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German Pages [411] Year 2010
Der NS-Gau Thüringen 1939–1945
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 28
Markus Fleischhauer
Der NS-Gau Thüringen 1939–1945 Eine Struktur- und Funktionsgeschichte
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und der
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: aus: Der Führer in Weimar 1925–1938, hrsg. von Fritz Sauckel, Weimar 1938, S. 76.
© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20447-1
Inhalt
Vorwort .....................................................................................................
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Einleitung ..................................................................................................
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TEIL 1 DIE NS-GAUE IM „DRITTEN REICH“ UND DER NS-GAU THÜRINGEN BIS 1939 I.
Die Gaue der NSDAP – Überlegungen zu Struktur, Funktion und Entwicklung ....................................................................................... 39 1. Die Gaue der NSDAP bis 1939 .................................................... 39 2. Die Gaue der NSDAP im Krieg .................................................... 44
II. Der NS-Gau Thüringen bis 1939 ....................................................... 63 1. Der Gau Thüringen bis zur Errichtung der nationalsozialistischen Landesregierung ................................................................................. 63 2. Grundzüge regionaler Gaupolitik nach der „Machtergreifung“ ... 67 III. Das Problem von Staatlichkeit und Staatsaufbau im „Dritten Reich“ unter besonderer Berücksichtigung des NS-Gaues Thüringen…….... 81 1. Die eigenständigen Planungen für den Staatsaufbau durch regionale Parteieliten ......................................................................... 81 2. Pläne zum Verfassungs- und Verwaltungsaufbau des Reiches im Umkreis der SS: Der Aufsatz vom Wilhelm Stuckart über das Verhältnis von Zentralismus und Regionalismus und die angestrebte Einheit der Verwaltung ...................................................................... 84 3. Die Herausbildung regionaler quasistaatlicher Steuerungselemente und neuer „Staatlichkeitsformen“ am Beispiel des NS-Gaues Thüringen ........................................................................................... 92 TEIL 2 DER NS-GAU THÜRINGEN ALS EVAKUIERUNGS- UND VERLAGERUNGSGAU I. Die Durchführung der Evakuierungen bis 1941/1942 ....................... 103 II. Die Evakuierungssituation seit 1943 ................................................. 108
INHALT
2 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die quantitative Seite der Evakuierungssituation ......................... Die Durchsetzung der NSV in der Evakuierungsfrage ................. Die Verschärfung der Evakuierungsfrage seit 1944 ..................... KLV nach Thüringen .................................................................... Die Versorgungsproblematik im Rahmen der Evakuierungen ..... Der NS-Gau Thüringen als Bergegau ...........................................
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TEIL 3 DER NS-GAU THÜRINGEN 1939 BIS 1942 I.
Der NS-Gau Thüringen als Teil des Reichsverteidigungsbezirkes IX 133 1. Der Wehrkreis IX ......................................................................... 133 2. Der Verteidigungsausschuss für den Wehrkreis IX ...................... 136 3. Problem- und Konfliktfelder des Amtes des Reichsverteidigungskommissars......................................................................................... 143
II. Die Organisation der Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung im NS-Gau Thüringen ..................................................... 1. Die Verordnung über die Organisation der Kriegswirtschaftsverwaltung vom 27.8.1939................................................................. 2. Das Bezirkswirtschaftsamt IX b und der Führungsstab ............... Wirtschaft ........................................................................................... 3. Das Landesernährungsamt Thüringen .......................................... a. Errichtung und Aufgaben.......................................................... b. Die Abteilung A........................................................................ c. Die Abteilung B………………………………… .................... d. Herrschaft und Kontrolle .......................................................... e. Das Problem unklarer Zuständigkeiten ..................................... f. Die Zusammenarbeit mit Verbänden, Organisationen und Institutionen………………………………… .............................. g. Die Herausbildung neuer Organisations- und Kommunikationsformen………………………………… ........... 4. Die Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen ........ 5. Die Bezirksausgleichsstelle für öffentliche Aufträge der Wirtschaftskammer Thüringen........................................................... 6. Die Stilllegungsaktionen im NS-Gau Thüringen ..........................
150 150 154 167 167 171 173 177 179 182 189 191 201 205
INHALT
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TEIL 4 DER NS-GAU THÜRINGEN 1942 BIS 1945 I.
Der NS-Gau Thüringen als Reichsverteidigungsbezirk IX b ............. 1. Die Anpassung der Reichsverteidigungsbezirke an die Gaugrenzen und der NS-Gau Thüringen ........................................... 2. Die Ausweitung der Gaufunktionen in der inneren Administration – Beispiele................................................................. 3. Der Führererlass vom 1.4.1944 ....................................................
212 212 218 225
II. Die Organisation der Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung im NS-Gau Thüringen ..................................................... 232 1. Die Gauwirtschaftskammer Thüringen und die regionale Gliederung der DAF........................................................................... 232 2. Die Stilllegungsaktionen im NS-Gau Thüringen .......................... 247 III. Der Gaueinsatzstab im NS-Gau Thüringen........................................ 255 1. Die Errichtung des Gaueinsatzstabes und seine Aufgabenbereiche .............................................................................................. 255 2. Das Verhältnis von Gaueinsatzstab, staatlichen Behörden und regionaler Parteiorganisation ...................................................... 262 IV. „Als brennendste Frage der Mangel an Arbeitern“ – Die Arbeitskräftefrage im NS-Gau Thüringen, der Gauleiter / Reichsverteidigungskommissar und die Gauführung ........................................ 1. Die Berufung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) ........................................................................ 2. Organisation und regionale Mechanismen ................................... 3. Die Errichtung des Gauarbeitsamtes Thüringen ........................... 4. Die Goebbels-Aktion vom Sommer 1944 .................................... TEIL 5 I.
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DIE KRIEGSWIRTSCHAFTLICHEN MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN IM NS-GAU THÜRINGEN
Die Situation von 1939 bis 1942 ........................................................ 1. Die Mobilmachung der Kriegswirtschaft durch die Wehrwirtschaftsinspektion IX und die Wehrwirtschaftsstellen in Weimar und Eisenach ...................................................................................... 2. Kriegsbedingte Probleme der Rüstungsinspektion IX: Energieund Kohleversorgung und die Ermittlung freier Kapazitäten ............ 3. Das Arbeitskräfteproblem und die Lösungsversuche durch die Rüstungsdienststellen im Wehrkreis IX ....................................... a. Die Situation 1939/40 ...............................................................
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INHALT
b. Die Arbeitskräftesituation 1940 bis 1942 ................................. 308 c. Die Prüfungskommission im Wehrkreis IX .............................. 314 d. Betriebs- und Auftragsverlagerungen aus dem Wehrkreis IX .. 321 II. Die Situation ab 1942......................................................................... 1. Die Zusammenfassung der Rüstungsorganisation in der Mittelinstanz ................................................................................................ 2. Planungen zur Neuordnung der Mittelinstanz im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion gegen Ende des Krieges ......................................................................................... 3. Die Rüstungskommission IX b ..................................................... a. Organisation und Aufbau .......................................................... b. Die Rüstungskommission IX b und das Arbeitskräfteproblem c. Die Rüstungskommission IX b im Spannungsfeld der Arbeitseinsatzpolitik ..................................................................... d. Hilfsmaßnahmen zur Aktivierung der Arbeitskräfte ................ e. Die Errichtung der Gau-Prüfungsausschüsse............................ f. Die Berufung von Arbeitseinsatzingenieuren ...........................
323 323 329 332 332 338 341 345 350 353
Resümee .................................................................................................... 356 Bibliographie ............................................................................................. 361 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. 398 Personenverzeichnis .................................................................................. 401
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde 2009 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation angenommen. Für die Buchfassung wurde das Manuskript nochmals überarbeitet und gekürzt. Am Ende einer für mich faszinierenden Arbeit möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei all jenen zu bedanken, ohne die die vorliegende Studie nicht hätte entstehen können. Danken möchte ich den Mitarbeitern des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar, des Bundesarchivs Berlin sowie des Bundesarchivs-Militärarchivs Freiburg im Breisgau, die geduldig und hilfsbereit meine Wünsche erfüllten. Besonders zu Dank verpflichtet bin ich meinen akademischen Lehrern, insbesondere meinem „Doktorvater“, Herrn Professor Dr. Jürgen John. Herr Professor John hat die Arbeit über mehrere Jahre hinweg kritisch und ermunternd begleitet und mir vielfältige Hilfe gewährt. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Rainer Gries und Herrn Professor Dr. Norbert Frei für Hinweise und Beratung. Der „Historischen Kommission für Thüringen“, insbesondere ihrem Vorsitzenden, Herrn Prof. Dr. Werner Greiling, bin ich für die Aufnahme in die „Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe“ sowie für die Unterstützung bei der Beschaffung des Druckkostenzuschusses zu großem Dank verpflichtet. Besonders erwähnen möchte ich meine zahlreichen Kollegen, die das Manuskript gegengelesen und verbessert haben: Dr. Thorsten Burger, Daniela Dressel, Christine Fleischhauer, Caterina Fox, Ellen Franze, Alexander Lechler, Siegfried Nowak, Nadine Ring. Meinem Bruder Tobias Fleischhauer sowie meinen Freunden Maik Ebert, Michael Ebert, Marco Ebert und Marcel Treybig danke ich für ihre Unterstützung und die Diskussionen, die das Entstehen der Arbeit begleitet haben. Danken möchte ich auch meiner Familie, die mir jede Hilfe gewährt hat, die man sich wünschen kann. Ich möchte die Arbeit meiner Frau Christina widmen. Sie hat mich jederzeit ermuntert und das Entstehen der Arbeit – auch während der oft langwierigen Archivbesuche – auf ihre unnachahmliche Art begleitet. Dafür und für vieles mehr bin ich ihr sehr dankbar. Coburg, im Oktober 2009
Markus Fleischhauer
Einleitung
In der Literatur über den inneren Aufbau des „Dritten Reiches“ überwog lange Zeit der Blick auf allein zentralistisch funktionierende, den gesamten Staat erfassende und gleichmäßig durchdringende Herrschaftsmechanismen, in denen es im Grunde keine regionalen Entwicklungen gegeben haben kann, da im „Staat Hitlers“1, im „Führerstaat“2 der Wille des „Führers“ gleichsam alle öffentlichen und privaten Bereiche beherrschte. In der Folge konzentrierte sich die Forschung auf die Darstellung des nationalsozialistischen Deutschlands als eine Art monolithischen Block3, in dem die einzelnen Herrschaftsträger von der Zentralinstanz problemlos über die Mittel- bis in die Unterinstanz Herrschaft ausüben konnten, ohne auf spürbare Widerstände zu stoßen. Die regionalen Strukturen und Funktionsweisen blieben bei dieser Sichtweise zum größten Teil mit dem Hinweis auf die Gleichschaltungsphase 1933/35 als eigenständige Akteure neben der Reichsverwaltung, neben den Gliederungen und angeschlossenen Verbänden der Partei sowie den zahlreichen Sonderbehörden und -bevollmächtigten unbeachtet oder wurden zu deren funktionalem Unterbau degradiert und oftmals aus der Betrachtung ausgeblendet. Die Länder wie auch die Gaue der NSDAP und ihre jeweiligen Verwaltungen geraten erst in den letzten Jahren als Objekte systematischer Studien in den Blick der Zeithistoriker und tragen damit erheblich zu einer differenzierteren und schärferen Wahrnehmung des Nationalsozialismus bei. Die Gaue im zentralistischen „Führerstaat“ wurden und werden in der Regel lediglich als Parteiherrschaften wahrgenommen und beschrieben.4 Ihre er1
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Vgl. Martin Broszat: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, 15. Aufl., München 2000. Broszats Standardwerk erschien in der ersten Auflage bereits 1969. Neuerdings dazu Norbert Frei (Hg.): Martin Broszat, der „Staat Hitlers“ und die Historisierung des Nationalsozialismus (=Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts Vorträge und Kolloquien 1), Göttingen 2007. Vgl. Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 1987; Gerhard Hirschfeld/Lothar Kettenacker (Hg.): Der „Führerstaat“. Mythos und Realität. Studien zur Struktur und Politik des Dritten Reiches (=Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 8), Stuttgart 1981. Vgl. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt/Main 1955. (zuerst: "The origins of totalitarianism", New York 1951) Die folgenden Ausführungen orientieren sich an Jürgen John: Die Gaue im NSSystem, in: ders./Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hg.): Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“ (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer), München 2007, S. 22-55
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EINLEITUNG
hebliche Bedeutungsaufwertung vor und im Krieg blieb und bleibt vor diesem Forschungsansatz meist unberücksichtigt. In der Regel interessierten sie nur dann, wenn sie von exponierten Gauleitern nach außen repräsentiert und nach innen geführt wurden oder wenn die Gauleiter staatliche Funktionen als Reichsstatthalter oder Reichsverteidigungskommissare (RVK) übernahmen. Die Aufwertung der Gaue und ihre Ausstattung mit kriegswirtschaftlichen Mobilisierungsfunktionen im Rahmen des Vierjahresplans (VJP) blieb dabei meist ebenso unberücksichtigt wie ihre Rolle im Krieg, als nahezu alle wichtigen Steuerungsfunktionen auf die Gaue verlagert und von diesen absorbiert wurden. Wenn die Gaue in das Blickfeld der Forschung rückten, dann vor dem Hintergrund ihrer Rolle in der Frühphase der Bewegung, in der Zeit der Etablierung der NSDAP und in der ersten Phase des Regimes, als die neuen Machthaber ihre Herrschaft stabilisierten. Sie wurden lediglich als Rahmen wahrgenommen, in denen sich innere Entwicklungen abspielten.5 Innere Funktionszusammenhänge geraten dabei nur selten in den Blick und für die Kriegszeit lassen sich kaum empirisch fundierte, neueren Forschungsansätzen verpflichtete Arbeiten zur Regionalgeschichte des Nationalsozialismus finden, die die Rolle der Gaue als Mittelinstanzen des „Dritten Reiches“ angemessen berücksichtigen.6 Einzelne Gauporträts finden sich in der Literatur eher selten.7 Die Funktion der Gaue bei der Durchsetzung und Stabilisierung 5
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Vgl. Volker Zimmermann: Die Sudetendeutschen im NS-Staat. Politik und Stimmung in der Bevölkerung im Reichsgau Sudetenland (1938-1945) (=Veröffentlichungen der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission 9, Veröffentlichungen des Instituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa 16), Essen 1999. Vgl. Marlis Buchholz/Claus Füllberg-Stolberg/Hans-Dieter Schmid (Hg.): Nationalsozialismus und Region. Festschrift für Robert Obenaus zum 65. Geburtstag (=Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte 11), 2. Aufl., Bielefeld 1997. Vgl. Michael Rademacher: Handbuch der NSDAP-Gaue 1928-1945. Die Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen auf Gau- und Kreisebene in Deutschland und Österreich sowie in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen, Sudetenland und Wartheland, Vechta 2000. Hierbei handelt es sich um einen Nachdruck von NSDAPOrganisations-Handbüchern. Ernst Hanisch: Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938-1945, Salzburg 1997; Ralph Gebel: „Heim ins Reich“. Konrad Henlein und der Reichsgau Sudetenland (1938-1945), 2. Aufl., München 2000; Emmerich Tálos: Von der Liquidierung der Eigenstaatlichkeit zur Etablierung der Reichsgaue „Ostmark“. Zum Umbau der politisch-administrativen Struktur, in: ders. u.a. (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2001, S. 55-72; Uwe Lohalm: „Modell Hamburg“. Vom Stadtstaat zum Reichsgau, in: Hamburg im „Dritten Reich“, hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, Göttingen 2005, S.122-153; Joachim Lilla: Die Stellvertretenden Gauleiter und die Vertretung der Gauleiter der NSDAP im „Dritten Reich“ (=Materialien aus dem Bundesarchiv 13), Bremerhaven 2003; Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden
EINLEITUNG
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der nationalsozialistischen Herrschaft bis zum Kriegsende geriet bislang kaum in den Blick der Forschung.8 Die Gaue der NSDAP bildeten keinesfalls die von Hans Mommsen beschriebenen „Phantom(e) der Mittelinstanz“9. Sie können spätestens seit der offiziell vollzogenen kriegs- und rüstungswirtschaftlichen Wende des Regimes 1935/36 als politische und administrative Akteure identifiziert werden, die mit einem erheblichen Effizienz- und Mobilisierungspotenzial ausgestattet wurden. Mit den Gauen bildete sich eine Herrschaftsebene aus, die nicht nur den Rahmen für Entwicklungen in den Regionen des Reiches bot, sondern die im Krieg wichtige Herrschaftsmechanismen aufsog oder mit ihnen ausgestattet wurde. Die skizzierten Forschungsdefizite zur Regionalgeschichte der Gaue im „Führerstaat“ konterkariert (paradoxerweise) eine Vielzahl von Lokalstudien, die herrschafts- und systemstabilisierende Faktoren in den Mittelpunkt rücken.10 Sie beschreiben das Wechselspiel zwischen zentralen und lokalen Ausformungen von Herrschaft unter modernen Fragestellungen. Neuere Forschungen zu städtischem Behördenhandeln und kommunaler Verwaltungspraxis gelangen zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Offenbar bereitet der methodische Zugriff auf die Gaue nach wie vor Probleme bei der Erfassung der Abhängigkeiten zwischen zentraler, regionaler und lokaler Herrschaftsausformung. Gegenüber der Lokal- und Reichsgeschichte ist die Erforschung der Regionen deutlich in den Hintergrund gerückt.
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im Reichsgau Wartheland 1939-1945 (=Quellen und Studien des Deutschen Historischen Instituts Warschau 17), Wiesbaden 2006. Vgl. grundsätzlich den erst kürzlich erschienen, die Forschung bilanzierenden und neue Perspektiven aufweisenden Band von John/Möller/Schaarschmidt (Hg.): NSGaue Hans Mommsen: Reichsreform und Regionalgewalten – Das Phantom der Mittelinstanz 1933-1945, in: Oliver Janz/Pierangelo Schiera/Hannes Siegrist (Hg.): Zentralismus und Föderalismus im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, Berlin 2000, S. 227-237 Vgl. Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung, München 2006; Sabine Mecking/Andreas Wirsching (Hg.): Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft, Paderborn u.a. 2005; Wolf Gruner: Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung. Wechselwirkung lokaler und zentraler Politik im NS-Staat (1933-1942), München 2002.
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EINLEITUNG
Die durch zahlreiche Studien belegte Unübersichtlichkeit der zentralen Reichsverwaltung11 blieb nicht ohne Folgen für die mittleren und unteren Instanzen, da zahlreiche neu ins Leben gerufene Ämter und Funktionen sich einen eigenen Unterbau schufen. Begriffe wie „autoritäre Anarchie“12, „planvolles Kompetenzchaos“13, „totalitäres Dominiensystem“14, „Polyzentrismus“15, „Führungs-Chaos“ und „Ämter-Darwinismus“16, „geplante Strukturlosigkeit“17, „institutionelles Gestrüpp“ und „organisierter Dschungel“18, „institutionelle Anarchie“19, „organisiertes Chaos“20, „Dschungel der Rivalitäten und der daraus erwachsenden administrativen Anarchie des Dritten Reiches“21 – in zahlreichen Facetten und Variationen durchzieht die Forschung das Bild vom administrativen Chaos und Verfall der inneren Verfassung. Am Beispiel des Gaues Thüringen zeigt sich aber, dass sich die auf Reichsebene oft willkürlich und im Stile reiner Improvisation ins Leben gerufenen sektoralen Sonderbehörden in komplexer Weise in das Gaugefüge einpassten. Auf Reichsebene führte der Prozess der ständig neu gebildeten, zum Teil mit Führeraufträgen ausgestatteten Sonderbehörden zu einem Prozess, der von Dieter Rebentisch als „fortschreitende(n) Staatsauflösung“22 11
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Vgl. Reinhard Bollmus: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Studien zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem (=Studien zur Zeitgeschichte 1), 2., um einen bibliographischen Essay von Stephan Lehnstaedt erw. Aufl., München 2006. Vgl. Waltert Petwaidic: Die Autoritäre Anarchie. Streiflichter des deutschen Zusammenbruchs, Hamburg 1946. Vgl. Helmut Heiber: Der Generalplan Ost (Dokumentation), in: VfZ 6 (1958), S. 281325, hier S. 284 Karl Dietrich Bracher/Gerhard Schulz/Wolfgang Sauer: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Bd. II: Wolfgang Sauer: Die Mobilmachung der Gewalt, Köln/Opladen 1974, S. 924f. David Schoenbaum: Die braune Revolution, Köln/Berlin 1968, S. 248 Bollmus: Rosenberg, S. 236, 245 Dietrich Kirschemann: „Gesetz“ im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS, Berlin 1970, S. 133 Broszat: Staat, S. 438f. Hans Mommsen: Nationalsozialismus, in: Claus D. Kernig (Hg.): Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, Bd. 4, Freiburg/Breisgau u.a. 1971, Spalte 695-713, hier Spalte 713 Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945 (=Frankfurter historische Abhandlungen 29), Wiesbaden 1989, S. 533 Vgl. David Kitterman: Otto Ohlendorf. „Gralshüter des Nationalsozialismus“, in: Ronald Smelser/Enrico Syring (Hg.): Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, 2. durchges. u. aktual. Aufl., Paderborn u.a. 2003, S. 379-393 Rebentisch: Führerstaat, S. 362
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beschrieben wurde, der den Beteiligten nicht verborgen blieb.23 Diese These greift aber zu kurz und lässt die (destruktive) Leistungsfähigkeit des Regimes außer Acht. Mit Blick auf die Belastungen des Krieges und der gleichzeitigen Mobilisierungsfähigkeit helfen die Theoriemodelle vom Ämterchaos, Staatsverfall, Verwaltungsdschungel, polykratischen24 Herrschaftsstrukturen etc. nur wenig weiter.25 Damit verbunden ist ein Perspektivwechsel. Jene Ansätze, die bisher zur Erklärung des NS-Systems und seiner enormen Leistungsfähigkeit wie Destruktivität angewandt wurden, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als weniger NS-spezifisch, als die Forschung seit den siebziger Jahren angenommen hat. Oder anders formuliert: die sich gegenseitig bedingenden, radikalisierenden Effekte rivalisierender Behörden, Institutionen und ihres Personals bis hinauf in den engsten Führungszirkel des Reiches können die Zielstrebigkeit, mit der das Regime an die Verwirklichung der ideologischen Ziele heranging, nur in Teilen erklären.26 Übersehen werden noch immer allzu oft die bindenden, integrierenden und eng miteinander verflochtenen Kräfte, die für die Erklärung der Mobilisierungs- und Leistungsfähigkeit des Regimes im Krieg Voraussetzung waren.27 Gerade jene Theorien, die das NS-System in seiner ernormen Destruktivität, die auf einen hemmungslosen Raub- und Vernichtungskrieg ausgerichtet 23
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Vgl. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Bd. XIII, Nürnberg 1947, S. 154; XIV, S. 676 (künftig zitiert als IMT) Vgl. zur „Polykratie“-Theorie Peter Hüttenberger: Nationalsozialistische Polykratie, in: GuG 2 (1976), S. 417-442; Hans-Ulrich Thamer: Monokratie-Polykratie: Historiographischer Überblick über eine kontroverse Debatte, in: Gerhard Otto/Johannes Houwink te Cate (Hg.): Das organisierte Chaos. „Ämterdarwinismus“ und „Gesinnungsethik“: Determinanten nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft, Berlin 1999, S. 21-54 Vgl. Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß (Hg.): Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur (=Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 22), Göttingen 2006; Diemut Majer: Führerunmittelbare Sondergewalten in den besetzten Ostgebieten, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 374-395 Vgl. zu diesem Umstand Michael Burleigh: Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, 2. Aufl., Frankfurt/Main 2000, S. 187f. Vgl. Ian Kershaw: ´Working towards the Führer´: reflections on the nature of the Hitler dictatorship, in: Ian Kershaw/Moshe Lewin: Stalinism and Nazism. Dictatorships in comparison, Cambridge u.a. 1999 S. 88-106; Anthony McElligott/Tim Kirk (Hg.): Working towards the Führer. Essays in honour of Sir Ian Kershaw, Manchester/New York 2003.
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EINLEITUNG
war, beschrieben, förderten diesen Trend.28 Sie machten auf die oft gegenläufigen, sich blockierenden, gleichzeitig dynamisierenden und in Rivalitäten und Machtkämpfen gebundenen, sich stetig radikalisierenden Kräfte der Bewegung mit einem – je nach Standpunkt – „schwachen“ oder „starken“29 Hitler an der Spitze aufmerksam.30 Daraus entstand der Eindruck, das „Dritte Reich“ sei ein Staat im Verfall gewesen und das Chaos im Innern führe zu einer ungebremsten und gewollt herbeigeführten Staatsauflösung.31 So fruchtbar diese Ansätze sind, so verstellen sie den Blick auf die Bindekräfte des Regimes und seiner „Volksgemeinschaft“.32 Gerade auf der mittleren Ebene der Gaue greifen Überlegungen von ineffizienten, chaotischen Verwaltungen nicht.33 Das konnten sich die Akteure und Netzwerke vor Ort allein schon
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Vgl. die grundlegende, noch immer an inhaltlicher Dichte beispielhafte Studie von Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, hg. u. mit einem Nachwort von Gert Schäfer, Frankfurt/Main 1998. (zuerst: "Behemoth. The Structure and Practice of National Socialism", New York 1942/44.) Vgl. Hans Mommsen: Hitlers Stellung im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Hirschfeld/Kettenacker (Hg.): „Führerstaat“, S. 43-72; Manfred Funke: Starker oder schwacher Diktator? Hitlers Herrschaft und die Deutschen. Ein Essay, Düsseldorf 1989; Hermann Weiß: Der „schwache Diktator“. Hitler und der Führerstaat, in: Wolfgang Benz/Hans Buchheim/Hans Mommsen (Hg.): Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft, Frankfurt/Main 1993, S. 64-77; Ian Kershaw: Der NS-Staat: Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, 2. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2001 sowie als Quellenedition mit einer ausführlichen und sehr überzeugenden Einleitung: „Führer-Erlasse“ 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, zusammengestellt und eingel. v. Martin Moll, Stuttgart 1997. Vgl. Klaus Hildebrand: Monokratie oder Polykratie? Hitlers Herrschaft und das Dritte Reich, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz (=Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 192), Bonn 1986, S. 73-96; Michael Ruck: Führerabsolutismus und polykratisches Herrschaftsgefüge – Verfassungsstrukturen des NS-Staates, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft (=Studien zur Geschichte und Politik 314), 2., erg. Aufl., Bonn 1992, S. 32-56 Vgl. Hans Mommsen: Cumulative radicalisation and progressive self-destruction as structural determinants of the Nazi dictatorship, in: Kershaw/ Lewin (Hg.): Stalinism and Nazism, S. 75-87 Vgl. Detlef Peukert: Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Köln 1982; Hans-Jürgen Eitner: Hitlers Deutsche. Das Ende eines Tabus, 2. Aufl., Gernsbach 1991. Vgl. zur Forderung nach einem Polykratie-Modell als offenem Forschungskonzept Wolf Gruner/Armin Nolzen: Editorial, in: dies. (Hg.): Bürokratien. Initiative und Ef-
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deshalb nicht leisten, weil sie deutlich genauer von den „Volksgenossen“ wahrgenommen und beurteilt wurden.34 Sicherlich ließ sich mit Terror oder seiner ständigen Androhung eine gewisse Ruhe erzeugen, aber auf der anderen Seite war das Regime auf die Zustimmung der „Volksgemeinschaft“ angewiesen.35 Deren Beunruhigung erfuhren zuallererst die Behörden in der lokalen und regionalen Ebene und gerade sie waren darauf bedacht, den Konsens zu sichern.36 Und das war nicht mit einem chaotischen Verwaltungsaufbau zu bewerkstelligen.37 Sicherlich gab es Reibungen, Kompetenzüberschneidungen, Rivalitäten, Abhängigkeiten – kurz: sich gegenseitig blockierende Kräfte. Das soll und darf nicht vergessen werden. Aber daneben hatten sich bereits in der Vorkriegszeit Bindekräfte etabliert, die den Konsens von Behörden, Verwaltungen und Netzwerken in den wesentlichen, auf den Krieg ausgerichteten Aktionsräumen unterstrichen, herstellten oder sicherten.38 Auf der Ebene der Gaue federten diese Entwicklungen die zahlreichen Konflikte auf Reichsebene eher ab, als zu deren Dynamisierung beizutragen. Damit einher geht eine Änderung der Wahrnehmung. Während Regionen und Verwaltungen auch in unbestritten wichtigen Arbeiten als eher
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fizienz (=Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 17), Berlin 2001, S. 7-15, hier v.a. S. 14 Vgl. Marlis G. Steinert: Deutsche im Krieg: Kollektivmeinungen, Verhaltensmuster und Mentalitäten, in: Bracher/Funke/Jacobsen (Hg.): Deutschland 1933-1945, S. 474487 Vgl. zum Begriff der „Zustimmungsdiktatur“ Götz Aly: Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen, Frankfurt/Main 2003, S. 76; Frank Bajohr/Dieter Pohl: Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten, München 2006; Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007; Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933–1945, München 2006. Vgl. die zahlreichen Dokumente bei Heinz Boberach (Hg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, 17 Bde., Herrsching 1984. Vgl. Ludolf Herbst: Entkoppelte Gewalt – Zur chaostheoretischen Interpretation des NS-Herrschaftssystems, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 28 (1999), S. 117-158 Die Vorstellung, dass Nationalsozialismus und deutsche Gesellschaft zwei sich gegenüberstehende Begriffe seien, wird ausdrücklich zurückgewiesen. Nationalsozialismus und deutsche Gesellschaft standen sich nicht dichotomisch gegenüber – das Gegenteil war der Fall. Der Nationalsozialismus basierte auf der Mitte der Gesellschaft. Vgl. zu diesem in der Forschung bisher wenig beachteten Umstand Uwe Danker/Astrid Schwabe: Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus, Neumünster 2005.
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beharrende, konservative Kräfte begriffen werden39, die dem dynamischen, niemals in feste Formen gefügten NS-Maßnahmenstaat gegenüberstehen, müssen künftig die zahlreichen Verflechtungen und Interaktionen in den Mittelpunkt moderner Fragestellungen gerückt werden. Dieser Aspekt wird auch von neueren Publikationen zur Regionalgeschichte oftmals zugunsten einer Gegenüberstellung von Staatsverwaltung und Parteigau übersehen.40 Gerade auf der Ebene der Gaue lassen sich zahlreiche solcher neuen Herrschaftsausprägungen (Netzwerke, Ämterhäufungen etc.) nachweisen. Der von Ernst Fraenkel geprägte Begriff des „Doppelstaates“41 erfasst mit den Begriffen des Normen- und des Maßnahmenstaates Kategorien bürokratischen Handelns.42 Die Geschichtswissenschaft hat den Begriff ausgedehnt und eine auf allen Politikfeldern nachweisbare Konkurrenz von Staats- und Parteibehörden herausgearbeitet. Dieses konfliktgeladene Verhältnis, das nach wie vor Eingang in die Forschung findet43, soll nicht bestritten werden. Aber bei der Untersuchung regionaler Zusammenhänge fällt am Beispiel des Gaues Thüringen auf, dass das Verhältnis von Staat und Partei weitaus weniger konfliktgeladen war, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Eine regionale Herrschaft der Partei über (alle) andere(n) Herrschaftsblöcke ist jedenfalls ebenso wenig erkennbar wie ein konservatives Beharren der staatlichen Administration gegenüber einer sich stets weiter radikalisierenden
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Vgl. Peter Diehl-Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933-1945 (=Münchener Studien zur Politik 9), München 1969. Vgl. Hermann Rumschöttel/Walter Ziegler (Hg.): Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945 (=ZfbL, Reihe B, Beiheft 21) München 2004. Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, 2. durchg. Aufl., hg. u. eingel. v. Alexander Brünneck, Hamburg 2001. (zuerst: "The Dual State. A Contribution to the Theory of Dictatorship", New York 1941) Auf das Überlappen normen- und maßnahmenstaatlicher Komponenten verweist Kiran Klaus Patel: Der Arbeitsdienst für Männer im Machtgefüge des „Dritten Reiches“, in: Gruner/Nolzen (Hg.): Bürokratien, S. 51-79 Vgl. Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung; Andreas Wagner: Partei und Staat. Das Verhältnis von NSDAP und innerer Verwaltung im Freistaat Sachsen 1933-1945, in: Clemens Vollnhals (Hg.): Sachsen in der NS-Zeit, Leipzig 2002, S. 41-56; Jochen Klenner: Verhältnis von Partei und Staat 1933-1945. Dargestellt am Beispiel Bayerns, München 1974; Michael Kißener: Staat und Partei in Baden: Das Beispiel der badischen Justizverwaltung, in: Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat, S. 651-667; Kasten Bernd: Konflikte zwischen dem Gauleiter Friedrich Hildebrand und dem Staatsministerium in Mecklenburg 1933-1939, in: Mecklenburgische Jahrbücher 112 (1997), S. 157-175
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Partei.44 Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass umfassende Regionalstudien zu den Gauen im Krieg nahezu vollständig fehlen. Deutungsfehler hinsichtlich der Gaue wurzeln in mehreren Aspekten. Erstens wird mit Blick auf die Gleichschaltungsphase 1933/1935 konstatiert, das Reich habe die Länder entmachtet und die daneben bestehenden Gaue haben – im Vergleich mit der sog. „Kampf-“ oder „Bewegungszeit“45 – ebenso deutlich an Kompetenzen eingebüßt. Diese Entwicklungen haben durch die Besetzung der Reichsstatthalterposten durch zahlreiche Gauleiter allenfalls kurzfristig und oberflächlich ausgeglichen werden können.46 Ohne empirische Befunde wird auf einen weiterführenden Verfall der Gaue geschlossen oder sie werden überhaupt nicht thematisiert bzw. berücksichtigt. Eine solche Sichtweise jedoch lässt die sich wandelnden Rahmenbedingungen seit 1936 gänzlich außer Acht. Mit dem (zweiten) VJP schwenkte das Regime nicht nur deutlicher als zuvor auf Kriegskurs, sondern übertrug den Gauen wichtige kriegs- und rüstungswirtschaftliche Kompetenzen.47 Damit brachen sich Entwicklungen hin zur Etablierung der Gaue als regionale Mittelinstanzen, die die gleichgeschalteten Länder und Provinzen überwölbten, die Bahn. Dieser Trend zur Gauausrichtung wurde bei Kriegsbeginn mit der Orientierung an den großräumigen Wehrkreisen nur scheinbar und vorübergehend abgebremst. Die Berufung von RVK in den Wehrkreisen, die sich mit der Gaueinteilung und den staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltungsbezirken vielfach überschnitten, führte eher zu Verwirrung und induzierte erhebliches Konfliktpotenzial. 1942 erfolgte mit der Berufung aller Gauleiter zu RVK und damit der Erhebung aller Gaue zu Reichsverteidigungsbezirken (RV-Bezirken) die Durchsetzung der Gaue als quasi-
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Vgl. Uwe Lohalm: „… anständig und aufopferungsbereit“. Öffentlicher Dienst und Nationalsozialismus in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2001. Hans Mommsen: Zur Verschränkung traditioneller und faschistischer Führungsgruppen in Deutschland beim Übergang von der Bewegungs- zur Systemphase, in: Wolfgang Schieder (Hg.): Faschismus als soziale Bewegung, Hamburg 1976, S. 157-181 Vgl. Hans-Jürgen Sengotta: Der Reichsstatthalter in Lippe und Schaumburg-Lippe 1933 bis 1939. Reichsrechtliche Bestimmungen und politische Praxis, Detmold 1976; Volker Rödel: Die Behörde des Reichsstatthalters in der Westmark, in: JfwL 10 (1984), S. 287-318; Bernhard Grau: Der Reichsstatthalter in Bayern. Schnittstelle zwischen Reich und Land, in: Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat, S. 129-170 Vgl. Dieter Petzina: Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16), Stuttgart 1968; kritisch dazu Gerhard Th. Mollin: Montankonzerne und „Drittes Reich“. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion 1936-1944, Göttingen 1988, v.a. S. 17f.
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staatliche mittelinstanzliche Organisationseinheiten.48 Parallel zu diesen Entwicklungen wurden die Gaue seit 1939, verstärkt seit 1942 mit wichtigen rüstungswirtschaftlichen Steuerungsmechanismen ausgestattet, die bislang kaum untersucht, eingeordnet und bewertet wurden.49 Denn gerade unter den Anforderungen und Belastungen der Kriegszeit bewiesen die Gaue flexible Organisationsmechanismen und ein hohes Maß an Anpassungs- und Leistungsfähigkeit. Zweitens werden wichtige funktionelle Kernbereiche des NS-Regimes in zahlreichen Regionalstudien ausgeblendet. Vor allem kulturwissenschaftlich orientierte Themen erfreuen sich großen Zuspruchs.50 Vor diesem Hintergrund wird den Gauen eine begrenzte Kompetenz in Erziehungs-, Wissenschafts- und Propagandafragen zugesprochen. Gaupolitik wird verkürzt auf Fragen der „Menschenführung“ und – grob formuliert – die Etablierung einer kulturellen Identität und kulturpolitische Aufgabenbereiche.51 Die Erfor48
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Karl Teppe: Der Reichsverteidigungskommissar. Organisation und Praxis in Westfalen, in: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung, S. 278-301; Ralf Blank: Albert Hoffmann als Reichsverteidigungskommissar im Gau Westfalen-Süd 1943-1945. Eine biographische Skizze, in: Gruner/Nolzen (Hg.): Bürokratien, S. 189-201; zur Berufung Hoffmanns „Führer-Erlasse“, S. 341 Eine Ausnahme bildet die Studie von Roland Peter: Rüstungspolitik in Baden. Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz in einer Grenzregion im Zweiten Weltkrieg (=Beiträge zur Militärgeschichte 44), München 1995. Vgl. Beate Beyer: Hans Weinert, (Rasse)Anthropologe an der Universität Kiel von 1935 bis 1955, in: Michael Ruck/Karl Heinrich Pohl (Hg.): Regionen im Nationalsozialismus (=IZRG-Schriftenreihe 10), Bielefeld 2003, S. 193-203; Ulrich Höhns: Kontinuierlicher Wandel. Architekten in Schleswig-Holstein zwischen 1925 und 1955, in: ebd., S. 204-218; Katrin Minner: Zwischen Aufbruch und bürgerlicher Prägung. Ortsjubiläen in Sachsen-Anhalt und Westfalen im Nationalsozialismus, in: ebd., S. 219-233; Ralph Trost: Lokale Vereinskultur am Niederrhein vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit – das Beispiel Xanten, in: ebd., S. 234-260; Volker Dahm: Kulturpolitischer Zentralismus und landschaftlich-lokale Kulturpflege im Dritten Reich, in: Horst Möller/Andreas Wirsching/Walter Ziegler (Hg.): Nationalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationalen Vergleich (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer), München 1996, S. 123-138; Heinz-Jürgen Priamus: Regionale Aspekte in der Politik des nordwestfälischen Gauleiters Alfred Meyer, in: ebd., S. 175-195; Thomas Schaarschmidt: Kulturpolitik im Lande eines Kunstbanausen? Die sächsische Gauleitung und das „Heimatwerk“ Sachsen, in: Vollnhals (Hg.): Sachsen, S. 104-117; Michael Parak: Hochschule und Wissenschaft: Nationalsozialistische Hochschul- und Wissenschaftspolitik in Sachsen 1933-1945, in: ebd., S. 118-132 Vgl. den richtungsweisenden Band von Kay Dohnke/Norbert Hopster/Jan Winer (Hg.): Niederdeutsch im Nationalsozialismus. Studien zur Rolle regionaler Kultur im Faschismus, Hildesheim 1994 sowie die überzeugende Monographie von Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus.
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schung der NS-Kulturpolitik in den Regionen erlebt bis in neuere Forschungen hinein eine Blüte, die den Blick auf wichtige Zusammenhänge und Funktionsweisen verstellt.52 Damit soll die Bedeutung der NS-Kulturpolitik mit wichtigen herrschaftsstabilisierenden und integrierenden Funktionen nicht in Abrede gestellt werden. Aber die Kernbereiche des seit 1939 Krieg führenden Regimes, das Europa und die Welt in einen verbrecherischen Raub- und Vernichtungskrieg stürzte, bleiben unberücksichtigt bzw. werden in den Hintergrund gerückt. Gerade aber in den Regionen entwickelten die Gaueliten leistungsfähige Mechanismen, um die Kriegs- und Rüstungswirtschaft zu mobilisieren. Bereits vor Kriegsbeginn zeichneten sich mehrere Kernbereiche ab, die die regionalen Machthaber in höchstem Maße beschäftigen sollten, z.B. die Leistungsfähigkeit der Kriegswirtschaft und, damit eng verbunden, die Versorgung der Wirtschaft mit Arbeitskräften sowie raumordnende bzw. landesplanerische53 Funktionsbereiche. Solche Vorgehensweisen induzieren das, bereits beschriebene, Bild, im Kriege seien die Regionen statische Gebilde, in denen kaum nennenswerte Prozesse bzw. Veränderungen vonstatten gegangen seien. Die sich ausbildenden, immer wieder modifizierten, sich letzten Endes als äußerst effektiv erweisenden gaubezogenen Handlungs-, Kommunikationsund Kooperationsmuster müssen dringend in den Mittelpunkt moderner historischer Fragestellungen gerückt werden. Oftmals überwiegen bis in die neuere Forschung hinein Darstellungen, die den Gauen lediglich die Funktion als Handlungsrahmen für soziale und kulturelle Milieus54 zuweisen oder
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Frankfurt/Main/Berlin 1989; als Regionalstudie angelegt, die Bedeutung der Gaue aber gründlich missverstehend und mit einem wenig überzeugenden Forschungsansatz operierend Winfried Müller: Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Verwaltung und Personal im Schatten der NS-Politik, in: Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat, S. 197-215 Vgl. als beispielhaft für diesen Trend Helmut Schaller: Die Bayerische Ostmark – Geschichte eines Gaues 1933-1945. Zwölf Jahre gemeinsame Geschichte von Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern (=Studien zur Zeitgeschichte 50), Hamburg 2006. Vgl. für Thüringen Wolfgang Bricks/Paul Gans: Raumordnung, Industrieansiedlung, Bevölkerungsbewegungen, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 189-212 Einen Hinweis auf die Bedeutung der Gaue enthält die Arbeit von Norbert Frei: Nationalsozialistische Eroberung der Provinzzeitungen. Eine Studie zur Pressesituation in der bayerischen Ostmark, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 2: Martin Broszat/Elke Fröhlich (Hg.): Bayern in der NS-Zeit II. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil A, München/Wien 1979, S. 1-89; lediglich den Rahmen für die Untersuchungen zum Widerstand bilden die Gaue bei Hartmut Mehringer: Die KPD in Bayern 1919-1945. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 5: Martin Broszat/Hartmut Mehringer (Hg.): Bayern in der NS-Zeit V. Die Parteien von KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand, München/Wien 1983, S. 1-286; ders.: Die bayerische Sozialdemokratie bis
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sie kommen ganz ohne Gau-Porträts aus, da sie von der Position ausgehen, die Gaue selbst verfügten nur über sehr eingeschränkte Kompetenzen.55 Das aber geht an den realen Weichenstellungen und Herrschaftsausprägungen des Regimes gänzlich vorbei. In der Kriegszeit mussten wichtige Kompetenzen auf die Regionalverwaltung delegiert werden, um die Stabilität der NSHerrschaft überhaupt gewährleisten zu können. Drittens beschränken sich selbst zahlreiche neuere Regionalforschungen auf Prozesse und Themenfelder der Vorkriegszeit.56 Diese (unverständliche) Verkürzung des Untersuchungszeitraums wurzelt offenbar in der Annahme, das Regime sei seit 1939 innenpolitisch kaum noch Wandlungen unterworfen gewesen. So erkenntnisreich diese Arbeiten auch sind, so scheinen sie den Blick auf die Gaue im Krieg zu verstellen und suggerieren eine – zumindest theoretisch angenommene – Gleichförmigkeit und einen Stillstand im Innern.57 Das Gegenteil aber ist der Fall.58 Gerade für die Kriegszeit lassen sich
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zum Ende des NS-Regimes. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: ebd., S. 287-432; Anton Grossmann: Milieubedingungen von Verfolgung und Widerstand am Beispiel ausgewählter Ortsvereine der SPD, in: ebd., S. 433-540; Klaus Schönhoven: Der politische Katholizismus in Bayern unter der NS-Herrschaft 1933-1945, in: ebd., S. 541-646 Vgl. Detlef Schmiechen-Ackermann (Hg.): Anpassung, Verweigerung, Widerstand. Soziale Milieus, Politische Kultur und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland im regionalen Vergleich, Berlin 1997; Martin Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, 6 Bde., München/Wien 1977-1983; Detlev Heiden/Gunther Mai (Hg.): Nationalsozialismus in Thüringen, Weimar/Köln/Wien. 1995; Vollnhals (Hg.): Sachsen; Frank Bajohr/Joachim Szodrzynski (Hg.): Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuerer Forschungen (=Forum Zeitgeschichte 5), Hamburg 1995; Christian Pletzing (Hg.): Vorposten des Reiches? Ostpreußen 1933-1945 (=Colloquia Baltica 3. Beiträge zur Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas), München 2006. Vgl. die umfangreiche und detaillierte Studie von Christian Rohrer: Nationalsozialistische Macht in Ostpreußen (=Colloquia Baltica 7/8. Beiträge zur Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas), München 2006; Stephanie Zibell: Jakob Sprenger (18841945). NS-Gauleiter und Reichsstatthalter in Hessen (=Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 121), Darmstadt 1999; Andreas Wagner: „Machtergreifung“ in Sachsen. NSDAP und staatliche Verwaltung 1930-1935, Köln u.a. 2004; Karsten Rudolph: Nationalsozialisten in Ministersesseln. Die Machtübernahme der NSDAP in den Ländern 1929-1933, in: Christian Jansen/Lutz Niethammer/Bernd Weisbrod (Hg.): Von der Aufgabe der Freiheit. Politische Verantwortung und bürgerliche Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert (=Festschrift für Hans Mommsen zum 5. November 1995), Berlin 1995, S. 247-266; Sigrun Mühl-Benninghaus: Das Beamtentum in der NS-Diktatur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamtengesetze (=Schriften des Bundesarchivs 48), Düsseldorf 1996. Vgl. Paul Erker: „NS-Wirtschaftsaufschwung“ in Bayern? Das Siebert-Programm und die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik (1933-1939), in: Rumschöttel/Ziegler
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tief greifende Veränderungen nachweisen. Diese verliefen nicht linear, sondern eher in Schüben. Dynamische Phasen wechselten mit retardierenden, funktionssteigernden Zeiträumen folgten funktionsschwächende. Gemeinsam ist ihnen, dass das Regime in Bewegung blieb. Dabei erfolgten Impulse von der Reichs- auf die Regionalebene und umgekehrt. Den regionalen Akteuren und Strukturen fielen seit 1936, vor allem aber mit Kriegsbeginn aus mehreren Gründen neue Aufgabenfelder zu, deren Untersuchung in regionalhistorischer und systemtheoretischer Hinsicht dringend geboten scheint. Hitlers Konzentration auf die Kriegsführung eröffnete dem Führungspersonal neue Handlungsspielräume, die es – je nach Situation, Person und Bereich – unterschiedlich zu nutzen verstand. Parallel dazu wurden Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatzpolitik vor völlig neue Anforderungen gestellt, die regional gelöst werden mussten.59 Die mit der Feindbedrohung verbundenen Maßnahmen (Evakuierungen, Industrieverlagerungen, Beseitigung von Schäden infolge des Luftkrieges etc.) schufen regional bedingte Gestaltungsräume, in denen sich Herrschaft ausprägte.60 Die damit verbundenen Personen, Prozesse, Mechanismen, Konflikte und Gemengelagen sind bislang meist lediglich
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(Hg.): Staat, S. 245-294; Hermann Rumschöttel: Ministerrat, Ministerpräsident und Staatskanzlei, in: ebd., S. 41-75 Vgl. dazu neuerdings das Gauporträt von Wolfgang Stelbrink: Provinz oder Gau? Die beiden westfälischen NS-Gaue auf dem beschwerlichen Weg zu regionalen Funktionsinstanzen des NS-Staates, in: John/Möller/Schaarschmidt (Hg.): NS-Gaue, S. 294317; hier weitere Gauporträts Kaum Berücksichtigung findet dieser Umstand in den voluminösen Arbeiten zur deutschen Kriegswirtschaft – vgl. Rolf-Dieter Müller: Die Mobilisierung der deutschen Wirtschaft für Hitlers Kriegführung, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 5: Bernhard R. Kroener/RolfDieter Müller/Hans Umbreit: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, 1. Halbband: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 19391941, Stuttgart 1988, S. 349-689; Bernhard R. Kroener: Die personellen Ressourcen des Dritten Reiches im Spannungsfeld zwischen Wehrmacht, Bürokratie und Kriegswirtschaft 1939-1942, in: ebd., S. 693-1001; Rolf-Dieter Müller: Albert Speer und die Rüstungspolitik im totalen Krieg, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 5: Bernhard R. Kroener/Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, 2. Halbband: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45, Stuttgart 1999, S. 275-773; Bernhard R. Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, Bevölkerungsverteilung und personelle Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (19421944), in: ebd., S. 777-1001 Vgl. Ralf Blank: Kriegsalltag und Luftkrieg an der „Heimatfront“, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 9: Jörg Echternkamp (Hg.): Die deutsche Kriegsgesellschaft 1933 bis 1945, 1. Halbband: Politisierung, Vernichtung, Überleben, München 2004, S. 357-461
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in Lokalstudien untersucht.61 Die dabei zutage getretenen Erkenntnisse hinsichtlich grundlegender Mechanismen und Funktionen des Nationalsozialis61
Vgl. Horst Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart u.a. 1970; Gunda Ulbricht: Kommunalverfassung und Kommunalpolitik, in: Vollnhals (Hg.): Sachsen, S. 85-103; Roland Müller: Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1988; Wolfgang Stelbrink; Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe. Versuch einer Kollektivbiographie mit biographischem Anhang (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C, Quellen und Forschungen 48), Münster 2003; Carl-Wilhelm Reibe: Das Fundament der Diktatur. Die NSDAP-Ortsgruppen 1932-1945, Paderborn u.a. 2002; Detlef Schmiechen-Ackermann: Der „Blockwart“. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat, in: VfZ 48 (2000), S. 575-602; Armin Nolzen: Funktionäre einer faschistischen Partei. Die Kreisleiter der NSDAP, 1932/33 bis 1944/45, in: Till Kössler/Helke Stadtland (Hg.): Vom Funktionieren der Funktionäre. Politische Interessenvertretung und gesellschaftliche Integration in Deutschland nach 1933 (=Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Reihe A 30), Essen 2004, S. 37-75; Beate Dorfey: „Goldfasane“ oder Hoheitsträger der Kreise? Die Kreisleiter im Gau Koblenz-Trier, in: JfwL 29 (2003), S. 297-424; Ferdinand Stadlbauer: Max Seidel. Kreisleiter 1935-1945, in: Waldmünchner Heimatbote 11 (1985), S. 11-20; Barbara Fait: Die Kreisleiter der NSDAP – nach 1945, in: Martin Broszat/Klaus-Dieter Henke/Hans Woller (Hg.): Von Stalingrad zur Währungsunion. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, S. 213-299; Rolf Königstein: Alfred Dir. NSDAP-Kreisleiter in Backnang. Ein Nationalsozialist und die bürgerliche Gesellschaft (=Backnanger Forschungen 3), Backnang 1999; Claudia Roth: Parteikreis und Kreisleiter der NSDAP unter besonderer Berücksichtigung Bayerns, München 1997; Christine Arbogast: Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP. Funktion, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite, 1920-1960, München 1998; Andreas Ruppert: Der Kreisleiter in Lippe. Zur Funktion einer Mittelinstanz der NSDAP zwischen Ortsgruppen und Gau, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde 60 (1991), S. 199-230; Peter Klefisch (Bearb.): Die Kreisleiter der NSDAP in den Gauen Köln-Aachen, Düsseldorf und Essen, im Auftr. des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen hg. vom Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv (=Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen C, Quellen und Forschungen 45), Düsseldorf 2000; Sebastian Lehmann: Kreisleiter der NSDAP in Schleswig-Holstein. Möglichkeiten eines sammelbiografischen Ansatzes, in: Ruck/Pohl (Hg.): Regionen, S. 147-156; Cornelia RauhKühne/Michael Ruck (Hg.): Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930-1952, München 1993; Wolf Gruner: Die NSJudenverfolgung und die Kommunen. Zur wechselseitigen Dynamisierung von zentraler und lokaler Politik 1933-1941, in: VfZ 48 (2000), S. 75-126; ders.: Wohlfahrt; Gotto: Kommunalpolitik; Andreas Wirsching: Probleme der Kommunalverwaltung im NS-Regime am Beispiel des Gaues Schwaben, in: Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat, S. 419-442; Thomas Forstner: Die verhinderte Reform: Planungen zur Neueinteilung der Landkreise und ihr Scheitern, in: ebd., S. 443-504; Helmut M. Hanko: Kommunalpolitik in der „Hauptstadt der Bewegung“ 1933-1935. Zwischen „revolutionärer“ Umgestaltung und Verwaltungskontinuität, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-
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mus müssen auf die gaubezogene Regionalforschung angewandt werden.62 Die Lokalgeschichtsforschung scheint der Regionalforschung in dieser Hinsicht mehr als einen Schritt weit voraus zu sein.63 Sie wendet sich mit modernen Fragestellungen auch den oben skizzierten Bereichen zu – eine Entwicklung, die für die Regionalhistorie wünschenswert erscheint.64
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Zeit, Bd. 3: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hg.): Bayern in der NSZeit III. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil B, München/Wien 1981, S. 329-441; Klaus Tenfelde: Proletarische Provinz. Radikalisierung und Widerstand in Penzberg/Oberbayern 1900-1945, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 4: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hg.): Bayern in der NS-Zeit IV. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil C, München/Wien 1981, S. 1-382; Zdenek Zofka: Dorfleiten und NSDAP. Fallbeispiele der Gleichschaltung aus dem Bezirk Günzburg, in: ebd., S. 383-433; Jeremy Noakes: Nationalsozialismus in der Provinz: Kleine und mittlere Städte im Dritten Reich, in: Möller/Wirsching/Ziegler (Hg.): Nationalsozialismus, S. 237-251; Detlef Schmiechen-Ackermann: Großstädte und Nationalsozialismus 1930-1945, in: ebd., S. 253-270; Elke Fröhlich: Die Partei auf lokaler Ebene. Zwischen Assimilation und Veränderungsdynamik, in: Hirschfeld/Kettenacker (Hg.): „Führerstaat“, S. 255-269; Monica Kingreen: Raubzüge der Stadtverwaltung. Frankfurt am Main und die Aneignung „jüdisches Besitzes“, in: Gruner/Nolzen (Hg.): Bürokratien, S. 17-50 Das ist vor allem für die Kriegszeit augenfällig, als die NS-Gaue zunehmend mit quasistaatlichen Funktionen ausgestattet wurden. Der umfangreiche Überblick über die deutsche Gesellschaft im Krieg geht auf die Gaue lediglich im Rahmen einer Studie zur NSDAP ein – vgl. Armin Nolzen: Die NSDAP, der Krieg und die deutsche Gesellschaft, in: Echternkamp (Hg.): Politisierung, S. 99-193 Die Hinwendung der Forschung zu den regionalen Ausformungen des Nationalsozialismus beachtete die NS-Gaue im Wesentlichen nicht. Vgl. Kurt Düwell: Die regionale Geschichte des NS-Staates zwischen Mikro- und Makroanalyse. Forschungsaufgaben und „Praxis im kleinen Bereich“, in: JfwL 9 (1983), S. 287-344; Ulrich von Hehl: Nationalsozialismus und Region. Bedeutung und Probleme einer regionalen und lokalen Erforschung des Dritten Reiches, in: ZfbL 56 (1993), S. 111-129; Michael Schwartz: Regionalgeschichte und NS-Forschung. Über Resistenz – und darüber hinaus, in: Edwin Dillmann (Hg.): Regionales Prisma der Vergangenheit. Perspektiven der modernen Regionalgeschichte (19./20. Jahrhundert), St. Ingbert 1996, S. 197-218; Claus-Christian W. Szejnmann: Theoretisch-methodische Chancen und Probleme regionalgeschichtlicher Forschungen zur NS-Zeit, in: Ruck/Pohl (Hg.): Regionen, S. 4357; Michael Kißener: Chancen und Probleme regionalgeschichtlicher Forschungen zur NS-Zeit in forschungspraktischer Perspektive, in: ebd., S. 58-65; Dirk Stegmann: Kommentar: Theoretisch-methodische Chancen und Probleme regionalgeschichtlicher Forschungen zur NS-Zeit, in: ebd., S. 66-69; Andreas Wirsching: Nationalsozialismus in der Region. Tendenzen der Forschung und methodische Probleme, in: Möller/Wirsching/Ziegler (Hg.): Nationalsozialismus, S. 25-46; Werner K. Blessing: Diskussionsbeitrag: Nationalsozialismus unter „regionalem Blick“, in: ebd., S. 47-56; Gerhard Brunn/Jürgen Reulecke: Diskussionsbeitrag, in: ebd., S. 57-61 Eine Ausnahme bildet der westfälische Raum, für den einige bemerkenswerte Studien vorliegen. Vgl. Gerhard Kratzsch: Der Gauwirtschaftsapparat der NSDAP. Menschen-
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Viertens sind Deutungsmuster, die dem Zentralismus-Regionalismus-Gegensatz verpflichtet sind, angesichts der Entwicklungen vor dem und im Krieg problematisch.65 Sie ignorieren spezifische Ausformungen der NS-Zeit ebenso wie die zahlreichen, auf unterschiedlichen Ebenen ablaufenden Interaktionen. Dadurch entsteht der Eindruck, es habe sich im NS-Staat um ein gegensätzliches, äußerst bzw. ausschließlich konfliktgeladenes Verhältnis von zentralen und regionalen sowie staatlichen und parteilichen Entscheidungen und Kompetenzen gehandelt. Vertikale und horizontale Querverbindungen bleiben bei einer solchen Betrachtungsweise oft unberücksichtigt oder werden ignoriert.66 Solche Überlegungen übersehen, dass das NS-Regime selbst unter den erheblichen Belastungen des Krieges nicht auseinanderbrach. Für die Gaue und Gaueliten konstatieren diese Studien vor allem einen aktiven, gaubezogenen, gegen Zentralbehörden gerichteten Aktionismus, der eigene, meist den Gauleitern unterstellte Prioritäten über Entscheidungen der Zentralinstanzen stellt. Übersehen werden dabei der oft weitgehende Konsens zwischen Berlin und den Regionen des Reiches und die Leistungsfähigkeit im Krieg. Diese wäre wohl kaum möglich gewesen, wären die Gaue ohne Rücksicht auf gemeinsame Interessen und Bindekräfte zwischen zentralen und regionalen Kräften vorgegangen.67 Die Fülle der regional- und lokalgeschichtlichen Studien, die in den alten Bundesländern seit den siebziger Jahren den Blick auf die NS-Diktatur schärften, ist selbst von Experten kaum noch zu überschauen. In den neuen Ländern überwiegen noch immer, trotz einer intensiven Arbeit, Lücken in
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führung – „Arisierung“ – Wehrwirtschaft im Gau Westfalen-Süd. Eine Studie zur Herrschaftspraxis im totalitären Staat, Münster 1989; Ralf Stremmel: Kammern der gewerblichen Wirtschaft im „Dritten Reich“. Allgemeine Entwicklungen und das Fallbeispiel Westfalen-Lippe, Dortmund/Münster 2005; Teppe: Reichsverteidigungskommissar; Blank: Hoffmann Vgl. Michael Ruck: Zentralismus und Regionalgewalten im Herrschaftsgefüge des NS-Staates, in: Möller/Wirsching/Ziegler (Hg.): Nationalsozialismus, S. 99-122 Vgl. Walter Ziegler: Gaue und Gauleiter im Dritten Reich, in: Möller/Wirsching/ Ziegler (Hg.): Nationalsozialismus, S. 139-159; Kurt Düwell: Gauleiter und Kreisleiter als regionale Gewalten des NS-Staates, in: ebd., S. 161-174 Vgl. dazu auch die Gauleitermemoiren von Rudolf Jordan: Erlebt und erlitten. Weg eines Gauleiters von München bis Moskau, Leonie am Starnberger See 1971; Hartmann Lauterbacher: Erlebt und mitgestaltet: Kronzeuge einer Epoche 1923-1945. Zu neuen Ufern nach Kriegsende, Preußisch Oldendorf 1987; Albert Krebs: Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei, Stuttgart 1959; Karl Wahl: „… es ist das deutsche Herz“. Erlebnisse und Erkenntnisse eines ehemaligen Gauleiters, Augsburg 1954; ders.: Patrioten und Verbrecher. Aus 50jähriger Praxis, davon 17 als Gauleiter, 3. Aufl., Heusenstamm 1975; Baldur v. Schirach: Ich glaubte an Hitler, Hamburg 1967.
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der Erforschung des Nationalsozialismus. Im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ stand in der DDR-Forschung die Beschäftigung mit dem Widerstand, insbesondere dem kommunistischen.68 Fragen der Herrschaftsorganisation, der Wirtschafts-, Sozial-, Kulturgeschichte oder der Rolle der Eliten blieben, wie weitere wichtige Aspekte des Nationalsozialismus, weitgehend unberücksichtigt oder wurden unter vorwiegend ideologischen Gesichtspunkten untersucht und eingeordnet. Erst der Untergang des SED-Regimes ermöglichte eine differenzierte Perspektive auf den Nationalsozialismus jenseits ideologischer Korsette. Seit 1990 hat sich denn auch die Kenntnis der thüringischen Regionalgeschichte zwischen 1933 und 1945 deutlich verbessert.69 Trotzdem existieren nach wie vor erhebliche Lücken. Insbesondere für die Kriegszeit fehlen – trotz einer insgesamt guten Quellensituation – Studien, die sich mit modernen Fragestellungen den Feldern von Staat, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Terror, Verfolgung und Unterdrückung oder Kultur in Thüringen nähern.70 Verdienstvolle regionalgeschichtliche Studien, die sich mit Thüringen in der Vorgeschichte des „Dritten Reiches“ und dem Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 beschäftigen, liegen zu zahlreichen Themenfeldern vor. Für den Bereich der Politik korrigierte die Forschung seit den sechziger Jahren das Bild von der zentralistischen Diktatur, das die regionalen Entwicklungen als gleichförmige Ausprägungen ohne divergierende Prozesse erfasste und als bloße „Reflexe der Befehlsempfänger gegenüber der Berliner Zentrale“71 beschrieb. Studien zu unterschiedlichen Mechanismen und Herrschaftsausformungen trugen zu einem tieferen Verständnis der inneren Strukturen des Nationalsozialismus bei. Trotz dieser Erkenntnisse befassten sich nur wenige regionalhistorische Untersuchungen mit wirtschaftlichen Entwicklungen.72 68
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Vgl. Olaf Groehler: Der verordnete Antifaschismus: Die Rezeption des thüringischen kommunistischen Widerstandes in der DDR, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 531-551 Vgl. Jürgen John: Gedanken über künftige Forschungen zur Geschichte Thüringens, in: JfRL 17/II (1990), S. 21-49; ders./Gunther Mai: Thüringen 1918-1952. Ein Forschungsbericht, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 553-590 Vgl. als Gesamtdarstellung Hans Patze/Walter Schlesinger (Hg.): Geschichte Thüringens, Bde. V/1, 2, V/2, Köln/Wien 1984/1978; Hans Patze/Peter Aufgebauer (Hg.): Thüringen, 2. Aufl., Stuttgart 1989; Jürgen John (Hg.): Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994. Düwell: Geschichte des NS-Staates, S. 287 Vgl. Gunther Mai: Die Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Arbeiterschaft und Nationalsozialismus, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 165188; Jürgen John: Rüstungswirtschaftlicher Strukturwandel und nationalsozialistische Regionalpolitik, in: ebd., S. 213-245; Wolfgang Mühlfriedel/Edith Hellmuth: Die Firma Carl Zeiss Jena 1933-1939, in: ebd., S. 247-268
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Das ist umso erstaunlicher, als die schon Ende der sechziger Jahre verfasste Dissertation73 Jürgen Johns und sein Aufsatz in der Zeitung für Geschichtswissenschaft74 über die rüstungsindustrielle Entwicklung in Thüringen zeigten, welche unterschiedlichen Gemengelagen die einzelnen Regionen aufweisen konnten. Obwohl Johns Arbeit mit seinem regionalhistorischen Ansatz auch die sog. „Agenten-Theorie“75 widerlegte und auf die eigenständige Rolle der NSDAP verwies, fand sie in der westlichen Historiographie keine Beachtung. Eine intensive Untersuchung liegt für den Bereich der Kulturpolitik in Thüringen vor.76 Verdienstvolle und methodisch überzeugende Studien enthalten die beiden Sammelbände der Stiftung Weimarer Klassik zu „Weimar 1930“77 und zum „Dritten Weimar“78. Ebenfalls vorwiegend kulturpolitisch ausgerichtete Schwerpunkte setzen die Sammelbände „Klassikerstadt und Nationalsozialismus“79 und „Hier, hier ist Deutschland …“80. Sie ordnen sich dem bereits skizzierten Trend einer intensiven kulturpolitischen Forschung, die sich vor allem auf Mikroanalysen stützt, unter. Die genannten Studien, die ergänzt werden von einer Reihe weiterer Analysen des kulturellen Lebens in Thüringen im Vorfeld der Errichtung der nationalsozialistischen Landesregierung 1932, zeigen jedoch einige Forschungsdefizite auch für den Bereich 73 74 75
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Vgl. Jürgen John: Faschistische Rüstungswirtschaft und regionale Industrie. Probleme der industriellen Entwicklung in Thüringen 1933-1939, Diss. [ms], Jena 1969. Vgl. Jürgen John: Rüstungsindustrie und NSDAP-Organisation in Thüringen 19331939, in: ZfG 22 (1974), S. 412-422 Vgl. Wolfgang Wippermann: Zur Analyse des Faschismus. Die sozialistischen und kommunistischen Faschismustheorien 1921-1945, Frankfurt/Main 1981; Leonid Luks: Entstehung der kommunistischen Faschismustheorie. Die Auseinandersetzung der Komintern mit Faschismus und Nationalsozialismus (=Studien zur Zeitgeschichte 26), München 1984; Helga Grebing/Klaus Kinner (Hg.): Arbeiterbewegung und Faschismus. Faschismus-Interpretationen in der europäischen Arbeiterbewegung, Essen 1990. Vgl. Günther Schuchardt: Die Wartburg. Ein nationales Denkmal unter dem Hakenkreuz, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 375-398; Werner Lesanovsky: Schulreformerische Traditionen und nationalsozialistische Schulpolitik, in: ebd., S. 399-420; Martina Trümper: Höhere Mädchenschulen in Erfurt und ihre Abiturientinnen, in: ebd., S. 421-442 Lothar Ehrlich/Jürgen John (Hg.): Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur, Köln/Weimar/Wien 1998. Lothar Ehrlich/Jürgen John/Justus H. Ulbricht (Hg.): Das Dritte Weimar. Klassik und Kultur im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 1999. Justus H. Ulbricht (Hg.): Klassikerstadt und Nationalsozialismus (=Weimarer Schriften 56), Weimar 2002. Ursula Härtl/Burkhard Stenzel/Justus H. Ulbricht (Hg.): Hier, hier ist Deutschland … Von nationalen Kulturkonzepten zur nationalsozialistischen Kulturpolitik, Göttingen 1997.
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nationaler, völkisch orientierter und nationalsozialistischer Kulturpolitik in Thüringen.81 Eine monographische Abhandlung über die NS-Kulturpolitik, die die gewonnenen und überzeugenden Erkenntnisse der vorhanden Analysen zusammenführt, vertieft, problematisiert, neue Fragen aufwirft und weiterführende Überlegungen hinzufügt, fehlt noch immer und bildet ein Desiderat der Forschung, das dringend gefüllt werden sollte. Zwar hat Burkhard Stenzel vor einigen Jahren eine bilanzierende Darstellung vorgelegt, diese fällt allerdings recht knapp aus.82 Die in ihr enthaltenen methodischen und sachlichen Impulse muss die Regionalforschung zu Thüringen aufnehmen und in eine Gesamtdarstellung der regionalen, für den Gau Thüringen spezifischen NS-Kulturpolitik integrieren. Stenzels Studie zeigt deutlich eine weitere Lücke in der kulturbezogenen Regionalforschung. Für die Kriegszeit fehlen aussagekräftige und empirisch gestützte Untersuchungen zu Netzwerken, Konzepten, zur Rolle der Eliten, der NSDAP und regionalen Eigenheiten und Ausprägungen.83 Diesem Forschungstrend ordnen sich in Teilen auch die Studien zur Wissenschaftslandschaft Thüringens unter.84 81
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Vgl. Adalbert Behr: Die Faschisierung der Staatlichen Hochschule für Baukunst, bildende Künste und Handwerk Weimar in den Jahren 1930-1933, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar 13 (1966), S. 495504; Udo Decker: Die frühzeitige Faschisierung des Thüringer Volksschulwesens (Januar 1930 bis Januar 1933), in: Zur Geschichte der Schule und Lehrerbildung in Thüringen (=Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Jena, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 36 (1989)), S. 199-213; ders.: Faschismus und Volksschule in Thüringen (1930-1939). Regionalgeschichtliche Studie zur Einflussnahme der NSDAP auf die Schulpraxis, Diss. [ms], Jena 1989; Mike Bruhn/Heike Böttner: Die Jenaer Studenten unter nationalsozialistischer Herrschaft 1933-1945, Erfurt 2001; Hans Wilderotter/Michael Dorrmann (Hg.): Wege nach Weimar. Auf der Suche nach der Einheit von Kunst und Politik. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 6.2. bis 30.4.1999 in Weimar, Berlin 1999; Peter Merseburger: Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, Stuttgart 1998; Volker Mauersberger: Hitler in Weimar. Der Fall einer deutschen Kulturstadt, Berlin 1999; Holm Kirsten: „Weimar im Banne des Führers“. Die Besuche Adolf Hitlers 1925-1940, Köln/Weimar/Wien 2001; Jürgen John/Volker Wahl (Hg.): Zwischen Konvention und Avantgarde. Doppelstadt JenaWeimar, Weimar/Köln/Wien 1995. Vgl. Burkhard Stenzel: „Tradition, Volkstum, Heimat und Rasse“. Grundzüge der regionalen Kultur- und Kunstpolitik im nationalsozialistischen Thüringen (19321945), in: Andreas Dornheim/Bernhard Post/Burkhard Stenzel: Thüringen 1933-1945. Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft, Erfurt 1997, S. 53-111 Vgl. zur Problematisierung des Milieu-Begriffes Franz Walter/Helge Matthiesen: Milieus in der modernen deutschen Gesellschaftsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Schmiechen-Ackermann: (Hg.): Anpassung, S. 46-76 Vgl. Susanne Zimmermann: Die Berufung von Hans F. K. Günther zum Professor für Sozialanthropologie an die Universität Jena im Jahre 1930, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 14 (1996), S. 489-497; Uwe Hoßfeld: Die Jenaer Jahre des „Rasse-Günther“. Zur Gründung des Lehrstuhls für Sozialanthropologie an der Uni-
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Für Thüringen gibt es zahlreiche lobenswerte Studien, die den Aufstieg des Nationalsozialismus, den regionalen Aktionsrahmen und spezifisch thüringische Gemengelagen in den Mittelpunkt historischen Fragens gerückt haben.85 Nach wie vor gilt die Untersuchung von Willy Schilling zum regionalen Herrschaftssystem als die beste Gesamtdarstellung Thüringens in der Vorkriegszeit.86 Schillings Verdienst ist es, erstmals in einer Monographie die komplexen Aktionsfelder, das Konfliktpotenzial und die Bindekräfte des NS-Regimes in Thüringen eingeordnet und die Bedeutung der Strukturen des Gaues Thüringen jenseits seiner von der Forschung oft lediglich als Handlungs- und Aktionsraum angesehenen Funktion hervorgehoben zu haben.87 Daneben sind die von Bernhard Post vorgelegten Studien zu erwähnen, die die Herrschaftseroberung durch die von Fritz Sauckel geführte NSDAP in Thüringen und den Nationalsozialismus in Thüringen unter allgemein gehal-
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versität Jena, in: Medizinhistorisches Journal 34/I (1999), S. 47-103; Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert (Hg.): Traditionen – Brüche – Wandlungen. Die Universität Jena 1850-1995, Köln/Weimar/ Wien 2008. Vgl. Gunther Mai: Thüringen in der Weimarer Republik, in: Detlev Heiden/Gunther Mai (Hg.): Thüringen auf dem Weg ins „Dritte Reich“, Erfurt 1996, S. 11-40; Bernhard Post: Vorgezogene Machtübernahme: Die Regierung Sauckel, in: ebd., S. 147181; Donald R. Tracey: Der Aufstieg der NSDAP bis 1930, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 49-74; Günter Neliba: Wilhelm Frick und Thüringen als Experimentierfeld für die nationalsozialistische Machtergreifung, in: ebd., S. 75-96; Donald R. Tracey: The Development of the National Socialist Party in Thuringia, 1924-1930, in: Central European History 8 (1975), S. 23-50; Fritz Dickmann: Die Regierungsbildung in Thüringen als Modell der Machtergreifung. Ein Brief Hitlers aus dem Jahre 1930 (Dokumentation), in: VfZ 14 (1966), S. 454-464; Willy A. Schilling: Die Sauckel-Marschler-Regierung und das Ende der parlamentarischen Demokratie in Thüringen 1932/33, in: Zwischen Landesgründung und Gleichschaltung. Die Regierungsbildungen in Thüringen seit 1920 und das Ende der parlamentarischen Demokratie 1932/33, hg. vom Thüringer Landtag (=Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen 18), Rudolstadt/Jena 2001, S. 43-153; Jochen Grass: Studien zur Politik der bürgerlichen Parteien Thüringens in der Weimarer Zeit 1920-1932. Ein Beitrag zur Landesgeschichte (=Studien zur Zeitgeschichte 11), Hamburg 1997; Christian Schnitzler: Das Ende der Freiheit: Der Aufstieg der NSDAP in Thüringen (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), 2. Aufl., Erfurt 1993; Ulrike Schulz: Die Enteignung der Firma „Simson & Co“, 1929-1933 (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 2006; Marlis Gräfe/Bernhard Post/Andreas Schneider: Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 2005; Udo Wohlfeld: Das Konzentrationslager Bad Sulza 1933-1937 (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 2004. Vgl. Willy A. Schilling: Die Entwicklung des faschistischen Herrschaftssystems in Thüringen 1933-1939, Berlin 2001. Dagegen wenig überzeugend Willy Schilling: Hitlers Trutzgau. Thüringen im Dritten Reich. Bilder – Beiträge – Dokumente, 2 Bde., Jena 2005/2008.
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tenen Fragestellungen thematisieren.88 Axel Hemmerling hat in seiner von einem überzeugenden Ansatz ausgehenden Studie zum Landesernährungsamt Thüringen eine nationalsozialistische Bürokratie in Thüringen untersucht und deren Aufgabenfelder und innere Organisation sehr intensiv beleuchtet.89 An ihr werden sich künftige Arbeiten zu messen haben. Jürgen John hat in einem richtungsweisenden Aufsatz die innere Organisation des Gaues Thüringen vor und im Krieg einer Analyse unterzogen und auf Forschungsdefizite aufmerksam gemacht.90 Außer den genannten fehlen für die Kriegszeit Studien, die sich mit regionalen Herrschaftsausformungen in Thüringen beschäftigen.91 Das ist umso erstaunlicher, als im Krieg die destruktive Leistungsfähigkeit des NS-Regimes zur vollen Entfaltung gelangte. Die Veränderungen im Krieg blieben nicht der Reichsebene vorbehalten oder beschränkten sich auf diese. Das Gegenteil war der Fall. Gerade die regionalen Bürokratien, Netzwerke und Akteure waren einem Wandlungsprozess unterworfen, der neue Aktions- und Betätigungsfelder schuf. Unter den Rahmenbedingungen des Krieges entstanden regionale Spielräume in den Kernbereichen des Krieg führenden Regimes. Rüstungs-, Kriegswirtschafts- und Arbeitskräftepolitik und nicht zuletzt die Konfrontation mit dem Luftkrieg wurden nur auf den ersten Blick zentral 88
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Vgl. Post: Machtübernahme; ders.: Thüringen unter nationalsozialistischer Herrschaft 1932-1945. Staat und Verwaltung, in: Dornheim/Post/Stenzel: Thüringen, S. 9-52; ders.: „Weimar gegen Weimar“. Der Nationalsozialismus in Thüringen, in: Wilderotter/Dorrmann (Hg.): Wege, S. 219-242 Vgl. Axel Hemmerling: Das Landesernährungsamt Thüringen 1939-1945. Die Versorgung der Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter und KL-Häftlinge, wiss. Hausarbeit [ms], Jena 1999. Vgl. Jürgen John: Der NS-Gau Thüringen 1933-1945. Grundzüge seiner Struktur- und Funktionsgeschichte, in: Ulbricht (Hg.): Klassikerstadt, S. 25-52; zur Wirtschaftskammer Thüringen ders.: Strukturwandel, S. 231-235 Nur wenige Ausnahmen wenden sich den Forschungsdefiziten zu. Vgl. Gisela Kahl: Die Rolle des NS-Musterbetriebes „Thüringische Zellwolle AG Schwarza“ bei der Vorbereitung und Durchführung des 2. Weltkrieges. Zur Rolle der Staatsbetriebe bzw. halbstaatlichen Unternehmungen im Imperialismus, Diss. [ms], Jena 1964 (auf veraltetem, ideologisch eingeschränktem Forschungsstand beruhende Arbeit); Ewald Deyda: Die Geschichte des Gustloff-Werkes II Buchenwald; Weimar 1977; Horst Lange: REIMAHG – Unternehmen des Todes. Der Aufbau der deutschen faschistischen Luftwaffe. Rolle des Gustloff-Konzerns. Verbrechen an ausländischen Zwangsarbeitern im unterirdischen Flugzeugwerk „REIMAHG“ bei Kahla (1944/45), Jena 1984; Manfred Bornemann: „Geheimprojekt Mittelbau“, München 1971. Rainer Eisfeld: Die unmenschliche Fabrik: V2-Produktion und KZ „Mittelbau-Dora“, Erfurt 1993; Andre Beyermann: Zwangsarbeit in Thüringen 1939-1945 (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 2000; Heinz Wolf: Juden in Thüringen (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 1996.
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gesteuert. Exekutive Befugnisse oblagen auch und gerade dem Personal in den Regionen und vor Ort – und das umso mehr, je länger der Krieg dauerte. Vor diesem Hintergrund ist das Fehlen empirisch gestützter Studien zu regionalen Verwaltungsbehörden im Gau Thüringen besonders auffällig, während sich demgegenüber – ganz dem bundesweiten Trend folgend92 – die Lokalgeschichte, ebenso wie Mikrostudien zu Thüringen, eines erheblichen Zuspruchs erfreut.93 Immer noch fehlt es an soliden institutionengeschichtlichen Untersuchungen nahezu aller regionalen Behörden Thüringens.94 Das gilt auch und insbeson92
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Vgl. etwa die Studien in Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 1: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Falk Wiesemann (Hg.): Bayern in der NS-Zeit. Soziale Lage und politisches Verhalten der Bevölkerung im Spiegel vertraulicher Berichte, München/Wien 1977. Hier finden sich zahlreiche lokale Studien. Ein Landkreis in der Fränkischen Schweiz. Der Bezirk Ebermannstadt 1929-1945 (S. 21-192), Konflikte im agrarisch-katholischen Milieu Oberbayerns am Beispiel des Bezirkes Aichach 1933-1938 (S. 327-368), Die Partei in der Provinz. Möglichkeiten und Grenzen ihrer Durchsetzung 1933-1939 (S. 487-569); Evi Kleinöder: Verfolgung und Widerstand der Katholischen Jugendvereine. Eine Fallstudie über Eichstätt, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 2: Broszat/Fröhlich (Hg.): Bayern in der NS-Zeit II. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt. Teil A, S. 175-236; Friederich Euler: Theater zwischen Anpassung und Widerstand. Die Münchner Kammerspiele im Dritten Reich, in: ebd., S. 91-173 Vgl. Helge Matthiesen: Bürgertum und Nationalsozialismus in Thüringen. Das bürgerliche Gotha von 1918 bis 1930, Stuttgart/Jena 1994; ders.: Das Gothaer Bürgertum und der Nationalsozialismus 1918-1930, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 97-118; Rüdiger Stutz: Im Schatten von Zeiss: Die NSDAP in Jena, in: ebd., S. 119-142; Joachim S. Hohmann: Thüringens „Rhön-Plan“ als Beispiel nationalsozialistischer Agrar- und Rassenpolitik, in: ebd., S. 293-312; ders.: Landvolk unterm Hakenkreuz. Agrar- und Rassenpolitik in der Rhön. Ein Beitrag zur Landesgeschichte Bayerns, Hessens und Thüringens, 2 Bde., Frankfurt/Main u.a. 1992; Steffen Raßloff: Flucht in die nationale Volksgemeinschaft. Das Erfurter Bürgertum zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen: Kleine Reihe 8), Köln u.a. 2003; Jürgen Schmidt: Begrenzte Spielräume. Eine Beziehungsgeschichte von Arbeiterschaft und Bürgertum am Beispiel Erfurts 18701914 (=Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 165), Göttingen 2005; zu den beiden letztgenannten Arbeiten Hans-Werner Hahn: Sozialmilieus, blockierte Kommunikation und politische Konflikte. Neuere Forschungen zur Geschichte Erfurts zwischen 1870 und 1933, in: ZVTG 59/60 (2005/06), S. 385-396; Evelyn Halm/Margitta Ballhorn: Zwangsarbeiter in Jena 1940-1945, Jena 1996; Inferno Nordhausen: Schicksalsjahr 1945. Chronik, Dokumente, Erlebnisberichte, zusammengestellt von Peter Kuhlbodt (=Schriftenreihe Heimatgeschichtliche Forschungen des Stadtarchivs Nordhausen/Harz 6), Nordhausen 1995. Vgl. Antonio Peter: Das Thüringische Landesamt für Rassewesen, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 313-332; richtungsweisend Kratzsch: Gauwirtschaftsapparat
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dere für die Zeit des Zweiten Weltkrieges, für die bisher – nimmt man die Arbeit von Axel Hemmerling sowie die äußerst verdienstvollen Studien Jürgen Johns95 einmal aus – kaum Analysen zu Thüringen vorliegen.96 Aber gerade dieser Komplex muss dringend näher beleuchtet werden, um die Aktionsfelder und Handlungsspielräume regionaler Bürokratien und ihrer Akteure innerhalb des NS-Staates identifizieren zu können. Vor diesem Hintergrund ist natürlich auch das Verhältnis der (etablierten und neu entstehenden) Behörden in Staat, Partei und Wirtschaft zueinander und im Gaufunktionsgefüge Thüringens zu klären. Das in den siebziger Jahren entwickelte Polykratie-Modell, das die Ämterkonkurrenz als staatliche und verwaltungstechnische Ineffizienz beschreibt, wird den regionalen Herrschaftsmechanismen Thüringens dabei kaum gerecht.97 Auch der vielfach zitierte Dualismus von Staat und Partei und das von Ernst Fraenkel geprägte Bild vom „Doppelstaat“, in dem normen- bzw. maßnahmenstaatliches Handeln kennzeichnend waren für „traditionelle“ Bürokratien bzw. NSDAP- und SSVerwaltungen, gehören für den Gau Thüringen auf den Prüfstein.98 Die Forschung hat bislang eher selten darauf hingewiesen, dass sich beide Formen nicht zwingend ausschließen müssen, sondern sich überlappen und gegensei-
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Vgl. neben den bereits genannten Studien Jürgen John: Grundzüge der Landesverfassungsgeschichte Thüringens 1918 bis 1952, in: Thüringische Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Jena 1993, S. 49-113; ders.: Aspekte und Probleme thüringischer Landesgeschichte von 1920 bis 1952, in: 44. Thüringischer Archivtag Erfurt 1995. Vorträge der Fachtagung Archive und Landesgeschichte, Weimar 1996, S. 7-44; ders./Bernhard Post: Von der Landesgründung zum „NS-Trutzgau“. ThüringenDiskurse 1918 bis 1945, in: Matthias Werner (Hg.): Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 67-120 Sehr überzeugend und die Ebene des NS-Gaues Thüringen berücksichtigend Uwe Mai: „Rasse und Raum“. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn u.a. 2002, v.a. S. 156-166 In den letzten Jahren wurde für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik überzeugend dargelegt, dass staatliche Behörden, die gemeinhin als traditionelle Verwaltungsapparate und im weitesten Sinne „konservative Beharrungskräfte“ galten, ein unverzichtbarer Motor der Vernichtungspolitik waren und mitnichten nur rudimentär in die NS-Verbrechen verwickelt waren. Vgl. zusammenfassend Ulrich Herbert (Hg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1933-1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt/Main 1998. Jürgen John und Gunther Mai (Thüringen 1918-1952, S. 574) haben bereits vor einiger Zeit auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass die regionalen Behörden in Thüringen sich keineswegs in Kräfte zehrenden Kompetenzkonflikten aufgerieben haben und auf den regionalen Gestaltungsspielraum der Führungsschichten in Thüringen hingewiesen.
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tig bedingen können.99 Die Untersuchung des Gaues Thüringen vor und im Zweiten Weltkrieg muss nachgerade diese Aspekte berücksichtigen. Konkurrenz und Konflikte sollen für die Bürokratien im Gau Thüringen nicht geleugnet werden. Aber diese Entwicklungen und Herrschaftsausformungen wurden scheinbar überlagert von dem Willen zu Kooperation und Ausgleich, da im Wesentlichen Einigkeit über die Zielprojektion innerhalb und zwischen den einzelnen Behörden im Gau Thüringen (und im Gauzentrum Weimar) bestand. Damit verbunden ist die Frage, in welchem Maße die Thüringer Behörden zur Stabilität und Radikalisierung des Regimes beitrugen und seine Leistungsfähigkeit gewährleisteten. Und damit einher geht – letztes Endes und allenfalls am Rande und indirekt in den folgenden Überlegungen auszuführen – die Frage nach der Verantwortung für die NS-Herrschaft in Thüringen. Erst seit den späten achtziger Jahren entstand eine Reihe innovativer Einzelstudien zur nationalsozialistischen Herrschaft in Thüringen, die aber vorwiegend Randbereiche thematisieren. Hier wären vor allem das große Projekt zur Jenaer Universitätsgeschichte100, Arbeiten zur Geschichte der Medizin und Wissenschaft101, Stadtplanung und Architektur102, zur Rolle der 99
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Vgl. Jan Erik Schulte: Die Konvergenz von Normen- und Maßnahmenstaat: Das Beispiel SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, 1925-1945, in: Gruner/Nolzen (Hg.): Bürokratien, S. 151-188 Uwe Hoßfeld u.a. (Hg.): „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln u.a. 2003; ders. u.a. (Hg.): „Im Dienst an Volk und Vaterland“. Die Jenaer Universität in der NS-Zeit (Sonderauflage für die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen), Köln 2005. Vgl. als neuere Beiträge Uwe Hoßfeld: Rassenkunde und Rassenhygiene im „Mustergau“, 1930-1945 (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Erfurt 2004; ders.: Gerhard Heberer (1901-1973). Sein Beitrag zur Biologie im 20. Jahrhundert (=Jahrbuch für Geschichte und Theorie der Biologie, Supplement-Band 1), Berlin 1997; Paul Weindling: „Mustergau“ Thüringen. Rassenhygiene zwischen Ideologie und Machtpolitik, in: Norbert Frei (Hg.): Medizin und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Sondernummer), München 1991, S. 81-97; Paul Mitzenheim: Das Jahr 1935. Gleichschaltung und Betonung politischer Akzente im Thüringer Schulwesen, in: 8. Mai 1945. Von Schwierigkeiten beim Umgang mit deutscher Geschichte. Protokollband einer Tagung der RosaLuxemburg-Stiftung Thüringen e.V. am 12. Februar 2005 in Jena anlässlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Manfred Weißbecker, Jena 2005, S. 51-61 Vgl. Karina Loos: Der Bau der Nietzsche-Gedächtnishalle im Dritten Reich in Weimar, in: Jörg Brauns/Gerd Zimmermann (Hg.): KulturStadtBauten. Eine architektonische Wanderung durch Weimar – Kulturstadt Europas 1999, Weimar 1997, S. 74-77; dies.: Die Inszenierung der Stadt. Planen und Bauen im Nationalsozialismus in Weimar, Diss. [ms], Weimar 1999; Christiane Wolf: Das Gauforum als typische Bauaufgabe der nationalsozialistischen Architektur, in: Vergegenständlichte Erinnerung. Per-
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NSDAP103 sowie zur Etablierung der ersten nationalsozialistischen Regierung 1932104 zu nennen. Der vor mittlerweile mehr als einem Jahrzehnt erschienene, bislang einzige umfangreiche Band zur Geschichte Thüringens im Nationalsozialismus berücksichtigt, wie vergleichbare Studien in anderen Regionen des Reiches auch, den Gau Thüringen allenfalls als Handlungsrahmen, nicht aber in seiner funktionellen Bedeutung.105 Zentrale Bereiche der NS-Herrschaft in Thüringen blieben – wie anderswo – weitgehend unerforscht. Zu den Desideraten der historischen Regionalforschung zählen neben dem nationalsozialistischen Herrschaftssystem auf Regional- und Gauebene im Krieg wichtige funktionelle Kernbereiche wie die regionalen Mechanismen des Terror- und Verfolgungsapparates.106 Studien zum System der Konzentrationslager liegen für Thüringen einige vor.107 Demgegenüber fehlen – sieht man von den Beiträgen zu den Lagern ab – Analysen zur SS gänzlich. Überlegungen zur Verfolgungs- und Erfahrungsgeschichte der NSOpfer in Thüringen, insbesondere der Juden, sind eher selten.108 Zu den Maßnahmen um den Herrschaftsauf- und -ausbau in Thüringen zählen neben Terror-, Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen aber auch sozial-
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spektiven einer janusköpfigen Stadt, Weimar 1996, S. 63-71; dies.: Gauforen. Zentren der Macht. Zur nationalsozialistischen Architektur und Stadtplanung, Berlin 1999. Vgl. Sonja Neumann: 1926/1936 – die NSDAP in Thüringen/Weimar, in: HannsWerner Heister (Hg.): „Entartete Musik“ 1938 – Weimar und die Ambivalenz. Ein Projekt der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar zum Kulturstadtjahr 1999, Teil 1, Saarbrücken 2001, S. 114-119; Manfred Weißbecker: Die NSDAP in Thüringen – vom Experiment zum „Schutz- und Trutzgau“ des Führers, in: Jens-Fietje Dwars/Mathias Günther (Hg.): Das braune Herz Deutschlands? Rechtsextremismus in Thüringen, Jena 2001, S. 61-99 Vgl. Schilling: Herrschaftssystem; Heiden/Mai (Hg.): Thüringen auf dem Weg Vgl. Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus Vgl. Marlis Gräfe/Bernhard Post/Andreas Schneider (Hg.): Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen 1933-1945 (=Quellen zur Geschichte Thüringens 24), 2 Halbbände, Erfurt 2004 sowie die umfangreiche Darstellung von Andreas Theo Schneider: Die Geheime Staatspolizei im NS-Gau Thüringen. Geschichte, Struktur, Personal und Wirkungsfelder, Diss. [ms], Jena 2005; als Quellengrundlage Hermann J. Rupieper/Alexander Sperk (Hg.): Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei zur Provinz Sachsen 1933-1936, Bd. 3: Regierungsbezirk Erfurt, Halle/Saale 2006. Vgl. als neuere Studie Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, hg. von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Göttingen 2001. Vgl. Carsten Liesenberg: „Wir täuschen uns nicht über die Schwere der Zeit …“. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden, in: Heiden/Mai: Nationalsozialismus, S. 443462; Thomas Grieser: Jüdische Ärzte in Thüringen während der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945, Diss. [ms], Jena 2003.
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populistische Integrationsbemühungen109, die die regionale NS-Führung unter dem Stichwort „Sozialismus der Tat“110 propagierte. Beide Komplexe müssen noch eingehender erforscht und eingeordnet werden. Einzelne Aspekte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Thüringens wurden, gerade für die Kriegszeit, nur selten thematisiert.111 Angesichts ihrer integrativen Bedeutung für die Systemstabilität müssen sie aber deutlich stärker als bisher und mit modernen Methoden und Fragestellungen in das Zentrum historischen Fragens gerückt werden.112 So fehlen, um nur zwei Beispiele zu nennen, Studien zur regionalen Rolle der DAF, deren Aktionismus in den unterschiedlichen sozial- und wirtschaftspolitischen Bereichen und ihre Rolle für das regionale Herrschaftssystem.113 Als wichtige NS-Organisation wäre auch die NSV zu nennen, die bisher nicht ausführlich untersucht wurde.114 Gerade am Beispiel der NSV wird deutlich, wie wichtig soziale Aspekte dem 109
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Vgl. Eckhard Hansen: Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen, Konflikte und Machtstrukturen im „Sozialismus der Tat“ des Dritten Reiches (=Beiträge zur Sozialpolitik-Forschung 6), Augsburg 1991. Vgl. Fritz Sauckel (Hg.): Die Wilhelm-Gustloff-Stiftung. Ein Tatsachen- und Rechenschaftsbericht über Sozialismus der Gesinnung und der Tat in einem nationalsozialistischen Musterbetrieb des Gaues Thüringen der NSDAP, Leipzig/Berlin 1938. Vgl. die vorbildliche Studie von Christoph Thonfeld: Sozialkontrolle und Eigensinn. Denunziation am Beispiel Thüringens 1933 bis 1949, Köln u.a. 2003. Wichtige Themenbereiche der nationalsozialistischen Sozialpolitik, z.B. zum Wohnungsbau oder zur „Volksgemeinschaft“ in Thüringen, wurden nur selten untersucht. Die Situation an der „Heimatfront“, ihre Wandlungsprozesse, Antriebskräfte, Stabilitätsfaktoren und Spannungspole sind in vielen Bereichen nicht erfasst. Detlev Heiden: Von der Kleinsiedlung zum Behelfsheim. Wohnen zwischen Volksgemeinschaft und Kriegsalltag, in: ders./Mai (Hg.): Nationalsozialismus, S. 349-373 Vgl. Matthias Frese: Betriebspolitik im „Dritten Reich“. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939 (=Forschungen zur Regionalgeschichte 2), Paderborn 1991; Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1977; Klaus Wisotzky: Der Ruhrbergbau im Dritten Reich. Studien zur Sozialpolitik im Ruhrbergbau und zum sozialen Verhalten der Bergleute in den Jahren 1933 bis 1939, Düsseldorf 1983; Rüdiger Hachtmann: Industriearbeit im „Dritten Reich“. Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland 1933-1945, Göttingen 1989; Reinhard Giersch: Die „Deutsche Arbeitsfront“ DAF. Ein Instrument zur Sicherung der Herrschaft und zur Kriegsvorbereitung des faschistischen deutschen Imperialismus 1933-1938, Diss. [ms], Jena 1981. Vgl. Herwart Vorländer: Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation (=Schriften des Bundesarchivs 35), Boppard am Rhein 1988; Peter Zolling: Zwischen Integration und Segregation. Sozialpolitik im „Dritten Reich“ am Beispiel der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ NSV in Hamburg (=Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 276), Frankfurt/Main u.a. 1986.
