedenen Lehrobjecte je nach ihrer äußeren Natur und Zusammen­ gehörigkeit verbinden, die Concentration des Unterrichts dagegen das innere Wissen unter sich, so wie das zu erwerbende mit dem bereits erworbenen Wissen, verknüpfen will: so ist das Wort: »Con­ centration des Unterrichts» da falsch gebraucht, wo man von einer »vereinigten Behandlung der Lehrgegenständc beim Unterrichte in der Volksschule redet. Aus dem Gesagten muß schon klar geworden sein, daß die Centralisation des Unterrichts viel leichter beschreibbar, so wie in Handbüchern und auf Lectionsplänen schematisch darstellbar ist, als die Concentration. Dort koinmt, wie des Lehrers, so des Schülers psychologischer oder subjektiver Standpunct fast gar nicht in Betracht; wenigstens in der Weise und zu dem Zwecke nicht, wie bei der Concentration des Unterrichts, wo blos das verknüpft, und an das angeknüpft werden kann, was bereits in der Schüler­ seele da (angelegt) ist. Das läßt sich ja aber gar nicht voraus feststellen. Daher erwartet und fordert man vergeblich, der Con­ centration des Unterrichts wegen, specielle Vorschriften, ausgearbeitete Pläne uud maulrechte Leitfäden. Der concentrirende Unterricht fußt einzig und allein auf die genaueste Kenntniß der Seele des Schülers, so wie ihrer bereits erworbenen Vorstellungsformen. Die concentrirende Methode fesselt daher den Lehrer auch nicht so streng an die Lehrobjecte, an das Handbuch und den Lectionsplan, wie die

135 centralisirende *). Darauf hin kann aber auch behauptet werden, daß die gewöhnliche Lehrerbildung nicht hinreicht, wenn der Unter­ richt in der Volksschule concentrirt werden soll; denn die Concentration des Unterrichts setzt als conditio sine qua non voraus: daß der Lehrer äußerlich und innerlich selbstständig, von einem "Handbuche unabhängig, dagegen aber im vollsten Sinne des Worts Psycholog sein müsse. Aber wir meinen dies blos im Sinne der „neuen" Psychologie, denn die „alte» Psychologie mit ihrem Einen, und noch dazu angeborenen Verstandes-, Gefühls-, Willensver­ mögen rc. ist an den Gebrechen unsers Unterrichts wesentlich Schuld, und der Concentration des Unterrichts eher hinderlich als för­ derlich **). Die Centralisation des Unterrichts in ihrer objectiven Bedeu­ tung ist aber auch weniger neu. Schnell in seiner Schrift: „Die Centralisation des allgemeinen Schulunterrichts" will den Unter*) Nach unserer Ansicht gehören Centralisation und Concentration des Unter­ richts so innig zusammen, wie Aeußeres und Inneres, wie Form und Wesen. Sch. **) Dieses Urtheil möchte doch wol nur unter großer Einschränkung wahr sein. Es ist jetzt wieder einmal recht Mode, gegen das Augeborne" zu Felde zu ziehen, und doch nimmt Beneke selbst ^Angebornes" genug an und reden alle Psychologen seiner Schule sehr wichtig uab sehr richtig von Urvermögen und Gesetzen und Entwickelungen des Seelenlebens; ich erinnere hier nur an den so klaren als gewandten Dreßler zu Bautzen. Wenn Andere, zu denen ich ge­ höre, das Keim nennen, was dort Urvermögen genannt wird, so sind wir in der Sache einig, und nur in den Ausdrucken von einander verschieden. Auch die Benekianer geben ja zu und müssen eö zugeben, daß wir mitten innen in dem Organismus des Lebens stehen und uns entwickeln; und daß die Ernährung, resp. Anregung des Seelenlebens von Außen geschieht, haben alle Psychologen der älteren Schulen eben so anerkannt, wie die der neueren. Bei Lichte be­ trachtet, ist der Streit also mehr ein Wortstreit, denn ein sachlicher. Dreßler sagt z. B. Seite 52 in dem Jahrbuche von Diesterweg (1856): Der menschlichen Seele bilden sich fortwährend neue Urvermögen an, so daß, wenn die früheren durch Ausbildung verbraucht sind, die Entwickelung immer weiter fortschreiten kann." Wir nennen das mit Schultz-Schultzenstein einfach: Neubildung oder Berjüngung und hallen an der Entwickelung aus Einem. Grundkeime fest, wo­ gegen doch wol auch kein Benekianer streiten wird, mit welchen anderen Worten er das auch bezeichnen mag. Sch.

136 richt a) in der Sprachbildung, b) in dem Welt- und c) in dem Gottesbewnßtsein ccntralisirt wissen.

Wir weisen dabei auch auf

Pestalozzi hin, der den Unterricht in 3 Puncten zusammenfassen wollte: a) Wort, b) Zahl und c) Form, der dabei aber der Concentration des Unterrichts viel näher

war, als Schnell*).

Die

Centralisation des Unterrichts, d. h. die äußere Verbindung meh­ rerer Unterrichtsfächer, ist aber auch eben so oft zurückgewiesen als gefordert worden.

Wir wollen hierbei nur auf die vielen Vorschläge

und Versuche hinweisen, mit der Geographie die

Geschichte

oder

Naturgeschichte, mit der Naturgeschichte die Gewerbkunde, mit der Sprach- die Realbildung rc. zu verbinden.

Eine solche Centralisa­

tion ist der deutlichste Belag dazu, daß man sich rücksichtlich des Unterrichts vom objectiven Gesichtspuncte durchaus nicht

los­

machen kann: ein Gebrechen, daß man unserem Unterrichte und un­ serer Methodik immer und immer wieder tadelnd vorhalten muß. Man sagt: "£)ie Centralisation des Unterrichts wird von der Ver­ wandtschaft der Lehrgegenstände unter einander bedingt, wovon einer die Grundlage des andern ist."

Wir können aber diesem Grunde

unsern Beifall schlechterdings nicht geben, eben weil der subjective Gesichtspunct des Unterrichts dabei ganz aus den Augen gelassen ist**).

Man sagt:

"Dem Volksschulunterrichte ist die Zeit in so

geringem Grade zugemessen.«

Auch damit wird die Centralisation

des Unterrichts nicht begründet; denn es ist nicht einzusehen, wie

*) Wir bitten den Herrn Verf. in unserer Centralisation gefälligst nachzu­ lesen, warum und zu welchem Zwecke wir den Unterricht zu centralisiren beabsichtigen.

Sch.

**) Mit Erlaubniß des Herrn Vers. hat die Centralisation und sehr natürlich

sehr einfach

denselben Gesichtspunct und muß ihn haben, weil eben das

Subject der Bildung: der Schüler der Mittelpunct und Zweck und daher für den Unterricht und seine Objecte, beziehungsweise für die Einrichtung der Lehre und Uebung sowol in Bezug auf das Was als auf das Wie maßgebend ist.

Wir

wollen daher die Centralisation im Grunde nur um der Concentration willen. Das liegt auf offener Hand und bedarf keines Beweises, wie wir dies denn auch von vorn herein entschieden und bestimmt ausgesprochen haben. Centralisation des Unterrichts."

Vergl. Sch.

„Die

137 durch eine solche äußere Verbindung und Vermischung der Lehrfächer Zeit erspart und gewonnen werden soll.

Einen ganz andern Ge­

sichts- und Standpunct hat dagegen die Concentration des Unter­ richts — den psychologischen oder subjectiven: die Gebilde der Seele (Vorstellungen, Begriffe, Gefühle, Begehrungen rc.) müssen mit ein­ ander verknüpft werden, theils die daseienden (bereits angelegten), theils die durch den Unterricht hinzukommenden.

Blos in Rücksicht

auf das innere Wissen will der concentrirende Unterricht große zu­ sammenhängende Massen zusammen bilden, indem er alle Seelen­ gebilde, ihrer Aehnlichkeit und Zusammengehörigkeit nach, zu Gruppen und Reihen zu verknüpfen bestrebt ist *).

Das Wesentliche des con-

centrirenden Unterrichts sind also die Verknüpfungen oder Combi­ nationen.

Wir wollen

daher sogleich auf diese unser Augenmerk

richten. Die Gebilde (Vorstellungen, Begehrungen, Gefühle rc.) werden dadurch in der Seele verknüpft oder combinirt, daß sie im Ver­ hältniß ihrer Gleich- oder Ungleichartigkeit zusammengebildet, dort zu Gruppen, hier zu Reihen vereinigt werden. an und Gesetz:

für sich

Dies geschieht schon

nach dem bei der Seelenentwickelung geltenden

"Alle Gebilde und Thätigkeiten der Seele sind stets be­

strebt, sich zu vereinigen, und zwar desto inniger, je gleichartiger sie sind."

Aber mit der Concentration des Unterrichts wird darauf

hingewiesen,

daß

dieses Entwickelungsgesetz der Seele, mehr als

bisher, beim Unterrichte in der Volksschule berücksichtigt werden soll. *) Was heißt inneres Wissen hier? wohl von einer

äußeren

Man kann unserer Anschaunng nach

und inneren Verbindung der Unterrichtsgegenstände

sprechen, aber in dem Sinne, wie es hier gemeint ist, nicht von einem äußeren und

{mieten Wissen,

da beim Wissen,

resp. gegenständlichen Erkennen

(Innehaben) Subject und Object sozusagen congruiren, und — wir müssen es wiederholen, weil da« als Grundirrthum durch den ganzen Aussatz

hindurch­

zieht: — daß der Herr Vers. zu wenig berücksichtigt, wie alle Combinationen mit und an coucreten Gegenständen Hand in Hand gehen, so daß ein Denken ohne Inhalt auch in seinem Sinne gar nicht denkbar ist, was namentlich Dreßler, den er nach seinem psychologischen Standpuncte doch gewiß anerkennen wird, so klar und deutlich dargethan hat.

Sch.

138 Wir können hier über die Combinationen nicht mehr als das sagen, daß es wohl ein allgemeines Combinationsgesetz, aber keine beson­ dere Combinationskraft der Seele giebt; und die, welche mehr über das Wesen der Combinationen, über die --Gruppen und Reihen­ gebilde,-- sowie über die Bedingungen derselben, über die beweglichen Elemente und das Gesetz der Ausgleichung wissen wollen, verweisen wir auf Beneke'ö psychologische und pädagogische Schriften*). Ehe aber in der Seele Combinationen gebildet werden können, müssen erst Einzelgebilde in derselben entstehen, dafür hat der An­ schauungsunterricht zu sorgen, dessen Wesen und Werth von dieser Seite erst ins Helle Licht gebracht wird.

Nur in wiefern in der

Seele Einzelgebilde da sind, können Combinationen, oder Gruppen und Reihen entstehen.

Die Einzelgebilde sind gleichsam die Factoren

oder Posten, und die Combinationen die Producte oder Summen derselben.

Unser Unterricht, und der centralisirende nicht weniger,

arbeitet nun fast blos auf Erzeugung von Einzelgebilden, oder isolirten Gebilden hin — die isolirende Methode.

Und daß man

die Nachtheile des isolirenden Unterrichts, wobei man jedes Lehrfach für sich und von andern unabhängig betreibt, bereits erkannt hat, davon ist die Forderung,

den Unterricht zu

centralisiren ein

Beweis: man will, daß mehrere Lehrgegenstände vereinigt gelehrt und gelernt werden.

Aber wir glauben nur nicht, daß damit der

Weg gefunden ist, den der Bolksschulunterricht verloren hat, und den wir suchen.

Mag die Methode den isolirenden Unterricht bis­

her noch so sehr forcirt haben, er hat doch an practischem Werthe verloren; und mag man die Unterrichtsobjecte noch so sehr centra­ lisiren, er wird doch nicht an practischem Werthe wieder gewinnen. Denn allen Einzelgebilden, und also auch dem isolirenden und centralisirenden Unterrichte fehlt der innere Halt, die befruchtende Kraft. Der concentrirende Unterricht dagegen ist nicht isolirend, eben wie­ fern er nicht in Rücksicht auf die äußeren Lehrobjecte, sondern in *) Wir haben im II. Abschnitt dieser Schrift unter betn II. Hanptpmict ein deösallsiges gnteö Wort von Dreßler angeführt. Sch.

