Der O. J. Simpson-Prozeß: Das strafprozessuale Vorverfahren und dessen Auswirkungen in rechtsvergleichender Darstellung [1 ed.] 9783428497218, 9783428097210

Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist das Strafverfahren gegen O. J. Simpson vor dem Superior Court in Los Angel

117 62 25MB

German Pages 266 Year 1999

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Der O. J. Simpson-Prozeß: Das strafprozessuale Vorverfahren und dessen Auswirkungen in rechtsvergleichender Darstellung [1 ed.]
 9783428497218, 9783428097210

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Schriften zum Prozessrecht Band 148

Der O. J. Simpson-Prozeß Das strafprozessuale Vorverfahren und dessen Auswirkungen in rechtsvergleichender Darstellung

Von

Robert Schnabl

Duncker & Humblot · Berlin

ROBERT SCHNABL

Der O. J. Simpson-Prozeß

Schriften zum Prozessrecht Band 148

Der Ο. J. Simpson-Prozeß Das strafprozessuale Vorverfahren und dessen Auswirkungen in rechtsvergleichender Darstellung

Von Robert Schnabl

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schnabl, Robert: Der O. J. Simpson-Prozeß : das strafprozessuale Vorverfahren und dessen Auswirkungen in rechtsvergleichender Darstellung / von Robert Schnabl. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zum Prozessrecht ; Bd. 148) Zugl.: München, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09721-1

D 19 Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-09721-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern

Inhaltsverzeichnis

Α. Einführung I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens II. Amerikanische und deutsche Verfahrensgrundsätze

1 1 2

III. Das O.J. Simpson Verfahren als Ausgangsfall

5

IV. Grundstrukturen

7

1. Strafrecht des Bundes und der Einzelstaaten

7

2. Das Strafverfahren nach dem Penal Code of California

8

3. Stufen des Strafverfahrens

9

a) Kenntniserlangung und Vorermittlungen

10

b) Festnahme

10

c) Die erste Vorführung vor den Magistrate

11

d) Voranhörung

11

e) Anklageeröffnung vor dem Superior Court

11

f) Die Hauptverhandlung

12

g) Festsetzung der Strafe

12

B. Die einzelnen Stufen des Verfahrens I. Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft

13 13

1. Ermittlungen im Ausgangsfall

13

2. Tätigkeitsbereiche und Organisation

14

3. Staatsanwaltschaft und Politik

16

4. Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft

17

II. Haftbefehl

19

VIII

Inhaltsverzeichnis 1. Haftbefehl gegen O.J. Simpson

19

2. Voraussetzungen des Haftbefehls

20

a) Zuständigkeit

20

b) Rolle der Strafanzeige

20

c) Materielle Voraussetzungen des § 813 (a) P.C

20

d) "Hinreichender Tatverdacht" und das Verfassungsrecht

21

e) "Hinreichender Tatverdacht" und der Grad der Wahrscheinlichkeit... 22 3. Entscheidung des Magistrate im Simpson Fall

23

4. Verwertungs verböte im Haftbefehls verfahren

24

5. Vergleich mit dem deutschen Recht

25

6. Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls

27

a) Bedeutung der Sicherheitsleistung

27

b) Simpson Fall: Unaussetzbarkeit bei Kapitalverbrechen

28

c) Haft vor Verurteilung contra Unschuldsvermutung

28

d) Die amerikanischen "öffentlichen Interessen" und die deutschen "Haftgründe" e) Die Außervollzugsetzung aus rechtsvergleichender Sicht III. Erste Vorführung vor Gericht

29 30 31

1. "Ohne unnötige Verzögerung"

31

2. Verfolgte Ziele

31

a) Identitätsfeststellung

31

b) Information über Tatvorwurf

32

c) Belehrung über Rechte

32

d) Plädoyer

32

e) Terminbestimmung für Vorverfahren

32

f) Haftprüfung

33

3. Vergleich mit dem deutschen Recht

33

a) Zeitliche Begrenzungen

33

b) Ähnliche Zwecke

34

Inhaltsverzeichnis 4. Die "Strafanzeige"

34

a) Mord ersten und zweiten Grades

35

b) Strafschärfung: Tödliche oder gefährliche Waffe

36

c) Strafschärfung: Besondere Umstände

36

d) Tötungsdelikte nach kalifornischem und deutschem Recht

37

IV. Grand Jury

38

1. Die Doppelrolle der Grand Jury: "Schwert und Schild"

39

2. Vorteile der Grand Jury

42

a) Geheimhaltung

43

b) Befugnis zur zwangsweisen Vorladung

43

aa) Zivilrechtliche Folge

44

bb) Strafrechtliche Folge

44

cc) Meineid

44

c) Gewährung von Immunität

45

d) Psychologischer Faktor

47

aa) Zielrichtung: Zeugen

47

bb) Zielrichtung: Öffentlichkeit

48

e) Verfahrens- und Beweiserleichterungen aa) Verfahrensregeln

48 48

bb) Anwesenheits-, Vorladungs- und Vernehmungsrecht der Staatsanwaltschaft

48

cc) Eigene Ermittlungen durch die Grand Jury

49

dd) Sonderberater und -ermittler

49

ee) Belehrung und rechtlicher Rat durch Staatsanwaltschaft und Gericht

49

ff) Beweisregeln

50

gg) Anscheinsbeweis und Abstimmungsmehrheit

51

hh) Befugnis zur Nichtigerklärung

52

3. Gerichtliche Aufsichtsbefugnis und Entlassungsantrag a) Grand Jury als Arm des Gerichts

53 53

Inhaltsverzeichnis b) Vorzeitige Auflösung wegen Publizität?

54

aa) Beeinflußende Medienberichte?

54

bb) Verteidigerantrag auf Auflösung

55

cc) Aufsichtsbefugnis des Gerichts

55

dd) Befangenheit durch bloße Kenntnis von vorverurteilenden Medienberichten? 4. Vor- und Nachteile der Grand Jury a) Argumente der Befürworter im Simpson Fall

58 61 61

aa) Ausschluß der Öffentlichkeit

61

bb) Möglichkeit der kurzfristigen Einberufung

62

cc) Erscheinungspflicht von Zeugen

62

dd) Kontrollfunktion der Grand Jury in aufsehenerregenden Fällen b) Kritik

62 63

aa) Anschein eines Geheimverfahrens

63

bb) Keine Geheimhaltungspflicht der Zeugen

63

cc) Grand Jury lediglich als "Gummistempel"

...64

c) Die Debatte um die Rolle der Grand Jury 5. Einführung einer Grand Jury im deutschen Strafprozeß? V. Voranhörung

65 66 69

1. Ausgangsfall: Übersicht über Besonderheiten, Probleme und Streitfragen 2. Funktionen der Voranhörung

69 70

a) Recht auf eine Voranhörung

70

b) Unabhängige, gerichtliche Kontrolle

71

c) Offenlegung

72

d) Infragestellung der Glaubwürdigkeit

73

e) Bewahrung von Aussagen

74

f) weitere Effekte

76

3. Verfahrensgrundsätze

76

Inhaltsverzeichnis a) Kontradiktorisches Verfahren, Beweislast der Staatsanwaltschaft

76

b) Recht auf anwaltlichen Beistand

76

c) Anwesenheitsrecht

77

d) Kreuzverhör, Zeugen der Verteidigung

77

e) Recht auf ein beschleunigtes, öffentliches Verfahren

78

f) Beweisgrundsätze

78

g) Hinreichender Tatverdacht nach kalifornischem und deutschem Recht 4. Mitwirkungspflichten a) Erzwungene Entnahme von Haarproben

81 83 83

b) 5. Zusatzartikel zur U.S.-Verfassung: Das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung

84

c) Ausnahme: "reale" Beweismittel

86

d) Weitere Beispiele

86

e) 4. Zusatzartikel zur U.S.-Verfassung: Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung f) Die deutsche Regelung nach § 81 a ff. StPO 5. Antrag auf Unterdrückung von Beweisen a) Antrag der Verteidigung und Erwiderung der Staatsanwaltschaft

86 87 88 88

b) 4. Zusatzartikel "Durchsuchung und Beschlagnahme" und die "Ausschlußregel"

89

aa) Entwicklung der Ausschlußregel

90

bb) Ausdehnung auf Einzelstaaten

91

cc) Zweck der Ausschlußregel und Kritik

92

c) Anwendungsbereich und Voraussetzungen des 4. Zusatzartikels

95

aa) Geschützte Bereiche

95

bb) Katz v. U.S.: Vernünftigerweise zu erwartende Privatsphäre

96

cc) Lehre von der "freien Sicht"

97

dd) Wohngrundstücke

98

ee) Hinreichender Tatverdacht

99

Inhaltsverzeichnis ff) Erfordernis eines Durchsuchungsbefehls

100

gg) Ausnahme: Dringende Umstände

103

(1) Gemeinsame Voraussetzungen

103

(2) Verfolgung auf frischer Tat

104

(3) Fluchtgefahr

104

(4) Durchsuchung aus Anlaß einer Festnahme

104

(5) Zerstörung oder Entfernung von Beweisen

105

d) Dringende Umstände im Simpson Fall

105

aa) Stellungnahme der Polizisten

105

bb) Dringende Umstände: Nothilfe

106

cc) "Freie Sicht", Nexus-Regel

110

(1) Übersicht

110

(2) Rechtmäßiger Beobachtungspunkt

111

(3) Zugangsrecht zu dem Gegenstand

112

(4) Nexus-Regel

113

e) Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen: Verfahren

114

aa) Gegenstand des Antrags nach § 1538.5 P.C

114

bb) Wahl des Zeitpunkts der Antragstellung

116

(1) Antrag während der Voranhörung

116

(2) Antrag vor der Hauptverhandlung im Superior Court

117

(3) Erneuter Antrag vor Superior Court

117

(4) Vor- und Nachteile des Antrags bereits in der Voranhörung .119 (a) Nachteile

119

(b) Vorteile

119

(5) Verfahrenstaktik im Simpson Fall cc) Antragsbefugnis

120 124

(1) "Ziel"- Antragsbefugnis

124

(2) "Automatische" Antragsbefugnis

125

(3) "Abgeleitete" Antragsbefugnis

126

Inhaltsverzeichnis (4) Rawlings ν. Kentucky: Vernünftigerweise zu erwartende Privatsphäre

126

(5) Behauptung der eigenen Rechtsverletzung

127

(6) Antragsbefugnis im S imps on-Antrag

127

dd) Darlegungs- und Beweislast f) Exkurs: Die Lehre von den Früchten des verbotenen Baumes

128 130

aa) Entstehung und Voraussetzungen

130

bb) Beschränkungen

131

(1) Unabhängige Quelle

131

(2) Unvermeidliche Entdeckung

132

(3) Abgeschwächte Verbindung

132

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court. 135 1. Allgemeine Übersicht

135

2. Erneuter Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen

138

3. Antrag auf Aufhebung der Anklage und Einstellung des Verfahrens.... 138 4. Erstmaliger Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen

140

a) Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 - Falsche, beeidete Erklärung.. 141 aa) Franks v. Delaware

141

bb) Antragsvoraussetzungen

145

cc) Beweislast

145

dd) Entscheidung

146

b) Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 - Überschreitung des Anwendungsbereichs

147

aa) 4. Zusatzartikel Bestimmtheits-Erfordernis

147

bb) Gesunder Menschenverstand

151

VII. Auskunftserteilung 1. Grundsätze der Auskunftserteilung a) Auskunftserteilung als informelles, gegenseitiges Verfahren

152 152 152

b) Recht der Verteidigung auf Auskunftserteilung nach § 1054.1 P.C.. 155

Inhaltsverzeichnis

I

c) Recht der Staatsanwaltschaft auf Auskunftserteilung nach § 1054.3 P.C d) Vergleich zwischen beiden

155 156

2. Übersicht über die wichtigsten weiteren Auskunftserteilungs-Möglichkeiten

157

a) Auskunftserteilung aufgrund sonstiger gesetzlicher Vorschriften

158

aa) Pitchess-Antrag

158

bb) Behördliche Informationen, Benennung von Informanten und behördliche Unterlagen

158

cc) Mithäftling als Informant

158

dd) Aufforderung zur Vorlage von Urkunden

159

ee) "Kriminalerfassungs-Blatt"

159

b) Auskunftserteilung abgeleitet aus Verfassungsgrundsätzen

160

aa) Murgia-Antrag

160

bb) Brady-Auskunftserteilung

160

cc) Antrag auf Teilung der Beweise sowie Sanktionen für die Zerstörung von Beweisen durch die Staatsanwaltschaft 3. Simpson Fall: Auskunfterteilungs-Anträge der Verteidigung

162 162

a) Polizeiberichte, Untersuchungsergebnisse, Obduktionsbericht

163

b) Anträge vom 29.07.94

165

c) Informell

167

d) Pitchess-Antrag

169

4. Simpson Fall: Auskunftsanträge der Staatsanwaltschaft und deren weitere Ermittlungsmöglichkeiten a) Zeugenliste

173 173

aa) Rechtsgrundlage: § 1054.3 P.C

173

bb) Verfassungsdiskussion

174

(1) Verbot der erzwungenen Selbstbelastung

174

(2) Rechtsstaatsgarantie

176

(3) Recht auf anwaltlichen Beistand, 6. Zusatzartikel U.S.Verfassung

176

Inhaltsverzeichnis b) Mysteriöser Umschlag

177

aa) Aushändigung eines versiegelten Umschlages

177

bb) Typische Fallkonstellationen

178

cc) Belastungsbeweise im Besitz der Verteidigung

180

dd) Simpson Fall: Aufdeckung des Inhalts, nicht jedoch der Herkunft....

180

ee) Rechtliche Begründung

181

ff) Strafvorschrift des § 135 P.C

181

c) Durchsuchungsbefehle

182

d) Grand Jury Verfahren gegen A l Cowlings

183

aa) Nur ein Vorwand?

183

bb) Grand Jury Ermittlungen nach Anklageerhebung

184

VIII. Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung

186

1. Ausgangssituation

186

2. Recht auf Zugang zu Beweisen

187

a) Brady ν. Maryland

188

b) Trombetta/Youngblood

188

aa) Erheblichkeit

189

bb) Bösgläubigkeit

190

c) Das Rechtsstaatsprinzip und die unabhängige Untersuchung von Beweisen

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

191

194

I. Zunehmende Bedeutung des Ermittlungsverfahrens aufgrund von Einschränkungen im Hauptverfahren

194

1. Beweisantragsrecht

194

2. Unmittelbarkeitsgrundsatz

195

II. Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren

195

III. Akteneinsichts - und Auskunftsrechte

196

IV. Präklusion von Beweisen

199

VI

Inhaltsverzeichnis V. Fristen im Vorverfahren und das Beschleunigungsgebot VI. Die Voranhörung als Kernstück des Vorverfahrens 1. Vom Gericht des Hauptverfahrens unabhängige Kontrollinstanz

200 201 201

2. Anwesenheitsrechte, mündliche Verhandlung und Kreuzverhör der Zeugen

202

VII. Eingeschränkte Möglichkeiten der Beweiserhebung durch die Verteidigung im Ermittlungsverfahren

203

1. Im US-amerikanischen Recht

203

2. Im deutschen Recht

204

VIII. Zentrale Rolle des Rechtsstaatsprinzips in beiden Verfahrens Ordnungen.. 205 IX. Ausblick

D. Hauptverfahren und Urteil I. Der weitere Prozeßverlauf II. Schuldig jenseits eines vernünftigen Zweifels? III. Das Geschworenensystem

206

207 207 209 211

1. Die Geschworenenauswahl

211

2. Unvoreingenommene und unparteiische Geschworene

213

3. Ablehnung von Geschworenen ohne Angabe von Gründen

214

4. Absonderung der Geschworenen

215

5. Die Bedeutung der "Show"

216

6. Einstimmigkeitserfordernis

218

7. Jury Nullification?

218

IV. Gewalt gegen Frauen als unterschätztes Phänomen?

221

V. Die Rolle der Medien

222

VI. Der Status des Angeklagten als Sportidol VII. Zusammenfassung

229 231

Literaturverzeichnis

234

Sachverzeichnis

245

Α . Einführung I. Die Bedeutung des Ermittlungsverfahrens Das Ermittlungsverfahren ist das Stadium, in dem die Weichen für den gesamten weiteren Verfahrensgang gestellt werden. Zwar ist es die Hauptverhandlung, aufgrund derer das Urteil ergeht. Nach dem Bundesverfassungsgericht 1 stellt die Hauptverhandlung auch das "Kernstück des Strafverfahrens dar. Alle vorhergehenden Verfahrensabschnitte sind ihr gegenüber von untergeordneter Bedeutung". Gleichwohl hängt der Ausgang der Hauptverhandlung und damit das Urteil ganz entscheidend davon ab, welche Grundlagen im Ermittlungsverfahren gelegt wurden. Peters hat bereits darauf hingewiesen, wie Fehler, die im Ermittlungsverfahren angelegt wurden, sich auf das (falsche) Urteil auswirkten2. Kiwit kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, daß in 23 Prozent der überprüften Fälle das Fehlurteil seine Ursache im Ermittlungsverfahren hatte3. In der Untersuchung von Lange wird dieser Anteil noch weit überschritten 4. Darüber hinaus hat häufig bereits die Tatsache, daß ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, Bedeutung für den Betroffenen. Die individualpsychologische Komponente des Ermittlungsverfahrens besteht in der Konfrontation des beschuldigten Bürgers mit der staatlich monopolisierten Gewalt5. Dies gilt gerade für denjenigen, der sich als zu Unrecht verfolgt fühlt. Er fühlt sich nicht mehr als der "souveräne" Bürger, sondern als Gewalt-Unterworfener. Dies ist um so bedenklicher, da bekannt ist, wie leicht Ermittlungsverfahren eingeleitet werden können und welche geringe Möglichkeiten es gibt, an ihrer raschen Beendigung mitzuwirken. Ein Ermittlungsverfahren beeinträchtigt den Beschuldigten oftmals auch in sozialer Hinsicht. Er kommt ins Gerede. Dies betrifft nicht nur das familiäre 1

BVerfGE 39,156,167 f.

2

Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß.

3

Kiwit, Fehlurteile im Strafprozeß, Münster, Jur. Diss., 1965, S. 141-148.

4

Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren.

5

Christian Richter II, Strafverteidiger 1985, 382 ff.

2 Schnabl

2

Α. Einführung

Umfeld, sondern häufig auch den Arbeitsplatz, Vereine, Nachbarschaft und den Freundeskreis. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß ein Ermittlungsverfahren an sich nichtöffentlich zu führen ist. Von Presseveröffentlichungen und prominenten Beschuldigten einmal abgesehen, gibt es vielfältige Quellen für das Bekanntwerden eines Ermittlungsverfahrens: Nachforschungen bei Nachbarn, Rückfragen am Arbeitsplatz, Auskunftsersuchen an Banken, Wohnungsdurchsuchungen, vorläufige Festnahmen unter Beobachtung oder Vernehmung von Zeugen. Die Anordnung über Mitteilung in Strafsachen (MiStra) sieht in zahlreichen Fällen ausdrücklich eine Mitteilung bereits über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vor 6 . Bei Beamten hat die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zur Folge, daß eine disziplinäre Voruntersuchung eingeleitet wird. Nicht zuletzt ist die Existenz eines Ermittlungsverfahrens auch Grundlage für zahlreiche strafjprozessuale Eingriffe in Grundrechte des Beschuldigten. Bereits aus diesen wenigen hier aufgezählten Beispielen ist ersichtlich, welche zentrale Rolle dem Ermittlungsverfahren im Rahmen des gesamten Strafverfahrens zukommt. Das Ermittlungsverfahren bedarf daher einer eingehenderen Betrachtung. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang insbesondere ein Vergleich mit der Bedeutung des Ermittlungsverfahrens in der amerikanischen Rechtsordnung, die bekanntlich von ganz anderen Verfahrensgrundsätzen ausgeht.

I I . Amerikanische und deutsche Verfahrensgrundsätze Dem amerikanischen Strafverfahren liegt die Auffassung zugrunde, daß das gerichtliche Verfahren als ein Streit zweier gleichwertiger Gegner strukturiert sein soll, wobei dem Richter nur mehr die Rolle des Moderators zukommt, der auf die Einhaltung der Regeln zu achten hat7. Demgegenüber hat im deutschen Strafverfahrensrecht der Untersuchungsgrundsatz eine zentrale Bedeutung. Das Strafverfahren wird hier nicht als ein Streit oder Wettkampf zwischen den Parteien begriffen, sondern als eine offizielle, gründliche Untersuchung, die auf die Ermittlung der Wahrheit gerichtet ist, § 244 II StGB. Zu diesem Zweck hat die Staatsanwaltschaft bereits im Vorverfahren nicht nur die belastenden, sondern auch die entlastenden Umstände zu ermitteln, § 160 II StPO. 6

Vgl. Nachweis bei Richter II, dort Fn. 9 u. 10.

7

Damas ka, ZStW 87, 713, 715.

II. Amerikanische und deutsche Verfahrensgrundsätze

3

Dieser Gedanke ist dem amerikanischem, von der sog. Parteimaxime beherrschten Strafverfahren fremd. In den USA gibt es grundsätzlich keine Pflicht der Strafverfolgungsbehörden, entlastenden Umständen nachzugehen8. Die Kennzeichnung als "adversary" und "accusatory" ist Ausgangspunkt des gesamten amerikanischen Strafverfahrenssystems. Mit "adversary" (kontradiktorisch, gegnerisch) wird der Umstand bezeichnet, daß sich die Staatsanwaltschaft auf der einen und der Beschuldigte, eventuell mit einem Verteidiger, auf der anderer Seite gegenüberstehen. Es liegt in der alleinigen Verantwortung der Parteien, die tatsächlichen Grundlagen des Falles zu entwickeln. Der Richter wacht hierbei nur über die Einhaltung der Verfahrensregeln. Die Geschworenen entscheiden die Tatfragen, § 1126 P.C., sie fällen das Urteil. Entscheidungsträger kann aber auch allein ein Richter sein. Etwa im Voranhörungsverfahren entscheidet allein der Richter, § 872 P.C. Geschworene sind hier noch nicht beteiligt. Mit dem Begriff accusatory wird demgegenüber die Verantwortung der Staatsanwaltschaft bezeichnet, das Gericht von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Der Staat, vertreten durch die Staatsanwaltschaft, trägt die Beweislast. In der berühmt gewordenen Entscheidung Miranda v. Arizona 9 zitiert der U.S. Supreme Court hierzu Wigmore 10 mit den Worten, der Staat müsse "die ganze Last schultern" 11. Die erforderlichen Beweise müsse sich der Staat "unabhängig und frei verschaffen", ohne den Angeklagten zur Mithilfe zu zwingen12. Dieser Grundsatz wird als so wesentlich, selbstverständlich und unumstößlich angesehen, daß er weder in der Verfassung noch im Penal Code ausdrücklich bezeichnet ist. Lediglich dessen Ausprägungen, wie das Verbot, den Angeklagten zur Selbstbelastung zu zwingen (5th Amendment to the U.S. Const.) oder die Unschuldsvermutung (§ 1096 P.C. presumed to be innocent ), sind ausdrücklich geregelt. Gleichwohl sind die meisten Verfahrensregeln nur vor dem Hintergrund des "adversary" und "accusatory" Systems zu verstehen.

8 Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrens recht des Auslands, S. 411; In re Michael L, 216 Cal.Rptr. (Cal 1985). 9

Miranda ν. Arizona, 384 U.S. 436, 460, 16 L.Ed.2d 694, 715 (1966).

10

8 Wigmore, Evidence 317, McNaughton rev 1961.

11

"... shoulder the entire load. "

12

LaFavelIsrael, Criminal Procedure, S. 38; Murphy v. Waterfront Commission, 378 U.S. 52, 12 L.Ed.2d 678 (1964), Tehan v. U.S. ex rei. Shott, 382 U.S. 406, 15 L.Ed.2d 453 (1966).

2*

4

Α. Einführung

Der Errungenschaft des kontradiktorischen Prinzips wird in der amerikanischen Literatur und Rechtsprechung der Untersuchungsgrundsatz13, welcher hauptsächlich in Kontinentaleuropa zufinden sei, gegenübergestellt14. Erstaunlicherweise herrscht oft eine sehr diffuse Vorstellung vom Wesen dieses europäischen, "inquisitorischen" Strafverfahrens vor, wobei in nicht wenigen Fällen eher der Eindruck mittelalterlicher Hexenprozesse vermittelt wird als der moderner Rechtsordnungen. Der Begriff "inquisitorisch" 15 wird in unterschiedlichen Nuancen gebraucht. Wie LaFave16 anmerkt, wird er teils benutzt, um Verfahren zu beschreiben, die sich hauptsächlich auf erzwungene Geständnisse stützen. In diesem Sinne gebraucht ihn der U.S. Supreme Court in Watts v. Indiana17 mit Blick auf die englische Star Chamber-Verfahren und die spanischen Inquisitionsprozesse. Andere gebrauchen den Begriff zur Beschreibung eines Strafverfahrensystems, das dem Angeklagten auferlegt, seine Unschuld zu beweisen und in welchem der Angeklagte zu einer Aussage gezwungen werden kann. Mithin ein System, welches weder die Unschuldsvermutung noch den "nemo tenetur, se ipsum accusare" Grundsatz kennt18. Häufiger wird der Begriff jedoch in einem Sinne gebraucht, wie er mehr der modernen europäischen Strafrechtsdogmatik entspricht. Nämlich zur Kennzeichnung eines Systems, in dem im Gegensatz zur Parteimaxime amerikanischer Ausprägung, zunächst dem Gericht die Verantwortung zukommt, die Tatsachen und damit die Wahrheit zu erforschen 19. Der Begriff inquisitorial umschreibt in diesem Sinne im wesentlichen den Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz des deutschen Rechts. Nicht gleichgesetzt werden darf auch der Begriff accusatory mit dem deutschen Anklagegrundsatz20. Während mit ersteren im wesentlichen gemeint ist, daß der Staat die Beweislast trägt, den Angeklagten der Straftat zu überführen, wird mit letzteren im deutschen Recht in § 151 StPO der Grundsatz bezeichnet, daß die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung durch 13

Inquisitorial-System.

14

Vgl. LaFave/Israel, Criminal Procedure, S.22.

Criminal

Procedure,

S.35; Dressler , Understanding

15

Inquisitorial.

16

LaFave/Israel,

17

Watts v. Indiana, 338 U.S. 49, 93 L.Ed. 1801 (1949).

Criminal Procedure, S. 35.

18

Murphy v. Waterfront Commission, 378 U.S. 52, 12 L.Ed.2d 678 (1964); Tehan v. U.S. ex rei. Shott, 382 U.S. 406, 15 L.Ed.2d453 (1966). 19

LaFave/Israel,

2 0

Auch als Akkusationsprinzip bezeichnet.

Criminal Procedure, S. 35.

III. Das O.J. Simpson Verfahren als Ausgangsfall

5

die Erhebung einer Klage bedingt ist. Das Gericht kann damit nicht von sich aus tätig werden und zugleich Ankläger und Richter in einer Person sein.

I I I . Das O.J. Simpson Verfahren als Ausgangsfall Zur Darstellung der Rolle des Vorverfahrens im amerikanischen Recht bietet sich das berühmt gewordene und in allen Details publizierte Verfahren gegen Orenthal James (O.J.) Simpson an. Das Ermittlungsverfahren war hier besonders umfangreich. Von den Parteien wurden nahezu alle Möglichkeiten des Strafverfahrensrechts ausgeschöpft, um sich eine bestmögliche Ausgangsposition für das Hauptverfahren zu verschaffen. Das Ermittlungsverfahren wies ferner eine Vielzahl von Besonderheiten auf und berührte aktuelle Problembereiche, die einer eingehenden Betrachtung wert erscheinen. Da das Verfahren in Los Angeles stattfand, wird sich auch die Darstellung des amerikanischen Vorverfahrens weitgehend auf das kalifornische Recht stützen. Dem Verfahren gegen O.J. Simpson lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der Nacht vom 12.06. auf 13.06.94 wurden in Los Angeles Nicole Brown Simpson und deren Freund Ronald Goldman durch Messerstiche ermordet aufgefunden. Innerhalb von Stunden konzentrierten sich die Ermittlungen auf den Ex-Ehemann der Ermordeten und früheren nationalen Football-Superstar Orenthal James Simpson. Das sich anschließende, gegen O.J. Simpson als allein Tatverdächtigen gerichtete Ermittlungsverfahren hat ein in diesem Ausmaß beispielloses Medien- und Publikumsinteresse auf sich gezogen. Prozeßbeobachter bezeichneten den "O.J. Simpson-Fall" als spektakulärstes Strafverfahren dieses Jahrhunderts. Die nachfolgende Darstellung hat nicht eine umfassende rechtsvergleichende Studie zwischen dem "amerikanischen" und deutschen Strafverfahrensrecht zum Ziel. Hierüber gibt es schon ausgezeichnete Arbeiten 21 und auch der beschränkte Raum läßt eine derartige Darstellung nicht zu. Vielmehr werden Schwerpunkte des Ermittlungsverfahrens herausgegriffen, die Besonderheiten aufweisen. Dies betrifft Entscheidungsträger, die im deutschen Strafverfahren völlig unbekannt sind sowie Verfahrensabschnitte, die zwar ähnlich gestaltet sind, aber unterschiedliche Ausgangspunkte und Ziele haben und damit andere Funktionen erfüllen. In diesem Zusammenhang wird auf die Rolle der " Grand

21

Lansbein, Comparitive Criminal Procedure.

6

Α. Einführung

Jury " und deren Verhältnis zur Voranhörung vor dem Magistrate, dem " Preliminary Hearing", besonders einzugehen sein. Es handelt sich um Institutionen, die das deutsche Strafverfahren nicht kennt. Beide haben aber entscheidenden Einfluß auf den Gang des weiteren Verfahrens. Verfahrenssicherungen und das Zusammenspiel mit dem Hauptverfahren, dem "trìaV\ werden ebenfalls anzusprechen und dem deutschen Recht gegenüberzustellen sein. In einem eigenen Abschnitt wird sodann die gegenseitige "Auskunftserteilung", deren Grundlagen, Voraussetzungen, Umfang und Einfluß dargestellt werden. Im Zusammenhang damit steht auch das im Simpson Fall sehr kritische und möglicherweise entscheidende Problem, inwieweit einerseits der Beschuldigte zur Mitwirkung bei der Aufklärung der Tat verpflichtet ist und andererseits, ob die Staatsanwaltschaft physische Beweismittel teilen und einer eigenen Untersuchung durch die Verteidigung zugänglich machen muß. Konkret ging es hier um sichergestellte Blutflecken bzw. -proben, die einer "DNAFingerprinting"-Analyse unterzogen wurden. Das Untersuchungsergebnis konnte das zentrale Belastungs- aber auch Entlastungsbeweismittel darstellen. Der Einfluß auf den Verfahrensausgang war daher unverkennbar. Von erheblicher Bedeutung war ebenso, ob und in welchem Umfang die Verteidigung bereits im Vorverfahren eigene Beweise erheben konnte. Damit in Zusammenhang steht die gewissermaßen entgegengesetzte Frage, ob die Verteidigung bereits im Vorverfahren den Ausschluß von bestimmten Belastungsbeweisen erreichen kann. Diese "Anträge auf Nichtzulassung von Beweisen" nahmen im Vorverfahren gegen O.J. Simpson einen breiten Raum ein und waren heftig umstritten. Zum besseren Verständnis dieses bedeutenden Problemkreises wird auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen und die daraus von der Rechtsprechung abgeleiteten Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote eingegangen. Die amerikanische Rechtsprechung und Literatur zur Frage, wann Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Festnahmen rechtmäßig sind, ist äußerst umfangreich. Eine Gegenüberstellung mit dem deutschen Recht ist in diesem Bereich daher besonders aufschlußreich. In einer rechtsvergleichenden Gegenüberstellung mit dem deutschen Strafverfahren wird sodann der Frage nachgegangen werden, ob hier die gleichen Probleme angelegt sind oder in Zukunft auftreten könnten, die exemplarisch im "O.J. Simpson Fall" in derart deutlicher Weise sichtbar wurden. Sollte sich ein Änderungsbedarf zeigen, wird zu erörtern sein, ob einige "amerikanische" Lösungen in unser System zu integrieren sind oder ob unsere

IV. Grundstrukturen

7

anders gestalteten Strukturprinzipien eine völlig eigenständige Regelung erfordern. Im letzten Abschnitt wird schließlich ein Ausblick auf das Hauptverfahren und das Urteil gegeben werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Interesse, welche Auswirkungen das Vorverfahren auf die Urteilsfindung hatte oder ob der Ausgang des Verfahrens von anderen Umständen überlagert wurde.

IV· Grundstrukturen 1. Strafrecht des Bundes und der Einzelstaaten Das Strafrecht in den Vereinigten Staaten ist, sowohl in materieller als auch formeller Hinsicht, Recht der Einzelstaaten. Diese tragen die primäre Verantwortung, strafrechtlich relevantes Verhalten zu definieren und die Regeln zu dessen Durchsetzung sowie zur Bestrafung der Täter festzulegen. Daneben existiert auch auf Bundesebene ein Strafrechtscode, dessen offizielle Bezeichnung "Title 18, United States Code, Crime and Criminal Procedure" lautet und der als "Title 18, U.S.C., §..." zitiert wird. Dessen Anwendungsbereich ist jedoch deutlich eingeschränkt, da sich die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes lediglich auf Bereiche erstreckt, für welche die Bundesverfassung dem Kongress Gesetzgebungskompetenz zugesteht. Hierunter fallen Handel und Wirtschaft zwischen den Einzelstaaten oder gegenüber dem Ausland sowie die Tätigkeit und Organisation der Bundesregierung. Traditionell umfaßte daher der Federal Criminal Code Tatbestände, die eine gewisse Beziehung zur Bundesebene oder Bundesregierung aufwiesen. Aufgrund der extensiven Deutung des Enumerationsprinzips durch den U.S. Supreme Court, tendierte der Kongreß in jüngerer Zeit jedoch dazu, den Anwendungsbereich des Bundesrechts auszudehnen, insbesondere bezüglich der Wirtschaftsverbrechen 22 und der Straßenkriminalität 23. Dies führte in zunehmenden Maße zu Überschneidungen mit Straftatbeständen der Einzelstaaten, deren Lösung erhebliche Probleme aufwirft. Die Mehrzahl der Strafverfahren in den Vereinigten Staaten bleiben jedoch solche der Einzelstaaten. Der Anteil der Strafverfahren nach dem Recht der Einzelstaaten liegt deutlich über 95% 2 4 . Da die Einzelstaaten weitgehende 2 2

White collar crimes.

23

Street crimes.

2 4

LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S.4; Perron,

Die Beweisaufnahme im

8

Α. Einführung

Freiheit in der Ausgestaltung ihres materiellen und formellen Strafrechts haben, führt dies dazu, daß gegenwärtig 51 verschiedene Strafverfahrensordnungen angewendet werden, - eine für jeden der 50 Einzelstaaten und eine eigene des Bundes - 2 5 .

2. Das Strafverfahren nach dem Penal Code of California Der Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung wird auf dem Recht des Staates Kalifornien liegen, da die Tat in Los Angeles begangen wurde. § 777 i.V.m. § 790 des Penal Code of California gehen vom Tatortprinzip aus. Im Penal Code of California ist das materielle und formelle Strafrecht zusammengefaßt. Der Penal Code wird nachfolgend mit "P.C." abgekürzt.

Der Penal Code of California gliedert sich nach 24 einleitenden Vorschriften in fünf Abschnitte, die mit Crime and Punishment , Criminal Procedure , Imprisonment and Death Penalty , Prevention of Crimes and Apprehension of Criminals und Peace Officers Memorial überschrieben sind. Der Abschnitt über das Strafverfahren 26 umfaßt die §§ 681 bis 10.005 P.C., wobei jedoch die Vorschriften nicht durchgehend numeriert sind, sondern teils größere Zahlensprünge aufweisen. Das Strafverfahren ist unterschiedlich ausgestaltet, je nachdem um welche Art von Straftatbeständen es sich handelt. Es wird zwischen Verbrechen 27, Strafverfahrensrecht des Auslands, S.386, Fn.4: "z.B. im Jahr, das am 30.9.92 endete, wurden 34.277 felony-Klagen in den Bundesgerichten erhoben (insgesamt 48.904 Strafanklagen), Court Management Statistics 1992, S. 167, während 1.188.569 felony-Klagen 1992 in nur 35 der 50 Einzelstaaten erhoben wurden. (Und mehr als 13 Millionen Anklagen in allen Strafsachen). State Court Caseload Statistics, S. 31, 39." 2 5

Dem könnte noch, mit gewissen Einschränkungen, der District of Columbia, der Commonwealth of Puerto Rico und die Virgin Islands hinzugefügt werden, da jedes dieser Gebiete einen eigenen Strafrechtscode besitzt. 2 6

Criminal procedure.

2 7

Felonies; nicht gleichgesetzt werden darf der Begriff Verbrechen als Übersetzung für felony mit dem Begriff Verbrechen als Terminus technicus des deutschen Strafrechts. Dies gilt auch für alle nachfolgenden Übersetzungen von Begriffen aus der anglo-amerikanischen Rechts spräche. Oftmals werden diese Begriffe auch im deutschen Recht verwandt, haben hier häufig jedoch eine eigenständige Bedeutung und andere Voraussetzungen. Dies ist stets in Erinnerung zu behalten. Dennoch soll zur besseren Lesbarkeit der Text dieser Arbeit von englischen Sätzen, Satzbruchstücken oder Ausdrücken möglichst frei bleiben, soweit eine entsprechende deutsche Bezeichnung existiert. Wo die englische

IV. Grundstrukturen

9

Vergehen28 und bloßen Übertretungen 29 unterschieden, § 16 P.C. Nach § 17 a S.l P.C. sind Verbrechen diejenigen Straftaten, die mit dem Tode oder Freiheitsstrafe in staatlichen Gefängnissen bestraft werden können, alle anderen Straftaten sind Vergehen, § 17 a S.2 P.C., mit Ausnahme derjenigen, die ausdrücklich als Übertretungen bezeichnet sind. Soweit gesetzlich nichts anderes vorgeschrieben ist, sind Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 16 Monaten in staatlichen Gefängnissen strafbar, § 18 P.C. Demgegenüber ist die Höchststrafe für Vergehen 6 Monate Freiheitsstrafe in einem Bezirksgefängnis 30 oder Geldstrafe bis 1.000 Dollars oder beides, § 19 P.C. Bloße Übertretungen dürfen nicht mit Freiheitsstrafen bestraft werden, § 19.6. S.l P.C. Im Ausgangsfall wurde dem Tatverdächtigen, O.J. Simpson, Mord ersten Grades in zwei Fällen, begangen an Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman, zur Last gelegt. Es handelt sich hierbei um den klassischen Fall von Verbrechen. Nach § 190aS.l P.C. wird Mord ersten Grades31 mit dem Tode, lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Strafrestaussetzung auf Bewährung oder Freiheitsstrafe von mindestens 25 Jahren bestraft. Die nachfolgenden Ausführungen werden daher in erster Linie das Verfahren zur Verfolgung eines Verbrechens zum Gegenstand haben. Soweit jedoch signifikante Abweichungen gegenüber der Verfolgung eines Vergehens bestehen, wird auf diese kurz eingegangen. Verallgemeinernd kann schon an dieser Stelle gesagt werden, daß das Strafverfahren zur Verfolgung eines Vergehens in der Regel kürzer und mit weniger Verfahrenssicherungen ausgestattet ist als das umfassendere Verbrechens-Strafverfahren.

3. Stufen des Strafverfahrens In der amerikanischen Literatur 32 wird das Strafverfahren zum Teil zunächst in zwei Abschnitte aufgeteilt, das Ermittlungsverfahren 33 und das

Bezeichnung von Interesse sein könnte, wird diese als Fußnote angefügt. Gleiches gilt für Gesetzesvorschriften oder Zitate, auf deren Originalwortlaut es ankommt. 2 8

Misdemeanors.

2 9

Infractions.

3 0

County jail.

31

Murder of First Degree.

32

Dressier , Understanding Criminal Procedure.

33

Investigatory Stage.

10

Α. Einführung

gerichtliche Verfahren 34. Das Ermittlungsverfahren wird häufig auch mit "Räuber und Gendarm"35 Stufe des Verfahrens umschrieben. Im Folgenden werden kurz die einzelnen Verfahrensstufen charakterisiert, soweit dies zum besseren Verständnis der Verfahrenszusammenhänge erforderlich ist.

a) Kenntniserlangung und Vorermittlungen Nach Kenntniserlangung von Anhaltspunkten, wonach möglicherweise eine Straftat vorliegt, wird meist zunächst die Polizei erforschen, ob genügend tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, um einen Tatverdacht zu begründen.

b) Festnahme Wenn eine Person einer schweren Straftat hinreichend verdächtig ist, wird ein Haftbefehl erwirkt. Ist Eile geboten, wird der Tatverdächtige ohne Haftbefehl festgenommen. In der Praxis ist dies meist der Fall 36 . Der Tatverdächtige wird zur Polizeistation gebracht, durchsucht und "gebucht"37, d.h. Name, Ankunftszeit und Festnahmegrund werden in ein Polizeiverzeichnis eingetragen. Erfolgt die Festnahme ohne Haftbefehl, überprüft in der Regel ein höherrangiger Polizeibeamter, ob genügender Tatverdacht vorliegt. Wird dies bejaht, erhält die Staatsanwaltschaft zur Überprüfung dieser Entscheidung unverzüglich einen Bericht, ansonsten wird der Festgenommene freigelassen. Bejaht auch die Staatsanwaltschaft den Tatverdacht und hält sie die Einleitung eines Strafverfahrens für geboten, wird eine Strafanzeige 38 verfaßt, welche eine kurze Darstellung der der behaupteten Straftat zugrundeliegenden Tatsachen umfaßt, § 806 P.C., und dem Magistrate eines Municipal Court vorgelegt, §§ 807, 808 P.C.

3 4

Adjudicatory Stage.

35

Cops and Robbers.

3 6

LaFave/Israel,

37

Booked.

3 8

Complaint.

Criminal Procedure, S. 20.

IV. Grundstrukturen

c) Die erste Vorführung

11

vor den Magistrate

Der Festgenommene muß ohne unnötige Verzögerung, spätestens innerhalb von 48 Stunden (wobei Sonn- und Feiertage nicht mitzählen), § 825 a (1) P.C., dem Magistrate vorgeführt werden 39. Dieser entscheidet anhand der Strafanzeige, ob hinreichender Tatverdacht vorliegt, verliest die Strafanzeige, informiert den Beschuldigten über seine Rechte und entscheidet vor allem darüber, ob der Beschuldigte gegen Kaution40 freigelassen wird.

d) Voranhörung Im Falle eines Verbrechens muß grundsätzlich innerhalb von zehn Tagen nach der ersten Vorführung 41 eine Voranhörung, das sogenannte Preliminary Hearing, vor dem Magistrate stattfinden, § 859 b P.C. In diesem Verfahren ist der Beschuldigte persönlich vor Gericht anwesend und durch einen Rechtsanwalt vertreten. Jede Seite hat das Recht, Zeugen zu präsentieren. Kommt der Magistrate zum Ergebnis, daß hinreichender Tatverdacht42 besteht, § 872 P.C., so erläßt er einen Eröffnungsbeschluß 43 und leitet das Verfahren an das höhere Gericht, den Superoir Court, weiter. Der Sonderfall eines Verfahrens vor der sogenannten Grand Jury wird ausführlich angesprochen werden und soll daher hier nur erwähnt werden.

e) Anklageeröffhung

vor dem Superior Court 44

Die Staatsanwaltschaft muß innerhalb von 15 Tagen die eigentliche Anklage, Information, beim Superior Court einreichen, § 739 P.C. Der zuständige Richter am Superior Court verliest daraufhin die Anklage, §§ 976, 988 P.C., und befragt den Beschuldigten, ob er auf schuldig oder unschuldig 3 9

First Appearance Before a Magistrate; diese erste Anhörung wird auch als Initial Arraignment, Arraignment on a Complaint, Initial Appearance oder Presentment bezeichnet. 4 0

Bail.

41

Siehe oben c).

4 2

Probable Cause.

4 3

Holding Over Order.

4 4

Arraignment.

12

Α. Einführung

plädiere, § 988 P.C. Im Falle eines Plädoyers auf "nicht schuldig"45 wird Termin zur mündlichen Verhandlung innerhalb von 60 Tagen anberaumt, § 1049.5 P.C.

f) Die Hauptverhandlung

46

Soweit der Angeklagte nicht ausdrücklich darauf verzichtet, findet die mündliche Verhandlung vor 12 Geschworenen, der Jury, statt, Art. 16 California Constitution. Diese entscheidet über die Tatfragen 47, § 1126 P.C., und fällt letztlich das Urteil, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. Zur Verurteilung als auch zum Freispruch ist jeweils Einstimmigkeit erforderlich.

g) Festsetzung der Strafe Wird der Angeklagte für schuldig befunden, so schließt sich ein eigener Verfahrensabschnitt an, in welchem allein der Vorsitzende Richter über das Strafmaß entscheidet, § 1170 f. P.C. Eine Sonderregelung gilt für die Fälle, in denen die Todesstrafe verhängt werden kann. Nach der Findung des Schuldspruchs entscheidet hier zunächst die Jury gesondert auch darüber, ob die Todesstrafe verhängt werden soll, § 190.3 f. P.C. Im Falle der Verhängung der Todesstrafe durch die Geschworenen überprüft der Richter diese Entscheidung und kann unter den Voraussetzungen des § 190.4 e S.2 P.C. die Strafe in lebenslange Freiheitsstrafe abmildern.

4 5

Not Guilty.

4 6

Trial.

4 7

Questions of Fact.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens Die nachfolgende Darstellung folgt dem Verfahrensgang im Ausgangsfall, greift jedoch Besonderheiten vertiefend heraus. Die Auswahl dieser Schwerpunkte orientiert sich an Problemen, die in dieser Form, - in den USA als auch in Deutschland -, bisher nicht oder in geringerem Ausmaß aufgetreten sind, jedoch in Zukunft eine entsprechende Resonanz in Rechtsprechung und Literatur erwarten lassen und daher auch aus rechtsvergleichender Sicht von besonderem Interesse sind. Die Darstellung wird daher auch besonders auf solche Verfahrensstadien eingehen, die auf den Fortgang des Strafprozesses und die Entscheidungsfindung von wesentlicher Bedeutung sind, die jedoch im deutschen Recht nicht oder nur in wesentlich abgewandelter Form vorhanden sind. Anhand einer vergleichenden Gegenüberstellung wird sodann der Frage nachgegangen, ob einige dieser Regelungen im deutschen Recht aufgegriffen werden sollten.

I. Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft 1. Ermittlungen im Ausgangsfall Im Ausgangsfall wurden kurz nach Mitternacht am 13. Juni 1994 die Leichen der beiden Opfer von Beamten der Polizei von Los Angeles entdeckt. Die Spezialisten der Mordabteilung 48 trafen kurze Zeit danach ein, übernahmen die Ermittlungen und stellten die ersten Beweisstücke am Tatort sicher, darunter Bluttropfen, Haare und einen blutigen Handschuh. Der Tatort befindet sich im Garten vor der Wohnung des Opfers Nicole Brown Simpson im L.A. Stadtteil Brentwood. Der Tatort ist nur ca. 2 Meilen von der Villa des späteren Tatverdächtigen und Ex-Ehemanns, O.J. Simpson, entfernt. Noch vor 6 Uhr morgens trafen die Mitarbeiter der Mordkommission an der Villa von O.J. Simpson ein und entdeckten Blutspuren am Türgriff seines vor dem Anwesen abgestellten weißen Ford Bronco. Da eine Gefahr für mögliche weitere Opfer im Anwesen befürchtet wurde, übersprang 4 8

Homicide Division of the Los Angeles Police Department.

14

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

einer der Polizisten den Sicherheitszaun und ließ seine Kollegen in das Anwesen. Zu diesem Zeitpunkt bestand weder ein Durchsuchungs-49 noch ein Haftbefehl 50. Zwar trafen die Polizisten weder weitere Opfer noch den Hausherrn, Mr. Simpson, an, sie konnten jedoch weitere Beweisstücke sicherstellen, darunter einen zweiten blutigen Handschuh und vier Bluttropfen auf der Auffahrt. Am Vormittag dieses Tages wurde gegen 10.45 Uhr ein Durchsuchungsbefehl für das Simpson Anwesen vom zuständigen Richter, dem sogenannten Magistrate, des Municipal Court von L.A. erlassen, § 807 P.C. Kurz darauf traf am Simpson Anwesen auch die Staatsanwältin Marcia Clark als Vertreterin der Staatsanwaltschaft ein. Die Ermittlungen vor Ort, die Sicherstellung und Auswertung der gefundenen Beweisstücke als auch die weiteren Ermittlungen wurden jedoch auch weiterhin zu einem ganz überwiegenden Teil allein von den Beamten der Mordkommission durchgeführt. So waren es auch allein Polizeibeamte, die noch am vormittag des 13.06.94 O.J. Simpson sowie weitere Zeugen vernahmen.

2. Tätigkeitsbereiche und Organisation Es läßt sich nach kalifornischem Recht keine allgemeingültige Regel aufstellen, bis zu welchem Grad die Ermittlungen allein von der Polizei geführt werden bzw. ab wann die Staatsanwaltschaft die Kontrolle über das Verfahren übernimmt. Zwar findet man auch hier den in der deutschen Literatur vorherrschenden Ausdruck, die Staatsanwaltschaft sei die Herrin des Verfahrens, in entsprechender Umschreibung51, in der Praxis ist die Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch flexibel ausgestaltet und von verschiedenen Faktoren abhängig. Zu nennen ist insbesondere die Schwere der verfolgten Straftat. Handelt es sich um einen Mordfall, wird die Staatsanwaltschaft in der Regel wesentlich früher in die Ermittlungen einbezogen und wird selbst eine aktivere Rolle übernehmen, als bei Alltagsdelikten. Staatsanwaltschaft und Polizei sind in Kalifornien wie auch in den übrigen Einzelstaaten organisatorisch getrennt und unterstehen verschiedenen Abteilungen der Regierungen der Einzelstaaten. Die Staatsanwaltschaft hat damit keine direkte Autorität über die Polizei. Im Penal Code of California ist keine Regelung enthalten über das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei. 4 9

Search Warrant.

5 0

Arrest Warrant.

51

Chief Law Enforcement Officer. LaFavef Israel, Criminal Procedure, S. 11.

I. Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft

15

Das kalifornische Strafverfahrensrecht enthält auch keine dem § 161 StPO entsprechende Regelung, wonach die Polizeibehörden verpflichtet sind, den Ermittlungsersuchen der Staatsanwaltschaft nachzukommen. Eine gesetzlich festgeschriebene Weisungsabhängigkeit besteht damit nicht 52 . Eine weitere Schwierigkeit im amerikanischen Recht besteht in der außerordentlichen Aufsplitterung der Polizeieinheiten als auch, obgleich in geringeren Umfang, der Staatsanwaltschaften. In den Vereinigten Staaten gibt es mehr als 17.000 Polizeieinheiten auf Staatsebene53, die als selbständige Polizeibehörden bezeichnet werden können54. Die ganz überwiegende Mehrheit dieser Einheiten unterstehen den örtlichen Verwaltungsträgern, wie Städten und Bezirken 55, werden von diesen angestellt, ausgebildet, finanziert und überwacht. Über 90% aller örtlichen Verwaltungseinheiten mit einer Bevölkerung von mehr als 2.500 Einwohnern haben ihre eigene örtliche Polizeieinheit56. Im Ergebnis hat damit kein Staat weniger als 10 verschiedene selbständige Polizeieinheiten und nur fünf Staaten haben weniger als 100 verschiedene Polizeibehörden57. Die Staatsanwaltschaften weisen auf Staatsebene eine ähnliche Zersplitterung auf. Nach dem Gesetz ist der ranghöchste Staatsanwalt in Kalifornien der Generalstaatsanwalt58, welcher von der Bevölkerung gewählt wird. Dieser hat jedoch nur eine beschränkte Aufsichts- und Eingriffsermächtigung in die Tätigkeit der örtlichen Staatsanwälte. Typischerweise sind es die örtlichen Staatsanwälte, die die Hauptverantwortung für die Durchführung der Ermittlungsverfahren tragen. Städte und Bezirke wählen ihren eigenen "ersten" Staatsanwalt59, dessen Amt daher in erheblichem Umfang auch ein politisches Amt ist. Dieser wird sich in erster Linie seinen Wählern, insbesondere auch wegen seiner Wiederwahl, verantwortlich fühlen. Dem jeweiligen District Attorney , abgekürzt als D.A.

5 2

Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 390.

53

Mit "Staat" wird nachfolgend immer ein Einzelstaat der Vereinigten Staaten gemeint sein, während die Bundesebene mit "Bund" bezeichnet wird. 5 4

LaFave/Israel,

55

Cities and Counties.

Criminal Procedure, S. 12.

5 6

Police Department.

57

Statistik aus LaFave I Israel, Criminal Procedure, S.12.

5 8

Attorney General.

5 9

District Attorney.

16

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

bezeichnet, unterstehen weitere angestellte sogenannte Deputy District Attorneys und Assistant District Attorneys, die weisungsgebunden sind. Auf Bundesebene ist der höchste Staatsanwalt der U.S. Generalstaatsanwalt60. Dieser wird vom Präsidenten ernannt, gewöhnlich auf der Grundlage von Parteiloyalität. Da das Strafrecht des Bundes vom Strafrecht der Einzelstaaten strikt getrennt ist und die Bundesstaatsanwälte nur zur Durchführung des Bundesrechts vor den eigenen Bundesgerichten berufen sind, haben die Bundesstaatsanwälte auch keine Aufsichtsbefugnis über die Staatsanwälte der Einzelstaaten. An dieser Stelle sei noch eine organisatorische Besonderheit auf Bundesebene angemerkt. Im Gegensatz zu den Einzelstaaten sind hier die Polizeibehörden, wobei als größte insbesondere das F.B.1.61 zu nennen ist, und die Bundesstaatsanwälte unter einem gemeinsamen Dach, dem U.S. Department of Justice, zusammengefaßt. Der Bundesgeneralstaatsanwalt hat damit Kontrolle über Bundespolizei und -Staatsanwaltschaft.

3. Staatsanwaltschaft und Politik Die Organisation der Staatsanwaltschaft auf Bundes- und Staatsebene in den USA weist somit erhebliche Unterschiede zu den entsprechenden Einrichtungen in der BRD auf. Da in der BRD im Gegensatz zu den USA den Bundesgerichten nicht ausschließlich die Anwendung von Bundesrecht und den Landesgerichten nicht nur die Anwendung von Landesrecht zugewiesen ist, haben somit auch die deutsche Generalbundesanwaltschaft und die Staatsanwaltschaften der Länder eine völlig andere Aufgabenverteilung. Ferner ist in den USA die Wahl der leitenden Staatsanwälte durch die Bevölkerung von erheblichen Einfluß auf die Amtsführung der Staatsanwälte. Ein Merkmal, das in Deutschland völlig fehlt. Die Praxis der Strafverfahren in den amerikanischen Einzelstaaten wird zu einem ganz erheblichen Anteil von der tatsächlichen oder vermeintlichen Stimmung in der Wählerschaft beeinflußt. Diese Stimmung wird derzeit in Kalifornien und in anderen Einzelstaaten als auch auf Bundesebene mit getting tough beschrieben, d.h. die überwiegende Mehrheit erwartet eine klare Stellungnahme zugunsten einer Verschärfung des Strafrechts und dessen erfolgreicher Durchsetzung. 6 0

U.S. Attorney General.

61

Abkürzung für Federal Bureau of Investigations.

I. Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft

17

Dies schlägt sich in der erheblichen Ausdehnung von Straftatbeständen nieder, für welche die Todesstrafe vorgesehen ist, in der Anstellung von zusätzlichen 100.000 Polizisten62, dem Bau neuer Gefangnisse und der Einführung der sogenannten "three strikes and you are -Regel in Kalifornien. Diese besagt, daß ein Täter, welcher bereits wegen zwei gewalttätiger Verbrechen vorbestraft ist, bei einem dritten Verbrechen (welches nicht mehr gewalttätig zu sein braucht), zwangsläufig mit lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Strafrestaussetzung auf Bewährung bestraft werden muß. Die Furcht vor Gewalt und Straftaten steht bei Umfragen unter US-Bürgern an erster Stelle.

4. Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft Um zum Ausgangspunkt dieses Abschnitts zurückzukehren: da es sich im zugrundeliegenden Fall um einen Doppelmord handelte und zudem der Haupttatverdächtige ein äußerst prominenter, ehemaliger Footballstar war, wurde die Staatsanwaltschaft schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt von der Polizei in die Ermittlungstätigkeit einbezogen. Von Beobachtern des Verfahrens wird dies als durchaus üblich bezeichnet, da sich die Mordkommission bezüglich rechtlicher Fragen, wie Abfassung eines Antrags auf Erlaß eines Durchsuchungsbefehls und dessen nachfolgender Vollziehung, auf die Kenntnisse der Staatsanwaltschaft stützt und sich hierdurch zugleich absichert. Obgleich die Interna des Zusammenwirkens zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft im konkreten Fall nicht bekannt wurden, bestätigt der äußere Ablauf der Ermittlungen die obigen Ausführungen. Kurz nach Erlaß des Durchsuchungsbefehls am Vormittag nach Entdeckung der Tat besichtigte die zuständige Staatsanwältin, Marcia Clark, den Tatort und das Simpson Anwesen. Sie griff jedoch nicht in die umfangreichen Ermittlungstätigkeiten der Polizei ein, welche das Gelände absuchte, durch Experten Spuren sicherte als auch in eigener Verantwortung mögliche Tatzeugen aufsuchte und vernahm. Darüber hinaus wurde am nachmittag desselben Tages O.J. Simpson festgenommen und längere Zeit allein von Polizeibeamten befragt.

6 2 Für diese sogenannte Crime Bill, eingeführt 1994, wird ein Kostenaufwand von 32 Mrd. US-Dollars veranschlagt, vgl. San Francisco Examiner vom 01.08.1994.

3 Schnabl

18

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Der überwiegende Teil der aufgefundenen Beweisstücke, wie Blutflecken der Opfer, Bluttropfen am Tatort, Haare und Textilien, wurde in den eigenen Labors des L.A. Police Department von Kriminologen untersucht und ausgewertet. Obgleich die Ermittlungen weitgehend eigenverantwortlich von der Mordkommission durchgeführt wurden, erfolgte das Vorgehen in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft, welche über die Ermittlungs(zwischen-)ergebnisse laufend informiert wurde. Trotz organisatorischer Selbständigkeit und ohne ausdrückliche gesetzliche Regelungen eines Weisungsrechts der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei funktioniert in der Praxis das Zusammenwirken dieser beiden Einrichtungen. In der ganz überwiegenden Mehrzahl der alltäglichen Fälle, allein in L.A. mehrere tausend Straftaten täglich -, werden die Ermittlungen allein von der Polizei geführt und erst der abschließende Bericht wird der Staatsanwaltschaft vorgelegt, die sodann über das weitere Vorgehen entscheidet. Im Ergebnis ist daher in der Praxis die Tätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ähnlich aufgeteilt wie in der BRD 6 3 . 6 4 Als Besonderheit ist noch anzumerken, daß die größeren Staatsanwaltschaften in den USA über eigene Ermittlungsbeamte65 verfügen, die bei der Staatsanwaltschaft angestellt sind und den Weisungen der Staatsanwälte unterliegen. Da jedoch immer nur eine relativ geringe Zahl solcher Ermittler angestellt ist, wird auf diese insbesondere dann zurückgegriffen, wenn aufgrund besonderer Ausgangslagen zu befürchten ist, daß die Ermittlungen der Polizei nicht vollständig oder unvoreingenommen geführt werden, etwa wenn Polizeibeamte selbst an strafrechtlichen Handlungen beteiligt waren; andererseits werden die Ermittler bei ergänzenden Ermittlungen eingesetzt, welche vom Umfang so beschränkt sind, daß die Abfassung eines Ermittlungsersuchens an die Polizei mehr Aufwand bedeuten würde 66.

63

Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, S. 390,

391. 6 4

Zur Geschichte der Staatsanwaltschaft und ihrer gegenüber Polizei und Gericht vgl. Roxin, DRiZ 1997, 109 f. 65 6 6

Investigators.

Vgl. die Darstellung anhand eines tatsächlich vorgefallenen Mordes in Poulos, The Anatomy of Criminal Justice, S.280 f.

II. Haftbefehl

19

I I . Haftbefehl 1. Haftbefehl gegen Ο J . Simpson Von Anfang an konzentrierten sich die Ermittlungen gegen O.J. Simpson als Haupttatverdächtigen. Gleiches läßt sich auch von dem Medieninteresse sagen. Bereits am Tag nach der Tat, wurde in der Presse ausführlich spekuliert, wann "O.J." verhaftet würde. Zwar wurde er bereits am 13.06.94 festgenommen und in Handschellen zu einer Polizeistation verbracht, nach einem Verhör von einigen Stunden jedoch wieder freigelassen. Tatsächlich erging der Haftbefehl 67 erst am Freitag, den 17.06.94, durch den Haftrichter, Magistrate, des Municipal Court. Grund für dieses Zuwarten war, daß die Polizei erst ausführlich ermitteln und Belastungsbeweise sammeln wollte, da ab Erlaß eines Haftbefehls und anschließender Verhaftung kurze Fristen bis zur gerichtlichen Verhandlung zu laufen beginnen, bei der dann konkrete Beweise vorgelegt werden müssen. In der Presse wurde mehrfach die Meinung geäußert, daß hinsichtlich der Verhaftung keine Eile geboten sei, da O.J. aufgrund seiner Popularität und der ständigen Beobachtung durch die Medien sich einem Verfahren nicht durch Flucht entziehen könne. Nach dieser Ansicht erfüllten hier die Medien den gleichen Zweck wie ein Haftbefehl, nämlich sicherzustellen, daß das gerichtliche Verfahren durchgeführt werden könne. Als die Polizisten jedoch tatsächlich am Simpson Anwesen mit dem Haftbefehl eintrafen, um O.J. festzunehmen, war dieser auf der Flucht. Die von der Polizei eingeleitete Fahndung führte Stunden später, gegen 18.45 Uhr, zur Ortung des Fluchtautos auf einem Highway in der Umgebung von Los Angeles. Die Ortung war möglich, da die Polizei das Funktelefon anpeilen konnte, welche Simpson vom Auto aus benutzte. Da der Flüchtige drohte, sich mit einer Pistole zu erschießen, falls die Polizei versuchen sollte, ihn festzunehmen, verfolgte ihn eine "Polizeieskorte" von bis zu 30 Fahrzeugen über eine Strecke von 50 Meilen. Am Rande sei angemerkt, daß diese Verfolgung auf fast allen Fernsehkanälen, insbesondere in Kalifornien, live übertragen wurde. Möglich wurde dies durch eigene Hubschrauber der Fernsehanstalten, die über dem "Ort des Geschehens" kreisten. Was zur Folge hatte, daß sich Hunderte von Neugierigen der "Eskorte" anschlossen, unzählige Schaulustige die Straßen

67

31

Arrest Warrant.

20

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

säumten und der Verkehr in den betroffenen Gebieten gänzlich zum Erliegen kam. Die Verfolgungsfahrt führte zum Anwesen von O.J. Simpson in Brentwood, Los Angeles, wo dieser schließlich festgenommen wurde.

2. Voraussetzungen des Haftbefehls Der Erlaß eines Haftbefehls ist in § 813 a P.C. geregelt.

a) Zuständigkeit Zuständig zum Erlaß ist der Magistrate. Nach der Legaldefinition des § 807 P.C. wird als Magistrate ein "Officer " bezeichnet, der die Befugnis zum Erlaß eines Haftbefehls besitzt. Dies sind nach § 808 P.C. Richter an einem Gericht, angefangen vom niedrigsten Gericht, dem Justice Court bis hin zum höchsten Gericht des Staates, dem Supreme Court.

b) Rolle der Strafanzeige Der Magistrate entscheidet anhand des bereits erwähnten Strafanzeige 68, ob ein Haftbefehl zu erlassen ist. Mit dem Begriff "Strafanzeige" wird eine vorläufige Anklageschrift bezeichnet, die eine kurze Zusammenfassung der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat enthält sowie eine eidesstattliche Versicherung, daß die Angaben der Wahrheit entsprechen, § 806 P.C. c) Materielle

Voraussetzungen des § 813 (a) P. C.

Voraussetzung zum Erlaß eines Haftbefehls ist, - daß die in der Strafanzeige enthaltene Straftat tatsächlich stattfand und - hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Beschuldigte diese begangen hat, § 813(a) P.C. 69 .

68

Complaint.

21

II. Haftbefehl

d) "Hinreichender

Tatverdacht"

und das Verfassungsrecht

Der zentrale Streitpunkt ist der, nur unzureichend mit "hinreichender Tatverdacht" wiederzugebende Begriff "Probable Cause". Dabei handelt es sich um einen Terminus technicus des Verfassungsrechts. Er ist enthalten im 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten70, welche eine der zentralen und bekanntesten Vorschriften des amerikanischen Rechts ist. Der 4. Zusatzartikel regelt ausdrücklich, wann eine Durchsuchung71 bzw. eine Festnahme/Beschlagnahme72 zulässig ist. Nach deren 2. Halbsatz darf ein Durchsuchungs- bzw. Haftbefehl nur ergehen, wenn er auf hinreichendem Tatverdacht beruht. Ferner müssen die ihm zugrundeliegenden Tatsachen unter Eid oder eidesstattlicher Versicherung abgegeben worden sein. Der zu durchsuchende Ort und die zu beschlagnahmende Sache oder die festzunehmende Person muß im Einzelnen beschrieben sein73. Eine entsprechende Vorschrift enhält Article 1, § 13 der kalifornischen Verfassung. Über die Bedeutung und Auslegung dieser Verfassungsvorschriften ist jahrzehntelang in Hunderten von Abhandlungen und Monographien gestritten worden. Jede Darstellung des Strafverfahrensrechts enthält umfangreiche Ausführungen zu dieser Problematik und den sich daraus ergebenden Folgeproblemen74.

6 9 § 813 (a) P.C. lautet: ... if the magistrate is satisfied from the complaint that the offense complained of has been committed and that there is reasonable ground to believe that the defendant has committed it, the magistrate shall issue a warrant for the arrest of the defendant 7 0

4th Amendment to the Constitution of the United States.

71

Search.

7 2

Seizure.

73

4th Amendment U.S. Const., 2.Hs.: ... no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. 7 4

So enthält allein das Grundlagenbuch zum Strafverfahrensrecht "Understanding Criminal Procedure", vgl. Fußn.5, auf 217 Seiten von insgesamt 454 Seiten Ausführungen hierzu.

22

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Der in § 813 P.C. verwandte Begriff Reasonable Ground entstammt noch dem Common Law und ist gleichbedeutend mit Probable Cause, wie er im Verfassungsrecht und in moderneren Gesetzen verwandt wird. Eine ausführliche Darstellung der Rechtsprechung und Literatur zum 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ist hier in Hinblick auf den relativ klaren Ausgangsfall nicht angezeigt. Es werden daher nur einige wesentliche Punkte angesprochen, die auch im Hinblick auf den Haftbefehl gegen O.J. Simpson von Bedeutung waren.

e) Hinreichender

Tatverdacht

und der Grad der Wahrscheinlichkeit

Jedem Magistrate, der über den Erlaß eines Haftbefehls entscheiden muß, stellt sich zunächst die Frage, ob der in der Strafanzeige dargestellte Sachverhalt genügt, hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der Tatbegehung durch den Beschuldigten zu begründen. Von der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court erhält der Magistrate dabei nur wenig Unterstützung, da der U.S. Supreme Court den Begriff des hinreichenden Tatverdachts bisher noch nie definiert hat und sich auf die "Einschätzung der Umstände des Einzelfalles" zurückzieht75. Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit erforderlich ist als ein bloßer Verdacht, jedoch andererseits nicht diejenige Überzeugung, die zur Verurteilung nötig ist 76 . Zwischen diesen beiden Extrempositionen ist der Begriff des hinreichenden Tatverdachts in der Praxis anzusiedeln. Fest steht darüberhinaus, daß, im Vergleich zum Begriff "dringender Tatverdacht" nach § 112 1,1 StPO, ein deutlich geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit genügt. In einigen Fällen ließ der U.S. Supreme Court eine bloß 50% oder sogar darunterliegende Wahrscheinlichkeit genügen. In Texas v. Brown 77 stellte er fest, daß "hinreichender Tatverdacht" nicht verlangt, daß eine solche Annahme eher richtig oder mehr wahrscheinlich wahr als falsch sein müsse, nach Illinois v. Rodriguez78 müsse die Ein7 5

Illinois v. Gates, 463 U.S. 1237 (1983).

7 6

Brinegar v. United States, 338 U.S. 160, 175; 93 L.Ed. 1879 (1949).

7 7

Texas v. Brown, 460 U.S. 730, 742 (1983).

7 8

Illinois v. Rodriguez, 110 S.Ct. 2793, 2799 (1990): What is generally demanded of the many factual determinations that must regularly be made by agents of the government ... is not that they always be correct, but that they always be reasonable.

II. Haftbefehl

23

Schätzung lediglich vernünftig 79 sein. So durften zwei Personen, die gleich verdächtig sind, aber von denen nur eine die Tat begangen haben konnte, beide verhaftet werden. In anderen Entscheidungen wandte der U.S. Supreme Court den sogenannten "mehr-wahrscheinlich-als-nicht M-Maßstab80 an 81 . Dies hat zur Konsequenz, daß im obigen Beispiel bei zwei (oder mehr) gleich verdächtigen Personen, von denen aber nur eine die Tat begangen haben kann, keine verhaftet werden darf.

3. Entscheidung des Magistrate im Simpson Fall Im O.J. Simpson Fall ist davon auszugehen, daß dem zuständigen Magistrate die Bejahung hinreichenden Tatverdachts nicht schwerfiel, da gewichtige Gründe für eine Tatbeteiligung von O.J. Simpson sprachen. So wurde sowohl am Tatort als auch im Simpson Anwesen jeweils ein blutiger Handschuh gefunden, welche beide zusammen augenscheinlich zum gleichen Paar gehörten. Mr. Simpson hatte für die Tatzeit (zwischen 21.45 und 22.50 Uhr am 12.06.94) kein überprüfbares Alibi, behauptete jedoch, zu Hause geschlafen zu haben. Für 23.00 Uhr hatte er eine Limousine bestellt, die ihn zum Flughafen brachte, wo er einen Flug nach Chicago nahm. Noch in der Mordnacht fand die Polizei am Türgriff des vor seinem Anwesen abgestellten und von ihm benutzten, weißen Ford Bronco Blutspritzer. Bluttropfen wurden auch auf der Auffahrt zum Hauseingang sowie im Foyer seines Hauses gefunden. Ferner hatte sich Mr. Simpson in der Nacht mehrere Schnittwunden an der Hand zugefügt, an deren Ursachen er sich (zunächst) nicht mehr erinnern konnte. Lediglich eine der Schnittwunden wollte er sich zugefügt haben, als er in seinem Chicagoer Hotelzimmer vor Schreck ein Glas fallen ließ, nachdem er von der Polizei über die Ermordung seiner Ex-Ehefrau telefonisch unterrichtet worden war. Ferner lagen dem Magistrate noch weitere belastende Umstände vor. Zwar waren die genannten Umstände nur Indizien, von denen erwartet werde mußte, daß zumindest einige davon im weiteren Verlauf der Ermittlungen widerlegt werden würden. Vorstellbar war zum Beispiel, daß sich 79 Reasonable. 8 0 81

More-Probable-Than-Not Test.

Johnson v. United States, 333 U.S. 10, 92 L.Ed. 436 (1948); Mallory v. United States, 354 U.S. 449, 1 L.Ed.2d 1479 (1957); Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963).

24

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

nach einer Blutuntersuchung herausstellt, daß die Blutspritzer weder von den Opfern noch von O.J. stammten. Maßgebender Zeitpunkt zur Bestimmung des hinreichenden Tatverdachts ist jedoch der Zeitpunkt, in dem der Haftbefehl erlassen wurde. Bei Anwendung des "mehr wahrscheinlich als nicht"-Maßstabs sprachen zu jenem Zeitpunkt am 17.06.94 die überwiegenden Gründe für eine mögliche Tatbegehung durch O.J. Simpson und damit für den Erlaß des Haftbefehls.

4. Verwertungsverbote im Haftbefehlsverfahren Fraglich ist jedoch, ob der Magistrate alle ihm vorliegenden, belastenden Umstände bei Erlaß eines Haftbefehls berücksichtigen darf. Allgemeiner formuliert betrifft dies die Frage, ob ein Haft- oder auch Durchsuchungsbefehl nur aufgrund von Informationen ergehen darf, die auch im Hauptverfahren verwertbar wären. Während dies der deutschen Rechtslage entspricht und auch der U.S. Supreme Court in seiner früheren Rechtsprechung82 hiervon ausging, ist dies nach der neueren amerikanischen Rechtsprechung nicht mehr erforderlich. Beweise, die im Hauptverfahren vor Gericht unzulässig wären, wie etwa der Beweis vom Hörensagen83 oder das Strafregister einer Person84, können herangezogen werden, um hinreichende Wahrscheinlichkeit zu begründen. In Brinegar v. United States85 begründet dies der U.S. Supreme Court damit, daß man es bei der Bestimmung des hinreichenden Tatverdachts mit Wahrscheinlichkeiten zu tun habe. Diese seien nicht technische, sondern tatsächliche und praktische Erwägungen des täglichen Lebens, in dem vernünftige und verständige Leute, nicht Gesetzestechniker, handelten. Die Beweisanforderungen müssen daher dem entsprechen, was zu beweisen sei. Im weiteren Verlauf des Verfahrens war die Frage der Verwertbarkeit von Informationen und Beweisstücken heftig umstritten. Die Verteidigung argumentierte, daß der erwähnte blutige Handschuh und die Blutspritzer auf dem Anwesen einem Beweisverwertungsverbot unterlägen, da sie das Resultat

8 2

Grau v. United States, 287 U.S. 124, 77 L.Ed.2d 212 (1932).

83

Hearsay.

8 4

Von den immer zahlreicheren Ausnahmen von diesen Beweisverboten soll hier zunächst abgesehen werden. 85

Brinegar v. United States, 338 U.S. 160, 93 L.Ed.2d 1879 (1949).

II. Haftbefehl

25

einer illegalen Durchsuchung seien. Dieses Problem wird im entsprechenden Zusammenhang noch ausführlich behandelt werden. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Haftbefehls kommt es nicht darauf an, ob die Beweisstücke tatsächlich einer illegalen Durchsuchung entstammten, da, wie gezeigt, auch im Hauptverfahren unverwertbare Beweise bei Erlaß eines Haftbefehls berücksichtigt werden dürfen.

5. Vergleich mit dem deutschen Recht Im Gegensatz zum deutschen Recht, wonach Voraussetzung zum Erlaß eines Haftbefehls grundsätzlich ist, daß - dringender Tatverdacht besteht, § 112 1,1 StPO, - ein Haftgrund vorliegt, §§ 112 1,1, II, 112 a StPO und - die Untersuchungshaft zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis steht, § 112 1,2 StPO, prüft der Magistrate im amerikanischen Recht nur, ob hinreichender Tatverdacht besteht, § 813 (a) P.C. In der amerikanischen Rechtsprechung herrscht die Auffassung vor, daß, mit Ausnahme von unbedeutenden Verkehrsverstößen, Festnahme und Haft der normale Weg ist, ein Strafverfahren einzuleiten86. Dies wird damit begründet, daß bei Anhaltspunkten einer Straftat durch einen Tatverdächtigen das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Gesetze das Freiheitsinteresse des Individuums überwiegt. Es findet damit bei Erlaß eines Haftbefehls weder eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt noch muß ein Haftgrund (i.S.d. deutschen Rechts) vorliegen. Die weniger einschneidende Alternative zum Erlaß eines Haftbefehls wäre die richterliche Anordnung, daß der Beschuldigte zu einem bestimmten Termin vor Gericht erscheinen muß 87 , § 813 P.C. Diese kann jedoch nur auf ausdrücklichen Antrag der Staatsanwaltschaft ergehen und ist an zahlreiche Voraussetzungen gebunden. Interessant ist, daß im vorliegenden Fall, in welchem im Haftbefehl dem Tatverdächtigen zweifacher Mord zur Last gelegt wurde, auch im deutschen Recht ein Haftbefehl unter erleichterten Voraussetzungen erlassen werden 8 6

LaFave! Israel, Criminal Procedure, S. 172.

8 7

Summons.

26

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

kann. Nach dem Wortlaut des § 112 III StPO darf bei Mord die Untersuchungshaft auch dann angeordnet werden, wenn kein Haftgrund im Sinne des Abs. 2 des § 112 StPO besteht. Insoweit entspricht diese gesetzliche Regelung auf den ersten Blick der kalifornischen Rechtslage. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung jedoch eingeschränkt88. Wäre die alleinige Voraussetzung für die Anordnung der U-Haft, daß ein dringender Mordverdacht besteht, so wäre die U-Haft im Ergebnis eine vorweggenommene Strafe und damit auch nicht mit der Unschuldsvermutung, welche aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt (Art. 20 III GG), vereinbar. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 112 III StPO müssen auch hier Umstände vorliegen, die die Gefahr begründen, daß ohne die Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte. Die Besonderheit des § 112 III StPO liegt damit darin, daß die strengen Voraussetzungen der Haftgründe gelockert werden. Das Vorliegen eines Haftgrundes muß nicht mit "bestimmten Tatsachen" belegt sein, vielmehr reicht es aus, daß eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr nach den Umständen des Falles nicht auszuschließen ist 89 . Hinsichtlich der enumerati ν in § 112 III StPO aufgeführten Straftaten ging damit der deutsche Gesetzgeber von ähnlichen Erwägungen wie Gesetzgebung und Rechtsprechung in den USA aus, indem bei diesen mit langen Freiheitsstrafen bewehrten, schwersten Straftaten das öffentliche Interesse an der Durchführung des Strafverfahrens das Freiheitsinteresse des Beschuldigten überwiegt. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch die deutsche Regelung, wohl mehr im Wege der Umdeutung als der Auslegung, wie Roxin zutreffend anmerkt 90 -, wieder auf den Boden des Rechtsstaatsprinzips und insbesondere der Unschuldsvermutung, welche ja gerade bei dem Verdacht schwerster Straftaten gelten muß, zurückgeholt. Dieser Schritt wurde bisher von der amerikanischen Rechtsprechung nicht vollzogen. Vergleicht man, ob im vorliegenden Fall auch nach deutschem Recht ein Haftbefehl erlassen worden wäre, so ist dies wohl uneingeschränkt zu bejahen. Der dringende Mordverdacht ergab sich aus den zahlreichen von der Polizei ermittelten Indizien, welche auf Simpson als Täter deuteten. Ferner bestand Fluchtgefahr, da der Beschuldigte einerseits eine lebenslange Freiheitsstrafe zu erwarten hatte und andererseits über die finanziellen Mittel 8 8

BVerfGE 19, 342 ff.

8 9

Kleinknecht/Janischowsky, Das Recht der Untersuchungshaft, S. 29; Kleinknecht/Meyer-Goß ne r, Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 37. 90

Roxin, Strafverfahrensrecht, § 30 Β II c.

II. Haftbefehl

27

und Kontakte verfügte, um sich jederzeit in einen anderen Bundesstaat oder ins Ausland abzusetzen. So führte Simpson konkret bei der berühmt gewordenen Verfolgungsfahrt über die Stadtautobahnen von Los Angeles in seinem Fahrzeug 10.000 US-Dollar Bargeld, Pässe, eine scharfe Schußwaffe sowie einen falschen Bart mit sich. Damit lagen nicht nur die Voraussetzungen des § 112 III StPO vor, sondern auch die des § 112 II StPO, welche nebeneinander bestehen können.

6. Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls Eine wesentliche Rolle spielt im amerikanischen Recht (wie auch im deutschen) die Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung91.

a) Bedeutung der Sicherheitsleistung Nach § 815 a P.C. soll der Magistrate bereits bei Erlaß des Haftbefehls die Höhe der Sicherheitsleistung festsetzen, die nach seiner Einschätzung ausreichend ist, um die Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren zu gewährleisten. In geeigneten Fällen, d.h. in der Regel bei minder schweren Straftaten, kann der Tatverdächtige auch gegen das bloße Versprechen, vor Gericht zu erscheinen92, auf freien Fuß gesetzt werden, §§ 1270, 1318 f. P.C. Die Frage der Haftentlassung gegen Kaution wird als so bedeutend angesehen, daß sie im 8. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten ausdrücklich geregelt ist. Danach darf keine unverhältnismäßige Sicherheitsleistung verlangt werden 93. Eine gleichlautende Regelung ist in Art.l § 12 (c) S.2 der kalifornischen Verfassung enthalten. Nach § 1271 P.C. hat ein Beschuldigter Anspruch auf Aussetzung des Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung, sofern nicht § 1270.5 P.C. eingreift. Dieser bestimmt, daß im Falle von Kapitalverbrechen, die mit dem Tode strafbar sind, keine Aussetzung gegen Sicherheitsleistung erfolgen kann, wenn der Beweis der Schuld offensichtlich oder deren Annahme groß ist 94 . 91

Bail.

9 2

Recognizance; dies kann auch von Bedingungen wie Meldepflicht u.a. abhängig gemacht werden, § 1318 (a) P.C. 93

8th Amendment to the U.S. Constitution: Excessive bail shall not be required.

94

§ 1270.5 S.l P.C.: A defendant charged with an offense punishable with death

28

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Eine entsprechende Vorschrift findet sich in Art.l § 12 (a) und Art.l § 28 (e) der kalifornischen Verfassung. Im Ergebnis bedeutet dies, daß bei hinreichenden Mordverdacht der Erlaß eines Haftbefehls zwingende Folge ist und eine Außervollzugsetzung nicht möglich ist.

b) Simpson Fall: Unaussetzbarkeit bei Kapitalverbrechen Im Simpson Fall ging der Magistrate davon aus, daß hinreichender Mordverdacht bestand. Daher wurde sowohl bei Erlaß des Haftbefehls als auch bei der ersten Anhörung nach der Verhaftung eine Aussetzung gegen Sicherheitsleistung versagt.

c) Haft vor Verurteilung

contra Unschuldsvermutung

Die Vorschrift des § 1270.5 P.C., wonach bei Kapitalverbrechen keine Kautionsstellung zulässig ist 95 , wird damit begründet, daß die in diesen Fällen generell hohe Fluchtgefahr die Ausnahme vom Grundsatz der Freiheit des Angeklagten bis zur Verurteilung rechtfertige 96. Gleichwohl ist diese Bestimmung sehr problematisch im Hinblick auf die Unschuldsvermutung97, die in der Rechtsstaatsgarantie98 des 14. Zusatzartikels der U.S. Verfassung enthalten ist 99 . Obgleich nach Bell v. Wolfish 100 die Unschuldsvermutung erst ab dem gerichtlichen Hauptverfahren eingreift, hat der U.S. Supreme Court in Stack v. Boyle 101 ausgesprochen, daß die Unschuldsvermutung ihre Bedeutung verlieren würde, wenn nicht grundsätzlich das Recht auf Aussetzung des Haftcannot be admitted to bail, when proof of his or her guilt is evident or the presumption thereof great. § 1271 P.C.: If the charge is for any other offense, he may be admitted to bail before conviction, as a matter of right. 95

Nonbailable Offenses.

96

Dressier , Understanding Criminal Procedure, S.395.

97

Presumption of Innocence.

9 8

Due Process Clause.

99

In Re Winship, 397 U.S. 358 (1970).

100

Bell v. Wolfish, 441 U.S. 520, 523 (1979).

101

Stack v. Boyle, 342 U.S. 1, 4 (1951).

II. Haftbefehl

29

befehls gegen angemessene Sicherheitsleistung und die Freiheit des Beschuldigten vor der Verurteilung gewährleistet würde. Dennoch verstoße eine Bestimmung wie § 1270.5 P.C. nicht gegen die Rechtsstaatsgarantie, da die Untersuchungshaft 102 keine Strafe darstelle, sondern anderen Zwecken diene, nämlich Sicherung der Durchführung des Strafverfahrens, Vorbeugung einer Fluchtgefahr, Verhinderung der Beeinflussung von Zeugen und der Vernichtung von Beweisen sowie Vorbeugung möglicher weiterer Straftaten 103. Diese öffentlichen Interessen überwiegen im Falle von Kapitalverbrechen das Freiheitsinteresse des Inhaftierten und rechtfertigen daher die generelle Versagung einer Kaution gemäß § 1270.5 P.C., in den übrigen Fällen seien sie in die Abwägung hinsichtlich der Kautionshöhe einzustellen.

d) Die amerikanischen "öffentlichen Interessen " und die deutschen "Haftgründe " Die genannten öffentlichen Interessen entsprechen damit inhaltlich weitgehend den Haftgründen des deutschen Rechts, § 112 1,11 StPO, nämlich Flucht bzw. Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr und Gefahr weiterer erheblicher Straftaten, § 112 a I StPO. Das deutsche Recht geht von einer zweistufigen Prüfung aus. Zunächst wird schon bei Erlaß des Haftbefehls geprüft, ob ein Haftgrund besteht. Sodann erfolgt nochmals eine Abwägung des öffentlichen Interesses, die Durchführung des Verfahrens zu sichern, mit dem Freiheitsinteresse des Beschuldigten bei der Frage der Außervollzugsetzung des Haftbefehls, § 116 StPO. Im Ergebnis werden im amerikanischen wie im deutschen Recht entsprechende Interessen berücksichtigt, wenn auch im amerikanischen Recht erst bei der Frage der Aussetzung gegen Sicherheitsleistung. Beide Rechtsordnungen versuchen dadurch das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und dem Interesse der Rechtsgemeinschaft an einer wirksamen Verbrechensbekämpfung gerecht zu werden.

102 pretrial Detention, Arrest. 103

United States v. Salerno, 481 U.S. 739 (1987).

30

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

e) Die Außervollzugsetzung

aus rechtsvergleichender

Sicht

Beide Rechtsordnungen gehen bei der Frage der Außervollzugsetzung an sich von der gleichen Prämisse aus: Kann die Durchführung des Verfahrens auch durch weniger einschneidende Maßnahmen als die Vollziehung der Untersuchungshaft sichergestellt werden? Gleichwohl unterscheiden sie sich bei deren gesetzlicher Ausgestaltung ganz erheblich. Nach deutschem Recht ist auch die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls wegen Mordverdachts nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar sieht § 116 StPO die Außervollzugsetzung eines nach § 112 III StPO erlassenen Haftbefehls nicht ausdrücklich vor. Doch verlangt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch in diesem Fall eine Haftverschonung, wenn durch weniger einschneidende Maßnahmen ebenfalls erreicht werden kann, daß sich der Beschuldigte dem Verfahren nicht entzieht und auch keine Verdunklungsmaßnahmen trifft. Im Ergebnis läßt sich damit sagen, daß das deutsche Recht auch bei schwersten Straftaten noch den eigentlichen Zweck der Untersuchungshaft, nämlich die Durchführung des Verfahrens zu sichern, verfolgt und nicht unbesehen allein auf die Schwere der Tat abstellt. Demgegenüber wird zwar im amerikanischen Recht immer wieder das Freiheitsrecht des Beschuldigten betont, ein Anspruch auf Außervollzugsetzung gesetzlich festgelegt und sogar in der Verfassung die Frage der Sicherheitsleistung aufgenommen. Bei schwersten Straftaten werden diese Maßstäbe ebenso wie der Grundsatz, daß die Untersuchungshaft dazu dient, die Durchführung des Verfahrens zu sichern, vollständig aufgegeben. Allein unter Hinweis auf die öffentlichen Interessen ist in diesen Fällen der Erlaß eines Haftbefehls zwingend vorgeschrieben und dessen Außervollzugsetzung ausgeschlossen. Eine Prüfung, ob die öffentlichen Interessen eine Vollziehung des Haftbefehls wirklich erfordern, findet nicht statt. Damit wird die Untersuchungshaft in diesen Fällen zu nichts anderem als zu einem Mittel, den Beschuldigten bis zum Verfahrensabschluß wegzusperren. Ein derartiges Vorgehen ist jedoch mit der Unschuldsvermutung, den Freiheitsrechten eines Beschuldigten und dem Rechtsstaatsprinzip nicht mehr vereinbar.

III. Erste Vorführung vor Gericht

31

I I I . Erste Vorführung vor Gericht 1. "Ohne unnötige Verzögerung" Gemäß § 825 (a)(1) l.Hs. P.C., Art.l § 14 Cal.Const. muß der Beschuldigte nach seiner Verhaftung ohne "unnötige Verzögerung" 104 vor den Magistrate gebracht werden, spätestens jedoch innerhalb von 2 Tagen, Sonnund Feiertage ausgenommen. Nach § 825 (a)(1) 2.Hs. P.C. kann die Vorführung weiter hinausgeschoben werden, wenn die 2-Tages-Frist zu einem Zeitpunkt außerhalb der "Gerichtsstunden" des Magistrate abläuft. Die Vorführung braucht dann erst während der nächsten gewöhnlichen Gerichtsstunden stattzufinden 105. Nach seiner Verhaftung am Freitag abend wurde O.J. Simpson am Montag morgen fristgerecht vor den Magistrate des Municipal Court of Los Angeles, Richterin Patti Jo McKay, vorgeführt. Diese erste Anhörung vor Gericht wird meist als First Appearance Before the Magistrate bezeichnet. Entsprechende Bezeichnungen sind Initial Arraignment , Arraignment On a Warrant , Arraingment On a Complaint , Presentment oder einfach First Appearance. Der Sprachgebrauch ist hier nicht einheitlich. Ab diesem Zeitpunkt ist der Tatverdächtige formell ein Angeklagter 106, § 685 P.C.

2. Verfolgte Ziele Dieser "erste Termin" dient mehreren Zwecken:

a) Identitätsfeststellung Zunächst wird die Identität des Angeklagten festgestellt.

104

Unnecessary Delay.

105

§ 825 (a) P.C.: ... the defendant must in all cases be taken before the magistrate without unnecessary delay, and, in any event, within two days after his or her arrest, excluding Sundays and holidays; provided however, that when the two days prescribed herein expire at a time when the court in which the magistrate is sitting is not in session, such time shall be extended to include the duration of the next regular court session on the judicial day immediately following. 106

Defendant.

32

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

b) Information

über Tatvorwurf

Sodann wird der Angeklagte über die ihm zur Last gelegte Tat, welche zugleich den Grund der Haft darstellt, informiert, §§ 858 S.l, l.Alt., 859 P.C., was meist durch Verlesung der Strafanzeige geschieht. Hieraufhat der Angeklagte sogar ein verfassungsmäßiges Recht, Art.l § 14 S.3 Cal.Const.

c) Belehrung über Rechte Es folgt die Belehrung des Angeklagten über seine Rechte, insbesondere über sein Recht, nicht zur Sache auszusagen, das sogenannte Privilege Against Self-Incrimination des 5. Zusatzartikels der U.S. Verfassung, Art.l § 15 Cal.Const., verbunden mit der Warnung, daß alles, was er vor Gericht oder gegenüber der Polizei aussagt, gegen ihn verwandt werden könne. Ferner wird er über sein Recht informiert, sich einen Anwalt zu nehmen, sowie daß, sofern er sich keinen leisten kann, ein solcher für ihn bestellt werde, §§ 858 S.l, 859 S.2 P.C., 6. Zusatzartikel U.S. Verfassung, Art.l § 14 S.3 Cal.Const. Falls der Angeklagte noch nicht anwaltlich vertreten ist, wird ihm Zeit gelassen, sich einen Anwalt zu bestellen, bzw. andernfalls wird vom Gericht ein Verteidiger ernannt, § 859 P.C.

d) Plädoyer Liegt dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last, das nicht mit dem Tode bestrafbar ist, wird der anwaltlich vertretene Angeklagte sodann gefragt, ob er auf "schuldig" 107 oder "nicht schuldig" 108 plädiere. e) Terminbestimmung für Vorverfahren Im Falle eines Verbrechens, auf welches der Angeklagte "nicht schuldig" plädierte und bei mit dem Tode strafbaren Kapitalverbrechen setzt der Magistrate sodann einen Termin für das Voranhörungsverfahren 109 fest. Dieses muß innerhalb von 10 Gerichtstagen beginnen, § 859 b P.C., sofern 107

Guilty.

108

Not Guilty.

109

Preliminary Hearing.

III. Erste Vorführung vor Gericht

33

der Angeklagte nicht ausdrücklich auf die Einhaltung dieser Frist verzichtet, § 860 P.C.

f) Haftprüfung Schließlich prüft der Magistrate, ob der Haftbefehl gegen Sicherheitsleistung außer Vollzug gesetzt werden kann. Im Simpson Fall kam eine Kaution nicht in Frage, da, wie bereits ausgeführt, ein nicht zur Kautionsstellung zugelassener Straftatbestand, nämlich Mord, angeklagt war, § 1270.5 P.C.

3. Vergleich mit dem deutschen Recht a) Zeitliche Begrenzungen Im Ergebnis geht damit sowohl das kalifornische Recht 110 als auch das deutsche Recht davon aus, daß ein Untersuchungshäftling "ohne unnötige Verzögerung" im Sinne des § 825 (a)(1) P.C., bzw. "unverzüglich" im Sinne des § 115 I StPO vor den zuständigen Richter gebracht werden muß. In den beiden Rechtsordnungen sind in den jeweils nachfolgenden gesetzlichen Bestimmungen noch genauere zeitliche Eingrenzungen festgelegt. Im Vergleich zum kalifornischen Recht gestattet § 115 a I StPO nur eine kürzere Zeitspanne. Der Untersuchungshäftling ist danach spätestens am Tag nach der Ergreifung einem Richter vorzuführen. Dagegen erlaubt, wie oben bereits ausgeführt, § 825 (a)(1) P.C. eine Vorführung innerhalb von 2 Tagen. In Sonderfällen (Sonn-/Feiertage, Fristablauf nach "Dienstschluß" des Gerichts) kann sich diese sogar um mehrere Tage verzögern. Beispielsweise, wenn der Tatverdächtige an einem Samstag abend, den 02. Juli, um 18.00 Uhr aufgrund Haftbefehls festgenommen wurde, so braucht er nicht am Sonntag vorgeführt zu werden, ebensowenig am Montag, den 4. Juli, da dieser als Unabhängigkeitstag ein Feiertag ist. Die 2 Tagesfrist würde damit erst am Mittwoch um 18.00 Uhr ablaufen. Da dies aber außerhalb der Gerichtsstunden ist, die normalerweise um 16.30 Uhr enden, bräuchte der UHäftling erst am Donnerstag während der Gerichtsstunden und damit ab ca.

110

4 Schnabl

Wie auch das Recht der anderen Einzelstaaten.

34

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

9.00 Uhr vorgeführt zu werden. Im Gegensatz zum deutschen Recht kann sich somit in Sonderfallen eine wesentliche Verzögerung ergeben. Zu beachten ist jedoch immer, daß primär der Häftling ohne unnötige Verzögerung vorzuführen ist, d.h. die obige Berechnung nur eingreift, wenn eine tatsächliche frühere Vorführung aus von der Polizei bzw. dem Sheriff's Office nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich war.

b) Ahnliche Zwecke Parallelen weisen auch die mit der ersten Vorführung in beiden Rechtsordnungen verfolgten Zwecke auf. Entsprechend dem oben 2.a) bis f) beschriebenen Ablauf der "ersten Vorführung" überprüft auch der deutsche Haftrichter bei der ersten Vorführung zunächst die Identität des U-Häftlings mit der im Haftbefehl beschriebenen Person, sodann wird dem Beschuldigten der Gegenstand der Beschuldigung eröffnet, er wird insbesondere über sein Schweigerecht, § 115 III, 1 StPO, und das Recht einen Anwalt hinzuzuziehen belehrt sowie zur Sache vernommen, falls er sich zu den Vorwürfen äußern will. Ebenso wird in diesem Termin die Frage der Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung geprüft, § 116 StPO. Falls die Haft aufrechterhalten wird, schreibt § 115 IV StPO eine Belehrung über mögliche Rechtsbehelfe zwingend vor. Dies ist im kalifornischen Recht nicht vorgesehen. 4. Die "Strafanzeige" Die Grundlage des Haftbefehls und damit auch der ersten Vorführung ist die bereits angesprochene Strafanzeige, die Complaint. Diese warf O.J. Simpson Doppelmord ersten Grades unter besonderen Umständen an Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman vor.

III. Erste Vorführung vor Gericht

35

a) Mord ersten und zweiten Grades Das kalifornische Strafrecht unterscheidet zwischen Mord ersten Grades 111 und Mord zweiten Grades 112, §§ 187, 188, 189 P.C., sowie Totschlag113, § 192 P.C., welcher nochmals in "absichtlich"114, "unabsichtlich"115 und " verkehrsbedingt " 1 1 6 unterteilt wird. Mord ersten Grades wird nach § 190 (a) S.l P.C. mit dem Tode, lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Strafrestaussetzung zur Bewährung oder Freiheitsstrafe von 25 Jahren bis zu lebenslänglich bestraft. Nach § 187 (a) P.C. ist Mord die rechtswidrige Tötung eines Menschen oder eines Fötus in "übler Absicht", der sogenannten Malice Aforethought 111. Malice Aforethought ist ein Begriff des Common Law, entstanden an englischen Gerichten früherer Jahrhunderte 118 und läßt sich im Deutschen nur umschreiben. In den neueren Gesetzen wird damit das subjektive Mordmerkmal bezeichnet, welches teilweise der Absicht aber auch der Wissentlichkeit des deutschen Rechts entspricht 119 1 2 0 . Mord ersten Grades liegt vor, § 189 S.l P.C., wenn eines der folgenden Elemente hinzukommt: - Ausführung des Mordes mittels zerstörerischer Mittel (legaldefiniert in § 12301 P.C.) oder Explosivstoffen (legaldefiniert in § 12000 Health and Safety Code), bewußtem Gebrauch von Munition, die in erster Linie dazu bestimmt ist, Metall und Panzerung zu durchbrechen, mittels Gift, Auflauerung, Qual oder - auf andere willentliche, überlegte und vorgeplante 121 Weise oder 111

Murder of the First Degree.

112

Murder of the Second Degree.

113

Manslaughter.

114

Voluntary.

115

Involuntary.

116

Vehicular.

117

§ 187 (a) P.C.: Murder is the unlawful killing of a human being or a fetus, with malice aforethought. 118

LaFave/Scott,

Criminal Law, S. 605.

119

LaFave/Scott,

Criminal Law, S. 612.

120

Zum Teil wird in den Gesetzen, wie z.B. in § 189 P.C., weiter zwischen ausdrücklicher [express] oder stillschweigender [implied] "Malice" unterschieden. 121

4*

Willful, Deliberate and Premeditated.

36

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

- in Ausführung oder beim Versuch einer Brandstiftung, Vergewaltigung, Carjacking , Raub, Einbruch, schwerer Körperverletzung, Entführung, Zugsabotage oder einer Straftat nach § 286, 288, 288 a, 289 P.C. oder - mittels Abfeuerung einer Schußwaffe in der Absicht eine Person außerhalb des Fahrzeugs zu töten 122 . Alle anderen Fälle von Mord sind Mord zweiten Grades, § 189 S.2 P.C.

b) Strafschärfung:

Tödliche oder gefährliche

Waffe

Da der Doppelmord nach Feststellung der Gerichtsmediziner mittels eines Messer von ca. 15 cm Klingenlänge ausgeführt worden war, - das Messer selbst wurde bisher nicht aufgefunden -, greift § 12022 P.C. ein. Danach wird mit einem zusätzlichen Jahr Freiheitsstrafe bestraft, wer bei der Ausführung oder dem Versuch eines Verbrechens eine tödliche oder gefährliche Waffe gebraucht hat.

c) Strafschärfung:

Besondere Umstände

Schließlich wurde in der Anklageschrift Mord unter besonderen Umständen123 angeklagt. Danach wird Mord ersten Grades mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Aussetzung des Strafrestes auf Bewährung bestraft, wenn einer der in § 190.2 P.C. genannten besonderen Umstände hinzukommt. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß bei Vorliegen besonderer Unstände Mord ersten Grades nur mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Bewährungsmöglichkeit, nicht auch mit Freiheitsstrafe von 25 Jahren bis lebenslänglich, bestraft werden kann. Der besondere Umstand, auf den sich die Anklage hier stützt, ist, daß Simpson mehr als eine Person ermordet haben soll, § 190.2 (a)(3) P.C.

122 Ein neues Phänomen, als "drive-by-shooting" bezeichnet, das in erschreckenden Maße in den amerikanischen Großstädten zugenommen hat und in welches zu einem erheblichen Teil rivalisierende "Gangs" verstrickt sind. 123

Special Circumstances.

III. Erste Vorführung vor Gericht

d) Tötungsdelikte

nach kalifornischem

37

und deutschem Recht

Wie sich zeigt, sind die Unterschiede zwischen den Tötungsdelikten124 nach kalifornischem und nach deutschem Recht erheblich. Dies betrifft sowohl materielle als auch prozessuale Fragen. Das unter juristischen Laien bekannteste Kriterium ist wohl die Möglichkeit der Verhängung der Todesstrafe nach kalifornischem Recht. Im deutschen Recht ist diese bereits von Grundgesetz wegen abgeschafft, Art. 102 GG. Die schwerste Strafe ist hier die lebenslange Freiheitsstrafe. Für Mord ist diese zwingend vorgeschrieben, § 211 StGB. Die deutsche Rechtsprechung unternahm überdies mehrere Vorstöße, auch diese Rechtsfolge einzuschränken. So erhob das Bundesverfassungsgericht 125 u.a. die Forderung, die Merkmale der Heimtücke und der Verdeckungsabsicht einengend auszulegen, was der Große Senat des Bundesgerichtshofs 126 jedoch unterließ und statt dessen auf bedenkliche Weise auf die allgemeine Strafzumessungsvorschrift des § 49 StGB auswich. Ein wesentlicher Unterschied zum kalifornischen Recht ist ferner, daß dort bei Vorliegen der in § 190.2 P.C. genannten "besonderen Umstände" eine Strafrestaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe auf Bewährung nicht zulässig ist und der Verurteilte damit allenfalls einen, in seinen Erfolgsaussichten völlig ungewissen Gnadenantrag an den Gouverneur stellen kann. Demgegenüber setzen die deutschen Gerichte nach § 57 a StGB die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn 1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind, 2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und 3. verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Verurteilte außerhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (und der Verurteilte einwilligt). Ein Großteil der zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen Verurteilten ist damit nach Verbüßung von längstens 20 Jahren wieder auf freiem Fuß. In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht 127 darüberhinaus verlangt, daß bereits das Schwurgericht im (Tenor des) Urteil die Feststellung der Schuldschwere im Sinne des § 57 a Abs. 1, S. 1 Nr. 2 StGB trifft. Diese Entscheidung ist somit den an sich für die Frage der Straf-

124

Homicide.

125

BVerfGE 45, 87 f.

126

GrSenBGH 30, 105.

127

NStZ 92, 484.

38

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

restaussetzung auf Bewährung zuständigen Strafvollstreckungskammern, §§ 454, 462 a StPO, entzogen. Im Ergebnis ist das deutsche Recht damit wesentlich mehr am Interesse des Verurteilten ausgerichtet, seine Freiheit einmal wieder zu erlangen, als das amerikanische. Dieses weist zumal in jüngster Zeit einen entgegengesetzten Trend auf. Die Verschärfung des Strafrechts in den USA umfaßt alle Ebenen der Strafrechtspolitik. Angefangen von der Schaffung neuer Straftatbestände und der Verschärfung vorhandener über die erhebliche Ausdehnung der Straftatbestände, für welche die Todesstrafe verhängt werden kann, bis hin zur häufigeren Vollstreckung der Todesstrafe. Im Wahlkampf '94 für die Wahl des Gouverneurs von Kalifornien standen diese Fragen ganz oben auf der Themenliste der Spitzenkandidaten. Aber auch die Rechtsprechung der obersten Gerichte trägt seit einigen Jahren zu diesem Trend bei. Nach einer als liberal bezeichneten Phase der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court in den sechziger und frühen siebziger Jahren, welche die Stellung des Angeklagten gegenüber dem Staat zu stärken suchte, ist seit den achtziger Jahren eine Umkehrung dieser Tendenz immer deutlicher erkennbar geworden. Obgleich die früheren Entscheidungen nur in wenigen Fällen ausdrücklich aufgegeben 128 wurden, zeichnet sich die gegenwärtige Phase durch eine restriktive Auslegung von Vorschriften zum Schutze des Angeklagten aus, sowie der Schaffung zahlreicher neuer Ausnahmen. Dies hat den praktischen Effekt, daß die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden auf Kosten der betroffenen Tatverdächtigen ausgedehnt wurden.

I V . Grand Jury Eine Besonderheit des amerikanischen Stafrechts ist das Verfahren vor der Grand Jury, § 888 ff. P.C. Diese Institution, die wesentliche und zugleich ganz unterschiedliche Aufgaben innerhalb des Strafverfahrens wahrnimmt, ist im deutschen Recht gänzlich unbekannt. Eine Darstellung und Auseinandersetzung mit ihr ist daher auch aus rechtsvergleichender Sicht von besonderem Interesse.

128 Overruled.

IV. Grand Jury

39

1. Die Doppelrolle der Grand Jury : "Schwert und Schild" Grundlegend ist zunächst die Doppelrolle der Grand Jury, weshalb die Grand Jury oft auch als "Schwert und Schild" des Strafverfahrens bezeichnet wird. Als Schild wegen ihrer Aufgabe als Kontrollinstanz zwischen Staat und Individuum: die Grand Jury entscheidet, ob die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Beweise eine Anklage rechtfertigen. Als Schwert, wegen der weitgehenden Befugnisse der Grand Jury, ermittelnd tätig zu werden 129. Die Grand Jury besteht in Kalifornien aus 23 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bürgern in einen Bezirk mit mehr als 4 Millionen Einwohnern, ansonsten aus 19 Bürgern, § 888.2 P.C. Nach § 682 P.C. kann in Kalifornien ein Verbrechen, für welches der Superior Court zuständig ist, grundsätzlich nur aufgrund Indictment oder Information verfolgt werden. Dabei handelt es sich jeweils um eine besondere Form einer Anklageschrift, welche die ursprüngliche Strafanzeige, die Complaint , ersetzt. § 889 P.C. enthält eine Legaldefinition des Indictment : Diese ist eine schriftliche Anklage, von der Grand Jury dem zuständigen Gericht vorgelegt, in der eine Person einer Straftat angeklagt wird 1 3 0 . Hieraus ergibt sich bereits die Abgrenzung zur Information. Diese Form der Anklageschrift wird von der Staatsanwaltschaft dem Superior Court vorgelegt, § 739 P.C., nachdem eine Voranhörung vor dem Magistrate stattgefunden hat, in welchem dieser aufgrund der ihm vorgelegten Beweise den Beschuldigten der Straftat für hinreichend verdächtig erklärt hat, §§ 738, 872 P.C. Die Staatsanwaltschaft hat somit in Kalifornien die Wahl, welchen Verfahrensweg sie einschlagen will: - Sie kann entweder über die Grand Jury den Erlaß einer Indictment erwirken oder - eine Voranhörung vor dem Magistrate des Municipal Court veranlassen und, falls dieser hinreichenden Tatverdacht bejaht, beim Superior Court 129 Die Ermittlungen betreffen dabei nicht nur Strafverfahren. Nach § 888 S.2 P.C. soll die Grand Jury insbesondere auch solche Zivilangelegenheiten untersuchen, die die Angelegenheiten der örtlichen, öffentlichen Bediensteten, die Schaffung oder Abschaffung von Ämtern, den Erwerb von Behördeninventar sowie Fragen der Amtsführung betreffen. 130 § 889 P.C.: A n indictment is an accusation in writing, presented by the grand jury to a competent court, charging a person with a public offense.

40

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

eine Information einreichen. Welchen Weg die Staatsanwaltschaft wählt, hängt von prozeßtaktischen Erwägungen ab, auf die gleich noch näher eingegangen wird. Der ganz überwiegende Anteil der Anklagen erfolgt als Informations und damit über den Weg der Voranhörung vor dem Magistrate. Demgegenüber beträgt der Anteil der Grand Jury Indictments gewöhnlich nur ca. 5% aller Verbrechens-Strafverfahren 131. Kalifornien wird als "Information-Staat" bezeichnet. Dies sind Staaten, die für alle Verbrechen ein Strafverfahren mittels Information zulassen. Gegenwärtig gibt es in den USA 27 "Information-Staaten" 132. Vier weitere Staaten133 lassen die Information für alle Verbrechen zu, mit Ausnahme derjenigen Straftaten, für die die Todesstrafe oder lebenslange Freiheisstrafe verhängt werden kann. All die genannten Staaten gewähren der Staatsanwaltschaft neben der Information jedoch auch den Weg über die Grand Jury und Indictment. Die verbleibenden 19 Staaten134, gewöhnlich als "Indictment- Staaten" bezeichnet, verlangen für alle Verbrechens-Strafverfahren ein Indictment der Grand Jury. Ebenso ist das Strafverfahren vor den Bundesgerichten ein Indictment- Verfahren. Amerikanische Siedler, die die Idee des Grand Jury- Verfahrens aus England übernahmen, schätzten besonders hoch die Kontrollfunktion der Grand Jury ein, welche dazu dient, ungerechtfertigte Anklagen und die damit für den betroffenen Bürger verbundenen Belastungen zu verhindern. Die Grand Jury kann nämlich nicht nur eine Anklage erlassen, sondern auch den Erlaß einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Anklage ablehnen. Es verwundert daher nicht, daß diese Grand Jury Kontrolle in die Bill of Rights aufgenommen wurde. Der 5. Zusatzartikel zur U.S. Verfassung lautet:

131

LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S.687.

132

Diese Staaten sind: Arkansas, Arizona, Kalifornien, Colorado, Connecticut, Hawaii, Idaho, Illinois, Indiana, Iowa, Kansas, Maryland, Michigan, Misouri, Montana, Nebraska, Nevada, New Mexico, North Dakota, Oklahoma, Oregon, South Dakota, Utah, Vermont, Washington, Wisconsin, Wyoming. 133 134

Diese Staaten sind: Florida, Lousiana, Minnesota, Rhode Island.

Diese Staaten sind: Alabama, Alaska, Delaware, Georgia, Kentucky, Maine, Massachusetts, Mississippi, New Hampshire, New Jersey, New York, North Carolina, Ohio, Pennsylvania, South Carolina, Tennessee, Texas, Virginia, West Virginia.

IV. Grand Jury

41

"No person shall be held to answer for a capital , or otherwise infamous crime , unless on a presentment or indictment of a Grand Jury" 135. Ein "schändliches Verbrechen" 136 wurde in der Entscheidung "ex parte Wilson" 137 als Verbrechen ausgelegt, welches mit dem Tode, Gefängnisstrafe in einer Strafanstalt 138 oder harter Arbeit strafbar sei. Mit der Konsequenz, daß die Indictment-Gaxmtie auf alle Strafverfahren wegen Verbrechen Anwendung fand, für die der Bund zuständig war. Diese Rechtsprechung ist nunmehr in Federal Rule Nr. 7 aufgenommen, wonach alle mit dem Tode oder Gefängnisstrafe von über einem Jahr strafbaren Straftaten aufgrund Indictments zu verfolgen sind 139 . Streit herrschte einige Zeit nur darüber, ob die Indictment-Gaxmtiz des 5. Zusatzartikels der Bundesverfassung auch auf des Recht der Einzelstaaten entsprechend anzuwenden sei. Was bedeutet hätte, daß den Einzelstaaten eine Information-Anklage bzgl. schwerer Straftaten, insbesondere Verbrechen, verwehrt gewesen wäre. Die Frage wurde vom U.S. Supreme Court 1884 in der Entscheidung Hurtado v. California 140 entschieden. Ausgangspunkt war, daß nach vorherrschender Ansicht die Bill of Rights und damit der 5. Zusatzartikel nur auf den Bund und Bundesverfahren anwendbar waren. Es wurde jedoch diskutiert, ob die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels, welche sich auf die Einzelstaaten bezieht, mittelbar das Erfordernis einer Indictment-AiiMdLge enthält 141 . Das Gericht entschied, daß die Rechtsstaatsgarantie nicht implicit eine Indictment-Gdimtit enthalte, wie sie der 5. Zusatzartikel ausdrücklich für das Bundesstrafverfahren vorsehe.

135 Ausgenommen sind einige Militärstraftaten: ... except in cases arising in the land or naval forces, or in the Militaria, when in actual service in time of War or public danger. 136

Infamous Crime.

137

Ex parte Wilson, 114 U.S. 417, 29 L.Ed. 89 (1885).

138

Penitentiary.

139

Federal Rule Nr.7: A n offense which may be punished by death shall be prosecuted by indictment. A n offense which may be punished by imprisonment for a term exceeding one year or at hard labor shall be prosecuted by indictment.... 140 141

Hurtado v. California, 110 U.S. 516, 28 L.Ed. 232 (1884).

14th Amendment to the U.S. Constitution: ... nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law.

42

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Die Rechtsstaatsgarantie umfasse danach nur diejenigen Verfahrensvoraussetzungen, die nötig seien, um die grundlegenden Prinzipien der Freiheit und Gerechtigkeit zu wahren. Eine Kontrolle durch die Grand Jury gehöre nicht dazu. Die Einzelstaaten könnten in ihr Strafverfahren andere, ebenso wirksame Maßnahmen zum Schutz einer Person gegen ungerechtfertigte Anklagen vorsehen. Dies sei in Kalifornien durch die Einführung einer Voranhörung vor dem Magistrate, dem Preliminary Hearing, geschehen. In den Folgejahren nach dieser Entscheidung hat der U.S. Supreme Court in die Bestimmung über die Rechtsstaatsgarantie nahezu alle anderen Strafverfahrensgarantien der Bill of Rights hineininterpretiert und damit diese Garantien auf das Recht der Einzelstaaten anwendbar gemacht, sogenannte "Lehre von der ausgewählten Einbeziehung"142. Zugleich wurde aber immer wieder bestätigt, daß dies nicht für ein Grand Jury Indictment -^xioxâtuàs gelte. Eine Indictment-Anklzge ist damit nicht Voraussetzung eines "fairen Verfahrens" 143. Die Bestimmungen der Staaten, die eine Information-Anklage nach einer Voranhörung zulassen, sind verfassungsgemäß.

2. Vorteile der Grand Jury Was veranlaßt Staatsanwälte dennoch in bestimmten Situationen auf ein Grand Jury Verfahren anstelle der sonst üblichen Voranhörung zurückzugreifen? Während die Voranhörung ein öffentliches Verfahren vor einem Richter ist, in welchem neben der Staatsanwaltschaft der Angeklagte mit seinem Verteidiger anwesend ist und selbst Entlastungsbeweise vorlegen sowie den Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft Fragen stellen kann, findet das Grand Jury Verfahren "hinter verschlossenen Türen" statt.

142

Selective-incorporation Criminal Procedure, S. 44 ff. 143

Due Process.

doctrine;

vgl.

ausführlich

hierzu LaFaveIIsrael,

43

IV. Grand Jury

a) Geheimhaltung Die "Geheimhaltung"144 ist ein typisches Element des Grand Jury Verfahrens. Während einer Verhandlung vor der Grand Jury sind neben den " Grand Jurors" selbst nur noch der Staatsanwalt, ein Protokollführer und gegebenenfalls die jeweils zu vernehmenden Zeugen zugelassen, § 939, § 934 f. P.C. Ein Richter ist nicht anwesend. Weder der Tatverdächtige noch dessen Anwalt haben ein Anwesenheitsrecht. Während der Beratung und Abstimmung sind nur noch die Mitglieder der Grand Jury zugelassen, § 939 S.3 P.C.

b) Befugnis zur zwangsweisen Vorladung

145

Häufig geht die Staatsanwaltschaft vor die Grand Jury, um deren umfassendere Ermittlungsbefugnisse zu nutzen. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Staatsanwaltschaft auf Zeugen zurückgreifen will, die jede Zusammenarbeit verweigern. Zeugen haben keinerlei Verpflichtung, vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft auszusagen und können demzufolge hierzu auch nicht gezwungen werden. Demgegenüber sind Zeugen oft eher geneigt, vor der Grand Jury auszusagen, insbesondere wegen der NichtÖffentlichkeit der Vernehmungen und der damit verbundenen Vertraulichkeit. Dies betrifft vor allem solche Zeugen, die, wenn ihre Aussagen bekannt würden, eine Vergeltung von Seiten der Täter befürchten. Vor allem aber kann die Grand Jury den Zeugen eine förmliche Vorladung zustellen lassen, §§ 939.2, 1326.2 P.C. 1 4 6 . Die Vorladung eines Zeugen zur Aussage wird als subpoena ad testificandum bezeichnet. Soll eine Person verpflichtet werden, Dokumente, Bücher oder Aufzeichnungen vorzulegen, so wird eine subpoena duces tecum erlassen. Die Mißachtung147 einer Vorladung kann sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen haben, § 1331 P.C. 144

Secrecy.

145

Subpoena Authority.

146

Die Grand Jury wendet sich hierzu an einen Richter des Superior Court, welcher zum Erlaß der Subpoena verpflichtet ist. 147

Contempt.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

44

aa) Zivilrechtliche Folge Als zivilrechtliche Folge 148 kann nach § 1218 CCP 1 4 9 eine Geldstrafe 150 bis zu 1000 USD oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Tagen oder beides verhängt werden. Wenn die in der Vorladung bezeichnete Handlung noch nachgeholt werden kann, so kann das Gericht die betreffende Person inhaftieren lassen, solange bis sie die Handlung vornimmt, § 1219 CCP 151 . In beiden Fällen hat das Gericht die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten. Art.l § 10 Cal.Const, schützt Zeugen vor unverhältnismäßigen Inhaftierungen 152.

bb) Strafrechtliche Folge Strafrechtliche Folge wäre eine Strafbarkeit nach § 166 (a)(4)(6) P.C. als Vergehen, wofür § 19 P.C. einen Strafrahmen von bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe im Bezirksgefängnis oder Geldstrafe bis zu 1000 USD oder beides vorsieht.

cc) Meineid Darüberhinaus sagen Zeugen vor der Grand Jury unter Eid aus, welcher vom Obmann der Grand Jury abgenommen wird, § 939.4 P.C. Sagt ein Zeuge wissentlich die Unwahrheit, so macht er sich des Meineids strafbar, § 118 P.C. § 126 P.C. sieht hierfür eine Freiheitsstrafe von zwei, drei oder vier Jahren vor.

148

Civil Contempt.

149

California Code of Civil Procedure.

150

Fine.

151

Entsprechendes gilt für die Pflicht, etwas zu unterlassen.

152

A r t . l § 10 Cal.Const.: Witnesses may not be unreasonably detained.

IV. Grand Jury

45

c) Gewährung von Immunität Eine weitere Möglichkeit, einen Zeugen zur Aussage zu bewegen, ist die Gewährung von Immunität. Nach dem 5. Zusatzartikel i.V.m. der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels der Bundesverfassung "soll niemand in einem Strafverfahren gezwungen werden, ein Zeuge gegen sich selbst zu sein" 153 . Eine entsprechende Bestimmung enthält Art.l § 15 S.2 Cal.Const. Dieses Aussageverweigerungsbzw. Schweigerecht wird als Privileg gegen eine erzwungene Selbstbeschuldigung 154 bezeichnet und ist eine der Grundlagen des amerikanischen wie auch des deutschen Strafverfahrens 155. Zugleich entspricht es aber überkommener Auffassung, daß die Grand Jury weitestgehende Ermittlungsbefugnisse haben muß und sich daher auch jeder Person als Zeugen bedienen können muß. Dieses "Recht auf jedermann's Aussage"156 wurde neben zahlreichen anderen Entscheidungen in Branzburg v. Hayes 157 betont. Danach bestehe dieses Recht der Grand Jury nicht nur aus historischen Gründen, sondern sei für eine geordnete Strafrechtspflege unverzichtbar. Ohne es könnte sich kriminelle Aktivität hinter einer Wand des Schweigens verstecken, die keine Rechtfertigung in einem gesetzlichen Privileg fände, sondern ausschließlich auf dem Wunsch einer Person beruhe, nicht in ein Verfahren verwickelt zu werden, auf der Furcht vor Vergeltung, der Mißbilligung des Strafrechts oder auf einem privaten Ehrenkodex gegen "Verpfeifen". Der Gesetzgeber hat das Problem, einerseits das Verfassungsprivileg gegen erzwungene Selbstbelastung nicht zu verletzen, andererseits im Verlauf eines Strafverfahrens die Befugnis vorzusehen, Zeugen zur Mitarbeit zwingen zu können, derart gelöst, daß er diese Befungnisse der Grand Jury einräumte. Dies entspricht der Tradition der Grand Jury, zum anderen ist die Grand Jury aufgrund ihrer Unabhängigkeit von Gericht und Staatsanwaltschaft, sowie ihrer Zusammensetzung aus "normalen" Bürgern hierzu besonders geeignet. Diese Umstände gewährleisten, daß die Ermittlungen der Grand Jury frei von etwaigem politischen oder öffentlichen Druck ausgeübt werden können, - im 153

5th Amendment U.S. Constitution: ... nor shall [any person] be compelled in any criminal case to be a witness against himself. 154 privilege Against Compelled Self-incrimination. 155

"Nemo tenetur, se ipsum procedere", § 55 StPO.

156

Right to Every Man's Evidence.

157

Branzburg v. Hayes, 408 U.S. 665, 33 L.Ed.2d 626 (1972).

46

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Gegensatz zu Richtern und Staatsanwälten, die grundsätzlich gewählt werden -. Dem Verfassungsprivileg gegen erzwungene Selbstbelastung wurde dadurch Rechnung getragen, daß einem Zeugen, der eine Aussage unter Berufung auf dieses Privileg verweigert, Immunität von zukünftiger Strafverfolgung gewährt werden kann. Sobald dem Zeugen Immunität gewährt wird, kann sich dieser nicht mehr länger auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen, da er keine Strafverfolgung mehr aufgrund seiner ihn selbst belastenden Aussage zu befürchten hat. Nach §§ 939.3, 1324 P.C. ist folgendes Verfahren einzuhalten: Falls sich eine Person weigert, auszusagen oder Beweise vorzulegen, unter Berufung darauf, daß sie sich selbst belasten würde, so stellt der Staatsanwalt einen Antrag an den Superior Court, die betreffende Person zur Aussage bzw. zur Vorlage der Beweise zu verpflichten. Ein Richter am Superior Court lädt daraufhin diese Person zu einer Anhörung "in camera" vor. Kommt der Richter zum Ergebnis, daß die Aussage oder die Vorlage der Beweise weder einem offensichtlichen öffentlichen Interesse widersprechen noch den Zeugen der Gefahr eines Strafverfahrens in einer anderen Gerichtsbarkeit aussetzen würde, so ordnet er an, daß der Zeuge aussagen bzw. die Beweise vorlegen muß. Für die im Rahmen dieser Anordnung dann abgegebene Aussage oder Vorlage von Beweisen kann die betreffende Person nicht strafrechtlich verfolgt werden. Sie genießt Immunität. Anzumerken ist noch, daß Immunität nicht einer Person gewährt werden kann, die lediglich vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft die Aussage verweigert. Da, wie bereits oben ausgeführt, hier keine Verpflichtung zur Kooperation besteht. Eine Aussagepflicht ist aber Voraussetzung und Grundlage der Gewährung von Immunität. Auf der Stufe des Ermittlungsverfahrens ist daher die einzige Möglichkeit der Staatsanwaltschaft, von der Immunitätsgewährung Gebrauch zu machen, die Vorladung des betreffenden Zeugen vor die Grand Jury. Nach § 939.2 P.C. hat die Staatsanwaltschaft ein eigenes Recht auf, gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzende, Vorladung vor die Grand Jury. Die Möglichkeit, zur Erlangung von Informationen, Immunität zu gewähren, wird in der Praxis aus verschiedenen Gründen gebraucht.

IV. Grand Jury

47

Immunität wird häufig im Rahmen organisierter Kriminalität einem "rangniedrigeren" Mittäter oder Teilnehmer gewährt, um "ranghöhere" Täter überführen zu können. In anderen Fällen wird sie gebraucht, um solche Personen zu einer Aussage zu zwingen, die nicht selbst an Straftaten beteiligt sind, aber andere durch ihre Nichtaussage vor einer Strafverfolgung schützen wollen. Solche Zeugen geben häufig vor, sich durch eine Aussage selbst belasten zu würden und berufen sich, unberechtigterweise, auf das Aussageverweigerungsrecht. Da solche Behauptungen schwierig zu widerlegen sind, bevorzugen Staatsanwälte in solchen Fällen einen Antrag an den Superior Court nach § 1324 P.C. Beim Anhörungstermin vor dem Richter muß der Zeuge seine Gründe darlegen. Von den oben genannten Ausnahmen abgesehen, erläßt der Richter daraufhin eine Anordnung zur Aussage. Sollte sich herausstellen, daß der Zeuge sich zu Recht auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen hat, so genießt er Immunität.

d) Psychologischer Faktor Ein weiterer Umstand, der die Staatsanwaltschaft in bestimmten Fällen bewegt, vor die Grand Jury zu gehen, wird als psychologischer Faktor bezeichnet. Dieser hat zwei Zielrichtungen, zum einen in Hinblick auf Zeugen, zum anderen bzgl. der Öffentlichkeit.

aa) Zielrichtung: Zeugen Der von der Grand Jury ausgehende psychologische Druck veranlaßt häufig Zeugen, Informationen zu geben, die sie nicht bereit gewesen waren, vor der Polizei oder der Staatsanwaltschaft abzugeben. Die meisten Zeugen fühlen sich moralisch dazu verpflichtet, vor der Grand Jury ehrlich zu sein, da sie sich mit den Grand Jurors, Laien und Bürger wie sie selbst, identifizieren können. Hinzu kommt der psychologische "Gruppendruck" auf den Zeugen, der allein einer Gruppe von 19 bis 23 Personen gegenübersteht.

48

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

bb) Zielrichtung: Öffentlichkeit Die Grand Jury erfüllt aufgrund ihrer Zusammensetzung aus Laien und Bürgern des Bezirks auch eine wichtige Aufgabe hinsichtlich der Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Strafrechtspflege. Durch die Beteiligung von Laien und deren Kontrollfunktion wird die Integrität des Strafprozesses gewahrt. Dies ist besonders in den Fällen bedeutsam, in denen in der öffentlichen Meinung der Verdacht von Manipulationen oder Bevorzugungen zugunsten bestimmter Angeklagter entstehen könnte. Zu nennen sind hier Strafverfahren gegen Politiker oder andere Personen mit Einfluß oder großer Popularität. Die Öffentlichkeit ist in diesen Fällen besonders mißtrauisch, ob nicht auf den Verlauf des Verfahrens Einfluß genommen wurde, um so mehr dann, wenn das Verfahren eingestellt wurde. Um einem derartigen Verdacht zu entgehen, bringen Staatsanwälte diese Fälle vor die Grand Jury. Gleiches gilt im umgekehrten Fall, wenn damit zu rechnen ist, daß der Angeklagte später behaupten würde, von Polizei und Staatsanwaltschaft im Verfahren hintergangen und daher ungerecht hart bestraft worden zu sein. Um derartigen Behauptungen von vornherein die Grundlage zu entziehen, werden diese Fälle vor die Grand Jury gebracht.

e) Verfahrens-

und Beweiserleichterungen

Weitere Vorteile der Grand Jury bestehen darin, daß diese nicht an die strengeren Verfahrens- und Beweisregeln gebunden ist, welche vor Gericht gelten.

aa) Verfahrensregeln Zunächst gibt sich die Grand Jury ihre Verfahrensregeln selbst, § 916 P.C.

bb) Anwesenheits-, Vorladungs- und Vernehmungsrecht der Staatsanwaltschaft Der Staatsanwalt hat das Recht, jederzeit vor der Grand Jury zu erscheinen und Zeugen zu vernehmen, § 935 P.C. Darüberhinaus hat der Staatsanwalt ein eigenes Recht, Zeugen vor die Grand Jury vorzuladen, § 939.2 P.C.

IV. Grand Jury

49

cc) Eigene Ermittlungen durch die Grand Jury Die Grand Jury ist nicht an die Beweise gebunden, die ihr von der Staatsanwaltschaft vorgelegt werden, sondern kann eigene Ermittlungen anstellen und damit die Kontrolle über die Richtung der Ermittlungen ausüben, § 939.2 P.C. Nach § 939.7 P.C. ist die Grand Jury nicht verpflichtet, Entlastungsbeweise zugunsten des Tatverdächtigen zu hören. Sie soll diese im Rahmen ihrer Ermittlungen jedoch nicht unberücksichtigt lassen, falls sich solche aufdrängen, § 939.7 P.C. Im übrigen hat die Person, gegen die sich die Ermittlungen richten, keinen Anspruch, vor der Grand Jury zu erscheinen oder auszusagen. In einigen Fällen wird diese Person von den Ermittlungen nichts wissen, da die Grand Jury nicht verpflichtet ist, das Ziel oder die Richtung ihrer Ermittlungen offenzulegen. Dies leitet sich aus dem Grundsatz der Geheimhaltung ab. Die Grand Jury hat hier weitestgehendes Ermessen, ob sie die betreffende Person von den Ermittlungen gegen sie benachrichtigt bzw. vor der Grand Jury aussagen läßt.

dd) Sonderberater und -ermittler Auf Verlangen der Grand Jury kann der Generalstaatsanwalt ihr Sonderberater 158 und Sonderermittler 159 zuweisen, deren alleinige Aufgabe es ist, die Grand Jury rechtlich zu beraten und deren Ermittlungsaufträge auszuführen, § 936 P.C. Falls ein Interessenkonflikt mit der Staatsanwaltschaft besteht, können die Sonderberater und -ermittler auch vom Vorsitzenden Richter des Superior Court bestellt werden, § 936.5 P.C. ee) Belehrung und rechtlicher Rat durch Staatsanwaltschaft und Gericht Nach Einrichtung und Vereidigung wird die Grand Jury zunächst vom Gericht über ihre Rechte und Pflichten sowie über die materiellrechtlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen der von ihr untersuchten Taten belehrt. Benötig die Grand Jury im Verlauf ihrer Tätigkeit weiteren rechtlichen Rat, so kann

158

Special Counsel.

159

Special Investigator.

5 Schnabl

50

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens »

sie sich jederzeit an den Staatsanwalt oder auch an das Gericht wenden, § 934 P.C.

ff) Beweisregeln Da die Grand Jury traditionell aus juristischen Laien besteht und ihr möglichst unbeschränkte Ermittlungsmöglichkeiten eingeräumt werden sollen, sind sich Rechtsprechung und Literatur einig, daß die vor Gericht geltenden, strengen Beweisregeln160 nicht in vollem Umfang auf die Grand Jury angewandt werden können. Uneinigkeit besteht jedoch über den Umfang der Anwendbarkeit. Die Mehrheit der Einzelstaaten hält die Beweisregeln nicht für anwendbar 161. Einige Staaten wenden die Beweisregeln grundsätzlich an, sehen aber bestimmte Ausnahmen vor. Zu dieser Gruppe gehört Kalifornien. Nach § 939.6 (a) P.C. sind vor der Grand Jury nur folgende Beweise zulässig: - Zeugenaussagen, - Schriftstücke, Gegenstände oder andere den Sinnen zugängliche Dinge, sowie - unter den Voraussetzungen des § 686 (3) P.C. die Niederschrift einer eidlichen Zeugenaussage162, die nicht vor der Grand Jury, sondern vor einer anderen Stelle abgegeben wurde. In der Regel werden solche früheren Niederschriften verfaßt, um Zeugenaussagen festzuhalten, die später nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Nach § 939.6 (b) P.C. soll sich die Grand Jury nur auf solche Beweise stützen, die auch im Hauptverfahren vor Gericht zulässig wären. Damit ist der Beweis vom Hörensagen grundsätzlich ausgeschlossen, ebenso wie solche Beweise, die einem Beweisverwertungsverbot, insbesondere aufgrund der sogenannten Ausschlußregel163, unterliegen. Die Besonderheit bezüglich der Grand Jury besteht in der Regelung des § 939.6 (b) P.C. Danach ist eine von der Grand Jury erhobene Anklage nicht 160

Rules of Evidence.

161

LaFave/Israel,

162

Deposition.

Criminal Procedure, S. 690.

163 Ausschlußregel, abgeleitet aus der 4th Amendment i.V.m. der Rechtsstaatsgarantie der 14th Amendment.

IV. Grand Jury

51

unwirksam, obwohl unzulässige Beweise verwertet wurden, wenn der Grand Jury auch genügend zulässige Beweise vorlagen, um die Anklageerhebung zu rechtfertigen. Eine entsprechende Unbeachtlichkeitsregel in Bezug auf Urteile wurde in den kalifornischen Penal Code nicht aufgenommen. Um das Problem, wann ein Urteil wegen der Verwertung unzulässiger Beweise aufzuheben ist, rankt sich eine äußerst umfangreiche Rechtsprechung und Literatur, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann 164 . Grundsätzlich läßt sich jedoch sagen, daß bei derartigen Verstößen des Gerichts, insbesondere wenn Verfassungsrechte beeinträchtigt wurden, in der Berufungsinstanz strenge Anforderungen gestellt werden, um das Urteil dennoch aufrechterhalten zu können.

gg) Anscheinsbeweis und Abstimmungsmehrheit Hat die Grand Jury schließlich ihre Ermittlungen abgeschlossen, beginnt die Beratungsphase, ob Anklage erhoben werden soll. Auch hier gelten für die Grand Jury im Verhältnis zur sogenannten "Petit Jury", womit die 12 Geschworenen im Urteilsverfahren bezeichnet werden, Erleichterungen. Während die Petit Jury nur verurteilen kann, wenn sie den Angeklagten für schuldig jenseits eines vernünftigen Zweifels befindet 165 und hierfür eine einstimmige Entscheidung erforderlich ist, kann die Grand Jury bereits Anklage erheben, wenn die gesamten ihr vorliegenden Beweise, falls "unerklärt oder unwidersprochen", aus ihrer Sicht für eine Verurteilung im Hauptverfahren ausreichen würden, § 939.8 P.C. 1 6 6 . Dies wird als prima-facie-Beweisstandard bezeichnet167. Andere Einzelstaaten und auch der Bund lassen "hinreichende Wahrscheinlichkeit" 168 genügen.

164 V

g l

h i e r z u LaFave! Israel, Criminal Procedure, S. 1160.

165

Guilty Beyond a Reasonable Doubt, § 1096 P.C. 166 g 939.8 P.C.: The grand jury shall find an indictment when all the evidence before it, taken together, if unexplained or uncontradicted, would, in its judgement, warrant a conviction by a trial jury. 167 168

*

LaFave!Israel, Criminal Procedure, S. 691. Probable Cause.

52

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Da für eine Verurteilung eine Überzeugung jenseits eines vernünftigen Zweifels bestehen muß, erfordert der prima-facie-Beweis ein geringfügig höheres Maß an Überzeugung als der bloße "hinreichende Wahrscheinlichkeit"-Standard. Diese Unterscheidung hat in der Praxis wenig Bedeutung, da die Überzeugungsbildung durch die Grand Jurors nur sehr eingeschränkt vom Gericht überprüfbar ist. Das Gericht kann seine eigene Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung nicht an die Stelle der Grand Jurors setzen. Falls die Schlußfolgerungen der Grand Jurors aufgrund der Beweise möglich sind, so haben sie Bestand und sind nicht angreifbar 169. Bei der Abstimmung über die Anklageerhebung reichen 14 Grand Jurors ÛUS, falls die Grand Jury aus 23 Mitgliedern besteht, ansonsten genügen 12 Grand Jurors™, § 940 P.C.

hh) Befugnis zur Nichtigerklärung Schließlich ist noch eine Besonderheit zu erwähnen, die so ganz im Gegensatz zum deutschen Legalitätsprinzip steht. Selbst dann, wenn die für die Anklageerhebung an sich nötigen Beweise vorliegen, braucht die Grand Jury nicht anzuklagen. Hält sie eine Anklage für ungerecht oder unangemessen im Hinblick auf die Umstände des konkreten Falls, so kann sie die Anklageerhebung ablehnen. Diese Befugnis wird als Authority to Nullify bezeichnet171 und wird oft als das bedeutendste Merkmal der Grand Jury bezeichnet, welches die Verfassungsväter veranlaßt habe, auf die Aufnahme der Grand Jury in die Bill of Rights 172 zu bestehen173. Die Befugnis zur Nichtigerklärung ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, sondern beruht noch auf dem Common Law. Lehnt die Grand Jury eine Anklageerhebung ab, so ergeht eine "Ignoramus"-Entscheidung174 oder eine sogenannte No Bill. Entscheidet sich die Grand Jury dagegen für eine Anklageerhebung, so wird der ihr in der Praxis von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Anklageentwurf 169 g 995 p

C

)

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 23.6.

170

Im Falle einer Grand Jury aus 19 Jurors, § 888.2 P.C.

171

Die gleiche Befugnis steht im übrigen der Petit Jury bei der Urteilsfindung zu.

172

Nämlich in die 5th Amendment U.S. Const.

17 3

LaFave/Israel,

174

We ignore it.

Criminal Procedure, S. 692.

IV. Grand Jury

53

gebilligt und als sogenannte True Bill bezeichnet, § 940 S.2 P.C. Diese wird vom Obmann der Grand Jury unterzeichnet, § 940 S.2 P.C., um die Namen der vernommenen Zeugen ergänzt, § 943 P.C., und dem Gericht vorgelegt.

3. Gerichtliche Aufsichtsbefugnis und Entlassungsantrag Obgleich die Grand Jury bei der Ausübung der eben beschriebenen Befugnisse weitestgehende Freiheit hat, ist ein weiteres Merkmal der Grand Jury, daß sie letztlich unter gerichtlicher Kontrolle steht.

a) Grand Jury als Arm des Gerichts Die Grand Jury wird zwar gelegentlich als unabhängiges Organ beschrieben, das seine Befugnisse aus dem Volke selbst ableitet, nach überwiegender Auffassung wird sie jedoch als "Arm des Gerichts" charakterisiert, von welchem sie bestellt wurde 175 . So merkt der U.S. Supreme Court in Brown v. United States176 an: "Die Grand Jury ist in zahlreichen Bereichen mit großer Unabhängigkeit ausgestattet, aber sie bleibt ein Anhang des Gerichts, machtlos, ihre Ermittlungsfunktion ohne Hilfe des Gerichts auszuüben, da sie selbst nicht die Macht besitzt, Zeugenaussagen zu erzwingen. " Aufgrund dieses Verhältnisses besitzt das Gericht eine Aufsichtsbefugnis 177 über die Grand Jury. Während sich nach früherer Ansicht die Aufsichtsbefugnis auf alle Aspekte der Grand Jury-Tätigkeit erstreckte, -mit Ausnahme der Entscheidung, Anklage zu erheben -, wurde im Laufe der Zeit die gerichtliche Kontrolle bzgl. weiterer Kernbereiche durch Gesetzgebung und Rechtsprechung eingeschränkt. So können z.B. nach §§ 909, 910 P.C. Grand Jurors vom Gericht nur unter sehr engen Voraussetzungen abgelehnt werden.

175

An arm of the court by which it is appointed, LaFave/Israel, Procedure, S. 389. 176

Criminal

Brown v. United States, 359 U.S. 41, 3 L.Ed.2d 609 (1959): A grand jury is clothed with great independence in many areas, but it remains an appendage of the court, powerless to perform its investigative function without the court's aid, because powerless itself to compel the testimony of witnesses. 177

Judiciary Supervision.

54

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

b) Vorzeitige Auflösung wegen Publizität? Im O.J. Simpson stellte sich die Frage, ob das Gericht die Grand Jury vorzeitig, d.h. noch während deren Ermittlungen und damit vor einer Anklageerhebung, auflösen durfte.

aa) Beeinflussende Medienberichte? Das Verfahren gegen O.J. Simpson wurde von der Staatsanwaltschaft bereits wenige Tage nach Entdeckung des Doppelmordes vor die Grand Jury gebracht, welche im unmittelbaren Anschluß daran began, Zeugen anzuhören. Wie in der Praxis üblich, lenkte die Staatsanwaltschaft das Grand Jury Verfahren. Die Zeugen wurden von ihr benannt und vernommen und die Ermittlungsergebnisse der Grand Jury präsentiert. Aufgrund des Geheimhaltungsgrundsatzes fand das Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit sowie des Tatverdächtigen, Simpson, statt. Ebensowenig war ein Richter anwesend. Diese Vorgehensweise steht im Einklang mit dem Gesetz, §§ 939, 934 P.C. Andererseits riefen die Tat und die sich anschließenden Ermittlungen ein immenses Medieninteresse hervor. Sämtliche bedeutenden Fernsehstationen in den USA berichteten stundenlang live über die neuesten Entwicklungen im "Simpson-Fall". Allein CNN sendete in den ersten Wochen über 60 Stunden live. Zeitungen widmeten tagtäglich ihre Schlagzeilen den neuesten Entwicklungen. Nach Ansicht vieler Beobachter zog das Verfahren die größte jemals dagewesene Medienberichterstattung in einem einzelnen Kriminalfall auf sich 178 . Der Erfolgsdruck und die Konkurrenz, unter der die Presseleute stehen, führte dazu, daß jedem noch so unbedeutenden Gerücht nachgegangen wurde und unzählige Spekulationen über Tathergang und die Frage der Schuld oder Unschuld von "O.J." seitenlang publiziert wurden. Den Spekulationen wurden noch durch Pressekonferenzen von Seiten der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft neuer "Nährboden" gegeben.

178

So auch Verteidiger Robert Shapiro in seiner Stellungnahme vor Gericht am 09.08.94.

IV. Grand Jury

55

Hinzu kamen die Veröffentlichungen von immer neuen Details, welche sich auf "anonyme aber zuverlässige Polizeiquellen aus dem Umfeld der Ermittler" stützten, von denen sich aber nicht sagen ließ, ob sie wahr oder falsch waren. Journalisten und Fernsehteams stellten ihre eigenen Nachforschungen an, fanden "Zeugen" und bezahlten diesen fünfstellige Summen für Exklusivberichte. Der Tatort und die Simpson Villa wurden begehrte Ausflugsziele für Schaulustige und mußten rund um die Uhr von Polizisten gesichert werden. Es wurden Umfragen veröffentlicht, aus denen sich ergab, daß die Mehrheit der weißen Bevölkerung "O.J." für schuldig hielt, während ein größerer Prozentsatz der schwarzen Bevölkerung an seine Unschuld glaubte. Ferner wurde vom L.A. Police Department eine Originalpolizeiaufnahme veröffentlicht. Es handelte sich um einen Notruf des späteren Tatopfers Nicole Brown Simpson einige Monate vor der Tat, in welchem sie um Polizeischutz flehte, da "O.J." gerade in ihre Wohnung gewaltsam einbräche. Diese und zahlreiche weitere Indiskretionen führten dazu, daß die Stimmung in der Bevölkerung von "O.J. war es niemals" zu "dafür gehört er mit dem Tode bestraft" umschlug. bb) Verteidigerantrag auf Auflösung Die Verteidiger von O.J. Simpson wandten sich daraufhin mit dem Antrag an das Gericht, die Grand Jury zu entlassen179, da diese aufgrund der Medienveröffentlichungen nicht mehr in der Lage sei, unvoreingenommen zu entscheiden180. cc) Aufsichtsbefugnis des Gerichts Aufgrund der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels der U.S. Verfassung hat der Beschuldigte ein Recht auf unvoreingenommene und unparteiische Geschworene181. Dies gilt in dieser Absolutheit jedoch nur für die Geschworenen im Hauptverfahren, die Petit Jury, nicht jedoch für die Mitglieder der Grand Jury. 179 180

Motion to Dismiss.

Der Antrag wurde hier verkürzt wiedergegeben; tatsächlich handelte es sich um mehrere Anträge. So wurde zunächst verlangt, der Verteidigung zu gestatten, an die Grand Jury Fragen bzgl. etwaiger Voreingenommenheit zu stellen. Hilfsweise wurde beantragt, daß das Gericht selbst die Unvoreingenommenheit der Grand Jurors überprüfen sollte und, falls das Gericht eine Voreingenommenheit vorfände, die Grand Jury zu entlassen.

56

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Qualifiziert als Grand Juror in Kalifornien zu dienen ist jede Person, die - die U.S.-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt, - mindestens 18 Jahre alt ist, - ihren ständigen Aufenthalt in Kalifornien hat, - im Gerichtsbezirk ansässig ist, - nicht wegen Verbrechen vorbestraft ist und deren bürgerliche Rechte nicht aberkannt sind, - die der englischen Sprache ausreichend mächtig ist, - die nicht zugleich in einer anderen Grand oder Petit Jury dient - und die nicht unter Vormundschaft steht, § 909 P.C. i.V.m. § 203 Cal. Code of Civil Procedure. Nur wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, darf das Gericht die betreffende Person als Grand Juror ablehnen, § 909 P.C. Ablehnungsanträge der Verteidiger können nur auf diese Umstände gestützt werden, § 910 P.C. Ein Verteidiger kann damit einen Ablehnungsantrag insbesondere nicht darauf stützen, daß ein Grand Juror voreingenommen sei. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zur Petit Jury im Hauptverfahren. Dort sind Ablehnungen wegen Voreingenommenheit nicht nur zulässig, sondern sie spielen eine große Rolle. Das Problem einer etwaigen Voreingenommenheit der Grand Jurors wird in der Praxis der kalifornischen Gerichte sehr wohl gesehen. Im Simpson Fall wurde vom Gericht auch ein Weg gefunden, der tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Voreingenommenheit der Grand Jurors aufgrund von extensiver Medienberichterstattung abzuhelfen. Die Grand Jury wurde vom Gericht kurzerhand entlassen. Abgeleitet aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und unter Berücksichtigung der Aufsichtsbefugnis des Gerichts über die Grand Jury, wird man dem Gericht diese Befugnis zugestehen müssen. Aufgrund des Vorrangs des Verfassungsrechts ist davon auszugehen, daß dem aufsichtsführenden Richter die im Common Law begründete Befugnis zusteht, Nachforschungen in die Unvoreingenommenheit der Grand Jury vor-

181

Irvin v. Dowd, 366 U.S. 717, 6 L.Ed.2d 751 (1961), Lan v. U.S., 355 U.S. 339, 2 L.Ed.2d 321 (1958), Costello v. U.S., 350 U.S. 359, 100 L.Ed. 397 (1956), Hoffman v. U.S. 341 U.S. 479, 95 L.Ed. 1118 (1951).

IV. Grand Jury

57

zunehmen. Die Grand Jury leitet ihre Befugnisse von der Autorität des Gerichts ab. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens steht die Grand Jury damit unter der Kontrolle des Gerichts. Das Gericht hat dafür Sorge zu tragen, daß insbesondere nicht Verfassungsrechte eines Tatverdächtigen beeinträchtigt werden. Das Recht auf eine unparteiische Grand Jury ist ein solches Verfassungsrecht, abgeleitet aus der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels der U.S. Verfassung. Obgleich die Verteidigung, wie bereits dargelegt, keinen Ablehnungsanspruch wegen Voreingenommenheit hat, kann sie gleichwohl dahingehende Anträge im Sinne von Anregungen an das Gericht stellen. In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle haben Gerichte bisher Anträge der Verteidigung auf Entlassung der Grand Jury wegen Beeinflussung durch nachteilige Medienberichte abgelehnt182. Begründet wurde dies in den meisten Fällen damit, daß die Verteidigung nicht konkret eine Voreingenommenheit einzelner Grand Jurors bzw. der gesamten Grand Jury nachzuweisen vermochte. Allein aus den in bedeutsamen Fällen unvermeidlichen Presseberichten lasse sich nicht zwingend auf eine Voreingenommenheit schließen. Vielmehr sei davon auszugehen, daß Grand Jurors grundsätzlich in der Lage sind, unparteiisch allein aufgrund der während des Verfahrens gewonnenen Beweise zu entscheiden. Das Gericht müsse die Grand Jurors bei deren Bestellung auch nicht ausdrücklich darüber belehren, daß sie sich nicht von Presseberichten leiten lassen dürfen, wenn aus dem Gesamtzusammenhang der Belehrung deutlich wurde, daß sie ihre Entscheidung nur auf sorgfältige eigene Ermittlungen und die dadurch gewonnenen Beweise stützen dürfen 183 . Aufgrund der Geheimhaltung des Grand Jury Verfahrens war die Verteidigung bisher in der Praxis kaum in der Lage, konkret eine Voreingenommenheit der Grand Jurors aufgrund von Presseberichten nachzuweisen. Die Auflösung der Grand Jury aufgrund nachteiliger Presseberichte wurde daher überwiegend als Möglichkeit bezeichnet, die nur auf dem Papier bzw. in Rechtsbüchern zu finden war 1 8 4 . Um so mehr erstaunte es, als der aufsichtsführende Richter im Grand Jury Verfahren gegen O.J. Simpson entgegen aller Vorhersagen von Rechtsgelehrten und Praktikern, dem Antrag der Verteidigung stattgab und die Grand Jury entließ 185 . Das Gericht rechtfertigte die Entlassung damit, daß 182

Beck v. Washington, 369 U.S. 541, 8 L.Ed.2d 98 (1962).

183

Beck v. Washington, 369 U.S. 541, 8 L.Ed.2d 98, 106 (1962).

184

LaFave/Israel,

185

Die Grand Jury wurde am Freitag, den 24.06.94, aufgelöst.

Criminal Procedure, S. 706.

58

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

aufgrund der in diesem Umfang "noch nie dagewesenen" Presseberichterstattung die erforderliche Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit der Grand Jury nicht mehr gegeben sei. Zu diesem Schluß kam das Gericht nach Anhörung und Befragung der Grand Jurors. Die Entlassung konnte das Gericht zu Recht auf seine Aufsichtsbefugnis über die Grand Jury stützen. Aufgrund der oben beschriebenen Medienberichte, die zu einem erheblichen Teil Mr. Simpson vorverurteilten und die nach Feststellung des Gerichts auch die Grand Jurors negativ beeinflußten, war die Entscheidung des Gerichts rechtmäßig. Das Grand Jury Verfahren war damit ohne Anklageerhebung beendet. Dies hatte zur Folge, daß nunmehr doch eine Voranhörung vor einem Richter, dem Magistrate, des Municipal Court durchzuführen war, §§ 737, 738 P.C. Termin hierfür war bereits bei der ersten Vorführung nach der Verhaftung für 30. Juni angesetzt worden. Eine Voranhörung wäre nur entfallen, wenn vor deren Beginn eine Anklage durch die Grand Jury vorgelegen hätte. Art.l § 14.1 Cal.Const, verbietet nämlich eine Voranhörung, wenn bereits eine Indictment-Aukl&ge erging 186 .

dd) Befangenheit durch bloße Kenntnis von vorverurteilenden Medienberichten? Das Problem, ob die zu einer Entscheidung berufenen Laien allein aufgrund ihrer Kenntnis von tendenziellen Medienberichten voreingenommen und damit abzulehnen sind, wurde bereits von amerikanischen und auch deutschen Gerichten entschieden. In beiden Rechtsordnungen wurde dies eindeutig verneint. Der Bundesgerichtshof hat bereits 1968 entschieden, daß die Kenntnis von das Ergebnis des Verfahrens vorwegnehmenden Presseartikeln für sich allein kein Grund ist, auf welchen die Ablehnung von Laienrichter gestützt werden könnte 187 . Es heißt dort: "Von außen kommende Einwirkungen auf die Überzeugungsbildung des Gerichts können für sich genommen keinen Grund abgeben, der Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters rechtfertigt. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß auch der Laienrichter seine Pflicht, solchen Einwirkungen keinen Einfluß zu gewähren und seine Überzeugungen

186 A r t . l § 14.1 Cal.Const.: If a felony is prosecuted by indictment, there shall be no postindictment preliminary hearing. 187

BGHSt 22, 289.

IV. Grand Jury

59

ausschließlich auf Grund der Hauptverhandlung zu gewinnen, kennt und beachtet" 188 . Damit ein Ablehnungsantrag Erfolg hat, müssen weitere, über die bloße Kenntnis der Medienberichte hinausgehende Umstände bekanntwerden. Dies können insbesondere Äußerungen des (Laien-)Richters sein, die von einer Voreingenommenheit zeugen. Der Rechtsprechung ist zuzustimmen, daß Laienrichtern, ebenso wie auch Berufsrichtern, wohl soviel eigene Kritikfähigkeit und geistige Selbständigkeit zugestanden werden kann, daß sie auch tendenzielle Veröffentlichungen lesen dürfen, ohne gleich annehmen zu müssen, daß sie hierdurch beeinflußt würden. Vielmehr kann, wie Roxin zutreffend ausführt 189, die Kenntnis kritischer Zeitungsartikel die Wahrheitsfindung gerade fördern, indem die Richter möglicherweise auf Aspekte hingewiesen werden, die ihnen bisher entgangen sind. Mit dieser Sichtweise stimmt die amerikanische Rechtsprechung völlig überein. Allein der Umstand, daß ein (potentieller) Geschworener bereits etwas über den zu verhandelnden Fall weiß oder sogar hierzu eine eigene Meinung hat, rechtfertigt noch nicht dessen Ablehnung wegen Voreingenommenheit, solange er zur Überzeugung des Gerichts darzulegen vermag, daß er sein unparteiisches Urteil lediglich auf die in der Hauptverhandlung präsentierten Beweise stützen werde 190 . In Irvin v. Dowd 191 hat der U.S. Supreme Court ausdrücklich betont, daß es nicht erforderlich ist, daß die Geschworenen keinerlei Kenntnis von den Umständen des Falles haben. Denn in der heutigen Zeit der schnellen, weitverbreiteten und zahlreichen Kommunikationsmittel wird ein bedeutender Fall schnell bekannt und gerade solche, die am besten geeignet wären, als Geschworene zu dienen, nämlich solche mit einem aufgeschlossenen und wachen Geist, werden in der Regel von dem zu verhandelnden Fall schon gehört haben und sich bis zu einem gewissen Grad eine eigene Meinung gebildet haben. Eine totale Unkenntnis von Presse- und Medienveröffentlichungen zu verlangen, hätte zur Konsequenz, daß nur noch solche Leute als Geschworene oder Laienrichter berufen werden könnten, die in völliger "kommunikativer 188

BGHSt 22, 289, 294.

189

Roxin, NStZ 1991, 153, 159.

190

United States v. Burr, 25 F.Cas. 49 (D.Va. 1807).

191

Irvin v. Dowd, 366 U.S. 717, 81 S.Ct. 1639, 6 L.Ed.2d751 (1961).

60

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Isolation" leben. Der sehr begrenzte Wert dieser, gewissermaßen in einem Elfenbeinturm sitzenden Leute, für einen Entscheidungsfmdungsprozeß am Ende des 20. Jahrhunderts ist offensichtlich. Gleichwohl hat der Simpson Prozeß mit seinem gigantischen, das Verfahren begleitenden Medienspektakel eine neuen Dimension eröffnet. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob bei dieser Flut an Medienberichten, denen sich zu entziehen in den USA wohl niemandem möglich war, es sei denn er lebte, wie oftmals wohl ohne Übertreibung gesagt wurde, auf dem Mond, es wirklich noch möglich war, eine eigenständige und vor allem unbeeinflußte Meinung zu fassen. Denn es ist ein Unterschied, ob man einige Artikel über einen Fall liest oder ein paar Berichte dazu sieht, eventuell noch mit Kollegen darüber diskutiert, oder ob sich eine wahre Medienschlacht um einen Fall entwickelt. Die Berichterstattung im Simpson Fall hatte in den USA diese Ausmaße erreicht. Besonders problematisch in diesem Zusammenhang ist der Erfolgsdruck der unzähligen Medienleute, die auf solch einen Fall angesetzt sind. Da die neuen Informationen begrenzt sind, im Kampf um Quoten die Konkurrenz jedoch übertroffen werden muß, weil nicht zuletzt der eigene Job davon abhängt, müssen immer neue, noch sensationellere Enthüllungen zum Fall präsentiert werden. In dieser Situation ist es selbst für einen ganz besonders besonnenen, erfahrenen und kritischen Menschen sehr schwierig, einen Fall ohne vorgefaßte Meinung allein aufgrund der in der Verhandlung präsentierten Beweise zu entscheiden. Nicht vernachläßigt werden kann in einem Fall der echten oder auch nur hochgespielten Bedeutung der Druck der öffentlichen Meinung. Auch diese lastet auf einem Entscheidungsträger. Wie sich bei den Unruhen in Los Angeles nach dem Freispruch von Polizisten im Rodney King Fall gezeigt hat, kann ein entgegen der in den Medien und damit der Öffentlichkeit vorgefaßten Meinung gefälltes Urteil Plünderungen, Mord und Totschlag hervorrufen. Berücksichtigt man dann, daß eben nicht nur diese besonnenen "Idealmenschen" zu Geschworenen ernannt werden, so bestehen erheblichste Zweifel, ob bei einer Entwicklung wie im Simpson Fall die bisherigen Positionen der Rechtsprechung zur Unvoreingenommenheit aufrechterhalten bleiben können. All diese Umstände zusammengenommen, erscheint die Entscheidung des Richters, die Grand Jury aufgrund der extremen Medienberichterstattung wegen Voreingenommenheit zu entlassen, als angemessen.

IV. Grand Jury

61

4. Vor- und Nachteile der Grand Jury a) Argumente der Befürworter

im Simpson Fall

Aus der Sicht der Staatsanwaltschaft sprachen im Simpson Fall eine Reihe von Gründen für ein Grand Jury Verfahren anstelle einer Voranhörung.

aa) Ausschluß der Öffentlichkeit Da sich bereits unmittelbar nach Tatentdeckung ein immenses Medieninteresse abzeichnete, erschien es der Staatsanwaltschaft ratsam, das unter Ausschluß der Öffentlichkeit und damit insbesondere ohne Medienleute stattfindende Grand Jury Verfahren der öffentlichen Voranhörung vorzuziehen. Dadurch konnte die Staatsanwaltschaft wichtige Belastungsbeweise und Belastungszeugen "geheimhalten". Es war zu befürchten, daß bei Veröffentlichung aller belastenden Umstände bereits in diesem frühen Verfahrensstadium potentielle zukünftige Geschworene für das Hauptverfahren voreingenommen würden. Außerdem bestand die Gefahr, daß bei Bekanntwerden der Belastungszeugen die Presse versuchen würde, diese für einen Exklusivbericht zu "kaufen". Hierdurch wäre die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen im Hauptverfahren wesentlich verringert worden. Die Staatsanwaltschaft hätte wichtige Zeugen verloren. Andererseits konnte die Staatsanwaltschaft verhindern, daß die Verteidigung bereits in diesem Verfahrensstadium die Stärke oder Schwäche der belastenden Beweise vollständig einschätzen und damit die Verteidigung entsprechend ausrichten konnte. Denn weder der Angeklagte noch dessen Verteidiger haben, wie bereits ausgeführt, ein Anwesenheitsrecht im Grand Jury Verfahren. Zwar haben der Angeklagte oder dessen Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht nach § 1054 f. P.C., dennoch ist es für die Verteidigung oft schwierig, die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen richtig einzuschätzen, wenn ihr nur polizeiliche Vernehmungsprotokolle anstelle des persönlichen Eindrucks zur Verfügung stehen. Die Verteidigung hat dann keine Möglichkeit, den Zeugen Fragen zu stellen und damit etwaige Lücken oder Unstimmigkeiten aufzudecken. Umgekehrt erlangt die Staatsanwaltschaft einen Vorteil, da sie die Glaubwürdigkeit eines Schlüsselzeugen und den Eindruck, den dieser vor einer Jury macht, besser einzuschätzen vermag. Dementsprechend kann die Staatsanwaltschaft "ihren Fall" dann im Hauptverfahren aufbauen.