EINLEITUNG
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Regime waren, um die „Volksgemeinschaft“ ruhig zu stellen und das System stabil zu halten. Zudem lässt sich anhand der NSV nachweisen, dass das nationalsozialistische Herrschaftssystem im Krieg keineswegs einem Stillstand aufgrund der militärischen Anforderungen unterworfen war, sondern gerade auf der Ebene der Gaue höchst dynamisch war. Die NSV Thüringen erfuhr unter den sich wandelnden militärischen Rahmenbedingungen einen erheblichen Bedeutungs- und Machtzuwachs durch die Versorgung der Bevölkerung und die Bewältigung der Kriegsschäden. Die regionalen Ausformungen und Fixpunkte dieser Prozesse sind für Thüringen bislang nicht berücksichtigt worden. Auffällig ist außerdem, dass wichtige wirtschaftliche Zusammenhänge in Thüringen, sieht man von den Studien Jürgen Johns115 einmal ab, weitgehend fehlen.116 Die Rolle der Industrie, des Handels – kurz: der gesamten gewerblichen Wirtschaft117 sowie der Landwirtschaft118 sind bislang allenfalls in Ansätzen erforscht. Gerade aber die Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft waren zwischen 1933 und 1945 erheblichen Veränderungen unterworfen. Sie bewegten sich in einem für Thüringen noch immer kaum näher identifizierten Spannungsfeld von Anpassungs- und Kooperationsbereitschaft einerseits und von parteilichen und staatlichen Bürokratien organisierten Kontrollmechanismen andererseits. Das Verhältnis des Mächtedreiecks Staat – Partei – Wirtschaft im Krieg ist innerhalb dieses gaubezogenen, regionalen Aktionsraumes allenfalls in Ansätzen für Thüringen erforscht.119 Eine erhebliche Forschungslücke stellen die bisher in keiner Arbeit zu Thüringen beachteten Rüstungsdienststellen der Wehrmacht dar. Studien zum Personal dieser Bürokratien, zum behördlichen Mobilisierungspotenzial oder zum Funktionswandel fehlen ebenso wie das Verhältnis der militärischen 115
Vgl. John: Strukturwandel Vgl. Frank Baranowski: Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, 2. Aufl., Duderstadt 1995. 117 Noch immer einer eingehenden Untersuchung harrt die Erforschung des unternehmerischen Spannungsfeldes von Einengung oder Erweiterung der Aktionsräume. Wiederholt wurde in der Forschung zu Thüringen darauf aufmerksam gemacht, dass die Gruppe um Sauckel „schon vor 1939 eine aktive Industrie- und Rüstungspolitik“ betrieb und die Großindustrie – gegenüber der Landwirtschaft – deutlich bevorzugte. (John/Mai: Thüringen 1918-1952, S. 574) 118 Vgl. Angela Verse-Herrmann: Die „Arisierungen“ in der Land- und Forstwirtschaft 1938-1942 (=Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 131), Stuttgart 1997. 119 Vgl. zur Wirtschaftskammer Thüringen John: Strukturwandel, S. 231-235; Lothar Gall/Manfred Pohl (Hg.): Unternehmen im Nationalsozialismus (=Schriftenreihe der Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 1), München 1998. 116
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Stellen zu zivilen Administrationen.120 Ihre Bedeutung innerhalb der zunächst auf den Wehrkreis ausgerichteten, dann den Gauen angepassten Grenzen und Strukturen gerät dabei in der Regionalforschung völlig aus dem Blick. Dieses Defizit darf nicht über die Rolle der Rüstungsdienststellen hinwegtäuschen.121 Sie agierten an der nationalsozialistischen „Heimatfront“ an zwei für die Kriegsführung neuralgischen Stellen. Sie waren in weitaus höherem Maße als die Forschung bislang thematisiert hat in die Mobilisierung der Kriegswirtschaft sowie die Leistungsfähigkeit der Rüstungsproduktion involviert. Damit eng verbunden war der zweite Aktionsraum. Deutlich stärker als bisher muss die Rolle der militärischen Wirtschaftsstellen in der regionalen Arbeitseinsatzpolitik erforscht werden. Eine umfassende, mit modernen Fragestellungen und methodischen Herangehensweisen operierende Biografie zur dominierenden Figur im Gau Thüringen, Fritz Sauckel, fehlt noch immer.122 Das ist aus mehreren Gründen 120
121 122
Vgl. Georg Thomas: Geschichte der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft (19181943/45), hg. von Wolfgang Birkenfeld (=Schriften des Bundesarchivs 14), Boppard am Rhein 1966. Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 307-313; Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 790-800 Vgl. neben den bereits angeführten Darstellungen zur politischen Geschichte Thüringens Karl Höffkes: Hitlers politische Generale. Die Gauleiter des Dritten Reiches. Ein biographisches Nachschlagewerk (=Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Nachkriegsgeschichte 12), Tübingen 1986; einen marginalen Vorgang beleuchtet Hans-Stephan Brather: Der „Frosch-Mäuse-Krieg“ um die Exklave Ostheim vor der Rhön (1939-1945). Rivalisierende Gaufürsten im Gestrüpp ihrer Zuständigkeitsüberlagerungen, in: Michael Gockel/Volker Wahl (Hg.): Thüringische Forschungen. Festschrift für Hans Eberhardt, Weimar/Köln/Wien 1993, S. 533-561; Peter W. Becker: Fritz Sauckel – Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, in: Ronald Smelser/Rainer Zitelmann (Hg.): Die braune Elite I. 22 biographische Skizzen, 3. Aufl., Darmstadt 1994, S. 236-245; Manfred Weißbecker: Fritz Sauckel. „Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitätsduselei ablegen ...“, in: Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker (Hg.): Stufen zum Galgen. Lebenswege vor den Nürnberger Urteilen, Leipzig 1996, S. 297-443; Beate Breitlauch: Fritz Sauckel. Eine biographische Skizze, wiss. Hausarbeit [ms], Jena 1983; Steffen Raßloff: Fritz Sauckel. Hitlers Muster-Gauleiter (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde); ders.: Fritz Sauckels Weg zum NS-Funktionär. Herkunft, biographische Zäsuren, Weltbildprägung, in: ZVTG 59/60 (2005/06), S. 307-332; ders.: Fritz Sauckel: Hitlers „Muster-Gauleiter“ und „Sklavenhalter“, Erfurt 2007; Rüdiger Stutz: „Der Kulturstadt einen neuen Lebensstrom einzuflößen“. Fritz Sauckel und die Gustloff-Werke in Weimar, in: Ulbricht (Hg.): Klassikerstadt, S. 64-76; Markus Fleischhauer: „Eine neue Klassik bauen“. Kulturelle Konzepte Fritz Sauckels, in: ebd., S: 77-90; wenig aussagekräftig Stephan Lehnstaedt/Kurt Lehnstaedt: Fritz Sauckels Nürnberger Aufzeichnungen. Erinnerungen aus seiner Haft während des Kriegsverbrecherprozesses, in: VfZ 57/1 (2009), S. 117-150; vorbildlich Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie, München 2008.
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bemerkenswert. Als Gauleiter (1927), Reichsstatthalter (1933), RVK (1939) und kommissarischer Oberpräsident des Regierungsbezirks Erfurt (1944) verfügte Sauckel über eine Machtfülle, für die es nur wenige vergleichbare Beispiele unter den regionalen Exponenten im Reich gab.123 Er stand an der Spitze der Partei- und Staatsverwaltung Thüringens und führte den Stiftungsvorsitz des Rüstungskonzerns „Gustloff-Werke, Nationalsozialistische Industriestiftung“. Er war vor Ort der erste Repräsentant des Regimes, Identifikationsfigur und Motor der Partei im Gau Thüringen124, der sich die „lebenswichtige Aufgabe der NSDAP im Kriege, den Sieges- und Widerstandswillen des deutschen Volkes immer von Neuem zu wecken und zu stärken und damit die Stimmung der Bevölkerung hochzuhalten“125, zum Ziel gesetzt hatte. 1942 stieg er mit der Ernennung zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) in den engsten Führungszirkel des Reiches auf und war verantwortlich für den verbrecherischen Arbeitseinsatz von Millionen Menschen. Als radikaler Nationalsozialist, machtbewusster und durchsetzungsfähiger Politiker und fähiger Organisator leitete er die erste nationalsozialistisch geführte Landesregierung in Thüringen seit August 1932. Seine Aktivitäten auf politischem, staatlichem, wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet sind nach wie vor nur in einigen Einzelstudien und biografischen Skizzen untersucht. Seine Wahrnehmung als Hauptakteur nationalsozialistischer Politik und Menschenverachtung wurde vorwiegend von seinem Amt als Generalbevollmächtigter determiniert. Der inflationäre Gebrauch des Begriffes vom nationalsozialistischen „Mustergau“126, der auch auf Thüringen nach wie vor Anwendung findet, wird für 123 124
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Vgl. Peter Hüttenberger: Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 19), Stuttgart 1969. Aristotle A. Kallis: Der Niedergang der Deutungsmacht. Nationalsozialistische Propaganda im Kriegsverlauf, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 9: Jörg Echternkamp (Hg.): Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. 2. Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung, München 2005, S. 203-250 Wilhelm Stuckart: Führung und Verwaltung im Kriege (=Schriften des Reichsverbandes Deutscher Verwaltungsakademien, hg. von Hans Heinrich Lammers 6), Berlin/Wien 1941, S. 11 Frank Bajohr und Joachim Szodrzynski (Einleitung, in: dies. (Hg.): Hamburg in der NS-Zeit, S. 7-23, hier v.a. S. 11) haben am Beispiel Hamburgs auf die Problematik des Begriffes „Mustergau“ aufmerksam gemacht, da es dem Bild eines Nationalsozialismus ohne Nationalsozialisten Vorschub leiste. Vgl. zur Verwendung des Begriffes Georg Hansen: Ethnische Schulpolitik im besetzten Polen. Der Mustergau Wartheland, Münster u.a. 1995; Angelika Ebbinghaus/Heidrun Kaupen-Haas: Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984.
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die vorliegende Arbeit zurückgewiesen. Selbst weitere, empirisch gestützte Gau-Studien wirken in dieser Hinsicht nicht Erkenntnis fördernd, da per se davon auszugehen ist, dass das Gauführungspersonal127 und die Gaue sich vor Hitler im Besonderen und Spitzenrepräsentanten des Regimes im Allgemeinen auszuzeichnen versuchten. Selbst neueste Arbeiten, die die regionalen Dimensionen nationalsozialistischer Herrschaft in den Mittelpunkt historischen Fragens stellen, bleiben in dieser Hinsicht oftmals älteren Forschungsansätzen verpflichtet bzw. arbeiten unkritisch mit dem Begriff des „Mustergaues“ bzw. „Mustergauleiters“.128 Die Frage nach dem nationalsozialistischen „Mustergau“ Thüringen129 kann nicht beantwortet werden.130 Der kulturelle Ausbau der Gauhauptstädte, der bis weit in den Krieg von den besonders ehrgeizigen Gauleitern gegen erhebliche Widerstände vorangetrieben wurde, ist dafür ein schlagendes Beispiel. Der Umbau Weimars unter der Ägide Sauckels ist ein Beispiel unter zahlreichen – sicherlich aber eines der (auch heute noch) augenfälligsten.131 Zahlreiche Gauleiter betrieben da127
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Bisherige Kollektivporträts der Gauleiter oder regionale Gruppenporträts berücksichtigen die Gauleiterkompetenzen, die Peter Hüttenberger (Gauleiter) in seiner frühen Pilotstudie nachgewiesen hat, nur selten. Sie bleiben in der Regel den Ansätzen traditioneller Biographik verhaftet und operieren in eng personalistischen Sichtweisen. Methodisch richtungsweisend, wenn auch keinen Gauleiter untersuchend die Studie von Ulrich Herbert: Werner Best. Biographische Studien über Radikalität, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 1996; als Gruppenporträt anzusehen, aber mit veraltetem Forschungsstand Walter Först: Die rheinischen Gauleiter, in: ders. (Hg.): Städte nach dem Zweiten Weltkrieg, Köln 1984, W. 121-139; Walter Ziegler: Das Selbstverständnis der bayerischen Gauleiter, in: Rumschöttel/Ziegler (Hg.): Staat, S. 77-125; Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz. NSBiographien aus Baden und Württemberg, Konstanz 1997. Für Thüringen fehlen Studien zum NS-Führungspersonal nahezu gänzlich. Vgl. als ersten Zugriff die knappen biographischen Skizzen in Bernhard Post/Volker Wahl (Hg.): Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995 (=Veröffentlichungen aus Thüringischen Staatsarchiven 1), Weimar 1999, S. 552-645 Eine Ausnahme ist die Studie zu Hamburg. Vgl. Hamburg im „Dritten Reich“, hg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg, Göttingen 2005. Der Begriff vom „Mustergau“ Thüringen findet sich regelmäßig in der Forschung. Vgl. John/Mai: Thüringen 1918-1952, S. 568; Mai: „Rasse und Raum“, S. 156-166; Weindling: „Mustergau“; Gunther Mai: Das Kriegsende in Thüringen 1945. Region zwischen den Fronten, in: ZVTG 59/60 (2005/06), S. 269-306, hier S. 270; zur These vom „Mustergau“ Hamburg Bajohr/Szodrzynski: Einleitung, S. 8-13 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter Vgl. Karina Loos: Planen und Bauen im Nationalsozialismus. Ein Überblick zu Weimar, in: Ulbricht (Hg.): Klassikerstadt, S. 128-144; Christiane Wolf: „Zentralpunkt nationalsozialistischen Lebens“. Der „Platz Adolf Hitlers in Weimar“, in: ebd., S. 157-167; Norbert Korrek/Justus H. Ulbricht/Christiane Wolf: Das Gauforum in Wei-
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rüber hinaus eine aktive Wirtschafts- und Sozialpolitik und griffen dirigierend auf diesen Feldern in ihren Gauen, auch gegen die Widerstände der regionalen Eliten, meist aber im Konsens bzw. nach einem für beide Seiten akzeptablen Arrangement, ein. Die genannten Themenfelder müssen nicht zuletzt deshalb dringend aufgearbeitet und eingeordnet werden, um das Verhältnis von Nationalsozialismus und Gesellschaft in Thüringen besser zu erfassen. Die empirisch fundierte Gauforschung bietet die Möglichkeit, dem keineswegs zutreffenden Deutungsmuster, Nationalsozialismus und Gesellschaft als sich ausschließende bzw. gegensätzliche Pole eines Spannungsfeldes zu begreifen, zu begegnen.132 Gerade die Regionalforschung zeigt, dass der Nationalsozialismus in zahlreichen soziokulturellen und sozioökonomischen Milieus der deutschen Gesellschaft tief verankert war.133 Am Beispiel des Gaues Thüringen vor und im Zweiten Weltkrieg lässt sich nachweisen, wie bereitwillig die gesellschaftlichen Eliten134 mit den regionalen Machthabern in Staat und Partei kooperierten, ihr Know-how zur Verfügung stellten und an der Ausbildung von systemstabilisierenden Netzwerken135 beteiligt waren. Dabei operierten die Akteure und Behörden natürlich nicht im konfliktfreien Raum, aber es existierten Bindekräfte und Strukturen, die den Konsens in den wesentlichen, für die Leistungsfähigkeit an der „Heimatfront“ bedeutenden Aufgaben- und Betätigungsfeldern erleichterten und ermöglichten. Die nachfolgenden Überlegungen können die genannten Forschungsdefizite eher vorsichtig, einen erheblichen Teil gar nicht abstecken und empirisch füllen. Festzuhalten bleibt, dass es dringend weiterführender Einzelstudien auf allen hier genannten Gebieten bedarf, um die Zeit des Nationalsozialismus in Thüringen präziser zu erfassen und damit zu einem deutlich schärfe-
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mar. Ein Erbe des Dritten Reiches (=Vergegenständlichte Erinnerung 3, hg. von der Bauhaus-Universität Weimar), Weimar 2001. Vgl. Horst Wenkel: Zur Taktik der faschistischen Nazipartei und zu ihren Methoden im Kampf gegen die Arbeiterklasse und andere demokratische Kräfte in Thüringen 1929-1932, Diss. [ms], Jena 1973. Für Thüringen liegen bislang kaum Studien vor, die das Verhältnis unterschiedlicher Milieus zum Nationalsozialismus thematisieren. Vgl. Dietmar Klenke: Das Eichsfeld unter den deutschen Diktaturen. Widerspenstiger Katholizismus in Heiligenstadt, Duderstadt 2003; theoretische Ausführungen bei Schmiechen-Ackermann: Soziale Milieus Vgl. Martin Broszat/Klaus Schwabe (Hg.): Die deutschen Eliten und der Weg in den Zweiten Weltkrieg, München 1989. Vgl. Justus H. Ulbricht: Kulturrevolution von rechts. Das völkische Netzwerk 1900 bis 1930, in: Jens-F. Dwars/Mathias Günther (Hg.): Das braune Herz Deutschlands? Rechtsextremismus in Thüringen (=Quer aktuell 1), Jena 2001, S. 126-163
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ren Bild zu gelangen. Im Zentrum der Arbeit stehen die Bereiche Staat, Partei und Wirtschaft und deren Interaktionen im Krieg. Anhand exemplarischer Aspekte, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, wird das Mobilisierungspotenzial des Gaues Thüringen, seiner Behörden, Netzwerke und Akteure untersucht. Die Überlegungen zu Thüringen als Verlagerungsgau und zum Gaueinsatzstab stellen erste Zugriffe auf wichtige, bislang nicht in den Blick der Forschung geratene Funktionsbereiche des Gaues dar, an denen sich die Gestaltungsspielräume ablesen lassen. Chronologisch liegt der Arbeit die für den Gau Thüringen bedeutsame Zäsur des Jahres 1941/42 zugrunde. Fixpunkte bilden die Ausführungen zu bürokratischen und wirtschaftspolitischen Wandlungen. Diese beiden Themen stehen im Mittelpunkt. Es ist danach zu fragen, welchen Wandlungen die Bürokratien im Gau Thüringen unterworfen waren, welche Aktionsräume sich ausprägten, welche Spannungsfelder das gaubezogene Handeln dynamisierten, determinierten oder blockierten. Unter den leitenden Fragestellungen rückt auch das Gauführungspersonal in den Blick, das sich im Krieg neue Aufgabenfelder erschloss. Die bürokratischen Aktionsräume lagen vor allem in den Bereichen Kriegs- und Rüstungswirtschaft sowie Arbeitskräftepolitik. Glaubte das Regime bis zur Jahreswende 1941/42, mit einer partiellen bzw. „friedensmäßigen“ Mobilisierung der Kriegswirtschaft auszukommen, eröffneten sich den Gauen seit 1942 neue Perspektiven. Diese bargen (folgt man den erwähnten Denkmustern von Zentralismus/Partikularismus, Dualismus von Staat und Partei, polykratischen Strukturen etc.) erhebliches Konfliktpotenzial bis hin zur bürokratischen Selbstblockade des Regimes. Anhand des Gaues Thüringens im Krieg sollen diese traditionellen theoretischen Modelle und Deutungsmuster auf ihre Reichweite und Eindringtiefe hin untersucht werden, um die innere Verfasstheit des Gaues Thüringen genauer zu beschreiben. In den auf mehreren Ebenen nachweisbaren Spannungsfeldern von Konsens und Dissens, Integration und Segregation, Kooperation und Konfrontation sollen Bürokratien, Netzwerke und Akteure aus Staat und Partei, Wirtschaft und Wehrmacht im Gau Thüringen auf ihre Motivationen und Zielorientierungen, Handlungsmuster und Positionierungen im auf den Gau Thüringen bezogenen Politik-, Staats- und Herrschaftsverständnis dargestellt werden. Theoretische Ausführungen zu zentralen Praxiserfahrungen sind dafür unerlässlich.
TEIL 1
I.
1.
DIE NS-GAUE IM „DRITTEN REICH“ UND DER NS-GAU THÜRINGEN BIS 1939
Die Gaue der NSDAP – Überlegungen zu Struktur, Funktion und Entwicklung Die Gaue der NSDAP bis 1939
Die Beschreibung der inneren Strukturen des Nationalsozialismus bereitet der Forschung nach wie vor Probleme. Die Herrschafts- und Mobilisierungsfähigkeit, Effizienz und Handlungsdynamik des kriegsvorbereitenden und Krieg führenden NS-Regimes wird – je nach Position – in unterschiedliche Begriffe gefasst: „Doppel-“, „Maßnahme-“ oder „Führerstaat“, Bilder der „Totalität“ oder „Polykratie“, der „Aushöhlung“ staatlicher Funktionen, der „Entstaatlichung“ und „Personalisierung“ von Politik werden genutzt, um die komplexen inneren Herrschaftsverhältnisse zu erfassen und zu beschreiben. Der Darstellung Hitlers als „Herr und Meister“ des „Dritten Reiches“ steht der Standpunkt eines „schwachen Diktators“ gegenüber. Strukturalisten und Intentionalisten streiten über die spezifischen Ausprägungen der NSHerrschaft. Der Nationalsozialismus wird in einer sehr kontrovers geführten Debatte als „modern“ oder als „vorgetäuschte Modernisierung“ begriffen, und dem zentralistischen, gleichgeschalteten Staat stehen partikulare Ausprägungen gegenüber, wobei die innere Vernetzung, das „missing link“, der Forschung noch erhebliche Schwierigkeiten bereitet. So nützlich diese theoretischen Ansätze bei der Analyse der Herrschaftsverhältnisse gewesen sind, bedürfen sie doch einer kritischen Prüfung, denn gerade bei der Untersuchung regionaler Funktionsweisen scheinen sie zumindest in Teilen zu versagen.1 Die Regionalität der Herrschaftsmechanismen war für die politische Orientierung, für Verhaltensweisen und für Positionierungen innerhalb des totalitären Staates von entscheidender, vordringlicher Bedeutung gegenüber den in fernen Städten angesiedelten, planenden und organisierenden Behörden und Apparaten. So war auch der Aufstieg der NSDAP regional geprägt: Starke regionale Schwankungen bei der Reichstagswahl 1932 waren die Folge spezifischer, regional beeinflusster und determinierter Stimmungen.2 Für die 1 2
Vgl. Mommsen: Phantom Vgl. Jürgen W. Falter: Hitlers Wähler, Köln 1991.
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DIE NS-GAUE
Verankerung des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft bildeten die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, Widerstände und Kooperationsangebote, Mechanismen und Funktionäre in den Regionen ausschlaggebende Bedingungsfaktoren. In seinem 1942 erschienen, 1944 um einen „Anhang“ erweiterten „Behemoth“ kam Franz Neumann zu bemerkenswerten Feststellungen hinsichtlich des regionalen Reichsaufbaus, die jedoch kaum von der Forschung aufgenommen, problematisiert und weitergeführt wurden.3 Neumann diagnostizierte zur Rolle der NSDAP, dass die Gauleiter als Kern der Partei immer mehr an Bedeutung gewannen, indem sie Regierungsämter besetzten und dass sich aus ihren Reihen diejenigen rekrutierten, die in den eroberten Gebieten wichtige Funktionen einnahmen.4 Und zum Verhältnis von Zentralismus und Regionalismus urteilte Neumann, dass „offensichtlich […] die regionale und nicht die nationale Ebene im Hinblick auf Parteimitglieder und Volk die größte Rolle“5 besaß. Und diesen Gedanken fortsetzend formulierte er: „Die Verwaltung vollzieht sich nicht so sehr auf Reichsebene; vielmehr sind es die regionale und lokale Ebene, denen eine umfassende Bedeutung zukommt.“6 Der Darstellung der Partei als Verwaltungsapparat widmete Neumann zehn Seiten und er deckte das Vordringen der Gaue als administrative, regionale Organisations- und Funktionseinheiten, die sich Ende 1942 mit der Bestellung aller Gauleiter zu RVK vollständig etabliert hatten, auf.7 Umso drängender erscheint eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung und Entwicklung der Gaue im NS-Staat, da sie die etablierten regionalen Organisationseinheiten bildeten und ihre Kompetenzen in dem Maße wuchsen, wie sich die militärische Lage verschlechterte. Die gebietliche und vertikale Gliederung der NSDAP vollzog sich auf vier Ebenen: Block, Ortsgruppe bzw. Stützpunkt, Kreis und Gau. Die Gliederungen der Partei, die angeschlossenen Verbände und deren Leiter waren in den Hoheitsgebieten der Partei disziplinär, d.h. in organisatorischer, ideologischer, politischer, Aufsicht führender und personeller Beziehung, dem zuständigen Hoheitsträger der NSDAP unterstellt, während sie fachlich von unten aufbauend der nächst höheren Dienststelle ihrer Organisation unterstanden. Bei der Neugründung der NSDAP 1925 kam es Hitler zunächst darauf an, aus der zerfallenen und zerstrittenen Partei neue Strukturen heraus3 4 5 6 7
Vgl. zur Bedeutung Neumanns und der Rezeption seines Ansatzes die Anmerkungen von Nolzen: NSDAP, S. 99f. Vgl. Neumann: Behemoth, S. 439, 566-569 Neumann: Behemoth, S. 567 Neumann: Behemoth, S. 559 Vgl. Neumann: Behemoth, S. 560-572
DIE NS-GAUE
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zulösen, die er an sich binden konnte, um zuerst einmal seine eigene Hausmacht zu stabilisieren und zu vergrößern.8 Hitler konnte dabei auf einige starke Verbände, so in Bayern unter Julius Streicher und Hermann Esser und in Thüringen unter Artur Dinter, zurückgreifen. Am 22. Mai 1926 wurde in der Satzung der NSDAP festgelegt: „Der Verein besteht zunächst aus Ortsgruppen, die der Parteileitung unterstellt sind. Je nach Bedarf werden diese in Gauverbänden zusammengefasst. Die Gauleiter werden von der Reichsleitung bestimmt […] Die Reichsleitung arbeitet nur mit Ortsgruppen und mit Gauen.“9 Damit war die Regionalstruktur der Partei festgelegt: Ortsgruppen und Gaue bildeten die eigentlich entscheidenden organisatorischen und etatisierten Einheiten. Grundsätzlich, das hat schon die Studie Hüttenbergers gezeigt, hat sich Hitler in die Einzelheiten der Gaue nicht eingemischt.10 Sie waren in sich und auf sich bezogene Einheiten. In diesem Zusammenhang muss Zieglers Annahme, dass es keine gemeinsamen Verabredungen von Gauen gab, die letzten Kriegsjahre nimmt er bewusst aus, eingehender untersucht und vermutlich relativiert werden.11 Mit der Ausweitung der NSDAP von einer Kader- zu einer Mitgliedspartei und später zu einer Massenbewegung12 war eine straffere bürokratische Organisation erforderlich. Gregor Strasser, zunächst Propagandaleiter Hitlers, dann Organisationsleiter der Partei, vereinheitlichte die regionalen Parteigliederungen. Dabei ging das NS-Regime pragmatische Wege, Interessenund Gebietskonflikte wurden vermieden.13 1928 wurden die 31 NSDAPGaue den Reichstagswahlkreisen angeglichen. In den seltensten Fällen (z.B. Hamburg, Sachsen) deckten sich die Gaugrenzen mit denen von Einzelstaatsoder Verwaltungsgebieten, vielmehr setzten sie sich aus Teilen verschiedener Staaten oder Provinzen zusammen. Sie waren kleiner als die „gleichgeschalteten“, formell aber nicht beseitigten Länder und ermöglichten eine dichtere Regionalstruktur zur Schaffung neuer Funktionsbereiche. Damit änderte sich auch die Stellung der Gauleiter. Er war nun nicht mehr nur „Bandenführer“, der durch sein Charisma Anhänger um sich scharte, sondern er hatte eine doppelte Rolle. Er war Stellvertreter des „Führers“ in seiner Region und bürokratischer Funktionsträger und damit der Reichsleitung unterstellt. Seine 8 9
10 11 12 13
Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 13-38 Hitler: Reden, Schriften und Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933, hg. v. Institut für Zeitgeschichte, Bd. I: Die Wiedergründung der NSDAP Februar 1925-Juni 1926, hg. von Clemens Vollnhals, München u.a. 1992, S. 463 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 199 Vgl. Ziegler: Gaue und Gauleiter, S. 149 Vgl. Martin Broszat: Zur Struktur der NS-Massenbewegung, in: VfZ 31 (1983), S. 5276 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 26-55
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Macht gegenüber den Ortsgruppen war gewachsen, da diese ihre führerunmittelbare Stellung verloren hatten. Die Reorganisation Strassers zielte somit auf eine Stärkung der regionalen Strukturen. Die Gleichschaltungsphase seit 1933 war verfassungsmäßig geprägt von der schrittweise durchgeführten, 1935 abgeschlossenen Entmachtung der Länder, die ihre eigenstaatlichen und hoheitlichen Rechte verloren, und der Einsetzung von sich im Nachhinein als relativ schwach erweisenden Reichsstatthaltern oberhalb der Länderregierungen. Formell blieben die Länder als regionale Mittelinstanzen zwar bestehen, aber sie waren nicht mehr als „ReichsAuftragsverwaltungen“14 und die Länderregierungen verfügten kaum noch über Kompetenzen. Parallel dazu bildeten sich die Gaue als neue regionale Funktionseinheiten heraus, die oberhalb der Länder und Provinzen die zunehmend rüstungswirtschaftlich ausgerichteten und vom NS-Regime als besonders bedeutsam erachteten Aufgabenfelder von Arbeitskräfte-, Ressourcen- und Produktionsmanagement besetzten. Die innere Entwicklung des NS-Regimes kennzeichnete 1933/34 eine „Formierungsphase“, in denen das Regime wichtige innenpolitische Weichenstellungen vornahm. Daran schloss sich eine „Konsolidierungsphase“15 1935/38 an, die tatsächlich und in der Wahrnehmung der Gauleiter die Berliner Ministerialbürokratie stärkte und bei den regionalen Machthabern ein Gefühl des Kompetenzverlustes hervorrief, das sich in mehreren Denkschriften, Eingaben, Petitionen etc. (letzten Endes erfolglos) Luft verschaffte. Einen Einschnitt markierte 1936 der (zweite) VJP, mit dem das Regime einen (nun auch öffentlich spürbaren) Kurswechsel einleitete und die zivilen regimespezifischen Steuerungsfunktionen zunehmend auf die sich als konstitutive Mittelinstanzen ausbildenden Gaue umgestellt wurden. Göring beauftragte die Gauleiter, Reichsstatthalter und Oberpräsidenten mit der Errichtung regionaler Strukturen des VJP. Daraufhin entstand beispielsweise das Gauhauptamt Thüringen, das über zwei Landesämter (Weimar für das Land Thüringen und Erfurt für den Regierungsbezirk Erfurt und die Kreisherrschaft Schmalkalden) verfügte und richtungsweisende Funktionen im Wirtschaftsgefüge des NS-Gaues Thüringen übernahm. Das Gauhauptamt des VJP wurde personell eng an den bestehenden Gauapparat angebunden und spiegelt damit die strukturelle Vernetzung wider. Die regionalen Spitzen von Partei, Staat und Wirtschaft (Eberhardt, Marschler, Ortlepp, Weber, Thiel, Peuckert) übernahmen die Führungspositionen in der regionalen VJP-Organisation.
14 15
John: NS-Gau, S. 42 Phaseneinteilung und Begriffe nach Frei: Führerstaat, S. 38-129
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Reichsreformpläne spielten dabei zu Beginn der NS-Herrschaft eine marginale, seit Mitte der dreißiger Jahre gar keine Rolle mehr. Obwohl sie immer wieder im Raum schwebten, konzentrierte sich die Führung auf andere Themen. Das Regime beschritt neue Wege der Herrschaftsorganisation mit einem hohen Grad an Dynamik und Effektivierung. Die Gaue boten den machtbewussten, an den Schnittstellen von Staat, Partei und Wirtschaft agierenden und im Spannungsgefüge von „Reichszentralismus“ und „Gaupartikularismus“ etablierten Gauführungen den Rahmen zur Herausbildung und Verwirklichung eigenständiger Konzepte, die die zentralen Weisungen umsetzten, ergänzten oder korrigierten. Die Ausprägungen dieser gaubezogenen Regionalpolitik waren von Gau zu Gau unterschiedlich und hingen von verschiedenen Bedingungsfaktoren, die noch genauer identifiziert werden müssen, und dem Gauführungspersonal ab.16 Kennzeichnend für die Gauregionalpolitik waren zwar auch die auf Reichsebene zu beobachtenden Entwicklungen von Kompetenzüberlagerungen, polykratischem Ämterwirrwarr und Konkurrenz der Funktionen, aber offenbar bildeten sich parallel dazu und darüber engmaschige, gaubezogene Netzwerke heraus, die über die Besetzung von Partei-, Staats- und Wirtschaftsfunktionen diese Entwicklungen eher abfederten. Die personellen Querverbindungen boten hierfür reichlich Ansatzpunkte, um die Systemstabilität zu gewährleisten. Franz Neumann hat frühzeitig auf den sich gegenseitig bedingenden Dualismus von Staat und Partei auf Reichsebene, der oft einseitig als ein Gegeneinander gedeutet wurde, und seine Folgewirkungen hingewiesen. Die Bürokratie wurde in ihrem reibungslosen Funktionsablauf nicht gehemmt und behielt die Verantwortung für die politischen, administrativen und organisatorischen Entscheidungen und zugleich sicherte sich die Partei ihren Einfluss.17 Deutlich mehr Wirkung als die spätestens 1935 formell abgestoppte, aber nie ganz unterbundene, inhaltlich mit diesen Entwicklungen aber mehrere Berührungspunkte aufweisende Reichsreformdiskussion entfalteten die seit 1938 eingerichteten Reichsgaue, die einen neuen, in gewissem Sinne weiterentwickelten Typus regionaler Mittelinstanzen darstellten.18 Der Verwaltungsaufbau der Reichsgaue, in denen sich staatliche und parteiliche Bezirke deckten und die von einem Reichsstatthalter und Gauleiter in Personalunion geführt wurden, verwirklichte weitgehend den vor allem von Stuckart voran16
17 18
Vgl. neuerdings zu einer Typologie der NS-Gaue Rüdiger Stutz: „Rassebollwerke“ und „Rüstungsschmieden“ des „Dritten Reiches“. Eine Skizze zur Typologie der NSGaue in den Vorkriegsjahren, in: Monika Gibas/Rüdiger Stutz/Justus H. Ulbricht (Hg.): Couragierte Wissenschaft. Eine Festschrift für Jürgen John zum 65. Geburtstag, Jena 2007, S. 44-59 Vgl. Neumann: Behemoth, S. 439f. Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 481
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getriebenen Grundsatz der Einheit der Verwaltung in der Mittelinstanz, denn dem Reichsstatthalter unterstanden die meisten Behörden der Reichssonderverwaltung. Für die Impulse aus den Reichsgauen waren die Gaue offenbar sensibilisiert, vor allem die Rahmenbedingungen des Krieg führenden Regimes boten den regionalen Eliten im „Altreich“ die Möglichkeit, diese aufzunehmen, zu modifizieren und umzusetzen, wie sich am Beispiel territorialer Grenzziehungen oder der trotz erheblicher Widerstände des Reichsministerium des Innern (RMI) durchgesetzten Versuche organisatorischer Neuordnungen durch die Aufhebung von Regierungspräsidien zeigt. Dass sich die NSDAP-Gaue als sich ausprägende regionale Einheiten etablierten, lässt sich nicht zuletzt am Schrifttum zu den Gauen ablesen. 1940 gab Paul Meier-Benneckenstein die Reihe „Die deutschen Gaue seit der Machtergreifung“ heraus, in der propagandistisch überwölbt die politischen, staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen „Errungenschaften“ des Regimes in den Regionen auf Gaubasis vorgestellt wurden.19 Die Bände sind als Fortsetzung des 1938 vom Reichspressechef der NSDAP, Dr. Otto Dietrich, veröffentlichten „Buch(es) der deutschen Gaue“ zu verstehen, das unter dem Untertitel „Fünf Jahre nationalsozialistische Aufbauleistung“ den Blick auf die Prozesse in den Gauen richtete.20 Dass sich diese Produktionen als reine Erfolgsbilanzen lesen, versteht sich von selbst. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass die NSDAP-Gaue eben nicht nur den Handlungs- und Wahrnehmungsrahmen für politische, wirtschaftliche und kulturelle Aktivitäten in den Regionen boten, sondern – darüber hinaus – zunehmend mit kriegswirtschaftlichen und organisatorischen Steuerungsfunktionen ausgestattet wurden und diese Kompetenzen aufsogen.
2.
Die Gaue der NSDAP im Krieg
Am 1.9.1939 erfolgte die Ernennung von 18 RVK mit Sitz am Ort der Wehrkreiskommandos als Vollzugsorgane des Ministerrates für Reichsverteidigung. Das bedeutete eine vorübergehende Verlangsamung der tendenziell auf die Gaue ausgerichteten Territorialgliederung des Reiches durch die Orientierung an den großräumigen Wehrkreisen. Die RVK verfügten über keinen eigenen Apparat, sondern bedienten sich der bereits existierenden Behörden, was zu einigen Verwerfungen führte. Den RVK als den obersten Verwal19 20
Vgl. Paul Meier-Benneckenstein (Hg.): Die deutschen Gaue seit der Machtergreifung, Berlin 1940-1942. Vgl. Otto Dietrich (Hg.): Das Buch der deutschen Gaue. Fünf Jahre nationalsozialistische Aufbauarbeit. Mit einem Geleitwort von Dr. Otto Dietrich (Reichspressechef der NSDAP), Bayreuth 1938.
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tungsbeamten in den Wehrkreisen standen Ausschüsse als Beratungsorgane zur Seite, die mit den regionalen Spitzen aus Staat und Partei, Wirtschaft und SS besetzt waren. Die Ausrichtung der Regionalstrukturen auf die Wehrkreise blieb in mehrerer Hinsicht problematisch und konfliktreich: Kompetenzkonflikte zwischen etablierten Funktionären, unklare Unter- und Überstellungsverhältnisse, eifersüchtig kontrollierte Einflussmöglichkeiten, territoriale Unklarheiten und die außenpolitisch zumindest bis 1940/41 nicht gegebene Bedrohung machten das Amt in gewisser Weise entbehrlich. Diese tendenzielle Umorientierung auf die Wehrkreise bremste die Ausbildung der Gaustrukturen aber nicht vollständig ab. Göring drängte bereits 1940 auf eine Neuordnung der RV-Bezirke, die 1942 mit der Ernennung aller Gauleiter zu RVK auch erfolgte. Damit hatten sich die Gaue als regionale Funktionseinheiten etabliert und quasistaatliche Aufgabenfelder besetzt. Was Neumann als die „Annäherung von Gau- und Staatsverwaltung“21, die in den Reichsgauen ihre deutlichste Ausprägung erfuhr, beschreibt, war auch ein Prozess des Aufsaugens staatlicher und wirtschaftlicher Funktionen durch die Gaue im „Altreich“, der nicht erst mit der Verordnung vom 16.11.1942 einsetzte, sondern dadurch seinen vorübergehenden Höhepunkt und Abschluss durch die Absegnung von oben erfuhr. Die am 1.9.1939 berufenen, auf die großräumigen Wehrkreise ausgerichteten RVK, die als zivile Gegenspieler den militärischen Stellen gegenüberstanden, wurden in ihrer Zuständigkeit seit dem 22.9.1939 durch Verteidigungsausschüsse unterstützt, denen kraft Amtes die Reichsstatthalter, Gauleiter, Oberpräsidenten, Ministerpräsidenten und Minister der Länder, Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF), Regierungspräsidenten, Präsidenten der Landesarbeitsämter, Reichstreuhänder der Arbeit sowie weitere, vom RVK berufene Persönlichkeiten angehörten. Die Problematik der RVK blieb für das Regime in dem Zeitraum von untergeordneter Bedeutung, in dem die Wehrmacht militärische Erfolge verbuchen konnte und die zivile Reichsverteidigung kaum von Belang war. Aber bereits in dieser Frühphase zeichneten sich die territorialen und strukturellen Defizite der Ausrichtung der RV-Bezirke auf die Wehrkreise ab, die letztlich derart drängend waren, dass am 16.11.1942 die „Verordnung über die Reichsverteidigungskommissare und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung“22 die Grundlage für richtungsweisende innenpolitische Strukturveränderungen mit Gauausrichtung schuf und alle Gauleiter zu RVK ernannte. Dadurch bekamen die Gaue neue Aufgaben zugewiesen und – wie Bormann es in einem Schreiben an alle Gauleiter am 16.11.1942 formulierte – das Regime trug den „Wünschen der Gauleiter und den tatsächlichen Ver21 22
Neumann: Behemoth, S. 568 Vgl. RGBl I, 1942, S. 649-656
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hältnissen Rechnung“23. Damit gingen wichtige Kontrollfunktionen des öffentlichen zivilen Lebens auf die Gaue über und die Reibungsverluste wurden deutlich reduziert. Die Ernennung Leys zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau 1940 übertrug den Gauen durch die Berufung der Gauleiter zu Gauwohnungskommissaren und damit seinen Stellvertretern und den Gauen als deren Aktionsräumen neue Aufgabenfelder. Als geschäftsführende Behörden entstanden in den Gauen Wohnungs- und Siedlungsämter, mit denen auf Gauebene tief in die regionale Sozialpolitik hineindirigiert wurde. Damit lagen Schlüsselfunktionen bei der Erstellung und Finanzierung von Bauprogrammen in den Gauen. Die Gaue regulierten ganz allgemein alle Sachfragen des Wohnraums: Lenkung und Steuerung des Wohnungsbaus, Finanzierungsfragen, Preisgestaltung, Mietenfestsetzung, Erteilung von Genehmigungen sowie die im Zuge des Luftkrieges zunehmende Belegung ungenutzter Räume für Industrieverlagerungen und Evakuierungen. Die sich verschiebenden Rahmenbedingungen der Kriegsfolgen erhöhten seit 1941/42 die Bedeutung der Wohnungsfrage in den Gauen. Behörden und Firmen trieben am Zentralinstanzenzug vorbei die Raumbelegung voran. Die Evakuierung der Zivilbevölkerung in die weniger luftkriegsbedrohten Gaue wurde intensiviert und stellte die Gaue vor politische, wirtschaftliche und soziale Probleme – und wertete sie zugleich auf. Der Reichswohnungskommissar, der mit der Organisation des 1943 gegründeten Deutschen Wohnungshilfswerk die Beschaffung von Unterkünften für die vom Luftkrieg betroffenen Bevölkerungsteile weitere Aufgabenfelder übertragen bekam, delegierte die Durchführung wiederum auf die Gaue. Seinen institutionellen Abschluss erhielt die Arrondierung der Wohnungs- und Raumfrage durch die Gaue mit dem Führererlass über den Ausgleich kriegswichtigen Raumbedarfs Ende 1943, der den RVK die zivile Raumbewirtschaftung in den Gauen übertrug, während die kriegswirtschaftliche Raumfrage das Rüstungsministerium (RMRK) und die 1942 auf die Gaue ausgerichteten Inspektionen und Kommissionen organisierten. Als Sauckel 1942 zum GBA berufen wurde, ernannte er in seiner ersten Anordnung die Gauleiter zu seinen Stellvertretern und übertrug ihnen die Koordination des Arbeitseinsatzes in den Gauen. Damit erhielten die Gaue wichtige Aufgaben in der Arbeitskräftepolitik übertragen und den Gauleitern eröffnete sich ein Aktionsfeld, das ihnen in diesem Maße bisher verschlossen geblieben war. Dass vor diesem Hintergrund die Partei an Bedeutung gewann, liegt auf der Hand.
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ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470, n. pag.
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In der Wirtschaftsverwaltung brachen sich Entwicklungen Bahn, die die Durchsetzung der Gaue als die konstitutiven Regionen förderten. Die Verordnung vom 16.11.1942 schrieb vor, dass die Bezirke der Reichstreuhänder der Arbeit und der Landesarbeitsämter den regionalen Wirtschaftsbezirken angeglichen wurden und in bestimmten Fällen ein Arbeitsamtbezirk für verschiedene Wirtschaftsbezirke zuständig sein konnte. Obwohl dieser Plan nie vollständig verwirklicht wurde, zeichnete sich mit der Aufteilung großer Wirtschaftsbezirke wie Rheinland, Südwestdeutschland oder Bayern ab, dass die Arbeitsverwaltung einem Umbau unterworfen wurde, der die 26 regionalen Arbeitsverwaltungsbezirke im Sommer 1943 endgültig an die Gaue anpasste und die Landesarbeitsämter mit den Reichstreuhänder-Behörden zu Gauarbeitsämtern zusammenfasste. Damit lag mit Ausnahme der Betriebsinspektion die gesamte Arbeitsverwaltung bei den Gauen. Unter der erheblichen Belastung des Arbeitsmarktes wurden 1944 die Gauarbeitsämter zu großräumig ausgerichteten, aus mehreren Gauen bestehenden Arbeitsinspektionen unter Generalinspektor Jung zusammengefasst, die sich auf die funktionelle Betrauung der Gaue mit der Arbeitsverwaltung stützten. Damit wurde die Ausrichtung auf das bisherige System größerer Wirtschaftsgebiete zugunsten einer Gliederung in 42 unterschiedlich gebildete Bezirke aufgegeben und die Arbeitsverwaltung stärker auf die Partei ausgerichtet, indem sie mehr und mehr als eine politische Aufgabe wahrgenommen wurde. Die Doppelstruktur der Organisation der Wirtschaft bildete ein System von Gruppen und Kammern, das in der Mittelinstanz aus Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern (IHK) und Wirtschaftskammern als regionaler Zusammenfassung der Gruppen bestand.24 Die Wirtschaftskammern bildeten das entscheidende Organ der industriellen Selbstverwaltung in den Wirtschaftsbezirken mit Abteilungen für Industrie, IHK, Bezirksausgleichstelle, Handel, Fremdenverkehr und Handwerk und die Kontaktstelle für die fachlichen Gliederungen der Gruppen, die über Obleute mit den Wirtschaftskammern kooperierten. Den territorialen Zuschnitt des Gruppen- und Kammersystems prägte ein hohes Maß an Inkongruenz. Seit 1940 mehrten sich die Stimmen, die eine einheitliche Steuerung der regionalen Wirtschaftsorganisation zur Steigerung der kriegswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Regimes forderten. Im Frühjahr 1942 wirkten sich die unter Druck geratenen rüstungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf das Kammersystem der traditionellen Selbstverwaltung aus. Das Nebeneinander von Handwerkskammern, IHK und Wirtschaftskammern wurde beseitigt, die Kammern aufgelöst und in auf die Gaue ausgerichteten Gauwirtschaftskammern zusammengefasst. Dieser tiefe Einschnitt in die Kammerorganisation wurde abgefedert durch ein hohes Maß an personeller Kontinuität. Das Führungsperso24
Vgl. Neumann: Behemoth, S. 292-299,
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nal scheint in der Regel die neuen Funktionen besetzt zu haben. Häufig wurde der Präsident einer bisherigen, meist der größten IHK zum Präsidenten der Gauwirtschaftskammer ernannt und der Leiter der Abteilung Industrie avancierte zu dessen Stellvertreter. Zusätzlich sollten die bezirklichen Gliederungen der Gruppen, beispielsweise die Bezirksgruppen der Wirtschaftsgruppen Bergbau und Eisen schaffende Industrie, in die Gauwirtschaftskammer eingegliedert und ihre Bezirksgrenzen den Gaugrenzen angeglichen werden.25 Die regionale Gliederung der DAF setzte sich als Gegenwicht zum Kammersystem der Wirtschaftsverbände aus Arbeitskammern für die einzelnen Wirtschaftsbezirke zusammen, deren Dach die Reichsarbeitskammer bildete.26 Bereits 1937 wurden diese Bezirksarbeitskammern auf die Gaue ausgerichtet, in Gauarbeitskammern umbenannt und mit Vertretern von Partei, Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft besetzt. Nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen vielfältigen, oft gegenläufigen Interessen wurden sie zu schwerfälligen, im Grunde eher repräsentativen Organen. Ebenso wie die Reichsarbeitskammer blieben sie relativ funktions- und einflusslos, die Dynamik der DAF in den Regionen trugen Arbeitsausschüsse. Im März 1943 drängte die DAF-Führung auf eine Reaktivierung und Reorganisation des gesamten Kammersystems. Die Gauarbeitskammern wurden gestrafft und aufgewertet, Arbeitsausschüsse in den Gauen wurden unter der Leitung der Gauarbeitskammern zusammengefasst und bei den Gauarbeitskammern vier Unterkammern, die sich aus Arbeitsgemeinschaften und Ausschüssen zusammensetzten, gegründet. Das Beratungsgremium, der Beirat, führte die regionalen Spitzen aus Partei und Staat zusammen: Reichstreuhänder der Arbeit, Präsident des Landesarbeitsamtes, Gauwirtschaftsberater (GWB), Präsident der Gauwirtschaftskammer, Abteilungsleiter Gewerbeaufsicht im Regierungspräsidium, Leiter der Rüstungsinspektion, Wehrkreisbeauftragte des Rüstungsministeriums, Gausozialwalter und Leiter der Hauptabteilung Soziale Selbstverantwortung, die Leiter der Hauptabteilungen Arbeitseinsatz, Leistungsertüchtigung/Berufserziehung/Betriebsführung, Gesundheit/Volksschutz, den Gauarbeitsschutzleiter sowie ca. drei aktive und absolut zuverlässige Betriebsführer. Die reichsweit einheitliche Organisation des Kammersystems der DAF, ausgerichtet auf die Gaue und geleitet von der Reichsarbeitskammer, sicherte die Mitsprache der Partei vor allem über den GWB und das Berufungsrecht der Gauleiter für den Beirat, der ermächtigt war, über wichtige Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsverhältnisse der Gaue zu beraten. 25 26
Vgl. Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, München 2003, S. 102-104 Vgl. Neumann: Behemoth, S. 481-483, 648f.
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Die Verordnung vom 16.11.1942 passte die Bezirke der Wirtschafts- und Sozialverwaltung den Gauen der NSDAP an. Mit Rücksicht auf die unterschiedliche Größe der Gaue war es nicht möglich, in jedem Gau eine Behörde der Wirtschafts- und Sozialverwaltung zu errichten. Vielmehr musste ein Teil der Gaue zu Wirtschaftsbezirken zusammengefasst werden, für die je ein Landeswirtschaftsamt (LWA), Landesernährungsamt (LEA) und Forstund Holzwirtschaftsamt zuständig war.27 Außerdem brachte die Verordnung eine Anpassung der Bezirke der Nahverkehrsbevollmächtigten (Nbv), der Landesarbeitsämter und der Treuhänder der Arbeit an die NSDAP-Gaue. In der Regel stimmten die Bezirke dieser Behörden mit den Wirtschaftsbezirken überein. Diese Maßnahmen folgten dem organisatorischen Leitgedanken, die gebietlichen Gliederungen von Partei, Staat, Wirtschaft und Wehrmacht auf Basis der Gaue miteinander in Einklang zu bringen. Die regionale Zuständigkeit der zivilen Wirtschaftsverwaltungsbehörden wurde mit der Verordnung auf die Gaue ausgerichtet. Für Fragen, die einen Wehrkreis in seiner Gesamtheit betrafen, wurden am Sitz der Wehrkreiskommandos „federführende“ Behördenleiter ernannt. Die Gebiete der Landesbauernschaften wurden ebenfalls den Wirtschaftsbezirken angepasst. Mit der zunehmenden Luftkriegsbedrohung erhielten die Gaue wesentliche Aufgaben zur Sicherung der „Heimatfront“ und damit systemstabilisierende Funktionen zugewiesen. Im Frühjahr 1942 errichtete der RVK im Wehrkreis (WK) X, Gauleiter Kaufmann, offenbar eigenmächtig einen Einssatzstab, um die bei größeren Luftangriffen eintretenden Schäden zu verhindern bzw. unverzüglich zu beseitigen und zur Eindämmung weitere Vorkehrungen zu treffen. Dieser Stab wurde zum reichsweiten Modell für die vom Reichsinnenministerium (RMI) im Mai 1942 getroffene Anordnung zur Errichtung von Einsatzstäben zur „planmäßige(n) Vorbereitung der nach größeren Luftangriffen sofort zu treffenden Hilfsmaßnahmen“28. Sie setzten sich aus den regionalen Eliten aus innerer Verwaltung, Wirtschaft, Ernährung, Gesundheitsverwaltung, Verkehr, Versorgungsbetrieben, Bau, soziale Angelegenheiten sowie der Partei, insbesondere der NSV, zusammen und bearbeiteten die Folgen der Luftangriffe. Bei den Landräten und Oberbürgermeistern entstanden entsprechende Arbeitsstäbe auf Land- und Stadtkreisebene. Die Ausrichtung auf die Wehrkreise als regionaler Aktionsrahmen der Einsatzstäbe scheint sich in Mitteldeutschland nicht durchgesetzt zu haben, denn in Thüringen entstand ein Gaueinsatzstab Thüringen, dessen Befugnisse sich nicht 27 28
Vgl. RGBl I, 1942, S. 654-656 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. (Schreiben des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung (GBV) an die RVK vom 6.5.1942)
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auf den gesamten WK IX, dem der Gau angehörte, erstreckten. Die Ausrichtung von Herrschaftsmechanismen auf die Ebene der Wehrkreise wurde zudem spätestens mit der Neueinteilung der Rüstungsinspektionen mit Gauausrichtung und der Ernennung aller Gauleiter zu RVK in ihren Gauen im November 1942 obsolet. Am Beispiel des Gaueinsatzstabes Thüringen zeigt sich eine enge personelle und funktionelle Vernetzung mit der NSDAP, die im Gaustab stark vertreten war und wichtige Aktionsfelder der örtlichen Einsatzstäbe besetzte. Peter Hüttenberger hat in seiner wichtigen Studie zur Rolle der Gauleiter bereits 1969 darauf hingewiesen, dass deren Position im NS-Staat im Krieg erheblich aufgewertet wurde. Mit der funktionellen Aufwertung der Gauleiter einhergehend, erhielten die Gaue mit der Bewältigung der Evakuierungen nach dem Überfall auf Polen durch die Wehrmacht neue Aufgabenfelder zugewiesen. Die erwarteten Kampfhandlungen im Westen des Reiches und die akute Luftgefährdung im norddeutschen Raum führten zu Evakuierungsmaßnahmen, in deren Verlauf erhebliche Teile der Zivilbevölkerung ins Reichsinnere gebracht wurden. Die Organisation dieser Maßnahmen erfolgte auf Ebene der Gaue, die in Entsende- und Aufnahmegaue eingeteilt wurden. Während die tendenzielle Gauausrichtung der Evakuierungen bis 1942 von der Organisation der Maßnahmen auf Wehrkreisebene ergänzt wurde, schuf die Verordnung vom 16.11.1942 die Voraussetzungen für die Durchsetzung der Gaue in der Evakuierungsfrage, in der die Partei mit fortschreitender Kriegsdauer wichtige Kompetenzen an sich zog. Die Ausrichtung der Evakuierungen auf die Gaue erfolgte im Grunde bereits seit den ersten Maßnahmen 1939 und hat ihre Ursache in der politischen Funktion, denn in der Wahrnehmung der Partei stellten sie Probleme der „Menschenführung“ und „Menschenbetreuung“, weniger der inneren Verwaltung dar. In der Konsequenz dieser Perspektive wurden die Kreisleiter angewiesen, die Unterbringung der Evakuierungen parallel zu den Landräten und Oberbürgermeistern zu organisieren. Noch bevor am 16.11.1942 das RMI vereinheitlichend die Aufgaben in der Evakuierungsfrage den RVK übertrug, lag die Initiative im Wesentlichen in den Gauen, in denen Mob-Beauftragte ernannt und Mob-Pläne aufgestellt wurden. Am Beispiel der Evakuierungsfrage zeigt sich besonders deutlich die Verschränkung und Vernetzung staatlicher und parteilicher Aufgabenbereiche, die ergänzend neben- und miteinander die Versorgungsprobleme auffingen. Die wirtschaftliche Mobilmachung durch die Organisation der gewerblichen Wirtschaft (OgW), Rüstungsdienststellen und die am 27.8.1939 errichteten Führungsstäbe und Bezirkswirtschaftsämter (BWÄ) erfolgte in der Mittelinstanz auf unterschiedlichen Ebenen. Während, wie skizziert, das Kammer-
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system der OgW auf die Wirtschaftsbezirke, die 1942 den Gauen angepasst wurden, ausgerichtet war, orientierten sich die BWÄ und Rüstungsinspektionen der Wehrmacht an der Wehrkreiseinteilung. 1943 wurden die Kammern der OgW in Gauwirtschaftskammern (GWK) überführt. Die BWÄ, Anfang 1941 in Landeswirtschaftsämter (LWÄ) umbenannt, wurden Ende 1941 einer Neuordnung unterzogen und im Wesentlichen ebenfalls den Gauen angeglichen. In Einzelfällen scheint diese Entwicklung aber schon vorher eingesetzt zu haben, z.B. mit der Errichtung des BWA IX b Ende 1939 in Weimar, das in etwa den Gau Thüringen umfasste. Seinen Abschluss fand dieser Prozess mit der Anpassung der Grenzen der LWÄ an die Gaugrenzen am 1.11.1942 im Vorfeld der wichtigen Verordnung vom 16.11.1942. Unter dem späteren General der Infanterie Georg Thomas wuchs der Wirtschaftsstab der Wehrmacht aus dem Heereswaffenamt heraus und entwickelte sich zum Wehrwirtschaft- und Rüstungsamt im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), das mit den Rüstungsinspektionen in den Wehrkreisen und Rüstungskommandos in den Regierungsbezirken über eine eigene Außenorganisation verfügte. Diese militärischen Kommandostellen als etablierte Behörden in der Mittelinstanz zur „Betreuung“ der etwa 4.000 Rüstungsbetriebe sollten als Sprungbrett zur Ausweitung des militärischen Einflusses auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft dienen und den Weg hin zur Übernahme der vom Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (GBW) kontrollierten kriegs- und lebenswichtigen Betriebe (mehr als 30.000) freimachen.29 Die Zweiteilung der Wirtschaft brachte in der Praxis heftige Kompetenzkonflikte und Reibungsverluste. Die Rüstungsdienststellen forderten einen ständig steigenden Ausstoß der Rüstungsbetriebe ohne Rücksicht auf die volksund betriebswirtschaftlichen, ressourcen- und arbeitskräfteabhängigen Rahmenbedingen und Prozesse, während die zivile Wirtschaftsverwaltung Einschränkungen ziviler Bedürfnisse aus volkswirtschaftlichen, organisatorischen, sozialpsychologischen und ideologischen Gründen möglichst zu verhindern suchte. Zudem organisierten die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft (GBW) für die Rüstungsbetriebe Arbeitskräfte, Rohstoffe und Maschinen zur Einrichtung von Schichtarbeit und zum Übergang zur Massenproduktion. 1942 setzten unter dem neu ernannten Munitionsminister Speer folgenreiche Umstrukturierungen auf Reichsebene ein, mit denen die Wehrmacht aus der Rüstungsverantwortung verdrängt, das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im OKW geteilt, das bedeutsamere Rüstungsamt dem Munitionsministerium (RMBM) eingegliedert und die Mittelinstanz des RMBM auf Ebene der Gaue deutlich erweitert wurde. Das wenig bedeutsame Wirtschaftsamt, das einen erheblichen Kompetenzverlust hinnehmen 29
Zahlenangaben nach Müller: Mobilisierung, S. 353
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musste, agierte nach wie vor auf Ebene der Wehrkreise. Am 25.8.1942 glich das RMBM die Grenzen der Rüstungsdienststellen den Gauen an und löste sie damit aus der Wehrkreiseinteilung heraus. Auf die Gaue ausgerichtete Rüstungskommissionen, die Göring mit Erlass vom 17.9.1942 am 1.10.1942 in den Gauen errichtete, erhielten wesentliche, für die Mittelinstanz entscheidende Aufgaben bei der Bewältigung der rüstungswirtschaftlichen Anforderungen. Die Rüstungskommissionen als mittelinstanzliches rüstungswirtschaftliches Koordinationsorgan, in dem die regionalen Funktionsträger des Munitions-, Wirtschafts-, Verkehrsministeriums, des GBA, der Parteikanzlei, OT, DAF und Reichswirtschaftskammer vertreten waren, bildeten die wichtigste regionale Schaltzentrale der Rüstungs- und Kriegswirtschaft, die den Arbeitseinsatz mit den Anforderungen der Rüstungswirtschaft koordinierten und über erhebliches Mobilisierungspotenzial verfügten. Ihre Zuständigkeiten reichten tief in die regionale Rüstungswirtschaft hinein, sie griffen steuernd und kontrollierend in die Produktionsprozesse, Stilllegungsabläufe und Arbeitskräftezuteilungen ein und entschieden in allen regionalen rüstungswirtschaftlichen Dringlichkeitsfragen. Mit der Errichtung der Rüstungskommissionen wurden in den Gauen die wichtigen Dienststellen, Kommissionen und Ausschüsse zu einem engmaschigen Netz verknüpft, das in der Mittelinstanz über die Aktivierung der regionalen Wirtschaftseliten die Probleme der deutschen Rüstungsindustrie in den Gauen lösen sollte. Die Mitglieder der Rüstungskommissionen und die Leiter anderer mit kriegswirtschaftlichen Aufgaben befassten Behörden bildeten seit 1942 Kriegswirtschaftsstäbe, die als Beratungsorgan des RVK diesem zur Seite standen und unter seinem Vorsitz zusammenkamen. Die Idee der Kriegswirtschaftsstäbe griff Planungen des GBW vom Herbst 1938 auf, als dieser mit der Errichtung von Kriegswirtschaftsämtern auf eine Zusammenfassung der Aufgaben der gewerblichen Wirtschaft, der Ernährungs- und Landwirtschaft, der Forst- und Holzwirtschaft sowie des Arbeitseinsatzes und der Lohnverhältnisse drängte, die sich aber am Widerstand Görings zerschlugen. Für die „Ausgestaltung der Kriegswirtschaftsstäbe“ traf Göring 1943 neue Regelungen, mit denen die Vertreter der bisher in den Führungsstäben Wirtschaft zusammengefassten Behörden in die Kriegswirtschaftsstäbe als Beratungsorgane der RVK übertraten. In diesen lag es im Ermessen der RVK, wie sie sich im Vorsitz vertreten lassen wollten. Aufgabe des Stabes war es, den RVK in der einheitlichen Lenkung wirtschaftlicher Maßnahmen und den dafür zu erteilenden Weisungen zu beraten und ihn auf Gefahren rechtzeitig aufmerksam zu machen, die Belange der Rüstungswirtschaft mit der allgemeinen Kriegswirtschaft abzustimmen und den Vorrang der Rüstungswirt-
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schaft im Rahmen der allgemeinen Kriegswirtschaft zu sichern.30 Im Vollzug dieser Aufgaben prüfte der Stab Anordnungen von Behörden und Dienststellen der Wirtschaftsverwaltung, die grundsätzliche Bedeutung für die Rüstungswirtschaft hatten, und deren Auswirkung auf die Kriegswirtschaft und achtete darauf, dass grundsätzliche Anordnungen der Rüstungskommissionen mit ihm abgesprochen wurden. Damit sollten die Rüstungskommissionen des RMBM im Zaum gehalten werden. Zu Beauftragten für die Kriegswirtschaftsstäbe wurden die Leiter der LWÄ bei den Behörden der Wirtschaftsverwaltung bestellt. Sie waren Sachbearbeiter der RVK für alle wirtschaftlichen Fragen und unterrichteten diese laufend über wichtige Vorkommnisse auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialverwaltung, schlugen erforderliche Anweisungen vor, bereiteten die Sitzungen der Stäbe vor und gaben die Entscheidungen des RVK an die zuständigen Behörden weiter. Zur Verwaltungsvereinfachung sollten die Kriegswirtschaftsstäbe in den Wirtschaftsbezirken möglichst einheitlich unter wechselndem Vorsitz der RVK zusammentreten. Zugleich erfolgte die Ausrichtung der Bereiche der Beauftragten des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft auf die Gaue. Mit dem wichtigen Führererlass über den umfassenden Einsatz der Bevölkerung für Fragen der Reichsverteidigung31 vom Januar 1943 erhielten die RVK ein weit reichendes Auskunftsrecht, die Verantwortung für die Durchführung aller kriegswichtigen Aufgaben in ihren Gauen und den personellen Ausgleich zwischen den einzelnen Verwaltungsstellen der Mittelstufe. Diese umfassende Verlagerung von Kompetenzen auf die den Gauen angeglichenen RV-Bezirke wirkte sich im Spannungsfeld ideologischer Implikationen und sachlicher Zwänge, zentraler Vorgaben und regionaler Realitäten aber nicht im erwarteten Maße aus.32 Der Erlass bildete die Grundlage für die Stilllegungsmaßnahmen 1943, mit denen das Regime unter erheblicher Kraftanstrengung das Arbeitskräfteproblem zumindest vorübergehend in den Griff bekommen wollte. Die Arbeitskräftemobilisierung erfolgte nicht nur im Rahmen der Gaue, sondern wurde von diesen erheblich vorangetrieben. Der regionale Unterbau der Zentralbehörden (RWM, RMBM, GBA) trieb konkurrierend und kooperierend die Erfassungs- und Stilllegungsaktionen voran und fungierte als Ausführungsorgan und Korrektiv. Die Berufung des Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz im Juli 1944 wertete die Gauleiter und Gaue weiter auf. Nur wenige Wochen 30 31 32
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 118 (Schreiben des Beauftragten für den VJP und des RMI vom 17.7.1943) Vgl. BArch R43II/655, Bl. 204-207 Vgl. Peter: Rüstungswirtschaft
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nach seiner Ernennung übertrug Goebbels am 16.8.1944 den Gauleitern ein umfassendes Auskunfts- und Weisungsrecht gegenüber allen Dienststellen der Mittel- und Unterstufe, der Selbstverwaltungskörperschaften, der Selbstverwaltung der gewerblichen Wirtschaft, den Gemeinden, gewerblichen und Wehrmachtsbetrieben. Die Überprüfung des Arbeitskräfteeinsatzes in den Betrieben und Behörden führten neu gegründete Gau- und Kreiskommissionen durch, die sich aus den regionalen und lokalen Kriegswirtschaftseliten zusammensetzten. Die Gaukommissionen, von Bormann und Goebbels als Gegengewicht und Konkurrent zu den Speerschen Rüstungskommissionen, bei denen die wesentlichen regionalen Fäden der Kriegswirtschaftsorganisation zusammenliefen, konzipiert, boten den Parteifunktionären die Möglichkeit, in zentrale Aufgabengebiete des NS-Regimes vorzudringen und Druck auf die Wirtschaft und den Machtbereich Speers auszuüben. Auch wenn die Exekutivmöglichkeiten der Kommissionen beschränkt blieben, spiegeln sie den Trend zur Arrondierung der regionalen Kriegswirtschafts- und Mobilisierungsaufgaben in den Gauen wider. Der gauinterne Druck, vor allem von den ad-hoc-Aktionen der Partei getragen, dynamisierte das kriegswirtschaftliche Gesamtsystem und trug zu seiner Leistungsfähigkeit und Stabilität bei. Einen Schub, der die Aufgaben der NSDAP-Gaue auf die aktive Kriegsführung ausweitete, erhielten die Gaue mit der Bildung des Volkssturms mit Führererlass vom 25.9.194433, in dem Hitler befahl, in den Gauen des Großdeutschen Reiches für die Reichsverteidigung alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren zu erfassen. Die Aufstellung und Führung des Deutschen Volkssturms übernahmen in den Gauen die Gauleiter34, die sich „dabei der fähigsten Organisatoren und Führer der bewährten Einrichtungen der Partei, SA, SS, des NSKK und der HJ“35 bedienen sollten. Die Verantwortung für die militärischen Organisationen, die Ausbildung, Bewaffnung und Ausrüstung des Volkssturms erhielt Himmler als Befehlshaber des Ersatzheeres, der nach den Weisungen Hitlers den Kampfeinsatz leitete und die militärischen Ausführungsbestimmungen erließ, während die politischen und organisatorischen Rahmenbedingungen in Hitlers Auftrag Bormann erstellte.36 Der Erlass überging die Wehrkreisorganisationen und HSSPF, die Wehrmacht „übernahm“ den Volkssturm erst beim Kampfeinsatz, die militärische Mobilisierung lag bei den Gauen und der regionalen Parteiorganisati33
34 35 36
Vgl. RGBl I, 1044, S. 253f.; aus der Fülle der Literatur Franz W Seidler.: „Deutscher Volkssturm“. Das letzte Aufgebot 1944/1945, Augsburg 1999; Klaus Mammach: Der Volkssturm. Das letzte Aufgebot 1944/1945, Bonn 1981; Hans Kissel: Der Volkssturm, Hamburg 1962. Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 192f. RGBl I, 1944, S. 254 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 478, Bl. 1-20
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on.37 Die Aufstellung des Volkssturms durch die Gauleitungen steuerte in gewissem Sinne die Parteikanzlei durch ein allgemeines Organisationsschema vom 9.12.1944, mit dem nach militärischem Vorbild Gau- und Kreisführungsstäbe gebildet wurden, die aus allen Behörden, Institutionen und Organisationen grundsätzlich alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren rekrutieren konnten und in denen meist SA-Führer mit Führungsaufgaben betraut wurden.38 Bormann und die Parteikanzlei schufen kurz nach der Bildung des Volkssturms den administrativen Rahmen, nach dem in den Gauen die Befehle über den Aufbau des Volkssturms erlassen wurden. In den Ausführungsbestimmungen zum Führererlass vom 25.9.1944 forderte Bormann die Gauleiter auf, Gehilfen zu ernennen, die in den Gauen für alle Angelegenheiten des Volkssturmes zuständig waren und die Mobilisierung vorantreiben sollten.39 Die Gaue erhielten mit der Bildung des Volkssturms bedeutende militärische Mobilisierungsfunktionen, zumal die Kommunikationsmöglichkeiten infolge der Kriegseinwirkungen erheblich eingeschränkt waren. In ihren neuen Rollen als quasi-militärische Befehlshaber an der Heimatfront fühlten sich die Gauleiter offenbar wohl und drängten in hohem Maße auf die militärische Mobilisierung in den Regionen.40 1945 erhielten die Gauleiter die Errichtung zusätzlicher Produktionsstätten für Waffen und Geräte übertragen und avancierten zu quasi-wirtschaftlichen Befehlshabern an der „Heimatfront“.41 Am 15.2.1945 ordnete Reichsjustizminister Thierack die Errichtung von Standgerichten in den RV-Bezirken an, die aus je einem Strafrichter als Vorsitzer, einem Politischen Leiter oder Gliederungsführer der NSDAP und einem Offizier der Wehrmacht, WaffenSS oder Polizei als Beisitzer bestanden, die, ebenso wie der Staatsanwalt als Anklagevertreter, vom RVK ernannt wurden. Damit gingen bedeutende Rechtssprechungsmittel auf die Gaue über, da die Standgerichte für alle Straftaten zuständig waren, die „die deutsche Kampfkraft oder Kampfentschlossenheit“42 gefährdeten. Die Urteile, beschränkt auf Todesstrafe, Freispruch oder Überweisung an die „ordentliche Gerichtsbarkeit“, mussten durch den RVK bestätigt werden. Im Spannungsfeld der konkurrierenden Behörden arrondierten die Gaue wesentliche, das NS-System tragende, die Dynamik gewährleistende und die 37 38 39 40 41 42
Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 483 Vgl. Nolzen: NSDAP, S. 183-187 Vgl. Liste der 42 Gaustabsführer in Seidler: Volkssturm, S. 386-388 Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Hüttenberger: Gauleiter, S. 193-195 Vgl. BArch R3/1623a, Bl. 17 RGBl I, 1945, S. 30
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Leistungsfähigkeit steigernde Funktionen. Die Rückwirkungen des Krieges auf die Regionalstrukturen des Reiches waren folgenreich und führten zu einem erheblichen Kompetenzzuwachs, verbunden mit einem den Kriegsanforderungen entsprechenden Mobilisierungspotenzial der Gaue, da die Entscheidungen zunehmend nicht mehr zentral gefällt und durchgeführt werden konnten. Eine Dezentralisierung der exekutiven Befugnisse – forciert durch den Luftkrieg – umschloss neben politischen auch administrative, wirtschaftliche, soziale und ideologische Entscheidungsprozesse, die zunehmend von den Gauen aufgesogen wurden. 1942 erfolgte mit der Ernennung aller Gauleiter zu RVK, der Ausrichtung der Bezirke der Arbeits- und Sozialverwaltung sowie der Speerschen Rüstungsbezirke auf die Gaue der vollständige Durchbruch der Gaue als regionale Administrations- und Organisationseinheiten des Reiches, die nicht nur den Rahmen bildeten, sondern über richtungsweisende Steuerungs-, Mobilisierungs-, Herrschafts- und Kommunikationsfunktionen verfügten. Dem Organisationsbuch der NSDAP43 gemäß nahmen innerhalb des Korps der Politischen Leiter die Hoheitsträger der Partei (Führer, Gau-, Kreis-, Ortsgruppen-, Stützpunkt-, Zellen- und Blockleiter) eine Sonderstellung ein. Im Unterschied zu den übrigen Politischen Leitern, die fachliche Aufgaben bearbeiteten und den Hoheitsträgern beratend zur Seite standen, leiteten sie ein bestimmtes räumliches Gebiet (Hoheitsgebiet: Reich, Gau, Kreis, Ortsgruppe, Stützpunkt, Zelle, Block) und übten darin das politische Hoheitsrecht aus, die Partei nach innen und außen zu vertreten und für die gesamte politische Lage verantwortlich zu sein. Sie waren den Politischen Leitern, Waltern usw. übergeordnet und mit besonderen Befugnissen ausgestattet (z.B. Berufung, Beurlaubung, Absetzung von Politischen Leitern, Vollzug der Urteile der Parteigerichte). Es war ausdrücklich festgelegt, dass die Hoheitsträger keine Verwaltungsbeamten waren, sondern sich in „dauernder lebendiger Fühlungnahme mit den Politischen Leitern und der Bevölkerung ihres Bereiches“ befanden und für eine „ordnungsgemäße und gute Betreuung aller Volksgenossen in ihrem Hoheitsbereich“ verantwortlich zeichneten. Die dominierende Rolle in dieser vertikalen Gliederung der NSDAP nahmen in den Regionen die Gauleitungen ein. Die Gauleitung – der Gauleiter mit seinem Stab – war innerhalb des Hoheitsbereiches (Gaues) für die „gesamte politische, kulturelle und wirtschaftliche Gestaltung aller Lebensäußerungen nach nationalsozialistischen Grundsätzen verantwortlich.“44
43 44
Vgl. zum Folgenden Organisationsbuch (1937), S. 98 Organisationsbuch (1937), S. 136
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Die Gauleiter45 waren Hitler unmittelbar untergeordnet und wurden von diesem ernannt bzw. abberufen. Ihnen unterstanden disziplinär sämtliche Politischen Leiter des Gaues sowie alle Partei- und Volksgenossen der Gliederungen und angeschlossenen Verbände der Partei. Sie waren allein Hitler gegenüber verantwortlich für die politische und weltanschauliche Erziehung und Ausrichtung der Politischen Leiter, der Parteigenossen sowie der Bevölkerung und übten in den Gauen das Aufsichtsrecht über sämtliche der Partei, deren Gliederungen und angeschlossenen Verbänden als Aufgaben obliegenden Pflichten aus. In den Gauen verfügten die Gauleiter über das Recht, Politische Leiter zu ernennen, beurlauben und abzuberufen. Sie verantworteten den weit gespannten Auftrag der politischen und ideologischen „Erziehung“ der gesamten Gaubevölkerung. Sie trugen, wie Franz Neumann richtig konstatierte, die Hauptlast der Propagandaarbeit, leiteten den zivilen Luftschutz und bildeten die treibende politische Kraft in der deutschen Krieg führenden Gesellschaft.46 Die Gauleiter waren die Repräsentanten Hitlers im Lande und vertraten die Interessen ihres Gaues bei der Führung. Trotz dieser herausgehobenen Position waren sie seit der maßgebenden Studie von Peter Hüttenberger47 nicht mehr Gegenstand einer umfassenden Forschung. Dieser nimmt, wie der Untertitel „Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP“ zeigt, das Auf und Ab der Kompetenzen ins Visier, nicht aber die Geschichte der einzelnen Gauleiter oder ihrer Gaue. Neben Goebbels, Ley und Streicher sind bisher in einer Monographie u.a. der schon 1935 verstorbene Hans Schemm48 (Gauleiter der Bayerischen Ostmark und Führer des NS-Lehrerbundes), Jakob Sprenger (Gauleiter von Hessen-Nassau)49, Wilhelm Murr (Gauleiter von Württemberg-Hohenzollern)50, Erich Koch (Gauleiter von Ostpreußen)51 und Albert Forster (Gauleiter von DanzigWestpreußen)52 behandelt worden.53
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49 50 51 52
Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 136-138 Vgl. Neumann: Behemoth, S. 569 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter Vgl. Franz Kühnel: Hans Schemm. Gauleiter und Kultusminister (1891-1935). Nürnberg 1985; ferner Winfried Müller: Gauleiter als Minister. Die Gauleiter Hans Schemm, Adolf Wagner, Paul Giesler und das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1933-1945, in: ZfbL 60 (1970), S. 973-1021; Walter Ziegler: Die nationalsozialistischen Gauleiter in Bayern. Ein Beitrag zur Geschichte Bayerns im Dritten Reich, in: ZfbL 58 (1995), S. 427-460 Vgl. Zibell: Sprenger Vgl. Paul Sauer: Wilhelm Murr. Hitlers Statthalter in Württemberg, Tübingen 1998. Vgl. Rohrer: Ostpreußen Vgl. Dieter Schenk: Hitlers Mann in Danzig. Gauleiter Forster und die NSVerbrechen in Danzig-Westpreußen, Bonn 2000.
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Als „Vizekönige“ Hitlers verbanden sie den absoluten Anspruch der Partei mit der konkreten Machtetablierung in ihrer Gauen und den Problemen und Kräftefeldern, auf die sie dabei stießen. Meist gingen sie so brutal und rücksichtslos vor, wie das Regime sich eben selbst präsentierte. Aber auch sie konnten, wollten und mussten vor Ort den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten Rechnung tragen, konnten sich nicht über alles hinwegsetzen, was sie vorfanden. Zieht man in diesem Kontext die Aussage Fricks heran, dass „die Gauselbstverwaltung das Mittel zur Durchführung eigener landschaftsgebundener Gemeinschaftsaufgaben“54 war, so stellt sich weniger die lange Zeit im Zentrum wissenschaftlicher Beiträge stehende Frage nach der Rolle der Gaue und Gauleiter an der Schnittstelle zwischen dem totalitären Anspruch der Zentralgewalt und den regionalen Partikularisierungstendenzen oder dem – wie auch immer gelagerten – Konfliktpotenzial zwischen staatlicher und Parteibürokratie.55 Vielmehr sind neue Forschungsansätze von Relevanz, die mit Blick auf die regionale Ebene des Regimes nach den Ausformungen neuer Staatlichkeit und der Bedeutung der Gaue als regionale Mittelinstanzen fragen.
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Armin Nolzen urteilt über die Biographien zu Sprenger, Murr und Forster, dass sie „weder inhaltlich noch methodisch überzeugen.“ (Vgl. Nolzen: NSDAP, S. 106, Anm. 34) Biographische Skizzen zu Gauleitern liegen u.a. vor von Priamus: Regionale Aspekte; Frank Bajohr: Gauleiter in Hamburg. Zur Person und Tätigkeit Karl Kaufmanns, in: VfZ 43 (1995), S. 276-295; ders.: Hamburgs „Führer“. Zur Person und Tätigkeit des Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann (1900-1969), in: ders./Joachim Szodrzynski: Hamburg in der NS-Zeit. Ergebnisse neuere Forschungen (=Forum der Zeitgeschichte 5), Hamburg 1995, S. 59-91; Ludger Syré: Der Führer vom Oberrhein. Robert Wagner: Gauleiter und Reichsstatthalter in Baden und Chef der Zivilverwaltung im Elsass, in: Kißener/Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz, S. 733-779; Uwe Danker: Der schleswig-holsteinische NSDAP-Gauleiter Hinrich Lohse. Überlegungen zu seiner Biografie, in: Ruck/Pohl (Hg.): Regionen im NS, S. 91-120; Nils Köhler: Otto Telschow – Hitlers Gauleiter in Osthannover, in: ebd., S. 121-146; Blank: Albert Hoffmann; Kyra T. Inachin: „Märtyrer mit einem kleinen Häuflein Getreuer“. Der erste Gauleiter der NSDAP in Pommern Karl Theodor Vahlen, in: VfZ 49 (2001), S. 31-51; Hans Fenske: Josef Bürckel und die Verwaltung der Pfalz (1933-1940), in: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung, S. 153-172; Helmut Heiber: Aus den Akten des Gauleiters Kube, in: VfZ 4 (1956), S. 67-92; für Bayern Ziegler: Selbstverständnis; für Baden Kißener/Scholtyseck (Hg.) Führer der Provinz; neuerdings: John/Möller/Schaarschmidt (Hg.): NS-Gaue Reichsminister Frick über Selbstverwaltung und Kunstpflege, in: Die Kulturverwaltung 6 (1942), S. 15f., zit. nach: Volker Dahm: Nationale Einheit und partikulare Vielfalt. Zur Frage der kulturpolitischen Gleichschaltung im Dritten Reich, in: VfZ 43 (1995), S. 221-266, hier S. 226 Vgl. Jeremy Noakes: Oberbürgermeister and Gauleiter. City Government between Party and State, in: Hirschfeld/Kettenacker (Hg.): „Führerstaat“ S. 194-227
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Das im Organisationsbuch nur knapp angedeutete Spannungsverhältnis territorialer und bürokratischer Überschneidungen von Gau- und Staatsverwaltungsgrenzen56 nutzten die Gauleitungen bereits vor 1939, vor allem aber mit fortschreitender Kriegsdauer zur Verwirklichung eigenständiger Gebietsund Organisationskonzepte, die die Vorstellung vom „Führerstaat“ aufweichen mussten. Die Rechte und Pflichten der Gauleiter ergaben sich aus im Einzelnen festgelegten Bestimmungen und vornehmlich aus dem Hitler unmittelbar erteilten Auftrag57 – ein Faktum, das in der Realität für erhebliche Spannungen sorgte.58 Das auf allen Ebenen und in allen Strukturbereichen eingeführte Führerprinzip förderte gleichzeitig Zentralismus wie Regionalismus.59 Die Gauleiter und die mit ihnen meist eng verbundenen Stäbe verstanden sich – und wurden auch so gesehen – als NS-Elite in ihren Gauen und besetzten staatlichadministrative, organisatorische, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Funktionen, mit denen bedeutende Kontroll- und Steuerungsaufgaben in den Gauen verbunden waren. Über die Verknüpfung von Ämtern in Partei, Staat und Wirtschaft bildeten sich enge, eingespielte, gut funktionierende und ideologisch gefestigte Netzwerke heraus, die über die personellen und strukturellen Querverbindungen die regionale Herrschaftsausübung effektivierten. Funktionell dehnte sich der Aufgabenbereich der Gauleiter seit dem Einschwenken des Regimes auf Kriegskurs aus, als Göring ihnen 1937 die Durchführung des VJP übertrug. 1939 ernannte der Ministerrat einen Teil der Gauleiter zu RVK. Die hier noch übergegangen, sich lautstark bei der Führung Gehör verschaffenden Gauleiter fanden sich zunächst in RVAusschüssen in den großräumig ausgerichteten Wehrkreisen wieder, bis sie Ende 1942 alle zu RVK ernannt wurden. Zahlreiche Gauleiter waren gleichzeitig Reichsstatthalter, Ober- und Regierungspräsidenten und prägten die regionale Administrationskultur in einem Maße, das weit über ihr ursprüngliches Aufgabengebiet als Parteiführer hinausging. Sie vertraten die Befugnisse des Reichswohnungskommissars, des GBA und des Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz und bei Kriegsende erhielten sie mit dem Zugriff auf die Aushebung des Volkssturms militärische Befugnisse.
56 57 58 59
Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 136 Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 137 Vgl die zahlreichen Hinweise bei Hüttenberger: Gauleiter, in den Autobiografien führender NS-Funktionäre sowie personenbezogenen Gauleiterbiografien Vgl. John: NS-Gau, S. 27
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Das Gausystem im „Altreich“, das seit 1933 kaum mehr Änderungen erfuhr, präsentierte sich als eine Mischung von gewachsenen Regionalitäten, praktischen Erwägungen, kämpferischen Erfolgen und personalpolitischen Eingriffen, das durch eine annähernd gegebene Mittelgröße der Gaue das zentralisierte und formell „gleichgeschaltete“ Reich durch ein Regionalsystem ergänzte. Das Spannungsfeld von „Reichszentralismus“ und „Gaupartikularismus“ bot den Gauen, Gauleitern und gaubezogenen Netzwerken und Eliten trotz der strukturellen Beschränkungen – viele Gauleiter bekleideten staatliche Ämter und waren damit formal den Berliner Reichsbehörden unterstellt, in ihrer Position als Parteiführer aber selbstständig geblieben – Handlungsspielräume zur Gestaltung einer spezifischen Regionalpolitik. Als „Führer der Provinz“60, „Hitlers politische Generale“61 und „Vizekönige“62 führten die Gauleiter zwar die zentralen Anweisungen durch, behielten sich aber andererseits eine selbstständige Politik in ihren Gauen vor, wo sie offenbar recht eigenständige Schwerpunkte setzen konnten.63 Auch hier lassen sich die für das NS-Regime typischen Merkmale wie Ämterchaos und Kompetenzüberschneidungen, Instanzendschungel und Machtkämpfe der Funktionsträger nachweisen.64 Trotz der Reibungsverluste an Zentrum und Peripherie entwickelte das Regime eine außerordentliche Dynamik und wurde gerade durch die rivalisierenden partikularen Funktionsträger und ihren Machthunger getragen und in Fahrt gehalten – und „von unten“ stabilisiert. Es oblag offensichtlich dem jeweils eigenen Machttrieb und Durchsetzungsvermögen eines jeden einzelnen Gauleiters, wie er seine Position in seinem Gau ausbaute. Dabei waren die Gauleiter sehr unterschiedlich erfolgreich. Rivalitäten untereinander und mit Parteiorganisationen, mit der SA und später der SS, mit Zentralressorts und Sonderbehörden erschwerten den ungehinderten Machtausbau erheblich. Am effektivsten war die gaubezogene Regionalpolitik dort, wo es den Funktionsträgern gelang, das Zusammenspiel von Ämtern und Organisationen zu bündeln und ein einigermaßen verlässli-
60 61 62 63 64
Vgl. Kißener/Scholtyseck (Hg.): Führer der Provinz Vgl. Höffkes: Generale Ziegler: Gaue und Gauleiter, S. 139; Hüttenberger: Gauleiter, S. 199f. Vgl. Ruck: Zentralismus; ders.: Führerabsolutismus; Dahm: Kulturpolitischer Zentralismus; Priamus: Regionale Aspekte; Düwell: Regionale Geschichte. Vgl. Bollmus: Rosenberg; Diehl-Thiele: Partei; Wolfgang Benz/Hans Buchheim/Hans Mommsen (Hg.): Der Nationalsozialismus. Studien zur Herrschaft und Ideologie, Frankfurt/Main 1993; Hüttenberger: Polykratie; Martin Broszat/Horst Möller (Hg.): Das Dritte Reich. Herrschaftsstruktur und Geschichte, 2. Aufl., München 1996; Ian Kershaw: Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft, München 1992.
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ches Gau-Führungskorps an sich zu binden.65 Das war gerade dort der Fall, wo nur ein Gauleiter über den Gau herrschte und nicht wie im Flächenstaat Bayern, in dem sechs Gauleiter konkurrierten66, oder der Gau zu groß und organisatorisch zu schwerfällig war wie der Ruhrgau.67 Die Gauleiter mussten sich gegen Rivalen im Inneren und zentrale Stellen behaupten und benötigten dabei Rückhalt bei zivilen, wirtschaftlichen und militärischen Instanzen. Dabei lehnten sich die Gauleiter zum Beispiel an starke Zentralbehörden wie das Reichspropagandaministerium unter Goebbels oder den SS-Komplex Himmlers an, um die eigene Position im Machtkampf durchzusetzen. Dass eine Reihe von Zentralinstanzen, so das so genannte Amt Rosenberg oder das Erziehungsministerium unter Rust, relativ schwache Positionen hatten, kam den eigenwilligen und machtbewussten Gauleitern sehr entgegen. Die Machtkämpfe verliefen indes nicht immer in gleicher Weise, mitunter blieben die Gauleiter schwach, andere wiederum konnten sich durch eine erfolgreiche Gau-Regionalpolitik profilieren und stiegen in die NS-Führungsriege auf. 68 Den Gauleitern zur Seite standen deren Stellvertreter als Vertrauenspersonen, die ihnen die Aufgaben und Rechte aus diesem Vertrauensverhältnis heraus zuwiesen.69 Sie sollten über alle Angelegenheiten innerhalb des Gaugebietes informiert, über Anordnungen, Entscheidungen und Besprechungen aller Art unterrichtet sein. Das Organisationsbuch von 1937 legte ausdrücklich fest, dass künftig nur noch solche Parteigenossen zur Ernennung durch Hitler vorgeschlagen werden durften, die vorher das Amt eines Ortsgruppen- oder Kreisleiters bzw. eines Zellen-, Ortsgruppen- oder Kreisamtsleiters und möglichst auch das Amt eines speziell politisch tätigen Gauamtsleiters bekleidet hatten, um Kontinuität und politisch-ideologische Zuverlässigkeit zu garantieren und die Partei nach innen zu festigen. Bei den Gauleitungen bestanden besondere Sachgebiete, in denen für Teilaufgaben Hauptstellen und Stellen errichtet werden konnten. Als hauptamtliche, nicht in Personalunion zu besetzende Ämter bestanden: Gaugeschäftsführer, Gauorganisations-, Gauschulungs-, Gaupropaganda-, Gaupersonalamtsleiter und Gauinspekteur. Den Dienstrang von Hauptamtsleitern konnte den Gaugeschäftsführern, Gauorganisations-, Gauschulungs-, Gaupersonalamts-, Gaupropagandaleitern und Gauinspekteuren verliehen werden. Die Leiter der Gauämter, die der Gauleiter und die fachlich übergeordneten Dienststellen der Reichsleitung beriefen, 65 66 67 68 69
Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 56-60, 107-137, 172-212 Vgl. Ziegler: Die nationalsozialistischen Gauleiter in Bayern Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 40 Vgl. die detaillierten Angaben bei Hüttenberger: Gauleiter, S. 221-224; Höffkes: Generale; ferner Neumann: Behemoth., S. 566f. Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 138f.
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leiteten die Dienstgeschäfte ihrer Behörden selbstständig. Die Gesamtheit der Hauptamts- und Amtsleiter einer Gauleitung bildete den Gaustab. In Abgrenzung davon fasste die Sammelbezeichnung „Politische Leiter der Gauleitung“ auch sämtliche Gauhauptstellen-, Gaustellenleiter und Gaumitarbeiter zusammen. Eine besondere Rolle nahm der Gauinspekteur als Beauftragter des Gauleiters ein. Er hatte die Aufgabe, im Auftrag des Gauleiters bzw. des Stellvertreters Beschwerden nachzugehen sowie Untersuchungen und Sonderaufträge aller Art durchzuführen.70 Er bearbeitete alle an die Gauleitung vom Stellvertreter des Führers und aus anderen Partei- und Staatsdienststellen und aus dem öffentlichen und privaten Leben gerichteten Gesuche und Beschwerden und übernahm damit gauinterne Kontrollfunktionen auch gegenüber der Partei. Am 1.11.1941 verfügte Hitler die Bildung von Hauptämtern in den Gau- und Kreisleitungen der NSDAP. Für die Gauleitungen wurde die Bildung folgender Hauptämter angeordnet: Gaustabs-, Gauschatz-, Gauorganisations-, Gaupersonal-, Gauschulungs-, Gaupropagandaamt, Gaugericht, Gauinspekteure, GWB, Amt des Gauobmanns der DAF, Gauamtsleitung der NSV und – nach näherer Festlegung – der Landesgruppenleiter der Auslandsorganisation und Gaugrenzländer. Entsprechende nachgeordnete Ämter sollten in den Kreisen der Gaue errichtet werden.71 Ende Januar 1941 ordnete Hitler zusätzlich die Bildung von Hauptämtern für die Gau- und Kreispresseämter der NSDAP an.72 Die skizzierten theoretischen Vorgaben sagen freilich wenig über die reale Herrschaftsausübung in den Gauen, über Konzepte, Arrangements, Spannungsfelder, Integrations- und Konfliktmanagement, Kommunikation, Netzwerke und Selbstverständnis. Die Entwicklungen zwischen 1939 und 1945 in den Gauen bilden vor diesem Hintergrund nach wie vor ein Desiderat der NS-Forschung.