139 Rücksicht auf die inneren Seelengebilde combiniren, d. h. unterein­ ander verknüpfen will. Rücksichtlich des'Werthes der combinirten Gebilde, den isolirten gegenüber, ist das zu bemerken: 1) daß die Combinationen, wenn sie sonst mit einiger Vollkommenheit gebildet worden sind, der Seele eben so wenig verloren gehen, als die Ein­ zelgebilde, denn was einmal im Bewußtsein zusammen, d. h. combinirt war, bleibt es auch im Unbewußtsein; und 2) daß die Com­ binationen eben deshalb so lebendig und wirksam, weil sie erregungs­ fähig find, denn sie stehen für die Bewußtwerdung gleichsam immer auf dem Sprunge, weil die Gebilde, die einmal und fest verknüpft wurden, gegenseitig bestrebt sind, sich zum Bewußtsein zu bringen. So wirken die Combinationen in der Seele als Anziehungö- als Centripetalkräfte, und deshalb führen sie auch, als feste Mittel- und Angelpuncte (Centra), nothwendig zur Concentration hin. Um nun dort über den centralisirenden, hier über den concentrirenden und combinirenden Unterricht noch klarer zu werden, ist es unerläßlich, noch einige Andeutungen über das Wesen und den Unterschied des "objectiven und subjectiven Zusammenhangs" des Wissens zu geben. Und wenn unsere Fingerzeige nicht deutlich und bestimmt genug scheinen sollten, dann müssen wir abermals auf Beneke's psychologische Schriften Hinweisen. Der subjeetive Zusam­ menhang bezieht sich nämlich nicht auf das objective Aehnlich- oder Zusammensein, sondern auf eine Verknüpfung dessen und in wiefern es in der Seele, also rein subjectiv ist. Wie das Wesen, so sind auch die Mittel und Bedingungen des subjectiven Zusammenhangs, die "beweglichen Elemente" und das Gesetz der --Ausgleichung-durchaus nicht objectiver, sondern rein subjektiver Natur. Der ob­ jective Zusammenhang hat objective Beziehungen, die sich eben bei der Centralisation des Unterrichts auf die Verbindung mehrerer Lehrobjecte beschränken: das objectiv Aehnliche und Zusammengehö­ rige sott verbunden werden. Ob das Wissen eines Menschen einen mehr subjectiven oder objectiven Zusammenhang hat, wird also blos von den Verknüpfungen abhängen, die dort von dem Subjecte, hier

140 von den Objecten bedingt werden.

Die Concentration des Unter­

richts will dem Wissen einen mehr subjectiven als objectiven Zu­ sammenhang geben: es soll blos in Rücksicht auf das in der Seele Seiende verknüpft (combinirt) werden.

Wie also die Combina­

tionen oder Verknüpfungen, so beziehen sich die --Gruppen und Reihen­ gebilde,-- und die --Massen-- des concentrirenden Unterrichts blos *) auf das Zusammensein in der Seele, auf das Zusammenbilden des in der Seele seienden.

Von diesem Gesichtspuncte aus wollen wir

noch einen flüchtigen Blick auf die bisherige Didaktik und Methodik des Unterrichts werfen. Man spricht viel von einer subjectiven und objectiven Methode, oft ohne das Wesen und den Unterschied beider klar und bestimmt .auseinander zu halten.

Dort lehrt man in Rücksicht auf die Sub­

jecte, hier in Rücksicht auf die Objecte. gebildet, hier das Object gelernt.

Dort wird das Subject

Die objective Methode führt

zur realen Bildung, so wie zum shstematisirenden und isolirenden Unterrichte hin: denn sie nimmt ja nur das Object ins Auge.

Bei

der subjectiven Methode dagegen ist der oberste Gesichtspunct der, zu sehen und zu wissen, was bereits in der Seele angelegt, und wie es angelegt ist.

Der combinirende und concentrirende Lehrer

muß daher, eben der subjectiven Methode zufolge, die Seele, ihre Gesetze und Formen der Entwickelung, sowie ihren bisherigen Bil­ dungsgang ganz genau kennen, und fest im Auge behalten. combinirende und

concentrirende

Unterricht schließt

die

Der

objective

Methode von sich aus: nur das, was in der Seele ist, kann ange­ knüpft — combinirt werden **).

Blos von diesem Gesichtspuncte

aus kann der alte methodische, oder vielmehr didactische Grundsatz: *) Wir würden lieber sagen --überwiegend.-Sch. **) Ei, ei, mein würdiger Herr Vers. Das ist zu viel behauptet und würde zu einer Einseitigkeit mit sehr üblen Folgen führen. Auch in diesem Be­ tracht gilt cs, die rechte Mitte einzuschlagen, die sogenannte snbjective und ob­ jective Methode also stets und stetig zu verbinden, um formale und materiale Bildung zu erzeugen, wie Sie das ja auch nach späteren Bemerkungen ausdrück­ lich wollen.

Sch.

141

»Knüpfe an das Bekannte an!» recht verstanden und gewürdigt wer­ den. Wir müssen demselben aber auch nothwendig einen weitern Sinn geben, als die Methodik beim Anschauungsunterrichte bisher gethan hat: indem wir ihn eben auf den combinirenden und concentrirenden Unterricht übertragen. Wie die Methodik bisher den objectiven Gesichtspunct festhielt, sehen wir besonders an dem Grund­ sätze derselben: »Schreite lückenlos vorwärts!» oder: »Der Unter­ richt muß streng zusammenhängend und lückenlos sein!» Wir sehen hier auch Verknüpfungen (Combinationen) gefordert, aber eben nur vom objectiven und nicht vom subjectiven Gesichtspunct aus. Mit dieser Forderung der Lückenlosigkeit wollte man dem Erlernten Zusammenhang, objectiven Zusammenhang geben. Dabei kam man aber eben wieder zum shstematisirenden Unterrichte hin, den man vermeiden wollte, obschon die »Methodik» allen Fleißes dahin ge­ arbeitet hat, den Kinderunterricht nicht wissenschaftlich systematisch werden zu lassen: denn in den unendlich vielen »methodischen Leit­ fäden» und Handbüchern sind die Lehrobjecte anders als wissen­ schaftlich geordnet und eingetheilt, ans die vielfachste Weise zu­ sammengedrängt und beschnitten worden. Die Combination und Concentration des Unterrichts fordert auch Lückenlosigkeit, aber nur in Rücksicht auf das Subject, auf den subjectiven Zusammenhang, und ihr Grundsatz ist dabei der: Verknüpfe das in der Seele Seiende, knüpfe an das in der Seele Seiende an.» Die combinirende und concentrirende Methode will mit der Lückenlosigkeit dem Wissen sub­ jectiven, die alte Methode aber objectiven Zusammenhang geben. Der objectiven Methode entspricht daher die reale, der subjec­ tiven dagegen die formale Bildung. Hierin ist das Wesen und der Unterschied beider, der realen und formalen Bildung zu suchen. Ohne die genaueste Kenntniß und sorgfältigste Berücksichtigung des sub- und objectiven Zusammenhangs, der snb- und objectiven Me­ thode kann der Streit über reale und formale Bildung nicht ent­ schieden, kann das Schwanken von der einen zur andern nicht beseitigt werden. Und da es sich, von einem höheren und unvar-

142 theiischen

Standpuncte aus angesehen, gar nicht UM eine totale

Trennung, sondern vielmehr um eine zweckmäßige Verbindung beider, der der realen und formalen Bildung handelt, so muß das wichtig sein, daß durch die combinirende und concentrirende Me­ thode diese Verbindung an sich am ersten erreicht wird.

Die Com­

binationen bilden formal: indem durch dieselben alle, und besonders die höheren Bildungsformen der Seele (Begriffe, Urtheile, Schlüsse, Erinnerungs- und Einbildungsvorstellungen, die Vernunft, die Ge­ fühle, Begehrungen und besonders der practische Tact) begründet werden, und indem durch die Zusammenbildungen des Objectiven zu Gruppen und Reihen die intensive Macht des in der Seele An­ gelegten erhöht wird.

Der Werth der Combinationen für die for­

male Bildung ist also gar nicht zu bestreiten.

Die Combinationen

bilden aber auch real: indem ja die Lehrobjecte eben auch von allen Seiten betrachtet, und mit dein von der Seele bereits erworbenen Wissen verknüpft werden; denn jede Auffassung und jedes Verständ­ niß der Außenwelt, alle wissenschaftlichen Kenntnisse und Erfahrun­ gen rc. beruhen ja zuletzt auf Combinationen.

Daß aber mit der

combinirenden Methode die formale und reale Bildung zugleich er­ zielt und am sichersten vermittelt wird, das giebt ihr eben für uns eine so hohe Bedeutung.

Nur faßt der

combinirende Unterricht

rücksichtlich der formalen und realen Bildung, das fest ins Auge 1) daß rücksichtlich der formalen Bildung, während der Schulzeit, nicht alle Bildungsformen (Vermögen der Kräfte) der Seele ihre Ausbildung erhalten können; und 2) daß rücksichtlich

der realen

Bildung beim Iugendunterrichte das gesammte Lehrmaterial nicht erschöpft werden kann.

Leider sucht aber die objective Methode das

Wesen und den Werth der formalen Bildung in der Gründlichkeit und Vollständigkeit des Unterrichts.

Hie haeret aqua!

Man hat

in der neuesten Zeit auf der einen Seite viel auf eine Steigerung, auf der andern Seite auf eine Vereinfachung des Unterrichts hin­ gewiesen.

Wenn man jene in Rücksicht auf den subjectiven Gesichts­

punct beim Unterrichte und die formale Bildung, diese in Rücksicht

143 auf den objectiven Gesichtspunct beim Unterrichte mtb die reale Bildung fordert: sind wir damit einverstanden. Eine solche Steige­ rung und Vereinfachung des Unterrichts zugleich zu erzielen, sowie die Extreme zwischen beiden zu vermitteln: dazu ist die combinirende und concentrirende Methode gewiß am geeignetsten. So oft man uns zurief: »Steigert die Leistungen der Volksschule!-- sc oft fragten wir uns auch, ob man dies wohl in sub- oder objectiver, in inoder extensiver Hinsicht fordere. Und wir haben mit Bedauern be­ merkt, daß man mit diesem Rufe dahin drängen will, daß der Unter­ richt in der Volksschule immer noch „gründlicher und vielseitiger-werde; daß man die Bildung mit dem Schulunterrichte völlig er­ schöpfen und abschließen zu wollen scheint. Das kommt daher, daß man den subjectiven Gesichtspunct des Unterrichts nicht mit der Klarheit und in dem Umfange berücksichtigt, als er berücksichtigt zn werden verdient. Die Leistungen der Volksschule zu steigern, dazu ist der combinirende und concentrirende Unterricht noch der einzige Weg. Je mehr man aber den subjectiven Gesichtspunct beim Unter­ richte aus den Augen läßt, und je mehr man hier den Fortschritten der Wissenschaft nachkommen, dort den Ansprüchen des Lebens ent­ sprechen will: desto vielseitiger wird der Unterricht. Die Vielseitig­ keit des Unterrichts aber ist die Klippe unserer Bildung. Nachdem man endlich den Abweg der deutschen Methodik erkannt hat, ver­ langt man, neben und gegenüber jener Steigerung, Einfachheit des Unterrichts. Aber eine Rückkehr zur „früheren Einfachheit-- des Unterrichts ist nicht mehr möglich. Und von einer --Einheit des Unterrichts-- können wir blos in sofern reden, als wir mittels der combinirende» und concentrirende» Methode demselben feste Puncte (Centra) zu geben suchen *). Uebrigens hüte man sich ja, wie bei dieser „Einheit und Einfachheit-- so bei der Concentration, nicht an eine Reduction des Unterrichts, oder an eine Beschränkung desselben aufs Minimum zn denken. *) Und heißt das nicht: den Unterricht centralisiren?

Sch.