62

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

bb) Möglichkeit der kurzfristigen Einberufung Ein weiterer Grund, vor die Grand Jury zu gehen, war, daß diese innerhalb kürzester Zeit einberufen werden konnte und damit zur Verfügung stand. Die Staatsanwaltschaft konnte mit der Vorladung von Zeugen beginnen, obgleich der weitere Verlauf der Ermittlungen noch nicht absehbar war. Die neuen Ermittlungsergebnisse wurden dann laufend eingebracht. Die Verteidigung hat keine Möglichkeit, das Verfahren zu verzögern. Denn im Gegensatz zur Voranhörung, wo die Verteidigung Zeugen "über Kreuz verhören" 192, eigene Zeugen benennen und Vertagungen verlangen kann, stehen ihr diese Befugnisse im Grand Jury Verfahren nicht zu.

cc) Erscheinungspflicht von Zeugen Die Staatsanwaltschaft kann vor die Grand Jury Zeugen vorladen und zur Aussage zwingen. Dies ist insbesondere von Bedeutung, wenn diese zu Aussagen vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft nicht bereit sind. Die Staatsanwaltschaft ist damit in der Lage, im frühen Zeitpunkt des Grand Jury Verfahrens zunächst einmal zu überprüfen, welche Angaben von den Zeugen zu erwarten sind. Unter diesem Gesichtspunkt werden damit die Ermittlungsbefügnisse der Grand Jury genutzt.

dd) Kontrollfunktion der Grand Jury in aufsehenerregenden Fällen Für die Staatsanwaltschaft mag auch eine Rolle gespielt haben, daß es sich um einen spektakulären Fall handelte. Das Interesse der Medien und der Bevölkerung konzentrierte sich auf den Fall. Der Hauptverdächtige war eine Berühmtheit, zugleich war er ein BlackAmerican . Welche Sprengkraft ein Strafverfahren haben kann, bei dem die Hautfarbe eine Rolle spielt, wurde bei den Ausschreitungen in Los Angeles nach dem sogenannten "Rodney King-Verfahren" deutlich 193 .

192 193

Cross-Examination.

Ein Videoamateur hatte auf Band festgehalten, wie mehrere weiße Polizisten einen Schwarzen brutal zusammenschlugen. Als die vier Polizisten, die Hauptbeteiligte waren, dennoch von Geschworenen freigesprochen wurden, kam es

IV. Grand Jury

63

Um von vornherein nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, daß hier gezielt ein Schwarzer zu Unrecht verfolgt wurde, wandte sich die Staatsanwaltschaft an die Grand Jury. Die Puffer- oder Kontrollfunktion der Grand Jury wird hier besonders deutlich. Die Grand Jury besteht aus Laien. Sie setzt sich aus Bürgern aus allen Bevölkerungsschichten zusammen194. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine von Politik, Wählergunst und Rassenfragen unabhängige Strafrechtspflege wird hierdurch gestärkt und der Eindruck von Diskriminierung vermieden.

b) Kritik Ein derartiges Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist jedoch gerade im vorliegenden Fall äußerst kritisch zu sehen.

aa) Anschein eines Geheimverfahrens Gerade durch die "Geheimhaltung" wird in Bevölkerungsschichten, die der Staatsgewalt und insbesondere einem Strafverfahren skeptisch gegenüberstehen, der Eindruck hervorgerufen, es werde etwas verborgen. Da nicht bekannt wird, worüber die Grand Jury verhandelt und aus welchen Leuten sie sich zusammensetzt, kann leicht der Anschein eines Geheimverfahrens entstehen. Spekulationen werden gefördert und der Verdacht hervorgerufen, das "Licht der Öffentlichkeit" werde gescheut, um unsachgerechte Beeinflussungen vorzunehmen. All dies würde durch eine öffentliche Voranhörung, in der die Staatsanwaltschaft ihre Beweise präsentieren muß und in der der Beschuldigte die Möglichkeit erhält, sich zu verteidigen, vermieden.

bb) Keine Geheimhaltungspflicht der Zeugen Der von der Staatsanwaltschaft mit der nichtöffentlichen Vernehmung vor der Grand Jury verfolgte Zweck, Belastungszeugen nicht vorzeitig der öffentlichen Berichterstattung auszusetzen und nicht aufgrund von Exklusiv-

zu Straßenkrawallen mit Plünderungen, in deren Verlauf zahlreiche Menschen erschossen wurden. 194

Ob hier tatsächlich schwarze Grand Jurors mitwirkten, wurde nicht bekannt, da die Zusammensetzung der Grand Jury nicht veröffentlicht wurde.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

64

berichten wichtige Belastungsbeweise zu verlieren, wurde nur bedingt erreicht. Denn während Grand Jurors einer Geheimhaltungspflicht unterliegen, § 924 f. P.C., und es ihnen insbesondere bei Strafe verboten ist, Zeugenaussagen zu veröffentlichen, § 924.1 P.C., gilt dies nicht für die Zeugen selbst. Diesen steht es jederzeit frei, vor der Presse oder gegenüber dem Tatverdächtigen über den Inhalt ihrer Aussage und den Gegenstand der Ermittlungen zu berichten. Hiervon machten im Simpson Verfahren einige Zeugen nach ihrer Aussage vor der Grand Jury Gebrauch. Die Zeugen können sich hierbei auf das Grundrecht der Meinungs- und Redefreiheit berufen. Nach Art. 1 § 2 (a) der kalifornischen Verfassung steht es jeder Person frei, ihre Meinung über alle Angelegenheiten auszusprechen, niederzuschreiben und zu veröffentlichen 195.

cc) Grand Jury lediglich als "Gummistempel" Ferner wird gegen die Grand Jury vorgebracht, daß diese ihre Kontrollfunktion in der Praxis nicht ausübt, sondern lediglich als "Gummistempel"196 für die Staatsanwaltschaft dient. In der Praxis ist es die Staatsanwaltschaft, die die Ermittlungen der Grand Jury lenkt. Die Staatsanwaltschaft legt die Beweise vor, präsentiert die Zeugen, vernimmt diese und gibt rechtliche Hinweise. Die Grand Jurors sind juristische Laien. Eine Kontrolle durch einen Richter findet nicht statt. Ehemalige Staatsanwälte werden häufig mit der Aussage zitiert, daß ein Staatsanwalt, wenn er will, jeden, zu jeder Zeit und für fast alle Straftaten von der Grand Jury anklagen lassen kann 197 . Diese Aussage wird gestützt durch Statistiken, die belegen, daß Grand Junes nur in einer äußerst geringen Zahl der Fälle eine Anklageerhebung ablehnen198.

195 Art. 1 § 2 (a) Cal.Const.: Every person may freely speak, write and publish his or her sentiments an all subjects, being responsible for the abuse of this right. A law may not restrain or abridge liberty of speech or press. 196

Rubber Stamp.

197

LaFave I Israel, Criminal Procedure, S. 693.

198

Ebenda, S. 693.

IV. Grand Jury

65

c) Die Debatte um die Rolle der Grand Jury Aus diesen Gründen wird das Grand Jury Verfahren sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung mit großer Skepsis betrachtet. Fast alle in jüngerer Zeit veröffentlichten Aufsätze setzten sich kritisch mit dem Institut der Grand Jury auseinander199. Während einige für eine generelle Abschaffung der Grand Jury plädieren, setzen sich andere für eine Reformierung des Grand Jury Verfahrens ein, wodurch sich dessen Effizienz stärken ließe. Danach soll das Grand Jury Verfahren lediglich für bestimmte außergewöhnliche Situationen vorbehalten bleiben. Diese Debatte blieb in der Rechtsprechung nicht ohne Widerhall. Einige Gerichte gestanden den Kritikern der Grand Jury zu, daß diese in den meisten Fällen tatsächlich nur als Gummistempel für die Staatsanwaltschaft diene 200 ; diese Schwächen ließen sich aber durch eine Verbesserung des Verfahrens beheben. Der California Supreme Court ging in Hawkins v. Superior Court 201 sogar soweit, auszusprechen, daß das Grand Jury Verfahren gegenüber der Voranhörung unterlegen sei, sowie daß der Gleichheitsgrundsatz202 des Art. 1 § 7 (a) Cal.Const.203 verletzt werde, wenn einigen Angeklagten nur ein Grand Jury Verfahren gewährt werde, während andere eine Voranhörung erhielten. Aus diesen verschiedenen Einschätzungen der Rolle der Grand Jury erklärt sich auch die unterschiedliche Behandlung der gerichtlichen Kontrolle über die Grand Jury. Je mehr ein Gericht die Grand Jury gegenüber der Voranhörung als unterlegen betrachtet, um so mehr Freiraum gesteht es einer gerichtlichen Überwachung zu. Von dieser Sicht und insbesondere der Kritik des California Supreme Court am Grand Jury Verfahren mag sich der aufsichtsführende Richter im Simpson Fall leiten haben lassen, als er die Grand Jury entließ und damit den Weg für eine Voranhörung ebnete.

199

Graham/Letwin, 18 U.C.L.A Law Rev., 635, 678 (1971); Mar, 1 Pa. L. J. 36 (1970); Morse, 10 Ore. L. Rev. 101, 295 (1931). 2 0 0

LaFave/Israel,

2 0 1

Hawkins v. Superior Court, 22 Cal. 3d 584, 150 Cal.Rptr. 435, 596 P.2d 916

Criminal Procedure, S. 695.

(1978). 2 0 2

Equal Protection.

2 0 3

Ebenso die 14th Amendment U.S. Const.

6 Schnabl

66

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

5. Einführung einer Grand Jury im deutschen Strafprozeß? Es bleibt zu fragen, ob das Grand Jury Verfahren Vorteile bietet, welche im deutschen Recht genutzt werden könnten. Bekanntlich ist im deutschen Strafprozeßrecht weder ein der Grand Jury noch ein der Voranhörung ähnliches Verfahren vorgesehen. Das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, § 199 I StPO. Eine Laienbeteiligung in Form der Hinzuziehung der Schöffen (falls der Spruchkörper mit solchen besetzt ist) erfolgt nicht. Dies ergibt sich aus § 30 GVG, wo die Beteiligung der Schöffen im Zwischenverfahren nicht genannt ist. Eine, allenfalls geringe, Parallele zum Grand Jury Verfahren besteht darin, daß das deutsche Gericht im Zwischenverfahren zur Erhebung von Beweisen befügt ist, § 202 StPO. Das ersichtliche Ziel beider Rechtssysteme ist es, vor das eigentliche Hauptverfahren eine Kontrollinstanz zu setzen, um die mit einem öffentlichen Gerichtsverfahren einhergehenden Belastungen zu vermeiden, falls sich zeigen sollte, daß die Beweise der Staatsanwaltschaft die Durchführung eines Hauptverfahrens nicht rechtfertigen. Ein frühes Ausscheiden dieser Fälle spart die knappen Resourcen an Zeit und Arbeitskraft der Gerichte und verringert die Belastungen für den Angeschuldigten, welche ein Hauptverfahren mit sich brächte, selbst wenn letztlich ein Freispruch erfolgte. Die Voranhörung vor einem Magistrate bietet gegenüber der Grand Jury den Vorteil, daß es lediglich eines Richters bedarf anstelle einer Gruppe von 19 bis 23 Grand Jurors. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Voranhörung kosten- und zeiteffizienter. Ferner bietet es in der Mehrzahl der Fälle dem Beschuldigten einen besseren Schutz gegen eine ungerechtfertigte Anklage, da das Verfahren öffentlich ist, der Beschuldigte mit seinem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht hat und die Befugnis besitzt, die Belastungszeugen gegenzuverhören, sowie eigene Beweise vorzulegen. Dadurch ist es dem Beschuldigten möglich, sich bereits in diesem frühen Verfahrensstadium zu entlasten und damit bereits eine Anklageerhebung zu verhindern. Dies ist beim Grand Jury Verfahren nicht im gleichen Maße gewährleistet, da hier nur die Staatsanwaltschaft ihre Beweise präsentiert und die Grand Jury nicht verpflichtet ist, Entlastungsbeweisen nachzugehen, § 939.7 P.C., sofern

IV. Grand Jury

67

sich diese nicht aufdrängen. Auch eine Grand Jury, die gewillt wäre, Entlastungsbeweisen nachzugehen, ist in vielen Fällen hierzu aufgrund fehlender Hinweise nicht in der Lage. Denn oft ist es nur der Beschuldigte selbst, der die entlastenden Umstände kennt. Aus diesen Gründen ist in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Strafverfahren eine Voranhörung dem Grand Jury Verfahren vorzuziehen. Dies entspricht auch der Praxis in den "Information-Staaten", wie zum Beispiel in Kalifornien. Obgleich die Staatsanwaltschaft ein Wahlrecht zwischen beiden Verfahren besitzt, wird von der Grand Jury in weniger als 5 % der Fälle Gebrauch gemacht. Erstrebenswert wäre eine Vorschrift, die ein Grand Jury Verfahren nur für bestimmte Sonderfälle vorsähe. Dadurch würde der Staatsanwaltschaft zugleich die Möglichkeit genommen, allein zu ihrem Vorteil, etwa um den Angeschuldigten möglichst lang über die Ermittlungen im Unklaren zu lassen, ein Grand Jury Verfahren zu wählen. Sonderfalle, in denen ein Grand Jury Verfahren aus objektiven Gründen vorzuziehen ist, wären Strafverfahren mit politischem Hintergrund. Da eine größere Zahl von Laien die Ermittlungen führt und über die Anklageerhebung entscheidet, ließe sich von vornherein der Anschein von Voreingenommenheit, Parteilichkeit oder Einseitigkeit der Ermittlungen vermeiden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität und Neutralität der Ermittlungen würde gestärkt. Für diese, in ihrer Anzahl zudem sehr begrenzten Fälle, wäre es wert, im deutschen Strafverfahrensrecht ein dem Grand Jury Verfahren ähnliches Verfahren vorzusehen. Dieses sollte aber öffentlich sein, sowie dem Tatverdächtigen ein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht einräumen. Die Übernahme der NichtÖffentlichkeit ist nicht angezeigt, da, wie ausgeführt, deren Nachteile die Vorteile deutlich überwiegen. Ein weiterer Vorteil sowohl des Grand Jury Verfahrens als auch der Voranhörung liegt in der Unabhängigkeit der über die Anklageerhebung entscheidenden Personen (Grand Jurors bzw. Magistrate) vom Gericht des Hauptverfahrens. Grand Jury und Petit Jury ( Trial Jury) sind niemals personenidentisch. Nach § 203 (a)(7) CCP i.V.m. § 1046 P.C. sind diejenigen Personen von der Petit Jury auszuschließen, die als Grand Jurors oder in einer anderen Petit Jury dienen. Gleiches gilt gemäß § 893 (b)(l)(2) P.C. im umgekehrten Fall bzgl. der Bestellung als Grand Juror.

6*

68

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Diese Unabhängigkeit ist im deutschen Recht nicht in gleicher Weise gewährleistet. Nach § 199 I StPO entscheidet das für das Hauptverfahren zuständige Gericht auch über die Zulassung der Anklage. Hierfür besitzt es die volle Aktenkenntnis, § 199 II StPO. Das zuständige Gericht entscheidet anhand dieser Akten, ob der Angeschuldigte der angeklagten Straftat hinreichend verdächtig erscheint, § 203 StPO 204 . Zwar darf sich das Gericht bei der Urteilsfällung nicht auf diese bloße Aktenkenntnis und insbesondere nicht auf die im Zwischenverfahren gebildete Meinung stützen. Gegenstand der Urteilsfällung ist die Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt, § 264 I StPO, wobei der Beweiswürdigung, § 261 StPO, nach dem Unmittelbarkeitsgrundsatz nur solche Beweise zugrundegelegt werden dürfen, die in der mündlichen Verhandlung erhoben wurden. Es soll hier keineswegs unterstellt werden, daß sich die Gerichte bei der Urteilsfällung von im Zwischenverfahren gebildeten Meinungen und Einschätzungen leiten lassen. Dennoch kann das Risiko einer zumindest unbewußten Beeinflussung nicht in Abrede gestellt werden. Würde eine dem amerikanischen Recht entsprechende Trennung der Zuständigkeiten vorgenommen, so ließe sich von vornherein jeder Anschein von Beeinflussung oder Voreingenommenheit vermeiden. Bei der gegenwärtigen Rechtslage läßt sich der unterschwellige Verdacht eines Angeklagten, daß das Gericht bereits aufgrund des Zwischenverfahrens eine vorgefaßte Meinung hatte, nicht widerlegen. Aufgrund der strikten Trennung der Personen, die in den einzelnen Verfahrensstufen entscheidungsbefügt sind, vermeidet das amerikanische Recht jeden Anschein von Beeinflussung oder Voreingenommenheit. Dieser Vorteil ließe sich im deutschen Recht übernehmen. Es wäre lediglich nötig, einen besonderen Richter oder eine eigene Kammer zu bestimmen, welche nur für die Durchführung des Zwischenverfahrens und die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig wären.

2 0 4 Von der Möglichkeit des § 202 StPO, zur besseren Aufklärung eigene Beweiserhebungen anzuordnen, wird in der Praxis nur selten Gebrauch gemacht; in zweifelhaften Fällen gibt das Gericht die Akten an die Staatsanwaltschaft zu Nachermittlungen zurück oder lehnt gleich die Eröffnung des Hauptverfahrens ab, § 204 I StPO.

V. Voranhörung

69

V. Voranhörung 1. Ausgangsfall: Übersicht über Besonderheiten, Probleme und Streitfragen Am Donnerstag, den 30.06.94, begann vor Richterin Kathleen KennedyPowell in ihrer Funktion als Magistrate des Municipal Court of Los Angeles die Voranhörung gegen O.J. Simpson. Termin hierfür war bereits bei der ersten Vorführung, am 20.06.94, festgesetzt worden. Zwischen der ersten Vorführung nach der Verhaftung und dem Beginn der Voranhörung lagen damit nur 10 Tage. Dies entspricht dem Gesetz. § 859 b P.C. schreibt vor, daß der Magistrate bereits bei der ersten Vorführung einen Termin für die Voranhörung zu bestimmen hat, welche grundsätzlich innerhalb von 10 Gerichtstagen beginnen muß, § 859 b S.2 P.C. Vor der Anklageerhebung im Superior Court, der Information, ist gemäß § 738 P.C. eine Voranhörung durchzuführen. Diese wäre nur dann entfallen, wenn die Staatsanwaltschaft zuvor durch die Grand Jury ebenfalls eine Anklage erlangt hätte. Art.l § 14.1 Cal.Const, verbietet nämlich dann die Durchführung einer Voranhörung 205. Diese Umgehungstaktik der Staatsanwaltschaft war im vorliegenden Falle jedoch nicht erfolgreich, da, wie im letzten Abschnitt (IV.) ausgeführt, die Grand Jury noch vor Erlaß eines Indictment aufgelöst wurde. Die Voranhörung gegen O.J. Simpson war erheblich umfangreicher als es gewöhnlich für ein solche üblich ist. Während Voranhörungen in der Mehrzahl nur einige Stunden, allenfalls wenige Tage dauern 206, zog sich das Verfahren gegen O.J. Simpson über 6 Verhandlungstage hin, über 18 Zeugen wurden in dessen Verlauf von der Staatsanwaltschaft präsentiert. Diese Voranhörung war aber nicht nur vom Umfang her ungewöhnlich, sondern wies auch noch weitere Besonderheiten auf. Die Staatsanwaltschaft wurde wegen ihrer Verfahrenstaktik kritisiert, derart viele Belastungszeugen präsentiert zu haben, anstatt nur eines einzigen Polizeibeamten, der als Zeuge vom Hörensagen die Aussagen der anderen 2 0 5

Art. 1 § 14.1 Cal.Const.: If a felony is prosecuted by indictment, there shall be no postindictment preliminary hearing. 2 0 6 So der ehemalige Los Angeles Staatsanwalt und jetzige Strafverteidiger Leonard Levine in S.F. Daily Journal vom 12.07.94, S.3.; im Los Angeles County dauert das Vorverfahren durchschnittlich 30 Minuten, 7 BNA (Bureau of National Affairs, 323/324 (1993).

70

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Zeugen in zusammengefaßter Form hätte wiedergeben können. Der Verteidigung seien daher unnötig Ansatzpunkte für ihre Verteidigungsstrategie gegeben worden. Die Verteidigung hat andererseits, anstatt, wie es sonst üblich ist, in unbedeutenden Fragen eine Übereinkunft mit der Staatsanwaltschaft zu treffen, keinen "Millimeter Boden aufgegeben". All dies geschah vor allem in Hinblick auf die Live-Medienübertragungen. Jede Seite versuchte dadurch in der Öffentlichkeit und besonders mit Blick auf potentielle zukünftige Geschworene einen möglichst günstigen Eindruck zu hinterlassen. Die Staatsanwaltschaft von der Stärke "ihres Falles", die Verteidigung von der Unschuld ihres Mandanten. Eine umstrittene Frage war ferner, ob und in welchem Umfang der Beschuldigte gewissermaßen als Beweismittel gegen sich selbst mitwirken muß. Dies betraf die Abnahme von Fingerabdrücken, vor allem aber die Entnahme von Blut sowie die Zurverfügungstellung von Haaren zu mikroskopischen, chemisch/biologischen und genetischen Untersuchungen207. Den breitesten Raum nahm schließlich ein Antrag der Verteidigung ein, alle im Zusammenhang mit der illegalen Durchsuchung des Simpson Anwesens aufgefundenen Beweise nicht vor Gericht zuzulassen. Diese unterlägen einem Beweisverwertungsverbot nach der Ausschlußregel zum 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung i.V.m. der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels. Beweise aufgrund einer illegalen Durchsuchung oder Beschlagnahme dürften danach nicht vor Gericht verwertet werden 208.

2. Funktionen der Voranhörung a) Recht auf eine Voranhörung Eine Voranhörung findet nur bei Verbrechen statt, §§ 737, 738 P.C. Der Beschuldigte hat in diesen Fällen ein Recht darauf aus Art. 1 § 14 S.l Cal. Const. 209 . Der Beschuldigte kann auf eine Voranhörung verzichten, § 860 S.2 P.C., der Verzicht ist jedoch nur wirksam, wenn der Beschuldigte anwaltlich vertreten ist. Dies dient dem Schutz des Beschuldigten vor übereilten Verzichtserklärungen.

2 0 7

Siehe unten 4. "Mitwirkungspflichten".

2 0 8

Siehe unten 5. "Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen".

2 0 9

Art. 1 § 14 S . l Cal. Const.: Felonies shall be prosecuted ... after examination and commitment by a magistrate, by information.

V. Voranhörung

71

Interessant ist, daß die Rechtsprechung aus der Rechtsstaatsgarantie der U.S. Verfassung nicht eine Verpflichtung ableitet, vor das eigentliche Hauptverfahren ein Zwischenverfahren in der Form einer unabhängigen Kontrolle vorzuschalten. Es würde daher nicht die Bundesverfassung verletzen, wenn die Strafverfahrensgesetze eine Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft zuließen, welche unmittelbar zur Durchführung des Hauptverfahrens führen würde 210 . Im Bundesrecht als auch in den meisten Gesetzen der Einzelstaaten ist jedoch ausdrücklich ein Recht des Beschuldigten auf eine Voranhörung enthalten. Für den Bund sieht dies 18 U.S.C. § 3060 Fed.R.Crim.P. 5 (c), für den Staat Kalifornien Art.l § 14.1 Cal.Const, vor.

b) Unabhängige, gerichtliche Kontrolle Während das Hauptverfahren wegen Verbrechenstatbeständen vor dem Superior Court stattfindet, wird die vorgeschaltete Voranhörung vor einem Magistrate des Municipal Court durchgeführt, § 858 f. P.C. Mit der Einrichtung der Voranhörung bezweckte der Gesetzgeber in erster Linie, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben, einer unabhängigen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen. Diese Funktion der Voranhörung wird auch in der Rechtsprechung immer wieder betont. Nach Thies v. State211 diene die Voranhörung dazu, "übereilte, böswillige, unbedachtsame und bedrängende Strafverfahren zu verhindern, die beschuldigte Person vor einer offenen und öffentlichen Anklage zu schützen, Aufwendungen sowohl des Angeklagten als auch des Staates für ein Hauptverfahren zu vermeiden, den Angeklagten vor Erniedrigung und Bedrängnis, welche mit einem öffentlichen Strafverfahren einhergehen, zu bewahren und zu ermitteln, ob wesentliche Gründe vorhanden sind, auf die sich ein Strafverfahren stützen läßt. "

2 1 0 Lem Woon v. Oregon 229 U.S. 586, 57 L.Ed. 1340 (1913); vgl. zur Frage, ob Indictment bzw. Grand Jury Kontrolle auch zwingend für Einzelstaaten gelten, Hurtado v. California, 110 U.S. 516, 28 L.Ed. 232 (1884): [the Court was] unable to see upon what theory it can be held that an examination or the opportunity for one, prior to the formal accusation by the district attorney, is obligatory upon the States. 2 1 1

Thies v. State, 178 Wis. 98, 189 N.W. 539 (1922).

72

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Damit in Zusammenhang stehen zwei weitere Aufgaben: Ein sich in Untersuchungshaft befindender Beschuldigter, der zu Unrecht angeschuldigt wurde, soll möglichst frühzeitig wieder frei kommen bzw. soll im Falle einer Kaution, diese unverzüglich wieder freigegeben werden. Zum anderen dient die Kontrolle durch den Magistrate auch dazu, eine zu weitgehende Anklage nur unter den tatsächlich zu rechtfertigenden, geringeren Anklagepunkten zuzulassen. Dadurch soll der Praxis der Staatsanwaltschaften entgegnet werden, den Beschuldigten zunächst schwererer Straftaten anzuklagen, als es die Beweislage zuließe, um sich einen günstigen Ausgangspunkt für zukünftige Absprachen mit dem Beschuldigten über dessen Schuldigerklärung 212 zu verschaffen. Der dahinterstehende Gedanke der Staatsanwaltschaft ist, in diesen Fällen leichter nachgeben zu können, falls sich der Beschuldigte bereit erklärt, hinsichtlich einer geringeren Straftat auf schuldig zu plädieren 213.

c) Offenlegung Die Voranhörung kann von jeder Seite auch dazu genutzt werden, Kenntnisse über die Beweislage und die beabsichtigte Verfahrenstaktik zu erlangen. Vor allem die Verteidigung erlangt so einen Vorteil, da die Staatsanwaltschaft Beweise, meist Zeugen, präsentieren muß, um den Magistrate zu überzeugen, daß der Angeklagte die Straftat mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begangen hat. Die Verteidigung erfährt damit nicht nur, welche Aussagen von den Belastungszeugen gemacht werden, sondern kann darüberhinaus vom Recht des Kreuzverhörs Gebrauch machen, § 865 P.C., und so ergänzende Angaben erlangen. Darüberhinaus kann die Verteidigung weitere Zeugen vorladen lassen und diese befragen. Inwieweit diese Vorgehensweise der Verteidigung tatsächlich einen Vorteil bringt, hängt von verschiedenen Umständen ab. Während in einigen Einzelstaaten das Recht der Verteidigung, Einsicht in die Akten und Beweise der Staatsanwaltschaft zu erlangen, eingeschränkt bzw. zeitlich erst zu einem späten Zeitpunkt möglich ist und die Verteidigung daher im wesentlichen auf die Voranhörung zur Kenntniserlangung angewiesen ist, besteht eine derartige Notwendigkeit in Kalifornien nicht. Nach § 1054 f. P.C. hat jede Partei der anderen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt

2 1 2

Plea-Negotiations.

2 1 3

LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S. 655, 656.

V. Voranhörung

73

Auskunft über Zeugen, Beweise, Untersuchungsergebnisse u.a. zu geben. Dieser Vorgang wird als discovery bezeichnet. Von einer Voranhörung in Kalifornien erwarten sich die Parteien daher keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Ferner kann in Kalifornien die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Verteidigung, Kenntnisse aufgrund der Voranhörung zu erlangen, weiter dadurch einschränken, daß sie vom "Hören-Sagen-Beweis" Gebrauch macht, § 872 (b) P.C. In der Praxis wird in diesen Fällen nur ein einziger Zeuge, nämlich der die Ermittlungen leitende Polizeibeamte präsentiert, welcher die Ermittlungsergebnisse und die Aussagen der von ihm verhörten Zeugen zusammenfassend wiedergibt. Die Chancen der Verteidigung, etwaige Lücken in den Beweisen der Staatsanwaltschaft durch ein Kreuzverhör zu entdecken, sind dadurch stark eingeschränkt. Die Möglichkeit der Kenntniserlangung anläßlich einer Voranhörung wird in der Literatur als zufalliges Nebenprodukt, nicht jedoch als Hauptzweck des Verfahrens angesehen214. Das kalifornische Strafverfahrensrecht geht noch einen Schritt weiter, indem es in § 866 (b) P.C. ausdrücklich regelt: "Es ist der Zweck der Voranhörung, zu bestimmen, ob hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, anzunehmen, daß der Angeklagte eine schwere Straftat begangen hat. Das Verfahren soll nicht zum Zweck der Auskunftserlangung gebraucht werden." 215

d) Infragestellung

der Glaubwürdigkeit

Die Möglichkeit zum Kreuzverhör der Belastungszeugen bereits während der Voranhörung eröffnet der Verteidigung einen weiteren Vorteil für das Hauptverfahren: Falls sich Aussagen eines Zeugen widersprechen, so kann diesem seine frühere Aussage, die er während der Voranhörung abgegeben hat, vorgehalten werden. Dies wird als impeachment bezeichnet. Diese Möglichkeit betont der U.S. Supreme Court in Coleman ν. Alabama216: "die geschickte Befragung eines Zeugen [während der Voran2 1 4

LaFavellsrael,

Criminal Procedure, S. 658.

2 1 5

§ 866 (b) P.C.: It is the purpose of a preliminary examination to establish whether there exists probable cause to believe that the defendant has committed a felony. The examination shall not be used for purposes of discovery. 2 1 6 Coleman v. Alabama, 399 U.S. 1, 26 L.Ed.2d 387 (1970): The skilled interrogation of wittnesses [at the preliminary examination] by an experienced lawyer

74

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

hörung] durch einen erfahrenen Anwalt kann ein wesentliches Mittel darstellen, welches sich im Hauptverfahren als Vorhalt im Kreuzverhör gegenüber den Zeugen der Staatsanwaltschaft gebrauchen läßt. " Zwar können auch sonstige widersprüchliche Aussagen, etwa aus einem Polizeiprotokoll, einem Zeugen vorgehalten werden, § 269 f. Evidence Code, die Geschworenen im Hauptverfahren sind jedoch geneigt, Widersprüche im Aussageverhalten eines Belastungszeugen als schwerwiegender zu gewichten, wenn die frühere Aussage unter Eid in einem Verfahren vor Gericht, -was beides für die Voranhörung zutrifft -, abgegeben wurde. Als weiterer Umstand kommt hinzu, daß die Belastungszeugen im Vorverfahren in der Regel noch nicht so eingehend von der Staatsanwaltschaft vorbereitet sind und damit eher sich widersprechende Aussagen machen. Für manche Zeugen mag auch zutreffen, daß, je mehr sie bereits vor dem Hauptverfahren sagen, um so größer die Wahrscheinlichkeit wird, sich in Widersprüche zu verstricken.

e) Bewahrung von Aussagen Im Zusammenhang hiermit steht ein weiteres Charakteristikum der Voranhörung: die Bewahrung von Zeugenaussagen. Falls die Zeugen im Hauptverfahren nicht mehr zur Verfügung stehen, so können ihre früheren Aussagen grundsätzlich verlesen werden, § 686 (3)(b) P.C., § 1290 f. Evidence Code. Sämtliche Zeugenaussagen während einer Voranhörung, welche ein Tötungsdelikt betrifft, müssen in einem Wortprotokoll niedergeschrieben werden, § 869 P.C. Wird über andere Straftaten in der Voranhörung verhandelt, so steht die Niederschrift im Ermessen des Gerichts bzw. erfolgt auf Antrag einer der Parteien. Derartige Niederschriften werden als depositions bezeichnet. Es gilt der verfassungsrechtliche Grundsatz, daß der Angeklagte das Recht hat, Belastungszeugen in Person gegenüberzustehen, das sogenannte right of confrontation des 6. Zusatzartikel der U.S. Verfassung, Art. 1 § 15 S.l Cal.Const. Der Beweis vom Hörensagen wird als unzulässig angesehen. Hierunter fallt sowohl, wenn ein Zeuge berichtet, was er von einer anderen Person gehört hat 2 1 7 , als auch, wenn eine frühere Aussage verlesen wird. Der Grund für das can fashion a vital impeachment tool for use in cross-examination of the State's wittnesses at trial. 2 1 7

Im Gegensatz hierzu ist dies im deutschen Recht zulässig und verstößt nicht

V. Voranhörung

75

Verbot des Hörensagenbeweises ist, daß der Angeklagte nicht mit der Person, von welcher die Aussage unmittelbar stammt, konfrontiert werden kann und diese nicht einem Kreuzverhör zur Feststellung des Wahrheitsgehalts unterwerfen kann. Von diesem Verbot werden jedoch zahlreiche Ausnahmen zugelassen, vgl. § 1201 ff. Evidence Code. Eine solche Ausnahme stellt das sogenannte "frühere Zeugnis" 218 dar, § 1290 f. Evidence Code. Hierunter fallen die im Voranhörungsprotokoll festgehaltenen Aussagen eines Zeugen. Diese dürfen im Hauptverfahren verlesen werden, wenn der Zeuge zum Beispiel wegen Krankheit, Geisteskrankheit oder Tod, § 240 Evidence Code, nicht mehr zur Verfügung steht, § 686 (3)(b) P.C., § 1291 (a)(2) Evidence Code. In California v. Green 219 stellte der U.S. Supreme Court fest, daß diese gesetzlich geregelte Ausnahme nicht gegen das Recht auf Gegenüberstellung des 6. Zusatzartikels der U.S. Verfassung verstößt, da dem Angeklagten in der Voranhörung bereits das Recht auf Gegenüberstellung gewährt wurde. Er stand dem Zeugen in Person gegenüber und hatte die Möglichkeit zum Kreuzverhör. Die Ausgestaltung der Voranhörung sei dem Hauptverfahren ähnlich. Dem Angeklagten sei damit ein, lediglich vorgezogenes, Recht auf Gegenüberstellung gewährt worden. In der Praxis gereicht diese Möglichkeit der Bewahrung von Zeugenaussagen für das Hauptverfahren jedoch selten zum Vorteil der Verteidigung. Meist ist es die Staatsanwaltschaft, die hiervon profitiert. Denn diese präsentiert ihre Zeugen in der Voranhörung. In der Mehrzahl der Fälle benennt die Verteidigung aus taktischen Gründen keine eigenen Zeugen. Es sind damit auch nur die Aussagen der Belastungszeugen, die im Protokoll aufgezeichnet werden, und später im Hauptverfahren verlesen werden können, falls der Zeuge nicht mehr zur Verfügung steht. Fällt ein Zeuge der Verteidigung weg, den diese bisher noch nicht präsentiert hat, um die Verteidigungsstrategie nicht zu enthüllen, so ist dessen entlastende Aussage verloren. Der Angeklagte geht damit ein hohes Risiko ein.

gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 S.l StPO. Dies wird damit begründet, daß der Zeuge über eine eigene Wahrnehmung berichte. 2 1 8

Former Testimony.

2 1 9

California v. Green, 399 u.S. 149, 26 L.Ed.2d 489 (1970).

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

76

f) weitere Effekte Als weitere Effekte der Voranhörung werden genannt: Die bereits erwähnte Möglichkeit, eine Kaution festzusetzen, um dem inhaftierten Angeklagten die Chance zu eröffnen, bis zum Urteil freizukommen. Durch die Voranhörung kann ferner der Boden für etwaige Verhandlungen über Schuldigerklärungen seitens des Angeklagten bereitet werden. Erkennt der Angeklagte, daß die von der Staatsanwaltschaft präsentierten Beweise erdrückend gegen ihn sprechen, so ist er oft bereit, auf schuldig zu plädieren, insbesondere wenn die Staatsanwaltschaft in Aussicht stellt, bestimmte Anklagepunkte fallen zu lassen. Plädiert der Angeklagte auf schuldig, so entfällt das Hauptverfahren. Die Voranhörung dient in diesem Fall der Ersparnis von Zeit und Arbeitskraft.

3. Verfahrensgrundsätze a) Kontradiktorisches

Verfahren,

Beweislast der Staatsanwaltschaft

Wesentliche Verfahrensgrundsätze, die im Hauptverfahren gelten, greifen bereits in der Voranhörung ein. Es ist als adversarisches und akkusatorisches Verfahren ausgestaltet. Die Staatsanwaltschaft auf der einen Seite und der Beschuldigte, eventuell mit seinem Verteidiger, auf der anderen Seite stehen sich als Parteien gegenüber. Die Pflicht, einen hinreichenden Tatnachweis zu fuhren liegt allein bei der Staatsanwaltschaft.

b) Recht auf anwaltlichen Beistand Der Beschuldigte hat ferner bereits während der Voranhörung ein Recht auf anwaltliche Vertretung 220. Hierüber hat ihn der Magistrate zu belehren, § 859 P.C. Handelt es sich, - wie im Ausgangsfall -, um eine Straftat, die mit dem Tode bestraft werden kann, so liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, § 686.1, § 859 S.3 P.C. Dem Beschuldigten muß vor Beginn der Voranhörung genügend Zeit gelassen werden, einen Anwalt seiner Wahl zu bestellen, § 859 P.C. Falls der Beschuldigte nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt 2 2 0

Right to Counsel.

V. Voranhörung

77

oder sich in den Fällen notwendiger Verteidigung weigert, sich einen Anwalt zu nehmen, so wird ein solcher vom Gericht bestellt, § 859 S.6 P.C. Im Simpson Fall war dies kein Problem, da Simpson bereits bei Beginn der Polizeiermittlungen einige der bekanntesten und höchstdotierten Anwälte zu seiner Verteidigung gewonnen hatte, weshalb in den Medien die Verteidigung bereits als "All-Star-Defense-Team" bezeichnet wurde. Im Laufe des Verfahrens wuchs die Zahl der Verteidiger auf mehr als ein Dutzend an. Die führende Rolle im Vorverfahren übernahm der in Los Angeles praktizierende Strafverteidiger Robert Shapiro, der dadurch bekannt geworden war, daß er einige Berühmtheiten durch geschickte Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft, sogenannten deals, vor dem Gefängnis bewahrte. Ein weiteres Mitglied des Verteidigungsteams war Harvard Professor Alan Dershowitz, welcher als einer der bekanntesten Juristen der USA gilt und die Berufungen für Mandanten wie Mike Tyson, Leona Helmsley und Claus von Bülow begründet hatte. Ferner gehörten zum Team F. Lee Bailey aus Boston, - ebenfalls durch eine Reihe aufsehenerregender Prozesse bekannt geworden -, Gerald Uelmen, kurz zuvor in den Ruhestand getretener Dekan der Santa Clara University School of Law, sowie Johnnie Cochran jr., der wohl bekannteste "schwarze" Strafverteidiger Los Angeles, um nur einige zu nennen.

c) Anwesenheitsrecht Der Beschuldigte hat nicht nur ein Recht auf anwaltliche Vertretung, sondern er hat vor allem ein Recht darauf, während der Voranhörung persönlich anwesend zu sein 221 , § 1043.5 (a) P.C.

d) Kreuzverhör,

Zeugen der Verteidigung

Nach § 865 P.C. ist der Beschuldigte befugt, selbst oder durch seinen Verteidiger die Belastungszeugen über Kreuz zu verhören, sowie eigene Entlastungszeugen zu präsentieren, § 866 (a) P.C.

2 2 1

Right to Be Present.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

78

e) Rechtauf ein beschleunigtes, öffentliches

Verfahren

Der Beschuldigte hat ferner ein Recht auf ein beschleunigtes und öffentliches Verfahren 222, §§ 686 Nr.l, 859 b S.3, 868 S.l P.C. Es handelt sich hierbei um Verfassungsgrundsätze, Art. 1 § 15 S.l Cal. Const., 6. Zusatzartikel i.V.m. 14. Zusatzartikel U.S. Verfassung. Nach § 859 b S.3 P.C. muß die Voranhörung zum frühest möglichen Zeitpunkt, spätestens jedoch innerhalb von 10 Gerichtstagen nach der ersten Vorführung stattfinden. Wird diese Frist nicht eingehalten und haben weder beide Parteien darauf verzichtet und liegt auch kein hinreichender Grund für eine Verzögerung vor, so führt dies grundsätzlich zur Einstellung des Verfahrens und zur Entlassung des Beschuldigten aus der U-Haft, § 859 b S.4 P.C. Im Ausgangsfall bestand die Verteidigung bereits bei der ersten Vorführung am 20.06.94 auf einer Voranhörung zum frühest möglichen Zeitpunkt. Die Voranhörung wurde daraufhin auf den 30.06. terminiert und begann somit fristgerecht.

f) Beweisgrundsätze Die Voranhörungen in den Einzelstaaten weichen hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang Beweisregeln eingreifen, wesentlich voneinander ab. Verallgemeinernd lassen sich drei Gruppen unterscheiden223: - Einige Staaten wenden die im Evidence bereits in der Voranhörung an.

Code enthaltenen Beweisregeln

- Andere Staaten beschränken ihren Evidence Code auf das Hauptverfahren 224, räumen dem Magistrate jedoch in unterschiedlichem Umfang ein Ermessen ein, Beweise, welche im Hauptverfahren unzulässig wären, bereits für die Voranhörung auszuschließen. - Die dritte Gruppe nimmt eine Mittelstellung ein, indem der Evidence Code grundsätzlich anwendbar ist, jedoch für bestimmte Beweisarten, die an sich in Hauptverfahren nicht zulässig wären, Ausnahmen gelten. In diese Gruppe fallt Kalifornien. Nach § 300 Cal. Evidence Code gelten dessen Vorschriften für alle Verfahren vor dem Cal . Supreme Court, Court of Appeal, Superior Court, 2 2 2

Speedy and Public Trial.

2 2 3

LaFave/Israel,

2 2 4

So der Bund in Fed.R.Evid. 1101 (d)(3).

Criminal Procedure, S. 673.

V. Voranhörung

79

Municipal Court und Justice Court, sofern in Gesetzen nichts Abweichendes geregelt ist. Bis 1990 war die Voranhörung damit entsprechend dem Hauptverfahren ausgestaltet und wurde oftmals als "Mini-Hauptverhandlung" 225 bezeichnet. Eine wesentliche Änderung wurde mit der Gesetzesinitiative Proposition 115 geschaffen. Während nach § 1200 Evidence Code der Beweis vom Hörensagen grundsätzlich unzulässig ist, ergänzte Prop. 115 den § 872 P.C. um einen Absatz (b). Dieser sieht nunmehr eine Ausnahme vom Verbot des Hörensagenbeweises vor. Seit 06. Juni 1990 ist es danach zulässig, daß sich die Entscheidung des Magistrate in der Voranhörung auf die Aussage eines einzigen Polizeibeamten als Zeugen vom Hörensagen stützt 226 . Die Staatsanwaltschaft kann nunmehr ihrer Beweislast in der Voranhörung dadurch genügen, daß sie als einzigen Zeugen einen an den Ermittlungen beteiligten Polizisten benennt. Dieser gibt dann vor Gericht lediglich die Aussagen der von ihm vernommenen Zeugen in zusammengefaßter Form wieder. Der Verteidigung wird damit im wesentlichen die Möglichkeit genommen, im Wege des Kreuzverhörs die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen auszuforschen. Die Staatsanwaltschaft hat im Simpson Fall vom Hörensagen-Zeugenbeweis keinen Gebrauch gemacht. Vielmehr wurden von ihr 18 Zeugen präsentiert. Nach Vereidigung und Befragung durch die Staatsanwaltschaft unterwarf die Verteidigung diese Zeugen einem eingehenden Kreuzverhör. Die Voranhörung dauerte daher 6 Verhandlungstage. Diese Vorgehensweise ist ungewöhnlich und weicht von Voranhörungen in Mordfällen, wie sie tagtäglich in Kalifornien stattfinden, wesentlich ab 2 2 7 . Die Staatsanwaltschaft wurde daher auch heftig dafür kritisiert, nicht lediglich einen sachbearbeitenden Polizeibeamten als Zeugen vom Hörensagen benannt zu haben228. Dies hätte nach Ansicht von Prozeßbeobachtern aus-

2 2 5

Mini-Trial.

2 2 6

§ 872 (b) S.l P.C. lautet: Notwithstanding Section 1200 of the Evidence Code, the finding of probable cause may be based in whole or in part upon the sworn testimony of a law enforcement officer relating the statements of declarants made out of court offered for the truth of the matter asserted. 2 2 7

So Arenella , Professor für Strafrecht an der University of California, Los Angeles, im S.F. Daily Journal vom 12.07.94.

80

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

gereicht, um die erstrebte Zulassungsentscheidung zur Hauptverhandlung229 durch den Magistrate zu erwirken 230 . Der Verteidigung wurden daher unnötige Ansatzpunkte für ihre Verteidigungsstrategie gegeben. Ein eingehendes Kreuzverhör erlaubt es, Schwachstellen und Widersprüche in den Aussagen der Zeugen zu entdecken. Ferner kann die Aussage des Zeugen während der Voranhörung später im Hauptverfahren als Vorhalt benutzt werden, falls sich Widersprüche zeigen. Dies führt letztlich dazu, daß die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen geschwächt wird. Andererseits birgt aber auch ein eingehendes Kreuzverhör sowie der Versuch, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen bereits in diesem frühen Verfahrensstadium zu erschüttern, für die Verteidigimg Risiken. Es wird die beabsichtigte Verteidigungsstrategie, zumindest in Ansatzpunkten, sichtbar. Der Zeuge und vor allem die Staatsanwaltschaft wird auf Lücken und Widersprüche aufmerksam und erhält so die Möglichkeit, diese Mängel vor Beginn des Hauptverfahrens zu beheben. Zeugen, welche ansonsten belastende Details vergessen hätten, werden an diese eventuell aufgrund des Kreuzverhörs erinnert und behalten sie so bis zum Hauptverfahren in Erinnerung. Schließlich mag es Zeugen geben, deren negative emotionale Einstellung gegenüber dem Beschuldigten im Laufe der Zeit nachgelassen hätte, deren ablehnende Haltung aber nunmehr aufgrund des eingehenden Kreuzverhörs erst recht verstärkt wird. All diese Risiken mögen im Simpson Fall von den beiden Parteien bedacht worden sein, dennoch wurde die geschilderte Verfahrenstaktik im wesentlichen aus einem Grund gewählt: Aufgrund der immensen Medienpublizität versuchten die Parteien nicht nur das Gericht zu überzeugen, sondern plädierten an die öffentliche Meinung, vor allem an die Meinung möglicher zukünftiger Geschworener, die das Verfahren vor dem Fernseher verfolgten. Die Staatsanwaltschaft versuchte durch die beeindruckende Zahl von Belastungszeugen in der Öffentlichkeit den Eindruck hervorzurufen, daß an der Schuld von O.J. Simpson kein Zweifel bestünde. Dies wäre nicht möglich gewesen durch die Benennung eines einzigen Polizeibeamten als Zeugen vom Hörensagen. In der Öffentlichkeit wäre dann der Eindruck entstanden, die Staatsanwaltschaft hätte etwas zu verheimlichen. 2 2 8

L.A. Deputy District Attorney Norris im S.F. Daily Journal vom 03.08.94,

S.3. 2 2 9 2 3 0

Bind-Over Order.

Beverly Hills Strafverteidiger Joel Isaacson im S.F. Daily Journal vom 12.07.94.

V. Voranhörung

81

Strategie der Verteidigung war es demgegenüber, durch ein bis ins kleinste Detail gehende Kreuzverhör die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu erschüttern und so in der Öffentlichkeit die Zweifel zu fördern, ob die Beweise der Staatsanwaltschaft wirklich so überzeugend seien, wie diese vorgab. Der Verteidigung war alles daran gelegen, wenigstens einen zuschauenden, potentiellen Geschworenen an der Schuld von O.J. zweifeln zu lassen. Denn aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses reicht im Hauptverfahren ein einziger, auf "nicht schuldig" stimmender Geschworener aus, um eine Verurteilung zu verhindern. Im Ergebnis beeinflußten damit die Medien in ganz wesentlicher Weise das Voranhörungsverfahren.

g) Hinreichender

Tatverdacht

nach kalifornischem

und deutschem Recht

Bei Abschluß der Voranhörung muß der Magistrate schließlich entscheiden, ob das Verfahren zum Hauptverfahren vor dem Superior Court übergeleitet wird. Während zur Verurteilung des Angeklagten ein strenger Maßstab an Gewißheit bzw. Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, kann in der Voranhörung nicht der gleiche Maßstab angelegt werden, da es sich um ein Vorverfahren handelt, in dem gerade erst entschieden werden soll, ob es überhaupt zu einem Hauptverfahren kommt. Nach § 1096 P.C. muß zur Verurteilung des Angeklagten dessen Schuld "jenseits eines vernünftigen Zweifels" bewiesen sein 231 . Dagegen reicht es in der Voranhörung aus, daß eine Straftat begangen wurde und genügender Grund 232 zur Annahme besteht, daß der Angeklagte der Tat schuldig ist, § 872 (a) P.C. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erläßt der Magistrate eine Anordnung, daß sich der Angeklagte wegen der ihm zur Last gelegten Straftat im Hauptverfahren vor dem Superior Court verantworten muß. Diese Anordnung wird als "bind over " oder "holding over order " bezeichnet und entspricht dem 2 3 1 § 1096 P.C. lautet: ... guilty beyond a reasonable doubt. Reasonable doubt is defined as follows: It is not a mere possible doubt; because everything relating to human affairs, and depending on moral evidence, is open to some possible or imaginary doubt. It is that state of the case, which, after the entire comparison and consideration of all the evidence, leaves the minds of jurors in that condition that they can not say they feel an abiding conviction, to a moral certainty, of the truth of the charge. 2 3 2

7 SchnabI

Sufficient Cause.

82

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Beschluß des deutschen Rechts, die Anklage zuzulassen und das Hauptverfahren zu eröffnen, § 203 StPO. Sowohl die Voranhörung als auch das deutsche Zwischenverfahren haben damit letztlich, obgleich die Verfahren unterschiedlich ausgestaltet sind, eine Kontrollfunktion und dienen der Vermeidung sachlich nicht gerechtfertigter Anklagen und damit letztlich dem Schutz des Individuums. In beiden Rechtsordnungen wird dem Gericht als Maßstab, ob die Beweise die Zulassung der Anklage zum Hauptverfahren rechtfertigen, nur ein unbestimmter Rechtsbegriff zur Hand gegeben. "Hinreichender Tatverdacht" nach dem deutschen Recht, § 203 StPO, und "sufficient cause" nach kalifornischem Recht, § 872 (a) P.C. 2 3 3 . In beiden Rechtsordnungen ist der Begriff bewußt so gewählt, daß er hinter der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugung zurückbleibt. Der "hinreichende Tatverdacht" nach § 203 StPO entspricht in etwa dem " sufficient cause" Standard. Ausreichend ist jeweils eine bloße Wahrscheinlichkeit. " sufficient " oder "probable" cause liegt nach einer gebräuchlichen Umschreibung vor, wenn jemand von durchschnittlicher Kenntnis oder Klugheit veranlaßt wäre, zu glauben, daß ein starker Verdacht hinsichtlich der Schuld des Angeklagten bestehe und dies gewissenhaft in Erwägung ziehe 234 . Hinreichender Tatverdacht nach § 203 StPO besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung 235. Im Ausgangsfall kam Magistrate Kathleen Kennedy-Powell nach 6 Verhandlungstagen und der Anhörung von 18 Zeugen zu dem Schluß, es bestehe hinreichender Tatverdacht und erließ daraufhin die Anordnung, O.J. Simpson müsse sich im Hauptverfahren vor dem Superior Court wegen zweifachen Mordes verantworten.

2 3 3

Sufficient Cause entspricht dem Begriff Probable Cause wie er entsprechend in den Gesetzen der anderen Einzelstaaten verwandt wird; im übrigen spricht selbst der kalifornische Penal Code an anderer Stelle im Zusammenhang mit dem im Preliminary Hearing anzulegenden Maßstab von Probable Cause, vgl. § 866 (b) S.l P.C. 2 3 4 People v. Encerti, 130 CA 3d 791, 182 CR 139 (1982): A man of ordinary caution or prudence would be led to believe and conscientiously entertain a strong suspicion of the guilt of the accused. 2 3 5

BGHSt 23,304,306.

V. Voranhörung

83

Die Beweisführung der Staatsanwaltschaft konnte sich lediglich auf Indizien stützen, da weder Tatzeugen vorhanden waren, noch die Tatwaffe, ein Messer, gefunden worden war. Stärkstes Indiz war ein am Tatort sichergestellter Blutspritzer. Ein Vergleich des Blutspritzers mit einer Blutprobe von Simpson ergab, daß dieser mit über 98 % Wahrscheinlichkeit von O.J. Simpson stammte. Dies klang beeindruckend bis der den Blutgruppenvergleich durchführende Mediziner im Kreuzverhör einräumen mußte, daß allein in Los Angeles über 80.000 Leute mit entsprechenden Blutmerkmalen leben. Ein weiteres Indiz war ein im Simpson Anwesen aufgefundener, blutiger, rechter Handschuh, der das genaue Gegenstück eines am Tatort sichergestellten Handschuhs ist. Obgleich diese Indizien für eine Verurteilung nicht ausgereicht hätten, vermochten sie nach Einschätzung des Magistrate die lediglich erforderliche "hinreichende Wahrscheinlichkeit", daß O.J. der Täter war, zu begründen. Anzumerken ist, daß das Gericht zu diesem Ergebnis nach Gewichtung sämtlicher Indizien gelangte. Da hier nicht auf sämtliche Indizien eingegangen werden kann, wurden mit den beiden oben genannten lediglich die zwei wesentlichsten herausgegriffen.

4. Mitwirkungspflichten a) Erzwungene Entnahme von Haarproben Zu Beginn der Voranhörung hatte Magistrate Kennedy-Powell zunächst über eine zwischen den Parteien strittige Frage zu entscheiden, deren Ausgang nicht nur für die Voranhörung, sondern für den gesamten weiteren Prozeß erheblich war. Die Staatsanwaltschaft hatte vom Beschuldigten Haarproben verlangt, um diese mit am Tatort aufgefundenen Haaren, zu vergleichen. Simpson lehnte dies zunächst ab, ließ dann aber durch seine Verteidiger erklären, ein bis maximal drei Haare zur Verfügung zu stellen. Die Staatsanwaltschaft wies dies als für die Untersuchungszwecke völlig unzureichend zurück und wandte sich mit dem Antrag an das Gericht, von O.J.'s Kopf bis zu 100 Haare entfernen zu dürfen. Nach Anhörung von Sachverständigen ordnete das Gericht an, daß die Staatsanwaltschaft mindestens 40 und maximal 100 Haare zu Untersuchungszwecken vom Kopf des Beschuldigten entnehmen dürfe. 7*

84

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

b) 5. Zusatzartikel zur U.S. Verfassung: Das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung Diese Entscheidung wirft folgende verfassungsrechtliche Frage auf: Verletzt eine Untersuchung oder Entnahme von Proben vom Körper des Beschuldigten das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung gemäß des 5. Zusatzartikels der U.S. Verfassung? Die Anwendbarkeit des 5. Zusatzartikels der U.S. Verfassung scheitert nicht daran, daß es sich hier um ein kalifornisches Strafverfahren handelt, während sich der 5. Zusatzartikel nur auf den Bund bezieht. In Malloy v. Hogan 236 entschied der U.S. Supreme Court, daß diese Vorschrift über die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels entsprechende Anwendung auf die Einzelstaaten findet. Der 5. Zusatzartikel der U.S. Verfassung besagt: Niemand soll in einem Strafverfahren gezwungen werden, Zeuge gegen sich selbst zu sein 237 . Eine weitgehend gleichlautende Bestimmung enthält Art.l § 15 S.3 Cal.Const.238. Dies bedeutet vor allem, daß der Beschuldigte im Strafverfahren ein Recht hat, nicht zur Sache auszusagen. Er darf nicht gezwungen werden, Angaben zu machen, sofern dies nicht seinem eigenen, freien Willensentschluß entspricht 239. Nach Miranda v. Arizona 240 steht hinter diesem Privileg der zentrale Verfassungsgrundsatz, daß der Staat die Würde und Integrität des Einzelnen achten muß. Um einen gerechten Ausgleich zwischen dem Staat und dem Individuum zu schaffen, müsse der Staat die ganze Last (der Beweisbeschaffung und -führung) auf sich nehmen. Das akkusatorische Strafrechtssystem verlange, um die Unverletzlichkeit der Persönlichkeit eines Menschen zu achten, daß der Staat in seinem Bemühen, ein Individuum zu bestrafen, die Beweismittel aufgrund seiner eigenen, unabhängigen Bemühungen beschaffe, "anstatt sich des grausamen

2 3 6

Malloy v. Hogan, 378 U.S. 1, 12 L.Ed.2d 653.

2 3 7

5th Amendment U.S. Const.: No person ... shall be compelled in any criminal case to be a witness against himself. ... 2 3 8 Art. 1 § 15 S.3 Cal. Const.: Persons may not ... be compelled in a criminal cause to be a witness against themselves. 2 3 9

Malloy v. Hogan, 378 U.S. 1, 8, 12 L.Ed.2d 653, 659.

2 4 0

Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436, 16 L.Ed. 694.

V. Voranhörung

85

und einfachen Mittels zu bedienen, die Beweise aus dem Mund des Beschuldigten herauszuzwingen"241. Wie in Miranda ν. Arizona bereits angedeutet, wurde das Privileg des 5. Zusatzartikels jedoch nie in dem Sinne verstanden, daß es die obigen Grundsätze umfassend schütze. Rechtsprechung und Literatur wandten das Privileg vielmehr nur auf Angaben an, die aus "dem Munde" einer Person stammten242: "das Privileg ist beschränkt auf Angaben mit Aussagecharakter. Es richtet sich gegen die Verwendung des gerichtlichen Verfahrens in der Absicht von den eigenen Lippen des Angeklagten ein Schuldeingeständnis zu erzielen. " 2 4 3 Die ältere kalifornische Rechtsprechung übernahm diese Formulierung in People v. Trujillo u.a. 2 4 4 . Der U.S. Supreme Court hat schließlich 1966 in Schmerber v. California 245 ausdrücklich festgehalten, daß das Privileg des 5. Zusatzartikels den Beschuldigten nur vor erzwungenen Aussagen oder sonstigen Angaben kommunikativer Natur schütze246. Der 5. Zusatzartikel verbietet nicht die notfalls zwangsweise Durchsetzung zur Gewinnung sogenannter "realer" oder "physischer" Beweise247. Der Cal. Supreme Court hat in Izazaga v. Superior Court 248 die vier Voraussetzungen zusammengefaßt, die kumulativ vorliegen müssen, damit das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung eingreift: - Die Information muß vom Beschuldigten selbst stammen, - sie muß belastend sein,

2 4 1 Miranda ν. Arizona, 384 U.S. 436, 16 L.Ed. 694, 715: ... rather than by the cruel, simple expedient of compelling from his own mouth. 2 4 2

8 Wigmore, Evidence § 2263, McNaughton rev. 1961.

2 4 3

The privilege is limited to testimonial disclosures. It was directed at the employment of legal process to extract from the person's own lips an admission of guilt. 2 4 4

People v. Trujillo, 32 Cal. 2d 105, 194 Ρ 2d 681 (1948); People v. Haeussler, 41 Cal. 2d 252, 260 Ρ 2d 8 (1953); People v. Duroncelay, 48 Cal. 2d 766, 312 Ρ 2d 690 (1957). 2 4 5

Schmerber v. California, 384 U.S. 757, 16 L.Ed.2d 908.

2 4 6

Evidence of a Testimonial or Communicative Nature.

2 4 7

Real or Physical Evidence.

2 4 8

(1991).

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal 3d 356, 285 CR 231

86

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

- sie muß Aussagecharakter haben oder kommunikativer Natur sein, und - auf Zwang beruhen.

c) Ausnahme: "reale" Beweismittel Auf die Haarproben im Simpson Fall angewandt, bedeutet dies, daß lediglich drei der vier Voraussetzungen vorliegen. Zwar stammen die aufgrund der vergleichenden Untersuchungen gewonnenen Informationen letztlich vom Beschuldigten und können belastend sein. Die Beweise wurden auch mittels Zwang gewonnen, da Simpson nicht freiwillig bereit war, Haare abzugeben. Beweise aufgrund von Haarproben sind jedoch nicht kommunikativer Natur, sondern rein tatsächliche, physische Beweismittel249. O.J. Simpson konnte sich daher nicht auf das Privileg des 5. Zusatzartikels der U.S. Verfassung berufen.

d) Weitere Beispiele Folgende weitere Verfahren sind "nicht-kommunikativer" Natur und daher nicht vom 5. Zusatzartikel umfaßt: Erkennungsdienstliche Maßnahmen, wie die Aufnahme von Fotos oder die Abnahme von Fingerabdrücken, Schrift- oder Sprachproben, sofern es auf äußere Merkmale und nicht auf den Inhalt ankommt250, äußerliche, körperliche Untersuchungen, Entnahme von Körperflüssigkeiten wie Blut oder Urin, sowie Gegenüberstellungen251.

e) 4. Zusatzartikel zur U.S. Verfassung: Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung Die zwangsweise Entfernung von Haaren stellt ferner eine "Durchsuchung und Beschlagnahme"252 im Sinne des 4. Zusatzartikel U.S. Verfassung 253 dar. 2 4 9

Maxwell v. Stephens, 229 F.Supp. 205, 382 U.S. 944, 15 L.Ed.2d 353.

2 5 0

Weintraub,

10 Vand.L.Rev. 485 (1957).

2 5 1

Dies sind nur Beispiele, für eine umfassendere Darstellung vgl. Marvel , Annotation zu Schmerber v. California 16 L.Ed.2d 1332 f. 2 5 2

Search and Seizure.

2 5 3

Schmerber v. California, 384 U.S. 757, 16 L.Ed.2d 908, 917 f.

V. Voranhörung

87

Die Anordnung muß sachlich gerechtfertigt 254 sein. Dies war hier der Fall, da am Tatort Haare gefunden wurden, die nach äußeren Merkmalen denen von O.J. Simpson ähnlich waren. Es bedurfte daher einer Entnahme von Simpsons Haaren, um durch eine weitergehende, vergleichende Untersuchung feststellen zu können, ob sich die beiden Haarproben tatsächlich entsprachen. Der Eingriff in die körperliche Integrität war verhältnismäßig und, da nach medizinischen Standards durchgeführt, mit einer hinzunehmenden Beeinträchtigung verbunden. Da keine Vernichtung von Beweisen drohte, durfte die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei die Entfernung der Haare nicht selbst anordnen, sondern bedurfte einer Anordnung 255 eines Magistrate, 4. Zusatzartikel U.S. Verfassung 2. Hs. Die Anordnung von Magistrate Kennedy-Powell zu Beginn des Voranhörung entsprach diesem Erfordernis. f) Die deutsche Regelung nach §81 äff. StPO Im Gegensatz zum kalifornischen Recht enthält die deutsche StPO eine ausdrückliche gesetzliche Regelung in den §§ 81 a ff. StPO. Nach § 81 a StPO ist die körperliche Untersuchung des Beschuldigten zur Feststellung verfahrensrelevanter Tatsachen zulässig. Ein Eingriff in die körperliche Integrität ist nach § 81 a I, S.2 StPO insbesondere zur Entnahme einer Blutprobe gestattet, wenn sie (u.a.) von einem Arzt durchgeführt wird. Nach Abs. 2 des § 81 a StPO ist die Anordnung grundsätzlich dem Richter vorbehalten. Die Fertigung von Lichtbildern und die Abnahme von Fingerabdrücken ist in § 81 b StPO geregelt. Ebenso wie im amerikanischen ist auch im deutschen Strafjprozeßrecht der rechtsstaatliche Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" eine der wesentlichsten Maximen. Als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 III GG wurde er vom Gesetzgeber als so selbstverständlich angesehen, daß er in der StPO nicht mehr ausdrücklich niedergeschrieben wurde. § 136 I, S.2 StPO, wonach der Beschuldigte darauf hinzuweisen ist, daß es ihm freistehe, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, begründet die Aussagefreiheit nicht, sondern setzt sie bereits voraus. Ebenso wie das amerikanische "Verbot der erzwungenen Selbstbelastung" beschränkt sich der deutsche nemo-tenetur Grundsatz darauf, daß der 2 5 4

Reasonable.

2 5 5

Warrant.

88

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Beschuldigte nicht gezwungen werden darf, aktiv an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken 256 . In Übereinstimmung damit kann von einem Beschuldigten jedoch z.B. nach § 81 a StPO verlangt werden, daß er körperliche Untersuchungen duldet. Widersetzt er sich, darf Zwang angewendet werden. Im Ergebnis wäre damit auch nach deutschem Recht im Ausgangsfall die Entnahme von Haarproben des Beschuldigten zu Untersuchungszwecken nach § 81 a I, S.2 StPO zulässig gewesen. Die Untersuchung der Haare wäre für das Verfahren von Bedeutung gewesen, da am Tatort ebenfalls Haare gefunden worden waren, die vermutlich vom Täter stammten. Die Entnahme der Haare hätte, da sie einen, wenn auch sehr geringfügigen Eingriff dargestellt hätte, durch einen Arzt erfolgen müssen. Da auch keine Gefahr in Verzug war, hätte es einerrichterlichen Anordnung bedurft, § 81 a II StPO. Vergleicht man zusammenfassend die deutsche und die kalifornische Rechtslage, stellt man fest, daß beide Rechtsordnungen bei diesem Problemkreis nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen weitgehend übereinstimmen.

5. Antrag auf Unterdrückung von Beweisen a) Antrag der Verteidigung

und Erwiderung

der Staatsanwaltschaft

Eine Schlüsselrolle in der Voranhörung spielte ein Verteidigerantrag, der am Vorabend der Voranhörung, am 29. Juni 1994, bei Gericht einging. Die Verteidigung verlangte, alle Beweisstücke, die die Polizei auf Simpson's Brentwood Anwesen sowie an dessen Ford Bronco am 13.06.94 beschlagnahmt hatte, nicht vor Gericht als Beweise zuzulassen. Dies betraf vor allem die bereits erwähnten Bluttropfen, die die Polizei auf der Auffahrt zum Simpson Anwesen und am Türgriff des Ford Bronco entdeckt hatte, sowie den blutigen Handschuh, der ebenfalls auf dem Anwesen gefunden worden war und welcher das Gegenstück zu einem am Tatort entdeckten Handschuh war. Vier Ermittler des Morddezernats waren zum Simpson Anwesen in Brentwood, L.A., gefahren, welches nur eine kurze Distanz vom Tatort entfernt war, und hatten das Grundstück am frühen Morgen, nur wenige Stunden nach Entdeckung der Tat ohne gerichtlichen Durchsuchungsbefehl betreten.

2 5 6

BGHSt 40,71; Roxin, NStZ 95, 465.

V. Voranhörung

89

Die Verteidigung argumentierte, die Durchsuchung und Beschlagnahme sei rechtswidrig gewesen, da sie ohne Durchsuchungsbefehl erfolgt sei. Die aufgefundenen Gegenstände seien daher als Beweise vor Gericht auszuschließen. Die Staatsanwaltschaft erwiderte hierauf, daß das Betreten des Grundstücks durch die Polizisten aufgrund der ihnen zum damaligen Zeitpunkt bekannten Umstände gerechtfertigt war. "Es wäre eine Vernachlässigung der Dienstpflichten gewesen, hätten die Polizisten nicht ergänzende Ermittlungen angestellt. Dies Schloß auch ein Betreten des Grundstücks ein, um Simpson von der Ermordung seiner Frau in Kenntnis zu setzen, um zu entscheiden, ob dessen kleine Kinder, - die sich im Apartment der Mutter aufgehalten hatten, als diese davor erstochen worden war -, in die Obhut eines anderen Verwandten gegeben werden mußten und ob sich weitere Opfer, Geiseln oder Tatverdächtige auf dem Anwesen aufhielten. Aufgrund der den Ermittlern zum Zeitpunkt, als sie das Simpson Anwesen betraten, bekannten Fakten, waren sie gezwungen, schnell und entschieden zu handeln, um zu verhindern, was bei vernünftiger Betrachtung als eine weiteren Opfern drohende, unmittelbare Gefahr erschien", so die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme257.

b) 4. Zusatzartikel "Durchsuchung und Beschlagnahme" und die "Ausschlußregel" Ausgangspunkt aller in Zusammenhang mit Durchsuchungen und Beschlagnahmen auftretenden Fragen ist der 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung.

Dieser lautet: Das Recht von Menschen, in ihrer Person, ihren Häusern, Dokumenten und Habe gegen unvernünftige Durchsuchungen und Beschlagnahmen geschützt zu sein, soll nicht verletzt werden, und keine gerichtliche Anordnung soll ergehen, außer aufgrund von hinreichenden Tatverdacht, gestützt auf eine eidliche oder eidesgleiche Beteuerung, und die den zu durch suchenden Ort und die festzunehmende Person oder die zu beschlagnahmend Sache detailiert beschreibt. 25* 259 2 5 7

San Francisco Daily Journal vom 06.07.94.

2 5 8

The right of the people to be secure in their persons, homes, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. Eine entsprechende Bestimmung enthält A r t . l § 13 der kalifornischen Verfassung. 2 5 9

Die Rechtsprechung und Literatur zur 4th Amendment ist derart umfangreich,

90

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Es bedurfte einer langen Reihe von Entscheidungen bis sich die Rechtsprechung festlegte, ob und welche Konsequenzen ein Verstoß gegen den 4. Zusatzartikel nach sich zieht. Zwei Fragen sind auseinanderzuhalten. Zunächst ist zu entscheiden, wann eine Durchsuchung und Beschlagnahme unvernünftig und damit rechtswidrig ist. Der 4. Zusatzartikel betrifft nach seinem Wortlaut nur diese Frage. Er enthält keine Antwort darauf, welche Konsequenzen aus einem Verstoß zu ziehen sind. Eine ähnliche Problematik wird im deutschen Strafverfahrensrecht mit den Begriffen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot bezeichnet.

aa) Entwicklung der Ausschlußregel In der Tat hatte nach der früheren Rechtsprechung ein Verstoß bei der Gewinnung der Beweise häufig keine Konsequenz bezüglich ihrer Zulassung vor Gericht. In Adams v. New York 2 6 0 urteilte der U.S. Supreme Court, daß die "bisherige Rechtsprechung und die Vernunft" die Common Law Regel unterstützen, wonach die Gerichte nicht ermitteln, auf welche Weise Beweise erlangt wurden. Ein grundlegender Wandel vollzog sich 1914 mit Weeks ν. United States261. Mr. Weeks wandte sich darin gegen die Zulassung von Beweisen vor einem Bundesgericht, die bei ihm zu Hause rechtswidrig beschlagnahmt worden waren. Der U.S. Supreme Court gab dem statt und erklärte, rechtswidrig erlangte Beweise seien vor Gericht nicht zulässig, da die Gerichte ansonsten einen Verfassungsverstoß ausdrücklich billigen würden. Die Ausschlußregel, " exclusionary rule ", war damit geschaffen. Da die Bill of Rights und der 4. Zusatzartikel als einer ihrer Bestandteile nur vor Übergriffen durch die Bundesregierung schützen sollte, beschränkte

daß mit ihr ganze Bibliotheken gefüllt werden könnten. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Probleme des Ausgangsfalles und die zu ihrem Verständnis erforderlichen Grundlagen; für eingehendere Darstellungen vgl. § 20 California Criminal Law, Procedure and Practice. 2 6 0

Adams v. New York, 192 U.S. 585, 48 L.Ed. 575 (1904).

2 6 1

Weeks ν. United States, 232 U.S. 383, 58 L.Ed. 652 (1914).

V. Voranhörung

91

sich die Ausschlußregel nach Weeks v. U.S. auf rechtswidrige Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch Bundesbedienstete.

bb) Ausdehnung auf Einzelstaaten Mit Einführung des 14. Zusatzartikels in die U.S. Verfassung, welche den Staaten verbot, "eine Person ihres Lebens, Freiheit oder Eigentums ohne gerechtes Verfahren zu berauben" 262, stellte sich die Frage, ob sich hieraus im Hinblick auf das Recht der Einzelstaaten die gleichen Beschränkungen ergäben, welche der 4. Zusatzartikel dem Bund auferlegte. Im Laufe der Zeit wurden von der Rechtsprechung zahlreiche Garantien der Bill of Rights über die Rechtsstaatsklausel auf die Einzelstaaten angewendet. Es bedurfte daher einer Entscheidung, ob dies auch für den 4. Zusatzartikel gelte. Die Frage erreichte den U.S. Supreme Court 1949 in Wolf v. Colorado 263. Das Gericht erklärte, daß die von dem 4. Zusatzartikel umfaßten Rechtsgüter vor Übergriffen durch die Einzelstaaten geschützt seien. Der 4. Zusatzartikel sei in die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels einbezogen und somit auf die Einzelstaaten anwendbar. Die gelte jedoch nicht für die Ausschlußregel. Diese sei nur eine richterrechtliche Schöpfung und nicht selbst Bestandteil des 4. Zusatzartikels. Sie gelte daher nicht für die Einzelstaaten. Im Ergebnis erklärte das Gericht damit, daß gegen den 4. Zusatzartikel verstoßende Durchsuchungen und Beschlagnahmen durch Polizisten der Einzelstaaten zwar rechtswidrig seien, die gewonnenen Beweise aber gleichwohl vor den Gerichten dieser Staaten verwertbar seien. Eine erste Ausnahme wurde drei Jahre später in Rochin v. California 264 anerkannt. Der U.S. Supreme Court Schloß darin Beweise vor Gericht aus, die durch Handlungen erlangt wurden, welche das Bewußtsein der Bürger schockieren265. Die Entscheidung wurde jedoch nicht auf den 4. Zusatz2 6 2

14th Amendment U.S. Const, lautet: ... nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law. 2 6 3

Wolf v. Colorado, 338 U.S. 25, 93 L.Ed. 1782.

2 6 4

Rochin v. California, 342 U.S. 165, 96 L.Ed. 183 (1952).

2 6 5

In dem Rochin v. California zugrundeliegenden Fall betraten Polizisten ohne Durchsuchungsbefehl und wohl ohne tatsächliche Anhaltspunkte Rochin's Haus, brachen dessen Schlafzimmertür auf und fanden Rochin und seine Frau auf dem Bett. Als Rochin drei auf dem Nachtisch liegende Kapseln schluckte, sprangen drei Polizisten auf ihn und versuchten gewaltsam, seinen Mund zu öffnen und die Kapseln herauszuholen. Als sie hiermit keinen Erfolg hatten, brachten sie Rochin in Handschellen zu einem Krankenhaus und verlangten von einem Arzt, durch eine

92

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

artikel, sondern ausschließlich auf die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels gestützt. Der sogenannte "Schock-für-das-Rechtsbewußtsein-Test" 266 sollte nur einen sehr engen Anwendungsbereich haben. Der Durchbruch kam schließlich 1961 mit Mapp v. Ohio 267 . Das Gericht verwarf seine frühere, in Wolf v. Colorado begründete Rechtsprechung und erklärte, daß Beweise, die unter Verstoß gegen den 4. Zusatzartikel erlangt wurden, vor den Gerichten der Staaten nicht zulässig seien. Da der 4. Zusatzartikel über die Rechtsstaatsklausel des 14. Zusatzartikels auf die Einzelstaaten anwendbar sei, müsse aus dem gleichen Grund auch die Sanktion für Verstöße gegen den 4. Zusatzartikel hinsichtlich der Einzelstaaten gelten. Ansonsten würden die Mißachtung der U.S. Verfassung auf der Ebene der Einzelstaaten gefördert. Dahinter steht der Gedanke, daß ein Verfassungsverbot ohne Sanktionsmöglichkeiten ein bloßes Lippenbekenntnis wäre 268 . Die Ausschlußregel ist damit seit Mapp v. Ohio in vollem Umfang auf die Einzelstaaten anwendbar. cc) Zweck der Ausschlußregel und Kritik Mit der Anerkennung der Ausschlußregel wurden mehrere Ziele verfolgt. Die zentrale Rechtfertigung ist die Abschreckung der Ermittlungsbehörden vor rechtswidrigen Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder Festnahmen. Da die dadurch gewonnenen Beweise vor Gericht nicht zugelassen werden, wird der Polizei der Anreiz genommen, rechtswidrige Handlungen durchzuführen 269. Ein weiterer Aspekt ist die Wahrung der gerichtlichen Integrität, indem sich die Gerichte nicht zu Komplizen der Polizei bei der Mißachtung der Verfassung machen, die zu achten, sie geschworen haben270. Röhre in Rochin's Magen eine brechreizauslösende Substanz einzuführen. Rochin erbrach daraufhin die Kapseln, welche Morphine enthielten. Er wurde wegen Besitzes von Morphin verurteilt. 2 6 6

Shock-The-Conscience-Test.

2 6 7

Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 6 L.Ed.2d 1081.

2 6 8

Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 6 L.Ed.2d 1081, 1090: "... a form of words".

2 6 9

Elkins v. U.S., 364 U.S. 206, 217, 4 L.Ed.2d 1669 (1960), zitiert in Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, S. 1090. 2 7 0

Elkins v. U.S., 364 U.S. 206, 217, 4 L.Ed.2d 1669 (1960), zitiert in Mapp v. Ohio, S. 1092.

V. Voranhörung

93

Ferner wird verhindert, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die Staatsgewalt Schaden nimmt, indem der Staat aus seinem rechtwidrigen Vorgehen keine Vorteile ziehen kann 271 . Die beiden zuletzt genannten Gründe haben im Vergleich zum "Abschreckungsgesichtspunkt" deutlich untergeordnete Bedeutung272. Der Sinn und Zweck der Ausschlußregel ist Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen in der Literatur 273 . Ein oft geäußerter Kritikpunkt ist, daß die Ausschlußregel die Polizei unverhältnismäßig beschränke, ihr "Handschellen" anlege274. Diese Kritik geht jedoch fehl, da der Grund der Beschränkung nicht die Ausschlußregel, sondern der 4. Zusatzartikel als solcher ist. Der 4. Zusatzartikel ist es, der "unvernünftige" Durchsuchungen und Beschlagnahmen verbietet. Dies war aber von den Schöpfern der Verfassung bewußt so gewollt. Im übrigen haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, daß effektive Polizeiarbeit keineswegs durch die Ausschlußregel beeinträchtigt wurde. Von Kritikern wird ferner vorgebracht, die Ausschlußregel komme nur den in Wirklichkeit Schuldigen zu Hilfe. Justice Cardozo faßte dies mit den Worten zusammen: "Der Straftäter geht frei, weil der Polizist gepfuscht hat" 2 7 5 . Dem ist zwar zuzugestehen, daß mit Sicherheit in einigen Fällen ein in Wahrheit Schuldiger seiner Bestrafung entgeht. Die Kritiker gehen jedoch von einer falschen Grundlage aus und verkennen vor allem die wichtige Bedeutung der Ausschlußregel im Zusammenhang mit der Bewahrung der Werte, welche dem Strafrechtssystem zugrundeliegen. Die Ausschlußregel dient der Abschreckung und der Verhinderung zukünftiger, rechtswidriger Durchsuchungen oder Beschlagnahmen. Sie wurde nicht zu dem Zweck geschaffen, bereits stattgefundene rechtswidrige Handlungen ungeschehen zu machen. Mit ihrer Ausrichtung auf die Zukunft, kommt die Ausschlußregel damit gerade den Unschuldigen und der Gesellschaft zugute. Diese werden vor rechtswidrigen Polizeiübergriffen geschützt. Der Preis hierfür ist, daß gelegentlich Straftäter ihrer gerechten Strafe entgehen. Dieser Preis muß jedoch zur Bewahrung des Strafrechtssystems und 271

U.S. v. Calandra, 414 U.S. 338, 38 L.Ed.2d 561 (1974) dissenting opinion.

2 7 2

Stone v. Powell, 428 U.S. 465, 485; U.S. v. Janis, 428 U.S. 433, 446 (1976).

27 3

Kamisar, 62 Judicature 337 (1979); Oakes , 37 U. Chi. L. Rev. 665 (1970); 62 Judicature 214 (1978).

Wilkey, 2 7 4 2 7 5

Zitat aus LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S. 107.

Justice Cardozo in People v. Defore 150 N.E. 585 (N.Y. 1926), zitiert in Mapp v. Ohio, S. 1092.