70
Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 142 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 203f. 72 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 228. Am 12.3.1942 erging die von Hitler unterzeichnete Verfügung, die die Errichtung eines Hauptamtes für Volkstumsfragen bei der Reichsleitung und Ämter für Volkstumsfragen in den Gauen und Kreisen der NSDAP anordnete. (Vgl. ebd., S. 240) Die Ämter für Technik in den Gauen und Kreisen wurden mit Verfügung vom 14.5.1942 zu Hauptämtern erhoben. (Vgl. ebd., S. 250) 71
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II. 1.
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Der NS-Gau Thüringen bis 1939 Der Gau Thüringen bis zur Errichtung der nationalsozialistischen Landesregierung
Thüringen wurde in der Weimarer Republik durch linke Reformbestrebungen ebenso erschüttert wie durch rechte republikfeindliche Tendenzen.73 Es zählte, neben Ober- und Niederbayern und Franken, zu den Traditions- und Rückzugsgebieten der völkisch-nationalsozialistischen Bewegung, deren Kräfte vom antisemitischen und völkischen Agitator Artur Dinter74 geführt wurden. 1920, so Hertel, waren in Thüringen75 die ersten Ortsgruppen der NSDAP entstanden76, spätestens 1921, wenn man dem von Bruno Nowack verfassten Artikel zu Thüringen im „Buch der deutschen Gaue“77 Glauben schenkt, entstanden die ersten NSDAP-Ortsgruppen und seit 1923 erschienen nationalsozialistische Zeitungen wie „Der Streiter“ in Weimar und „Deutscher Aar“ in Ilmenau. Das führende Presseorgan der rechten Kräfte wurde die seit 1924 von Dinter herausgegebene Zeitung „Der Nationalsozialist. Kampfblatt der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“.78 Im März 1925, rund vier Wochen nach Neugründung der Partei, sprach Hitler das erste Mal außerhalb Bayerns, in Weimar. Hier war nur wenige Tage 73
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Vgl. Christopher Hausmann: Die „Reichsexekution“ 1923 in Thüringen (=Thüringen. Blätter zur Landeskunde), Sömmerda 1997; Jochen Grass/Willy Schilling (Hg.): Zwischen Landesgründung und Gleichschaltung. Die Regierungsbildungen in Thüringen seit 1920 und das Ende der parlamentarischen Demokratie 1932/33, Erfurt 2001; Grass: Parteien Thüringens, S. 54-96; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 5014; Hans Unruh: Die Bevölkerungsentwicklung in Thüringen 1910-1949, Diss. [ms], Jena 1953. Eine Biographie liegt bis jetzt noch nicht vor, einige Fakten bei Manfred Bosch: „Rasse und Religion sind eins!“ Artur Dinters „Die Sünde wider das Blut“ oder: Autopsie eines furchtbaren Bestsellers, in: Die Ortenau. Veröffentlichungen des Historischen Vereins für Mittelbaden 71 (1991), S. 596-621. Vgl. zur Rolle Dinters als Gauleiter beim Aufstieg der NSDAP in Thüringen. Tracey: Development; ders.: Aufstieg der NSDAP Vgl. zur Begriffsabgrenzung und Definitionsproblemen von „Land“ und „Region“ Michael Dreyer: Land, Region, Großraum und Föderalismus. Zum Problem politikwissenschaftlicher Konstruktion multidisziplinärer Begriffe, in: Jürgen John (Hg.): „Mitteldeutschland“. Geschichte – Begriff – Konstrukt, Rudolstadt/Jena 2001, S. 109126, v.a. S. 112-120 Vgl. Meier-Benneckenstein (Hg.): Gaue: Hans Hertel: Thüringen, Berlin 1941, S. 11 Vgl. Dietrich (Hg.): Buch der deutschen Gaue, S. 138 Als Hitler 1924 in München vor Gericht stand, war „Der Nationalsozialist“ die einzige nationalsozialistische Zeitung im Reich.
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zuvor der NSDAP-Gau Thüringen gegründet worden.79 1925 hielt sich Hitler viermal in Weimar auf (bis zur „Machtergreifung“ 33-mal) und sprach dabei auf Massenversammlungen, bevor 1926 mit dem ersten Reichsparteitag der NSDAP eines der wichtigsten parteipolitischen Ereignisse in den zwanziger Jahren in Weimar zelebriert wurde.80 Am 3./4.7.1926 übergab Hitler in Weimar dem SS-Führer die „Blutfahne“ vom 9.11.1923 und gründete die Hitlerjugend, deren Namen auf einen Vorschlag des Weimarer NS-KulturPolitikers Dr. Hans Severus Ziegler81 zurückging. 1931 verkündete Hitler in Weimar das agrarpolitische Programm der NSDAP und berief Walter Darré an die Spitze des agrarpolitischen Apparates der Partei. Dinter wurde schon 1924 von Hitler von dessen Haft in Landesberg aus zum Führer der NS-Verbände in Thüringen ernannt und im gleichen Jahr neben den Nationalsozialisten Marschler, Hennicke und Spiller in den Thüringischen Landtag gewählt, dem 1929 sechs NSDAP-Mitglieder angehörten. Insgesamt entwickelte sich ein eher gespanntes Verhältnis zwischen dem religiösen Sektierer Dinter und Hitler, aber auch gegenüber der Gauclique um den Gaugeschäftsführer Fritz Sauckel.82 Besonders die Gründung der antikatholisch eingestellten „Geist-Christliche(n) Religionsgemeinschaft“ durch Dinter war denn auch der Ausgangspunkt seines Falls in der Partei.83 Die eigenmächtige Gründung brachte einen antiklerikalen Zug in die Partei, der von Hitlers eigenem Kurs abwich. Hitler, der noch recht vorsichtig taktierte, eine Reihe von Gauleitern zu dem Vorfall befragte und sich der Rü-
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Vgl. zur Frühgeschichte den Rückblick Sauckels „10 Jahre Gau Thüringen der NSDAP und wie sie uns verpflichten“, in: Die Pflicht Nr. 6-7/35 vom 15.3.1935, S. 101-103 sowie die Rede Sauckels „Ewiges Deutschland unterm Hakenkreuz. Rede des Gauleiters Fritz Sauckel zum zehnjährigen Gründungstag des Gaues Thüringen am 24.3.1935 in Anwesenheit des Stabschefs Lutze“, in: Die Pflicht Nr. 8/35 vom 1.4.1935, S. 117-120 Vgl. grundlegend Holm Kirsten: „Marschtritt dort, wo einst der junge Goethe ging“. Adolf Hitlers Besuche in Weimar, in: Ulbricht (Hg.): Klassikerstadt, S. 53-63, v.a. S. 56-60 Vgl. Hans S. Ziegler: Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt, Göttingen 1964; Sonja Neumann: Zieglers „Kulturpolitik“ am „Deutschen Nationaltheater Weimar“, in: Entartete Musik 1938 – Weimar und die Ambivalenz, Teil 1, Saarbrücken 2001, S. 401409; Albrecht Dümling: Unter Berufung auf Goethe, Wagner und Hitler. Hans Severus Ziegler und die ideologischen Wurzeln seiner Ausstellung „Entartete Musik“, in: ebd., Teil 2, Saarbrücken 2001, S. 496-516; Wolfram Huschke/Claas Cordes (Hg.): „Entartete Musik“ 1999. Eine Antwort auf Hans Severus Ziegler. Eine Ausstellung der Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar 1999. Vgl. Tracey: Aufstieg der NSDAP; Kirsten: Hitlers Besuche Vgl. zum Sturz Dinters ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 198; BArch NS6/386; Hüttenberger: Gauleiter, S. 45f.
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ckendeckung aller Gauleiter versicherte, entließ am 30. September 192784 den thüringischen Gauleiter und besetzte den Posten mit seinem Stellvertreter, dem aus dem unterfränkischen Haßfurt stammenden Fritz Sauckel, der sich selbst als „bedingungslose(n) und glühende(n) Nationalsozialist(en)“85 bezeichnete. Seine Karriere vom Gauleiter zum Verantwortlichen für „the greatest slave trade in history“86, wie Eugene Davidson feststellte, wurde u.a. auch durch die erfolgreiche Regionalpolitik in Thüringen begründet. Zentrale Schaltstelle und Machtzentrum dafür war die Gauorganisation der NSDAP. Wie stark die Spannungen innerhalb des Gauführungskorps zu diesem Zeitpunkt waren, verdeutlichen die gauinternen Vorgänge um Ziegler, den stellvertretenden Gauleiter, und Sauckel, die in starkem Maße zum Sturz Dinters beitrugen. Der innerparteiliche Machtkampf hatte der NSDAP in Thüringen sehr geschadet, zumal Sauckel in Streit mit dem Gau-SA-Führer Donnerhack geraten war.87 Trotzdem gelang es Sauckel recht schnell, Ruhe in die Organisation zu bringen. 1929 konnte er die „Früchte seiner Arbeit“ ernten: den ersten großen Wahlerfolg für die Nationalsozialisten in Thüringen.88 Von 1930 bis 1931 wurde erstmalig unter der Leitung des nationalsozialistischen Innen- und Volksbildungsministers Frick89 eine radikale nationalsozialisti84
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Vgl. Albrecht Tyrell: Führer befiehl … Selbstzeugnisse aus der „Kampfzeit“ der NSDAP. Dokumentation und Analyse, Düsseldorf 1969, S. 164, 202-205; Hüttenberger: Gauleiter, S. 42-46 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 204 (Sauckel in einer Sitzung des RV-Ausschusses am 15.8.1944, zu der auch Vertreter der Rüstungskommission IX b und Spitzen der Partei und der Wehrmacht zugegen waren) Eugene Davidson: The Trial of the Germans. An account of the twenty-two defendants before the International Military Tribunal at Nuremberg, New York 1966, S. 521 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 66, Anm. 31 Vgl. Franz Walter: Von der roten zur braunen Hochburg: Wahlanalytische Überlegungen zur Resonanz der NSDAP in den beiden thüringischen Industrielandschaften, in: Heiden/Mai (Hg.): Nationalsozialismus in Thüringen, S. 119-145; Guido Dressel: Wahlen und Abstimmungsergebnisse 1920-1995 (=Quellen zur Geschichte Thüringens 4), Weimar 1995, S. 86-90 (Wahlen zum V. Thüringer Landtag vom 8.12.1929); zum Aufstieg auf Reichsebene Albrecht Tyrell: Der Aufstieg der NSDAP zur Macht, in: Karl Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hg.): Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft (=Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 251), Bonn 1988, 467-483; Jürgen W. Falter: Wahlen und Wählerverhalten unter besonderer Berücksichtigung des Aufstiegs der NSDAP nach 1928, in: ebd., S. 484-504; Manfred Funke: Republik im Untergang. Die Zerstörung des Parlamentarismus als Vorbereitung der Diktatur, in: ebd., S. 505-531 Vgl. die im Informationsgehalt ergiebige Darstellung von Wenkel: Nazipartei; Günter Neliba: Wilhelm Frick. Legalist des Unrechtsstaates. Eine politische Biographie, Paderborn 1992, v.a. S. 57-68; ders.: Wilhelm Frick und Thüringen als „Experimentierfeld“ für die nationalsozialistische Machtergreifung, in: Heiden/Mai: Thüringen auf
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sche Politik in Thüringen betrieben.90 Hierbei erwies sich das Land als „Experimentierfeld“ für die Erprobung von Herrschaftstechniken, die später richtungsweisend sein sollten und damit stellte Thüringen den „ersten Vorgeschmack nationalsozialistischer Staatspolitik“91 dar. Wer die von Frick geführten Ämter innehabe, so Hitler, und „rücksichtslos und beharrlich seine Macht in ihnen ausnützt, kann Außerordentliches wirken.“92 Fricks Wirken soll hier nur angedeutet werden: Er führte per Erlass Schulgebete93 ein, verbot Remarques Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“94, brachte den Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“95 auf den Weg, berief den völkischen Architekten Schultze-Naumburg96 zum Leiter der Weimarer Vereinigten Kunstlehranstalten und den Rasseforscher Hans F.K. Günther97 auf den eigens eingerichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie der Universität Jena, bereitete den Bildersturm in Weimar vor und plante im
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dem Weg, S. 95-118; Hannelore Braun: Das Ministerium Frick in Thüringen (1930/31) als Beispiel nationalsozialistischer Regierungspolitik vor 1933, Mag.Arbeit, München 1972; Personalakte in ThHStAW, Thüringisches StaatsministeriumPräsidialabteilung, Nr. 281 Vgl. Grass: Parteien Thüringens, S. 306-315 Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 5. Aufl., Königstein/Ts. 1978, S. 320; vgl. zu Frick auch BArch R43I/2315 Dickmann: Regierungsbildung in Thüringen, S. 461 Vgl. Amtsblatt des Thüringischen Ministeriums für Volksbildung 9 (1930), S. 39f., 95; auch abgedruckt in Heiden/Mai (Hg.): Thüringen auf dem Weg, S. 225-228; Neliba: Thüringen als Experimentierfeld, S. 106f. Vgl. Thüringische Staatszeitung 2. Nr. Febr. 1930 Schon im Februar 1930 schien sich ein solches Gesetz abzuzeichnen, als der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Gottfried Feder aufgrund von „Zersetzungserscheinungen“ ankündigte, dass auf Länderebene Gesetze durch Frick erlassen werden würden, die als „Lebenszeichen deutschen Kulturwillens“ anzusehen seien. Gerade in den Ländern, nicht im Reich, wäre das möglich, da die Länder über die Kulturhoheit verfügten. Feder verwies bereits auf den Antrag Fricks für einen Erlass „Wider die Vernegerung der deutschen Kultur“. Vgl. Norbert Borrmann: Paul Schultze-Naumburg. Maler – Publizist – Architekt. Vom Kulturreformer der Jahrhundertwende zum Kulturpolitiker im Dritten Reich, Essen 1989, S. 192, 215-220; Paul Schultze-Naumburg: Kunst und Rasse, 2. Aufl., München 1935; zur Berufung Schultze-Naumburgs „Der Nationalsozialist“ 2. und 7. Nr. Juni 1930. Nach dem Sturz Fricks 1931 wurde Schultze-Naumburg zum 1.4.1932 seines Amtes enthoben, durch Sauckel 1932 aber wieder eingesetzt, bis dieser ihn 1940 endgültig in den Ruhestand versetzte. Vgl. Zimmermann: Berufungen Hans F. K. Günthers; Elvira Weisenburger: Der „Rassepapst“. Hans Friedrich Karl Günther, Professor für Rassekunde, in: Kißener/ Scholtyseck (Hg.): Führer der Provinz, S. 161-199; Hans-Jürgen Lutzhöft: Der nordische Gedanke in Deutschland 1920-1940 (=Kieler Historische Studien 4), Stuttgart 1971, v.a. S. 28-47, 88-93
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„Namen des Tierschutzes“ die Einführung eines Schächtgesetzes98 mit deutlich antisemitischer Stoßrichtung.99 Am 31.7.1932 fanden gleichzeitig mit den Reichs- auch Landtagswahlen100 in Thüringen statt, aus denen die NSDAP als stärkste Kraft hervorging und mit dem Landbund101 über die absolute Mehrheit im Landtag verfügte.102 Am 26.8.1932 übernahm Sauckel den Vorsitz der Landesregierung und das Innenministerium103, Marschler das Wirtschafts- und das Finanz-, Wächtler das Volksbildungs- und Weber das Justizministerium. Aus den Reihen der NSDAP wurden Junghanns und Meister zu Staatsräten ernannt, der Landbund wurde für seine Koalitionsbereitschaft mit einem Staatsratsposten für Mackeldey „belohnt“. Überlagert wurden die Vorgänge in Thüringen von der „Machtergreifung“ am 30.1.1933.
2. Grundzüge regionaler Gaupolitik nach der „Machtergreifung“ Die innere Neustrukturierung des Reiches und der Länder104 führte in Thüringen zu tief greifenden Veränderungen.105 Am 31.3.1933 erging das vorläufige „Gesetz zur Gleichschaltung“ 106 der Länder mit dem Reich, mit dem 98
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Vgl. Thüringische Staatszeitung 2. Nr. Juni 1930; ferner ebd. 1. Nr. Juli 1930 die Landtagsrede Sauckels, in der er sich aus Gründen vermeintlicher „Humanität“ gegen das Schächten aussprach Vgl. Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewusstsein. Über die Lebenswirklichkeit in Deutschland, in: ders.: Das gespaltene Bewusstsein. Über deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, 3. Aufl., München/Wien 1983, S. 114-162, v.a. S. 150154; Karlheinz Schmeer: Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich, München 1956; Jutta Sywottek: Mobilmachung für den totalen Krieg. Die propagandistische Vorbereitung der deutschen Bevölkerung auf den Zweiten Weltkrieg, Opladen 1976; Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971. Vgl. Grass: Parteien Thüringens, S. 212-254 Vgl. Grass: Parteien Thüringens, S. 324-332 Vgl. Dressel: Wahlen, S. 108-119; Grass: Parteien Thüringens, S. 338-346 Vgl. Thüringische Staatszeitung 27.8., 28.8.1932 Vgl. Karl Dietrich Bracher: Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, 6. Aufl., Köln/Berlin 1980; ders./Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Bd. I: Karl Dietrich Bracher: Stufen der Machtergreifung, Köln/Opladen 1974; Martin Broszat: Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik, München 1984. Vgl. zu Thüringen von 1933-1939 grundlegend die Studie von John: NS-Gau, S. 4049; Schilling: Herrschaftssystem Vgl. RGBl I, 1933, S. 153f.
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die Gesetzgebungskompetenz auf die Länderregierungen überging und die Länderparlamente aufgelöst und entsprechend der Stimmenzahlen bei der Wahl zum Deutschen Reichstag vom 5.3.1933 neu gebildet wurden. Der Thüringer Landtag wurde auf maximal 59 Abgeordnete beschränkt. Letzten Endes setzte er sich aus 30 NSDAP-Abgeordneten und sieben Angehörigeren der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot zusammen.107 Im Wahlkreis 12, der aus dem Land Thüringen und den preußischen Gebieten bestand und dem Gau entsprach, lag der Stimmenanteil der NSDAP mit 47,2% deutlich über dem Reichsdurchschnitt von 43,9%.108 Am 14.10.1933 wurde der Landtag aufgelöst. Am 7.4.1933 wurde das zweite „Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“109 („Erstes Reichsstatthaltergesetz“110) erlassen, mit dem alle Länder unter Reichsaufsicht gestellt und Reichsstatthalter für die „Beobachtung der vom Reichskanzler aufgestellten Richtlinien der Politik“ berufen wurden, die vordergründig mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet waren.111 „Unbefugte Eingriffe“ in die Wirtschaftspolitik des Regimes untersagte den Reichsstatthaltern jedoch ausdrücklich das RMI.112 Am 8.4.1933 erging das „Gesetz zur Gleichschaltung der gemeindlichen Selbstverwaltung mit Land und Reich“113, das eine Neubildung der Selbstverwaltungskörper (Gemeinderäte, Stadträte, Kreisräte), die das Reichsgesetz vom 31.3.1933 aufgelöst hatte114, veranlasste. Bei der Neubildung der Stadt- und Kreisräte wurden die KPD-Wahlvorschläge nicht zugelassen sowie die SPD-Sitze aufgrund der „Verordnung zur Sicherung der Staatsführung“ vom 7.7.1933 annulliert.115
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Vgl. BArch R43II/1309, Bl. 3; auch den Schriftwechsel Sauckels und Marschlers mit dem RMI zu Organisation und Durchführung der Landesverwaltung in Thüringen, in: BArch R1501/5050, 5051 Vgl. Dressel: Wahlen, S. 134-139 Vgl. RGBl I, 1933, S. 173 Vgl. Diehl-Thiele: Partei, S. 37-55 Vgl. BArch R43II/1310b; BArch R43II/1382 (Rechenschaftsbericht Sauckels an Hitler im Anschluss an seine Ernennung zum Reichsstatthalter); Hüttenberger: Gauleiter, S. 75-91. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3849, Bl. 6f. Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 20 (8.4.1933), S. 239-242 Vgl. RGBl I, 1933, S. 153 Vgl. Dressel: Wahlen S. 140-143. In einigen Stadt- (z.B. Gera, Altenburg, Greiz) und Landkreisen (z.B. Stadtroda, Stadtroda, Gera) hatte die SPD erhebliche Stimmenanteile gewonnen.
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Im Sommer 1933 erklärte Hitler die „deutsche Revolution“116 für abgeschlossen; mit dem „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“117 vom 14.7.1933 und dem „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ vom 1.12.1933 wurde die NSDAP endgültig zur Staatspartei und „mit dem Staate unlöslich verbunden.“118 Hitler verbot am 6.7.1933, dass „irgendwelche Organisationen oder Parteistellen sich künftig noch Regierungsbefugnisse anmaßen“119 und Frick appellierte an die Reichsstatthalter und Landesregierungen, die „Autorität des Staates auf allen Gebieten und unter allen Umständen sicherzustellen und jedem Versuch, diese Autorität zu erschüttern oder auch nur anzuzweifeln […] rücksichtslos und unter Einsatz aller staatlichen Machtmittel entgegenzutreten.“120 Die Schaffung von Sonderbehörden und Kommissariaten wurde der Mittelinstanz verboten, die bestehenden sollten in den Staatsapparat eingegliedert werden. Die Züge verwaltungs- und verfassungsmäßiger „Normalität“ des Frickschen Schreibens täuschten jedoch über die Kernabsichten des Regimes hinweg, blieben in Ansätzen stecken und wurden mit fortdauerndem Bestand des Regimes und der Entwicklung zum permanenten „Ausnahme-“ und „Maßnahmenstaat“ ad absurdum geführt.121 Das „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“122 vom 30.1.1934 und die erste „Verordnung über den Neuaufbau des Reichs“123 vom 2.2.1934, mit dem die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergingen, die Länderregierungen der Reichsregierung unterstellt, die Länderparlamente aufgehoben und die Reichsstatthalter der Dienstaufsicht des RMI untergeordnet wurden, degradierte die Länder zu „Reichs-Auftragsverwaltungen“124. Mit dieser Entwicklung ging ein Machtverlust der Reichsstatthalter einher.125 Vollends zum Abschluss kamen Bestrebungen, das Reichsstatthalteramt zum Ausgangspunkt von Reform- und Neugliederungsplänen zu machen, mit dem „Zweiten 116
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Vgl. Ludger Kühnhardt: Revolutionszeiten. Das Umbruchjahr 1989 im geschichtlichen Kontext, München 1995, v.a. S. 167-183; David Schoenbaum: Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, Köln 1968. Vgl. RGBl I, 1933, S. 479 Vgl. RGBl I, 1933, S. 1016 ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 12, Bl. 2 ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 12, Bl. 2f. Vgl. BArch R43II/1310b, Bl. 28-35; BArch R43II/1391, 1392; BArch R43II/1372, Bl. 212 Vgl. RGBl I, 1933, Bl. 75 Vgl. RGBl I, 1934, S. 81 John: NS-Gau, S. 42 Vgl. Diehl-Thiele: Partei, S. 45-55; zum Gefühl des Kompetenzverlusts der Gauleiter Hüttenberger: Gauleiter, S. 81-83
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Reichsstatthaltergesetz“126 vom 30.1.1935, das die Reichsstatthalter nochmals – diesmal präziser – als „ständige Vertreter der Reichsregierung“ bezeichnete. Der Reichsstatthalter war zwar befugt, sich von sämtlichen Reichs- und Landesbehörden sowie von den Dienststellen der unter Aufsicht des Reichs oder des Landes stehenden öffentlich-rechtlichen Körperschaften innerhalb seines Amtsbezirks unterrichten zu lassen, sie auf die maßgebenden Gesichtspunkte und die danach erforderlichen Maßnahmen aufmerksam zu machen sowie bei Gefahr im Verzug einstweilige Anordnungen zu treffen127 – de facto bedeutete dies allerdings wenig, zumal die Reichsstatthalter nun allen Reichsministerien unterstanden. Am 3.5.1933 wurde das „Ermächtigungsgesetz“ auf Thüringen angewandt, das die Thüringer Landesregierung ermächtigte, „alles zu tun, was sie im Interesse des Landes, seiner Wirtschaft, der nationalen Arbeit und Arbeiterschaft, der allgemeinen Wohlfahrt, der Jugenderziehung, der Pflege der Kunst und Wissenschaft und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für notwendig hält“128 und auch ohne Mitwirkung des Landtages Landesgesetze zu beschließen, die von der Landesverfassung abweichen konnten. Das Gleiche galt für Verwaltungsmaßnahmen, die nach der Landesverfassung oder den Landesgesetzen der Zustimmung des Landtages bedurften. Mit der Ernennung zum Reichstatthalter in Thüringen am 5.5.1933129 schied Sauckel aus der Landesregierung aus und übergab das Ministerpräsidentenamt am 8.5.1933 an Marschler und das Innenministerium an Wächtler.130 In
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Vgl. RGBl I, 1935, S. 65f. Ein Reichskanzleivermerk unterschied 1938 im Zusammenhang mit der Frage nach der Stellung der Reichsstatthalter vier Typen: Reichsstatthalter nach dem Reichsstatthaltergesetz vom 30.1.1935, Reichsstatthalter, die mit der Führung einer Landesregierung beauftragt waren, dem Reichskommissar für das Saarland als Leiter des einzigen Reichslandes und dem Reichsstatthalter sui generis von Hamburg, der am 1.4.1938 mit der Führung einer Landesregierung beauftragt wurde. (Vgl. BArch R43II/1310b, Bl. 25) Dazu auch die Typeneinteilung der Reichsstatthalter bei Rebentisch: Führerstaat, S. 245-250 Vgl. das Schreiben Fricks zur „Durchführung des Reichsstatthaltergesetzes“ vom 30.1.1935 an die Reichsstatthalter, in dem Frick sehr detailliert das Unterstellungsverhältnis der Reichsstatthalter unter die Reichsministerien aufzeigt, in: ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 12, Bl. 59-61; ergänzend Diehl-Thiele: Partei, S. 70-73; zu den Reichsstatthaltern in den ersten Kriegsjahren die Sammelberichte, in: BArch R43II/1394a sowie die Überlegungen zur Erweiterung der Reichsstatthalterbefugnisse 1941, in: BArch R43II/1394. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 25 (5.5.1933), S. 253 Vgl. Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen I, 1933, Nr. 37 (10.5.1933), S. 195; zur Zusammensetzung des Thüringer Staatsministeriums ebd., S. 195f. Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 27 (9.5.1933), S. 271
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den Sitzungen der Landesregierung fanden keine Abstimmungen statt131, was allerdings angesichts des Wahlsiegs der NSDAP zum VI. Landtag in Thüringen132 und der Regierungsbildung unter Sauckel auch nicht mehr nötig war. Am 14.12.1933 wurde in Weimar ein Geheimes Staatspolizeiamt als Landespolizeibehörde errichtet, mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet und dem Innenministerium unterstellt.133 Die Länderressorts büßten im Zuge der fortschreitenden Verreichlichung schrittweise ihre eigenstaatlichen Kompetenzen ein134 und waren deshalb auch nicht geeignet, eine eigene Hausmacht aufzubauen, wie es Wächtler in Thüringen versuchte. Sauckel stützte sich auf die Apparate von Reichsstatthalterei und – wegen der territorialen Zuständigkeit und personalpolitischen Kompetenzen – Gauleitung für die Verwirklichung seiner regionalpolitischen Interessen.135 Die ab 1. Januar 1936 eingeführte und für die Zeit des Bestehens der Reichsstatthalterei gültige Geschäftsverteilung sah folgende Gliederung vor:136 Abteilung 0 1 2
Sachgebiet Zentralstelle Verfassung und Verwaltung Beamtentum
3 4 5 6 7 8 9.
Kommunale Verwaltung Justiz Wirtschaft und Verkehr Arbeit und Wohlfahrt Kultur Finanzen Landesverteidigung
Sachbearbeiter Escher Dr. Buchmann
Stellvertreter Dr. Buchmann Escher
Dr. Hammer Schneider Escher Dr. Hammer Dr. Hammer Schneider Dr. Buchmann Escher Escher
Dr. Buchmann Schneider Dr. Buchmann Escher Escher Dr. Hammer Dr. Hammer Dr. Buchmann
1935 war Marschler nach der Ernennung Wächtlers137 zum Gauleiter der Bayerischen Ostmark138 Ministerpräsident und einzig verbliebener Res131 132 133 134 135 136 137
Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 54 (20.10.1933), S. 367 Vgl. Dressel: Wahlen, S.108-133 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 63 (28.12.1933), S. 409f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 11 Vgl. Schilling: Herrschaftssystem, S. 63-78 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 4, n.pag. Vgl. Paul Mitzenheim: Fritz Wächtler. Eine nationalsozialistische Karriere (18911945), in: Sieben Jahrzehnte Erfahrung. 30. Januar 1933. Protokoll einer Tagung der „Erfahrung 30. Januar 1933. Gewalt, Terror und Krieg in der Sprache der Politik“ am 24./25. Januar 2003 in Jena, veranst. vom Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e. V., Jena 2003, S. 58-82
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sortminister für Finanzen, Wirtschaft und Volksbildung.139 Da diese Ämter aufgrund der Unterordnung unter die Reichsbehörden nur geringe Bedeutung besaßen, übernahm er Aufgaben im Gaufunktionsgefüge: Leiter des GauHeimstätten-Amtes (1936), Leiter des Landesamtes für den Vierjahresplan und Gauobmann der DAF (1937). Im Zuge des personellen Umbaus nach dem Weggang Wächtlers band Sauckel das Innenressort an die Reichsstatthalterbehörde an und ernannte Ortlepp zum Staatssekretär des Innern140, löste aus dem Volksbildungsministerium die Bereiche Theater, Kunstsammlungen, Landesuniversität und Hochschulen und unterstellte sie sich selbst. Im Zuge der „Verreichlichung“ verlor das Thüringische Finanzministerium wichtige Kompetenzen an das Reich, das 1935 die Aufsicht über die Thüringische Staatsbank übernahm141, die vermögensrechtliche Stellung des Landes zur Staatsbank änderte sich dadurch nicht.142 Die Thüringische Staatsbank, die aus den ehemaligen einzelstaatlichen thüringischen Landeskreditkassen und Landessparkassen hervorgegangen war und über ein großes Filialnetz und den ihr nachgegliederten Thüringischen Landeshypothekenband verfügte143, hatte laut Staatsbankengesetz von 1922144 die Aufgabe, „die verfügbaren Gelder des Staates zu verwalten und den Geldverkehr des Staates zu regeln.“145 Der Geschäftskreis der Bank umfasste des Weiteren den Betrieb aller Bank- und Kommissionsgeschäfte, das Hypothekengeschäft, die Fürsorge für die Bankgeschäfte der Thüringischen Selbstverwaltungskörper, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, des Handels und der Industrie, der Landwirtschaft und des Kleingewerbes. Präsident der Staatsbank war seit 1933 Otto Demme, 1939 mit dem Rang eines Thüringischen Staatsrats bedacht. Der Geschäftsverkehr wurde über das Finanzministerium abgewickelt, Aufsicht führende Behörde war das Reichsfinanzministerium.146
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Vgl. zu den Umständen der Entmachtung Wächtlers Fleischhauer: Kulturelle Konzepte, S. 86-88 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1936, Nr. 4 (13.2.1936), S. 13 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1936, Nr. 14 (26.6.1936), S. 65; ergänzend BArch R43II/1372a Vgl. zur Gründung der Thüringischen Staatsbank ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7853; ferner Geschäftsordnung in: ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7860, Bl. 14-20 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7867, Bl. 1f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7861, Bl. 28 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1923, Nr. 3, S. 13-19, hier S. 13 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7867, Bl. 66f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7898, Bl. 56-157; ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7875, Bl. 2, 20, 33
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Auf Grundlage des „Vorläufigen Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“147 vom 31.3.1933 erging am 8.5.1933 das „Gesetz über Änderung des Staatsbankgesetzes“ vom 20.12.1922148, mit dem für die Staatsbank ein neuer Verwaltungsrat gebildet wurde. Während vorher der Finanzminister nur den Vorsitzenden des Verwaltungsrats ernannt hatte, waren dies nun der Vorsitzende, dessen Stellvertreter sowie bis zu sechs weitere Mitglieder, die übrigen wählten der Landtag (zwei), die IHK Thüringen, die Hauptlandwirtschaftskammer Thüringen, die Handwerkskammer Thüringen und der Gesamtbetriebsrat (jeweils ein). Insgesamt umfasste er zehn bis 14 Mitglieder. Die Amtsdauer wurde von drei auf vier Jahre erhöht, bei den Mitgliedern des Landtags betrug sie eine Wahlperiode; die Mitgliedschaft war, außer beim Vorsitzenden, ehrenamtlich und die Mitglieder konnten jederzeit abgelöst werden.149 Den Verwaltungsrat, der die Geschäftsführung der Staatsbank sowie deren Zweig- und Nebenstellen kontrollierte150, besetzten neu ernannte Vertreter des Staatsministeriums und der OgW. Seit 1936 kristallisierte sich eine klare Führungsstruktur im Verwaltungsrat der Staatsbank heraus. Marschler als Finanzminister und sein Intimus Benecke als Staatskommissar waren die dominierenden Führungsfiguren. Damit war seit 1936/37 der wesentliche personelle Rahmen des Verwaltungsrats gesteckt und erfuhr kaum Änderungen.151 1940 ernannte Marschler mit dem Staatssekretär im Innenministerium, SS-Brigadeführer Ortlepp, und dem Vorsitzer des Verwaltungsrats der Gustloff-Werke und Gauwirtschaftsberater, Schieber, zwei enge Mitarbeiter Sauckels aus dem Gauführungskorps zu Mitgliedern des Verwaltungsrats.152 Für die Erledigung besonders dringlicher Aufgaben bestand ein sog. „Engerer Ausschuss“, dem seit 1935 Stolze, Tappert, Benecke und Eberhardt angehörten. Die 1934/35 geschaffene OgW153 umfasste die Reichsgruppen Industrie, Energiewirtschaft, Handel, Banken, Handwerk, Versicherungen und Fremdenverkehr und gliederte sich in zahlreiche Wirtschafts-, Fach- und Fachun147 148 149 150 151 152 153
Vgl. RGBl I, 1933, S. 153f. Vgl. das Staatsbankgesetz vom 20.12.1922, in: ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7860, Bl. 21-23 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1933, Nr. 28 (15.5.1933), S. 273 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7860, Bl. 24-27 (Geschäftsordnung des Verwaltungsrats) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7873, Bl. 70,77f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7873, Bl. 44-47 Vgl. RGBl I, 1934, S. 1194; ergänzend das Organisationsschema (Stand: 1943), in: BArch R12I/24, Bl. 1
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tergruppen. Parallel dazu erfolgte eine regionale Zusammenfassung der Wirtschaftsgruppen in Wirtschaftskammern. Die Spitze der fachlichen und regionalen Gliederungen bildete die Reichswirtschaftskammer.154 Die wichtigste war die Reichsgruppe Industrie (RGI) mit 32 Wirtschaftsgruppen und 162 Fachgruppen155, 1934 hervorgegangen aus dem Reichsstand der deutschen Industrie, zu dem 1933 die deutschen Arbeitgeberverbände und der Reichsverband der deutschen Industrie zusammengeschlossen worden waren.156 Die fachliche Gliederung der einflussreichen RGI wurde ergänzt durch eine bezirkliche Einteilung und eine auf die Wirtschaftsbezirke ausgerichtete Gliederung in 13 sog. Bezirksgruppen, die wiederum über mehrere Zweigstellen verfügten, in denen die örtlichen Industrieverbände aufgingen und die als Geschäftsstellen der RGI geführt wurden.157 Die von Reinhold Thiel geleitete Bezirksgruppe Mitteldeutschland der RGI hatte ihren Sitz in Weimar und unterhielt Zweigstellen in Erfurt, Gera, Sonneberg, Magdeburg und Halle.158 Durch „Reformerlass“ vom 7.7.1936159 erfolgte eine Vereinfachung der OgW durch die Neuordnung der Wirtschaftsgruppen, die Umstrukturierung der bezirklichen Gliederung der Wirtschaftsgruppen/Fachgruppen und der Formulierung der Aufgaben der Wirtschaftsgruppen als Mittler zwischen staatlicher Wirtschaftsführung und einzelnem Unternehmen. Bis zum 1.10.1936 wurden die Bezirksgruppen der RGI in Industrie-Abteilungen der Wirtschaftskammern und die Bezirksgruppen der zur Reichsgruppe Handel gehörenden Wirtschaftsgruppen in Unterabteilungen der Wirtschaftskammern überführt und in einer Abteilung zusammengefasst. Zur Koordination der Zusammenarbeit der Kammern mit den Reichsgruppen Handwerk, Banken, Versicherungen und Energiewirtschaft entstanden entsprechende Abteilungen bei den Kammern. Für die Steuerung der den IHK des Bezirks gemeinschaftlichen Aufgaben gründeten die Wirtschaftskammern eine Kam154 155 156
157
158 159
Vgl. ergänzend den Aufbau des RWM, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 118 Vgl. zur fachlichen Gliederung der RGI BArch R12I/1, 2, 3, 24; den Geschäftsverteilungsplan der RGI, in: BArch R12I/24, Bl. 4-10 Vgl. zum Zusammenschluss des Reichsverbandes der Deutschen Industrie und der Vereinigung der Arbeitgeberverbände zum Reichsstand der Deutschen Industrie 1933 sowie zum Geschäftsverteilungsplan der RGI (1935) BArch R43II/362 Bezirksgruppen bestanden in: Ostpreußen (Königsberg), Schlesien (Breslau), Brandenburg (Berlin), Pommern (Stettin), Nordmark (Hamburg), Niedersachsen (Hannover), Westfalen (Düsseldorf), Rheinland (Köln), Hessen (Frankfurt/Main), Mitteldeutschland (Weimar), Sachsen (Dresden), Bayern (München), Südwestdeutschland (Stuttgart). (Vgl. BArch R12I/3, n. pag.) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3834, Bl. 113 Vgl. zum Folgenden Ministerialblatt für Wirtschaft, 37. Jg., Nr. 3 (3.2.1937), hg. vom Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium, S. 29-35; BArch R12I/80
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merabteilung, die de facto den Nachfolger der aufgelösten Kammertage und Zweckverbände der IHK darstellte. Der Präsident der als Geschäftsstelle fungierenden IHK stieg zum Leiter der Kammerabteilung auf, so dass von vornherein ein hohes Maß an Kontinuität gesichert war. Die Wirtschaftskammern bearbeiteten die fachlichen Angelegenheiten in den zuständigen Abteilungen, die an die Weisungen der zuständigen Reichsgruppen gebunden waren. Das Aufgabengebiet der Gruppen und Kammern auf technischem Gebiet erstreckte sich vor allem auf die Mitarbeit am VJP. Mit Erlass vom 12.11.1936 wurden die Gruppen und Kammern zur „Mitarbeit am Vierjahresplan“, insbesondere zur selbstständigen Verbesserung von Rohstoffproblemen und betriebswirtschaftlichen Konzepten, verpflichtet160, die betriebswirtschaftlichen Aufgaben beschränkten sich vorwiegend auf die Verbesserung des Rechnungswesens und die Optimierung der Kostenanalysen. Die Leiter der Wirtschaftskammern bildeten einen engeren Beirat von bis zu fünf Mitgliedern als Beratungsorgan. Die Gruppen und Kammern verfügten mit Erlass vom 12.11.1936 über weitgehende Kompetenzen, da das RWM sich „in Zukunft weitgehend auf die Aufstellung allgemeiner wirtschaftspolitischer Richtlinien“ beschränken und die „Ausführung der Weisungen den Gruppen und Kammern in eigener Verantwortung“161 überlassen wollte. 1937 entstand durch die Errichtung von Handwerkskammerabteilungen bei den Wirtschaftskammern mit dem Landeshandwerksmeister als Vorsitzendem und einem Beirat, den die Präsidenten der Handwerkskammern des Wirtschaftsbezirks bildeten, eine engere Verflechtung des regionalen Kammerwesens.162 Der von Thiel geführte Verband der Mitteldeutschen Industrie wurde im April 1935 zur Reichsgruppe Industrie – Bezirksgruppe Mitteldeutschland umgebildet. 1936 wurden die Bezirksgruppen Industrie als Industrie-Abteilung in das Kammersystem überführt.163 Die Wirtschaftskammer Thüringen arbeitete eng mit dem GWB zusammen.164 Sie war territorial und funktional auf den Gau ausgerichtet war, bildete de facto die Schaltzentrale der regionalen Wirtschaft und beschleunigte die „Entwertung des Landes-
160 161 162 163
164
Vgl. Ministerialblatt für Wirtschaft, 37. Jg., Nr. 3 (3.2.1937), hg. vom Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium, S. 36f. Ministerialblatt für Wirtschaft, 37. Jg., Nr. 3 (3.2.1937), hg. vom Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministerium, S. 36 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3849, Bl. 21 Vgl. Gliederung und Geschäftsverteilungsplan der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen, in: ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3857, Bl. 6-17 Vgl. Gerhard Kratzsch: Der Gauwirtschaftsberater im Gau Westfalen Süd, in: Rebentisch/Teppe (Hg.): Verwaltung, S. 173-207
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wirtschaftsministeriums“.165 Darüber hinaus kursierten Pläne, die Unterabteilungen der IHK mit dem Unterbau der Wirtschaftskammer zu verbinden. „Ich verweise dabei besonders auf die Bestellung eines Sachverständigen, die es mit sich gebracht hat, dass in diesem Lande [=Baden] eine wirklich gerechte Verteilung der Aufträge stattfindet.“166 Mit diesen Worten verdeutlichte Ende 1934 Otto Eberhardt167, Gauwirtschaftsberater und Leiter der Vertretung Thüringens in Berlin168, nach einem Gespräch beim Heereswaffenamt die mangelnde Koordination bei der Verteilung öffentlicher Aufträge in Thüringen169 und mahnte an, dass dieses Problem durch die Landesauftragsstelle in stärkerem Maße als bisher angegangen werden müsse.170 Gerade für die Wirtschaftsstruktur Thüringens bildeten öffentliche Aufträge im Zuge der forcierten Aufrüstung eine Chance, dem Problem der Arbeitslosigkeit zu begegnen, dadurch die soziale Integrationskraft und die Leistungsfähigkeit des Regimes zu beweisen und für Stabilität, Sicherheit und Ruhe zu sorgen. Die Mitwirkung der Auftragsstellen bei dezentralen Beschaffungen (Reichsbahn, Reichsarbeitsdienst (RAD), Heeresbekleidungsämter, Reichspost) lief über eine einem Bezirk vorstehende, federführende Auftragsstelle, die v.a. die Firmen des eigenen Wirtschaftsbezirks mit Aufträgen versah, während das RWM die Auftragslenkung als Instrument zur reichsweiten Arbeitslosensenkung verstand. In dieser Gemengelage spiegeln sich das Neben- und Gegeneinander von regionalen und reichsweiten Interessen wider. Das Errichten „innerdeutscher Wirtschaftsgrenzen“, wodurch das territoriale Problem entschärft und die regionale Komponente gestärkt worden wäre, war jedoch seit 1933 verboten. So standen die Auftragsstellen im Spannungsfeld der Anforderungen der Firmen der Wirtschaftsbezirke und der Anweisung zur Senkung der Arbeitslosigkeit in den zuständigen Bezirken.171 Sie übernahmen durch die Koordination der Anforderungen der Parteistellen, der politischen Stellen der Staatsverwaltung, der Kommunalverwaltung, der dezentralen Beschaffungsstellen und der Förderung der klein- und mittelständischen Unternehmen durch die Kontrolle der Zulieferindustrie sowie bei Vergabeverfahren in der Großindustrie eine Schlüsselfunktion im regionalen Wirtschaftsge165 166 167 168 169 170 171
Schilling: Herrschaftssystem, S. 84 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 1 Vgl. Personalakte, in: ThHStAW, Staatsministerium-Präsidialabteilung, Nr. 274 Vgl. zum „Thüringenhaus“ in Berlin BArch R43II/1373b Vgl. ergänzend die Überblicke zur Bezirksausgleichsstelle für öffentliche Aufträge bei John: NS-Gau, S. 45f.; Schilling: Herrschaftssystem, S. 83-85 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 1 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 35
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füge. Die Auftragsstellen in Weimar und Erfurt arbeiteten über gemeinsame Besprechungen mit Reichpost und Reichsbahn eng zusammen.172 Die Auftragsstelle in Weimar beteiligte sich durch die Betreuung der Militärstandorte Erfurt, Langensalza und Mühlhausen (Regierungsbezirk Erfurt) an der dezentralen Vergabe im Regierungsbezirk Erfurt und wies damit über die eigenen Grenzen hinaus.173 Wirtschaftlich wichtige Kompetenzen lagen auch bei den Beschaffungsstellen, da sie allein die formelle und dauerhafte Ausschaltung von Firmen aus dem Vergabeverfahren bewirken konnten; die Ausgleichsstellen wurden hierüber lediglich informiert.174 1936 wandelte das RWM im „Zuge einer Vereinheitlichung und Vereinfachung der gesamten Auftragsstellen-Organisation“175 die zum Teil staatlich organisierten, zum Teil an die Selbstverwaltung der Wirtschaft angeschlossenen 35 Auftragsstellen in „Bezirksausgleichsstellen für öffentliche Aufträge“ um, gliederte sie den Wirtschaftskammern an und richtete sie auf deren Bezirke aus.176 Um den Einfluss des RWM und die Zentralisierung zu forcieren, avancierten die Leiter der Länderwirtschaftsressorts zu Beauftragten des RWM bei den Ausgleichsstellen und wurden mit erheblichen Mitsprache-, Informations- und Entscheidungsrechten ausgestattet. In der Gesamtheit trieb die Neuorganisation die Dezentralisierung der Bezirksausgleichsstellen voran und trug der Erkenntnis Rechnung, dass die regionalen Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung mit einer stärkeren staatlichen Vernetzung für die Aufgabenerfüllung weitaus geeigneter waren. Strukturell eng verbunden wurden die Ausgleichsstellen mit den IHK, die Beratungs-, Prüfungs- und Vermittlungsfunktionen übernahmen und den juristischen Rahmen bildeten, funktionell verklammert wurden sie mit dem GWB und der DAF. die vertikale Organisation erfolgte über die Kreiswirtschaftsberater (KWB).177 Der Bezirksausgleichsstelle Mitteldeutschland stand der Leiter der Wirtschaftskammer Thüringen, Reinhold Thiel, vor. Die Geschäftsführung lag bei der IHK Weimar. Die Ausgleichsstelle trat damit an die Stelle der Auftragsstellen in Weimar und Erfurt und umfasste auch die Kreisherrschaft Schmalkalden, die zum Bezirk der IHK Kassel gehörte. Diese Strukturveränderungen machten auch eine Umbildung der Berliner Vertretungen der Länder, die teilweise mit den Vertretungen der Handelskammern zusammenfielen, notwendig. Der Einfluss der staatlichen Behörden auf die Ausgleichsstellen erstreckte sich auf die Personalpolitik, die Mitsprache bei der Verga172 173 174 175 176 177
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 37-39 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 29 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 93 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 9 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 41-43 Vgl. Kratzsch: Gauwirtschaftsberater
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be der Aufträge sowie den sehr vage formulierten „Einsatz der staatlichen Autorität“.178 Die Ausgleichsstellen entwickelten eine erhebliche Eigendynamik, indem sie über ihre Berliner Vertretungen an der Reichsausgleichsstelle vorbei selbstständig den Kontakt zu zentralen Beschaffungsstellen bei der Auftragsvergabe suchten. Die von Thiel geleitete Bezirksausgleichsstelle Weimar übernahm Schlüsselfunktionen bei der Auftragslenkung, Auftrags- und Industriekontrolle sowie in der Rüstungswirtschaft auf regionaler Ebene. Mit der Industrie-Abteilung und der Bezirksausgleichsstelle als Kern verkörperte die Wirtschaftskammer Thüringen „das im Gau maßgebliche Strukturelement dezentralisierter ’wirtschaftlicher Selbstverwaltung’ und unternehmerischer Organisationskontinuität.“179 Die Auftragslenkung führte zu einem – von Berlin kritisch beurteilten – unerwünschten Nebeneffekt, den die Reichsausgleichsstelle seit 1937 auszutarieren versuchte: Im mitteldeutschen Wirtschaftsraum kam es zu einer Zusammenballung der Rüstungs- und VJPAufträge, während in den Grenzgebieten des Reiches Arbeitslosigkeit und Abzug von Arbeitskräften noch weit über dem Reichsdurchschnitt lagen.180 Hier stießen die Ausgleichsstellen bereits vor Kriegsausbruch bei Fragen der Arbeitskräfte- und Rohstofforganisation und -koordination an ihre Grenzen.181 Das RWM ernannte den Thüringischen Wirtschaftsminister182 zu seinem „Beauftragten“ bei der Bezirksausgleichsstelle. Als solcher fungierte er als Vertreter bei allen grundsätzlichen Verhandlungen mit staatlichen, kommunalen oder Parteistellen sowie den dezentralen Beschaffungsstellen.183 1937 ernannte Marschler einen ranghohen Beamten aus dem Wirtschaftsministerium, Oberregierungsrat Dr. Lippold, zu seinem Beauftragten bei der Ausgleichsstelle. 1940 löste ihn Oberregierungsrat Benecke, ebenfalls ranghoher Mitarbeiter im Wirtschaftsministerium, auf Wunsch des RWM ab, um eine engere Verbindung zwischen Bezirkswirtschaftsamt IX b (Thüringen), Führungsstab Wirtschaft und Ausgleichsstelle herzustellen.184
178 179 180
181 182 183 184
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 90, 92 John: NS-Gau, S. 46 Ein Kabinettsbeschluss vom 5.4.1937 schrieb ausdrücklich vor, dass die Grenzgebiete bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu bevorzugen seien. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 96) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3869, Bl. 10 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3863, Bl. 45 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 11 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 82-84
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Als Chef der VJP-Behörde185 beauftragte Göring die Gauleiter, Reichsstatthalter und Oberpräsidenten, regionale Strukturen des VJP zu schaffen.186 Sauckel errichtete daraufhin das von Eberhardt geleitete Gauhauptamt Weimar, das eng mit der Thüringischen Rohstoff-AG, der Regierung in Erfurt, dem LAA, der DAF, dem Reichstreuhänder der Arbeit und den Parteistellen vernetzt war.187 Mit seinen beiden Landesämtern (Weimar für das Land Thüringen und Erfurt für den Regierungsbezirk Erfurt sowie die Kreisherrschaft Schmalkalden) übernahm es richtungsweisende Funktionen und gab den Aktionsrahmen einer gaubezogenen Wirtschaftspolitik vor, die vor Länderbehörden nicht haltmachte.188 Dem Gauhauptamt Thüringen waren zwölf Fachämter nachgeordnet, deren sich die Landesämter zur Erledigung der VJPAufgaben bedienten.189 Die personelle Besetzung spiegelt die enge strukturelle Vernetzung im Gau wider. Das Weimarer Landesamt leiteten Marschler und (stellvertretend) Ortlepp, das Erfurter Regierungspräsident Weber; die Fachämter Bauerntum/Volksernährung, Industrie und Finanzen/Kapital führten Peuckert, Thiel (zusammen mit Wiesel) und Eberhardt (zusammen mit Demme). Durch die personelle Vernetzung entstand ein kompaktes, leistungsfähiges und belastbares, auf Effizienz ausgerichtetes und ideologisch gefestigtes Wirtschaftsgefüge im Gau Thüringen.190 Bis 1939 hatten die Gaue „wichtige, den Ländern und Provinzen übergeordnete Regionalfunktionen“191 erhalten, ein Teil der regionalen Steuerungsmechanismen war bereits recht weit an die Gaustrukturen angepasst und die Industrie im Gau Thüringen bot „das Bild einer vorwiegend für die Zwecke der
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186 187 188 189
190 191
Vgl. Petzina: Autarkiepolitik; Wilhelm Treue: Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan 1936, in: VfZ 3 (1955), S. 184-210; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 1, S. 13-53; Ludolf Herbst: Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939-1945 (=Studien zur Zeitgeschichte 21), Stuttgart 1982. Vgl. John: NS-Gau, S. 46f. Vgl. Dietrich (Hg.): Buch der deutschen Gaue, S. 141 Vgl. Schilling: Herrschaftssystem, S. 137, John: Rüstungswirtschaftlicher Strukturwandel, S. 235f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. D, Nr. 1638, Bl. 2 (sowie die folgenden, nicht paginierten Blätter); ergänzend BArch R43II/353, 353a, 355, 355a, 356, 347, 357a; zur Durchführung des VJP im Gau Thüringen auch BArch R43II/ 163 (u.a. Berichte über die 1. und 2. Tagung des Gauhauptamtes im Januar und Mai 1937; Richtlinien über den Aufbau des Gauhauptamtes); zum Generalrat des VJP BArch R43II/356b Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 118 Jürgen John: Die politisch-administrative Geschichtslandschaft „Mitteldeutschland“, in: ders. (Hg.): „Mitteldeutschland“, S. 229-267, hier S. 252
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Landesverteidigung arbeitenden Wehrwirtschaft.“192 Allerdings erstreckten sich wichtige Lenkungsbehörden über die Gaugrenzen hinaus. Die Bezirke der Arbeitseinsatzverwaltung und Wehrwirtschaftsinspektionen, die die Rüstungsbetriebe kontrollierten, waren ebenso wenig den Gaugrenzen angepasst worden wie die Außenstellen der Reichsministerien für Wirtschaft, Ernährung und Landwirtschaft und Arbeit, die 1937/38 entstanden und auf die Wehrkreise ausgerichtet waren193, wobei der Gau Thüringen von Außenstellen in Kassel, Nürnberg und Dresden durchbrochen wurde. Eine übergeordnete, die kriegswirtschaftlichen Anforderungen steuernde Behörde gab es bei Kriegsausbruch nicht. Vielmehr überlagerten und ergänzten sich strukturelle und funktionelle Kernbereiche zu neuen Formen formeller und informeller „Staatlichkeit“ mit tendenzieller Gauausrichtung. Dabei bildete sich seit 1935/36 eine den Gau in das Zentrum der eigenen Aktivitäten rückende Elite aus Aufsteigern und traditionellen Honoratioren um den Gauleiter heraus. Das engere Gauführerkorps bestand aus einer Handvoll junger, dynamischer, meist akademisch gebildeter oder die Verwaltungslaufbahn wählender Nationalsozialisten, von denen fast alle der Generation der nach 1900 Geborenen angehörten, und Vertretern der etablierten Eliten, die gemeinsam eine effiziente wirtschaftliche, parteiliche und staatliche Strukturen vernetzende, stark rüstungs- und kriegswirtschaftliche orientierte Gauregionalpolitik entfalteten.194
192 193
194
ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 5014, Bl. 11 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 466, Bl. 30; Gregor Janssen: Das Ministerium Speer. Deutschlands Rüstung im Krieg, Berlin u.a. 1968, S. 49-, S. 51, Benz: Enzyklopädie, S. 887; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 94-98; Herbst: Totaler Krieg, S. 198-241; Walter Naasner: Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirtschaft 1942-1945. Die Wirtschaftsorganisation der SS, das Amt des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition/Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion im nationalsozialistischen Herrschaftssystem (=Schriften des Bundesarchivs 45), Boppard am Rhein 1994, S. 165-179 Vgl. die Kurzbiografien der NSDAP-Funktionäre in Post/Wahl: Thüringen-Handbuch, S. 555-645
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III. Das Problem von Staatlichkeit und Staatsaufbau im „Dritten Reich“ unter besonderer Berücksichtigung des NSGaues Thüringen 1.
Die eigenständigen Planungen für den Staatsaufbau durch regionale Parteieliten
Die von zahlreichen Stellen und Behörden bis in die Kriegszeit geforderte, gewünschte, vorangetriebene, letzten Endes aber vom Regime als nebensächlich erachtete und deshalb abgeblockte Reichsreform entfesselte eine erhebliche Dynamik in sekundärer Perspektive, die sich in Formen neuer, spezifisch nationalsozialistischer Staatlichkeit und eigenmächtigen Vorgehensweisen regionaler Stellen niederschlug.195 Eine besondere Dynamik und Vorbildfunktion entwickelten Strukturen und Herrschaftsorganisation in den Reichsgauen.196 Einige Beispiele, die die Überlegungen der Parteifunktionäre zum Aufbau der Mittelinstanzen belegen, schärfen den Blick auf die inneren Entwicklungen des Regimes im Krieg.Am 23.5.1942 schlug Gauleiter Albert Forster197 Hitler die Auflösung verschiedener Regierungen im Reichsgau Danzig-Westpreußen vor, was Hitler ablehnte, allerdings mit einer Ausnahme: Er erklärte sich einverstanden, wenn Behörden in Städten wie Danzig aufgelöst würden, da der Wegfall dieser Behörde für Danzig bedeutungslos sei. Forster, sich der Zustimmung Hitlers sicher, wandte sich daraufhin an Bormann und legte den Sachverhalt dem Leiter der Parteikanzlei dar, der sich am 2.6.1942 bei Hitler über die Richtigkeit der Angaben rückversicherte. In der Folge leitete Forster die Übertragung von bedeutenden Zuständigkeiten der drei Regierungspräsidenten des Reichsgaues DanzigWestpreußen in Danzig, Bromberg und Mareinwerder auf seine Reichsstatthalterbehörde ein: erhebliche Teile der Wirtschaftsverwaltung, die Kommunalaufsicht (die an die Kommunalabteilung der Reichsstatthalterei angegliedert wurde), die Aufgaben des Medizinaldezernenten (die an die Gesundheitsverwaltung der Reichsstatthalterei fielen), die Übertragung der Schulen, Lehrerbildungsanstalten, Berufs- und Berufsfachschulen, der landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen, der Leibeserziehung und des Landjahres. Am 1.1.1943 hob Forster die Dienststelle des Regierungspräsidenten in Danzig auf und gliederte deren Aufgaben seiner Reichsstatthalterei an.198 Das 195 196
197 198
Vgl. BArch R43II/1310b, Bl. 122f. Vgl. Wilhelm Stuckart/Rolf Schiedmair: Neues Staatsrecht II (=Neugestaltung von Recht und Wirtschaft 13/2), 16. bis 17. vollkommen umgearbeitete Aufl., Leipzig 1942, S. 44-48, 61-64, 72-77 Vgl. zu Forster Schenk: Albert Forster; Rebentisch: Führerstaat, S. 248-250 Vgl. BArch R43II/657, Bl. 2-18
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RMI, das dem Treiben Forsters ohnmächtig zusehen musste, bemäntelte die gesamte Aktion im Nachhinein als „Versuch für die künftige Gestaltung der Mittelstufe“199. Forsters Pläne stellen keinen Einzelfall dar. In Bayern entstand 1943 ein Gesetzentwurf über die Errichtung eines Zentralministeriums, in dem die Staatsministerien für Inneres, Finanzen, Wirtschaft, Unterricht und Kultus, die Staatskanzlei und die Zentralstelle der Landesforstverwaltung als Abteilungen zusammengefasst werden sollten. Die Geschäfte der Staatskanzlei, deren Auflösung geplant war, wären von einem zu errichtenden Zentralministerium – Kanzlei des Ministers übernommen worden.200 Für Bayern allerdings wurde auf ausdrückliche Anordnung Hitlers eine Änderung im Aufbau der Ministerien verboten. Der Gauleiter von Sachsen, Martin Mutschmann201, wollte die sächsischen Regierungspräsidien auflösen, was im RMI und in der Reichskanzlei mit einiger Sorge verfolgt wurde. Hätte man seinem Drängen nachgegeben, hätte sich die Frage nach der Gestaltung der Mittelinstanz zu einem reichsweit diskutierten Problem mit erheblicher Sprengkraft entwickelt, so dass man Mutschmanns Pläne zunächst verzögern wollte. Anfang 1943 entstand trotzdem ein „Gesetz über die Organisation der Landesregierung in Sachsen“, mit dem Mutschmann die Ministerien und die Staatskanzlei auflösen und an ihrer Stelle eine einheitliche Behörde mit der Bezeichnung „Der Reichsstatthalter in Sachsen – Landesregierung“ schaffen wollte, die alle Zuständigkeiten der Ministerien und der Staatskanzlei übernehmen sollte.202 Damit wären die inneren Strukturen des Gaues Sachsen denen der Reichsgaue erheblich nahe gekommen. Diese Entwicklungen riefen die Parteikanzlei auf den Plan. Bormann wandte sich im März 1943 an Mutschmann mit dem Hinweis, dass Hitler die Aufhebung von Länderregierungen oder einzelner Länderministerien ablehnte. Er schlug Mutschmann vor, die von einem Ministerialdirektor geleitete Staatskanzlei und das von einem Ministerialrat geleitete Volksbildungsministerium mit dem von Minister Kamps geführten Finanzministerium zusammenzulegen, die Bearbeitung aller kriegswirtschaftlichen und gewerblichen wirtschaftlichen Fragen beim LWA Sachsen zu konzentrieren und dieses zu einer Abteilung des Wirtschaftsministeriums zu machen.203 Aber Bormanns Vorschläge griffen für Mutschmann zu kurz. In den Akten der Reichskanzlei vom 28.4.1943 findet sich ein Vermerk, nach dem Mutschmann die Zusammenfassung sämtlicher Ministerien und die Bildung einer 199 200 201 202 203
BArch R43II/657, Bl. 22 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 20 Vgl. Thomas Mai: Der faschistische sächsische Gauleiter Martin Mutschmann, die Entwicklung des Gaues Sachsen und die NSDAP, Diss. [ms], Jena 1984. Vgl. BArch R43II/658, Bl. 30 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 36
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Einheitsbehörde bereits vollzogen hatte und deshalb die Abberufung von Ministern durch Hitler nötig wurde.204 Im RMI drängten Frick und Stuckart auch als Reaktion auf diese Entwicklungen immer wieder auf eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des regionalen Reichsaufbaus. Stuckart schlug deshalb Anfang 1943 vor, die Zusammenlegung von Länderministerien zu forcieren und Zentralministerien in den Ländern zu errichten, in denen die bisherigen Einzelministerien als Abteilungen aufgehen sollten – das Vorbild der Reichsgaue tritt hier deutlich zutage. Für Thüringen sah Stuckart vor, das Staats-, Finanz-, Volksbildungs- und Wirtschaftsministerium zu einem Ministerium unter der Leitung Marschlers zusammenzulegen.205 Eine solche Regelung wäre insofern relativ problemlos umsetzbar gewesen, da Marschler in Personalunion diesen Ministerien vorstand. Die Angelegenheiten der gewerblichen Wirtschaft sollten aus dem bisherigen Wirtschaftsministerium aus- und in das LWA Thüringen, das als eine Abteilung des neuen Ministeriums bestehen bleiben sollte, eingegliedert werden. Das von Ortlepp geleitete Thüringische Innenministerium blieb von den Überlegungen unberührt. Diesen Plänen, die im Kern auf eine Zusammenlegung der Länderministerien in Thüringen, Württemberg, Bayern, Oldenburg und Mecklenburg hinausliefen und eine Straffung und Zentralisierung in der Mittelinstanz im Rahmen eines „normalstaatlichen“ Verwaltungsaufbaus mit traditionellen administrativen Regulierungs-, Kommunikations- und Herrschaftsmitteln zielten, war jedoch aufgrund der sich immer mehr herausbildenden spezifischen NS-Staatlichkeit, die auf andere Steuerungskonzepte setzte, kein Erfolg beschieden – nicht zuletzt wegen der Positionierung der NS-Führung. Während einer Besprechung im Feldquartier am 4.2.1943 musste Frick sein Scheitern erkennen. Die Zusammenlegung von Länderministerien wurde auf Fälle beschränkt, in denen die Leitung mehrerer Ministerien bereits in Personalunion zusammengefasst war.206 Die vorangehend dargestellten Erosionsprozesse, die zur Herausbildung neuer, quasistaatlicher Herrschaftskonzepte und -mechanismen führten, dauerten über die gesamte 204 205 206
Vgl. BArch R43II/658, Bl. 31 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 14f. Das RMI plante für Württemberg die Vereinigung der Staatskanzlei und des Kultusministeriums einerseits, des Innen- und des Wirtschaftsministeriums andererseits; für Baden die Zusammenlegung der Staatskanzlei und des Finanz- und Wirtschaftsministeriums; für Oldenburg den Zusammenschluss des Staats- und des Innenministeriums einerseits, der Ministerien der Finanzen und der Kirchen und Schulen andererseits; für Braunschweig die Verbindung des Staats-, Innen-, Finanz- und Volksbildungsministeriums. Die Pläne für Sachsen (Fusion von Staatskanzlei, Volksbildungs-, Wirtschaftsund Arbeits- und Innenministerium) waren aufgrund des rigorosen Durchgreifens Mutschmanns, der die Zusammenfassung sämtlicher Ministerien und die Bildung einer Einheitsbehörde selbstständig vollzogen hatte, obsolet. (Vgl. BArch R43II/658, Bl. 28f.)
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Kriegszeit hin an, setzten erhebliche Energien frei und banden andererseits Kräfte des Regimes. Im September 1944 sah sich der Chef der Reichskanzlei wiederholt und trotz mehrfacher vorangegangener Verbote gezwungen, bei den RVK deren eigenmächtiges Vorgehen gegen Regierungen anzumahnen: „Der Führer hat wiederholt der Auffassung Ausdruck gegeben, daß jedenfalls während des Krieges grundsätzlich die Regierungen nicht aufgehoben oder stillgelegt werden sollen. […] Es ist daher nicht angängig, daß die RVK von sich aus jetzt die Regierungen aufheben oder stillegen.“207
2. Pläne zum Verfassungs- und Verwaltungsaufbau des Reiches im Umkreis der SS: Der Aufsatz von Wilhelm Stuckart über das Verhältnis von Zentralismus und Regionalismus und die angestrebte Einheit der Verwaltung Anlässlich seines 40. Geburtstages erhielt der Reichsführer SS (RFSS) am fünften Jahrestag der Übernahme der deutschen Polizei am 17.6.1941 eine von einem seit Herbst 1939 um Höhn, Best und Stuckart herausgebildeten Kreis von SS-Führern initiierte „Festgabe“208 mit fünf thematisch sehr unterschiedlichen Beiträgen überreicht: Falk Zipperer beschäftigte sich mit der siedlungs- und verfassungsgeschichtlichen Untersuchung Eschweges, Karl August Eckhardt mit dem Fuldaer Vasallengeschlecht vom Stein – beides Themen, die den Vorlieben Himmlers für diese Fragen entgegenkamen. Reinhard Höhn schrieb mit Helmut Seydel über den „Kampf und die Wiedergewinnung des deutschen Ostens. Erfahrungen der preußischen Ostsiedlung 1886 bis 1914“, Werner Best über „Grundfragen einer deutschen Großraum-Verwaltung“ und Wilhelm Stuckart über „Zentralgewalt, Dezentralisation und Verwaltungseinheit“. Ulrich Herbert ist bei der Einschätzung der drei zuletzt genannten Aufsätze unbedingt zuzustimmen: Sie stellen den Versuch dar, eine „konkrete, praktikable, effektive und ´vernünftige´ Organisation deutscher Herrschaft auf der Grundlage einer radikalen völkischen Position zu entwickeln.“209 Während Best und Höhn, in den Augen der SS notwendige, Konzepte und Theorien einer „vernünftigen“ völkischen Großraumverwaltung entwarfen, verdient Stuckarts richtungsweisender Aufsatz vor dem Hintergrund der Frage nach der Staatlichkeit in zentraler und regionaler Perspektive und der Organisation des nationalsozialistischen Staates im Innern Aufmerksamkeit, da er umfangreich und tiefgründig eine Bestandsaufnahme der inneren Verfasstheit und der Herrschaftsorganisation im „Alt207 208 209
BArch R43II/666, Bl. 223 Vgl. Festgabe für Heinrich Himmler, Darmstadt 1941. Herbert: Best, S. 279
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reich“210 darstellt.211 In einem knappen Vorwort formuliert Stuckart das Ziel: „Einheitliche Führung, reibungslose und gewissenhafte Durchführung und höchstmögliche Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Dienststellen und ihres Personals sind die Voraussetzungen, um die notwendige Zusammenfassung aller Kräfte und ihr höchstes Potenzial zu erzielen. Dies gilt nicht nur für die Kriegszeit, sondern ebenso sehr für die folgende Friedensaufbauarbeit.“ Stuckart beabsichtigt nichts Geringeres, als die theoretische Grundlage des künftigen Reichsaufbaus zu liefern und angesichts der Trunkenheit der Führungsschicht des Regimes wegen der militärischen Situation ist Stuckarts Gedanken jede nur denkbare Ernsthaftigkeit zuzusprechen. Hintergrund für die Ausführungen bildet die Verfassungsrealität des Krieg führenden Reiches ebenso wie die Erfahrungswelt des Ersten Weltkrieges, in dem sich die „unzulängliche Organisation der öffentlichen Verwaltung“ als „der schwächste Punkt“ des Reichsgefüges mit geradezu „verhängnisvoll(en)“212 Folgen erwiesen habe. Deshalb sieht Stuckart in einer starken Zentralgewalt, in der eine einheitliche Führung klare Befehlswege schafft und die Zentralstellen weitgehend zusammenfasst, die Grundvoraussetzung für einen starken, effizient organisierten Staat.213 Die Berufung auf das Parteiprogramm ist durchaus ernst zu nehmen, verstanden sich die SS-Ideologen doch als Bewahrer der „reinen Lehre“ des Nationalsozialismus. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet der Ansatz, dass „die alles umfassende und tragende nationalsozialistische Weltanschauung eine einheitliche Grundhaltung [gewährleistet] und damit die Grundlage für gleichmäßiges Handeln in vielen Fällen [gibt], aber für den planmäßigen Einsatz der Verwaltung eines Riesenreichs reicht das nicht aus. Die Zentralgewalt, nicht gleichzusetzen mit Zentralismus, der grundsätzlich negativ beurteilt wird, muß vielmehr jederzeit dafür sorgen können, daß die Entscheidungen der nachgeordneten Organe in reichswichtigen Angelegenheiten im Einklang stehen mit dem Willen der Staatsführung.“214 Wenn schon eine Aufspaltung der Zuständigkeiten in der 210
211 212 213
214
Stuckart und Schiedermair (Staatsrecht II, S. 18) definierten als „Altreich“ das „Reichsgebiet in der Ausdehnung, die das Versailler Diktat dem Reich gegeben und die es noch im Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme am 30.1.1933 gehabt hat.“ Vgl. Wilhelm Stuckart: Zentralgewalt, Dezentralisation und Verwaltungseinheit, in: Festgabe, S. 1-32. Die folgenden Ausführungen sind bewusst im Präsens verfasst. Stuckart: Zentralgewalt, S. 3 Punkt 25 des Parteiprogramms: „Zur Durchführung alles dessen fordern wir die Schaffung einer starken Zentralgewalt des Reiches.“ (Fragen an die deutsche Geschichte. Ideen, Kräfte, Entscheidungen von 1800 bis zur Gegenwart, historische Ausstellung im Reichstagsgebäude in Berlin, Katalog, hg. vom Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 18. Aufl., Bonn 1994, S. 286) Stuckart: Zentralgewalt, S. 2
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Zentralinstanz aufgrund der verschiedenen Aufgabenbereiche nicht vermieden werden könne, so müsse die weitgehende Einheit und Geschlossenheit der Verwaltung in der Mittelstufe durch eine bezirkliche Zusammenfassung der Behörden der Fachverwaltungen umso nachdrücklicher hergestellt werden. Als Vorbild dienen die Entwicklungen in den Reichsgauen mit einer weitgehend einheitlichen Ausrichtung der Herrschaftsmechanismen auf den Reichsstatthalter. Die Weisungsbefugnisse der Zentralbehörden sollen sich auf „reichswichtige(n) Führungsaufgaben“ beschränken, deren Ausführung aber in der Mittel- und Unterstufe konzentriert werden. Dazu benötigt der nationalsozialistische Staat weitgehend dezentralisierte Herrschaftsstrukturen, die die starke Zentralgewalt sinnvoll ergänzen. Formelhaft lässt sich das Verhältnis von Zentralisation und Dezentralisation auf die Frage verkürzen: Was kann dezentral behandelt werden, was muss zentral behandelt werden? Oder anders formuliert: Was nicht aus reichseinheitlichen Interessen oder übergeordneten Gesichtspunkten zentral organisiert werden muss, soll dezentral organisiert werden. Zuständigkeitshäufungen bei den Zentralstellen müssen deshalb vermieden werden, um die Kräfte des Regimes zu entlasten. Zur Durchsetzung der dezentral zu organisierenden Aufgaben bedürfe es der oben angesprochenen starken Zentralgewalt – aber eben auch nur dann, wenn die „Einsicht“ in die Notwendigkeit der angeordneten Maßnahmen bei den nachgeordneten Stellen nicht vorhanden ist. Zentralbehörden dürften sich grundsätzlich nur mit „wahren Führungsaufgaben“ befassen: dem Erlass von Reichsgesetzen, Verordnungen, Richtlinien oder sonstigen reichseinheitlichen Anordnungen und der Überwachung ihrer ordnungsgemäßen Durchführung und der grundsätzlichen Planung auf den verschiedenen Lebensbereichen, der Finanzierung reichswichtiger Aufgaben oder zentralen Personalplanungen. An der Spitze des Staates solle also eine starke Zentralgewalt, aber kein fachlicher Zentralismus stehen, der das gesunde Eigenleben der deutschen „lebensvolle(n) und lebensstarke(n) Gaue“215 gefährdet. Diese organische Synthese aus durchsetzungsfähiger Zentralgewalt und gaubezogener Dezentralisierung bilde eine der „wichtigsten Aufgaben der staats- und verwaltungsrechtlichen Neuordnung des Reiches.“216 Angesichts der erheblichen territorialen Ausdehnung des Deutschen Reiches schlussfolgert Stuckart, dass sich Zentralbehörden nur mit Grundsatzentscheidungen und Aufsichtstätigkeiten befassen sollen, alle anderen Aufgaben sollen in die Mittel- und Unterinstanz delegiert werden.217 Für eine zentralistische Verwaltung eigne sich das Deutsche Reich allein schon aufgrund seiner Größe, 215 216 217
Stuckart: Zentralgewalt, S. 5 Stuckart: Zentralgewalt, S. 5 Vgl. zur Forderung nach der Verwirklichung der Einheit der Verwaltung in der Mittelstufe auch Stuckart: Führung und Verwaltung, S. 13f.
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Bevölkerungszahl und Wirtschaftsstrukturen nicht mehr. Eine zentralistische Verwaltung wäre „ungesund“ und führe zu einer „Verödung des Lebens draußen im Lande“, zur „Verkümmerung der Landschaft“ und zu einer „Lebens- und Volksfremdheit der Entscheidungen“. Deshalb müsse ein Großstaat wie das Deutsche Reich, um die „Elastizität, Arbeitsfreudigkeit, Lebensnähe und Lebendigkeit seiner Verwaltung“ zu erhalten, eine weitgehende Dezentralisation anstreben und den Grundsatz berücksichtigen, die Verwaltungsexekutive so weit als möglich nach unten zu verlagern. Die Dezentralisierung solle soweit gehen, dass etwa der Rechtsmittelzug beim Reichsstatthalter in der Mittelinstanz der zu errichtenden Reichsgaue enden könne und dadurch die Zentralbehörden als Beschwerdeinstanzen entfielen.218 Dadurch würde neben den positiven Synergieeffekten die Volksnähe der Verwaltung und die „Initiative der Landschaft und des Volkes nutzbringend“219 gewährleistet. Ein Problem der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Zentral- und Mittelbehörden stellt die Dezentralisation auf finanziellem Gebiet dar. Sein Gedankengebäude stringent fortsetzend, plädiert Stuckart auch hier auf mehr Selbstständigkeit der Mittel- und Unterinstanzen. Die „Aufgabe und Bewährung“ der Reichsstatthalter und Oberpräsidenten liege deshalb darin, die ihnen zu Beginn des Haushaltsjahres zugewiesenen Finanzmittel sinnvoll und zweckentsprechend zu verwenden. Das Reich übe bei den Ausgaben durch Besichtigungen, Ergebnisberichte und Rechnungsvorlagen eine Kontrollfunktion aus. Das lief auf eine erhebliche Stärkung der Reichsstatthalter als den Führern der Gauselbstverwaltung und eine Aufwertung des Gauselbstverwaltungshaushaltes hinaus. Zusätzlich solle den Reichsgauen als Selbstverwaltungskörperschaften Reichseigentum (in Form von Eigentum, zur Verwaltung oder auch zur Nutzung) übertragen werden, das sie zur Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben benötigen und das Reich von der unmittelbaren zentralen Verwaltung seines Eigentums entlasten würden. Reichseinkünfte können – bis zu einem bestimmten Grad – ebenfalls dezentralisiert werden. Stuckarts Pläne laufen auf einen organischen Reichsaufbau hinaus, in dem die „deutsche Volkskultur […] landschaftliche(n) Zusammenhänge in reichem Maße herausgebildet“ habe und in ihnen „ein Gemeinschaftsgefühl“ erwachse, das „wertvollsten inneren Gehalt und stärkste Lebenskraft“220 besitze. Weitere Eckpfeiler des organisch gewachsenen, völkisch bestimmten 218
219 220
Stuckart betonte an mehreren Stellen, dass die Reichsgaue völlig neue mittelinstanzliche Territorialstrukturen darstellten, nicht nur abgewandelte Länder. (Vgl. Stuckart: Zentralgewalt, S. 8; ders./von Rosen-von Hoewel/Schiedermair: Staatsaufbau, S. 141f.) Stuckart: Zentralgewalt, S. 6 Stuckart: Zentralgewalt, S. 12
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Reichsaufbaus bilden die geographischen Gegebenheiten, die gemeinsam erund durchlebte Geschichte, weitgehend einheitliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen und Erfahrungsräume, die landschaftlichen Lebenseinheiten und landschaftsverbundenen Lebensgemeinschaften – kurz: Stuckart zimmert eine neue völkisch-radikale Staatstheorie und Staatsidentität, deren Ziel die „Weckung aller Kräfte der deutschen Nation“ sei. „Um aber alle Kräfte der deutschen Landschaft und des vielgestaltigen deutschen Volkstums zu mobilisieren und alle Quellen des deutschen Kraftstroms zum Fließen zu bringen, muß neben diesem straff durchorganisierten, ausschließlich aus Reichsmitteln finanzierten, im echten allgemeinen Reichshaushalt etatisierten reichswichtigen staatlichen Aufgabenbereich in der Stufe der Reichsgaue eine auf Grund eines Landschaftsetats freier und elastischer arbeitende, anpassungsfähige, regionale Selbstverwaltung auf wirtschaftlichem, sozialem, verkehrswirtschaftlichem und kulturellem Gebiet tätig sein.“221 Als wichtige Aufgabengebiete der regionalen Selbstverwaltung sieht Stuckart vor: die Finanzverwaltung (insbesondere die Verwaltung des Vermögens des Reichsgaues und die Bewirtschaftung seiner Einnahmen und Ausgaben); landschaftliche Kultur- und Gemeinschaftspflege und Landschaftsgestaltung, Volkspflege, Gesundheitsförderung und Leibesübungen; öffentliche Fürsorge, Landes-/Gau-Fürsorgeverband; Gaujugendamt, Jugendwohlfahrt, Jugendpflege; Förderung der Landwirtschaft, Förderung der Landeskultur, regionale Wasserwirtschaft; Förderung des Handels und der gewerblichen Wirtschaft, regionale Energiewirtschaft; Förderung der Verkehrswirtschaft, Kleinbahnen, Kraftverkehr, Flughäfen, Fremdenverkehrsförderung; Trägerschaft der öffentlichen Kredit- und Versicherungsanstalten; Förderung des Wohnungs- und Siedlungswesens; Errichtung und Unterhaltung gaueigener Gebäude und Straßenwesen; Planungswesen, Führung der Landes-(Gau-)Planungsgemeinschaft.222 Allen Bestrebungen, Aufgabengebiete aus der Selbstverwaltung herauszubrechen und Sonderverwaltungen zu übertragen, erteilt Stuckart eine scharfe Absage. „Nicht aus Machtgelüsten“, so formuliert er, „sondern aus zwingenden Gründen der Klarheit und Einfachheit der Organisation und des inneren Zusammenhanges und Zusammenklanges der Aufgaben der regionalen Selbstverwaltung muß es unumstößlicher Grundsatz sein, daß alle Aufgaben schaffender Natur, die nicht gesetzlich dem Reich (staatlicher Sektor des Reichsstatthalters oder Reichssonderverwaltungen) oder der berufsständischen Eigenverwaltung zugewiesen sind oder zu den politischen Führungsaufgaben der Partei gehören, einheitlich in der Gauselbstverwaltung zusammenzufassen sind. Alle Bestrebungen, 221 222
Stuckart: Zentralgewalt, S. 13 Vgl. Stuckart: Zentralgewalt, S. 15
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die auf eine Atomisierung der Verwaltung hinauslaufen, verdienen daher schärfste Abwehr“.223 Die Verwaltungsdezentralisation ergänzt in den Plänen des Staatssekretärs eine weitgehende Verlagerung wirtschaftlicher Aufgaben auf die Gauselbstverwaltungen. Eine zentralistisch durchgeführte Staatswirtschaft widerspräche dem nationalsozialistischen Staats- und Wirtschaftsleben, zumal angesichts der Erfüllung der wirtschaftlichen Aufgaben wertvolle Anregungen aus den Gauen kämen und nur diese eine enge Zusammenarbeit mit der „Volksgemeinschaft“ gewährleisten könnten. Damit ist keine Lösung der Wirtschaft von den reichsweit vorangetriebenen politischen, militärischen und ideologischen Zielsetzungen gemeint – das Gegenteil ist der Fall: Für eine Steigerung der Effizienz des Gesamtsystems und der „riesenhaften Aufgaben, die sich das Reich als Ordnungsmacht in Europa nicht nur vorübergehend, sondern voraussichtlich auf die Dauer vieler Jahrzehnte in- und außerhalb Europas“224 zu erfüllen habe, solle die planvolle Mitarbeit aller Glieder der Volksgemeinschaft genutzt werden, um die systemimmanenten Konzepte zu verwirklichen. Dafür schlägt Stuckart neue Wege vor, wie beispielsweise die Schaffung von (Wirtschafts- und Verwaltungs-)Beiräten analog zu den Gemeinderäten als Beratungsorgane des Bürgermeisters.225 Neben den vorangehend dargestellten, von den Reichsbehörden betriebenen und von Stuckart diesen vorgeworfenen Zentralisationsbestrebungen nennt er als weiteren Kritikpunkt am vorfindbaren Staatsaufbau die sich wechselseitig mit dem Zentralismus bedingende Zersplitterung in den Mittel- und Unterbehörden, die freilich zum großen Teil eine Erbschaft der Weimarer Republik sei.226 Aber auch der Ressortpartikularismus und systemimmanente Strukturprobleme werden als jene Kräfte benannt, die das Ziel Stuckarts, die Einheit der Verwaltung herzustellen, verhindern.227 Infolge des Fehlens einer einheitlichen Leitung könnten diese Instanzen – außer der Partei, ihren Gliederungen und angeschlossenen Verbände gab es in der Mittelstufe etwa 40 Behörden und Dienststellen, in der Unterstufe etwa 45 – in vielen Fragen eben keinen Interessenausgleich zwischen den einzelnen Verwaltungszweigen herstellen und dadurch würden die mittleren und unteren Instanzen ihrer we223 224 225
226 227
Stuckart: Zentralgewalt, S. 16 Stuckart: Zentralgewalt, S. 18 Vermutlich schwebte Stuckart die Bildung von Gauräten vor, wie sie mit dem „Ostmarkgesetz“ in den ehemals österreichischen Gebieten entstanden waren. Die Gauräte sollten sich in den Plänen Stuckarts aus allen Schichten der Bevölkerung zusammensetzen und dem Gauleiter/Reichsstatthalter beratend zur Seite stehen. (Vgl. Stuckart/Schiedermair: Staatsrecht II, S. 45) Vgl. Stuckart: Zentralgewalt, S. 19, 21 Vgl. dazu v.a. den Abschnitt „Der Grundsatz der Einheit der Verwaltung muss richtig verstanden werden“ (S. 26-28)
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sentlichen Funktion, eine „volksnahe Verwaltung“228 zu garantieren, nicht gerecht. Hier spart Stuckart nicht mit Kritik: „Der nationalsozialistische Staat hat mit dem ihm eigenen Schwung nicht nur den Allgemeinaufbau, sondern auch zahlreiche Sonderaufgaben in Angriff genommen und hat mit ihrer zentralen Durchführung eine Reihe von tatkräftigen verantwortungsfreudigen Männern betraut. Diese Männer haben, wie es natürlich ist, alsbald verkannt, daß ihre Aufgabe, für sich betrachtet, am schnellsten durch einen eigenen, von anderen Einflüssen möglichst unabhängigen Behördenapparat gefördert werden würde. Sie sind infolgedessen bemüht, sich einen solchen Behördenapparat zu schaffen. Dabei wird nicht genügend darauf gehalten, die notwendigen organisatorischen Beziehungen zu den benachbarten Verwaltungszweigen herzustellen. Gefördert wird diese Entwicklung noch dadurch, daß das Reich geeignete Behörden für eine Querverbindung in der mittleren Verwaltungsstufe zur Zeit nur in den Reichsgauen besitzt […] Diese Neigung zur Schaffung von Sonderbehörden und Vernachlässigung der Querverbindungen muß, wenn sie andauert, Schaden anrichten. Deshalb muß die Dezentralisation der Aufgaben von oben und die Schaffung einer einheitlichen Mittel- und Unterinstanz Hand in Hand gehen.“229 Die Nachteile der Behördenaufspaltung liegen Stuckart klar vor Augen: Behördeninflation, Behördenkrieg, Doppelarbeit und Leerlauf der Behörden, Unproduktivität der Behördenarbeit, Belastung der Bevölkerung durch „Behördenlauferei“, Verminderung der Rechtssicherheit durch die erhöhte Möglichkeit voneinander abweichender Entscheidungen, Verteuerung der Verwaltung, Aufblähung des Staatsapparates und letzten Endes Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regimeführung.230 Damit dient die Forderung nach einer Einheit der Verwaltung keinem Selbstzweck und blieb kein übertriebenes Prinzip eines um Einfluss ringenden Staatssekretärs im RMI, sondern verfolgt konkrete Ziele: die bessere Erfüllung der Verwaltungsaufgaben am Volk, die Vereinfachung des Staatsapparates, die Erhöhung der Effizienz der Gesamtverwaltung, die einheitliche Ausrichtung der Verwaltungsarbeit der verschiedenen Ressorts, der Interessenausgleich zwischen den Behörden, die Erleichterung des Behördenverkehrs mit der Bevölkerung und eine höchstmögliche Kräfte- und Finanzierungsökonomie und damit die Kostensenkung des Staatsapparates.231 228 229 230
231
Stuckart: Zentralgewalt, S. 19 Stuckart: Zentralgewalt, S. 20 1943 wandte sich Frick mehrmals an Lammers, um in der Umsetzung des Führererlasses über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8.1939 in drei Punkten den inneren Verwaltungsaufbau scharf zu kritisieren: die Zersplitterung der gesamten Verwaltung, die Parallelorganisation von Staat, Partei und Wirtschaft und den Zentralismus. (Vgl. BArch R43II/657, Bl. 21, 221-227, 231-233) Vgl. Stuckart: Zentralgewalt, S. 26
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In der Beseitigung der in der Verwaltungsorganisation selbstständig und unverbunden nebeneinander bestehenden, gleichgeordneten Sonderbehörden sieht Stuckart die Durchsetzung des vom Nationalsozialismus entwickelten Führerprinzips in der Verwaltung. Die meisten Aufgaben der Sonderbehörden könnten problemlos von der allgemeinen politischen Verwaltung erledigt und müssten ihr deshalb übertragen werden, um die immer wieder im Zentrum des Aufsatzes stehende „Geschlossenheit der Verwaltungsführung“ durchzusetzen. Die Notwendigkeit der Einheit der Verwaltung, so schlussfolgert Stuckart, sei eine zwangsläufige Folgerung aus der dem völkischen Staat zugrunden liegenden „Volksidee“ und dem darauf beruhenden organisatorischen, „organisch-biologische(n)“232 Ganzheitsgedanken. Die Einheit der Verwaltung solle vor allem – mehr noch als in der Unterstufe – in der Mittelinstanz erfolgen und durch einen einheitlichen Behördenaufbau und die Vereinheitlichung der Territorialgrenzen erreicht werden. In der Unterstufe solle der Landrat als politischer Beamter die Führung des Landkreises innehaben, die staatlichen Verwaltungsstränge bei sich bündeln und die Arbeit der Dienststellen im Landkreis nach denen für die politische Verwaltung geltenden Gesichtspunkten ausrichten. Gerade dadurch, dass sich die Gruppe um Stuckart, Best und Höhn233 in erster Linie als Kämpfer des Eliteordens der SS verstand und ihre Positionen von einer „reinen“, „wahren“ völkischen Lehre her entwickelte, konnte die Kritik an den bestehenden Herrschaftsausprägungen und -praktiken, die letzten Endes auf eine Kluft zwischen dem politisch-ideologisch Notwendigen, in dem nationalsozialistische Weltanschauung und rationaler Staatsaufbau sich eben nicht ausschlossen, und dem tatsächlich Vorfindbaren im NSSystem abzielte, so scharf sein.234 Die theoretische Systematisierung Stu232 233
234
Stuckart: Zentralgewalt, S. 30 Vgl. Werner Best: Grundfragen einer deutschen Großraum-Verwaltung, in: Festgabe, S. 33-60; ders.: Die deutsche Militärverwaltung in Frankreich, in: RVL I (1941), S. 29-76; Herbert Krüger: Der Raum als Gestalter der Innen- und Außenpolitik, in: ebd., S. 77-176; Roger Diener: Reichsverfassung und Großraumverwaltung im Altertum, in: ebd., S. 177-229; Reinhard Höhn: Großraumordnung und völkisches Rechtsdenken, in: ebd., S. 256-288; ders./Helmut Seydel: Der Kampf um die Wiedergewinnung des deutschen Ostens. Erfahrungen der preußischen Ostsiedlung 1886 bis 1914, in: Festgabe, S. 61-174; Werner Daitz: Echte und unechte Großräume, in: RVL II (1942), S. 75-96; Reinhard Höhn: Reich – Großraum – Großmacht, in: ebd., S. 97-226; Wilhelm Stuckart: Die Neuordnung der Kontinente und die Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Verwaltung, in: RVL 1 (1941), S. 3-28 „In seiner theoretischen Bedeutung ist der Grundsatz der Einheit der Verwaltung ernstlich nicht angefochten. Seine praktische Durchsetzung begegnet jedoch erheblichen Schwierigkeiten.“ (Stuckart: Zentralgewalt, S. 21; vgl. dazu auch Herbert: Best, S. 280)
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ckarts, sein Versuch der Begründung eines „organisch-völkischen“ Musterstaates und die damit verbundene Kritik an den realen Herrschaftsverhältnissen mussten letztlich aber vergeblich sein, weil es die Vielzahl der die Politik des NS-Regimes beeinflussenden Faktoren und Strömungen – Abneigung Hitlers gegenüber normativen staatlichen Regulierungen, militärische, wirtschaftliche, großmachtpolitische Interessen, Vorurteile, weltanschauliche Differenzen, Ansprüche einzelner Machtgruppierungen und Regionalfürsten, die Gleichzeitigkeit von normativem Instanzenzug der Behörden und Führerunmittelbarkeit als parallelen Herrschaftsprinzipien235 – auf ein einziges, stringentes, berechenbares Prinzip zurückgeführt und damit den Verlust von Radikalisierung und politischer Flexibilität bedeutet hätte.236 Vor diesen Rahmenbedingungen konstatierte Stuckart 1941, dass es „nicht einfach [ist], unseren Staatsapparat, insbesondere in seiner Ausrichtung auf den totalen Krieg, richtig zu würdigen.“237
3. Die Herausbildung regionaler quasistaatlicher Steuerungselemente und neuer „Staatlichkeitsformen“ am Beispiel des Gaues Thüringen Das ungeklärte Verhältnis von Staat und Partei238 bildete sicherlich eine der ursächlichen Antriebsfedern zur Herausbildung einer spezifisch nationalsozialistischen Staatlichkeit. Das Organisationsbuch der NSDAP widmet diesem elementaren Strukturproblem der inneren Herrschaftsorganisation gerade einmal etwas mehr als zwei Seiten, die im Folgenden kurz thematisiert werden sollen. Der Staat verfügte demnach über eine Ordnungsfunktion, übte als Verkörperung von Macht diese gegenüber den Mitgliedern der Staatsgemeinschaft aus und konnte vom Einzelnen die Anerkennung der Gesetze bei Androhung von Strafe verlangen. Im Staat konnten Menschen verschiedener Positionen, Gesinnungen und Anschauungen nebeneinander leben. Im Unterschied zum Staat verstand sich die Partei, entstanden aus dem „Kampf um die Weltanschauung“239, als eine Gemeinschaft Gleichgesinnter. Die Verschmelzung von Staat und Partei erschien in der Theorie denkbar, wurde gleichsam aber als Idealzustand betrachtet, der nur selten in der Geschichte erreicht wurde. Aus diesem Schwebezustand heraus verstand die Partei in der Theorie ihre Aufgabe darin, die politische Erziehung und den politischen 235 236 237 238 239
Auf diesen m.E. nach richtigen Herrschaftsbestand hat erstmals Gerhard Schulz (Maßnahmenstaat, S. 124-128) hingewiesen. Vgl. Herbert: Best, S: 289 Stuckart: Führung und Verwaltung, S. 12 Vgl. zum Wesen der Staatlichkeit das gleichnamige Kapitel bei Diehl-Thiele: Partei, S. 27-36 Organisationsbuch (1937), S. 486
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Zusammenschluss des deutschen Volkes durchzuführen und verband damit ihr Ziel: die „weltanschauliche Eroberung des deutschen Volkes“240. Für die dann entstandene Volksgemeinschaft bildete der Staat nur noch ein technisches Hilfsmittel: Folglich war die Partei „das Primäre, das der toten Materie immer wieder Leben und Lebenswillen gibt.“241 Eine Gefahr sah die Partei in der Verflechtung mit der Bürokratie und einer daraus resultierenden erstarrenden Parteibürokratie. Aus dem gewonnenen Kampf der Bewegung über das System der Weimarer Republik leitete die NSDAP die Aufgabe ab, „ihre Geistes- und Willensströme immer wieder in den staatlichen Apparat hineinzupumpen.“242 Und das Organisationsbuch gibt mit Blick auf die inneren Strukturen des Reiches unumwunden zu: „Wir sehen dieses Ringen um neue Staatsformen überall in der Welt. Jene seelenlose Zeit, wo Parteien lediglich ein Zeitprogramm vertraten und der Staat eine tote Maschinerie war, ist vorüber. Es war das Zeitalter des Materialismus. Im 20. Jahrhundert kämpfen die Völker um ihre Seele und ihren neuen Lebensstil, der sich naturnotwendig auch in den Staatsformen ausdrücken muß. Wir sehen dieses Ringen in Italien, Ungarn und Deutschland und in anderen Staaten. Nach jeder Revolution kämpfte die Bürokratie um ihre Stellung und siegte meistens. Die nationalsozialistische Revolution hat heute bereits den Kampf zwischen Bürokratie und Partei zugunsten der Partei entschieden. Daran ändern auch die Nachhutgefechte nichts.“243 Nach dem Führerwillen sollte das Verhältnis zwischen Staat und Partei auf unterschiedlichen Ebenen vernetzt werden: durch die Personalunion von Parteiführer und Reichskanzler, die Berufung des Stellvertreter des Führers zum Parteiminister, die in der Vorkriegszeit noch offen (zumindest im Organisationshandbuch) angestrebte Schaffung eines großen Senats als reiner Parteiinstitution und höchster Staatsstelle (nach dem Vorbild Italiens), in der Personalunion von Gauleitern und Reichsstatthaltern und in der Berufung von Parteibeauftragten in den Gemeinden, die über bestimmte Mitwirkungsrechte bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens verfügten.244 Die Staatsvorstellungen des Organisationsbuches bauten freilich auf Hitlers Gedanken in „Mein Kampf“ auf, der den Staat als Mittel zur Durchsetzung der völkischen Rasseideen, als Mittel zum Zwecke, als Gefäß für den Inhalt „Rasse“ betrachtete.245
240 241 242 243 244 245
Organisationsbuch (1937), S. 487 Organisationsbuch (1937), S. 487 Organisationsbuch (1937), S. 487 Organisationsbuch (1937), S. 487 Vgl. Organisationsbuch (1937), S. 487f. Vgl. Adolf Hitler: Mein Kampf, 26. Aufl., München 1933, S. 425-488
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Bei der Suche nach der spezifischen nationalsozialistischen Staatlichkeit müssen die vorangehend untersuchten theoretischen Konstrukte führender NS-Theoretiker, -Politiker und -Ideologen auf ihre Umsetzung und Umsetzbarkeit hin überprüft werden. Es ist der Frage nachzugehen, ob, in welchem Maße und in welchen Spannungsverhältnissen sich die Konzepte in der Praxis realisieren ließen oder ob das NS-Regime andere Ansätze und Strukturen einer „neuen Staatlichkeit“ jenseits der theoretischen Fundierung herausbildete. Rüdiger Hachtmann hat in seinem bemerkenswerten Aufsatz zur „Staatlichkeit“ im „Dritten Reich“ das Webersche Konzept der „charismatischen Herrschaft“246 auf die inneren Strukturen des Nationalsozialismus hin überprüft und ist zu interessanten Ergebnissen gekommen.247 Hachtmann konstatierte idealtypisch für die NS-Zeit vier Grundtypen des „charismatischen Jüngers“: erstens die Chefs der NS-Massenorganisationen (Himmler, Ley u.a.), zweitens die von Hitler unmittelbar beauftragten Sonderkommissare (Todt, Speer, Goebbels, Göring, Himmler, Sauckel, Brandt u.a.), drittens die NSDAPGauleiter und viertens die personellen Spitzen der Sondergewalten in den Regionen des im Krieg vom NS-Regime besetzten Europas (soweit ihnen die unmittelbare – formelle oder informelle – Beauftragung durch Hitler vorausging). Für den Untersuchungsbereich ist der Blick auf den Gauführer Sauckel allemal sinnvoll und trägt zu weiteren Erkenntnissen bei. Für den Gau Thüringen, der seit 1936, in weiteren Schüben vor allem in der Kriegszeit funktionell ausgeweitet wurde, dominierte der Gauleiter, Reichsstatthalter, Stiftungsführer der Gustloff-Stiftung, RVK, Gauwohnungskommissar und seit 1942 mit der Ernennung zum GBA in den engeren Führungskreis des Reiches aufgestiegene, kulturell ambitionierte Fritz Sauckel die politische, staatliche und in Teilen auch die wirtschaftliche Regionalpolitik mit dem Ziel, den Gau Thüringen zu einem rassisch ausgerichteten, rüstungswirtschaftlich geprägten Schutz- und Trutzgau und einem „vorbildlichen“ NS-Gau um- und auszubauen. Welche Ziele und Handlungsweisen prägten ihn? In welchem Maße griff Sauckel in die Gau-Regionalpolitik ein und formte ihre Ausrichtung? Welche neuen Formen von Herrschaft und Staatlichkeit kennzeichneten den Gau Thüringen? Der stark kulturpolitisch ambitionierte Sauckel griff in deutlich stärkerem Maße als andere Gauleiter in die regionale Kultur- und Wissenschaftslandschaft ein und nutzte die Kulturpolitik zum Austragen von Machtkämpfen 246 247
Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Paderborn o. J., S. 214-305 Vgl. Rüdiger Hachtmann: „Neue Staatlichkeit“ im NS-System – Überlegungen zu einer systematischen Theorie des NS-Herrschaftssystems und ihrer Anwendung auf die mittlere Ebene der Gaue, in: John/Möller/Schaarschmidt (Hg.): NS-Gaue, S. 56-79
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mit den gauinternen Konkurrenten Wächtler und Ziegler. Die bereits unter Frick völkisch orientierte Jenaer Universität wollte Sauckel, hier in enger Zusammenarbeit mit der Universitätsleitung und den Kultur- und Wissenschaftseliten im Gau, in eine stark an die SS angelehnte, rassisch ausgerichtete Hochschule transformieren. Gerade in den Vorkriegsjahren, insbesondere in der Stabilisierungsphase des Regimes 1933/35, bildete die von Sauckel besetzte Kulturpolitik einen wichtigen Schlüssel für die Integrationsangebote der bürgerlichen Eliten. Nicht zuletzt das Schiller-Jahr 1934, das hochrangige Parteiprominenz, an der Spitze Hitler, nach Weimar führte, sorgte für ein nachhaltiges Prestige des Gauleiters. Sauckel war Angehöriger der von Peukert so genannten „Frontgeneration“, geprägt durch Krieg und Kriegsgefangenschaft und einer damit verbundenen (mentalen) Radikalisierung und Militarisierung, der die regionale Gaupolitik nach seinen Vorstellungen umzugestalten versuchte und dabei über die Ausbildung von gaubezogenen Netzwerken die Integration der Eliten in Wirtschaft, Verwaltung, Kultur und anderen Bereichen in das NS-System vorantrieb. Obwohl einer der „Alten Kämpfer“ in der Partei, zeigte er stark technokratische Züge, die ihm zum Karrieresprung 1942 verhalfen, zumal er recht großes Ansehen bei Hitler248 und dem engeren Führungszirkel genoss.249 Nach seiner Ernennung zum Gauleiter 1927 und der Beilegung des Streites mit der SA-Führung in Thüringen gelang es Sauckel recht schnell, Ruhe in die Organisation zu bringen und die Gauleitung auf sich auszurichten. Gegenüber gauinternen Konkurrenten wie Wächtler oder Ziegler konnte sich der machtbewusste Sauckel bis spätestens 1936 durchsetzen und ein auf ihn 248 249
Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 199 Vgl. die Tagebucheinträge von Goebbels (Tagebücher). Goebbels äußerte sich an einigen Stellen positiv über Sauckel, den er schon frühzeitig als einen der radikalen und energischen Nationalsozialisten betrachtete. „Sauckel sprach gut über Thüringer Politik.“ (Eintrag vom 20.1.1931, Teil I, Bd. 2/I, S. 349) „Sauckel zeigt mir NeubauEntwurf vom Elephanten in Weimar. Sehr gut geworden.“ (Eintrag vom 29.6.1937, Teil I, Bd. 4, S. 201) „Leistungsschau des Gaues Thüringen seit 1932. Sehr gut und instruktiv aufgemacht. Ein Meisterstück. Sauckel ist ein Prachtkerl.“ (Eintrag vom 1.11.1937, Teil I, Bd. 4, S. 386) „Sauckel kommt zu Besuch. Er zeigt die Stoffergebnisse, die aus Kartoffelkraut gewonnen sind. Einfach großartig. Das ist eine Zukunftsaufgabe von unschätzbaren Ausmaßen.“ (Eintrag vom 2.9.1939, Teil I, Bd. 6, S. 69) „Sauckel will eine Gesellschaft der Freunde Weimars gründen, deren Präsidium ich übernehmen soll. Ich sage das zu. Die Aufgabe interessiert mich und Sauckel ist ein feiner Kerl.“ (Eintrag vom 16.8.1940, Teil I, Bd. 8, S. 274) „Sauckel betreibt in Weimar eine durchaus würdige und dem Zweck entsprechende Repräsentation.“ (Eintrag vom 26.10.1941, Teil II, Bd. 2, S. 186) „Sauckel ist zum Reichsbeauftragten für den Arbeitseinsatz ernannt worden. […] Zweifellos wird hier eine starke nationalsozialistische Hand Wunder wirken.“ (Eintrag vom 28.3.1942, Teil II, Bd. 3, S. 568)
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ausgerichtetes Gauführungskorps aufbauen, das im Krieg eine erhebliche Ausdehnung der Aufgabenbereiche erfuhr. Beispielsweise setzte sich der Stab des GBA zum Großteil aus den Mitarbeitern Sauckels in Thüringen zusammen. Die Gauleitung dominierte er als Gauleiter mit guten Kontakten zur Reichsführung, personell schuf er sich im Gau Thüringen ein engmaschiges Netz aus fähigen Vertrauten und rekrutierte vor allem junge und gut ausgebildete Organisatoren und Technokraten. Die Personalangelegenheiten der Mitglieder der Gauleitung lagen allein bei ihm.250 Das engere Gauführungskorps übernahm seit 1939 wichtige Funktionen, die im Falle des RVK-Amtes weit über die Grenzen des Gaues hinausreichten. So setzte sich der Stab Sauckels als RVK für den WK IX zum überwiegenden Teil aus seinen Vertrauten aus Thüringen zusammen. Die Vernetzung wies über den Bereich der Partei hinaus. Gute Kontakte bestanden zu den regionalen Wirtschaftsführern, mit denen die Gruppe um den Gauleiter die „Arisierung“ des Simson-Konzerns durchführte. Die wirtschaftlichen Kontakte liefen personell über den GWB Eberhardt, den Vorsitzenden der Wirtschaftskammer Thüringen, Dr. Thiel, den Nachfolger Eberhardts, Dr. Schieber, den Vorstandvorsitzenden der Gustloff-Werke, Beckurts, den Geschäftsführer der Industrie-Abteilung, Dr. Mevius, und andere Spitzenvertreter. Institutionell verankert wurde diese personelle Vernetzung in der Wirtschaftskammer, der Industrie-Abteilung, in der späteren GWK und in der Rüstungskommission. Gute Kontakte bestanden daneben zur Wehrmacht und den ihr bis 1942 nachgeordneten Rüstungsdienststellen. Die Kontrolle des Gustloff-Konzerns behielt sich Sauckel als Stiftungsführer selbst vor. Gerade über die rüstungswirtschaftlichen Ambitionen des Gauleiters im Besonderen und der Gauführung im Allgemeinen entstand eine von Partei- und Wirtschaftsseite akzeptierte Kooperation, die sich zwar nicht im konfliktfreien Raum abspielte, aber es bestand Einigkeit in der Zielorientierung. Zwischen 1933 und 1939 spielten sich diese milieubezogenen Netzwerke um den Gauleiter ein und nutzten die Zeit zum „Experimentieren“. Seit 1937, vor allem aber unter den Anforderungen des Krieges stellten sie ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis. Regelmäßige Treffen mit dem Gauleiter dienten der Organisation, Koordination und Abstimmung über das Wie der Durchführung der Aufgaben im Gau. Dass Sauckel hier nicht über bestehende Beziehungen oder Abläufe hinweggehen konnte, versteht sich von selbst. Aber es hat den 250
Vgl. Geschäftsordnung für die Gauleitung Thüringen der NSDAP, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 4, n. pag. Der Komplex der Netzwerke um oder auch neben Sauckel muss dringend untersucht werden, da hier ein Schlüssel zum Verständnis von Politik und zum Verhältnis der Bereiche Partei, Staat und Wirtschaft in Thüringen liegt.