144 Wir haben schon oben die Schwierigkeit, die Combination und Concentration des Unterrichts schematisch darzustellen, besprochen. Um aber das Gesagte noch klarer zu machen, und um einen vollen Blick auf den combinirenden und concentrirenden Unterricht zu rich­ ten, wollen wir in der Kürze einige allgemeine Gesichtspuncte dessel­ ben geben. 1) Die Didaktik und Methodik müssen anfangen, solche gere­ gelte Mittelpuncte (Centra) für den Unterricht zu gewinnen, und der praktische Lehrer muß, aber nur vom subjectiven Gesichtspuncte aus, darauf hinarbeiten, daß das Wissen der Kinder zu großen zusammenhängenden Massen aneinander gebildet, in Gruppen und Reihen zusammengefaßt werde. conglomeratartig, sondern lagern.

Das Wissen soll nicht isolirt und

combinirt und concentrirt in der Seele

Nur kommt es dabei nicht ans die Verbindung mehrerer

Unterrichtsfächer (Centralisation) beim Unterrichte, sondern haupt­ sächlich darauf an, daß das Wissen in der Seele innig verknüpft werde, theils unter sich, theils mit dem Hinzukommenden (Combina­ tion und Concentration). 2) Man betreibe eine Zeit lang einen Lehrgegenstand, oder auch mehrere, vorzugsweise; aber nicht in Rücksicht auf die isolirende Methode oder den objectiven Gesichtspunct, sondern lediglich in Rück­ sicht auf die Combination und Concentration des Unterrichts.

Wir

meinen deshalb nicht, daß auf dem Lections- und Stundenpläne blos ein Lehrgegenstand, oder daß Tage, Wochen

und Monate lang,

oder die ganze Klassen- und Schulzeit hindurch, blos ein Lehrgegen­ stand betrieben werden solle.

Bewahre!

Aber wir wollen darauf

hindeuten, daß die übrigen Lehrfächer während der Zeit entweder mit dem einen verknüpft, oder doch nur wiederholend und einübend betrieben werden.

Auf diese Weise könnte verhütet werden, daß das

viele vielerlei und die verschiedenartigsten Lehrgegenstände im steten Wechsel gelehrt und gelernt werden. gegenstand von den

Es kann dabei jeder Lehr­

verschiedensten Seiten und mit aller Energie

aufgefaßt werden, als nicht für jeden zu gleicher Zeit derselbe Werth

145 Beigelegt wird. Der combinirende und concentrirende Unterricht er­ hält auf diese Weise mehr Wechsel und Leben, sowie mehr Halt und Zugkraft. 3) Die Schüler und Schulen jeder Art, die Klassen jedes Al­ ters und Geschlechts bedürfen des combinirenden und concentrirenden Unterrichts; aber rücksichtlich desselben muß es für die Volksschule ein Hauptaugenmerk sein, namentlich dem Elementarunterricht in der Unterklasse möglichst allgemeine Mittelpuncte zu geben. Der spätere und fortgehende Unterricht muß immer an diese anknüpfen (combiniren). Diese Centra des Elementarunterrichts bilden Knoten, von welchen die verschiedenen Unterrichtszweige alle auseinander gehen. Mehr und Specielleres darüber zu sagen, ist hier nicht gut möglich. Der denkende Pädagog, und jeder Elementarlehrer soll ein solcher sein, wird verstanden haben, was wir meinen, wenn wir hiermit für den Elementarunterricht noch etwas Mehr, als bloße Anschaulichkeit gefordert haben. Bei dem späteren Unterrichte sowie in den verschiedenen Klassen und Schulen, wird sich der combinirende und concentrirende Unterricht wieder anders gestalten. Da wir uns nur auf das Allgemeine beschränken müssen, so können wir im Augen­ blicke nicht mehr darüber sagen, als das: je niedriger der Unter­ richt, desto concentrischer ist er, und je höher er ist, desto um­ fassender und mustergültiger ist die Combinationsbildung, und wie in der Unterklasse jedes Lehrobject von einem Mittelpunkte aus­ geht und vorbereitet wird, zum Zwecke der Combinationsbildung, so streben die Oberklassen, alle oder mehrere Lehrobjecte in Einem Mittelpuncte zusammenzufassen, zum Zwecke der Concentrationsbildung. 4) Solche Anknüpfepuncte (Centra) sind besonders die Lebens-, Muster- oder Normalbilder. Wichtig ist eS, daß gleich der erste elementarische Unterricht auf gute Lebens- oder Musterbilder basirt wird; und diese sind desto besser, je reichere und passendere Bildungs­ momente und Anknüpfepuncte sie darbieten. Diese Lebens- oder Musterbilder werden anfangs von allen Seiten angeschaut, später Schnell, org. Unterricht. 10

146 aber nach allen Seiten hin knüpft (combinirt).

mit bekannten und gleichartigen

ver­

Für jedes Lehrobject suche man solche Lebens­

oder Musterbilder zu gewinnen.

Je mehr dann an diese angeknüpft

(combinirt) wird, desto sicherer ist der Weg zur Concentration des Unterrichts; denn wie sich an diesen der Gesichtskreis allmählig er­ hellt und erhöht, so werden sie selbst endlich zu Totaleindrücken (Centra).

Nur müssen diese Lebens- oder Musterbilder, um recht

lebendig und geregelt zu werden, immer wieder aufgefrischt, oder: 5) Es müssen dem Unterrichte möglichst oft und viele Stützund Ruhepuncte gegeben werden, Wiederholungen, Zusammenfassun­ gen und Einübungen. zelnen Lehrfächern

In allen Lehrfächern zeitweise, in den ein­

aber recht oft, stelle man Wiederholungen an.

Aber man nehme dabei weniger den Zweck des bloßen Reproducirens, Examinirens oder Certirens ins Auge, als vielmehr den des Combinirens, indem man das Zerstreute (Jsolirte) an das Bekannte und Gleichartige anzuknüpfen, das bereits Eingesammelte in allge­ meinen Gesichtspuncten zusammen zu fassen, und durch die Rück­ blicke, Ueberblicke zu gewinnen sucht.

Durch solche Wiederholungen,

Zusammenfassungen und Rückblicke erhält der Unterricht nicht nur immer weiter reichende Grundlagen, sondern es wird das Wissen auch klarer, fester, concentrirender.

Bei den Einübungen richte man

das Auge nicht blos auf den practischen Zweck derselben, sondern auch auf die Combination und Concentration des Unterrichts, mögen diese Einübungen nun mündliche oder schriftliche sein.

Die günstig­

sten Veranlassungen zu Wiederholungen und Einübungen und Zu­ sammenfassungen bieten

sich

unstreitig im

Schulunterrichte beim

Lesebuche und rücksichtlich des religiösen Unterrichts dar. 6) Der Unterricht wird namentlich auch mittels der Analogien zu Massen oder Gruppen und Reihen verschinolzen. logien rechnen wir

im weitesten

Zu den Ana­

Sinne: die Vergleichungen und

Unterscheidungen, die Einbildungs- und Erinnerungsvorstellungen, die Urtheile und Schlüsse, die Beweise rc.

Eben in wiefern dabei

das Aehnliche, Gleichartige und irgend Zusammengehörige im Be-

147 wußtsen zusammen erregt und verknüpft wird, führen die Analo­ gien geraden Wegs zur Combination und Concentration des Unter­ richts bin. Und obgleich wir für den combinirenden und concentrirenden Unterricht mir den subjectiven Gesichtspunct fordern, so halten wir auch das für wichtig, daß in objectiver Hinsicht das fest verknüpft werde, was dem Orte und der Zeit nach zusammengehört. Aber wir denken dabei noch keineswegs an eine Verbindung mehrerer Unterrichtsfächer, wie z. B. der Geschichte mit der Geographie, wie die cenrralisirende Methode. Wer mit der alten Psychologie ver­ traut ist, den wollen wir hierbei noch auf die --Jdeenassociation-derselben hinweisen, der allerdings die wissenschaftliche Begründung fehlt, die aber doch insofern einen practischen Werth hat, als sie von dem Erfahrungssatze ausgeht: je öfter Ideen (nicht blos Vor­ stellungen, sondern auch Begehrungen, Gefühle rc.) im Bewußtsein zusammen (associirt — combinirt) waren, desto fester werden sie verknüpft, und desto leichter erregen sie sich gegenseitig zum Bewußt­ sein. Beiläufig wollen wir hier noch die Verdienste Iacotots erwähnen, die wesentlich auf der Seite der combinirenden und concentrirenden Methode stehen. Denn seine Grundsätze: "Wiederhole und beziehe!" --Alles ist in Allem!-- --Lerne Etwas und beziehe alles Andere darauf!-- rc. erinnern uns an daö, was wir von den Wiederholungen, Zusammenfassungen und Analogien (Beziehungen oder Vergleichungen) des Unterrichts gesagt haben. 7) Den höheren Bildungsanstalten, die wir übrigens durch­ gängig ihrem Zwecke nach als --Berufsschulen-- ansehen, ist der Concentrationspunct in dein speciellen Zwecke des Unterrichts bereits zugewiesen. Es kann sich dabei blos um Combinationen um den Einen Punct herum, und zu dem Einen Zweck hin handeln, der bei dem Geiftghmnasium (humanistisches Lyceum, Universität, Hoch­ schulen rc.) die innere geistige Natur, bei dem, Realgymnasium (po­ lytechnische rc. Schulen) die äußere, reale Natur ist. Unter den Berufsschulen ist es aber namentlich die Lehrerbildungsanstalt, daS Seminar, dem es an einer concentrirenden Richtung fehlt. Bei 10*

148 der Bildung des Lehrers im Seminare heißt es nicht: multum sed non multa! sondern: multa — sed non multum!! So lange aber den Seminaren der rechte Gesichtspunct in Bezug auf die Concentration des Unterrichts nicht gegeben ist, so lange kann auch die Lehrerbildung nicht recht ersprießlich werden, wie auch die Reorga­ nisation der Seminare so lange immer auf bedeutende, und nament­ lich innere Schwierigkeiten stoßen wird. 8) Der combinirende und concentrirende Unterricht ist nament­ lich für die Elementar- oder Volksschulen von der größten Wichtig­ keit. Seit dem aus diesen der Humanismus hinaus getrieben und der Philanthropismus dafür hineingebracht worden ist; seitdem Pestalozzi und noch mehr seine blinden Nachbeter, die --Zurückfüh­ rung deö Unterrichts auf seine Elemente,-- und von diesen aus ein --lückenloses Fortschreiten beim Unterrichte,-- forderten; seitdem die Wissenschaften so rasch fortgeschritten und die Forderungen des practischen Lebens so hoch gestiegen sind, seitdem ist die Basis des Wissens nicht nur breiter, sondern auch der Unterricht seines (subjectiven) Zusammenhanges entkleidet, und somit seiner --Einfachheit-- und Einheit beraubt worden. Man hat dies eingesehen. Aber nur weiß man nicht, wie man die Forderung der --Vereinfachung-- und --Steigerung-- des Unterrichts zu gleicher Zeit genügen soll. Mit dem Vorwartsdrängen der Schule nach intellectueller Bildung ist die Gemüths- und Charakterbildung mehr und mehr in den Hinter­ grund gekommen. Nun will man auch diese für den Schulunter­ richt in Anspruch nehmen. Nachdem die Methodik sich nur von dem objectiven Gesichtspuncte deö Unterrichts hatte leiten lassen, und nachdem der Unterricht deshalb vorherrschend real und shstematisirend geworden war, will man nun wiederum der formalen Bil­ dung den Vorzug geben. Aber alle diese Gebrechen unseres Unter­ richts werden nicht schwinden, alle diese Vorwürfe nicht beseitigt, alle diese Fragen nicht befriedigend beantwortet, ja überhaupt die Aufgabe der Volksschule nicht vollkommen gelöst, wenn man nicht vom subjectiven Gesichtspuncte zur Combination und Concentration