94

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

der Integrität der Werte bezahlt werden. "Nichts kann einen Staat schneller zerstören als dessen Nichtbeachtung seiner eigenen Gesetze oder schlimmer noch, die Mißachtung der Grundlage seiner Existenz, nämlich der Verfassung" 276 . Justice Brandeis hat dies zutreffend mit den Worten ausgedrückt277: "Unsere Regierung ist der mächtige, allgegenwärtige Lehrer. Zum Guten oder zum Schlechten, sie lehrt alle Leute entsprechend ihrem Beispiel.... Wenn die Regierung zum Gesetzesbrecher wird, fördert sie die Mißachtung des Rechts; sie lädt jedermann ein, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen; sie lädt zur Anarchie ein. " Chief Justice Burger bezweifelte in Bivens v. Six Unknown Named Agents 278 , daß die Ausschlußregel tatsächlich rechtswidriges Polizei verhalten verhindern werde. Es gäbe hierfür keine empirischen Nachweise. Mit dem Abschreckungsgedanken der Ausschlußregel verhält es sich jedoch wie mit dem Abschreckungsgedanken der Todesstrafe. Es läßt sich leicht auf Fälle deuten, in denen die Abschreckung versagte 279. Die Zahl der Fälle, in denen der Abschreckungsgesichtspunkt eine Straftat verhinderte, bleibt dagegen unbekannt. Die Auffassung, daß die Ausschlußregel ihren Zweck tatsächlich erfüllt, läßt sich aus einer Reihe von Umständen folgern. Während vor Einführung der Ausschlußregel nahezu keine gerichtlichen Durchsuchungsbefehle beantragt wurden, nahm deren Zahl nach Einführung der Ausschlußregel sprunghaft zu 2 8 0 . Polizisten erhielten erstmalig eine spezielle Ausbildung und Training zur richtigen Durchführung von Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Festnahmen. Ferner wurde die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft verbessert. In zweifelhaften Situationen kann die Polizei nunmehr leichter rechtlichen Rat von der Staatsanwaltschaft einholen. Aus diesen Beispielen wird deutlich, daß mit Einführung der Ausschlußregel die Rechtsstaatlichkeit erheblich gefördert wurde. Dem Verfassungsziel des 4. Zusatzartikel, - dem Schutz der Bürger vor ungerechtfertigten Über2 7 6

Mapp v. Ohio, S. 1092.

2 7 7

Dissenting opinion in Olmstead v. U.S., 277 U.S. 438, 485, 72 L.Ed. 944, 959

(1928). 2 7 8 Dissenting opinion in Bivens v. Six Unknown Named Agents, 403 U.S. 388, 29 L.Ed.2d 619 (1971). 2 7 9

D.h. Fälle, in denen dennoch ein Kapitalverbrechen begangen wurde.

2 8 0

LaFave! Israel, Criminal Procedure, S. 108.

V. Voranhörung

95

griffen in ihre Privatsphäre -, ist die Rechtsprechung damit einen großen Schritt näher gekommen.

c) Anwendungsbereich und Voraussetzungen des 4. Zusatzartikels Nachdem zunächst die Folgen eines Verstoßes gegen den 4. Zusatzartikel dargestellt wurden, bedarf es nun einer Erläuterung, wann überhaupt ein derartiger Verstoß vorliegt. Dies betrifft die Voraussetzungen und den Anwendungsbereich des 4. Zusatzartikels der U.S. Verfassung.

aa) Geschützte Bereiche Der 4. Zusatzartikel nennt selbst vier geschützte Bereiche: Personen, Häuser, Papiere und bewegliches Vermögen 281. Die frühere Rechtsprechung hat dies wörtlich genommen und eine "physische Einwirkung in einen der von der Verfassung geschützten Bereiche" verlangt 282 . Der Begriff "Person" Schloß dabei Körper 283 und Kleidung 284 ein, "Häuser" umfaßte auch Apartments 285, Hotelzimmer 286, Garagen 287, Büros 288 , Geschäfte 289 und Lagerhäuser 290, "Papiere" auch Briefe 291 und "bewegliches Vermögen" auch Autos 292 , Gepäckstücke293 und sogar Waffen 294 . 2 8 1

4th Amendment U.S. Const.: ... persons, houses, papers and effects.

2 8 2

Silverman v. U.S., 365 U.S. 505, 5 L.Ed.2d 734 (1961).

2 8 3

Schmerber v. California, 384 U.S. 757, 16 L.Ed.2d 908 (1966).

2 8 4

Beck v. Ohio, 379 U.S. 89, 13 L.Ed.2d 142 (1964).

2 8 5

Clinton v. Virginia, 377 U.S. 158, 12 L.Ed.2d 213 (1964).

2 8 6

Stoner v. California, 376 U.S. 483, 11 L.Ed.2d 856 (1964).

2 8 7

Taylor v. U.S., 286 U.S. 1, 76 L.Ed. 951 (1932).

2 8 8

U.S. v. Lefkowitz, 285 U.S. 452, 76 L.Ed. 877 (1932).

2 8 9

Amos v. U.S., 255 U.S. 313, 65 L.Ed. 654 (1921).

2 9 0

See v. City of Seattle, 387 U.S. 541, 18 L.Ed.2d 943 (1967).

291

Ex parte Jackson, 96 U.S. 727, 24 L.Ed. 877 (1877).

2 9 2

Preston v. U.S. 376 U.S. 364, 11 L.Ed.2d 111 (1964); Chamber v. Maroney, 399 U.S. 42 (1970). 2 9 3

U.S. v. Chadwick, 433 U.S. 1 (1977).

2 9 4

Warden v. Hayden, 387 U.S. 294 (1967).

96

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

bb) Katz v. U.S.: Vernünftigerweise zu erwartende Privatsphäre Eine Erweiterung und Neuausrichtung der Rechtsprechung kam 1967 mit Katz v. United States295. F.B.I.-Mitarbeiter hatten ohne gerichtliche Anordnung ein Telefongespräch abgehört, das Mr. Katz von einer Telefonzelle aus geführt hatte, indem sie ein elektronisches Abhör- und Aufzeichnungsgerät an der Außenseite der öffentlichen Telefonzelle angebracht hatten. Nach der bis dahin geltenden Rechtsprechung wäre die Telefonzelle in einen der von dem 4. Zusatzartikel geschützten Bereiche hineinzuinterpretieren gewesen und eine physische Einwirkung wäre zu konstruieren gewesen. Der U.S. Supreme Court entschied nun, daß die Anwendbarkeit des 4. Zusatzartikels nicht davon abhängen könne, ob ein physisches Eindringen in einen der dort aufgezählten Bereiche vorliege. Der 4. Zusatzartikel dient dem Schutz der Privatsphäre von Personen, nicht dem Schutz von Räumen oder Objekten. Was eine Person bewußt der Öffentlichkeit aussetzt, selbst wenn es sich um das eigene Haus oder Büro handelt, fällt nicht unter den Schutzbereich des 4. Zusatzartikels 296. Dagegen kann geschützt sein, was eine Person als privat zu bewahren sucht, mag dies auch einen der Öffentlichkeit an sich zugänglichen Bereich betreffen. Justice Harlan hat daher in Katz v. United States297 die zwei Voraussetzungen zusammengefaßt, die vorliegen müssen, damit ein Bereich geschützt ist im Sinne des 4. Zusatzartikels: - Eine Person zeigt, daß sie subjektiv eine Privatsphäre erwartet und - diese Erwartung wird von der Gesellschaft als vernünftig anerkannt. Diese Voraussetzungen wurden in nachfolgenden Entscheidungen unter dem Begrif "vernünftigerweise zu erwartende Privatsphäre" 298 zusammengefaßt 299.

2 9 5

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 19 L.Ed.2d 576 (1967).

2 9 6

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 351, 19 L.Ed.2d 576, 582 (1967).

2 9 7

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 361, 19 L.Ed.2d 576, 588 (1967): ... twofold requirement, first that a person have exhibit an actual (subjective) expectation of privacy and, second, that the expectation be one that society is prepared to recognize as 'reasonable'. 2 9 8 2 9 9

Reasonable Expectation of Privacy. So zum Beispiel in Terry v. Ohio, 392 U.S. 1, 9, 20 L.Ed.2d 889 (1968).

V. Voranhörung

97

cc) Lehre von der "freien Sicht" Hieraus ergibt sich zugleich eine wichtige Fallgruppe (teils auch als Ausnahme bezeichnet), wann der 4. Zusatzartikel nicht eingreift: Was ein Polizist von einer Stelle aus, an der er sich zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig befindet, beobachten kann, ist nicht von dem 4. Zusatzartikel geschützt. Steht der Polizist zum Beispiel auf der Straße und entdeckt bei einem Blick über den Zaun in einem Grundstück Marihuana-Pflanzen, so fällt dies nicht in den Anwendungsbereich des 4. Zusatzartikels; gleiches gilt für einen Blick durch ein Fenster. Die Rechtsprechung und Literatur unterscheidet nicht streng zwischen der Frage, ob kein "geschützter Bereich" vorliegt, da, im obigen Beispiel, der Inhaber bzw. der Gärtner der Pflanzen bei vernünftiger, objektiver Betrachtung nicht die Erwartung haben konnte, daß die Pflanzen unentdeckt bleiben oder ob es sich bei dem Garten zwar um einen geschützten Bereich handelt, aber wegen der fehlenden Einwirkung keine Durchsuchung stattfand. Diese beiden Gesichtspunkte werden häufig zusammengeworfen. Es wird nicht zwischen der Tätigkeit der Durchsuchung und dem betroffenen Objekt oder Bereich unterschieden. Zum Teil wird ausgeführt, es liege kein geschützter Bereich vor, da dieser von der Öffentlichkeit ohne weiteres eingesehen werden könne 300 , an anderer Stelle wird betont, daß das, was ein Polizist von einem rechtmäßigen Beobachtungspunkt aus sehen könne, stelle keine Durchsuchung darstelle 301, da keine gerechtfertigte Erwartung in den Schutz der Privatsphäre vorliege. Der Prüfungsmaßstab der "vernünftigerweise zu erwartenden Privatsphäre" wird somit sowohl hinsichtlich der Frage, ob ein von dem 4. Zusatzartikel geschützter Bereich vorliegt, als auch hinsichtlich der Frage, ob eine Durchsuchung stattfand, angewandt. Die genannte Einschränkung bezüglich Beobachtungen "in freier Sicht" wird als "plain-view-doctrìne" bezeichnet. Diese ist nicht auf visuelle Wahrnehmungen beschränkt, sondern umfaßt auch Wahrnehmungen durch alle anderen Sinne, wie z.B. Geruch und Geschmack. Ferner ist die Unterstützung der Sinne durch technische Hilfsgeräte zulässig, sofern diese auch in der Bevölkerung verbreitet sind, wie z.B. Ferngläser oder Taschenlampen. 3 0 0

Justice Harlan in Katz v. United States, 389 U.S. 347, 361, 19 L.Ed.2d 576, 588 (1967). 301 LaFave! Israel, Criminal Procedure, S. 128; Dressler , Understanding Criminal Procedure, S. 59.

8 Schnabl

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

98

dd) Wohngrundstücke Eingezäunte Grundstücke, die ein Wohnhaus umgeben, fallen in den Schutzbereich des 4. Zusatzartikels. Dies war in der Rechtsprechung bereits vor der Entscheidung Katz v. United States anerkannt 302 und wurde auch danach bestätigt303. Allgemein anerkannt ist auch, daß das ein Wohnhaus umgebende, eingezäunte Grundstück in den Bereich der Privatsphäre fällt. Im Ausgangsfall waren vier Ermittler der L.A. Polizei am Tor zum Simpson Anwesen angekommen. Als nach mehrmaligem Läuten niemand öffnete, sprang einer der Polizisten über die Mauer, öffnete von innen das Tor und ließ seine Kollegen herein. Die Ermittler sahen sich sodann auf dem Grundstück um. Es bestehen keine Zweifel, daß dies eine Durchsuchung im Sinne des 4. Zusatzartikels darstellt 304.

3 0 2

LaFave/Israel,

3 0 3

Oliver v. United States, 466 U.S. 170, 180, 80 L.Ed.2d 214 (1984).

Criminal Procedure, S. 130.

3 0 4 Ergänzend ist noch anzumerken, daß die Wohngrundstücke von "offenen Feldern" [open fields] abzugrenzen sind. Auf diese erstreckt sich die 4th Amendment nicht. Dies kann z.B. bei Farmhäusern eine Rolle spielen, bei denen der Hausgartenbereich in die Felder übergeht. Ein "offenes Feld" kann aber auch dann vorliegen, wenn das Grundstück eingezäunt und mit einem "Betreten verboten "-Schild versehen ist. Bei der Abgrenzung der beiden Bereiche sind Faktoren wie die Nähe zu einem Gebäude, Art der Nutzung, Art der Einzäunung gegen unbefugtes Betreten und getroffene Maßnahmen zur Verhinderung von Einblicken von aussen zu berücksichtigen, vgl. United States v. Dunn, 480 U.S. 294 (1987), 94 L.Ed.2d 326 (1987). In Oliver v. United States, 466 U.S. 170, 80 L.Ed.2d 214 (1984) erklärte der U.S. Supreme Court, daß es keine Durchsuchung im Sinne der 4th Amendment darstelle, wenn FBI Agenten unter Ignorierung eines "Betreten verboten"-Schüdes betreten, hierbei um ein abgesperrtes Tor und eine Steinmauer herumgehen und sodann Marihuanapflanzen entdecken, die von aussen nicht einsehbar sind. Diese Entscheidung betrifft einen Grenzfall und wurde auch dementsprechend kritisiert, vgl. Dressier, S.69.

V. Voranhörung

99

ee) Hinreichender Tatverdacht Die Durchsuchung durfte nicht "unvernünftig" sein 305 . Die Frage ist, wann eine Durchsuchung "unvernünftig" ist. Hierzu bedarf es zunächst einer Betrachtung der Verfassungsbestimmung selbst 306 . Der 4. Zusatzartikel läßt sich in zwei Halbsätze aufteilen. Halbsatz 1, welcher auch als die "Vernünftigkeitsklausel" 307 bezeichnet wird, betrifft Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Festnahmen, welche ohne gerichtliche Anordnung ausgeführt werden. Diese Maßnahmen sind nur dann rechtmäßig, wenn sie "vernünftig" sind. Halbsatz 2 hingegen wird als "Anordnungsklausef 308 bezeichnet und sieht vor, daß eine Durchsuchungs-, Beschlagnahme- bzw. Festnahme-Anordnung nur aufgrund hinreichenden Tatverdachts ergehen darf 309 . Dem Wortlaut des 4. Zusatzartikels ist nicht zu entnehmen, wie diese beiden Halbsätze zusammenwirken310, insbesondere, wann ein Durchsuchungsbefehl erforderlich ist und wann die Polizei ohne einen solchen handeln darf. Diese Fragen wurden von der Rechtsprechung gelöst. In den Fällen, in denen die Polizei ohne gerichtliche Anordnung vorgehen kann, Halbsatz 1, müssen die gleichen tatsächlichen Gründe vorliegen, die auch den Erlaß einer gerichtlichen Anordnung rechtfertigen würden, Halbsatz 2. "Vernünftig" im Sinne des Halbsatzes 1 und "hinreichender Tatverdacht" im Sinne des Halbsatzes 2 entsprechen einander und haben die gleichen Voraussetzungen.

3 0 5 4th Amendment: The right of the people to be secure in their ... homes ... against unreasonable searches ... shall not be violated. 3 0 6

Die 4th Amendment U.S. Const, lautet: The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. 3 0 7

Reasonableness-Clause.

3 0 8

Warrant-Clause.

3 0 9 Weitere Voraussetzungen sind, daß eine eidesstattliche Erklärung zugrundeliegen muß und der zu durchsuchende Ort, die festzunehmende Person oder die zu beschlagnahmende Sache ausführlich beschrieben ist. 3 1 0 "The interrelationsship of these two clauses is a sytactical mystery", Uviller , 25 Crim.L.Bull. 29, 33 (1989).

*

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

100

Mit anderen Worten: eine polizeiliche Maßnahme nach Hs.l ist "unvernünftig", wenn nicht "hinreichender Tatverdacht" vorliegt. Der Grund hierfür ist: Wären die Anforderungen nach Hs. 1 geringer, als wenn zunächst ein Durchsuchungsbefehl erwirkt worden wäre, würde jeglicher Anreiz für die Polizei fehlen, vor ihren Maßnahmen einen solchen zu beantragen311. Hinreichender Tatverdacht ist damit einer der Schlüsselbegriffe des 4. Zusatzartikels. In Brinegar v. United States312 hat der U.S. Supreme Court den Begriff mit den Worten umschrieben: Hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn die Tatsachen und Umstände, von denen der Beamte Kenntnis hat und die auf vernünftigerweise vertrauenswürdigen Informationen beruhen, in sich genügen, um eine Person von vernünftiger Vorsicht zu der Annahme zu berechtigen, daß - im Falle einer Festnahme eine Straftat begangen wurde und die festzunehmende Person diese begangen hat; - im Falle einer Durchsuchung beschlagnahmbare Beweise am zu durchsuchenden Ort gefunden werden. Es handelt sich somit um einen objektiven Standard. Es ist zu fragen, ob die Fakten, die dem Polizisten zum Zeitpunkt seines Eingreifens bekannt waren, einem vernünftigen Menschen genügt hätten, hinreichenden Tatverdacht zu bejahen313. Etwaiges Sonderwissen oder Berufserfahrung des Polizisten ist zu berücksichtigen314. Nicht erforderlich ist hingegen der Nachweis, daß der handelnde Polizist tatsächlich an das Vorliegen von dringenden Tatverdacht geglaubt hat. Seine Handlungen müssen lediglich objektiv gerechtfertigt sein. ff) Erfordernis eines Durchsuchungsbefehls Im Simpson Fall stellte sich den am Tatort angekommenen Polizisten nun die Frage, ob sie selbst die Entscheidung über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts treffen durften oder ob sie zuerst einen Durchsuchungsbefehl 315 311

Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963).

3 1 2

Brinegar v. United States, 338 U.S. 160, 176, 93 L.Ed. 1879 (1949).

3 1 3

Beck v. Ohio, 379 U.S. 89, 13 L.Ed.2d 142 (1964).

3 1 4

United States v. Ortiz, 422 U.S. 891, 45 L.Ed.2d 623 (1975); Johnson v. United States, 333 U.S. 10, 92 L.Ed. 436 (1948). 3 1 5

Search warrant.

V. Voranhörung

101

bei Gericht erwirken mußten. Im letzteren Fall hätte dann der zuständige Richter, im Gesetz als Magistrate bezeichnet, § 1523 P.C., über das Vorliegen von hinreichendem Tatverdacht zu entscheiden. Allgemeiner ausgedrückt betrifft dies die Frage, wann eine gerichtliche Anordnung erforderlich ist und wann die Polizei ohne eine solche vorgehen darf. Es wurde bereits angedeutet, daß der Wortlaut des 4. Zusatzartikels dieses Problem nicht löst. Der U.S. Supreme Court vertrat in den 50iger und 60iger Jahren die Position, daß vor Durchsuchungen der Erlaß einer gerichtlichen Anordnung Vorzugs würdig sei. Der von dem 4. Zusatzartikel bezweckte Schutz der Privatsphäre einer Person würde dadurch am besten erreicht, daß die Durchsuchungsentscheidung von einem neutralen und unbeeinflußten Richter getroffen werde anstelle der Polizei, die oft zu übereilten Entscheidungen verleitet wäre 316 und deren Beamte in den Wettbewerb der Aufspürung von Verbrechen verwickelt wären 317 . Die Gerichte bevorzugten eindeutig den Gebrauch eines Durchsuchungsbefehls 318. In Katz v. Unites States319 stellte der U.S. Supreme Court sogar fest, daß Durchsuchungen ohne vorherige gerichtliche Anordnung per se unvernünftig im Sinne des 1. Hs. des 4. Zusatzartikels und somit rechtswidrig seien. Dies gelte in allen Fällen, Ausnahmen könnten nur in engen Sonderfällen zugelassen werden. Befürworter dieser Rechtsprechung beriefen sich auf historische Gründe. Mit Schaffung des 4. Zusatzartikels 2. Halbsatz sollte sichergestellt werden, daß die Befugnis zu Durchsuchungen nicht ausschließlich in den Händen der Exekutive, insbesondere der Polizei, liege, sondern mittels des Erfordernisses einer ausdrücklichen Anordnung eine gerichtliche Kontrolle stattfände 320. In jüngerer Zeit vertraten insbesondere die U.S. Supreme Court Richter Rehnquist und White die gegenteilige Ansicht 321 . Durchsuchungsanordnungen seien danach von untergeordneter Bedeutung und nur einer von

3 1 6

Hurried actions: Aguilar v. Texas, 378 U.S. 108, 12 L.Ed.2d 723 (1964).

3 1 7

Engaged in the often competitive enterprise of ferreting out crime: Johnson v. Unites States, 333 U.S. 10, 92 L.Ed. 436 (1948). 3 1 8

LaFavelIsrael, Criminal Procedure, S. 138.

3 1 9

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 357, 19 L.Ed.2d 576, 585 (1967).

3 2 0

Grano , 19 Am.Crim.L.Rev. 603 (1982).

321

Vgl. ausführlich hierzu Uviller,

25 Crim.L.Bull. 29 (1989).

102

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

zahlreichen Faktoren, die ein Polizist bei der Abwägung, ob eine Durchsuchung vernünftig sei, berücksichtigen müsse. Rehnquist vertritt hierbei die Ansicht, daß der oben genannte Vorzug einer Durchsuchungsanordnung lediglich von der Rechtsprechung geschaffen wurde und nicht auf Erwägungen der "Schöpfer" der Verfassung beruht 322 . Vielmehr würde dadurch der historische Gedanke hinter dem 4. Zusatzartikel geradezu auf den Kopf gestellt. Nach White's Lesart der Verfassungsgeschichte, war es gerade der Mißbrauch der "warrants " durch die Gerichte, - wie die nahezu unbeschränkten sogenannten "general warrants " und "writs of assistance " zeigen -, der die Verfassungsschöpfer zur Einführung des 4. Zusatzartikels 2.Hs. veranlaßte. Es sollten damit nicht die Durchsuchungsbefugnisse der Polizei beschränkt werden 323. Die Rehnquist/White Ansicht vermochte sich jedoch nicht durchzusetzen. Die Rechtsprechung geht weiterhin vom Erfordernis einer Durchsuchungsanordnung aus. Es gilt der Grundsatz, daß Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Haus nach dem 4. Zusatzartikel einer vorherigen gerichtlichen Anordnung bedürfen 324. Wie bereits ausgeführt, umfaßt der 4. Zusatzartikel auch ein eingezäuntes Wohngrundstück. Bemerkenswert ist, daß das Recht der Polizei eine, einer Felony-Straftat hinreichend verdächtige Person auf offener Straße ohne gerichtliche Anordnung festzunehmen, nie angezweifelt wurde. Diese Befugnis bleibt weiterhin auch im Lichte der 4th Amendment bestehen und gilt selbst dann, wenn die Polizei ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, zunächst einen Arrest Warrant zu erwirken 325 . Das Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung wird jedoch nicht streng durchgeführt. Wenn besondere Umstände vorliegen, kann die Polizei auch ohne vorherige gerichtliche Anordnung handeln. In jüngerer Zeit besteht eine Tendenz, diese Ausnahmen immer weiter zu fassen 326.

3 2 2

Rehnquist , dissenting opinion in Robbins ν. California, 453 U.S. 420, 438

(1981). 3 2 3

White, dissenting opinion, Payton ν. New York, 445 U.S. 573, 608 (1980).

3 2 4

Payton v. New York, 445 U.S. 573, 63 L.Ed.2d 639 (1980).

3 2 5

United States v. Watson, 423 U.S. 411, 46 L.Ed.2d 598 (1976).

3 2 6

Wasserstrom,

27 Am. Crim. L. Rev 119, 129 (1989).

V. Voranhörung

103

gg) Ausnahme: Dringende Umstände (1) Gemeinsame Voraussetzungen Ausnahmen vom Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung werden von der Rechtsprechung meist dann zugelassen, wenn sogenannte dringende Umstände327 vorliegen. Dies sind Umstände, in denen der Erfolg der polizeilichen Maßnahme gefährdet würde, wenn die Polizei zuerst einen Durchsuchungsbefehl erwirken müßte. Im deutschen Strafverfahrensrecht werden diese Situationen mit dem Begriff "Gefahr in Verzug", §§ 98 1,1, 105 1,1, 127 II StPO, bezeichnet. Beide Rechtsordnungen weisen insoweit Parallelen auf, als zu Durchsuchungen, Festnahmen und Beschlagnahmen grundsätzlich eine gerichtliche Anordnung erforderlich ist, bei "Gefahr in Verzug" bzw. bei "exigent circumstances " jedoch die Staatsanwaltschaft oder Polizei auch ohne eine solche handeln darf. Diese "dringenden Umstände" können in einer Vielzahl von Fallgestaltungen auftreten. In Hinblick auf häufiger auftretende Situationen hat die amerikanische Rechtsprechung Fallgruppen gebildet. Die Annahme dringender Umstände ist jedoch nicht auf diese beschränkt. In jedem Einzelfall ist gesondert zu entscheiden, ob wegen der Dringlichkeit der tatsächlichen Umstände eine Ausnahme vom Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung zuzulassen ist. Generell lassen sich folgende gemeinsame Voraussetzungen herausstellen: - Die Ausnahme greift nur ein, wenn dringende Umstände es für die Polizei unpraktikabel oder unvernünftig machen würden, vor der Durchsuchung einen Durchsuchungsbefehl zu erwirken. - Das Ausmaß der "Notsituation" beschränkt grundsätzlich den Umfang der ohne gerichtliche Anordnung durchgeführten Durchsuchung. Die Polizei kann zum Beispiel nicht, wenn sie einen flüchtigen Bankräuber im Haus A entdeckt, das Nachbarhaus Β durchsuchen. - Die dringenden Umstände befreien die Polizei nur vom Erfordernis einer gerichtlichen Anordnung, nicht dagegen von der Entscheidung, daß hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte zum Eingreifen vorliegen 328.

3 2 7 3 2 8

Exigent Circumstances.

Probable Cause i.S. des 4. Zusatzartikels; Dressler, Understanding Criminal Procedure, S. 125.

104

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

(2) Verfolgung

auf frischer

Tat

Eine in der Rechtsprechung häufig zitierte Fallgruppe ist die "Verfolgung auf frischer Tat" 3 2 9 . Beobachtet die Polizei eine Person bei der Begehung einer Straftat von einiger Bedeutung (i.d.R. Verbrechen) und verfolgt diese in ein Anwesen, so braucht die Polizei keinen Durchsuchungsbefehl, um das Haus zu betreten und darin nach dem Straftäter zu suchen330.

(3) Fluchtgefahr Gleiches gilt, wenn die Polizei einen mutmaßlichen Straftäter zwar nicht auf frischer Tat verfolgte, aber hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, daß die Person fliehen wird, falls nicht unverzüglich eine Festnahme erfolgt. Im Falle der Fluchtgefahr kann die Polizei damit ein Anwesen ohne Durchsuchungsbefehl betreten, um einen (Verbrechens-) Straftäter festzunehmen331.

(4) Durchsuchung aus Anlaß einer Festnahme Nimmt die Polizei eine Person aufgrund eines Haftbefehls fest oder ist sie sonst zur Festnahme berechtigt, so darf diese Person durchsucht werden, gleiches gilt für die nähere Umgebung dieser Person. Dies wird als "search incident to arrest" bezeichnet. Nach Chimel v. California 332 bestehen die "dringenden Umstände" in dieser Fallgruppe darin, etwaige Waffen von der festgenommenen Person zu entfernen, welche von dieser zur Bedrohung der Polizisten oder zur Flucht gebraucht werden könnten333. Ferner soll verhindert werden, daß der Festgenommene Beweismittel zerstört, die sich entweder an seinem Körper befinden können oder auf die er in seiner Umgebung zugreifen könnte.

3 2 9

Hot Pursuit.

3 3 0

United States v. Santana, 427 U.S. 38, 49 L.Ed.2d 300 (1976); Warden v. Hayden, 387 U.S. 294, 18 L.Ed.2d 782 (1967); People v. Parrison, 187 Cal.Rptr. 123, 137 C.A.3d 529 (1982). 331

People v. Sanchez, 150 Cal.Rptr. 772, 86 C.A.3d Supp. 8 (1978).

3 3 2

Chimel v. California, 395 U.S. 752, 23 L.Ed.2d 685 (1969).

3 3 3

Ebenso Warden v. Hayden, 387 U.S. 294, 18 L.Ed.2d 782 (1967).

V. Voranhörung

105

(5) Zerstörung oder Entfernung von Beweisen Haben die Polizisten hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, daß sich in einem Anwesen Beweismittel befinden, deren Zerstörung oder Beseitigung unmittelbar droht, so liegen auch hier dringende Gründe vor, die eine Durchsuchung des Anwesens ohne Durchsuchungsanordnung und eine Beschlagnahme der Beweise rechtfertigen 334. Die Polizei hat hier vor ihrer Entscheidung, ob sofort eingegriffen werden darf, insbesondere folgende Umstände abzuwägen: der Grad der Dringlichkeit gegenüber der Zeitspanne, die erforderlich wäre, einen gerichtlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl zu erwirken; Anhaltspunkte, daß mildere Maßnahmen, wie z.B. die Beobachtung des Anwesens oder dessen Absperrung nicht genügen, insbesondere, wenn sich im Anwesen Personen aufhalten, die von der Präsenz der Polizei Kenntnis haben; Art der Beweise (Drogen können leichter die Toilette hinuntergespült werden als Goldbarren), sowie Kenntnisse vom charakteristischen Verhalten der beteiligten Personen (in den meisten Fällen von Drogendelikten wird versucht, die Drogen zu beseitigen). Es ließen sich noch weitere Fallgruppen bilden, wenn man Entscheidungen der Rechtsprechung aufgrund gemeinsamer Kriterien zusammenfassen wollte. Letztlich ist jedoch immer eine Einzelfallentscheidung notwendig, bei der auf die eingangs erwähnten allgemeinen Kriterien zurückzugreifen ist. Eine wesentliche Fallgruppe, auf die sich die Polizisten im Simpson Fall beriefen, blieb bisher unerwähnt. Auf sie wird im folgenden eingegangen.

d) Dringende Umstände im Simpson Fall aa) Stellungnahme der Polizisten Die vier Polizisten, welche als erste in den frühen Morgenstunden des 13.06.94 das Simpson Anwesen ohne Durchsuchungsbefehl betreten hatten, führten vor Gericht aus: Kurz nachdem sie die Leichen von Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman am Tatort gesehen hätten, seien sie zum ca. 2 Meilen entfernten Simpson Anwesen gefahren, um Simpson von der Ermordung seiner Frau zu unterrichten. Ferner wollten sie herausfinden, ob die

3 3 4

United States v. Robin, 474 F2d 262 (3d Circuit 1973); People v. Sanchez, 172 Cal.Rptr. 290, 116 C.A.3d 720 (1981); People v.Edwards, 178 Cal.Rptr. 876, 126 C.A.3d 447 (1981).

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

106

beiden kleinen Kinder, die sich im Apartment der Mutter befanden, bei ihrem Vater untergebracht werden könnten. Am Simpson Anwesen angekommen, versuchten die Polizisten über die Haussprechanlage am Tor sowie über ein mobiles Telefon O.J. Simpson im Haus zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt war es ca. 5 Uhr morgens. Obgleich im Haus Licht brannte und sie das Telefon läuten hörten, antwortete niemand. Gleichzeitig entdeckten sie an dem weißen Ford Bronco, der in ungewöhnlicher Position vor dem Tor abgestellt war, einen Blutflecken am Türgriff. Die Polizisten folgerten hieraus, daß sich weitere Opfer im Anwesen befinden könnten, die verbluten würden, wenn sie nicht sofort handelten. Aufgrund dieser Notsituation glaubten sich die Polizisten berechtigt, das Grundstück ohne Durchsuchungsbefehl zu betreten und nachzusehen, ob sich weitere Opfer oder eventuell Geiseln auf dem Grundstück befänden, die polizeilicher Hilfe bedürften. Polizist Fuhrman sprang daraufhin über den Zaun, öffnete das Tor und ließ seine Kollegen herein. Sie fanden auf dem Grundstück keine weiteren Opfer. Von Mr. Simpson's Tochter, die im Nebenhaus auf dem Anwesen lebte und herauskam, als sie bemerkte, daß sich Polizei auf dem Grundstück befand, wurden sie unterrichtet, daß Simpson vor Mitternacht nach Chicago abgereist war. Die Polizisten fanden auf dem Grundstück den bereits erwähnten blutigen Handschuh sowie mehrere Bluttropfen. Die Objekte wurden sichergestellt. Die Verteidigung argumentierte, die von den Polizisten vorgetragenen Gründe seien nur ein Vorwand gewesen, um in Wirklichkeit das Anwesen nach Beweisstücken zu durchsuchen.

bb) Dringende Umstände: Nothilfe Die Polizisten beriefen sich hier auf eine Notsituation, nämlich die Rettung von Opfern, welche ein sofortiges Eingreifen erforderlich machte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen in einer Notsituation335 dringende Umstände darstellen, die das Betreten und die Durchsuchung eines Grundstücks oder Hauses ohne Durchsuchungsbefehl rechtfertigen 336.

3 3 5 3 3 6

Emergency Aid.

People ν. Soldoff, 169 Cal.Rptr. 57, 112 C.A.3d 1 (1980); People v. Ammons, 162 Cal.Rptr. 772, 103 C.A.3d 20 (1980); People v. Sutton, 134 Cal.Rptr. 921, 65 C.A.3d 341 (1976); State v. Sanders, 506 P.2d 892 (Wash.App. 1973).

V. Voranhörung

107

Es muß eine gegenwärtige Gefahr vorliegen, die es nicht gestattet, den Erlaß eines Durchsuchungsbefehls abzuwarten. Dies ist zum Beipiel der Fall, wenn Verbrechensopfer zu verbluten drohen oder eine weitere Mißhandlung der Opfer durch den Täter zu verhindern ist. Ein sofortiges Eingreifen kann auch im Falle einer Geiselnahme gerechtfertigt sein. Eine Notsituation muß aber nicht immer mit einer Straftat zusammenhängen. Sie kann auch vorliegen, wenn eine Person z.B. aufgrund eines Unglücksfalls einer Hilfe bedarf 337 . Es müssen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sein, die den Schluß nahelegen, ein sofortiges Eingreifen sei erforderlich. Eine bloße Vermutung eines Polizisten, die sich auf keinerlei Tatsachengrundlage stützen läßt, reicht nicht aus. Denn auch bei einer auf dringende Umstände gestützten, ohne gerichtliche Anordnung durchgeführten Durchsuchung muß hinreichender Tatverdacht vorliegen; nur dann ist die Durchsuchung vernünftig im Sinne des 4. Zusatzartikels. Hinreichender Tatverdacht umfaßt hier hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, daß 1. eine Notsituation vorliegt, die ein sofortiges Eingreifen erfordert, sowie 2. daß hierzu das Betreten und die Durchsuchung des Anwesens erforderlich ist. Die Ausnahme vom Erfordernis eines Durchsuchungsbefehls entfällt nicht nachträglich (ex post), wenn sich später herausstellt, daß tatsächlich keine Notsituation vorlag. Es kommt vielmehr auf die Umstände an, die zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Polizisten vorlagen (ex ante Sicht). Ein objektiver Maßstab ist zugrundezulegen338. Maßgeblich ist die Sicht eines "vernünftigen" Polizisten zum Zeitpunkt der erforderlichen Handlung. Besondere Kenntnisse und die Berufserfahrung der beteiligten Polizisten sind zu berücksichtigen. Jedoch dürfen nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden, da vom jeweiligen Polizisten Entscheidungen oft innerhalb von Sekunden gefordert werden. Ferner können die ihm zur Verfügung stehenden Informationen widersprüchlich sein, während andererseits ein Leben auf dem Spiel stehen kann und der Polizist daher unter erheblichem Streß steht. In beschränktem Umfang ist neben dem objektiven auch ein subjektiver Maßstab anzuwenden. Es ist zu fragen, ob der Polizist in der Absicht 3 3 7

Zwar werden diese Situationen in der Regel nicht vor Gericht gebracht, vielmehr ist die gerettete Person meist für die Rettung dankbar; es entsteht jedoch dann Streit, wenn die Polizei während ihres Aufenthalts im Haus oder Grundstück zufällig Beweise einer Straftat, z.B. Drogen, entdeckt. 3 3 8

LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S. 180.

108

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

handelte, der Notsituation abzuhelfen. Die Notsituation darf nicht bloßer Vorwand sein. Während die Rechtsprechung früher forderte, daß die Absicht, Leben oder Eigentum zu retten, das primäre Motiv der Polizisten sein mußte 339 , reicht es nach neueren Entscheidungen aus, daß dies zumindest auch ein Motiv war 3 4 0 und nicht lediglich ein Vorwand. Nach Anhörung der vier Polizisten hat Richterin Kathleen Kennedy-Powell entschieden, daß, nach ihrer Überzeugung, die Polizisten in der Absicht handelten, das Leben etwaiger Opfer zu retten. Zu dieser Annahme waren sie aufgrund der ihnen am Morgen des 13. Juni bekannten Umstände berechtigt: Es brannte um 5 Uhr morgens Licht im Simpson Anwesen, dennoch wurden die mehrmaligen Telefonanrufe nicht beantwortet und auch über die Haussprechanlage war kein Kontakt herzustellen. Dies allein hätte jedoch nicht für ein Eingreifen ausgereicht, da sich hieraus noch keine Hinweise auf eine Verknüpfung mit einem Verbrechen oder auf eine lebensbedrohende Notlage ergeben 341. Entscheidend kam hier hinzu, daß 1. die Polizisten von einem nahegelegenen Tatort kamen, an dem die kürzlich geschiedene Ehefrau von Simpson ermordet aufgefunden worden war und 2. frische Blutspuren am Türgriff von Simpson's Auto, welches in ungewöhnlich schräger Weise vor der Einfahrt abgestellt war, entdeckt hatten. Die Polizisten gingen damit zu Recht von einer Notsituation aus, die ein sofortiges Betreten des Grundstücks und eine Suche nach etwaigen weiteren Opfern erforderte. Richterin Kennedy-Powell hat unter Hinweis auf die Entscheidung People v. Cain 342 die auf dem Simpson Anwesen durchgeführte Suche nach Opfern für rechtmäßig erklärt. Es hätten "dringende Umstände" vorgelegen, die vom Erfordernis eines Durchsuchungsbefehls befreiten. Der 4. Zusatzartikel sei gewahrt. Gegen diese Entscheidung ließe sich einwenden, daß das Gericht hier den Anwendungsbereich von "dringenden Umständen" über sämtliche frühere Entscheidungen hinaus ausdehnte. 3 3 9

People v. Dickson, 144 Cal.App.3d 1046, 192 Cal.Rptr. 897 (1983).

3 4 0

People v. Baird, 168 Cal. App.3d 237, 244, 214 Cal.Rptr. 88 (1985).

341

Vgl. People v. Cain, 216 Cal.App.3d 366, 264 Cal.Rptr. 339 (1989) mit Hinweis auf Horack v. Superior Court, 3 Cal3d 720, 91 Cal.Rptr. 569 (1970), sowie People v. Smith, 7 Cal.3d 282, 101 Cal.Rptr. 893 (1972). 3 4 2

People v. Cain, 216 Cal.App.3d 366, 264 Cal.Rptr. 339 (1989).

V. Voranhörung

109

Wie in Katz v. United States343 vom U.S. Supreme Court ausgedrückt, ist das Erfordernis eines gerichtlichen Durchsuchungsbefehls die Regel. Ausnahmen können nur in sehr begrenzten Umfang unter strengen Voraussetzungen zugelassen werden. Obgleich die Gerichte seitdem eine Reihe von Ausnahmen anerkannten, bezog sich die Fallgruppe der Nothilfe bisher auf Durchsuchungen am Tatort oder in dessen unmittelbarer Umgebung344. Selbst in dem von Richterin Kennedy-Powell als besonders hilfreich zitierten Fall People v. Cain bestand dieser enge, räumlich-zeitliche Zusammenhang. Dort war die Polizei wenige Minuten nach einem Vergewaltigungsversuch im Apartment des Opfers eingetroffen. Wenige Minuten später betraten die Polizisten das angrenzende Nachbarapartment, da sie aufgrund von Wahrnehmungen den begründeten Verdacht hatten, es könnten sich dort weitere Opfer befinden. Im Simpson Fall wird die "Notsituation"-Ausnahme jedoch "räumlich über 2 Meilen und zeitlich über 6 Stunden ausgedehnt"345. Denn das Simpson Anwesen war nicht der Tatort und grenzte auch nicht an diesen, sondern war 2 Meilen entfernt. Ferner betraten die Polizisten das Simpson Anwesen erst über 5 Stunden, nachdem die Polizei die Mordopfer entdeckt hatte. Es läßt sich hier daher nur mehr schwerlich von einem engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang zwischen Tatort bzw. Entdeckung der Tat und Durchsuchung des Simpson Grundstücks sprechen. Gleichwohl hielt Richterin KennedyPowell die Durchsuchung gestützt auf "dringende Umstände" aufrecht. Sie ging damit über die bisherigen Entscheidungen hinaus. Es bleibt zu fragen, ob der erwähnte enge, zeitlich-räumliche Zusammenhang tatsächlich Voraussetzung ist, um eine Durchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl aufrechtzuerhalten. Zwar lag dieser Zusammenhang in den Entscheidungen, die dem Simpson Fall vorausgingen, vor, die Gerichte stützten sich dort aber nicht allein auf dieses Merkmal, sondern hielten eine Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles für erforderlich 346. Eine Entscheidung, die den 4. Zusatzartikel berührt, muß den Schutzzweck des 4. Zusatzartikels berücksichtigen sowie die Gründe, die zur Schaffung der

3 4 3

Katz v. United States, 389 U.S. 347, 357, 19 L.Ed.2d 576, 585 (1967).

344 V g l Nachweise bei West's Annotated California Codes, Penal Code, § 1538.5 Rn. 253, 255. 3 4 5 So auch Simpsons Verteidiger Gerald Uelmen : trying to extend that exception by two miles und six hours, a long, cold trail for exigent circumstances. 3 4 6

People v. Cain, 216 Cal.App.3d 366, 371, 264 Cal.Rptr. 339 (1989), zitiert Tamborino v. Superior Court, 41 Cal.3d 919, 924, 226 Cal.Rptr. 868 (1986): In each case the claim of exigent circumstances must be evaluated on its particular facts.

110

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

"dringende Umstände "-Ausnahme führten. Es wäre verfehlt, sich lediglich auf einer Formel wie "räumlich-zeitlicher Zusammenhang" zu stützen. Der Schutzzweck des 4. Zusatzartikels und die Gründe zur Schaffung der Ausnahmen wurden bereits oben 347 ausführlich dargestellt. Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, daß der hinter dem 4. Zusatzartikel stehende Zweck, die Privatsphäre von Personen zu schützen, durch die Durchsuchung des Grundstücks nicht "unvernünftig" beeinträchtigt wurde, da in einem der schwersten Verbrechen, die der Penal Code vorsieht, nämlich in einem Doppelmordfall, ermittelt wurde, die Ermittlungen gerade erst begonnen hatten und aufgrund hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte zu befürchten war, daß sich weitere Opfer auf dem Simpson Anwesen befinden könnten, für die jegliche Hilfe zu spät gekommen wäre, wenn die Polizei erst einen gerichtlichen Durchsuchungsbefehl benötigt hätte. Aus diesen Gründen war das Betreten des Grundstücks und die sich anschließende Durchsuchung "reasonable" und verletzte damit nicht den 4. Zusatzartikel. Die Entscheidung von Richterin Kennedy-Powell ist insoweit zutreffend. Ausmaß und Dauer der Durchsuchung sind jedoch Grenzen gezogen. Die Durchsuchung ohne gerichtliche Anordnung kann nur solange fortgesetzt werden, wie es die dringenden Umstände erfordern. Die Durchsuchung zur Abwendung einer Notsituation darf nicht in eine allgemeine Suche nach Beweisen übergehen, denn hierfür besteht kein dringendes Erfordernis. Will die Polizei nach Beweisen suchen, muß sie zunächst einen Durchsuchungsbefehl erwirken. Im Simpson Fall mußten die Polizisten daher das Grundstück unverzüglich verlassen, sobald sie sich überzeugt hatten, daß sich keine weiteren Opfer auf diesem befanden. Auch das Ausmaß der Suche war auf Bereiche zu beschränken, in denen vernünftigerweise Opfer hätten erwartet werden können.

cc) "Freie Sicht", Nexus-Regel (1) Übersicht Während ihrer Suche nach Opfern entdeckten die Polizisten Beweisstücke (u.a. Handschuh und Bluttropfen). Wendet man die obigen Maßstäbe an, wonach die Durchsuchung nur zur Abwendung der Notsituation erfolgen dürfte, so könnte das zu dem Ergebnis verleiten, daß die Polizei zufällig ent3 4 7

S.o. 5. b), c).

V. Voranhörung

111

deckte Beweisgegenstände unbeachtet lassen müßte. Dieses Ergebnis würde jedoch der Praxis völlig zuwiderlaufen. Es ist auch aus rechtlichen Gründen nicht erforderlich. In diesen Fällen greift die "Lehre von der freien Sicht" 348 ein. Beobachtet ein Polizist an einem Ort, an dem er sich zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig befindet, in "freier Sicht" Beweisgegenstände, so kann er diese beschlagnahmen. Der U.S. Supreme Court hat hierzu in Coolidge v. New Hampshire 349 entschieden: Gegenüber der geringeren Gefahr für den Schutzbereich des 4. Zusatzartikels, besteht ein großer Gewinn an effektiver Rechtsdurchsetzung. Wo einmal eine, aus anderen Gründen rechtmäßige Durchsuchung stattfindet und die Polizei hierbei unbeabsichtigt auf ein Beweisstück stößt, wäre es oft eine nutzlose Umständlichkeit und oftmals für die Beweise oder die Polizei selbst sogar gefährlich, zu verlangen, daß die Polizei die Beweise ignoriert, bis sie eine gerichtliche Anordnung erlangt hat! Das Gericht umschreibt hier die "Lehre von der freien Sicht". Damit die in freier Sicht entdeckten Beweisstücke beschlagnahmt werden dürfen, müssen folgende drei Voraussetzungen erfüllt sein: - Der Polizist entdeckt die Beweisstücke von einer Stelle aus, an der er sich zu dieser Zeit rechtmäßig befindet 350, - darüberhinaus muß der Polizist auch einen rechtmäßigen Zugang zu den sicherzustellenden Beweisstücken haben351 und - der Zusammenhang des Gegenstandes mit einer Straftat muß ohne weiteres erkennbar sein, sog. "Nexus-Regel". Im Einzelnen bedeutet dies:

(2) Rechtmäßiger Beobachtungspunkt Ein rechtmäßiger Beobachtungspunkt liegt auch dann vor, wenn sich der Beobachter selbst nur aufgrund einer Ausnahme, z.B. dringende Umstände, auf dem Grundstück aufhalten darf. 3 4 8

Plain-View-Doctrine.

3 4 9

Coolidge v. New Hampshire, 403 U.S. 443, 29 L.Ed.2d 564 (1971).

3 5 0

Lawful Vintage Point.

351

Right of Access to Object.

112

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Im Ausgangsfall entdeckten die Polizisten die Beweisstücke während ihrer Durchsuchung, die auf den Ausnahmetatbestand der "Nothilfe" gestützt war und daher trotz fehlenden Durchsuchungsbefehls rechtmäßig war. Die Behauptung der Verteidiger, daß die Gegenstände erst entdeckt wurden, nachdem die Suche nach Opfern beendet war und sich die Polizisten daher nicht mehr rechtmäßig auf dem Grundstück aufhielten, konnte vor Gericht nicht bestätigt werden.

(3) Zugangsrecht zu dem Gegenstand Die "Lehre von der freien Sicht" wurde in Coolidge v. New Hampshire 352 damit gerechtfertigt, daß die Beeinträchtigung der Privatsphäre, die der 4. Zusatzartikel schützt, in diesen Fällen gering sei. Dies ist jedoch nur dann zutreffend, wenn die nach einer unmittelbaren Beobachtung353 erfolgende Beschlagnahme nicht erst zu einem mehr als unerheblichen Eingriff in die Privatsphäre führt. Beobachtet ein Polizist z.B. in "freier Sicht" von der Straße aus Hehlerware in einem Garten, so ist zwar die oben genannte Voraussetzung des "rechtmäßigen Beobachtungspunkt" erfüllt. Der Polizist macht seine Beobachtung von einer Stelle aus, an der er sich rechtmäßig befindet. Dies heißt jedoch noch nicht, daß er, auf die freie-Sicht-Lehre gestützt, den Garten auch ohne gerichtliche Anordnung betreten und die Hehlerware beschlagnahmen darf. Hierzu ist grundsätzlich eine gerichtliche Anordnung erforderlich 3 5 4 . Im Simpson Fall ist jedoch die Voraussetzung, Zugangsrecht zu dem Gegenstand, erfüllt. Die aufgefundenen Beweisgegenstände befanden sich in Bereichen, die von der Suche nach Opfern mitumfaßt waren. Die Polizisten hatten unmittelbaren, rechtmäßigen Zugang zu den Beweisstücken und konnten diese beschlagnahmen.

3 5 2

Coolidge v. New Hampshire, 403 U.S. 443, 29 L.Ed.2d 564 (1971).

3 5 3

Plain View.

354 V g l 0 b e n 5 c ) sofern nicht eine der Ausnahmen vom Warrant Erfordernis eingreift, s.o. 5. c) (7), etwa drohende Beseitigung der Gegenstände.

V. Voranhörung

113

(4) Nexus Regel Die dritte und letzte Voraussetzung wird oftmals als "Nexus"-Regel bezeichnet355. Danach muß ein Zusammenhang zwischen den zu beschlagnahmenden Gegenständen und einer Straftat bestehen. Umstritten war jedoch, wann ein solcher vorlag. Nach dem U.S. Supreme Court in Coolidge v. New Hampshire 356 mußte der Zusammenhang "unmittelbar offensichtlich" 357 sein. In einer späteren Entscheidung hat der U.S. Supreme Court jedoch klargestellt 358 , daß die Formulierung "unmittelbar offensichtlich" nicht wörtlich genommen werden dürfe. Es sollte damit lediglich das auch sonst den Durchsuchungen und Beschlagnahmen zugrundeliegende "hinreichende Anhaltspunkte "-Erfordernis umschrieben werden. Das Gericht bestätigte dies nochmals in Arizona v. Hicks 359 . Ein Polizist, der die Gegenstände während einer aus anderem Anlaß durchgeführten Durchsuchung entdeckt, muß hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte haben, daß es sich um Beweisstücke im Zusammenhang mit einer Straftat handelt. Ferner muß diese Feststellung selbst in freier Sicht möglich sein 360 . Die Polizei ist nicht berechtigt, die aufgefundenen Gegenstände eingehend zu untersuchen, etwa auszubauen oder einer wissenschaftlichen Analyse zu unterwerfen, um feststellen zu können, ob es sich tatsächlich um Beweisstücke in Zusammenhang mit einer Straftat handelt361. 35 5

LaFave/Israel,

3 5 6

Coolidge v. New Hampshire, 403 U.S. 443, 29 L.Ed.2d 564 (1971).

Criminal Procedure, S. 189.

3 5 7

Immediately Apparent.

3 5 8

Texas v.Brown, 460 U.S. 730, 742 (1983).

3 5 9

Arizona v. Hicks, 480 U.S. 321 (1987).

3 6 0

Horton v. California, 110 L.Ed.2d 112 (1990).

361

In Arizona v. Hicks, 480 U.S. 321 (1987), war ein Schuß durch Hick's Apartmentdecke in das Apartment darunter gefeuert worden und hatte dort eine Person verletzt. Die Polizei betrat daraufhin Hick's Apartment ohne gerichtliche Anordnung auf der Suche nach dem Täter sowie weiteren Opfern. Ein Polizist entdeckte hierbei eine Stereoanlage, von der er glaubte, daß sie gestohlen war. Dem Polizisten fehlten jedoch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte [probable cause] für diese Vermutung. Er drehte die Anlage herum und stellte sie auf den Kopf, um die Seriennummer lesen zu können. Der Polizist fand seine Vermutung bestätigt, daß es sich tatsächlich um Diebesgut handelte. Obgleich die Anwesenheit der Polizisten im Apartment aufgrund der "exigent circumstances "-Ausnahme rechtmäßig war, die Stereoanlage sich in freier Sicht [plain view] befand und die Polizei unmittelbaren, 9 Schnabl

114

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Auf den Simpson Fall angewandt bedeutet dies: Polizist Fuhrman erkannte bei bloßer Betrachtung des auf dem Simpson Anwesen entdeckten blutigen Handschuhs, daß dieser einem zweiten, am Tatort aufgefundenen sehr ähnlich war. Er hatte damit hinreichende Anhaltspunkte, den Handschuh sicherzustellen. Entsprechendes gilt für die auf der Auffahrt sichergestellten Bluttropfen. Deren belastende Natur konnte von den Polizisten festgestellt werden, ohne daß es zuvor einer wissenschaftlichen Analyse bedurfte. Es mußte nicht mit absoluter Gewißheit feststehen, daß es sich um Blut des Täters oder eines Opfers handelte. Es genügen die bereits mehrmals erwähnten hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte. Diese liegen hier vor, da die Polizisten von einer nahegelegenen, "sehr blutigen" Mordszene kamen, die Tropfen frisch waren und nach Aussehen und Farbe Blut zumindest sehr ähnlich waren. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Beschlagnahme der Beweisstücke, gestützt auf die "freie-Sicht-Lehre", rechtmäßig war. Da weder die Durchsuchung des Grundstücks (dringende Umstände) noch die Beschlagnahme der Beweisstücke (freie Sicht) rechtswidrig war, ist der 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung nicht verletzt. Die Beweise waren somit vor Gericht zuzulassen. Die Ausschlußregel greift nicht ein.

e) Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen: Verfahren aa) Gegenstand des Antrags nach § 1538.5 P.C. Obgleich sich aus den obigen Ausführungen bereits ergibt, daß der Antrag auf Nichtzulassung der Beweise im Ergebnis abgelehnt wurde, wird im Folgenden noch auf die hiermit in Zusammenhang stehenden verfahrensrechtlichen Fragen eingegangen. Das Gesetz enthält hierzu eine Regelung in § 1538.5 P.C. Ziel eines Antrags nach § 1538.5 P.C. kann zweierlei sein: - Rückgabe von Eigentum362 und/oder - Nichtzulassung von Beweisen vor Gericht 363 . rechtmäßigen Zugang zu ihr hatte, erklärte der U.S. Supreme Court die Beschlagnahme für rechtswidrig, da nicht unmittelbar erkennbar war, daß die Stereoanlage mit einer Straftat in Zusammenhang stand. 3 6 2

Return of Property.

V. Voranhörung

115

Voraussetzung ist in beiden Fällen, daß die zugrundeliegende Durchsuchung oder Beschlagnahme rechtswidrig war. Die Rechtswidrigkeit kann sich aus mehreren Gründen ergeben. Die Gründe sind in § 1538.5 (a)(l)(2) P.C. ausdrücklich aufgeführt 364: "(1) Die ohne gerichtliche Anordnung durchgeführte Durchsuchung oder Beschlagnahme war unvernünftig. (2) Die aufgrund einer gerichtlichen Anordnung durchgeführte Durchsuchung oder Beschlagnahme war unvernünftig, weil (i) die Anordnung auf den ersten Blick ungenügend war; (ii) das erlangte Eigentum oder das Beweisstück entspricht nicht dem in der Anordnung beschriebenen, (iii) es bestanden keine hinreichenden tatsächlichen Gründe zum Erlaß der Anordnung; (iv) die Art der Ausführung der Anordnung verletzte Bundes- oder Staatsverfassungsstandards; (v) es fand eine andere Verletzung von Bundes- oder Staatsverfassungsrecht statt. " Mit dem Antrag nach § 1538.5 P.C. kann nicht die Unterdrückung von Aussagen oder Geständnissen, die in Verletzung des 5. Zusatzartikels erlangt wurden, verlangt werden. Ebensowenig kann damit die Rechtswidrigkeit einer erkennungsdienstlichen Maßnahme geltend gemacht werden 365. Denn all dies hat nichts mit einer Durchsuchung oder Beschlagnahme zu tun. § 1538.5 P.C. bezieht sich nur auf Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Sinne des 4. Zusatzartikels 366 3 6 7 . Etwas anderes gilt jedoch zum Beispiel hinsichtlich von Geständnissen, die aufgrund einer rechtswidrigen Durchsuchung erlangt wurden. Diese sind nach

3 6 3

Motion to Suppress Evidence.

3 6 4

§ 1538.5 P.C.: (a) A defendant may move for the return of property or to suppress as evidence any tangible or intangible thing obtained as a result of a search or seizure on either of the following grounds: (1) The search or seizure without the warrant was unreasonable. (2) The search or seizure with a warrant was unreasonable because (i) the warrant is insufficient on its face; (ü) the property or evidence obtained is not that described in the warrant; (iii) there was not probable cause for the issuance of a warrant; (iv) the method of execution of the warrant violated federal or state constitutional standards; (v) there was any other violation of federal or state constitutional standards. 3 6 5

People v. Stear, 35 CA3d 304, 110 CR 711 (1973).

3 6 6

Das heißt jedoch nicht, daß rechtswidrig erlangte Geständnisse u.a. zulässig sind, diese sind vielmehr nach der Ausschlußregel vor Gericht auszuschließen; ein dahingehender Antrag kann lediglich nicht auf § 1538.5 P.C. gestützt werden. 3 6 7 Verletzungen der Rede- und Pressefreiheitsbestimmungen in Bundes- und Staatsgesetzen können mit einem § 1538.5 P.C. - Antrag geltend gemacht werden. Dies ist ausdrücklich in § 1538.5 (n) P.C. vorgesehen.

*

116

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

der "Fruit of the Poisonous Tree Doctrine " unverwertbar 368. Ein entsprechender Antrag kann auf § 1538.5 P.C. gestützt werden, da es sich um die Folge einer rechtswidrigen Durchsuchung handelt369.

bb) Wahl des Zeitpunkts der Antragstellung Handelt es sich um ein Felony-Strafverfahren, so kann die Verteidigung wählen, ob sie den Antrag nach § 1538.5 P.C. bereits während der Voranhörung stellt, § 1538.5 (f) 2.Hs. P.C., oder erst im Hauptverfahren, § 1538.5 (i) S.l P.C. Die Verteidigung kann auch einen in der Voranhörung erfolglosen Antrag erneut vor Beginn des Hauptverfahrens stellen. Dieser Antrag unterliegt jedoch dann erheblichen Beschränkungen. Es ist eine verfahrenstaktische Entscheidung, welche Möglichkeit die Verteidigung wählt. (1) Antrag während der Voranhörung Stellt die Verteidigung den Antrag bereits während der Voranhörung, so ist dieser auf Beweise beschränkt, welche die Staatsanwaltschaft in der Voranhörung zu präsentieren beabsichtigt, § 1538.5 (f) a.E. P.C. 3 7 0 . In der Regel wird sich die Staatsanwaltschaft in der Voranhörung auf wenige Beweise stützen, um eine Zulassung zum Hauptverfahren durch den Magistrate zu erlangen. Denn, wie bereits oben ausgeführt 371, genügen dem Magistrate hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, § 872 (a) P.C., um eine "Zulassungs"-Entscheidung zu erlassen. Hat die Staatsanwaltschaft genügend andere Beweise, so kann sie auf dieser Stufe des Verfahrens solche Beweise, gegen die ein Antrag nach § 1538.5 P.C. zu erwarten ist, ausklammern. Der Verteidigung wird damit die Mög3 6 8

Näher zur Fruit of the Poisonous Tree Doctrine unten 5. f)·

3 6 9

People v. Superior Court (Sosa), 31 C3d 883, 185 CR 113 (1982); People v. DeVaughn, 18 C3d 889, 135 CR 786 (1977); People v. Johnson, 70 C2d 469, 74 CR 889 (1969); People v. Teresinski, 30 C3d 822, 180 CR 617 (1982); People v. Mattson, 50 C3d 826, 268 CR 802 (1990). 3 7 0 §1538.5 (f) a.E. P.C. lautet: ... the motion in the municipal court ... shall be restricted to evidence sought to be introduced by the people at the preliminary hearing. 371

S.o. V. 3. g).

V. Voranhörung

117

lichkeit genommen, einen "Antrag auf Nichtzulassung der Beweise" bereits während der Voranhörung zu stellen. Dieser Regelung liegt folgende Absicht des Gesetzgebers zugrunde: Ein Antrag nach § 1538.5 P.C. auf Nichtzulassung von solchen Beweisen, die in der Voranhörung gar nicht erörtert werden, würde das Verfahren nur unnötig verzögern. Es müßte über Beweise verhandelt werden, die in der Voranhörung nicht relevant sind und von denen noch gar nicht feststeht, ob sie überhaupt im weiteren Prozeßverlauf relevant werden, da das Verfahren auch durch eine Einstellung (bzw. Verwerfung) enden könnte. Die Beschränkung des Antrags dient damit der Verfahrensbeschleunigung und -Vereinfachung.

(2) Antrag vor der Hauptverhandlung im Superior Court Die Verteidigung kann den Antrag auch erstmalig vor Beginn des Hauptverfahrens vor dem Superior Court stellen, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C. Es findet dann ein spezieller Anhörungstermin 372 statt. Dieser soll vor Beginn der Hauptverhandlung abgehalten werden. Die Staatsanwaltschaft muß hiervon mindestens 10 Tage zuvor in Kenntnis gesetzt werden. 373 Die Verteidigung kann hier in vollem Umfang die Rechtswidrigkeit von Durchsuchungen und Beschlagnahmen geltend machen, § 1538.5 (i) S.2 P.C. 3 7 4 . Sie kann sämtliche eigenen Nachweise zur Unterstützung ihres Antrags geltend machen.

(3) Erneuter Antrag vor Superior Court Schließlich hat die Verteidigung die Möglichkeit, einen in der Voranhörung erfolglosen Antrag vor Beginn des Hauptverfahrens vor dem Superior Court erneut zu stellen, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C. 3 7 5 .

3 7 2

Special Hearing.

3 7 3

Der Antrag kann noch während des Trial gestellt werden, falls vor dessen Beginn keine Möglichkeit zur Antragstellung bestand oder die Verteidigung erst von Umständen Kenntnis erlangt, die zu einer Nichtzulassung der Beweise führen können. 3 7 4 § 1538.5 (i) S.2 P.C. lautet: If ... no motion was made at the preliminary hearing, the defendant shall have the right to fully litigate the validity of a search or seizure...

118

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Dieser "erneute" Antrag unterliegt wesentlichen Beschränkungen. Es handelt sich um keine sogenannte "de novo "-Anhörung 376. Zum Nachweis der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung bzw. Beschlagnahme ist die Verteidigung auf das Protokoll 377 der Voranhörung vor dem Magistrate beschränkt. Lediglich solche neuen Beweise dürfen vorgebracht werden, die die Verteidigung vernünftigerweise nicht bereits während der Voranhörung vorbringen konnte, § 1538.5 (i) S.3 P.C. 3 7 8 . Die gleiche Beschränkung gilt auch für die Staatsanwaltschaft, jedoch mit einer Ausnahme: Die Staatsanwaltschaft darf solche Zeugen erneut aufrufen, die bereits während der Voranhörung aussagten, § 1538.5 (i) S.3 a.E. P.C. Ist der Antrag im Superior Court lediglich eine "Erneuerung" des bereits in der Voranhörung abgelehnten Antrags, so ist der Richter des Superior Court an die Entscheidung des Magistrate gebunden, soweit dies Beweise betrifft, die nicht durch zulässigerweise neu vorgebrachte Beweise beeinflußt wurden, § 1538.5 (i) S.5 P.C. 3 7 9 . Insoweit findet lediglich eine Rechtskontrolle statt. Dies bedeutet zum Beispiel: Ist umstritten, ob eine ohne gerichtliche Anordnung durchgeführte Durchsuchung mit Einwilligung des Gewahrsamsinhabers erfolgte und damit rechtmäßig war, so ist die Entscheidung des Magistrate bindend, wenn dieser feststellte, daß eine Einwilligung vorlag, da die diesbezügliche Aussage des Polizisten glaubhafter war als die des Angeklagten. Vermag die Verteidigung vor dem Superior Court jedoch einen ihr bis dahin unbekannten Zeugen zu präsentieren, der Angaben zur Frage der Einwilligung machen kann, so muß der Richter des Superior Court bei seiner Entscheidung über den Antrag diese neue Aussage berücksichtigen. Bezüglich der Frage der Einwilligung ist er dann nicht mehr an die Entscheidung des Magistrate gebunden380.

3 7 5

§ 1538.5 (i) S . l , 2.Alt. P.C. lautet: ... the defendant shall have the right to renew ... the motion in the superior court. 3 7 6

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.7.

3 7 7

Transcript.

3 7 8

People v. Drews, 208 CA3d 1317, 256 CR 846 (1989).

3 7 9

§ 1538.5 (i) S.5 P.C. lautet: The superior court shall base its ruling on all evidence presented at the special hearing and on the transcript of the preliminary hearing, and the findings of the magistrate shall be binding on the superior court as to evidence or property not affected by evidence presented at the special hearing. 3 8 0

Vgl. den ähnlichen Fall Anderson v. Superior Court (People), 206 CA3d 533, 544, 253 CR 651, 658 (1988).

V. Voranhörung

119

(4) Vor- und Nachteile des Antrags bereits in der Voranhörung Die Entscheidung der Verteidigung, wann sie einen Antrag nach § 1538.5 P.C. stellt, wird von den dargestellten Voraussetzungen und Beschränkungen beeinflußt. Ein "früher" Antrag bereits in der Voranhörung hat Nachteile, aber auch Vorteile.

(a) Nachteile Ein Nachteil ist die bereits erwähnte Beschränkung auf Beweise, die die Staatsanwaltschaft in die Voranhörung einzuführen beabsichtigt, § 1538.5 (f) a.E. P.C., und die nachfolgende Präklusion im Falle eines "erneuten Antrags" im Hauptverfahren. Ein weiterer Nachteil kann sich daraus ergeben, daß die Voranhörung meist in einem sehr frühen Verfahrensstadium stattfindet 381 und die Verteidigung noch nicht genügend Zeit zur Vorbereitung und zur Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft hatte.

(b) Vorteile Andererseits hat ein Antrag in der Voranhörung einige wesentliche Vorteile. Wurde eine Durchsuchung oder Beschlagnahme ohne gerichtliche Anordnung durchgeführt, obliegt der Staatsanwaltschaft die Beweislast, daß die Maßnahme rechtmäßig war. Die Staatsanwaltschaft muß Beweise, insbesondere Zeugen, präsentieren. Die Verteidigung kann hierdurch Kenntnisse erlangen, welche die Staatsanwaltschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt aufdecken wollte. Vor allem aber wird dadurch der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit genommen, ihre Beweisführung in der Voranhörung lediglich auf einen Zeugen vom Hörensagen zu stützen. Hat die Verteidigung einen Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen gestellt, so kann die Staatsanwaltschaft ihrer diesbezüglichen Beweislast nicht durch Benennung eines Zeugen vom Hörensagen genügen. Der Beweis vom Hörensagen ist insoweit unzulässig. 381

In der Regel innerhalb von 10 Tagen nach Verhaftung und erster Vorführung vor dem Magistrate, § 859 b S.3 P.C., sofern nicht Verteidigung und Staatsanwaltschaft hierauf verzichten.

120

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

§ 872 (b) P.C. ist eine Spezialregelung, welche auf den "Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen", § 1538.5 P.C., nicht entsprechend angewandt werden darf 382 . Ein weiterer Vorteil kann sich aus folgener Erwägung ergeben: Will die Verteidigung in der Voranhörung bereits Entlastungszeugen präsentieren, so ist sie auf Verlangen der Staatsanwaltschaft gezwungen, zunächst mittels eines Beweisangebots nachzuweisen, was die Entlastungszeugen aussagen werden. Der Magistrate läßt die Entlastungszeugen nur dann zu, wenn bestimmte in § 866 (a) S.3 P.C. genannte Voraussetzungen erfüllt sind 383 . Die Verteidigung kann diese Beschränkung umgehen durch Benennung von Zeugen, die zur Unterstützung des Antrags nach § 1538.5 P.C. relevant sind. Denn die Beschränkung des § 866 (a) S.2 P.C. ist eine Sonderregelung und gilt daher nicht entsprechend bzgl. des Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen. Ein dritter Vorteil ist: Ein Zeuge der Staatsanwaltschaft, welcher zum Nachweis der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung oder Beschlagnahme relevant war, aber während der Voranhörung nicht zur Verfügung stand, kann bei einer erneuten Behandlung des Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen im Superior Court nicht "erneut aufgerufen" 384 werden, § 1538.5 (i) S.3 P.C. Die Staatsanwaltschaft kann einen ihrer Zeugen nur dann erneut aufrufen, wenn dieser bereits in der Voranhörung zum Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen aussagte385.

(5) Verfahrenstatktik

im Simpson Fall

In Abwägung dieser Gesichtspunkte hat die Simpson Verteidigung folgende Vorgehensweise gewählt: Ein Antrag nach § 1538.5 P.C. wurde bereits bei Beginn der Voranhörung vor Magistrate Kathleen Kennedy-Powell gestellt. Die Verteidigung bean3 8 2

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.7.

3 8 3

§ 866 (a) S.3 P.C. lautet: The magistrate shall not permit the testimony of any defense witness unless the offer of proof discloses to the satisfaction of the magistrate, in his or her sound discretion, that the testimony of that witness, if believed, would be reasonably likely to establish an affirmative defense, negate an element of a crime charged, or impeach the testimony of a prosecution witness or the statement of a declarant testified to by a prosecution witness. 3 8 4 3 8 5

Recall. California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.7.

V. Voranhörung

121

tragte darin die Rückgabe rechtswidrig beschlagnahmter Beweisstücke386, § 1538.5 (a) l.Alt. P.C., vor allem aber die Nichtzulassung dieser Gegenstände als Beweise vor Gericht 387 , § 1538.5 (a) 2.Alt. P.C. Da die Staatsanwaltschaft nur einen geringen Teil der während zahlreicher Durchsuchungen beschlagnahmten Beweise in die Voranhörung einzuführen beabsichtigte, konnte sich der Antrag der Verteidigung nur auf diese beziehen, § 1538.5 (f) a.E. P.C. Dies war namentlich der auf dem Simpson Anwesen am 13.06.94 beschlagnahmte blutige Handschuh sowie einige dort aufgefundene Bluttropfen. Auf die sämtlichen anderen Beweisstücke, die im Laufe der Ermittlungen beschlagnahmt oder sichergestellt worden waren, konnte sich der Antrag nach § 1538.5 P.C. im Verfahrensstadium der Voranhörung nicht beziehen. Dies war erst vor Beginn des Hauptverfahrens möglich, § 1538.5 (i) S.1,2 P.C. Wie bereits ausgeführt, wurde der Antrag 388 von Magistrate KennedyPowell abgelehnt. Der Handschuh und die Bluttropfen wurden in der Voranhörung als Beweise zugelassen. Die Verteidigung hatte nun mehrere Möglichkeiten gegen die Ablehnung des Antrags vorzugehen: Sie konnte einen Antrag nach § 995 P.C. vor dem Superior Court stellen. Dieser Antrag wird als "Antrag auf Verfahrenseinstellung 3 8 9 oder "Antrag auf Aufhebung der Anklage" 390 bezeichnet. Der Antrag, das Verfahren einzustellen, kann darauf gestützt werden, daß der Magistrate in der Voranhörung zu Unrecht hinreichenden Tatverdacht bzgl. des Angeklagten angenommen hat, § 995 (a)(2)(B) P.C. 3 9 1 . Der Antrag wird Erfolg haben, wenn die umstrittenen Beweise zu Unrecht vom Magistrate zugelassen wurden und die Entscheidung hierauf beruhte. Bei

3 8 6

Motion for Return of Property.

3 8 7

Motion to Suppress Evidence.

3 8 8

Genaugenommen wurden 2 Anträge gestellt, Rückgabe und Nichtzulassung, da diese jedoch in einem einheitlichen Antrag zusammengefaßt waren, wird hier von "einem Antrag" ausgegangen. 3 8 9

Motion to Dismiss (the Case).

3 9 0

Motion to Set Aside the Information.

391

§ 995 (a)(2)(B) P.C. lautet: ... the information shall be set aside by the court in which the defendant is arraigned, upon his or her motion, in either of the following cases: ... (2)(B) That the defendant had been committed without reasonable or probable cause.

122

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

einem Antrag auf Verfahrenseinstellung, § 995 P.C., wird damit implizit überprüft, ob Beweise zu Unrecht zugelassen wurden. Aus dem genannten "Beruhenserfordernis" ergibt sich eine Beschränkung für die Verteidigung. Sie sollte sich sicher sein, daß die Entscheidung des Magistrate über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts auf den unzulässigen Beweisen beruht. Denn hatte der Magistrate genügend andere, zulässige Beweise, so wird der Superior Court die Entscheidung des Magistrate aufrechterhalten, ungeachtet der möglicherweise rechtswidrigen Zulassung der umstrittenen Beweise. Der "Einstellungsantrag" nach § 955 P.C. wird in diesen Fällen abgelehnt. Eine weitere Beschränkung ergibt sich daraus, daß der Richter des Superior Court im Rahmen eines Einstellungsantrags nur überprüft, ob der Magistrate das Recht richtig angewandt hat. Diese Überprüfung erfolgt aufgrund des Protokolls der Voranhörung. Es sind keine neuen Beweise zugelassen392. Die 2. Möglichkeit, gegen einen vom Magistrate abgelehnten Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen vorzugehen, ist, einen erneuten Antrag vor dem Superior Court m stellen 393 , § 1538.5 (i) P.C. Ziel dieses Antrags ist es, den Ausschluß der Beweise im Hauptverfahren vor dem Superior Court zu erreichen. Dieser Antrag unterliegt den bereits oben ausgeführten Beschränkungen394. Vor allem kann die Verteidigung neue Beweise zur Unterstützung ihres Antrags nur vorbringen, wenn diese nachträglich bekannt wurden, ansonsten ist der Richter des Superior Court an das Protokoll der Voranhörung und die darin vom Magistrate getroffenen Feststellungen gebunden, § 1538.5 (i) S.3,5 P.C. Folgendes ist jedoch zu beachten: Der eben erwähnte "erneute" Antrag vor dem Superior Court bezieht sich auf Beweise, die in der Voranhörung zugelassen wurden, obgleich die Verteidigung deren Ausschluß beantragt hatte. Soweit die Verteidigung vor dem Superior Court den Ausschluß von solchen Beweisen begehrt, die nicht Gegenstand der Voranhörung waren oder deren Ausschluß nun erstmals begehrt wird, liegt ein "erstmaliger" Antrag vor, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C. Dieser Antrag unterliegt keinen Beschränkungen. Zur Unterstützung des Antrags kann die Verteidigung sämtliche Beweise vorbringen und der Superior Court wird hierüber in einem eigenen 3 9 2

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.26; People v. Sahagun, 89 CA3d 1, 20, 152 CR 233, 244 (1979); People v. Stansbury, 263 CA2d 499, 502, 69 CR 827, 829 (1968). 3 9 3

s. ο .

3 9 4

s. ο. e) bb) (3).

e) bb) (3).

V. Voranhörung

123

Anhörungstermin, dem "special hearing ", vor Beginn der Hauptverhandlung entscheiden. Die Verteidigung konnte ferner gegen den abgelehnten Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen Berufung einlegen, § 1510 P.C. Zusammengefaßt hatte die Verteidigung im Simpson Fall folgende Möglichkeiten: - Antrag auf Verfahrenseinstellung, § 995 P.C. (Argument: kein hinreichender Tatverdacht); - erneuter Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1538.5 (i) S.l, l.Alt. P.C.; - Berufung gegen die Ablehnung des Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1510 P.C.; - erstmaliger Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen im Hauptverfahren, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C. Die Simpson Verteidiger haben die Anträge 1,11 und IV gestellt. Dies ist zulässig, da die Anträge verschiedene Inhalte und Prüfungsgegenstände haben395. Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens wurde im Simpson Fall u.a. damit begründet, daß die dem Magistrate vorliegenden Beweise zur Begründung hinreichenden Tatverdachts nicht ausreichten, da insbesondere unzulässige Beweise verwertet wurden, § 995 (a)(2)(B) P.C. Der erneute Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1538.5 (i) S.l, l.Alt. P.C. bezog sich auf den blutigen Handschuh und die Bluttropfen, welche auf dem Grundstück gefunden worden waren. Die Verteidigung argumentierte, daß diese in der bevorstehenden Hauptverhandlung vor dem Superior Court nicht als Beweise zugelassen werden dürften, da sie aus einer rechtswidrigen Durchsuchung und Beschlagnahme stammten. Am weitestgehend war der dritte Antrag der Verteidigung. Dieser erstmalige Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C. umfaßte zahlreiche Beweise, die im Laufe mehrerer Durchsuchungen des Simpson Anwesens, seiner Geschäfte und Büros sowie seiner Autos beschlagnahmt worden waren. All diese Beweise waren in der Voranhörung noch nicht von der Staatsanwaltschaft präsentiert worden.

3 9 5

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.26.

124

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Da diese Anträge vor dem Superior Court behandelt wurden, wird an späterer Stelle 396 näher darauf einzugehen sein.

cc) Antragsbefiignis Wenn die Nichtzulassung von Beweisen, gestützt auf eine Verletzung des 4. Zusatzartikels, beantragt wird, stellt sich die Frage, ob der Antragsteller befugt ist, die Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung oder Beschlagnahme geltend zu machen und den Ausschluß von Beweisstücken zu verlangen. Diese Antragsbefugnis wird als "standing" bezeichnet. Die Ausschlußregel wurde von der Rechtsprechung anerkannt, um dem 4. Zusatzartikel Geltung zu verschaffen und seiner Verletzung vorzubeugen397. Das Ziel der "Abschreckung" der Ermittlungsbehörden vor unzulässigen Methoden der Beweisgewinnung ist dort am bedeutendsten, wo eine Verwertung dieser Beweise zu einer Verurteilung gerade des Opfers der illegalen Durchsuchung und Beschlagnahme führen würde 398 . Es reicht nicht, daß der Angeklagte vorbringt, die ihn belastenden Beweise stammen aus einer gegen einen Dritten gerichteten illegalen Durchsuchung. Seit Jones v. United States399 ist vielmehr anerkannt, daß der Angeklagte "Opfer" der rechtswidrigen Durchsuchung oder Beschlagnahme sein muß, um sich auf die Ausschlußregel berufen zu können. Die Beantwortung der Frage, wann ein Angeklagter ein "Opfer" einer illegalen Durchsuchung oder Beschlagnahme ist, hat der Rechsprechung lange Zeit Schwierigkeiten bereitet. Es wurden von der Rechtsprechung mehrere Konzepte entwickelt und in späteren Entscheidungen wieder verworfen.

(1) "Ziel"-Antragsbefugnis Es wurde das sogenannte "target-standing " diskutiert. Dies bedeutet: Ist ein Angeklagter "Opfer" ein Durchsuchung, wenn diese bei einem Dritten stattfand, der Angeklagte jedoch das "Ziel" der Ermittlungen war?

3 9 6

s. u. VI. 4.

3 9 7

Rakas v. Illinois, 439 U.S. 128, 58 L.Ed.2d 387 (1978).

3 9 8

United States v. Calandra, 414 U.S. 338, 38 L.Ed.2d 561 (1974).

3 9 9

Jones v. United States, 362 U.S. 257, 4 L.Ed.2d 697 (1960).