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Anschein, dass er, der auf eine wenig erfolgreiche berufliche Karriere verweisen konnte, die Integration der Wirtschaftsführer in die Regionalpolitik zumindest in weiten Teilen bewerkstelligen konnte. Das mag auch daran liegen, dass es weitaus weniger Widerstand in der Wirtschaft zu brechen galt als in anderen Regionen des Reiches und sich die Fricksche „Experimentierzeit“ 1930/31 als stilbildend und formend erwiesen hatte. Unter Sauckel verloren stark formalisierte, traditionelle bürokratische Verwaltungen mit klaren überpersönlichen, institutionalisierten Regulierungen, eben die anerkannten Orte von Politik und Verwaltung, an Bedeutung: das Parlament in Thüringen, das Anfang Mai 1933 das „Ermächtigungsgesetz“ verabschiedete, versank in der Bedeutungslosigkeit und wurde mit dem „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches“ am 30.1.1934 aufgelöst. Bedeutsamer als die gleichgeschaltete Landesregierung wurden für Sauckel andere Kommunikations- und Herrschaftskanäle, was nicht bedeutet, dass die bisher bestehenden vollständig zum Erliegen kamen oder aufgelöst wurden. Aber der Verzicht auf traditionelle, oft zeitaufwendige Amts- und Organisationswege bildete eine Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit des Gaues Thüringen bei der Bewältigung der Kriegsanstrengungen vor allem in der zweiten Hälfte. Zu diesen formellen und informellen Kanälen zählen die zahlreichen Treffen des Gauleiters mit den Vertretern der Wirtschaftsführung des Gaues und seit 1939 vor allem die Sitzungen in seiner Funktion als RVK. Diese Treffen nutzte Sauckel, die unterschiedlichen Herrschaftsträger zusammenzuführen, Konflikte aus dem Weg zu räumen und sich einer weitgehenden Einigkeit zu versichern. Der RV-Ausschuss gewann in dem Maße an Bedeutung für Sauckel, in dem sich die Kriegslage seit 1941/42 zugunsten der deutschen Kriegsgegner wandelte. Dem RV-Ausschuss mit Sauckel an der Spitze fiel im Grunde die Organisation eines wesentlichen Teiles der „Heimatfront“ und damit ein Aufgabenbereich riesigen Ausmaßes zu, zumal sich seit 1943 die Evakuierungsfrage zu einem ausgewachsenen Problem im „Altreich“ entwickelte. Inwiefern sich bereits in der Phase 1939/42, in der der RV-Ausschuss auf den großräumigen WK IX ausgerichtet war, gaubezogene Aktivitäten nachweisen lassen, bedarf einer genaueren Prüfung. Sie sind aber insofern anzunehmen, da Sauckel in Thüringen mit weitaus weniger Widerstand rechnen und auf seine eingespielten Beziehungen setzen konnte. Auf der anderen Seite war er durchsetzungsfähig und -willig genug, die ihm übertragenen Aufgaben auch gegen den Willen etablierter Institutionen durchzuführen. Im RV-Ausschuss für den WK IX zeigt sich, dass auf die „alten“ Gauleiterbande Verlass war, denn Sauckel arbeitete ausgesprochen gut mit Sprenger zusammen und unterstützte seinen Gauleiterkollegen bei dessen Herrschaftsplänen in Hessen-Nassau.
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Regelmäßig lud Sauckel die Kreisleiter, Landräte und Oberbürgermeister ein, um den Informationsaustausch zwischen der unteren und mittleren Ebene zu aktualisieren, die Funktionsträger und die ihnen nachgeordneten Apparate in die sich rasant wandelnden Aufgaben einzuweisen und auf Linie zu bringen. Denn sie waren es, die vor Ort die Umsetzung der Richtlinien Sauckels durchführten und verantworteten und weit mehr als die Reichsführung oder auch der Gauleiter mit den Problemen und Stimmungen „an der Basis“ konfrontiert wurden. Vergegenwärtigt man sich noch einmal die zahlreichen Ämter und Funktionen, die Sauckel bekleidete, dann muss allein schon aus dieser organisatorisch-fachlichen Vielfalt der Aufgaben und aus der Sicht des Gauführers heraus der Verzicht auf traditionelle Verwaltungsarbeit und administrative Wege gleichsam Voraussetzung und Folge der Herausbildung neuer Herrschaftsmechanismen und Kommunikationsformen sein. Sauckel konnte angesichts des Umfangs der Aufgaben, die ihn persönlich und den Gau Thüringen sachlich betrafen, einfach keine zeit- und organisationsintensiven Wege gehen und dies umso mehr, je länger der Krieg dauerte. Die sich neu herausbildenden und tendenziell an den Gau- und Reichsleitertagungen orientierenden Kommunikationsforen verdrängten die bestehenden eingespielten, traditionellen Verwaltungen nicht, wenngleich deren Bedeutung sank. Informelle Beziehungen und neue Gremien im Gau Thüringen bildeten jene Orte, an denen Politik gemacht wurde. Die Personalunionen Sauckels und die Schaffung und Ausprägung neuer informeller und formeller Informations- und Organisationskanäle unter der Regie des Gauführers trugen zur inneren Verklammerung der Herrschaftsebenen des Regimes im Gau Thüringen bei. Die innere regionale Vernetzung des Regimes über die skizzierten unterschiedlichen Mechanismen trug erheblich zur rüstungs- und kriegswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Gaues bei. Gerade weil im Gau Thüringen eine weitgehende Konsensbildung zwischen den verschiedenen Apparaten und deren Führungspersonal möglich war und dadurch die integrativen Kräfte die von der Reichsebene ausgesandten polykratischen Impulse abzufedern vermochten, war die offensichtliche Leistungsfähigkeit überhaupt möglich. Bernhard Gotto hat in einem bemerkenswerten Aufsatz die Forschung darauf aufmerksam gemacht, dass die Effektivität und Dynamik der NS-Herrschaft nicht trotz, sondern durch polykratische Herrschaftsstrukturen generiert wurde und den scheinbar chaotischen Zuständen auf Reichsebene erhebliche integrative, das Konfliktpotenzial kanalisierende und auf Konfliktlösung abzie-
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lende regionale Kräfte entgegenstanden.251 Mehrere Faktoren bildeten eine relative, vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsansätze und -ergebnisse so nicht erwartete Systemstabilität in der regionalen Dimension aus: Personalunionen, Einschaltung übergeordneter Instanzen zur Lösung von Konflikten, eigenmächtiges Vorgehen im Sinne des Regimes und Regulierungsmechanismen, die allen Beteiligten die Möglichkeiten zur Zustimmung gaben.252 Daneben entstanden mit neu errichteten regionalen und lokalen Sonderbehörden Steuerungsinstanzen, die ein Auseinanderbrechen der politischen und gesellschaftlichen Bereiche verhinderten. Gotto hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die unterhalb Hitlers tobenden Unruhen unter den Funktionären und ihren Apparaten durch zwei ausgleichend wirkende Pole eingerahmt wurden: einerseits durch die alles überragende Autorität Hitlers an der Spitze des Reiches und durch die in der regionalen Ebene agierenden Verwaltungseinheiten.253 In den Stäben findet sich wiederum das System der Personalunionen, das, vom Gauleiter vorexerziert, sich offenbar als dringend notwendig erwiesen hatte und deshalb auch auf anderen Ebenen und bei wichtigen Funktionären zu finden ist. Die Ausbildung „charismatischer Stäbe“, die in der Vorkriegszeit bereits einsetzte, erfuhr im Krieg eine neue Qualität. Diese Stäbe lassen sich auf unterschiedlichen Aktionsfeldern von Staat, Partei und Wirtschaft im Gau Thüringen nachweisen: Der Ausschuss für technische Leistungssteigerung mit einem „engeren Kreis“ als Führungsorgan führte bereits 1939 die wichtigsten der mit der Kriegswirtschaft befassten Behörden an einen Tisch und wirkte hierbei sicherlich stilbildend und richtungsweisend. Der 1942 errichtete Gaueinsatzstab trug der gewachsenen Bedeutung der Luftkriegsbedrohung Rechnung und führte Vertreter der Gaubehörden zusammen. Das LEA Thüringen rief in der zweiten Kriegshälfte informelle Treffen der – grob gesehen – mitteldeutschen LEÄ/PEÄ ins Leben, die auf großen Zuspruch stießen und trotz heftiger Reaktionen seitens des RMEL zu wichtigen Koordinationsgremien in der Kriegsernährungswirtschaft heranwuchsen. Und zwischen der IndustrieAbteilung und der DAF kam es 1943/44 nach heftigen Auseinandersetzun251
252 253
Vgl. Bernhard Gotto: Polykratische Selbststabilisierung. Mittel- und Unterinstanzen in der NS-Diktatur, in: Hachtmann/Süß (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 28-50; ders.: Stabilisierung von unten. Die Personalpolitik der Stadtverwaltung Augsburg 19331939, in: Sabine Mecking/Andreas Wirsching (Hg.): Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft, Paderborn u.a. 2005, S. 23-49; zur Forderung nach einem offenen Forschungskonzept für den Bürokratiebegriff Gruner/Nolzen: Editorial Vgl. Gotto: Selbststabilisierung, S. 36 Vgl. Gotto: Selbststabilisierung, S. 48
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gen zu einer informellen Übereinkunft, die reichsweit für Furore sorgte und als richtungsweisendes Organisationsmodell für die Zusammenarbeit und Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen RGI und DAF angesehen wurde. Die beiden einflussreichsten Zentren der Gauorganisation bildeten der RVAusschuss und die Rüstungskommission IX b. Der RV-Ausschuss, zwischen 1939 und 1942 auf den Wehrkreis ausgerichtet, war zunächst von untergeordneter Bedeutung und recht schwerfällig. Mit seiner Anpassung an den Gau Thüringen im Spätherbst 1942 verlor er ein Drittel seiner Mitglieder, wurde flexibler und durch die Ausrichtung auf den Gau konnte er sich besser den gewandelten Aufgaben zuwenden. Im Ausschuss dominierten der Gauleiter und dessen enger Führungskreis. Der Aufgabenbereich des Ausschusses gewann in dem Maß an Bedeutung, je spürbarer die Kriegseinwirkungen wurden. Die Kommission als akzeptierter, zwischen 1942 und 1944 funktionell expandierender und personell ausdehnender Kern war das kriegswirtschaftliche Organisationszentrum, dessen Mitglieder in engem Kontakt zueinander standen. Gemeinsam sind dem RV-Ausschuss und der Rüstungskommission das durchgesetzte Führerprinzip, das flankiert wurde von einem hohen Maß an Kooperationsbereitschaft und Absprachen. Das vielerorts zitierte Ämterchaos und der Wirrwarr an Kompetenzen dürfen gerade in der regionalen Dimension des Gaues Thüringen nicht überbewertet werden. Dafür sind vor dem Hintergrund der „Stäbe“ mehrere Gründe ausschlaggebend. Der persönliche Kontakt, das Sich-Kennen seit der Vorkriegszeit spielte eine größere Rolle als bei den Berliner Zentralbehörden. Das Personal der „Stäbe“ hatte sich bereits in der Vorkriegszeit herausgebildet und an den entscheidenden Weichenstellungen für die Kriegsvorbereitung mitgewirkt. Dieses eingespielte Verhältnis federte zahlreiche Konflikte der Reichsebene, die auf die Mittelinstanzen ausstrahlten, ab bzw. kanalisierte diese. Auf den Ebenen von Staat, Partei und Wirtschaft hatten die Funktionäre über Personalunionen komplexe Beziehungsverhältnisse ausgebildet und verstanden diese zu nutzen. Dass es bei den unterschiedlich gelagerten Interessen zu Konflikten kam, steht außer Frage. Aber die Konfliktfähigkeit wirkte dynamisch, indem durch sie neue Konzepte gefunden und Wege beschritten wurden. Sicherlich gab es „starke“ und „schwache“ Behörden in der regionalen Gauorganisation, vor allem im Bereich der Wirtschaft. Von der relativen Schwäche des BWA IX b profitierten die Organe der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, die Rüstungsdienststellen und v.a. die Rüstungskommission IX b. Aber dieses Modell hilft nur partiell weiter, zumal auf diesen Ebenen weniger über Inhalte von Politik, als über die Wege und Formen der Umsetzung gestritten wurde. Durch die Einbindung bedeutender Entscheidungsträger, die über genü-
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gend Autorität verfügten, gelang es im Gau Thüringen, ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Effizienz bei der Durchführung der Aufgaben zu erreichen. Dass mit zunehmender Kriegsdauer und aufgrund der Feindeinwirkungen im Gau Thüringen die Entscheidungen zunehmend selbstständig getroffen wurden, liegt auf der Hand. Für die handelnden Akteure und Instanzen führte dieser Umstand zu eigenständigen Konzepten und expandierenden Kompetenzen. Bei der Beseitigung der Schäden nach einem Luftangriff konnte nicht erst Berlin benachrichtigt werden, hier war schnelles, sicheres und zielorientiertes Handeln gefragt. Die zu treffenden Entscheidungen mussten zeitnah und vor Ort getroffen werden. Aufwendige und zeitintensive Kommunikationskanäle hätten die Betroffenen verunsichert und wären der Bevölkerung wohl kaum vermittelbar gewesen bzw. von dieser verstanden worden. Neben dem Gaueinsatzstab, der 1942 vor dem Hintergrund der gewandelten Luftkriegssituation entstanden war, schuf die Erhebung Thüringens zum Evakuierungsgau den regionalen Instanzen erhebliche Handlungsspielräume. Vor allem in der zweiten Kriegshälfte wurden Firmen und Behörden nach Mitteldeutschland verlagert und mit dem Näherrücken der Front stieg die Zahl der Umquartierungen exponential an. Die damit verbundenen Probleme der Unterbringung und Versorgung mussten zeitnah und vor Ort bearbeitet werden. Und damit erhielten die mit der Umquartierung beauftragten staatlichen und parteilichen Akteure erhebliche Kompetenzen. Sie trugen mit der Zuweisung von Quartieren, der Lebensmittelversorgung etc. in hohem Maße zur Sicherung der „Heimatfront“ und zur lokalen und regionalen Systemstabilität bei. Institutionelle Verantwortlichkeiten und Verankerungen traten in den Hintergrund bzw. wurden aufgeweicht. An ihre Stelle traten formelle und informelle Absprachen, persönliche Loyalitäten und die bereits aufgezeigten Ämterhäufungen. Gleichsam zwischen Staat und Partei entstanden Kräftefelder, die die neuen Aufgaben absorbierten. In diesem Spannungsfeld lagerten sich, je nach Fall, die exekutiven Befugnisse an staatliche und parteiliche Instanzen und Autoritäten an und breiteten sich aus.
TEIL 2
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I. Die Durchführung der Evakuierungen bis 1941/1942 Am 28.11.1944 ging im Amt für Volkswohlfahrt der Gauleitung Thüringen ein Telegramm des Hauptamtsleiters der NSV-Reichsleitung im Amt für Volkswohlfahrt, Oberbefehlsleiter Hilgenfeldt, ein, das appellativ und prägnant das Aufgaben- und Problemfeld der Umquartierungen in den Regionen umriss: „Die Entwicklung der Lage erfordert in erhöhtem Maße Räumungen und Umquartierungen. Auf diese Situation müßen sich die Aufnahmegaue voll und ganz einstellen. Aufnahmegaue müßen grundsätzlich alle an sie geleiteten Flüchtlingstransporte und auch Einzelflüchtlinge aus Regelzügen, notfalls auch über das bisher festgesetzte Aufnahmesoll hinaus, in jedem Falle aufnehmen und vorläufig unterbringen. Jedes Abschieben von Transporten sowie zielloses Weiterleiten anrollender Transporte untersage ich grundsätzlich. Alle Aufnahmegaue befinden sich in gleicher Lage und stehen vor gleichen Schwierigkeiten. Das Handeln der Aufnahmegaue muß berücksichtigen, daß es sich um Transporte mit geflüchteten Menschen und nicht mit irgendwelchen Materialien handelt. Grundsätzlich können bei Aufnahme auch keine Atempausen eingelegt werden, weil es solche auch nicht an der Front und im Luftkrieg gibt. Ich erwarte von jedem Gauamtsleiter den letztverantwortlichen Einsatz.“1 Erste Vorläufer der großen Flüchtlingsströme der Jahre 1944/45 waren die Evakuierungsmaßnahmen für Teile der Bevölkerung im Westen des Reiches infolge der außenpolitischen Konstellation des Jahres 1939.2 Zum Schutz vor angenommenen Kampfhandlungen an der deutsch-französischen Grenze evakuierte die NS-Führung Teile der Bevölkerung der Gaue Baden und Pfalz im Sommer 1939 vorübergehend in das Innere des Reiches. Die Durchführung dieser Aktionen lag, ebenso wie die Rückführung der Bevölkerung nach dem Frankreichfeldzug, maßgeblich bei den Gauen.
1 2
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 90 Vgl. Katja Klee: Im „Luftschutzkeller des Reiches“. Evakuierte in Bayern 1939-1953: Politik, soziale Lage, Erfahrungen (=Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 78), München 1999.
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Schon 1939/40 wurde Thüringen aufgrund seiner geografischen Lage zum Evakuierungsgau3 für die Saarbevölkerung erklärt, da die NS-Führung dort den Einmarsch französischer Truppen infolge des Beistandspaktes mit Polen erwartete. Ebenso sollten Teile der Einwohnerschaft Hamburgs nach Thüringen evakuiert werden, da die Stadt infolge alliierter Bomberangriffe besonders luftschutzgefährdet war. Die tendenzielle Gauausrichtung der Evakuierungen in der ersten Kriegshälfte überwölbte und ergänzte die Wehrkreisausrichtung. Für den Wehrkreis IX wurden 1941 Kapazitäten für 400.000 Evakuierungen errechnet.4 Noch vor der am 16.11.1942 vollzogenen Anpassung der RV-Bezirke an die Gaugrenzen setzten sich die Parteigaue als Evakuierungseinheiten durch und die Initiative lag im Wesentlichen bei den Gaufunktionen.5 Die ersten Bergungszüge trafen bereits in der Nacht vom 2./3.9.1939 im Gau Thüringen ein. Die Zahl der Evakuierten stieg sprunghaft von Tag zu Tag an.6 Die sog. „wilde Wanderung“7, das ziellose Herumziehen, zum Teil bedingt durch mangelnde oder schlechte Unterkünfte, selbstständig unternommene Versuche einiger Bevölkerungsteile, den Gau Thüringen „auf eigene Faust“ Richtung Heimat zu verlassen, und das bisweilen gespannte Verhältnis zwischen einheimischer und evakuierter Bevölkerung führten zu Schwierigkeiten aufgrund fehlender Integrationsbereitschaft und -angebote und der wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Belastungsfaktoren.8 Als im
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5 6
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Vgl. zur Rolle Thüringens als Evakuierungsgebiet den kurzen Überblick bei Patze/Schlesinger: Thüringen, S. 548; knapp bei John: NS-Gau, S. 52 und Anm. 203; zur Wohnraumgewinnung im Zuge der Evakuierungen BArch NS6/378 und zu Wohnungsräumungen in Thüringen 1940/41 BArch NS6/554 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 29, Bl. 1. Anders Müller (Speer und die Rüstungspolitik, S. 362), wonach der Gau Thüringen im Januar 1941 neben den Gauen Württemberg-Hohenzollern und Brandenburg zu den drei Gauen im Reich zählte, der mehr als 500.000 Umquartierungen zu schultern hatte. Vgl. zum Kompetenzzuwachs der Gauleiter durch Evakuierungsmaßnahmen Hüttenberger: Gauleiter, S. 169-172 2.9. 2.153 Evakuierte, 3.9. 2.669, 4.9. 2.991 5.9. 31.219, 6.9. 8.366, 7.9. 9.986, 8.9. 6.984, 9.9. 10.929. Bis zum 25.9.1939 hatte sich die Zahl bis auf 86.605 sog. „Zurückgeführte“ erhöht. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 14 Bl. 30f.); vgl. zur Verteilung der Evakuierungen auf die einzelnen „Bergungskreise“ sehr detailliert ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 23, Bl. 7-88; ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 15-17 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 6, Bl. 135-138 Die Spannungen waren derart stark, dass die Gauleitung Thüringen im Herbst 1939 eine Kreisleitertagung unter Beteiligung der Landräte und Oberbürgermeister einberu-
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Frühjahr 1942 nach Luftangriffen auf Rostock eine nicht gesteuerte Binnenwanderung einsetzte und sich „Volksgenossen“ ohne Abreisebescheinigungen in Thüringen ansiedelten, ordnete das Thüringische Innenministerium umgehend deren Rückführung an.9 Die Maßnahmenkoordination vor Ort lag zunächst bei den Oberbürgermeistern und Landräten, die mit den unteren Behörden von NSV, Nbv und Reichsbahnverwaltung zusammenarbeiteten. Bis 1941 wurden etwa 85.900 Saarländer in Thüringen untergebracht und auf die Stadt- und Landkreise im Gau verteilt.10 Aufgrund der kriegsbedingten Lage rechnete man im Gau Thüringen mit insgesamt 157.000 Saarländern und 57.000 Hamburgern. Die Gauführung schnitt die Evakuierung auf die Stadt- und Landkreise zu. Im Falle der Überlastung verpflichtete sie die Kreise, kooperativ eine Problemlösung zu finden und die organisatorischen und sozialen Spannungen abzufedern. Vorsorglich ließ Sauckel für den Fall nicht ausreichender Kapazitäten vor Ort für die Aufnahme der Flüchtlinge „Bergungsgebiete“ im Umkreis zuweisen. Die hektischen Vorbereitungen wurden vom RVK, dem Thüringer Innenministerium (Ortlepp), der NSV (Gauhauptstellenleiter Danz), dem Nbv (Regierungsrat Raeber) und der Reichsbahndirektion Erfurt (Dr. Ing. Troitzsch) koordiniert. Die Beteiligung der Gauspitzen verweist auf die hohe Bedeutung, die der Evakuierungsfrage zukam. Die Aufnahme der Saarbevölkerung führte zu erheblichen Widerständen und Schwierigkeiten bei der Unterbringung bei den unteren Behörden11 und wirtschaftlichen Schieflagen – Thüringen wurde regelrecht „ausverkauft“ –, so dass ein großer Teil der vom Einzelhandel nachbestellten Waren verteuert in die Läden kam. Die Preisfrage wurde damit zu einem akuten Problem in Thüringen, da zum gleichen Zeitpunkt ein Lohnstopp12 verhängt wurde, als die Verteuerung der Waren einsetzte und damit ein neuralgischer Punkt der Glaubwürdigkeit des Regimes zur Sprache kam.13 Die Evakuierungsfrage umfasste nicht nur Zivilpersonen, sondern ganze Behördenapparate wurden aus dem Saarland nach Thüringen verbracht.
9 10 11 12
13
fen musste. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 14, Bl. 182; ThHStAW, NSDAP-Gauleitung, Nr. 29, n. pag.) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. Vgl. die zahlreichen Beispiele in: ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 29, Bl. 5-39 Vgl. Fritz Sauckel: Die Bewährung der Heimat. Kriegswirtschaft und Preisstopp. Rede des Gauleiters und Reichsstatthalters Fritz Sauckel, RVK im Wehrkreis IX vor Männern der Wirtschaft in der Weimarhalle am 12.12.1941, in: Die Pflicht Nr. 1/42 vom 10.5.1942, S. 9-15 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 473, Bl. 110
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In organisatorischer Perspektive enthielten die Evakuierungen erhebliches Konfliktpotenzial, das das Regime relativ spät diagnostizierte. Erst im Sommer 1941 richtete das RMI ein erstaunliches Schreiben an die RVK in den westlichen Wehrkreisen, das angesichts der „Erfahrungen bei den letzten schweren Luftangriffen auf Großstädte“ darauf hinwies, endlich „planmäßige Vorbereitungen“14 zu treffen, um die Steuerung der Evakuierungen voranzutreiben. Das Chaos vor Ort hatte bedenkliche Ausmaße angenommen, Parteiund Staatsstellen arbeiteten mehr neben- als miteinander und Entsende- und Aufnahmegebiete standen kaum in Kontakt, so dass die angesprochenen „wilden“ Evakuierungen „auf eigene Faust“ an der Tagesordnung waren. Um die Lage zu kontrollieren, griff das RMI auf die in der „Erweiterten Kinderlandverschickung“ bewährten Mechanismen zurück und rückte die NSV an wichtige Organisationshebel. Daraufhin ordnete das Thüringische Innenministerium, das zu diesem Zeitpunkt von zeitlich beschränkten Unterbringungen ausging und deshalb die volle Raumausnutzung mit der Belegung aller Reserven anordnete, im Frühjahr 1942 für die „planmäßige Vorbereitung der Umquartierung nach größeren Luftangriffen“ an, dass die Oberbürgermeister und Landräte die Zusammenarbeit mit den örtlichen Luftschutz-Leitern aufnahmen, um die Kapazitäten zu erfassen15, und als untere staatliche Verwaltungsbehörden bei der Durchführung ihrer Aufgaben weitgehend selbstständig aktiv wurden.16 Ende Juni 1942 waren die organisatorischen Vorbereitungen des nachbarschaftlichen Ausgleichs mit folgenden, die Stadtkreise erheblich entlastenden Ergebnissen abgeschlossen.17 Entsendegebiet
Aufnahmegebiet
Stadtkreis Eisenach Stadtkreis Gotha
Landkreis Eisenach
Zahl der Evakuierungen 10.000
Landkreis Gotha
5.000
Stadtkreise Weimar, Apolda, Erfurt
Landkreis Weimar
9.750
Stadtkreis Arnstadt
Landkreis Arnstadt
7.000
14 15 16 17
Zusätzliche Bergungsgebiete Landkreise Meiningen und Gotha Landkreise Weimar und Arnstadt Landkreise Arnstadt und Stadtroda (für den Stadtkreis Weimar) ---
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 6, Bl. 303-307 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 40 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag.
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Stadtkreis Jena
Landkreis Stadtroda
13.000
Stadtkreis Gera
Landkreis Gera
10.000
Stadtkreis Greiz Stadtkreis Schleiz Stadtkreis Altenburg
Landkreis Greiz Landkreis Schleiz Landkreis Altenburg
4.500 6.000 4.750
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Landkreise Gera, Greiz und Schleiz Landkreise Altenburg, Gera und Greiz ----Landkreise Gera und Greiz
Parallel zu diesen Maßnahmen erfasste der Regierungspräsident in Erfurt 1942 die Kapazitäten im Regierungsbezirk, der etwa 40.000 Personen aufnehmen sollte.18 Die Verteilung der Evakuierten, die ein Beispiel für die den Gau betreffenden, mit zunehmender Kriegsdauer erheblich steigenden finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und mentalen Belastungsfaktoren darstellt, boten zwischen Land Thüringen und Regierungsbezirk Erfurt immer wieder Anlass zu Querelen. Im Oktober 1944 beschwerte sich der Erfurter Regierungspräsident beim RVK, dass Erfurt eine deutlich höhere Zahl an Evakuierungen auferlegt worden war und es dadurch zu Versorgungsschwierigkeiten kam. Von den in den Gau Thüringen strömenden Evakuierungen wurden etwa 70% auf das Land und 30% auf den Regierungsbezirk verteilt. 19 Ende des Jahres 1944 stellte Ortlepp gegenüber seinen Geschäftsverteilungen, dem LEA Abteilung B und dem Nbv unmissverständlich eine feste Formel auf: „Leistungen, die dem RV-Bezirk Thüringen auferlegt sind, müßen häufig zwischen dem Land Thüringen und dem Regierungsbezirk Erfurt verteilt werden. In solchen Fällen ist künftig so zu verfahren, daß auf das Land Thüringen fünf Siebtel und auf den Regierungsbezirk Erfurt zwei Siebtel entfallen. Dieses Größenverhältnis wird auch bei anderen Gelegenheiten angewendet werden können. Soweit im Einzelfall aus besonderen Gründen ein anderes Verhältnis zugrunde gelegt werden soll, ist meine Zustimmung einzuholen.“20
18
19 20
Verteilung der 36.000 Umquartierungen im Regierungsbezirk Erfurt: Stadt Erfurt 6.000, Stadt Mühlhausen 2.500, Stadt Nordhausen 2.500, Kreis Grafschaft Hohenstein 2.500, Kreis Heiligenstadt 2.000, Kreis Langensalza 4.500, Kreis Mühlhausen 2.000, Kreis Schleusingen 3.000, Kreis Weißensee 4.000, Kreis Worbis 5.000, Kreis Ziegenrück 2.000. (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487 n. pag.) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 303, Bl. 71f. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 4, Bl. 26
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II. Die Evakuierungssituation seit 1943 1.
Die quantitative Seite der Evakuierungssituation
Gauleiter Sauckel äußerte sich auf einer Sitzung des RV-Ausschusses am 15.8.1944, an der auch Mitglieder der Rüstungskommission IX b und Spitzenvertreter aus Partei und Wehrmacht teilnahmen, wie folgt: „Eine Zeitlang ist nun das Gebiet unseres Gaues Thüringen, soweit hier nicht eine weit gegliederte und verbreitete Rüstung vorhanden ist, uninteressant gewesen. Die deutschen Heere standen weit im Osten und im Westen waren wir an den Küsten lange unbehelligt. Aber jetzt merkt man auch in diesem Raume den Druck des Krieges. Wir müßen in steigendem Maße deutsche Bevölkerungsteile aus den Grenzgebieten aufnehmen; wir müßen in fortlaufendem Maße Evakuierte aus den luftgefährdeten Gebieten bei uns unterbringen und wir müßen weiterhin auf dem Gebiete der Rüstung Verlagerungsmaßnahmen durchführen und müßen Dienststellen des Reiches unterbringen.“21 1942/43 zeichnete sich ein Wandel in der Evakuierungspraxis des Reiches ab, der sich qualitativ und quantitativ im Gau Thüringen bemerkbar machte.22 Mit Führererlass vom 9.9.1943 wurde das Deutsche Wohnungshilfswerk gegründet, das mit OKW, Industrie, Staats- und Parteidienststellen die Hilfsmaßnahmen für Luftkriegsbetroffene steuerte und durch den Reichswohnungskommissar das Mitteilungsblatt „Deutsches Wohnungshilfswerk“ herausgab.23 Anfang 1943 wurde der Gau Thüringen, neben Oberdonau, Mainfranken und Mecklenburg, zum „Aufnahmegau“ für die Bevölkerung aus dem „Entsendegau“ Düsseldorf erhoben.24 Auf Anregung des Regierungspräsidenten von Düsseldorf, Dr. Burandt, kam es am 26.3.1943 in Weimar zu einem Treffen der regionalen staatlichen und parteilichen Führung unter Leitung Ortlepps, des Düsseldorfer Regierungspräsidenten Dr. Burandt und des Weimarer Gauamtsleiters Biedermann, um die Unterbringung der Zivilbevölkerung aus dem Gau Düsseldorf zu organisieren. Es erhellt schlaglichtartig die aktuelle Situation im Frühjahr 1943.25 Zu diesem Zeitpunkt befanden sich etwa 30.000 Evakuierte aus dem Gau Düsseldorf im 21 22
23 24 25
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 186 Vgl. Michael Krause: Flucht vor dem Bombenkrieg. „Umquartierungen“ im Zweiten Weltkrieg und die Wiedereingliederung der Evakuierten in Deutschland 1943-1963 (=Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 109), Düsseldorf 1997; Blank: Kriegsalltag Vgl. BArch R12I/23 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag.; auch Hüttenberger: Gauleiter, S. 170 (Anm. 95) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 13-17
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Gau Thüringen, die Aufnahme von weiteren 15.000 Düsseldorfern befand sich in der Vorbereitungsphase. Zudem waren etwa 3.000 Personen aus anderen Gauen selbstständig nach Thüringen immigriert. Die organisatorischen Probleme bei der Evakuierung umfassten die Beschaffung von Unterkünften, Heizgeräten, Haushaltsgegenständen, Verpflegung, Lebensmittelkarten, Verlagerung von Schulen und Unterbringung der Kinder, Gewährung des Räumungs- und Familienunterhalts sowie Stellung der Evakuierten gegenüber den Einheimischen. Der Gau musste parallel zu diesen Anforderungen die erwartete Aufnahme der Hamburger Bevölkerung sowie die Bereitstellung von Kontingenten für die Stadt Leipzig schultern. So wandelte sich der Charakter der Belegungen von vorsorglichen zu tatsächlich vollzogenen. Die Gesamtkapazität für den „Aufnahmegau“ Thüringen bezifferte die NSV Thüringen26 1943 gegenüber der NSDAP-Reichsleitung, Amt für Volkswohlfahrt, mit 133.000 Personen. In dieser Zahl waren 13.000 Quartiere für die Kinderlandverschickung (KLV), 3.000 für die Einzelverschickung im Rahmen des Hilfswerks „Mutter und Kind“, 1.000 für die Wehrmacht, 20.000 für die Unterbringung von Personen aus der inneren Verwaltung Hamburgs, 28.000 für die innere Verwaltung zur Unterbringung im Katastrophenfall im Gau Thüringen, 12.000 für Personen, die bereits im Gau untergebracht waren, und 18.000 für die bis Ende März 1943 erwarteten Sonderzüge aus dem Gau Düsseldorf enthalten. Etwa 96.000 belegten bzw. für die Belegung geplanten Quartieren standen 37.000 freie Plätze gegenüber.27 Die NSV Thüringen zog daraus die Konsequenz, dass die gauinterne Reserve für den Katastrophenfall im Gaugebiet deutlich erhöht werden müsste und lehnte deshalb die Zuweisung von mehr als 20.000 zusätzlichen Personen für den Gau ab. Im Sommer 1943 wurde die Aufnahme von 70.000 Personen vorbereitet, die auf die Kreise verteilt werden sollten. Die Gesamtkapazitäten im Gau beliefen sich nach Angaben vom März 1943 auf 84.454 Quartiere.28 Insgesamt verliefen diese Evakuierungen weit weniger planmäßig, als das Regime den Eindruck zu erwecken versuchte. Es waren vorwiegend Improvisationsmaßnahmen, die die Aufnahme ermöglichten, und die Koordinationsorgane waren oftmals unzureichend informiert. Erst Ende 1944, als die Gaue der Umquartierungen nicht mehr Herr wurden und die Bevölkerung in Millionen ins Reichsinnere strömte, ließ die NSV, um die Lage wenigstens in Ansätzen zu kontrollieren, in den „Entsendegauen“ Leitstellen errichten, die für alle abgehenden Sonderzüge vorher Zielstationen festlegten und die Aufnahmegaue
26 27 28
Vgl. Vorländer: NSV Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 11f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 22
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rechtzeitig vor dem Eintreffen verständigen sollten.29 Wie das eingangs erwähnte Schreiben aus der NSV-Reichsleitung allerdings erhellt, wurden die Flüchtlingstransporte teilweise von den regionalen Behörden eigenmächtig weitergeleitet.30
Evakuierungen 800.000 700.000 600.000 500.000 400.000
Personenzahl
300.000 200.000 100.000
10.8.1943 10.9.1943 10.10.1943 10.11.1943 10.12.1943 10.1.1944 10.2.1944 10.3.1944 10.4.1944 10.5.1944 10.6.1944 10.7.1944 10.8.1944 10.9.1944 10.10.1944 10.11.1944 10.12.1944 10.1.1945 10.2.1945
0
29 30
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 90 Zahlenangaben des Diagramms nach ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 33-123
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2.
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Die Durchsetzung der NSV in der Evakuierungsfrage
Bei der Unterbringung konkurrierten im Gau zwei Bedarfsträger: die staatliche Verwaltung (für die erwarteten bzw. vollzogenen Umquartierungen für Hamburg, Leipzig sowie innerthüringische Verschiebungen) und die NSV Thüringen für Düsseldorf. In diesen Kontext ist die Forderung der Gauführung nach einer einheitlichen Organisation und Lenkung der Evakuiertenversorgung einzuordnen, die im Frühjahr 1943 an das RMI herangetragen wurde und auf einheitliche Befehlsstrukturen in der Gauverwaltung drängte31, zumal ein „Misstand durch Doppelorganisation in der Aufnahme der Luftgefährdeten“32, eine parallel laufende Organisation der Unterbringung von NSV und staatlicher Verwaltung, zunehmend beklagt wurde und deutlich negative Begleiterscheinungen mit sich brachte. Den durchkämmten Ortschaften wurden deutlich höhere Belegungszahlen auferlegt, die Unterbringung erfolgte damit zu Lasten der Evakuierten, die NSV zahlte mit monatlich 225 RM beinahe 100 RM mehr an die Wohnungsbesitzer mit den NSV-Flüchtlingen als die staatlichen Verwaltungsstellen mit 134,50 RM, was sich wiederum negativ in den Stimmungsberichten niederschlug und die Koordinationsdefizite und den Anpassungsdruck der Partei im Gau deutlich zutage treten ließ. In ihrem Selbstverständnis sah sich die NSV33 als allein verantwortliche Organisation und Schaltzentrale für die Evakuierungen. Unmittelbar nach der Verfügung des Hauptamtes für Volkswohlfahrt der NSDAP-Reichsleitung am 16.1.1943 begann die Bestandsaufnahme in den thüringischen Kreisen, die bis zum 5.3.1943 abgeschlossen sein sollte und sämtliche Haushalte erfasste, die auf freiwilliger Basis oder erst aufgrund der Anwendung des Reichsleistungsgesetzes in Anspruch genommen werden konnten. Die Durchführung verlief freilich nicht konfliktfrei: Probleme taten sich vor al31 32 33
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 36 So die Überschrift einer Aktennotiz im Thüringischen Innenministerium, in: ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 28f. Vgl. zur Rolle der NSV in Bayern die Studie von Katja Klee: Nationalsozialistische Wohlfahrtspolitik am Beispiel der NSV, in: Rumschöttel/Ziegler: Staat, S. 557-620. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Zeit bis Kriegsbeginn, der erhebliche Aufgabenzuwachs, die dynamischen Schübe infolge der massiven Luftkriegseinwirkungen, der Anpassungsdruck auf die staatlichen und parteilichen Behörden und Herrschaftsmechanismen seit 1939, vor allem aber seit 1942/43 werden nur am Rande berücksichtigt. (Vgl. S. 612-617) In diesen zentralen Aspekten aber besetzte die NSV für die deutsche Gesellschaft im Kriegszustand bedeutsame Felder (vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung), aus der sie machtpolitische Ansprüche ableitete und systemstabilisierende Funktionen übernahm. Ausgewogener Nolzen: NSDAP, zu Hilfsmaßnahmen im Krieg v.a. S. 151-159
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lem dann auf, wenn Freiwilligkeit fehlte und die Organisationsstrukturen und Rechtsgrundlagen unklar waren. Mitte März 1943 wies das Thüringische Innenministerium die Landräte und Oberbürgermeister an, nicht die Landesverwaltungsordnung als Basis für Beschlagnahmungen heranzuziehen, sondern ausschließlich das Reichsleistungsgesetz.34 Für Thüringen bahnte sich seit 1942 die Übernahme der gesamten Evakuierungsfrage durch die NSV35 an, damit für den Gau nur noch ein Bedarfsträger für die Umquartierungen verantwortlich war, der gauintern „in sich“ ausgleichen konnte, zumal für erwartete Flüchtlinge aus Hamburg und Leipzig statistisch nur noch dieselben Quartiere bereitgestellt werden konnten. Das bedeutete eine Radikalisierung in der Quartierfrage. Das Thüringische Innenministerium wandte sich daraufhin mit zwei Forderungen an das Amt für Volkswohlfahrt der NSDAP-Gauleitung. Die Zusammenarbeit in der Kreisstufe zwischen Landräten und Oberbürgermeistern und NSV-Dienststellen musste dringend verbessert werden und an den von der NSV Thüringen vorangetriebenen Erhebungen und Erfassungen sollten die unteren staatlichen Verwaltungsträger beteiligt werden, was de facto auf eine wechselseitige Durchdringung staatlicher und parteilicher Funktionen hinauslief. Die Kreisamtsleiter der NSV wurden daraufhin in scharfem Ton von Oberbereichsleiter Thomas vom Hauptamt für Volkswohlfahrt der NSDAP-Gauleitung angewiesen, mit den staatlichen Dienststellen enger zusammenzuarbeiten. Die NSV Thüringen hatte sich über die Unterkunftserfassung den Einbruch in den Schlüsselsektor bei der Evakuierungsfrage gesichert. Einen Meilenstein innerhalb dieser Entwicklungen stellt sicherlich der 1.10.1942 dar, als die NSV zum Bedarfsträger für die Beschlagnahmepraxis von Quartieren aufgrund des Reichsleistungsgesetz aufstieg36, auch wenn die notwendigen Unterkünfte nach wie vor soweit als möglich auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden sollten und die Beschlagnahmung der NSV ausdrücklich verboten war und von den Landräten und Oberbürgermeistern durchgeführt wurde. Das Amt für Volkswohlfahrt der Reichsleitung der NSDAP hielt noch Anfang 1943 fest: „Über die Inanspruchnahme der Plätze durch die verschiedenen Bedarfsstellen wird reichsmäßig nach Abstimmung zwischen den zu34
35
36
Das Reichsleistungsgesetz bildete die Fortsetzung des Wehrleistungsgesetzes von 1938. (Vgl. RGBl I, 1938, S. 887) Vgl. zum Reichsleistungsgesetz die „Verordnung zur Änderung des Wehrleistungsgesetzes vom 13.7.1938“, in: RGBl I, 1939, S. 16391644 sowie zur Neufassung des Wehrleistungsgesetzes als Reichsleistungsgesetz S. 1645-1654 Vgl. Dietrich (Hg.): Buch der deutschen Gaue, S. 146; Dietmar Süß: Steuerung durch Information? Joseph Goebbels als „Kommissar der Heimatfront“ und die Reichsinspektion für den zivilen Luftschutz, in: Hachtmann/Süß (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 183-206, v.a. S. 196-202) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 33
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ständigen Reichsdienststellen von Partei und Staat verfügt. Hierbei wird der gaueigene Bedarf zur Unterbringung Fliegergeschädigter und für Umquartierungen aus Luftschutzgründen berücksichtigt.“37 Die Umquartierungen lenkten in den Regionen die RVK. Weil es sich hier aber in der Wahrnehmung des NS-Regimes in ausgeprägtem Sinne um eine politische Aufgabe und ein Problem der „Menschenführung“ handelte, erhielt die Einschaltung der Partei eine Legitimationsbasis. Die bis 1942/43 durchgeführten Maßnahmen mit der Arbeitsteilung zwischen den staatlichen Behörden, NSV und HJ (Verantwortung der KLV bei Kindern über zehn Jahren) führte zwangsläufig zu Überlagerungen, die, bedingt durch eine Zunahme der Luftangriffe, zu ernsthaften Problemen führten. Nach Verhandlungen zwischen Parteikanzlei, NSV-Reichsleitung und RMI erhielt die NSV im Frühjahr 1943 die reichsweite Organisation der Evakuierungen übertragen und damit die Kernkompetenzen bei Abtransport, Unterbringung und erster Verpflegung.38 Die behördlichen Unterbringungsmaßnahmen wurden nun – nach der Erfassung der Quartiere (Erlass des RMI vom 16.1.1943) – durch die NSV mit Sammeltransporten durchgeführt. Um den Erfolg der Aktionen zu gewährleisten, mussten die NSV-Leitungen in den Entsende- und Aufnahmegebieten, ebenso wie Partei- und Staatsdienststellen vor Ort, eng kooperieren. Das RMI mahnte im Frühjahr 1943 mit Blick auf die Organisation der Evakuierungen: „Dabei hat die Sorge um das Wohl der von den Kriegsschäden betroffenen Volksgenossen im Vordergrund zu stehen und die Gemeinschaftsarbeit der beteiligten Stellen maßgebend zu bestimmen.“39 Zur Einweisung in die neuen Organisationsstrukturen fand am 12.5.1943 in Weimar eine Dienstbesprechung der Kreisamtsleiter der NSV im Sitzungssaal des Rathauses statt, bei der die anwesenden Bürgermeister angewiesen wurden, künftig ohne Verbindung mit der NSV keine Bescheinigungen über Quartiere auszustellen und die NSV die Quartiere für den gaueigenen Bedarf auf die einzelnen Kreise verteilte.40 Die Ergebnisse dieser Dienstbesprechung mündeten in ein Zusammentreffen der Spitzenfunktionäre aus Partei und Staat, die zum engsten Zirkel der Organisatoren der Evakuierungen im Gau gehörten: Ortlepp (Staatssekretär), Walther (Ministerialdirektor), Sievers (Oberverwaltungsgerichtsrat, alle Thüringisches Innenministerium), Biedermann (Gauamtsleiter), Gessert (Mob-Beauftragter der Gauleitung), Bürgermeister Thomas (Gauamtsleiter), Danz (NSV), Böttger (Gaustellenleiter, 37 38 39 40
ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 41 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 32 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. (RMI-Schreiben an die RVK, Reichsstatthalter, Länderregierungen vom 19.4.1943) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 61
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NSV).41 Die „Oberverteilung“ in der Evakuierungsfrage– ein ausgesprochen schwammiger Begriff, der Eingang in die Niederschrift gefunden hat – lag bei der NSV, die sich als Bedarfsträger nach dem Reichsleistungsgesetz auch für den gaueigenen Bedarf einschaltete, Mob-Beauftragtem der Gauleitung und RVK bzw. Thüringischem Innenministerium. Unberührt sollten die Stellung der Landräte und Oberbürgermeister als Bedarfsstellen und die Zuständigkeit des RVK bzw. Thüringischen Innenministeriums zum überörtlichen Ausgleich bleiben. Die NSV regelte im weiteren Verlauf der Evakuierungen die vorläufige Verteilung der Quartiere (etwa 60.000 im Gau Thüringen) und die Unterverteilung auf Basis der NSV-Kreise, seit Juli 1943 auf Grundlage der Stadt- und Landkreise. Ausgehend von den Verschiebungen zugunsten der NSV ging diese nun daran, die Position der Landräte und Oberbürgermeister bei Evakuierungen durch mehrere Beschwerden beim Innenministerium weiter zu untergraben und die finanzielle Unterstützung der Evakuierten gleichzeitig den unteren Verwaltungsstellen zu übertragen. Während die Oberbürgermeister und Landräte sich Grundstücke und Räume durch Beschlagnahme für die Reservebildung sicherten, drängte die NSV auf eine rasche Belegung und meldete diese Ansprüche beim Innenministerium an. Druck übte die NSV auf die Oberbürgermeister und Landräte auch durch die Bereitstellung der Quartiere für immer neue nach Thüringen rollende Evakuiertenzüge aus. Die Stadt- und Landkreise sahen sich Mitte 1943 an der Grenze der Belastbarkeit, die Erfassung weiterer Kapazitäten, wie sie die NSV vorantrieb, lief den lokalen Interessen und Rahmenbedingungen, z.B. Einbehaltung einer eigenen Reserve, entgegen und belastete zusätzlich das schon angespannte Verhältnis zwischen den unteren Behörden von Staat und Partei, förderte andererseits aber geradezu deren wechselseitige Durchdringung. Anfang Juni übertrug der RVK der NSV auch die Verantwortung für die gauinterne Umquartierung aus thüringischen Städten im Falle eines Luftangriffs oder einer ähnlichen Katastrophe.42 Das bedeutete den endgültigen, von Ortlepp und der Gauleitung forcierten Durchbruch der NSV in der Evakuierungsfrage. Die Kreisamtsleiter der NSV hatten in dieser Hinsicht die staatlichen Verwaltungsträger, die künftig nur noch von Fall zu Fall benachrichtigt wurden, abgelöst.43 Damit entstand im Gau Thüringen ein einheitlich operierendes Planungs-, Koordinations- und Exekutivorgan, das die Machtverhältnisse vor allem in der zweiten Kriegshälfte verschob, Reibungsverluste zwischen den einzelnen Bedarfsträgern angesichts des immer knapper werdenden Quartierangebots senkte und die NSV an die erste Position der 41 42 43
Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 63 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 81f. Vgl. ergänzend die von Hitler gezeichnete Verfügung über die „Aufgaben der NSV in der Volkspflege“ vom 22.8.1944, in: „Führer-Erlasse“, S. 444
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Bedarfsträger und -stellen rückte. In diese Richtung zielte auch die Übernahme der Versorgung von Luftkriegsopfern mit Lebensmitteln durch die NSV Thüringen seit 1942.44 Gegen solche Entwicklungen stemmte sich das Korps der staatlichen Verwaltungsstellen (Innenministerium, Oberbürgermeister, Landräte), das um Besitzstandwahrung bemüht war und auf Grundlage des Reichsleistungsgesetzes argumentierte.45 Demnach war der Bedarfsträger (Wehrmacht, Partei mit NSV, HJ usw.) nicht gleichzusetzen mit den Bedarfsstellen; nur letztere waren zur Inanspruchnahme von Leistungen, insbesondere von Quartieren, nach dem Reichsleistungsgesetz berechtigt. Bedarfsstellen waren Dienststellen der Wehrmacht und andere staatliche oder mit staatlichen Aufgaben betraute Stellen, also nicht Parteistellen, insbesondere nicht solche der NSV.46 Quantitativ drängte die NSV nach der Übernahme der Evakuierungsfrage auf eine deutlich höhere Belegung der Stadtund Landkreise. Der Richtsatz von 25% der Belegungen sah im Falle des Gaues Thüringen mit 716.000 Haushalten 179.000 Evakuierte vor. Die NSV schraubte das Aufnahmesoll auf 229.000 (132%).47 Die Verteilung sollte zudem nicht gleichmäßig auf die Kreise erfolgen, sondern Luftschutzorte berücksichtigen. Im Zuge dieser Prozesse wurden die eigentlich als „Gaureserve“ für interne Umquartierungen zurückgehaltenen Kapazitäten aufgelöst und dem Kontingent für den „Entsendegau“ Düsseldorf zugeschlagen. Angesichts des neuen Aufgabenkatalogs erfolgte Mitte des Jahres 1943 eine Neuausrichtung der NSV Thüringen in Absprache mit der Gauleitung. Die NSVKreise wurden an Stadt- und Landkreise angepasst und der Quartierbedarf der Wehrmacht anerkannt. Die Entscheidung über Belegung oder Freihaltung der luftschutzgefährdeten Orte erfolgte nach Rücksprache mit dem Innenministerium, der gaueigene Bedarf wurde neu geregelt, die Aufstellung von Baracken geplant und eine weitere Auskämmung der Quartiere vorgenommen.48 In der Frage der Radikalisierung der Evakuierungssituation durch die NSV stieß freilich auch diese an die Grenzen ihres Zuständigkeitsanspruchs. An der Belegung des Magdeburger Kindererholungsheimes in Georgenthal 44 45
46 47
48
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 285, Bl. 13-18, 27f. Vgl. zur Inanspruchnahme von Räumen für Unterkunftszwecke auf Grund des Reichsleistungsgesetzes die detaillierten, vom RMI herausgegebenen Richtlinien, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 90-93 Registriert wurden mit Stand vom 25.8.1943 im Gau Thüringen 166.945 Evakuierte (Land Thüringen: 113.111, Regierungsbezirk Erfurt: 50.081, Kreisherrschaft Schmalkalden: 3.753). (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 131) Die Erhöhung um 65.000 ergab sich aus der Einrechnung eines gaueigenen Bedarfs, der aber nicht nach Berlin gemeldet wurde, um nicht die Migration weiterer Evakuierter zu beschleunigen. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 113
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(Kreis Gotha) entzündete sich eine dreimonatige Auseinandersetzung mit der Stadt Magdeburg, der erst durch einen Vertrag des Magdeburger Oberbürgermeisters mit Oberbefehlsleiter Hilgenfeldt von der NSV-Reichsleitung beigelegt werden konnte. Die Landesbauernschaft weigerte sich, Kurhäuser für die Unterbringung der Evakuierten zur Verfügung zu stellen. Die Gauwaltung der DAF weigerte sich, ihre Gauschule in Georgenthal als einzige Schulungsstätte im Gau Thüringen der NSV zu überlassen, so dass eine Entscheidung des Gauleiters herbeigeführt werden musste. Die Volksdeutsche Mittelstelle Weimar49 beanspruchte das Krankenhaus in Waltershausen. Die Marineintendantur wollte ein Grundstück für die Betreuung von Familienangehörigen bei Saalfeld beschlagnahmen.50 Und aufmerksam registrierte die NSV auch über die Zäsur des Jahres 1943 hinaus die sparsame Anwendung des Reichsleistungsgesetzes, das nur dann herangezogen wurde, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft waren. Selbst die NSV Thüringen wurde hier in ihren Bestrebungen, dynamischer Motor der Unterbringung zu sein, immer wieder gebremst.51 Ein Konsens zeichnete sich auch in der Handhabung des Reichsleistungsgesetzes ab, das – entgegen der drängenden NSV – erst dann Anwendung fand, wenn (wie im Gesetz vorgesehen) zwischen dem „Leistungsberechtigten“ und dem „Leistungspflichtigen“ keine Übereinkunft erzielt werden konnte.52 Die außerordentlich hohe sachliche und politische Bedeutung der Umquartierungsmaßnahmen aufgrund ihrer systemstabilisierenden, integrierenden und das Schlagwort der „Volksgemeinschaft“ propagierenden Funktionen trug erheblich zum Kompetenzzuwachs der NSV Thüringen bei, was sich nicht zuletzt in der Breite der Ausführungen in den Offiziersbesprechungen des Gaueinsatzstabes Thüringen unter der Leitung Ortlepps widerspiegelt.53 Dieser bezeichnete die Kooperation zwischen der Gauamtsleitung der NSV und seiner Behörde während einer solchen Offiziersbesprechung als richtungsweisend: „Ich glaube sagen zu können, daß es kaum eine vorbildlichere Zusammenarbeit gibt als zwischen der Gauamtsleitung der NSV und meiner Behörde.“ Und an die Adresse der unteren staatlichen Behörden gewandt: „Meine Herren Landräte und Oberbürgermeister! Lassen Sie sich diese Zusammenarbeit als Richtschnur dienen. Ich muß wie49
50 51 52 53
Vgl. Markus Leniger: „Heim ins Reich?“ Das Amt XI und die Umsiedlerlager der Volksdeutschen Mittelstelle, 1939-1945, in: Gruner/Nolzen (Hg.): Bürokratien, S. 81109 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 41-59, 84, 87, 120-125 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 20f., 25, 30f. Vgl. hierzu die zahlreichen Hinweise in ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30-34 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 32-45
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derholt bitten, immer wieder mit besonderem Nachdruck und mit besonderer Aufmerksamkeit engstens mit der NSV zusammenzuarbeiten. Die Schwierigkeiten können wir nur gemeinsam meistern. Der wichtigen Frage der Unterbringung der Volksgenossen aus Düsseldorf bzw. Hamburg müßen Sie Ihre stärkste Aufmerksamkeit widmen. Helfen Sie, wo Sie nur können!“54
3.
Die Verschärfung der Evakuierungsfrage seit 1944
Mit zunehmender Kriegsdauer wandelte sich die Evakuierungssituation rasant. Die RVK mussten seit 1944 in der Mitte jeden Monats dem RMI Bericht über den Stand der Evakuierungen, insbesondere die Zahl der Umquartierungen, erstatten und Ende 1944 führte die NSV-Reichsleitung die tägliche Meldepflicht für Hauptaufnahmegaue ein.55 Die Organisation des kriegswichtigen Raumbedarfs in Thüringen lag beim Gauamtsleiter und Landesplaner Kram, der für den Gau Thüringen 1944 ein Aufnahmesoll von zunächst 230.000 Evakuierten vom RMI zugewiesen bekam.56 Im Sommer 1944 waren über „gelenkte Umquartierungsmaßnahmen“ 95.000 Menschen aus dem Entsendegau Düsseldorf in Thüringen erfasst, 112.000 Umquartierte kamen im Zuge der Verwandten- und Bekanntenhilfe, 6.500 Gefolgschaftsmitglieder gehörten verlagerten Betrieben an, die KLV meldete 3.500 Kinder im Gau, so dass sich eine Gesamtbelegung von 217.000 ergab. 6.000 weitere Kinder wurden in Familienpflege aufgenommen. Ab Oktober 1944 wurden neben der Bevölkerung des Gaues Düsseldorf Personen aus den Gauen Westmark, Moselland und Köln-Aachen nach Thüringen evakuiert. Ein Teil der durch die Umquartierungen entstandenen Belastungen in der unteren Verwaltung, zudem flankiert von weiteren Einberufungen, wurde seit 1944 durch die Übernahme von Personal aus den Entsendegauen aufgefangen.57 Bereits im Juli 1944 stieß man bei der Unterbringung an Grenzen, da die Landkreise Grafschaft Hohenstein, Sondershausen, ein Teil des Landkreises Worbis und der Stadtkreis Nordhausen durch die Nähe zum KL „MittelbauDora“ hinsichtlich Organisation, Raumbedarf und Verpflegung bereits „so stark in Anspruch genommen [waren], daß sie für die Unterbringung Luftkriegsbetroffener in Zukunft“58 ausschieden. Ende 1944 ermittelte die Landesplanungsgemeinschaft im Rahmen des Ausgleichs kriegswichtigen
54 55 56 57 58
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 34 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 90 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 38 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 28, Bl. 68-98 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 43 (Schreiben an das RMI am 4.7.1944)
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Raumbedarfs fast 90.000 Umquartierungen für den Arbeitseinsatz.59 Deshalb beschloss die Gauführung, gauinterne Umsiedlungen in die südlichen Kreise durchzuführen, um Einzelquartiere für deutsche Arbeiter von „Mittelbau“ freizumachen. Begleitet wurden die Anstrengungen vom intensiven Bemühen, so weit als möglich Umquartierungen in den Gau Thüringen zu verhindern, indem die Aufnahmekapazitäten als überfordert und das Aufnahmesoll von 230.000, das freilich immer wieder erhöht wurde, als (über)erfüllt angegeben wurden. Dem kam das RMI insofern entgegen, als dass die Hälfte der mit den Betriebsverlagerungen in den Gau strömenden „Gefolgsleute“, nach RVK-Angaben immerhin 13.000, auf das Aufnahmesoll angerechnet wurden. Der sehr ernste Brief aus der Reichsstatthalterei an das RMI spiegelt diese Rahmenbedingungen wider, denn die dort zusammenlaufenden Anforderungen der NSV Thüringen zur Unterbringung der Luftkriegsopfer und des RMRK zwecks Industrieverlagerungen und der Versorgung von deren Belegschaften konnten nach eigenen Angaben bereits Mitte des Jahres 1944 nicht mehr erfüllt werden. Die Landkreise, die zur Aufnahme der Umquartierungen verpflichtet wurden, waren durchweg stark belegt. Angesichts dieser Situation verlangte der RVK die Einstellung der Industrieverlagerungen in Verbindung mit der Unterbringung der Belegschaft oder den Stopp der gelenkten Zuführung von Luftkriegsbetroffenen nach Thüringen. Um den sich bis Jahresende erheblich verschärfenden Bedingungen zu begegnen, verhandelte Kram im Auftrag Sauckels am 25.11.1944 in Berlin mit dem Vertreter Stuckarts, Ministerialdirektor Ehrensberger vom RMI, über die bis November erfolgte Erhöhung des Aufnahmesolls auf 550.000 Umquartierte.60 Vor allem die relativ geringe Beanspruchung Sachsens wirkte sich nachteilig auf die Stimmung in der Bevölkerung Thüringens aus und produzierte Druck auf die Gauführung, da Sachsen als „Aufnahmegau“ für die noch nicht notwendig gewordene Räumung Ostpreußens vorgesehen war. Um für Thüringen eine wenigstens temporäre Entlastung zur Koordination der erfolgten Um59
60
Die Zahl setzt sich zusammen aus 23.648 Meldungen der unteren Verwaltungsbehörden, 11.757 Meldungen der Bauvorhaben REIMAHG (davon 9.933 ausländische und 1.824 deutsche Arbeitskräfte) und 53.400 Meldungen der Bauvorhaben MittelbauDora (davon 30.000 Häftlinge, 7.500 ausländische und 15.900 deutsche Arbeitskräfte). (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 88) Anlass der Besprechung war die Erhöhung des Aufnahmesolls für Thüringen auf 550.000 für die Gaue Köln-Aachen und Moselland am 23.11.1944 durch das RMI nach Rücksprache mit der Parteikanzlei. (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 313, Bl. 95f.) Vgl. Berichte der Kreisleiter, Landräte und Oberbürgermeister auf der Dienstbesprechung mit der Gauführung am 16.11.1943 in Weimar, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 475, Bl. 64) Eine Anordnung Bormanns, die auch „Bekannten“ in den Aufnahmegauen ein Bleiberecht einräumte – ein Terminus, der alle ernsthaften organisatorischen Bemühungen aufgrund seiner Dehnbarkeit in Frage stellte –, verschärfte die Situation zusätzlich.
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quartierungen zu erwirken, schlug Kram vor, den Gau Sachsen mit Kontingenten aus Thüringen zu belegen und im Gegenzug die zu erwartenden Zuweisungen aus Ostpreußen aufzunehmen, was freilich – ebenso wie eine Rücknahme der Erhöhung – keine Chance auf Realisierung besaß. Im Anschluss an die aus Thüringer Sicht ergebnislos verlaufene Besprechung begab sich Kram zum Reichshauptamt der NSV und verhandelte mit den gleichen Zielen mit Oberbefehlsleiter Althaus, der im Wesentlichen dieselbe Position wie Ehrensberger einnahm. Dort erhielt Kram auch Einblick in Umquartierungsunterlagen der NSV und musste eingestehen, dass andere Aufnahmegaue weitaus stärker als der Gau Thüringen belastet waren. Aufgrund der mit dem Status des Aufnahmegaus verbundenen Schwierigkeiten fürchtete die politische Führung ernsthafte Stimmungseinbrüche in der Bevölkerung.61 Aufschlussreich im Hinblick auf die Anstrengungen der lokalen Funktionseliten, die Stimmung in der Bevölkerung und die Begleiterscheinungen der Evakuierungsmaßnahmen sind die Protokolle der Dienstbesprechungen Sauckels mit den Kreisleitern, Landräten und Oberbürgermeistern 1940 bis 1944. Diese „Stimmungsberichte“ sind umso bedeutsamer, da der Gau Thüringen mit seiner großenteils ländlichen Struktur und geografischen Lage weit weniger von unmittelbaren Kriegseinwirkungen betroffen war als andere und Sauckel von seinen Funktionären ungeschönte Lageberichte einforderte. Hier zeigt sich ein differenziertes, komplexes Sozialbild des Gaues. Die den Gauleitern als Gauwohnungskommissaren übertragenen Befugnisse, die von den Kreisleitern in der unteren Ebene zur Beschaffung von Quartieren vertreten wurden und die Wohnraum auch durch Beschlagnahmungen freimachten, sorgten für erhebliche Stimmungseinbrüche in der Bevölkerung des Gaues. Auch wenn der größte Teil des Wohnraums freiwillig oder aus Angst vor Repressalien zur Verfügung gestellt wurde, schlugen derart tiefe Eingriffe auf die mentalen Dispositionen durch. Kreisleiter Hofmann (Weimar) war „im Großen und Ganzen […] mit der Haltung der Bevölkerung zufrieden“, Kreisleiter Nentwich (Nordhausen) bezeichnete die Aufnahme der Evakuierten als „anständig […], so, wie sie dem vierten Kriegsjahre entspricht“, und Kreisleiter Hauschild (Altenburg) nannte die Stimmung „gedrückt“. Die Wahrnehmungen und Positionen der Vertreter der unteren Behörden bewegten sich im Spannungsfeld von Ernsthaftigkeit und Realitätssinn, Durchhaltewillen und Linientreue. Bezeichnend für den Fanatismus Sauckels und die Radikalität seiner Handlungsweisen ist der Vorschlag, mit dem er die Versorgungsprobleme in den Kreisen lösen wollte. Auf der am 16.11.1943 im Weimarer Fürstenhaus durchgeführten Dienstbesprechung mit Kreisleitern, Landräten und Oberbürgermeistern beklagte sich 61
Vgl. hierzu und zum Folgenden ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 475, Bl. 40-104, v.a. Bl. 40-90
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der Erfurter Oberbürgermeister Kiesling über die schlechte Versorgungslage, worauf Sauckel ihn heftig zurechtwies: „In Paris, wie überhaupt in Frankreich werden jetzt alle Judenwohnungen ausgeräumt. Alle Möbel werden nach Deutschland geschickt für Bombengeschädigte. Ich bitte das LWA, da mit einzuschalten und dafür zu sorgen, daß von dieser Pariser Judenbeute etwas mit herüberkommt zu uns!“ Und er forderte die unteren Funktionsträger zu weiteren Anstrengungen auf: „Es bleibt also im Gau Thüringen führungsmäßig in verschiedenen Kreisen noch sehr viel zu tun übrig. Sie können mir entgegenhalten: Wir haben schon sehr viel getan. Das erkenne ich an. Aber es muß eben noch mehr getan werden.“ Der Notwendigkeit reichseinheitlicher Regelungen kam das RMI erst 1945 nach, um regional unterschiedliche Handhabungen der Evakuierungsprobleme wenigstens der Form nach zu vereinheitlichen, eine weitere Verselbstständigung der Regionalstrukturen in dieser Frage zu verhindern und das mit der Evakuierungsproblematik verbundene Konfliktpotenzial einzudämmen. Das RMI wies im Einvernehmen mit Bormann am 18.1.1945 die RVK in einem Rundschreiben62 an, dass Transporte mit Flüchtlingen unter keinen Umständen abgewiesen werden dürften, was in der Praxis offensichtlich häufig vorkam.63 Als Koordinationsorgan entstanden in den Gauen Umquartierungskommissionen, die das Raumbeschaffungsproblem lösen und einen Anpassungsdruck auf bereits bestehende und mit der Raumfrage befasste Organe ausüben sollten. Sie unterstanden den RVK. Auf der unteren Ebene entstanden im Januar 1945 unter der Leitung von sachkundigen Beamten, Angestellten oder Bürgermeistern Kreis-Umquartierungskommissionen64, die die Auslastung des Raumangebots der Kreise erfassten, den Raumausgleich organisierten und Aus- und Umbauten koordinierten. Für die RVK erstellte das RMI 1945 reichseinheitliche Richtlinien, um die erheblichen Differenzen, die eigenwillige Handhabung der Organisationsmechanismen in den Gauen und die immer mehr durchbrechende Gaurivalität abzufedern. Die Kommissionsmitglieder (Verwaltungsbeamte, NSDAP-Amtsleiter, Orts- und Kreisbauernführer, Beauftragte der Entsendegaue) sollten nicht in dem zu überprüfenden Kreis ansässig sein, um persönliche Vorteilnahme und negative Auswirkungen auf die Stimmung in der Bevölkerung zu vermeiden. Die Aufgabe der Kommissionen bestand darin, „einen reichseinheitlichen Maßstab in allen Aufnahmekreisen“65 zu vertreten. Ortlepp forderte für den Gau Thüringen von der Gauamtsleitung der NSV 36 Amtsleiter als Mitglieder der 62 63 64 65
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 490, n. pag. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 490, n. pag. (Schreiben des RMI an die RVK vom 18.1.1945) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 490, n. pag. Die Akte enthält auch eine Auflistung der Kreise und der Kommissionsvorsitzenden. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 490, n. pag.
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Kreiskommissionen. Die Integration der NSV hatte den praktischen Nutzen, dass dadurch Behördenrivalitäten von vornherein vermieden wurden, die Fachleute der NSV seit 1942/43 die Umquartierungen und Evakuierungen in Thüringen entscheidend koordiniert hatten und die Kommissionen mit der NSV personell und funktionell vernetzt wurden. Eine Aufstellung des Amtes für Volkswohlfahrt der NSDAP-Gauleitung Thüringen gibt Aufschluss über die quantitative und territoriale Verteilung der Evakuierungen auf die Kreise im Gau Thüringen.66 Kreise
Männer
Frauen 130.435
Kinder bis 3 Jahre 47.305
Kindes bis 10 Jahre 71.763
Kinder über 10 Jahre 40.228
Land Thüringen
47.898
337.629
Regierungsbezirk Erfurt Thüringen insgesamt
26.783
47.119
17.490
25.949
15.078
132.419
74.681
177.554
64.795
97.712
55.306
470.053
Gesamtzahl
Vergleicht man das nackte Zahlenmaterial, hinter dem sich menschliche Einzelschicksale kaum fassen lassen, mit dem Stand vom Vormonat (15.10.1944: 307.028), so ergibt sich eine Steigerung der Evakuiertenzahlen um 163.025 oder 34,68%. Bis zum Februar 1945 explodierte die Zahl der im Gau Thüringen amtlich erfassten Evakuierten auf 702.231 und stieg um 49,39%.67
4.
KLV nach Thüringen
Nach dem Runderlass des RMI vom 1.11.1940 führte die Reichsjugendführung eine KLV68 Jugendlicher zwischen zehn und vierzehn Jahren durch. 66
67 68
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4221, Bl. 148 (Stand: 15.11.1944). Das Zahlenmaterial aus dem Bestand des Thüringischen Wirtschaftsministeriums ist rechnerisch nicht ganz einwandfrei, verdeutlicht aber trotzdem die Quantität und Verteilung der Evakuierungen. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, 33, Bl. 201 Vgl. Claus Larass: Der Zug der Kinder. KLV – die Evakuierung 5 Millionen deutscher Kinder im 2. Weltkrieg, München 1992; Kerstin Dietzel: Lebenswelten Jugendlicher während des Zweiten Weltkrieges. Dargestellt am Beispiel der Kinderlandverschickung aus Schulen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2001; Thomas Gießmann: „Fast sämtliche Kinder sind jetzt weg“. Quellen und Zeitzeugenberichte zur Kinderlandverschickung aus Rheine 1941-1945, Münster u.a.
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Dazu wurden Gebäude wie Jugendherbergen, Ferienheime, Beherbergungsbetriebe und andere geeignete Unterkünfte benötigt. Ende 1940 wurde dem Gau Thüringen die Unterbringung von 12.000 Kindern in „Familienpflegestellen“ und 10.000 durch die HJ in Heimen aufgelegt.69 Sauckel übertrug daraufhin 1940 Gauamtsleiter Kurt Schößler die Organisation der Evakuierungsversorgung der Kinder aus den luftgefährdeten Gebieten.70 Die Familienunterbringung erfolgte durch die NSV (vor allem bei Kindern unter zehn Jahren), die auch die Unterhaltungskosten übernahm, bei geschlossener Versorgung in Heimen o.Ä. durch die HJ. Verantwortlich für die Unterbringung in Thüringen war der Leiter des Reichsverbandes für Deutsche Jugendherbergen, Oberbannführer Nothnagel bei der HJ-Gebietsführung in Weimar. 1941 ordnete die Gebietsführung der HJ die Beschlagnahmung der bereits belegten Heime an, um sie dem Zugriff anderer, im Sinne des Reichsleistungsgesetzes berechtigter Behörden zu entziehen. Für die KLV nahm die Gebietsführung Thüringen der HJ in Weimar seit 1940 dringend benötigte Gebäude unter Anwendung des Reichsleistungsgesetzes in Anspruch. Bei der Belegungsfrage kollidierten die Interessen von Eigentümern, staatlichen Verwaltungsstellen, die die Evakuierung der Bevölkerung aus dem Saarland und Hamburg organisierten, der HJ im Zuge der KLV, der Wehrmacht, die u.a. Sanatorien für eigene Zwecke belegte, und der SS, die mit der territorialen Expansion für ihre Rasse- und Siedlungspläne über die Volksdeutsche Mittelstelle Auslandsdeutsche nach Thüringen schaffen und in Lagern unterbringen wollte. Die Gauführung suchte fieberhaft nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten und kontaktierte deshalb die Volksdeutsche Mittelstelle.
69
70
2001; Edgar Winzen: Für Hitler erzogen? Briefe und Notizen des Edgar Winzen aus der Kinderlandverschickung Leutenberg in Thüringen 1944/45, Münster u.a. 1999; Gerhard Kock: „Der Führer sorgt für unsere Kinder …“. Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg, Paderborn u.a. 1997; Jost Hermand: Als Pimpf in Polen. Erweiterte Kinderlandverschickung 1940-1945, Frankfurt/Main 1994; Carsten Kressel: Evakuierung und erweiterte Kinderlandverschickung im Vergleich. Das Beispiel der Städte Liverpool und Hamburg (=Europäische Hochschulschriften 3/715), Frankfurt/Main u.a. 1996; Martin Holz: Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen. 1943-1961, Köln/Weimar/Wien 2003. Die Pflegestellen wurden auf die Stadt- und Landkreise aufgeteilt: Altenburg 550, Arnstadt 500, Eichsfeld 300, Eisenach 700, Erfurt 860, Gera 820, Gotha 600, Greiz 560, Hildburghausen 400, Jena-Stadtroda 900, Langensalza 300, Meiningen 480, Mühlhausen 400, Nordhausen-Südharz 650, Rudolstadt-Saalfeld 800, Sondershausen 400, Sonneberg 500, Schleiz 400, Schmalkalden-Suhl-Schleusingen 500, Weimar 1.500. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 31, Bl. 45f.) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 327
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SS-Obergruppenführer Lorenz71 ließ jedoch dem Gaustabsamt der NSDAPGauleitung Thüringen mitteilen, dass diese Kapazitäten selbst überlastet seien und folglich nicht als KLV-Lager oder für die Aufnahme von Umquartierungen zur Verfügung standen.72 Die oft mangelnde Koordination der Einzelmaßnahmen verdeutlicht ein Schreiben des Landrats von Rudolstadt an das Thüringische Innenministerium, in dem er auf die bereits vollzogene Errichtung von sieben Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle ohne Benachrichtigung der staatlichen Verwaltung und der Weigerung der Wehrmacht zur Räumung eines Sanatoriums für die Unterbringung von Kindern hinwies.73 Die Unterbringung auch von Kindern und Müttern führte darüber hinaus zu einer Missstimmung in der Bevölkerung, die von zahlreichen Landräten und Oberbürgermeistern mehrmals gegenüber den staatlichen Verwaltungsbehörden zur Sprache kam.74 Die KLV erfolgte funktional über den Gau Thüringen, bezog aber territorial den Regierungsbezirk Erfurt nicht mit ein. Seit 1943 lag die Erfassung von Wohnraum für die Erweiterte KLV und Umquartierungen aus Luftschutzgründen allein bei der NSV.75 1943 setzte, parallel zur Evakuierung aus Luftschutzgründen, ein Wandlungsprozess bei der KLV ein, denn bedingt durch die militärischen Einbrüche verschärfte die Reichsführung die KLV. Die Durchführung der Erweiterten KLV, der Evakuierung von Müttern mit Kindern, alten und gebrechlichen Menschen, HJ und Obdachlosen, lag nach einer Führerentscheidung bei der Partei, in Thüringen damit bei der NSV.76 1943 erhielt die NSV die Berechtigung zur Feststellung von Unterkunftsraum für die Erweiterte KLV und für die Umquartierungen aus Luftschutzgründen. Sie bildete eine Vorstufe für die Verfügung 5/43, mit der die NSV-Reichsleitung die Erweiterte KLV und die Umquartierungen aus Luftschutzgründen bzw. Fliegerschäden bündelte und ihre Befugnisse deutlich erweiterte. In beiden Fällen sollten die Umquartierten in einen „Aufnahmegau“ geleitet werden und die daraus resultierenden Aufgaben (Beförderungen, Quartierbereitstellung, Unterbringung) erhielten die NSV-Dienststellen (in Absprache mit dem MobBeauftragten der Gauleitung und dem RVK) der mittleren und unteren Ebene
71 72 73 74 75
76
Vgl. Valdis O. Lumans: Werner Lorenz – Chef der „Volksdeutschen Mittelstelle“, in: Smelser/Syring (Hg.): SS, S. 332-345 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 45 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 31, Bl. 31 Vgl. die zahlreichen Hinweise in ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 18, 19, 20, 31 Vgl. zur reichsweiten Zusammenarbeit der Betriebe mit der NS-Volkswohlfahrt bei der Kinderlandverschickung, Belegung von Heimen und zum Einsatz von Kindergärtnerinnen zwischen 1937 und 1940 sowie 1944 und 1945 BArch R12I/262 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 55
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übertragen.77 Anfang 1943 informierte die Gauleitung Thüringen, dass die Organisation der Erweiterten KLV im Einvernehmen mit dem RMI der NSV übertragen worden war. Die Erfassung der freiwilligen und zwangsmäßig zur Verfügung gestellten Wohnungen in den Stadt- und Landkreisen ging damit auf die Partei über, die Landräte und Oberbürgermeister fungierten als Zuarbeiter der Kreisamtsleitungen der NSV.78 Neben der Stellung Thüringens als Evakuierungsgau drängte die HJ Gebietsführung mit der Unterbringung von Kindern aus luftgefährdeten Gebieten in neue Aufgabenbereiche. 1943 gab Hitler nach einem Vortrag des Reichsleiters Baldur von Schirach seine Zustimmung zur Kinderlandverschickung geschlossener Schulklassen aus luftgefährdeten Gebieten.79 Schulen wurden daraufhin zum Teil geschlossen, mindestens aber in ganzen Klassen nach Thüringen verbracht, insgesamt 32.000 Schulkinder. Die Zuständigkeiten wurden auf einer eilig einberufenen Besprechung am 9.6.1943 zwischen Ortlepp, Ministerialdirektor Walther (beide Thüringisches Innenministerium), Bürgermeister Thomas (Gauamtsleiter), Böttger (Gaustellenleiter), Schößler (Gauamtsleiter) und Schulrat Krause (Thüringisches Ministerium für Volksbildung) abgesteckt. Das Volksbildungsministerium übernahm die Bearbeitung der Verlegung der Schulen, die NSV deren Umquartierung und die der Familien, das Innenministerium die Planung des Barackenbaus.80 In der Komplexität der Evakuierungsfrage hatten sich die Mobilisierungsstrategien der Partei als funktions- und durchsetzungsfähig erwiesen und sich die Aufgaben der Partei gewandelt. Von mehr oder minder geplanten Aktionen zur sozialen Kontrolle ging sie zu eher improvisierten, letzten Endes aber durchaus effizienten Hilfsmaßnahmen über.
5.
Die Versorgungsproblematik im Rahmen der Evakuierungen
Die Unterbringung, Verpflegung und Versorgung der Evakuierten, für die das RMI bereits am 5.9.1939 dem Thüringischen Innenministerium eine Vorauszahlung in Höhe von zwei Millionen RM zur Verfügung stellte81, übernahmen arbeitsteilig staatliche und parteiliche Verwaltungsstränge. Die öffentliche Verwaltung organisierte die Erfassung und Sicherstellung der Unterkünfte, den Transport, die Verpflegung und die wirtschaftliche Betreuung am Aufnahmeort. Die Partei übte die Zuständigkeit durch die Hoheitsträger 77 78 79 80 81
Vgl. Verfügung Nr. 5/43 vom 21.4.1943, in: ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 50f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 30, Bl. 4f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 31, Bl. 20 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 33, Bl. 65 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 22, Bl. 1f.