149

des Unterrichts seine Zuflucht nimmt. Wir wollen daher noch in wenigen Puncten nnd kurz den Werth der combinirendcn und concentrirenden Methode für die Volksschule darstellen. a) Unserm Volksschulunterrichte fehlt es namentlich an innerer Bildungs- und Fortbildungskraft. Das kommt daher, daß er blos an dem objectiven Gesichtspunct hält, und von diesem aus viel zu isolirend ist; daß er sich vorzugsweise die intellectuelle Bildung zur Aufgabe gemacht hat; die aber, anstatt concentrirt, in allen ihren Stadien viel zu excentrirt ist; und daß er endlich zu gleicher Zeit nach Gründlichkeit und Vielseitigkeit strebt, so, als ob mit der Volks­ schule der Unterricht überhaupt vollendet und abgeschlossen würde. Unter dieser Last erstirbt die Freudigkeit beim Lernen, sowie das Streben nach Weiterbildung und überhaupt die belebende und anre­ gende Kraft des Unterrichts. Ganz anders ist das innere Leben der combinirten Gebilde und des concentrirten Wissens; die Erreg­ barkeit der Gebilde unter sich wird erleichtert, das Kraftgefühl ge­ steigert, die Zugkraft vermehrt, die Streb- und Bildsamkeit potenzirt. Uebrigens wirkt die Lebenskraft der Combination und Concentration, wie wir gleich sehen werden, noch über das Gebiet der Intelligenz hinaus. b) Durch die Combination und Concentration des Unterrichts wird die Dauer und der Halt des Erlernten gesichert und erhöht. Wem wäre wohl die Klage über das "Verlernen und Vergessen« des in der Schule Gelernten unbekannt geblieben! Wie oft ist nicht schon die Frage aufgeworfen worden, wie und wodurch dem Ver­ lernen vorzubeugen sei! Man erlaube uns, von unserem Stand­ puncte aus einige Iveen darüber ausznsprechen. Zunächst muß man unserm Schulunterrichte die Eile vorwerfen. Man will immer und immer nur "vorwärts!« Wie kann die Schule aber auch anders, als eilen, wenn ihr Unterricht immer gründlicher und vielseitiger werden soll! Da hat man keine Zeit zu Ruhepuncten und Rück­ blicken! Wie soll aber dabei das Gelernte assimilirt, in succum et sanguinem verwandelt werden! Unser Unterricht ist dann aber

150

auch viel zu isolirend. Aber die isolirten Gebilde liegen leb- und trieblos in der Seele, wie das Korn in der Erde, dem das be­ fruchtende Element fehlt. Je isolirter das Wissen, desto mehr ist es dem Verlernen und Vergessen preisgegeben. Je öfter aber Leh­ ren und Lernen mit Wiederholungen und Einübungen abwechselt, je mehr man das Gelernte in Ueberblicken zusammenfaßt und je mehr man dem Wissen innern oder subjectiven Zusammenhang zu geben sucht, wie es eben der combinirende Unterricht will, desto schwerer erliegt es dem Verlernen und Vergessen, desto unverlier­ barer wird es Eigenthum der Seele. Nur was verknüpft und in­ wiefern es verknüpft oder combinirt ist, liegt für die Reproduction, für die Erinnerung und das Gedächtniß bereitwillig da. Nur hoffe man nicht, dem Verlernen und Vergessen durch einen möglichst "compendiösen Unterricht« vorzubeugen, indem man vielleicht "Compendiös« mit combinirt oder concentrirt verwechselt. Das compendiöse ist und bleibt ein isolirtes Wissen. Und eben weil das compendiöse Wissen so zusammengedrängt und abgekürzt ist, und weil ihm der subjective Zusammenhang fehlt: ist es dem Verlernen und. Vergessen desto mehr blosgestellt. Man lasse daher lieber in­ wendig als auswendig lernen. Und es möchte kaum ein anderes Mittel und einen andern Weg, ein vollkommneres Aufbewahren des Gelernten zu erzielen, geben, als: daß man dem Wissen mittelst der Combination und Concentration des Unterrichts subjectiven Zusam­ menhang giebt. c) Der Unterricht erhält durch die combinirende und concentrirende Methode mehr Interesse und Abwechselung. Man fürchte durchaus nicht, daß dadurch Ekel und Unwille oder Ermüdung im Kinde entstehen würde, die wir eher bei der isolirenden Methode des bisherigen Unterrichts, und bei dem ununterbrochenen Wechsel des größten Allerlei entstehen sahen. Haben wir nicht den aller­ sprechendsten Beweis in Händen, wenn wir nachweisen können: wie der Unterricht immer und immer wieder auf Erleichterungsmethoden hat bedacht sein müssen! Freilich eine solche ist die combinirende

151

und coiicentrirende nicht, will und soll es nicht sein. ES soll im Gegentheile durch diese der Oberflächlichkeit des Lernens und Wissens vorgebeugt werden; indem sie die Aufmerksamkeit spannt und den Strebtrieb übt. Wir haben vollkommen genug daran, daß man versucht hat, aus dem Unterrichte ein Spielen zu machen. d) Damit, daß der combinirende und concentrirende Unterricht die formale und Kraftbildung, die Fort- und Selbstbildung begün­ stigt, legen wir ihm auch eine moralische Bildungskraft bei. Eben in wiefern dadurch die psychischen Gebilde so verstärkt und mächtig werden, daß sie das Gleichartige und Verwandte energisch anziehen, das Ungleichartige und Störende energisch von sich weisen: wächst nicht blos die inteüectuelle, sondern auch die moralische Macht der Seele zu immer größerer Selbstständigkeit heran. Auf diese Weise wird durch den Unterricht die Seele nicht blos vor intellectueller Zerstreutheit, sondern auch vor moralischer Zerrissenheit bewahrt, der wir durch die Gemüthsbildung entgegen zu arbeiten streben. Wie der kombinirende und concentrirende Unterricht auf eine Kraft-, Selbst- und Durchbildung hinarbeitet; so sehen wir auch auf ihn allein den erziehenden Einfluß deö Unterrichts beschränkt. Durch den combinirenden und concentrirende» Unterricht wird die höchste und schwierigste Aufgabe der Volksschule, "den Unterricht erziehend zu machen« am sichersten und befriedigendsten gelöst werden. Markranstädt. H. A. Hörnig. Einige Schluhbcmerkungen zu dem vorstehenden Aufsatze. Herr Hörnig redet der Concentration des Unterrichts das Wort; die Centralisation ist ihm dagegen theils Nebensache, theils spricht er sich sogar dagegen aus, und doch will er »Centra« des Unter­ richts festgestellt haben. Das ist ein Widerspruch. Wir wollen in objectiver Beziehung die Centralisation und Vereinfachung, in Bezug auf die zu bildenden Subjecte dagegen

152 die Concentration, und halten aus früher, namentlich in Abschnitt II. angeführten Gründen dafür, daß Centralisation und Concentration so wenig getrennt werden können und sollen, als formeller und ma­ terieller Unterricht, daß jedoch unter allen Umständen das Subject der Bildung, der Schüler in Rücksicht auf Form und Einrichtung des Unterrichts hauptsächlich maßgebend sei. Und das wollen wir nicht erst jetzt, sondern haben wir auch schon früher gewollt, und klar und bestimmt genug ausgesprochen, als wir das erste Mal in unserer, auf dem sicheren Boden der Erfahrung und Erprobung entsprossenen "Centralisation des Unter­ richts" den Gegenstand zur Sprache brachten und anregten. Dort heißt es z. B. Seite 22: "Nur auf diese Weise wird es gelingen, den gesummten vielfachen Unterricht mehr einheitlich zu reguliren, ihn in wirksamen Zusammenhang zu bringen, die Con­ centration aller Geistesthätigkeit zum wahren Gedeihen der zu bildenden Subjecte zu erzielen, rc.

Die Centralisation soll uns

also nur Mittel zu dem klar ausgesprochenen Zwecke der Concen­ tration der Bildung sein." Ferner steht dort Seite 24 u. s. f.:

--Das Subject der Bil­

dung, der Schüler, ist uns der Anfang und das Ende alles Unter­ richts, das lebendige, wirkliche, einheitliche Centrum desselben, zu welchem sich die Lehrobjecte eben nur wie Mittel zum Zweck ver­ halten, nach welchem die Anordnung des Unterrichts, das Einzelne und Ganze des Unterrichts-Shstems in der Hauptsache einzurich­ ten ist." — »Dem entgegengesetzt herrscht in fast allen Büchern der Didactik der entgegengesetzte Gesichtöpunct vor und auch in der all­ täglichen Schulpraxis

hat man es vorwiegend mit der extensiven

Richtung zu thun, statt vorzugsweise den lebendigen Schüler und seine intensive Bildung maßgebend ins Auge zu fassen.» --Demzufolge haben zeither die Unterrichtsgegenstände, die Ob­ jecte als das Erste und Letzte beim Unterrichte gegolten, und man hat daher, statt von dem Organismus der Bildung und des Bit-

153 dungssubjects, viel von dem Organismus der Unterrichtsfächer ge­ sprochen; eS beruht darauf die unglückselige Einführung des Fach­ systems in die Kinderschulen, eben so die lleinliche Zertheilung der einzelnen Unterrichtsfächer, die in der Praxis nie und nimmer durch­ zuführen ist, weil man sonst nur Sprach- oder Religions-, oder Realunterricht ertheilen könnte, rc." "Hier (in der Volksschule) ist das Subject der Bildung, der zu bildende Schüler der einzige, lebendige, selbstständige, wirkliche Organismus, in welchem alle Bildungsgegenstäude als in ihrer Ein­ heit und Gegenseitigkeit zu begreifen sind und allein zur wirklichen Einheit und organischen Ausgestaltung gelangen sollten." Es ist daun weiter im Laufe jenes Aufsatzes namentlich darauf hingewiesen, daß alles Denken gemäß dem Zusammenhange sowol der Association der Gedanken, als auch der Sachen erfolgen solle, daß die Seelengebilde um so mehr erstarken, je mehr sich Erkennt­ niß und Wissen amalgamiren und durchdringen, und je größer die Concentration der empfangenden und

verarbeitenden Activität

der Geisteskraft ist." Ferner ist daselbst hervorgehoben worden:

"Daß darauf das

große, einflußreiche Gesetz der Wiederholung und Uebung beruhe; daß ein, auf Concentration und Wechselwirkung, auf Maß, Einheit und Harmonie aller Seelenkräfte begründetes Lehr- und Uebungs­ system zugleich auch für das Gemüths- und Thatleben der Schüler sich fruchtbar und heilsam erweisen werden, weil ein demgemäß und im Zusammenhange

ertheilter Unterricht,

wie

er das Denkleben

tiefer und allseitiger ergreifen, bethätigen und intensiv bilden müsse, natürlich auch die übrigen Organe des Seelenlebens, Gemüth und Wille zur kräftigen Thätigkeit anregen werde.« Und wie in seiner Centralisation des Unterrichts, so hat der Verfasser auch in seiner »Methodik und Organisation des Elementarund

Volksschulunterrichts"

hauptsächlich

auf das Bildungssubject

hingewiesen. Es heißt daselbst unter Anderem Seite 136: »Es muß ferner der Unterricht

(gemäß

dem organischen Verhältnisse aller

154

Seelenkräfte) ungeachtet aller sonstigen Trennung der Objecte, ein lebendiges, organisches Ganze bilden, weil er ja eben nichts mehr und nichts weniger als die Befruchtung und Zeugung, Ernährung und Uebung des geistigen Lebens in seinem Verhältnisse nach Außen zur Welt sowol, als auch nach Innen zu Gott ist und sein soll; weil er nur auf diese Weise, zumeist in der Kinder- und Volksschule intensiv und concentrisch, correlativ und harmonisch, mit einem Worte organisch entwickelnd und bildend auf alle Kräfte, auf Geist, Gemüth und Willen zugleich zu wirken vermag, und allein darnach sein Werth, weil sein Erfolg zu bemessen ist.» Man vergleiche hiermit Beispiels halber das Diesterwegsche Ur­ theil über die Sache. Er sagt: --Wir centriren weder unsere Schü­ ler ittn eine Kirche, noch um einen Unterrichtsstoff, noch auch einen Stoff um einen andern. Unser Centrum ist der Schüler. — Trotz­ dem aber concentriren wir, nur nicht rückwärts, und nicht nach der neuen Erfindung des --Systems der Centralisation,» sondern nach der Natur der Objecte, wie es tüchtige Lehrer bereits zu allen Zeiten gemacht haben.-- — Ist das etwa auch ein gerechtes und billiges Urtheil? — Dessen ungeachtet wird das Gute in der Sache bleiben und gedeihen, und es werden sie selbst ihre ungerechten und gerechten Gegner nach wie vor fördern helfen. Dafür ist schon gesorgt. — Was uns ganz besonders freut, ist die Thatsache, daß denkende Schulmänner wie Hörnig, Günther und Andere, die unter der Un­ gunst und Beschränkung gegebener Verhältnisse arbeiten, die Sache von ihrem verschiedenen psychologischen Standpunkte thatkräftig er­ griffen und mit Ernst und Umsicht geprüft und durchdacht haben. Wenn auf diese Weise fortgefahren und fortgearbeitet wird, so steht zuversichtlich zu erwarten, es werde dabei etwas Tüchtiges herauskommen, und »die neue Erfindung des Systems der Centra­ lisation-- kein bloßes Gehirngespinnst sein, sondern, wie auf dem Boden der That und Praxis entsprossen und gewachsen, der Schule