V. Voranhörung

125

Ein Fall, in dem diese Probematik besonders deutlich hervortrat, war United States v. Payner 400. U.S. Behörden 401 ermittelten dort wegen Finanzaktivitäten von U.S.-Bürgern auf den Bahamas. Ein Ziel der Ermittlungen war Mr. Payner. Als sich der Vize-Präsident einer auf den Bahamas ansässigen Bank in Miami aufhielt, entwendete ein von der Behörde beauftragter Spezialagent den Aktenkoffer des Bankers für kurze Zeit und fotokopierte die darin enthaltenen 400 Bankunterlagen. Dies führte zu Dokumenten, mit denen sich belegen ließ, daß Payner tatsächlich ein Konto bei dieser Bank hatte und in Zusammenhang hiermit falsche U.S. Steuererklärungen abgegeben hatte. Payner konnte damit eine Straftat nachgewiesen werden. Dies wäre ein Musterfall für die Anwendung des "target-standing " gewesen. Denn der Spezialagent hatte in voller Absicht den 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung in Hinblick auf den Banker verletzt und hierbei eine Straftat begangen, in dem Bewußtsein, daß Payner sich gleichwohl nicht auf eine Verletzung seiner 4. Zusatzartikel-Rechte berufen konnte und die gewonnenen Beweise gegen ihn damit zulässig wären. Wäre es der Rechtsprechung mit ihrem Argument, die Ausschlußregel diene der Verhinderung von Verletzungen des 4. Zusatzartikels, ernst gewesen, so hätte sie hier die illegalen Beweise im Prozeß gegen Payner nicht zulassen dürfen. Der U.S. Supreme Court hat ein "target-standing " jedoch verworfen. Payner sei nicht das Opfer einer rechtswidrigen Durchsuchung gewesen, sondern lediglich Dritter. Weshalb die bei der rechtswidrigen Durchsuchung des Bankers aufgefundenen Beweise gegen Payner verwandt werden konnten. (2) "Automatische" Antragsbefugnis Einige Jahre lang hat der U.S. Supreme Court die Lehre von der automatischen Antragsbefügnis 402 anerkannt 403. Die Berechtigung des Angeklagten, die Verletzung "seiner" 4. Zusatzartikel-Rechte geltend zu machen, wurde "automatisch" anerkannt, wenn der Besitz des beschlagnahmten Beweisstückes notwendiges Element des Straftatbestandes war. Dies spielte häufig bei Drogendelikten eine Rolle. 4 0 0

United States v. Payner, 447 U.S. 727, 65 L.Ed.2d 468 (1980).

4 0 1

Es handelte sich um "Agents" des "Internal Revenue Service", "I.R.S.".

4 0 2

Automatic-Standing.

4 0 3

Zuerst in Jones v. United States, 362 U.S. 257, 4 L.Ed.2d 697 (1960).

126

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Der U.S. Supreme Court hat jedoch 1980 in United States v. Salvucci404 die Lehre von der automatischen Antragsbefugnis wieder aufgegeben.

(3) "Abgeleitete" Antragsbefugnis Ferner begründete der U.S. Supreme Court in McDonald v. United States405 die Lehre von der abgeleiteten Antragsbefugnis 406. Danach konnte sich ein Angeklagter auf die Verletzung der 4. Zusatzartikel-Rechte eines Mitangeklagten berufen. Ohne McDonald v. United States auch nur zu erwähnen, hat der U.S. Supreme Court in Wong Sun v. United States407 die Lehre von der abgeleiteten Antragsbefugnis wieder verworfen, indem er urteilte, daß Wong Sun nicht berechtigt war, den Ausschluß von Drogen als Beweisstücke zu verlangen, welche gegen seinen Mitangeklagten Toy ausgeschlossen worden waren.

(4) Rowlings v. Kentucky: Vernünftigerweise

zu erwartende Privatsphäre

In Alderman ν. United States408 hat der U.S. Supreme Court schließlich explizit festgestellt, daß die Rechte aus dem 4. Zusatzartikel persönliche Rechte sind. Nur derjenige kann sich auf den 4. Zusatzartikel berufen, der in seinen eigenen, geschützten Rechten verletzt ist. Der derzeit gültige Maßstab, wann der Angeklagte "Opfer" einer Verletzung des 4. Zusatzartikels ist, wird seit Rakas v. Illinois und Rawling v. Kentucky409 wie folgt umschrieben: Hat die Durchsuchung oder Beschlagnahme die vernünftigerweise zu erwartende Privatsphäre dieses Angeklagten betroffen 410?

4 0 4

United States v. Salvucci, 448 U.S. 83, 65 L.Ed.2d 619 (1980).

4 0 5

McDonald v. United States, 335 U.S. 451, 93 L.Ed. 153 (1948).

4 0 6

Derivative-Standing.

4 0 7

Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963).

4 0 8

Alderman ν. United States, 394 U.S. 165, 22 L.Ed.2d 176 (1969).

4 0 9

Rakas v. Illinois, 439 U.S. 128, 58 L.Ed.2d 387 (1978); Rawlings v. Kentucky, 448 U.S. 98, 65 L.Ed.2d 633 (1980). 4 1 0

Intrusion into his reasonable expectation of privacy.

V. Voranhörung

127

In diesen Fällen ist der Angeklagte antragsbefugt. Er kann die Verletzung seiner 4. Zusatzartikel-Rechte geltend machen und infolgedessen den Ausschluß der rechtswidrig erlangten Beweise vor Gericht verlangen 411.

(5) Behauptung der eigenen Rechtsverletzung In verfahrenstechnischer Hinsicht muß der Angeklagte in seinem Antrag auf Nichtzulassung der Beweise ausdrücklich die Verletzung seiner 4. Zusatzartikel-Rechte geltend machen412. In der Praxis genügt eine Formulierung wie: Die eben bezeichnete Durchsuchung und Beschlagnahme verletzt den Angeklagten in seinen Rechten aus dem 4. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten.

(6) Antragsbefugnis im Simpson-Antrag Im Antrag der Simpson Verteidigung auf Nichtzulassung der Beweise bereitete die Antragsbefügnis keine Schwierigkeiten und war daher im Anhörungstermin auch nicht umstritten. Die angefochtene Durchsuchung und Beschlagnahme vom 13.06.94 fand auf dem Anwesen des Angeklagten statt. Wohngrundstücke unterfallen der geschützten Privatsphäre, da es sich hier um den Kernbereich der Rechtsgüter des 4. Zusatzartikels handelt. Der Angeklagte O.J. Simpson war als Eigentümer des Grundstücks daher antragsbefugt. Hätte er dagegen geltend machen wollen, daß die Durchsuchung der Wohnung, z.B. eines Freundes, rechtswidrig war und die dort beschlagnahmten, gegen ihn verwandten Beweise daher vor Gericht auszuschließen seien, so wäre er hierzu nicht berechtigt gewesen. Da insoweit nicht seine geschützte Privatsphäre verletzt worden wäre, hätte er keine Antragsbefügnis gehabt. Diese Beweise, obgleich möglicherweise tatsächlich aufgrund einer rechtswidrigen Durchsuchung erlangt, wären in seinem Prozeß verwertbar gewesen.

4 1 1

Vgl. die Übersicht in California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.13 über 52 Entscheidungen der Bundesgerichte und der kalifornischen Gerichte zur Frage des Standing. 4 1 2

Standing Allegation.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

128

dd) Darlegungs- und Beweislast Die Verteidigung muß in ihrem Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1538.5 P.C., genau darlegen, gegen welche Beweisstücke sie sich wendet. Im Antrag ist auch auszuführen, ob die Durchsuchung bzw. Beschlagnahme mit oder ohne gerichtliche Anordnung erfolgte. Dies spielt bei der Verteilung der Beweislast eine Rolle. Ferner muß die Verletzung eigener aus dem 4. Zusatzartikel abgeleiteter Rechte des Angeklagten behauptet und, falls von der Staatsanwaltschaft bestritten, bewiesen werden. Schließlich muß die Verteidigung darlegen, worin die Illegalität der Durchsuchung und Beschlagnahme bestehen soll und zumindest einen prima-facie Nachweis hierfür erbringen 413. In dem Nichtzulassungsantrag während der Voranhörung wandte sich die Verteidigung gegen die ohne gerichtliche Anordnung am Morgen des 13.06.94 durchgeführte Durchsuchung des Simpson Anwesens und die hierauf folgende Beschlagnahme von Beweisstücken (Handschuh, Blutstropfen). Die Verteidigung hätte nachweisen müssen, daß kein gerichtlicher Durchsuchungsbefehl vorlag. Häufig wird hierzu im Anhörungstermin ein Polizist, der die Durchsuchung durchführte, als Zeuge benannt und befragt, ob ihm ein Durchsuchungsbefehl vorlag. Es kann auch der Angeklagte selbst als Zeuge aufgerufen werden, um auszusagen, daß (nach seiner Kenntnis) keine gerichtliche Anordnung vorlag. In der Praxis ist es jedoch üblich, daß die Staatsanwaltschaft das Fehlen eines Durchsuchungsbefehl unstreitig stellt 414 , wenn hieran keine ernstlichen Zweifel bestehen. Hierdurch wird eine "Verschwendung der Zeit des Gerichts" 415 verhindert. Im Simpson Fall wurde das Fehlen eines Durchsuchungsbefehls für die Durchsuchung am 13.06.94 unstreitig gestellt. Die Beweislast verlagerte sich daher auf die Staatsanwaltschaft 416. Sie mußte nun nachweisen, daß die Durchsuchung und Beschlagnahme trotz fehlender gerichtlicher Anordnung rechtmäßig war. Wie bereits ausge4 1 3

Badillo v. Superior Court, 46 C2d 269, 294 P2d 23 (1956); People ν. Contreras, 210 CA3d 450, 259 CR 290 (1989); People v. Carson, 4 CA3d 782, 84 CR 699 (1970). 4 1 4

Stipulation.

4 1 5

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.17.

4 1 6

Badillo v. Superior Court, 46 C2d 269, 294 P2d 23 (1956).

V. Voranhörung

129

führt 417 , stützte sich die Staatsanwaltschaft auf "dringende Umstände". Zum Nachweis wurden die vier Polizisten, die das Anwesen durchsucht hatten, als Zeugen benannt und vernommen. Im Anhörungsverfahren über einen Antrag auf Nichtzulassung von Beweisenfindet der California Evidence Code bis auf einige, wenige Ausnahmen418 Anwendung419. Ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, entscheidet der Magistrate, ob die Staatsanwaltschaft ihrer Beweislast genügt hat. Dies ist der Fall, wenn die Beweise, die die anordnungslose Durchsuchung rechtfertigen, nach Ansicht des Magistrate überwiegen. Dies bedeutet: Widersprechen sich die von den Parteien vorgebrachten Beweise, hält jedoch der Magistrate die Beweise der Staatsanwaltschaft für glaubhafter, so ist der Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen abzulehnen. Der Magistrate braucht nicht "jenseits eines vernünftigen Zweifels" überzeugt zu sein, es genügt ein "Übergewicht an Beweisen"420 4 2 1 . Dies stellt eine deutlich verminderte Anforderung an den Grad des Nachweises dar.

4 1 7

S. 0. d).

4 1 8

Diese sind: Hörensagen und persönliche Ansichten/"Glauben" sind zulässig, wenn sie sich auf ein relevantes subjektives Tatbestandsmerkmal bzgl. des Zeugen beziehen, vgl. Jefferson, California Evidence Benchbook § 14.1, 2d ed CJA California Criminal Law, Procedure and Practice, 1982; Angaben, die ansonsten "Hörensagen" wären, werden nicht als Hörensagen behandelt und sind somit zulässig, wenn sie sich auf die Feststellung von Probable Cause beziehen, People ν. Magana, 95 CA3d 453, 157 CR 173 (1979); Evidence Benchbook § 1.1. 419 Hewitt v. Superior Court, 5 CA3d 923, 85 CR 493 (1970). 4 2 0

Preponderance of the Evidence Test. People v. James, 19 C3d 99, 137 CR 447, 450 (1977); People v. Superior Court (Bowman) 18 CA3d 316, 95 CR 757 (1971). 4 2 1 Zusammengefaßt unterscheidet das kalifornische Strafverfahrensrecht folgende Beweisstandards:

- für eine Verurteilung muß der Richter bzw. die Jury von der Schuld des Angeklagten jenseits eines vernünftigen Zweifels überzeugt sein, § 1096 P.C.; - zur Entscheidung über Verfahrensanträge, z.B. einer "Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen", genügt ein Übergewicht der Beweise, sog. "Preponderance of the Evidence"; - in zahlreichen anderen Fällen, z.B. bei Erlaß von Durchsuchungs-, Beschlagnahmeund Festnahmebefehlen oder für die Binding-Over-Entscheidung am Schluß des Preliminary Hearings genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit, sog. "Probable Cause", wobei umstritten ist, ob diese eine mehr als 50% Wahrscheinlichkeit erfordert oder auch eine geringere Wahrscheinlichkeit genügt. 10 Schnabl

130

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Im Simpson Fall lehnte der Magistrate den "§ 1538.5 - Antrag" 422 ab, nachdem die Staatsanwaltschaft Beweise zur Begründung "dringender Umstände" präsentiert hatte.

f) Exkurs: Die Lehre von den Früchten des verbotenen Baumes aa) Entstehung und Voraussetzungen Im Simpson Fall war die Entdeckung des blutigen Handschuhs sowie der Bluttropfen die direkte Folge der, - überdies rechtmäßigen -, Durchsuchung, so daß sich hier das Problem der Fernwirkung der Beweisverbote nicht stellte. Der Vollständigkeit halber soll hier kurz auf die Rechtsprechung zur "Fruit of the Poisonous-Tree-Doctrine" eingegangen werden. Dieser schlagwortartige und, - zugegebenermaßen -, einprägsame Begriff ist weit über die Grenzen des amerikanischen Rechtskreises hinaus bekannt geworden und stellt oftmals das unter Laien, aber auch unter ausländischen Juristen, bekannteste Merkmal des amerikanischen Strafverfahrensrechts dar. Im Simpson Fall wäre folgende Situation denkbar gewesen, in der die "Fruit of the Poisonous-Tree-Doctrine" relevant geworden wäre: Bei der, als illegal zu unterstellenden, Durchsuchung des Grundstücks am 13.06.94 entdecken die Polizisten neben dem blutigen Handschuh einen Schlüssel für ein Flughafenschließfach. Die Polizisten nehmen den Schlüssel an sich und besorgen sich einen Durchsuchungsbefehl für das Flughafenschließfach. Im Schließfach wird ein blutiges Messer entdeckt. Ein serologisches Gutachten stellt fest, daß es sich um Blut des Mordopfers handelt. Die Staatsanwaltschaft ist froh, die Tatwaffe entdeckt zu haben und will diese als Beweisstück in den Prozeß einführen. Die Lehre von den Früchten des verbotenen Baumes hält sie nicht für anwendbar, da das Messer aufgrund eines selbständigen, rechtmäßigen Durchsuchungsbefehls für das Schließfachs entdeckt worden sei. Die Entdeckung des Schlüssels wäre die direkte Folge der Grundstücksdurchsuchung gewesen. Da hier unterstellt werden soll, daß diese Durchsuchung den 4. Zusatzartikel verletzte, wäre der Schlüssel als sogenanntes direktes oder primäres Beweisstück nach der Ausschlußregel auszuschließen.

4 2 2

Mit dieser Kurzformel wird in der amerikanischen Praxis ein Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen häufig bezeichnet; in § 1538.5 P.C. finden sich die Voraussetzungen des Antrags.

V. Voranhörung

131

Der "verbotene bzw. giftige Baum" 423 ist die rechtswidrige Grunstücksdurchsuchung. Diese war zwar ursächlich für die Auffindung des Messers im Schließfach, es kommen jedoch weitere Umstände hinzu. In diesen Situationen ist zu entscheiden, ob die ursprüngliche Verletzung der Verfassung oder anderer Gesetze auf die. als sekundär 424 oder abgeleitet 425 bezeichneten Beweise fortwirkt und deren Verwertung unzulässig macht. Um den Begriff zu benutzen, der von Justice Frankfurter in Nardone v. United States426 geprägt wurde: Sind die sekundären Beweise die Früchte des verbotenen Baumes? Die Entwicklung der Fernwirkung der Beweisverbote hat ihre Wurzeln in der Entscheidung Silverthorne Lumber Co. v. United States427. Der U.S. Supreme Court hat darin festgestellt, daß der Zweck einer Rechtsnorm, die die Erlangung von Beweisen auf eine bestimmte Art verbietet, nicht nur ist, diese Beweise vor Gericht auszuschließen, sondern deren Gebrauch insgesamt zu verbieten. Die Fernwirkung der Ausschlußregel wurde damit grundsätzlich anerkannt. Gleichzeitig wurde jedoch eine erste Beschränkung formuliert.

bb) Beschränkungen (1) Unabhängige Quelle Ein Beweis, der zwar nach einer illegalen Polizeimaßnahme aufgefunden wurde, dessen Entdeckung aber auf einer "unabhängigen Quelle" 428 beruht, ist zuzulassen429. Der einfache Grund hierfür ist, daß dieser Beweis nicht die Frucht eines verbotenen Baumes ist. Es handelt sich daher auch um keine Beschränkung der Fruit of the Poisonous-Tree-Doctrine im eigentlichen Sinne, - obgleich in einigen 4 2 3

Poisonous Tree.

4 2 4

Secondary.

4 2 5

Derivative.

4 2 6

Nardone ν. United States, 308 U.S. 338, 84 L.Ed. 307 (1939).

4 2 7

Silverthorne Lumber Co. v. United States, 251 U.S. 385, 64 L.Ed. 319 (1920).

4 2 8

Independent Source.

4 2 9

Silverthorne Lumber Co. v. United States, 251 U.S. 385, 64 L.Ed. 319 (1920), zitiert in Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963).

10*

132

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

amerikanischen Lehrbüchern als solche bezeichnet430 -, da die Entdeckung dieser Beweismittel nicht auf einer fortwirkenden, rechtswidrigen Maßnahme, sondern auf einer selbständigen und unabhängigen Kausalreihe beruht.

(2) Unvermeidliche

Entdeckung

In gewisser Weise eine Abwandlung der Lehre von der unabhängigen Quelle ist die Lehre von der unvermeidlichen Entdeckung431. Die Frage ist nicht, ob die Polizei Beweise aufgrund einer "unabhängigen Quelle" entdeckt hat, sondern ob die Beweise, die tatsächlich in Folge einer rechtswidrigen Maßnahme gefunden wurden, unweigerlich auch auf rechtmäßigem Wege entdeckt worden wären. Im Unterschied zur Lehre von der unabhängigen Quelle beruht die Entdeckung der Beweise hier kausal auf der früheren Rechtsverletzung. Die Beweise sind damit Früchte des verbotenen Baumes. Die Rechtsprechung läßt die Beweise jedoch zu, wenn die Staatsanwaltschaft nachweisen kann, daß die Beweise letztlich auch auf legalem Wege entdeckt worden wären. Es ist damit eine hypothetische Betrachtung vorzunehmen, ob die Beweise auch ohne die rechtswidrigen Polizeimaßnahmen entdeckt worden wären. Ist dies der Fall, so besteht kein Grund, diese Beweise auszuschließen. Die Polizei soll durch die Lehre von den Früchten des verbotenen Baumes nicht schlechter gestellt werden, als sie stünde, wenn die rechtswidrige Maßnahme nicht stattgefunden hätte, denn der Zweck dieser Lehre ist lediglich die Verhinderung rechtswidrigen Polizeihandelns. Die Lehre von der unvermeidlichen Entdeckung wurde daher auch vom U.S. Supreme Court in Nix v. Williams 432 anerkannt.

(3) Abgeschwächte Verbindung Die am schwierigsten anzuwendende Beschränkung der Fruit of the Poisonous Tree Doctrine ist die Lehre von der "abgeschwächten Verbindung" 433 . 4 3 0

Dressler , Understanding Criminal Procedure, S. 256; LaFave /Israel, Criminal Procedure, S. 473. 4 3 1

Inevitable-Discovery-Doctrine.

4 3 2

Nix v. Williams, 467 U.S. 431, 81 L.Ed.2d 377 (1984).

4 3 3

Attenuated-Connection-Principle.

V. Voranhörung

133

Diese Beschränkung wurde zuerst in Nardone v. United States434 anerkannt. Der U.S. Supreme Court entschied dort, daß Beweise manchmal auch dann verwertbar sind, wenn sie kausal auf einer illegalen Maßnahme beruhen, die ursprüngliche Rechtswidrigkeit im Laufe der Kausalkette jedoch so abgeschwächt wurde, daß sie sich nicht mehr auswirkte 435. In Wong Sun v. United States436 wurde diese Rechtsprechung ausdrücklich bestätigt. Die Verwertbarkeit wird in diesen Fällen damit begründet, daß ein vollständiger Ausschluß aller "Früchte" unverhältnismäßig und exzessiv wäre. Es müssen die einem vollständigen Ausschluß entgegenstehenden Interessen der Gemeinschaft an einem effektiven Strafverfahren und an der Verurteilung eines tatsächlich schuldigen Straftäters berücksichtigt werden 437. Letztlich bedeutet dies eine Verhältnismäßigkeitsprüfung und Interessenabwägung. Justice Powell betont in Brown v. Illinois 438 :"... in einigen Fällen legt die strikte Befolgung der Ausschlußregel des 4. Zusatzartikels dem berechtigten Verlangen nach Strafverfolgung größere Kosten auf, als sich mit dem Abschreckungszweck der Ausschlußregel rechtfertigen lassen. Obgleich der U.S. Supreme Court in Nardone v. United States und Wong Sun v. United States439 die "abgeschwächte Verbindung "-Ausnahme anerkannte, ließ er offen, welche Umstände zu einer solchen "Abschwächung der Kausalkette" führen können. Es existiert keine fertige Formel, vielmehr ist eine Entscheidung im Einzelfall aufgrund der besonderen Umstände des Falles zu treffen 440 . Dennoch lassen sich bestimmte Merkmale charakterisieren, die für oder gegen eine "Abschwächung" sprechen können. Je länger die Kausalkette zwischen der ursprünglichen Handlung und der späteren Entdeckung des sekundären Beweisstücks ist, um so eher kommt eine Zulassung in Betracht. Denn je länger die Kausalkette, um so unwahrscheinlicher ist es, daß die Polizei bei ihrer rechtwidrigen Handlung die Entdeckung 4 3 4

Nardone v. United States, 308 U.S. 338, 84 L.Ed. 307 (1939).

4 3 5

Nardone v. United States, 308 U.S. 338, 341, 84 L.Ed. 307 (1939): sophisticated argument may prove a causal connection.... As a matter of good sense, however, such connection may have become so attenuated as to dissipate the taint. 4 3 6

Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963).

4 3 7

Dressier , Understanding Criminal Procedure, S. 261; LaFave/Israel, Procedure, S. 472. 4 3 8

Criminal

Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 45 L.Ed.2d 416 (1975).

4 3 9

Nardone v. United States, 308 U.S. 338, 341, 84 L.Ed. 307 (1939); Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d441 (1963). 4 4 0

Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 45 L.Ed.2d 416 (1975).

134

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

des "sekundären" Beweisstücks voraussah. Da die Motivation der Polizei sich nicht auf die Entdeckung dieser Beweise richtete, hat der hinter der Ausschlußregel stehende Abschreckungsgedanke in diesen Fällen keinen Anwendungsbereich. Im umgekehrten Falle, wo die Rechtsverletzungen durch die Polizei besonders schwerwiegend oder beabsichtigt sind, kommt dem Abschreckungsgedanken um so größere Bedeutung zu und rechtfertigt auch noch den Ausschluß "entfernterer" Beweise. In der obigen (fiktiven) Gestaltung des Simpson Falles wäre die Durchsuchung des Anwesens illegal gewesen. Diese hätte den "verbotenen Baum" dargestellt. Die aufgefundenen Beweise (Handschuh, Bluttropfen und Schließfachschlüssel) wären die "direkten" Früchte gewesen und daher nach der Ausschlußregel auszuschließen gewesen. Die Entdeckung des Messers im Flughafenschließfach wäre lediglich eine entferntere Folge gewesen. Damit hätte es sich um "abgeleitete" Beweise gehandelt. Diese waren aber gleichwohl noch Früchte des verbotenen Baumes. Eine von der illegalen Durchsuchung unabhängige Kausalkette liegt nicht vor. Der Durchsuchungsbefehl für das Schließfach vermochte die Kausalkette nicht zu durchbrechen und begründete keine "unabhängige Quelle". Denn die seinem Erlaß zugrundeliegenden Informationen wurden aufgrund der rechtswidrigen Grundstücksdurchsuchung gewonnen. Anders wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Durchsuchungsbefehl für das Schließfach aufgrund von Informationen erlassen worden wäre, die vor oder unabhängig von der illegalen Grundstücksdurchsuchung gewonnen worden wären. Lediglich in diesem Fall hätte eine unabhängige Quelle vorgelegen 441. Auch die "unvermeidliche Entdeckung "-Ausnahme greift nicht ein, da keine Anhaltspunkte vorliegen, daß die Polizei das Messer im Schließfach auf jedem Fall entdeckt hätte. Es bleibt nur noch die Lehre von der abgeschwächten Verbindung. Es liegt hier eine relativ kurze Kausalkette zwischen der illegalen Durchsuchung und der Entdeckung der Tatwaffe vor. Die Auffindung von Beweisen war der beabsichtigte Zweck der Durchsuchung (dies soll in dieser fiktiven Fallgestaltung unterstellt werden), hinzu kommt der erhebliche Eingriff in die Privatsphäre des Angeklagten. Der mit dem Ausschluß von Beweisen beab-

4 4 1

Vgl. FaUgestaltungen in der Rechtsprechung: Murray v. United States, 487 U.S. 533, 101 L.Ed.2d 472 (1988); Segura v. United States, 468 U.S. 796, 82 L.Ed.2d 599 (1984); United States v. Griffin, 502 F.2d 959 (6th Circuit 1974).

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 135

sichtigte Zweck, die Polizei vor (künftigen) Verstößen gegen den 4. Zusatzartikel abzuschrecken, greift hier ein. Der Erlaß eines Durchsuchungsbefehls für das Schließfach vermag die fortwirkende Illegalität der Durchsuchung nicht so in den Hintergrund treten zu lassen, daß eine "abgeschwächte Verbindung" vorläge, da dieser allein auf Informationen aus der illegalen Durchsuchung gestützt wurde. Ließe man hier eine Abschwächung zu, bestünde die Gefahr, daß die Polizei einen solchen Durchsuchungsbefehl lediglich benützte, um die Ausschlußregel zu umgehen, obgleich alle Informationen aus einer rechtswidrigen Polizeimaßnahme stammen. Dies würde dem Abschreckungsgedanken der Ausschlußregel, welcher seinerseits auf den Schutzzweck des 4. Zusatzartikels gestützt wird, nicht gerecht. Im Ergebnis wäre das Messer somit die Frucht eines verbotenen Baumes und als Beweis vor Gericht nicht zuzulassen. In verfahrenstechnischer Sicht muß die Verteidigung, wenn sie die Ausschließung von "illegalen Früchten" geltend machen will, neben den bereits oben genannten Anforderungen 442, in dem Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen darlegen, daß zwischen der illegalen Polizeimaßnahme und dem unmittelbar erlangten Beweisstück ein kausaler Zusammenhang besteht. Es ist dann an der Staatsanwaltschaft nachzuweisen, daß die Entdeckung in Wirklichkeit auf einer unabhängigen Quelle beruht bzw. daß die Lehre von der unvermeidlichen Entdeckung oder von der abgeschwächten Verbindung eingreift. Zum Nachweis hierfür genügt ein Übergewicht der Beweise443.

V I . Der Haupt Verhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 1. Allgemeine Übersicht "Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge" 444 ist ein Sammelbegriff für Anträge unterschiedlichster Art.

4 4 2 s. o. e)(3)(4), insbesondere spezifizierte Benennung des Beweisstücks; prima facie Nachweis der Illegalität der Durchsuchung/Beschlagnahme; Nachweis des fehlenden Durchsuchungsbefehl; Nachweis des "Standing". 4 4 3

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.21; People v. Gordon, 84 CA3d 913, 149 CR 91 (1978). 4 4 4

Pretrial Motions.

136

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

So führt allein der von der Universität Berkeley herausgegebene Band California Criminal Law, Procedure and Practice, 445 47 unterschiedliche Anträge dieser Art auf. Will man eine Grobeinteilung nach dem Ziel des Antrags vornehmen, so lassen sich die Anträge in folgende Gruppen einteilen: - Nichtzulassungsanträge446, z.B. gerichtet auf Unterdrückung der verschiedensten Arten von Beweisen oder auch auf Nichtzulassung einer Vorladung 447 ; - Einsichts- bzw. Auskunftsanträge 448, hierunter fallen Anträge auf gegenseitige Akteneinsicht oder Auskunft, auf Preisgabe eines Informanten, Aushändigung von Personalunterlagen von Ermittlungsbeamten, Übersendung von Protokollen über frühere Verhandlungen, bis hin zur Erzwingung von Fingerabdrücken, Blut- oder Schriftproben; - Verwerfungsanträge 449, ein Antrag auf Verwerfung der Anklage kann auf eine Vielzahl von Gründen gestützt werden, etwa auf fehlende tatsächliche Anhaltspunkte450 in der Voranhörung oder auf diskriminierende Ermittlungen, auf Versagung des Rechts auf ein beschleunigtes Verfahren oder allgemein gestützt auf Gerechtigkeitserwägungen; je nachdem hat der Antrag verschiedene Voraussetzungen; - Anträge auf Schutzanordnungen451, diese Gruppe kann Anträge auf einen Wechsel des Gerichtsortes oder nur des Gerichtssaales, auf Beschränkung oder völligen Ausschluß der Presse oder auf Absonderung 452 der Geschworenen während des Prozesses umfassen; - Verschiedenartige Anträge 453 , zahlreiche Anträge lassen sich keiner der oben genannten Gruppen zuordnen, so etwa Ablehnungsanträge bezüglich eines Richters, Anträge auf Entlassung des Angeklagten gegen Kaution oder auf Herabsetzung der Kaution, Antrag auf psychiatrische Untersuchung des Angeklagten oder Anträge auf Verhängung von Sanktionen wegen Verstoßes gegen Anordnungen des Gerichts.

4 4 5

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 24.3.

4 4 6

Suppression Motions.

4 4 7

Motion to Quash Subpoena.

4 4 8

Discovery Motions.

4 4 9

Dismissal Motions.

4 5 0

Probable Cause.

4 5 1

Protective Motions.

4 5 2

Sequestration.

4 5 3

Miscellaneous Motions.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 137

Zahlreiche dieser Anträge wurden von der Verteidigung vor Beginn des Hauptverfahrens gestellt. Auf einige wurde bereits in früheren Kapiteln eingegangen: so auf den Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen454, den Antrag auf Entlassung der Grand Jury 455 oder auch auf Anträge der Staatsanwaltschaft, so z.B. den Antrag, den Angeklagten zu verpflichten, die Entfernung von Haarproben zu dulden 456 . Weitere Anträge werden in den nachfolgenden Kapiteln behandelt: etwa die Anträge auf Auskunftserteilung und Akteneinsicht457 oder die Anträge auf Teilung der Beweismittel458. In diesem Abschnitt werden die Verteidigungsanträge auf Unterdrückung von Beweisen und die hiermit in Zusammenhang stehenden Anträge vor dem Superior Court herausgegriffen. Die im vorigen Abschnitt bereits behandelten Anträge auf Nichtzulassung von Beweisen, die an den Magistrate während der Voranhörung gerichtet waren, wurden vor dem Superior Court teils erneut gestellt, zum Teil auch erweitert, einige wurden auch erstmalig vorgebracht. Im Folgenden werden einzelne Besonderheiten dieser Anträge vor dem Superior Court und wesentliche Unterschiede im Vergleich zu den entsprechenden Anträgen während der Voranhörung herausgestellt. Die Verteidigung hat vor Beginn der Hauptverhandlung vor dem Superior Court u.a. folgende Anträge gestellt: - erneuter Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen459, bezogen insbesondere auf den blutigen Handschuh und die Bluttropfen auf der Auffahrt, - Antrag auf Verwerfung der Anklage und Einstellung des Verfahrens 460, - erstmaliger Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, bezogen auf Beweise, die nicht Gegenstand der Voranhörung waren 461 .

4 5 4

V. 5.

4 5 5

IV. 3.

456 γ

4

4 5 7

VII.

4 5 8

VIII.

4 5 9

Renewed Motion to Suppress Evidence; nachfolgend 2.

4 6 0

Motion to Set Aside Information, Motion to Dismiss; nachfolgend 3.).

4 6 1

Nachfolgend 4.).

138

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

2. Erneuter Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen Die Verteidigung gab sich mit dem verlorenen Antrag auf Nichtzulassung des blutigen Handschuhs bzw. der Bluttropfen während der Voranhörung nicht geschlagen, sondern erneuerte diesen Antrag vor dem Superior Court. Damit sollte der Ausschluß dieser Beweise nunmehr vor dem Gericht des Hauptverfahrens erreicht werden. Der Verteidigung war viel daran gelegen, mit dem erneuten Antrag Erfolg zu haben. Denn dies hätte zu einem Ausschluß zentraler Belastungsbeweise in der mündlichen Verhandlung vor den Geschworenen geführt. Für die Staatsanwaltschaft wäre es wesentlich schwieriger geworden, eine Verurteilung Simpson's zu erreichen. Der Verteidigung waren jedoch die bereits oben genannten Beschränkungen auferlegt 462. Im Ergebnis lehnte Superior Court Richter Ito, den erneuten Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen ab: Wie sich aus dem Protokoll ergäbe, sei Magistrate Kennedy-Powell zu Recht vom Vorliegen dringender Umstände ausgegangen. Da die zur Auffindung der Beweisstücke führende Durchsuchung am 13.06.94 rechtmäßig war, wurden diese Beweise im Prozeß vor den Geschworenen zugelassen.

3. Antrag auf Aufhebung der Anklage und Einstellung des Verfahrens Neben dem eben genannten Antrag stellte die Verteidigung den Antrag, die Anklage aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Dies wird als "Motion to Set Aside the Information M bzw. "Motion to Dismiss " bezeichnet und stützt sich auf § 995 P.C. Die Verteidigung machte geltend, daß dem Magistrate in der Voranhörung keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorlagen, um die Anklage zum Superior Court zuzulassen, § 995 (a)(2)(B) P.C. 4 6 3 . Hinter diesem Antrag steht folgende Verteidigungsstrategie: Die umstrittenen Beweisstücke (Handschuh, Bluttropfen) waren die zentralen Beweise in der Voranhörung, um den Magistrate vom Vorliegen hinreichenden Tatverdachts im Sinne von § 872 P.C. zu überzeugen. Wurden diese Beweise zu Unrecht in der Voranhörung zugelassen, so lag auch kein 4 6 2

S. ο. V. 5. e) bb) (3). 463 g 995 (a)(2)(B) P.C. lautet: (a)... the information shall be set aside... upon either of the following cases: (2)...(B) That the defendant had been committed without reasonable or probable cause.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 139

hinreichender Tatverdacht vor. Die Anklage wäre daher aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Im übrigen machte die Verteidigimg geltend, daß unabhängig von den eben genannten Beweisen auch die weiteren Anhaltspunkte, auf die der Magistrate seine Entscheidung gestützt hatte, die Annahme hinreichenden Tatverdachts nicht zu rechtfertigen vermochten. Vergleicht man die eben dargestellten beiden Anträge, den erneuten Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen und den Antrag auf Einstellung des Verfahrens, miteinander, so wird die unterschiedliche Zielrichtung der beiden Anträge deutlich. Während sich beide auf den Ausschluß des selben Beweises stützen, zielt der erneute Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen auf die Zukunft, d.h. es wird der Ausschluß der Beweise in der jetzigen Verfahrensstufe vor dem Superior Court verlangt. In dem Antrag auf Verfahrenseinstellung wird darauf Bezug genommen, daß im früheren Verfahrensstadium der Voranhörung der Magistrate die Beweise zu Unrecht zugelassen hatte und darauf gestützt zu Unrecht hinreichenden Tatverdacht bejaht hatte. Dieser Antrag ist damit auf die Vergangenheit gerichtet, obgleich sich dessen Folge, nämlich die Einstellung des Verfahrens, natürlich in der Gegenwart auswirken soll. Der Antrag nach § 995 P.C. ist nicht an bestimmte Fristen gebunden. Um sich jedoch die Möglichkeit zu wahren, eine Ablehnung des Antrags mit der Berufung anzufechten, muß der Antrag im Falle eines Verbrechens innerhalb von 60 Tagen nach der formellen Anklageerhebung464 vor dem Superior Court gestellt werden, § 1510 P.C. Der Antrag auf Verfahrenseinstellung kann grundsätzlich nur auf das Protokoll der Voranhörung gestützt werden 465. Nach Durchführung eines Anhörungstermins am 19.09.94 lehnte Superior Court Richter Lance Ito den Antrag ab, da sich aus dem Protokoll der Voranhörung ergäbe, daß der Magistrate zu Recht vom Vorliegen hinreichenden Tatverdachts ausgegangen sei. Insbesondere sei die Zulassung des Handschuhs und der Bluttropfen als Beweise rechtmäßig gewesen.

4 6 4 4 6 5

Arraignment.

Stanton v. Superior Court, 193 CA3d 265, 270, 239 CR 328, 331 (1987); People v. Brice, 130 CA3d 201, 208, 181 CR 518, 522 (1982); eine Ausnahme gilt, wenn der Angeklagte nachweisen kann, daß er während des Preliminary Hearings "incompetent" war.

140

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Auch hier nimmt der Superior Court Richter lediglich eine Rechtsüberprüfung der Entscheidung des Magistrate vor 4 6 6 . "Das überprüfende Gericht (hier: der Superior Court) darf nicht seine Einschätzung in Hinblick auf die Gewichtung der Beweise an die Stelle derjenigen des Magistrate setzen, und, falls ein Beweis in Unterstützung der Anklage vorliegt, so darf das Gericht nicht nachforschen, ob dieser ausreicht. Jede zulässige Folgerung, die aus einem Beweis gezogen werden kann, muß zugunsten der Anklage gezogen werden" 467 . Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs wurde der Antrag auf Verfahrenseinstellung zu Recht abgelehnt. Es lagen ausreichende Beweise vor, um die Annahme hinreichenden Tatverdachts zu unterstützen.

4. Erstmaliger Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen Am weitestgehenden war der "dritte" Antrag der Verteidigung. Darin wurde die Nichtzulassung Dutzender Beweisstücke verlangt, die an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten beschlagnahmt worden waren. Es handelte sich insoweit um einen erstmaligen Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen, § 1538.5 (i) S.l, 2.Alt. P.C., da die Verteidigung den Ausschluß dieser Beweise zum ersten Mal verlangte. Diese Beweise waren nicht Gegenstand der Voranhörung gewesen. Damit unterlag die Verteidigung andererseits aber auch nicht den Beschränkungen, die für einen lediglich erneuten Antrag gelten 468 . Sie konnte sämtlichen relevanten Umstände zur Unterstützung ihres Antrags vorbringen, § 1538.5 (i) S.2 P.C. Es ist ein Anhörungstermin vor dem Richter des Superior Court durchzuführen, welcher vor Beginn der Hauptverhandlung abgehalten werden soll, § 1538.5 (i) S.l a.E. P.C. Im Simpson Fall begann die Anhörung am 19.09.94, während die Auswahl der Geschworenen und damit die Hauptverhandlung am 26.09.94 begann. Aufgrund des Umfangs der Anträge konnte das Anhörungsverfahren nicht bis dahin abgeschlossen werden, so daß weitere Anhörungstermine nötig wurden, während parallel hierzu die Geschworenenauswahl stattfand. Dies ist zulässig, 4 6 6 People v. Laiwa, 34 C3d 711, 718, 195 CR 503, 506 (1983); People v. Pic'l, 31 C3d 731, 737, 183 CR 685, 688 (1982); People v. Slaughter, 35 C3d 629, 200 CR 448 (1984); People v. Caffero, 207 CA3d 678, 255 CR 22 (1989). 4 6 7

Rideont v. Superior Court, 67 C2d 471, 474, 62 CR 581, 583 (1967).

4 6 8

Vgl. oben 2.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 141

da es sich bei § 1538.5 (i) S.l a.E. P.C. um eine Soll-Vorschrift handelt, von der hier aufgrund der eben geschilderten Gründe eine Ausnahme gemacht werden konnte 469 . In ihrem Antrag wandte sich die Verteidigung insbesondere gegen den Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94. Im folgenden werden wichtige Problemkreise, die im "Antrag auf Nichtzulassung" angesprochen wurden, näher erläutert.

a) Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 - Falsche, beeidete Erklärung aa) Franks v. Delaware Erst nach der ohne gerichtliche Anordnung durchgeführten Durchsuchung bei Tagesanbruch am 13.06.94 war am Vormittag ein gerichtlicher Durchsuchungsbefehl erlassen worden. Aufgrunddessen wurde das Simpson Anwesen danach nochmals gründlich nach Beweisstücken durchsucht. Die Verteidigung machte die Unwirksamkeit des Durchsuchungsbefehls geltend, da dieser von der Polizei unter falschem Vorwand erwirkt worden sei, und verlangte den Ausschluß derjenigen Beweise, die in Ausführung dieses Durchsuchungsbefehls aufgefunden worden waren. Hieraus ergibt sich ein wesentlich neuer Aspekt: während sich bis dahin die Verteidigeranträge auf Beweise bezogen hatten, die ohne gerichtliche Anordnung erlangt worden waren, wurde nunmehr der Ausschluß von Beweisen verlangt, die aufgrund eines Durchsuchungsbefehls erlangt worden waren. Dies ist einer näheren Betrachtung wert. Der 4. Zusatzartikel der U.S. Verfassung und der im wesentlichen gleichlautende Art.l § 13 Cal.Const, schreiben vor, daß ein gerichtlicher Durchsuchungsbefehl nur ergehen darf, wenn hinreichender Tatverdacht vorliegt. Dieser muß sich auf eine unter Eid abgegebene Erklärung oder eine eides-

4 6 9

Die Staatsanwaltschaft widersetzte sich dieser parallelen Durchführung von Geschworenenauswahl und Anhörung über die Anträge. Sie verlangte, die Geschworenenauswahl so lange auszusetzen, bis über die "Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen" entschieden sei. Judge Ito lehnte dies jedoch ab. Zum einen, um dem Verlangen des Angeklagten nach einem beschleunigten Verfahren [speedy trial] gerecht zu werden, zum anderen, um erhebliche Unannehmlichkeiten für die potentiellen Geschworenen zu verhindern, die bereits für bestimmte Termine vorgeladen waren und sich hierauf eingestellt hatten. 4 7 0

False Affidavit.

470

142

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

stattliche Versicherung stützen471. Diese Versicherung wird als affidavit bezeichnet. Die Person, welche die Erklärung abgibt, meist ein Polizist, ist der affiant. Ausführlichere Vorschriften über die Voraussetzungen zum Erlaß eines Durchsuchungsbefehl sowie Verfahrensregeln enthält der Penal Code in den §§ 1523 f. P.C. § 1525 P.C. wiederholt, daß ein Durchsuchungsbefehl nur ergehen darf, wenn hinreichender Tatverdacht vorliegt, der sich aus einer unter Eid abgegebenen Erklärung ergeben muß 472 . Die Verteidigung kann in einem Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen geltend machen, daß keine hinreichenden Gründe zum Erlaß eines Durchsuchungsbefehls vorlagen, § 1538.5 (a)(2)(III) P.C. In diesem Fall wäre dieser nichtig, die auf ihn gestützte Durchsuchung und Beschlagnahme wäre rechtswidrig. Die beschlagnahmten Beweise dürften nicht vor Gericht zugelassen werden. Enthält die beeidete Erklärung nicht ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte, um die Annahme hinreichenden Tatverdachts durch den Magistrate zu rechtfertigen, so wird das zur Überprüfung des Durchsuchungsbefehls angerufene Gericht den Durchsuchungsbefehl für unwirksam erklären. Dies ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt. Probleme bereitete jedoch der Fall, daß die beeidete Erklärung, wie sie dem Magistrate vorlag, hinreichenden Tatverdacht zu begründen vermochte, die Erklärung jedoch in Wirklichkeit falsch war 4 7 3 . Zahlreiche Gerichte niedrigerer Instanz gestatteten dem Angeklagten nicht, Beweise darüber vorzubringen, daß eine solche, dem Durchsuchungsbefehl zugrundeliegende "beeidete Erklärung" falsch war. Der U.S. Supreme Court verwarf jedoch diese Rechtsprechung in Franks v. Delaware 474. Der Angeklagte bzw. dessen Verteidiger ist seitdem berechtigt, Beweise vorzubringen, daß die Behauptungen in einer "beeideten Erklärung" nicht der Wahrheit entsprechen475. Der Grund für diese Verwerfung der unterinstanzlichen Rechtsprechung ist, daß, wäre eine nachträgliche Überprüfung der Richtigkeit einer beeideten 4 7 1

Die 4th Amendment U.S. Const, lautet insoweit: ... no Warrants shall issue, but upon probable cause, supported by Oath or affirmation. 4 7 2

§ 1525 P.C.: A search warrant can not be issued but upon probable cause, supported by affidavit. ... 4 7 3

Facially-Sufficient Affidavit.

4 7 4

Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978).

4 7 5

Dies wird als "controverting" oder "traversing of a warrant" bezeichnet.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 143

Erklärung ausgeschlossen, dies geradewegs dem Erfordernis hinreichenden Tatverdachts des 4. Zusatzartikels zuwiderlaufen würde 476 . Ein Polizist könnte falsche Behauptungen machen, ohne daß dies später, d.h. nach Erlaß des Durchsuchungsbefehls, überprüft werden könnte 477 . Zweck des "hinreichenden Tatverdachts "-Erfordernisses in dem 4. Zusatzartikel ist es jedoch gerade, Durchsuchungsbefehle allein auf tatsächlich ausreichende Gründe zu stützen. Diese tatsächlichen Gründen liegen jedoch nicht vor, wenn der Magistrate trotz unzureichender Nachweise hinreichenden Tatverdacht bejaht hat. Gleiches gilt auch dann, wenn der Magistrate aufgrund falscher Nachweise zur Annahme hinreichenden Tatverdachts gekommen ist. Beide Fallgestaltungen können nicht unterschiedlich behandelt werden. Zwar macht sich ein Polizist, der bewußt falsche Erklärungen in einer beeideten Erklärung abgibt, des Meineids strafbar. Ebenso können sich hieraus disziplinar- und zivilrechtliche Folgen für ihn ergeben. Wie der U.S. Supreme Court jedoch bereits in Mapp v. Ohio 4 7 8 ausführte, genügt dies nicht, um rechtswidrige Durchsuchungen effektiv zu verhindern. Aus den gleichen Gründen, muß bereits eine beeidete Erklärung nachträglich überprüfbar sein 479 . Der U.S. Supreme Court läßt jedoch die Geltendmachung der Unrichtigkeit einer beeideten Erklärung nicht unbeschränkt zu. Die Verteidigung kann nur solche Unrichtigkeiten geltend machen, die vom Erklärenden bewußt und absichtlich480 oder in grob fahrlässiger Mißachtung der Wahrheit 481 abgegeben wurden 482 . Leicht fahrlässige oder unvermeidbare 483 Fehler können nicht geltend gemacht werden. Der Grund für diese Beschränkung ist, daß der Abschreckungsgedanke, welcher ein Aspekt der Rechtsprechung zum 4. Zusatzartikel ist, hier keinen Anwendungsbereich hat. Die Polizei kann nicht von der Begehung unvermeidbarer Fehler abgeschreckt werden. Entsprechendes gilt für unbewußte, leicht fahrlässige Unrichtigkeiten. Diese beruhen auf der Fehlbarkeit der 4 7 6

Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 168, 57 L.Ed.2d 667, 680 (1978).

4 7 7

Vor Erlaß eines Durchsuchungsbefehl kann der Magistrate nach § 1526 P.C. die Wahrheit des Affidavits überprüfen, insbesondere den Affiant vernehmen. 4 7 8

Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 6 L.Ed.2d 1081.

479 V g l weitere Argumente des U.S. Supreme Courts in Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 168, 57 L.Ed.2d 667, 680 (1978). 4 8 0

Knowingly and Intentionally.

4 8 1

Reckless Disregard.

4 8 2

Franks ν. Delaware, 438 U.S. 154, 155, 57 L.Ed.2d 667, 672 (1978). 483 Negligent or Innocent.

144

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Menschen. Nach der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court sind diese hinzunehmen. Ferner muß gerade der Erklärende, - in der Regel ein Polizist -, bewußt oder grob fahrlässig die falsche, beeidete Erklärung abgeben. Es genügt nicht, daß diese subjektiven Merkmale lediglich bei Dritten vorliegen, die dem Polizisten falsche Informationen geben. Dies bedeutet, gibt ein Informant einem Polizisten absichtlich falsche Informationen und schildert der Polizist in seiner beeideten Erklärung, was ihm berichtet wurde und warum er den Informanten für zuverlässig hält (z.B. aufgrund früherer Erfahrungen), so kann der Angeklagte später nicht die materielle Unrichtigkeit der beeideten Erklärung geltend machen484. Anders ist jedoch zu entscheiden, wenn der Informant nicht eine Privatperson, sondern ein weiterer Polizist ist. Denn die Polizei kann nicht die Anfechtbarkeit einer falschen, beeideten Erklärung damit umgehen, daß sie einen unwissenden Polizisten als Erklärenden zwischenschaltet485. Hier spielt wieder der bereits mehrfach herangezogene Abschreckungsgedanke herein. Der Polizei wäre in diesem Fall die rechtswidrige Manipulation zuzurechnen. Eine derartige Manipulation soll verhindert werden. Schließlich kommt es nur dann zu einem Ausschluß von Beweisen, wenn die falsche Erklärung des Polizisten notwendig ist, um das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts zu begründen. Kann die falsche Erklärung hinweggedacht werden und bleiben dennoch genügend Anhaltspunkte zur Annahme hinreichenden Tatverdachts übrig, so wird der Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen abgelehnt und die Beweise werden zugelassen486. Diese Beschränkung ist problematisch, soweit absichtlich falsche, beeidete Erklärungen sanktionslos bleiben, wenn genügend andere Umstände vorliegen, um die Entscheidung über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts aufrechtzuerhalten. Denn gerade gegenüber absichtlichen Rechtsverstößen bedürfte es der stärksten Sanktion zur Abschreckung, nämlich des Ausschlusses der so gewonnenen Beweise.

4 8 4

LaFave/Israel, Criminal Procedure, S. 159; Franks ν. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978). 4 8 5

Franks ν. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978).

4 8 6

Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978).

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 145

Der U.S. Supreme Court hat hierzu in Franks v. Delaware nicht Stellung genommen487. Franks v. Delaware ist geltendes Recht in Kalifornien, gestützt auf Art. 1 § 28 (d) Cal.Const.488.

bb) Antragsvoraussetzüngen Damit es überhaupt zu einem Anhörungstermin kommt, muß der Antrag der Verteidigung bestimmte Voraussetzungen erfüllen 489 . In der deutschen Terminologie würden diese als Zulässigkeitsvoraussetzungen bezeichnet. Es ist eine substantiierte Darlegung erforderlich, welche Teile der beeideten Erklärung unrichtig sind, daß die betreffenden Darstellungen bewußt oder zumindest grob fahrlässig falsch abgegeben wurden und daß sich, denkt man die falschen Darstellungen hinweg, die Entscheidung über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts nicht aufrechterhalten läßt 490 . Dem Antrags sollten bereits eidesstattliche Versicherungen oder sonstige aussagekräftige Nachweise beigefugt werden 491.

cc) Beweislast Liegt ein Durchsuchungsbefehl vor, so wird vermutet, daß dieser rechtmäßig ist 4 9 2 , gleiches gilt für die ihm zugrundeliegende beeidete Erklärung 493. Den Angeklagten trifft damit die Beweislast. Er muß mit einem Übergewicht an Beweisen494 nachweisen, daß die Erklärung bewußt oder grob fahrlässig falsch abgegeben wurde und nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Entscheidung über das Vorliegen hinreichenden Tatverdachts entfiele. Darlegungs- und Beweislast entsprechen somit einander. Gelingt dem Angeklagten dieser Nachweis, wird der Durchsuchungsbefehl vom Gericht 4 8 7

Zur Kritik vgl. LaFave/Israel,

Criminal Procedure, S. 159.

4 8 8

People v. Luttenberger, 50 C3d 1, 10, 265 CR 690, 695 (1990).

4 8 9

Theodor v. Superior Court, 8 C3d 11, 103, 104 CR 226, 244 (1972).

4 9 0

Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978).

4 9 1

People v. Box, 14 CA4th 177, 183, 17 CR2d 504, 508 (1993).

4 9 2

People v. Torres, 8 Cal.Rptr. 2d 332, 6 Cal.App.4th 1324.

4 9 3

Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 171, 57 L.Ed.2d 667, 682 (1978).

4 9 4

Preponderance of the evidence.

11 Schnabl

146

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

aufgehoben 495 und die aufgrund des Durchsuchungsbefehls gewonnenen Beweise werden ausgeschlossen496.

dd) Entscheidung In ihrem Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen behauptete die Verteidigung, der Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 sei unter falschem Vorwand erwirkt worden. Polizist Vannatter habe in seiner beeideten Erklärung bewußt falsche Angaben gemacht. Unter anderem führte die Verteidigung an, Vannatter habe erklärt, daß menschliche Blutspuren, etwa am "Bronco "Türgriff, entdeckt worden seien. Dies sollte dazu dienen, den Magistrate vom Vorliegen hinreichenden Tatverdachts zu überzeugen und somit einen Durchsuchungsbefehl zu erlangen. Vannatter habe gewußt, so die Verteidigung, daß es unmöglich sei, ohne eingehende labortechnische Untersuchung festzustellen, ob Blut von einem Menschen oder einem Tier stamme. Vannatter habe vielmehr die Behauptung, daß menschliche Blutspuren auf dem Simpson Anwesen gefunden wurden, bewußt aus der Luft gegriffen, um einen Durchsuchungsbefehl zu erlangen. Die Staatsanwaltschaft widersprach dem. Sie führte aus, daß der Schluß des Polizisten, es handle sich bei den entdeckten roten Spritzern um menschliches Blut, naheliegend gewesen sei. Das Versäumnis des Polizisten, in seiner beeideten Erklärung nach der Erwähnung des "menschlichen Blutes" ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß es sich insoweit lediglich um eine eigene Schlußfolgerung handle, sei allenfalls leicht fahrlässig und damit unbeachtlich gewesen.

4 9 5 4 9 6

Quashed.

In dieser Fallgestaltung kann sich die Staatsanwaltschaft auch nicht auf die sogenannte "Good Faith "-Ausnahme nach United States v. Leon, 468 U.S. 897, 82 L.Ed.2d 677 (1984), berufen. Diese besagt verkürzt ausgedrückt, daß Beweise, die aufgrund eines Durchsuchungsbefehls gewonnen wurden, der später für unwirksam erklärt wird, dennoch vor Gericht verwertbar sind, wenn die den Durchsuchungsbefehl ausführenden Polizisten in gutem Glauben in die Gültigkeit des Durchsuchungsbefehls handelten. Diese "Good Faith "-Ausnahme ist jedoch selbst wieder in sechs-facher Weise beschränkt, vgl. California Criminal Law, Procedure and Practice, § 20.19. Eine dieser Beschränkungen liegt in obiger Fallgestaltung vor: Beruht ein Durchsuchungsbefehl auf einem bewußt oder grob fahrlässig falsch abgegebenen Affidavit, so führt auch ein "guter Glaube" des den Durchsuchungsbefehl ausführenden Polizisten nicht zu einer Verwertbarkeit der Beweise.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 147

Diesem Argument folgte der Richter in seiner Entscheidung jedoch nicht. Er hielt diese Darstellung in der beeideten Erklärung für bewußt grob fahrlässig falsch abgegeben497. Dennoch hatte der Antrag der Verteidigung im Ergebnis keinen Erfolg. Denn dem Magistrate lagen aufgrund der beeideten Erklärung genügend zutreffende Tatsachen vor, um hinreichenden Tatverdacht zu begründen. Der Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 war daher insoweit rechtmäßig.

b) Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 - Überschreitung des Anwendungsbereichs 498 Die Verteidigung machte in ihrem Antrag auf Nichtzulassung von Beweisen ferner geltend, die Polizisten hätten aufgrund des Durchsuchungsbefehls vom 13.06.94 nicht den Ford Bronco des Angeklagten durchsuchen und beschlagnahmen dürfen. Die in diesem Zusammenhang entdeckten Beweise seien vor Gericht auszuschließen. Das hier angesprochene Problem wirft unmittelbar verfassungsrechtliche Fragen auf. aa) 4. Zusatzartikel Bestimmtheits-Erfordernis Während der vorhergehende Abschnitt das Erfordernis des 4. Zusatzartikels betraf, daß ein Durchsuchungsbefehl nur bei Vorliegen hinreichenden Tatverdachts, gestützt auf eine beeidete Erklärung, ergehen darf, betrifft dieser Abschnitt die weitere Voraussetzung, die der 4. Zusatzartikel an die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbefehls stellt: im Durchsuchungsbefehl muß mit hinreichender Bestimmtheit sowohl der zu durchsuchende Ort als auch die zu beschlagnahmende(n) Sache(n) beschrieben sein 499 5 0 ° . Dies wird als 4 9 7

Reckless.

4 9 8

Beyond Scope.

4 9 9 4th Amendment U.S. Const.: ... Warrants ... particularly describing the place to be searched, and the ... things to be seized. 5 0 0 Der Begriff "Warrant" umfaßt nicht nur Durchsuchungsbefehle, sondern auch Festnahme- oder Haftbefehle.

Ebenso kann sich "Seizure" auf die Beschlagnahme von Sachen oder die Festnahme von Personen beziehen. Das Bestimmtheitserfordernis der 4th Amendment bezieht sich daher auch auf die festzunehmenden Personen: "particularly describing ... the persons ... to be seized." 11*

148

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

" Particularity " -Erfordernis bezeichnet. Entsprechende Bestimmungen enthalten Art. 1 § 13 Cal.Const.501 und § 1525 P.C. Das Bestimmtheits-Erfordernis dient dem Schutz der von einer Durchsuchung betroffenen Person. Jeder der beiden Teilaspekte, "Beschreibung des zu durchsuchenden Ortes" und "Bezeichnung der zu beschlagnahmenden Gegenstände" hat eine eigenständige Bedeutung. Durch die genaue Bezeichnung des zu durchsuchenden Ortes wird der Eingriff in die geschützte Privatsphäre des Betroffenen räumlich begrenzt. Die Durchsuchung kann über diesen Bereich grundsätzlich nicht ausgedehnt werden. Allein hierdurch würde jedoch dem bezweckten Schutz der Privatsphäre nicht Genüge getan, da der Durchsuchungsbefehl im bezeichneten Bereich zu einer allgemeinen Durchsuchung nach Beweisen aller A r t 5 0 2 mißbraucht werden könnte. Es bedarf daher einer Begrenzung. Diese wird durch das Erfordernis der detaillierten Beschreibung der zu beschlagnahmenden Sachen erreicht. Nur nach diesen Gegenständen darf gesucht werden 503. In der Praxis stellt sich damit häufig das Problem, wann ein Ort bzw. eine Sache genau genug beschrieben ist. Der U.S. Supreme Court hat hierzu in Marron ν. United States504 ausdrücklich festgestellt, die Bezeichnung im Durchsuchungsbefehl müsse so detailiert und genau sein, daß dem ausführenden Polizisten keinerlei eigener Entscheidungs- oder Ermessensspielraum bleibe. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der auftretenden Lebenssachverhalte werden jedoch die wenigsten Durchsuchungsbefehle diesem strikten Erfordernis genügen. In der Praxis lassen es die Gerichte genügen, wenn die Bezeichnungen im Durchsuchungsbefehl so genau sind, daß der die Durchsuchung ausführende Polizist mit vernünftigerweise zu erwartenden Bemühungen den beabsichtigten Ort und die betreffenden Gegenstände identifizieren kann 505 . Um die Abfassung eines Durchsuchungsbefehls zu erleichtern, enthält § 1529 P.C. eine Art Musterfassung, deren Wortlaut im wesentlichen gefolgt 501 People v. Cahan, 44 Cal2d 434, 438 (1955); People v. Triggs, 8 Cal3d 884, 891, 106 Cal.Rptr. 408 (1973); People v. Krivda, 8 Cal.3d 623, 105 Cal.Rptr. 521 (1973). 5 0 2

General Search.

5 0 3

Skelton v. Superior Court, 1 Cal3d 144, 155 (1969).

5 0 4

Marron v. United States, 275 U.S. 192, 196, 72 L.Ed. 231, 237 (1927).

5 0 5

People v. Dumas, 9 Cal3d 871, 880, 109 Cal.Rptr. 304 (1973), zitiert Steele v. United States, 267 U.S. 498, 503, 69 L.Ed. 757,760 (1925).

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court 149

werden soll 5 0 6 . Auch hiernach ist ausdrücklich Raum für eine genaue Bezeichnung des zu durchsuchenden Ortes vorgesehen, ferner bedarf es einer gesonderten, detaillierten Beschreibung der zu beschlagnahmenden Gegenstände. Eine entsprechende Aufgliederung sehen die in der Praxis gebräuchlichen Formblätter vor. Der Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 war hinsichtlich des zu durchsuchenden Ortes sehr genau gefaßt. Unter der Bezeichnung "zu durchsuchender Ort" war angeführt: "360 Rockingham Avenue, Einfamilienanwesen, 2 stöckiges Gebäude, hellbraune Holzkonstruktion, umgeben von einer dichten Hecke mit eingefügten Eisentoren, gelegen an Rockingham Avenue und Ashford Street, mit Hausnummer 360 deutlich sichtbar angebracht am Rockingham Tor. " Wie auch die Verteidigung einräumte, war dies eine sehr gute Beschreibung des Simpson Anwesens unter obiger Adresse. Unter "zu beschlagnahmende Gegenstände" war im Durchsuchungsbefehl angeführt: "Gegenstände/Oberflächen, auf denen sich Blutspuren befinden können", sowie "Ford Bronco". Keinerlei Probleme hätten sich bei der Ausführung des Durchsuchungsbefehls ergeben, wenn der Ford Bronco innerhalb des Anwesens abgestellt gewesen wäre. Doch war dies nicht der Fall. Vielmehr war der Bronco am Straßenrand vor dem Anwesen geparkt. Gleichwohl durchsuchte die Polizei den Bronco und beschlagnahmte einige Gegenstände, auf denen später Blutspuren nachgewiesen werden konnten.

506 § 1529 P.C. lautet: The warrant shall be in substantially the following form: County of The people of the State of California to any sheriff, constable, marshal, or policeman in the County of : Proof, by affidavit, having been this day made before me by (naming every person whose affidavit has been taken), that (stating the grounds of the application, according to Section 1524, or, if the affidavit be not positive, that there is probable cause for believing that stating the ground for the application in the same manner), you are therefore commanded, in the daytime (or at any time of the day or night, as the case may be, according to Section 1533), to make search of the person of C.D. (or in the house situated , describing it or any other place to be searched, with reasonable particularity, as the case may be) for the following property: (describing it with reasonable particularity); and if you find the same or any part thereof, t obring it forthwith before me (For this court) at (stating the place). Given under my hand, and dated this

day of

E.F., Judge of the Justice Court (or as the case may be).

, A.D. 19

.

150

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Die Verteidigung verlangte den Ausschluß dieser Beweisstücke vor Gericht. Die Durchsuchung des Broncos sei rechtswidrig gewesen, da der Durchsuchungsbefehl hierzu nicht ermächtigte. Der Ford Bronco war nicht unter dem "zu durchsuchenden Ort" aufgeführt. Die Durchsuchung durfte sich nur auf das Anwesen erstrecken. Der Bronco befand sich jedoch nicht hierauf. Die Frage ist, ob die Verteidigung hier "die Form über den Inhalt" stellt 507 , da der Ford Bronco im Durchsuchungsbefehl aufgeführt war, wenn auch in der falschen "Spalte", nämlich unter "zu beschlagnahmenden Sachen". Kann allein hieraus auch die Berechtigung abgeleitet werden, das Auto zu durchsuchen, obgleich es sich nicht in dem räumlichen Bereich befand, den zu durchsuchen der Durchsuchungsbefehl allein ermächtigte? Nimmt man die Entscheidung des U.S. Supreme Courts in Marron ν. United States508, wonach dem ausführenden Polizisten kein eigener Ermessensspielraum verbleiben dürfe, ernst, so würde dies bedeuten, daß nur das Simpson-Anwesen durchsucht werden durfte. Hierfür spricht auch der Wortlaut des 4. Zusatzartikels. In diesem wird eben ausdrücklich unterschieden zwischen dem zu durchsuchenden Bereich und den Gegenständen, nach denen innerhalb dieses Bereichs gesucht werden darf. Es handelt sich nicht lediglich um eine bloße Formfrage, wenn der Bronco in der falschen "Spalte" aufgeführt war. Die Form ist hier Inhalt 509 , was bedeutet, daß der Ford Bronco sich enweder auf dem Anwesen hätte befinden müssen oder im Durchsuchungsbefehl unter "zu durchsuchenden Ort/Gegenstand" hätte aufgeführt sein müssen, um seine Durchsuchung zu rechtfertigen. Keines von beiden war der Fall. In People ν. Dumas 510 hat der Cal. Supreme Court bestätigt, daß ein Durchsuchungsbefehl, der zur Durchsuchung eines Anwesens ermächtigt, nicht auch zur Durchsuchung eines Autos, welches im Durchsuchungsbefehl nicht erwähnt ist und 30 Meter vom Anwesen entfernt abgestellt ist, berechtigt 511. 5 0 7

Form Over Substance.

5 0 8

Marron ν. United States, 275 U.S. 192, 72 L.Ed. 231 (1927).

5 0 9

Form Is Substance.

5 1 0

People v. Dumas, 9 Cal3d 871, 880, 109 Cal.Rptr. 304 (1973).

511 Zu beachten ist, daß die obigen Ausführungen die Frage betreffen, ob der Durchsuchungsbefehl zur Durchsuchung des Autos ermächtigte. Nicht näher eingegangen wird auf die Möglichkeit, daß aufgrund von Ausnahmen vom Warrant Erfordernis die Polizei zur Durchsuchung berechtigt war. Verfolgte man diese Argumentationslinie, so käme man zu einem etwas unterschiedlichen gerichtlichen Verfahren und zu einer Verschiebung in der Beweisführung.

VI. Der Hauptverhandlung vorhergehende Anträge vor dem Superior Court

151

bb) Gesunder Menschenverstand Der "Dumas"-Fall kann jedoch vom hier vorliegenden Fall unterschieden werden. Während in "Dumas" das Auto an keiner Stelle im Durchsuchungsbefehl erwähnt war, war hier im Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 der Ford Bronco ausdrücklich genannt, wenn auch im falschen Sachzusammenhang. Ein weiterer wesentlicher Umstand kommt hinzu: Dem Durchsuchungsbefehl lag eine beeidete Erklärung zugrunde, welche die tatsächlichen Gegebenheiten genau beschrieb. Es wurde dort im Einzelnen angeführt, daß der Bronco sich vor dem Anwesen auf der Rockingham Avenue befände. Bei der Überprüfung, ob bestimmte Bereiche oder Objekte vom Durchsuchungsbefehl mitumfaßt sind, ist das Gericht nicht auf den Wortlaut des Durchsuchungsbefehl beschränkt, sondern soll auch die zugrundeliegende, beeidete Erklärung heranziehen. Aus dem Zusammenhang beider ist dann zu ermitteln, ob das Bestimmtheitserfordernis des 4. Zusatzartikels erfüllt ist. Der zugrundezulegende Maßstab muß dabei der gesunde Menschenverstand sein 512 . Läßt sich bei vernünftiger Betrachtung des Durchsuchungsbefehls und der ihm zugrundeliegenden, beeideten Erklärung bestimmen, welche Orte oder Objekte durchsucht werden dürfen und nach welchen Gegenständen hierbei gesucht werden darf, so sind Durchsuchungen, die sich in diesem Rahmen halten, rechtmäßig. Diesen Anforderungen war im Ausgangsfall genügt. Aus dem Durchsuchungsbefehl in Verbindung mit der beeideten Erklärung ergab sich unzweifelhaft, daß auch der Bronco durchsucht werden durfte. Sein Standort vor dem Anwesen war genau beschrieben. Die Durchsuchung des Bronco und die sich anschließenden Beschlagnahmen waren damit aufgrund des Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 rechtmäßig. Zu diesem Ergebnis kam auch Superior Court Richter Ito und lehnte insoweit den Antrag auf Nichtzulassung der Beweise ab. Neben den hier herausgegriffenen Streitpunkten, hat die Verteidigung in ihrem Bemühen, Beweise vor dem Superior Court auszuschließen, noch die

Im Ausgangsfall vertrat die Staatsanwaltschaft den Standpunkt, daß der Durchsuchungsbefehl vom 13.06.94 auch zur Durchsuchung des Bronco ermächtigte. Judge Ito hatte damit allein hierüber zu entscheiden. 5 1 2

Common Sense Requirement; People v. Macavoy, 162 Cal.Α.3d 746, 209 Cal.Rptr. 34 (1984).

152

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Rechtswidrigkeit zahlreicher weiterer Durchsuchungen und Beschlagnahmen geltend gemacht513. Auf die damit zusammenhängenden Probleme kann hier aufgrund des beschränkten Raumes nicht näher eingegangen werden. Einige bereits angesprochene Probleme, etwa die "Lehre von der freien Sicht", traten wiederholt, lediglich in verschiedenen Abwandlungen auf. Im Ergebnis lehnte Richter Ito sämtliche vor dem Hauptverfahren gestellten Anträge auf Nichtzulassung von Beweisen im wesentlichen ab. Nur einige wenige Beweisstücke, welche zudem in keinem oder völlig untergeordnetem Zusammenhang mit der Simpson vorgeworfenen Tat standen, wurden ausgeschlossen514. V I I . Auskunftserteilung 515 1. Grundsätze der Auskunftserteilung a) Die Auskunftserteilung

als informelles,

gegenseitiges Verfahren

Das gesamte Vorverfahren im Simpson Fall war wesentlich vom Bemühen der Verteidigung geprägt, von der Staatsanwaltschaft Auskunft über deren Beweise, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten und Ermittlungsergebnisse zu erlangen. Der terminis technicus hierfür lautet "discovery ". Er wird im folgenden, - verkürzend -, mit Auskunftserteilung wiedergegeben. Das Recht auf "Auskunftserteilung" ist im amerikanischen Strafverfahrensrecht von zentraler Bedeutung. Der Grund hierfür liegt in der Ausgestaltung des Verfahrens als kontradiktorisch und akkusatorisch. Während im deutschen Strafverfahrensrecht der Untersuchungsgrundsatz gilt, § 244 II StPO, und es damit letztlich die Pflicht des Richters ist, die 5 1 3

Weitere Diskussionspunkte waren u.a.: wäre für die Untersuchung der Bluttropfen aus dem Ford Bronco ein eigener Durchsuchungsbefehl erforderlich gewesen?; war die mehrmalige Durchsuchung des Bronco aufgrund eines einzigen Durchsuchungsbefehls überhaupt zulässig; ferner wurde geltend gemacht, der Durchsuchungsbefehl sei bereits aufgrund Zeitablaufs nicht mehr gültig gewesen; darüberhinaus sei die Angabe im Durchsuchungsbefehl "eine Oberfläche, auf der sich Blut befände" zu unbestimmt gewesen. 5 1 4 Ausgeschlossen wurden: ein blaues Notizbuch mit Telefonnummern, ein Videoband "Ode to O.J.", welches seine sportlichen Erfolge rühmte, und 3 Faxseiten an O.J. von einem Rechtsanwalt, O.J.'s Scheidung betreffend. 5 1 5

Discovery.

VII. Auskunftserteilung

153

Wahrheit zu erforschen, kennt das amerikanische Recht dieses Prinzip nicht. Es ist vielmehr die alleinige Aufgabe der Parteien, die Geschworenen von der Schuld bzw. der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen. Hierzu muß die Staatsanwaltschaft zunächst die Straftat erforschen und Belastungsbeweise sammeln, wozu sie sich in der Regel der Polizei bedient. In den Verantwortungsbereich des Verteidigers (bzw. des Angeklagten, falls er keinen Verteidiger hat) fällt es, entlastende Umstände zu ermitteln und entsprechende Beweise den Geschworenen vorzulegen. Weder das Gericht noch die Geschworenen werden von sich aus tätig. Obgleich zur Wahrheit verpflichtet, braucht die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zum deutschen Recht, § 160 II StPO, nicht auch entlastende Umstände zu ermitteln. In dieser Hinsicht kommt der Verteidigung eine entscheidende Rolle zu. Während die Staatsanwaltschaft sich zahlreicher Ermittlungsbehörden bedienen kann, angefangen von spezialisierten Polizeieinheiten über kriminaltechnische Abteilungen bis hin zu staatlichen Datenbanken, stehen entsprechende Möglichkeiten einem Verteidiger meist nicht zur Verfügung. Dieses Ungleichgewicht bemühte sich die Gesetzgebung durch eine umfangreiche Regelung des Rechts der "Auskunftserteilung" im weitesten Sinne abzugleichen. Das Recht der Auskunftserteilung wurde bis dahin weitestgehend von der Rechtsprechung auf der Grundlage des Common Law und aus der Ableitung von Verfassungsgrundsätzen entwickelt. Die Kodifizierung erfolgte erst 1990 mit der Proposition 115, aufgrund derer die Auskunftserteilungs-Vorschriften § 1054 bis § 1054.7 in den Penal Code aufgenommen wurden. Aufgrund der die Ermittlungen beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft war das Recht auf Auskunftserteilung bis dahin im wesentlichen ein Recht der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft. Die Proposition 115 brachte hier eine grundlegende Änderung. Die §§ 1054 ff. P.C. sind auf eine wechselseitige Auskunftserteilung 516 angelegt. Danach hat nun auch die Staatsanwaltschaft gegenüber der Verteidigung ein Recht auf Auskunftserteilung, § 1054.3 P.C., wenn auch inbeschränkteren Umfang. Die Auskunftserteilung ist damit nicht mehr länger eine "Einbahnstraße", wie sie früher manchmal beschrieben wurde 517 . Dieses Konzept der gegenseitigen Auskunftserteilung ist nicht nur dem deutschen Juristen fremd, welcher nur die "Einbahnstraße" der Akteneinsicht des Verteidigers kennt, es ist auch im kalifornischen Recht ungewohnt und daher Gegenstand zahlreicher neuer Entscheidungen und Auslegungen.

5 1 6

Reciprocal Discovery.

154

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Das Gesetz nennt in § 1054 P.C. selbst vier Zwecke, entsprechend denen die "gegenseitigen Auskunftserteilung-Vorschriften" anzuwenden seien: - Förderung der Wahrheit vor Gericht durch frühzeitige Auskunftserteilung im Vorverfahren, - Ersparnis der Zeit des Gerichts durch informelle Gewährung der Auskünfte zwischen den Parteien, bevor eine gerichtliche Durchsetzung gesucht wird, - Ersparnis von Zeit in der mündlichen Verhandlung und dadurch Vermeidung zahlreicher Unterbrechungen und Verzögerungen, - Schutz der Opfer und Zeugen vor Gefahr, Belästigung und unnötiger Verzögerung des Verfahrens. Zugleich wurde 1990 das Prinzip der gegenseitigen Auskunftserteilung als Verfassungsgrundsatz in die kalifornische Verfassung aufgenommen, Art. 1 § 30 (c) P.C. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Auskunftserteilung auf informellem Weg zwischen den Parteien erfolgen. Ein solches informelles Auskunftsverlangen vom Gegner ist auch Voraussetzung, bevor sich die auskunftsuchende Partei an das Gericht wenden darf, falls der Gegner die Erteilung der Auskunft verweigert, § 1054.5 (b) S.l P.C. Dem Gegner sind Fristen zur Auskunftserteilung gesetzt: Auf ein informelles Verlangen hin muß Auskunft innerhalb von 15 Tagen gewährt werden, ansonsten kann die auskunftersuchende Partei eine gerichtliche Durchsetzung518 verlangen, § 1054.5 (b) S.2 P.C. Einen zweiten wichtigen Termin enthält § 1054.7 P.C. Die Parteien müssen ihren, im Gesetz in den §§ 1054.1, 1054.3 P.C. festgelegten Auskunftspflichten grundsätzlich spätestens 30 Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung nachkommen. Dies dient dazu, daß dem Gegner vor Beginn der mündlichen Verhandlung noch genügend Zeit bleibt, eigene Nachforschungen hinsichtlich der erteilten Auskunft einzuholen. Die Pflicht zur Auskunftserteilung endet jedoch nicht mit dem genannten Termin. Die Auskunftserteilung ist vielmehr ein fortlaufendes Verfahren. Falls eine Partei Beweise oder Informationen innerhalb 30 Tage vor Verhandlungsbeginn erlangt, so muß sie diese unverzüglich dem Gegner mitteilen, § 1054.7 S.2 P.C. Es stellt sich nunmehr die Frage, in welchem Umfang die Parteien Auskünfte erteilen und Beweise offenlegen müssen.

5 1 7

California Criminal Law, Procedure and Practice, § 11.1.

5 1 8

Court Order.

155

VII. Auskunftserteilung

b) Recht der Verteidigung

auf Auskunftserteilung

nach § 1054.1 P.C.

Das Recht der Verteidigung auf Auskunftserteilung nach § 1054.1 P.C. ist umfassender als dasjenige der Staatsanwaltschaft nach § 1054.3 P.C. Nach § 1054.1 P.C. muß die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten bzw. dessen Verteidiger die folgenden Beweise und Informationen mitteilen, falls sie im Besitz der Staatsanwaltschaft oder der sonstigen Ermittlungsbehörden sind und die Staatsanwaltschaft hiervon Kenntnis hat: - Name und Adresse der Zeugen, die die Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung aufzurufen beabsichtigt, - die Aussagen aller Beschuldigten, - alle relevanten Beweise, die im Laufe der Ermittlungen beschlagnahmt oder sonstwie erlangt wurden, - Vorstrafen wegen schwerer Straftaten von wesentlichen Zeugen, deren Glaubwürdigkeit wahrscheinlich von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens sein wird, - sämtliche entlastenden Beweise519, - relevante schriftliche oder aufgezeichnete Zeugenaussagen oder Berichte über Aussagen von Zeugen, die die Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung aufzurufen beabsichtigt, einschließlich sämtlicher Gutachten oder Aussagen von Sachverständigen, die in Verbindung mit dem Fall abgegeben wurden, einschließlich der Ergebnisse physischer oder geistiger Untersuchungen, wissenschaftlicher Tests, Experimente oder Vergleiche, welche die Staatsanwaltschaft als Beweise in der mündlichen Verhandlung einzuführen beabsichtigt.

c) Recht der Staatsanwaltschaft

auf Auskunftserteilung

nach § 1054.3 P.C.

Das Recht der Staatsanwaltschaft auf Erteilung von Auskünften gegenüber dem Angeklagten/Verteidiger umfaßt demgegenüber nach § 1054.3 P.C. nur folgende Punkte: - Name und Adresse derjenigen Personen, mit Ausnahme des Angeklagten selbst, die die Verteidigung als Zeugen zu benennen beabsichtigt, zusammen mit sämtlichen relevanten schriftlichen oder aufgezeichneten

5 1 9

Exculpatory Evidence.

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

156

Aussagen dieser Personen oder Berichte über deren Aussagen, einschließlich Sachverständigengutachten oder -aussagen, die in Verbindung mit dem Fall abgegeben wurden, sowie die Ergebnisse physischer oder geistiger Untersuchungen, wissenschaftlicher Tests, Experimente oder Vergleiche, die der Angeklagte in der mündlichen Verhandlung als Beweis anzubieten beabsichtigt; - sämtliche tatsächlichen Beweise520, die der Angeklagte in der mündlichen Verhandlung als Beweis anzubieten beabsichtigt.

d) Vergleich zwischen beiden Ein Vergleich der beiden Auskunfterteilungs-Vorschriften zeigt, daß die Verteidigung insbesondere nicht verpflichtet ist, belastende Umstände der Staatsanwaltschaft mitzuteilen. Dies ist eine Selbstverständlichkeit. Eine gegenteilige Regelung würde gegen den Verfassungsgrundsatz des 5. Zusatzartikels U.S. Verfassung (i.V.m. dem 14. Zusatzartikel), sowie Art. 1 § 15 S.3 Cal.Const., verstoßen. Diese verbieten es, den Angeklagten zu einer Selbstbelastung zu zwingen. Die Verteidigung braucht ferner nicht etwaige Vorstrafen ihrer Entlastungszeugen offenzulegen. Auch dies ist ohne weiteres verständlich, da die Staatsanwaltschaft jederzeit Zugang zu den entsprechenden Datenbanken hat, nicht jedoch die Verteidigung im umgekehrten Fall. Die Verteidigung braucht auch nicht Aussagen von Mitangeklagten mitzuteilen. Ein letzter wichtiger Unterscheidungspunkt ist, daß die Staatsanwaltschaft alle relevanten, in ihrem Besitz (bzw. dem der sonstigen Ermittlungsbehörden) befindlichen Beweisstücke offenlegen muß, die Verteidigung dagegen nur diejenigen, welche sie in der Verhandlung vorzulegen beabsichtigt. Eine wichtige Ausnahme wurde von der Rechtsprechung jedoch bzgl. solcher (belastender) Beweisstücke gemacht, die sich im Besitz der Verteidigung befinden bzw. von der Verteidigung entfernt oder verändert werden. Dies muß unverzüglich gegenüber dem Gericht offengelegt werden. Da sich dieses Problem im Simpson Fall stellte, wird unten 521 näher darauf eingegangen.