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für die politische, weltanschauliche und ideelle Betreuung aus. Wichtige Aufgaben übernahm – wie dargestellt – die NSV Thüringen. Sie verantwortete die Verpflegung während des Transports, ordnete bei den Wirtschaftsämtern die Ausstellung von Bezugsscheinen an und übernahm die gesundheitliche Betreuung durch die Bereitstellung ihres Pflegepersonals und die Quartiersuche. Die wirtschaftliche Betreuung nach der Ankunft in Thüringen lag bei den öffentlichen Verwaltungsstellen, die die Kosten der Evakuierung trugen. Unter diesen Rahmenbedingungen wurden 1942 21.000 obdachlos gewordene Hamburger im Gau Thüringen untergebracht, zwei Drittel davon im Land Thüringen.82 Bei der Organisation der Hamburg-Aktion konnte auf die vielfältigen Erfahrungen mit der Saarland-Aktion zurückgegriffen werden, bei der Staats- und Parteistellen oft nebeneinander gearbeitet hatten. Bei der Hamburg-Aktion beauftragte das Thüringische Innenministerium deshalb ausdrücklich die staatlichen Verwaltungsbehörden mit der Durchführung der Versorgung, die Partei sollte allenfalls unterstützend mitwirken.83 Angesichts der akuten Probleme mit der Evakuierungsfrage im Westen berief Göring als Vorsitzender des Ministerrats für die Reichsverteidigung Reichsamtsleiter Dr. Lafferentz am 16.11.1939 zum Reichsbeauftragten für die Bergung, der in Zusammenarbeit mit Partei- und Staatsdienststellen vor allem allgemeine Fragen der Unterbringung, Verpflegung, Betreuung, des Einsatzes in der Wirtschaft sowie der Vorbereitung der Rückkehr organisieren sollte und dem Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung (GBV) unterstand.84 In der Praxis erlangte er kaum an Bedeutung. Im Rahmen der ersten Evakuierungen delegierte das Thüringische Innenministerium seit 1939 den Raumausgleich zunächst auf die unteren Verwaltungsbehörden, die innerhalb ihrer Kreise selbstständig die Raumbelegung koordinierten und die regionalen Instanzen einschalteten, wenn eine kreisinterne Regelung aufgrund der Überbelegung nicht mehr realisiert werden konnte. Anfang 1940, nachdem sich die militärische Lage deutlich besser entwickelt hatte als angenommen und die Bildung gauinterner Reserven für Evakuierungsmaßnahmen angesichts der Frontverläufe obsolet erschien, ordnete die Gauleitung über den Mob-Beauftragten die Umschichtung der Belegungen zur Auflockerung an, in deren Verlauf 10.000 „unzulänglich untergebrachte Rückgeführte aus dem Westen“85 bessere Quartiere erhielten. Die Handhabung funktionierte bis 1942 weitgehend reibungslos, der Rücktransport der Saarbevölkerung erfolgte Ende 1940, sieht man einmal von den Rüstungsdienststellen des RMBM ab, die nicht nach § 22 des Reichsleistungsgesetzes verfuhren, son82 83 84 85
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 29, Bl. 50-52 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 29, Bl. 71-75 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 13, Bl. 25 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 13, Bl. 44
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dern selbstständig Raumbedarf beschlagnahmten, ohne größere Schwierigkeiten. Entscheidend blieben freilich die Evakuierten und Bombengeschädigten, deren Zahl bis September 1943 auf 173.500 bei 727.000 Haushaltungen anstieg und damit die Aufrechterhaltung einer gauinternen „Reserve“ angesichts der Angriffe auf Kassel und Leipzig gefährdete.86 Das Fazit der Gauleitung aus der Mitte des Jahres 1940, als die Vorbereitungen für den Transport der Evakuierten in den Westen des Reiches auf Hochtouren liefen, hätte die Voraussetzung für strukturelle Wandlungen bei der Evakuierungsfrage sein können – was freilich den ideologischen, militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zielsetzungen und dem aktuellen Frontverlauf völlig widersprochen hätte: „Durch das uferlose Durcheinander bei der Rückführung der Volksgenossen aus dem Westen in den Gau Thüringen konnte eine geschlossene kreis- und ortsgebundene gruppenweise Unterbringung nach Freimachungsorten und -kreisen, wie das im Mob-Plan vorgesehen war, im Gau Thüringen nicht erfolgen.“87 Die „Volksgenossen“ waren zum größten Teil auf das gesamte Gaugebiet verteilt worden, ohne dass eine innere Struktur verfolgt worden wäre und damit ergaben sich für den Rücktransport erhebliche Schwierigkeiten, die in eine groß angelegte Erfassungsaktion durch die unteren Verwaltungsbehörden mündete, um die Kapazitäten für den Rücktransport festzustellen. Die Belastungen infolge der Anwendung des Reichsleistungsgesetzes, das nach der Räumung der Westgebiete aufgrund des erwarteten französischen Einmarsches nach dem Beginn des Polenfeldzuges Anwendung fand, sollten durch ein Maßnahmenbündel abgefedert werden. In diesem Zusammenhang wurde in Thüringen – angesichts einiger Schwierigkeiten auf Reichsebene – der Räumungs- und Familienunterhalt vom Innenministerium eigenverantwortlich in die Hände genommen.88 Die Höhe der gezahlten Unterkunftsgebühren für Zivilpersonen, denen bei der einheimischen Bevölkerung Wohnraum zur Verfügung gestellt wurde, veranschlagten öffentliche Verwaltung und NSV, die sich immer drängender in die Aktionen einschaltete, unterschiedlich hoch, so dass es zu Stimmungsschwankungen in der Bevölkerung kam.89 Der Gauamtsleiter der NSDAP, Amt für Volkswohlfahrt, schlug in diesem Zusammenhang eine Vereinheitlichung und Erhöhung der 86 87 88 89
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 12, Bl. 9 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 13, Bl. 54f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 6, Bl. 276-319 Dass die Entschädigungen im Falle einer Einquartierung durch die NSV monatlich 165 RM, durch die staatliche Verwaltung 225 RM betrugen (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 6, Bl. 320f.), hält einer näheren Prüfung nicht stand. Das Gegenteil war der Fall. Die Zahlungen durch die NSV fielen deutlich höher aus als die der staatlichen Stellen. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 13, Bl. 4)
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Zahlungen vor. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Auslegung des Reichsleistungsgesetzes im Verhältnis zur Verordnung zur Wohnraumversorgung der luftkriegsgefährdeten Bevölkerung vom 21.6.1943.90 Für die Verhältnisse in Thüringen mit etwa 164.000 Flüchtlingen Mitte des Jahres 1943 bot die Verordnung nicht genügend Handhabe, da sie dem Wohnungsinhaber noch einen Raum mehr als die Zahl der Bewohner ließ und die Verordnung überhaupt noch gar nicht durchgeführt werden konnte, da die notwendigen Erhebungen und Erfassungen ausstanden und die Drohung der NSV mit dem Reichsleistungsgesetz nach Angaben der Gauführung ausreichte. Der juristische Problemfall, der zwischen staatlicher Verwaltung und NSV zu einigen Unstimmigkeiten führte, wurde – angesichts der Mitte 1943 prekär werdenden Evakuierungsfrage – vom Thüringischen Innenministerium, das um Klärung bemüht war, an das RMI weitergeleitet. Die Verordnung vom 21.6.1943 verunsicherte erheblich die mit der Umquartierungsarbeit beschäftigten Behörden, da sie eine Anlaufzeit von etwa zwei Wochen für Feststellungen, Fristen, Erfassungen etc. benötigte, während – im wahrsten Sinn des Wortes – die Sonderzüge bereits in den Gau rollten. Zudem widersprachen sich die Verordnung, die eine „gemäßigte“ Wohnraumbelegung praktizierte, und das härter durchgreifende Reichsleistungsgesetz. Dadurch entstand in der Bevölkerung des Gaues eine ernstzunehmende Verwirrung und die Organe von NSV und staatlicher Verwaltung sahen sich mit dem Vorwurf ungesetzlichen Verhaltens konfrontiert.91 Diese wenig praktikablen Rahmenbedingungen zwangen die Gauführung, flexibel mit dem Reichsleistungsgesetz zu arbeiten und die Evakuierungsversorgung oft nach gauinternen Regelungen zu handhaben, um ihrer überhaupt Herr zu werden. Deshalb wurde im Gau Thüringen generell auf das Reichsleistungsgesetz zurückgegriffen, das rigorosere, „Erfolg versprechende“ Möglichkeiten des Eingriffs in die Wohnraumbelegung bot, und auf eine rasche reichseinheitliche und klare Lösung gedrängt.92 Die Situation spitzte sich binnen zweier Wochen
90 91
92
Vgl. RGBl I, 1943, S. 355-358; ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 18 Auf Stimmungsschwankungen in der Bevölkerung reagierte das Regime äußerst sensibel und gab dies auch offen zu: „Im Kriege muß von der Bevölkerung jede wirtschaftliche Beunruhigung und jede wirtschaftliche Belastung ferngehalten werden, soweit sie nicht durch die Kriegsführung selbst geboten ist. Zwangsräumungen sind daher unerwünscht. Ferner muß die Untervermietung im Interesse der häufig in wirtschaftliche Bedrängnis geratenen Mieter und auch aus Gründen des Allgemeinwohls (Unterbringung von Flüchtlingen) gefördert werden.“ (Harry v. Rozycki: Die Kriegswirtschaft (=Neugestaltung von Recht und Wirtschaft 40/2), Leipzig 1940, S. 57, Hervorh. i. Orig.) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 9f., 88
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derart zu, dass der RVK sich an den GBV wandte.93 Der durch die Verordnung und zusätzlich durch eine Pressenotiz94 angeheizte Konflikt um die juristischen Grundlagen musste dringend geklärt werden, um die mit der Evakuierung befassten Kräfte zu entlasten.95 Die Versuche Sauckels, den Aufnahmegau Thüringen möglichst mit wenigen Umquartierungen zu belegen, wurden vom Reichswohnungskommissar bereits nach zehn Tagen zurückgewiesen, indem er dem RVK genüsslich vorrechnete, dass der Gau über mehr als 70.000 unterbelegte Räume verfügte.96
6.
Der NS-Gau Thüringen als Bergegau
Mit Ausweitung des alliierten Luftkrieges intensivierten militärische, wirtschaftliche und staatliche Stellen ihre Bestrebungen, sich eigenmächtig nach Kontakten mit örtlichen Behörden geeignete Unterkünfte in den weniger gefährdeten Gauen zu verschaffen.97 In den Gau Thüringen wurden Bombengeschädigte und Umquartierte, Schulen, Pflege- und Altenheime, Wehrmachtunterkünfte, Krankenhäuser und Lazarette der Wehrmacht und ganze Industriebetriebe verlagert.98 Diese Praxis hatte in Thüringen bis 1943 derartige Ausmaße angenommen, dass sich der RVK, bei dem mit Erlass des GBV vom 6.5.1942 die überörtliche Lenkung der Hilfsmaßnahmen lag99, zum Einschreiten beim GBV genötigt sah und auf eine geplante, zentrale Organisation drängte.100 Dazu schlug er dem GBV vor, alle militärischen Verlagerungen über das OKW, alle zivilen über den GBV laufen zu lassen um dadurch der Belastung der Dienststellen in Thüringen, denen die Tür eingerannt wurde, entgegenzuwirken. Sicherlich ist aber auch eine Abschottungsfunktion im Verhalten des Gauleiters zu sehen, der seinen Gau funktionsfähig halten 93 94 95
96 97 98 99
100
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 18f. Vgl. „Völkischer Beobachter“ Nr. 174 vom 24.6.1943 Eine Abgrenzung der Anwendung des Reichsleistungsgesetzes von der Wohnraumversorgungs-Verordnung vom 21.6.1943 erging im Ministerialblatt des Reichs- und preußischen Ministeriums des Innern Nr. 31 vom 4.8.1943, S. 1274-1276. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 22f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 7, Bl. 38, 40 Vgl. in diesem Kontext den Erlass Hitlers über die Prioritätenfolge bei Räumungstransporten vom 14.3.1945, in: „Führer-Erlasse“, S. 485 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. (Rundschreiben Stuckarts an die RVK, Reichsstatthalter, Gauleitungen, Länderregierungen vom 19.4.1943) Die Grundlagen für die Eingriffe der RVK in die Evakuierungsfrage ergaben sich aus ihren Aufgabenfeldern (Vgl. RGBl I, 1939, S. 1565f.) und einem Schreiben Stuckarts von 1941, in dem er die RVK mit der überörtlichen Regulierung der Evakuierung beauftragte. (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag.)
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wollte und mit Blick auf die dichte rüstungswirtschaftliche Struktur Thüringens vor weiteren administrativen und kriegswirtschaftlichen Belastungen zurückschreckte.101 Aufgrund der sich überschneidenden zentralen und partikularen Kompetenzen ordnete ein Führererlass, begleitet von einem Erlass des RMBM, die wirtschaftliche Raumbeschaffung neu102 und übertrug die Gesamtleitung für rüstungswirtschaftlich bedeutsame Industrieverlagerungen dem RMBM, das die Verlagerungen über das Rüstungsamt genehmigte.103 Die seit 1941 bei den Betriebsverlagerungen104 zusammenarbeitenden Rüstungsinspektionen, LWÄ und Landesplanungsgemeinschaften erfassten die Aufnahmekapazitäten und Stilllegungsmöglichkeiten in der Mittelinstanz und das Statistische Reichsamt führte 1943 eine Prüfung aller Lagerräume und Betriebe mit mehr als 200 Mitarbeitern durch. In den Gauen kontrollierten die Verlagerungsstellen der Rüstungskommissionen in Kooperation mit den LWÄ und GWK zudem die Möglichkeiten der Betriebszusammenlegungen und schufen freie Kapazitäten. Verlagerungsvorhaben für Firmen mit Rüstungsfertigung organisierten die Rüstungsdienststellen im Gau Thüringen, bei denen eine Verlagerungsstelle errichtet wurde. Meinungsverschiedenheiten zwischen LWA und Verlagerungsstelle liefen über die Rüstungskommission oder führten zur Einschaltung des RVK.105 Für den Fall der Zuständigkeit der Ausschüsse und Ringe oblag diesen die Koordination der Verlagerung. In anderen Fällen wurden die Reichsstellen, Rüstungskommissionen und LWÄ unter Leitung des Rüstungsamtes eingeschaltet. Schwierigkeiten ergaben sich aus eben dieser doppelten Funktion des Gaus Thüringen als „Aufnahmegau“ für Luftkriegbetroffene und „Bergegau“ für Industrieanlagen. Da Thüringen aufgrund seiner geographischen Lage schon seit Kriegsbeginn zum Evakuierungsgau erklärt wurde, begannen außer- und innerthüringische Firmen selbstständig mit der Verlagerung von Industrie bzw. -zweigen und der eigenständigen Belegung von Fertigungs- und Lagerräumen. 1943, als sich eine verstärkte Nachfrage in Thüringen durch bombengeschädigte Betriebe aus dem Rheinland und Kriegsmarinewerften abzeichnete und der Raummangel zu einer größeren Anzahl an Stilllegungen zugunsten der Rüstungsindustrie führte106, hatten diese Umstände ein Ausmaß erreicht, dass der RVK die Dienststellen von Staat, Partei und Wehrmacht verpflichtete, bei Betriebs- und Industrieverlagerungen, Belegung von Produktions- und 101 102 103
104 105 106
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 6, Bl. 394 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 310, Bl. 3f. Vgl. „Erlaß über Sicherstellung von Räumen zur Aufnahme von Rüstungsfertigungen aus luftgefährdeten Gebieten und zur Unterbringung von Rüstungsarbeitern in luftgeschädigten Gebieten“, in: „Führer-Erlasse“, S. 345 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 356-365 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 307, Bl. 9 Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 13, 15
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Lagerräumen etc. den Weg über das LWA Thüringen als Koordinierungszentrale zu gehen.107 Die Einspruchsmöglichkeit des Gauleiters/RVK bei Verlagerungen hatte zwar keine aufschiebende Wirkung, aber realiter führte das zu beachtlichen Ergebnissen bei den Kreisleitungen und untergeordneten Dienststellen. Diese wussten den Verlagerungen nach einem solchen Einspruch in der Regel erhebliche Schwierigkeiten zu bereiten, so dass in solchen Fällen die Firmen auf eine Verlagerung verzichteten. Im Zuge des Bedeutungszuwachses der industriellen Verlagerungen errichtete die Rüstungsinspektion IX unter der Leitung von Kriegsverwaltungsrat Dr. Engel eine Außenstelle für Verlagerungen für den Bereich der Rüstungskommission IX b108, da der Bereich IX b aufgrund seiner industriellen Konstitution (zahlreiche Mittelbetriebe) sowie seiner relativ günstigen Verkehrslage und des groß angelegten Energienetzes und der Ferngasversorgung ein ideales Aufnahmegebiet für zu verlagernde Betriebe aus luftgefährdeten Gauen darstellte. Engel agierte als Verbindungsmann der Inspektion mit dem Vorsitzer der Rüstungskommission, dem Rüstungsobmann, dem Wehrkreisbeauftragten, dem Gauarbeitsamt und LWA Thüringen bei der Abstimmung der Umsetzungsvorschläge der Rüstungsdienststellen und veranlasste die Umsetzungen und Vollzugsmeldungen bei den Rüstungskommandos. Dr. Engel berief in diesem Kontext eine inoffizielle Zusammenkunft der im weiteren Sinne mitteldeutschen Rüstungsinspekteure IV a (Dresden), IX (Kassel), XI a (Hannover), XI b (Magdeburg) und XIII (Nürnberg) ein. Solche Treffen dienten einem intensiven und folgenreichen Informationsaustausch. Der prognostizierte reibungslose Ablauf der Abwicklung der Verlagerungen, insbesondere die Unterbringung der 17.000 Arbeitskräfte, trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits 200.000 zivilen Evakuierten im Gau Thüringen, entsprach sicherlich nicht zur Gänze der Realität. Aber er beweist die Leistungsfähigkeit der regionalen Kräfte bei der Bewältigung der Anforderungen im Zuge von Evakuierung und Verlagerung und deren Bestreben, das Optimum zu erreichen.109 Engel musste im Sommer 1944 vor diesem Hintergrund eingestehen, dass sich bei weiteren Verlagerungen erhebliche Schwierigkeiten ergeben würden, da kaum noch Fertigungsräume zur Verfügung standen, zusätzliche Reserven an Gas und Energie für die mit den Verlagerungen in den Gau strömenden Arbeitskräfte fehlten, Unterbringungsmöglichkeiten nicht vorhanden 107
108 109
Gunther Mai (Kriegsende, S. 271f.) gibt für die Zahl der verlagerten Betriebe eine Belegschaft von 270.000 Personen an. Bei Kriegsende befanden sich in der um 300.000 Personen reduzierten einheimischen Bevölkerung ca. 800.000 auswärtige Menschen (Häftlinge, Evakuierte, Verwundete, Kriegsgefangene, Flüchtlinge etc.) in Thüringen. (Vgl. Jürgen John (Hg.): 1945-1952 (=Quellen zur Geschichte Thüringens 9), Erfurt 1999, S. 218-225) Vgl. BA-MA RW 20-9/17, Bl. 35, 38; BA-MA RW 20-9/15, Bl. 10 Vgl. BA-MA RW 20-19/9, Bl. 154f.
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waren und Arbeitskräfte aus dem Gau für die verlagerten Betriebe nicht bereitgestellt werden konnten. Die Landräte und Oberbürgermeister wies Engel an, die Verwendung von unterirdischen Räumen nur dann in Eigenregie zu veranlassen, wenn die Rüstungsdienststellen dafür keine Verwendung hatten. Das Treffen der Rüstungsinspekteure auf der Wartburg im Juli 1944 stellt eines jener Beispiele für regionalen Interessenabgleich mit tendenzieller Gauausrichtung dar, bei denen Erfahrungen, Mobilisierungs- und Problemlösungsstrategien diskutiert und präsentiert wurden, die für die Leistungsfähigkeit und Systemstabilität vor allem in der zweiten Kriegshälfte scheinbar unerlässlich waren. Die zentral organisierten und initiierten Mechanismen versagten angesichts der enormen Herausforderungen, so dass regionale Behörden sich in Eigenregie Instrumente und Plattformen schufen, mit denen sie den Schwierigkeiten zu begegnen gedachten. Die Betriebsverlagerungen liefen bis Mitte 1943 unkoordiniert, wurden von einigen Turbulenzen in der Mittelinstanz begleitet und nahmen erhebliche Kräfte und Zeit in Anspruch. Die quer zueinander liegenden Kompetenzen verliefen nicht an der Bruchstelle Staat – Partei, sondern waren komplexer gelagert. Regionale Funktionsträger entwickelten eigenständige Lösungskonzepte, die die gaubezogenen strukturellen Rahmenbedingungen weit mehr zu berücksichtigen wussten und den Gauen erhebliche Handlungsspielräume zuwiesen. Wegen der sich dramatisch verschärfenden Verlagerungen und der starken Involvierung der regionalen Behörden im Gau entstand zur Vereinfachung und schnelleren Erledigung der notwendigen Verhandlungen im September 1943 beim Rüstungskommando Weimar eine „Verlagerungsstelle Thüringen der Rüstungsinspektion IX“ unter der Leitung von Engel, um der Inspektion einen möglichst weitgehenden Einfluss auf diesen Aufgabenbereich zu gewährleisten. 110 Die starke Beanspruchung des zur Verfügung stehenden Fertigungsraums im Gau Thüringen konnte vor dem Hintergrund weiterer Verlagerungen des Jägerstabes (Gothaer Waggonfabrik, BMW Eisenach und Luftwaffenreparaturbetriebe) allenfalls rationeller und mit Ausrichtung auf die regionale Rüstungswirtschaft gestaltet, aber nicht verhindert werden. Bei der Räumung der Aufnahmebetriebe ergaben sich Schwierigkeiten dadurch, dass sich die verlagerten Firmen ohne die gebührende Rücksicht auf die Belange der Aufnahmebetriebe in diese einschoben, so dass das Eingreifen der Inspektion IX notwendig wurde. Das Vorantreiben der Rationalisierungsmaßnahmen erfolgte dadurch, dass leistungsmäßig schlechtere Betriebe im Zuge der Stilllegungsaktion des Generalbevollmächtigten für Betriebsumsetzungen abgeschaltet wurden. Die Leistungssteige110
Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 16. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden in den Bereich des Rüstungskommandos Weimar 41 Firmen mit einer Beanspruchung von 130.000 qm Fertigungs- und Lagerraum verlagert.
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rung wurde durch Vorschläge zur zweckmäßigen Fertigung von Einzelteilen zu Rüstungs- und handelsüblichem Gerät gefördert. Dem Antrag der Inspektion, vor diesem Hintergrund eine Einschränkung der Verlagerungen nach Thüringen zu bewirken, da sich die Industrie im Gau verstärkt Luftangriffen ausgesetzt sah111, war aufgrund der militärischen Situation freilich kein Erfolg beschieden.112 Die Argumentation der Rüstungsinspektion IX gegenüber dem RMRK ist dabei durchaus nachvollziehbar und begründet, zeichnete sich doch bereits eine Auslastung der Aufnahmekapazität des Gaues ab. Gleichzeitig aber spiegelt sie die ihr immer deutlicher entgleitenden Kontroll- und Steuerungsfunktionen.113 Verlagerungen sollten nur dann durchgeführt werden, wenn sie von der Inspektion und anderen zuständigen Dienststellen geprüft und genehmigt worden waren, da die industrielle Raumbewirtschaftung, die Energie- und Gasversorgung und die Wohnraumbeschaffung an ihre Grenzen stießen.
111 112 113
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 20. Am 20.7.1944 findet sich immerhin ein Eintrag im Kriegstagebuch der Rüstungsinspektion IX über einen Luftangriff auf Thüringen. Vgl. BA-MA RW 20-9/17, Bl. 14, 21 Vgl. zum Folgenden das Schreiben der Rüstungsinspektion IX an das RMRM zu Verlagerungen von Fertigungen in den Gau Thüringen vom 2.2.1944, in: BA-MA RW 20-9/17, Bl. 26. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nach Inspektionsangaben etwa 100.000 Evakuierte im Gau. Die Arbeitskräfte, die infolge der Verlagerungen in den Gau gekommen waren, konnten teilweise nur noch in Baracken untergebracht werden, deren Errichtung aufgrund der angespannten Verkehrslage nur unter großen Schwierigkeiten möglich war.
TEIL 3 DER NS-GAU THÜRINGEN 1939 BIS 1942
I.
1.
Der NS-Gau Thüringen als Teil des Reichsverteidigungsbezirkes IX
Der Wehrkreis IX
Das Problem der Unterstellung von Gauleitern ohne unter Gauleiter mit RVK-Amt traf auf den Wehrkreis IX zu, dem Sauckel als RVK vorstand.1 Er erledigte seine Dienstangelegenheiten von Kassel und Weimar aus und sollte sich des Behördenapparats des preußischen Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau am Sitz des Wehrkreiskommandos IX in Kassel bedienen. Für wirtschaftliche Fragen stand der Führungsstab Wirtschaft mit Dienstsitz in Kassel zur Verfügung. In Hessen selbst teilten sich Oberpräsident Prinz Philipp von Hessen2 und Gauleiter Weinrich die Macht. Sauckel war diesen in seiner Funktion als RVK nun übergeordnet. Ein weiterer Aspekt, der die Verhältnisse komplizierte, war die Bestellung des Behördenchefs der Dienststelle der RVK zu deren Stellvertretern. Das bedeutete, dass Philipp von Hessen Sauckel unterstand. Gemäß seines Selbstverständnisses und seiner Amtsauffassung machte Sauckel dann auch unmissverständlich klar, dass er das RVK-Amt extensiv auszulegen gedachte. Der Wehrkreis IX umfasste:3 von der Provinz Hessen-Nassau: den Regierungsbezirk Kassel, Teile des Regierungsbezirks Wiesbaden (Stadtkreis Frankfurt/Main, Landkreise Bieden-
1 2 3
Vgl. Schilling: Herrschaftssystem, S. 130-136; Post/Wahl: Thüringen-Handbuch, S. 39f. Vgl. Albert Speer: Erinnerungen, München 2003, S. 320 Vgl. Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen Nr. 77 vom 30.9.1939, S. 319, ferner die „Bekanntmachung des RVK für den Wehrkreis IX“ vom 27.9.1939, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 467, n. pag.; detaillierte Aufteilung, welche Kreise der Gaue Hessen-Nassau, Kurhessen, Halle-Merseburg, Westfalen-Süd, Südhannover-Braunschweig, Mainfranken und Thüringen zum WK IX gehörten, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468, Bl. 94-100; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 2863, Bl. 16-18
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kopf, Dillkreis (Dillenburg), Oberlahnkreis (Weilburg), Obertaunuskreis (Bad Homburg v. d. H.), Usingen, Wetzlar); von der Provinz Sachsen: den Regierungsbezirk Erfurt, Teile des Regierungsbezirks Merseburg (Landkreise Eckartsberga, Querfurt und Sangerhausen); von der Provinz Westfalen: Teile des Regierungsbezirks Arnsberg (Stadtkreis Siegen, die Landkreise Siegen und Wittgenstein (Berleburg)); von der Provinz Hannover: Teile des Regierungsbezirks Hildesheim (Stadtkreis Aschaffenburg, die Landkreise Alzenau, Aschaffenburg, Miltenberg und Obernburg); vom Land Hessen: die Stadtkreise Gießen und Offenbach sowie die Landkreise Alsfeld, Büdingen, Dieburg, Erbach, Friedberg, Gießen, Lauterbach und Offenbach; vom Land Bayern: Teile des Regierungsbezirks Mainfranken (Stadtkreis Aschaffenburg, die Landkreise Alzenau, Aschaffenburg, Miltenberg und Obernburg) das Land Thüringen: ohne den Stadtkreis Altenburg, die Landkreise Altenburg4 und Sonneberg und die Exklave Ostheim vom Landkreis Meiningen.5 Aufteilung des Wehrkreises IX6 Land bzw. Regierungsbezirk Zahl der Zahl der Zahl der Provinz Stadtkreise Landkreise Gemeinden der Landkreise HessenKassel 3 21 1.288 Nassau Wiesbaden 1 6 353 Provinz Erfurt 3 8 439 4 5 6
Gesamtzahl der Einwohner 1.157.858 854.636 616.859
Stadt- und Landkreis Altenburg unterstanden dem RVK des WK IV, Mutschmann (Dresden). Der Landkreis Sonneberg und die Exklave Ostheim unterstanden dem RVK des WK XIII, Adolf Wagner (München). Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 466, n. pag. (Stand: etwa September 1939. Eine genauere Datierung ist aufgrund der Quellenlage nicht möglich.) Eine detaillierte Auflistung der Kreise, Städte, Gemeinden, Landräte und Bürgermeister findet sich in ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 466, Bl. 60-208
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Sachsen Provinz Westfalen Provinz Hannover Bayern Thüringen Hessen
135
Merseburg Arnsberg
1
3 2
229 170
188.866 168.020
Hildesheim
-
1
37
29.033
Mainfranken -
1 8 2
4 13 8
140 1.661 613
172.144 1.525.360 641.590
Insgesamt zählten damit zum Wehrkreis IX 19 Stadtkreise, 66 Landkreise, 4.930 Gemeinden und 5.354.366 Einwohner. Eine eigenartige Konstruktion und gleichzeitig Ausdruck der inneren Strukturdefizite war die Zugehörigkeit der Stadt Frankfurt/Main zum Wehrkreis IX, da sie „Gauhauptstadt“ des Gaus Hessen-Nassau war und hier Gauleiter Jakob Sprenger residierte. Dieser wiederum fuhr täglich nach Darmstadt hinüber, um seine Regierungsgeschäfte als Reichsstatthalter und Ministerpräsident der hessischen Landesregierung wahrzunehmen. Zudem war Sprenger selbst RVK für den Wehrkreis XII mit Sitz in Wiesbaden. Er unterstand in seiner Gauhauptstadt Sauckel als RVK und verfügte in Fragen der zivilen Reichsverteidigung nur über eingeschränkte Kompetenzen, bediente sich im Gegenzug aber der Behörden des preußischen Regierungspräsidenten in Wiesbaden, um sein Amt als RVK für den Wehrkreis XII wahrzunehmen. Die Anpassung der Bezirke der RVK an die Gebietseinteilung der Wehrmacht bewährte sich nicht, da die RVK ihre Aufgaben mit einer Vielzahl von gleichartigen Behörden durchzuführen hatten.7 Andererseits war den Gauleitern die politische Leitung ihres Gaues erschwert, da ihr Gebiet zerrissen war bzw. die oberste Weisungsbefugnis beim RVK lag. Es entsprach daher dem oft geäußerten Wunsch der Gauleiter und letztlich den organisatorischen Leitgedanken der Reichsführung, die territoriale Gliederung von Partei, Staat und möglichst auch der Wehrmacht miteinander in Einklang zu bringen. Die Situation war – insbesondere für die sich übergangen fühlenden Gauleiter – nicht haltbar, sodass die Verordnung über die RVK schon am 22.9.1939 nachgebessert werden musste.
7
Vgl. Verzeichnis der Behörden und Dienststellen im Bereich des WK IX, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468, Bl. 67-76
136
2.
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Der Verteidigungsausschuss für den Wehrkreis IX
Sicherlich ging es auf entstandene Schwierigkeiten und Einwände der übergangenen parteilichen und staatlichen Funktionseliten zurück, dass der Ministerrat für Reichsverteidigung schon am 22.9.1939 eine Durchführungsverordnung erließ, in der die Einrichtung der RVK neu geordnet, ihre verwaltungstechnische Handhabung allerdings noch weiter verkompliziert wurde.8 In jedem Wehrkreis wurde ein Verteidigungsausschuss9 gebildet, der die Aufgabe hatte, „den RVK zu beraten und ihn bei der einheitlichen Steuerung der zivilen Reichsverteidigung im Wehrkreis zu unterstützen.“10 Eine der Hauptaufgaben des RVK und des ihn unterstützenden Verteidigungsausschusses bestand in der Koordination und Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Im Mittelpunkt der Beratungen standen deshalb Fragen des Arbeitseinsatzes und Lohnes, der Industrie, Ernährungs-, Land-, Forstund Holzwirtschaft. Um das entstandene Konfliktpotential abzufedern und die übergangenen Funktionsträger am neuen Amt des RVK partizipieren zu lassen, wurden sie in den Verteidigungsausschuss berufen. 1. kraft Amtes: Reichsstatthalter, Gauleiter, Oberpräsidenten, Ministerpräsidenten und Minister der Länder, HSSPF, Regierungspräsidenten, LAA-Präsidenten, Reichstreuhänder der Arbeit 2. kraft Berufung: „deutsche Männer“, die der Vorsitzende des Ministerrats für Reichsverteidigung einsetzte.11 Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren dem RVK ausdrücklich nicht unterstellt, sondern sollten ihn bei der Durchführung seiner Maßnahmen „unterstützen“. Ein eindeutiges hierarchisches Verhältnis fehlte somit in dieser neuen Verwaltungsstruktur, was Probleme geradezu in die Ausschüsse hineintrug. Zusätzlich wurde für die übergangenen Gauleiter das Amt des „Beauftragten des RVK“ geschaffen, den Göring als Vorsitzender des Ministerrats auf gemeinsamen Vorschlag des „Stellvertreters des Führers“ und des GBV ernannte. Der „Beauftragte“ sollte die „Befugnisse des RVK nach dessen Weisungen“12 ausüben. Er war ein dem RVK nachgeordnetes Organ des Ministerrats und den Weisungen des Vorsitzenden des Ministerrats, des Stellvertreters des Führers, des GBV und GBW und der Obersten Reichsbehörden 8 9
10 11 12
Vgl. RGBl I, 1939, S. 1937f. Vgl. zur Problematik der Verteidigungsausschüsse Hüttenberger: Gauleiter, S. 155f., Rebentisch: Führerstaat, S. 137-140; Neumann: Behemoth, S. 88; Teppe: Reichsverteidigungskommissar, S. 281-284 RGBl I, 1939, S. 1937 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 467, n. pag. RGBl I, 1939, S. 1938
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für deren Geschäftsbereiche untergeordnet. Eine Errichtung eigener, neuer Dienststellen wurde ausdrücklich verboten, ebenso die Abstellung von Beamten für den „Beauftragten“ und seine Dienstgeschäfte. Die Aufgaben sollten vielmehr mit den schon bestehenden Verwaltungsbehörden bearbeitet werden. Der Geschäftsverkehr mit den Reichsbehörden erfolgte ausschließlich über den RVK. Durch diese Regelungen wurde der Gestaltungsrahmen dieses Amtes erheblich eingeschränkt. Ein grundsätzlicher Widerspruch steckte bereits in der Bestellung des „Beauftragten“ des RVK. Formell war er an die Weisungen des RVK gebunden, als Gauleiter jedoch war er lediglich angewiesen, den RVK zu unterstützen. Der RVK musste gegenüber dem „Beauftragten“ sein Vorgesetztenverhältnis durchsetzen, der „Beauftragte“ hingegen strebte nach weitestgehender Autonomie in seinem Gauleiterbereich. Die Liste der zu Beauftragten der RVK Ernannten lässt erkennen, dass in erster Linie Konflikte unter den Gauleitern, die zum Teil erheblich waren, entschärft werden sollten; hier zeichnete sich zudem eine Lösung ab, die später mit der Anpassung der RV-Bezirke an die Gaue realisiert werden sollte. Für den Wehrkreis IX wurde jedoch – weil und obwohl mehrere Gauleiter dem Wehrkreis rein formell zugehörten und Sauckel als RVK untergeordnet waren – kein Beauftragter ernannt, da das Interesse auf die Gaue, nicht auf die Wehrkreise ausgerichtet war und Sprenger und Adolf Wagner selbst RVK waren.13 Der hessische Gauleiter, Reichsstatthalter und RVK für den Wehrkreis XII, Sprenger, beabsichtigte indes gleichsam als Sauckels rechte Hand und in dessen Abwesenheit als sein Stellvertreter in seinem Gau Hessen-Nassau zu fungieren.14 Eine solche machttaktische Regelung widersprach zwar den formellen Anordnungen, da der Leiter der Behörde am Standort des Wehrkreises, in diesem Fall in Kassel, als Stellvertreter fungieren sollte, deutet aber bereits die tendenzielle Gauausrichtung ziviler RVAufgaben an. Dem Verteidigungsausschuss des Wehrkreises IX15, dem Sauckel als RVK vorstand, gehörten kraft Amtes an:
13 14 15
Vgl. zu den Beauftragten der RVK Hüttenberger: Gauleiter, S. 155 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 5f., 8 Vgl. zu den Behörden und Dienststellen im Bereich des WK IX ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468, Bl. 67-76
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Mitglieder (kraft Amtes) des Verteidigungsausschusses für den Wehrkreis IX (1939)16 1. Fritz Sauckel 2. Jakob Sprenger 3. Adolf Wagner
4. Karl Weinrich 5. Joachim A. Eggeling 6. Dr. Otto Hellmuth 7. Josef Wagner 8. Bernhard Rust 9. Dr. Alfred Meyer 10. Curt v. Ulrich 11. Viktor Lutze 12. Philipp von Hessen 13. Ludwig Siebert 14. Willy Marschler 15. Walter Ortlepp 16. Josef zu WaldeckPyrmont 17. Konrad v. Monbart
16
-
- RVK Wehrkreis IX, Gauleiter und Reichsstatthalter Thüringen - RVK Wehrkreis XII, Gauleiter und Reichsstatthalter Hessen-Nassau - RVK der Wehrkreise VII und XIII, Gauleiter München-Oberbayern, Bayerischer Staatsminister des Innern und für Unterricht und Kultus, stellvertretender Ministerpräsident - Gauleiter Kurhessen, Preußischer Staatsrat - Gauleiter und Reichsstatthalter HalleMerseburg, Preußischer Staatsrat - Gauleiter Mainfranken, Regierungspräsident von Unterfranken - Gauleiter Westfalen-Süd und Schlesien, Oberpräsident der Provinz Schlesien - Reichsminister, Gauleiter Süd-HannoverBraunschweig - Gauleiter Westfalen-Nord, Reichsstatthalter Lippe und Schaumburg-Lippe, Oberpräsident der Provinz Westfalen - Oberpräsident der Provinz Sachsen, Preußischer Staatsrat - Oberpräsident der Provinz Hannover, Preußischer Staatsrat, Stabschef der SA - Oberpräsident der Provinz HessenNassau, Preußischer Staatsrat - Ministerpräsident von Bayern - Ministerpräsident von Thüringen - Staatssekretär und Leiter des Thüringischen Innenministeriums - HSSPF des Oberabschnitts Werra-Fulda (WK IX) mit Dienstsitz in Kassel Regierungspräsident Provinz HessenNassau (Kassel)
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 467 Bl. 1, 19; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468 Bl. 79
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18. Dr. Otto Weber 19. Fritz v. Pfeffer 20. Dr. Friedrich Sommer 21. Dr. Ludwig Runte 22. Reinhard Bredow 23. Dr. Alfred Löblich 24. Hermann Kretschmann 25. Friedrich K. Gärtner 26. Dr. Kurt L. Kaphahn 27. Dr. Wilhelmi 28. Dr. Fritz Schmelter 29. Dr. Karl H. Wiesel 30. Kurt Frey 31. Karl Hahn 32. Dr. Kurt v. Maercken 33. Ludwig Schröder
139 - Regierungspräsident Provinz Sachsen (Erfurt) - Regierungspräsident Provinz HessenNassau (Wiesbaden) - Regierungspräsident Provinz Sachsen (Merseburg) - Regierungspräsident Provinz Westfalen (Arnsberg) - Regierungspräsident Provinz Hannover (Hildesheim) - Präsident LAA Mitteldeutschland - Präsident LAA Hessen - Präsident LAA Westfalen - Präsident LAA Niedersachsen - Präsident LAA Bayern, Zweigstelle Nürnberg - Reichstreuhänder der Arbeit Hessen - Reichstreuhänder der Arbeit Thüringen - Reichstreuhänder der Arbeit Bayern - Reichstreuhänder der Arbeit Westfalen - Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen - Reichstreuhänder der Arbeit Mittelelbe
Von der Möglichkeit, weitere Mitglieder in Beratungsfunktionen zu berufen, wurde umfassend Gebrauch gemacht. Sauckel war dabei offensichtlich bemüht, Mitglieder der Thüringer Gauverwaltung und getreue Gefolgsleute in den Verteidigungsausschuss zu berufen.17 Bereits am 21.10.1939 schlug er erfolgreich den stellvertretenden Gauleiter Siekmeier, den LBF und Leiter des LEA Thüringen, Peuckert, den GWB Thüringen, Dr. Schieber, den Führer der NSKK-Gruppe Thüringen, Barth, und den Gauamtsleiter, RVReferenten18 und Verbindungsmann Sauckels zu allen staatlichen und politischen Stellen im Wehrkreis IX, Escher19, als Mitglieder für den RVAusschuss vor. 17
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470 (n.pag.)
18
Die Ernennung Eschers zum RV-Referenten erfolgte am 6.12.1940. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, PA 608, Bl. 90) Walter Escher war einer der führenden Nationalsozialisten im Gau Thüringen und einer der engsten Mitarbeiter Sauckels. Die folgenden Angaben beruhen auf den Akten des ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, PA 608 und ThHStAW, NS-A9 Obj. 09ZA0060 (Escher).
19
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Am 25.4.1940 verhängte Stuckart „aus organisatorischen Gründen“ eine Aufnahmesperre für die RV-Ausschüsse. Eine beratende Teilnahme war jedoch auch weiterhin möglich. Die RV-Ausschüsse sollten durch die nun begrenzte Mitgliedszahl nicht zu schwerfällig werden, so dass eine effektive Arbeitsorganisation aufrechterhalten werden konnte. Auch andere RVMitglieder brachten Mitgliederwünsche vor, um die eigenen Kandidaten in den Ausschuss zu bringen. Dazu zählten beispielsweise der Vizepräsident beim Oberpräsidium Kassel und ständige Stellvertreter Prinz Philipps, Dr. Beckmann, der LBF und Leiter des PEA Kurhessen, Walther Seidler, der GWB im Gau Kurhessen, Dr. Rudolf Braun, der Oberbürgermeister von Frankfurt/Main, Dr. Fritz Krebs, und der Oberbürgermeister von Kassel, Gustav Lahmeyer. Als Führungsorgan des RV-Ausschusses wurde ein von Sauckel berufener Stab20 geschaffen, der sich vornehmlich aus Mitgliedern der Thüringer Gauführung zusammensetzte.21 Die RV-Ausschuss-Sitzungen dienten als Kommunikations- und Koordinationsplattform für Dienststellen
20 21
Geb. 1902, 1918 mittlere Reife, rasche Karriere in der Verwaltung (1925 Ministerialinspekteur, 1933 Amtsrat, 1935 Regierungsrat, 1939 Oberregierungsrat), 1928 NSDAP-Eintritt, von 1922-1933 Angestellter im Thüringischen Innenministerium, 1933 Wechsel in die Reichsstatthalterei, 1934 Tätigkeit im „Braunen Haus“ in der Kanzlei des Stellvertreters des Führers, seit 1934 Gauwalter des Reichsbundes Deutscher Beamter, kommissarischer Leiter der Dienststelle Thüringen des Deutschen Gemeindetages, 1935-1945 Mitglied im NSFK, 1935 Beisitzer des Gaugerichts, stellvertretender Fraktionsführer im Weimarer Stadtrat, 1928-1945 Gauamtsleiter der NSDAP, 1940 Ernennung zum RV-Referenten Sauckels und zum Stellvertreter des federführenden RV-Referenten, Dienstauszeichnung in Bronze, Silberner Gauadler, Goldenes Parteiabzeichen, KVK II. Klasse Escher war „die rechte Hand des ehemaligen Gauleiters Sauckel“, „besaß dessen uneingeschränktes Vertrauen“ (Aussage einer Verwaltungsangestellten nach Kriegsende, Bl. 3, 77), stand rückhaltlos hinter dem NS-Regime und galt als „politisch unbedingt zuverlässig.“ (Bl. 104) Sauckel hatte sich intensiv um die Beförderung Eschers bemüht, sich eigenmächtig bei der Anwesenheit Hitlers 1938 in Weimar von diesem persönlich die Ernennung Eschers zum Oberregierungsrat absegnen lassen und dadurch den eigentlichen Dienstweg über das RMI übergangen. Escher war „für alle in Weimar anfallenden Sachen […] die zentrale Bearbeitungsstelle.“ (Bl. 35) und in der Reichsstatthalterei Referent bzw. Sachbearbeiter für fünf der neun Referate. (Zentralstelle, Kommunalverwaltung, Finanzen, Reichsverteidigung, Wirtschaft/Verkehr) Für Sauckel war er nicht nur„ein besonders gut qualifizierter Beamter […], sondern auch ein langjähriger und erprobter Nationalsozialist“. (Bl. 44) Nach Kriegsende wurde Escher im Lager Ludwigsburg interniert, über seinen weiteren Verbleib ist nichts bekannt. 1950 trat die Volkspolizei an die Justiz mit der Bitte um Überweisung von Aktenmaterial Eschers an das Ministerium für Staatssicherheit heran. Vgl. Schilling: Herrschaftssystem, S. 132 Mitglieder des Führungsstabes: Ortlepp, Buchmann, Siekmeier, Peuckert, Schieber, Escher, Barth, Krebs, Braun, Seidler
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von Partei, Staat und Wirtschaft.22 Sie übten wichtige Informations- und Steuerungsfunktionen aus, wurden vom RVK genutzt, Weisungen zu erteilen und Rücksprache zu halten, und zu Motivations-, Interaktions- und Repressionszwecken instrumentalisiert. Die versammelten Eliten des Wehrkreises, seit 1942 des Gaues, erarbeiteten die Rahmenbedingungen und Perspektiven der Kriegswirtschafts- und Verwaltungspolitik und positionierten sich im regionalen Herrschaftssystem. Als Basis für modernes Konfliktmanagement und Interessenabgleich sind die RV-Ausschuss-Sitzungen in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen, da sie angesichts der komplexen Herrschaftsstrukturen der Wehrkreisebene eine einzigartige Kommunikationsform darstellten, die alle bedeutenden Funktionsträger und Institutionen zusammenführten und die behördenübergreifenden, drängenden Probleme wie Kriegssituation, Arbeitskräfteeinsatz, Leistungsfähigkeit und Stellung der Wirtschaft, Binnenwanderung und Zukunftsplanung der Bevölkerungsentwicklung, quasistaatliche Steuerungsmechanismen, Berufsnachwuchs, Kriegsgefangenenfrage, Ernährungs- und Versorgungslage, Stand und Folgen von Evakuierungen, Kohle- und Energieversorgung, Preisbildung und -frage, Lohn- und Sozialpolitik und Stimmung in der Bevölkerung zur Sprache brachten.23 Daneben dienten sie bis in die Zeit des Kriegsendes zur Disziplinierung der Parteiund Staatsfunktionäre der unteren Ebene ebenso wie zum Einweisen in deren Funktionen.24 Da der RV-Ausschuss als Kommandoorgan über keinen eigenen Unterbau verfügte, wurden die Gau- und Länderbehörden aktiviert, was die Herausbildung neuer, „quasistaatlicher“ Mechanismen vorantrieb. In der zweiten Kriegshälfte diente der RV-Ausschuss zur Disziplinierung und übernahm Kontrollfunktionen, über die Gauleiter und RVK Sauckel zum Teil erheblichen Druck auf die Kreisleiter und Oberbürgermeister, seit 1944 vor allem auf die Rüstungsindustrie und die Kriegswirtschaftsorgane ausübte, um die Kriegsanstrengungen weiter zu intensivieren. Wie unklar die Anweisungen und wie wenig die unteren staatlichen Verwaltungsbehörden auf die Rahmenbedingungen eines Krieges vorbereitet waren, aber auch welches erhebliche Kooperationspotenzial bestand, zeigt der auf Landkreisebene gemachte Versuch, einen internen Interessenabgleich herzustellen.25 Die bis dahin durchgeführten Landrätekonferenzen, die weniger Problemlösungsstrategien als mündliche Informationspolitik in den Mittelpunkt rückten, waren zu unflexibel und genügten den Bedürfnissen der staat22 23 24 25
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 473-475 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 473, v.a. Bl. 75-113 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 14, Bl. 35 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 141
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lichen Organisationsträger der unteren Ebene nicht mehr. Um enger zu kooperieren, schlossen sich im Herbst 1940 selbstständig die Landräte von Eisenach, Gotha, Hildburghausen, Meiningen, Rudolstadt und Schleiz zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, um regelmäßig drängende politische, wirtschaftliche und soziale Fragen zu diskutieren. Dieses Gremium wurde als Modell vom Thüringischen Innenministerium aufgenommen und auf das Land Thüringen übertragen: So entstanden auf Anordnung Ortlepps die Arbeitsgemeinschaften Ost und West: die bereits genannten sechs Landkreise wurden um den Landkreis Altenburg erweitert; die zweite umfasste die Landkreise Arnstadt, Gera, Greiz, Saalfeld, Sondershausen, Sonneberg, Stadtroda und Weimar. Die Gremien, die ausdrücklich ohne die Oberbürgermeister, aber mit einem Referenten des Innenministeriums sowie Vertretern der Wirtschaftsverbände tagten, traten im Abstand von sechs bis acht Wochen zusammen und dienten vorwiegend dazu, „praktische Anregungen“ und „nachahmenswerte Einrichtungen“ anderer Landkreise kennen zu lernen. Im Mittelpunkt standen Fragen der Ernährungswirtschaft, Verwaltungsführung in den Landkreisen, Rechnungsangelegenheiten (Räumungs- und Familienunterhalt, Steuern, Zuschüsse), Errichtung von Ausweichunterkünften für und der Umgang mit Kriegsgefangenen und praktische Verwaltungsfragen.26 Die große Resonanz der Tagungen zeigt nicht zuletzt ihre Häufigkeit. Nachdem Ortlepp im Herbst 1941 die Arbeitsgemeinschaften ins Leben gerufen hatte, fand Anfang April 1942 bereits die achte Tagung statt. Die im dreimonatigen Turnus durchgeführten Landrätekonferenzen beim Innenministerium blieben erhalten, wenngleich sie durch die „inoffiziellen Arbeitskreise“ an Gewicht verloren, zumal daran die Oberbürgermeister teilnahmen. Die Arbeitstreffen der Landräte stellten eine regionalbezogene Problemlösungsstrategie der unteren staatlichen Funktionsträger dar, die besser als reichsweit ergangene Regelungen die lokalen Bedürfnissen berücksichtigen konnten und damit Konzepte jenseits des „Führerstaats“ entwarfen.27 Welchen Umfang die Aufgabenfelder der Landräte angenommen hatten, spiegelt exemplarisch die Tagesordnung der Konferenz am 21.9.1942 im südthüringischen Manebach bei Ilmenau wider. In nicht weniger als 26 Punkten kamen die dringendsten Fragen zur Sprache, die ein breit gefächertes Aufgabenfeld von der Bergung abgestürzter Flugzeuge über den VJP und die Bearbeitung von Luftschutzfragen bis hin zur Finanzierung der NSV-Kindergärten und zur Speisekartoffelversorgung – kurz: zahlreiche wirtschaftliche, soziale, finan-
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Vgl. die Tagesordnung der Arbeitsgemeinschaft der Landräte vom 1.4.1942, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 199 Vgl. RGBl I, 1940, S. 45; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 39
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zielle und organisatorische Problemfelder des Krieg führenden Staates reflektierten.28 Die „Einheit von Partei und Staat“ wurde jenseits einer engen personellen, strukturellen und funktionellen Vernetzung nach außen durch gemeinsame Führertagungen des Gaues Thüringen demonstriert, die die jeweiligen Spitzen der mittleren und unteren Ebene (Gauführung, Gauamts- und Kreisleiter, Landräte, Oberbürgermeister, staatliche Polizeiwalter) zusammenführte.29 Sie mündeten 1943 in Kriegsarbeitstagungen von Partei und Staat unter der Leitung Sauckels, von denen die erste am 16./17.1.1943 stattfand.
3.
Problem- und Konfliktfelder des Amtes des Reichsverteidigungskommissars
Am 27.11.1939 versammelte Sauckel im Rathaus von Kassel alle Kreisleiter, Landräte und Oberbürgermeister des WK IX und wies sie in die nunmehr gültigen Leitungs- und Funktionsstrukturen ein. Das war insofern ein Bedürfnis, als dass die Berufung der RVK und die Erhebung des Wehrkreises zum zivilen Verwaltungsbezirk die bestehenden Verhältnisse weiter verkomplizierten. Anfangs konnte der RV-Ausschuss eine solche Entwicklung noch abfedern, da er die wichtigsten Funktionsträger der Regionen vereinte und an einen Tisch brachte. Mit der sich schon bald abzeichnenden Schwächung des Ministerrats für Reichsverteidigung30 und den sich ausprägenden polykratischen Herrschaftsmechanismen31 verstärkten sich jedoch die Selbstständigkeitsbestrebungen der Funktionäre und Behörden in den Wehrkreisen. Allen realen Schwierigkeiten zum Trotz verstand Sauckel sein Amt als verwaltungstechnische Chance, seinen Plan eines Reichsgaus weiter zu verfolgen. Schon 1934 hatte er als Grenzen des „Reichsgaus Thüringen“ „die des thüringisches Stammes“32 vorgesehen. Er sollte das Land Thüringen, den Regierungsbezirk Erfurt, die Stadt- und Landkreise Sangershausen, Querfurt, Eckartsberga, Naumburg, Weißenfels, Zeitz und vom Regierungsbezirk Kassel (Provinz Kurhessen) die Kreisherrschaft Schmalkalden umfassen und hätte damit weit über die Grenzen des Reichstagswahlbezirks 12 (Thüringen), dem der Gau Thüringen entsprach, hinausgegriffen. Ein Grundproblem war die Inkongruenz von Wehrkreis-, Länder- und Gaugrenzen, Zuständigkeiten 28 29 30
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Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 19, Bl. 32 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 193 Vgl. Die Tagebücher von Joseph Goebbels, im Auftr. des Instituts für Zeitgeschichte und mit Unterstützung des Staatlichen Archivdienstes Rußlands hrsg. von Elke Fröhlich, München 1993-2005, Eintrag vom 18.3.1943, Teil II, Bd. 7, S. 576 Vgl. Hüttenberger: Polykratie; Ruck: Zentralismus; ders.: Führerabsolutismus Post: Thüringen unter nationalsozialistischer Herrschaft, S. 40
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staatlicher und wirtschaftlicher Verwaltungsbehörden, der zahlreichen Sonderbehörden und Gebietseinteilungen der Gliederungen der NSDAP.33 Demgegenüber musste sich Sauckel immer wieder gegen Gebietsansprüche der angrenzenden Machtpotentaten zur Wehr setzen. So wollte sich die Provinz Hessen-Nassau im westlichen Thüringen bis nach Eisenach erweitern, Bayern beanspruchte die Exklave Ostheim vor der Rhön und den Landkreis Sonneberg. In diesem Zusammenhang ist ein Vorfall aus dem Jahre 1942 aufschlussreich, der sich um die Zuständigkeit für den Landkreis Sonneberg abspielte.34 Sonneberg gehörte zum Gau Thüringen und zum LWA Thüringen, fiel allerdings bei der Einteilung der RV-Bezirke in den Bereich des Wehrkreises XIII des bayerischen Gauleiters und RVK Adolf Wagner. Der Rüstungsinspekteur im Wehrkreis XIII, Oberst von Crailsheim, klagte infolge der Einberufungen über Komplikationen in der Verwaltung und Rüstungsindustrie, da der Wehrkreis XIII sich mit den Grenzen von acht Gauen (darunter Thüringen), fünf Ländern (einschließlich Thüringens) sowie zehn Reichsbahn- und zehn Reichspostdirektionen überschnitt. Die daraus entstehenden Störungen der Verwaltungstätigkeit auf Wehrkreisebene gaben Wagner Anlass, den Landkreis Sonneberg in den Bereich des LWA Bayern, Zweigstelle Nürnberg, und das LWA für den Wehrwirtschaftsbezirk XIII einzugliedern, um die „Schlagkraft“ des Wehrkreises zu erhöhen und die Heimatfront von „Bürokratismus und überflüssige(r) Belastung“35 so weit als möglich freizuhalten. Dieses Ansinnen wies Sauckel entschieden zurück. Bereits im September 1939 hatte Sauckel Kreisleiter und Landrat in Sonneberg angewiesen, ihn über alle Anordnungen Wagners als RVK für den WK XIII, die den Landkreis Sonneberg berührten, zu unterrichten, um die eigenen Interessen gegen die Wagners zu verteidigen.36 Dass die Konstruktion der RV-Bezirke kompliziert war, das Amt des RVK Handlungsspielräume eröffnete und Sauckel diese Position extensiv auszulegen gedachte, belegt der Streit um Rolle und Funktion des Nbv in Thüringen. Sowohl Führungsstab als auch Nbv waren für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Verkehr verantwortlich, so dass es in der Folge zu Zuständigkeitsüberschneidungen kam. Am 22.9.1939 wollte Funk während einer Besprechung den Reichsverkehrsminister37, Dorpmüller, dazu 33 34 35 36 37
Vgl. zu Gesetzen und Erlassen zur Neuordnung des Reiches im Zeitraum von 19331944 ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 11 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 469, Bl. 173-182 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 469, Bl. 143 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 246; ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 7, Bl. 30 Vgl. Jürgen Salzwedel: Das Verkehrswesen und seine Verwaltung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte IV, S. 911-924; ergänzend zu Aufgaben und Struktur des Reichs-
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bewegen, die ihm als Kriegsaußenstellen unterstehenden Nbv den Führungsstäben Wirtschaft anzugliedern. Aufgabe der Nbv war ursprünglich, die Mobilmachung der Fahrzeuge, Arbeitskräfte, elektrischen Energie und Treibstoffe so vorzubereiten, dass der notwendige Straßenverkehr trotz der Einberufungen zur Wehrmacht aufrechterhalten werden konnte.38 Im Kriegsverlauf erhielten die Nbv weitere Aufgaben: Aufrechterhaltung des öffentlichen Personenverkehrs in den Großstädten (insbesondere des Berufsverkehrs), Ausnutzung der Straßenbahnen für die Güterbeförderung, Verwundetentransporte, Verteilung der mit Fahrzeugen ankommenden Lebensmittel und Brennstoffe, Vermeidung der Verstopfung der Bahnhöfe, Beschränkung des Güterverkehrs auf kriegswichtige Ausnahmen. Durch die Anforderungen der Wehrmacht und der OT, mit denen der Nbv konfrontiert wurde, wuchs die Bedeutung dieses Amtes.39 In einem Erlassentwurf, den Funk Dorpmüller vorlegte, schlug er eine Unterstellung der Nbv unter die Führungsstäbe und die Übertragung eines Teils ihrer Aufgaben auf die Stäbe vor40, was von Dorpmüller natürlich abgelehnt wurde.41 Dass eine Angliederung des NbvAmtes an den Führungsstab auch auf bezirklicher Ebene gewünscht wurde, zeigt Sauckels Korrespondenz mit Göring. Am 24.11.1939 meldete Sauckel an Göring Schwierigkeiten im WK IX aufgrund der Transportlage. Er beklagte die mangelnde Koordination beim Transportwesen, die „überflüssige(n) Nebeneinanderarbeit“ und „ernste(n) Unzuträglichkeiten“ 42. Ziel war eine Integration des Nbv in den von Marschler geleiteten Führungsstab Wirtschaft, da „für die Erfüllung aller kriegswirtschaftlichen Aufgaben nur eine Stelle verantwortlich sein“ könne. Der Reichsverkehrsminister, von der Dienststelle Göring auf das Anliegen Sauckels angesprochen, antwortete am 5.12.1939 in scharfem Ton: „Der Reichsverteidigungskommissar scheint zu übersehen, daß Bevollmächtigte für den Nahverkehr und Führungsstab Wirtschaft der gleichen Behörde angehören, so daß etwaige Mißverständnisse zwischen Dezernenten durch ihren gemeinsamen Dienstvorgesetzten zu beseitigen sind.“ Der Aufgabenbereich des Nbv Thüringen umfasste die allgemein formulierte „Aufrechterhaltung des kriegs- und lebenswichtigen Stra-
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verkehrsministeriums in der Weimarer Republik ders.: Die Aufgaben des Reichsverkehrsministeriums, in: ebd., S. 260-273 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 287, Bl. 16f. (Schreiben Dorpmüllers an Funk vom 14.10.1939) Vgl. Joachim Lilla: Die Bevollmächtigten für den Nahverkehr (NBV) und ihre nachgeordneten Dienststellen in Österreich 1938 bis 1945, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 46 (1998), S. 147-187 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 287, Bl. 18 Vgl. Franz W. Seidler: Die Organisation Todt. Bauen für Staat und Wehrmacht 19381945, Koblenz 1987. Folgende Zitate aus: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 287, Bl. 9-17
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ßenverkehrs“ und griff damit in die örtlichen Organisationsverhältnisse des Straßenverkehrs, eben die Deckung des Bedarfs an Straßenverkehrsmitteln für vordringliche Anforderungen (Versorgung der Bevölkerung, Transport zu und von Bahnhöfen und Häfen, Versorgung von Rüstungsbauten und Rüstungsbetrieben sowie des Berufsverkehrs, Einsatz von Straßenverkehrsmitteln bei wirtschaftlichen, militärischen, arbeitsmarktpolitischen, propagandistischen Großvorhaben, Lenkung des Güterverkehrs, Sicherung der Personalversorgung, Verteilung von Transportmitteln und Kraftstoffen, Sicherstellung von Reparaturwerkstätten) ein.43 Zur Durchführung dieser Aufgaben berief die Reichsstatthalterei bei den Oberbürgermeistern und Landräten Fahrbereitschaftsleiter, die die Aufgabe hatten, die Auswirkungen der Transportlage auf die Kriegswirtschaft dem Führungsstab schriftlich zu melden. Die Zuständigkeit des Führungsstabes erstreckte sich jedoch lediglich auf beratende und koordinierende Funktionen, denn grundsätzlich sollte die Wirtschaft ihre Transportanforderungen unmittelbar an die Verkehrsträger (Eisenbahn, Schifffahrt, Straßenverkehr) stellen. Die Reichsstatthalterbehörde erhielt mit der von OKW und RMI forcierten Berufung des NSKKBrigadeführers Franz Barth auf dem Gebiet der eng an den Gau angepassten Wehrersatzinspektion Weimar eine Lösung auf Basis der Gaugrenzen. Mit dem dargestellten Funktionswandel übernahm der Gau Aufgabengebiete, die bisher beim Oberpräsidenten in Kassel lagen und damit einher ging eine Stärkung der Gaufunktionen. Dass mit Franz Barth auf Vorschlag Sauckels ein überzeugter Nationalsozialist den Posten des Nbv besetzte, machte dieser bereits am 25.2.1940 deutlich: „Als alter Gefolgsmann des Führers werde ich dieses Amt im nationalsozialistischen Geiste leiten. Es wird mein aufrichtiges Bestreben sein, mit der Partei und ihren Gliederungen, der Wehrmacht sowie mit allen Stellen des Staates und der Wirtschaft die besten Beziehungen und kameradschaftliche Zusammenarbeit zu pflegen.“44 Die spannungsgeladene Nbv-Frage wurde durch Göring am 2.8.1940 mit einem Erlass über die Arbeit der Nbv und Führungsstäbe geregelt.45 Damit wurde, typisch für das Funktionieren des NS-Herrschaftsgefüges, mit dem Amt des „Verkehrsbeauftragten“, der bisher Transportbeauftragter Wirtschaft war, eine neue Sonderbehörde geschaffen und dem Führungsstab Wirtschaft unterstellt. Die Befugnisse des Transportbeauftragten orientierten sich an den Reichsbahndirektionsbezirken und erstreckten sich lediglich auf die Reihenfolge der beförderten Güter.46 Er verfügte gegenüber der Wirtschaft nur über Beratungs- und Anleitungsfunktionen und wurde eng an die wehrwirtschaft43 44 45 46
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 25 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 26 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 287, Bl. 21 Vgl. Frankfurter Zeitung Nr. 481 vom 21.9.1939
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lichen Abteilungen der Wirtschaftskammern angebunden. Als Verbindungsstelle zwischen dem Transportbeauftragten für die Wirtschaft und gewerblicher Wirtschaft fungierten die IHK, bei denen die Beauftragten durchgehend angesiedelt wurden. Für die Bewältigung ihrer Aufgaben mussten sie engen Kontakt zu den Bevollmächtigten des Verkehrsministeriums (Bahn-, Wasserstraßen-, Seeschifffahrtsbevollmächtigter, Nbv) halten.47 Die bestehenden regionalen Konfliktfelder des NS-Staates wurden im Zuge des Organisationswandels auf RVK-Ebene transportiert. Sauckel wurde dadurch in Machtkämpfe in der Mittelinstanz involviert, da der Wehrkreis IX weit über die Grenzen des Gaus Thüringen hinausreichte. Von besonderer Heftigkeit war die Auseinandersetzung zwischen dem Gauleiter von HessenNassau, Sprenger, und dem dortigen Regierungspräsidenten48, v. Pfeffer.49 Im März des Jahres 1942 eskalierte die Situation zwischen dem RVK im Wehrkreis XII, Gauleiter und Reichsstatthalter Sprenger50, und dem Regierungspräsidenten v. Pfeffer51. Der Streit entzündete sich am Problem der Kohleknappheit.52 Görings Beauftragter für Kohle hatte alle Gauleiter als „Verantwortliche für Kohlefragen“ ermächtigt, sämtliche Kohleangelegenheiten für Bevölkerung und Industrie zu regeln. Erhebliche Energieversorgungsprobleme führten bereits im Winter 1939/40 im Wehrkreis IX zu 38 Stilllegungen und 14 Produktionseinschränkungen bei Betrieben. Da die Situation der Zivilbevölkerung zu eskalieren drohte, erließ Sauckel auf Vorschlag der Rüstungsinspektion IX am 23.1.1940 eine Verfügung, mit der die Hausbrandverordnung auf Kosten der gesamten Industrie einschließlich der
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Vgl. BArch R3101/34607, Bl. 19-21 Vgl. zu Funktion und Amt des Regierungspräsidenten Horst Romeyk: Der preußische Regierungspräsident im NS-Herrschaftssystem. Am Beispiel der Regierung Düsseldorf, in: Rebentisch/Teppe: Verwaltung, S. 121-140; Rebentisch: Führerstaat, S. 267272 Vgl. zu den Beziehungen zwischen Gauleitern, Ober- und Regierungspräsidenten Diehl-Thiele: Partei, S. 113-134; ferner zu den Ober- und Regierungspräsidien in der Weimarer Republik Horst Möller: Preußen, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte IV, S. 540-558, v.a. S. 551-554 Vgl. Zibell: Sprenger, v.a. S. 39-52, 102-111, 125-158, 237-240, 306-322, 349-369; zu den gauinternen Machtkämpfen Sprengers die zahlreichen Belege S. 211-405 Der Konflikt zwischen Sprenger und Pfeffer ist in Ansätzen dokumentiert bei Hüttenberger (Gauleiter, S. 156), allerdings verwechselt Hüttenberger Fritz von Pfeffer mit dem damaligen OSAF Franz von Pfeffer, worauf Rebentisch (Führerstaat, S. 272, Anm. 107) verweist. Vgl. dazu auch die Meinung Prinz Philipps während der Dienstbesprechung des RVK für den WK IX am 17.12.1940, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 473, Bl. 103-105
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Rüstungsbetriebe vorgenommen wurde. Bis zum 1.3.1940 ordnete Göring die Rücknahme der Verfügung aufgrund des verbesserten Wetters an.53 Sprenger änderte vor diesem Hintergrund am 4.3.1942 eine von v. Pfeffer erlassene, weit reichende Reglementierung der Kohleversorgung aufgrund der kriegswirtschaftlichen Lage eigenmächtig ab und begründete seine Verfügung mit der Stimmung in der Bevölkerung, die angesichts der enormen Anstrengungen an der Heimatfront nicht auch noch frieren sollte, und lockerte die Kohlerationierung. Von Pfeffer reagierte am 5.3.1942 mit einem scharf formulierten Brief an Sprenger, in dem er betonte, dass seine Anweisung hinsichtlich der Rationierung nach wie vor bestehe. Gleichzeitig wies er Sprenger darauf hin, dass er „keine dem Gauleiter nachgeordnete Dienststelle“ sei. Er dürfe daher „eine ´Anordnung´ oder ´Anweisung´ von Ihnen [Sprenger] nicht entgegen nehmen. Weisungen von unbefugten Dienststellen an staatliche oder kommunale Behörden können [...] Unsicherheit und Verwirrung [...] hervorrufen.“54 Des Weiteren verwies v. Pfeffer auf das mögliche Durchschlagen der Kompetenzstreitigkeiten von Gauleiter und Regierungspräsident bis auf Kreisleiter- und Landratsebene, die durch die unterschiedlichen Anweisungen verwirrt seien. In kämpferischem und aggressivem Ton formulierte er in diesem Rundschreiben, das an mehrere staatliche Funktionsträger gerichtet war, an die Adresse von Sprenger: „Ich mache darauf aufmerksam, daß die von mir getroffenen Anweisungen solange in Kraft bleiben, bis sie von mir wieder aufgehoben werden.“55 Der grobe Brief wurde von Sprenger an Bormann weitergeleitet. Am 7.3.1942 telefonierte Sprenger mit Sauckel über eine mögliche Abberufung v. Pfeffers, suchte Sauckels Rückendeckung im Machtkampf und trieb bei Göring die Absetzung v. Pfeffers voran. Dieser sollte dem Oberpräsidenten von Kassel und den Regierungspräsidenten in Kassel und Wiesbaden deutlich machen, dass Sprenger „als Gauleiter in (m)seinem Gaugebiet in den laufenden Dingen als ständiger Beauftragter des Reichsverteidigungskommissars zu handeln befugt“56 ist. Er verfasste einen siebenseitigen Brief, in dem er das Verhalten v. Pfeffers mit dem eines „Störenfried(s)“ verglich, das „ungehörig und unverschämt“57 sei. Die Vorwürfe waren vielfältig und reichten von der Behinderung der Zusammenarbeit von Partei und Behörden, der katholischen Familie, in der die Frau jeden Sonntag die Kirche besuchte, bis
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Vgl. BA MA RW 20-9/2, Bl. 45-48 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 19 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 21 (Hervorh. i. Orig.) ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 9 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 15
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zum aufbrausenden und jähzornigen Temperament v. Pfeffers.58 Nur einen Tag später schrieb Sprenger zum wiederholten Male an Sauckel und drängte auf die versprochene Ernennung zum Beauftragten des RVK für „seinen“ Gau Hessen-Nassau. „Der Oberpräsident hat dem Regierungspräsidenten in Wiesbaden als Vertreter des Reichsverteidigungskommissars im WK IX Anweisung gegeben, die von mir geplanten Maßnahmen in der Kohlenfrage nicht durchzuführen. Ich sehe darin einen glatten Missbrauch, nachdem Sie mir in der telefonischen Unterredung am Samstag, den 7.3., mitteilten, daß es bei der besprochenen Regelung bleibt, daß ich in dem zum Gau Hessen-Nassau gehörenden Gebiet des Wehrkreises IX als Ihr Beauftragter als Reichsverteidigungskommissar die entsprechende Anweisung dem Regierungspräsidenten geben kann. Ich bitte Sie, dem Oberpräsidenten mitzuteilen, daß er nicht berechtigt war, in Ihrer Vertretung zu handeln, um endgültig derartige Übergriffe, die lediglich dazu benutzt werden, um den Regierungspräsidenten gegen den Gauleiter auszuspielen, zu unterbinden.“59 Die Komplexität der Situation ließ den Thüringer Gauleiter zunächst eine scheinbar vermittelnde Position einnehmen, indem er die Angelegenheit zwischen Sprenger und v. Pfeffer an den Oberpräsidenten verwies. Sauckel setzte auf Ruhe in der Organisation, wollte sicherlich auch nicht in einen außerhalb seiner eigentlichen Interessensphären schwelenden und Kräfte beanspruchenden Konflikt förmlich hineingezogen werden. In seinem Wehrkreis hatte Sauckel den Gauleitern offenbar freie Hand gegeben, damit sie „weitgehendst im Sinne des Reichsverteidigungskommissars die Steuerung und Lenkung in der Zusammenarbeit der Behörden“60 in den Gauen wahrnehmen sollten. Einige Tage später hatte sich das Blatt jedoch zugunsten Sprengers gewendet. Sauckel entsprach der Bitte seines Gauleiterkollegen und forderte am 23.3.1942 bei Bormann und Frick die Bestellung Sprengers zum Beauftragten des RVK für dessen Gau Hessen-Nassau.61 Er begründete diesen Schritt mit der geografischen Entfernung zu Kassel (Dienstsitz des RVK) und Weimar (Gauzentrum und vorwiegender Aufenthaltsort) und der spezifischen Struktur des Gaues. Zudem war Sprenger bereits RVK für den Wehrkreis XII und mit den Aufgaben als solcher betraut.62 Unter den Gaulei58 59 60 61 62
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 12-18 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 22 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 24 (Brief Sauckels an Sprenger vom 10.3.1942) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 102 n. pag., S. 3 der „Denkschrift über die Verlagerung der Zuständigkeiten“, 1936 Aufschlussreich für das Selbstverständnis Sprengers (im Besonderen und der Gauleiter im Allgemeinen) ist dessen Aussage zur Regelung der Frage des Beauftragten des RVK im WK XII, dem er selbst vorstand. Er habe die „Sache mit den Beauftragten
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terkollegen scheint es gute Gründe gegeben zu haben, sich füreinander einzusetzen: „Ich habe mich zu dieser Maßnahme entschlossen, weil ich weiß, daß auch der Leiter der Partei-Kanzlei, Reichsleiter Bormann, Wert auf eine solche kameradschaftliche Regelung in den Wehrkreisen legt.“63 Gleichzeitig erreichte Bormann bei Hitler die Abberufung v. Pfeffers. Der Vorgang spiegelt eine weitere Dimension. Das RVK-Amt förderte parallel zur Wehrkreisorientierung gaubezogene Konzeptionen, die auf die spätere Durchsetzung der Gaue verweisen. Sprengers Drängen auf die Übernahme der RVKFunktionen im Gau Hessen-Nassau, dem Sauckel letztlich nicht gerade schweren Herzens nachgab, entsprach die Übertragung wichtiger Mechanismen auf die NSDAP-Gaue seit Kriegsbeginn.
II.
1.
Die Organisation der Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung im NS-Gau Thüringen Die Verordnung über die Organisation der Kriegswirtschaftsverwaltung vom 27.8.1939
Im September 1941 hieß es rückblickend in der vertraulich zu behandelnden Schrift „Die Arbeitsämter im Bezirk des LAA Mitteldeutschland“ des Oberregierungsrates Dr. Galland: „Als dann der Krieg zum Ausbruch kam, bot die Thüringische Wirtschaft bereits weitgehend das Bild einer vorwiegend für Zwecke der Landesverteidigung arbeitenden Wehrwirtschaft. Der Krieg verlangte vollends, dass die gesamte Produktions- und Wirtschaftskraft auf die Bedürfnisse des Heeres abgestellt wurde, wobei die Versorgung der Zivilbevölkerung in die zweite Linie treten mußte. Große Umstellungen waren in der thüringischen Wirtschaft nicht mehr nötig und wenn gegenwärtig eine Überprüfung von Betrieben durch besondere Kommissionen stattfindet, um noch Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie zu gewinnen, so bedeutet dies keine besondere Erschütterung mehr für die Industrie. Die meisten Betriebe arbeiten seit langem fast ausschließlich für heereswichtige Aufträge.“64
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des RVK“ im WK XII „wesentlich einfacher geregelt“ und habe „die Beauftragten einfach von sich aus bestellt.“ Sprenger ernannte offensichtlich eigenständig die seinem Wehrkreis angehörenden Gauleiter Bürckel und Simon zu Beauftragten des RVK für die Gaue Westmark und Moselland. (ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 25) ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 31 (Schreiben Sauckels an Prinz Philipp vom 23.3.1942, Hervorh. im Orig.) ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 5014, Bl. 11
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terkollegen scheint es gute Gründe gegeben zu haben, sich füreinander einzusetzen: „Ich habe mich zu dieser Maßnahme entschlossen, weil ich weiß, daß auch der Leiter der Partei-Kanzlei, Reichsleiter Bormann, Wert auf eine solche kameradschaftliche Regelung in den Wehrkreisen legt.“63 Gleichzeitig erreichte Bormann bei Hitler die Abberufung v. Pfeffers. Der Vorgang spiegelt eine weitere Dimension. Das RVK-Amt förderte parallel zur Wehrkreisorientierung gaubezogene Konzeptionen, die auf die spätere Durchsetzung der Gaue verweisen. Sprengers Drängen auf die Übernahme der RVKFunktionen im Gau Hessen-Nassau, dem Sauckel letztlich nicht gerade schweren Herzens nachgab, entsprach die Übertragung wichtiger Mechanismen auf die NSDAP-Gaue seit Kriegsbeginn.
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Die Organisation der Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung im NS-Gau Thüringen Die Verordnung über die Organisation der Kriegswirtschaftsverwaltung vom 27.8.1939
Im September 1941 hieß es rückblickend in der vertraulich zu behandelnden Schrift „Die Arbeitsämter im Bezirk des LAA Mitteldeutschland“ des Oberregierungsrates Dr. Galland: „Als dann der Krieg zum Ausbruch kam, bot die Thüringische Wirtschaft bereits weitgehend das Bild einer vorwiegend für Zwecke der Landesverteidigung arbeitenden Wehrwirtschaft. Der Krieg verlangte vollends, dass die gesamte Produktions- und Wirtschaftskraft auf die Bedürfnisse des Heeres abgestellt wurde, wobei die Versorgung der Zivilbevölkerung in die zweite Linie treten mußte. Große Umstellungen waren in der thüringischen Wirtschaft nicht mehr nötig und wenn gegenwärtig eine Überprüfung von Betrieben durch besondere Kommissionen stattfindet, um noch Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie zu gewinnen, so bedeutet dies keine besondere Erschütterung mehr für die Industrie. Die meisten Betriebe arbeiten seit langem fast ausschließlich für heereswichtige Aufträge.“64
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des RVK“ im WK XII „wesentlich einfacher geregelt“ und habe „die Beauftragten einfach von sich aus bestellt.“ Sprenger ernannte offensichtlich eigenständig die seinem Wehrkreis angehörenden Gauleiter Bürckel und Simon zu Beauftragten des RVK für die Gaue Westmark und Moselland. (ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 25) ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 283, Bl. 31 (Schreiben Sauckels an Prinz Philipp vom 23.3.1942, Hervorh. im Orig.) ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 5014, Bl. 11
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Die Zeilen Gallands fassen präzise jene Aufgaben, Entwicklungen und Problemfelder zusammen, denen sich die Organisationen der Kriegswirtschaftsverwaltung bei Kriegsbeginn 1939 gegenübersahen: Forcierung der Rüstungswirtschaft, v.a. zu Lasten der Konsumgüterproduktion, Arbeitskräftesteuerung und Betriebsstilllegungen. Zur Durchführung dieser Aufgaben schuf das Regime im Rahmen einer partiellen Mobilmachung der Kriegswirtschaft parallel zu und oberhalb der bestehenden Apparate neue Organisations- und Administrationsstrukturen.65 Noch vor Kriegsbeginn stellten am 27.8.1939 die „Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung“66 und die „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“67 Wirtschaft und Verwaltung auf die neuen Rahmenbedingungen um und griffen tief in die regionale Administration der Gaue ein.68 Den neu ernannten zivilen Wehrkreisleitern, in der Regel Ober- und Regierungspräsidenten, seltener Reichsstatthalter69, wurde die „einheitliche Ausrichtung und Lenkung aller wirtschaftlichen Maßnahmen übertragen“70, die vom GBW angeordnet wurden. Sie waren ermächtigt, den „Behörden, den Organisationen der wirtschaftlichen Eigenverwaltung und den sonstigen Stellen, die zum Zuständigkeitsbereich“71 des 65
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Vgl. neuerdings die voluminöse Arbeit von Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007. (zuerst: "The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy", London 2006) Vgl. RGBl I, 1939, S. 1495-1498; ferner die „Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung (erste Durchführungsverordnung), in: RGBl I, 1939, S. 1519f.; RGBl I, 1939, S. 1498-1501; die erste bis vierte Durchführungsverordnung zur „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“, in: RGBl I, 1939, S. 1502-1512 Bezeichnenderweise erging bereits am 22.9.1939 die „Verordnung zur teilweisen Außerkraftsetzung der Verordnung zur vorläufigen Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs“ (Vgl. RGBl I, 1939, S. 1872), die am 14. 11.1939 zusammen mit der „Verordnung zur vorläufigen Sicherung des lebenswichtigen Bedarfs“ durch die „Verordnung über die Verbrauchsregelung für lebenswichtige gewerbliche Erzeugnisse“ ersetzt wurde. (Vgl. RGBl I, 1939, S. 2195-2222) Vgl. ergänzend dazu auch die „Verordnung zur Aufhebung der Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“ (RGBl I, 1939, S. 558), mit der die vierte und fünfte Durchführungsverordnung zur Verordnung vom 27.8.1939 und die erste bis dritte Bekanntmachung des Sonderbeauftragten für die Spinnstoffwirtschaft aufgehoben wurden. Vgl. John: NS-Gau, S. 49 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1495f. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 17f. Schreiben Funks an die Chefs der zivilen Wehrkreiskommandos vom 27.8.1939, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 17-19, hier Bl. 18; vgl. ergänzend den Geschäftsverteilungsplan des GBW, in: Müller: Mobilisierung, S. 367
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GBW zählten, Weisungsbefugnis zu erteilen.72 Unterstützen sollten sie die Leiter der BWÄ, der Forst- und Holzwirtschaftsämter sowie die Chefs der wirtschaftlichen Sonderverwaltungen (Leiter der LEÄ/PEÄ, LAÄ, Reichstreuhänder der Arbeit). Gleichzeitig erhielten sie gegenüber den Behörden und Organisationen der wirtschaftlichen Eigenverwaltung Weisungsbefugnis und die zuständigen Reichsministerien wurden ermächtigt, Organisationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung in staatliche Verwaltungsbehörden einzugliedern oder aufzulösen. Zu diesen Behörden und Organisationen, denen gegenüber die zivilen Wehrkreisbefehlshaber weisungsbefugt waren, gehörten die preußischen Oberbergämter, außerpreußischen obersten Bergbehörden der Länder, Wirtschaftskammern, IHK, Handwerkskammern, die nicht in eine Kammer eingegliederten bezirklichen Organisationen der Gruppen (Reichsgruppen, Wirtschaftsgruppen, Fachgruppen, Fachuntergruppen), Außenhandels-, Devisenstellen und die Dienststellen der technischen Überwachung.73 Ziel war eine Bündelung wirtschaftlicher Kompetenz- und Entscheidungsbefugnisse auf Wehrkreisebene.74 Unterstützung sollte der Chef der zivilen Wehrkreisverwaltung durch einen zu gründenden „Führungsstab Wirtschaft“ unter dem Leiter der bisherigen wehrwirtschaftlichen Abteilung erhalten. Aufgabe war, so Funk, „die Versorgung von Wehrmacht und Volk laufend zu verfolgen“75 und auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen – eine mehr steuernde als exekutive Funktion. Die wehrwirtschaftlichen Abteilungen wurden mit der Errichtung des „Führungsstabes Wirtschaft“ aufgelöst und das Personal – soweit das möglich war – in die neuen Verwaltungsbehörden übernommen. Zusätzlich wurde die Gründung von BWÄ angeordnet,
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Die staatliche Wirtschaftsverwaltung hatte die Aufgabe, „alle wirtschaftlichen Kräfte für die Kriegsführung zusammenzufassen und die Wirtschaft zu befähigen, die ihr durch den Krieg gestellten besonderen Aufgaben zu erfüllen.“ (v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 10) Vgl. erste Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung, in: RGBl I, 1939, S. 1519f. Zu den zivilen Chefs der Wehrkreise wurden ernannt (Stand: 27.8.1939): Wehrkreis I: Oberpräsident in Königsberg, II: Oberpräsident in Stettin; III: Oberpräsident der Provinz Mark Brandenburg; IV: Reichsstatthalter in Sachsen; V: Württembergischer Wirtschaftsminister; VI: Regierungspräsident in Düsseldorf und Oberpräsident in Münster; VII: Bayerischer Wirtschaftsminister; VIII: Oberpräsident in Breslau; IX: Oberpräsident in Kassel; X: Reichsstatthalter in Hamburg; XI: Oberpräsident in Hannover; XII: Regierungspräsident in Wiesbaden; XIII: Regierungspräsident in Ansbach; XVII: Reichsstatthalter in Wien; XVIII: Reichsstatthalter in Salzburg. (Vgl. RGBl I, 1939, S. 1495f.) Vgl. ergänzend den Kriegsgeschäftsverteilungsplan des RWM, in: BArch R3/95, Bl. 1-15 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 18
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die dem RWM unterstanden und auf die Wehrkreise ausgerichtet waren.76 Den BWÄ, die die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern sicherzustellen hatten und die gesamte Wirtschaftstätigkeit in ihren Bezirken lenken sollten, waren in der unteren Verwaltungsebene bei den Oberbürgermeistern und Landräten Wirtschaftsämter nachgeordnet.77 Sie waren Bestandteil der Behörde, bei der sie errichtet wurden. Ihre Aufgabe bestand in der Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern der gewerblichen Wirtschaft, insbesondere Kohlen, Spinnstoffwaren und sonstigen gewerblichen Erzeugnissen, die der Bewirtschaftung unterworfen waren.78 Zur Durchführung dieser Aufgaben konnten sie sich der Gemeinden und der Gemeindeverbände bedienen. Die Präsidenten der IHK wurden zu Reichskommissaren bestellt, so dass rein rechtlich mit dem Gesamtvorgang eine Zentralisierung der Wirtschaftsverwaltung anvisiert wurde und der GBW über die BWÄ als Exekutivorganen in den Bezirken aktiv werden wollte. Die ebenfalls am 27.8.1939 erlasse „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs“79 führte die Bezugsscheinpflicht für Verbrauchsgüter (z.B. Lebensmittel, Kohle, Kleidung) ein.80 Diese Entwicklungen ergänzte die Errichtung von LEÄ/PEÄ sowie Forst- und Holzwirtschaftsämtern zur Sicherstellung der Ernährungslage und Holzindustrie.81 Die Leiter der LEÄ/PEÄ und Ernäh76
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Ursprünglich war die Gründung von Kriegswirtschaftsämtern geplant (Erlass vom 12.10.1938), um die Kriegswirtschaft und -verwaltung zu koordinieren. (Vgl. Rundschreiben des GBW vom 27.8.1939, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 18) Vgl. Neumann: Behemoth, S. 299-301. Für Berlin, Hamburg und Wien wurde eine Sonderregelung getroffen, dass bei ihnen statt der Wirtschaftsämter ein Hauptwirtschaftsamt eingerichtet wurde. (Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 14) Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 25f. Vgl. RGBl I, 1939, S. 1498f. Vgl. ergänzend die Anweisung Goebbels´ an die Obersten Reichsbehörden, in: ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 242 sowie zur Kriegsernährungswirtschaft BArch R43II/613 Vgl. die „Verordnung über die öffentliche Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 27.8.1939“, in: RGBl I, 1939, S. 1521-1526; zur Behördenüberlieferung der LEÄ Inventar archivarischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der NSDAP, Teil 2: Regionale Behörden und wissenschaftliche Hochschulen für die fünf ostdeutschen Länder, die ehemaligen preußischen Ostprovinzen und die eingegliederten Gebiete in Polen, Österreich und der Tschechischen Republik, mit Nachträgen zu Teil 1, hg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, bearb. von Heinz Boberach u.a., München u.a. 1995, S. 254, wonach das LEA Thüringen die einzig nachweisbare Überlieferung von LEÄ in Mittel- und Ostdeutschland und den eingegliederten Gebieten darstellt. Die Forst- und Holzwirtschaftsämter wurden bei den obersten Verwaltungsbehörden
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rungsämter ernannten das RMEL und das RMI. De facto setzte sich die Regelung durch, dass die obersten Landesbehörden und Oberpräsidenten die Leiter beriefen. Mit Anordnung vom 1.12.1939 ernannte das RMEL die LBF zu Leitern der LEÄ/PEÄ und die Kreisbauernführer zu den Leitern der Ernährungsämter in den Stadt- und Landkreisen.82 Zum Leiter der zivilen Wehrkreisverwaltung im WK IX avancierte der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau, Prinz Phillip von Hessen, mit Dienstsitz in Kassel. Zur Erledigung der Aufgaben stand der „Führungsstab Wirtschaft“ zur Verfügung. Auf die Kriegswirtschaftsverwaltung hatten VJP-Organe keinen Einfluss, wenn man einmal vom Reichskommissar für die Preisbildung83, der nur über ein begrenztes Betätigungsfeld verfügte, absieht.84
2.
Das Bezirkswirtschaftsamt IX b und der Führungsstab Wirtschaft
Regional vorbereitet wurde die Bildung des BWA vom Leiter der Wirtschaftskammer Thüringen, Thiel. Er informierte Sauckel am 30.7.1938 über den Plan zur Gründung einer auf den WK IX ausgerichteten Außenstelle des RWM85 mit Dienstsitz in Kassel und Übereinstimmung der Grenzen mit dem Wehrkreis IX.86 Damit verbunden war der Plan zur Gründung eines BWA unter der Leitung des Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau, Prinz Philipp.87 Gegen diesen Plan ging die Gauführung in Weimar mit Erfolg vor.
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am Sitz der Wehrkreiskommandos angesiedelt. Sie waren nachgeordnete Stellen der neu geschaffenen Reichsstelle für Holz. Vgl. die „Geschäftsordnung für die Landes- (Provinzial-) Ernährungsämter und Ernährungsämter“, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 52f.; zum Verhältnis von LEA Thüringen und Wehrmacht die Anordnung des RMEL vom 18.7.1942 zur „Zusammenarbeit der Landes- (Provinzial-) Ernährungsämter und der Ernährungsämter mit den Verwaltungsdienststellen der Wehrmacht“, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 85 Vgl. „Gesetz zur Bestellung eines Reichskommissars für die Preisbildung“ (12.12.1936), in: RGBl I, 1936, S. 927f.; ferner Petzina: Autarkiepolitik, S. 63, 67, 110-114, 148-150, 162f.; Neumann: Behemoth, S. 557f.; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 1, S. 30, 62-74; Bd. 2/1, S. 515-518; Bd. 3/2, S. 535, 602, 714; André Steiner: Der Reichskommissar für die Preisbildung – „eine Art wirtschaftlicher Reichskanzler“?, in: Hachtmann/Süß (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 93-114 Vgl. Petzina: Autarkiepolitik, S. 139-147 Vgl. Willi A. Boelcke: Wirtschaftsverwaltung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte IV, S. 774-793, v.a. S. 783 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3837, Bl. 1 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 20; ferner ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 23 (Auflistung der BWÄ für alle Wehrkreise im Reich)
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Durch Verordnung vom 28.11.1939 entstanden zwei BWÄ.88 Das BWA IX a hatte seinen Sitz in Kassel, das BWA IX b89 wurde in Weimar errichtet, war territorial als Wehrwirtschaftsbezirk IX b, der das Land Thüringen (mit Ausnahme des Stadt- und Landkreises Altenburg, des Landkreises Sonneberg und der Enklave Ostheim), den Regierungsbezirk Erfurt, den Landkreis Herrschaft Schmalkalden und von der Provinz Sachsen die Kreise Querfurt, Sangershausen und Eckartsberga90 umfasste, auf den Gau Thüringen zugeschnitten91 und verfügte über die nachgeordneten Wirtschaftsämter.92 Das BWA Weimar, Nachfolgebehörde der friedensmäßig vorhandenen wehrwirtschaftlichen Abteilung bzw. ihrer Gruppen, leitete Ministerpräsident Marschler, ständiger Stellvertreter war Benecke, Abteilungsleiter Dr. Lippold, die im Thüringischen Wirtschaftsministerium tätig waren. Die Geschäftsleitung lag im Allgemeinen bei Benecke, Marschler behielt sich aber Entscheidungen in „Angelegenheiten von besonderer politischer und von grundsätzlicher Bedeutung“93 vor. Von der Gründung eines Forst- und Holzwirtschaftsamtes wurde bis 1943 abgesehen.94 Das BWA hatte den Anspruch, Steuerungselement der gewerblichen Wirtschaft zu sein, war personell mit Fachleuten aus dem Wirtschaftsministerium versehen und faktisch dessen Außenstelle. Eine solche enge personelle und strukturelle Vernetzung scheint – berücksichtigt man ein Schreiben Stuckarts an Bormann vom Januar 194395 – eher die Ausnahme gewesen zu sein. Denn der Staatssekretär im RMI beklagte vor dem Hintergrund von Personaleinsparungen und Verwaltungsvereinfachungen, dass die Wirtschaftverwaltung in der Mittelstufe des Behördenaufbaus in LWÄ und Wirtschaftsministerien aufgespalten sei und forderte eine Zusammenlegung der parallel arbeitenden Behörden nach dem Vorbild der Reichsgaue, Hamburgs, der Westmark und der preußischen Provinzen. Vor allem wirkte störend, dass die 1941 in LWÄ umbenannten Be88 89 90
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Vgl. RGBl I, 1939, S. 2315f. Vgl. Geschäftsordnung für das BWA IX b für den Wehrwirtschaftsbezirk IX b, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 19-29, 34-41 Infolge der Umorganisation der Zuständigkeit der LWÄ traten am 10.3.1941 die Kreise Eckartsberga, Querfurt und Sangerhausen zum LWA Magdeburg über. (Vgl. BAMA RW 20-9/21, Bl. 76) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 270; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 17 Vgl. zu den Wirtschaftsämtern in Thüringen ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 174 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 22 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 12 (Schreiben Funks an Marschler vom 29.11.1939); ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 45 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 14f.