155



und den Schülern, den Lehrern und dem Volke trotz dem und dem zunr Besten gereichen. Wir haben uns nach gerade wieder lange genug überwiegend mit dem Ausbaue der Bildungsgegenstände beschäftigt und darin festgerannt, als daß es nicht Zeit wäre, wiederum mehr den Blick auf die zu bildenden Subjecte, auf die Schüler zu richten. Wir thun damit nur, was Pestalozzi seiner Zeit gethan und ge­ wollt hat. Das ist der Hauptzweck und die innere Bedeutung der Centralisation des Unterrichts, denn diese zielt eben nur auf die Concentration, auf die gesunde Entwickelung und Kräftigung der Schüler und will und soll ein Schutzmittel werden gegen die Zer­ fahrenheit und Verflachung der Bildung, die uns nicht etwa droht, sondern die über uns schon mit allen ihren verderblichen Folgen für Leib und Seele hereingebrochen ist. Und wenn die gute Sache auch ferner oberflächlich, schief und mit ungünstigen Augen angesehen und beurtheilt wird, so ist uns auch davor nicht bange, weil wir nicht gerade ängstlicher Art und Natur sind und auch in dieser Beziehung an dem alten Spruche festhalten: --Es liegt ein Geist des Guten in dem Uebel, Zieht ihn der Mensch nur sorgsam da heraus.«

Schluß. Zum Schlüsse dieses Abschnittes finde noch das Folgende einen geeigneten Platz. Daß die Sache, um die es sich hier handelt, in verschiedenen Gegenden nicht bloß Theilnahme, sondern auch Unterstützung und, weil einen lebensfähigen Keim als Grundgedanken enthaltend, Weiter­ bildung gefunden hat, ist bekannt und haben wir bereits hier und

156 da angedeutet.

Wir finden uns veranlaßt hier nur noch auf Fol­

gendes hinzuweisen. Herr Seminar-Director Albrecht zu Köthen sagte uns bei einem Besuche im vorvorigen Sommer, daß er der Sache mit ganzer Seele zugethan sei und daß diese vereinfachte Unterrichtseinrichtnng in sei­ nem Schul-Jnspectionskreise allgemein Anklang und Beachtung ge­ funden ^habe. Aus einer gütigen Zuschrift des Königl. Provinzial-Schulraths Herrn Barthel zu Breslau erfuhr ich, daß derselbe bereits selbst gleich Andern durch Erfahrungen und Beobachtungen im Schulleben auf die Nothwendigkeit der Centralisation geführt worden sei, und wie ich aus dem Schulblatte der evangelischen Seminare Schlesiens, herausgegeben von den Directoren Bock und Jungklaaß, in Com­ mission bei F. Hirt in Breslau, Jahrgang III. Heft I. ersehe, so hat die Sache der organischen Vereinfachung des Unterrichts im Sinne der Concentration und Centralisation namentlich in den Se­ minaren und Seminarschulen zu Münsterberg und Steinau unter einigen Modificationen thatsächlich Eingang und Pflege gefunden. Herr Director Bock zu Münsterberg bemerkt bei Gelegenheit der Recension meiner Methodik in dem beregten Schulblatte S. 45: --Der Vers, hat sich durch die drei Schriften: --Centralisation des Unterrichts,-- --die Einrichtung der einklassigen Volksschule,-- und --die Verbindung der Realien ständen--

mit den

übrigen Unterrichtsgegen­

um die Vereinfachung des Unterrichts

Verdienst erworben und

in

ein entschiedenes

der Anbahnung eines unmittelbaren

praktischen Lehrverfahrens einen dankenswerthen Anfang ge­ macht, obgleich Völter in seinen Beiträgen zur Pädagogik und Didactik diese Vorschläge ziemlich geringschätzig abweist. gegen

Goltsch da­

hat sie in seinem Lehrplane für Volksschulen nicht allein

anerkannt, sondern auch benutzt, eben so haben sie im Seminar zu Münsterberg und Steinau eine, wenn auch modificirte Anwendung gefunden.-Herr Director Jungklaaß nennt diese Einrichtung des Schul-

157 Unterrichts ganz gut und treffend:

-»Gruppenunterricht.«

Er hat

darüber eine größere Abhandlung in einer schlesischen Lehrerversamm­ lung vorgetragen und sie dann in dem genannten Hefte des schle­ sischen Schulblattes niedergelegt, worauf ich diejenigen, die den Gegen­ stand ins Auge gefaßt haben, hierdurch aufmerksam machen möchte, um so mehr, als darin sehr praktische Gesichtspuncte für die frag­ liche Einrichtung des Unterrichts geltend gemacht worden sind.

Es

sei mir gestattet, Einiges daraus mitzutheilen. --Die beginnende Neuzeit der Volksschule ist eben eine begin­ nende, also noch keine vollendete, keine fertig auszuweisende.

Sie

ringt noch nach Gestaltung, und da gährt es hier und gährt es dort, und es ist nicht so leicht, klar und

bestimmt zu

erkennen,

welche Form der neu erwachte Geist gewinnen, wie er sich auf dem Gebiete der Volksschule gestalten werde.

Noch steht's so, daß unter

denselben Worten ganz Entgegengesetztes verstanden wird, und daher der Mißverständnisse und Widersprüche

noch die Hülle und Fülle

rings um uns her.-- — --In methodischer Beziehung ist es nun besonders eine Forde­ rung, welche die pädagogische Welt feit längerer Zeit ernstlich be­ wegt, und

die Geister aufeinander platzen macht.

Es ist die For­

derung der Concentration des Unterrichts im Gegensatz der Zer­ splitterung desselben in immer mehr und inehr Fächer, so daß es eine Kleinigkeit wäre, für jede der 18 Lehrstunden, welche man z. B. einer Landschule zumuthen kaun, oder auch für die 24—26 Stunden einer einklassigen Schule, einen besonderen Unterrichtsgegenstand in den Lectionsplan zu schreiben.

Ja, ich mache mich anheischig, für

die 32—36 wöchentlichen Lehrstunden einer gehobenen Stadtschule eben so viele Lehrgegenstände aufzutreiben, und will dazu weder eine alte, noch eine neuere Sprache herbeiziehen.-- —• --Daß das nicht so bleiben konnte, daß die Volksschule weder Zeit, noch die Kinder die Kraft hätten, alle diese Unterrichtsfächer zu bewältigen, war längst erkannt und ausgesprochen, aber trotzdem ist es unserer Zeit vorbehalten, diese

längst anerkannte Wahrheit

158 ins Leben zu führen, mit der Ausführung derselben endlich Ernst zu machen, und unserem Volksschulunterricht die Einheit wieder zu geben, welche ihm in der Zeit der Zersplitterung verloren gegangen ist.

Das ist der Grundgedanke des re form «torischen Strebend

unserer Zeit." — Director Jungklaaß hält übrigens die Gottes- und Weltkunde als besondere Unterrichtsgruppen aufrecht, was für den Unterricht eben so natürlich als nothwendig ist.

Wie er den Gruppenunter­

richt durchgeführt wissen will, darüber spricht er sich eben so klar als bestimmt aus.

Hier nur die desfallsige einleitende Bemerkung.

"Zur Feststellung der Hauptgruppen

oder Hauptfächer

des

Unterrichts kommt es vor allen Dingen darauf an, daß wir den Unterschied zwischen Inhalt und Form festhalten. Nur der verschiedene Inhalt kann die verschiedenen Lehrfächer bestimmen, nicht die verschiedene Form, in welcher derselbe Inhalt den Kindern beigebracht wird. wir für

Dem Inhalte

den Volksschulunterricht drei Gruppen:

2) Weltkunde und 3) Rechnen.

nach

unterscheiden

1) Gotteskunde,

Mannichfaltig daneben

sind die

Formen, in welchen diese Hauptfächer unterrichtet werden können, welche sich auf jedem Lectionsplane vorfinden, und, ich setze hinzu, sich auch nothwendig vorfinden müssen;

aber ob als selbstständige

Unterrichtsfächer, das ist eben die zu lösende Frage.

Es sind An­

schauungsunterricht, "Denk- und Sprechübungen, Lesen, Schreiben, Singen, Gedächtnißübungen." Nach

ausführlicher Besprechung dieser

einzelnen

Unterrichts­

gruppen und Formen, welche letzteren wir Uebungen nennen, geht der Herr Verfasser auf den Lehrplan einer zweiklassigen Volksschule ein, indem er jeder Klasse, wie es in Schlesien landüblich ist, 18 wöchentliche Unterrichtsstunden zutheilt, so daß die Oberklasse Vormittags, und die Unterklasse Nachmittags je täglich 3 Stunden erhält. Dieser Iungklaaß'sche Lehrplan für die Ober- und Unterklasse einer Landschule gefällt mir übrigens besser als der von Goltzsch,

159 weil er eben so einfach und noch einfacher als der Goltzsche ist und doch zugleich inneres Maß und inneren Zusammenhang hat, mit einem Worte mehr organisch, mehr dem Organismus des Seelen­ lebens angemessen ist. Auch zweifle ich nicht einen Augenblick daran, daß ein Lehrer unter gleichen Umständen und Bedingungen nach dem Jungklaaß'schen Plane mehr leisten und erziehlicher auf die Kinder einwirken werde, als nach Goltzsch, der nur halb will, was wir ganz wollen. Warum übrigens Herr Director Iungklaaß nicht den Sprach­ unterricht als solchen auf seinem eigenthümlichen Plane mehr be­ dacht, dagegen das Rechnen ungemein begünstigt hat, begreife ich um so weniger, als sich sein Plan ganz füglich und vielleicht füglicher ausführen ließe, wenn von der letzten Stunde jeder Klasse und jedes Tages wöchentlich zwei auf Rechnen, 2 auf Zeichnen und Rechnen und 2 auf Singen, die übrigen 12 Stunden aber so auf die,,Hauptgruppen" des Unterrichts, nämlich auf die Gottes-, Weltund Sprachkunde mit Denken und Sprechen, Schreiben und Lesen vertheilt würden, daß in den eigentlichen Sprachstunden das Ma­ terial namentlich aus der Weltkunde theilweis sprechend und schrei­ bend wiederholt werden könnte. Jedenfalls kommt es uns doch unter allen Umständen auf eine gründliche Verarbeitung des Stoffes, also auf Wiederholung und Uebung, auf den Vollbesitz des Gegebenen und auf Sicherheit und tüchtige Entwickelung des Könnens unserer Schüler an. Doch die Hauptsache sind und bleiben die Fundamentalsätze und Grund­ linien des Planes und darin stimme ich mit Iungklaaß bei weitem mehr überein als mit Goltzsch, dem nach meiner Ansicht von der Sache das Wesentliche der Concentration und organischen Verein­ fachung des Unterrichts fehlt, nämlich die tägliche substanzielle Ein­ heit und Concentration, oder der einfache und wohlgegliederte Grup­ penunterricht, wie ihn Director Iungklaaß nennt und folgerecht durchführt. Wir lassen Hrn. Dir. Iungklaaß demnächst noch selbst sprechen.