5 2 0

Real Evidence.

VII. Auskunftserteilung

157

2. Übersicht über die wichtigsten weiteren Auskunftserteilungs-Möglichkeiten Neben den 1990 in den Penal Code aufgenommenen AuskunfterteilungsVorschriften der §§ 1054 ff. P.C., bleibt eine Auskunftserteilung nach anderen ausdrücklichen, gesetzlichen Vorschriften sowie eine solche abgeleitet aus Prinzipien der U.S. Verfassung weiterhin möglich, § 1054 (e) P.C. Den Parteien stehen damit eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen, vom Gegner die verschiedenartigsten Auskünfte und Informationen zu verlangen. Insbesondere für eine effektive Verteidigung ist es von zentraler Bedeutung, daß der Anwalt möglichst frühzeitig und umfassend Einsicht in die Ermittlungsunterlagen, Informationen und Beweise der Staatsanwaltschaft hat. Zur Verdeutlichung wird im folgenden eine Übersicht über die wichtigsten Auskunfterteilungs-Möglichkeiten und deren Grundlagen gegeben. In der Praxis wird es darüberhinaus oftmals vorkommen, daß sich ein bestimmter Antrag auf mehrere gesetzliche Grundlagen sützten läßt und es daher zu Überschneidungen kommen kann. Darüberhinaus entspringen dem Einfallsreichtum der Verteidiger immer neue Anträge auf Erteilung von Auskünften, welche bisher noch nicht verlangt wurden. Die Rechtsprechung schreitet auf diesem Gebiet mit immer neuen Entscheidungen über die Frage, was im Rahmen der Auskunftserteilung verlangt werden kann, voran. Charakteristische Gruppen von Auskunftsverlangen werden dabei meist mit dem Namen des Falles bezeichnet, in dem zuerst über das Verlangen entschieden wurde. Auskunfterteilungs-Anträge lassen sich zunächst nach ihrer rechtlichen Grundlage in drei Gruppen einteilen: - Auskunftserteilung aufgrund der §§ 1054 ff. P.C. (diese Gruppe wurde im vorhergehenden Abschnitt dargestellt); - Auskunftserteilung aufgrund anderer gesetzlicher Vorschriften, sowie - Auskunftserteilung, abgeleitet aus Verfassungsgrundsätzen.

521

s. u. 4. b).

158

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

a) Auskunftserteilung

aufgrund sonstiger gesetzlicher Vorschriften

Die folgende Darstellung bezieht sich auf einige der häufigeren, auf sonstige gesetzliche Vorschriften gestützten Auskunftsverlangen.

aa) Pitchess-Antrag Oftmals zitiert wurde im Simpson Fall der sogenannte "Pitchess"-Antrag. Damit wird ein Antrag auf Aushändigung der Personalunterlagen eines Polizeibeamten bezeichnet. Da dieser Antrag im Ausgangsfall eine wesentliche Rolle gespielt hat, wird unten 522 näher darauf eingegangen.

bb) Behördliche Informationen, Benennung von Informanten und behördliche Unterlagen Ein Antrag auf Auskunftserteilung über vertrauliche, behördliche Informationen und Unterlagen kann auf § 1040 Evidence Code gestützt werden. Die Behörde ist zur Verweigerung dieser Auskünfte nur berechtigt, wenn sie sich auf ein Verbot durch den U.S. Congress oder ein ausdrückliches, spezialgesetzliches Verbotsgesetz stützen kann, sowie dann, wenn ein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung besteht, welches das Auskunftsinteresse überwiegt, § 1040 (b) Evidence Code. Unter den entsprechenden Voraussetzungen kann ein Antrag auf Benennung von Informanten versagt werden, § 1041 Evidence Code. Ein Antrag auf Mitteilung sonstiger behördlicher Dokumente, sogenannte "Public Records ", i.S. § 6252 (d) Goverment Code kann auf die §§ 6250 6268 Government Code gestützt werden.

cc) Mithäftling als Informant Falls die Staatsanwaltschaft Mithäftlinge des Angeklagten als Zeugen benennt, welche als "Polizeispitzel", sogenannte "In-Custody Informants ", eingesetzt wurden, so muß sie dies offenlegen. Die Staatsanwaltschaft hat hierzu vor Beginn des Hauptverfahrens eine Erklärung abzugeben, ob und welche Versprechungen dem Mithäftling im Austausch für die Bespitzelung gemacht wurden, § 1127 a (c) P.C. Obgleich die Staatsanwaltschaft zu einer 5 2 2

s. u. 3. d).

VII. Auskunftserteilung

159

entsprechenden Mitteilung von sich aus verpflichtet ist, erfolgt in der Praxis meist zusätzlich ein hierauf gerichteter Antrag der Verteidigung.

dd) Aufforderung zur Vorlage von Urkunden Die §§ 1054 f. P.C. beziehen sich nur auf die wechselseitige Auskunftserteilung zwischen Verteidigung (Angeklagten) und Staatsanwaltschaft. Sie regeln nicht die Auskunftserteilung oder Aushändigung von Unterlagen durch unbeteiligte Dritte 523 . Hierfür bedarf es einer "Subpoena", §§ 1326 f. P.C. Zur Vorbereitung der Verhandlung wird es den Parteien insbesondere darauf ankommen, von den Dritten Unterlagen, Dokumente und Aufzeichnungen ausgehändigt zu bekommen. Sie werden sich daher der besonderen Form der Subpoena, der sogenannten Subpoena duces tecum bedienen.

ee) "Kriminalerfassungs-Blatt" Die Verteidigung kann ferner im Namen des Angeklagten einen Antrag auf Aushändigung eines "Kriminalerfassungs-Blatt", des sogenannten "RapSheet", stellen, § 13300 (a) P.C. Das Kriminalerfassungs-Blatt umfaßt Angaben über die bisherige "kriminelle Vergangenheit" der betreffenden Person 524. Typischerweise enthaltene Informationen sind neben dem Namen, Geburtsdatum, körperlichen Merkmalen, der Zeitpunkt und Dauer von Festnahmen, die festnehmende Behörde, Haftnummer 525, Anklagepunkte, Strafen oder sonstige Maßregeln, Fingerabdruckidentifikationsnummer, CIN-Nummer 526, F.B.I.-Nummer, Sozialversicherungsnummer und kalifornische Führerscheinnummer. Der eben genannte Antrag des Verteidigers kann sich nur auf das Kriminalerfassungs-Blatt seines Mandanten beziehen. Um Auskunft über die Vorstrafen von Belastungszeugen zu erlangen, muß der Verteidiger den bereits oben 527 erwähnten Auskunfterteilungs-Antrag nach § 1054.1 (d) P.C. 5 2 3

People v. Superior Court (Broderick), 231 CA3d 584, 282 CR 418 (1991); California Criminal Law, Procedure and Practice, § 11.22. 5 2 4

Summary Criminal History Information.

5 2 5

Booking Number.

5 2 6

Criminal Identification Number.

5 2 7

s. ο. 1. b) dd).

160

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

an die Staatsanwaltschaft stellen. Damit kann jedoch nur die Offenlegung etwaiger Vorstrafen wegen Verbrechen von Belastungszeugen erreicht werden. Darüberhinaus betrifft dies nur solche Zeugen, die die Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung benennen wird und auf deren Glaubwürdigkeit es für den Ausgang des Verfahrens wesentlich ankommen wird. Die Auskunftserteilung bzgl. Vorstrafen Dritter ist damit wesentlich enger gefaßt als der Antrag auf Erteilung des Kriminalerfassungs-Blattes des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft ist demgegenüber keinen entsprechenden Beschränkungen unterworfen. Sie kann das Kriminalerfassungs-Blatt jeder beliebigen Person anfordern, § 13300 (b)(3) P.C.

b) Auskunftserteilung

abgeleitet aus Verfassungsgrundsätzen

aa) Murgia-Antrag Hat der Verteidiger tatsächliche Anhaltspunkte, daß die Ermittlungsbehörden ihre Befugnisse absichtlich unterschiedlich anwenden, mit der Wirkung, daß einzelne Personen oder Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden, so kann der Verteidiger einen Antrag auf Aushändigung entsprechender Unterlagen (z.B. Ermittlungsberichte, Einstellungsbeschlüsse, statistische Übersichten) stellen. Ein derartiger Anspruch stützt sich auf den Gleichheitssatz528 des 14. Zusatzartikels der U.S. Verfassung. Er wurde mit Aufnahme der Auskunfterteilungs-Vorschriften in den Penal Code, § 1054 f. P.C., nicht unzulässig, da § 1054 (e) P.C. ausdrücklich die auf Grundsätze der U.S. Verfassung gestützten Anträge weiterhin für anwendbar erklärt. Die hier beschriebenen Anträge werden als Afwrg/ö-Anträge bezeichnet, nach dem Fall, in dem zuerst über ihre Zulässigkeit entschieden wurde, Murgia v. Municipal Court 529 .

bb) Brady-Auskunftserteilung Die Aufzählung in § 1054.1 (a)-(f) P.C., welche Beweise und Stellungnahmen die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger offenzulegen hat, könnte zu 5 2 8

Equal Protection Clause.

5 2 9

Murgia v. Municipal Court, 15 C3d 286, 124 CR 204 (1975).

VII. Auskunftserteilung

161

der Annahme führen, daß der Gesetzgeber damit eine abschließende Auflistung der Auskunfterteilungs-Pflichten der Staatsanwaltschaft vorgenommen hat. Dem ist jedoch, wie bereits oben ausgeführt, nicht so 5 3 0 . Die Staatsanwaltschaft hat nach der Rechtsprechung deutlich über die Aushändigung von "Entlastungsbeweisen" i.S. des § 1054,1 (e) P.C. hinausgehende Auskunftserteilungs-Pflichten. Gestützt auf die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels hat die Rechtsprechung zuerst in Brady v. Maryland 531 entschieden, daß der Verteidigung sämtliche Beweise und Umstände mitgeteilt werden müssen, die für den Angeklagten günstig sein könnten. Dies wird sehr weit verstanden und geht deutlich über die "Entlastungsbeweise"532 i.S. des § 1054.1 (e) P.C. hinaus. Von der "Brady-Auskunftserteilung" werden alle Umstände umfaßt, die für die Schuld- oder Straffrage eine Bedeutung haben könnten, wie rechtfertigende, entschuldigende, strafmildernde Umstände, sowie Beweise oder Aussagen, die der Angeklagte zu einem Vorhalt gegenüber Belastungszeugen benutzen könnte. Darüberhinaus ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, sämtliche Umstände offenzulegen, die auf die Glaubwürdigkeit eines ihrer Zeugen Einfluß haben könnten533. Da die Brady-Auskunftserteilung auf die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels U.S. Verfassung gestützt wird, bleibt sie auch nach Einfügung der §§ 1054 P.C. in das Gesetz anwendbar, § 1054 (e) P.C. Die Staatsanwaltschaft ist zur Offenlegung entlastender Umstände zu einem möglichst frühen Zeitpunkt verpflichtet, eines ausdrücklichen Antrags hierauf bedarf es nicht 534 , obgleich die Verteidigung in der Praxis einen solchen stellen wird. Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft endet nicht mit der Verurteilung, sondern besteht auch noch nach dieser fort 5 3 5 . Dies kann Bedeutung haben für ein sich anschließendes Berufungsverfahren, sowie nach Rechtskraft in Hinblick auf ein Wiederaufnahmeverfahren. 5 3 0

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 378, 285 CR 231, 245 (1991). 531

Brady ν. Maryland, 373 U.S. 83, 10 L.Ed.2d 215 (1963).

5 3 2 5 3 3

Exculpatory Evidence. People v. Hayes, 3 CA4th 1238, 5 CR2d 105 (1992).

5 3 4

People v. Ruthford, 14 C3d 399, 121 CR 261 (1975); In re Ferguson, 5 C3d 525, 96 CR 594 (1971). 5 3 5

People v. Garcia, 17 CA4th 1169, 22 CR2d 545 (1993).

12 Schnabl

162

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

cc) Antrag auf Teilung der Beweise sowie Sanktionen für die Zerstörung von Beweisen durch die Staatsanwaltschaft Das Gesetz verlangt von den Ermittlungsbehörden nicht, Entlastungsbeweise zu sammeln. Hat die Staatsanwaltschaft jedoch solche in Gewahrsam, so kommen ihr besondere Pflichten zu. Gleiches gilt für die Bewahrung der sonstigen Beweise im Gewahrsam der Ermittlungsbehörden. Die Verteidigung kann einen Antrag auf Teilung der Beweise zu eigenen Untersuchungszwecken stellen 536 . Die Staatsanwaltschaft ist hierzu verpflichtet, wenn dadurch ihre eigenen, vernünftigerweise notwendigen Untersuchungen nicht beeinträchtigt werden. Droht eine Veränderung oder Vernichtung von Beweisen, so kann die Verteidigung bei Gericht eine Schutzanordnung 537 beantragen. Falls die Staatsanwaltschaft wesentliche Beweise in der Absicht zerstört, die Verteidigung zu beeinträchtigen, so kann das Gericht hiergegen Sanktionen verhängen. Ein entsprechender Antrag wird als "Trombetta/Youngblood"Antrag bezeichnet, nach California v. Trombetta 538 und Arizona v. Youngblood539. Die Rechtsprechung stützt sich in all diesen Fällen auf die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels der U.S. Verfassung. Da die Frage der Teilung von sichergestellten Blutproben zu eigenen, unabhängigen Untersuchungen während des gesamten Vorverfahrens einen breiten Raum eingenommen hatte, wird hierauf im Einzelnen noch eingegangen540. 3. Simpson Fall: Auskunfterteilungs-Anträge der Verteidigung Da die Staatsanwaltschaft im Simpson Fall ihre Anklage mangels unmittelbarer Tatzeugen und mangels aufgefundener Tatwaffe nur auf Indizienbeweise stützen konnte, nahm die Auskunftserteilung auf beiden Seiten einen breiten Raum ein. Die wichtigsten Anträge der Verteidigung werden in diesem Abschnitt angesprochen. Der nächste Abschnitt 541 ist den Auskunftsanträgen der Staatsanwaltschaft gewidmet.

5 3 6

People v. Griffin, 64 C3d 1011, 251 CR 643 (1988).

5 3 7

Protective Order.

5 3 8

California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 81 L.Ed.2d 413 (1984).

5 3 9

Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 102 L.Ed.2d 281 (1988).

5 4 0

s. u. V I I I .

VII. Auskunftserteilung

a) Polizeiberichte,

Untersuchungsergebnisse,

163

Obduktionsbericht

Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt, nämlich bei der ersten Vorführung von O.J. Simpson am 20.06.94, wenige Stunden nach seiner Verhaftung, stellte dessen Verteidigungsteam erstmals einen Antrag auf umfassende Einsicht in die Ermittlungsunterlagen der Staatsanwaltschaft. Insbesondere wurde die Aushändigung der Polizeiberichte, der Untersuchungsergebnisse (bzgl. am Tatort sichergestellter Haare und Blut) sowie des Obduktionsberichtes verlangt. Dieses Vorgehen entspricht Empfehlungen in Praktiker-Kommentaren 542 . Gerade in Indizienprozessen ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Verteidigung möglichst früh sämtliche belastenden Umstände kennt, um Schwachstellen in der Indizienkette aufzufinden und entlastende Umstände zu ermitteln. Durch einen frühzeitigen Antrag wird ferner erreicht, daß, falls die Staatsanwaltschaft dem Antrag nicht freiwillig entspricht, das Gericht noch rechtzeitig vor Beginn des Hauptverfahrens angerufen und Sanktionen verhängt werden können. Eine von der Verteidigung spezifizierte Aufstellung der verlangten Unterlagen anstelle eines bloßen "Antrags auf Auskunftserteilung" erleichtert es der Staatsanwaltschaft, die entsprechenden Unterlagen zusammenzustellen und gegebenenfalls bei anderen Behörden anzufordern 543. Falls entsprechende Unterlagen der Staatsanwaltschaft noch nicht vorliegen, sind diese nachzureichen. Ferner ist ein Sanktionsverlangen leichter zu begründen, wenn nachgewiesen werden kann, gegen welche Auskunftsanträge konkret verstoßen wurde. Das eben genannte Auskunftsverlangen der Verteidigung läßt sich auf mehrere rechtliche Grundlagen stützen. Naheliegend sind zunächst die ausdrücklichen Auskunftsvorschriften in §§ 1054 f. P.C. Polizeiberichte, zumindest soweit sie Zeugenaussagen wiedergeben, Untersuchungsberichte über Haar- und Bluttests, als auch Obduktionsergebnisse, sind nach § 1054.1 (f) P.C. offenzulegen, sofern von der Staatsanwaltschaft beabsichtigt wird, die die Stellungnahme abgebenden Zeugen oder Sachverständigen im Prozeß zu benennen. Die sichergestellten Beweise

541

s. u. 4.

5 4 2

Vgl. California Criminal Law, Procedure and Practice, § 11.13, 11.27.

543 So mußte die Staatsanwaltschaft im Simpson Fall erst die aktuellen Ermittlungsberichte der Polizei anfordern, sowie auf Fertigstellung des Obduktionsberichtes durch die Gerichtsmediziner drängen.

12*

164

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

(Bluttropfen und Haare) sind nach § 1054.1 (c) P.C. offenzulegen. Die Staatsanwaltschaft brauchte diese Beweisstücke hier jedoch nicht tatsächlich auszuhändigen, da Labortests beabsichtigt waren 544 . Da die genannten Unterlagen auch entlastende Umstände enthalten konnten, - ein Blutgruppenvergleich hätte z.B. einen Beschuldigten als Täter ausschließen können -, kam auch § 1054.1 (e) P.C. als Rechtsgrundlage in Betracht. Ob die Unterlagen tatsächlich entlastende Umstände enthalten, entscheidet zunächst die Staatsanwaltschaft. Verweigert sie die Herausgabe der Akten mit der Begründung, daß sie keine entlastenden Hinweise enthielten, so kann die Verteidigung 15 Tage nach dem informellen Verlangen einen förmlichen Antrag an das Gericht stellen, § 1054.5 (b) P.C. Das Gericht sieht die Unterlagen in der Regel "in camera" durch und entscheidet dann, ob dem Antrag stattzugeben ist. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß die Auskunftserteilung zu Unrecht verweigert wurde, so kann das Gericht jede nach seinem Ermessen notwendige Anordnung treffen, um die gegnerische Partei zur Erteilung der Auskunft zu veranlassen, § 1054.5 (b) S.2 P.C. Als Sanktionen führt das Gesetz in § 1054.5 (b) S.2 P.C. beispielhaft auf: contempt order 545, zeitliche Verlegung oder Verbot der Aussage des betreffenden Zeugen bzw. der Präsentation der Beweisstücke, Vertagung der mündlichen Verhandlung, sowie entsprechende Hinweise an die Geschworenen in der mündlichen Verhandlung. Einer gerichtlichen Anordnung bedurfte es im Simpson Fall nicht, da die Staatsanwaltschaft dem Verlangen der Verteidigung nachkam. Keine der beiden Parteien äußerte sich dazu, aufgrund welcher Vorschriften sie die Erteilung der Auskunft verlangte bzw. diese gewährte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß als Rechtsgrundlagen hier auch noch Vorschriften außerhalb des Penal Code in Betracht kamen. Die Aushändigung des Obduktionsberichts, insbesondere wenn sich dieser noch in den Händen der Gerichtsmediziner befand, läßt sich auf § 27463 Government Code stützen. Es handelt sich bei diesem um ein behördliches Dokument546, das nach dem Public Records Act, §§ 6250-6268 Government Code, der Öffentlichkeit und damit auch der Verteidigung zugänglich zu machen ist. Enthielten die begehrten Unterlagen zwar keine entlastenden Beweise i.S. des § 1054.1 (e) P.C., waren jedoch Hinweise enthalten, die für die 5 4 4

Zur Problematik vgl. unten VIII.

5 4 5

Die Bedeutung des civil bzw. criminal contempt wurde bereits erläutert.

5 4 6

Public Record.

VII. Auskunftserteilung

165

Verteidigung hätten günstig sein können, so mußte die Staatsanwaltschaft aufgrund der Brady-Ookttin die Unterlagen offenlegen. Diese Pflicht wird aus der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels abgeleitet. Es ist hier durchaus denkbar, daß die angeforderten Polizei-, Untersuchungs- und Obduktionsberichte auch entlastende Umstände enthielten und sich die Staatsanwaltschaft bei der Gewährung der Auskunft von der Brady-Dokttin leiten ließ. Zumal die Staatsanwälte nach der Rechtsprechung " Officers of the Court" sind und daher Entscheidungen im Zweifel zu Gunsten des Beschuldigten zu treffen haben547.

b) Anträge vom 29.07.94 In einem der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dienenden Anhörungstermin am 29.07.94 vor Superior Court Richter Lance Ito verlangte die Verteidigung von der Staatsanwaltschaft weitere umfassende Auskünfte. Obgleich ein Auskunftsverlangen zunächst an die Staatsanwaltschaft zu richten ist, § 1054.5 (b) S.l P.C., händigte die Verteidigung gleichwohl bereits eine Abschrift an das Gericht aus. Im Einzelnen wurden folgende Unterlagen verlangt: 1. Polizeiberichte der letzten sechs Monate über Einbruchsmeldungen im Stadtteil Brentwood, 2. Fingerabdruckauswertungen, 3. Polizeiermittlungen über ähnliche, ungelöste Mordfalle in Kalifornien während des letzten Jahres, 4. Aufzeichnungen der Notaufhahmestellen der Krankenhäuser betreffend die Behandlung von Schnittwunden und Hundebissen während der dem Tatzeitpunkt folgenden 24 Stunden, 5. sämtliche bei den Ermittlungsbeamten eingegangenen Hinweise, 6. Unterlagen über polizeiinterne Untersuchungen gegen Polizeibeamte. Außerdem verlangte die Verteidigung die Aushändigung von Unterlagen, die einen "mysteriösen Zeugen" betrafen. Die Verteidigung glaubte, daß trotz des bereits früher gestellten Antrags, sämtliche Polizeiberichte laufend auszuhändigen, die Ermittlungsbehörden Protokolle über die Vernehmung eines Zeugen zurückhielten. Der Verteidigung war an der Mitteilung dessen Aussagen besonders gelegen, da der 5 4 7

United States v. Agurs, 427 U.S. 97, 49 L.Ed.2d 342 (1976).

166

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Zeuge nach Information der Verteidigung 548 entscheidende, entlastende Angaben gegenüber der Polizei gemacht haben sollte. Die Anträge wurden damit begründet, daß es die Ermittlungsbehörden unterlassen hätten, entlastenden Hinweisen nachzugehen. Dieser Vorwurf wurde jedoch von der Anklagebehörde zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte, daß in der Tat ein Zeuge Angaben gemacht hatte, wonach er etwa zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes zwei weiße Männer fliehen sah, nachdem eine Frau geschrien hatte. Da die Polizei gerade dabei sei, den Hinweisen des Zeugen nachzugehen, seien die entsprechenden Berichte noch nicht fertiggestellt. Es wurde jedoch zugesichert, die Unterlagen sobald wie möglich der Verteidigung zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich hier um ein typisches Beispiel entlastender Umstände, die nach § 1054.1 (e) P.C. der Verteidigung ausgehändigt werden müssen. Aufgrund der weitergehenden Brady-Rechtsprechung muß die Staatsanwaltschaft die entsprechenden Polizeiberichte sobald sie ihr vorliegen, sogar von sich aus, ohne daß es eines ausdrücklichen Verlangens der Verteidigung bedarf, an diese aushändigen. Ein bewußter Verstoß gegen diese Pflicht kann zur Verwerfung der Anklage und Einstellung des Verfahrens bzw. zur Aufhebung im Berufüngsverfahren führen. Der weitere, die genannten sechs Punkte umfassende Antrag wurde von der Staatsanwaltschaft als zu weitgehend zurückgewiesen. Es handle sich um einen bloßen "Fischzug"549. Aufgrund der Ausgestaltung des Strafverfahrens nach dem kontradiktorischen Prinzip ist die Staatsanwaltschaft nicht verpflichtet, Ermittlungen für die Verteidigung vorzunehmen. Die Auffindung entlastender Beweise ist alleinige Aufgabe der Verteidigung. Dies stellt einen signifikanten Unterschied zum deutschen Recht dar, wo die Staatsanwaltschaft als eine zur Objektivität verpflichtete Behörde nach § 160 II StPO auch entlastende Umstände zu ermitteln hat. Das amerikanische Strafverfahrensrecht legt hier der Verteidigung eine wesentlich größere Verantwortung auf.

5 4 8 Oftmals blieb unklar, woher die Verteidigung oder auch die Medien Informationen und Tips hatten, die nur aus vertraulichen Polizeiunterlagen stammen konnten. 5 4 9

Fishing Expedition.

VII. Auskunftserteilung

167

Um dem gerecht zu werden, hat die Rechtsprechung aus dem verfassungsmäßigen Recht des Angeklagten auf anwaltliche Vertretung, 6. Zusatzartikel U.S. Verfassung, das weitergehende Recht auf eine effektive Verteidigung abgeleitet. Eine effektive Verteidigung liegt nur dann vor, wenn der Verteidiger alle, vernünftigerweise zu erwartenden Ermittlungen zur Entlastung seines Mandanten vorgenommen hat 5 5 0 . Ein Verstoß gegen den Grundsatz der effektiven Verteidigung führt zur Aufhebung der Verurteilung im Berufungsverfahren, falls die Verurteilung hierauf beruhen konnte 551 . Der Grundsatz der effektiven Verteidigung bedeutet aber nicht, daß der Verteidiger von der Staatsanwaltschaft verlangen kann, für ihn bestimmte Ermittlungen vorzunehmen. Die Auskunftserteilung zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft bestimmt sich allein nach den Vorschriften der §§ 1054 f. P.C. § 1054.5 (a) S.2 P.C. sieht vor, daß die §§ 1054 - 1054.7 P.C. das alleinige Mittel sind, mit welchem der Angeklagte die Aushändigung oder Beschaffung von Informationen von der Staatsanwaltschaft oder von den Ermittlungsbehörden, die im Falle tatsächlich beteiligt waren, verlangen kann. Die Staatsanwaltschaft braucht danach nur die in § 1054.1 (a)-(f) P.C. aufgezählten Informationen auszuhändigen und dies auch nur dann, falls sich die Informationen im Besitz der Staatsanwaltschaft befinden oder die Staatsanwaltschaft Kenntnis davon hat, daß sie sich im Besitz der Ermittlungsbehörden, insbesondere der Polizei, befinden, § 1054.1 S.l P.C. 5 5 2 .

c) Informell Im Ausgangsfall bedeutete dies, daß die Staatsanwaltschaft zunächst die genannten Auskunftsanträge als zu weitgehend zurückwies und die Verteidigung aufforderte, die gewünschten Informationen durch eigene Ermittlungen zu beschaffen.

5 5 0

In re Marquez, 1 C4th 584, 596, 3 CR2d 727 (1992); In re Cordero, 46 C3d 161,249 CR 342 (1988). 551

People v. Ledesma, 43 C3d 171,218, 233 CR 404,433 (1987), quoting Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 693, 80 L.Ed.2d 674, 698 (1984). 5 5 2

§ 1054.1 S.l P.C. lautet: The prosecuting attorney shall disclose to the defendant or his or her attorney all of the following materials and information, if it is in the possesion of the prosecuting attorney or if the prosecuting attorney knows it to be in the possesion of the investigating agencies....

168

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Gleichwohl wurde auf informellem Weg zwischen den Parteien im wesentlichen eine Übereinkunft erzielt, da die Anträge 553 in den Folgeterminen vor Gericht nicht mehr wiederholt wurden, vielmehr beide Parteien erklärten, daß die Auskunftserteilung auf informellem Weg zur Zufriedenheit beider Seiten voranginge. Das praktische Ergebnis dürfte so ausgesehen haben, daß die Staatsanwaltschaft ihre Unterlagen sowie diejenigen des mit den Ermittlungen beauftragten Morddezernats der Polizei durchsah und die gewünschten Informationen der Verteidigung aushändigte, soweit sie in den Akten enthalten waren. Dies dürfte insbesondere die Fingerabdruckauswertungen und die Hinweise aus der Bevölkerung umfaßt haben, § 1054.1 (e)(f) P.C. Soweit die Verteidigung Unterlagen begehrte, die sich im Besitz Dritter befanden, hier etwa die Aufzeichnungen der Krankenhäuser über Biß- und Schnittwundenbehandlungen, so mußte sich die Verteidigung an diese direkt wenden. Die Verteidigung kann die entsprechenden Unterlagen mittels einer " Subpoena duces tecum " erlangen. Der Antrag vom 29.07. war in dieser zu weitgehenden Form gefaßt, da wiederum einmal die öffentliche Meinung eine Rolle spielte. Es konnte der Eindruck vermittelt werden, daß eine aggressive Verteidigungsstrategie verfolgt werde, zahlreiche entlastende Umstände vorhanden seien und die Staatsanwaltschaft vorschnell und zu einseitig die Ermittlungen allein auf O.J. Simpson konzentriert habe. Aus all diesen Schritten im Vorverfahren wird das Ziel der Verteidigung deutlich, die Öffentlichkeit und insbesondere potentielle Geschworene an der Schuld von O.J. zweifeln zu lassen. Die Verteidigung hat sich nicht mit den von der Staatsanwaltschaft ausgehändigten, entlastenden Informationen begnügt, sondern weitreichende eigene Ermittlungen durchgeführt. So heuerte sie drei Privatdetektive an, um Entlastungsmaterial zu sammeln554. Diese hatten reichlich Hinweise, denen sie nachgehen konnten, da die Verteidigung Mitte Juli (20.07.94) eine gebührenfreie Telefonleitung einrichten ließ und 500.000 USD auslobte für denjenigen, der "Hinweise zur Überführung und Verurteilung der wahren

5 5 3 5 5 4

Mit einer Ausnahme, s.u. d).

Die drei Privatermittler bekamen nach kurzer Zeit Schwierigkeiten mit den Behörden in Kalifornien, da sie aus anderen Bundesstaaten stammten und daher in Kalifornien nicht zugelassen waren.

VII. Auskunftserteilung

169

Täter" geben könne 555 . Innerhalb kurzer Zeit gingen über 250.000 Tips aus der Bevölkerung ein 5 5 6 . Trotz gelegentlicher medienwirksamer Auftritte verlief die Auskunftserteilung zwischen den Parteien im übrigen auf informellem Wege. Beide Seiten bestätigten bei mehreren, das Vorverfahren begleitenden Anhörungsterminen vor Gericht, daß über die Auskunftserteilung weitgehend außergerichtlich eine Übereinkunft erzielt worden war. Eine Auskunftserteilung auf informellem Weg entspricht auch der Intention des Gesetzgebers. Ein informelles Auskunftsverlangen an den Gegner ist Voraussetzung, bevor das Gericht über einen formellen Antrag auf Durchsetzung der Auskunftserteilung entscheiden kann, § 1054.5 (b) P.C.

d) Pitchess-Antrag Eine solche formelle Entscheidung des Gerichts wurde hinsichtlich des Antrags der Verteidigung, polizeiinterne Personalunterlagen auszuhändigen, erforderlich. Ein entsprechendes Auskunftsverlangen wurde erstmalig in dem bereits erwähnten Antrag vom 29.07.94 gestellt. Da weder Staatsanwaltschaft noch Polizei dem entsprachen, stellte die Verteidigung am 18.08.94 nochmals einen spezielleren Antrag. Darin wurde die Aushändigung der polizeiinternen Personalunterlagen von vier Polizisten, die an den Ermittlungen beteiligt waren, verlangt. Grund hierfür war, daß die Verteidigung diese Polizisten verdächtigte, sich bei den Ermittlungen von rassistischen Motiven leiten haben zu lassen. Dem vorausgegangen waren Medienberichte, die sich auf Quellen aus dem "Lager der Verteidigung" beriefen 557, wonach Polizist Fuhrman den blutigen Handschuh, - einen der Hauptbelastungsbeweise in der Voranhörung -, nicht auf dem Simpson Anwesen gefunden, sondern ihn absichtlich dorthin verbracht haben soll, um O.J. Simpson zu belasten. Grund hierfür sei die rassistische Gesinnung und der Geltungsdrang von Fuhrman gewesen. Ein Antrag auf Einsicht in die Personalunterlagen 558 eines Polizisten oder in Berichte über polizeiinterne Ermittlungen gegen Beamte wird als 5 5 5 Ein Geschäftsmann, der sich als Freund von O.J. bezeichnete, hatte nochmals weitere 250.000 USD zur "Ergreifung der wahren Täter" ausgesetzt.

556 y g i § a n Francisco Examiner vom 05.08.94. 5 5 7

Dies wurde jedoch von der Verteidigung nachdrücklich bestritten. 558 personal Records.

170

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

"Pitchess"-Antrag nach der Entscheidung des Cai. Supreme Court in Pitchess v. Superior Court 559 bezeichnet. Typischerweise behauptet die Verteidigung in diesen Anträgen, der betreffende Polizisist habe z.B. schon früher exzessive Gewalt angewandt, ethnische oder rassistische Vorurteile gehegt, falsche Angaben gemacht oder belastende Beweise untergeschoben. Erlangt die Verteidigung Einsicht in die Personalunterlagen und finden sich dort entsprechende Hinweise, so ist dadurch die Glaubwürdigkeit des Polizisten auch im laufenden Verfahren erheblich erschüttert. Pitchess-Anträge sind nunmehr in §§ 1043 f. Evidence Code geregelt. Sie stellen eine Ausnahmeregelung i.S. des § 1054 (e) P.C. dar. Die Voraussetzungen und das Verfahren bestimmt sich damit nicht nach § 1054.1, § 1054.5 f. P.C., sondern nach den spezielleren Regeln der §§ 1043 ff. Evidence Code. Die Verteidigung muß einen förmlichen Antrag an das Gericht stellen, § 1043 (a) Evidence Code, welches daraufhin einen Anhörungstermin festsetzt. Zuvor hat die Verteidigung noch die Behörde, von der Auskunft verlangt wird, vom Antrag in Kenntnis zu setzen, § 1043 (a) S.l P.C. Dies muß mindestens 15 Tage vor dem Anhörungstermin erfolgen, § 1043 (a) S.2 P.C. i.V.m. § 1005 (b) CCP. Das Gericht kann eine kürzere Frist bestimmen, § 1005 (b) S.5 CCP. Hiervon hat Superior Court Richter Lance Ito Gebrauch gemacht, da die Anhörung über den Antrag vom 18.08.94 bereits am 29.08.94 stattfand. Der Grund hierfür war, daß nur noch eine relative kurze Zeit bis zum Beginn der Hauptverhandlung Ende September zur Verfügung stand. Um mit dem Antrag Erfolg zu haben, muß die Verteidigung eine Reihe von Hürden überwinden. Zunächst sind die inhaltlichen Anforderungen an den Antrag nach § 1043 (b) Evidence Code zu erfüllen. Insbesondere müssen in eidesstattlichen Versicherungen plausible Gründe genannt werden, weshalb Einsicht gerade in die Personalunterlagen begehrt wird und warum diese im laufenden Strafverfahren von Bedeutung sind 560 . Bzgl. zwei der vier Polizisten scheiterte die Verteidigung schon an dieser Hürde. Hinsichtlich der beiden anderen Polizisten, Detective Philip Vannatter und Detective Mark Fuhrman genügte der Antrag den Anforderungen des § 1043 (b) Evidence Code. Es Schloß sich damit die nächste Verfahrensstufe an.

5 5 9

Pitchess v. Superior Court of Los Angeles County, 11 C3d 531, 113 CR 897

(1974). 5 6 0

§ 1043 (b)(3) Evidence Code lautet: (b) The Motion shall include: ... (3) Affidavits showing good cause for the discovery or disclosure sought, setting forth the materiality thereof to the subject matter involved in the pending litigation....

VII. Auskunftserteilung

171

Der Richter sieht die Personalunterlagen "in camera" durch, §§ 1045 (b), § 915 Evidence Code. Verteidigung und Staatsanwaltschaft sind hierbei nicht anwesend, lediglich ein Vertreter der Polizeibehörde sowie der betroffene Polizist selbst sind zugelassen, § 915 (b) Evidence Code 561 . Das Gericht prüft zunächst, ob die verlangten Informationen für das Strafverfahren relevant sind, § 1045 (a)-(c) P.C. und nicht einem sogenannten Vorrecht 562 unterliegen, welches die Akteneinsicht verbietet, § 1040-1047 P.C. 5 6 3 . Sodann scheidet das Gericht folgende Unterlagen gemäß § 1045 (b) P.C. aus: - Informationen über mehr als fünf Jahre zurückliegende Ereignisse, - Schlußfolgerungen der Personen, die die polizeiinternen Ermittlungen durchführten, sowie - Fakten, die so entfernt sind, daß ihre Mitteilung von wenig oder keinem prak-tischen Nutzen wäre. Was nach dieser mehrstufigen Prüfung an Akten übrig bleibt, kann von der Verteidigung eingesehen werden. Das Gericht erläßt jedoch eine Anordnung, daß die Unterlagen nur für dasjenige Verfahren benutzt werden dürfen, welches im Antrag bezeichnet wurde, § 1045 (e) P.C. Ferner kann das Gericht auf Antrag die erforderlichen Maßnahmen anordnen, um den von der Akteneinsicht betroffenen Polizisten vor unnötigen Beeinträchtigungen, Belästigungen oder Störungen zu schützen, § 1045 (d) P.C. Nach Durchsicht der Unterlagen von Polizist Fuhrman und Polizist Vannatter lehnte Richter Ito den Antrag der Verteidigung mit der Begründung ab, die Personalunterlagen enthielten keinerlei Berichte oder Informationen, die im vorliegenden Strafverfahren von Belang sein könnten564. Der im Ergebnis erfolglose Pitchess-Antrag wurde aus den zahlreichen Auskunftsanträgen der Verteidigung herausgegriffen, da er zum einen im System der Auskunftsvorschriften aufgrund seiner Förmlichkeit und der detailierten Regelung im Evidence Code eine Sonderstellung einnimmt und 561

People v. Woolman, 40 CA3d 652, 115 CR 324 (1974).

5 6 2

Privilege.

563 Palis z u m Beispiel Akteneinsicht verlangt wird, um exzessive Gewaltanwendung der Polizei bei einer Verhaftung nachzuweisen, so können nur die Unterlagen derjenigen Polizisten verlangt werden, die bei der Verhaftung anwesend waren, die anderen fallen unter das Privileg des § 1047 P.C. 5 6 4

Judge Ito am 31.08.94 wörtlich: "I did not find any reports, incident reports, any information that was pertinent to the issues in this case", San Francisco Examiner vom 31.08.94, S . l l .

172

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

zum anderen die aggressive Verteidigungsstrategie der Simpson Anwälte verdeutlicht. Die Ermittlungen der Verteidigung waren nicht nur auf die Fakten des Falles und die Simpson betreffenden Unterlagen gerichtet, vielmehr wurde versucht, aus dem behaupteten früheren Verhalten Dritter, hier der Polizisten, Vorteile für das laufende Verfahren zu ziehen. Der Gebrauch eines Pitchess-Antmgs wird in der Praxis häufig als Indiz dafür angesehen, daß die Verteidigung über keine oder nur wenig überzeugende Entlastungsbeweise verfügt, wenn sie darauf angewiesen ist, zu behaupten, die Polizei hätte den Angeklagten absichtlich zu Unrecht belastet. Wie die detailierte gesetzliche Regelung zeigt, sind auf derartige Behauptungen gestützte Pitchess-Anträge im kalifornischen Strafverfahren 565 nicht selten. Eine entsprechende Regelung ist derzeit in deutschen Gesetzen (noch) nicht enthalten. Ein dem Inhalt des Pitchess-Antrags entsprechendes Verlangen auf Einsicht in die Personalunterlagen von Polizeibeamten ist weder in der StPO noch in anderen Gesetzen, in Betracht kämen etwa Datenschutzgesetze, ausdrücklich geregelt. Von der hier behandelten Frage der Akteneinsicht ist jedoch die weitergehende und an dieser Stelle nicht näher auszuführende Frage, ob die Verteidigung in einem Beweisantrag die Verlesung der Personalunterlagen von Polizisten verlangen kann, zu unterscheiden. Über diesen Weg könnte im deutschen Recht die Verteidigung gleichwohl Kenntnis über den Inhalt der Personalunterlagen erlangen. Ein beachtlicher Beweisantrag setzt jedoch voraus, daß die Verteidigimg hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte darüber benennen kann, welche Angaben in den Polizeipersonalakten enthalten seien und was damit im Hinblick auf das Strafverfahren bewiesen werden solle, die sog. Beweistatsachen. Ein Antrag, der diesen Anforderungen nicht genügt, insbesondere ein "Antrag ins Blaue", stellt keinen beachtlichen Beweisantrag im Sinne des § 244 III StPO dar. Es würde sich dabei nur um eine "Beweisanregung" handeln, welche ohne förmlichen Gerichtsbeschluß i.S. des § 244 VI StPO abgelehnt werden könnte.

5 6 5

Im übrigen auch in Strafverfahren der anderen amerikanischen Einzelstaaten.

VII. Auskunftserteilung

173

4. Simpson Fall: Auskunftsanträge der Staatsanwaltschaft und deren weitere Ermittlungsmöglichkeiten a) Zeugenliste Seit Einfügung der §§ 1054 f. P.C. ist die Auskunftserteilung eine "Straße in zwei Richtungen"566. Nunmehr kann auch die Staatsanwaltschaft einen Auskunfterteilungs-Antrag an den Angeklagten bzw. dessen Verteidiger nach § 1054.3 P.C. stellen. Hiervon machte die Staatsanwaltschaft Gebrauch, als sie am 17.08.94 während eines Anhörungstermins verlangte, daß die Verteidigung innerhalb einer Woche eine Liste der Zeugen, die sie in der mündlichen Verhandlung zu benennen beabsichtige, sowie deren Aussagen aushändige.

aa) Rechtsgrundlage: § 1054.3 P.C. Rechtsgrundlage hierfür ist § 1054.3 (a) P.C. 5 6 7 . Danach wäre die verlangte Auskunft spätestens 30 Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung zu erteilen gewesen. Da die mündliche Verhandlung am 19.09.94 beginnen sollte, hätte die Verteidigung die Zeugenliste spätestens am 20.08.94 aushändigen müssen. Aufgrund der ungewöhnlich kurzen Zeitspanne, die der Verteidigung und Staatsanwaltschaft zur Vorbereitung des Prozesses zwischen der Voranhörung und dem Beginn der mündlichen Verhandlung zur Verfügung stand, gestattete das Gericht der Verteidigung eine Frist bis 31.08.94. Da die Verteidigung ein entsprechendes Auskunftsverlangen gestellt hatte, händigten die Parteien am genannten Termin wechselseitig ihre Listen über die beabsichtigten Zeugen aus 568 . Die Einführung eines Anspruchs der Staatsanwaltschaft auf Aushändigung der Zeugenliste der Verteidigung nebst Stellungnahmen wurde damit begrün5 6 6

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 372, 285 CR 231

(1991). 5 6 7

§ 1054.3 (a) P.C. lautet: The defendant and his or her attorney shall disclose to the prosecuting attorney: (a) The names and addresses of persons, other than the defendant, he or she intends to call as witnesses at trial, together with any relevant written or recorded statements of those persons...." 5 6 8 Die Verteidigung beklagte vor Gericht, daß die Staatsanwaltschaft ihrer Pflicht nicht nachgekommen sei, da diese eine zu pauschale Übersicht, nämlich lediglich das sogenannte "Murder-Book", ausgehändigt habe. Dieser Vorwurf wurde von der Staatsanwaltschaft auf das schärfste zurückgewiesen und auch vom Gericht nicht weiter aufgegriffen.

174

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

det, daß dies der Wahrheitsfindung diene, indem "Halbwahrheiten" vermieden würden 569 .

bb) Verfassungsdiskussion Schwierigkeiten bereitete das Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft jedoch in Hinblick auf Verfassungsgrundsätze. In Betracht kam insbesondere ein Verstoß gegen das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung, 5. Zusatzartikel U.S. Verfassung, Art.l § 15 Cal.Const., gegen das Recht auf effektive Verteidigung, 6. Zusatzartikel U.S. Verfassung, Art.l § 15 Cal.Const., sowie gegen die Rechtsstaatsgarantie, 14. Zusatzartikel U.S. Verfassung, Art.l § 7 Cal.Const. Der Cal . Supreme Court entschied jedoch in Izazaga v. Superior Court 570 , daß das Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft gemäß § 1054.3 P.C. nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstößt.

(1) Verbot der erzwungenen Selbstbelastung Die vier Voraussetzungen, wann eine erzwungene Selbstbelastung vorliegt, wurden bereits oben 571 im Rahmen der erzwungenen Entnahme von Haarproben genannt, sie seien hier lediglich nochmals kurz zusammengefaßt: - Die Information muß vom Beschuldigten selbst stammen, - sie muß belastend sein, - sie muß Aussagecharakter haben oder kommunikativer Natur sein, und - auf Zwang beruhen 572. Das vom Cal . Supreme Court herangezogene Argument, es läge keine erzwungene Erteilung einer Information oder allenfalls ein unerhablicher Zwang vor, da der Angeklagte die Zeugen sowieso in der mündlichen Ver5 6 9

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 379, 285 CR 231

(1991). 5 7 0

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 285 CR 231

(1991). 5 7 1 5 7 2

V. 4. b).

United States v. Nobles, 422 U.S. 225, 45 L.Ed.2d 141 (1975); Schmerber v. California, 384 U.S. 757, 761, 16 L.Ed.2d 908, 914 (1966); Doe ν. United States, 487 U.S. 201,207, 101 L.Ed.2d 184, 194 (1988).

VII. Auskunftserteilung

175

handlung präsentiert hätte und somit nur eine zeitliche Vorverlagerung stattfindet 573, überzeugt nicht. Das Argument, es handle sich um eine Vorverlagerung, vermag nichts an der Tatsache zu ändern, daß diese erzwungen ist. Ferner werden einige Stellungnahmen, die nach § 1054.3 P.C. ausgehändigt werden müssen, nie in die mündliche Verhandlung eingeführt werden. Insoweit fehlt es dann sogar an der Vorverlagerung. Dem Privileg des 5. Zusatzartikels U.S. Verfassung wird man nur dann gerecht, wenn es dem Beschuldigten selbst überlassen bleibt, ob und wann er sein Schweigerecht aufgibt. Die auszuhändigenden Aussagen sind auch eindeutig kommunikativer Natur. Der wesentliche Punkt ist jedoch, daß die Aussagen nicht vom Beschuldigten selbst, sondern von Zeugen und damit Dritten stammen. Deren Aussagen sind nicht vom Privileg des 5. Zusatzartikels umfaßt 574 . Ebensowenig fällt die Aushändigung der Aussagen als solche unter das Privileg, da die Aushändigung als rein tatsächliche Handlung nicht Aussagecharakter hat 5 7 5 . 5 7 3

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 366, 285 CR 231 (1991), zitiert in Williams v. Florida, 399 U.S. 78, 85, 26 L.Ed.2d 446, 452 (1970). 5 7 4 United States v. Nobles, 422 U.S. 225, 45 L.Ed.2d 141 (1975); Fisher v. United States, 425 U.S. 391, 409, 48 L.Ed.2d 39,55 (1976). 5 7 5

Die kalifornische Verfassung enthält in Art. 1 § 15 Cal.Const. eine dem "Privilege against compelled self-incrimination" der 6th Amendment U.S. Const, entsprechende Bestimmung. Nachdem der U.S. Supreme Court die "reciprocal discovery" in Williams v. Florida, 399 U.S. 78, 26 L.Ed.2d 446 (1970), als mit der 5th Amendment für vereinbar erklärt hatte, stützte der Cal. Supreme Court in einer Reihe von Entscheidungen seine gegenteilige Auffassung auf Art. 1 § 15 Cal.Const., Reynolds v. Superior Court, 12 Cal3d 834, 117 Cal.Rptr. 437 (1974), Allen v. Superior Court, 18 Cal3d 520, 134 Cal.Rptr. 774 (1976), In re Misener, 38 Cal.3d 543, 213 Cal.Rptr. 569 (1985). Der Cai. Supreme Court gab schließlich diese frühere Rechtsprechung in Izazaga v. Superior Court auf. Er erklärte nunmehr ausdrücklich die wechselseitige Discovery für zulässig. Ein Verstoß gegen das PrivÜege against self-incrimination des Art. 1 § 15 Cal.Const. läge aufgrund der in die Cal.Const. neu eingefügten Ausnahmevorschrift des Art. 1 § 30 (c) Cal.Const. nicht mehr vor. Art. 1 § 30 (c) Cal.Const. sieht vor, daß die Auskunftserteilung im Strafverfahren wechselseitiger Natur sein soll. Art. 1 § 30 (c) Cal.Const. lautet: "In order to provide for fair and speedy trials, discovery in criminal cases shall be reciprocal in nature...." Art. 1 § 15 Cal.Const. müsse im Lichte des Art. 1 § 30 (c) Cal.Const. interpretiert werden. Die Auskunftserteilung der Staatsanwaltschaft nach § 1054.3 P.C. verstoße daher nicht mehr gegen das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung des Art. 1 § 15 Cal.Const.

176

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

(2) Rechtsstaatsgarantie Die "gegenseitigen Auskunfterteilungs"-Vorschriften der §§ 1054 f. P.C. müssen der Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels U.S. Verfassung sowie der entsprechenden Regelung in Art. 1 § 7 Cal.Const. genügen. Die Rechtsstaatsgarantie als solche sagt wenig über den Umfang der gegenseitigen Auskunftserteilung, die sich die Parteien gewähren müssen, aus 576 . Sie erfordert jedoch einen Ausgleich der gegenseitigen Rechte und Befugnisse, was im konkreten Fall bedeutet: Wenn die Staatsanwaltschaft ein Recht auf Auskunftserteilung hat, so muß ein zumindest entsprechendes Recht der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft eingeräumt werden. Da sich die beiden Auskunfterteilungs-Vorschriften des Penal Code, § 1054.1 P.C. 5 7 7 und § 1054.3 P.C. 5 7 8 entsprechen, wobei den Befugnissen der Verteidigung ein Übergewicht eingeräumt wird, ist den Erfordernissen der Rechtsstaatsgarantie Genüge getan 579 .

(3) Recht auf anwaltlichen Beistand, 6. Zusatzartikel

U.S. Verfassung

Die Verpflichtung der Verteidigung, die von ihr beabsichtigten Zeugen nebst deren Stellungnahmen offenzulegen, verletzt nicht das Recht auf effektive, anwaltliche Vertretung des 6. Zusatzartikels U.S. Verfassung. Der Verteidiger wird nicht an einer wirksamen Prozeßvorbereitung gehindert. Er muß lediglich diejenigen Zeugen (und deren Aussagen) benennen, die er in der mündlichen Verhandlung aufzurufen beabsichtigt. Dies werden Zeugen sein, die für den Angeklagten günstige Aussagen abgeben werden. Belastungszeugen wird die Verteidigung nicht in der mündlichen Verhandlung präsentieren und braucht daher auch nicht ihre Identität im Rahmen der Auskunftserteilung offenzulegen. Die Verteidigung wird im Ergebnis daher nicht

5 7 6

418 Wardius v. Oregon, 412 U.S. 470, 474, 37 L.Ed.2d 82, 87.

5 7 7

Discovery by Defense.

5 7 8

Discovery by Prosecution.

5 7 9

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 372, 285 CR 231 (1991): It is clear that the two provisions (§§ 1054.1 u. 3 P.C.) closely track each other, with any imbalance favoring the defendant as required by reciprocity under the due process clause. Wardius v. Oregon, 412 U.S. 470, 475, 37 L.Ed.2d 82, 88: If there is to be any imbalance in discovery rights, it should work in defendant's favor.

VII. Auskunftserteilung

177

gehindert, umfangreiche Nachforschungen zur Prozeßvorbereitung vorzunehmen. Falls sie hierbei auf Belastungszeugen stößt, die der Staatsanwaltschaft nicht bekannt sind, braucht sie diese nicht offenzulegen. Damit liegt kein Verstoß gegen den 6. Zusatzartikel U.S. Verfassung vor 5 8 0 . Die Vorschrift ist verfassungsgemäß. In United States v. Nobles 581 hat der 17.5. Supreme Court festgestellt: der 6. Zusatzartikel U.S. Verfassung könne der Verteidigung nicht als Rechtfertigung dafür dienen, Halbwahrheiten zu präsentieren. Die Einsicht der Staatsanwaltschaft in die Stellungnahmen beabsichtigter Zeugen der Verteidigung gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, noch rechtzeitig vor Beginn der mündlichen Verhandlung Nachforschungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen sowie der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben vorzunehmen. Damit wird die Wahrheitsfindung in der Praxis erleichtert und Halbwahrheiten werden vermieden. Die 1990 in den Penal Code aufgrund der Gesetzesinitiative 115 eingefügten gegenseitigen Auskunfterteilungs-Vorschriften, §§ 1054-1054.7 P.C., sind verfassungsgemäß 582.

b) Mysteriöser

Umschlag

aa) Aushändigung eines versiegelten Umschlages Schlagzeilen im Simpson Fall machte ein, von der Presse so bezeichneter "mysteriöser Umschlag". Am Freitag, den 1. Juli 1994, dem zweiten Tag der Voranhörung, gab der Magistrate bekannt, daß die Verteidigung an einen Richter des Superior Court einen Umschlag, dessen Inhalt für das Verfahren Bedeutung haben könnte, ausgehändigt habe. Der Umschlag sei versiegelt an den Magistrate weitergeleitet worden. Während der gesamten Voranhörung wurde der Umschlag nicht geöffnet, sondern wurde anschließend mit den übrigen Akten dem Richter des Hauptverfahrens, Superior Court Richter Lance Ito, ausgehändigt.

5 8 0

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 379, 285 CR 231

(1991). 581

United States v. Nobles, 422 U.S. 225, 241, 45 L.Ed.2d 141, 155 (1975).

5 8 2

(1991). 13 Schnabl

Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal3d 356, 285 CR 231

178

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Der Inhalt gab in den Medien zu zahlreichen Spekulationen Anlaß. Gestützt auf "informierte Quellen" bildete sich die Meinung heraus, der Umschlag enhalte ein Messer, das Simpson einige Wochen vor der ihm zur Last gelegten Tat gekauft habe und das ähnlich dem Messer sei, welches nach Erkenntnissen der Gerichtsmediziner zur Tatausführung benutzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte starkes Interesse daran, herauszufinden, ob dies zutraf, da es sich möglicherweise um die fehlende Tatwaffe handelte. Die Staatsanwaltschaft bemühte sich während des Vorverfahrens wiederholt, insoweit Auskunft über den Inhalt des Umschlags zu erlangen. Die Öffnung des Umschlags wurde von Richter Ito wiederholt angesprochen, jedoch auf Einspruch der Verteidigung immer wieder verzögert. Am 31.08.94 schließlich, weniger als 30 Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung 583, erließ Richter Ito folgende Anordnung: - Die Verteidigung müsse der Staatsanwaltschaft zwei Berichte über den Inhalt des Umschlags und dessen Beschaffenheit aushändigen584, - der Gegenstand selbst werde der Staatsanwaltschaft jedoch nicht übergeben, - ebenso bleibe ein dem Umschlag beigefügtes Schreiben der Verteidigung vom 01.07.94, welches Angaben darüber enthielt, wo und unter welchen Umständen der Gegenstand aufgefunden worden war, unter Verschluß.

bb) Typische Fallkonstellationen Diese Vorgehensweise erscheint ungewöhnlich und ist daher einer kurzen Betrachtung wert. Ausgangspunkt sind meist die folgenden oder ähnliche Situationen: Kurz vor seiner Verhaftung übergibt der Tatverdächtige seinem Anwalt einen Gegenstand, der in Verbindung mit der ihm vorgeworfenen Tat steht, z.B. die mutmaßliche Tatwaffe. Oder: Der Verteidiger entdeckt bei seinen Nachforschungen einen Gegenstand, der seinen Mandanten erheblich belasten würde, aber von der Staatsanwaltschaft (bzw. der Polizei) bisher nicht entdeckt wurde. Er nimmt diesen 5 8 3

Der Beginn des "Trial" war vom ursprünglich geplanten 19. September auf 26. September verschoben worden. 5 8 4

Unabhängige Kriminologen, von denen einer von der Verteidigung und einer vom Gericht benannt worden waren, hatten am 22. August ihre Untersuchungsberichte über die Beschaffenheit des Gegenstandes abgeschlossen und der Verteidigung bzw. dem Gericht ausgehändigt.

VII. Auskunftserteilung

179

Gegenstand an sich. Dem Verteidiger stellt sich nunmehr die Frage, ob er den Besitz des Gegenstandes offenlegen muß und gegebenenfalls wem gegenüber. Fest steht, daß er zur Aushändigung nicht nach § 1054.3 (b) P.C. verpflichtet ist. Die Auskunfterteilungs-Vorschrift bezieht sich nur auf Beweise, welche die Verteidigung im Hauptverfahren zu präsentieren beabsichtigt. Dies werden nicht Belastungsbeweise sein. Andere gesetzliche Vorschriften, die eine Offenlegung verlangen, sind nicht ersichtlich. Gleichwohl hat die Rechtsprechung in einer Reihe von Entscheidungen eine Verpflichtung des Verteidigers begründet, potentiell belastende Beweisgegenstände, die er besitzt, entfernt oder verändert, unverzüglich dem Gericht auszuhändigen585. Das Verbot der erzwungenen Selbstbelastung, 5. Zusatzartikel U.S. Verfassung, wird hierdurch nicht verletzt, da die Verpflichtung nicht den Beschuldigten trifft und die bloße Aushändigung der physischen Beweisgegenstände keinen Aussagecharakter hat. Wäre der Verteidiger dem nicht zuvorgekommen, hätte die Staatsanwaltschaft die Beweisgegenstände am Tatort oder beim Angeklagten beschlagnahmen können, ohne daß sich der Angeklagte auf sein Privileg hätte berufen können. Geschützt sind jedoch Mitteilungen des Beschuldigten an seinen Verteidiger, sowie Kommunikationen zwischen beiden. Diese unterfallen zudem dem Anwalt-Mandanten-Privileg 586, § 950 ff. Evidence Code. Der Anwalt ist berechtigt, eine Auskunft über vertrauliche Kommunikationen mit seinem Mandanten zu verweigern. Der Cai . Supreme Court hat in People v. Meredith 587 festgestellt, daß das Anwalt-Mandanten-Privileg nicht auf Kommunikationen beschränkt ist, sondern sich auch auf Beobachtungen erstreckt, die der Anwalt in Folge einer geschützten Kommunikation macht.

5 8 5

People v. Superior Court (Fairbank), 192 CA3d 32, 237 CR 158 (1987); People v. Meredith, 29 CA3d 682, 175 CR 612 (1981); People v. Lee, 3 CA3d 514, 83 CR 715 (1970).

13*

5 8 6

Lawyer-Client-Privilege.

5 8 7

People v. Meredith, 29 CA3d 682, 693, 175 CR 612 (1981).

180

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

cc) Belastungsbeweise im Besitz der Verteidigung Hieraus ergibt sich nach People v. Superior Court (Fairbank) 588 folgende Konsequenz: Entdeckt der Verteidiger augrund von Informationen seines Mandanten oder auch nur aufgrund eigener Ermittlungen belastende Beweisgegenstände, ohne diese zu entfernen oder zu verändern, so braucht er dies nicht offenzulegen 589 . Neben den genannten, verfassungsrechtlichen Erwägungen steht dahinter der praktische Gedanke, daß Staatsanwaltschaft und Polizei hierdurch in ihren Ermittlungen und an der Auffindung von Beweisen nicht gehindert werden. Nimmt der Verteidiger jedoch belastende Beweisgegenstände an sich, entfernt oder verändert diese, so beeinträchtigt er dadurch die Ermittlungsbehörden in ihrer Möglichkeit, Belastungsmaterial zu sammeln. Der Verteidiger muß daher diese Gegenstände an das Gericht aushändigen oder falls dies nicht möglich ist, entsprechende Erklärungen über deren Verbleib abgeben. Das Gericht hat sodann Sorge zu tragen, daß die Staatsanwaltschaft rechtzeitig Zugang zu den Beweisen erhält. Zugleich muß das Gericht jedoch sicherstellen, daß geschützte Kommunikationen zwischen Verteidiger und Mandant sowie die Verteidigungsstrategie nicht offengelegt werden. Denn oftmals erfährt das Gericht mit der Aushändigung der Beweise auch die Umstände, unter welchen der Verteidiger diese erlangte, meist aufgrund von Mitteilungen seines Mandanten. Diese Informationen unterliegen dem Verbot der erzwungenen Selbstbelastung, 5. Zusatzartikel, und dem AnwaltMandanten-Privileg, § 950 ff. Evidence Code.

dd) Simpson Fall: Aufdeckung des Inhalts, nicht jedoch der Herkunft In diese Rechtsprechung fügt sich die Anordnung von Richter Ito vom 31.08.94 problemlos ein. Da der Beginn der mündlichen Verhandlung nur noch wenige Wochen entfernt war, mußte der Staatsanwaltschaft Kenntnis über den Inhalt des "mysteriösen Umschlags" verschafft werden, ohne die Privilegien des Angeklagten zu verletzen.

5 8 8 5 8 9

People v. Superior Court (Fairbank), 192 CA3d 32, 237 CR 158 (1987).

People v. Meredith, 29 CA3d 682, 695, 175 CR 612 (1981), zitiert in People ν. Superior Court (Fairbank), 192 CA3d 32, 237 CR 158 (1987).

VII. Auskunftserteilung

181

Dies geschah am zweckmäßigsten dadurch, daß der Staatsanwaltschaft Untersuchungsberichte über die Art und Beschaffenheit des Gegenstandes ausgehändigt wurden, nicht jedoch der Bericht vom 01.07.94, in dem die Verteidigung die Umstände beschrieb, aufgrund derer sie den Gegenstand erlangt hatte.

ee) Rechtliche Begründung Die Rechtsprechung, welche die beschriebene Verpflichtung der Verteidigung begründete, insbesondere People v. Superior Court (Fairbank) 590, ist jedoch seit Einführung der Auskunftsvorschriften in das Gesetz, § 1054 ff. P.C., kritisch zu sehen. Die Entscheidung People v. Superior Court (Fairbank) stammt aus dem Jahre 1987. Zum damaligen Zeitpunkt war das Recht der Auskunftserteilung weitgehend Richterrecht. Es lag im Ermessen der Gerichte, ob und in welchem Umfang sich die Parteien Auskunft zu gewähren hatten. Eine Änderung wurde 1990 mit der Einführung der Auskunftsvorschriften in den Penal Code, §§ 1054 ff. P.C., sowie des Art.l § 30 (c) Cal.Const. beabsichtigt. Die Auskunfsvorschriften sind nach § 1054 (e) P.C. abschließend, sofern nicht ausdrückliche sonstige gesetzliche Vorschriften eine Auskunftserteilung zulassen oder diese aufgrund der U.S. Verfassung geboten ist. Da sich die obige Entscheidung, People v. Superior Court (Fairbank), nicht auf gesetzliche Vorschriften stützen läßt, bleibt nur der Rückgriff auf Verfassungsrecht. Es bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung diesen Schritt vornehmen wird. Als verfassungsrechtliche Grundlage käme die Rechtsstaatsgarantie des 14. Zusatzartikels U.S. Verfassung in Betracht. Diese schützt nicht nur den Angeklagten, sondern gibt auch der Anklagebehörde entsprechende Rechte, wenn auch in beschränkteren Umfang.

ff) Strafvorschrift des § 135 P.C. Anzumerken bleibt noch, daß das kalifornische Recht in § 135 P.C. eine Strafvorschrift enthält, wonach es jederman verboten ist, wissentlich Gegenstände, die als Beweis vor Gericht benutzt werden sollen, zu zerstören oder zu verheimlichen, in der Absicht, deren Einführung in den Prozeß zu verhindern. Die Tat wird als Vergehen bestraft. Ein Verteidiger kann sich 5 9 0

People v. Superior Court (Fairbank), 192 CA3d 32, 237 CR 158 (1987).

182

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

daher auch noch strafbar machen, wenn er in der Absicht handelt, Beweise zu unterdrücken. Hier bestehen Parallelen zwischen dem kalifornischen Recht und dem deutschen Straftatbestand der Strafvereitelung, § 258 StGB.

c) Durchsuchungsbefehle In der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird die Staatsanwaltschaft jedoch nicht darauf warten, daß Belastungsbeweise vom Verteidiger ausgehändigt werden, vielmehr wird sie selbst bzw. durch die Polizei Belastungsbeweise sammeln. Hierzu bedient sie sich häufig eines Durchsuchungsbefehls nach § 1523 f. P.C. Ein Durchsuchungsbefehl ist erforderlich, wenn gegenständliche Beweismittel beschlagnahmt werden sollen, die sich im Gewahrsam einer zur Herausgabe nicht bereiten Person befinden. Dies kann der Beschuldigte, sein Verteidiger oder ein Dritter sein, § 1524 (a)(b)P.C. Bezüglich Durchsuchungen und Beschlagnahmen beim Verteidiger gelten jedoch Einschränkungen, wenn "Dokumentenbeweise"591 beschlagnahmt werden sollen, § 1524 (c) P.C. 5 9 2 . Beispiele für "Dokumentenbeweise" sind in § 1524 (f) P.C. aufgeführt. Als solche gelten z.B. Schriftstücke, Urkunden, Zeichnungen, Photographien, Computerausdrucke, Mikrofilme, Röntgenaufnahmen, Diagramme, Bücher, Audio- und Videobänder 593. Hätte die Staatsanwaltschaft hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür gehabt, daß Simpson's Verteidiger das Tatmesser in Besitz hat, so hätte sie mittels eines Durchsuchungsbefehls die Räume des Verteidigers durchsuchen und gegebenenfalls das Messer beschlagnahmen können, § 1524 (a)(4),(b) P.C. Bei einem Messer handelt es sich nicht um einen "Dokumentenbeweis" i.S. des § 1524 (c)(d) P.C. Macht die Staatsanwaltschaft von Durchsuchungsbefehlen gegenüber dem Beschuldigten bzw. dessen Verteidiger Gebrauch, handelt es sich um eine Form der Auskunftserteilung im weiteren Sinne. Es stellt sich die Frage, ob die Auskunftsvorschriften der §§ 1054 ff. P.C. nicht vorrangig und abschließend sind.

591

Documentary Evidence.

5 9 2

Entsprechendes gilt für den Arzt, Psychotherapeuten oder Priester des Beschul-

digten. 5 9 3

Code.

Privilegien gelten auch für Medienleute, § 1524 (g) P.C., §§ 1070 ff. Evidence

VII. Auskunftserteilung

183

Dies ist jedoch aus zwei Gründen zu verneinen. Die die Durchsuchungsbefehle betreffenden §§ 1524 f. P.C. stellen eine "ausdrückliche, sonstige Regelung" im Sinne des § 1054 (e) P.C. dar. Ferner sieht § 1054.4 P.C. explizit vor, daß die Befugnisse der Ermittlungsbehörden zur Erlangung von "nicht-aussagebezogenen Beweisen"594 von den Auskunftsvorschriften der §§ 1054 ff. P.C. nicht berührt werden. Im Ausgangsfall hat die Staatsanwaltschaft mittels einer Vielzahl von Durchsuchungsbefehlen die Anwesen und Geschäfte von O.J. Simpson wiederholt durchsucht. Es wurden dabei angefangen von Bluttropfen, Haaren und Stoffjpartikeln über das Fluchtauto und O.J.'s Rolls Royce bis hin zu Abflußrohren Beweismittel beschlagnahmt595.

d) Grand Jury Verfahren

gegen Al Cowlings

aa) Nur ein Vorwand? In einem Antrag an das Gericht vom 25.08.94 warf die Verteidigung der Staatsanwaltschaft vor, unzulässigerweise ein Grand Jury Verfahren gegen O.J.'s Freund Al Cowlings nur als Vorwand zu benutzen, um in Wirklichkeit weiteres Beweismaterial gegen O.J. Simpson zu erlangen. Hintergrund hierfür war, daß auf Verlangen der Staatsanwaltschaft eine Grand Jury Mitte August Ermittlungen gegen Al Cowlings aufgenommen hatte. Al Cowlings ist einer der engsten Vertrauten von O.J. Simpson und war dessen Fahrer bei der Verfolgungsfahrt über die Stadtautobahnen Los Angeles vor Simpsons Verhaftung. Offizielles Ziel der Grand Jury war, zu ermittlen, ob es sich, - entgegen anderslautender Beteuerungen -, nicht in Wirklichkeit um einen Fluchtversuch Simpson's gehandelt hatte und Al Cowlings sich daher der Beihilfe strafbar gemacht hatte. Ferner sollte aufgeklärt werden, ob Al Cowlings zuvor schon versucht hatte, Beweismaterial gegen seinen Freund O.J. zu unterdrücken. Die Simpson Verteidigung argumentierte dagegen, daß das Grand Jury Verfahren gegen Cowlings nur ein Vorwand sei, um in Wirklichkeit weiteres Beweismaterial gegen O.J. Simpson zu sammeln. Ein Hinweis hierfür sei, daß unter den von der Grand Jury vorgeladenen und vernommenen Zeugen, Anwälte und Sachverständige des Verteidigerteams von Mr. Simpson seien, 5 9 4 5 9 5

Non-Testimonial Evidence.

In den Abflußrohren wurden Blutspuren vermutet, da die Polizei davon ausging, daß O.J. Simpson nach der Tat seine blutigen Hände oder Kleidungsstücke gewaschen hatte.

184

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

sowie zahlreiche weitere Personen, die auch als Zeugen gegen Simpson in dessen Verfahren erwartet würden. Die Staatsanwaltschaft versuche auf diesem Umweg, Aussagen von Personen zu erzwingen, die ansonsten nicht gegenüber der Polizei oder Staatsanwaltschaft aussagen würden 596 . In einer Pressekonferenz am 24.08.94 habe der Chef der Staatsanwaltschaft, District Attorney Gil Garcetti, dies sogar indirekt eingeräumt, indem er sagte: "Man weiß nie, wohin einen die Ermittlungen der Grand Jury führen... Falls Beweise herauskommen, die uns in einem anderen Fall weiterhelfen, werden wir diese nicht unbeachtet lassen597. Nach Ansicht der Verteidigung durfte die Staatsanwaltschaft, sobald der Angeklagte förmlich angeklagt worden war, die Ermittlungsbefugnisse einer Grand Jury nicht weiter nutzen, um zusätzliches belastendes Beweismaterial gegen den Angeklagten zu erlangen 598. Die Verteidigung verlangte daher vom Gericht, Sanktionen gegen die Staatsanwaltschaft zu verhängen, sowie wegen der Schwere des Fehlverhaltens der Staatsanwaltschaft 599 das Verfahren gegen O.J. Simpson einzustellen, hilfsweise, die im Grand Jury Verfahren gegen Al Cowlings gewonnenen Beweise im Simpson Prozeß nicht zuzulassen.

bb) Grand Jury Ermittlungen nach Anklageerhebung In ihrer Stellungnahme wies die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Verteidigung zurück und erklärte, die Grand Jury ermittle allein gegen Al Cowlings. Dennoch wird im Folgenden kurz der hier aufgeworfenen Frage nachgegangen, ob eine Grand Jury nach förmlicher Anklageerhebung zu weiteren Ermittlungen gegen den Angeklagten in der gleichen Sache berechtigt ist. Eine ausdrückliche Regelung hierzu findet sich im Gesetz nicht. Jedoch wurde 1990 mit der Proposition 115 der Art. 1 § 14.1 in die kalifornische Verfassung aufgenommen. Danach darf nach förmlicher Anklagerhebung durch die Grand Jury keine Voranhörung vor dem Magistrate mehr statt5 9 6

Wie bereits ausgeführt, sind Zeugen nicht verpflichtet, vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft auszusagen; sie können hierzu auch nicht gezwungen werden. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kann eine Vorladung, die sogenannte Subpoena, nur vor eine Grand Jury erfolgen. 5 9 7

Zitat aus San Francisco Daily Journal vom 26.08.94, S.6.

5 9 8

Zitat aus San Francisco Daily Journal vom 26.08.94.

5 9 9

Prosecutorial Misconduct.

VII. Auskunftserteilung

185

finden. Diese Bestimmung ist jedoch auf den von ihr geregelten Fall beschränkt und als Spezialregelung nicht analog auf den hier vorliegenden, umgekehrten Fall anwendbar. Mit Art. 1 § 14.1 Cal.Const. sollte das Verfahren vereinfacht werden, indem keine doppelte Kontrolle, durch die Grand Jury und den Magistrate, mehr stattfindet. Obige Ausgangsfrage betrifft jedoch nicht die Grand Jury in ihrer Rolle als Kontrollinstanz gegen unberechtigte Anklagen 600, sondern in ihrer ermittelnden Tätigkeit. Zur Beantwortung der Frage bedarf es daher eines Rückgriffs auf die Bedeutung und Funktion der Grand Jury im amerikanischen Strafrechtssystem, wie sie von der Rechtsprechung entwickelt wurde. Im 19. Jahrhundert wurde die Grand Jury oftmals aufgrund eigener Erkenntnisse tätig und leitete Ermittlungen ein, ohne daß es eines entsprechenden Verlangens eines Vertreters des öffentlichen Interesses bedurfte. Gerade in den neubesiedelten westlichen Staaten begründete sich die Popularität und Autorität der Grand Jury auf ihre "Wachhund"-Funktion601. Obgleich die Grand Jury nach der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung befügt ist, Hinweisen aus ihrer Mitte nachzugehen und so eigene Ermittlungen einzuleiten, § 918 P.C. 6 0 2 , sind dies Ausnahmefälle. In der Praxis wird die Grand Jury heute auf Verlangen der Staatsanwaltschaft und unter deren "Führung" tätig. Die Ermittlungen sind auf die Erforschung von Straftaten gerichtet 603. Die Staatsanwaltschaft kann sich auch nur bezüglich eines Teilaspekts ihrer Ermittlungen der Grand Jury bedienen, z.B. zur Vernehmung von Zeugen, die eine Kooperation mit der Staatsanwaltschaft verweigern. In diesen Fällen reicht die Staatsanwaltschaft nach Abschluß ihrer Ermittlungen eine "Strafanzeige" 604 ein, woraufhin es zu einer Voranhörung vor dem Magistrate kommt 605 . Entscheidet dieser, daß der Angeklagte der Straftat 6 0 0

Zur Doppelfunktion der Grand Jury s.o. IV. 1.

601

Watchdog-Function. Zur Geschichte der Grand Jury vgl. LaFave/Israel, Criminal Procedure, S.376 f. 6 0 2

§ 918 P.C. lautet: If a member of a grand jury knows, or has reason to believe, that a public offense, triable within the country, has been committed, he may declare it to his fellow jurors, who may thereupon investigate it. 6 0 3

Auf die besonderen Fälle der Grand Jury-Nachforschungen in Hinblick auf Gefangnisangelegenheiten, § 919 P.C., Landtransfer, § 920 P.C. und "County, District and Housing Authority Affairs", § 925 f. P.C., kann hier nicht näher eingegangen werden. 6 0 4 6 0 5

Complaint.

Voraussetzung ist, daß es sich um eine "Felony "-Straftat handelt und nicht wirksam auf das Preliminary Hearing verzichtet wurde, § 860 P.C.

186

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

hinreichend verdächtig ist, kommt es zur eigentlichen Anklageerhebung, der "Information\ vor dem Superior Court. Die Staatsanwaltschaft kann jedoch auch die gesamten Ermittlungen von der Grand Jury durchführen lassen. Nach Abschluß der Ermittlungen entscheiden die Grand Jurors sodann, ob hinreichender Tatverdacht vorliegt, und erheben gegebenenfalls Anklage oder lehnen diese ab. In beiden Alternativen ist damit die Tätigkeit der Grand Jury beendet. Hieraus ergibt sich, daß die Tätigkeit der Grand Jury auf Ermittlungen vor Anklageerhebung beschränkt ist. Ist bereits förmlich Anklage erhoben, sei es aufgrund einer "Information" oder "Indictment ", so geht das Verfahren in das, strengeren Regeln folgende, gerichtliche Verfahren über. Die Grand Jury hat dann keine Ermittlungsbefugnisse mehr. Im Ausgangsfall brauchte Richter Ito diese Frage nicht zu entscheiden. Er stützte sich auf die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft und entschied, daß die "streitigen" Grand Jury-Ermittlungen allein gegen Al Cowlings gerichtet seien. Gegen diesen sei bisher noch nicht Anklage erhoben worden und das Grand Jury-Verfahren sei somit zulässig. Das Vorbringen der Verteidigung, daß die Ermittlungen in Wirklichkeit gegen O.J. gerichtet seien, wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Antrag der Verteidigung wurde daher abgelehnt. Sollten, gewissermaßen als unbeabsichtigtes Nebenprodukt, belastende Beweise gegen O.J. Simpson bekannt werden, so ist die Staatsanwaltschaft nicht gehindert, diese in den Prozeß gegen Mr. Simpson einzuführen.

V I I I . Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung 1. Ausgangssituation In diesem Abschnitt wird auf eine besondere Ausprägung der Auskunftserteilung im weiteren Sinne eingegangen. Es geht dabei um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft über die Erteilung von Auskünften bzgl. der ihr vorliegenden Beweise hinaus der Verteidigung Beweisstücke zu eigenen Untersuchungen aushändigen muß. Ferner ob die Ermittlungsbehörden Beweise im Rahmen von eigenen Untersuchungen "verbrauchen" dürfen und ob bzw. welche Konsequenzen sich an eine "Zerstörung" von Beweisstücken durch die Staatsanwaltschaft anschließen. Von dem frühesten Stadium des Verfahrens bis hinein in das Hauptverfahren vor dem Superior Court war die Aufteilung physischer Beweisstücke zwischen den Parteien des Simpson Prozesses heftig umstritten und nahm demzufolge breiten Raum in den Verhandlungen ein.

VIII. Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung

187

Im wesentlichen verlangte die Verteidigung die Aufteilung sämtlicher von der Polizei sichergestellter Blutspritzer und Haarfragmente je zur Hälfte, um eigene wissenschaftliche Untersuchungen daran vornehmen zu können. Die Verteidigung begründete dieses Verlangen damit, daß diese Beweisstücke potentielles Entlastungsmaterial zugunsten von O.J. Simpson enthielten. Ferner seien eigene, unabhängige Untersuchungen nötig, um sich gegen die zu erwartenden, genetischen Untersuchungsergebnisse seitens der Staatsanwaltschaft verteidigen zu können. Die Staatsanwaltschaft widersetzte sich nachdrücklich einer Teilung der Beweisstücke. Sämtliche sichergestellten Blutspritzer und Gewebeproben seien zu klein und erlaubten nicht eine hälftige Aufteilung. Um ihrer Aufgabe als Strafverfolgungsbehörde, welcher die Beweislast im Prozeß obliege, gerecht werden zu können, müsse der Staatsanwaltschaft gestattet werden, sämtliche notwendigen und angemessenen, wissenschaftlichen Untersuchungen an den Beweisstücken vorzunehmen. Die Staatsanwaltschaft würde hieran gehindert, wenn sie von jeder Probe 50% an die Verteidigung abtreten müßte. Die Untersuchungsergebnisse waren für die Frage der Verurteilung oder eines Freispruchs von O.J. Simpson von entscheidender Bedeutung. Da weder das Tatmesser gefunden worden war noch Tatzeugen zur Verfügung standen, konnten die Untersuchungsergebnisse der Blutproben Simpson entweder völlig entlasten, indem sich nachweisen ließe, daß sein Blut sich weder am Tatort befand noch das Blut der Opfer an seiner Kleidung oder in seiner Umgebung, oder im umgekehrten Fall ein ganz erheblich belastendes Indiz 6 0 6 sein.

2. Recht auf Zugang zu Beweisen Der U.S. Supreme Court hat in mehreren Entscheidungen Rechte des Angeklagten anerkannt, welche verallgemeinernd als "Recht auf Zugang zu Beweisen"607 umschrieben wurden 608 .