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hörden im Zusammenhang mit der Verordnung über die RVK und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung vom 16.11.1942 neu strukturiert wurden und gebietlich nun nicht mehr mit den Wirtschaftsministerien übereinstimmten. Sicherlich muss auch dieser Tatbestand Berücksichtigung finden, soll die Bedeutung des BWA Thüringen genauer untersucht werden. Das BWA bediente sich bei der Firmenkontrolle (insbesondere der Sicherung von Arbeitskräften, Energie und Transportmittel) der Wirtschaftskammer, der IHK und der Gruppen, die nicht in eine bezirkliche Organisation eingebunden waren. In der Wirtschaftskammer wurde die Erledigung aller wehrwirtschaftlichen Fragen in einer Abteilung zusammengefasst, die sich in Referate für Erzeugungssicherung (A) und Erzeugungsplanung (B) gliederte. Die BWÄ bestanden zwar für den Bereich jedes Wehrkreises, allerdings waren sie teilweise nicht am Ort des Wehrkreiskommandos selbst, sondern bei den Zivilverwaltungen angesiedelt.96 Im Zuge der „Zusammenfassung aller Kräfte zur Steigerung der Fertigung für die Wehrmacht“, wie ein geheimes Rundschreiben des RWM an die BWÄ vom 23.12.1939 betitelt war, wurden die BWÄ beauftragt, alle durch die Wirtschaftskammern eingeleiteten oder noch erforderlichen bezirklichen Maßnahmen der Kammern, IHK und Bezirksausgleichsstellen abzustimmen. Damit wurden die BWÄ auf eine überinstitutionelle Regulierungsfunktion abgestellt, die die Konkurrenten nicht ersetzen konnten. Von der Erfüllung der ursprünglich dem BWA IX b zugedachten Aufgaben war dieses weit entfernt. Es war vielmehr auf die Mitarbeit der Organe der Selbstverwaltung der Wirtschaft und die Rüstungsdienststellen angewiesen. Zwar war vom RWM verordnet, dass die IHK von den BWÄ Weisungen erhalten konnten und damit auch die direkte Unterstellung der Kammern unter das RWM beseitigt worden war, aber de facto war das BWA IX b eher auf die Mitarbeit der Kammern angewiesen. Diese notwendige Zusammenarbeit wurde recht frühzeitig erkannt.97 Für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft schuf das RWM am 15.9.1939 die Voraussetzungen, indem es Richtlinien über die Kooperation zwischen der wirtschaftlichen Eigenverwaltung und den BWÄ erließ. Für den Bereich der Ernährungswirtschaft ergingen entsprechende Anordnungen bereits am 27.8.1939. 96 97
Vgl. „Richtlinien des Reichswirtschaftsministeriums zur Organisation der Kriegswirtschaft“, in: Frankfurter Zeitung Nr. 481 vom 21.9.1939 Und in der anerkannten Reihe „Neugestaltung von Recht und Wirtschaft“ wurde angemerkt: „Die zentralen Behörden und Dienststellen der Organisation der gewerblichen Wirtschaft (Reichswirtschaftskammer, Reichsgruppen: Industrie, Handel, Handwerk, Bank, Versicherungen, Energiewirtschaft und Fremdenverkehr, sowie die Wirtschaftsgruppen mit ihren Fach- und Untergruppen) haben die Mitbestimmung über die zweckmäßige Verwendung und Verteilung der bewirtschafteten Erzeugnisse für das ganze Reichsgebiet.“ (v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 16, Hervorh. i. Orig.)
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Durch diese Vorschriften wurden die Organisationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung „überall da verantwortlich eingebaut, wo sich das irgend ermöglichen ließ.“98 Auf Anordnung des RWM wurden die BWÄ am 26.2.1941 in LWÄ umbenannt und stärker auf die Gaue ausgerichtet.99 Das LWA Thüringen verblieb beim Wirtschaftsministerium100, struktureller Aufbau und Besetzung waren nahezu gleich. Leiter war weiterhin Marschler, ständiger Vertreter Benecke und Abteilungsleiter Lippold. Es umfasste das Land Thüringen ohne die Kreise Altenburg (LWA Dresden) und Sonneberg (LWA Fürth), den Regierungsbezirk Erfurt (zur Provinz Sachsen) und die Herrschaft Schmalkalden (zur Provinz Hessen-Nassau).101 Die Bereiche Industrie, Handel und Handwerk des Thüringischen Wirtschaftsministeriums wurden in Personalunion vom LWA aus bearbeitet.102 Seinen Abschluss fand dieser Prozess am 1.12.1941 mit Anpassung des LWA an die Gaugrenzen.103 Nachdem die Organisationen der gewerblichen Wirtschaft in die Kriegswirtschaft eingebaut worden waren, wurde die Einrichtung der zu Reichskommissaren ernannten IHK-Präsidenten und der Geschäftsführer zu deren Stellvertretern wieder aufgehoben. In der Realität war diese Regelung kaum zu Bedeutung gelangt und hatte eher Missverständnisse als klare Strukturen geschaffen.104 Auf Grundlage des § 10 der Verordnung über die RVK und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung vom 16.11.1942 wurde durch Erlass des Reichs98 99
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v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 16 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 4; Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468, Bl. 124, 126; ferner Karte der LWÄ im Reich, in: ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 163. Boelcke (Wirtschaftsverwaltung, S. 783) datiert die Umbenennung der BWÄ in LWÄ auf das Jahr 1940. Die LWÄ wurden im Allgemeinen bei der Behörde der Reichsstatthalter, Ober- oder Regierungspräsidenten errichtet. Lediglich in Baden, Bayern, Mecklenburg, Thüringen und Württemberg wurden die LWÄ an die zuständigen Länderministerien angebunden. (Vgl. RGBl I, 1942, S. 654-656) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 74 (Verzeichnis der Stadt- und Landkreise des LWA Thüringen) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 10 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4221, Bl. 6 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3851, n. pag. (Runderlass des RWM vom 9.6.1941) sowie das aufschlussreiche Rundschreiben des RWM, das am 18.7.1940 bereits Anordnungen zu Funktion und Aufgaben der BWÄ in der Nachkriegsordnung erteilte (Steuerung der Demobilmachung, planwirtschaftliche Lenkungsfunktionen in der regionalen Instanz, Wahrnehmung friedenswirtschaftlicher Aufgaben), in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 71; zur Haltung des sächsischen Gauleiters, Reichsstatthalters und RVK Mutschmann gegenüber dem BWA ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 70, 72f.
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forstmeisters vom 2.6.1943 beim Thüringischen Wirtschaftsminister ein Forst- und Holzwirtschaftsamt für den Wehrwirtschaftsbezirk Thüringen errichtet, dessen Gründung am 7.10.1943 in Weimar erfolgte.105 Seit 1.1.1944 führte Marschler nebenamtlich das Forst- und Holzwirtschaftsamt. Auf den unteren Verwaltungsbehörden wurden Landräte und Oberbürgermeister zu Beauftragten für die Forst- und Holzwirtschaft. 1944 griff das SpeerMinisterium mit der Einsetzung eines Reichsbevollmächtigten und von Landesbevollmächtigten für die Holzbringung106 nach den Zuständigkeiten der Holzversorgung und überlagerte damit die 1942/43 eingerichteten Forst- und Holzwirtschaftsämter des RWM. Auf Vorschlag der Vorsitzer der Rüstungskommissionen wurden in der Mittelinstanz am 15.7.1944 Landesbevollmächtigte ernannt, die neben einer „anerkannte(n) politische(n) Haltung hervorragendes Organisationstalent, möglichst Verständnis für die forst- und holzwirtschaftlichen Aufgaben und vor allem eine starke Initiative besitzen. […] In jedem Fall muss es sich um Männer von Format handeln, die sich bereits in Stoßaktionen bewährt haben.“107 Für Thüringen wurde NSKK-Leiter Barth zum ehrenamtlichen Landesbevollmächtigten berufen.108 In der 23. Sitzung der Rüstungskommission IX b gab Regierungsbaudirektor Kleinmeier, Baubevollmächtigter im WK IX, unumwunden zu, dass sich die Beschaffung von Bauholz zu einem Engpass größten Ausmaßes entwickelt hatte, zumal es an Arbeitskräften mangelte.109
105 106 107 108 109
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4219, Bl. 153 Vgl. BArch R3/1742, Bl. 104; Nachrichten des RMRK 41/1944, S. 433f.; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 80f. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 83 (Speer an die Vorsitzer der Rüstungskommissionen) Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 60 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 159
Landesernährungsamt (Landesbauernführer Peuckert)
Ernährungsämter in den Kreisen
Wirtschaftsämter in den Kreisen
Ernährung
Forsten
(Entwurf in Anlehnung an Neumann: Behemoth, S.305) Landräte und Oberbürgermeister als Beauftragte
Forst- und Holzwirtschaftsamt (Ministerpräsident Marschler, seit 1944)
Führungsstab Wirtschaft im Wehrwirtschaftsbezirk IX b ( Gau Thüringen) (Ministerpräsident Marschler)
Wirtschaft
Funk als „Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft“ (GBW) (Chef für alle Wirtschaftsfragen, ausgenommen der Rüstungsindustrie) Weisungsbefugnis gegenüber den Ministerien für:
Bezirkswirtschaftsamt IX b (Ministerpräsident Marschler)
Finanzen
Arbeit
Göring als Oberhaupt der deutschen Kriegswirtschaft
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Die Organisation der Kriegswirtschaftsverwaltung vom 27.08./28.11.1939 im Gau Thüringen
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Die Errichtung des BWA IX b und des Führungsstabes IX b110 schlug hohe Wellen. Bereits zwei Wochen vor der offiziellen Gründung regte sich bei der Wehrwirtschaftinspektion IX in Kassel, die sich in einem Schreiben an das Wehrwirtschaftsamt im OKW wandte und auf eine auf den Wehrkreis ausgerichtete Organisationsstruktur insistierte, heftiger Widerstand gegen die Pläne im RWM.111 Die harsche Kritik der Inspektion wurde darüber hinaus von den Plänen des GBW angeheizt, die Ende September 1939 den Wehrwirtschaftsstellen übertragenen Prüfanträge für Facharbeiter und uk-Stellen aus allen Sektoren der Kriegswirtschaft auf die nachgeordneten Dienststellen des GBW zu übertragen und die militärischen Dienststellen auszuschalten. Diese doppelte Problematik, die im November 1939 die Inspektion IX in höchste Alarmbereitschaft versetzte, bedarf einer genaueren Darstellung. Für die Inspektion galt der Grundsatz, dass sich die Bezirke der Inspektionen und der BWÄ auf Basis der Wehrkreise deckten, folglich nur ein BWA in jedem Wehrkreis existierte. Mit der Errichtung des BWA IX b sah sich die Inspektion einer neuen Situation gegenüber. Sie musste künftig die eigenen Interessen mit zwei BWÄ abgleichen, in zwei Bezirksbelegungsausschüssen die regionale Kriegswirtschaftsorganisation diskutieren und war – was als ein nicht zu unterschätzender Aspekt anzusehen ist – räumlich fernab von den Vorgängen in Weimar, woraus nicht nur Zeitverluste und technische Schwierigkeiten entstanden, sondern ein geringerer Einflussgrad der Inspektion resultierte. Während die Inspektion einer Radikalkur das Wort redete, die auf eine organisatorische Straffung in ihren Händen hinauslaufen sollte, gestalteten sich die im November 1939 mit der Errichtung des BWA IX b geschaffenen Verhältnisse weitaus komplexer und komplizierter. Vor diesem Hintergrund forderte die Inspektion vehement eine Neuregelung der regionalen Organisationsstrukturen, eine Zurückdrängung des Einflusses der Außenstellen des GBW und eine Ausdehnung des Zugriffs der Wehrwirtschaftsstellen auf einen deutlich größeren Kreis an Firmen.112 Ebenso richtungsweisend wie unberücksichtigt verhallend blieb der Ruf nach einer Beseitigung des Dualismus in der Betreuungsfrage. In allen Betrieben sollten die Wehrwirtschaftsdienststellen den „Totalitätsanspruch“ erheben. Die Zielorientierung der Inspektion blieb darüber hinaus auf die Übernahme der Betreuung weite110
111 112
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 42; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 12f.; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 287, Bl. 2-7 Vgl. hierzu und zum Folgenden BA-MA RW 20-9/1, Bl. 153f.; zum Scheitern der weitgesteckten Pläne der Inspektion IX BA-MA RW 20-9/21, Bl. 76 Die Inspektion strebte die Kontrolle über alle Betriebe, die direkte Aufträge der Wehrmachtbeschaffungsämter auszuführen hatten, an, gleichgültig ob sie bisher von der Wehrmacht oder vom GBW betreut wurden, sowie alle Betriebe, die deren Unterlieferanten der ersten Stufe waren.
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rer Betriebe gerichtet, die das BWA IX b „betreute“.113 Diese Planungen liefen jedoch ins Leere, da die Überführung von W-Betrieben (Wirtschaft) in W-Betriebe (Wehrmacht) bei den Firmen eine Änderung in der formularmäßigen Behandlung der uk-Stellungen, der Betriebsstoff-, der Reifenversorgung usw. bedingte. Die hierdurch eingetretene Beunruhigung der Betriebe veranlasste das OKW am 19.6.1940 zu einer Stopp-Verfügung, nach der eine Änderung der „Betreuung“ von W-Betrieben auch innerhalb der Wehrmachtteile für die Dauer des Krieges nur in ganz besonderen Fällen ausgesprochen werden durfte. Die Inspektion musste sich in ihrer Position von den Bestrebungen des GBW angegriffen fühlen und pochte auf die Vereinbarung vom Mai 1939. Am 3.5.1939 wurden vom Wirtschaftsstab des OKW und dem GBW gemeinsam „Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen dem OKW und GBW für die Wirtschaft in der Vorbereitung der Wehrwirtschaftsbetriebe auf den Krieg“ herausgegeben und ein „Mob-Plan Wirtschaft“ aufgestellt, der sich in einen „Fertigungsplan Wehrmacht“ und einen „Erzeugungsplan Wirtschaft“ teilte. Für die Betriebszuteilungen wurde ein „BezirksBelegungs-Ausschuss“ errichtet, den die Inspektion IX und das BWA Kassel als Außenstelle des GBW kontrollierten und personell ausstatteten. Diese Richtlinien bildeten die Basis von Kooperation und Abgrenzung der Betriebszuteilung zum Bereich der zivilen bzw. militärischen „Betreuung“. Auch wenn die Inspektion in ihren Darstellungen und Forderungen zweckorientiert einigermaßen übertrieb, treten zweierlei Merkmale der regionalen Rüstungswirtschaft deutlich zutage. Zum einen bestand ein komplexes Netz von Zuständigkeiten und Aufgaben konkurrierender Behörden, die sich, wie beispielsweise das BWA Weimar und die Wehrwirtschaftsstellen in Weimar und Eisenach, in den ersten Kriegsmonaten aufgrund einer dynamischen Organisation und ausgerichtet auf eine „kriegsmäßige Friedenswirtschaft“ ohne klare und überzeugende Strukturen zunächst einmal positionieren und ihre Kooperation definieren mussten. Zum anderen zeigten sich bereits in diesen Erfahrungsmomenten, dass der Dualismus einer Zivil- und Rüstungsproduktion stärkeren kriegswirtschaftlichen Belastungen kaum standzuhalten vermochte und eine straffe Führung der Industrie, wie sie die Inspektion für sich beanspruchte, wenn auch nicht in ihrem Sinne, so doch in der tendenziellen Ausrichtung auf ein regionales Organisationszentrum unabdingbar für deren 113
Gegenüber dem OKW äußerte sich die Inspektion in einem Schreiben vom 16.11.1939, in dem sie sich heftig gegen die Errichtung des BWA IX b wandte, ganz unverhohlen: „Es besteht keine Gefahr, dass die Wehrwirtschaftsstellen diesen erweiterten Firmenkreis nicht führen und die ihnen daraus erwachsenen Aufgaben nicht bewältigen könnten; denn sie sind zur Zeit nicht mehr belastet mit den vielfältigen und zeitraubenden Arbeiten, die sich aus der Aufstellung der Mob-Kalender ergaben. Die hierdurch freigewordene Kapazität wird ihnen zweifellos die Betreuung einer wesentlich größeren Zahl von Betrieben ermöglichen.“ (BA-MA RW 20-9/1, Bl. 153)
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Leistungsfähigkeit war. Die von der Inspektion IX im November 1939 geforderte grundlegende Neuausrichtung, gerichtet gegen das BWA IX b im Besonderen, gegen die Zweiteilung der Rüstungswirtschaft im Allgemeinen, sollte sich erst unter den Belastungen der Kriegswende 1941/42 und in einer anderen als der geforderten Form einstellen. Die Inspektion sollte sich bald von dem Schock der Errichtung des BWA IX b erholen, als sie erkannte, dass dessen Einflussmöglichkeiten begrenzt waren und es keinen ernsthaften Konkurrenten darstellte. Die Rüstungsinspektion IX, die sich über das Kommando Weimar gegenüber dem BWA IX b vertreten ließ, bezeichnete die Zusammenarbeit mit dem BWA denn auch als gut: den Betriebszuteilungen gingen meist intensive Vorbesprechungen zwischen den beteiligten Referenten voran, so dass in den Ausschuss-Sitzungen kaum Schwierigkeiten auftraten.114 Der Führungsstab als Spitzengremium der Führungskräfte aus Industrie, Handwerk, Landwirtschaft, Verkehr, Banken, Gewerbe, Preisbildung und Arbeitskräftelenkung115 war den Länderorganisationen der Ministerien für Arbeit, Ernährung, Forstwirtschaft, den Wirtschaftskammern, allen Regionalorganisationen der Gruppen und Handwerksvereinigungen, den Wirtschaftsverwaltungsämtern (BWA, Forst- und Holzwirtschaftsamt, LEA/PEA, Preisbildungsstelle) sowie den IHK übergeordnet und Pendant zu den Wehrmachtsbehörden116. De facto aber überlagerten die Gaufunktionen die Wehrkreise. Personell vernetzt wurden die Stäbe mit den RVK-Ämtern. Der Leiter des Führungsstabes Wirtschaft war gleichzeitig Sachbearbeiter des RVK für alle wirtschaftlichen Fragen. Die schwache Position der BWÄ spiegelt ein Rundschreiben Funks vom 4.10.1939 an das RWM, RMEL, das RAM, den Reichsforstmeister und den Reichskommissar für die Preisbildung wider, in dem er darauf hinwies, dass die Führungsstäbe ebenso wie die RVK „in jedem Fall über Maßnahmen grundsätzlicher Art“117, insbesondere Stilllegungen, Einschränkungen und Auftragssperren, in deren RV-Bezirken zu unterrichten waren. Der Führungsstab Wirtschaft erhielt seine Weisungen
114
115 116 117
Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 10. Quellenkritisch ist die Darstellung durchaus glaubhaft, an anderen Stellen sind die Kommentare und Anmerkungen zu kriegswirtschaftlichen Prozessen weitaus kritischer. Lediglich in einem Falle, dem der LurgiGesellschaft Frankfurt/Main, musste der Ausschussvorsitzende der Inspektion IX gegen den Einspruch des BWA IX a von seinem Entscheidungsrecht Gebrauch machen. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 1-47; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 1-18 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 285, Bl. 12 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 39
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unmittelbar vom GBW118 und arbeitete mit der Inspektion IX in Kassel zusammen.119 Wirtschaftsministerium, Führungsstab und BWA waren strukturell und personell eng miteinander verknüpft. Name
Funktion im Führungsstab Wirtschaft IX b Leiter
Ministerpräsident Marschler Oberregierungsrat Bene- Ständiger Stellvertreter cke Regierungsoberinspektor Sachbearbeiter für die Kohlschmidt allgemeinen Angelegenheiten Oberregierungsrat Leiter des Amtes geDr. Lippold werbliche Wirtschaft
Regierungsrat Eckelmann Dr. Fincke
Sachbearbeiter im Amt gewerbliche Wirtschaft Sachbearbeiter im Amt Arbeitsfragen
Wedler
Leiter des Amtes Bauwirtschaft
Funktion im BWA IX b Leiter Ständiger Stellvertreter und allgemeine Führung der Geschäfte Sachbearbeiter für die allgemeinen Angelegenheiten und Personalsachen Abteilungsleiter und Leiter des Referats für gewerbliche Wirtschaft (Leiter der Referate III-VII), Leiter des Referats Industrie, Handel, Handwerk Leiter des Referats Transport und Energie Leiter des Referats Wehrwirtschaftsbetriebe und Arbeitseinsatz Leiter des Referats Bauwirtschaft
Einige Kompetenzen erwuchsen den Steuerungsorganen der gewerblichen Wirtschaft im Zuge der Betriebsstilllegungen seit 1939. Als Koordinationsund Kommunikationsbasis dienten die Sitzungen des BWA Weimar unter Beteiligung der mit der regionalen Kriegswirtschaft befassten Behörden im Gau Thüringen (Rüstungskommandos, Handwerkskammer, Wehrersatzdienststellen, Kammersystem der Wirtschaft). Eine zumindest vom RWM geplante, an einigen Fehlabstimmungen und unterschiedlichen Interessenlagen aber krankende Kooperation lässt sich bei der Ermittlung derjenigen Firmen nachweisen, die unter das Stillhalteabkommen fielen. Nach der Feststellung der in Frage kommenden Betriebe durch das BWA und die IHK wurde beim zuständigen Rüstungskommando die Prüfung und Zustimmung eingeholt. Das BWA sollte die Benachrichtigung in die Wege leiten. Hier aber erwies sich der Aktionsrahmen der Kommandos als dynamisches Ele118 119
Vgl. Herbst: Totaler Krieg, S. 255-275; Naasner: Machtzentren, S. 169-172; Boelcke: Interna; Janssen: Ministerium Speer; v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 10 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 21
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ment, die ihrerseits eigenmächtig an die Betriebe herantraten und das BWA, das das Prozedere als wenig zweckmäßig ansehen musste, ins Hintertreffen geraten ließ.120 Der Organisationsablauf wurde deshalb unter Umgehung des BWA neu ausgerichtet, die IHK und die Handwerkskammern erhielten sofort die von den Kommandos Weimar und Eisenach aufgestellten Listen, prüften diese nach, meldeten die in den Listen nach ihrer Ansicht nicht enthaltenen Betriebe umgehend (möglichst fernmündlich) den Kommandos, die wiederum nach einer Kontrolle die neu hinzugekommenen Betriebe benachrichtigten.121 Im Frühjahr 1941 sah sich das RWM angesichts der geringen Bedeutung der LWÄ zu einem Rundschreiben an die RWK, Reichs- und Wirtschaftsgruppen, Reichsinnungsverbände, Reichsstellen und Wirtschaftskammern veranlasst, um den LWÄ zu mehr Geltung zu verhelfen. Im Rahmen der Arbeitseinsatzproblematik, des Arbeitskräftemangels und der Stilllegungen hatten sich die LWÄ nicht gegen die Reichsstellen, vor allem aber nicht gegen die OgW und deren Gliederungen durchsetzen können, so dass das RWM heftig auf die aktuelle Situation reagierte: „Ich habe wiederholt klargestellt, daß der Auftrag für die personelle Betreuung sämtlicher nicht von der Wehrmacht betreuten Betriebe der gewerblichen Wirtschaft und die Durchführung regional begrenzter Maßnahmen des Arbeitseinsatzes ausschließlich den Landeswirtschaftsämtern (Oberbergämtern) und den unmittelbar betreuenden Dienststellen (Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, unteren Bergbehörden) erteilt ist. Es ist verantwortliche Aufgabe dieser Stellen allein, auf Grund der ihnen laufend übermittelten Unterlagen die notwendigen Planungen durchzuführen, dem Kräftebedarf die erwünschte Richtung zu geben, die Anforderungen der Betriebe zu prüfen und den echten Bedarf den Dienststellen der Wehrmacht und Arbeitseinsatzverwaltung gegenüber anzumelden und durchzusetzen.“122 Die Gliederungen der Wirtschaftskammern, vor allem die Abteilungen Industrie, griffen unter Übergehung der LWÄ selbstständig in die Wirtschaft ein und traten mit Ratschlägen, Weisungen und Sonderwünschen an die Betriebe heran. Als Anfang 1942 die militärischen und kriegswirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus dem Ruder liefen, sprang das RMI dem RWM zur Seite, um die LWÄ deutlich aufzuwerten. In einem Schreiben an die Reichsstatthalter in den Reichsgauen und die Oberpräsidenten verwies Frick auf die Bedeutung der LWÄ. Doppelarbeit bei den LWÄ und anderen Wirtschaftsbehörden sei unbedingt zu vermeiden, folglich müssten alle wirtschaftlichen Sachgebiete, die bisher noch außerhalb der LWÄ bearbeitet wurden, in Zukunft mit den LWÄ ver120 121 122
Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 49 Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 50 BArch R3101/34607, Bl. 6 (Hervorh. i. Orig.)
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bunden werden.123 Die Anpassung der LWÄ-Grenzen am 1.11.1942124 trug denn auch der Tatsache Rechnung, dass die Gaue sich als Verwaltungseinheiten des Reiches mit der Krise des Regimes und den Mobilisierungs-, Organisations- und Improvisationsmechanismen durchgesetzt hatten. An der relativen Schwäche der LWÄ änderte das freilich nichts mehr. Im Zuge der Reorganisation des RWM125 im Frühjahr 1943 unternahm Dr. Franz Hayler, Leiter der Gruppe Handel und seit 1943 Staatssekretär und Vertreter Funks im RWM, einen neuerlichen Versuch der klaren Zuständigkeitsabgrenzung zwischen LWÄ und Kammersystem und ordnete an: „Die Gauwirtschaftskammern bzw. Wirtschaftskammern und Zweigstellen handeln bei der Ausführung der ihnen vom Landeswirtschaftsamt übertragenen Aufgaben im Auftrage der Landeswirtschaftsämter. […] Die Kammern haben das Landeswirtschaftsamt über die Durchführung der vom Landeswirtschaftsamt gestellten Aufgaben zu unterrichten und Auskunft zu erteilen.“126 Es ist als der letzte Versuch anzusehen, die LWÄ gegenüber den Konkurrenten der OgW einigermaßen Geltung zu verschaffen. Als letztes Aufgabengebiet von Bedeutung hatten die LWÄ die Versorgung der Betriebe mit Kohle und Energie behaupten können (wobei sich auch hier die Mitsprache der GWK und Rüstungskommissionen anbahnte). Betriebsbetreuung und planung, Arbeitseinsatz und Wehrmachtseinziehungen, Verkehr, Bewirtschaftung, Industriekohle und Kraftstoff lagen in den Händen der 1943 errichteten GWK, die wiederum in kriegswirtschaftlich wichtigen Fragen den Rüstungskommissionen unterstanden.127 Ein ernster Konkurrent erwuchs dem LWA Thüringen in den Rüstungsdienststellen, die über die Kommandos in Eisenach und Weimar wichtige Steuerungsfunktionen beanspruchten. Die Bedenken nahmen offenbar derartige Formen an, dass eine Aussprache zwischen den Rüstungskommandos und dem LWA notwendig wurde, um die Reibungsverluste zu minimieren.128 Das LWA Weimar, das mit lediglich drei Referenten ca. 2.200 Betriebe betreute, musste in der zweiten Kriegshälfte resigniert feststellen, dass sich 123 124 125
126 127 128
Vgl. BArch R43II/658, Bl. 16, 27 Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 3, S. 139f.; ergänzend BArch R3101/34608, Bl. 43 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik S. 348-351; Herbst: Totaler Krieg, S. 255313; Thamer: Verführung, S. 722; Naasner: Machtzentren, S. 446f.; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 164-168 BArch R3101/32242, Bl. 16 (Hayler an die LWÄ, GWK, Reichsstellen, Reichsvereinigungen, Reichswirtschaftskammer) Vgl. BArch R3101/34609, Bl. 33; Richtlinien für die Durchführung des Ordnungsstrafrechts durch die LWÄ und Wirtschaftsämter, in: BArch R3/1772, Bl. 118f. Vgl. BA-MA RW 21-17/12, Bl. 20
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auch Betriebe der zivilen Fertigung zunehmend an die auch personell deutlich besser ausgestatteten Rüstungskommandos wandten.129 Mit der Arbeitskräftesteuerung der Betriebe hatte das LWA 1944 nach eigenem Bekunden nichts mehr zu tun und wurde hierbei vom Bezirksobmann der Ausschüsse und Ringe völlig übergangen.130 Von den Produktionsprogrammen der zentralen Stellen wurde das LWA lediglich in Form von Durchschriften der Herstellungsanweisungen unterrichtet. „Sonstige Bedürfnisse nach Statistiken oder Informationen“ habe, so eine Notiz im Planungsamt nach einem Besuch im LWA Weimar lapidar, „das Landeswirtschaftsamt nicht.“ Bei Bedarf – was offenbar sehr selten war – wandte sich das LWA an die GWK Thüringen, bei der auch allein die Beschäftigtenmeldungen vorlagen. Über Informationen bezüglich Kapazitäten und sonstiger Betriebsdaten verfügte das LWA nach eigenem Bekunden nicht. BWA/LWA und Führungsstab Wirtschaft bildeten letzten Endes entbehrliche übergeordnete Strukturen einer „bedingte(n) Mobilmachung“131, die kaum an Schlagkraft und Effizienz gewannen, da die bestehenden Apparate bereits eingespielt waren und funktionierten und Göring am 7.12.1939 den GBW entmachtete, dessen Dienststelle aufhob, seine Kompetenzen auf das RWM und die Reichsbank begrenzte und dadurch das Nebeneinander von VJP und GBW beseitigte.132 Nicht abzusprechen ist den BWÄ ein von ihnen ausgeübter Anpassungs- und Effektivierungsdruck auf die bereits bestehenden Organisationen, mehr aber auch nicht. Das änderte sich auch nicht mit dem Übertritt der ranghohen SS-Offiziere Dr. Hayler und Ohlendorf in das RWM, die auf eine Stärkung des RWM in der Mittelinstanz durch die Aufwertung der LWÄ hinwirkten.133 Die Versuche Haylers und Ohlendorfs, den LWÄ zu einer stärkeren Position in den regionalen Kriegswirtschaftsgefügen zu verhelfen und damit den mittelinstanzlichen Einfluss des RWM zu stärken, müssen als gescheitert angesehen werden. Einige Kompetenzen erwuchsen dem LWA Thüringen in der ersten Kriegshälfte auch aus der Versorgung der 129 130 131
132 133
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 114; BA-MA RW 20-9/20, S. 9; BA-MA RW 20-9/15, Bl. 9; BA-MA RW 20-9/14, Bl. 8 Vgl. hierzu und zum Folgenden BArch R3/1817, Bl. 340 Herbst (Totaler Krieg, S. 103-126) nennt drei Gründe, die überzeugend für die Bezeichnung „bedingte Mobilmachung“ sprechen: eine große Toleranz gegenüber der Bevölkerung bei der psychologischen Bewältigung des Kriegsbeginns, eine vor allem auf Reichsebene nicht zu bestreitende Polykratie bei den wirtschaftlichen Lenkungsapparaten und eine ungenügende Mobilisierung der Produktionsfaktoren. Vgl. für den Text des Erlasses Petzina: Autarkiepolitik, S. 135; ferner Herbst: Totaler Krieg, S. 114 Ohlendorf erstellte seit 1943 für die LWÄ in etwa dreimonatlichen Abständen jeweils Überblicke über die Versorgungslage, in denen er die Zukunftsperspektiven und Problemfelder der einzelnen Branchen knapp umriss und den LWÄ dadurch den Rücken stärken wollte. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4252)
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evakuierten Bevölkerungsteile aus der Saar und Hamburg. Auf diesem Feld drängte die NSV Thüringen immer mehr nach vorne.134 Mit der Kriegswende 1941/1942 und der daraus resultierenden Neuorganisation der Kriegswirtschaft, dem Aufstieg des 1940 gegründeten RMBM und der Dynamisierung infolge der Speerschen Maßnahmen haben das BWA/LWA Thüringen und der Führungsstab Wirtschaftsbezirk IX b nur noch sehr wenig zu tun.135 Die personelle Besetzung und die Einbindung in die bestehenden und sich ausprägenden Netzwerke der Kriegswirtschaftsadministration des Gaues Thüringen unterwarf das BWA/LWA IX b und den Führungsstab Wirtschaft funktionssteigernden und -schwächenden Wandlungen. Die dominierende Rolle in diesem Funktionsgefüge nahmen zweifelsohne die OgW, die dem Speer-Imperium unterstehenden Apparate und Sauckel ein, der seine neu erlangten RVK-Befugnisse extensiv auszulegen gedachte: „Der Reichsverteidigungskommissar als Chef der gesamten zivilen Verwaltung im Wehrkreis IX hat selbstverständlich auch in wirtschaftlichen Fragen Weisungsrecht.“136
3. a.
Das Landesernährungsamt Errichtung und Aufgaben
Das NS-Regime schuf parallel zur Aufrüstung sowie militärischen und wirtschaftlichen Mobilmachung Mechanismen, die die Versorgung der inländischen Bevölkerung im geplanten, vorbereiteten und geführten Krieg sichern sollten. Zu diesem Zweck erging im Sommer und Herbst 1939 eine Reihe von Verordnungen für die Kriegsernährungswirtschaft, mit denen tief in die administrativen Strukturen eingegriffen und eine Neuordnung der Ernährungswirtschaft angestrebt wurde. Zu diesen Maßnahmen zählten die „Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung“137 und ihre erste 138 und zweite Durchführungsverordnung 139, die „Verordnung zur vorläufigen Sicherstel-
134 135
136 137 138 139
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 50-52, 213, 226, 227 Die LWÄ und die nachgeordneten Wirtschaftsämter verfügten beispielsweise seit 1943 über ein Ordnungsstrafrecht, das ihnen der Reichsbeauftragte für Kohle, Paul Pleiger, übertragen hatte. Bei Verstößen gegen die Anordnungen der Reichsstelle für Kohle konnten die Leiter der LWÄ auf Grundlage der Warenverkehrsordnung eine Ordnungsstrafe verhängen oder ein Strafverfahren einleiten. (Vgl. BArch R3/1772, Bl. 118f.) ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 20 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1495-1498 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1519f. Vgl. RGBl I, 1939, S. 1569
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lung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“140 und dazu gehörende vier Durchführungsverordnungen141, die „Verordnung über die öffentliche Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen“142, die Verordnungen über die öffentliche Bewirtschaftung von Getreide- und Futtermitteln, Tieren und tierischen Erzeugnissen, Milch, Milcherzeugnissen, Ölen und Fetten, Kartoffeln und Kartoffelerzeugnissen, Brotaufstrichmitteln, Zwiebeln und Gewürzen, Eiern und Eiererzeugnissen, Fischen und Fischwaren, Rohkakao und Süßwaren143 und die „Verordnung 144 über die Gewährung von Sonderzulagen an Schwer- und Schwerstarbeiter, werdende und stillende Mütter, Kranke und gebrechliche Personen“.145 Noch vor Kriegsbeginn führte die am 27.8.1939 erlassene „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“146 die Bezugsscheinpflicht für Verbrauchsgüter (z.B. Lebensmittel, Kohle, Kleidung) ein147 und auf regionaler Ebene wurden LEÄ/PEÄ sowie Forst- und Holzwirtschaftsämter zur Sicherung der Ernährungslage und Holzindustrie errichtet148, deren Leiter das RMEL und RMI ernannten. Realiter jedoch beriefen 140 141 142 143 144 145
146 147
148
Vgl. RGBl I, 1939, S. 1498-1501 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1502-1518 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1521-1526 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1705-1735 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1825-1827 Diesen Maßnahmenkatalog ergänzte eine Reihe von Erlassen des RWM: am 14.9.1939 Erlass zur Gewerbeaufsicht und Schwerarbeiterzulagen (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 83, Bl. 36f.), am 18.9./13./20.10.1939 die Durchführungsverordnung über die Gewährung von Sonderzulagen an Schwer- und Schwerstarbeiter (Bl. 80), am 20.9.1939 zur Durchführung des Kartensystems (Bl. 83-88), am 21.9.1939 über Selbstversorger (Bl. 89), am 25.9.1939 zur Krankenversorgung (Bl. 114), am 27.9.1939 zur Eierverteilung (Bl. 125), am 19.10.1939 zur Verpflegung in Gaststätten und Werkküchen (Bl. 110) und am 20.10.1939 zu Reise- und Gaststättenkarten. (Bl. 110) Vgl. RGBl I, 1939, S. 1498f.; RGBl I, 1939, S. 1872; RGBl I, 1939, S. 2195-2222; v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 20-23 Vgl. ergänzend die Anweisung Goebbels´ an die Obersten Reichsbehörden, in: ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 242; zur Kriegsernährungswirtschaft auch BArch R43II/613; BA-MA RW 20-9/1, Bl. 13 Vgl. die „Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung“, in: RGBl I, 1939, S. 14951498 sowie die vier Durchführungsverordnungen zur „Verordnung zur vorläufigen Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs des deutschen Volkes“, in: RGBl I, 1939, S. 1502-1517; die „Verordnung über die öffentliche Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 27.8.1939“, in: RGBl I, 1939, S. 1521-1526; zur Behördenüberlieferung der LEÄ Inventar archivarischer Quellen des NS-Staates. Die Überlieferung von Behörden und Einrichtungen des Reichs, der Länder und der NSDAP, Teil 2: Regionale Behörden und wissenschaftliche Hochschulen für die fünf ostdeutschen Länder, die ehemaligen preußischen Ostprovinzen und die eingeglieder-
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die obersten Landesbehörden und Oberpräsidenten die Leiter der LEÄ/PEÄ. Der Reichsnährstand149 wurde in seiner Gesamtheit dem RMEL unterstellt. Über seine Gliederungen wurde der Führererlass über die Verwaltungsvereinfachung vom 28.8.1939 geleitet, der den RMEL ermächtigte, die zur Sicherstellung der Wirtschaftsführung in den Erzeugerbetrieben und zur Regulierung der Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu treffenden, einheitlich ausgerichteten Maßnahmen in die Wege zu leiten.150 Den LEÄ/PEÄ oblag der sehr allgemein formulierte und weit gespannte Auftrag, die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten und dabei die Ernährungsämter zu überwachen.151 Die sachlichen Weisungen erfolgten von den Abteilungen der LEÄ an die Ernährungsämter, über regelmäßige Tagungen der Kreisbauernführer152, Ernährungsämter153 und die Teilnahme an den Landräte-Konferenzen.154 Im Gau Thüringen wurde nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, ein Gauernährungsamt geschaffen. Es entstand ein der Reichsstatthalterei angegliedertes und von LBF Rudi Peuckert155 geleitetes LEA Thüringen mit zwei in engem Kontakt stehenden Abteilungen156 A (zuständig für Bedarfsdeckung) und B (zuständig für Verbrauchsregelung). De facto bedeutete diese Konstruktion dasselbe wie das geplante Gauernährungsamt.157 Zum Stellvertreter Peuckerts als Leiter des LEA Thüringen avancierte der Hauptstabsleiter, Ober-
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150 151 152 153 154 155 156 157
ten Gebiete in Polen, Österreich und der Tschechischen Republik, mit Nachträgen zu Teil 1, hg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte, bearb. von Heinz Boberach u.a., München u.a. 1995, S. 254, wonach das LEA Thüringen die einzig nachweisbare Überlieferung von LEÄ in Mittel- und Ostdeutschland und den eingegliederten Gebieten darstellt. Vgl. Broszat: Staat, S. 230-243; Horst Gies: Der Reichsnährstand – Organ berufsständischer Selbstverwaltung oder Instrument staatlicher Wirtschaftslenkung?, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 21(1973), S. 216-233; ders.: Die Rolle des Reichsnährstandes im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Hirschfeld/Kettenacker (Hg.): Führerstaat, S. 270-304; Gustavo Corni/Horst Gies: „Blut und Boden.“ Rassenideologie und Agrarpolitik im Staat Hitlers (=Historisches Seminar, Neue Folge, Bd. 5), Idstein 1994; dies.: Brot – Butter – Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers, Berlin 1997. Vgl. RGBl I, 1939, S. 1535-1537; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 84, Bl. 14 Vgl. „Verordnung über die öffentliche Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen“ vom 27.8.1939, in: RGBl I, 1939, S. 1521-1526, hier S. 1521 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 14 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 15-20 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, 14, 19 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 195 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 6 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 17
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landwirtschaftsrat Wetzel, von der Landesbauernschaft Thüringen, der auch der Allgemeinen Verwaltungsabteilung des LEA Thüringen vorstand. Die geschäftlichen Beziehungen zwischen diesen Abteilungen wurden rasch einvernehmlich geregelt. Die allgemeinen Anordnungen der Abteilung B (Verbrauchsregelung) Weimar galten auch für den gesamten Regierungsbezirk Erfurt, für den die Durchführung bei der Abteilung B Erfurt lag.158 Die Weimarer Abteilung dominierte und sandte die Anordnungen unmittelbar auch an die Landräte und Oberbürgermeister des Erfurter Regierungsbezirks und fungierte als Ansprechpartner des RMEL. Problematischer gestaltete sich das Verhältnis zwischen den Abteilungen A und B, da bereits im Dezember 1939 umfangreiche Aufgabengebiete auf die Abteilung B verlagert worden waren. Aufschlussreich für die Positionierung der LEÄ im Herrschaftsgefüge und ihre kriegs- und friedenswirtschaftlichen Perspektiven und Zielsetzungen sind die einleitenden Worte eines Berichtes des Ernährungsamts Altenburg an das LEA Thüringen vom 12.8.1940: „Die Ernährungsämter sind für eine begrenzte Zeit gedacht; bei ihrer Errichtung sind die Erfahrungen des Weltkrieges berücksichtigt worden. Damals wurden die Ernährungsämter erst geschaffen, nachdem die reichen Vorräte des Volkes infolge Uneinsichtigkeit, falscher Einstellung gegenüber dem Vernichtungswillen der Feinde und mangelnder Organisation vertan waren. Ihrer Tätigkeit mußte der durchschlagende Erfolg versagt bleiben und zwar besonders deshalb, weil durch sie die Verteilung, nicht aber die Erzeugung organisiert wurde.“159 Aus den Erfahrungen der Ernährungsämter im Ersten Weltkrieg hatte die NS-Führung gelernt, wie sich an der Errichtung von zwei Abteilungen, die sich – verallgemeinernd formuliert – auf „Bedarfsdeckung“ und „Verbrauchsregelung“ konzentrierten, ablesen lässt. Aber noch ein weiterer Aspekt ist von Interesse. Die Errichtung der LEÄ/PEÄ lässt sich in detaillierte Planungen im RMEL einordnen, die sich bereits im Februar 1939 mit Fragen der Kriegsernährungswirtschaft beschäftigten.160 Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass die Errichtung der LEÄ/PEÄ eine temporär begrenzte Maßnahme des Regimes zur Kontrolle der landwirtschaftlichen Erzeugung und Verteilung sein sollte, die sich lediglich auf die Kriegszeit beschränken würde. Konform damit geht auch die Stellung des Nährstandes, dessen Strukturen bei der Eingliederung in die staatliche Verwaltung erhalten blieben und damit zur Ausbildung neuer „quasistaatlicher“ Herrschaftsmechanismen beitrugen.
158 159 160
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 4, Bl. 1 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 23, Bl. 30 Vgl. dazu die Erlasse des RMEL vom 8.2. und 1.12.1939, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 84, n. pag.
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Die Abteilung A
Die Abteilung A der LEÄ setzte sich personell aus den Beamten des Nährstandes, hier also den Landesbauernschaften, zusammen.161 Am 1.12.1939 erließ Darré im Einvernehmen mit dem RMI in Erlassform eine für die LEÄ/PEÄ verbindliche Geschäftsordnung, die neben den Aufgaben auch das Verhältnis der beiden Abteilungen zueinander regelte. Demzufolge sollten die Strukturen des Reichsnährstandes bei der Einbindung in die staatlichen Verwaltungsaufgaben erhalten bleiben und der Geschäftsverteilungsplan des Reichsnährstandes auf die Abteilung A der LEÄ/PEÄ maßgebend werden, womit auch der vorübergehende Charakter der LEÄ/PEÄ unterstrichen wurde. In Thüringen übernahm LBF Rudi Peuckert die Leitung der Abteilung A und zusätzlich zu seinen übrigen Funktionen damit eine Schlüsselfunktion in der regionalen Kriegsernährungswirtschaft. Diese Position behielt er bis zur Ernennung Sauckels zum GBA inne und ließ kaum Bemühungen aus, seine Kompetenzen aufrechtzuerhalten und gegenüber der Abteilung B herauszustellen. Diese Positionierung setzte sich in den Ernährungsämtern scheinbar nicht fort, denn der Verwaltungsbericht des Ernährungsamt Altenburg vom 12.8.1940 diagnostizierte: „Tatsächlich ist der Einfluß, den der Amtsleiter, also der Leiter der Abteilung A auf die Abteilung B hat, nicht spürbar.“162 Mit dem Aufstieg zum „Beauftragten für die Landwirtschaft und die Kriegsernährungswirtschaft“ im Fachlichen Stab des GBA verlagerten sich die Aufgaben des 1941 zum Reichshauptamtsleiter der NSDAP avancierten Peuckert auf großräumige Territorien. Im Oktober 1942 teilte Peuckert mit, dass er im Auftrag des GBA in die Ukraine abreisen werde, um dort als Sonderbeauftragter tätig zu sein.163 Zum Vertreter als LBF wurde Landesobmann Dr. Sidow ernannt.164 In einem Schreiben an den Leiter der Abteilung B, Oberregierungsrat Dr. Thein, stellte Peuckert noch vor Erlass der allgemeinen Geschäftsordnung seinen Führungsanspruch heraus. Die Verhandlungsführung bei Besprechungen mit den Spitzengremien aus Staat und Partei behielt er sich persönlich vor; die Herausgabe grundsätzlicher Weisungen an die unteren Dienststellen musste vorher mit ihm besprochen werden; die Endzeichnung von Schreiben an den Gauleiter und Reichsstatthalter, den stellvertretenden Gauleiter, andere LEÄ, Wehrkreise und sonstige Oberste Reichs- und Landesbehörden lag bei ihm; die Herausgabe von Pres-
161 162 163 164
Die folgenden Ausführungen orientieren sich inhaltlich an der vorbildlichen Arbeit von Hemmerling: Landesernährungsamt, S. 41-46 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 23, Bl. 30 Vgl. Post/Wahl (Hg.): Thüringen-Handbuch, S. 617 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, n. pag. (Aktennotiz Theins vom 27.10.1942)
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severöffentlichungen konnte nur mit der Zustimmung des Leiters des LEA Thüringens erfolgen. Die Oberaufsicht über die LEÄ lag zentral beim RMEL. Die Amtsleiter der einzelnen Ernährungsämter waren dagegen dem Leiter der Verwaltungsbehörde, bei der sie errichtet waren, also den Oberbürgermeistern und Landräten, unterstellt, wodurch die Organe des Nährstandes auf Kreisebene enger an die staatliche Verwaltung geknüpft wurden. Trotz dieser Unterstellungsverhältnisse verfügten die Kreisbauernführer als Leiter der Ernährungsämter über einige Freiheiten, die sie ausdrücklich auch auf die Abteilung B ihrer Ernährungsämter ausdehnen konnten. Parallel zur Struktur des Reichsnährstandes gliederte sich die Abteilung A des LEA Thüringen in drei Abteilungen: Hauptabteilung I („Mensch“) unter Hauptstabsleiter Oberlandwirtschaftsrat Hans Wetzel, Hauptabteilung II („Hof“) unter Landeshauptabteilungsleiter Bauer Gerhard Fiedler und Hauptabteilung III („Markt“) unter Landeshauptabteilungsleiter Bauer Alfred Heuschkel.165 Die Aufgaben der Abteilung A erstreckten sich über die Überwachung der landwirtschaftlichen Betriebe, die Erzeugungslenkung, das Führen der „Hofkarten“ und die Überwachung der Ablieferungskontingente. Damit trug sie die Verantwortung über die Aufrechterhaltung der Erzeugungsseite der landwirtschaftlichen Güter. Zur Bereitstellung landwirtschaftlicher Erzeugnisse bediente sie sich der Landesbauernschaft bzw. der Kreisbauernschaften und der Wirtschaftsverbände (Getreide-, Vieh-, Milch- und Fett-, Kartoffel-, Garten-, Eier-, Brauwirtschaft).166 Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich lag in der Marktüberwachung, die sich auf die Kontrolle der Be- und Verarbeiterbetriebe, die Regulierung der Lieferbeziehungen sowie die Bäcker- und Schlachterplanungen erstreckte. Letztlich war die Abteilung A auch für den Arbeitseinsatz in den landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben zuständig und damit reichten ihre Aufgabenbefugnisse bis hin zur Beschaffung von Arbeitskräften in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern und den Wehrmeldeämtern. In der Folge übernahm sie auch Kompetenzen bei der Ausstellung von Bezugsscheinen für Großverbraucher. Die Zuständigkeit für die Kriegsgefangenenlager und das KL Buchenwald ging im Zuge der Verwaltungsvereinfachung teilweise auf die Abteilung B über.167 Zusammenfas165
166
167
Vgl. Geschäftsverteilungsplan des LEA (Stand: 1.5.1943), in: ThHStAW, Landesbauernschaft Nr. 43, n. pag.; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 195 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 9, n. pag; allgemein zu Landwirtschaft und nationalsozialistischer Agrarpolitik in Thüringen Andreas Dornheim: Landwirtschaft und nationalsozialistische Agrarpolitik in Thüringen, in: ders./Bernhard Post/Burkhard Stenzel: Thüringen 1933-1945. Aspekte nationalsozialistischer Herrschaft, Erfurt 1997, S. 113-149 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 15, n. pag.
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send lässt sich das Aufgabenfeld der Abteilung A wie folgt umreißen: Feldbestellung, Einbringung der Ernten, Regelung des Arbeitseinsatzes, Ablieferung und Weiterverteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bis zum Kleinverteiler. Zur Ausübung der ihr obliegenden Kontrollfunktionen verfügte die Abteilung A über ein Referat „Landesprüfung“, das sowohl die Stellen des LEA Thüringen als auch die Ämter der Kreisebene überprüfen konnte. Die „Landesprüfer“ hatten die Aufgabe, die korrekte Durchführung der ernährungswirtschaftlichen Aufgaben zu überwachen, Protokolle bei den Stichproben anzufertigen, Verbesserungsvorschläge zu machen, die Qualität der Waren und die sachgemäße Verwaltung der Lebensmittel zu prüfen. Zur Maßregelung konnten sie Ordnungsstrafen verhängen sowie beim LEA Thüringen die Einschaltung der Staatsanwaltschaft beantragen. In der unteren Verwaltungsebene beklagten die Kreisernährungsämter die mangelnden Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen den Abteilungen und drängten auf klare Regelungen – eine Frage, die im RMEL während einer Arbeitstagung am 12./13.12.1939 zur Sprache kam. Die daraufhin erlassene unbestimmte Festlegung schuf allerdings kaum mehr Klarheit: Die Abteilung A habe „die hohe Aufgabe“, für die gesicherte Erzeugung, die reibungslose Erfassung und Verteilung zu sorgen; die Abteilung B koordinierte „grundsätzlich alle Verwaltungsaufgaben“ sowie die Ausstellung der Bezugsscheine.168
c.
Die Abteilung B
Formal war das LEA Abteilung B, eine rein staatliche Behörde, in zwei Referaten organisiert. Die Sachgebiete I-III gehörten zur Abteilung A, die Sachgebiete IV (Thein, Leiter des LEA Thüringen Abteilung B) und V (Dr. Görner, stellvertretender Leiter) umfassten je 15 Einzelgebiete.169 In der unteren Verwaltungsebene wurden bei den Landräten und Oberbürgermeistern 37 Ernährungsämter170 errichtet, die wiederum in elf Fällen über – sehr kostenintensive – Bezirksstellen (Außenstellen) als Bestandteile der Ernährungsämter bei den Bürgermeistern verfügten. Die Aufgaben der Ernährungsämter Abteilung B, deren Leiter, da sie Teil der staatlichen Verwaltung waren, von den Landräten und Oberbürgermeistern berufen wurden, lagen im Bezugscheinkartenwesen, in der Lebensmittelbewirtschaftung und Kartengestaltung, der Erfassung und Betreuung der Selbstversorger, der besonderen Versorgung der Kranken, Mütter und Kinder, Anstalten und Heime, der Werksküchen und anderen Fürsorgeeinrichtungen der Rüstungsindustrie, der Betreuung der Urlaubsheime und Gaststätten und der Organisation der Fut-
168 169 170
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 9, Bl. 8 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 22, Bl. 20f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 18
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termittelwirtschaft.171 Die Aufgaben der Abteilung B lassen sich unter dem Begriff „Verbrauchsregelung“ – in Ergänzung zur „Bedarfsdeckung“ der Abteilung A – subsumieren. Damit verbunden war die Verbrauchsregelung von Lebens- und Futtermitteln für die „versorgungsberechtigte“ Bevölkerung, die vor allem durch die Aufstellung von Haushaltslisten und die Ausgabe von Bezugskarten reguliert wurde. Daneben organisierte die Abteilung B die Einführung von Kundenlisten, die Einteilung von Bezugsberechtigten in bestimmte Gruppen, die Festsetzung von Abgabezeiten für diese Gruppen und die Verbrauchsregelung für den Einzelnen nach den Vorschriften des RMEL für die rechtzeitige und ordnungsgemäße Verteilung der Lebens- und Futtermittel durch die Verteilungsstellen. Die Ernährungsämter waren einheitlich strukturiert in Haupt-, Kartenausgabe-, Schwerarbeiter-, Abrechnungs-, Selbstversorger- und Krankenstelle172, stellten dafür die Bedarfsmeldungen der Verteilerstellen zusammen und ermittelten deren Gesamtbedarf. Bereits am 8.9.1939 fand in Weimar in Anwesenheit des Staatssekretärs Ortlepp eine Arbeitstagung der Leiter der Ernährungsämter Abteilung A und B statt, um sie durch Peuckert in die neuen Funktionsmechanismen einzuweisen und die Arbeit mit den Wirtschaftsverbänden zu organisieren. Die Besprechung. Theins mit den Leitern der Ernährungsämter verdient besondere Beachtung, da sie die grundsätzlichen Verwaltungsaufgaben organisatorisch zusammenfasste. Die Leitung aller ernährungswirtschaftlichen Fragen erfolgte über das LEA. Die Verteilung der Lebensmittelkarten im Land Thüringen übernahm die NSV, im Regierungsbezirk Erfurt die staatlichen Verwaltungsstellen. Die Leiter der Ernährungsämter übertrugen ihre Aufgabenbereiche dezentral an die Bürgermeister. Den Abteilungen B der Ernährungsämter 173 wurde ausdrücklich untersagt, sich mit Anfragen oder Anträgen an andere Dienststellen als das LEA Abteilung B (Weimar, Erfurt) zu wenden und redaktionelle Presseveröffentlichungen behielt sich das LEA vor.174 Ihre Fortsetzung fand diese erste Einweisung durch eine weitere Arbeitstagung der Kreisbauernführer am 27.10.1939 und ein Treffen im RMEL am 171
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174
Vgl. dazu die aufschlussreichen Verwaltungsberichte des Ernährungsamtes der Stadt Altenburg für 1939/40, 1940/41, 1941/42 und 1942/43, die anschaulich den sich ausweitenden Aufgabenbereich sowie die inneren (personellen und funktionellen) Probleme der Ernährungsämter veranschaulichen, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 23, Bl. 30-94 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 23, Bl. 59; für die praktische Arbeit des LEA Thüringen und der Ernährungsämter ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 29 Vgl. zu den Leitern der Ernährungsämter Abteilungen B ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 79, Bl. 3-63; zur Organisation der Ernährungsämter Abteilung B ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 82 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 22-26
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12./13.12.1939 unter der Leitung von Staatssekretär Backe und in Anwesenheit Darrés, an der von Thüringer Seite Peuckert und Wetzel sowie für die Abteilung B Thein (Weimar) und Regierungsdirektor Krebs (Erfurt) teilnahmen.175 Nach einleitenden Worten Darrés zur Kriegsernährungswirtschaft standen vor allem regionale Fragen im Mittelpunkt. Die LEÄ und Ernährungsämter wurden zur engen Zusammenarbeit sowie zur Einhaltung der Vorschriften des RMEL verpflichtet, die Abgrenzung der Abteilungen A und B thematisiert, die Warenbewirtschaftung besprochen, die LEÄ zur Verwaltungskontrolle der Ernährungsämter angemahnt und die Ernährungsämter sollten ein Ordnungsstrafrecht erhalten. Besonders häufig zur Sprache kam der sparsame Umgang der LEÄ mit Lebensmitteln. Offenbar war dies ein dringendes Bedürfnis des RMEL, da die LEÄ Sonderregelungen in ihren Bezirken erließen und Lebensmittel aufgrund „repräsentativer Zwecke“ verteilten. An diese Besprechung inhaltlich anknüpfend, fand am 9.1.1940 eine Tagung der Ernährungsämter Abteilung B statt, zu der Ortlepp die Landräte und Oberbürgermeister nach Weimar einlud. Im Vorfeld hatte das LEA Abteilung B (Weimar) in Lageberichten der Ernährungsämter Anregungen und Problemfelder erfasst, die sich vorwiegend mit organisatorischen Schwierigkeiten und der allgemeinen Versorgungssituation befassten.176 Peuckert zeichnete einleitend ein ambivalentes, ja geradezu realistisches Bild der Ernährungswirtschaft:177 Zwar gebe es keine grundsätzlichen Probleme, aber trotz des guten Starts sehe sich die Landwirtschaft unter Kriegsbedingungen bei auftretenden Schwierigkeiten (schlechte Ernten, Arbeitskräfte- und Maschinenmangel) vor „schweren Aufgaben“. In organisatorischer Hinsicht erwog das LEA, die Landräte und Bürgermeister als ausführende Organe der Ernährungsämter durch die Hinzuziehung ehrenamtlicher oder dienstverpflichteter Kräfte zu entlasten und die Aufwandsentschädigung anzuheben. Die regelmäßig durchgeführten Tagungen verfolgten eine doppelte Zielsetzung. Die Erlasse des RMEL wurden auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft und dadurch einheitliche Richtlinien für das LEA Thüringen entworfen. Die Gauführung erhielt die Möglichkeit, gauinterne Problemfelder der Kriegsernährungswirtschaft zu reflektieren und gleichzeitig die Kreisbauernführer, Dienststellen- und Abteilungsleiter der Ernährungsämter, Landräte und Oberbürgermeister immer wieder in die sich wandelnden Rahmenbedingun175 176
177
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, bl. 32-48 Vgl. dazu den aufschlussreichen und anschaulichen, immerhin 90 „aufgeworfene Fragen und Anregungen, die bis jetzt nicht durch Erlaß oder Rundverfügung geklärt worden sind“, enthaltenden Katalog, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 62-69 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 74-77, 100, 185, 119, 127
176
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gen einzuweisen und politische, sachliche und personelle Kontrolle auszuüben.178 Um die Effizienz der Tagungen zu steigern, ließ Thein die Sitzungen bezirksweise durchführen und involvierte neben den Dienststellenleitern der Ernährungsämter Abteilung B in Teilen auch deren Sachbearbeiter und Bürgermeister von Landgemeinden, was zu einer erheblichen Verbreiterung der Kommunikations-, Informations- und Verantwortungsbasis im Bereich des LEA Thüringen, das er in drei Großbezirke teilte, führte. Die erste (südwest-thüringische) Gruppe bestand aus den Ernährungsämtern der Stadtkreise Eisenach, Gotha, Mühlhausen und der Landkreise Eisenach, Gotha, Hildburghausen, Langensalza, Meiningen, Mühlhausen, Schmalkalden und Sonneberg. Die zweite (mittel-nord-thüringische) Gruppe bildeten die Ernährungsämter der Stadtkreise Apolda, Arnstadt, Erfurt, Jena, Nordhausen, Weimar, Zella-Mehlis und der Landkreise Arnstadt, Heiligenstadt, Nordhausen, Sondershausen, Stadtroda, Schleusingen, Weimar, Weißensee und Worbis. Die dritte (mittel-ost-thüringische) Gruppe umfasste die Ernährungsämter der Stadtkreise Altenburg, Gera und Greiz und der Landkreise Altenburg, Gera, Greiz, Ziegenrück, Rudolstadt, Saalfeld und Schleiz. Neben einer intensiveren Plattform für Besprechungen wurde den Ernährungsämtern die Möglichkeit einer einheitlichen Politik gegen das LEA genommen, da die Tagungen getrennt voneinander stattfanden.179 Perspektivisch interessant sind die Ausführungen der Agrarpolitiker um den LBF und seine Organisatoren im LEA Thüringen, die parallel zur BWABürokratie und vor allem zur politischen Spitze des Gaues Konzepte für die Zeit nach dem Krieg entwarfen. Die Rückkehr zu einer friedensmäßigen Ernährungswirtschaft wurde auch für einen baldigen Waffenstillstand ausgeschlossen. 1941 erhielt das LEA vom Thüringischen Wirtschaftsministerium (Führungsstab Wirtschaft) die Inanspruchnahme von Leistungen aufgrund des Reichsleistungsgesetzes übertragen und wurde dadurch ermächtigt, im Einzelfalle Leistungen nach §§ 3 b und 15 Abs. 1 Nr. 5 in Anspruch zu nehmen.180 1943 erneuerte der Führungsstab für die Wirtschafts- und Ernährungsämter die Möglichkeit, das Reichsleistungsgesetz anwenden zu dürfen. Die Übertragung dieser Befugnisse auf die nachgeordneten Ernährungsämter war nicht gestattet; die Anwendung lag beim Behördenleiter (Landrat, Oberbürgermeister).
178 179
180
Vgl. zu den Tagungen der Ernährungsämter Abteilung B unter Leitung des LEA Thüringen ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 16, 18, 19, 20 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 18, Bl. 27, 37f.; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 19, Bl. 1; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 20, Bl. 3-29 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 23, Bl. 25; zum Reichsleistungsgesetz RGBl I, 1939, S. 1645-1654
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Während seiner Rede auf der Schulungstagung der Thüringer Bauernführer am 5.3.1942 konnte Sauckel zufrieden feststellen, dass der kriegswirtschaftliche Einbau des Reichsnährstandes in die innere Verwaltung reibungslos erfolgt sei, und auf die „ausgezeichnete Zusammenarbeit“181 von Peuckert und Thein verweisen.
d.
Herrschaft und Kontrolle
Das LEA Abteilung B Weimar182, das nicht direkt, sondern über die Abteilung A mit den Wirtschaftverbänden verhandelte und aus sieben Hauptgruppen bestand, leitete Thein.183 Rundverfügungen des LEA Abteilung B Weimar erhielten regelmäßig das LEA Abteilung A, das LEA Abteilung B Erfurt, die SD-Stelle Weimar, das LEA Abteilung B Danzig und das Kriegsarchiv der Universitätsbibliothek Jena. Das LEA Abteilung B war straff organisiert, da die von den Ernährungsämtern durchzuführenden Aufgaben weitgehend vom LEA aus bestimmt und erläutert wurden, die Leiter der Ernährungsämter zu regelmäßigen Besprechungen mit dem LEA zusammentrafen und Thein monatliche Lageberichte der Ernährungsämter einforderte. Aufbau und Einrichtung der Ernährungsämter wurden von Thein, einem engagierten, fähigen und energischen Organisator, der in seiner Funktion immer wieder den Kontakt mit den Berliner Behörden des RMEL suchte, „bis ins Kleinste geregelt“.184 Damit schuf sich das LEA Thüringen Abteilung B einen klar aufgebauten und effektiv arbeitenden, vom LEA laufend kontrollierten Behördenapparat mit einheitlicher Ausrichtung der Ernährungsämter, die durch eine „ordnungsmäßige Planwirtschaft“185 mit einer begrenzten Dezentralisierung ihrer Aufgaben auf die Bürgermeister bürokratisch entlastet wurden und durchaus als moderne bürokratische Einheiten gelten können.186
181
182 183 184 185
186
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 9, Bl. 29; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 193; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 195 Vgl. grundlegend die „Anweisung für den Dienstverkehr des LEA Abteilung B, Weimar“, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 1-8 Vgl. Geschäftsverteilungsplan und Hauptgruppen des LEA Abteilung B Weimar, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 2, Bl. 4-16 Thein gegenüber dem LEA Abteilung B des Landes Sachsen Anfang 1940, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 10, Bl. 2 Thein in einem Schreiben an die Ernährungsämter Abteilung B im Bereich des LEA Thüringen, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 84, Bl. 41 Vgl. zur Prüfung der Ernährungsämter durch das LEA Thüringen ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 78, Bl. 1-18; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21
178
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Als Folge der 1943 vom Reichsnährstand eingeführten Kontrollverfahren187, von denen vor allem ernährungswirtschaftliche Betriebe betroffen waren, übte das LEA Thüringen eine nicht zu unterschätzende Kontrolle und Einschüchterung aus und besetzte damit Herrschaft stabilisierende Funktionen.188 Die Prüfung der Ernährungsämter und Ernährungsbetriebe wurde vor allem mit fortschreitender Kriegsdauer ein Instrument der Festigung im Innern, als sich parallel zu den militärischen Einbrüchen die Versorgungslage deutlich anspannte.189 Anfang 1944 begann das LEA Thüringen mit einer Ausweitung der Schulungen der Prüfer und parallel dazu stieg die Zahl der kontrollierten Kartenstellen und Betriebe (von November 1943 zum Januar 1944 von 203 auf immerhin 271, ein Anstieg um 63%). Die ausgesprochenen Strafen erhöhten sich auf über 12.000 RM bei 18 Verwarnungen und 33 Ordnungsstrafen. Besonders deutlich aber wird die neue Qualität der nun auf den totalen Kriegseinsatz ausgerichteten LEÄ an den Verfahren vor Sondergerichten wegen illegalen Kaufens und Schlachtens: Sieben Personen erhielten mehrjährige Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen, dreien wurden für mehrere Jahre die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.190 Das Bezugsscheinwesen regelte das LEA Abteilung B abweichend von den Anordnungen der Hauptvereinigungen unter Wahrung des Grundsatzes einfachster Erledigung der Verwaltungsarbeit. Als Resultat dieser Organisation konnte Thein, der eigentliche Organisator der Kriegsernährungswirtschaft in Thüringen, 1940 festhalten: „Die Ernährungswirtschaft ist gut angelaufen und hat sich vorzüglich eingespielt. Das ist auch von allen maßgebenden Stellen bestätigt worden. Besonders befriedigt mich aber, daß das Reichsministerium Ernährung und Landwirtschaft in mehrfachen Besprechungen die von mir getroffenen organisatorischen Maßnahmen voll gebilligt hat und schon jetzt die Früchte dieser Arbeit erkennbar sind.“191 Der Ruf Theins und der von ihm organisierten Abteilung B des LEA sprach sich rasch herum, so dass seine Überlegungen und Maßnahmen auf andere LEÄ im Reich aus187
188
189 190
191
Vgl. die Richtlinien zur Überprüfung der Ernährungsämter Abteilung B und Kartenausgabestellen, hg. von der Reichsprüfung, mit Stand vom 1.6.1943, o. O., O. J., in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 78, Bl. 43-106 Vgl. den aufschlussreichen Bericht des LEA Thüringen an den Reichsbauernführer über die Prüfung von 203 Kartenstellen und Ernährungsbetrieben, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 78, Bl. 21f. Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 24 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 78, Bl. 28f. sowie ergänzend den tendenziell in dieselbe Richtung weisenden Bericht für den Februar 1944, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 78, Bl. 30f.; zur Problematik der Veruntreuung und weiteren strafbaren Handlungen des Personals auch ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 81 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 10, Bl. 4
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179
strahlten, sich daraus eine enge Zusammenarbeit ergab und das RMEL seine als Auszeichnung verstandene Prüfung der LEÄ bei der Abteilung B (Weimar) des LEA Thüringen begann. Der Wandel des Gefährdungsgrades des Gaues spielte für die Funktion des LEA Thüringen eine erhebliche Rolle, denn mit der Luftschutzbedrohung und der Bildung des Gaueinsatzstabes unter Ortlepp erwuchsen neue Tätigkeitsfelder bei der Erfassung und Koordination der Ernährungssituation. Um sich relativ schnell den sich wandelnden Rahmenbedingungen anzupassen und Flexibilität auch im Vergleich mit anderen Behörden zu beweisen, wirkten die Funktionäre des LEA Thüringen aktiv bei der Besetzung der Gaubefehlsstelle des Gaueinsatzstabes mit und übernahmen damit wichtige Funktionen bei der Beseitigung von Fliegerschäden.192 Dem LEA oblag die Sicherstellung der Versorgung nach Luftangriffen in Zusammenarbeit mit der NSV, die bis zu 48 Stunden Lebensmittel bereitstellte und danach die Aufgaben an das LEA übergab, das die weitere Versorgung mit Lebensmittelkarten übernahm.193 Dafür aktualisierte das LEA die Erfassung der im Nahrungsmittelgewerbe tätigen Firmen (z.B. Bäckereien, Fleischereien, Brotfabriken, Lebensmittelgroßhandel) und erarbeitete ein System der gegenseitigen Unterstützung auf Ebene der Land- und Stadtkreise.
e.
Das Problem unklarer Zuständigkeiten
Die komplizierten territorialen und organisatorischen Unterstellungsverhältnisse und Beziehungsgeflechte bildeten auch ein Kennzeichen des LEA Thüringen. So gehörten zur Erfurter Abteilung B weder die Kreise Schleusingen und Ziegenrück noch die Exklaven Wandersleben mit Mühlberg und Röhrensee, die der Weimarer Abteilung unterstanden und nur von dort ihre Weisungen erhielten. Die Erfurter Abteilung errichtete Ernährungsämter bei den Landräten in Weißensee, Heiligenstadt und Worbis sowie bei den Oberbürgermeistern in Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen. Anfang 1940 übertrug die Erfurter Abteilung den Druck der Lebensmittelkarten nach Weimar, im Erfurter Bereich wurden lediglich zwei Druckbezirke als Exekutivorgane eingerichtet.194 Unklarheit bestand auch hinsichtlich der preußischen Enklaven Gefell, Blintendorf, Spernberg und Blankenburg des Landkreises Ziegenrück, die der Landkreis Schleiz einschloss. Da sie nach der Gebietseinteilung des Nährstandes zum Gebiet der Kreisbauernschaft Schleiz gehörten, unterstanden sie auch dem dortigen Ernährungsamt Abteilung A, während sie organisatorisch die Abteilung B des Ernährungsamtes Ziegenrück betreu192 193 194
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 89-91, 107-148 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 29 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 4, Bl. 19
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te.195 Das führte in der unteren Verwaltungsebene zu einigen Missstimmungen, die der vorbereitende Organisationserlass der Reichsstatthalterei vom 14.3.1939, der im Vorfeld der bis Ende 1939 dauernden Auseinandersetzungen entstanden war, aufhob und die preußischen Exklaven dem Ernährungsamt Schleiz zuordnete. Dieselbe Problematik der geteilten Zuständigkeiten zweier unterschiedlicher unterer Verwaltungsbehörden bestand im Landkreis Gotha, aus dem nach fast eineinhalb Jahren Verhandlungsdauer die Gemeinden Wandersleben, Mühlberg und Röhrensee in den Landkreis Weißensee umgegliedert wurden. Besonders augenfällig ist der Fall der Exklave Allstedt. Die Versorgung durch den Nährstand erfolgte zum Teil durch die die Exklave umschließende Kreisbauernschaft Sangershausen, zum Teil durch die verwaltungsmäßig zuständige Kreisbauernschaft Weimar. Die Lage war so komplex, dass die Erledigung der Arbeiten der Abteilungen I und II von der Kreisbauernschaft Weimar, der Abteilung III von beiden Kreisbauernschaften erfolgte, während die Abteilungen A und B in Sangershausen die Kriegsernährungswirtschaft organisierten. Gegen eine Überstellung Allstedts nach Sangershausen wandten sich allerdings Ortlepp und LBF Peuckert. Die komplexen territorialen Beziehungs-, Verantwortungs- und Herrschaftsgeflechte führten bereits am 4.9.1939 zu erheblichen Einwänden der Ernährungsämter hinsichtlich der „Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs“ vor allem in den thüringischen und preußischen Grenzkreisen des Gaues: Eisenach, Meinigen, Hildburghausen, Sonneberg, Saalfeld, Schleiz, Greiz, Altenburg, Gera, Stadtroda, Weimar und Sondershausen sowie in Nordhausen, Worbis, Heiligenstadt, Mühlhausen, Erfurt-Weissensee. Da die ausgestellten Bezugscheine für Lebensmittel nur in den Gebieten der unteren Verwaltungsbehörden galten, konnte die Grenzbevölkerung nicht mehr in den bisherigen Bezugsorten einkaufen, sondern musste in zum Teil bis zu 30 km entfernte Ortschaften fahren. Da die Problematik auch auf Ebene der LEÄ akut wurde, schalteten Thein und Görner das RMEL ein, um Störungen in der Lebensmittelversorgung zu vermeiden. Sie erhielten aus Berlin grünes Licht und daraufhin unternahm das LEA Thüringen Abteilung B erhebliche Anstrengungen, sich mit den benachbarten LEÄ/PEÄ in Dresden (Sachsen), München (Bayern), Hannover, Magdeburg (beides preußische Provinzen) und Kassel (Hessen-Nassau) zu arrangieren, um einen von den Ernährungsämtern organisierten, „grenzübergreifenden“ Einkauf zu ermöglichen und den Geltungsbereich des Kartensystems deutlich über die Grenzen des LEA Thüringen auszudehnen.196 Diese Bemühungen stießen rasch an Grenzen, da die LEÄ sich nicht ohne weiteres einem Einkaufsstrom aus Thüringen aus195 196
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 3, Bl. 1-10 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 5, Bl. 1-60
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setzen wollten und die eigenen, regional definierten Interessen gegenüber den durchaus praktischen Erwägungen voranstellten. Einer von Thüringen geplanten generellen Ausdehnung des Gültigkeitsbereiches der vom LEA Thüringen ausgestellten Scheine stellten die angrenzenden LEÄ eine auf Ebene der einzelnen Ernährungsämter mittels Absprachen getroffener Regelung gegenüber. In Teilen bereinigt wurden die komplizierten Unterstellungsverhältnisse durch die Verordnung über die RVK und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung vom 16.11.1942197, die die Kriegswirtschaftsaufgaben für die Exklaven den diese umgebenden Stadt- und Landkreisen zuwies. Die Umgliederungen einzelner Gemeinden im Gau Thüringen, die letztlich Folgeerscheinungen der Verordnung vom 16.11.1942 darstellten, zogen sich trotzdem noch bis 1944 hin.198 Im Januar 1944 richtete der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau ein ernstes Schreiben an das Thüringische Innenministerium, in dem er unter Bezug auf eine Korrespondenz zu Jahresbeginn den Fall des Gebietsauschlusses Barchfeld im Landkreis Herrschaft Schmalkalden und schwerwiegende Bedenken gegen eine Umgliederung der Gemeinde Barchfeld aus dem Landratsamt Schmalkalden (Ernährungs- und Wirtschaftsamt) zum Landratsamt Meiningen anführte. Einige der Gründe, die gegen eine Umgliederung der 3.500 Einwohner zählenden Gemeinde Barchfeld in das Landratsamt Meiningen sprachen, sind durchaus nachvollziehbar, wie z.B. die mehr als doppelt so große Entfernung im Vergleich mit Schmalkalden und die damit verbundenen Belastungen für die Bevölkerung, der Verweis auf die Bindung organisatorischer Kräfte durch die Territorialverschiebungen in Kriegszeiten und die Zuständigkeit zahlreicher anderer Behörden für Barchfeld, die weiterhin in Schmalkalden angesiedelt waren.199 Vor allem das weiterhin in Schmalkalden angesiedelte und für Barchfeld zuständige Ernährungsamt Abteilung A bot Anlass zu Kritik an den Organisationsplänen, da Betroffene allein wegen wirtschaftlicher Angelegenheiten des Ernährungsamtes Abteilung B den Weg nach Meiningen antreten mussten. Vor dem Hintergrund, dass sowohl Schmalkalden als auch Meiningen mit ihren Ernährungsämtern und Wirtschaftsämtern zu demselben LEA und LWA gehörten, erscheint diese skizzierte organisatorische Neuerung durchaus als abstrus, da keine Zuständigkeitsänderung in der Mittelinstanz damit einherging und die Zweifel seitens des Ober- und Regierungspräsidiums in Kassel, des Landratsamtes in Schmalkalden und des Bürgermeisters in Barchfeld durchaus berechtigt wa197 198 199
Vgl: RGBl I, 1942, S. 649-656 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 3, Bl. 46-65 Finanzamt, Amtsgericht mit Grundbuchamt, Katasteramt, Staatliches Gesundheitsamt, Kulturbauamt, Staatshochbauamt und Preußische Regierungskasse hatten ihren Sitz weiterhin in Schmalkalden.
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ren. Die Argumentation wurde überwölbt von den zunehmend konkreter werdenden Plänen im RMI, eine sachlich-organisatorische Neugliederung im mitteldeutschen Raum herbeizuführen, von der die preußischen Provinzen Sachsen und Hessen-Kassel und damit auch die Kreisherrschaft Schmalkalden betroffen waren. Nur vor diesem Hintergrund ist das zweimalige Schreiben des Kasseler Oberpräsidiums an das Thüringische Innenministerium, in dem die geäußerten Bedenken gegen eine wirtschaftsorganisatorische Zerstückelung der Gemeinde Barchfeld sehr ernst genommen wurden, zu verstehen. Barchfeld blieb nicht der einzige Fall ungeklärter Zuständigkeiten und territorialer Missverhältnisse. In einer Aktennotiz Theins finden sich mehrere Fälle formalrechtlicher Unstimmigkeiten, die allerdings aufgrund der Größe der Gemeinden nicht überbewertet werden dürfen. So musste das LEA Thüringen Ostheim nach Bayern (Landkreis Mellrichstadt) sowie Allstedt und Mumsdorf an die Provinz Sachsen (Landkreis Sangershausen bzw. Zeitz) abgeben. Das LEA Sachsen trat die Gemeinden Kischlitz, Abtlöbnitz und Mollschütz an die Zuständigkeit des LEA Thüringen (Landkreis Stadtroda) ab. Innerhalb des LEA Thüringen gab der Landkreis Ziegenrück die Gemeinden Gefell, Blintendorf, Sparnberg und Blankenberg an den Landkreis Schleiz ab, hingegen verblieben bei Ziegenrück die Gemeinden Kaulsdorf, Großkamsdorf und Gosswitz und beim Landkreis Weißensee die Gemeinden Mühlberg, Röhrensee und Wandersleben.200 Da Ostheim an Bayern ging, beanspruchte der Meininger Landrat Gommlich als „Ersatz“ für das Ernährungsamt seines Landkreises Barchfeld, was zu den angedeuteten Verwerfungen führte.
f.
Die Zusammenarbeit mit Verbänden, Organisationen und Institutionen
Engen Kontakt nahm das neu errichtete LEA Thüringen zu den Wirtschaftsverbänden auf. Zu diesem Zweck fand bereits am 12.9.1939, etwa zwei Wochen nach der Verordnung über die LEÄ, eine Besprechung des LEA Thüringen Abteilungen A und B mit den Spitzenvertretern der Thüringer Getreide-, Vieh-, Milch- und Fett-, Kartoffel-, Eier-, Gartenbau- und Brauwirtschaftsverbände201 statt, um die neuen Funktionsmechanismen und strukturellen Änderungen zu erörtern. Im Mittelpunkt standen organisatorische und praktische Fragen zu Bestandsaufnahmeverfahren, Bedarfsermittlung, Bezugscheinwesen, Versorgung von Vegetariern und Kindern, Rüstungsbetrieben und Wehrmachtsteilen sowie Schwer- und Schwerstarbeitern. Nur 200 201
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 3, Bl. 66 Vgl. die Niederschrift zur Besprechung, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 15, Bl. 1-7
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wenige Tage später trat das LEA Thüringen in Kontakt zur Wirtschaftsgruppe Einzelhandel mit ähnlichen Zielorientierungen.202 Bereits im September 1939 verlangte die Bezirksgruppe Thüringen der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, seit 1943 Bestandteil der GWK Thüringen, – zu Recht, denn schließlich war sie an der Umsetzung der Entscheidungen maßgeblich beteiligt – zu den Sitzungen des LEA Abteilung B hinzugezogen zu werden. Reibungspunkte boten sich dort, wo das LEA Thüringen und die Wirtschaftsverbände ohne Koordination vorgingen, etwa bei der eigenmächtigen Versorgung der Bevölkerung mit Sonderzuteilungen. Das LEA ordnete deshalb 1942 gegenüber den Wirtschaftsverbänden203 im Gaugebiet an, dass alle Sonderzuteilungen über das Kartensystem sowie Mangelwaren vom LEA genehmigt werden mussten.204 Die Wirtschaftsverbände sahen sich diesem Druck bereits seit der Errichtung des LEA Thüringen ausgesetzt, da sie in allen Angelegenheiten, die die Aufgaben des LEA Thüringen Abteilung B berührten, dieses kontaktieren mussten, was de facto nichts anderes bedeutete als die Übernahme von Steuerungs- und Kontrollfunktionen (v.a. gegenüber dem Reichsinnungsverband des Fleischerhandwerks, der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel, der Fachgruppe Nahrungsmittelgroßhandel etc.) durch das LEA.205 Bereits seit 1939 durften die Wirtschaftsverbände ohne Gegenzeichnung des LEA Thüringen nicht mehr selbstständig Rundschreiben herausgeben. Die Abteilung B aktivierte die Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden seit Ende 1939 zunehmend selbst, da die Einschaltung der Abteilung A des LEA den Bürokratieausbau unnötig forcierte und die Position der Abteilung B durch diese Eigeninitiativen gestärkt wurde. Das LEA entwickelte sich damit seit 1939 zum Dreh- und Angelpunkt einer eng kooperierenden Behörden- und Verbandsszene im Gau Thüringen (LEA, Wirtschaftsgruppe Handel und deren Unterabteilungen, Handwerkerverbände und Innungen, Deutsches Frauenwerk, Landesbauernschaft, Bezirksfachgruppen, Werkluftschutz Thüringen der RGI) mit dem von allen anerkannten Ziel, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung unter allen Umständen sicherzustellen. Zu diesem Zwecke erweiterte die Wirtschaftsgruppe Einzelhandel Thüringen auf Anordnung des Leiters der Reichsgruppe Handel, Dr. Franz Hayler, in erheblichem Umfang die Zahl ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter und Vertrauensmänner.206
202 203 204 205 206
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 15, Bl. 8-11 Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 17f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 8, Bl. 12 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 21, Bl. 6 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 15, Bl. 13f.
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Neue Aufgabengebiete erwuchsen dem LEA Thüringen in der Versorgung der Kriegsgefangenen, „Ostarbeiter“ und ausländischen Zivilarbeiter.207 Das RMEL gab hierzu im Herbst 1942 Richtlinien heraus, die die mehrfach vorgebrachten Wünsche nach Erhöhung der Verpflegungssätze allerdings kaum berücksichtigten.208 Zusätzlich verschärft wurde die Kriegsernährungslage durch die Ernennung Thüringens zum „Evakuierungsgau“ und durch die erwarteten Luftangriffe, für deren Abfederung das LEA den Kreisleitungen vorab Vorräte für die Errichtung von Lebensmittellagern zur Verfügung stellte. Im Rahmen dieser Entwicklungen errichtete das LEA Thüringen 1943 eine Gaubefehlsstelle.209 Der damit verbundene Zug zur Dezentralisierung der Kriegsernährungswirtschaft auf die Gaufunktionen erhielt weiteren Auftrieb durch einen Schnellbrief des RMEL vom September 1943, mit dem die LEÄ die Versorgung der Bevölkerung nach Luftangriffen weitgehend selbstständig im Rahmen ihrer Funktionsbereiche regeln konnten.210 Das LEA Thüringen ordnete daraufhin eine umgehende Prüfung der Versorgungslage durch die Ernährungsämter an und benachrichtigte die NSV Thüringen über die Vorgehensweisen, da sie eine Schlüsselrolle bei der Versorgung übernahm. Die vom Gaueinsatzstab Thüringen unter der Leitung Ortlepps durchgeführten Kontrollen mahnten 1944 angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Versorgungssituation eine engere Kooperation von Dienststellen der Partei, der Behörden und der Organisationen der nährständischen und gewerblichen Wirtschaft an. Die am 17.6.1944 vom Gaueinsatzstab erlassene Verfügung, mit der den Kreisstellen Zuständigkeiten für den Katastrophenfall übertragen wurden und die Städte die Errichtung lokaler Einsatzstäbe
207
208 209 210
Vgl. hierzu aufschlussreich für Thüringen Hemmerling Landesernährungsamt, S. 6198; zur reichsweiten Problematik des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländereinsatze“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999; ders. (Hg.): Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 19381945, Essen 1991; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 179-292; Bd. 3/1, S. 223305; Mark Spoerer: Die soziale Differenzierung der ausländischen Zivilarbeiter, Kriegsgefangenen und Häftlinge im Deutschen Reich, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 9: Echternkamp, Jörg (Hg.): Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. 2. Halbband: Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung, München 2005, S. 485-567; zur Situation der deutschen Landwirtschaft im Krieg Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/2, S. 570-642; zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft insbesondere ebd., S. 608-615; Ela Hornung/Ernst Langthaler/Sabine Schweitzer: Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 9/2, S. 577-666 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 289, Bl. 14-17 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 285, Bl. 2 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 285, Bl. 67
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vorantreiben konnten211, blieb für das LEA Thüringen folgenlos, da bereits vorher die organisatorischen Weichenstellungen für die Ernährungsämter erfolgt waren und die mit der Versorgung der Verbraucher zusammenhängenden Aufgaben bereits dezentral bei den Kartenstellen lagen. Das LEA Thüringen und seine nachgeordneten Ernährungsämter agierten unter diesen Bedingungen im Spannungsfeld von Kriegswirtschaft und Ideologie. Als im Sommer 1941 die Getreidereserven Thüringens zum größten Teil aufgebraucht waren und die Weizenversorgung als „schwierig“ bezeichnet werden musste, wurde erwogen, über die NSV Zucker auf Brotmarken auszugeben, um dadurch eine Senkung der Brotrationen zu erreichen. Gegen solche Maßnahmen stellte sich allerdings Sauckel, der um das Ansehen des Regimes und seine nach außen demonstrierte Integrations- und Leistungsfähigkeit fürchtete.212 Eine gute Zusammenarbeit lässt sich zwischen LWA und SS/SD nachweisen. Nach dem Weggang des SS-Obersturmführers Siegismund 1941 beklagte das LEA bei Ortlepp förmlich die abgerissene Verbindung zum SS-Abschnitt und drängte auf einen engeren Kontakt. Seit Kriegsbeginn übermittelte der SD-Abschnitt Weimar dem LEA seine vertraulichen „Beobachtungen über Mängel, Beschwerden und wichtige Vorkommnisse, die die Ernährungswirtschaft“213 betrafen. Daraus entstand eine enge Kooperation in der Kriegsernährungswirtschaft. Über das LEA gelangten die Informationen an die Ernährungsämter, die auf Weisung des LEA entsprechend zu reagieren hatten. Der SD gab seine Informationen zur Ernährungswirtschaft an das LEA, ohne – nach Angaben Theins – eine eigene Kritik zu formulieren. Es blieb Aufgabe der Ernährungsämter, aus den SD-Mitteilungen Schlussfolgerungen zu ziehen und Änderungen einzuleiten.214 Thein wies bereits im November 1939 die Ernährungsämter Abteilung B an, sich an den SD anzulehnen. Der kriegsbedingte Personalmangel215 in den Behördenapparaten des Gaues führte zu einer engen personellen Zusammenarbeit des LEA Thüringen mit staatlichen und parteilichen Ämtern. Bereits am 31.8.1939 erwogen die Spitzenfunktionäre im LEA, die NS-Frauenschaft im Rahmen der Ernährungswirtschaft beim Aufkleben von Bezugscheinen einzubeziehen.216 Die NSFrauenschaft übernahm propagandistisch-ideologische Gelenkfunktionen 211 212 213 214 215
216
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 285, Bl. 101f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 13, Bl. 185 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 85, Bl. 30 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 44 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 79, Bl. 57, in der Folge gut dokumentierte Beispiele; ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 79, Bl. 132 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80
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zwischen dem LEA und den Verbrauchern, insbesondere natürlich den Hausfrauen. Anfang September 1939 aktivierte der LBF das HJ-Gebiet 17 (Thüringen) und den BDM-Obergau 17 (Thüringen), um mit HJ und BDM Transporte für den Warenaustausch zwischen Groß- und Einzelhandel, Erntehilfe, Verpflegung der Jugendlichen in Jugendherbergen sowie in KLV-Lagern etc. durchzuführen und sie in die Ernährungswirtschaft des Gaues zu integrieren. Diese stellten das ihnen zur Verfügung stehende Personal, das über die Landräte und Oberbürgermeister, vor Ort von den Bürgermeistern, eingewiesen wurde, bereitwillig zur Verfügung. Da die finanziellen und personellen Mittel für eine den Anforderungen der Kriegsernährungswirtschaft entsprechende Aufstockung des hauptamtlichen Personals des LEA Thüringen nicht vorhanden waren, kamen LBF und HJ-Führung im Gau im Oktober 1939 überein, eine „stärkere Unterstützung“ für die „sehr weit durchgeführten Vorarbeiten auf den Ernährungsämtern“217 voranzutreiben und dafür selbst Schülerinnen und Schüler, die vor dem Abitur standen, einzuspannen. Lehrer wurden über das Thüringische Volksbildungsministerium in den Gemeinden zur Bewältigung der Verwaltungsarbeiten bei den Bürgermeistern eingesetzt. Die NSDAP schaltete sich über die Kreisleitungen in die Organisation der Kriegsernährungswirtschaft ein, indem sie Verbindungsmänner zu den Ernährungsämtern installierte, denen das LEA Thüringen Verfügungen, Informationsmaterial, Anweisungen und Richtlinien zusandte, um sie auf dem Laufenden zu halten und ein größtmöglichstes Maß an Effizienz zu erreichen. Eine besondere Rolle im Sozialwesen des NS-Staates übernahm die NSV. Im Rahmen ihrer Funktionen und Aufgabenfelder innerhalb des NSHerrschaftsgefüges bot sich deshalb eine Involvierung in die Ernährungswirtschaft an, da die NSV nicht nur über das ideologische Rüstzeug, sondern auch über eingespielte, intakte Grundstrukturen verfügte. Dieses Potenzial erkennend, schaltete das LEA Thüringen auf ausdrücklichen Wunsch Sauckels hin die NSV in die Ausgabe der Lebensmittelkarten ein. Über die NSV-Ortsgruppen, die die Kartenbestände von den Ernährungsämtern übernahmen, gingen diese an die NSV-Zellen- und Blockwalter, die auch die Aushändigung an die „Versorgungsberechtigten“ kontrollierten. Damit übernahm die NSV nach eigenem Bekunden des LEA eine „überaus wichtige Rolle in der Kriegsernährungswirtschaft“218, die u.a. die Brotmarkensammelaktion, die auf einen Ausgleich zwischen Mangel und Überbelieferung der „Volksgenossen“ bei der Reichsbrotkarte abzielte, umfasste. Die Verlagerung der Durchführung der Kartenversorgung auf die NSV entlastete deutlich 217 218
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80, Bl. 10 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80, Bl. 11
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die organisatorisch und arbeitszeitlich stark beanspruchten Ernährungsämter, die immer wieder Klage führten, dass die sich erheblich ausweitenden Aufgabenbereiche in einem Missverhältnis zur Personalsituation stünden.219 Es wurde daher vorwiegend behelfsmäßig versucht, über Überstunden und die Anstellung weiblicher und ungelernter Kräfte das enorme Arbeitspensum abzufangen, was jedoch nur in Ansätzen gelang. Im internen Schriftgut des LEA Thüringen liest sich das freilich anders, indem Ursache und Wirkung vertauscht wurden: „Die Verlagerung der Kartenausgabe von den Behörden der Ernährungswirtschaft auf die NSV wirkt sich zunächst dahin aus, dass die Ernährungsämter in Thüringen mit einem weit geringeren Personalstand auskommen als die Ernährungsämter anderer Teile des Reiches. Die von den Ernährungsämtern sonst benötigten Kräfte stehen in Thüringen der Wirtschaft zur Verfügung. Die Arbeit der NSV entlastet aber nicht nur die Ernährungsämter, sondern auch die Versorgungsberechtigten selbst. In den Gebieten, in denen die Karten von den Ernährungsämtern unmittelbar ausgegeben werden, müssen die Versorgungsberechtigten durchweg die Karten abholen. Dadurch entsteht den Verbrauchern ein erheblicher Zeitverlust. Durch längeres Warten in den Kartenausgabestellen werden vielfach Missstimmungen hervorgerufen. Die Ausgabe der Lebensmittelkarten durch die NSV wirkt sich dagegen stimmungsgünstig aus. Die gewaltige Leistung der NSV auf dem Gebiete der Kartenausgabe wird von allen einsichtigen Volksgenossen dankbar anerkannt.“220 Daneben lief über die NSV die Verpflegung in denen von ihr „betreuten“ Kindertagesstätten und Erholungsheimen, der in Lagern untergebrachten Volksdeutschen und die Versorgung der Kinder- und Arbeitertransporte auf den Bahnhöfen. Für diese Aufgaben erließ das RMEL Sonderregelungen. Unter den Bedingungen der (erwarteten) Luftgefährdung des Gaues konkurrierten, ergänzten und überlagerten sich die Aktivitäten von LEA und NSV, die zunehmend Druck in Versorgungsfragen ausübte. So drängte im Sommer 1942 die NSV das LEA, die Ernährungsämter anzuweisen, Lebensmittel in notwendigen Mengen der NSV bereitzustellen, was ganz klar den Regelungen des LEA sowie dessen Selbstverständnis widersprach.221 Da sich die NSV aber der Rückendeckung des Reichsluftfahrtministeriums versichern konnte, das aufgrund der Erfahrungen an die Luftschutzstellen Weisungen mit derselben Implikation erließ, gab das LEA nach und stellte den NSV-Kreisamtsleitungen kleine Lebensmittelvorräte zur Ver219 220 221
Vgl. beispielhaft ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80, Bl. 5, 25, 44, 48 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80, Bl. 11 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 44 sowie die „Gutachtliche Äußerung über den NSV-Einsatz bei Luftangriffen. Die Verantwortlichkeit des NSV-Einsatzleiters“, mit der die NSV die alleinige Durchführung des Betreuungseinsatzes für die Bevölkerung nach Luftangriffen beanspruchte. (Bl. 45f.)