160 " Lassen Sie uns zum Schlüsse noch einen kurzen Blick auf die Vortheile thun, welche die gewöhnlich übliche Anordnung des Lectionsplanes gewährt, und dann fragen, ob sie unserer Anordnung fehlen?« "Jeder Tag begann würdig mit einer Religionsstunde, die An­ betung Gottes ist das Erste beim Beginn jeder Tagesarbeit, sagt man; und wer unterschriebe den Satz freudiger als ich; aber wie ich dem Satze beistimme: »jeder Unterricht sei Sprachunterricht,» so auch dem: »jeder Unterricht sei Religionsunterricht," er bereichere und erweitere die lautere, rein evangelische Gotteskunde unserer Kinder, und gerade das, daß er seine Aufgabe nicht schon mit der ersten Stunde gelöst, sein Religionspensum, daß ich so sage, nicht abgemacht habe, wird den Lehrer anspornen, sich stets dessen bewußt zu bleiben, daß er ein evangelischer Lehrer ist, der seinem Herrn und Meister auf allen Wegen nachwandelt, der Gott immerdar vor Augen und im Herzen hat und ohne Unterlaß betet. Außerdem beginnt aber bei uns auch jeder Tag mit Gesang und Gebet, und ich würde es z. B. ganz angemessen finden, wenn der Lehrer alle Morgen mit seinen Kindern zusammen einen Abschnitt des Kate­ chismus betete (Warum nicht einen Bibelabschnitt lesend wieder­ holen?). Wen das in seinem Unterrichte stört, dem möchte ich freundlich, aber ernst sagen: »Guter Bruder, wandelst du in den Wegen des Herrn?" , »Die Abwechselung," sagt man ferner, »erfreut die Kinder; es ist gegen ihre Natur, einen ganzen Tag hindurch bei demselben Gegenstände zu verweilen." Hast du die Kindlein lange genug be­ obachtet, wie sie mit demselben Gegenstände den ganzen Tag spielen, aber ihm immer neue Seiten abzugewinnen wissen? wie da eine kleine Fußbank bald ein Stall, bald ein Wagen, bald eine Puppe ist? Die Form wechselt, der Gegenstand bleibt derselbe. Siehe, daran möchten wir lernen. Uns fehlt die Abwechselung nicht, ja wir studiren darauf, den Gegenstand von allen Seiten und in allen Beziehungen den Kindern vorzuführen, alle Kräfte des Kindes gleich-



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mäßig daran in Thätigkeit zu setzen, ihm gerade dadurch den Gegen­ stand recht lieb zu machen. Wir sehen einen großen Gewinn darin, daß wir alle Tage der Woche denselben Unterrichtsgegenstand vornehmen," sagt ein Anderer, "die Kinder werden doch stets bei der Sache erhalten, und können nicht so viel vergessen, als wenn ein Paar Tage dazwischen liegen." Sollte es nicht ein noch größerer Gewinn sein, möchte ich erwidern, wenn wir ein Kind so tief in einen Gegenstand hinein führen, so warm darin werden lassen, daß sie ihn ein Paar Tage festhalten? Und daß >as möglich ist, lehrt die Erfahrung. Ist 'es nicht ein größerer Gewinn, wenn die eine Stunde die andere unterstützt, die Kinder zu fortwährender Anwendung des eben Gelernten angeleitet werden, und wenn auch in ihre häusliche Thätigkeit mehr Einheit und Zusammenhang gebracht wird? Wird es nicht auf diese Weise am ersten möglich sein, die Thätigkeit der Eltern wieder für die Schule zu gewinnen, indem es eigentlich nur eine Arbeit ist, welche den Kindern aufgegeben wird? Ist es nicht ein großer Gewinn, wenn in unserer zerfahrenen Zeit wieder Ruhe und Stetigkeit in die Thätigkeit der Kinder gebracht wird, wenn sie wieder lernen, bei einem Gegenstände treu ausharren, sich darin zu sammeln und im­ mer tiefer und tiefer hineinzudringen? Ich meine der Gewinn kann für unsere Zeit nicht hoch genug angeschlagen werden, und er hat mich besonders dazu angetrieben, diesen Weg einzuschlagen. Aber auch an den Lehrer habe ich dabei gedacht und an seine Präparation. Wer kennt nicht den tiefen Segen einer ungestörten Präparation in später Abend- oder früher Morgenstunde, in welcher man sein Herz zur Tagesarbeit rüstet in stillem, gottinnigem Gebet, in treuer, umsichtiger Vorbereitung und Zurüstung zu den Lehr­ stunden; wie störend ist es da, wenn man sich in den paar, dem vielbeladenen Lehrer verbleibenden Stunden auf den Religionsunter­ richt, aufs Rechnen und einen Abschnitt der Weltkunde und Sprache zugleich vorbereiten soll. Wie wird man da hin- und hergerissen in seiner Thätigkeit! Wie lieblich dagegen gestaltet sich die Sache, Schnell, ctg. Unterricht. 11

162 wenn man nur eine Präparation für den Tag hat, wenn sich das Gemüth vollständig bei und in dem Gegenstände sammelt, wenn man Zeit behält, ihm immer neue Seiten abzugewinnen und diese Seiten in immer engere Beziehung zu einander zu setzen. O solche Stunde ist auch für den Lehrer von großem Segen, und diesen Segen wird er mit hinein nehmen in seine Schule und in seinen Unterricht, und je mehr ihn der Gegenstand erwärmt, desto mehr wird er die Kinder erwärmen, und von einem Ermüden wird nie mehr die Rede sein. Welcher Lehrer sollte nicht im Stande sein, seine Kinder mit der Geschichte des Herrn oder der Lehre von seiner Herrlichkeit 3—5 Stunden hindurch erzählend, lehrend, betend, le­ send, schreibend und singend zu beschäftigen? Mir ist da nicht bange; darum möchte ich ihnen zurufen: frisch und fröhlich zur Ar­ beit!" — Mit diesem Urtheile trifft völlig überein, was ein strebsamer Lehrer in meiner Nähe, Herr Schulz zu Hindenburg, der den Unter­ richt in ähnlicher Weise mit anerkannt gutem Erfolge in seiner einklassigen Landschule ausgeführt hat, mir neulich darüber schrieb. Derselbe versichert namentlich: „daß seine Schüler an Kraft und Kenntnissen, viel mehr aber noch an sicherem Können und freudi­ gerem Lernen dadurch gewonnen haben; daß in seinen Unterricht mehr inneres, nachhaltiges Leben, weil mehr Halt und Zusammen­ hang gekommen sei, und daß endlich sein eigenes Wesen mehr Ruhe und Kraft, mehr Sicherheit und Stetigkeit erhalten habe, während ihm der Unterricht doch gerade zufolge dieser Einrichtung nach und nach namhaft leichter und auch angenehmer geworden sei." Derselbe hat unter dem Titel: "Der organisch vereinfachte Lehrund Uebungsplan in der einklassigen Landschule. Nach K. F. Schnell an einem anschaulichen Bilde aus der Schule dargestellt. Mit einem Vorworte vom Prediger Duchstein. Schwiebus, C. Wagner, 1855 Preis 5 Sgr." ein Schriftchen bearbeitet, das wir, als sehr praktisch eingerichtet, bestens empfehlen können sowol zum Selbststudium, wie auch besonders zum Vorlesen und zu Besprechungen auf Conferenzen.

163 Im Uebrigen sind die Mängel der gewöhnlichen anorganischen Unterrichtseinrichtung klar genug in neuerer Zeit auch von nam­ haften wissenschaftlichen Pädagogen hervorgehoben worden. »Allerwegen begegnen einem jetzt Menschen,» sagt Beneke in seiner Unterrichtslehre, »die viel gelernt haben, viel wissen, aber Alles ist in ihnen zersplittert. Eins gegen das Andere isolirt begründet, und so können die Kenntnisse nicht für einander fruchtbar werden. Nicht nur dies aber, sondern um eben dieser Zerstückelung willen mangelts ihrem geistigen Vermögen an der rech­ ten Stärke und Macht, sowol für den Widerstand gegen das etwa Abziehende und Störende, als für den Antrieb zu ihrer eigenen, höheren Vervollkommnung und zu einer ausgedehnten und energischen praktischen Wirksamkeit.» Ist das wahr, und es ist wahr, und liegt das in vem anor­ ganischen täglichen Lernen, und darin liegt es zum großen Theil: so dünkt uns, sei es nachgerade Zeit, mit Entschiedenheck dagegen vorzugehen, und richtigere Wege einzuschlagen, ja es wäre wol selbst eine würdige Sache der Bezirksbehvrden, der organischen Einrich­ tung des Unterrichts ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung zuzu­ wenden, wie dazu in Berlin neuerdings die Aussicht eröffnet ist, wo neulich bei Gelegenheit der öffentlichen Verhandlungen über die Gründung eines neuen Waisenhauses das Unterrichts - System zur Sprache gekommen ist. Berliner Blätter berichten darüber unter Anderem: »Herr Schulrath Fürbringer hat sich in einem das Unter­ richtswesen betreffenden Gutachten dahin geäußert: »Bei Befol­ gung des vorgeschlagenen Unterrichtsplanes soll der Verstand weniger ausschließend geübt und das Gedächt­ niß mit einer geringeren Masse von Gegenständen des Wissens angefüllt, dafür aber durch nothwendige Concentration der Lehrgegenstände der geistige Blick der Schüler geschärft und anhaltender an einem Punkte zur 11*

164 tieferen und klareren Auffassung desselben gefesselt werden. Außerdem werde dadurch aber dem Lehrer Zeit gewährt, die tieferen sittlichen Gemüthskräfte zu wecken und zu beleben und den glänzendsten Fortschritt in der geistigen Entwickelung des Kindes zu erreichen, rc.« — Wir sind der Ansicht, daß selbst in den höheren Schulen in fraglicher Beziehung eine dankenöwerthe, zeitgemäße Reform ange­ strebt werden könnte und sollte, wie dies denn auch schon mehrfach ausgesprochen, und namentlich in der kleinen gediegenen Schrift: «Das Privatstudium in seiner pädagogischen Bedeutung. Eine Skizze als ein Beitrag zur Kritik unserer heutigen Gymnasien. Von Dr. M. Seyffert. Brandenburg. Müller 1852.« kurz und bündig dargethan ist. Der Herr Verfasser fordert auch für die Gymnasien in der Hauptsache, was wir für die allgemeinen Elementar- und Mittel­ schulen wünschen und wollen, nämlich Vereinfachung und organische Durchdringung des Bildungsstoffes bei und mit der Kräftigung des Geistes durch die ganze Kunst und Weise und Einrichtung des Un­ terrichts. Der jetzige Provinzial-Schulrath Herr Dr. Schubert zu Breslau sagt in der pädagogischen Revue, Jahrg. 14, Januarheft, S. 65, bei Gelegenheit der Anzeige der Seysfertschen Schrift: «Wie ein­ mal Herr Schnlrath Peter mit einem Werke über die Betreibung der Geschichte, so kann unser Herr Verfasser mit seinem kleinen Büchelchen wieder auch ein Beispiel geben, wie alle denkenden Pä­ dagogen von der Lehr- und Lernschule hingedrängt werden zur Ar­ beitsschule, in der jeder Schüler nur so viel Gedanken erwirbt, als er sich selber erarbeiten kann, um so erwerbsfähig zu werden. So kommt ein Baustück zum andern, und wie lange man darüber auch gleichgültig hinwegschreiten mag, sie werden doch sich zuletzt zu einer Macht aufthürmen, daß die bestellten Bauführer durch sie dürften gehindert werden, zu ihrem eigenen Baue zu gelangen, bevor sie diese Baustücke mit verwendet und ihnen einen Platz angewiesen

165 haben.

Das Gefühl der Zerrissenheit, der geistigen Nichtbefriedigung

im Lehr- und Lernkörper, des Umgetriebenseins im Mannichfaltigen, der Verflachung in dem Vielfältigen, der Ueberspannung in dem Höhesteigen rc., dies Gefühl regt sich immer lebendiger und pocht hier und dort, und wird zuletzt zu einem lauten Schrei führen, der auch bis zu den Ohren Derer dringt, die in dem heutigen Lehr-, Examen- und Wissensgeräusch in den vereinzelten Stimmen nur Absonderlichkeiten vernehmen wollen.-Diejenigen, denen unbekannt geblieben sein sollte, was mit Hin­ sicht auf den Ghmnasialunterricht in fraglicher Beziehung in den Protestantischen Monatsblättern, Jahrg. 1853, Bd. II. S. 210—15 von eben so einsichtsvoller als einflußreicher Seite klar und wohl­ begründet ausgesprochen worden ist, gestatten

wir uns, hierdurch

angelegentlich darauf aufmerksam zu machen. Auch paßt hierher ein Wort aus einer neueren Schrift von H. Thiersch: --Dazu die norddeutschen Gymnasien, mit einer Unzahl von Lehrstunden, so eingerichtet, daß jede Stunde ein anderer Lehrer mit einem anderen Lehrgegenstande auftritt.