6 0 6

Circumstantial Evidence.

6 0 7

Right of Access to Evidence.

6 0 8

Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 55, 102 L.Ed.2d 281, 287 (1988); California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 485, 81 L.Ed.2d 413, 419 (1984); United States v. Valenzuela-Bernal, 458 U.S. 858, 867, 73 L.Ed.2d 1193 (1982).

188

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

a) Brady ν. Maryland Bereits 1963 wurde vom U.S. Supreme Court in Brady v. Maryland 609 ein Auskunftsrecht der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft hinsichtlich aller entlastenden Beweise anerkannt. Auf Verlangen mußte die Staatsanwaltschaft alle "bedeutsamen"610 entlastenden Beweise der Verteidigimg mitteilen. In United States v. Agurs 611 wurde diese Verpflichtung dahingehend erweitert, daß die Staatsanwaltschaft hierzu auch ohne ausdrückliches Verlangen der Verteidigung verpflichtet ist. Wie bereits oben ausgeführt 612, ist die sogenannte "Brarfy-Auskunftserteilung" breiter als die Auskunftsregel in § 1054.1 (e) P.C. Die Rechtsprechung stützt die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft auf das Rechtsstaatsprinzip des 5. und 14. Zusatzartikels U.S. Verfassung. Kommt die Staatsanwaltschaft ihrer Verpflichtung nicht nach, so liegt ein Verstoß gegen die Rechtsstaatsgarantie vor, unabhängig davon, ob der Verstoß gutgläubig-unabsichtlich613 oder absichtlich614 begangen wurde. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen können bis zu einer Verwerfung der Anklage und einer Einstellung des Verfahrens führen.

b) Trombetta/Youngblood Über die "Brady- Auskunft" hinaus geht die Frage, ob die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, möglicherweise entlastende Beweise vor einer Verschlechterung oder Zerstörung zu bewahren. Der U.S. Supreme Court hat die hiefür geltenden Maßstäbe in zwei grundlegenden Entscheidungen, California v. Trombetta 615 und Arizona v. Youngblood616, festgelegt.

6 0 9

Brady ν. Maryland, 373 U.S. 83, 10 L.Ed.2d 215 (1963).

6 1 0

Material.

611

United States v. Agurs, 427 U.S. 97, 49 L.Ed.2d 342 (1976).

6 1 2

s. ο. VII. 2. b) bb).

6 1 3

Good Faith.

6 1 4

Bad Faith.

6 1 5

California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 485, 81 L.Ed.2d 413, 419 (1984).

6 1 6

Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 55, 102 L.Ed.2d 281, 287 (1988).

VIII. Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung

189

Ausgangspunkt ist, daß die Ermittlungsbehörden nicht verpflichtet sind, Entlastungsbeweise zu sammeln. Haben sie Beweise gesammelt, die einen möglichen, entlastenden Wert für den Angeklagten haben, so sind die Ermittlungsbehörden nicht einschränkungslos verpflichtet, die Beweise vor Verschlechterung oder Zerstörung zu bewahren. Ein solches Erfordernis ergibt sich weder aus dem "Gebot eines fairen Verfahrens", welches aus der "Rechtsstaatsgarantie" abgeleitet wird 6 1 7 , noch aus anderen Verfassungsbestimmungen. Damit die Verteidigung in einem sogenannten "Trombetta/Youngblood"Antrag die Verhängung von Sanktionen wegen Zerstörung möglicherweise entlastender Beweise verlangen kann, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

aa) Erheblichkeit Es muß sich um Beweise gehandelt haben, von denen zu erwarten war, daß sie bei der Verteidigung des Verdächtigen eine wesentliche Rolle gespielt hätten618. Um diese Anforderungen zu erfüllen, mußte der entlastende Wert der Beweisstücke offensichtlich sein und ferner derart beschaffen sein, daß der Angeklagte nicht in der Lage war, mit anderen, vernünftigerweise zu erwartenden Mitteln, vergleichbare Beweise zu erlangen, "TrombettaVoraussetzung"619.

6 1 7

Lisenba v. California, 314 U.S. 219, 236, 86 L.Ed 166 (1941), zitiert in Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 58, 102 L.Ed.2d 281, 289 (1988). 6 1 8 6 1 9

Materiality.

California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 488, 81 L.Ed.2d 413, 422 (1984): Whatever duty the Constitution imposes on the States to preserve evidence, that duty must be limited to evidence that might be expected to play a significant role in the suspect's defense. To meet this standard of constitutional materiality, evidence must both possess an exculpatory value that was apparent before the evidence was destroyed, and be of such a nature that the defendant would be unable to obtain comparable evidence by other reasonably available means.

190

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

bb) Bösgläubigkeit Ferner muß die Verteidigung nachweisen, daß die Ermittlungsbehörden in Benachteiligungsabsicht gegenüber dem Angeklagten620 die Beweise zerstörten, " Youngblood-Voraussetzung " 6 2 1 . Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, liegt ein Verstoß gegen die Rechtsstaatsgarantie der U.S. Verfassung vor. Der gleiche Maßstab wird nunmehr in der kalifornischen Rechtsprechung angelegt622. Bemerkenswert ist, daß ein Verstoß gegen das "Brady- Auskunftsrecht" vorliegen kann, ungeachtet dessen, ob die Ermittlungsbehörden gutgläubig oder bösgläubig gehandelt haben. Eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips wegen Zerstörung von Entlastungsbeweisen liegt dagegen nur dann vor, wenn die Ermittlungsbehörden "bösgläubig" handelten. Der Grund hierfür ist, daß die Pflicht, möglicherweise entlastende Beweise für den Angeklagten zu bewahren über die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, entlastende Umstände der Verteidigung mitzuteilen {Brady- Auskunft), deutlich hinausgeht und daher einer Einschränkung bedarf. Ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren kann nur in den schwerwiegenderen Fällen angenommen werden, in denen im Interesse der Gerechtigkeit eine Sanktion erforderlich ist. Diese Grenze ist eben dann überschritten, wenn die Polizei oder Staatsanwaltschaft Beweise, deren Entlastungswert deutlich erkennbar war, in der Absicht beseitigt, dem Angeklagten seine Verteidigung zu erschweren. Ist ein Trombetta/Youngblood-Werstoß nachgewiesen, haben die Gerichte einen Ermessensspielraum, welche Sanktionen sie verhängen wollen 623 . Als Sanktion kommt eine Belehrung der Geschworenen in Betracht, daß sie annehmen dürfen, die zerstörten Beweise hätten den Angeklagten entlastet624. Ferner kommt ein Ausschluß der entsprechenden Beweise der Staatsanwalt-

6 2 0 621

Bad Faith. Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 57/58, 102 L.Ed.2d 281, 289/290

(1988). 6 2 2

People v. Cooper, 53 C3d 771, 810, 281 CR 90, 128 (1991).

6 2 3

People v. Griffin, 46 C3d 1011, 251 CR 643 (1988).

6 2 4

People v. Cooper, 53 C3d 771, 811, 281 CR 90, 128 (1991); Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 102 L.Ed.2d 281 (1988).

VIII. Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung

191

schaft in Betracht 625. In besonders schwerwiegenden Fällen kann das Gericht die Anklage verwerfen und das Verfahren einstellen626. Keine Verletzung der Rechtsstaatsgarantie liegt hingegen vor, wenn Beweisstücke im Besitz der Staatsanwaltschaft aufgrund von kriminologischen Untersuchungen verbraucht werden und die damit einhergehende "Zerstörung der Proben" erforderlich und angemessen ist, um die Ermittlungen voranzubringen. Der Staatsanwaltschaft obliegt die Beweislast im Strafprozeß. Es muß ihr daher gestattet sein, die erforderlichen Ermittlungen und Untersuchungen durchzuführen. In diesem Rahmen braucht sie nicht von der wissenschaftlichen Untersuchung von Beweisstücken abzusehen, nur um die Zerstörung etwaiger auch entlastender Beweisstücke zu verhindern. In diesen Fällen liegt kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vor 6 2 7 . Die Staatsanwaltschaft handelt nicht in "böser Absicht" 628 im Sinne der "Youngblood"-Voraussetzung.

c) Das Rechtsstaatsprinzip

und die unabhängige Untersuchung von Beweisen

Im Simpson-Fall hat die Staatsanwaltschaft nicht gegen ihre Verpflichtung zur "Brady- Auskunftspflicht" verstoßen, da sie der Verteidigung mitteilte, welche Beweisstücke, die auch potentielle Entlastungsbeweise waren, sich in ihrem Besitz befanden. Die Staatsanwaltschaft bekundete auch ihre Bereitschaft, die Untersuchungsprotokolle und -ergebnisse der Verteidigung mitzuteilen. Die Verteidiger wollten sich hiermit jedoch nicht begnügen, sondern verlangten darüberhinaus von den sichergestellten Blutspuren und Haaren jeweils die Hälfte, um eigene, unabhängige Untersuchungen durchführen zu können. Das Verlangen der Verteidigung ging somit über die " Brady- Aushinftspflicht" hinaus, befand sich aber noch im "Vorfeld" eines " Trombetta/ Youngblood" -Antrags, da die Verteidiger nicht erst abwarten wollten, bis die Beweise verbraucht waren, um dann Sanktionen zu verlangen, sondern sie bereits zuvor einen Anteil der Beweise verlangten.

6 2 5

People v. Griffin, 46 C3d 1011, 1022, 251 CR 643 (1988).

6 2 6

Angedeutet in California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 487, 81 L.Ed.2d 413, 421 (1984). 6 2 7

People v. Griffin, 46 C3d 1011, 1021, 251 CR 643 (1988).

6 2 8

Bad Faith.

192

Β. Die einzelnen Stufen des Verfahrens

Gestützt auf die Rechtsstaatsgarantie gestatten die Gerichte eine Teilung von potentiell entlastenden Beweisstücken, falls die "Proben" groß genug sind, um unabhängige Tests durch beide Parteien zuzulassen. Würde eine Teilung jedoch die erforderlichen und angemessenen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft beeinträchtigen, so kann der Angeklagte nicht die Überlassung eines Anteils der Beweise zu eigenen Untersuchungen verlangen. Der Staatsanwaltschaft obliegt die Beweislast. Ihr muß es daher auch gestattet sein, die erforderlichen Beweise zu beschaffen. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt in diesen Fällen nicht vor 6 2 9 . Der Colorado Supreme Court verlangt jedoch, daß die Staatsanwaltschaft die Verteidigung vor der Durchführung der Untersuchungen benachrichtigt und ihr die Möglichkeit einräumt, eigene Experten bei den Tests als Beobachter anwesend zu haben630. Der Verteidigung wird im Lichte der Rechtsstaatsgarantie entgegengekommen, ohne die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu beeinträchtigen. Im Einklang mit diesen Erfordernissen befanden sich auch die Entscheidungen des Municipal Court Richters und des Superior Court Richters im Simpson Fall 6 3 1 . Die Staatsanwaltschaft vermochte zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, daß die sichergestellten Blutspuren bei den serologischen und genetischen Tests völlig aufgebraucht würden. Um zuverlässige Untersuchungsergebnisse zu erzielen, seien mehrere Tests je Blutprobe erforderlich. Insbesondere die aussagekräftigere "RFLP"-Untersuchungsmethode benötige ausreichend große Testproben. Nachdem jedes einzelne Teststück vor Gericht überprüft worden war, entschied das Gericht, daß die Proben zu klein seien, um die verlangte hälftige Teilung vornehmen zu können. Der Antrag der Verteidiger wurde insoweit abgelehnt. In Übereinstimmung mit den oben genannten Grundsätzen wurde der Verteidigung jedoch gestattet, ihre Experten bei den Untersuchungen als Beobachter anwesend zu haben. Ferner wurde der Verteidigung ein 10 %iger An-

6 2 9

People v. Cooper, 53 C3d 771, 815, 281 CR 90 (1991); People v. Griffin, 46 C3d 1011, 1021, 251 CR 643 (1988). 6 3 0 631

People v. Gomez, 198 Colo. 105 (1979).

Die Verteidigung hatte an beide sukzessiv das Verlangen auf Teilung der Beweise gerichtet.

VIII. Teilung von Beweisen zu eigener Untersuchung

193

teil an den Proben zu eigenen Untersuchungen zugestanden. Von beiden Möglichkeiten machte die Verteidigung jedoch keinen Gebrauch, da diese als völlig ungenügend zurückgewiesen wurden. Die Entscheidung des Gerichts verletzt den Angeklagten nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren, noch in seinem Recht auf Zugang zu den Beweisen. Diese beiden Ausprägungen der Rechtsstaatsgarantie sind hier im Rahmen des tatsächlich Möglichen gewahrt. Denn die Rechtsstaatsgarantie darf es der Staatsanwaltschaft nicht unmöglich machen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Als Gegenstück zur Rechtsstaatsgarantie des Tatverdächtigen ist seit 1990 in der kalifornischen Verfassung ein ausdrückliches Recht der Strafverfolgungsbehörden auf ein rechtsstaatlich, faires Verfahren niedergeschrieben, Art. 1 § 29 l.Hs. Cal.Const. Die sich oftmals entgegenstehenden "Due-Process" Erfordernisse der Tatverdächtigen einerseits und der Strafverfolgungsbehörden andererseits müssen zu einem Ausgleich gebracht werden. Dies ist hier geschehen.

14 Schnabl

C. Rechts vergleichende Zusammenfassung Betrachtet man zusammenfassend die in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten wichtigen Vorentscheidungen, die im Ermittlungsverfahren getroffen werden und später kaum noch zu korrigieren sind, so wird deutlich, daß dieses Verfahrensstadium in der Praxis der weitaus bedeutendste Abschnitt des gesamten Strafverfahrens ist 6 3 2 .

L Zunehmende Bedeutung des Ermittlungsverfahrens aufgrund von Einschränkungen im Hauptverfahren Darüberhinaus ist es wohl nicht übertrieben zu sagen, daß das Ermittlungsverfahren in Zukunft noch mehr Bedeutung erlangen wird, da sowohl im amerikanischen als auch im deutschen Recht Bestrebungen im Gange sind, das Hauptverfahren zu entlasten und die Hauptverhandlung zu verkürzen.

1. Beweisantragsrecht Beispielsweise ist auf die Diskussion hinzuweisen, das Beweisantragsrecht zu beschränken, um Verfahrensverschleppungen zu verhindern 633. Um solche Beschränkungen des Hauptverfahrens legitimieren zu können, wird im Ermittlungsverfahren ein Ausgleich zu schaffen sein, damit die rechtsstaatliche Qualität des Strafverfahrens auch weiterhin gesichert bleibt.

6 3 2 Dies wird auch in Deutschland heute kaum mehr bestritten, vgl. nur Wolter, in Systematischer Kommentar zur Strafprozeß Ordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, vor § 151 Rdn. 57 ff. (1990).

Auch der Simpson Verteidiger Alan Dershowitz geht in seinem Buch Reasonable Doubts. The Ο. J. Simpson Case and the Criminal Justice System, davon aus, daß die wesentlichen Grundlagen für das Urteil schon im Vorfeld der Hauptverhandlung festgelegt wurden; vgl. hierzu Herz, NJW 1997, 1138. 6 3 3

Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang nur auf das im Auftrag des Bundesjustizministeriums erstellte Gutachten von Perron zur Beweisaufnahme im Strafverfahrens recht des Auslands, aus welchem bereits mehrfach zitiert wurde.

II. Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren

195

2. Unmittelbarkeitsgrundsatz In beiden Rechtsordnungen ist der Unmittelbarkeitsgrundsatz eine der wesentlichsten Verfahrensmaximen des Strafprozesses. Es wurde bereits erörtert, daß dieses Prinzip im amerikanischen Strafprozeß noch wesentlich restriktiver durchgehalten wird als im deutschen. Während hier beispielsweise ein Zeuge vom Hörensagen in der Hauptverhandlung ein zulässiges Beweismittel ist, § 250 StPO, und darin kein Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz gesehen wird, war der Beweis vom Hörensagen634 bisher im amerikanischen Recht weitgehend verboten. Unmittelbares Beweismittel sei nur die Person, von welcher die Äußerung selbst stamme. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird jedoch in zunehmenden Maße eingeschränkt durch immer neue Ausnahmen von der sog. "hearsay"-Regel635. Aufgrund von Gesetzesinitiativen können nunmehr Vernehmungsbeamte oder gar die bloßen Vernehmungsprotokolle als zulässige Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt werden 636. Ein strenges Unmittelbarkeitsprinzip sollte ursprünglich als Korrelat zu dem Mangel an Verteidigungsrechten während des Ermittlungsverfahren dienen. Wird der Unmittelbarkeitsgrundsatz in der Hauptverhandlung beschränkt, so ist es um so wichtiger, einen Ausgleich hierfür im Ermittlungsverfahren zu schaffen. Denn in dieser Stufe des Verfahrens werden die Beweise gewonnen, die im Hauptverfahren dann verwertet werden. Durch entsprechende Ausgestaltung der Verfahrensregeln ist die Qualität dieser Beweise sicherzustellen. Vor allem aber wird eine stärkere Beteiligung des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers bei der Erhebung von Beweisen im Ermittlungsverfahren nötig werden. Dies gilt sowohl für das amerikanische als auch für das deutsche Strafverfahren.

I I . Anwesenheitsrechte im Ermittlungsverfahren In beiden Verfahrensordnungen ist die Staatsanwaltschaft bei der Gestaltung des Ermittlungsverfahrens völlig frei 6 3 7 . Werden Zeugen von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft vernommen, so hat weder im kalifornischen noch im

6 3 4

Cal. Evid. Code § 1200.

6 3 5

Cal. Evid. Code § 1200 (b).

6 3 6

Vgl. Thaman, Landesbericht USA, in Perron, S. 399 ff.

6 3 7 § 161 StPO; für das amerik. Recht vgl. Thaman, Landesbericht USA, in Perron, S. 390.

14*

196

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

deutschen Recht der Beschuldigte oder sein Verteidiger ein Anwesenheitsrecht. Während im deutschen Recht nach noch immer herrschender Auffassung dem Verteidiger bei einer polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten kein Teilnahmerecht zusteht638, ist dies dem Verteidiger im amerikanischen Ermittlungsverfahren gestattet639. In der Praxis der deutschen Ermittlungsverfahren erreichen die Beschuldigten dieses Ergebnis zumeist auch, indem sie sich darauf berufen, nur bei Anwesenheit ihres Verteidigers Angaben zu machen. Der Gesetzgeber sollte sich dieser Entwicklung nicht verschließen und den Verteidigern bereits bei den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen ein Anwesenheitsrecht einräumen. Es ist nicht erkennbar, daß in amerikanischen Verfahren weniger Straftaten aufgeklärt werden, nur weil ein Verteidiger anwesend war.

I I I . Akteneinsichts- und Auskunftsrechte In engem Zusammenhang mit der Frage einer Beteiligung des Beschuldigten an Vernehmungen während des Ermittlungsverfahrens steht das Akteneinsichtsrecht. Dieses ist von zentraler Bedeutung für eine effektive Verteidigung. Erst durch die umfassende Kenntnis der Ermittlungsunterlagen erfahrt der Verteidiger, was dem Beschuldigten im Einzelnen angelastet wird und auf welchen Umständen diese Vorwürfe beruhen. Zwar ist es sicherlich richtig, daß es gerade im amerikanischen Strafverfahren besonders wichtig ist, daß die Verteidigung möglichst frühzeitig und umfassend Einsicht in die Ermittlungsunterlagen erhält, da sich die Parteien als Gegner gegenüberstehen und es allein Aufgabe der Verteidigung ist, die Belastungsbeweise zu entkräften und Entlastungsbeweise zu finden. Das sog. Erfordernis der Waffengleichheit gebietet es jedoch gerade auch in Ländern mit instruktcrischer Verfahrensstruktur, der Verteidigung möglichst frühzeitig Akteneinsicht zu gewähren. Ziel des Ermittlungsverfahrens ist es hier, den Sachverhalt umfasssend aufzuklären und die materielle Wahrheit zu erforschen. Die Parteien stehen sich hier nicht als Gegner gegenüber, sondern die Staatsanwaltschaft hat auch entlastende Umstände zu ermitteln. Häufig kennt jedoch keiner diese Umstände besser als der Beschuldigte selbst bzw. sein Verteidiger. Durch eine frühzeitige Akteneinsicht können Lücken in den Entlastungsbeweisen eher geschlossen werden. Letztlich dient dies gerade der Erforschung des wahren Sachverhalts. 6 3 8

Kleinknecht!Meyer-Goßner,

6 3 9

Miranda ν. Arizona, 384 U.S. 436, 16 L.Ed. 694 (1966).

§ 163 Rn. 16, m.w.N.

III. Akteneinsichts- und Auskunftsrechte

197

Vergleicht man die Rechtslage zur Akteneinsicht in den beiden Rechtsordnungen, so fällt einem sofort auf, daß in der deutschen StPO die Akteneinsicht in einem einzigen Paragraphen geregelt ist, § 147 StPO, während die Regeln über die Akteneinsicht im kalifornischen Penal Code acht äußerst detailierte Paragraphen umfassen 640. Hinzu kommt noch eine sehr umfangreiche Rechtsprechung, in der weitere verbindliche Regeln über Art, Umfang und Zeitpunkt der Auskunftserteilung und Akteneinsicht festgelegt sind. Die Gesetzgebung und Rechtsprechung in Amerika ist sich der Bedeutung der Einsicht in die Ermittlungsunterlagen wesentlich bewußter als dies bisher in Deutschland der Fall ist. Der kalifornische Gesetzgeber ging nunmehr noch einen Schritt weiter, indem er 1990 mit der Gesetzesinitiative 115 auch eine Auskunftserteilungspflicht der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft einführte 641. Der dahinterstehende Gedanke war, "Waffengleichheit" zwischen den Parteien herzustellen. Wenn die Verteidigung die Beweise der Staatsanwaltschaft kennt, so solle die Staatsanwaltschaft zumindest auch diejenigen Beweise der Verteidigung kennen, die diese vor den Geschworenen präsentieren werde. So systemgerecht das Argument der Waffengleichheit im amerikanischen, adversarischen Verfahren auf den ersten Blick erscheint, so ist es gleichwohl bei näherer Betrachtung fraglich, ob die gegenseitige Auskunfterteilungspflicht tatsächlich zu einer Waffengleichheit führt oder nicht vielmehr den Ermittlungsbehörden Verfahrensvorteile verschafft. Die Ermittlungsbehörden verfügen über die wesentlich größeren Resourcen an Personal und Sachmitteln. Sie können spezialisierte Polizeieinheiten einsetzen, haben eigene kriminaltechnische Abteilungen und Labors, sämtliche staatlichen Datenbanken stehen ihnen zur Verfügung und vieles mehr. Dem steht ein einzelner Verteidiger gegenüber, im besten Falle ein Verteidigerteam. In den meisten Fällen haben die Beschuldigten sogar nur einen bestellten Verteidiger 642. Auch diese Anwälte sind meist engagiert, doch rein aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage, umfangreiche eigene Ermittlungen durchzuführen, da sie häufig sehr viele Mandanten gleichzeitig zu betreuen haben. Nur in Ausnahmefallen, wozu auch der Simpson Fall gehört, kann es sich ein sehr reicher Beschuldigter leisten, mehrere Verteidiger zu bezahlen, die sich intensiv mit seinem Fall befassen. Das Simpson-Verteidigerteam hatte mehrere Privatdetektive angeheuert, um Entlastungsmaterial zu sammeln. Ferner ließen sie kriminaltechnische Untersuchungen von eigenen Sachverständigen vornehmen. Laut Zeitungsberichten beliefen sich daher auch die 6 4 0

§§ 1054 - 1054.7 P.C.

641

§ 1054.3 P.C.; Art. 1, § 30(c) Cal. Const.

6 4 2

Public Defender.

198

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

Verteidigungskosten auf mindestens fünf Millionen US-Dollar. Kosten, die der Beschuldigte aus eigener Tasche zufinanzieren hatte 643 . Im Ergebnis haben damit die Ermittlungsbehörden einen erheblichen Vorteil in der Beschaffung von Belastungsmaterial, welcher nunmehr durch die Pflicht der Verteidigung, ihre Entlastungsbeweise bereits im Ermittlungsverfahren offenzulegen, noch vergrößert wird. Die Staatsanwaltschaft kann sich damit frühzeitig auf das Verteidigervorbringen einstellen und durch ergänzende Ermittlungen noch versuchen, die Entlastungsbeweise zu erschüttern. Eine entsprechende Forderung nach einer Auskunftspflicht der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft wurde bisher hierzulande noch nicht ernsthaft erhoben. Sie wäre aus den genannten Gründen, die ebenso für das deutsche Strafverfahren gelten, auch nicht sinnvoll. Auch die von der amerikanischen Rechtsprechung gebilligten und von den Verteidigern in der Praxis durchaus häufig erhobenen Anträge z.B. auf Aushändigung der Personalunterlagen eines Polizeibeamten oder auf sonstige Unterlagen, aus denen sich eine einseitige Strafverfolgungspraxis ergäbe 644, haben bisher in diesem Umfang in der deutschen Rechtsprechung und Praxis keinen Eingang gefunden. Insofern läßt sich mit Sicherheit sagen, daß die amerikanischen Strafverteidiger die zentrale Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den Ausgang des Verfahrens erkannt haben und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten in wesentlich größeren Umfang nutzen als ihre deutschen Kollegen. Im Simpson-Fall spielte die Einsicht der Verteidigung in die Personalakten des Polizisten Mark Fuhrman eine entscheidende Rolle, um die Behauptung einer rassistisch motivierten Ermittlungsarbeit durch diesen Polizisten zu untermauern. Letztlich waren diese Anschuldigungen wohl mitursächlich, daß die überwiegend aus Schwarzen bestehende Jury auf Freispruch erkannte.

6 4 3 Ein mittelloser Beschuldigter kann zwar in Kalifornien die Bezahlung eines Sachverständigen, § 730 Cal. Evid. Code, und in Todesstrafenverfahren auch die eines Privatdetektivs, § 987.9 P.C., bei Gericht beantragen. Die Entscheidung hierüber liegt jedoch im Ermessen des Richters und diese verhalten sich sehr zurückhaltend, insbesondere wenn es um die Finanzierung privater Ermittler geht, vgl. hierzu auch Thaman, Länderbericht USA, in Perron, S. 423. 6 4 4

Pitchess-Motion bzw. Murgia-Motion, vgl. hierzu oben VII. 2. a) aa), b) aa).

IV. Präklusion von Beweisen

199

I V . Präklusion von Beweisen Da die eben dargestellten Offenlegungs- und Herausgabepflichten der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft dieser nunmehr bereits auf der Ebene des Ermittlungsverfahrens einen erheblichen Vorteil verschaffen, stellt sich die Frage, ob es für die Verteidigung nicht günstiger ist, die Offenlegung zu verweigern und etwaige Sanktionen hinzunehmen. Die Sanktionsmöglichkeiten, die dem Gericht zur Verfügung stehen, sind jedoch so einschneidend, daß kein Verteidiger sie in Kauf nehmen wird. Je nach der Schwere und Vorwerfbarkeit des Verstoßes stehen dem Gericht mehrere Sanktionen zu Verfügung, § 1054.5 (b)(c) P.C.: Anordnung der sofortigen Offenlegung des Beweismaterials mit der Konsequenz der Einleitung eines Verfahrens wegen Mißachtung des Gerichts, falls der Anordnung nicht Folge geleistet wird; Vertagung der Hauptverhandlung, um der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zu geben, die Beweismittel zu widerlegen; Unterweisung der Geschworenen, daß die Verteidigung gegen das Gesetz verstoßen habe oder gar als schwerwiegendste Konsequenz völliger Ausschluß des betroffenen Beweises645. Eine solche Präklusion von Beweisen ist dem deutschen Verfahrensrecht fremd. Überdies ist bemerkenswert, daß es hier nicht nur um solche Beweise geht, die in der Hauptverhandlung verspätet vorgebracht werden. Die Präklusion wird bereits auf verspätet vorgebrachte Beweise im Ermittlungsverfahren vorverlagert. Soweit im deutschen Strafverfahrensrecht eine zeitliche Beschränkung des Beweisantragsrechts gefordert wird, geht es in der ganz überwiegenden Zahl der Reformvorschläge um in der Hauptverhandlung verspätet vorgebrachte Beweise646. Diese bereits sehr früh ansetzende Präklusion macht erneut die besondere Bedeutung des Ermittlungsverfahrens im kalifornischen Recht deutlich. Zugleich kommen hier die unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Strafverfahrenssysteme zum Ausdruck. Während das deutsche Strafverfahren der Ermittlung der materiellen Wahrheit dient und daher der Ausschluß gerade eines Entlastungsbeweises undenkbar erscheint, betont das amerikanische Recht den verfahrensrechtlichen Aspekt der Waffengleichheit der beiden Parteien. Die Integrität des adversarischen Verfahrens steht über der materiellen Wahrheitsfindung. 6 4 5

Der völlige Ausschluß des Beweises ist jedoch ultima ratio und darf erst dann angewandt werden, wenn alle anderen Sanktionen ausgeschöpft sind, § 1054.5 (c). 6 4 6

In die Bundesratsnovelle zur Strafprozeßreform vom 1. März 1996 wurde eine Präklusion von in der Hautverhandlung verspätet gestellten Beweisanträgen entgegen den Vorschlägen einiger Bundesländer nicht aufgenommen.

200

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

V. Fristen im Vorverfahren und das Beschleunigungsgebot In einem weiteren wichtigen Punkt, der für den Verfahrensfortgang von wesentlicher Bedeutung ist, unterscheidet sich das amerikanische Vorverfahren vom deutschen. Nach dem amerikanischen Recht sind der Staatsanwaltschaft nur äußerst knapp bemessene Fristen eingeräumt, innerhalb derer gegenüber einem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten die weiteren Verfahrensschritte einzuleiten sind. Zwischen der ersten Vorführung nach der Verhaftung und dem Beginn der Voranhörung dürfen nur 10 Gerichtstage liegen, § 859 b S.3 P.C. 6 4 7 . Anschließend ist innerhalb von 15 Tagen die Anklage beim Superior Court einzureichen, § 739 P.C. Plädiert der Angeklagte auf nicht schuldig, so muß innerhalb von 60 Tagen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt werden, § 1049.5 P.C. Diese sehr kurzen Zeiträume, um die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und sämtliche Beweise aufzuspüren, sind Ausfluß des Verfassungsgrundsatzes des beschleunigten Verfahrens, Art. 1 § 15 S.l Cal. Const., 6. Zusatzartikel i.V.m. dem 14. Zusatzartikel der U.S. Verfassung. Das deutsche Strafverfahrensrecht kennt keine solchen Fristen innerhalb derer Anklage zu erheben ist. Lediglich die Vorschriften der §§ 117 III und 121 I StPO enthalten 3 bzw. 6-Monats-Fristen. Über diese wird im deutschen Recht das ebenfalls aus Verfassungsgrundsätzen abgeleitete Beschleunigungsgebot in das Vorverfahren eingebracht. Obgleich der Bundesgerichtshof strenge Maßstäbe an eine Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anlegt, sind diese jedoch deutlich länger als die genannten amerikanischen Fristen. Diese kurzen Fristen legen nicht nur den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden eine erhebliche Bürde auf. Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo die Staatsanwaltschaften auch die Entlastungsbeweise zu erheben haben, ist dies im amerikanischen Strafverfahren die alleinige Aufgabe der Verteidigung. Hat das Hauptverfahren innerhalb der genannten kurzen Fristen zu beginnen, so muß auch die Verteidigung bereits zu diesem Zeitpunkt ihre eigenen Ermittlungen und die Erhebung von Entlastungsbeweisen abgeschlossen haben. Zwar ist es theoretisch auch noch während eines umfangreicheren Hauptverfahrens möglich, weiterhin parallel hierzu Entlastungsbeweise zu ermitteln; diese Bemühungen werden jedoch in der Praxis an der begrenzten Arbeitskapazität und der Doppelbelastung scheitern. Der

6 4 7

s. ο. V. 1.

VI. Die Voranhörung als Kernstück des Vorverfahrens

201

Verteidiger kann nur in Ausnahmefällen seinen Mandanten zugleich vor Gericht verteidigen und parallel hierzu eigene Ermittlungen durchführen. Aufgrund dieses im Beschleunigungsgebot einerseits und im adversarischen Verfahrensprinzip andererseits angelegten Dilemmas sind die meisten Verteidiger bereit, auf die Einhaltung der kurzen Fristen bis zum Hauptverfahren zu verzichten und sich dadurch selbst mehr Zeit zur Vorbereitung zu verschaffen. Das deutsche Recht geht einen anderen Weg. Zwar ist auch hier das Beschleunigungsgebot ein wesentlicher Grundsatz. Den Ermittlungsbehörden sind jedoch keine absoluten Fristen bis zur Anklageerhebung auferlegt, vielmehr kann die Untersuchungshaft unter den in § 121 I StPO genannten Gründen über sechs Monate fortdauern. Ausdrücklich ist die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen genannt. In den Rahmen dieser Ermittlungen fallt, im Gegensatz zum amerikanischen Recht, auch die Pflicht, die entlastenden Umstände zu ermitteln. Das deutsche Verfahrensrecht scheint daher das Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege einerseits und das Beschleunigungsgebot und das Freiheitsinteresse andererseits angemessen abzugleichen. Auch hier darf jedoch nicht übersehen werden, daß, wie bereits mehrfach betont, die deutschen Verfahrensregeln auf die Wahrheitsfindung ausgerichtet sind, während es im amerikanischen Verfahren nicht auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit ankommt, sondern das Strafverfahren als Wettstreit zwischen Gegnern angesehen wird. Die Strafverfahrensregeln liefern nur den Rahmen, um die Fairneß zu gewährleisten und um sicherzustellen, daß keine Partei benachteiligt wird. In diesem Zusammenhang ist die dargestellte Problematik zu sehen. Legt man diese Prämisse zugrunde, so sind auch die genannten amerikanischen Verfahrensregeln sachgerecht.

V I . Die Voranhörung als Kernstück des Vorverfahrens In dieser zusammenfassenden Darstellung sollen schließlich die bereits angesprochenen Vorteile der Voranhörung im amerikanischen Vorverfahren nicht ungenannt bleiben.

1. Vom Gericht des Haupt Verfahrens unabhängige Kontrollinstanz Im Gegensatz zum deutschen Recht, wo das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht nach § 199 StPO auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet, ist dies nach amerikanischen Recht eine vom Gericht des Hauptverfahrens unabhängige Instanz. Entweder entscheidet ein Magistrate

202

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

im Rahmen einer Voranhörung über die Zulassung der Anklage oder, in selteneren Fällen, eine aus Laien zusammengesetzte Grand Jury. In beiden Fällen hat dies den Vorteil, daß eine neutrale Instanz vorab prüft, ob überhaupt hinreichende Tatsachen für die Erhebung der Anklage vorliegen. Erst wenn dies bejaht wird, wird der Superior Court mit der Durchführung des Hauptverfahrens befaßt. Auch nur der bloße Anschein einer vorgefaßten Meinung kann auf diese Weise nicht entstehen. Dies ist ein Vorteil gegenüber der deutschen Rechtlage.

2. Anwesenheitsrechte, mündliche Verhandlung und Kreuzverhör der Zeugen Darüberhinaus werden durch die Voranhörung auch die Interessen des Beschuldigten stärker geschützt, als dies nach der deutschen Rechtslage der Fall ist. Nach § 201 StPO wird hier lediglich die Anklageschrift dem Angeschuldigten mitgeteilt und diesem die Möglichkeit gegeben, Einwendungen vorzubringen. Danach entscheidet das für das Hauptverfahren zuständige Gericht im Büroweg über die Eröffnung des Hauptverfahrens, § 203 StPO. Demgegenüber ist die Voranhörung nach amerikanischen Recht als öffentliches, kontradiktorisches Verfahren ausgestaltet. Der Beschuldigte hat ein Recht auf anwaltlichen Beistand. Auch hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Ermittlungsverfahren, wonach nur unter den erheblich strengeren Voraussetzungen des § 140 StPO ein Verteidiger zu bestellen ist. Der Beschuldigte hat bei der amerikanischen Voranhörung ein Anwesenheitsrecht. Die Staatsanwaltschaft muß ihre Beweise, zumindest soweit dies zur Begründung des hinreichenden Tatverdachts notwendig ist, vorlegen. Dem Beschuldigten steht das Recht auf ein Kreuzverhör der Zeugen zu. Ferner kann der Beschuldigte auch eigene Zeugen oder entlastende Beweise präsentieren. Dadurch ist es ihm wesentlich früher als im deutschen Strafverfahren möglich, Erkenntnisse über die wesentlichen, gegen ihn vorliegenden Beweise zu erlangen und unter Umständen auch Einblicke in die Verfahrenstaktik der Staatsanwaltschaft zu gewinnen. Demgegenüber hat nach deutschem Recht nur der Verteidiger ein Recht auf Akteneinsicht und dies, sofern der Untersuchungszweck gefährdet würde, auch erst nach Abschluß der Ermittlungen, § 147 II StPO, also erst unmittelbar vor Erhebung der öffentlichen Klage. Die Zeugen bekommt der Angeklagte in einem Verfahren vor einem deutschen Gericht erst in der Hauptverhandlung zu Gesicht. Die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit der persönlich anwesenden Zeugen bereits während der Voranhörung zu beurteilen, hat ein deutscher Angeklagter nicht.

VII. Eingeschränkte Möglichkeiten der Beweiserhebung

203

Diese Vorteile eines Beschuldigten im amerikanischen Vorverfahren werden jedoch in jüngster Zeit erheblich beschnitten. Aufgrund der Gesetzesinitiative 115 wurde in den kalifornischen Penal Code der § 872 (b) eingefügt, wonach die Staatsanwaltschaft nunmehr befugt ist, in der Voranhörung vom "HörenSagen-Beweis" Gebrauch zu machen. Dies geschieht in der Praxis auf die Weise, daß nur noch der ermittelnde Polizeibeamte als Zeuge präsentiert wird, welcher dann über das Ergebnis seiner Ermittlungen berichtet. Im Ergebnis fällt damit ein Teil der oben genannten Vorteile der Voranhörung weg. Es bleibt jedoch der Vorteil einer unabhängigen, gerichtlichen Kontrollinstanz, welche nicht identisch ist mit dem Gericht des Hauptverfahrens. Eine solche Regelung sollte auch in das deutsche Strafverfahren Eingang finden. Zu denken wäre an eine Erweiterung der Aufgaben des Ermittlungsrichters dergestalt, daß dieser über die Zulassung der Anklagen zu entscheiden hätte. Dadurch könnte bereits der Personenidentität mit Richtern des Hauptverfahrens abgeholfen werden.

V I I . Eingeschränkte Möglichkeiten der Beweiserhebung durch die Verteidigung im Ermittlungsverfahren 1. Im US-amerikanischen Recht Die im Rahmen des amerikanischen Ermittlungsverfahrens zentrale Aufgabe des Verteidigers, die Entlastungsbeweise zu ermitteln, wird in der Praxis dadurch erschwert, daß er auf die freiwillige Kooperation der Zeugen angewiesen ist. Die Zeugen haben keine Verpflichtung, ihm gegenüber Angaben zu machen. Zwar gilt dies auch gegenüber der Staatsanwaltschaft, diese verfügt aber über ganz andere Möglichkeiten, diesen Nachteil wett zu machen. Die Resourcen der Staatsanwaltschaft und Polizei an Personal, Ermittlungsbeamten, technischen Mitteln und zusammenarbeitenden Behörden übertreffen bei weitem diejenigen eines einzelnen Verteidigers oder auch einmal eines Verteidigerteams. Hinzu kommt, daß die Staatsanwaltschaft von den Ermittlungsbefügnissen der Grand Jury Gebrauch machen kann, wenn sie in bestimmten Fällen auf die Aussage eines ansonsten nicht kooperationsbereiten Zeugen nicht verzichten will. Die Grand Jury kann Zeugen vorladen lassen, §§ 932.2., 1326.2 P.C. Diese sind dann zum Erscheinen und zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Die Mißachtung der Vorladung hat zivil- oder strafrechtliche Folgen. Die Zeugen sagen unter Eid aus 648 . Da das Grand

6 4 8

s. ο. IV. 2. b).

204

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

Jury Verfahren ein geheimes Verfahren ohne Anwesenheitsrecht des Beschuldigten oder seines Verteidigers ist, können diese dementsprechend auch nicht die Vorladung von (Entlastungs-) Zeugen verlangen. Um so wichtiger ist daher auch hier die Voranhörung für den Verteidiger 649 . Dieser kann eigene Zeugen benennen, die dann vom Magistrate vorgeladen werden. Die Zeugen sind zum Erscheinen verpflichtet und sagen unter Eid aus. Jedoch hat eine solche zwangsweise Vorladung von widerstrebenden Zeugen nur einen beschränkten Wert für die Verteidigung. Diese geht ein erhebliches Risiko ein, wenn sie Zeugen vorladen und damit zur Aussage zwingen läßt, ohne den Inhalt dieser Aussagen zu kennen. Die Verteidigung wird daher nur in ganz besonders gelagerten Fällen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Im Ergebnis ist die Verteidigung, was die Ermittlung von Entlastungsbeweisen betrifft, faktisch in einer deutlich schlechteren Ausgangslage als die Staatsanwaltschaft. Während nach der Verfassung und den Verfahrensgesetzen der Grundsatz der Waffengleichheit herrschen soll, wird die Praxis dieser Anforderung nicht gerecht.

2. Im deutschen Recht Ebenso ist im deutschen Ermittlungsverfahren das Recht des Beschuldigten oder seines Verteidigers auf die Erhebung von Entlastungsbeweisen oder die Vernehmung von Zeugen schwach ausgeprägt. Zwar ist der Beschuldigte bei seinen polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vernehmungen ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß er einzelne Beweiserhebungen beantragen könne, §§ 136 Abs. 1 S.3, 163 a Abs. 3, 4 S.2 StPO, die Beweise werden jedoch nur dann erhoben, wenn sie von Bedeutung sind, § 163 a Abs. 2 StPO. Der Staatsanwaltschaft steht damit ein Ermessensspielraum zu. Der Beschuldigte hat keinen Beweiserhebungsanspruch. Soweit es um die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen geht, gibt das deutsche Stafverfahrensrecht den Staatsanwaltschaften sogar deutlich weitergehende Befugnisse als den amerikanischen. Nach § 161 a Abs. 1 StPO sind Zeugen und Sachverständige verpflichtet, auf Ladung vor der Staats-

6 4 9

Sofern eine solche überhaupt durchgeführt wird; hat die Grand Jury auf Initiative der Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben, darf nach kalifornischem Recht keine Voranhörung mehr durchgeführt werden, Art. 1 § 14.1 Cal. Const.

VIII. Zentrale Rolle des Rechtsstaatsprinzips

205

anwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Bei unberechtigtem Ausbleiben sind Zwangsmittel vorgesehen, § 161 a Abs. 2 StPO. Die im amerikanischen und im deutschen Ermittlungsverfahren im Vergleich zur Verteidigung wesentlich weitergehenden Rechte der Staatsanwaltschaft lassen sich zwar mit der Notwendigkeit einer effektiven Strafverfolgung rechtfertigen, entsprechen aber nicht dem Prinzip der Waffengleichheit als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips. Zwar ist die Waffengleichheit von besonderer Bedeutung im Hauptverfahren, um ihr jedoch vollständig gerecht zu werden, muß sie bereits auf das Ermittlungsverfahren ausstrahlen. Ein Ziel zukünftiger Reformen des Strafverfahrens sollte es daher sein, dieses Prinzip schon im Ermittlungsverfahren zu verwirklichen. Denn das Ermittlungsverfahren hat, wie gezeigt, entscheidende Bedeutung für das Hauptverfahren.

V I I I . Zentrale Rolle des Rechtsstaatsprinzips in beiden Verfahrensordnungen Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Rechtsstaatsprinzip in beiden hier zu vergleichenden Vorverfahren eine zentrale Rolle einnimmt. Ziel sowohl der amerikanischen (kalifornischen) als auch der deutschen Regeln für das Ermittlungsverfahren ist es, ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten, das auf rechtsstaatlichen Grundsätzen beruht. Ausgehend von diesem Grundprinzip bemühen sich beide Rechtsordnungen, einen Ausgleich zwischen den Persönlichkeits- und Freiheitsrechten des Beschuldigten einerseits und dem Erfordernis einer effektiven Strafverfolgung andererseits zu schaffen. Trotz der immer bestehenden Möglichkeit, an einigen Punkten kritisch anzusetzen und Verbesserungsvorschläge zu diskutieren, ist es nicht übertrieben, zu sagen, daß beide Strafverfahrensordnungen dem genannten Ziel sehr nahe kommen. Zu betrachten ist nämlich jeweils das Strafverfahren als einheitliches und aufeinander abgestimmtes Ganzes. Ebenso wenig wie man einzelne, "unbefriedigend" verlaufene Verfahren herausgreifen und daraus Rückschlüsse auf das ganze System ziehen kann, so sollte man es vermeiden, einzelne Regelungen aus dem Kontext des Gesamtverfahrens herauszureissen. Mit der vergleichenden Gegenüberstellung des amerikanischen Ermittlungsverfahrens mit dem deutschen sollte gezeigt werden, daß, mögen auch die Einzelregelungen stark voneinander abweichen, die Gesamtheit der Verfahrensregeln zu sehen ist und sich hieraus ergibt, daß beide letztlich dem gleichen Ziel, dem Rechtsstaatsprinzip, verpflichtet sind.

206

C. Rechtsvergleichende Zusammenfassung

IX. Ausblick Ein ganz wesentlicher, wenn nicht alles andere übersteigender Gesichtspunkt kommt hinzu. Ein Strafverfahrenssystem kann nur so gut sein, wie die Personen, die es anwenden. Auch die beste Strafverfahrensordnung nützt nichts, wenn sie nur auf dem Papier steht und die Organe, die zu ihrer Durchführung bestimmt sind, die ihnen zur Verfügung stehenden Befugnisse in einem ganz anderen Sinn (miß-) brauchen. Gerade im Ermittlungsverfahren, wo nicht die gleiche gerichtliche Kontrolle möglich ist wie im Hauptverfahren, aber oftmals weitreichende Eingriffe in die Freiheits- und Eigentumsrechte erforderlich werden, haben die Verfahrensbeteiligten durch strikte Anwendung der Verfahrensregeln nicht nur ihrem Wortlaut sondern auch ihrem Sinn nach zur Verwirklichung der Verfahrensfairneß beizutragen.

D. Hauptverfahren und Urteil In den einleitenden Kapiteln wurde das Ermittlungsverfahren als dasjenige Verfahrensstadium bezeichnet, in dem die Weichen für die Hauptverhandlung gestellt werden. Betrachtet man das Vorverfahren gegen 0. J. Simpson unter Berücksichtigung der doch erheblich zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Beweislage und der Tatsache, daß nahezu alle Anträge der Verteidigung auf Unterdrückung der Belastungsbeweise abgelehnt wurden, so mag der Ausgang des Prozesses überraschen. Der Angeklagte wurde von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen. Nach der Einschätzung der beteiligten Polizeibeamten und Staatsanwälte waren die Belastungsbeweise derart zahlreich und erdrückend, daß diese ausgereicht hätten, um fünf Angeklagte zu verurteilen. Diese Formulierung bringt die Auffassung der Ermittlungsbehörden zum Ausdruck, wonach andere Faktoren als die im Ermittlungsverfahren gesammelten Beweise den Ausgang des Prozesses beeinflußt hatten. Der Frage, ob dies tatsächlich der Fall war oder ob hierfür zumindest Anhaltspunkte bestehen, wird im Folgenden in der gebotenen Kürze nachzugehen sein.

I. Der weitere Prozeßverlauf Nach Abschluß des Vorverfahrens begann am 26.09.1994 das Hauptverfahren mit der Geschworenenauswahl. Nachdem über 1.000 Personen eine Vorladung erhalten hatten, fanden sich an diesem Tag die ersten 219 ein. Da das Hauptverfahren im Zentraljustizgebäude durchgeführt werden sollte, waren die Geschworenen aus Bürgern mit Wohnsitz im innerstädtischen Bereich von Los Angeles auszuwählen. Die Mehrzahl der vorgeladenen Personen wurde bereits bei Beginn wieder entlassen, da diese geltend machten, die Tätigkeit als Geschworene würde für sie eine besondere Härte aufgrund beruflicher, familiärer oder sonstiger Nachteile darstellen. Die verbliebenen Personen mußten einen 75 Seiten umfassenden Fragenkatalog650 ausfüllen. Die darin enthaltenen Fragen waren von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft ausgewählt und sodann dem Gericht vorgelegt worden. Die Verteidigung und Staatsanwaltschaft wollte hierdurch möglichst viele 6 5 0

Questionnaire.

208

D. Hauptverfahren und Urteil

Informationen über die zukünftigen Geschworenen sammeln. Jede der beiden Parteien war darauf bedacht, diejenigen Personen herauszufinden, die ihrer Seite zugeneigt waren. Anschließend wurden die verbliebenen 309 potentiellen Geschworenen einem sogenannten "voir-dire" Verfahren, d.h. einer Einzelbefragung, unterzogen. 651 Am 02.11.1994 betrug die Zahl der potentiellen Geschworenen nur noch 42, nachdem alle übrigen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Voreingenommenheit vom Gericht entlassen worden waren. Sämtliche Personen, die eingeräumt hatten, bereits vorab Presseveröffentlichungen oder Fernsehberichte über den Simpson Fall verfolgt zu haben, waren sogleich entlassen worden. Nur diejenigen, die glaubhaft beteuern konnten, allenfalls wenig über das bisherige Verfahren gehört zu haben, durften in der Gruppe der potentiellen Geschworenen verbleiben. Beiden Parteien stand nunmehr das Recht zu, jeweils bis zu zwanzig potentielle Geschworene ohne Angabe von Gründen abzulehnen652, § 231 (a) P.C. Am 03.11.1994 schließlich waren die zwölf Geschworenen, die das Urteil gegen O. J. Simpson sprechen sollten, bestimmt. Anschließend mußten noch die zwölf Ersatzgeschworenen ausgewählt werden. Nachdem noch zahlreiche Verfahrensanträge entschieden worden waren, begann am 24.01.1995 das eigentliche Hauptverfahren mit den Eröffnungsplädoyers zunächst der Staatsanwaltschaft, sodann der Verteidigung. Die Parteien stellten darin ihre Version des Falles dar, wobei sie insbesondere einen Überblick darüber verschafften, was sie durch ihre Zeugen zu beweisen beabsichtigten. In den sich anschließenden fünf Monaten präsentierte die Staatsanwaltschaft ihre Beweismittel und Zeugen. Als sie schließlich am 07.07.1995 ihre Beweisaufnahme für vorläufig abgeschlossen erklärte, waren 58 Zeugen vernommen worden. Während dieser Zeit waren ferner 10 Geschworene entlassen worden, da Umstände bekannt geworden waren, die Zweifel an deren Unbefangenheit hatten aufkommen lassen. Zum Beispiel wurde bekannt, daß ein Geschworener sich vom selben Arzt wie Simpson hatte behandeln lassen, dies jedoch verschwiegen hatte. Eine andere Geschworene hatte nicht angegeben, in der Vergangenheit bereits einmal Opfer einer tätlichen Auseinandersetzung innerhalb der Familie geworden zu sein. Ein weiterer Geschworener hatte angeblich bereits mit einem Verlag über die Veröffentlichung eines Buches über den Prozeß verhandelt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung beschuldigten sich wechselseitig, die Geschworenen auszu651 Nach § 223 California Code of Civil Procedure (CCP) soll das Gericht die Befragung durchführen, das Gericht kann den Parteien jedoch gestatten, ergänzende Fragen zu stellen. 6 5 2

Peremptory Challenges.

II. Schuldig jenseits eines vernünftigen Zweifels?

209

forschen und dadurch die Entlassung vermeintlich nachteiliger Geschworener zu erreichen. Die entlassenen Geschworenen mußten durch Ersatzgeschworene ersetzt werden. Als die Verteidigung begann, ihre Entlastungszeugen zu präsentieren, waren damit nur zwei Ersatzgeschworene verblieben. Es bestand die Gefahr, daß bei einer Entlassung von drei weiteren Geschworenen der Prozeß platzen könnte. Nach kalifornischem Recht ist nämlich eine Mindestzahl von zwölf Geschworenen vorgeschrieben. Nur wenn beide Parteien ausdrücklich damit einverstanden sind, kann ein Hauptverfahren auch mit weniger als zwölf Geschworenen fortgesetzt werden. Nachdem die Verteidigung ihre Entlastungszeugen präsentiert und die Staatsanwaltschaft abschließend nochmals Gelegenheit erhalten hatte, hierauf mittels weiterer Zeugen zu reagieren, fanden am 26.09.1995 die Schlußplädoyers statt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Geschworenen bereits neun Monate in Absonderung 653, d.h. sie waren getrennt von ihren Familien in einem Hotel untergebracht. Diese drastische Maßnahme, von der bis dahin amerikanische Gerichte nur in äußerst seltenen Fällen und dann auch nur in wesentlich beschränkterem Umfang Gebrauch gemacht hatten, wurde ergriffen, um eine Beeinflussung der Geschworenen durch die Medien oder die öffentliche Meinung zu verhindern. Die Geschworenen standen unter ständiger Aufsicht der Sheriff Deputies. Sie durften sich untereinander nicht über den Prozeßverlauf unterhalten. Aus den ihnen zur Verfügung gestellten Zeitungen waren sämtliche Artikel über den Prozeß herausgeschnitten worden, ebenso war auch das Fernsehprogramm zensiert worden. Besuche von Freunden oder Familienangehörigen waren streng begrenzt und nur unter der Auflage zulässig, daß keinerlei Informationen über den Prozeßverlauf ausgetauscht würden. Nach den Schlußplädoyers begannen die Geschworenen am 02.10.1995 mit der Urteilsberatung. Bei dieser war nicht einmal der Richter zugelassen. Die Geschworenen waren verpflichtet, solange zu beraten, bis eine einstimmige Entscheidung gefunden war. Entgegen aller Voraussagen der Prozeßbeobachter hatten die Geschworenen nach nur vierstündiger Beratung ihr Urteil gefallt. Dieses wurde am 03.10.1995 verkündet. Es lautete auf Freispruch.

II. Schuldig jenseits eines vernünftigen Zweifels? Nach amerikanischem Recht darf ein Angeklagter nur verurteilt werden, wenn seine Schuld nach der Überzeugung sämtlicher zwölf Geschworener 6 5 3

Sequestration.

15 Schnabl

210

D. Hauptverfahren und Urteil

jenseits eines vernünftigen Zweifels feststeht. Bevor sich die Geschworenen zur Beratung zurückzogen, wurden sie, wie es das Gesetz vorsieht, vom Richter Ito über das anzuwendende Recht, insbesondere über die Auslegung von interpretationsfähigen Begriffen wie vernünftige Zweifel, belehrt. Die diesbezügliche Belehrung der Geschworenen begann damit, daß ein vernünftiger Zweifel nicht bereits dann vorliegt, wenn es lediglich möglich oder vorstellbar ist, an einem bestimmten Umstand oder Indiz zu zweifeln 654 . Beispielsweise würde es nicht ausreichen, wenn ein Geschworener lediglich denkt, daß es möglich wäre, daß Nicole Simpsons Blut von Polizeibeamten auf die von Simpson getragenen Socken geschmiert wurde, um ihn zu belasten. Ein solcher Umstand muß vielmehr vernünftigerweise anzunehmen sein. So ist es möglich, daß man abstürzen wird, wenn man mit einem Flugzeug fliegt. Solche Abstürze passieren nämlich immer wieder. Gleichwohl würde, wenn es vernünftig wäre, damit zu rechnen, niemand mehr mit einem Flugzeug fliegen 655 . Unabhängig von der Belehrung durch das Gericht sind auch die Parteien berechtigt, rechtliche Hinweise zu erteilen. Von der Verteidigung wurde dabei der Begriff des vernünftigen Zweifels unzutreffend dargestellt, ohne daß dies vom Vorsitzenden Richter beanstandet worden wäre. Danach hätten die Geschworenen bereits dann auf Freispruch zu erkennen, wenn sie einen vernünftigen Zweifel bezüglich eines einzigen präsentierten Beweismittels hätten, unabhängig von sämtlichen anderen, belastenden Beweisen. Diese Erklärung stimmt nicht mit der Rechtslage überein und würde bedeuten, daß, je mehr Beweise von der Staatsanwaltschaft präsentiert werden, um so höher die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs ist. Von der Staatsanwältin Marcia Clark wurden in ihrem Schlußplädoyer 55 Umstände genannt, die auf die Schuld Simpsons hinwiesen. Nach der Darstellung der Verteidigung wäre der Angeklagte freizusprechen gewesen, wenn die Geschworenen einen vernünftigen Zweifel nur bezüglich eines einzigen Punktes gehabt hätten. Hätte sich demnach die Staatsanwältin nur auf zehn belastende Umstände beschränkt, so wäre die Wahrscheinlichkeit, daß die Geschworenen bezüglich 6 5 4

Die häufigst zitierte Definition des Begriffs reasonable doubt stammt von Shaw, C. J., im Verfahren Commonwealth v. Webster, 5 Cush. 295, 320, 52 Am. Dec. 711 (Mass. 1850): Reasonable doubt is a term often used, probably pretty well understood, but not easily defined. It is not a mere doubt; because everything relating to human affairs, and depending on moral evidence is open to some possible or imaginery doubt. It is that state of the case, which, after the entire comparison and consideration of all the evidence, leaves the minds of the jurors in that condition that they cannot say they feel an abiding conviction, to a moral certainty, of the truth of the charge. Diese Definition wurde vom kalifornischen Gesetzgeber wortwörtlich im § 1096 S. 2 P.C. übernommen. 6 5 5

Beispiel aus Goldberg, The Prosecution Responds, S. 325.

III. Das Geschworenensystem

211

eines dieser Umstände einen vernünftigen Zweifel gehabt hätten, geringer gewesen. Dieses Gedankenspiel ließe sich noch fortführen bis hin zu lediglich einem belastenden Umstand. Es ist offenkundig, daß diese Argumentation nicht richtig sein kann. Sie entspricht auch nicht der Rechtslage. Dennoch blieb diese Falschdarstellung vom Gericht unbeanstandet, lediglich die Staatsanwaltschaft bemühte sich in ihrer Replik um eine Richtigstellung.

III. Das Geschworenensystem Das genannte Beispiel weist bereits auf eine Gefahr hin, die mit dem Geschworenensystem verbunden ist. Die Geschworenen sind juristische Laien ohne rechtliche Vorkenntnisse. Sie sind ausschließlich auf die Ausführungen der Parteien bzw. des Gerichts angewiesen. Wird das Urteil dagegen, wie im deutschen Rechtssystem, von Berufsrichtern mit einer abgeschlossenen juristischen Ausbildung, eventuell unter Beteiligung von Schöffen, gesprochen, so wird die Gefahr fundamentaler Rechtsanwendungsfehler verringert. Das in der amerikanischen Verfassung verankerte Prinzip, Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden zu lassen656, wird heute zunehmend kritisiert. Während nur wenige soweit gehen, die Abschaffung der Geschworenen zu verlangen, fordern die meisten Kritiker Reformen. 657 Die Schwächen des Geschworenensystems können als mitursächlich für den Ausgang des Verfahrens gegen O. J. Simpson angesehen werden. 1· Die Geschworenenauswahl658 Die Geschworenen sind aus im unmittelbaren Gerichtsbezirk ansässigen Personen auszuwählen659. Da der Prozeß im Zentraljustizgebäude stattfinden 6 5 6 6. Zusatzartikel der U. S. Verfassung, Artide I, § 15 der kalifornischen Verfassung. 65 7 Dann, Indiana Law Journal, S. 1229 (1993); Minow/Cate, The American University Law Review, S. 631 (1991); Singleton, Trial Lawyers Guide, S. 273 (1988); Schwartz Edward! Schwartz Warren , 80 Geo. L. J. 775, (1992); Schwarzer, U. Chi. Legal F., S. 119 (1990). 6 5 8 6 5 9

Jury Selection.

Vicinage, 6. Zusatzartikel der U. S. Verfassung: Jury of the State and district wherein the crime shall have been committed, which district shall have been previously ascertained by law; §§ 191, 197 CCP: All persons selected for jury service shall be selected at random, from a source or sources inclusive of a representative cross section of the population of the area served by the court. 15*

212

D. Hauptverfahren und Urteil

sollte, waren die Geschworenen aus Bewohnern des innerstädtischen Bereiches zu bestimmen. Der Großraum Los Angeles weist erhebliche Unterschiede bei der ethnischen und sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung auf. Der innerstädtische Bereich wird überwiegend von Schwarzen, Mexikanern bzw. Mittelamerikanern und Angehörigen ethnischer Minderheiten bewohnt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Bevölkerungsverteilung wurde bereits eine Vorentscheidung über die Zusammensetzung der Jury getroffen. Geschworene in Verfahren, die im Zentraljustizgebäude stattfinden, sind weitaus häufiger Schwarze oder Angehörige ethnischer Minderheiten als Geschworene im Gericht in Santa Monica. Unstreitig ist, daß Angehörige sämtlicher Rassen in gleicher Weise zu den Pflichten als Geschworener berufen und qualifiziert sind 660 . Tatsache ist jedoch auch und dies zeigte sich gerade auch in Umfragen, die im Umfeld des Verfahrens gegen Simpson durchgeführt wurden, daß innerhalb der verschiedenen Rassen völlig unterschiedliche Vorstellungen und Erfahrungen mit dem Justizsystem vorherrschen, die auch das Urteil der Geschworenen beeinflussen können. Umfragen zufolge war während des gesamten Vor- und Hauptverfahrens die überwiegende Mehrheit der Weißen von der Schuld O.J. Simpsons überzeugt, während die Mehrzahl der Schwarzen an dessen Unschuld glaubte661. Welche Ursachen dies hat und welche Erklärungen es hierfür gibt, ist einer gesonderten Betrachtung vorzubehalten. Unabhängig von der Rassenzugehörigkeit und -Verteilung ist ein weiterer wesentlicher Umstand, daß Selbständige und Angehörige gehobener Berufe, die meistens über eine bessere Schulbildung verfügen, überwiegend in den gehobenen Stadtvierteln am Stadtrand bzw. im westlichen, dem Pazifik zugewandten Teil des Großraums Los Angeles wohnen. Demgegenüber sind die Angehörigen unterer Einkommensschichten in innerstädtischen Bereichen, insbesondere im berüchtigten South Central Los Angeles konzentriert. Verfahren, in denen komplizierte wissenschaftliche Fragen zu entscheiden sind, wie etwa im Simpson Verfahren der Beweiswert einer DNA-Analyse, setzen einen gewissen gehobenen Bildungsstand voraus. Hinzukommt, daß es sehr häufig die Angehörigen gehobener Berufe und Selbständige verstehen, die grundsätzlich für jeden amerikanischen Staatsan660 g 1 9 1 s 2 CCP: It is the policy of the State of California...that all qualified persons have an equal opportunity, in accordance with this chapter, to be considered for jury service in the state and an obligation to serve as jurors when summoned for that purpose. 661

Hieran änderte sich auch nach der Urteilsverkündung nichts. Einer NewsweekUmfrage zufolge stimmten 85 Prozent der Schwarzen mit dem Urteil überein, während dies unter den Weißen nur 32 Prozent waren, vgl. Goldberg , The Prosecution Responds, S. 354.

III. Das Geschworenensystem

213

gehörigen in gleicher Weise bestehende Pflicht, sich als Geschworener zur Verfugung zu stellen, zu umgehen, indem sie sich auf sogenannte Härtefälle berufen 662. Geltendgemacht wird dabei häufig der drohende Verlust des Arbeitsplatzes bzw. der Firmenzusammenbruch. Mit dieser Problematik war auch das Gericht im Simpson Verfahren konfrontiert. Je länger das Verfahren zu dauern droht, um so mehr potentielle Geschworene berufen sich auf Härtefalle. Meist stellen dann Angehörige des öffentlichen Dienstes, Rentner oder Hausfrauen die Mehrzahl der Geschworenen. Von den Geschworenen im O.J. Simpson Verfahren besaßen lediglich zwei einen College-Abschluß663. Nach aus der amerikanischen Verfassung abgeleiteten Grundsätzen sollen unter den Geschworenen Angehörige sämtlicher Bevölkerungsschichten und Rassen vertreten sein 664 . Diesem Anspruch werden jedoch die tatsächlichen Verhältnisse nicht gerecht. Eine Verbesserung wäre zu erreichen, wenn eine Verpflichtung der Arbeitgeber eingeführt würde, ihren zur Geschworenentätigkeit verpflichteten Arbeitnehmern Lohnfortzahlung zu gewähren oder wenn die den Geschworenen gewährten Entschädigungen angehoben würden. Diese erhalten derzeit pro Tag fünf US-Dollar, § 215 CCP. Ferner sollte die Berufung auf Härtefälle wesentlich restriktiver gehandhabt werden.

2. Unvoreingenommene und unparteiische Geschworene Jeder Angeklagte hat ein Verfassungsrecht auf eine unparteiische Jury 665. Die Gefahr der Beeinflussung der Geschworenen und generell deren mögliche Voreingenommenheit war während des gesamten Verfahrens gegen O.J. Simpson immer wieder ein Thema, mit dem sich Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht auseinanderzusetzen hatten. Aufgrund der Flut von Presseveröffentlichungen während des Vorverfahrens konnte sich nahezu 6 6 2 § 204 CCP: An eligible person may be excused from jury service only for undue hardship, upon themselves or upon the public, as defined by the Judicial Council. 6 6 3

Der älteste Ersatzgeschworene war ein 74 jähriger, schwarzer, ehemaliger Busfahrer. 6 6 4

Fair Cross Section Requirement und Equal Protection Clause des 6. und 14. Zusatzartikels der U. S. Verfassung, Strauder v. West Virginia, 100 U.S. 303, 25 L.Ed. 664 (1880), Neal v. Delaware, 103 U.S. 370, 26 L.Ed. 567 (1881), Glasser v. United States, 315 U.S. 60, 86 L.Ed. 680 (1942), Taylor v. Louisiana, 419 U.S. 522, 42 L.Ed.2d 690 (1975): [the purpose of a jury], to guard against the exercise of arbitrary power, [is not served] if the jury pool is made up of only segments of the populage or if large, distinctive groups are excluded from the pool. § 197 (a) CCP. 6 6 5 6. Zusatzartikel der U.S. Verfassung: In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right to a ... trial, by an impartial jury...

214

D. Hauptverfahren und Urteil

niemand der Berichterstattung über den Mordfall Simpson entziehen und die meisten Leute hatten sich bereits eine persönliche Meinung gebildet. Bei der Vorauswahl der potentiellen Geschworenen waren vom Gericht sämtliche Personen entlassen worden, die eingeräumt hatten, sich mit den Veröffentlichungen über den Simpson Fall bereits näher beschäftigt zu haben. Einer der Geschworenen, der letztlich akzeptiert wurde, war ein Mann, der angab, in den Zeitungen nur die Berichte über Pferderennen zu lesen. Leute, die Zeitung lasen und die Nachrichten verfolgten, setzten sich allein aufgrund dieser Umstände der Gefahr aus, als Geschworene abgelehnt zu werden. Ein solches Vorgehen kann im Extremfall dazu führen, daß gerade die Einfältigsten als Geschworene ausgewählt werden. Im Simpson Fall war der Vorsitzende Richter bemüht, nur solche Geschworene zuzulassen, die möglichst wenig über den Fall wußten666. 3. Ablehnung von Geschworenen ohne Angabe von Gründen 667 Das Problem der Voreingenommenheit der Geschworenen wird von den Parteien eines amerikanischen Strafverfahrens jedoch auch regelmäßig dazu benutzt, um daraus eigene Vorteile zu erlangen. Als Berater in JuryAngelegenheiten hat sich ein eigener Berufsstand etabliert, der in den vergangenen Jahren erhebliche Zuwachsraten verzeichnen konnte. Jury Consultant des Verteidigerteams war Jo-Ellan Dimitrius, die anhand von Umfragen und Kontrollgruppen zu ermitteln versuchte, welche Personen ideal als Geschworene für die Verteidigung wären. In einer internen Besprechung am 07.09.1994 legte sie dem Verteidigerteam das vorläufige Ergebnis ihrer Untersuchungen vor. Danach glaubten lediglich 3 Prozent von 200 befragten, schwarzen U.S. Bürgern an Simpsons Schuld, 37 Prozent aus dieser Personengruppe dagegen hielten ihn für unschuldig. Weitere 66 Prozent glaubten, daß Simpson nicht genügend Zeit gehabt habe, um den Mord zu begehen. 64 Prozent gaben an, bereits mindestens einmal von Polizisten in Los Angeles unfair behandelt worden zu sein und 29 Prozent der befragten Schwarzen äußerten, daß Schwarze im örtlichen Rechtssystem selten gut behandelt werden. Aufgrund dieser Erhebungen stand fest, daß der/die ideale Geschworene für die Verteidigung eine schwarze, geschiedene Frau mittleren Alters wäre. Hierauf richteten sodann die Verteidiger bei der Auswahl der Geschworenen ihr Augenmerk und versuchten, möglichst viele Personen dieses Idealtyps als Geschworene durchzusetzen. 6 6 6

Ausführlich zur Frage der Unvoreingenommenheit der Geschworenen: GoberU The Journal of Criminal Law and Criminology, Vol. 79, No. 2, S. 269 ff. (1988). 6 6 7

Peremptory Challenge, § 225 (2) CCP.

III. Das Geschworenensystem

215

Ein geeignetes Mittel hierfür sind die Peremptory Challenges . Verteidigung und Staatsanwaltschaft dürfen jeweils zwanzig potentielle Geschworene ohne Angabe von Gründen ablehnen668. Auf diese Weise können Personen, die zur Entscheidungsfindung durchaus berufen wären, allein aufgrund subjektiver Einschätzungen und taktischer Erwägungen entfernt werden. Mittels der Peremptory Challenges konnte die Verteidigung weitgehend all diejenigen Personen als Geschworene ausscheiden, die dem genannten Idealtyp am wenigsten entsprachen oder die angegeben hatten, positive Erfahrungen mit der Polizei oder dem Rechtssystem gemacht zu haben. Dagegen verzichtete die Staatsanwaltschaft auf einige ihrer Peremptory Challenges , da nach ihrer Einschätzung diejenigen Personen, welche als Ersatzleute nachgerückt wären, den Strafverfolgungsbehörden noch kritischer gegenübergestanden wären. Zu Prozeßbeginn setzten sich die Geschworenen aus acht Frauen und vier Männern, davon acht Schwarzen, einem Weißen, einem Latino und zwei Personen gemischter Abstammung zusammen669. Wie gezeigt, kann der geschickte Gebrauch der Peremptory Challenges einer Partei im Strafverfahren erhebliche Vorteile verschaffen. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist dies jedoch bedenklich. Obgleich der U. S. Supreme Court in seiner Entscheidung S wain v. Alabama670 aus dem Jahr 1965 die Peremptory Challenges noch als eine der bedeutendsten Rechte des Angeklagten bezeichnete, gehen deshalb Reformvorschläge dahin, die Zahl dieser Ablehnungsmöglichkeiten wesentlich einzuschränken.

4. Absonderung der Geschworenen Nachdem die Geschworenen ausgewählt worden waren, stand weiterhin zu befürchten, daß diese durch die Medienberichterstattung beeinflußt würden. Vom Gericht wurde daher die bereits geschilderte Absonderung671 der

668 § 231 (a) CCP. Von der Rechtsprechung wurde eine Einschränkung bzgl. der Staatsanwaltschaft geschaffen. Diese darf die peremptory challenges nicht dazu gebrauchen, potentielle Geschworene allein aufgrund deren Rassenzugehörigkeit zu entlassen. People v. Wheeler, 22 C3d 258, 148 CR 890 (1978), Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79, 90 L.Ed.2d 69 (1986), Powers v. Ohio, 113 L.Ed.2d 411 (1991), vgl. ìùtrm LaFave/Israel, Criminal Procedure, S. 978 ff. 6 6 9

Cochran , Journey to Justice, S. 262; unter den Ersatzgeschworenen waren neun Frauen und drei Männer, davon sieben Schwarze, vier Weiße und ein Latino. 6 7 0

Swain v. Alabama, 380 U.S. 202, 13 L.Ed.2d 759 (1965): the challenge is one of the most important of the rights secured to the accused.

216

D. Hauptverfahren und Urteil

Geschworenen angeordnet. Diese Maßnahme erstreckte sich über 265 Tage und es ist nicht auszuschließen, daß dies ebenfalls den Ausgang des Verfahrens beeinflußte. Nachdem die Beweisaufnahme abgeschlossen war und die Geschworenen sich zur Beratung zurückgezogen hatten, fällten diese innerhalb weniger Stunden ihr Urteil, obwohl die Beweisaufnahme über neun Monate gedauert hatte. Neunzehn Anwälte waren vor Gericht aufgetreten, die mehr als 100 Zeugen und 1.010 Beweisstücke präsentiert hatten. Das Protokoll umfaßte 45.000 Seiten. Die äußerst kurze Beratung wurde von zahlreichen Prozeßbeobachtera als Indiz dafür gewertet, daß sich die Geschworenen in ihrer Beratung nur oberflächlich mit den Beweisen auseinandersetzten und möglichst schnell das Verfahren abschließen wollten, um baldmöglichst wieder zu ihren Familien und Angehörigen zurückkehren zu können. Ermüdungserscheinungen waren bereits während des Prozeßverlaufs beobachtet worden. Eine derartige Absonderung läßt sich auf Berufsrichter nicht übertragen und ist daher auch dem deutschen Strafverfahren wesensfremd. Nach den Erfahrungen im Simpson-Prozeß ist davor zu warnen, das Mittel der Absonderung der Geschworenen in Zukunft in gleichgelagerten Verfahren einzusetzen. Den Geschworenen sollte vielmehr zugetraut werden, auch dann unabhängig und nur aufgrund der im Prozeßverlauf präsentierten Beweise zu urteilen, wenn sie nicht von sämtlichen Außenwelteinflüssen abgeschirmt worden waren. 5. Die Bedeutung der "Show" Aber nicht nur eine Medienberichterstattung vor und während des Hauptverfahrens vermag die Geschworenen zu beeinflussen, sondern auch der Ablauf im Gerichtssaal selbst. Der Präsentation der Beweise durch die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung kommt besondere Bedeutung zu. Neben der Darstellung der Fakten spielt eine herausgehobene Rolle, wie die Beweise präsentiert werden, wie die Anwälte mit den Zeugen umgehen und ob sie es verstehen, das Vertrauen der Geschworenen zu gewinnen. In diesem Zusammenhang ist besonders zu berücksichtigen, daß die Geschworenen keinerlei Aktenkenntnis haben und daher allein auf die Präsentation des Falles durch die Parteien angewiesen sind. Obgleich auch im deutschen Recht das Gericht das Urteil allein auf der Grundlage der mündlichen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zu fällen hat, haben hier zumindest die Berufsrichter eine umfassende Akten671 Sequestration, eine derartige Maßnahme steht im Ermessen des Gerichts, § 1121 P.C.

III. Das Geschworenensystem

217

kenntnis. Hinzukommt, daß das Gericht selbst bei der Aufklärung des Sachverhalts die führende Rolle übernimmt. Der Darstellung des Falles durch die Staatsanwaltschaft und Verteidigung kommt daher im Vergleich zum amerikanischen Recht nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Zieht man das Verfahren gegen O.J. Simpson heran, so wird die Bedeutung des "Show"Effekts bei der Darstellung der Beweise durch die Parteien augenfällig. Vielgerühmt von den Geschworenen in ihren Äußerungen nach der Urteilsverkündung wurde das Auftreten des Simpson Verteidigers F. Lee Bailey in seinem Kreuzverhör des Polizisten Mark Fuhrman. Obgleich in der Sache für die Entscheidung des Falls die Vernehmung anderer Zeugen weitaus mehr brachte, wurde immer wieder dieses aggressive und dramatisch gestaltete Kreuzverhör von den Geschworenen genannt. Diese Episode sei am dramatischsten gewesen und habe sie am stärksten an das Auftreten der Anwälte in den Fernsehserien erinnert. Diese Äußerungen waren von den Geschworenen durchaus positiv und nicht etwa ironisch gemeint. Die Beobachtung, daß amerikanische Geschworene an die wirklichen Gerichtsverhandlungen die gleichen Erwartungen stellen, wie sie sie aus Gerichtsserien im Fernsehen gewöhnt sind, ist amerikanischen Anwälten nicht neu. Ein Direktionsmitglied des Washington State Trial Lawyers Board empfiehlt Berufskollegen, sich hierauf einzustellen672. Die erste Lektion, die aus der populären Gerichtsserie "L.A. Law"' zu lernen sei, laute: "Kürzer ist besser"! Die Aufmerksamkeitsspanne habe während der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich abgenommen. Während sich die echten Anwälte hierauf noch nicht eingestellt hätten, sei dies von den TV-Anwälten erkannt worden. Im Vergleich zur neunziger Jahre Serie "L.A. Law", in der während einer Episode drei Fälle abgehandelt werden, verfolgte Perry Mason in den fünfziger und sechziger Jahren seine Fälle im "Schneckentempo". Die Gefahr, daß Geschworene Vorstellungen, die aus Gerichtsserien stammen, auf die "real-live" Verhandlungen übertragen und im besten Fall nur gelangweilt sind, wenn das Verfahren nicht so schnell oder spannend abläuft, wie sie es aus dem Fernsehen gewöhnt sind, ist nicht auszuschließen. Noch weniger sollten sich jedoch die Parteien eines Strafverfahrens den Stil der TVGerichtsserien im Stile von "L.A. Law" zu eigen machen673. Die Verfremdung einer Hauptverhandlung wegen eines Kapitalverbrechens hin zur Show und zum Medienspektakel ist gänzlich abzulehnen. Ein richtiges und gerechtes Urteil ist in solchen Verfahren nicht zu erwarten. Ohne Zweifel ist 6 7 2 6 7 3

Bailey , Trial, 98 ff. (1991).

Nur klarstellend für Leser, die mit amerikanischen Serien nicht vertraut sind, sei erwähnt, daß diese Serien nicht mit seriösen Sendungen wie "Wie würden Sie entscheiden" u.a. vergleichbar sind. Die geäußerte Kritik bezieht sich selbstverständlich nicht auf solche Sendungen.

218

D. Hauptverfahren und Urteil

auch im deutschen Hauptverfahren ein überzeugendes und professionelles Auftreten sowohl der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft wünschenswert. Auswüchse, wie sie im Simpson Fall zu beobachten waren, müssen, sollte ein entsprechendes Verfahren einmal vor deutschen Gerichten geführt werden, nach Kräften verhindert werden. Der Umstand, daß nach deutschem Recht die Schwurgerichte mit Berufsrichtern und Laien besetzt sind und der Untersuchungsgrundsatz gilt, schafft hierfür eine wesentlich bessere Ausgangslage als das Geschworenensystem im amerikanischen Recht.

6. Einstimmigkeitserfordernis Wie bereits erwähnt, müssen die zwölf Geschworenen ihr Urteil einstimmig fällen 674 . Können sie sich nicht einigen, muß grundsätzlich solange beraten werden, bis eine einstimmige Entscheidung möglich ist. In Extremfällen kann daher ein ausharrender Geschworener sowohl eine Verurteilung als auch einen Freispruch verhindern. Ist nach langen Beratungen der Vorsitzende Richter davon überzeugt, daß die Geschworenen keine Einstimmigkeit erreichen werden, so wird er sie entlassen und das Scheitern des Verfahrens erklären 675. In diesen Fällen kann das gesamte Verfahren nochmals mit neuen Geschworenen von Anfang an durchgeführt werden. Naturgemäß wird ein Richter von der Möglichkeit, ein Mistrial zu erklären, nur sehr restriktiv Gebrauch machen. Reformvorschläge gehen deshalb dahin, daß das Einstimmigkeitserfordernis eingeschränkt wird und auch eine Entscheidung von zehn der zwölf Geschworenen getroffen werden kann. Die Beratungsdauer und die Gefahr eines Mistrial könnte dadurch verringert werden. Auch nach dem Simpson Verfahren wurde wiederholt die Aufhebung des Einstimmigkeitserfordernisses gefordert. Gleichwohl hätte dies für den Ausgang des Verfahrens keine Bedeutung gehabt, da das Verfahren nicht mangels Übereinstimmung der Geschworenen gescheitert war. Vielmehr haben diese den Angeklagten gerade einstimmig freigesprochen.