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fügung, zumal das RMEL im September 1942 die LEÄ anwies, Sonderzuteilungen zu organisieren.222 Die Beziehungen zwischen NSV und LEÄ erhielten durch die „Richtlinien für Maßnahmen anlässlich folgenschwerer Luftangriffe“ neuen Schub, als die NSV 1943 die alleinige Versorgung der Bevölkerung nach Luftangriffen (Verpflegung, Unterbringung, Bekleidung) im gesamten Reichsgebiet beanspruchte (mit Ausnahme des Ruhrgebiets, wo sie in den Einfluss der OT geriet).223 Das LEA Thüringen wies deshalb Anfang 1944 seine Ernährungsämter an, sich auf die geänderten Bedingungen im Verkehr mit der NSV einzustellen und sich an den von der NSDAPGauleitung erlassenen Richtlinien über die Aufgaben der NSV zu orientieren.224 Eine besonders enge Zusammenarbeit entstand zwischen LEA und DAF, da das Krieg führende Regime ein besonderes Augenmerk auf die Verpflegung und „Betreuung“ der „Gefolgschaftsmitglieder“ in den Betrieben und deren ausreichende Versorgung richten musste. Angesichts der kriegswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, vor allem aber mit Blick auf das Scheitern des Blitzkrieges 1941/42, der damit verbundenen wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen und der aus einer umfassenden Bestandsaufnahme des Regimes resultierenden kriegswirtschaftlichen Neuorientierung (Ernennung Speers zum RMBM und Sauckels zum GBA, deutliche Expansion des SSeigenen Wirtschaftsapparates) musste zur Stabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine auf Effizienz und Optimierung ausgerichtete Zusammenarbeit entstehen. Auf diesen Druck reagierend, waren LEA Thüringen und DAF bemüht, dass „die Gefolgschaftsmitglieder in den Betrieben ausreichend verpflegt werden und die Arbeitskraft unvermindert erhalten bleibt. […] Bisher konnte in allen grundlegenden Fragen Übereinstimmung in den Auffassungen des Landesernährungsamtes und der DAF erzielt werden. Das Landesernährungsamt setzt sich nach Kräften für berechtigte Anträge und Anregungen der DAF ein.“225 Das hier recht positiv skizzierte Verhältnis zwischen LEA und DAF wurzelte nicht zuletzt in einem tatsächlichen äußeren Zwang der Zusammenarbeit. Bei einem so neuralgischen Punkt wie der Versorgung der „Volksgenossen“ mit Lebensmitteln konnte sich das Regime kaum Grabenkämpfe zu Lasten der inneren Stabilität und Integration leisten, hier mussten Leistungsbereitschaft und -fähigkeit demonstriert werden.
222 223 224 225
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 57f., 71-75 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 173 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 292, Bl. 15-36 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 80, hier n. pag.
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g.
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Die Herausbildung neuer Organisations- und Kommunikationsformen
Sachlich instruiert wurden die LEÄ/PEÄ durch Arbeitstagungen beim RMEL, die Erzeugungs-, Versorgungs- und Organisationsfragen zum Inhalt hatten.226 Während diese Treffen 1939 noch reichsweit organisiert wurden, richtete sie das RMEL seit 1941 kleinräumiger aus und hielt die Besprechungen mit den LEÄ in drei Gruppen ab.227 Seit 1941/42 schliefen die vom RMEL durchgeführten Arbeitstagungen ein, so dass Mitte des Jahres 1942 der Leiter des PEA Abteilung B beim Oberpräsidenten der Provinz Hannover (SA-Stabschef Viktor Lutze), Oberregierungsrat von Koblinski, die Bildung eines informellen Gremiums zum überregionalen Interessenabgleich anregte.228 Diese Position deckte sich mit der des Leiters der Abteilung B im LEA Thüringen, Thein, der seit spätestens Herbst 1942 beim RMEL auf die Austragung von Arbeitstagungen drängte.229 Dabei konnte er auf bereits seit Ende 1939 geknüpfte, enge Kontakte zu den LEÄ in München (Bayern) und Dresden (Sachsen) anknüpfen.230 Die am 17.7.1942 realisierte, „anstrengende Arbeitstagung“231 des PEA Magdeburg und der LEÄ Hannover, Kassel, Weimar, Essen und Münster in Kassel regte zur Bewältigung der Probleme in der Kriegsernährungswirtschaft die Bildung einer überregionalen mittel- und süddeutschen Arbeitsgemeinschaft an. Da der Anstoß dazu von der Weimarer Abteilung B des Thüringischen LEA ausging, wurde Thein, der schon im Dezember 1939 mit den LEÄ in München und Dresden vereinbart hatte, grundsätzliche Rundverfügungen auszutauschen und damit die Basis für die darauf aufbauenden Netzwerke und Informationsforen gelegt hatte, beauftragt, eine Tagung der mittel- und süddeutschen LEÄ/PEÄ Abteilung B (Provinz Sachsen, Land Sachsen, Land Thüringen, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Bayern) zu organisieren. Aus diesen Vernetzungen entstand der zweite (südwestdeutsche) informelle Arbeitskreis. Einen ersten (nordwestdeutschen) mit Vorbildcharakter hatten die PEÄ Stettin, Kiel, Hannover mit den LEÄ Schwerin und Hamburg errichtet, der die überregionale Kommunikationsplattform für die PEÄ Abteilung B in Magdeburg (Sachsen-Anhalt), Kassel (Hessen226 227
228 229 230 231
Vgl. dazu etwa die Niederschrift über die Arbeitstagung am 12./13.12.1939 in Berlin, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 11, Bl. 22-39 Thüringen befand sich zusammen mit Sachsen, Kurhessen, Schlesien, dem Sudetengau, Wartheland, Danzig-Westpreußen und Ostpreußen in einer Abteilung. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 11, Bl. 160) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 1 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 11, Bl. 167 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 6, Bl. 16 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 29
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Kassel), Hannover (Provinz Hannover) und Darmstadt (Hessen-Darmstadt) und die LEÄ München (Bayern), Dresden (Sachsen), Stuttgart (Württemberg), Karlsruhe (Baden) und Weimar (Thüringen) bildete.232 Im Oktober 1942 fand sich der Arbeitskreis zu einer ersten Tagung in Kassel zusammen. Anwesend waren die Leiter der LEÄ/PEÄ Abteilung B Niedersachsen, Westfalen, Rheinland, Hessen-Darmstadt, Hessen-Kassel, Baden und Elsass, Württemberg, Provinz Sachsen, Land Sachsen und Thüringen. Neben organisatorischen und Verteilungsfragen stand die Versorgungslage in den verschiedenen Bezirken im Mittelpunkt, die in eine funktionelle Verknüpfung unterhalb des RMEL und eine Vernetzung der „Mangelgebiete“ mit den „Überschussgebieten“ münden sollte. Die dem Treffen beigemessene hohe Bedeutung und der erwartete „Gewinn“ für die vertretenen Behörden schlugen sich in weiteren, vierteljährlich anberaumten Sitzungen nieder, an denen auch Vertreter der Rheinpfalz, Lothringens und Bayerns teilnahmen. Die für den Mai 1943 geplante Sitzung schuf nun endlich die Möglichkeit, alle LEÄ/PEÄ Abteilung B und das RMEL an einen Tisch zu bringen. Von Koblinski, neben Thein die treibende Kraft bei der Bildung des Arbeitsausschusses, forcierte das Zustandekommen des Treffens für Mitte des Jahres in Dresden. Ein solcher Aktionismus mittelinstanzlicher Entscheidungsträger lief den Absichten im RMEL entgegen, das die Arbeitstagung kurzfristig verhinderte und stattdessen eine Besprechung in Berlin anordnete. Ohne sich in ihrer Dynamik bremsen zu lassen, fanden weiterhin regelmäßige Treffen der mittel- und süddeutschen LEÄ/PEÄ statt, die Ende 1943 erweitert wurden zu Arbeitstagungen der LEÄ/PEÄ aus Süd-, Mittel- und Westdeutschland (Bayern, Württemberg, Baden, Elsass, Rhein/Main, Moselland, Rheinland, Westfalen, Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt, Hannover, Provinz Sachsen, Land Sachsen, Thüringen), an denen dann auch Vertreter des RMEL teilnahmen. Dadurch entwickelte sich der zunächst informelle, behördliche, überregionale Interessenabgleich und Informationsaustausch zu einer Kommunikationsplattform der LEÄ mit dem RMEL jenseits ministerialbürokratischer Zwänge. Aufschlussreich in diesem Kontext ist das Treffen am 8./9.5.1944 auf der Wartburg bei Eisenach. Unter Anwesenheit ranghoher Vertreter der RMEL standen Fragen der Versorgungslage und der Organisation der Kriegsernährungswirtschaft im Mittelpunkt.233 Das LEA Thüringen Abteilung B übernahm in diesem Arbeitskreis, der zunehmend auf Selbstständigkeit gegenüber dem RMEL drängte, etwa bei der Ablehnung reichs232 233
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 26 Vgl. die „Tagesordnung für die Besprechung der B-Leiter der westlichen und südlichen LEÄ in Eisenach am 8. und 9.5.1944“, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 140 sowie das Protokoll, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 148-151
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einheitlicher Sonderberechtigungsscheine, zweifelsohne die Vorreiterrolle und führte die Verhandlungen mit dem RMEL. Zudem trug die informelle Arbeitsgemeinschaft dem oft geäußerten und vom RMEL nicht umgesetzten Bedürfnis verschiedener LEÄ Rechnung, die Abteilungen B zu regelmäßigen Tagungen zusammenzuführen.234 Diese konspirativen Treffen, selbstständige mittelinstanzliche Koordinationsmodelle ohne Beteiligung des RMEL mit einem hohen Stellenwert in der Organisation der Kriegsernährungswirtschaft, blieben diesem nicht verborgen. Am 27.7.1943 kam das Thema während einer Tagung der LEÄ Abteilungen B offen zur Sprache. Das RMEL wandte sich heftig gegen das „geübte Verfahren“ und erwartete, dass das „bedauerliche Vorkommnis“ sich nicht wiederhole.235 Die Szene ist in doppelter Hinsicht aussagekräftig. Die LEÄ waren dem RMEL zunehmend entwachsen, die Gründe dafür lagen in der tendenziellen Führungsschwäche des RMEL und im Organisationszwang in der Mittelinstanz. Dafür mussten Erfahrungen aus der Praxis herangezogen werden, über die die Berliner Behörde so nicht verfügte. Parallel dazu entwickelten die LEÄ regionalbezogene Organisationsmuster, die in Teilen zumindest mittelinstanzliche Interessen und Rahmenbedingungen über reichsweite Anordnungen stellten. Die trotz ausdrücklichem Verbot des RMEL weiterhin durchgeführten, seit Ende 1943 (gerade einmal einige Monate nach der Anweisung des RMEL) ausgeweiteten Arbeitstagungen der LEÄ aus Süd-, West- und Mitteldeutschland zeigen, dass diese, ausgestattet mit einem enormen Selbstbewusstsein und angesichts der akuten Handlungszwänge, eigene Problembewältigungsstrategien abseits der Anweisungen der Reichsbehörde konzipierten und einen engen Interessenabgleich und Informationsaustausch aus regionaler Motivation pflegten.
4. Die Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen Die Abteilungen Industrie der Wirtschaftskammern übernahmen Schlüsselfunktionen bei Stilllegungsaktionen, Auftragsbelegung der Betriebe, Betriebsbesichtigungen, Freimachung von Arbeitskräften für die Rüstungsproduktion, Sozialpolitik (z.B. Arbeiterwohnstättenbau), Steuer-, Verkehrs- und Versorgungsfragen, Werkluftschutz sowie Nachwuchsförderung. Zangens Plädoyer für eine möglichst weitgehende Selbstverantwortung der Industrie wurde begleitet von einer scharfen Absage an die Expansionsbestrebungen des DAF-Imperiums. Die gewerbliche Wirtschaft sei verantwortlich für „wirtschaftlich-sachliche und beruflich-sachliche“, die DAF für „weltan-
234 235
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 17, Bl. 28 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 11, Bl. 200
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schaulich-erzieherische und politisch-soziale“ Aufgaben.236 Die RGI behauptete sich als wichtiges Lenkungsorgan im Wirtschaftsgefüge237, das sich gegen Eingriffe aus dem RWM meist erfolgreich zur Wehr setzte, eine erhebliche Eigeninitiative entwickelte und als Kernstück der Reichswirtschaftskammer dieser realiter entwachsen war.238 Der Beirat der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen bildete mit seinen 39 Spitzenvertretern der Industrie das Zentrum der regionalen Industrielenkung. Besondere Bedeutung kam dem Engeren Beirat, dem Betriebswirtschaftlichen Ausschuss239, dem Ausschuss für Qualitätsarbeiterfragen und vor allem dem Ausschuss für technische Leistungssteigerung zu. Die Konkurrenz von Wirtschaftskammer und BWA Thüringen führte zu erheblichen Spannungen.240 So beklagte sich die Kammer im Juli 1940 beim BWA über unzureichende Informationspolitik, da das BWA die Rundschreiben nicht regelmäßig oder gar nicht an die Kammer sandte.241 Die Wirtschaftskammer nahm sozialpolitische242 sowie kriegswirtschaftliche Aufgaben wahr.243
236 237 238
239 240 241 242 243
Vgl. BArch R12I/215, 243-248, 255-257 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 4; ergänzend BArch R3/1787 sowie BArch R12I/82: v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 16 Vgl. Rainer Eckart: Die Leiter und Geschäftsführer der Reichsgruppe Industrie, ihrer Haupt- und Wirtschaftsgruppen. Dokumentation über ihre Stellung in Monopolen, monopolistischen Verbänden und bei der staatsmonopolistischen Wirtschaftsregulierung, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1979), H. 4, S. 243-277 sowie in Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1980), H. 1, S. 177-232 Vgl. BA-MA RW 21-62/2, Bl. 50f. Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 6 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3857 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3857, Bl. 42-49 Vgl. zur Entwicklung der Kammern im Krieg Stremmel: Kammern, S. 198-211, 319570
Fachliche Gliederungen
Verkehrsbetrieb
Obleute
Energiebetrieb
Versicherungsbetrieb
Industrieund Handelskammer
IndustrieAbteilung Geschäftsstelle
Industriebetrieb
Teilweise Zweigstellen
Industrieund Handelskammer Abteilung
IndustrieAbteilung
Bankbetrieb
Abteilung Bezirksausgleichstelle für öffentliche Aufträge
Großhandelsbetrieb
Unterabteilung Groß-, Einund Ausfuhrhandel
Vermittler
Unterabteilung Vermittlergewerbe
Einzelhandelsbetrieb
Ambulanter Händler
Gaststätte
Ortstelle
Ortsstelle
Unterabteilung Gaststättenu. Beherbergungsgewerbe
Kreisgeschäftsstelle
Ortsstelle
Unterabteilung Ambulantes Gewerbe
Abteilung Fremdenverkehr
Verbindungsstelle Berlin
Kreisgeschäftsstelle
Unterabteilung Einzelhandel
Handelsabteilung
Wirtschaftskammer Thüringen
Reichswirtschaftskammer
Handwerkskammer Abteilung
Meister
Innung
Kreishandwerkerschaft
Handwerkskammer
Landeshandwerksmeister
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Der organisatorische Aufbau der Wirtschaftskammer Thüringen (Quelle: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 9, Bl. 16)
194
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Bereits in der Phase der „Blitzkriege“ erwies sich das Instrumentarium der BWÄ/LWÄ als nur bedingt den kriegswirtschaftlichen Anforderungen genügend. Die BWÄ/LWÄ verfügten mit den Wirtschaftsämtern bei den Landräten und Oberbürgermeistern über Funktionseinheiten zur Erfassung und Auskämmung der Wirtschaft auf lokaler Ebene, allerdings war man wiederholt und verstärkt auf die Mitarbeit der Wirtschaftskammern, der IHK und der Handwerkskammern angewiesen.244 1939 beklagte das RWM, dass trotz Anweisungen aus Berlin die IHK „noch außerhalb der Kriegswirtschaftsorganisation“ stünden und forderte ein „bezirklich gut verteiltes Netz von Kammern und Bezirksstellen“245 für die Arbeit der BWA. Das ernüchternde Fazit des RWM lautete: Die Einbeziehung der Außenstellen der Organe der gewerblichen Wirtschaft in die kriegswirtschaftlichen Arbeiten sei noch nicht allenthalben erreicht worden. Es gab mehrere Wehrwirtschaftsbezirke, in denen die Einschaltung der noch nicht in die Kriegswirtschaftsverwaltung einbezogenen Bezirksstellen zur Notwendigkeit geworden war, weil die Größe des betreffenden Wehrwirtschaftsbezirks und die geringe Zahl der IHK oder die Zusammenballung wichtiger Industrien in kleineren Orten eine betriebsnahe Betreuung in dem erwünschten Umfange bisher nicht haben ermöglichen können.246 Zur Leistungssteigerung in der Wirtschaft sollten die IHK neue Außenstellen errichten, was allerdings an der Realität im Gau Thüringen und am Kern des Erlasses zur Reform der OgW vom 7.7.1936 völlig vorbeiging. Eine zweckmäßige Verbindung von IHK und Wirtschaftskammer Thüringen war bis 1940 teilweise verwirklicht.247 Das kam einer Bankrotterklärung in doppelter Hinsicht nahe. Erstens hatten sich die Wehrkreise als schwerfällige und großräumige Wirtschaftskreise nicht bewährt, sie waren zu unflexibel und konnten die Koordinationserfordernisse nicht erfüllen. Zweitens überlagerten sich die in einem Wehrkreis agierenden und konkurrierenden, mit Kriegswirtschaftsfragen beschäftigten Stellen (BWÄ/LWÄ, Führungsstäbe, Wirtschaftskammern, IHK, Handwerkskammern), verfolgten oft eigene, auf kleinere Räume ausgerichtete Interessen, konnten sich blockieren und dadurch die Effizienz des Systems verringern und die 1939 geschaffenen BWÄ und Führungsstäbe erwiesen sich als weitgehend bedeutungslose Koordinationsorgane und Konkurrenten der Kammern.248 Die Bearbeitung der wehrwirtschaftlichen Fragen wurde in den Wehrwirtschaftsabteilungen der Wirtschaftskammern zusammengefasst, die 244 245 246 247 248
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4253, Bl. 11 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3858, Bl. 1 Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 16 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3858, Bl. 19-21 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 2.; Frankfurter Zeitung Nr. 481 vom 21.9.1939
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sich aus Referaten für Erzeugungssicherung (A) und Erzeugungsplanung (B), die wiederum eng mit der Bezirksausgleichsstelle kooperierten, zusammensetzten. Da die Kriegswirtschaftsorganisation auf die großräumigen Wehrkreise ausgerichtet war, verfügte das OKW mit dem Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt und dessen Rüstungsinspektionen und -kommandos über einflussreiche Steuerungsmechanismen auf Wehrkreisebene. Seit Kriegsbeginn finden sich in den Akten Materialien über die Aktivitäten der Rüstungsinspektion IX, die sich über die Rüstungskommandos stärker in die Kriegswirtschaftsorganisation einzuschalten versuchte und mit den Abteilungen Industrie der Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen, den BWÄ Hessen und Thüringen, den Handwerkskammern und Landeshandwerksmeistern, LAÄ und den Gauämtern für Technik 14-tägige Sitzungen abhielt.249 Ziel der Inspektion IX war es, sich als oberhalb der Länder und Provinzen koordinierendes, die Wirtschaftsgebiete Hessen und Thüringen umfassendes, über die Kommandos agierendes und die regionalen Instrumentarien nutzendes Lenkungsorgan zu etablieren. Die Rüstungskommandos übernahmen Kontrollfunktionen bei den Betrieben und meldeten Kapazitäten an das Heereswaffenamt, das dann den Firmen die Rüstungsaufträge erteilte. Zur beschleunigten Umstellung der Wirtschaft auf die Produktion von Kriegsgerät und Munition sowie zur damit verbundenen Erfassung freier Kapazitäten wurde bei der Industrie-Abteilung Thüringen eine Technische Kommission errichtet, aus der der einflussreiche „Ausschuss für technische Leistungssteigerung“ hervorging. Der unter einem Decknamen errichtete Ausschuss überprüfte die Produktionsbedingungen der Firmen im Gau, führte Spitzenvertreter der Industrie-Abteilung, des Vereins deutscher Ingenieure, des Amtes für Technik, der Handwerkskammer, des BWA und der Wirtschaft zusammen250, arbeitete eng mit den Rüstungskommandos zusammen und steuerte den Produktionsmittel- und Kapazitätsausgleich, Fragen des Arbeitseinsatzes und die Sicherstellung von Werkstätten und Maschinen.251 Dabei ging es detailliert um die Schaffung einheitlicher Richtlinien für die eingesetzten Ingenieure und die Vorbereitung von deren Einsatz zur Erfassung der Betriebe und ihrer Kapazitäten. Durch Zusammenfassung des Technischen Mobbeauftragten einschließlich der Dienststellen des Technischen Überwachungsvereins, NSBDT, Verein deutscher Ingenieure, GWB und Gauamtes für Technik, Mobbeauftragter der IndustrieAbteilung Thüringen, der Bezirksfachgemeinschaft der Eisen- und Metallindustrie Thüringen und der fachlichen bezirklichen Gliederungen der RGI 249 250 251
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 12-24; BA-MA RW 21-61/6, Bl. 21 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 14, 22, 37 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 38-41
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wurde ein partieller Interessenausgleich zwischen Staat, Partei und Wirtschaftsverwaltung auf Gauebene gewährleistet. Zwischen den einzelnen Dienststellen bestand nach eigenem Bekunden „Klarheit über die zu lösenden Aufgaben und völliges Einverständnis mit den von dem Mobbeauftragten der Industrie-Abteilung bereits in Angriff genommenen Arbeiten.“252 Die Finanzierung des Ausschusses (jährlich 20.000 RM) erfolgte zunächst durch die Abteilung Industrie, die die Kosten auf die staatlichen Behörden abzuwälzen versuchte.253 Ein eher informeller „engerer Kreis“ von neun Personen unter der Führung Heynens bildete den Kern des Ausschusses, der wie der „Ausschuss für technische Leistungssteigerung“ von der Industrie-Abteilung dominiert wurde.254 Im Ausschuss kristallisierte sich das überinstitutionelle Bestreben heraus, bezirkliche Interessen weitgehend selbstständig vor Ort und ohne Einschaltung übergeordneter Institutionen zu verwirklichen und mit der komplizierten Gemengelage der sich überschneidenden Behörden und Funktionsträger in Einklang zu bringen. Zweifelsohne nahm die Industrie-Abteilung dabei eine herausragende Stellung ein, musste aber in den Rüstungskommandos des RMBM einflussreiche Konkurrenten sehen, die beispielsweise selbstständig und parallel zu den Initiativen der IndustrieAbteilung und des „Ausschusses für technische Leistungssteigerung“ Betriebsbesichtigungen durchführten.255 Der Ausschuss bildete ein Konkurrenzmodell zu den 1941 aus Vertretern von BWA und Reichsstellen gebildeten Wirtschaftskommissionen, die im Groß- und Einzelhandel die Kriegswichtigkeit der Produktion „von der Warenseite“ durch Geschäftskontrollen vor allem in den Städten erfassten und zum effizienteren Ressourcen- und Arbeitskräfteeinsatz beitragen sollten.256 Dazu trieb der Ausschuss die Förderung der AWF-Kartei257 voran, die von den Rüstungsdienststellen im östlichen Bezirk des WK IX aufgenommen wurde. Die vom Ausschuss für wirtschaftliche Förderung geschaffenen Hilfsmittel sicherten, so das Kommando Weimar Anfang 1941, „bei richtiger Anwendung den wirtschaftlichen Einsatz von Werkstoffen, verhindern die Vergeudung von Rohstoffen und Arbeitskraft, steigern die Leistung und verbessern die Arbeitsgüte. Die Wehr252 253 254
255 256 257
ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 40. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 49f., 64 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 35-40; zu diesem Komplex ausführlich Dörte Winkler: Frauenarbeit im Dritten Reich, Hamburg 1977; Herbst: Totaler Krieg, S. 118-126; Dietmar Petzina: Die Mobilisierung deutscher Arbeitskräfte vor und während des Zweites Weltkrieges, in: VfZ 18 (1970), S. 449-452; Richard Overey: „Blitzkriegswirtschaft“? Finanzpolitik, Lebensstandard und Arbeitseinsatz in Deutschland 1939-1942, in: VfZ 36 (1988), S. 397-435 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 51 Vgl. BArch R43II/608a, Bl. 101-103 Ausschuss für wirtschaftliche Förderung
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macht hat an der allgemeinen Förderung solcher Karteien größtes Interesse, weil die Erfüllung der von ihr gestellten Aufgaben eine sehr starke Wendigkeit bei der Umdisponierung von Aufträgen bedingt.“258 Der „Ausschuss für technische Leistungssteigerung“ unter dem Vorsitz des Direktors der Gustloff-Werke Suhl, Dipl. Ing. Werner Heynen, wurde auf Vorschlag des Mobbeauftragten der Industrie-Abteilung, Dr. Walter Mevius, ins Leben gerufen. Er war unterteilt in zehn Bezirke259, setzte sich aus 26 Mitgliedern zusammen (Vertreter der Industrie, insbesondere der Eisen- und Metallindustrie, Gauwalter des NSBDT, Gauamtsleiter für Technik, Hauptreferent des GWB, Technischer Mobbeauftragter im Technischen Überwachungsverein, Vorsitzender der Bezirksvereine Thüringen des Verein deutscher Ingenieure im NSDBT sowie als ständige Gäste die Kommandos Weimar und Eisenach und das BWA Weimar). Er dirigierte die Arbeit von etwa 70 Ingenieuren und übernahm wichtige Steuerungsfunktionen im Wirtschaftsgefüge Thüringens.260 Dazu fanden monatliche Treffen zum Erfahrungsaustausch und zur Besprechung zentraler kriegswirtschaftlicher Themen (z.B. Erfassung freier Produktionskapazitäten, Betriebsstilllegungen, Umstellung von Zivil- auf Kriegswirtschaftsproduktion, Erstellen von Richtlinien für den Handel mit Maschinen im Rahmen des Produktionsmittelausgleichs, Unterbringung zusätzlicher Rüstungsprogramme)261 im Hotel Elephant in Weimar statt.262 Mit diesen Aufgaben waren ursprünglich verschiedene Stellen betraut, jetzt wurden sie gestrafft und vereinheitlichend durch den Ausschuss bearbeitet.263 Der Ausschuss erfasste und kontrollierte sämtliche 4.500 Betriebe Thüringens und führte Kriegswirtschaftsberatungen264 für Firmen sowie Ingenieursbesuche durch, sodass sich die Zahl der in die Rüstungswirtschaft eingeschalteten Thüringer Metallbetriebe bis Sommer 1940 von 283 auf 715 erhöhte und zusätzlich Firmen der Nichtmetallindustrie für das Munitions- und Rüstungsprogramm der Wehrmacht mobilisiert wurden. Die Ergebnisse der Aktion „Feststellung freier Kapazitäten“ wurden karteimäßig erfasst und dienten dem weiteren Ausbau der Rüstungsindustrie in Thüringen.265 Eine wichtige Erkenntnis war die Feststellung, dass „die Werkzeugmaschinen, mit denen die Heeresgeräte angefertigt werden, nur in 258 259 260 261 262 263 264 265
BA-MA RW 21-62/6, Bl. 10f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 42-47 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 73 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 29-32, 73f., 85f., 94; BA-MA RW 21-17/12, Bl. 17 Vgl. zu den Sitzungen des Ausschusses auch BA-MA RW 21-62/2, Bl. 18 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 73-75 Vgl. BA-MA RW 21-62/10, 31 Vgl. BArch R3/Findbuch, Bd. 5, für Thüringen S. 64, 89; BArch R3/2007, 2016
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seltenen Fällen den an sie zu stellenden Forderungen genügen.“266 Die über den Ausschuss laufenden Stilllegungsaktionen in Thüringen wurden auf Vorschlag von Mevius mit gauinternen Interessenlagen abgestimmt. Um das in den Stilllegungen enthaltene ideologische, soziale und finanzielle Konfliktpotential durch regionale Behörden abzufedern, ließ der Ausschuss „nicht alle nach den Richtlinien für eine Stilllegung in Frage kommenden Betriebe für eine Stilllegung“ vorschlagen, sondern hielt eine „gewisse Reserve zurück[gehalten], um diese gegebenenfalls bei einer weiteren Aktion nennen zu können.“267 Damit leistete der Ausschuss einen erheblichen Beitrag zur regionalen Akzeptanz und Stabilität des Regimes. Mit den Rüstungsdienststellen der Wehrmacht kam der Ausschuss überein, dass die Inspektion bzw. die Kommandos Weimar und Eisenach ihre Anforderungen auf dem Gebiet des Maschinen- und Produktionsmittelausgleichs direkt an die Industrie-Abteilung richteten.268 Bei Anfragen der Wehrmachtsstellen oder bestimmter Firmen an den Technischen Mobbeauftragten musste dieser zunächst Rücksprache mit der Industrie-Abteilung halten, ob sie die Anforderungen anhand erstellter Listen erfüllen konnte. Dadurch wurde das BWA, das persönlich durch Assessor Dr. Wehr sowie durch den Technischen Mobbeauftragten Dipl. Ing. Block im Ausschuss vertreten war und über diese ursprünglich die Wehrmachtsanforderungen mit den Firmen koordiniert hatte, aus der Kriegswirtschaftsorganisation im Wehrkreis zunehmend verdrängt und mit der Rolle eines monatlichen Listenempfängers der IndustrieAbteilung sowie der Übernahme sämtlicher Kosten des Ausschusses abgefunden. Der Ausschuss, der der Inspektion IX unterstellt war, stellt einen ersten Versuch dar, Teile der regionalen Kriegswirtschaftsverwaltung im auf den Gau ausgerichteten Wirtschaftsbezirk Thüringen unter Beteiligung wichtiger Institutionen und unter Führung der Selbstverwaltungsorgane der Industrie in einem Organ zu bündeln und zu organisieren und er setzte mit seiner Arbeit qualitative Maßstäbe, wie selbst die Rüstungsdienststellen eingestanden.269 Dadurch wurde die Industrie-Abteilung in ihrer Bedeutung im regionalen Wirtschaftsgefüge aufgewertet, denn die Kommandos und der Mobbeauftragte richteten ihre Forderungen nunmehr direkt an sie. Der Ausschuss, der die ihm gestellten Aufgaben der Leistungssteigerung, Maschinenerfassung und -vermittlung270 usw. zur Förderung der Rüstung weitgehend eigenständig wahrzunehmen gedachte, sah sich zunehmend dem Druck 266 267 268 269 270
ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 95 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 64; vgl. auch. BAMA RW 21-62/2, Bl. 23 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 64 Vgl. BA-MA RW 21-17/10, Bl. 33 Vgl. BA-MA RW 21-62/10, Bl. 27f., 34
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der Rüstungsdienststellen ausgesetzt. Während einer Sitzung im Beisein von Angehörigen der Kommandos Weimar und Eisenach kam es zu einer offenen Aussprache, in der nicht die regionalen Strukturen für die offenbar sich häufenden Missverständnisse und Reibereien verantwortlich gemacht wurden, sondern die Instanzen der Reichsebene. So kritisierten die Teilnehmer, dass die Firmen die ihnen fehlenden Maschinen dem OKH statt den Kommandos oder der Inspektion IX, die deutlich rascher und effizienter innerbezirklich reagieren konnten, melden mussten. Besonders heftige Kritik rief die „Belästigung der Betriebsführer“ durch die zahlreichen Betriebskontrollen zur Kapazitätsermittlung hervor, die dadurch bedingt wurden, dass eine Vielzahl von Stellen in die Ermittlung eingeschaltet war. Kurz: Den zu diesem Zeitpunkt (1940/1942) angewandten Methoden, die teilweise zu erheblichem Unmut in der Wirtschaft führten, mangelte es an Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Kriegsverwaltungsrat Dr. Engel notierte zu dieser Sitzung: „Aus der von Pflichtbewusstsein, dem Willen zu ernster Mitarbeit getragenen und sachlich gehaltenen Aussprache gewann ich den Eindruck der Unzufriedenheit mit und der Ablehnung der überorganisierten und bereits planlos gewordenen Betreuung der Industrie; sie wünscht mehr Freiheit, weniger organisieren, stärkere Zuwendung zu dem Zweck ihres Daseins und dem Ziel ihrer Arbeit.“271 Die regionalen Mobilisierungsmechanismen über unterschiedliche Behörden zur Maschinenerfassung/-ermittlung, Kapazitätserfassung, Leistungssteigerung usw. arbeiteten in einigen Teilen nebeneinander und auf eigene Faust und verunsicherten die Kernbereiche der Rüstungsindustrie. Die Industrie-Abteilung bildete einen Kristallisationskern im Wirtschaftsgefüge des Gaus. Sie verfasste Gutachten an die Wirtschaftsgruppen bei den Stilllegungsaktionen zwischen 1939 und 1942, kooperierte in Fragen des Arbeitseinsatzes mit den Arbeitsämtern, bei Stilllegungen mit dem BWA und der Handelskammer, bei der Ermittlung freier Kapazitäten und in Munitionsfragen mit der Inspektion, in allgemein sozialwirtschaftlichen Fragen mit dem Treuhänder der Arbeit und den bezirklichen Gliederungen der DAF und übernahm damit eine Art Gelenkfunktion im Gauwirtschaftsraum. Darüber hinaus griff die Industrie-Abteilung in den Arbeiterwohnstättenbau, Steuer-, Verkehrs- und Versorgungsfragen, Berufsausbildung (v.a. Umschulung, Heranbildung von Ersatzkräften), wofür sie sich der Obleute für Qualitätsarbeit bediente, und den Werkluftschutz ein und konkurrierte hierbei mit der DAF. Eine der Hauptaufgaben blieb freilich die bezirkliche Arbeitskräftemobilisierung. Der „engere Kreis“ stellt ein Musterbeispiel für informelle Netzwerke dar, die mit erheblichen Funktionen, Fachkompetenz und Aktionismus regionale Entscheidungsbefugnisse erlangten und aufsogen, als Kor271
BA-MA RW 21-62/2, Bl. 2
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rektiv zu Entwicklungen auf Reichsebene fungierten, zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft beitrugen und in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzen sind. Zur Steigerung der Wehrmachtfertigung wurden auf Veranlassung der Rüstungsinspektion zur Jahreswende 1939/40 von den Abteilungen Industrie der Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen Technische Kommissionen auf Ebene der IHK-Bezirke mit der Aufgabe zusammengestellt, Betriebe zu kontrollieren, die bisher den Rüstungskommandos nicht oder nur wenig bekannt waren, vor allem jene Firmen, die durch Herstellungsverbote kurz vor einer Produktionseinschränkung oder Stilllegung standen. Den Anlass zur Errichtung der Kommissionen bildete ein Appell Görings an das OKW und die RGI, privatwirtschaftliche Bestrebungen zurückzustellen und ihre Einrichtungen für die vordringliche Wehrmachtfertigung zu öffnen. Daraufhin intensivierten die Inspektion und die Wirtschafts- und Handwerkskammern im Inspektionsbereich ihre Zusammenarbeit und stellten Betriebslisten für die Wehrmachtfertigung zusammen. Zur Einweisung in die neuen Funktionen fand am 12.1.1940 in der Inspektion IX in Kassel eine Sitzung der Technischen Kommission der Wirtschaftskammer Hessen, am 23.1.1940 die der Wirtschaftskammer Thüringen in Erfurt statt. Ziel der Technischen Kommissionen war es, alle freien oder noch freiwerdenden Kapazitäten der gewerblichen Wirtschaft schnellstmöglich zu ermitteln und für die Wehrmachtgerätefertigung zum Einsatz zu bringen.272 Die Technischen Kommissionen leisteten im Wesentlichen Vorarbeit, indem sie Betriebsbesichtigungen durchführten, die freien Kapazitäten in der gewerblichen Wirtschaft erfassten, für die Wehrmachtfertigung vorbereiteten und ihre Ergebnisse an die Rüstungskommandos meldeten, die Ausarbeitung der „Erkundung“ blieb nach wie vor Aufgabe der Rüstungskommandos.273 Die Einsetzung der Technischen Kommissionen erfolgte in enger Absprache mit den Kommandos durch die Abteilungen Industrie, die die Aktion, deren Abschluss auf den 1.3.1940 datiert wurde, vorantreiben sollten. Die Inspektion ordnete für die Technischen Kommissionen im Inspektionsbezirk an, dass nur Firmen kontrolliert wurden, die von den Abteilungen Industrie vorgeschlagen wurden. Die Betriebe wurden unter der Prämisse der Munitionsproduktion ausgewählt, die Ergebnisse von den Technischen Kommissionen bzw. der jeweiligen IndustrieAbteilung laufend den zuständigen Kommandos gemeldet. Die Inspektion wies die Kommissionen an, jede freie Kapazität, die für die Wehrmachtgerätefertigung einsatzfähig war, heranzuziehen. Dafür wurde die Bildung von Arbeitsgemeinschaften oder Gemeinschaftsbetrieben, die Heranziehung als
272 273
Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 38 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, S. 11f.
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Unterlieferanten, die Umlegung der Produktion bzw. die Auftragsvergabe an andere Betriebe geprüft.
5.
Die Bezirksausgleichsstelle für öffentliche Aufträge der Wirtschaftskammer Thüringen
Der Krieg initiierte bzw. intensivierte die Zusammenarbeit mit den neu ins Leben gerufenen oder umstrukturierten Dienststellen, vor allem mit den BWÄ und den Rüstungsinspektionen. Mit Erlass vom 9.11.1939 kündigte der RWM an, dass bei allen wichtigen Vergaben vor Abgabe der Firmenvorschläge das BWA zu unterrichten sei und von allen durchgeführten Auftragsvergaben Kenntnis erhalte. Nach dem Chaos der ersten Kriegsmonate versuchte das RWM über die Bezirksausgleichsstelle für öffentliche Aufträge bei der Auftragsvergabe der Inspektionen mitzusprechen.274 Die Zusammenarbeit von BWA IX b, Rüstungsinspektion und Bezirksausgleichsstelle Thüringen ist vor allem bei Stilllegungsaktionen und Auftragsverlagerungen zur Arbeitskräftegewinnung zu erkennen. Bei Stilllegungen wegen Rohstoffproblemen wirkten BWA, GWB, DAF, Kammern, Industrie-Abteilung und Bezirksausgleichsstelle zusammen. Bei Stilllegungen wegen Arbeitskräftemangel war das BWA federführend und zog weitere Organe heran, so dass sich ein kompliziertes Mit-, Neben- und Gegeneinander der Behördenapparate entwickelte. Die Gründung der BWÄ und Führungsstäbe führte in der Aufgabenverteilung der regionalen Wirtschaftsorganisationen zu erheblichen Turbulenzen, so dass das RWM im September 1939 für die Zusammenarbeit zwischen den BWÄ und den Bezirksausgleichsstellen neue Richtlinien erstellte und die Leiter der BWÄ zu ständigen Vertretern des Beauftragten des RWM bei den Bezirksausgleichsstellen ernannt wurden.275 1940 wurde Benecke vom BWA in Weimar zum Vertreter des Regierungsbeauftragten bestellt und löste damit den bisherigen Vertreter Lippold, ebenfalls ranghoher Beamter aus dem Wirtschaftsministerium, ab.276 Die Bezirksausgleichsstellen fungierten bei der Vergabe von Aufträgen durch zentrale Stellen (v.a. der Wehrmacht) als mittelinstanzliche Organe der Reichsausgleichsstelle, bei der Auftragsverteilung durch dezentrale Stellen277 (v.a. Wehrkreis- und Luftgauverwaltungen, Marineintendantur, Heeresstandortverwaltungen, Fliegerhorstkommandanturen, Reichsbahn- und Reichspostdirektion, Gemeinden) wirk274 275 276 277
Vgl. zur Tätigkeit der westfälisch-lippischen Bezirksausgleichsstelle Stremmel: Kammern, S. 487-495 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 119 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 119f.; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 82-84 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3869, Bl. 43f.
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ten sie unmittelbar mit. Rüstungsaufträge fielen den Bezirksausgleichsstellen nicht zu, über sie entschieden die Rüstungsinspektionen. Gegenüber den BWÄ hatten sie lediglich eine Informationsfunktion und wurden selbstständig tätig278, was vor allem bei den Stilllegungsmaßnahmen und Betriebseinschränkungen erhebliches Konfliktpotenzial mit sich brachte.279 Der Kriegsbeginn führte zu Störungen der Auftragsvergabe in der Wirtschaft des Gaugebietes. Die Mehrzahl der Verbindungen zwischen der Bezirksausgleichsstelle und den nun eigenmächtig vorgehenden Beschaffungsstellen rissen ab, die Leistungsfähigkeit der Betriebe wurde durch die völlig unkoordinierte Auftragsvergabe überschritten, die Anordnung über die Beschlagnahme der Rohstoffe führte zu einem spürbaren Rohstoffmangel und die vor Kriegsbeginn geschlossenen, auf Rahmenbedingungen eines totalen Krieges ausgerichteten Mob-Verträge traten in Kraft, so dass die Mehrzahl der bisherigen Wehrmachtslieferanten plötzlich ausfiel. Erst durch das Eingreifen des OKW spielte sich die Zusammenarbeit zwischen Beschaffungsstellen und Bezirksausgleichsstelle Anfang 1940 wieder ein. Durch die Erhebung des gesamten linksrheinischen Gebietes einschließlich EupenMalmedy, Teilen Badens längs der französischen Grenze und der eingegliederten Ostgebiete (Danzig-Westpreußen, Wartheland, Regierungsbezirk Kattowitz) zu auftragsbedürftigen Gebieten erhielt die Wirtschaft im Gau Thüringen erhebliche Konkurrenz, da Zulieferer aus diesen Teilen des Reiches trotz höherer Produktions- und Lieferkosten bei der Auftragsvergabe bevorzugt wurden. Durch das Ausbleiben des Zweifrontenkrieges, flankiert von einer improvisierten „Übergangswirtschaft“280, ließ sich eine Konzentration auf wenige Firmen nicht aufrechterhalten, so dass Aufträge zunehmend breiter gestreut wurden und dadurch eine „Beruhigung und gewisse Stetigkeit innerhalb der Wirtschaft des Gaugebietes“281 eintraten. Ihre Sachkompetenz hatte die Bezirksausgleichsstelle bei der Erarbeitung von Befugnissen und Richtlinien und beim Erfahrungsaustausch in den Prüfungskommissionen unter Beweis gestellt. Die mit Erlass vom 18.2.1941 durch Göring auf Drängen des RMBM eingerichteten und auf die Wehrkreise ausgerichteten Prüfungskommissionen hatten die Aufgabe, den rüstungswirtschaftlichen Kräftebedarf in den Wehrkreisen zu decken, die Umsetzung von Arbeitskräften innerhalb verschiedener Wirtschaftszweige zu überwachen und „den Einsatz und die Umsetzung von Arbeitskräften den jeweiligen
278 279 280 281
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3869, Bl. 36-39 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3869, Bl. 61 Vgl. Müller: Mobilisierung: S. 364-405; Herbst: Totaler Krieg, S. 103-126; Thomas: Wehr- und Rüstungswirtschaft, S. 154, 168 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 123
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Bedürfnissen der Rüstungswirtschaft anzupassen“282 und griffen damit, z.B. mit der Zwangsversetzung von Arbeitskräften, tief in die Arbeitskräftelenkung ein. Im Zuge dieser Maßnahmen konnten auch Stilllegungen oder Betriebseinschränkungen durchgeführt werden.283 Der Prüfungskommission des Wehrkreises IX stand Generalmajor Hillert von der Rüstungsinspektion IX vor, die eingesetzten Sparingenieure der Inspektion IX wurden auf die LWÄ im WK IX ausgerichtet. 1940 wies das OKW die Beschaffungsstellen und Rüstungsinspektionen an, Aufträge aus sog. „Engpassorten“ abzuziehen und in weniger ausgelasteten Gebieten unterzubringen. Im Wehrwirtschaftsbezirk Thüringen wurden 20 Wirtschaftsstandorte als „Engpassorte“ geführt.284 Aufgrund der weitgehenden Auslastung der Industrie in Thüringen organisierte die Bezirksausgleichsstelle im Zusammenspiel mit BWA, LAA, Industrie-Abteilung und Rüstungsinspektion IX auf den Wehrwirtschaftsbezirk IX b ausgerichtete Auftragsbörsen. Sie mussten jedoch schon 1940 wieder eingestellt werden, da die Firmen in hohem Maße mit Rüstungsaufträgen versorgt waren, die Kosten einer Auftragsbörse in keinem Vergleich zu ihrem Nutzen in Thüringen standen und die Arbeitsmarktlage sehr angespannt war, so dass Thüringen zum „Engpassgebiet“ erklärt wurde, in dem noch nicht einmal der nötige Kräftebedarf gedeckt werden konnte.285 Damit änderte sich der Charakter der Auftragsbörsen. Sie dienten bereits vor dem Krieg, verstärkt aber seit 1940/41, nicht mehr der Verteilung und Lenkung von Aufträgen an Firmen mit Unterbeschäftigung, sondern sie entwickelten sich zu einem Instrument der Arbeitskräftelenkung. Die kriegswichtigen Aufträge wurden an jene Gebiete vergeben, die überhaupt noch über genügend qualifiziertes Personal verfügten, um die „Engpassbezirke“ sowie die angespannte Arbeitsmarktlage zu entlasten.286 Die Bezirksausgleichsstelle, die nach eigenen Angaben mit den dezentralen Beschaffungsstellen überwiegend gut kooperierte287, wirkte im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1937 an Beschaffungen im Wert von 6,5 Mio. RM. Im ersten Quartal 1938 stieg der Betrag auf 13,5 Mio. RM, lag bei Kriegsbeginn bei mehr als 17 Mio. RM und sank bis zum vierten Quartal 1942 auf 6,7 Mio. RM. Der Anteil des Handwerks an den unter Beteiligung der Bezirksausgleichsstelle in den Bezirk Thüringen geflossenen Aufträgen, 282 283 284 285 286 287
Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 128 Vgl. BArch R3901/20480, Bl. 111f. (Notiz des Chefs der Heeresrüstung im OKH vom 20.5.1941) Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 125 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3909, Bl. 5-9 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3909, Bl. 20f.; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 121 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870
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der 1938 mit 24% seinen Höhepunkt erreicht hatte, ging mit Kriegsbeginn stark zurück und betrug 1939 14,3%, 1940 nur noch 7,25%.288 Die machtpolitischen Verschiebungen durch den Aufstieg des RMBM wurden in der Bezirksausgleichsstelle Thüringen aufmerksam registriert und es wurden Stimmen laut, die am Fortbestand der Bezirksausgleichsstelle zweifelten. Das RWM beeilte sich, vermittelnd einzugreifen und gerade angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen auf die Notwendigkeit der Bezirksausgleichsstelle zu verweisen.289 Die Rüstungsinspekteure erhielten seit 1941 zusätzliche Funktionen bei der die Arbeitseinsatzlage koordinierenden Auftragslenkung der Wehrmachtstellen und den Bezirksausgleichsstellen übergeordnete Kompetenzen.290 In diesen Kontext ist der energische Ton einer Besprechung beim Rüstungskommando Weimar im März 1941 einzuordnen, bei der der Bezirksausgleichsstelle Thüringen deutlich gemacht wurde, dass bei der Vergabe „von Aufträgen nicht die Bezirksausgleichsstellte mitzureden habe, sondern dies sei lediglich eine Sache der beschaffenden Stellen, der Rüstungsinspektion, der Arbeitsgemeinschaft und des Wehrkreisbeauftragten“.291 Weitere Wünsche solle die Bezirksausgleichsstelle künftig dem Wehrkreisbeauftragten zur Kenntnis vorlegen. Mehrere Faktoren hatte die Situation der Bezirksausgleichsstelle im Krieg nachhaltig beeinflusst.292 Vor allem die konsequente Zentralisierung des Auftragswesens und die Abhängigkeit von Wehrmachtaufträgen veränderten die Bedeutung der Bezirksausgleichsstelle, wobei diese, wie oben beschrieben, nie im engeren Sinne in die Vergabe von Wehrmachtaufträgen eingeschaltet war, sondern lediglich in die Beschaffung des „zivilen“ Wehrmachtbedarfs. Aufgrund organisatorischer Sachzwänge und der oft drängenden Zeit verzichteten die Beschaffungsstellen immer häufiger auf eine Einschaltung der Bezirksausgleichsstelle und wandten sich direkt an die Betriebe oder schalteten, wie in Ostwestfalen-Lippe, private Vermittler ein. Vor diesem Hintergrund boten die Auskämmungen, Stilllegungen und Verlagerungen von Betrieben und Aufträgen in die besetzten Gebiete der Bezirksausgleichsstelle ein neues Betätigungsfeld. Die funktionelle Aushöhlung der Bezirksausgleichsstelle konnte dadurch aber ebenso wenig verhindert werden wie ihre Überführung in die GWK Thüringen unter dem klingenden Namen eines „Auftragslenkungsbüros“ (1943) und später eines „Dezernates für Auftragswesen“ (April 1944).
288 289 290 291 292
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 128-134 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 135 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 49, 51 BA-MA RW 21-62/6, Bl. 33f. Vgl. zum Folgenden Stremmel: Kammern, S. 495-497
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Insgesamt entwickelte sich im „Wirtschaftsgau Thüringen“293 ein effizientes, sich überlagerndes und ergänzendes Geflecht von mit der Kriegs- und Rüstungswirtschaft befassten Organisationen und Behörden, die in ihrer Vielfalt, ihrem Mit- und Gegeneinander, durch gemeinsame, sich überschneidende und gegenläufige Interessen bei der Arbeitskräfte-, Auftrags, Rohstoff- und Industrie(ansiedlungs)politik miteinander vernetzt waren und zugleich zentralisierende wie dezentralisierende Tendenzen aufwiesen. Der Übergang von einer „freien“ zur „gelenkten“ Wirtschaftsform beinhaltete eine zunehmende Aufgabenverteilung auf die regionalen Mittelinstanzen und ermöglichte eine aktive regionale Wirtschaftspolitik, an der die Wirtschaftseliten erheblichen Anteil hatten und damit zur Dynamik und Stabilität des Systems beitrugen. Als das Regime 1942 in eine tiefe strukturelle Krise geriet und der Ruf nach einer „endgültige(n) Klärung“ der „zukünftige(n) Tätigkeit“ lauter wurde, setzte eine umfassende Neuorganisation auf Reichsebene ein. In Weimar sah man diese in der „Mitarbeit bei den grundlegenden Belegungsplänen der Ausschüsse und Ringe einerseits sowie der Lenkungsbereiche und Bewirtschaftungsstellen andererseits“294 und in der weiteren Ausdehnung des gaubezogenen, bisweilen auch darüber hinausgreifenden Aktionsrahmens.
6. Die Stilllegungsaktionen im NS-Gau Thüringen Zum Erreichen der politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Ziele schuf das Regime seit 1934/35, verstärkt noch einmal mit Kriegsbeginn die Voraussetzungen, um dem in weiten Teilen von Staat, Partei und Wirtschaft erkannten engen Beziehungsgeflecht von Krieg und Wirtschaft gerecht zu werden. Ein besonderes Augenmerk lag auf der Ordnung des Arbeitsmarktes, um die mit den Wehrmachteinziehungen einhergehenden Belastungen, die vor allem den Facharbeiterbereich betrafen, aufzufangen. Die Durchführung der Maßnahmen lag in wichtigen Bereichen in den Regionen. Bei den seit 1939 durchgeführten Stilllegungen kam es zu vielfältigen Interessenverflechtungen, -überlagerungen und -konflikten der regionalen und zentralen Behörden.295 So musste bereits 1940 das RWM für die Mitarbeit der BWÄ bei den Stilllegungen, bei denen sie von den Reichsstellen unberücksichtigt blieben, eintreten, um an den Grundzügen der Stilllegungspläne überhaupt beteiligt zu werden.296 Das geplante Verfahren sah vor, dass die BWÄ die bezirkliche Arbeitseinsatzlage erfassten, das RWM die Daten 293 294 295 296
ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4253, Bl. 47 (Rundschreiben Marschlers an die Wirtschaftsämter vom 14.8.1942) ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3870, Bl. 174 Vgl. zu den Stilllegungen 1939/40 BArch R11/72 Vgl. BArch R3101/34608; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4217
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überprüfte und ein Ausgleich zwischen BWA, DAF, LAA, Bezirksgruppen, Bezirksausgleichsstelle und GBW unter Regie des RWM erzielt wurde. Die Stilllegungsverfahren leiteten anschließend die Reichsstellen ein. Die BWÄ räumten im Bedarfsfall eine Verlängerung der Stilllegungsfrist ein. In der Folge kam es zu zahlreichen Versuchen, Einfluss auf die LAÄ/AÄ bei Maßnahmen des Arbeitseinsatzes zu nehmen und die IHK richteten oft ihre Bedarfswünsche unter Umgehung der BWÄ direkt an das RAM.297 In der Mittelinstanz wurden 1941 durch das RWM aus Vertretern von Reichsstellen und BWÄ Wirtschaftskommissionen zur Drosselung kriegsunwichtiger Fertigung gebildet, die die Kriegswichtigkeit von Produkten von der Warenseite her durch Geschäftskontrollen feststellten.298 Die Reichsstellen sollten durch die Wirtschaftskommissionen ein Instrumentarium erhalten, um die Herstellungs- und Verwendungsverbote zu erweitern bzw. die Rohstoffzuteilung besser zu steuern. Die BWA konnten durch die Kontrollfunktion die vom RWM 1940 erlassene Liste entbehrlicher Erzeugnisse erweitern. In der Praxis erlangten sie aufgrund ihres Aufgabenzuschnitts kaum an Bedeutung.299 Eine tendenzielle Ausrichtung der thüringischen Wirtschaft auf die Anforderungen des Krieges erfolgte bereits vor 1939. Trotzdem ergaben sich erhebliche Schwierigkeiten, wie eine Besprechung der führenden Vertreter aus Wirtschaft und Politik im Frühjahr 1940 zu Fragen von Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung in Thüringen zeigt. Offenbar war es ein dringendes Bedürfnis, die Anwesenden in die bestehenden Funktionsstrukturen einzuweisen und eine realistische Bestandsaufnahme der Wirtschaft in Thüringen zu liefern. Zu diesem Zwecke waren 47 Spitzenfunktionäre im BWA unter dem Vorsitz Marschlers erschienen, unter ihnen führende Vertreter von BWA, Oberpräsidium Magdeburg, Vertreter der Handwerkskammer Halle, Landeshandwerkskammer Thüringen, Rüstungskommandos Eisenach und Weimar, der DAF, IHK, Wirtschaftskammer Thüringen, Rüstungsinspektion IX Kassel und des LAA Erfurt.300 Nach einer ersten Stilllegungsaktion 1939, die mit der Rohstoffversorgung begründet worden war und besonders die Textil-, Farben- und Lackindustrie in Thüringen betroffen hatte, wurden die 1940 durchgeführten Stilllegungen zunehmend aufgrund des Arbeitskräftemangels und Wehrmachtsbeschwerden über die Überbelegung in den Betrieben durchgeführt. Da die Industrie Thüringens mit umfangreichen Wehrmachtsaufträgen belegt worden war, stand man den Stilllegungen zur Arbeitskräftefreimachung für die Rüstungs297 298 299 300
Vgl. BArch R3101/34606, Bl. 1-9 Vgl. BArch R43II/608a, Bl. 101-103 Vgl. BArch R3101/34607, Bl. 1 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3899, Bl. 7-9
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produktion skeptisch gegenüber, zumal für einige Wirtschaftszweige (Ernährungswirtschaft, Bergbau, Mineralerzeugung, Energiewirtschaft, Sägeindustrie, Handel) zum Teil erhebliche Ausnahmen bestanden und Betriebe in der Bauwirtschaft Thüringens gar nicht stillgelegt wurden, sondern nur Baustellen. Die dadurch freiwerdenden Arbeiter wurden regelmäßig nicht anderen Industriezweigen zugeführt, sondern zur Auffüllung der Lücken bei Bauvorhaben höherer Dringlichkeitsstufen verwendet. Grundsätzlich wurde bei Stilllegungen zwischen der Metall verarbeitenden und den übrigen Industriezweigen unterschieden. In der Metall verarbeitenden Industrie verfügte das BWA IX b nach Abschluss der Ermittlungen der Industrie-Abteilung sofort die Stilllegung. Bei den übrigen Industrien erhielt das BWA lediglich Angaben und Vorschläge der IHK und der mit den örtlichen Schließungen beteiligten Stellen, die an das RWM weitergeleitet wurden. Erst nach Anhörung der betreffenden Wirtschaftsgruppe erhielt das BWA Nachricht, ob die vorgeschlagenen Betriebe stillgelegt werden konnten. Das BWA erließ dann entsprechend der Weisungen des RWM die Stilllegungsverfügung nach Rücksprache mit dem LAA Mitteldeutschland in Erfurt, das über seine Arbeitsämter die betroffenen Betriebe auf die Arbeitskräftelage überprüft hatte. Soweit die Stilllegung von exportwichtigen Betrieben vorgeschlagen wurde, wurden vom BWA die Vorschlagslisten der jeweiligen Prüfungsstelle übersandt. Bei zahlreichen Betrieben kam eine Totalstilllegung infolge (tatsächlicher oder vorgeschobener) kriegswichtiger Produktion nicht infrage, wohl aber eine partielle Stilllegung in Form des Abzugs eines Teils der Gefolgschaft. Die Listen der hierfür in Frage kommenden, alle Industriebetriebe betreffenden Firmen wurden dem LAA in Erfurt übermittelt worden, welches die Arbeitsämter mit der Durchführung beauftragte. Bei Teilstilllegungen wurde die Inspektion beteiligt. Nach Mitteilungen des LAA Erfurt mussten bis zum 30.4.1940 insgesamt 17.147 Männer und Frauen zur Verfügung gestellt werden, von denen 17.900 durch Freistellungen erreicht werden sollten. Im LAA war man sich freilich bewusst, dass trotz einer insgesamt zufrieden stellenden Aktion von den 17.900 Arbeitskräften nur ein Teil arbeitseinsatzfähig war. Es befanden sich Frauen darunter, deren Zahl über dem eigentlichen Bedarf lag, dringend benötigte Facharbeiter fehlten und es wurde registriert, dass die Betriebe zur Hortung von Arbeitskräften übergingen.301 Das BWA Kassel legte in einer Besprechung mit dem LAA, der DAF, der Rüstungsinspektion, den Rüstungskommandos und den Kammern die für die 301
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3840, Bl. 23; Bernard R. Kroener: Der Kampf um den „Sparstoff Mensch“. Forschungskontroversen über die Mobilisierung der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1942, in: Michalka (Hg.): Der Zweite Weltkrieg, S. 402-417, hier S. 409; zur Veränderung der Arbeitseinsatzlage zwischen September 1939 und Juni 1941 Kroener: Ressourcen, S. 759-778
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Stilllegung infrage kommenden Betriebe fest. Sofortige Stilllegungsbescheide erhielten im Bereich des BWA IX a 97 Betriebe mit etwa 300 bis 400 Gefolgschaftsmitgliedern der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie, die weder Wehrmachtaufträge noch Einzelanweisungen der Mob-Beauftragten vorweisen konnten. Von fast allen Firmen gingen Einsprüche gegen die Bescheide ein. Nur bei 24 Betrieben mit etwa 60 bis 70 Personen konnte diese jedoch aufrechterhalten werden, 73 mussten zurückgezogen werden.302 Unter diesen befanden sich allein 31 Betriebe der Hanauer Schmuckwarenindustrie, die z.T. Wehrmachtaufträge der Berliner Juweliere zur Lieferung von Eisernen Kreuzen vorliegen hatten. Meist handelte es sich um Kleinbetriebe, die nicht mehr einsatzfähige, ältere Mitarbeiter beschäftigten. Andere Betriebe lagen ohne Kenntnis der Kammern bereits still. Für die Betriebe der übrigen Wirtschaftsgruppen wurden die Vorschlagslisten bis zum 5.4.1940 dem RWM zugeleitet, dessen Stellungsnahme nur für einen Teil der Wirtschaftsgruppen einging.303 Auch gegen dessen Beurteilung, die nur für einen Teil der Wirtschaftsgruppen erfolgte, gingen zahlreiche Einsprüche ein, denen z.T. stattgegeben werden musste, da bei ihnen kriegswichtige Aufträge vorlagen oder die Arbeitskräfte nicht in geeigneter Weise einsatzfähig waren. Die „Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtigen Einsatz“ im Bezirk des BWA IX b wurde zunächst durch das BWA/LWA koordiniert, das sich bald als heillos überfordert zeigte.304 Es stellte Listen über die stillzulegenden Betriebe auf305, entschied über die Wirtschaftsämter über die Erlaubnis von Betriebsgründungen bzw. Erteilung von Konzessionen und Gewerbeberechtigungsscheinen306, erfasste Gewerbe-, Lager- und Produktionsräume307 und betrieb seit 1942 auf Weisung des GBA die Verlagerung von Arbeitskräften in die Rüstungsproduktion.308 Das BWA IX b gab die Listen der stillzulegenden Betriebe zunächst an das LAA Mitteldeutschland zur Nachprüfung, das die Zweckmäßigkeit der Stilllegung und die Einsatzfähigkeit der freiwerdenden Arbeitskräfte im Voraus feststellte – eine Maßnahme, die von der Rüstungsinspektion IX explizit als „gut und richtig“309 bewertet wurde, auch wenn damit eine Verzögerung im Stilllegungsmodus einherging. Denn es ergingen bei weitem nicht so viele Einsprüche wie bei der Durch302 303 304 305 306 307 308 309
Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 45f. Vgl. BA-MA RW 21-62/10, Bl. 31 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 9, 34, 107, 130, 154 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 10-32, 35-102, 108-116, 155f., 162f., 225f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 34 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 152 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 209f. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 14
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führung ohne vorherige Prüfung im Bezirk des BWA IX a. Die Schwäche des BWA musste durch Hinzuziehung des RVK austariert werden, der am 1.6.1943 anordnete, dass im „Reichsverteidigungsbezirk Thüringen […] alle Dienststellen des Staates, der Partei und der Wirtschaft verpflichtet sind, die an sie herantretenden Wünsche wegen Betriebsverlagerung usw.“310 unverzüglich an das LWA zu melden. Gerade bei der Frage der Betriebsstilllegungen präsentierte sich ein inkonsequentes Regime. Von den ergangenen Stilllegungsbescheiden, die Stilllegungsfristen liefen bis Ende Juni, wurde eine nicht unerhebliche Zahl wieder aufgehoben.311 Aufgrund der „eingegangenen Beschwerden“312 – wie man im LWA 1943 formulierte –, des damit verbundenen Loyalitätsdrucks und der Angst vor sozialem Prestigeverlust sah man sich gezwungen, einen erheblichen Teil der ergangenen Stilllegungen zurückzunehmen.313 Im Sommer 1941 erstellte die Unterabteilung Einzelhandel der Wirtschaftskammer Thüringen eine Statistik, aus der hervorgeht, dass der Großteil der Stilllegungen nicht aus kriegswirtschaftlichen Überlegungen erfolgte. Von den bis 1941 1.041 geschlossenen Geschäften und Betrieben des Einzelhandels in Thüringen erfolgten 925 aufgrund der Einziehung zum Kriegsdienst, 50 wurden wiedereröffnet, 121 Dauerschließungen und 202 Verkleinerungen ausgesprochen.314 Zudem waren die angewandten Stilllegungsverfahren sehr kompliziert und mussten die partiellen Interessen der Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsorgane (BWA/LWA, Wirtschaftskammer, insbesondere Industrie-Abteilung, Handwerkskammer, IHK, Wehrkreisbeauftragter des RMBM, Rüstungsinspektion IX, Rüstungskommandos, LAA, Technischer Überwachungsverein) berücksichtigen.315 Die quantitativen Ergebnisse der Stilllegungsaktionen sowie die sich bis weit in die zweite Kriegshälfte zunehmend verschärfende Arbeitskräftesituation stützen diese Erkenntnis.316 Ähnlich wie im BWA-Bezirk IX a lagen die Verhältnisse im Bereich IX b. Nach dem Stand von Anfang April 1940 bestand ohne den Bausektor ein Bedarf von etwa 17.000 Arbeitskräften, aus der Stilllegungsaktion wurde die Freimachung von 17.900 Personen erwartet. Tatsächlich erbrachte sie bis Ende Mai 1940 gerade einmal 5.000 einsatzfähige Arbeitskräfte von rund 10.000 erfassten Personen. Der auffallend hohe Prozentsatz nicht einsatzfähiger Kräfte war bedingt durch Alter, Ortsgebundenheit durch 310 311 312 313 314 315 316
ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 153 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 131-151, 158160, 165-172, 175-187, 190-202, 204-208, 212-224 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4255, Bl. 189, 203, 211 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 355 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4325, Bl. 11 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4253, Bl. 33f. Das folgende Zahlenmaterial entstammt der „Geschichte der Rüstungsinspektion IX“ und kann als gesichert betrachtet werden. (Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 14)
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Landwirtschaft und Haushalt, „vor allem aber durch politische Unzuverlässigkeit“317 – so die Rüstungsinspektion IX in ihrem Urteil. Sicherlich trug die zu einem erheblichen Teil geprägte ländliche Wirtschaftsstruktur des BWABezirks IX b ebenso dazu bei, das mit der Stilllegungsaktion anvisierte Ergebnis zu verfehlen. Allerdings räumte die Rüstungsinspektion für den Gau Thüringen ein, dass der zivile Sektor durch die Stilllegungs- und Auskämmaktion nahezu ausgeschöpft war, während sie im Bereich des BWA IX a noch einige Reserven ausmachte.318 Aus Sicht der Rüstungskommandos in Weimar und Eisenach stellte die Stilllegungsaktion 1940 einen völligen Fehlschlag dar, registrierten sie doch aufmerksam, dass aus ihrer Perspektive in Thüringen noch zahlreiche Reserven im Arbeitskräftebereich vorhanden waren, die bei einer rigoros durchgeführten Stilllegung nicht für die Rüstungsindustrie arbeitender Betriebe, z.B. in der Textilindustrie im östlichen Teil des Rüstungskommandos Weimar, freigemacht und der Waffen- und Munitionsproduktion zugeführt werden könnten.319 Die unter der Leitung Marschlers einberufene abschließende Besprechung nach der Stilllegungsaktion 1940, die für den gesamten Bereich des LAA Mitteldeutschland in Thüringen immerhin das beste Ergebnis erzielt hatte320, von den Rüstungsdienststellen im Gau aber offen als „Schlag ins Wasser“321 bezeichnet wurde, geriet denn auch zur Farce. Das BWA gab an, „papiermäßig den Arbeitskräftebedarf“322 bis zum 1.7.1940 decken zu können; da aber nicht alle Arbeitskräfte aus den stillgelegten Betrieben Verwendung fanden und im Sommer mit umfangreichen Einberufungen zu rechnen war, konnte der Gesamtbedarf letzten Endes nicht gedeckt werden.323 Von einer weiteren Stilllegungsaktion versprachen sich die verantwortlichen Stellen im Gau Thüringen ohne eine durchgreifende Änderung der Rahmenbedingungen und Methoden wenig, allenfalls unter Anwendung deutlich schärferer Maßnahmen sah man Chancen, aus unterschiedlichen Bereichen (Handel, zivile und behördliche Verwaltungsstellen, Versicherungen, Verwaltungsstellen der Kommunen, Elektrizitätsgesellschaften, Verwaltungen der Konzerne) weitere Arbeitskräfte zu gewinnen. Das Ergebnis der Stilllegung von Betrieben im Gau Thüringen übermittelte der Vorsitzer der Prüfungskommission im WK IX (Ost), Schieber, am 2.7.1942 in einem unmissverständlichen Schreiben an die RGI: „Die Stille317 318 319 320 321 322 323
BA-MA RW 20-9/20, Bl. 14 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 122 Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 61 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 114 BA-MA RW 21-62/3, Bl. 46 BA-MA RW 21-17/3, Bl. 8 [Hervorh. i. Orig.] Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 114
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gung von Betrieben hat arbeitseinsatzmäßig bisher keine nennenswerten Ergebnisse gebracht.“324 Die von den Aktionen betroffenen, vorwiegend in ländlichen Bezirken liegenden Klein- und Kleinstbetriebe waren aufgrund der mangelnden Mobilität der Arbeitskräfte für Stilllegungen nicht geeignet, so dass die Rüstungsdienststellen und das Gauamt für Technik mit einer neuen Methode versuchten, Arbeitskräfte freizumachen, indem sie kleine Betriebe zusammenfassen und die Unterlieferungen verlegen wollten.325 Die Zentralstellen (Wirtschafts- und Fachgruppen, Reichsstellen) trieben trotz erheblicher Bedenken und sachlich-personeller Probleme der regionalen Behörden die Durchführung der Rationalisierungsmaßnahmen und Fertigungsprogramme voran. Da dadurch im WK IX zahlreiche Arbeitskräfte dem Produktionsprozess hätten entzogen werden müssen, ließ der Bezirksbeauftragte des Hauptausschusses Wehrmachtsgerät für den Westbezirk des WK IX (Gau Hessen-Nassau) durch die IHK in Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern Vorschläge ausarbeiten, um besonders in Engpassorten mit großem Arbeitskräftebedarf die erforderlichen Arbeitskräfte durch Stilllegungen größeren Ausmaßes zu erhalten. Dadurch wären jedoch, so Schieber, auch leistungsfähige Betriebe zum Erliegen gekommen, während leistungsschwächere in ländlichen Bezirken die Produktion aufrechterhielten. Diesen regionalen Bedürfnissen der Produktions- und Arbeitskräfteplanung standen die Reichsstellen und Wirtschaftsgruppen ablehnend gegenüber. Die Gemengelage der strukturellen Probleme der Gauwirtschaft spiegelt ein Schreiben an den Wehrkreisbeauftragten IX des RMBM aus dem Frühjahr 1941 wider. Die Überschreitung der Produktionskapazitäten, der sich abzeichnende Maschinenbedarf, das Arbeitskräfteproblem, Angst vor Preissenkung bei weiterer Leistungssteigerung der Firmen, problematisches Sozialverhalten zahlreicher Jugendlicher, Transportprobleme und Kraftstoffmangel326 hemmten die Straffung und weitere Leistungssteigerung der Kriegswirtschaft.327
324
325 326 327
BArch R3101/34608, Bl. 34. In dieselbe Richtung geht eine Einschätzung des Kommandos Eisenach zur Ende Februar 1942 anlaufenden Maschinenauskämmaktion in den von ihr „betreuten“ Betrieben, die zur Sicherstellung einiger freier Werkzeugmaschinen führte, doch waren „die bisherigen Ergebnisse, gemessen an den an die Aktion gestellten Erwartungen, noch nicht befriedigend“. (Aktennotiz des Rüstungskommandos Eisenach, in: BA-MA RW 21-17/10, Bl. 42) Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 46 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 297, Bl. 19f.; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 300, Bl. 42-45 Vgl. v. Rozycki: Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, S. 40
TEIL 4 DER NS-GAU THÜRINGEN 1942 BIS 1945
I.
Der NS-Gau Thüringen als Reichsverteidigungsbezirk IX b
1.
Die Anpassung der Reichsverteidigungsbezirke an die Gaugrenzen und der NS-Gau Thüringen
Bis 1942 ergab sich in der Mittelstufe folgendes Bild:1 Der RVK, der Führungsstab Wirtschaft, das BWA und das Holz- und Forstwirtschaftsamt als Bestandteile der Mittelbehörde der allgemeinen Verwaltung waren grundsätzlich auf den Wehrkreis ausgerichtet, das LEA/PEA dagegen, das ebenfalls Bestandteil der Mittelbehörde der allgemeinen Verwaltung war, auf den Bezirk der Landesbauernschaft, das LAA und der Treuhänder der Arbeit auf ihre bisherigen (friedensmäßigen) Wirtschaftsbezirke. Sämtliche für die Reichsverteidigung bedeutsamen Organisationsbezirke deckten sich zumeist nicht mit den friedensmäßigen Bezirken der Mittelbehörden der allgemeinen Verwaltung. Die vielfachen Überschneidungen der Grenzen der Verwaltungs- und Wirtschaftsbezirke mit denen der Wehrkreise erschwerten die Steuerungsfunktionen der RVK und die Durchführung der drängenden Aufgaben der Reichsverteidigung der nachgeordneten Behörden, die ab der Kriegswende 1941/42 zunehmend akuter wurden. Während im Wehrkreis bis 1942 der RVK und der Führungsstab Wirtschaft, das BWA, das Holz- und Forstwirtschaftsamt mit dem Wehrkreis als Aktionsraum, ferner die höheren Behörden der allgemeinen Verwaltung, das LEA, die Organe der Arbeitsverwaltung, die Wirtschaftskammern und die IHK mit jeweils verschiedenen Verwaltungsbezirken überdacht waren, nahmen bei der unteren Verwaltungsbehörde Wirtschaftsämter die Aufgaben der gewerblichen Wirtschaft, Ernährungsämter die Aufgaben auf dem Gebiet der Ernährungswirtschaft als Bestandteile der unteren Verwaltungsbehörde wahr. Der bis zum Kriegsbeginn nur der Aufsicht des RMEL unterstellte Reichsnährstand war in der unteren Instanz mit den Kreisbauernschaften in die Ernährungsämter, in der Ebene der Provinzen und Länder mit den Landesbauernschaften in die LEÄ/PEÄ eingegliedert worden. Neben diesen wirtschafts- und verwaltungsorganisatorischen Maßnahmen im zivilen Bereich traten die Aktivitäten der Wehrmacht für die von ihr „betreuten“ Rüstungsbetriebe, die in der re-
1
Vgl. zum Folgenden auch Stuckart: Führung und Verwaltung, S. 25-35
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gionalen Instanz über die Rüstungsinspektionen und diesen nachgeordnete Rüstungskommandos auf der Wehrkreisebene verfügte. Durch die Verordnungen vom 27.8., 1.9. und 22.9.1939 wurde der organisatorische Rahmen für eine Neustrukturierung der Mittelinstanz geschaffen. Die Maßnahmen berücksichtigten aber nicht ausreichend genug die regionalen Verhältnisse und sorgten zudem für erheblichen Konfliktstoff unter den Eliten. Der Kern des Problems bildete die Suche nach einer neuen Mittelinstanz und die mit zunehmender Kriegsdauer von dieser zu bewältigenden Kriegsanforderungen2, vor deren Hintergrund Frick 1940 die Reichsstatthalter, Länderregierungen und Oberpräsidenten darauf hinweisen musste, dass „der Führer nachdrücklich wünscht, daß alle Meinungsverschiedenheiten über Zuteilung des Gebiets eines Gaues zu einem anderen Gau während des Krieges unterbleiben und überhaupt nicht, vor allem nicht in Presseäußerungen, erörtert werden“3 durften. Die regionalen Potentaten wurden ermahnt, gaubezogene Interessen nicht über die des Reiches zu stellen und allem Drängen nach Gebietsneugliederungen wurde mit Verweis auf die Nachkriegszeit eine Absage erteilt. Nur zwei Wochen später, am 20.6.1940, sprach Göring als Vorsitzender des Ministerrats allerdings von einer „Neuordnung der Bezirke der RVK und der Wirtschaftsverwaltung“4. Die Verordnungen vom 27.8., 1.9. und 22.9.1939 erwiesen sich in der Praxis als nur partiell praktikabel und sorgten für teilweise enorme Reibungen zwischen den Funktionseliten in Wehrmacht, Staat, Partei und Wirtschaft.5 Der ursprüngliche Zeitpunkt einer Neugliederung der RV-Bezirke, der 1.7.1940, war jedoch nicht realisierbar, da ein tragfähiges Konzept fehlte und militärische Belange Vorrang hatten. So dauerte es noch mehr als zwei – konfliktreiche – Jahre, bis am 16.11.1942 die „Verordnung über die Reichsverteidigungskommissare und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung“6 in Kraft trat. Die bisherigen RV-Bezirke wurden aufgehoben, den Parteigauen angeglichen und alle Gauleiter zu RVK ernannt.7 Treibende Kräfte hinter der Verordnung waren offenbar Speer und Goebbels aus Gründen der Rüstungs- und Propagandaeffizienz sowie Bor2 3 4 5
6 7
Vgl. Stuckart/v. Rozycki: Reichsverteidigung, S. 6 ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 21, Bl. 311 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 67 Beispielsweise konkurrierten in Bayern sechs Gauleiter um Zuständigkeitsbereiche. Vgl. hierzu Winfried Müller: Gauleiter als Minister. Die Gauleiter Hans Schemm, Adolf Wagner, Paul Giesler und das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1933, in: ZfbL 60 (1997), S. 973-1021; Diehl-Thiele: Partei, S. 75-111 Vgl. RGBl I, 1942, S. 649-656 Vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 278-282; Hüttenberger: Gauleiter, S. 156-158; Neumann: Behemoth, S. 560f.; Teppe: Reichsverteidigungskommissar, S. 287f.; Naasner: Machtzentren, S. 177f.
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mann und die auf Dezentralisierung drängenden Gauleiter aus machttaktischen und parteipolitischen Erwägungen.8 Die Verordnung trug der Tatsache Rechnung, dass die Bewältigung der drängenden, von den Kriegsanstrengungen und -folgen initiierten Herrschafts-, Organisations- und Mobilisierungsprobleme die Arrondierung von Herrschaftsbefugnissen in einer Mittelinstanz voraussetzte. Die Gauleiter wurden durch die Verordnung von Amts wegen, also aufgrund ihrer Parteifunktion, mit den Aufgaben der RVK als staatlicher Mittelinstanz betraut und durch die Konzentration wesentlicher Kompetenzräume erhielten die Tendenzen zur „Etablierung regelrechter Gauherrschaften“9 weiter an Dynamik. Die Verordnung entwirrte sich überlagernde Zuständigkeiten, Kompetenzen und komplizierte Unterstellungsverhältnisse, vereinfachte durch die Anpassung der Grenzen der RV-Bezirke an die Gaue die regionalen Herrschaftsmechanismen und stellte in ihrer Funktionalität einen wesentlichen Schritt hin zur Durchsetzung der Gaue als etatmäßige Organisationseinheiten des Reiches dar.10 Der Schwerpunkt des gesamten öffentlichen zivilen Lebens in den Regionen lag nun bei den mit immer neuen Funktionen ausgestatteten Gauen.11 Dass die Verordnung Hitlers Abneigung gegenüber geordnetem Verwaltungshandeln12 Rechnung trug, zeigt ein Passus aus Bormanns Rundschreiben an die Gauleiter: „Da die Reichsverteidigungskommissare nicht Behördenchefs der in der Verordnung aufgeführten Behörden sind, werden sie von verwaltungsmäßiger Belastung und Verantwortung freigestellt. Sie können sich daher ausschließlich darauf beschränken, die Angelegenheiten der zivilen Reichverteidigung nach großen politischen Gesichtspunkten zu führen und zu lenken, ohne sich in verwaltungsmäßige Einzelheiten verlieren zu müssen.“13 Mit der Verordnung vom 16.11.1942 erhielten alle Gauleiter als RVK die Befugnis, „den zivilen Behörden ihres Wirkungsbereichs […] Weisungen in allen Reichsverteidi-
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13
Vgl. das Rundschreiben Bormanns an die Gauleiter vom 16.11.1942, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470 n. pag. Rebentisch: Führerstaat, S. 278 Vgl. Rebentisch: Innere Verwaltung, S. 753-757 Vgl. die „Dienstanweisung für die RVK“, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470, n. pag. Vgl. zur Abneigung Hitlers gegenüber rationalem Verhaltungshandeln die vielen Hinweise bei Speer: Erinnerungen, v.a. S. 244-279; Broszat: Staat, S. 382-387; Rebentisch: Führerstaat, S. 41f.; Kershaw: Hitlers Macht, S. 175-177 Rundschreiben Bormanns vom 16.11.1942, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470 n. pag. Inhaltlich vertieft wurde die konzeptionelle Positionierung der RVK durch eine Dienstbesprechung der RVK im RMI vom 11.12.1942, bei der die Aufgabe der RVK als eine lenkende und steuernde, nicht als verwaltende definiert wurde. (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 319, Bl. 38)
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gungsangelegenheiten für ihren Bezirk zu erteilen.“14 Für diejenigen Aufgaben, die innerhalb eines Wehrbezirks einer einheitlichen Lenkung bedurften, und um die Tätigkeit der Wehrkreisbefehlshaber, die nicht mehr mit einem, sondern mit mehreren RVK zu tun hatten, zu vereinfachen, bestimmten Göring und Bormann einen „federführenden“ RVK.15 Zur Unterstützung der RVK wurden Verteidigungsausschüsse gegründet, die sich aus den Funktionseliten von Staat, Partei, Wirtschaft und Wehrmacht zusammensetzten. Ihnen gehörten an: Gauleiter, Reichsstatthalter, Oberpräsidenten, Ministerpräsidenten und Minister der Länder, Regierungspräsidenten, HSSPF, Leiter der Reichspropagandaämter, deren Bezirke ganz oder teilweise im Bezirk des RVK lagen, die Leiter des LWA, LEA, Forst- und Holzwirtschaftsamtes, der Wasserstraßendirektion, Nbv, LAA-Präsident, Reichstreuhänder der Arbeit, Oberfinanzpräsidenten, Präsidenten der Reichsbahn- und Reichspostdirektion, Leiter der GWK, Rüstungsinspekteure, Leiter der Rüstungskommandos, Baubevollmächtigte des Speer-Ministeriums und der Gaubeauftragte des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft, deren Bezirke ganz oder teilweise im RV-Bezirk lagen.16 Der RVK konnte weitere Funktionsträger zu den Beratungen hinzuziehen. Insgesamt spiegelt die Zusammensetzung der RV-Ausschüsse die innere Verfassungs- und Verwaltungsstruktur17 des Reiches wider. Zum einen trug sie den sich verschiebenden Machtverhältnisse auf Reichsebene Rechnung18 (Aufstieg Speers zum Wirtschaftsdiktator19, Immediatsstellung Goebbels´ durch die (fast) alleinige Verantwortung für den von Hitler zunehmend gemiedenen Propagandabereich20). Zum anderen wurde der personelle Rahmen um etwa ein Drittel reduziert und bezog sich ausschließlich auf Personen, deren Wirkungsbereich im Gau lag, wodurch territoriale Zuständigkeitsprobleme entfielen und eine höhere Effizienz erzielt werden konnte. 14 15 16 17 18 19 20
RGBl I, 1942, S. 649 Vgl. RGBl, I, 1942, S. 650; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470 n. pag. Vgl. RGBl I, 1942, S. 650 Rebentisch schlägt vor, statt vom NS-Herrschaftssystem von Herrschafts-„Gefüge“ oder Macht-„Gebilde“ zu sprechen. (Vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 14) Vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 283-498; ders.: Innere Verwaltung, S. 768-774; Ruck: Führerabsolutismus, v.a. S. 44-56; Neumann: Behemoth, S. 553-581 Vgl. Speer: Erinnerungen, S. 219-243, 280-290, 405-419; Müller: Speer und die Rüstungspolitik; Janssen: Ministerium Speer Vgl. Broszat: Staat Hitlers, S. 389f.; Ralf Georg Reuth: Goebbels, 3. Aufl., München u. a. 1995, S. 481-547; Joachim C. Fest: Gesicht des Dritten Reiches. Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, 11. Aufl., München/Zürich 1994, S. 134-136
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Mitglieder (kraft Amtes) des Verteidigungsausschusses für den Wehrkreis IX b (ab 1942)21 1. Fritz Sauckel 2. Willy Marschler 3. Walter Ortlepp 4. Curt v. Ulrich 5. Philipp von Hessen 6. Konrad v. Monbart 7. Dr. Otto Weber 8. Josef Erbprinz zu Waldeck-Pyrmont 9. Dr. Reinhold Thiel 10. Wilhelm Brüstlin 11. Dreyer 12. Raeber 13. Dr. Karl H. Wiesel 14. Prof. Rudolf Jung 15. Dr. Hillmer 16. Dr. Rabes 17. Dr. Wildberger 18. Wilhelm Schindke 19. Dr. Fix 20. Schmidt 21. Andreä 22. Kleinmaier
- RVK WK IX b, Gauleiter und Reichsstatthalter Thüringen - Ministerpräsident von Thüringen - Staatssekretär und Leiter des Thüringischen Innenministeriums - Oberpräsident der Provinz Sachsen, Preußischer Staatsrat - Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau, Preußischer Staatsrat - Regierungspräsident Provinz Hessen-Nassau - Regierungspräsident Provinz Sachsen - HSSPF des Oberabschnitts Werra-Fulda (Wehrkreis IX) mit Dienstsitz in Kassel - Präsident der GWK - Oberbereichsleiter des Reichspropagandaamtes, Gaupropagandaleiter - Landesforstmeister des Forst- und Holzwirtschaftsamtes - Nbv - Reichstreuhänder der Arbeit - Präsident des LAA Thüringen - Oberfinanzpräsident, Magdeburg - Präsident der Reichsbahndirektion, Erfurt - Präsident der Reichspostdirektion - Rüstungsinspekteur der Rüstungsinspektion IX, Generalmajor - Kommandierender Stellvertreter des Rüstungskommandos Weimar, Oberst - Rüstungskommando Eisenach, Oberstleutnant - Baubevollmächtigter des Reichsministeriums Speer im Bezirk der Rüstungsinspektion IX - Gaubeauftragter des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft für den Gau Thüringen
Hinzugezogen wurden zusätzlich Vertreter der Wehrmacht (Wehrkreisbefehlshaber General der Infanterie Schellert, Luftgaukommandeur General
21
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 475, Bl. 32, 34
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217
Hoffmann) und weitere Funktionseliten des Gaues (z.B. Gaustabsamtsleiter, Vorsitzer der Rüstungskommission). Durch die Beseitigung territorialer Zuständigkeitsüberschneidungen wurde das Verwaltungshandeln in den Gauen erheblich vereinfacht. Hinsichtlich der formell-sachlichen Zuständigkeiten brachte die Verordnung vom 16.11.1942 keine gravierenden Veränderungen. Sie beschleunigte vielmehr die Entwicklung zum Gau als verwaltungstechnische Mittelinstanz und den Anspruch der Gauleiter als NS-Führungselite22 und ist in den größeren Rahmen einzuordnen, die „gebietliche Gliederung von Partei, Staat und möglichst auch Wehrmacht miteinander in Einklang zu bringen.“23 Göring veranlasste im gleichen Zeitraum die Anpassung der Luftgaue an die Gaue der NSDAP, so dass diese einen oder mehrere Gaue umfassten. Die Zuständigkeiten im RV-Bezirk Thüringen überschnitten sich trotz der Regelung vom 16.11.1942 auf vielfältige Weise, da der Gau Thüringen im Bereich der staatlichen Verwaltung in die Zuständigkeit anderer Behördenchefs fiel. Der Regierungsbezirk Erfurt lag zwar im NS-Partei-Gau Thüringen, in funktionell-staatlicher Hinsicht jedoch gehörte er zur preußischen Provinz Sachsen und unterstand insoweit dem Oberpräsidenten Curt von Ulrich. Insgesamt vereinfachte die Verordnung vom 16.11.1942 zwar die Verwaltungsstrukturen quantitativ, das leidige Problem der konkurrierenden Zuständigkeiten konnte (und sollte) qualitativ nicht endgültig beseitigt werden. Deshalb dachte Stuckart, die rechte Hand Fricks in Verfassungs- und Gesetzgebungsfragen, an eine pragmatische Regelung, als er der Parteikanzlei vorschlug, Sauckel die Befugnisse eines Oberpräsidenten im Regierungsbezirk Erfurt zu übertragen. Aus grundsätzlichen Überlegungen und der Tatsache, dass die Verordnung vom 16.11.1942 einen vorläufigen Schlussstrich ziehen sollte, lehnte die Reichskanzlei den Vorschlag Stuckarts (zu diesem Zeitpunkt) ab.24 Durch die Anpassung der RV-Bezirksgrenzen an die Gaugrenzen und die damit einhergehende funktionelle Aufwertung der Gaue erhielten die nun alle zu RVK ernannten Gauleiter die Aufgabe der maximalen Mobilisierung der wirtschaftlichen, sozialen und personellen Ressourcen im Innern und damit trugen sie eine hauptsächliche Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Regimes im Krieg. Die Thüringer Gauführung sah in der Verordnung vom 16.11.1942 eine willkommene Gelegenheit, ihre gaubezogenen Arrondierungspläne weiter zu forcieren. Bereits Anfang 1943 beantragte Sauckel bei Stuckart im Bereich 22 23 24
Vgl. ergänzend IMT V, S. 350f.; IMT XIV, S. 453; IMT XVI, S. 557f. Rundschreiben Bormanns vom 16.11.1942, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 470 n. pag. Vgl. zum gesamten Vorgang Teppe: Reichsverteidigungskommissar, S. 288-290
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des RV-Bezirks Thüringen, den Regierungsbezirk Erfurt und die Kreisherrschaft Schmalkalden dem Reichsstatthalter in Thüringen verwaltungsmäßig zu unterstellen und die Regierungen in Weimar und Erfurt zusammenzulegen. Parallel dazu forderte er die Eingliederung des Stadt- und Landkreises Altenburg (Wehrkreis IV) und des Landkreises Sonneberg (WK XIII) in den WK IX, um die Zerstückelung Thüringens in dieser Hinsicht zu beenden25, was vom OKW unter dem fadenscheinigen Verweis auf die damit befürchteten „schwere(n) Beeinträchtigungen der zur Zeit besonders notwendigen militärischen Kräfteentfaltung“26 zurückgewiesen wurde.
2.
Die Ausweitung der Gaufunktionen in der inneren Administration – Beispiele
Die Tendenz zur Anpassung von Verwaltungs- an die Gaugrenzen setzte sich im Krieg vollends durch. Die Kontrolle des sozialen Wohnungsbaus27 reihte sich in diese Entwicklung mit der Ernennung des DAF-Führers Ley28 am 15.11.194029 zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau ein.30 Am 22.11.1940 bestätigte Ley die Gauleiter gemäß des Erlasses als Gauwohnungskommissare, bestimmte die Gauobmänner der DAF zu deren Stellvertretern und berief die Leiter der Gauheimstättenämter zu Geschäftsführern der Dienststelle des Gauwohnungskommissars.31 Die Gauwohnungskommis25 26 27
28
29 30
31
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 1, Bl. 2 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 1, Bl. 1 Vgl. Ulrike Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und „Wohnraumarisierung“ am Beispiel Münchens (=Studien zur Zeitgeschichte 57), München 1999. Vgl. Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg (=Studien zur Zeitgeschichte 29), München 1985; Ronald Smelser: Robert Ley. Hitlers Mann an der „Arbeitsfront“. Eine Biographie, Paderborn 1989, S. 418-429, zum Vordringen Leys in den Wohnungsbau seit 1933 S. 199-201, 273-278 Vgl. RGBl I, 1940, S. 1495-1498 Vgl. Marie-Luise Recker: Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau. Zu Aufgabe, Stellung und Arbeitsweise einer führerunmittelbaren Sonderbehörde, in: Rebentisch/Teppe: Verwaltung., S. 333-350; ferner zur Bildung derartiger Sonderbehörden Broszat: Staat, S. 363-402; Rebentisch: Führerstaat, S. 331-369, zum Reichswohnungskommissar v.a. S. 336-345; Neumann: Behemoth, S. 557f.; RGBl I, 1942, S. 623 Vgl. Anordnung Nr. 4/40 des Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau, nach: Recker: Reichskommissar, S. 340. Recker beschreibt detailliert und gründlich die Genese des Führererlasses zur Berufung eines Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau und stellt die Problem- und Konfliktfelder zwischen RMI, RAM, Speer-Ministerium, Partei-, Reichskanzlei und dem Reichskommissar für den Wohnungsbau dar. Ergänzend zu Aufgabenbereichen und Dienststellen der Gauwoh-
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sare übernahmen Schlüsselfunktionen bei der Erstellung von Wohnungsbauprogrammen und der Finanzierung der Bauprogramme durch die Einrichtungen der Wirtschaft und konnten im Rahmen der Gesetze und nach Maßgabe der ihnen von den Obersten Reichsbehörden erteilten Weisungen allen unmittelbar oder mittelbar mit dem Wohnungsbau befassten Behörden des Gaugebiets Anordnungen geben.32 In den Gauen wurden bei den Lenkungsbehörden der Gauleiter als Gauwohnungskommissare Wohnungs- und Siedlungsämter33 errichtet, denen als geschäftsführende Behörden die Aufgabe übertragen wurde, „nach Weisung der Gauwohnungskommissare alle Maßnahmen zu fördern, die in planerischer, finanzieller und technischer Hinsicht zur Lenkung und Steuerung des Wohnungsbaus im Gau durch die Gauwohnungskommissare getroffen werden.“34 Die Verordnung35, die am 30.8.1941 in Kraft trat, brachte vielfache Probleme in der Mittelinstanz mit sich und die Klagen der Gauleiter ließen nicht lange auf sich warten36, so dass erst am 27.2.1943 eine endgültige Regelung gefunden wurde.37 Leys Plan, in der Gauinstanz besondere Wohnungsabteilungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu errichten, wurde nicht realisiert.38 Das Wohnungs- und Siedlungsamt wurde im Gau Thüringen an Marschlers Wirtschaftsministerium angebunden. Die Behörde des Gauwohnungskommissars gliederte sich personell und strukturell wie folgt:39
32 33 34 35 36 37 38 39
nungskommissare BArch R1501/1/365 sowie die Erlasse und Anordnungen des Reichswohnungskommissars zwischen 1940 und 1944, in: BArch R3901/2150921516 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 158 Vgl. BArch R43II/1033b, Bl. 42f., 50, 244f.; ergänzend BArch R43II/1033a, 1306a, 1307 Verordnungs-Entwurf, Anlage zu RMI an Reichskanzlei vom 29.8.1941, zit. nach: Recker: Reichskommissar, S. 342 Vgl. BArch R3901/21508 Vgl. Recker: Reichskommissar, S. 343 Vgl. RGBl I, 1943, S. 127-130, 355-358 Vgl. BArch R43II/1033b, Bl. 15 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 118, Bl. 140; ergänzend zur Durchführung des Wohnungssiedlungsgesetzes in Thüringen zwischen 1933 und 1937 BArch R3901/21175
220
Gauwohnungskommissar Leiter der Lenkungs- und Steuerungsbehörde (Thüringisches Wirtschaftsministerium) Vertreter Marschlers Büroleiter des Gauwohnungskommissars Sachbearbeiter
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Gauleiter Sauckel Ministerpräsident Marschler Ministerialrat Höfling40 Regierungsamtsmann Schneider Oberregierungsrat Dr. Müller Assessor Miensopust
Durchführende Behörden der Weisungen des Gauwohnungskommissars waren das Thüringische Wirtschaftsministerium und die Regierung in Erfurt.41 Marschler, Leiter des Gauheimstättenamtes und seit 1936 Gauobmann der DAF, stand dem Wohnungsbaueinsatzamt vor. Mit den Hauptgruppen A (Wohnungsbauwirtschaft) und B (Verwaltung und Recht) übernahm das Gauheimstättenamt als untergeordnete Behörde des Wohnungsbaueinsatzamtes die Baudurchführung im Gau.42 Der Aufgabenbereich der Gauwohnungskommissare reichte tief in die nationalsozialistische Sozialpolitik hinein und übertrug ihnen erhebliche Steuerungsfunktionen.43 Sie waren verantwortlich für alle den Wohnungsraum betreffenden Angelegenheiten44, ihre Kompetenzen reichten von der sehr vage formulierten „allgemeinen Lenkung und Steuerung des Wohnungsbaus“ und „allgemeine(n) und grundsätzliche(n) Fragen des Wohnungsbaus“45 über die Verwendung öffentlicher Mittel zur Förderung des Wohnungsbaus bis hin zu Befugnissen bei Preisgestaltung, Festsetzung der Mieten, Erteilung von Ausnahmegenehmigungen sowie der Meldepflicht unbenutzten bzw. nicht ausgelasteten Wohnraums. Auf der unteren Verwaltungsebene wurden in Thüringen die Bürgermeister und Landräte mit den notwendigen Befugnissen zur Erfassung und Wohnraumlenkung ausgestattet. Parallel zur Berufung der Gauwohnungskommissare erhielt das RMBM 1943 per Führererlass wichtige Kompetenzen bei der Sicherstellung von Räumen zur Aufnahme von Rüstungsfertigungen aus luftgefährdeten 40
41 42 43 44
45
Höfling war zugleich Abteilungsleiter der Geschäftsabteilung VI B (Landwirtschaft, Staatsgüterverwaltung, Wohnungs- und Siedlungswesen) im Thüringischen Wirtschaftsministerium. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 118, Bl. 79-89) Vgl. BArch R43II/1033b, Bl. 7, 98 Vgl. BArch R43II/1033b, Bl. 40 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1943, Nr. 3, S. 13 Die „Anordnung zur Wohnraumlenkung“ ergänzte die „Anordnung über die Pflicht zur Anmeldung unbenutzter gewerblicher Räume“. (Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1943, Nr. 3, S. 13f.) ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 119, Bl. 29
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Gebieten und zur Unterbringung von Rüstungsarbeitern aus luftgefährdeten Gebieten.46 Dadurch wurden die RMBM-Dienststellen ermächtigt, die Verlagerung der Rüstungsproduktion durchzuführen und für die Unterbringung der Rüstungsarbeiter und deren Familien zu sorgen. Die damit verbundene Beschlagnahmung von Räumen mit den zur Unterstützung aktivierten RVK überschnitt sich mit deren Kompetenzen als Gauwohnungskommissare. Zur Durchführung wurde unter Anwendung des Reichsleistungsgesetzes die Leistungspflicht auch auf die Partei, ihre Gliederungen, Reichsbehörden und Wehrmacht angewandt.47 Um das RMBM machtpolitisch im Zaum zu halten, wurden die RVK als Gegengewicht installiert, die in Zusammenarbeit mit den Rüstungsinspektionen, die freilich als RMBM-Dienststellen fungierten, Verlagerung und Inanspruchnahme verhindern konnten.