Kein Lehrer hat die

Knaben ganz in seiner Hand, um durch Zucht und strenge Rege­ lung ihrer Thätigkeit etwas Ganzes mit ihnen zu Stands zu brin­ gen.

Jeder gewöhnt sich, viel aufzugeben, und nachher wenig zu

fordern — er weiß ja nicht, was sie jetzt eben für die anderen Lehrer zu leisten hatten, rc. — Vor lauter Nebenfächern sinken die alten Sprachen, die Geschichte und Mathematik, diese Grundlagen aller Geistesbildung, selbst zu Nebenfächern herab und den Knaben entgeht die ächte Vorschule für alle höheren Studien, rc.«

Man

denke hierbei zugleich an überfüllte Klassen, an Mangel an Talen­ ten rc., um auch die Noth des Gymnasialunterrichts zu begreifen. Was in Preußen gegen derartige Klagen bereits seit wenigen Jahren wiederholt geschehen ist, dürfen wir als bekannt voraus­ setzen.

Wir erinnern nur an die --Circular-Verfügung vom

7. Januar 1856, betreffend Modificationen im NormalPlan für den Ghmnasial-Unterricht,« worin insbesondere

166

mit weisem Maß eine Concentration des Unterrichts und eine mehr erziehliche Einrichtung des Klassenunterrichts rc. angestrebt wird. — Wenn es in den Elementar- und Mittelschulen anders und besser werden soll, so muß es selbstverständlich erst in den Semi­ naren anders und besser werden, was namentlich die Einrichtung des Unterrichts, das Ineinandergreifen desselben rc. betrifft, da die jungen Leute doch in denselben der Hauptsache nach so zu unter­ richten sind, wie sie später selbst zu unterrichten haben, wie das denn auch die Forderung der bewährtesten und einsichtsvollsten Schul­ männer von Pestalozzi bis auf unsere Zeit ist. Wir denken hierbei natürlich vorzugsweise an die Centralisation des Unterrichts und erinnern an die drei Prenß. Regulative vom 1., 2. uud 3. October 1854, als worin die Concentration und wechselseitige Bezie­ hung der Elementar - Unterrichtsfächer ein wesentliches Moment bilden, worauf wir jedoch bei einer anderen Gelegenheit näher ein­ zugehen gedenken. — Schließlich sei nur noch bemerkt, daß die Redaction des Schul­ blattes für die Provinz Brandenburg fürs Jahr 1855, uud da die­ selbe nicht gelöst worden ist, auch für 1856 folgende Preisfrage ausgeschrieben hat: »Wie ist der (den Regulativen gemäß) quantitativ richtig beschränkte und qualitativ richtig aus­ gewählte Unterrichtsstoff nun überall in die nöthige und zulässige Beziehung zu setzen, daß ein Unterrichts­ fach das andere ergänzt und dem Gesammtzwecke bient?» Wir sind auf die Lösung dieser Frage allerdings gespannt. Es handelt sich dabei, wie in unserer ganzen Angelegenheit um die or­ ganische, um eine vereinfachte Verbindung des Unterrichts als ein Bedürfniß der Zeit und als eine Forderung nicht des Rückschritts, sondern der fortgeschrittenen und fortschreitenden Methodik, die im Einzelnen vor der Hand genugsam ausgebaut, nunmehr auch wieder im Ganzen, in ihrer Totalität in Betracht und Pflege genommen sein will, was eben die Centralisation rc. des Unterrichts bezweckt. Und weil dies eine Sache der fortgeschrittenen und fortschreitenden

167 Methodik d. h. der Kunst und Weise des Unterrichts ist, darum ist schon viel darüber gesprochen worden, mit Geist und Verstand eben sowol als mit Unverstand und selbst mit unfreundlichem Sinn.

Auch

wird wol noch nianches geistvolle und geistlose Wort darüber fallen, wäre es auch nur von dem bekannten geistreichen Hrn. L. Völter in Süddeutschland, der bekanntermaßen Humor genug besitzt, um eine Sache auf den Kopf zu stellen, ja der, glauben wir, die Frage des Columbus schon

vor der Fragstellung beantwortet haben

würde.

Was wäre der forcirten Genialität unserer Zeit nicht Alles mög­ lich?!

Ernst und Scherz sind überdies ein paar alte, gute Gesellen

in dem lieben deutschen Vaterlande und Herr Völter ist ein Deut­ scher, ja sogar ein gemüthlicher, poesiereicher Süddeutscher.

Gegen

seine genialen Ausschreitungen und Lobpreisungen steht in No. 21, 22 und 23, Jahrgang 1853, "der allgemeinen Schulzeitung von Dr. K. Zimmermann" unter der Ueberschrift: „Eine neue Richtung der Elementar-Pädagogik" eine ganz angemessene Antwort. Vielleicht findet sie unser guter Freund auch in dieser Schrift.

Endlich beschäftigen wir uns noch mit einem anderen Manne, der sich über Centralisation resp. Concentration aus'uhrlich aus­ gesprochen hat. Es

ist Herr Dr. Diesterwcg.

Derselbe

läßt sich über

die

fragliche Sache in seinem pädagogischen Jahrbuche für 1856 S. 192 also vernehmen: »Nach meiner Meinung muffe» sich alle Maaßnahmen in der Schule nach dem Zwecke der Bildung des Individuums zum Men­ schen richten, nicht bloß der Lehrstoff, sondern auch der Lehrgang, so wie das Lehrmittel (und gewiß doch auch die Einrichtung des täglichen Unterrichts). messen.

Alles wird psychologisch gerichtet und ge­

Der Schüler oder Zögling ist der Centralpunkt jeder zu­

lässigen Betrachtungsweise, jeder Thätigkeit; sich alle Veranstaltungen.

auf ihn concentriren

168

Die Partisane der beliebten "Centralisation oder Concentratioit," so wie die Herren des "Gruppenunterrichts" mögen daraus entnehmen, was wir von der Propaganda, der sie sich hingeben, halten. Wir centriren weder unsere Schüler um eine Kirche, noch um einen Unterrichtsstoff, noch auch einen Stoff um einen andern. Unser Centrum ist der Schüler. Trotzdem aber concentriren wir, nur nicht rückwärts, und nicht nach der neuen Erfindung des "Sy­ stems der Centralisation," sondern nach der Natur der Objecte, wie es tüchtige Lehrer bereits zu allen Zeiten gemacht haben." Was soll das einfach sagen? Nach unserem Bedünken, abge­ sehen von Nebendingen, dreierlei: 1) daß die Sache der Centralisation und Concentration — in der Natur der Schüler und Lehrgegenstände begründet — vielfach bearbeitet und vielfach beliebt ist; und das ist wahr und spricht mindestens nicht gegen die Sache; 2) daß die verschiedenen pädagogischen Zeitrichtungen sie ver­ schieden aufgefaßt und eingerichtet haben, und das ist auch wahr und durchaus natürlich; und 3) daß Dr. Diesterweg selbst ein Mann der Concentration ist, mithin zur Parthei resp. Partisane der Concentration gehört, und auch das haben wir nie in Abrede gestellt. Den Beweis für diese seine Behauptungen führt Hr. Dr. Die­ sterweg ausführlich in einem Aufsatze der Rheinischen Blätter (Ja­ nuar- und Februarheft 1854), worauf er denn auch ausdrücklich hinweist, und den wir daher hier mit dem Wunsche folgen lassen, daß man unsere Ansichten und Vorschläge damit vergleichen wolle.

Vereinfachung und Einheit des Unterrichts, Centralisation und Concentration. (Rheinische Blätter, Januar- und Februarhest 1854. @. 4—10.)

Der Gedanke, den Unterricht in der Volksschule zu vereinfachen, das Ueberflüfsige wegzuschneiden, ihn auf das Wesentlichste zu be-

169

schränken, um das Fundamentale und Elementarische desto fester be­ gründen zu können, ist ein alter Gedanke. Er entstand mit den Jahren von selbst in jedem denkenden Lehrerkopfe. Der junge Leh­ rer weiß Wesentliches und Wesentlichstes von Unwesentlichem und Nebensächlichem noch nicht sicher zu scheiden. Er lehrt darauf loS, er lehrt, was er gelernt hat. Aber das giebt sich mit den Jahren. Die Erfahrung lehrt, daß die tüchtigeren Lehrer mit zunehmenden Jahren den Lehrstoff immer mehr und mehr beschränken und haupt­ sächlich darauf Bedacht nehmen, die eigentlichen Fundamente des Wissens und der Bildung fest zu legen. — Nichtsdestoweniger war der Gedanke und der ihm entsprechende Versuch, das Wesentliche vom Unwesentlichen principiell zu scheiden, sehr zu billigen, und es ist in dieser Beziehung auch schon Manches geleistet worden. Es war natürlich, daß man dabei nicht bloß auf den Gedanken kam, die Stoffe der herkömmlichen Lehrgegenstände zu vereinfachen, son­ dern auch diese selbst darauf anzusehen, ob sie wirklich zum Volks­ schulunterrichte gehörten, und nicht etwa als unberechtigte Eindring­ linge anzusehen und wieder hinauszuwerfen seien. Eine solche Untersuchung ist immer nützlich. Feste, gleiche Normen für alle Volksschulen dürfen davon aber nicht erwartet werden. Es war aber in der That schon nichts Unbedeutendes er­ reicht, wenn man die wesentlichsten und unentbehrlichsten Gegen­ stände für jede, also auch für die ärmste und beschränkteste Volks­ schule feststellte. Wie weit man in dieser Beziehung gegangen ist, hat der neueste kurhessische Lehrplan gelehrt, der für jede Volks­ schule nichts mehr als Religion, Lesen, Rechnen und Singen vor­ schreibt. Schreiben und Realkenntnisse sind für nützliche, aber nicht für nothwendige Gegenstände erklärt worden; alles Uebrige ist ganz in den Winkel geschoben oder gänzlich verbannt. Wenn wir auch das Aeußerste zugeben wollen, weil in der That hier und da noch die beengendsten Schulverhältnisse obwalten, so können wir doch jenes Minimum nicht billigen, müssen nicht bloß um ihrer bildenden Kraft, sondern auch um der Lebensverhältnisse

170 willen mehr verlangen, können es auch nicht gut heißen, daß sämmt­ liche Volksschulen einer Provinz so stiefmütterlich bedacht werden, und daß man nicht aus Maaßregeln sinnt, um jedem Kinde die­ jenige Bildung anzueignen, welche zur menschlichen gehört. Wer nicht schreiben kann, kann auch keinen Aufsatz, keinen Brief, nicht einmal eine Rechnung schreiben und sie wahrscheinlich auch nicht lesen. Wer nichts von äußeren Formen und Gestalten gehört hat, kann nicht recht sehen und nicht messen. Wer nicht zeichnen kann, kann nichts Körperliches darstellen, nichts der Art veranschaulichen. Wer von der Geographie nichts weiß, ist auf Erden ein Fremd­ ling, oder, wie der alte Fabri oder Gaspari sagte, ein Maulwurf. Wer von der Weltgeschichte nichts weiß, weiß vom hellen lichten Tage nichts. Wer von der Naturkunde nichts weiß, ist erst recht ein Maulwurf. Bon den höheren Beziehungen in Betreff der Bil­ dung und der Aufklärung, selbst der Religion, gar nicht zu reden! Kurz: das Streben nach Vereinfachung des Unterrichts ist löblich, wenn es das Ziel hat, die Erkenntnißkraft nicht zu schwächen, son­ dern zu stärken, und nicht dahin ausartet, wesentliche, zu dem un­ tersten Grade der menschlichen und bürgerlichen Bildung gehörige Gegenstände aus dem allgemeinen Volksschulunterrichte zu verdrän­ gen. — Von der Vereinfachung ist die Einheit des Unterrichts zu unterscheiden. Das Streben nach jener hat zu manchem Guten ge­ führt; das Streben nach dieser hat bis jetzt, so viel ich weiß, noch kein erkleckliches Resultat gehabt und wird nach meinem Bedünken auch nicht dazu führen. Denn man sucht diese Einheit in einem Stoffe, statt sie zu suchen oder bereits zu haben im Geiste. Zum einheitlichen Stoffe hat man die Bibel vorgeschlagen, von der nicht nur ausgegangen, sondern worauf auch alles Andere ohne Aus­ nahme bezogen werden solle. ■— Da ich dieses innerlich, d. h. wesen­ haft, ja nicht einmal äußerlich für möglich erachte, so halte ich diesen Vorschlag für einen so korrupten und unglücklichen, daß ich nicht weiter darauf eingehe. Ich suche die Einheit nicht in einem