7. Jury Nullification? Zum Verständnis der Entscheidungen amerikanischer Geschworener ist ein weiterer Begriff von wesentlicher Bedeutung. Sprechen die Geschworenen einen Angeklagten frei, obwohl er nach der Beweislage zu verurteilen wäre, wird dies als Jury Nullification bezeichnet. Obgleich in keinem Gesetz kodifi6 7 4 6 7 5

Article I § 16 Califonia Constitution. § 1140 P.C., mistrial.

III. Das Geschworenensystem

219

ziert, halten einige Autoren die Jury Nullification für einen aus der Verfassungstradition und dem Common Law überkommenen Rechtsgrundsatz676, andere bestreiten die Zulässigkeit677. In den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten trafen amerikanische Juries immer wieder derartige Entscheidungen. Faktisch können diese nicht korrigiert werden, da die Gründe, warum ein Freispruch erfolgte, unter das Beratungsgeheimnis fallen und der Staatsanwaltschaft gegen einen Freispruch kein Rechtsmittel zusteht678. Die Gründe, warum Geschworene auf die Jury Nullification zurückgreifen, sind vielfältig. Das berühmteste und von den Befürwortern der Jury Nullification immer wieder genannte Beispiel betrifft den Fall John Peter Zengers aus dem kolonialen New York des Jahres 1735 679 . Zenger hatte Zeitungen mit satirischen Artikeln über den von der englischen Krone ernannten Gouverneur von New York veröffentlicht. Deswegen wurde er des Verbrechens der majestätsbeleidigenden Veröffentlichung angeklagt. Obwohl er nach dem Wortlaut der damals geltenden Gesetze zu verurteilen gewesen wäre, sprachen ihn die Geschworenen frei, da sie eine Verurteilung für ungerecht hielten. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist auch der wiederholt vom Supreme Court Richter Hugo Black erzählte Fall des Farmers aus Alabama, der des Diebstahl eines Esels aus dem Besitz eines besonders unbeliebten Händlers angeklagt war. Die Beweise der Staatsanwaltschaft waren eindeutig. Die Geschworenen berieten und kehrten dann in den Gerichtssaal zurück. Vom Richter gefragt, wie das Urteil laute, verkündete der Sprecher der Geschworenen: "Nicht schuldig, falls er den Esel zurückgibt". Daraufhin wies der Richter die Geschworenen zurecht, daß dies kein ordnungsgemäßes Urteil sei und schickte sie zur erneuten Beratung. Die Geschworenen berieten daraufhin erneut und kehrten mit dem neuen Urteil zurück: "Nicht schuldig, und den Esel kann er behalten"680. Demgegenüber werden gegenwärtig mehrfach Fälle genannt, in den insbesondere schwarze Geschworene schwarze Angeklagte aus Rassengründen freisprachen. In einem im Yale Law Journal veröffentlichten Artikel berichtete Professor Paul Butler von der Georg 6 7 6 Vgl. hierzu LaFave/Israel, Criminal Procedure, S. 959 ff.; danach sprächen einige Entscheidungen des U. S. Supreme Court dafür, daß die Jury Nullification aus dem Recht auf ein Geschworenenverfahren, das die 6th Amendment to the U. S. Constitution garantiert, abzuleiten sei. 67 7

Goldberg , The Prosecution Responds, S. 363.

6 7 8

Verbot der double jeopardy.

679 y gì h i e r z u Alexander , A Brief Narration of the Case and Trial of John Peter Zenger, (1963). 6 8 0

Diese Episode wird berichtet von U. S. District Judge Willaim L. Dwyer in seinem Aufsatz Protecting the Right of Trial by Jury. It Requires and it is Worth, Vigilance. Trial, S. 77, 79 (1989).

220

D. Hauptverfahren und Urteil

Washington Universität über seine Erfahrungen als Staatsanwalt in Washington, D.C. Danach muß te er mehrmals feststellen, daß er als Staatsanwalt Fälle verlor, obwohl die Beweislage keinen vernünftigen Zweifel zuließ, weil einige schwarze Geschworene sich schlichtweg weigerten, einen schwarzen Angeklagten zu verurteilen 681. Obwohl immer wieder Statistiken zur Begründung einer rassenbedingten Jury Nullification herangezogen werden 682 , ist vor vorschnellen Schlüssen zu warnen. In der Praxis dürfte die Zugehörigkeit zur gleichen Rasse nur einer von zahlreichen Umständen sein, die Geschworene in Einzelfällen dazu bewegen, Angeklagte trotz einer entgegenstehenden Beweislage freizusprechen. Hinzukommen mag ein Mißtrauen der Geschworenen gegenüber der Tätigkeit der Polizei aufgrund eigener Erfahrungen in der Vergangenheit oder die Einschätzung, daß eine berühmte Persönlichkeit, die man vom Film und Fernsehen zu kennen glaubt, einer solchen Straftat nicht fähig sei. Vor amerikanischen Gerichten ist es an der Tagesordnung, daß schwarze Geschworene schwarze Angeklagte ebenso wie weiße Angeklagte verurteilen. Dies wird allein aus dem Umstand ersichtlich, daß die Verurteilungsrate in Los Angeles bei 93 Prozent liegt 683 . Ob der Freispruch Simpsons ein Fall einer Jury Nullification war, wird letztlich nie feststellbar sein. Vielmehr betonten die Geschworenen, die nach dem Urteil Erklärungen in den Medien abgaben oder Bücher schrieben, daß sie Simpson verurteilt hätten, sofern ausreichende Beweise vorgelegen hätten. Die von der Staatsanwaltschaft präsentierten Beweise hätten sie jedoch letztlich nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Zumindest einige Äußerungen des Simpson-Verteidigers Johnnie L. Cochran Jr. in seinem Schlußplädoyer zielten jedoch eindeutig auf eine Jury Nullification hin. Er forderte darin die Geschworenen ausdrücklich auf, die Polizei mittels des Urteils zu kontrollieren. Sie seien diejenigen, die eine Botschaft an die Polizei senden könnten. Niemand sonst in der Gesellschaft sei hierzu in der Lage 684 . Ein weiteres Indiz dafür, daß die Geschworenen die Beweise nicht würdigten, sondern sich von anderen, wie auch immer gearteten Erwägungen leiten ließen, kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Geschworenen weniger als 68 1

Butler, Yale Law Journal 105, S. 678 ff. (1995); zitiert in Goldberg, S. 353.

6 8 2

Editorial staff, Unreasonable Doubt, New Republic, October 23, 1995, S. 8; zitiert in Goldberg , S. 353; z. B. seien im Stadtteil Bronx in New York, wo unter den Geschworenen überproportional viele Schwarze und Latinos seien, die Anzahl der Freisprüche schwarzer Angeklagter nahezu dreimal so hoch wie im nationalen Durchschnitt. 68 3

Goldberg , The Prosecution Responds, S. 354.

6 8 4

Cochran , Journey to Justice, S. 348.

IV. Gewalt gegen Frauen

221

vier Stunden für die Beratung benötigten. In den Erklärungen nach der Urteilsverkündung wurde deutlich, daß zahlreiche Geschworene Beweise übersehen oder falsch verstanden hatten. Solche Irrtümer oder Versehen hätten vermieden werden können, wenn die Geschworenen, worauf der Richter sie auch ausdrücklich hingewiesen hatte, ihrer Pflicht zur sorgfältigen Beratung und Abwägung der Beweise nachgekommen wären. Zusammenfassend stellt das Phänomen der Jury Nullification eine Besonderheit des Geschworenensystems dar 685 . Auch hier wird deutlich, daß, wird die Entscheidung Berufsrichtern, eventuell im Zusammenwirken mit Schöffen, übertragen, zumindest mehr Gewähr dafür geboten wird, daß sich diese an der Rechtslage und den präsentierten Beweisen orientieren und weniger von persönlichen Einschätzungen leiten lassen.

IV. Gewalt gegen Frauen als unterschätztes Phänomen? Gewalt gegen Frauen spielte im Verfahren gegen O. J. Simpson eine Rolle und gab auch noch nach dem Verfahren Anlaß zu Diskussionen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war in den vorangegangenen, langjährigen Mißhandlungen seiner Ehefrau auch das Motiv für deren Ermordung zu finden. Die Ermordung war danach nur der "Schlußstrich" einer langjährigen, eskalierenden Entwicklung. Die Staatsanwaltschaft bemühte sich deshalb, die früheren Vorfälle mittels Zeugen, Fotos und Tagebuchaufzeichnungen in das Verfahren einzuführen. Statistisch werden 50 Prozent aller weiblichen Mordopfer von ihrem Freund oder Ehemann getötet 686 . 95 Prozent aller Opfer häuslicher Auseinandersetzungen sind Frauen und die weitaus meisten Verletzungen von Frauen haben ihren Ausgang in häuslichen bzw. familiären Auseinandersetzungen. Derartige Verletzungen müssen dreimal so häufig ärztlich behandelt werden als Verletzungen aus Verkehrsunfällen. Dieses Phänomen wurde bisher im Bewußtsein der Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen. In gleicher Weise galt dies für die Geschworenen im Simpson Verfahren. So äußerten zwei der Geschworenen, daß sie die früheren Vorfalle, in denen Simpson seine Frau mißhandelt hatte, nicht glaubten bzw. daß Simpson wegen Mordes angeklagt war und nicht wegen der früheren Vorfälle. Gewalt gegen Frauen im familiären Umfeld wird häufig als eine private Angelegenheit abgetan, die Außenstehende nichts angehe. So sah es auch Simpson während eines Vorfalls 6 8 5

Vgl. Scheflin, 455 Cal. L. Rev. 168 (1972); Scheflin/Van Contemp. Probs. 51 (1980); Simson, 54 Tex. L. Rev. S. 488 (1976). 6 8 6

Robertson, Albany Law Review, S. 1194 ff. (1995).

Dyke , 43 Law &

222

D. Hauptverfahren und Urteil

Mitte der achtziger Jahre, als die Polizei bereits bei seinem Anwesen erschienen war. Gegenüber den Polizeibeamten äußerte er, daß dies eine Familienangelegenheit sei, in die sie sich nicht einzumischen bräuchten. Obgleich die vorgefundenen Umstände anderes nahelegten, sahen die Polizeibeamten von weiteren Maßnahmen ab. Inzwischen, nicht zuletzt infolge des Simpson Verfahrens, sind die Polizeibeamten in Los Angeles angewiesen worden, bei Notrufen mißhandelter Frauen, den Verursacher zumindest vorläufig festzunehmen, unabhängig anderslautender Beteuerungen. Bezeichnend ist, daß die Verteidiger Simpsons gerade einen derjenigen Polizisten, der damals nach einem Notruf von Nicole Simpson am Anwesen erschien war und der, nachdem der Vorfall von Simpson als Familienangelegenheit herabgespielt worden war, unverrichteter Dinge wieder weggefahren war, nunmehr als angeblichen Verschwörer gegen Simpson darstellten. Es handelte sich um Detectiv Mark Fuhrman. Die Verteidigung behauptete, daß dieser es gewesen sei, der einen am Tatort aufgefundenen blutigen Handschuh absichtlich zum Simpson Anwesen gebracht und dort abgelegt hatte, um O. J. Simpson den Mord an seiner Ehefrau unterzuschieben. Nach der Theorie von Simpsons Verteidiger F. Lee Bailey, soll Fuhrman den Handschuh zum Simpson Anwesen verbracht haben, um 1. sicherzustellen, daß er auch weiterhin eine wichtige Rolle im Verfahren gegen Simpson einnehme und 2. um den Schwarzen zu bestrafen, der es sich erlaubt hatte, ein Verhältnis mit einer weißen Frau zu haben. Mithin wurde Fuhrman vorgeworfen, aus persönlichem Geltungsdrang und Rassenhaß Simpson Beweise untergeschoben zu haben. Der Nachweis des angeblichen Rassismus von Fuhrman war zentrales Thema der Verteidigungsstrategie. Im Nachhinein läßt sich sicher ein Fehlverhalten der Polizei feststellen. Dies dürfte aber gerade daran gelegen haben, daß die Polizei in den achtziger und noch zu Beginn der neunziger Jahre in Fällen von Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich zu nachsichtig war und diese Vorfälle verharmlost wurden.

V. Die Rolle der Medien Ein ganz besonderer Stellenwert kam dem Medienspektakel rund um das Simpson Verfahren zu. Das in diesem Umfang bisher nicht gekannte Medieninteresse begann bereits wenige Stunden nach der Entdeckung der Tat und fand seinen vorläufigen Höhepunkt bei der Urteilsverkündung, die von mehreren hundert Millionen Menschen live am Bildschirm verfolgt werden konnte. Das Verfahren hätte nie dieses breite Interesse in der Bevölkerung gefunden, wenn es nicht von Anfang an live Wort für Wort aus dem Gerichtssaal übertragen worden wäre. Das Zentaljustizgebäude in Los Angeles glich

V. Die Rolle der Medien

223

während des Hauptverfahrens einer belagerten Festung. Die Medienleute sprachen bereits von einem "Camp O.J.". Während in Deutschland Fernsehaufhahmen von der Hauptverhandlung verboten sind, § 169 S. 2 GVG, ist es vor kalifornischen Gerichten bereits ständige Praxis, daß Fernsehkameras live aus dem Gerichtssaal übertragen. Es gibt bereits eigene Fernsehstationen, die ihr Programm mit Übertragungen aus Gerichtssälen bestreiten. Nach den Befürwortern sei dies ein selbstverständlicher Ausfluß der Pressefreiheit der amerikanischen Verfassung 687 sowie des Verfassungsgrundsatzes auf ein öffentliches Verfahren 688. Inwieweit sich hieraus jedoch widerstreitende Interessen mit dem ebenfalls Verfassungsrang genießenden Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ergeben können, bedarf einer näheren Betrachtung. Ein zweites wesentliches Argument der Befürworter ist, daß hierdurch Gerichtsverfahren einer breiten Öffentlichkeit nahegebracht werden. Dies führe zu einem besseren Verständnis der Gerichtsverfahren und bringe dadurch der Öffentlichkeit das Rechtssystem näher. Zweifelsohne wurde durch die Medienberichterstattung das Simpson Verfahren einer wesentlich breiteren Öffentlichkeit bekannt, als dies in früheren Verfahren jemals der Fall war. Durch die Internationalisierung der Medien blieb diese Wirkung nicht nur auf die Vereinigten Staaten von Amerika beschränkt, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland und in zahllosen anderen Ländern war ein Großteil der Bevölkerung über den Verfahrensgang und dessen neueste Entwicklungen gut informiert. Dies ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß allein im Jahr 1994 in Los Angeles sich 856 Mordfälle ereigneten 689. Letztlich bleibt jedoch die Frage, ob all die Medienberichte zusammengenommen tatsächlich zu einer Verbesserung des Verständnisses des amerikanischen Strafverfahrens führten. Denn das Verfahren gegen O.J. Simpson war mit Sicherheit nicht der typische Fall einer Verhandlung wegen eines Kapitalverbrechens. Aus vielerlei Gründen wurde es vielmehr ein außergewöhnliches Verfahren. Dies wird bereits deutlich, wenn man allein den Umfang der Voranhörung, der gestellten Verfahrensanträge, der Hauptverhandlung, sowie des Ermittlungsaufwandes sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung betrachtet.

6 8 7 1st Amendment to the U. S. Constitution: Congress shall make no law ... abridging the freedom ... of the press... 6 8 8

Public Trial, 6th Amendment to the U. S. Constitution.

6 8 9

Goldberg , The Prosecution Responds, S. 340.

224

D. Hauptverfahren und Urteil

Nach jedem Verhandlungstag wurde der Verlauf des Tages von "Spezialisten" diskutiert und analysiert. Unabhängig von der Frage, ob viele dieser Kommentatoren qualifiziert waren, ihr Urteil einer derart breiten Zuschauerzahl zu unterbreiten, war die Berichterstattung und Analyse oftmals bruchstückhaft und einseitig auf die spektakulären Momente gerichtet. Zahlreiche der Fernsehkommentatoren, die allabendlich den Fall analysierten, mußten später einräumen, daß sie das Tagesgeschehen im Gerichtssaal nicht live verfolgten, sondern lediglich die Zusammenfassung des Tages auf anderen Kanälen angeschaut hatten. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist auch die Äußerung eines Kommentators, wonach es weniger darum ging, die Zuschauer richtig zu informieren, als diese für das Programm zu interessieren und zu unterhalten 690. Faßt man alle diese Umstände zusammen, erscheint es mehr als fraglich, ob die Zuschauer und Leser nach dem Verfahren tatsächlich besser über das amerikanische Strafrechtssystem informiert waren oder ob es vielmehr nur um die Befriedigung der Neugierde der Zuschauer ging. Das "Infotainment" wurde zum "Juristainment" 691. Im Simpson Fall kommt hinzu, daß das enorme Medieninteresse auch konkrete Auswirkungen auf das Verfahren selbst hatte. Dies gilt in Hinblick auf Zeugen und Beweismittel, auf die Verfahrensparteien, auf das Gericht und schließlich auch auf die Geschworenen. Da das Simpson Verfahren von Beginn an Schlagzeilen lieferte, setzten demzufolge die Nachrichtenagenturen und Fernsehanstalten zahlreiche ihrer Mitarbeiter auf das Verfahren an. Dementsprechend hoch war auch der Erfolgsdruck der Medienvertreter, immer wieder die neuesten Nachrichten zu liefern, nach Möglichkeit solche, die die Konkurrenz noch nicht hatte. Viele Journalisten waren daher bemüht, selbst Zeugen und Beweise ausfindig zu machen und diese mittels Exklusivberichten zu vermarkten. In einigen Fällen gelang dies auch und hatte für das Verfahren die Folge, daß die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen häufig erschüttert war und in einigen Fällen sogar dazu führte, daß diese Zeugen überhaupt nicht mehr vor Gericht präsentiert werden konnten. Zahlreiche Zeugen verkauften ihre tatsächlichen oder möglicherweise auch nur erfundenen Beobachtungen exklusiv an diverse Agenturen und Fernsehanstalten. Zwei der Zeugen, die im Voranhörungsverfahren aussagten, räumten unter Eid ein, ihre Beobachtungen an den National Enquirer, einem Boulevardblatt, für 12.500 US-Dollar verkauft zu haben. Einer der Zeugen gab an, seine Geschichte verkauft zu haben, weil er 6 9 0 691

Goldberg , The Prosecution Responds, S. 361, 362.

Vgl. hierzu auch Knothe/Wanckel, 377 ff. (1993).

ZRP, S. 106 ff. (1996); Gerhardt, ZRP, S.

V. Die Rolle der Medien

225

sich gedacht hatte, daß beim Simpson Verfahren auch für ihn etwas herausspringen sollte. Weitaus höhere Beträge wurden Personen angeboten, von denen man sich noch exklusivere Details erhoffte. Simpsons Hausmeister wurden 100.000 US-Dollar angeboten, ebenso seiner ersten Frau. Sein Freund, A. C. Cowlings, erhielt ein Angebot über eine Million US-Dollar 692 . Entwicklungen wie diese führen dazu, daß Zeugenaussagen vorab veröffentlicht werden und damit Einfluß auf das Hauptverfahren und die potentiellen Geschworenen haben können. Ferner sind einige Zeugen nur dann bereit auszusagen, wenn sie Geld dafür erhalten. Darüberhinaus wird die Gefahr von Trittbrettfahrern begründet. Zahlreiche Personen meldeten sich, die behaupteten, etwas gesehen zu haben und versuchten, damit Geld zu verdienen. Für die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung wird es in diesen Fällen besonders schwer, Zeugen, die tatsächlich Wahrnehmungen gemacht haben, von solchen zu unterscheiden, die nur Geld verdienen oder im Rampenlicht erscheinen wollen. Ein weiterer negativer Effekt kommt hinzu. Zeugen, die tatsächlich Wahrnehmungen gemacht haben und darüber wahrheitsgemäß im Hauptverfahren aussagen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie einräumen müssen, von den Medien Geld erhalten zu haben. Diese Probleme waren nicht neu, traten jedoch im Simpson Verfahren besonders deutlich vor Augen. Dies führte in Kalifornien zu einer Gesetzesinitiative, wonach es Zeugen verboten wurde, ihre "Geschichte" vor und während des Strafverfahrens zu verkaufen. Gleiches gilt für Geschworene693. Im Simpson Fall hatte die Medienberichterstattung und insbesondere die Fernseh-Liveübertragung aus dem Gerichtssaal auch Einfluß auf das Verhalten der beteiligten Staatsanwälte, Verteidiger und des Richters. Zahlreiche Erklärungen, Behauptungen und Anträge wurden nur in Hinblick auf die Öffentlichkeit und insbesondere im Vorverfahren in Bezug auf potentielle Geschworene gemacht. Ohne die Beteiligung der Fernsehkameras und Journalisten im Gerichtssaal wäre die Voranhörung kürzer ausgefallen. Der Blick auf die Kameras machte auch nicht vor dem Richter halt. Als Beispiel sei nur ein Vorfall genannt: Als bekannt wurde, daß von Detectiv Mark Fuhrman Tonbandaufzeichnungen existieren, in denen er sich einer rassistischen Sprache bediente, ließ der Richter diese Bänder im Gerichtssaal abspielen. Zwar waren dabei die Geschworenen nicht anwesend, die Öffent6 9 2 Von ähnlichen Entwicklungen in Deutschland, wenn auch noch in geringerem Umfang, berichtet Marianne Quoirin, DRiZ, S. 185 ff. (1997). 69 3 Willie, Speaker of the California Assembly, in San Francisco Daily Journal vom 08.08.1994.

16 Schnahl

226

D. Hauptverfahren und Urteil

lichkeit und damit auch die Fernsehkamera waren jedoch zugelassen. Wie Richter Ito später selbst einräumte, diente das Abspielen der Bänder in dieser Länge einzig der Befriedigung des Interesses der Öffentlichkeit. Andererseits darf auch nicht übersehen werden, daß die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft von den Medienveröffentlichungen auch profitierten. Zahlreiche Zeugen, die Angaben zu bestimmten Teilaspekten des Falles machen konnten, meldeten sich, die ansonsten nicht oder nur schwer zu ermitteln gewesen wären. Nicht zuletzt bestand die Gefahr, daß sich durch die Liveübertragung aus dem Gerichtssaal auch das Verhalten der Geschworenen selbst verändern würde. Zwar durften die Kameras und Fotojournalisten keine Aufnahmen von den Geschworenen machen, dies galt jedoch nur während des Verfahrens. Sämtlichen Geschworenen mußte klar sein, daß sich nach dem Verfahren die Presse und das Fernsehen auf sie stürzen würde. Unter diesem Aspekt war nicht auszuschließen, daß sich zumindest einzelne Geschworene bei der Entscheidungsfindung unter dem Druck der öffentlichen Meinung zu stehen glaubten. Zahlreiche erfahrene Strafverteidiger, Staatsanwälte und Richter berichten davon, daß sich das Verhalten von Geschworenen ändert, sobald diese glauben, an einem spektakulären Fall beteiligt zu sein. Der frühere U. S. District Richter Edward Harrington war nicht bereit, Fernsehkameras im Gerichtssaal zuzulassen, um den Geschworenen nicht den Eindruck zu vermitteln, daß dies ein außergewöhnlicher Fall sei, da dies nach seiner Einschätzung einen Einfluß auf das Verhalten der Geschworenen gehabt hätte 694 . Inwieweit Fernsehkameras im Gericht tatsächlich Einfluß auf die Geschworenen haben, kann bisher nur anhand der geschilderten Beobachtungen wiedergegeben werden. Eingehende empirische Untersuchungen hierzu wären erforderlich. Um die Informations- und Medienfreiheit, abgeleitet aus dem ersten Zusatzartikel der U. S. Verfassung, in Übereinstimmung mit dem Verfassungsrecht auf ein faires Verfahren aus dem sechsten Zusatzartikel der U. S. Verfassung zu bringen, legte Richter Ito den Medienvertretern einige, wenn auch wenige Beschränkungen auf. Interviews durften weder im noch außerhalb des Gerichtssaals geführt werden, vertrauliche Gespräche durften nicht aufgezeichnet werden und es war verboten, die Identität der Geschworenen preiszugeben. Außer diesen, waren den Medien keinerlei Beschränkungen auferlegt. Trotzdem wurden auch diese Verbote mehrfach gebrochen. So wurde ein vertrauliches Gespräch zwischen O. J. Simpson und seinen 6 9 4

Lassiter, Trial Lawyers Guide, S. 397 (1994).

V. Die Rolle der Medien

227

Verteidigern aufgezeichnet, mit den Anwälten wurden Interviews auf den Gängen des Justizgebäudes geführt und schließlich wurde auch ein Ersatzgeschworener von der im Gerichtssaal angebrachten Fernsehkamera aufgenommen. All dies führte zu keinen ernsthaften Sanktionen durch den Richter. Die Medienvertreter wurden lediglich mehrfach ermahnt. Nur einmal wurde die Fernsehkamera im Gerichtssaal für kurze Zeit während der Schlußplädoyers abgeschaltet, nachdem eine Nahaufnahme von den Notizen der Verteidigung gemacht worden war. Die enorme Medienberichterstattung im Simpson Verfahren, mit allen ihren geschilderten, positiven und negativen Begleitumständen, ist auch für die gegenwärtig in Deutschland geführte Diskussion um eine weitere Öffnung der Gerichtssäle für die Medien von Interesse 695. Bereits in den sechziger Jahren wurde die Zulassung von Funk- und Fernsehaufhahmen im Gerichtssaal gefordert, bevor 1964 mit § 169 S. 2 GVG das strikte Verbot von Film- und Fernsehaufhahmen während der Verhandlung in Kraft trat. Dabei waren damals die audiovisuellen Möglichkeiten geradezu bescheiden, verglichen mit der Entwicklung der letzten 35 Jahre. Bis 1963 gab es nur ein einziges Fernsehprogramm. Dank Kabelfernsehen und privater Fernsehsender ist gegenwärtig ein "rund um die Uhr" Empfang auf Dutzenden von Kanälen gewährleistet. Muß sich daher auch die Justiz dieser Entwicklung stellen? Können sich die Gerichte noch einen Begriff von Öffentlichkeit leisten, der die Gerichtssäle nur den Kommunikationsmitteln des 19. Jahrhunderts öffnet? Fernsehkameras weisen nicht das Handtaschenformat eines Stenoblocks auf, sondern benötigen nunmal ein Bedienungsteam. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung war eines der mühsam erkämpften, bürgerlichen Freiheits- und Kontrollrechte des 19. Jahrhunderts. Bei der Frage der Medienberichterstattung über Gerichtsverhandlungen ist die Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 I GG auf der einen Seite zu berücksichtigen, dieser steht jedoch auf der anderen Seite das aus Art. 1 und 2 I GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten und der Zeugen gegenüber. Das Recht am eigenen Bild, der Namens- und Ehrenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind Ausprägungen hieraus. Hinzu kommt der Anspruch auf ein faires Verfahren und das Interesse der Allgemeinheit an der Funktions69 5 Eberle , NJW, S. 1637 ff. (1994); Gerhardt, ZRP, S. 377 ff. (1993); Hamm, NJW, S. 760 ff. (1995); Hofmann, ZRP, S. 339 ff. (1996); Knolhe/Wanckel, ZRP, S. 106 ff. (1996); Scholz, Anmerkung zum Beschluß des BVerfG v. 14.07.1994, NStZ, S. 42 ff (1995); Weiler, ZRP, S. 130 ff. (1995); Wolf, NJW, S. 681 ff. (1994); Zuck, NJW, S. 2082 ff (1995); ders., DRiZ, S. 23 ff. (1997).

16*

D. Hauptverfahren und Urteil

228

fähigkeit der Rechtspflege als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 III GG. Diese unterschiedlichen, verfassungsrechtlich geschützten Interessen wären bei einer Neufassung des § 169 S. 2 GVG abzuwägen und in Übereinstimmung zu bringen. Gegenwärtig gilt jedoch (noch?) das strikte Verbot dieser Vorschrift. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dessen Rechtmäßigkeit noch nicht geäußert. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14.07.1994696 betraf nur Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal außerhalb der Hauptverhandlung im Verfahren gegen Honecker, Mielke und andere. Die Fernsehaufhnahmen waren durch Anordnung des Vorsitzenden Richters gestützt auf § 176 GVG weitestgehend eingeschränkt worden. Die Öffentlichkeit der Verhandlung im Sinne des § 169 S.l GVG ist nicht mit "Medienöffentlichkeit" gleichzusetzen. Es ist ein wesentlicher qualitativer Unterschied, ob ein Zuschauer die Verhandlung im Gerichtssaal verfolgt und sich aufgrund seiner unmittelbaren Wahrnehmungen eine Meinung bilden kann oder ob er eine Gerichtsverhandlung, zusammengestückelt auf Nachrichtenlänge zwischen Werbung, Telefon und Abendessen in das Wohnzimmer gespielt bekommt. Auch die Berufung auf die Unbestechlichkeit des Kameraauges vermag hieran nichts zu ändern, da unter dem Druck der Einschaltquoten mit Sicherheit nicht Wert auf die getreue Wiedergabe einer sich hinziehenden, auf die akkurate Ermittlung der Wahrheit gerichteten Zeugeneinvernahme gelegt wird, sondern die spektakulären, Emotionen hervorrufenden Momente zusammengestellt werden. Wer die gerichtsverfassungsrechtliche Öffentlichkeit mit Medienöffentlichkeit gleichsetzt, macht das Hauptverfahren zum Spielball all der aufgezeigten Einflüsse. Im Simpson Verfahren wurde dies besonders eindringlich dem Beobachter vor Augen geführt. Zahlreiche weitere spektakuläre Verfahren der letzten Jahre weisen jedoch in die gleiche Richtung. Im Prozeß gegen William Kennedy-Smith, einem Neffen John F. Kennedys, übertrugen gleich zwei Fernsehanstalten live, was das Vergewaltigungsopfer über die Potenz Kennedys zu sagen wußte 697 . Ähnliches gilt für den Prozeß gegen Mike Tyson. Diese Beispiele mahnen dazu, die Hauptverhandlung in Strafsachen nicht für Fernsehkameras zu öffnen 698 6 9 9 .

6 9 6

NStZ 1995, S. 40 ff.

6 9 7

Zur eingehenden Darstellung dieser und weiterer Verfahren vgl. Gerhardt, ZRP, S. 377 ff. (1993). 6 9 8

Hierüber ist sich auch die Mehrzahl deijenigen Kommentatoren einig, die eine Öffnung der Gerichtssäle befürworten, vgl. Knothe/Wanckel, ZRP, S. 106 ff. (1996);

VI. Der Status des Angeklagten als Sportidol

229

Obgleich das amerikanische Verfahren ein Parteiverfahren ist und Geschworene zu entscheiden haben, sind die aus dem dortigen Verfahren gewonnenen Erfahrungen in Hinblick auf die Verfahrensbeteiligten in einem deutschen Prozeß, namentlich die Angeklagten und die Zeugen, zumindest teilweise übertragbar. Eine Lektion, die aus dem Strafverfahren gegen O.J. Simpson gelernt wurde, war, daß im Zivilverfahren gegen ihn keine Kameras mehr zugelassen waren und auch ansonsten den Medien erhebliche Beschränkungen auferlegt worden waren 700 . V I . Der Status des Angeklagten als Sportidol Einer der maßgeblichen Gründe für das große Medieninteresse war die Berühmtheit O.J. Simpsons. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Stadtviertel in San Francisco, war er zu einem der Stars des American Football aufgestiegen und dadurch zum Idol geworden. Nach dem Ende seiner Sportkarriere war er ein vertrautes Gesicht in zahlreichen amerikanischen Haushalten aufgrund seiner Fernsehwerbeauftritte für einen der großen amerikanischen Autoverleiher. Daneben versuchte er sich als Schauspieler in mehreren Filmen. Nach der Einschätzung zahlreicher amerikanischer Staatsanwälte ist es äußerst schwierig, Verurteilungen von bekannten Persönlichkeiten des öffentScholz, NStZ, S. 42 ff (1995); Weiler, ZRP, S. 130 ff. (1995); Gerhardt, ZRP, S. 377 ff. (1993); anders Zuck, NJW, S. 2082 ff (1995); ders., DRiZ, S. 23 ff. (1997). 6 9 9 Ausnahmen bezüglich der Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts können getroffen werden, da hier die oben genannten widerstreitenden Interessen nicht in gleicher Weise tangiert werden, vielmehr kommt bei diesen Verfahren Art. 5 I GG ein besonderes Gewicht zu. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, die öffentlich verhandelt werden, sind in der Demokratie von herausgehobener Bedeutung. Oftmals handelt es sich um Entscheidungen mit politischen Bezug. Es sind nicht Verfahren, in denen ein Angeklagter vor dem Richter steht. Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sollen künftig zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht sowie bei der Urteilsverkündung Fernseh-, Film- und Tonaufnahmen zulässig sein. Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts Betroffener oder eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs kann das Gericht die Aufnahmen ganz oder zum Teil untersagen oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig machen. Vgl. hierzu Woche im Bundestag 10/97 - 1/180 - vom 11.06.1997 und Hofmann , ZRP, S. 399 ff. (1996). 7 0 0

Das Zivilverfahren endete mit der Verurteilung Simpsons zu Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe und damit zur höchsten Schadensersatzsumme, die jemals in Verfahren dieser Art verhängt worden war.

230

D. Hauptverfahren und Urteil

liehen Lebens zu erreichen. Als Beispiele hierfür sind zu nennen die Freisprüche des Bürgermeisters von Washington, D. C., Marion Barry, und des früheren Autohersteilers John DeLorean. In beiden Fällen lagen den Angeklagten Drogengeschäfte zur Last, die darüberhinaus noch auf Video aufgezeichnet worden waren. Auch O.J. Simpson war einer breiten Öffentlichkeit als der nette, hilfsbereite und immer gutgelaunte, ehemalige Sportheld bekannt. In um so stärkeren Kontrast zu diesem Image steht dann eine Anklage wegen Doppelmordes. Die Geschworenen wollen auch gewichtigen Beweisen nicht glauben, da diese zu stark dem Image widersprechen, welches von den Medien geschaffen wurde. Zumindest ein Hinweis hierauf im Simpson Fall war, daß sich die Geschworenen, wie bereits ausgeführt, nur äußerst kurz über die immerhin während eines neunmonatigen Hauptverfahrens präsentierten Beweise berieten. Deutlich ist auch die Aussage eines Geschworenen kurz nach der Urteilsverkündung, "wie kann jemand, der alles hat, einen Mord verüben?" 701 . Die Geschworenen sind wesentlich geneigter, den Erklärungen der Verteidigung zu folgen, die Zeugen seien unglaubhaft und die Beweise manipuliert, als wenn einem Angeklagten bereits aufgrund seiner Vorgeschichte oder aufgrund seines Erscheinungsbildes die Tat zugetraut wird. Darauf baute die Verteidigungsstrategie auf. Soweit Beweise, wie etwa die genetischen Untersuchungen deutlich auf eine Anwesenheit Simpsons am Tatort hinwiesen, wurde dies von der Verteidigung mit einer - von den Medien als solche bezeichneten - Verschwörungstheorie erklärt 702 . Der blutige rechte Handschuh sei zum Beispiel vom Polizisten Mark Fuhrman vom Tatort zum Simpson Anwesen verbracht worden, um ihn zu Unrecht zu belasten. Ferner sei an das hintere Gartentor am Tatort nachträglich Simpsons Blut angebracht worden, um auch insoweit ihn zu Unrecht zu belasten und eine Verknüpfung zum Tatort zu schaffen. Soweit von den anderen ermittelnden Polizisten, Staatsanwälten und Sachverständigen nicht konspirativ zusammengewirkt worden sei, seien zumindest die Ermittlungen so schlampig geführt worden, daß dies zur kompletten Verfälschung der Beweise geführt 7 0 1 7 0 2

Zitiert in Goldberg, The Prosecution Responds, S. 352.

In seinem Schlußplädoyer wurden vom Simps on-Verteidiger Cochran die beiden, an den Ermittlungen maßgeblich beteiligten Polizisten Det. Philip Vannatter und Det. Mark Fuhrman als "twins of deception", "twin demons of deception" und schließlich als "twin devils of deception" bezeichnet, zugleich wurde eine große Tafel im Gerichtssaal aufgestellt, die mit "Vannatter's Big Lies" überschrieben war. Hierzu Lange/Vannatter, Evidence Dismissed, The Inside Story Of The Police Investigation Of O.J. Simpson, S. 290.

VII. Zusammenfassung

231

habe 703 . Blutproben seien infolge falscher Lagerung und Behandlung verdorben worden, Beweisstücke seien falsch etikettiert worden und zu untersuchende Blutproben seien in wechselseitigen Kontakt gekommen, weshalb im Ergebnis zu Unrecht die Anwesenheit von DNS bestimmter Personen angezeigt worden sei 704 . Insgesamt wurden die Ermittlungen als einseitig und von vornherein auf O.J. Simpson als alleinigen Tatverdächtigen gerichtet bezeichnet. Die Ermittlungsbehörden hätten deshalb die Beweise nicht objektiv gewürdigt und daher auch Spuren, die auf andere Tatverdächtige hätten schließen lassen, nicht verfolgt. Unabhängig davon, ob diese Argumentation zutreffend war, ließen sich die Geschworenen, wie aus Äußerungen nach der Urteilsverkündung deutlich wurde, hiervon überzeugen. Die Erklärungen der Staatsanwaltschaft, mittels derer diese Vorwürfe widerlegt wurden, fanden bei den Geschworenen kein Gehör mehr. Die Annahme, daß das Image Simpsons bei der Entscheidungsfindung zumindest eine Rolle gespielt hatte, läßt sich damit nicht ausschließen.

VII. Zusammenfassung Es war weder Thema noch Ziel dieser Arbeit, eine Antwort auf die Frage zu liefern, ob O.J. Simpson tatsächlich Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman ermordete. Mit Abhandlungen hierüber lassen sich inzwischen ganze Bücherschränke füllen und es kommen immer noch weitere Veröffentlichungen hinzu. Nahezu jeder, der an dem Verfahren beteiligt war, und sei es nur als Randfigur, hat mittlerweile hierüber ein Buch geschrieben oder zumindest in einer Talkshow seine Meinung verbreitet 705. Die Medien, vielgescholten für die Art und Weise ihrer Berichterstattung während des Verfahrens, wurden danach zu diesen Zwecken gern in Anspruch genommen.

7 0 3 Nach Cochrans eigenen Worten ließ sich die Theorie der Verteidigung wie folgt zusammenfassen: What happened that night and over the succeeding days resulted from the unplanned interaction of the sloth, carelessness, incompetence, dishonesty, bias, and ambition of the police and prosecutorial authorities involved. Cochran , Journey to Justice, S. 273, 274. 7 0 4 7 0 5

Aus wissenschaftlicher Sicht war dieses Argument jedoch nicht haltbar.

Beispielsweise Cochran , Journey to Justice; Darden , In Contempt; Dershowitz , Reasonable Doubts. The O.J. Simpson Case and the Criminal Justice System; Goldberg , The Prosecution Responds; Lange I Vannatter, Evidence Dismissed, The Inside Story Of The Police Investigation Of O.J. Simpson; Schiller/Willwerth, American Tragedy, The Uncensored Story of the Simpson Defense; Shapiro, The Search for Justice: A Defense Attorney's Brief on the O.J. Simpson Case.

232

D. Hauptverfahren und Urteil

Schwerpunkt dieser Arbeit war das Ermittlungsverfahren aus rechtsvergleichender Sicht, wobei mittels des Simpson Verfahrens wichtige Aspekte dargestellt werden konnten. Der letzte Abschnitt ist ein Ausblick darauf, wie das Vorverfahren den weiteren Verfahrensgang im Simpson-Prozeß beeinflußt hat. Während der Simpson-Verteidiger und Professor für Strafrecht und Strafprozeßrecht an der Harvard Law School Alan M. Dershowitz davon überzeugt ist, daß die wesentlichen Grundlagen für das Urteil der Jury schon im Vorfeld der Verhandlung festgelegt wurden 706 , spricht vieles dafür, daß im Hauptverfahren und bei der Urteilsfindung Faktoren eine Rolle spielten, die den Einfluß des Ermittlungsverfahrens zumindest stark zurückdrängten. Will man das Urteil verstehen, so sind die Besonderheiten des Geschworenensystems, soziale Problembereiche wie die Gewalt gegen Frauen, Mißtrauen gegenüber der Polizei und dem Rechtssystem, Rassenfragen und nicht zuletzt auch der Einfluß der Medien zu berücksichtigen. Aus diesem komiexen System an Wechselwirkungen wurde versucht, einige wesentliche Aspekte darzustellen. Stellt man das Vorverfahren dem Hauptverfahren gegenüber, so fallen die zahllosen Vorschriften und Regeln auf, die das Verfahren begleiten und lenken. Im Vorverfahren sind auf Seiten der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und des Gerichts nur Juristen tätig. Die Verfahrensvorschriften füllen in den entsprechenden Gesetzessammlungen Hunderte von Seiten, die Kommentarliteratur und die Rechtsprechungssammlung stehen dem in nichts nach. In Dutzenden von Verfahrensanträgen wurde über die Zulässigkeit von Beweisen gestritten. Zum Recht der Durchsuchungen und Beschlagnahmen sowie generell zu Fragen der Beweiserhebung und -verwertbarkeit steht eine Literatur und Rechtsprechung zur Verfügung, die die deutsche um ein Vielfaches übertrifft. Gleichwohl wird im Hauptverfahren die Entscheidungsfindung Geschworenen übertragen, die juristische Laien sind und die nur anhand ihrer allgemeinen Lebenserfahrung über die präsentierten Beweise zu entscheiden haben. Dies ist zumindest bemerkenswert und aus deutscher Sicht ungewöhnlich. Hier ist das Vorverfahren und das Hauptverfahren in den Händen von Juristen und dadurch auch von diesen geprägt, ungeachtet des Umstands, daß die Schöffengerichte und die Strafkammern der Landgerichte auch mit Schöffen besetzt sind. Das Vor- und Zwischenverfahren ist weniger aufwendig ausgestaltet, da Verfahrensschritte wie die Voranhörung vor dem Magistrate oder die Durchführung eines Grand Jury Verfahrens im deutschen Recht keine Entsprechung haben. Demgegenüber gilt im Hauptverfahren der Untersuchungsgrundsatz, wobei die Beweise entsprechend den Verfahrensregeln der StPO zu erheben sind. Das Gericht hat sein Urteil sodann aufgrund dieser Beweise zu finden und seine Entscheidung dementsprechend zu 7 0 6

Dershowitz, Reasonable Doubts. The O.J. Simpson Case and the Criminal Justice System; vgl. die Besprechung hierzu durch Herz, NJW 1997, S. 1138 ff.

VII. Zusammenfassung

233

begründen, was im Rechtsmittelweg überprüfbar ist. Rechtsmittel stehen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft zu. Anders als im amerikanischen Recht kann auch ein Freispruch von der Staatsanwaltschaft angefochten werden. Das deutsche Strafrechtssystem macht damit einen geschlosseneren und vom Beginn des Ermittlungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung stärker am formellen und am materiellen Strafrecht orientierten Eindruck als das amerikanische Verfahren, das einen Bruch zwischen dem Vorverfahren und dem Hauptverfahren aufzuweisen scheint. Hierbei sind jedoch die Besonderheiten dieses adversarischen, akkusatorischen Strafrechtssystems zu berücksichtigen. Nicht die "Staatsgewalt" sondern eine Gruppe von "Bürgern" soll über die Schuld des Angeklagten entscheiden. Als Entscheidungsgrundlage sollen die Beweise dienen, die von den Parteien präsentiert werden. Damit sich die Parteien als gleichwertige Gegner gegenüberstehen, bedarf es Regeln, die die Rechte und Pflichten festlegen. Gleiches gilt für die Frage, welche Beweise den Geschworenen vorgelegt werden dürfen und auf welche Art und Weise dies zu geschehen hat, damit die Geschworenen objektiv entscheiden können und nicht von einer Seite unzulässig beeinflußt werden. Über die Einhaltung dieser Vorschriften und des Verfahrens wacht der Richter. Legt man diese Betrachtung zugrunde, fügt sich das Vorverfahren und das Hauptverfahren doch wieder zu einem einheitlichen Ganzen zusammen. Das amerikanische Strafrechtssystem bedarf der Umsetzung in die Praxis. Dies ist die Aufgabe der Gesetzgebung, der Obergerichte mit wegweisenden Entscheidungen, aber auch die der Parteien und Gerichte in den Einzelfällen. Neue Entwicklungen bedürfen der entsprechenden Reaktionen, um die Einhaltung der Maximen dieses Strafrechtsystems, das sich aus der Verfassung und der Bill of Rights ableitet, zu gewährleisten. Eine Herausforderung hierfür stellen spektakuläre Verfahren wie der Simpson-Prozeß dar. Die fortschreitende Entwicklung der Medien und deren Einfluß wird besonders in diesen Verfahren deutlich. Gerade im SimpsonProzeß hat sich gezeigt, daß die Fernsehkamera im Gerichtssaal andere Auswirkungen hat, als der Gerichtsreporter im Zuschauerraum. Bei allen Unterschieden im amerikanischen und deutschen Strafrechtssystem, ist nicht zu erwarten, daß diese Entwicklung jenseits des Atlantiks halt machen wird. Der Simpson-Fall bietet damit auch die Chance, hieraus zu lernen, um die dort gemachten Fehler zu vermeiden.

Literaturverzeichnis Bücher Cochran , Johnnie L. Jr. / Kütten , Tim: Journey to Justice, New York, 1996 Continuing Education of the Bar, California Criminal Law, Procedure and Practice, Second Edition, Editors Harris Anne, Briggs Alys, Berkeley, Cal., 1994 Darden, Christopher M.: In Contempt, New York, 1996 Dershowitz , Alan: Reasonable Doubts. The O. J. Simpson Case and the Criminal Justice System, New York, London u.a., 1996 Dressier , Joshua: Understanding Criminal Procedure, New York/Oakland, 1992 Eberle , Carl-Eugen: Gesetzwidrige Medienöffentlichkeit beim BVerfG?, NJW, S. 1637 ff. (1994) Gerhardt,

Rudolf:

Störenfried

oder Wächter?

Die

Rolle des Fernsehens

im

Gerichtssaal - Plädoyer für eine Änderung des § 169 S.2 GVG, ZRP, S. 377 ff. (1993) Gobert , James J.: In Search of the Impartial Jury, The Journal of Criminal Law and Criminology, Vol. 79, No. 2, S. 269 ff. (1988) Goldberg , Hank M.: The Prosecution Responds, A n O. J. Simpson Trial Prosecutor Reveals What Really Happened, Secaucus/New Jersey, 1996 Grano : Rethinking the Fourth Amendment Warrant Requirement, 19 Am. Crim. L. Rev. 603 (1982) Hamm, Rainer: Hauptverhandlungen in Strafsachen vor Fernsehkameras - auch bei uns?, NJW, S. 760 ff. (1995) Herz, Dietmar: Reasonable Doubts - Der Fall Simpson als Lehrstück für den USamerikanischen Strafprozeß, NJW, S. 1138 (1997) Hojmann, Hans: Der Sonderweg des Bundesverfassungsgerichts bei der Fernsehübertragung von Gerichtsverhandlungen, ZRP, S. 339 ff. (1996) Jefferson , Bernard S.: Jefferson's Synopsis of California Evidence Law, Berkeley, Cal., 1985

Literaturverzeichnis

235

Kamisar, Yale: The Exclusionary Rule in Historical Perspective 62 Judicature 337 (1979) Kamisar, Yale /LaFave , Wayne R. / Israel, Herold H.: Modern Criminal Procedure; Cases, Comments and Questions, Eighth Edition, St. Paul, Minn., 1994 Kleinknecht / Janischowsky : Das Recht der Untersuchungshaft, NJW Schriftenreihe, Heft 30, München, 1977 Kleinknecht, Theodor / Meyer-Goßner, Lutz: Strafprozeß Ordnung, 42. neubearbeitete Auflage, München, 1995 Knothe, Michael / Wanckel, Endress: "Angeklagt vor laufender Kamera", ZRP, S. 106 ff. (1996) LaFave , Wayne R. / /srae/, Jerold H.: Criminal Procedure, Second Edition, St. Paul, Minn., 1992 LaFave , Wayne R. / Scott, Austin W. Jr.: Criminal Law, Second Edition, St. Paul, Minn., 1986 Lange, Regina: Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, Heidelberg, 1980 Lange, Tom / Vannatter , Philip: Evidence Dismissed, The Inside Story of the Police Investigation of O. J. Simpson, New York, 1997 Lansbein, John H.: Comparitive Criminal Procedure, Germany, St. Paul, 1977 Lassiter , Cristo: Put the Lens Cap Back on Cameras in the Courtroom: A Fair Trial is at Stake, Trial Lawyers Guide, S. 397 (1994) Mar. The California Grand Jury: Vestige of Aristocracy, 1 Pa. L. J. 36 (1970) Minow , Newton N. / Cate, Fred H.: Who is an Impartial Juror in an Age of Mass Media, The American University Law Review, S. 631 (1991) Morse : A Survey of the Grand Jury Systems, 10 Ore. L. Rev. 101 (1931) Oakes : Studying the Exclusionary Rule in Search and Seizure, 37 U. Chi. L. Rev. 665 (1970) Quoirin, Marianne: Das Elend spektakulärer Prozesse, DRiZ, S. 185 ff. (1997) Richter II, Christian: Zum Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens, Strafverteidiger 1985, 382 Robertson, Jennifer: Domestic Violence and Health Care: A n Ongoing Dilemma, Albany Law Review, S. 1194 ff. (1995) Roxin, Claus: Strafrechtliche und strafprozessuale Probleme der Vorverurteilung, NStZ 1991, 153

Literaturverzeichnis -

Nemo tenetur: Die Rechtsprechung am Scheideweg, NStZ 1995, 465

-

Zur Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft damals und heute, DRiZ 1997, 109

Scheflin: Jury Nullification: The Right to Say No, 455 Cal. L. Rev. 168 (1972) Scheflin / Van Dyke : The Contours of a Controversy, 43 Law & Contemp. Probs. 51 (1980) Scholz, Rupert: Anmerkung zum Beschluß des BVerfG ν. 14.07.1994, NStZ, S. 42 ff (1995) Schwartz , Edward / Schwartz Warren: Decisionmaking by Juries under Unanimity and Supermajority Voting Rules, 80 Geo. L. J. 775, (1992) Schwarzer , William W.: Reforming Jury Trials, U. Chi. Legal F., S. 119 (1990) Simson : Jury Nullification in the American System: A Skeptical View, 54 Tex. L. Rev. S. 488 (1976) Singleton , John V.: Jury Trial: History and Preservation,

Trial Lawyers Guide, S.

273 (1988) Uviller : Reasonability and the Fourth Amendment: A (Belated) Farewell to Justice Potter Stewart, 25 Crim.L.Bull. 29 (1989) Wasserstrom : The Court's Turn Toward a General Reasonableness Interpretation of the Fourth Amendment, 27 Am. Crim. L. Rev 119 (1989) Weiler,

Edgar: Medienwirkung auf das Strafverfahren, ZRP, S. 130 ff. (1995)

Weintraub : Voice Identification, Writing Exemplars and the Privilege against selfincrimination, 10 Vand. L. Rev. 485 (1957) Wilkey: The Exclusionary Rule: Why Suppress Valid Evidence?, 62 Judicature 214 (1978) Wolf ; Gerhard: Die Gesetzwidrigkeit von Fernsehübertragungen aus Gerichtsverhandlungen, NJW, S. 681 ff. (1994) Zuck, Rüdiger: Court TV: Das will ich sehen!, NJW, S. 2082 ff. (1995) Zuck, Rüdiger: Medien und Justiz, Notwendigkeit und Gefahren für die Rechtsprechung, DRiZ, S. 23 ff. (1997)

Andere Quellen Deering's California Codes, Penal Code, 1983, San Francisco. Federal Criminal Code and Rules, St. Paul, Minn., 1994

Literaturverzeichnis Perron,

Walter:

Gutachten

des

Die

Beweisaufnahme

Max-Planck-Instituts

im

237

Strafverfahrensrecht

für

ausländisches

und

des

Auslands,

internationales

Strafrecht, Freiburg, im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz, Freiburg im Breisgau, 1994 Peters, Karl: Fehlerquellen im Strafprozeß, 3 Bände, Karlsruhe 1970, 1972, 1974 Poulos, John W.: The Anatomy of Criminal Justice, Mineola, New York, 1976 Roxin, Claus: Strafverfahrensrecht, 24. neubearbeitete Auflage, München, 1995 Rudolphi,

Hans-Joachim / Horn,

Eckhard / Samson, Erich u.a.: Systematischer

Kommentar zur Strafprozeß Ordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, 1990 Schiller, Lawrence / Willwerth,

James: American Tragedy, The Uncensored Story of

the Simpson Defense, New York 1996 Shapiro , Robert L.: The Search for Justice: A Defense Attorney's Brief on the O. J. Simpson Case, 1996 Tröndle, Herbert: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 48. neubearbeitete Auflage, München, 1997 Wigmore : Evidence, McNaughton rev 1961

Aufsätze Alexander , James: A Brief Narration of the Case and Trial of John Peter Zenger, (1963) Bailey , William S.: Lessons from

'L.A.

Law', Winning Through

Cinematic

Techniques, Trial, S. 98 ff. (1991) Butler , Paul: Racially Based Jury Nullification: Black Power in the Criminal Justice System, Yale Law Journal 105, S. 678 ff. (1995) Damaska , Miijan: Strukturmodelle der Staatsgewalt und ihre Bedeutung für das Strafverfahren, ZStW 87, 713 Dann, Michael: "Learning Lessons" and "Speaking Rights": Creating Educated and Democratic Juries, Indiana Law Journal, S. 1229 (1993) Dwyer , William L.: Protecting the Right of Trial by Jury. It Requires and it is Worth, Vigüance. Trial, S. 77 (1989) Graham , Kenneth / Letwin, Leon: The Preliminary Hearing in Los Angeles: Some Field Findings and Legal-Policy Observations, 18 U.C.L.A Law Rev., 635 (1971)

Literaturverzeichnis Kirnt: Fehlurteile im Strafprozeß, Münster Jur. Diss. 1965 Standard California Codes, Penal Code, New York/Oakland, 1994 United States Code Annotated, St. Paul, Minn., 1987 West's Annotated California Codes, Penal Code, St. Paul, Minn., 1985

Entscheidungen Adams v. New York, 192 U.S. 585, 48 L.Ed. 575 (1904) Aguilar v. Texas, 378 U.S. 108, 12 L.Ed.2d 723 (1964) Alderman ν. United States, 394 U.S. 165, 22 L.Ed.2d 176 (1969) Allen v. Superior Court, 18 Cal3d 520, 134 Cal.Rptr. 774 (1976) Amos v. U.S., 255 U.S. 313, 65 L.Ed. 654 (1921) Anderson v. Superior Court (People), 206 CA3d 533, 544, 253 CR 651, 658 (1988) Arizona v. Hicks, 480 U.S. 321 (1987) Arizona v. Youngblood, 488 U.S. 51, 102 L.Ed.2d 281 (1988) Badillo v. Superior Court, 46 C2d 269, 294 P2d 23 (1956) Batson v. Kentucky, 476 U.S. 79, 90 L.Ed.2d 69 (1986) Beck v. Ohio, 379 U.S. 89, 13 L.Ed.2d 142 (1964) Beck v. Washington, 369 U.S. 541, 8 L.Ed.2d 98 (1962) Bell v. Wolfish, 441 U.S. 520, 523 (1979) BGHSt 22, 289 BGHSt 23, 304 BGHSt 40, 71 Bivens v. Six Unknown Named Agents, 403 U.S. 388, 29 L.Ed.2d 619 (1971) Brady v. Maryland, 373 U.S. 83, 10 L.Ed.2d 215 (1963) Branzburg v. Hayes, 408 U.S. 665, 33 L.Ed.2d 626 (1972) Brinegar v. United States, 338 U.S. 160, 93 L.Ed. 1879 (1949) Brown v. Illinois, 422 U.S. 590, 45 L.Ed.2d 416 (1975) Brown v. United States, 359 U.S. 41, 3 L.Ed.2d 609 (1959)

Literaturverzeichnis

239

BVerfGE 39,156 BVerfGE 45,187 California v. Green, 399 u.S. 149, 26 L.Ed.2d 489 (1970) California v. Trombetta, 467 U.S. 479, 81 L.Ed.2d 413 (1984) Chamber v. Maroney, 399 U.S. 42 (1970) Chimel v. California, 395 U.S. 752, 23 L.Ed.2d 685 (1969) City of Seattle, 387 U.S. 541, 18 L.Ed.2d 943 (1967) Clinton v. Virginia, 377 U.S. 158, 12 L.Ed.2d 213 (1964) Coleman ν. Alabama, 399 U.S. 1, 26 L.Ed.2d 387 (1970) Commonwealth v. Webster, 5 Cush. 295, 320, 52 Am. Dec. 711 (Mass. 1850) Coolidge v. New Hampshire, 403 U.S. 443, 29 L.Ed.2d 564 (1971) Costello v. United States, 350 U.S. 359, 100 L.Ed. 397 (1956) Doe v. United States, 487 U.S. 201, 101 L.Ed.2d 184 (1988) Elkins v. U.S., 364 U.S. 206, 217, 4 L.Ed.2d 1669 (1960) Ex parte Jackson, 96 U.S. 727, 24 L.Ed. 877 (1877) Ex parte Wüson, 114 U.S. 417, 29 L.Ed. 89 (1885) Fisher v. United States, 425 U.S. 391, 48 L.Ed.2d 39 (1976) Franks v. Delaware, 438 U.S. 154, 57 L.Ed.2d 667 (1978) Glasser v. United States, 315 U.S. 60, 86 L.Ed. 680 (1942) Grau v. United States, 287 U.S. 124, 77 L.Ed.2d 212 (1932) GrSenBGH 30,105 Hawkins v. Superior Court, 22 Cal. 3d 584, 150 Cal.Rptr. 435, 596 P.2d 916 (1978) Hewitt v. Superior Court, 5 CA3d 923, 85 CR 493 (1970) Hoffman v. U.S. 341 U.S. 479, 95 L.Ed. 1118 (1951) Horack v. Superior Court, 3 Cal3d 720, 91 Cal.Rptr. 569 (1970) Horton v. California, 110 L.Ed.2d 112 (1990) Hurtado v. California, 110 U.S. 516, 28 L.Ed. 232 (1884) Illinois v. Gates, 463 U.S. 1237 (1983)

Literaturverzeichnis Illinois v. Rodriguez, 110 S.Ct. 2793, 2799 (1990) In re Cordero, 46 C3d 161, 249 CR 342 (1988) In re Ferguson, 5 C3d 525, 96 CR 594 (1971) In re Marquez, 1 C4th 584, 596, 3 CR2d 727 (1992) In re Michael L , 216 Cal.Rptr. (Cal 1985) In re Misener, 38 Cal.3d 543, 213 Cal.Rptr. 569 (1985) In Re Winship, 397 U.S. 358 (1970) Irvin v. Dowd, 366 U.S. 717, 81 S.Ct. 1639, 6 L.Ed.2d 751 (1961) Izazaga v. Superior Court of Tulare County, 54 Cal 3d 356, 285 CR 231 (1991) Johnson v. United States, 333 U.S. 10, 92 L.Ed. 436 (1948) Jones v. United States, 362 U.S. 257, 4 L.Ed.2d 697 (1960) Katz v. United States, 389 U.S. 347, 19 L.Ed.2d 576 (1967) Lawn v. United States, 355 U.S. 339, 2 L.Ed.2d 321 (1958) Lem Woon v. Oregon, 229 U.S. 586, 57 L.Ed. 1340 (1913) Lisenba v. California, 314 U.S. 219, 236, 86 L.Ed 166 (1941) Mallory v. United States, 354 U.S. 449, 1 L.Ed.2d 1479 (1957) Malloy v. Hogan, 378 U.S. 1, 12 L.Ed.2d 653 Mapp v. Ohio, 367 U.S. 643, 6 L.Ed.2d 1081 Marron v. United States, 275 U.S. 192, 72 L.Ed. 231 (1927) Maxwell v. Stephens, 229 F.Supp. 205, 382 U.S. 944, 15 L.Ed.2d 353 McDonald v. United States, 335 U.S. 451, 93 L.Ed. 153 (1948) Miranda v. Arizona, 384 U.S. 436, 16 L.Ed.2d 694 (1966) Murgia v. Municipal Court, 15 C3d 286, 124 CR 204 (1975) Murphy v. Waterfront Commission, 378 U.S. 52, 12 L.Ed.2d 678 (1964) Murray v. United States, 487 U.S. 533, 101 L.Ed.2d 472 (1988) Nardone v. United States, 308 U.S. 338 , 84 L.Ed. 307 (1939) Neal v. Delaware, 103 U.S. 370, 26 L.Ed. 567 (1881) Nix v. Williams, 467 U.S. 431, 81 L.Ed.2d 377 (1984)

Literaturverzeichnis Oliver v. United States, 466 U.S. 170, 80 L.Ed.2d 214 (1984) Olmstead v. U.S., 277 U.S. 438, 485, 72 L.Ed. 944, 959 (1928) Payton v. New York, 445 U.S. 573, 63 L.Ed.2d 639 (1980) People v. Ammons, 162 Cal.Rptr. 772, 103 C.A.3d 20 (1980) People v. Baird, 168 Cal.App.3d 237, 214 Cal.Rptr. 88 (1985) People v. Box, 14 CA4th 177, 17 CR2d 504 (1993) People v. Brice, 130 CA3d 201, 181 CR 518 (1982) People v. Caffero, 207 CA3d 678, 255 CR 22 (1989) People v. Cahan, 44 Cal2d 434 (1955) People v. Cain, 216 Cal.App.3d 366, 264 Cal.Rptr. 339 (1989) People v. Carson, 4 CA3d 782, 84 CR 699 (1970) People v. Contreras, 210 CA3d 450, 259 CR 290 (1989) People v. Cooper, 53 C3d 771, 281 CR 90 (1991) People v. Defore, 150 N.E. 585 (N.Y. 1926) People v. DeVaughn, 18 C3d 889, 135 CR 786 (1977) People v. Dickson, 144 Cal.App.3d 1046, 192 Cal.Rptr. 897 (1983) People v. Drews, 208 CA3d 1317, 256 CR 846 (1989) People v. Dumas, 9 Cal3d 871, 109 Cal.Rptr. 304 (1973) People v. Duroncelay, 48 Cal. 2d 766, 312 Ρ 2d 690 (1957) People v. Edwards, 178 Cal.Rptr. 876, 126 C.A.3d 447 (1981) People v. Encerti, 130 CA 3d 791, 182 CR 139 (1982) People v. Garcia, 17 CA4th 1169, 22 CR2d 545 (1993) People v. Gomez, 198 Colo. 105 (1979) People v. Gordon, 84 CA3d 913, 149 CR 91 (1978) People v. Griffin, 64 C3d 1011, 251 CR 643 (1988) People v. Haeussler, 41 Cal. 2d 252, 260 Ρ 2d 8 (1953) People v. Hayes, 3 CA4th 1238, 5 CR2d 105 (1992) People v. James, 19 C3d 99, 137 CR 447 (1977)

17 Schnabl

Literaturverzeichnis People v. Johnson, 70 C2d 469, 74 CR 889 (1969) People v. Krivda, 8 Cal.3d 623, 105 Cal.Rptr. 521 (1973) People v. Laiwa, 34 C3d 711, 195 CR 503 (1983) People v. Ledesma, 43 C3d 171, 233 CR 404 (1987) People v. Lee, 3 CA3d 514, 83 CR 715 (1970) People v. Luttenberger, 50 C3d 1, 265 CR 690 (1990) People v. Macavoy, 162 Cal.A.3d 746, 209 Cal.Rptr. 34 (1984) People v. Mattson, 50 C3d 826, 268 CR 802 (1990) People v. Meredith, 29 CA3d 682, 175 CR 612 (1981) People v. Parrison, 187 Cal.Rptr. 123, 137 C.A.3d 529 (1982) People v. Pic'l, 31 C3d 731, 183 CR 685 (1982) People v. Ruthford, 14 C3d 399, 121 CR 261 (1975) People v. Sahagun, 89 CA3d 1, 152 CR 233 (1979) People v. Sanchez, 150 Cal.Rptr. 772, 86 C.A.3d Supp. 8 (1978) People v. Sanchez, 172 Cal.Rptr. 290, 116 C.A.3d 720 (1981) People v. Slaughter, 35 C3d 629, 200 CR 448 (1984) People v. Smith, 7 Cal.3d 282, 101 Cal.Rptr. 893 (1972) People v. Soldoff, 169 Cal.Rptr. 57, 112 C.A.3d 1 (1980) People v. Stansbury, 263 CA2d 499, 69 CR 827 (1968) People v. Stear, 35 CA3d 304, 110 CR 711 (1973) People v. Superior Court (Bowman), 18 CA3d 316, 95 CR 757 (1971) People v. Superior Court (Broderick), 231 CA3d 584, 282 CR 418 (1991) People v. Superior Court (Fairbank), 192 CA3d 32, 237 CR 158 (1987) People v. Superior Court (Sosa), 31 C3d 883, 185 CR 113 (1982) People v. Sutton, 134 Cal.Rptr. 921, 65 C.A.3d 341 (1976) People v. Teresinski, 30 C3d 822, 180 CR 617 (1982) People v. Torres, 8 Cal.Rptr. 2d 332, 6 Cal.App.4th 1324 People v. Triggs, 8 Cal3d 884, 106 Cal.Rptr. 408 (1973)

Literaturverzeichnis

243

People v. Trujillo, 32 Cal. 2d 105, 194 Ρ 2d 681 (1948) People v. Wheeler, 22 C3d 258, 148 CR 890 (1978) People v. Woolman, 40 CA3d 652, 115 CR 324 (1974) Pitchess v. Superior Court of Los Angeles County, 11 C3d 531, 113 CR 897 (1974) Powers v. Ohio, 113 L.Ed.2d 411 (1991) Preston v. U.S. 376 U.S. 364, 11 L.Ed.2d 111 (1964) Rakas v. Illinois, 439 U.S. 128, 58 L.Ed.2d 387 (1978) Rawlings v. Kentucky, 448 U.S. 98, 65 L.Ed.2d 633 (1980) Reynolds v. Superior Court, 12 Cal3d 834, 117 Cal.Rptr. 437 (1974) Rideont v. Superior Court, 67 C2d 471, 62 CR 581 (1967) Robbins v. California, 453 U.S. 420 (1981) Rochin v. California, 342 U.S. 165, 96 L.Ed. 183 (1952) Schmerber v. California, 384 U.S. 757, 16 L.Ed.2d 908 (1966) Segura v. United States, 468 U.S. 796, 82 L.Ed.2d 599 (1984) Silverman v. U.S., 365 U.S. 505, 5 L.Ed.2d 734 (1961) Silverthorne Lumber Co. v. United States, 251 U.S. 385, 64 L.Ed. 319 (1920) Skelton v. Superior Court, 1 Cal3d 144 (1969) Stack v. Boyle, 342 U.S. 1 (1951) Stanton v. Superior Court, 193 CA3d 265, 239 CR 328 (1987) State v. Sanders, 506 P.2d 892 (Wash.App. 1973) Steele v. United States, 267 U.S. 498, 69 L.Ed. 757 (1925) Stone v. Powell, 428 U.S. 465 Stoner v. California, 376 U.S. 483, 11 L.Ed.2d 856 (1964) Strauder v. West Virginia, 100 U.S. 303, 25 L.Ed. 664 (1880) Strickland v. Washington, 466 U.S. 668, 80 L.Ed.2d 674 (1984) Swain v. Alabama, 380 U.S. 202, 13 L.Ed.2d 759 (1965) Tamborino v. Superior Court, 41 Cal.3d 919, 226 Cal.Rptr. 868 (1986) Taylor v. Louisiana, 419 U.S. 522, 42 L.Ed.2d 690 (1975)

17*

Literaturverzeichnis Taylor v. U.S., 286 U.S. 1, 76 L.Ed. 951 (1932) Tehan v. U.S. ex rei. Shott, 382 U.S. 406, 15 L.Ed.2d 453 (1966) Terry v. Ohio, 392 U.S. 1, 20 L.Ed.2d 889 (1968) Texas v. Brown, 460 U.S. 730 (1983) Theodor v. Superior Court, 8 C3d 77, 104 CR 226 (1972) Thies v. State, 178 Wis. 98, 189 N.W. 539 (1922) United States v. Agurs, 427 U.S. 97, 49 L.Ed.2d 342 (1976) United States v. Burr, 25 F.Cas. 49 (D.Va. 1807) United States v. Calandra, 414 U.S. 338, 38 L.Ed.2d 561 (1974) United States v. Chadwick, 433 U.S. 1 (1977) United States v. Dunn, 480 U.S. 294 (1987), 94 L.Ed.2d 326 (1987) United States v. Griffin, 502 F.2d 959 (6th Circuit 1974) United States v. Janis, 428 U.S. 433 (1976) United States v. Lefkowitz, 285 U.S. 452, 76 L.Ed. 877 (1932) United States v. Leon, 468 U.S. 897, 82 L.Ed.2d 677 (1984) United States v. Nobles, 422 U.S. 225, 45 L.Ed.2d 141 (1975) United States v. Ortiz, 422 U.S. 891, 45 L.Ed.2d 623 (1975) United States v. Payner, 447 U.S. 727, 65 L.Ed.2d 468 (1980) United States v. Robin, 474 F2d 262 (3d Circuit 1973) United States v. Salerno, 481 U.S. 739 (1987) United States v. Salvucci, 448 U.S. 83, 65 L.Ed.2d 619 (1980) United States v. Santana, 427 U.S. 38, 49 L.Ed.2d 300 (1976) United States v. Valenzuela-Bernal, 458 U.S. 858, 73 L.Ed.2d 1193 (1982) Warden v. Hayden, 387 U.S. 294, 18 L.Ed.2d 782 (1967) Wardius v. Oregon, 412 U.S. 470, 37 L.Ed.2d 82 Weeks ν. United States, 232 U.S. 383, 58 L.Ed. 652 (1914) Williams v. Florida, 399 U.S. 78, 26 L.Ed.2d 446 (1970) Wolf v. Colorado, 338 U.S. 25, 93 L.Ed. 1782 Wong Sun v. United States, 371 U.S. 471, 9 L.Ed.2d 441 (1963)

averzeichnis Absonderung 136, 209, 215 ff.

Beweisantragsrecht 194, 199

Abstimmungsmehrheit 51

Beweiserleichterungen 48

accusatory 3 ff.

Beweisgrundsätze 78

adversary 3 ff.

Beweislast 3 ff., 77 ff., 120, 128 ff.,

Affidavit 141 Alibi 23 Anklageschrift 20, 36, 39, 202 Anscheinsbeweis 51 ff. Antragsbefugnis 124 ff. Anwesenheitsrecht 43, 61, 67, 77, 195 ff., 202 ff.

152 ff., 187, 191 ff. Beweisregeln 48, 50 ff., 78 Beweisverwertungsverböte 25, 50, 70, 89 Bill of Rights 40, 52, 90 ff., 233 Bluttropfen 13, 18, 23, 88, 106, 110, 113, 121, 124, 129, 131, 133, 137 ff., 163, 183

Arraignment 31

Bösgläubigkeit 190

Aufsichtsbefugnis 16, 53 ff.

Brentwood 13, 20, 88, 89, 165

Auskunftserteilung sh. Discovery

Brown Simpson Nicole 5, 8, 13, 34,

Ausschlußregel 50, 70, 89 ff., 114, 124 ff., 130 ff. Außervollzugsetzung 27 ff.

55, 106,231 Bundesgericht 16, 40, 90 Bundesgerichtshof (BGH) 37, 59, 200 Bundespolizei 16

Bailey F. Lee 77, 216, 222 Befangenheit 58 ff.

Bundesverfassungsgericht 1, 26, 36, 227

Belehrung 31 ff., 49, 57, 198, 210 Beschlagnahme 5, 21, 70, 86, 89 ff., 232 beschleunigtes Verfahren 135 Bewährung 8, 17, 34 ff.

California Code of Civil Procedure (CCP) 56 California Evidence Code 74 ff., 78, 129, 165 ff., 170 ff., 179 ff.

246

averzeichnis

Carjacking 35

F.B.I. 16, 95, 159

Clark Marcia 14, 17, 210

Federal Criminal Code 7

Cochran Johnnie Jr. 77, 220

Federal Rule 41

Common Law 22, 35, 52, 57, 89,

Fernsehaufnahmen 223, 226 ff.

153,218 Complaint 31, 34, 39 Court of Appeal 78 Cowlings A l 183 ff., 224

Festnahme 2, 6, 9 ff., 21, 25 ff., 92, 94, 99 ff., 103 ff., 159 Fingerabdrücke 72, 86 ff., 135, 159, 165, 168 Fluchtgefahr 27, 29 ff., 104 Freispruch 11, 60, 67, 187, 199,

Department of Justice 16 Dershowitz Alan 77, 231 Discovery 73, 152

211, 218 ff., 232 Fruit of the Poisonous Tree 115 130 FuhrmanMark 110, 113, 169, 171, 198, 216, 222, 226, 230

District Attorney 16, 184 DNA-Fingerprinting 6 Durchsuchung 2, 6, 21, 24 ff., 70, 87, 89 ff., 182 ff., 232 Durchsuchungsbefehl 13 ff., 17, 24, 89, 94, 99 ff., 182

Garcetti Gil 184 Gefahr in Verzug 88, 103 Geheimhaltung 42, 49, 54, 57, 63 ff., 158 Generalbundesanwalt 16 Generalstaatsanwalt 15 ff., 49

eidesstattliche Versicherung 20 ff. , 142, 152, 170 Einstellung des Verfahrens 77, 123, 137 ff., 166, 188

Geschworene 3, 11 ff., 51, 56, 59 ff., 70, 74, 79 ff., 92, 136 ff., 140, 152, 164, 168, 191, 197, 199, 207 ff.

Einstimmigkeit 11, 80, 218 ff.

Gesetzgebungskompetenz 7

Einzelstaaten 7 ff., 14, 16, 41 ff., 50,

Goldman Ronald 5, 8, 34, 106, 231

71, 73, 78, 84, 90 ff. Enumerationsprinzip 7 Ermessen 49, 75, 78, 155, 157, 164, 181, 190, 205 Erscheinungspflicht 62

Grand Jury 6, 11, 38 ff., 136, 183 ff., 202, 204, 232

Haare 13, 18, 70, 83, 86 ff., 136, 162, 174, 183, 187, 191

Sachverzeichnis Haftbefehl 9 ff., 14, 19 ff., 32 ff., 104

247

Kennedy-Powell Kathleen 69, 82 ff., 87, 108 ff., 121, 137

Haftgrund 25 ff., 30

King Rodney 66, 63

Haftprüfung 32

kontradiktorisch 3, 4, 77, 160, 166,

Handschuh 13 ff., 23, 25, 83, 88, 106, 110, 113, 121, 124, 129, 130, 134, 137 ff., 169, 222, 230

202 Kreuzverhör 75 ff., 77, 79 ff., 83,

211, 216

Hauptverhandlung 1, 11, 60, 66, 78 ff., 117, 123 ff., 134ff., 170, 194 ff., 199 ff., 207, 216 ff., 223, 227 ff. Heimtücke 37 Hexenprozesse 4 Hörensagen 24, 50, 70, 78 ff., 195

Laien 36, 47 ff., 63 ff., 130, 202, 211, 217, 232 Los Angeles 5, 8, 13, 19, 20, 27, 31, 60, 63, 69, 77, 83, 183, 207, 211 ff., 220 ff. Loyalität 16

Immunität 44 ff. Impeachment 74 Medien 5, 19, 54 ff., 70, 77, 80 ff., In Camera 46, 164, 171

169, 177, 209, 215, ff., 220,

Indictment 39 ff., 58, 70, 186

222 ff., 229, 231, 233

Indiz 24, 27, 82 ff., 162 ff., 187, 209, 215, 220

Meineid 44, 1432 Mord ersten Grades 9, 34 ff.

inquisitorisch 4

Mord zweiten Grades 34 ff.

Ito Lance 137, 139, 159, 165, 170 ff., 178, 180, 186, 210, 225

mündliche Verhandlung 12, 66, 173, 202 Municipal Court 11, 14, 19, 31, 39, 58, 69, 72, 78, 160, 192

Jury Consultant 224 Justice Court 20, 78 Nichtigerklärung 52 Kapitalverbrechen 28 ff., 32, 217, 223

Nichtzulassung von Beweisen 6,

Kaution 11, 28 ff., 32, 72, 76, 136

Nullification 52

114 ff., 120 ff., 134 ff.

248

S

Obduktionsbericht 162 ff.

Reasonable Ground 22

Obmann 44, 55

Rechtsstaatsgarantie 29, 41 ff., 45,

öffentliches Interesse 158

56 ff., 71, 84, 91, 160 ff., 173, 175 ff., 181, 188 ff.

Öffentlichkeit 47 ff., 54, 60 ff., 80, 96 ff., 164, 169, 221, 223, 225 ff. Organisation 7, 154

Schußwaffe 27, 35 Schwere der Schuld 37

Parteimaxime 3 ff.

Shapiro Robert 77

Peremtory Challenge 214 ff.

Sheriff 33, 209

Persönlichkeitsrecht 227

Show 216 ff.

Petit Jury 51, 56, 68

Sicherheitsleistung 27 ff., 32, 34

physische Beweismittel 6, 86

Sonderermittler 49

Plädoyer 11, 32, 208 ff., 220, 226

Special Hearing 123

Politik 16 ff., 37, 48, 63

Sportidol 229 ff.

Präklusion 119, 199 ff.

Star Chamber 4

Präsident 16, 125

Strafanzeige 10, 20 ff., 31, 34 ff.,

Preliminary Hearing 6, 10, 42

39, 186

Presentment 31, 40 Presse 2, 19, 54, 57 ff., 136, 177,

Subpoena 43, 158, 168

184, 208, 213, 225 ff. Pressefreiheit 223 Privatsphäre 95 ff., 110 ff., 127 ff., 134, 155 Privilege against Self-incrimination 31 Probable Cause 20 ff. Proposition 78, 161, 193 Protokollführer 42

Tatfragen 3, 11 Todesstrafe 12, 17, 36, 37, 40, 94 Trial 6, 70, 216 True Bill 52 Übertretungen 9 Uelmen Gerald 77 Unabhängigkeit 45, 53, 68

Rassismus 222

United States Code 7

Sachverzeichnis Unmittelbarkeitsgrundsatz 68, 195 Unschuldsvermutung 3, 4, 26 ff., Untersuchungsgrundsatz 2, 4, 152, 217, 233 Untersuchungshaft 25 ff., 72, 200 ff. Urteil 1, 3, 7, 11, 51, 59, 60, 76, 207 ff., 220, 223, 231 ff.

Vannatter Philip 146, 171 Verbot der erzwungenen Selbstbelastung sh. Privilege against Seif Incrimination Verbrechen 9 ff., 17, 28 ff., 32, 36, 39 ff., 56, 71, 101, 104, 107 ff.,

249 136 ff., 169, 172, 177, 185 ff., 200 ff., 223 ff., 231 ff.

Voreingenommenheit 56 ff., 67, 69, 208, 213 ff. Vorermittlung 9 Vorladung 43 ff., 46, 48, 62, 135, 204 ff.

Waffengleichheit 196, 200, 204 ff. Wahrheit 3 ff., 20, 59, 75, 93, 142 ff., 152 ff., 174, 177, 196, 200 ff., 204, 224, 227 Warrant 31, 102

109, 138, 159, 217, 219, 223 Verdunklungsgefahr 26, 29 Verfahrensgrundsätze 2, 77 Vergehen 9 ff., 44, 182 Verhältnismäßigkeit 26, 29, 44, 132 Vernehmungsrecht 48 Voir-Dire 208 Voranhörung 3, 6, 10 ff., 39, 42, 58, 61 ff., 69 ff., 87 ff., 116 ff.,

Zeugen 2, 11, 14, 18, 29, 42 ff., 118 ff., 129, 138, 153 ff., 173 ff., 183 ff., 195, 202 ff., 208 ff., 215 ff., 221 ff. Zeugenaussagen 50, 53, 64, 75 ff., 152, 155, 163, 225 Zwischenverfahren 66, 68 ff., 81, 232