171

Stoffe, sondern in dem Geiste, in dem Geiste in welchem alles Unterrichten und Erziehen geschieht, Sinn und Leben, Dichten und Trachten besteht. Dieser Geist kann ein verdummender, mechanisirender, sklavischer, fanatisirender, oder ein aufklärender, entwickeln.ber, befreiender, humaner und wie die Prädikate weiter heißen, sein, und die Art dieses Geistes, nicht dieser oder jener Stoff, bestimmt den Werth und bedingt die Einheit der Schule. Man mache, was man wolle, nur der selbst zur Einheit und Harmonie durchgedrun­ gene Geist des Lehrers erzeugt eine einheitliche, harmonische Erzie­ hung. In wessen Geist die höchsten Gegensätze neben einander wohnen, z. B. religiöser Obscurantismus und Servilismus neben klarer Erkenntniß der Naturgesetze und Streben nach freier Ent­ wickelung im Leben — wenn diese Verbindung anders möglich ist — dem dekretire man materielle Einheit des Unterrichts, was wird es fruchten? Der Stoff ist todte Materie; die Kraft belebt ihn. Es kommt auf diese Kraft an. — Noch muß ein Wort von der --Concentration" gesagt werden. Man kann sie von der »Centralisation" unterscheideu, diese auf das Aeußere, jene auf das Innere beziehen. Wir nehmen sie nach dem eben Gesagten in letzterem Sinne. Sie hat die anerkennenswerthe Seite, daß man auf den Gedanken ge­ kommen ist, oder, wenn derselbe, wie nicht zu verkennen, schon frü­ her da war, ihn zur Ausführung gebracht hat, sachlich-verwandte Gegenstände ttt genaue Verbindung zu setzen. So hat man früher das Schreiben mit dem Lesen, so jetzt mit beiden das Sprechen, das Gedankenschreiben und die Elemente der Sprachlehre zu einem Ganzen vereinigt. Dieses Streben hat seinen Werth; was man aber außerdem noch von Concentration oder, um ein niöglichst be­ deutsames Wort zu gebrauchen, von Organisation gesagt und gerühmt hat, ist von zweifelhaftem Werthe. Denn es steht dahin, ob mehr dabei herauskommt, wenn man denselben Gegenstand mehrere Stunden hinter einander, wenn auch in anderer Form (z. B. in der ersten lehrend, in der zweiten schreibend, in der dritten lesend), traktirt, oder ob man, wie bisher, einzelne durch Tage von

172 einander getrennte Stunden darauf verwendet; wahrscheinlich hangt dabei viel von den subjectiven Ansichten des Lehrers ab, keinen Falls ist es eine Hauptsache. (Wir sind in dieser, wie in mancher an­ deren Beziehung entschieden anderer Ansicht, und zwar auf Grund der Einrichtung und Thätigkeit des Seelenlebens, wie wir dies im II. Abschnitte dieser Schrift durch verschiedene Psychologen glauben nachgewiesen zu haben. Auch verstehen wir unter Einheit des Unterrichts mit Rücksicht auf die Gegenstände von substanziellem Gehalt, daß täglich eben nur Ein Gegenstand der Hauptlehrgegen­ stand sein soll, um die Concentration der Seele und ihrer bildenden Thätigkeit sicherer zu erzielen; doch müssen wir hierbei auf das Ganze unserer wohlerprobten Vorschläge zurückweisen.) Eben so wenig ist damit viel oder etwas Neues gesagt, wenn man von "Concentration der Gedanken« redet, was nichts weiter ist, als angestrengte Aufmerksamkeit und fleißiges Repetiren (und das ist doch wol von Bedeutung für den Unterricht!?), und noch weniger Gewinn kann man von dem Gerede über innere Organi­ sation des Unterrichts erwarten, da dasselbe wenigstens soweit, als bis jetzt davon vorliegt, meist auf unklare Begriffe und pathetische Phrasen hinausläuft. Der Leser erkennt aus diesen Bemerkungen, daß wir das durch die vielbesprochene Concentration zu erwartende Resultat nicht hoch anschlagen, welche Ansicht uns eben veranlaßte, bis daher davon zu schweigen. Nach Wahrscheinlichkeit kommen wir auch deßhalb auf diesen Gegenstand nicht mehr zurück. Er verschwindet uns vor dem Bemühen, den rechten Geist der belebenden Anregung und der gei­ stigen Entwickelung in die Lehrer und in die Schulen zu bringen. (Gewiß ist das die große Hauptsache, aber sollte denn deshalb eine bessere Einrichtung des täglichen Unterrichts so gar bedeutungs­ los fein? Wenn man für die Schulen wirken will, so wird es schon etwas fruchten, wenn es so recht von dem Mittelpunkte des täglichen Schulunterrichts aus geschieht. Dies sollte Hr. Dr. Die­ sterweg doch am wenigsten in Frage stellen.)

173

Noch aber muß ein Wort darüber geredet werden, an welchen Stoffen man die Vereinfachung des Unterrichts versucht hat. Hier wird jedem Leser der bisherige Sprachunterricht einfallen. So viel ich weiß, haben meine beiden Bücher (--Lese- und Sprachbuch und Schul-Lesebuch--) zuerst den Versuch gemacht, das DeutschGrammatische mit Lesestücken zu verknüpfen. Herr Rector Otto hat dieses weiter fortgesetzt und dieser Ansicht den vollen Beifall der Mehrzahl der Lehrer zugewandt. (Das bezweifeln wir gar sehr, so weit unsere Kunde reicht; die meisten Lehrer wollen eben nur einen practisch ertheilten grammatischen Unterricht und das wollen im Grunde auch die meisten Behörden, wenigstens in Preußen, wenn wir uns nicht gar sehr irren.) Die Absicht war, für das Grammatische concreten Stoff zu gewinnen, das --Grammatisiren-- zu beschränken, das Abstrahiren auf das gehörige Maaß zu reduciren oder gänzlich zu verbannen. Diese Zwecke mögen erreicht sein. Aber eö steht zu bezweifeln, daß der Unterricht dadurch überall an Ordnung und Klarheit gewonnen hat. Wenigstens sprechen schon, nachdem Erfahrungen darüber vorliegen können, beachtenswerthe Stimmen von dem Gegentheil. Weiter noch gehen jetzt einige Lehrer, wie z. B. Herr Seminardirector Bock, welche den ganzen eigentlichen Unterricht über die Muttersprache für die Volksschule verwerfen, und welchen daher der Anschluß an das Lesebuch nicht mehr genügt. Sie wollen gar nichts mehr davon wissen, halten ihn nicht nur für unnütz, sondern für schädlich, und dieses in doppelter Beziehung: indem er anderen, wichtigeren Stoffen die Zeit raube und trotz aller bisher angewandten Mittel zu leeren Abstractionen veranlasse. (Nach den von dem Münsterbergschen Seminar neulich heraus­ gegebenen trefflichen Volksschullesebüchern, wo von dem vereinigten Sach- und Sprachunterricht ausdrücklich die Rede ist, zu urtheilen, ist Director Bock einer anderen Ansicht.) Eine zweite Vereinfachung erblickt man darin, daß man den Rath ertheilt, den Realunterricht an das Lesebuch anzuschließen.

174 Herr Goltzsch steht auf dieser Seite. Dagegen habe ich mich in der Beurtheilung der ersten Auflage seines Buches bereits erklärt und muß ich mich, da er in der 2. Aufl. diesen Vorschlag wieder holt, noch entschiedener erklären. Fände er Beifall und würde er angenommen, so wäre der Realunterricht in sein Gegentheil verkehrt und zum Wortunterricht hinabgedrückt (was er so wie so aus Alan gel an Anschauungsmitteln meistentheils, auch in den besseren Fällen ist), und zwar nicht einmal zum Unterricht iiber das Wort, sondern zum wortreichen Gerede über reale Dinge, die der Schüler nicht durch Beschreibung, nicht durch Bücher, sondern nur durch wirkliche Anschauung und durch lebendige, mündliche, vergleichende Darstel luug des Lehrers kennen lernen kann. (Letzteres bezweifeln wir auch gar sehr, zumal bei Kindern, allzumal aber bei Kindern ungebil­ deter Eltern.) Hier liegt einer der Hauptfehler des Goltzsch'schen Lehrplanes zu Tage; er hält viel zu wenig auf wirkliche Anschauung, wenn er auch nicht ganz davon schweigt; er legt viel zu hohen Werth auf das Wort und zwar auf das geschriebene und gedruckte Wort; er sucht daher den Reiz und den Vortheil der mündlichen Rede durch das Lesebuch zu ersetzen. Diese Vorschläge sind außer anderen, von welchen wir ein ander Mal reden, unbedingt zu verwerfen. Eine Verbindung des Unterrichts in der Weltkunde mit dem Lesebuche ist schlechthin unzulässig, es sei denn, daß man darunter nichts weiter versteht, als daß das Lesebuch Stücke aus der Weltkunde enthalten solle, die aber den eigentlichen, directen, mündlichen Unterricht des Lehrers nicht nur nicht ersetzen können, sondern ihn vielmehr vor­ aussetzen. — Diesem Streben nach Vereinfachung oder Concentration müssen wir uns direct widersetzen. Vereinfachen heißt etwas Anderes, als verderben, vernichten und ins Gegentheil verkehren. Die Vereinfachung muß dem llnterrichte Gewinn bringen, er darf dadurch nicht sein eigentliches Wesen verlieren. Manche sogenannte „Concentration" ist daher nichts weniger alö eine Verbesserung. Ter Lehrer lasse sich deßhalb durch dieses etwas hochtönende Wort —

175 (wer giebt uns einen besseren deutschen Ausdruck, wenn es nicht Gruppenunterricht ist?) — eben so wenig umgarnen, als durch das noch unbestimmtere und phrasenhaftere der "Organisation." (Das klingt in dem Munde des Mannes der Organisation ganz eigen.) Jeder bildende Unterricht empfangt seine Bestimmungen von der gleichzeitigen Erwägung der Natur des Objects und der Beschaffen­ heit des Lernenden; Sach- und psychologische Kenntnisse vereinigt erzeugen ein richtiges Urtheil über Lehrgang und Methode. Aeußere Rücksichten führen vom rechten Wege ab. — (Wir scheiden von Hrn. Dr. Diesterweg mit der Versicherung, daß uns nur innere Rücksichten auf den Weg geführt, den wir betreten haben, und daß uns nur innere Rücksichten bestimmen werden, ihn ferner treulich zu verfolgen. Weit entfernt, zu meinen, daß unsere Ansicht gerade die vollkommene oder richtigste sei, werden und müssen wir dessen ungeachtet den Weg gehen, auf den wir durch Erfahrung und Ueberzeugung gewiesen worden sind. Eine gerechte und billige Beurtheilung einer Sache darf man aber immer­ hin wol auch von einem billigen Gegner erwarten. Doch genug, da Herr Dr. Diesterweg ja selbst ein Freund der Vereinfachung des Unterrichts ist und die allgemeine Theilnahme, welche die Sache gefunden hat, eben so anerkennt, wie daß sie sehr verschieden auf­ gefaßt und durchgeführt worden ist. Mehr kann man billig nicht verlangen. Wir danken ihm dafür.)