46 47
Vgl. BArch R43II/667a, Bl. 23; ergänzend BArch R3/1988, Bl. 62f. Vgl. BArch R43II/667a, Bl. 25f.
Leiter des Wohnungsbaueinsatzamtes (Ministerpräsident Marschler)
Parteidienststellen
Hauptgruppe A Wohnungsbauwirtschaft
Gemeinnützige und andere Bauherren
Hauptgruppe B Verwaltung und Recht
Gauheimstättenamt (Ministerpräsident Marschler)
Gauobmann der DAF (Ministerpräsident Marschler)
Geschäftsführende Behörde: Wohnungs- und Siedlungsamt
Thüringisches Wirtschaftsministerium (Ministerpräsident Marschler) Regierung Erfurt (Regierungspräsident Weber)
Durchführende Behörden:
Lenkungs- und Steuerungsbehörde: Thüringisches Wirtschaftsministerium (Ministerpräsident Marschler)
Gauwohnungskommissar: Gauleiter Fritz Sauckel
Sonderbehörden
Dienststellen des Staates, der Gemeinden und der öffentlichen Körperschaften
Sonstige angegliederte Behörden
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Organisation des Gauwohnungskommissars im NS-Gau Thüringen (eigener Entwurf; vgl. ergänzend BArch R43II/1033b)
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Die militärischen Rahmenbedingungen führten im Zusammenhang mit den auf dem Erlassweg eingeleiteten Kompetenzverschiebungen zunehmend zur eigenmächtigen Belegung von Ausweichunterkünften durch Behörden an den RVK-Kompetenzen vorbei. Die Gauleiter, von der in die Gaue strömenden Zivilbevölkerung bereits vor erhebliche Schwierigkeiten bei Unterbringung und Versorgung gestellt, wollten wenigstens die Raumlenkung in ihren Händen halten und holten sich Rückendeckung bei Bormann und Lammers.48 Am 9.9.1943 erging der Führererlass über die Errichtung des Deutschen Wohnungshilfswerkes49 zur Beschaffung von Unterkünften für Luftkriegsbetroffene, dessen Organisation beim Reichswohnungskommissar lag. In den Gauen erhielten damit die Gauleiter als dessen nachgeordnete Instanzen weitere Eingriffsmöglichkeiten in die Raumbelegung. Seinen Abschluss fand dieser Prozess im Führererlass über den Ausgleich kriegswichtigen Raumbedarfs50 vom 12.11.1943, mit dem unter Anwendung des Reichsleistungsgesetzes zur „Sicherung der planmäßigen Lenkung des Bedarfs der Rüstungsund Kriegsproduktion und des sonstigen Raumbedarfs“ die strukturellen Rahmenbedingungen neu geordnet und die RVK endgültig mit der zivilen Raumbewirtschaftung in ihren Gauen beauftragt wurden. Sie erhielten ein umfassendes Informationsrecht und die vage Formulierung der Koordination der „Raumverteilung nach übergeordneten Gesichtspunkten“ bot zahlreiche Interventionspunkte.51 Für die Durchführung des Erlasses bediente sich der RVK Thüringen des Referates W des Innenministeriums (Regierungsamtsmann Hanf) als der geschäftsführenden Behörde und der unteren Verwaltungsbehörden, bei denen ein Sachgebiet für die Bearbeitung von Raum- und Unterbringungsfragen errichtet wurde. In der Mittelstufe wurde der Landesund Bezirksplaner in die Aufgaben einbezogen.52 Im Februar 1944 ließ Sauckel in der Umsetzung dieser Maßnahmen die unteren Verwaltungsbehörden anweisen, jede von außerhalb des RV-Bezirkes Thüringen kommende Bedarfsmeldung mit mehr als 1.000 qm Nutzfläche, mehr als 150 Arbeitskräften oder besonders wichtigen Verlagerungsvorhaben zu melden.53 Der Landesplaner avancierte zu einer wichtigen Koordinationsstelle im Gau Thüringen, der von jeder Raumzuweisung sofort Kenntnis erhalten sollte. Das RMI versuchte vergeblich, der Eingriffe des RVK im Gau Thüringen in den Ausgleich des Raumbedarfs Herr zu werden.54 Der RVK dirigierte selbst in 48 49 50 51 52 53 54
Vgl. BArch R43II/667a, Bl. 15 Vgl. RGBl I, 1943, S. 535f. Vgl. RGBl I, 1943, S. 659f. Vgl. BArch R43II/667a, Bl. 93f. Vgl. Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern Nr. 1 1944, Sonderabdruck Nr. 1, S. 7-14 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 12, Bl. 3 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 310, Bl. 38f.
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hohem Maße in die Raumbewirtschaftung hinein und wies damit weit über die eigentliche Funktion einer Regulierungsbehörde im Konfliktfall hinaus, umging nahezu vollständig die unteren Verwaltungsbehörden und entwickelte über die Aufgabe des Ausgleichs des Raumbedarfs hinausreichende Steuerungskonzepte. Das RMI forderte angesichts dieser Mechanismen, die auf Kompetenzen jenseits der Reichsregelung verwiesen, die Kontrolle des Thüringer RVK insbesondere bei dessen Einschaltung anstatt der unteren Verwaltungsbehörden. In den ersten Kriegsjahren blieb das Amt des RVK, wenngleich nicht frei von Konflikten, von tendenziell untergeordneter Bedeutung, da das Ausbleiben militärischer Bedrohungspotenziale RV-Maßnahmen nicht notwendig erscheinen ließen. Gleichwohl bildete diese Phase als Erprobungs- und Positionierungszeitraum einen wichtigen Abschnitt für den Funktionsausbau der Gaue und deren Führungspersonal. Mit der Kriegswende 1941/42 gewann das Amt zunehmend an Bedeutung. In Fortführung des Führererlasses über die Verwaltungsvereinfachung vom 28.8.193955, mit dem RV-Aufgaben der Vorrang vor anderen Verwaltungsaufgaben eingeräumt worden war, erging am 9.3.194256 ein weiterer Führererlass, der die Dezentralisierung der Personalverwaltung vorantrieb und das Beamtenrecht (Ernennung, Entlassung, Pensionierung) für die unteren Besoldungsgruppen (A4-11) von den Reichsministerien auf die Mittelinstanz übertrug. Am 19.3.1942 delegierte die Verordnung das Erlaubniswesens der Berufs- und Gewerbezulassung von Obersten Reichsbehörden auf die Mittelstufe und dezentralisierte das Aufsichtswesen über Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts.57 GBV und VJP-Beauftragter erließen am gleichen Tag eine Anordnung zur Entlastung der Reichsbehörden bei der Verwaltungsdurchführung und Verwaltungsaufsicht durch die Dezentralisierung von Genehmigungen, Erlaubnissen, Zulassungen und Befreiungen58, die Einschaltung der Reichsbehörden in mittelinstanzliche Verwaltungsmaßnahmen war aber weiterhin bei „Reichsinteresse“ und damit jederzeit möglich. Seit den militärischen und kriegswirtschaftlichen Veränderungen der Jahreswende 1941/42 verstärkten sich parallel zentralisierende und dezentralisierende, die bezirklichen Strukturen stärkende Tendenzen in der Reichsverfassung zugunsten einer Aufwertung der regionalen Ebene. Diese Entwicklungen wurden von den Gauleitern nur zu gern aufgenommen. Der Gauleiter und Oberpräsident von Pommern, 55 56 57 58
Vgl. RGBl I, 1939, S. 1535-1537 Vgl. RGBl I, 1942, S. 119 Vgl. RGBl I, 1942, S. 129f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 15, Bl. 22; BArch R43II/657, Bl. 232
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Schwede-Coburg, forderte 1942 zur Durchsetzung der Vereinfachungsmaßnahmen in der Verwaltung59 durchgreifende Strukturveränderungen zur „Wiederherstellung der Einheit der Verwaltung“ und meinte damit die Eingliederung aller Sonderverwaltungen in den staatlichen Instanzenzug nach dem Vorbild der Reichsgaue, da „der jetzige Zustand nicht länger beibehalten werden kann, weil die nötigen Kräfte dazu einfach nicht mehr vorhanden sind“. Und Mutschmann verlangte etwa zur gleichen Zeit die Schaffung eines „einfachen Behördenaufbaus“ und die Beseitigung des behördlichen Nebeneinanders.60 Mit dem Führererlass vom 13.1.194361 über den umfassenden Einsatz der Männer und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung erhielten die RVK ein umfassendes Auskunftsrecht. Sie waren für die Durchführung aller kriegswichtigen Aufgaben in ihren Gauen verantwortlich und besorgten den personellen Ausgleich zwischen den einzelnen Verwaltungsstellen der Mittelstufe, was sich nur deshalb nicht ausgewirkt hatte, so Rebentisch, weil „den Absichten der Gauleiter häufig Weisungen der jeweiligen Zentralbehörden entgegenstanden.“62 Die in der Reichskanzlei geplante Zusammenlegung der in Personalunion geleiteten Thüringischen Länderministerien (Finanzen, Wirtschaft, Volksbildung) wurde nicht realisiert.63 Die mit dem Erlass verbundenen Kompetenzen wurden von den Gauleitern freilich extensiv aufgefasst und sie arrondierten Befugnisse, um in die Wirtschaft der Gaue einzugreifen.
3.
Der Führererlass vom 1.4.1944
Rückblickend konstatierte der Gauamtsleiter der NSDAP Hertel in seiner Geschichte des Gaues Thüringen mit Blick auf die territoriale Situation in Mitteldeutschland nach der „Machtergreifung“: „Während so der Aufbau in Thüringen begann, stand die politische Führung des Gaues vor allen Dingen vor der großen Aufgabe, Thüringen zu einer anerkannten staatlichen Einheit zu formen.“64 Vorbildwirkung als richtungsweisende Organisations- und Verwaltungsmodelle mit nicht zu unterschätzender Rückwirkung auf das Altreich entwickel59 60 61 62 63 64
Vgl. in diesem Kontext den nicht veröffentlichen „Erlaß des Führers über die weitere Vereinfachung der Verwaltung“ vom 25.1.1942, in: „Führer-Erlasse“, S. 231-233 Vgl. BArch R43II/657, Bl. 256f.; BArch R43II/666, Bl. 241, 243, 249f. Vgl. BArch 43II/655, Bl. 204-207; BArch R43II/662, Bl. 3-6 Rebentisch: Führerstaat, S. 519; vgl. auch BArch R43II/654a, Bl. 71f., 123-126 Vgl. BArch R43II/654a, Bl. 116 Hertel: Thüringen, S. 16
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ten die Reichsgaue, deren Konzeption den Plänen der Gauleiter entgegenkam, so dass die Reichskanzlei im Frühjahr 1939 die Orientierung an und Übertragung von Reichsgaustrukturen untersagte.65 Ein vordringliches Konzept der Reichsstatthalter und Gauleiter in den Reichsgauen blieb die Ausschaltung von Konkurrenten. Mitte des Jahres 1942 wandte sich der Gauleiter von Danzig-Westpreußen, Forster66, an Bormann mit der Bitte, die Stelle des Regierungspräsidenten in Danzig aufzulösen. Von Bormann unterstützt, konnte sich Forster bei Hitler Gehör verschaffen und seinen Plan durchsetzen.67 Am 1.1.1943 wurde die Behörde des Danziger Regierungspräsidenten aufgelöst und die Geschäfte gingen auf die Reichsstatthalterbehörde Forsters über. Zudem erhielt Forster bedeutende Zuständigkeiten der Regierungspräsidenten von Bromberg und Marienwerder, deren Posten aber bestehen blieben. Den Gesamtvorgang bemäntelte das RMI zum Testlauf für die künftige Neugestaltung der Mittelstufe.68 Der Vorgang kam dem sächsischen Gauleiter Mutschmann entgegen, der schon seit Längerem mit Rückendeckung der Parteikanzlei plante, die Regierungspräsidien in Dresden-Bautzen, Leipzig, Chemnitz und Zwickau aufzuheben. In der Reichskanzlei sah man solche Bestrebungen mit Besorgnis, fürchtete man doch, eine Lawine von Neuordnungskonzepten in Preußen, Bayern und im Sudentengau loszutreten, die auf die Beseitigung der Regierungen als Mittelinstanz hinausliefen. Doch Mutschmann dachte nicht daran, seine Pläne zu begraben oder auch nur dilatorisch anzugehen. Eigenmächtig erließ er ein „Gesetz über die Organisation der Landesregierung“, mit dem er die sächsischen Ministerien und die Staatskanzlei auflöste und deren Aufgaben einer Einheitsbehörde bei der Reichsstatthalterei mit der Bezeichnung „Der Reichsstatthalter in Sachsen – Landesregierung“ übertrug. Mit Runderlass des GBV vom 5.7.1943 wurden die Aktionen Mutschmanns nachträglich sanktioniert, die sächsischen Regierungen aufgehoben und deren Zuständigkeiten auf den Reichsstatthalter übertragen.69 Der Aktionismus Mutschmanns wiederum strahlte in das von gleich mehreren Gauen überwölbte Bayern aus, wo ein „Gesetz über die Errichtung eines Zentralministeriums“, das die Aufgabenbereiche der Ministerien für Inneres, Unterricht und Kultus, Wirtschaft, Finanzen, der Zentralstel-
65 66
67 68 69
Vgl. BArch R43II/1310b, S. 17 Vgl. zu Forster Rebentisch: Führerstaat, S. 248-250; zum Reichsgau Danzig-Westpreußen aus der von Meier-Benneckenstein herausgegeben Reihe zu den Gauen Wolfgang Diewerge: Der neue Reichsgau Danzig-Westpreußen. Ein Arbeitsbericht vom Aufbauwerk im deutschen Osten, Berlin 1940. Vgl. BArch R43II/657, Bl. 7; BArch R43II/658, Bl. 17 Vgl. BArch R43II/657, Bl. 2-22 Vgl. zum Gesamtvorgang BArch R43II/658a, Bl. 137-177; BArch R43II/658, Bl. 28, 30-35
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le für Landesforstverwaltung und der Staatskanzlei umfassen sollte.70 Hitler sprach sich aber ausdrücklich gegen eine Veränderung der bayerischen Ministerien aus. Getragen wurden die Neuordnungspläne im RMI von Frick und v.a. von Stuckart, der für Württemberg, Bayern, Oldenburg, Mecklenburg und Thüringen die Zusammenfassung der Ministerien in einer Behörde unter Leitung der Reichsstatthalter erwog.71 In Thüringen sollten die von Marschler geleiteten Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Volksbildung sowie das Staatsministerium zu einer Behörde verschmolzen und die Angelegenheiten der gewerblichen Wirtschaft vollständig vom LWA Thüringen, das als eigenständige Behörde des Wirtschaftsministeriums geplant wurde, bearbeitet werden. Im September 1944 wandte sich Lammers in einem gleichsam energischen wie verzweifelt anmutendem Schreiben an die RVK, das schlaglichtartig innere Verfassung, Dynamik und Regionalisierungsschübe bilanziert. In einzelnen Reichsgauen oder Provinzen seien „im Rahmen der zur Zeit zu treffenden Vereinfachungsmaßnahmen die Regierungen stillgelegt worden. Im Einvernehmen mit dem Leiter der Parteikanzlei bemerke ich dazu Folgendes: Der Führer hat wiederholt der Auffassung Ausdruck gegeben, daß jedenfalls während des Krieges grundsätzlich die Regierungen nicht aufgehoben oder stillgelegt werden sollen. Zur Zeit ist im übrigen eine Verlagerung von Verwaltungsaufgaben von den Regierungen zu den Behörden der Reichsstatthalter oder Oberpräsidenten auch deshalb unerwünscht, weil die Gauhauptstädte im besonderen Maße den Fliegerangriffen ausgesetzt sind. Es ist daher nicht angängig, daß die Reichsverteidigungskommissare von sich aus jetzt die Regierungen aufheben oder stillegen.“72 Die drängenden territorial-organisatorischen Probleme und komplexen Herrschaftsverhältnisse kamen auch in den Berichten von Sicherheitspolizei und SD offen zur Sprache: „Nach vorliegenden Berichten, vor allem aus Südund Mitteldeutschland, werde eine Bereinigung der zahlreichen Gebietsausschlüsse, vor allem der kleinen Gebietssplitter, im Zug der Maßnahmen zur Verwaltungsvereinfachung von Behörden, in zunehmendem Maß aber auch von der Bevölkerung lebhaft besprochen (Braunschweig, Bremen, Karlsruhe, München, Saarbrücken, Stuttgart, Weimar). Bei vielen Verwaltungsgeschäften, die an sich schon ein Zusammenwirken mehrerer Behörden erforderlich machen, entstehe fast regelmäßig dann eine besondere Komplizierung, wenn sie in das Gebiet einer Exklave eingriffen und so die Einschaltung des Verwaltungsapparates eines anderen Landes lediglich mit Rücksicht auf solche kleinen Gebiete nötig sei. Besonders störend machen sich aber im Aufgaben70 71 72
Vgl. BArch R43II/658, Bl. 20 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 14, 28f. BArch R43II/666, Bl. 223
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bereich der über die bisherigen Territorialgrenzen hinausgreifenden, neuen Behörden und Dienststellen, wie z.B. Reichsverteidigungskommissar, Landesernährungsamt, Gauwirtschaftskammer, bemerkbar, daß diese beim Vorhandensein von Exklaven in ihrem Bereich sich nur wegen der ausgesprochen kleinen Gebietsteile an verschiedene Staatsbehörden wenden mußten und bei ihren Maßnahmen das Vorhandensein mehrerer, unter sich verschiedener Verwaltungsorganisationen und Verwaltungsrechte zu berücksichtigen hätten.“73 An anderer Stelle wurden in den Berichten von Sicherheitspolizei und SD Vorschläge zur Dezentralisierung und der Übertragung von Aufgaben der Reichs- auf die Mittelbehörden unterbreitet, um die Reichsstatthalter und Regierungspräsidenten zu stärken.74 Die Beseitigung von Regierungspräsidien wurde 1942/43 ein evidentes und an mehreren Stellen zu beobachtendes Problem. Die geplante Zusammenlegung von Ober- und Regierungspräsidien stieß jedoch auf heftigen Widerstand, z.B. bei den Oberpräsidenten in Magdeburg (v. Ullrich) und Kassel (Prinz Philipp v. Hessen) oder den Regierungspräsidenten in Breslau (v. Rumohr) und Kassel (v. Monbart). Himmler musste 1944 rückblickend feststellen, dass entgegen des Verbots Hitlers, Regierungspräsidien aufzuheben, einige Gauleiter die Gunst der Stunde genutzt hatten und eigenmächtig an deren Beseitigung gegangen waren.75 Stuckart verfasste 1944 in diesem Zusammenhang eine umfassende „Stellungnahme zur Frage der Zusammenlegung oder Aufhebung von Behörden der inneren Verwaltung“76, in der er die Verschmelzung der Ober- und Regierungspräsidien am gleichen Ort, die Stilllegung von Regierungen, die Auflösung außerpreußischer Landesministerien, die Übertragung der Personalhaushalte der Länder auf das Reich, die Stilllegung der Landkreisverwaltungen und die Übertragung ihrer Aufgaben auf Abeilungen der Reichsstatthalterbehörden bzw. Ministerpräsidenten forderte. Für Thüringen sah der Plan – wie für die Länder Württemberg, Baden, Oldenburg und Braunschweig – die Beauftragung des Reichsstatthalters mit der „Führung der Landesregierung“ vor.77 Das Verbot, während des Krieges eine Änderung der Territorialgrenzen voranzutreiben, konnte die regionalen Bestrebungen nur unzureichend kanalisieren.78 Freilich muss betont werden, dass das Regime keinerlei Interesse an irgendwelchen Reichsreformplänen hatte. 73 74 75 76 77 78
BArch R43II/657, Bl. 162 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 48-61 Vgl. BArch R43II/656, Bl. 168-170 Vgl. BArch R43II/656, Bl. 184-194 Vgl. ergänzend BArch R43II/656b sowie zu den Impulsen aus den Reichsgauen BArch R43II/494a, v.a. Bl. 116-129, 131-150 Vgl. BArch R43II/656b, Bl. 41-75, 151-176
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Seit November 1943 wurden im RMI Strategien diskutiert, durch die die Zweigleisigkeit der Mittelinstanz für den Regierungsbezirk Erfurt beseitigt werden sollte.79 Der preußische Finanzminister wandte sich aber aus angeblichen Kostengründen gegen diese Überlegungen und verwies auf das Problem der Landeskulturabteilung, der Abteilung für das höhere Schulwesen und der Lehrerbildungsanstalten beim Regierungspräsidenten in Erfurt.80 Auch von Seite des Erfurter Regierungspräsidenten, Dr. Otto Weber, der bis 1935 als Justizminister81 der Thüringer Staatsregierung angehört hatte und den Titel eines Thüringischen Staatsrates bekleidete, regte sich Widerstand. Er arbeitete einen Gesetzesentwurf aus, mit dem er die Befugnisse des Oberpräsidenten auf den Regierungspräsidenten in Erfurt übertragen wollte.82 Dazu gehörten z.B. die Aufgaben der Preisbildungsstelle, der Abteilung für das höhere Schulwesen, der Landeskulturabteilung und der Eichungsdirektion. Weber zielte darauf ab, sich des staatlichen Zugriffs durch den Oberpräsidenten in Magdeburg zu entziehen und den Regierungsbezirk in einen kommunalen Bezirksverband mit der Rechtsstellung eines Provinzialverbandes zu verwandeln, der acht Land- und drei Stadtkreise umfassen sollte. Dadurch wollte er vordergründig die bisherige Zweigleisigkeit in der Mittelinstanz in der allgemeinen und inneren Verwaltung beseitigen, realiter jedoch war der Aufbau einer regionalen Hausmacht ausschlaggebend. Webers Entwurf unterschied sich in wesentlichen Punkten von dem des RMI: Erstens schlug er ein preußisches Landesgesetz vor, das vom Preußischen Staatsministerium beschlossen werden sollte. Allerdings hatte der preußische Finanzminister bereits seine Ablehnung signalisiert. Zweitens sollte der Regierungspräsident als sein eigener Oberpräsident rechtlich unabhängig und den Berliner Zentralbehörden unmittelbar unterstellt sein. Drittens hätte der Regierungspräsident eine eigene Provinzialselbstverwaltung erhalten. In Weimar begrüßte man die Pläne im RMI, war man doch der Meinung, dass die Provinz Sachsen ein „geschichtlich wie wirtschaftlich völlig unorganisches Gebilde“83 sei, so Obergemeinschaftsleiter Buchmann. Die Gauführung Thüringens ging davon aus, dass die angestrebte Regelung nur eine kriegsmäßige Übergangslösung sei und plante, den Regierungsbezirk Merseburg aufzulösen, zu Teilen der Provinz Magdeburg und dem Land Thüringen
79 80 81
82 83
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 86-88 (Schreiben der Parteikanzlei an Sauckel vom 10.11.1943) Vgl. BArch R43II/659, Bl. 208-225 Vgl. zur Auflösung des Thüringer Justizministeriums RGBl I, 1935, S. 852; ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 11, Bl. 44-49, 92-94; ergänzend RGBl I, 1935, S. 68f. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 91 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 95
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anzugliedern und den Regierungsbezirk Erfurt mit dem Land Thüringen zu vereinigen.84 Ergebnis der territorialen Neuordnung waren die Führererlasse vom 1.4.1944 über die Bildung der Provinzen Kurhessen und Nassau und die Aufgliederung der Provinz Sachsen, die am 1.7.1944 in Kraft traten.85 Damit wurden die preußischen Provinzen Hessen-Nassau und Sachsen geteilt und in die den Gaugrenzen angepassten Provinzen Kurhessen und Nassau bzw. Halle und Merseburg überführt. Die davon ausgenommenen Gebiete des Regierungsbezirks Erfurt (Stadtkreise Erfurt, Mühlhausen, Nordhausen sowie die Landkreise Heiligenstadt, Grafschaft Hohenstein mit Sitz Nordhausen), Langensalza, Mühlhausen, Schleusingen (Sitz Suhl), Weißensee, Worbis, Ziegenrück mit Sitz Ranis)86 und des Landkreises Herrschaft Schmalkalden wurden Sauckel als kommissarischem Oberpräsidenten87 unterstellt. Die angestrebte Kontrolle der Wasserwirtschaftsverwaltung88 blieb Sauckel versagt, der Erlass vom 1.4.1944 überließ die Kontrolle der Wasserwirtschaftsverwaltung – wie bisher – dem Oberpräsidenten in Magdeburg. Zudem wurde der von Thüringer Seite angestrebten Teilung des Provinzialverbandes Sachsen und eine Eingliederung in das Land Thüringen eine Absage erteilt. Er sollte bis Kriegsende beim Oberpräsidenten in Merseburg verbleiben.89 Sauckel bediente sich in seiner Funktion als Oberpräsident der Behörde des Regierungspräsidenten als „allgemeine(m) Vertreter des Oberpräsidenten“90 und ließ Aufgaben des Regierungsbezirks Erfurt, z.B. Landeskulturabteilung, Abteilung für das höhere Schulwesen und die Lehrerbildungsanstalten, von den Beamten der Weimarer Staatsregierung erledigen. In einem Schreiben vom 1.7.1944 an Weber ließ Sauckel diesen wissen, wie er seine neuen Befugnisse wahrzunehmen gedachte: „Ganz allgemein möchte ich über alle Vorkommnisse unterrichtet werden, die auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem Gebiet besonders bemerkenswert sind. Außerdem bitte ich um Vorlage der wichtigen Personalangelegenheiten der leitenden Beamten Ihrer eigenen Dienststelle, der Landräte, der staatl(ichen) Polizeiverwalter sowie Oberbürgermeister und 84 85
86 87 88 89 90
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 95, 97 Vgl. RGBl I, 1944, S. 109-111. 1943/44 wurden auch Regierungen aufgelöst, die sich nicht am Ort des Oberpräsidenten befanden. (Vgl. BArch R43II/660b) Weber spricht im Kontext des Führererlasses explizit von einem „Verbot der Reichsreform“, bezeichnet die Lösung vom 1.4.1944 gleichwohl als eine „an sich wenig(er) vollkommene(n)“. (ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 93) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 468, Bl. 83 Vgl. RGBl. I, 1944, S. 111 Vgl. Gesetzessammlung für Thüringen 1941, Nr. 7 (25.9.1941), S. 22 Vgl. RGBl I, 1944, S. 111 RGBl I, 1944, S. 111
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Beigeordneten der Stadtkreise. Auch hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeordneten der kreisangehörigen Städte über 5.000 Einwohner lege ich Wert auf meine Unterrichtung. Schließlich halte ich meine Unterrichtung für besonders wichtig bei Angelegenheiten, die in gleicher oder ähnlicher Form auch für das Land Thüringen von Bedeutung werden können und bei denen daher eine einheitliche Regelung im Land Thüringen und im Regierungsbezirk Erfurt angebracht erscheint. Ich behalte mir vor, weitere wichtige Sachgebiete, bei denen ich einzuschalten bin, anzugeben. Bei der geringen Entfernung und der guten Fernsprechverbindung zwischen Erfurt und Weimar dürften kaum Fälle der angegebenen Art auftreten, die so eilig sind, daß ein unmittelbarer Bericht an die obersten Reichsbehörden ohne meine vorherige Unterrichtung notwendig wäre.“91 In der Funktion als kommissarischer Oberpräsident für den Regierungsbezirk Erfurt erhielt Sauckel eine umfangreiche Rechtskompetenz.92 Der Oberpräsident hatte de jure dem Regierungspräsident gegenüber nicht die Stellung einer übergeordneten Behörde und war nicht weisungsbefugt. Der Regierungspräsident konnte unmittelbar mit obersten Reichsbehörden verkehren. Diesen Regelungen zum Trotz ließ Sauckel mit Blick auf die Reichsgauverwaltungen, in denen der Regierungs- dem Oberpräsidenten untergeordnet war, keinen Zweifel an einer ebensolchen Praxis.93 Für die Ausübung der Provinzialselbstverwaltung standen dem Oberpräsidenten ein umfangreicher Behördenapparat und der Provinzialrat zur Verfügung. Daneben existierte der Verwaltungsapparat des Regierungspräsidenten weiter, der aber durch die Einführung eines einheitlichen Geschäftsverteilungsplanes auf die Oberpräsidentenbehörde ausgerichtet und mit dieser personell und strukturell verknüpft wurde.94 Dienststellen, die räumlich auf die Bezirke der LWÄ, LEÄ/PEÄ und Forst- und Holzwirtschaftsämter abgestellt waren, blieben gemäß der Verordnung vom 16.11.1942 unverändert aufrechterhalten. Sauckel führte bei der Wahrnehmung der Aufgaben und Befugnisse des Oberpräsidenten im Regierungsbezirk Erfurt die Bezeichnung „Der Oberpräsident für den Regierungsbezirk Erfurt“.
91 92 93 94
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 153 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 127f. Vgl. Teppe: Regierungspräsident, S. 123; ausführlich zu den Regierungspräsidenten Rebentisch: Führerstaat, S. 262-272 Vgl. Schreiben des RMI vom 29.6.1944, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 111, Bl. 168
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II.
Die Organisation der Kriegswirtschaft und Kriegswirtschaftsverwaltung im NS-Gau Thüringen
1.
Die Gauwirtschaftskammer Thüringen und die regionale Gliederung der DAF
Im Dezember 1940 forderte Staatssekretär Landfried vom RWM eine Koordinationsstelle zur besseren Organisation und Steuerung der Selbstverwaltung der Industrie.95 Der Gedanke lag nahe, diese Schaltzentrale den Gauen anzupassen und die wirtschaftliche Selbstverwaltung unter Leitung angesehener Industrieller und Wirtschaftsführer fortbestehen zu lassen. Dazu sollte das Kammersystem der gewerblichen Wirtschaft96 den Gaustrukturen angepasst werden. Die Entwicklung hin zu den GWK97 lässt sich (nach Eichholtz) in drei Stadien zusammenfassen.98 1940 begegnete die Politik der dem RWM und der Reichswirtschaftskammer entwachsenen, eng mit dem RMBM kooperierenden RGI wachsender Kritik aus den Gauen und den IHK. 1941 traten bedeutende Kräfte auf regionaler Ebene, Vertreter von Handel und Kleingewerbe, Banken, führende Kreise des RWM, SS-Wirtschaftsführer, Parteikanzlei, Gauleiter und GWB für die Gründung von GWK ein, um die Verbindung von Wirtschaft und Partei auf regionaler Ebene zu vertiefen.99 Das Scheitern der Blitzkriegstrategie, der Aufstieg Speers zum RMBM und Generalbevollmächtigtem für Rüstungsaufgaben sowie seine Planungen zur Schaffung einer eigenen Mittelinstanz und der Führererlass über die Vereinfachung der Verwaltung vom 20.4.1942 ließen das RWM in eine Phase überstürzter Reaktionen verfallen. Das Ergebnis war die am 20.4.1942 verkündete „Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der OgW“100, deren 1. und 2. Durchführungsverordnung gleichen Datums101 sowie die 3. Durchführungsverordnung, die sog. GWK-Aufbauverordnung, vom 30.5.1942.102 Dadurch wurde 95
96 97 98 99 100 101 102
Vgl. Boelke: Interna, S. 275-282; Kratzsch: Gauwirtschaftsberater, S. 201-206. Pläne zur Schaffung von GWK lagen nach Eichholtz (Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 98) seit 1941 vor. Vgl. zum organisatorischen Aufbau der Wirtschaftskammer Thüringen Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3857 Vgl. grundsätzlich zum Kammersystem Stremmel: Kammern Vgl. Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 98-100 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 308f. Vgl. RGBl I, 1942, S. 189 Vgl. RGBl I, 1942, S. 189f. Vgl. RGBl I, 1942, S. 371-374; Kratzsch: Gauwirtschaftsapparat, S. 480-499; Peter: Rüstungspolitik, S. 56-62; Hüttenberger: Gauleiter, S. 183; Neumann: Behemoth, S.
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das Nebeneinander der 25 Wirtschafts-, 105 Industrie- und Handels- und 71 Handwerkskammern vereinfacht.103 An ihre Stelle traten in 42 Gauen GWK sowie 17 Wirtschaftskammern104, deren Grenzen „grundsätzlich mit dem Gebiet der Gaue“105 übereinstimmten und an die Strukturen der Wirtschaftskammern anknüpften. Der GWK stand ein Präsident vor, der die Verantwortung für die allgemeinen wirtschaftlichen Abläufe im Gau trug und die Dienstaufsicht ausübte. In personeller Hinsicht sollte die den „Parteiorganen eigene Initiative, Dynamik und Durchschlagskraft wirksam werden“106, weshalb für den GWB in Personalunion das Amt des GWK-Präsidenten vorgesehen war. Letzten Endes aber vereinbarten Parteikanzlei und RWM die Trennung der Ämter des GWB und des GWK-Präsidenten, um die gegenseitige Abgrenzung zu verdeutlichen.107 Der Präsident der GWK und seine Stellvertreter, allesamt hauptberufliche Unternehmer, bildeten das vom RWM und Gauleiter berufene Präsidium der GWK, die Zahl der Stellvertreter regelte die jeweilige GWK. Zur Beratung und Unterstützung berief der Präsident einen Beirat.108 Die GWK bildete ein regionales, die gewerbliche Organisation zusammenfassendes Steuerungsorgan in der Mittelinstanz, hatte das Recht der Selbstverwaltung, unterstand der Dienstaufsicht des RWM und stand als regionales öffentlich-rechtliches Organ, das ab September 1942 auch den Weisungen Speers unterlag, den Selbstverwaltungsorganen der Industrie gegenüber. Organisatorisch wurden die GWK mit den Rüstungskommissionen, denen sie
103
104
105 106 107 108
568; zu den Beratungen der RWK mit den Wirtschaftskammern und Reichsgruppen über die Errichtung von GWK BArch R11/365; ergänzend die Mustersatzung für die GWK, in: BArch R11/369 Zahlenangaben nach ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 118 (hier auch ergänzende Angaben zum Aufbau des RWM), davon abweichende Zahlen bei Hüttenberger: Gauleiter, S. 183 (28 Wirtschaftskammern, 111 IHK, 75 Handwerkskammern) und Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 98 (27 Wirtschaftskammern, 106 IHK, 71 Handwerkskammern); vgl. ergänzend zur Bildung der GWK BArch R3/113 sowie den Aufsatz von Hassmann: Die Gauwirtschaftskammer. Die Neuordnung der deutschen Wirtschaftsorganisation, Braunschweig 1942, in: BArch R11/263; zur fachlichen und regionalen Organisation sowie zur vertikalen Gliederung des Handwerks BArch R3101/32242, Bl. 10 Zahl nach Eichholtz (Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 201), der 42 GWK und 17 „neue“ Wirtschaftskammern nennt. Seine Angaben werden bestätigt von BArch R3/302, Bl. 2 (Stand: 1.4.1944) und BArch R12I/24, Bl; vgl. BArch R11/1955-1969 So Abs. 3 der GWK-Aufbauverordnung, S. 371; vgl. zu den Aufgaben der GWK ausführlich RGBl I, 1942, S. 372f. Kratzsch: Gauwirtschaftsberater, S. 202 Vgl. Boelke: Interna, S. 266; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 99-101 Vgl. BArch R3901/20058, Bl. 20
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funktional neben-, dann untergeordnet waren und die sie ergänzten, verbunden.109 Die Gauleiter waren durch die GWB in den Rüstungskommissionen vertreten, nicht aber in den GWK.110 Diese sollten dem Gauleiter beratend zur Seite stehen, ohne dass er ihnen gegenüber Weisungsbefugnisse besaß. Er verfügte lediglich über ein Mitspracherecht bei der Ernennung des Kammerpräsidenten. Trotzdem stärkte die Errichtung der GWK die Einflussmöglichkeiten der Partei auf die Wirtschaft. Gauleiter bzw. GWB konnten sich zur Erfüllung ihrer – wie auch immer wahrgenommenen – wirtschaftspolitischen Aufgaben der GWK bedienen. Es stand ihnen ein Informationsrecht durch den Kammerpräsidenten über wichtige Entwicklungen zu und sie wurden zu den Kammersitzungen hinzugezogen. Innerhalb der Grenzen der GWK konnten jeweils nach Bedarf Wirtschaftskammern und Zweigstellen gegründet werden. Die IHK, die Handwerkskammern und die Wirtschaftskammern alter Art waren in die GWK zu überführen.111 Ferner wurde verordnet, dass die bezirklichen Gliederungen der OgW in die GWK bzw. Wirtschaftskammer einzugliedern waren, wobei das fachliche Weisungsrecht der zentralen Gliederungen unberührt blieb.112 Die GWK hatten als regionale Führungsstellen der gewerblichen Wirtschaft die Aufgabe, die wirtschaftlichen Interessen und die staatliche Wirtschaftslenkung in Kooperation mit den Gauleitungen der NSDAP zu regulieren. Die Errichtung der GWK entsprach den Bestrebungen von Ministerrat und VJP (Göring), Parteikanzlei (Bormann) und OKW (Keitel) sowie Interessensvertretern der Banken, des Handwerks und des Handels, die Machtausdehnung des RMBM und der Selbstverwaltungsorgane in der Mittelinstanz durch die Stärkung der Parteiinstanzen einzudämmen.113 Am 1.4.1943 wurde in der neu errichteten GWK Thüringen114, die den Gaugrenzen entsprach und die der bisherige Präsident der Wirtschaftskammer, 109 110 111 112
113 114
Vgl. Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 101; BArch R3/1595, Bl. 16-33 Vgl. ausführlich zu den GWK die Studie von Stremmel: Kammern, S. 198-210, 217232 Vgl. BArch R3101/32242, Bl. 2-4 Vgl. die Verordnung des GBW „Über die Vereinfachung und Vereinheitlichung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft“ vom 20.4.1942, RGBl I, 1942, S. 189f.; ferner die 3. Durchführungsverordnung, in: RGBl I, 1942, S. 371; den guten Überblick bei Naasner: Machtzentren, S. 178-180; Kratzsch: Gauwirtschaftsapparat; ders.: Gauwirtschaftsberater, v.a.S. 201-206 Vgl. Naasner: Machtzentren, S. 179 Die GWK Thüringen verfügte 1944 über einen Etat von mehr als 3 Mio. RM. (Vgl. BArch R11/1950, Bl. 4-50) Vgl. den wenig aussagekräftigen Schriftwechsel der GWK Thüringen mit der RGI 1944, in: BArch R12I/68; einige wenige Angaben zur GWK Thüringen in: BArch R11/1950
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Thiel, leitete, die gewerbliche Wirtschaft des Gaus Thüringen zusammengefasst. Konzeptionell strebte das RWM mit den GWK nicht nur eine Kriegsmaßnahme von zeitlicher Begrenztheit, sondern eine grundlegende organisatorische Neuordnung des Kammersystems an.115 Während Staat und Partei die Sachkenntnis der Kammern und deren unmittelbare Kommunikation mit den Betrieben anerkannten und damit eingestanden, dass staatlicher und parteilicher Bürokratiezwang gescheitert waren, präsentierten die neuen Kammern nicht die Selbstverantwortung der Wirtschaft, sondern eine vom Staat mit Erlassen, Verordnungen und Regulierungsmechanismen ausgestattete und eng mit der Partei verflochtene, territorial auf die Parteigaue ausgerichtete, diese mit wichtigen Kriegswirtschaftsfunktionen ausstattende Systeme. Die GWK Thüringen nahm 1943 ihre Arbeit als Rechtsnachfolgerin aller in ihr aufgehenden und zusammengefassten Kammern, die ihre Selbstständigkeit verloren und fortan als Zweigstellen oder – im Falle des Handwerks – als „Abteilung Handwerk“ der neuen Organisation weiterliefen, auf. Lediglich landwirtschaftliche Betriebe, Genossenschaften und Vereine waren ausgenommen. Als Gliederungen der GWK galten die früheren Kammern und die bezirklichen Organisationen der Wirtschafts-, Fach- und Fachuntergruppen.116 Die Zweig- und Geschäftsstellen der GWK Thüringen wurden auf Basis der Stadt- und Landkreise, abgesehen von wenigen verkehrstechnischen Ausnahmen, eingeteilt. Die Hauptstelle der GWK befand sich in Weimar. Die Außenstellen, strukturell auf die Breite der Wirtschaftsorganisation ausgerichtet und den Anspruch auf die regionalen Wirtschaftsverwaltungszentralen dokumentierend, arbeiteten eng mit den Behörden und Dienststellen von Wehrmacht, Partei und Staat zusammen.117 Die GWK Thüringen gliederte sich in fünf Abteilungen, die für die Aufgaben der ihnen zugehörenden Betriebe verantwortlich und dem strukturellen Aufbau der Wirtschaftskammer Thüringen118 sehr ähnlich waren. Für das Handwerk waren die Zweig- und Geschäftsstellen der GWK nicht zuständig, Außenstellen für die Abteilung Handwerk bildeten die Kreishandwerkerschaften. Die vorübergehend an die Stelle der früheren Handwerkskammer getretenen Geschäftsstellen der Abteilung Handwerk entfielen und die IHK wurden aufgelöst. Die Bezirksausgleichsstelle wurde, wie in der Mustersatzung für die GWK vorgesehen, als Auftragslenkungsbüro in die GWK überführt und aufgewertet. Unter dem 115 116 117 118
Vgl. Stremmel: Kammern: S. 229-232 Vgl. zu den qualitativen Unterschieden zwischen den GWK und den Wirtschaftskammern „alter“ Prägung Stremmel: Kammern, S. 217-229 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 286, Bl. 105; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3851, n. pag. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3857, Bl. 65
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Geschäftsführer Dr. Pfeiffer119 kontrollierte es neben dem öffentlichen Auftragswesen „alle Fragen der Belegung von Betrieben mit Aufträgen und mit Erzeugungsaufgaben […], die Aufstellung von Belegungsplänen der Reichsstellen und der Bewirtschaftungsstellen“120 und erhielt die Mitarbeit beim Bezirksobmann der Ausschüsse und Ringe übertragen. Die Bedeutung des Auftragslenkungsbüros kam auch darin zum Ausdruck, dass es dem Präsidenten der GWK direkt unterstellt war, der einen Geschäftsführer berief, der in der Regel der Leiter der Bezirksausgleichsstelle gewesen und Mitglied in der Geschäftsführung der Industrie-Abteilung war. Die Industrie-Abteilung wurde 1942 zur Geschäftsstelle des Bezirksobmanns zur Bearbeitung aller Rationalisierungsfragen im Bezirk aufgewertet. Führungsgremium der GWK Thüringen121 Präsident Vizepräsident und Leiter der IndustrieAbteilung Hauptgeschäftsführer Weitere der Industrie angehörende Vizepräsidenten
Geschäftsführer der Industrie-Abteilung
Dr. Thiel Beckurts Oberregierungsrat a. D. Dr. Münch Geschäftsleiter Henrichs (Carl Zeiss, Jena) Richard Schneider (Keramische Werke, Rauenstein) Direktor Walter Hornig (FritzSauckel-Werk, Weimar) Dr. Mevius
Enge Verbindung hielt Thiel zum GWB Schieber, der auch zu den Versammlungen der GWK Thüringen eingeladen wurde. Schieber, gleichzeitig NSDAP-Gauamtsleiter für Wirtschaft, stieg zum Chef des Rüstungslieferungsamtes im Speer-Ministerium auf und „fungierte somit als wichtige Schlüsselfigur im Funktionsgefüge zwischen Rüstungsministerium und wirtschaftlicher Gau-Selbstverwaltung.“122 Mit Erlass des RWM über die Aufgabenverteilung zwischen LWA und GWK und Zusammenarbeit der fachlichen Lenkungsstellen mit den bezirklichen Stellen vom 18.5.1943 erhielten die GWK die Betriebsbetreuung von den LWÄ übertragen. Ein Weisungsrecht des Gauleiters bestand gegenüber der GWK nicht, wenngleich der Einfluss der Partei auf die Kammer nicht unterschätzt werden sollte und in der engen 119 120 121 122
Vgl. BArch R3101/34609, Bl. 34 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3868, Bl. 88 Vgl. BArch R3/289, Bl. 94 John: NS-Gau Thüringen, S. 52; zu Schieber ferner Speer: Erinnerungen, S. 543, Anm. 8
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personellen Verzahnung von Kammer, Staat und Partei seinen Niederschlag fand. Aufschlussreich für die Rolle der GWK im regionalen Wirtschaftsverwaltungsgefüge des NS-Gaues Thüringen in der zweiten Hälfte des Krieges ist eine nach einer Unterredung mit Mevius gefertigte Notiz im Planungsamt des RMRK vom Oktober 1944.123 In der GWK Thüringen hatte man, ebenso wie im LWA, dessen starken Bedeutungsverlust und den Bedeutungszuwachs der Rüstungskommandos zwischen 1939/1942 und den Aufstieg der Rüstungskommission seit 1942 zur wichtigsten regionalen Wirtschaftsverwaltungszentrale, in dessen Folge die Bewirtschaftsangelegenheiten vollständig auf die GWK übergegangen waren, erkannt. Die GWK, an deren Beiratssitzungen in der zweiten Kriegshälfte auch die Inspektion IX und die Kommandeure aus Eisenach und Weimar teilnahmen124, erstellte im Auftragslenkungsbüro laufend Betriebsübersichten für die Betreuungsplanung und schuf sich damit eine Basis für die institutionelle Verankerung der Arbeitsmarktpolitik. Innerhalb ihres Bereiches errichtete die GWK 32 örtliche, überfachliche Bezirksarbeitsgruppen mit jeweils mehr als 100 Firmen, die engen Kontakt mit den Bezirksbeauftragten der Ausschüsse und Ringe und den Bezirksobmännern der Wirtschaftsgruppen hielten. Innerhalb der Gruppen wurden sachliche Arbeitsgemeinschaften für Leistungssteigerung, Betriebswirtschaft, Ausbildungswesen, Sozialarbeit, Energieersparnis, Arbeitszeitermittlung etc. aus Wirtschaftsfachleuten gebildet. Mevius entwickelte die Idee, die Zuständigkeiten der Rüstungskommandos durch die Beschränkung auf koordinierende Arbeiten und die Bildung von Führungsstäben zu beschneiden und die „praktische Arbeit“ der IndustrieAbteilung der GWK zu übertragen. Allgemeine Informationsgrundlage der GWK bildete die Beschäftigtenmeldung, die ihr mit der Bedarfsguppennummerung einen allgemeinen Überblick über die Produktionsprogramme gab, sowie die Prüfungsberichte der Prüfungsausschüsse der Rüstungskommission IX b, die von vertraulichen Informationen über den geprüften Betrieb ergänzt wurden. GWK und Industrie-Abteilung im Gau Thüringen präsentierten sich insgesamt als durchsetzungs- und leistungsfähige Apparate im Gauwirtschaftsgefüge, deren hohe Bedeutung sich an regelmäßig durchgeführten Arbeitstagungen zum Interessen- und Organisationsabgleich beim Gauleiter ablesen lässt. In der zweiten Kriegshälfte, in der sich die dem Speer-Bereich unterstehenden Rüstungskommissionen zu den wichtigsten mittelinstanzlichen Kriegs123 124
Vgl. BArch R3/1817, Bl. 341 Vgl. BA-MA RW 21-62/12, Bl. 6
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wirtschaftsapparaten entwickelten und wichtige Steuerungs- und Regulierungsfunktionen absorbierten, in denen der GWK Thüringen weitere Aufgabenfelder durch die enge Vernetzung mit der Kommission IX b erwuchsen, dominierte die im Grunde seit Kriegsbeginn angespannte Arbeitskräftesituation die regionalen Diskussionen und Problemfelder der Wirtschaftspolitik. Das Fazit Stremmels in seiner beeindruckenden Arbeit zu den Kammern der gewerblichen Wirtschaft lässt sich auch auf den Gau Thüringen projizieren.125 Das Kammersystem agierte im Spannungsfeld von Existenzsicherung und Aufgabenzuwachs einerseits, Staat, Partei und Unternehmen andererseits. In mehreren Schüben (1935/1936, 1939, 1942, 1943) waren die Kammern erheblichen Wandlungsprozessen unterworfen und sahen sich vor allem in der zweiten Kriegshälfte einer Entleerung der Selbstverantwortung gegenüber. Sie sollten die Zielsetzungen des NS-Regimes an die Unternehmen weitergeben und die Gesetze, Erlasse etc. umsetzen. Für diese institutionelle Transformation bekamen die Kammern neue Aufgabengebiete zugewiesen und es gelang ihnen, sich als Schaltstellen in der Kriegswirtschaft zu etablieren. Dadurch leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Funktionsfähigkeit und Stabilität des NS-Regimes. Mit der DAF126 erwuchs den industriellen Organen seit 1933 ein ernstzunehmender Konkurrent, der in sozial- und wirtschaftspolitische Felder drängte. In den Gauen verfügte sie mit den Gauobmännern127, Betriebsobleuten128 und dem 1934 errichteten Reichsheimstättenamt/Gauheimstättenamt129 über wirtschafts- und sozialpolitische Einflussmöglichkeiten130 und besetzte wich-
125 126
127 128 129 130
Vgl. Stremmel: Kammern, S. 575-586, v.a. S. 579-581 Vgl. Rüdiger Hachtmann (Hg.): Ein Koloss auf tönernen Füßen. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers Karl Eicke über die Deutsche Arbeitsfront vom 31. Juli 1936 (Quellen-Edition), München 2006; ders.: Die Deutsche Arbeitsfront im Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Eichholtz (Hg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S. 69-108 Vgl. BArch NS5VI/5921, Bl. 11 Vgl. BArch NS5VI/6150-6153 Vgl. zur Organisation der Gauheimstättenämter BArch NS5IV/426 Vgl. zum Verhältnis von OgW und DAF auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, der Wohnungspolitik, der Volkswohlfahrt, der Sozial- und Krankenversicherung, der Berufsausbildung, der Wiedereingliederung von Kriegsversehrten in den Arbeitsprozess und der Rechtsstellung der Betriebsführer ausführlich BArch R12I/252-256, 258-259, 269-273, 281-321; zu arbeits- und sozialrechtlichen Aufgaben der RGI (Versicherungs- und Lohnwesen, Gewinn- und Kapitalbeteiligung, Dienstverpflichtung, Notarbeitsdienst, Mutterschutz-, Jugendschutz- und Schwerbehindertenreglungen u.a. m.) BArch R12I/322-330
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tige herrschafts- und systemstabilisierende Funktionen.131 Interessenkonflikte entstanden vor allem zwischen der Sozialwirtschaftlichen Abteilung132 der RGI und der DAF beim Arbeits- und Sozialrecht (Einstellung, Aufgabengebiete und Schulung von Betriebsarbeiterinnen im Bereich der Sozialbetreuung und der Werksfürsorge in den Betrieben, Lohnwesen, Gewinn- und Kapitalbeteiligung, Dienstverpflichtung, Notdienstarbeit, Mutter- und Jugendschutz, Schwerbeschädigtenregelung)133, der Wohnungspolitik (Errichtung der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Arbeiterwohnstättenbaus 1935, Unterbringung luftkriegsbetroffener Bevölkerung, Beteiligung der Industrie am Deutschen Wohnungshilfswerk134, Wohnraumlenkung aufgrund des Luftkriegs)135 der Volkswohlfahrt (Zusammenarbeit der Betriebe mit der NSV, Errichtung des Sozialpolitischen Forschungsdienstes als Gemeinschaftsgründung von Propagandaministerium, DAF und Reichswirtschaftskammer zur Durchführung von Erhebungen über die Leistungen der Industrie auf dem Gebiete der betrieblichen Altersversorgung und des Arbeitswohnungs- und Siedlungsbaus)136, der Sozial- und Krankenversicherung (Neuregelungsfaktoren der Renten-, Unfall- und Krankenversicherung)137 der Berufsausbildung (Berufserziehung und Lehrlingsausbildung)138, der Kriegsversehrtenbetreuung (Tätigkeit der Arbeitsstelle für die Wiedereingliederung von Kriegsbeschädigten in der RGI)139 und der Rechtsstellung der Betriebsführer (Fragen der Arbeitsdisziplin, Krankenkontrolle, Arbeitszeitenregelung).140 1937 wurden die Bezirksarbeitskammern auf die Gaue ausgerichtet, in Gauarbeitskammern umbenannt und mit Vertretern von Partei, Staat, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft besetzt.141 Im Zuge der Neustrukturierung wurden Teile der Arbeitskammer Mitteldeutschland in die Gauarbeitskammer Thüringen überführt.142 Durch die damit in die Gauarbeitskammern ge131
132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142
Vgl. Reinhard Giersch: Die Deutsche Arbeitsfront „DAF“ – ein Instrument zur Sicherung der Herrschaft und zur Kriegsvorbereitung des deutschen Imperialismus 1933 bis 1938, Diss. [ms], Jena 1981. Vgl. BArch R12I/266-268 Vgl. BArch R12I/252-256, 322-330 Vgl. BArch R12I/23 Vgl. BArch R12I/257-259, 261 Vgl. BArch R12I/262, 265 Vgl. BArch R12I/269-273 Vgl. BArch R12I/281-315 Vgl. BArch R12I/316-321 Vgl. BArch R12I/332, 336, 337 Vgl. BArch NS5VI/5956 Vgl. BArch NS 5I/6120; zu den Tagungen der Arbeitskammer Thüringen 1936/37 BArch NS5IV/423
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tragenen vielfältigen und oft gegenläufigen Interessen entwickelten sie sich zu schwerfälligen und vorwiegend repräsentativen Organen. Aus dieser Erkenntnis zog die DAF ihre Konsequenzen und verlagerte ihre Arbeit auf die flexibleren Arbeitsausschüsse. Für sie wurde 1940 eine Vereinbarung mit dem RAM getroffen, mit der die Ausschüsse der DAF zu Sachverständigenräten der Reichstreuhänder erhoben wurden und Aufgaben der Reichstreuhänder auf den Gebieten Arbeitsrecht und Arbeitsordnung übernahmen. Zu den Wirtschaftsunternehmen, über die die DAF verfügte oder an denen sie beteiligt war, zählten nach Angaben des Thüringischen Wirtschaftsministeriums von 1943 die Treuhandgesellschaft für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF mbH (Berlin), die Bank der Deutschen Arbeit AG (Berlin), acht Versicherungsgesellschaften, 57 Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften, zwei Bau- und Wohnungsbau fördernde Gesellschaften (Deutsche Bau AG, Berlin, Bauhilfe der DAF für den sozialen Wohnungsbau GmbH), neun Verlagsgesellschaften und verwandte Betriebe, das Volkswagenwerk GmbH einschließlich zweier Tochtergesellschaften, das Gemeinschaftswerk der DAF GmbH, zwei Werftgesellschaften und vier weitere „Sonstige Gesellschaften“. Das eingezahlte Stamm-/Grundkapital der DAF-Unternehmungen betrug 1943 mehr als 500 Mio. RM.143 Mit der Ernennung des DAF-Chefs Ley am 15.11.1940144 zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau145 drang die DAF mit aller Wucht in wirtschaftliche Bereiche des Großhandels vor. Flankiert wurden diese Tendenzen durch die Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften, deren Errichtung und organisatorische Ausrichtung auf die Gaugebiete im Wesentlichen bis 1941/42 abgeschlossen waren.146 In der Folge errichtete die expansiv agierende DAF zur Umsetzung der mit der Ernennung verbundenen Ziele die mit einem Stammkapital von fünf Millionen RM ausgestattete „Bauhilfe der Deutschen Arbeitsfront für den sozialen Wohnungsbau, gemeinnützige GmbH“ („Bauhilfe“), die am 24.5.1941 in das Berliner Großhandelsregister eingetragen wurde. In Berlin tobte vor dem Hintergrund der Gründung der „Bauhilfe“ ein heftiger Streit zwischen Ley und Funk um die Durchsetzung der „Bauhilfe“, der bis zu Hitler vordrang. Dabei ging es darum, dass Ley ohne Befragung anderer Stellen die beim Amtsgericht Berlin beantragte Errichtung der „Bauhilfe“ erreicht hatte. Die Aufgabe der „Bauhilfe“ lag in dem sehr weit gefassten Auftrag der Förderung des sozialen Wohnungsbaus 143 144 145
146
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 20f. Vgl. RGBl I, 1940, S. 1495-1498 Vgl. Recker: Reichskommissar; zur Bildung derartiger Sonderbehörden Broszat: Staat, S. 363-402; Rebentisch: Führerstaat, S. 331-369, zum Reichswohnungskommissar v.a. S. 336-345; Neumann: Behemoth, S. 557f.; RGBl I, 1942, S. 623 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 32
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auf dem Gebiet der Bauwirtschaft nach den Weisungen des Reichskommissars. Sie strebte auch eine Betätigung als Großhändler an, was deutlich aus der Satzung hervorging. Es bestand die Absicht, etwa 40 Tochtergesellschaften über das ganze Reich verteilt zu gründen und in Form von Bauhöfen umfangreiche Zentrallager des Baugroßhandels zu schaffen. Obwohl bis 1943 nur sechs dieser Tochtergesellschaften nachgewiesen sind147, bedeutete all das zusammen nichts anderes als eine Kampfansage an den Großhandel und die Bauwirtschaft, die – tief verunsichert – sofort reagierten, zumal sich die Gründung der „Bauhilfe“ über die „Großhandelsschutzordnung“ vom 15.1.1940 des RWM, die als ein Verbot von Neugründungen verstanden wurde und die Firmen von Wehrmachtsangehörigen schützen sollte, hinwegsetzte.148 Die „Bauhilfe“, die in Zeitungsannoncen kaufmännisches Personal anwarb und beim Verkehrsministerium 2.000 Lastkraftwagen beantragt hatte, entwickelte sich – in der Wahrnehmung der Wirtschaft – zu einer akuten Bedrohung für den mittelständischen Großhandel. In anderen Gaugebieten, in denen es offenbar dieselben Proteste gab, traten die Wirtschaftsgruppen mit der Bitte um Unterstützung an die Gauleiter heran. Vor dem skizzierten Hintergrund entstand im Gau Thüringen eine Front der betroffenen Unternehmen, die über die Wirtschaftskammer Thüringen Unterstützung bei Partei und Staat suchten. Am 24.11.1941 wandte sich der stellvertretende Leiter der Unterabteilung Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel in der Wirtschaftskammer Thüringen, Dr. Rebling, in einem sechsseitigen Beschwerdebrief an Sauckel in seiner Eigenschaft als Gauwohnungskommissar, in dem er die Wahrnehmungen, das Bedrohungspotenzial und die Position der Wirtschaft zur „Bauhilfe“ eingehend darlegte.149 Das Ziel der „Bauhilfe“, neben den etablierten, privatwirtschaftlichen Großhandel zu treten oder diesen zu übernehmen bzw. zu ersetzen150, löste bei den Betroffenen geradezu panikartige Reaktionen aus. Dahinter stand die grundsätzliche Frage nach der Stellung des Mittelstandes, der fürchtete, dass die öffentliche Wirtschaft private Unternehmen verdrängen könnte.151 Die Wirtschaftskammer Thüringen 147 148 149 150 151
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326 Vgl. umfassend zu den wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF im Jahre 1943 ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 18-77 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 3-8 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 38 Nicht zuletzt konnten sich die Wirtschaftsverbände auf das Parteiprogramm berufen, wo es unter Punkt 16 hieß: „Wir fordern die Schaffung eines gesunden Mittelstandes und seine Erhaltung. Sofortige Kommunalisierung der Groß-Warenhäuser und ihre Vermietung zu billigen Preisen an kleine Gewerbetreibende, schärfste Berücksichtigung aller kleinen Gewerbetreibenden bei Lieferung an den Staat, die Länder oder Gemeinden.“ (Fragen an die deutsche Geschichte. Ideen, Kräfte, Entscheidungen von 1800 bis zur Gegenwart, historische Ausstellung im Reichstagsgebäude in Berlin, Ka-
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meldete volks-, betriebs- und privatwirtschaftliche Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit der „Bauhilfe“ und ihrer Integrationsmechanismen in das Wirtschaftssystem an. Die Kammer betonte die Leistungsfähigkeit der bestehenden Strukturen und die Überflüssigkeit des „Bauhilfe“, die Gefahr der Monopolisierung, Rentabilität und ansteigender Verwaltungsarbeit und zog aus dieser Position den Schluss, der bestehende dezentralisierte Großhandel sei aufgrund seiner Leistungsfähigkeit und Flexibilität deutlich besser geeignet, die kriegswirtschaftlichen Anforderungen zu erfüllen. Anknüpfend an die umfangreiche Beschwerdeeingabe der Wirtschaftskammer Thüringen gegen den Aktionismus der „Bauhilfe“ und das damit verbundene Bedrohungspotenzial entstand im LWA Thüringen eine vermutlich von dem ranghohen Ministerialbeamten Lippold, dem Leiter des Amtes gewerbliche Wirtschaft und Abteilungsleiter des Referats für gewerbliche Wirtschaft im Führungsstab Wirtschaft, angefertigte Niederschrift über ein Treffen mit einem Vertreter der Wirtschaftskammer Thüringen. Die Kammer unterstrich darin nochmals ihre Position und bat um Unterstützung. Das LWA verhielt sich aber zunächst abwartend, um im Anschluss daran sich über die Vertretung Thüringens in Berlin ein schärferes Bild von der Lage machen zu können. Das gesamte Ausmaß der Planungen der „Bauhilfe“ offenbarte sich in einer Korrespondenz zwischen der Thüringenvertretung in Berlin und dem RWM im Frühjahr 1942. Der soziale Wohnungsbau stellte für die deutlich weitergehenden Planungen der „Bauhilfe“ nur eine erste Stufe dar, in den Sektor der allgemeinen Bauwirtschaft vorzudringen. Sie beanspruchte Einfluss auf die gesamte Bauwirtschaft, bei deren Verwirklichung „eine gänzliche Gleichförmigkeit der neu erstellten Wohnungen zu erwarten gewesen [wäre], eine Gleichartigkeit bis zum letzten Ausstattungsstück.“152 Vor diesem Hintergrund fanden in Berlin hektische Verhandlungen statt mit dem vorläufigen Ergebnis, dass die „Bauhilfe“ sich auf den sozialen Wohnungsbau beschränken und sich nicht als Großhändler, sondern lediglich als – schwammig definiertes – Steuerungsorgan für Baustoffe für den sozialen Wohnungsbau betätigen durfte. Zudem erhielt die „Bauhilfe“ als Kontrollorgan einen Beirat, der sich aus Vertretern von RWM, Speer-Ministerium, Reichsgruppe Handel, Wirtschaftsgruppe Großhandel (Fachgruppe Baustoffhandel), DAF und „Bauhilfe“ zusammensetzte. Vor diesem Hintergrund beschloss das LWA Thüringen, keine Aktivitäten gegen die „Bauhilfe“, die sich damit letzten Endes etabliert hatte, zu starten. Nachdem Ley als Reichswohnungskommissar nach einer Übereinkunft mit Speer vom 17.9.1942 die Errichtung von Ersatzwohnungen für Bombengeschädigte als Reichsaufgabe
152
talog, hg. vom Deutschen Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 18. Aufl., Bonn 1994, S. 286) ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 14
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übernommen hatte, übertrug er die Durchführung der „Bauhilfe“, die sofort versuchte, Techniker und Bankkaufleute aus der Wohnungswirtschaft für die notwendigen Vorplanungsarbeiten zum Einsatz zu bringen. Unterstützung fand sie dabei beim GBA. Er wies umgehend die Präsidenten der LAÄ an, über die Arbeitsämter sofort die Dienstverpflichtung der von der „Bauhilfe“ beantragten Arbeitskräfte durchzusetzen.153 Das Verhältnis von RGI und DAF trug erheblich zur Dynamik sozialpolitischer Maßnahmen bei. DAF und OgW einigten sich – wieder einmal – über die Zusammenarbeit in allen Fragen der Berufserziehung und Leistungsertüchtigung und in den GWK wurden Vertrauensleute für Kriegsversehrtenfragen, Obleute für Qualitätsarbeit und Beauftragte für Berufsbildung berufen.154 Die Arbeitsstelle für die Wiedereingliederung von Kriegsbeschädigten in der RGI, die sich mit Berufsumschulungen, der sozialen Betreuung und der Ausarbeitung von Richtlinien befasste, erhielt durch die 1943 gegründete Deutsche Fördergemeinschaft für Kriegsversehrte beim Leistungsertüchtigungswerk der DAF Konkurrenz.155 1943 zeigte sich in der Selbstwahrnehmung der DAF, dass die Kammern in ihrer bisherigen Form für die Bewältigung der stetig wachsenden Kriegsanforderungen nicht mehr ausreichten, so dass sie mit der DAF-Anordnung 12/43 vom 2.3.1943 umstrukturiert wurden.156 Die Gauarbeitskammern und Arbeitsausschüsse wurden zu Organen für die „Selbst- und Mitverantwortung der Schaffenden“ erklärt und erhielten den weit gespannten Auftrag, „ihre ganze Aufmerksamkeit der Leistungsentwicklung von Mensch und Betrieb zu widmen.“ 157 Die Kammern sollten aus ihrer repräsentativen und weitgehend funktions- und einflusslosen Rolle heraus durch zentrale Unterstellung und Straffung unter das Amt Soziale Selbstverantwortung deutlich aufgewertet werden und alle gauinternen Arbeitsausschüsse zentral zusammenfassen. Außerhalb der Kammern tätige Arbeitsgemeinschaften wurden aufgelöst oder in das Kammersystem „unter Berücksichtigung der neuen or153 154 155
156 157
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4326, Bl. 15 Vgl. BArch R12I/313, 314 Vgl. BArch R12I/317. Auf das Feld der Kriegsversehrtenversorgung drängte als dritte Kraft das Hauptamt Technik der NSDAP. Tätigkeitsberichte zur Umwandlung und Erweiterung des Aufgabenkreises für die Wiedereingliederung von Kriegsbeschädigten, in: BArch R12I/320; den vom Leiter der Abteilung für Berufsausbildung und Leistungsertüchtigung in der RWK, Prof. Dr. Ing. Adolf Friedrich, verfassten Aufsatz: Die Betreuung der Kriegsversehrten in der OgW, erschienen im Völkischen Beobachter, Berliner und Norddeutsche Ausgabe, 5.3.1944 Vgl. die grundlegenden Richtlinien zur Neustrukturierung der Gauarbeitskammer Thüringen, in: BArch NS5I/41 BArch R12I/279 n. pag. (hieraus auch zum Folgenden)
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ganisatorischen Grundsätze“ eingegliedert. Im Bereich jeder Gauarbeitskammer entstanden Unterkammern für „Mensch und Leistung“ (I, Leiter: Gauobmann), „Leistungsertüchtigung“ (II, Gauberufswalter), „Leistung und Lohn“ (III, Gausozialwalter) und „Gaugebundene Untersuchungen“ (IV, Berufung durch den Gauobmann). Sachlich unterstanden sie den Abteilungen der Reichsarbeitskammer. Die Mitarbeiter der Unterkammern wurden nicht automatisch Mitglieder der Gauarbeitskammern. Die Führung der Gauarbeitskammern übernahmen die Gauobmänner mit dem Titel eines Leiters oder Präsidenten der Gauarbeitskammer. Die Geschäftsführung lag in der Regel in den Händen des Gausozialwalters und koordinierte den allgemeinen Verwaltungsablauf und die zentrale Auswertung der Arbeitsergebnisse. Den mit Beratungsfunktionen ausgestatteten Beirat der Gauarbeitskammer bildeten als deren Mitglieder der Reichstreuhänder der Arbeit, der Präsident des LAA, der GWB, der Präsident der GWK, der Abteilungsleiter Gewerbeaufsicht im Regierungspräsidium, der Leiter der Rüstungsinspektion, der Wehrkreisbeauftragte des RMBM, der Gausozialwalter und Leiter der Hauptabteilung Soziale Selbstverantwortung, die Leiter der Hauptabteilungen Arbeitseinsatz, Leistungsertüchtigung/Berufserziehung/Betriebsführung, Gesundheit/Volksschutz, der Gauarbeitsschutzleiter sowie ca. drei „höchst aktive und absolut zuverlässige“ Betriebsführer (nach Möglichkeit aus den Reihen der NS-Musterbetriebe und Kriegsmusterbetriebe). Die Mitarbeit der Gauleiter wurde durch deren Berufungsrecht gesichert. Um die Gauarbeitskammern beweglich zu halten, wurde die Mitgliederberufung streng reglementiert und dem Gauobmann übertragen. Die Gauarbeitskammern bildeten mit der sachlichen Bindung ihres Unterbaus an die entsprechenden Organe der Reichsarbeitskammer und deren gleichzeitig immer wieder hervorgehobenen „absolute(n) Eigenverantwortlichkeit“ ein Beispiel für die Parallelität von Zentralisierungs- und Dezentralisierungsschüben in der Gauebene. Die Anordnung 12/43 der DAF rief bei den Organen der Industrie verständlicherweise erheblichen Protest hervor. Die neu ausgerichteten und in ihren Kompetenzen deutlich aufgewerteten Gauarbeitskammern griffen seit 1943 deutlich stärker als bisher in traditionelle Aufgabenbereiche der Betriebsführer und GWK ein.158 Ausgestattet mit neuem Rüstzeug, konnte der Gauobmann der DAF in Thüringen, Marschler, in die Offensive gehen. Auftrieb erhielt er durch die DAF-Anordnung 17/1944, mit der die DAF den Anspruch erhob, allein für die Erhaltung der Einheit der Betriebe zuständig zu sein, was von der RGI, die auf die Alleinverantwortlichkeit der Betriebsführer159 pochte, heftig zu158
159
Vgl. den 1944 verfassten und aus DAF-Sicht aufschlussreichen Artikel Hupfauers „Soziale Selbstverantwortung und wirtschaftliche Selbstverantwortung“ (BArch R12I/279, n. pag.) Vgl. zu Stellung, Rechten, Aufgaben, Fürsorgepflicht und Abberufung der Betriebsführer BArch R12I/280
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rückgewiesen wurde. Diese Vorgänge irritierten die Industrie-Abteilung der GWK derart, dass ziemlich genau ein Jahr nach der Neuordnung der Gauarbeitskammern ein Arrangement zwischen Beckurts und Marschler ohne vorherige Benachrichtigung der RGI geschlossen wurde, „da die DAF in Thüringen auf allen sozialwirtschaftlichen Gebieten vorprellte.“ Beckurts selbst bezeichnete die Vereinbarung über die „Zusammenarbeit der Gauarbeitskammer Thüringen der DAF und der GWK Thüringen Industrie-Abteilung“ als Grundlage für eine Gemeinschaftsarbeit, die er persönlich außerordentlich begrüße. Und in der Tat stellte sie ein Novum im Verhältnis von OgW und DAF in der Mittelinstanz dar. Der Industrie-Abteilung Thüringen eröffneten sich Rechte und Einflussmöglichkeiten, wie sie ihr bis dahin selten zuerkannt worden waren. Die Übereinkunft sah die Übernahme der bei den Kreiswaltungen der DAF tätigen Kreisarbeitsgemeinschaften vor, in denen bisher im Rahmen des Erfahrungsaustausches alle aktuellen sozialpolitischen Fragen in den einzelnen Kreisen der NSDAP beraten wurden. Zudem wurden sie zentralisiert und auf die Gauarbeitskammer ausgerichtet. Sie bildeten ein Gegengewicht zu den bei der Industrie-Abteilung der GWK Thüringen bestehenden und dieser unterstellten örtlichen Arbeitsgruppen, die sich wiederum nach sachlichen Arbeitsgemeinschaften gliederten und von der GWK und den Ausschüssen für Leistungssteigerung, Betriebswirtschaft, industrielles Ausbildungswesen und soziale Betriebsarbeit gesteuert wurden. Gauarbeitskammer und Industrie-Abteilung kamen weiterhin überein, sich über die ehrenamtlichen Mitarbeiter in der Industrie personell enger zu vernetzen. Die DAF übernahm die Leiter der örtlichen Arbeitsgruppen der IndustrieAbteilung auf dem sozialwirtschaftlichen Sektor als Leiter der DAFKreisarbeitsgemeinschaften und unterstellte sie in dieser Eigenschaft den DAF-Weisungen. Deren Ernennung erfolgte durch den Präsidenten der Gauarbeitskammer nach Rücksprache mit dem Leiter der Industrie-Abteilung. Die Geschäftsführungen mussten sich über die Aufgabenabgrenzungen der DAF-Kreisarbeitsgemeinschaften und örtlichen Arbeitsgruppen der Industrie-Abteilung einigen. Insofern stellt die Übereinkunft einen durchaus gelungenen Versuch dar, die von DAF Thüringen und Industrie-Abteilung Thüringen erkannte Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zu realisieren. Über die den Arbeitsgruppen und -gemeinschaften durch die Industrie-Abteilung erteilten Aufgaben wurde die Gauarbeitskammer zur Unterrichtung der Kreiswaltungen der DAF informiert. Umgekehrt erhielt die IndustrieAbteilung von den an die Kreisarbeitsgemeinschaften und Kreiswaltungen der DAF ergangenen Aufträge Kenntnis. Die Beteiligung der DAF an den Sitzungen der örtlichen Arbeitsgruppen und -gemeinschaften der IndustrieAbteilung wurde durch regelmäßige Entsendung eines DAF-Vertreters sichergestellt.
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Das Abkommen zwischen DAF und Industrie-Abteilung in Thüringen erhielt rasch Aufmerksamkeit. In der RGI wurde es „mit großem Interesse“160 registriert und in seiner Gesamtheit als positiv bewertet, da es der IndustrieAbteilung Rechte und Einflussmöglichkeiten gab, wie sie „bisher kaum irgendwo zuerkannt worden sein dürften“ und durchaus im Rahmen der Absprachen zwischen Zangen und Hupfauer lag.161 Die Hinzuziehung von DAF-Vertretern zu Besprechungen der örtlichen Arbeitsgruppen und gemeinschaften der Industrie-Abteilung wurde zwar mit Vorbehalten hingenommen, aber auch nicht überbewertet, da die eigentlich richtungsweisenden Entscheidungen nicht in diesen örtlichen Gruppen, sondern im Rahmen der übergeordneten Gesamtausschüsse der GWK für Leistungssteigerung, Betriebswirtschaft, industrielles Ausbildungswesen und soziale Betriebsarbeit und deren Arbeitsgemeinschaften vor Ort getroffen wurden, und in den zentralen Sitzungen dieser Fachgremien blieb die Abteilung Industrie der GWK unter sich. Das Abkommen entwickelte in der RGI eine erhebliche Wirkung auf Reichsebene und sollte als Vorbild für weitere Abkommen zwischen Industrie und DAF-Kammersystem dienen.. Als Folge kritischer Töne aus der RGI ließ Beckurts überprüfen, in welchem Umfang die DAF in den örtlichen Sitzungen der Arbeitsgruppen vertreten war. Dabei kam er zu dem aus seiner Sicht „erfreulichen Ergebnis“, dass ein Vertreter der DAF zwar in den meisten Fällen anwesend war, die eigentliche Beteiligung am Erfahrungsaustausch sich aber größtenteils auf die Sachgebiete Arbeitseinsatz, industrielles Ausbildungswesen und lohnordnende Maßnahmen beschränkte.162 Trotz der Übereinkunft ergaben sich dann regionale und lokale Konfliktstellen, wenn DAF bzw. Industrie-Abteilung nicht in gleicher Weise Bezug auf die örtlichen Arbeitsgruppen des Gegenübers nahmen, wie im Falle der von DAF und Industrie-Abteilung gemeinsam organisierten Ausstellung „Anlernung und Umschulung“. Insgesamt bildete die Übereinkunft ein die Grundzüge der „Leipziger Vereinbarung“ integrierendes, zukunftsweisendes Modell regionaler Kooperation. Die Industrie-Abteilung beurteilte wirtschaftliche Fragen vom „Standpunkt der Produktion“, die DAF vom „Standpunkt der Menschenführung“ aus. Stilbildend wurde diese regionale Übereinkunft in der Wahrnehmung der RGI. Zusammenarbeit und Konsensfindung minderten die Reibungsflächen, um das gemeinsame Ziel, die Steigerung der Effizienz der Kriegswirtschaft, zu erreichen.163 Insofern erhielt der Gau Thüringen eine 160 161 162 163
Schreiben von Schwartz an Steinberg vom 1.6.1944 (BArch R12I/279, n. pag.) Vgl. BArch R12I/279 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 62 Die Vereinbarung zwischen Marschler und Beckurts scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Ebenfalls 1944 kam der Leiter des der RGI angegliederten Werkluftschutzes in Oberschlesien mit der DAF zu einer Neuregelung der Zuständigkeiten, was die These stützt, dass bedeutende Impulse zunehmend von den Regionalstrukturen aus-
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Gelenkfunktion, indem er das Konfliktpotenzial der Reichsebene auffing, kanalisierte und die These von der „Mittelinstanz […], die ebenso heillos zerstritten war wie die zentralen Behörden“164, durchaus entkräftet.
2.
Die Stilllegungsaktionen im NS-Gau Thüringen
Der Aufstieg Speers seit 1942 führte zu erheblichen strukturellen Wandlungsprozessen in der zentralen und regionalen Dimension des Reiches, von denen vor allem die mit der Kriegswirtschaft befassten Dienststellen von Staat, Partei, Wehrmacht und die errichteten Sonderbehörden betroffen waren. In der Mittelinstanz machten sich die funktionellen Verschiebungen auf Reichsebene bei Rohstoff- und Produktionsfragen sowie Arbeitskräftegewinnungsprozessen, denen das Regime angesichts der bedenklichen Lage seiner Wirtschaftssysteme ein innenpolitisches Hauptaugenmerk widmete, bemerkbar. Die Stilllegungsaktionen der Jahre 1939/42 waren in ihrer Konsequenz – wie vor allem die Rüstungsdienststellen bemängelten – nicht erfolgreich. Die Zahl der „freigesetzten Arbeitskräfte“ reichte bei weitem nicht aus, die militärisch bedingten und sich rüstungswirtschaftlich auswirkenden Verluste wettzumachen, zumal sie oft nur mangelhaft organisiert und inkonsequent durchgeführt worden waren. Eine neue Stufe erreichte die Stilllegungspraxis mit dem unveröffentlichten „Erlaß des Führers über den umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung“ vom 13.1.1943165 und der vom „Dreier-Ausschuss“ am 29.1.1943 verantworteten Verordnung zur Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtigen Einsatz166, mit der die Obersten Reichsbehörden und nach deren Anordnungen die RVK und zuständigen Behörden der Wirtschaftsbe-
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gingen. Vgl. zur RGI in den letzten Kriegsjahren, insbesondere zu den sozialpolitischen Kräftefeldern, BArch R12I/331-342 Müller: Mobilisierung, S. 545 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 311-313; BArch R43II/655, Bl. 204-207; ausführlich zur Genese des Erlasses Bl. 3-37, 113-124; zu den stillzulegenden Produktionszweigen Bl. 58-104; zu den Zuständigkeiten des „Dreier-Ausschusses“ und Goebbels´ Bl. 257f.; zur Durchführung des Erlasses BArch R43II/655a, Bl. 1-15; BArch R43II/654a, Bl. 1-45 und zur Bildung eines Ausschusses aus den Spitzen von Staat, Partei und Wehrmacht Bl. 46-53; zur Chefbesprechung über die Stilllegung von Wirtschaftsbetrieben am 28.1.1943 sowie allgemein zu Stilllegungen in Wirtschaft, Landwirtschaft, Pressewesen und Entschädigungsfragen BArch R43II/662; ergänzend BArch R43II/654a, Bl. 65-72, 75-77, 113-125; zum Erlass vom 13.1.1943 auch Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 847-855, 885-893 Vgl. RGBl I, 1943, S. 75f.; BArch R43II/657, Bl. 155-272; allgemein zu Vorschriften, Regelungen und Verfahren bei Stilllegungen, Finanzierungshilfen, Schadensausgleich und Preisbildung BArch R3/1864; BArch R3101/32244
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zirke mit der Durchführung der Stilllegungen beauftragt wurden.167 Der Führererlass sah im Wesentlichen eine scharfe Überprüfung der uk-Stellungen durch das OKW, eine Anordnung zur Meldepflicht zur Erfassung von Männern und Frauen durch den GBA, eine Stilllegungsanordnung durch das RWM und die Erstellung eines Maßnahmenkatalogs durch die Obersten Reichsbehörden (und nach deren Richtlinien die RVK) zur Erfassung der Arbeitskräfte vor.168 Den Erlass flankierte die Verordnung über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung vom 27.1.1943, die eine Meldepflicht für Männer und Frauen bei den Arbeitsämtern eingeführte.169 Dieser Maßnahmenkatalog führte im RWM zu einem ungeordneten Aktionismus, in dessen Folge am 30.1.1943 drei Runderlasse ergingen, mit denen wiederholt das Problem der Arbeitskräftegewinnung gelöst werden sollte.170 Mit einer Stilllegungsaktion bei Betrieben des Handels, Handwerks und Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes171 sollten die für die Steigerung der Rüstungsproduktion notwendigen Einsparungen bei Arbeitskräften, Energie, Kohle und Raum erzielt werden, was – kurz gesagt – völlig misslang.172 Die Stilllegungen 1943 wurden auch als erste Neuordnungsversuche für eine Nachkriegswirtschaft und Beseitigung unliebsamer Konkurrenten verstanden. Während GWK, LWÄ, LEÄ, LAÄ und Parteidienststellen die Betriebe überprüften173, wies das RMI die Gauleiter an: „Der Reichsverteidigungskommissar sorgt für den erforderlichen Ausgleich innerhalb des gesamten öffentlichen Dienstes seines Bezirks. […] Der Generalbevollmächtigte für Rüstungsaufgaben im Vierjahresplan, Reichsminister Speer, wird den Reichsverteidigungskommissaren einen technischen Beamten des höheren Dienstes zur Verfügung stellen, der sie bei der Prüfung der technischen Verwaltung sowohl hinsichtlich des Personalausgleichs wie der personellen 167
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Vgl. zur Anweisung der RVK durch das RWM, das RMEL und den Reichsforstmeister BArch R43II/658, Bl. 138-141, 146f., 151-153, 170; Aktenvermerk in der Reichskanzlei, BArch R43II/658, Bl. 189-192; Naasner: Machtzentren, S. 63-68 Vgl. zur Durchführung die Stilllegungsaktionen die Anweisungen Kehrls, Generalreferent im RWM und Organisator der Aktion, in: BArch R43II/662, Bl. 138-140 sowie die Sammlung einiger Erlasse des RWM, in: BArch R3101/32219 Vgl. RGBl I, 1943, S. 67f.; Völkischer Beobachter Nr. 29 vom 29.1.1943. Aufgrund der Meldepflichtaktion wurden 1,6 Mio. Menschen erfasst. (Vgl. BArch R43II/664a, Bl. 33) Vgl. dazu ergänzend die Befunde bei Rebentisch: Führerstaat, S. 476-492 Vgl. BArch R43II/662; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3901, Bl. 4-8 Vgl. BArch R3/1742; …; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3901, Bl. 5, 7; BArch R3101/32220, Bl. 8; BArch R3101/32221, Bl. 8-10 Vgl. BArch R43II/658, Bl. 180f.; BArch R43II/662, Bl. 159-161; BArch R11/1180, 1244, 1245
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Freimachung unterstützt.“174 Die GWK schlug den zu schließenden Betrieb dem LWA unter Angabe der „freigemachten Arbeitskräfte“ an das Arbeitsamt vor, das LWA entschied über die endgültige Stilllegung.175 Die Verordnungen entwerteten sich außer in der dargestellten Weise auch dadurch selbst, dass sie den RVK die Möglichkeit einräumten, von den „Richtlinien im Einzelfall abzuweichen“, die gesamte Aktion – in völliger Überstürzung – bis zum 15.3.1943 abgeschlossen werden sollte und mit dem Machtbereich Speers kollidierte, der im Februar 1943 die Selbstständigkeit der Ausschüsse und Ringe bei den Stilllegungen festlegte.176 Diese stellten unter Mitwirkung der Bezirksbeauftragten die Vorschläge für Stilllegungen zusammen und übermittelten sie den Bezirksobmännern, von denen die Vorschläge nach Abstimmung mit den GWB den RVK zur Durchführung der Stilllegung vorgelegt wurden. Bei Meinungsverschiedenheiten ging der Fall über den Rüstungsobmann an die Rüstungskommission und die Durchführung erfolgte durch den RVK. Da der 15.3.1943 als Termin für die Stilllegungsaktion, die unter den Gesichtspunkten Arbeitskräfte-, Energie-, Produktionsmittel-, Transportkosten- und Dienstleistungseinschränkung durchgeführt wurde, nicht eingehalten werden konnte, erging am 16.3.1943 eine weitere Anordnung zum Prozedere der Stilllegungen, mit der die Reichsstellen mit der Aufstellung der Still- und Zusammenlegungspläne beauftragt wurden.177 Bis Ende April sollten die LWÄ die Stilllegungsbescheide der Reichsstellen bearbeitet und an sie zurückgesandt haben, so dass ab Anfang Mai die Stilllegungsbescheide von den Reichsstellen ausgesprochen werden sollten. Die LWÄ in deren Eigenschaft als Dienststellen der RVK und die GWB riefen Prüfungskommissionen aus Vertretern von LAA, Rüstungsinspektion, GWK, Bezirksbeauftragter der Ausschüsse und Ringe ins Leben, die die Stilllegungs- und Produktionsverbotspläne der Reichsstellen in ihren Wirtschaftsgebieten überprüften. Wandte sich die Prüfungskommission gegen Vorschläge der Reichsstellen, musste sie in Absprache mit dem GWB Ersatzvorschläge benennen. Die Entscheidungsinstanz für die Stilllegungen blieben aber in dieser Hinsicht die Reichsstellen. Für besondere Fälle wurde die Stellungnahme des Vorsitzers der Rüstungskommission eingeholt. Ein förmliches Beschwerdeverfahren gegen die Stilllegungen war zwar nicht möglich, aber die regionalen Funktionsträger machten schon kurz nach Anlaufen der Akti-
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BArch R43II/658, Bl. 180-185 Vgl. zu Hintergründen und Durchführung auf Reichsebene Herbst: Totaler Krieg, S. 200-231; Naasner: Machtzentren, S. 63-68; aus der Perspektive der Kammern Stremmel: Kammern, S. 412-417, hier auch Hinweise zur regionalen Ebene in Südwestfalen, S. 412, Anm. 344 Vgl. BArch R3101/32218, Bl. 16 Vgl. BArch R3101/32218, Bl. 13-15; BArch R43II/658, Bl. 171-173
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on auf die systemimmanenten Fehler aufmerksam.178 Die Fertigung sollte in rationell arbeitenden Konzentrationsbetrieben mit günstigen Energie- und Transportverhältnissen und möglichst abseits der luftgefährdeten Gebiete gebündelt werden, was sicherlich in zahlreichen Fällen Definitionssache blieb. Die Stilllegungsaktionen führten rasch zu heftigen Protesten der regionalen Machthaber, die, so der Reichsstatthalter in Wien, „auf Dauer untragbar sich auswirkt[en].“179 Kritisiert wurden die mangelnde Verwendungsfähigkeit der aus dem Arbeitsprozess herausgelösten Arbeitskräfte, die fehlende Koordination der mittelinstanzlichen und zentralen Behörden, die „Freisetzung“ nicht verwendungsfähiger Arbeitskräfte, die soziale Unruhe unter den Betroffenen, die Haltung Oberster Reichsbehörden, sich in ihren Geschäftsbereichen gegen Verwaltungsvereinfachung und Personalabbau zu sperren, der hohe Verwaltungsaufwand, der geringe (energie)wirtschaftliche Erfolg sowie eine angebliche Branchenbereinigung durch die Ausschaltung von Konkurrenten und bewusste Auflösung kleiner Unternehmen. Darüber hinaus standen die regional orientierten Interessen gegenüber den Reichsinteressen deutlich im Vordergrund. Das RWM verlängerte mehrfach die Fristen und setzte den Abschluss der Aktion auf den 31.7.1943 (Handel, Handwerk, Gaststättengewerbe) bzw. 30.9.1943 (Industrie) fest, um den sich abzeichnenden Stimmungseinbrüchen in der Bevölkerung und einer drohenden Vertrauenskrise zu begegnen. In der Praxis zeichnete sich ein hohes Maß an eigenständigem Vorgehen regionaler Netzwerke ab.180 Für den Bereich der Rüstungsproduktion hatte Speer parallel zu den Anordnungen des RWM auf dem Erlassweg am 15.1.1943 und 23.2./6.3.1943 Stilllegungsmaßnahmen im Bereich des RMBM verfügt, die ebenfalls am 15.3.1943 auslaufen sollten.181 Die Stilllegungsvorschläge wurden von den Ausschüssen und Ringen unter Mitwirkung ihrer Bezirksbeauftragten aufgestellt, die dann die Bezirksobmänner, die Konsens mit den GWB herstellten 178 179
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Vgl. BArch R3101/32220, Bl. 11-13 BArch R43II/662, Bl. 143; BArch R43II/658, Bl. 126 (Fernschreiben Bormanns an Lammers), Bl. 135-137; zu den zum Teil heftigen Reaktionen BArch R3101/32220, Bl. 24-184. Mutschmann konstatierte für seinen Gau, dass sich in Sachsen „Stilllegungen überhaupt nicht mehr verantworten lassen“ und sich statt einer Einschränkung eher eine „Steigerung der Produktionsleistung durch zusätzlichen Einsatz von Arbeitskräften, Kohle, Energie und Transportmittel“ abzeichne. (BArch R3101/32220, Bl. 185f.) Das eigenmächtige Vorgehen hat Stremmel (Kammern, S. 414f.) beispielsweise für den GWB Westfalen- Lippe und den Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Münster nachgewiesen. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 306, Bl. 1, 14f.; BArch R3/1742, Bl. 114f.; BArch R3101/32220, Bl. 245; Nachrichten des RMBM 29/1943, S. 315f.
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und zur Stilllegungsdurchführung die RVK beriefen, einschalteten.182 Im Falle eines Dissenses zwischen Gauleitung und Bezirksobmann wurde die Angelegenheit zur Entscheidung an den Rüstungsobmann weitergeleitet und die Zahl der „freigemachten“ Arbeitskräfte an das Arbeitsamt gemeldet. Zum Ergebnis der Stilllegungen durch die Ausschüsse und Ringe bemerkte der Hauptausschuss Wehrmacht- und allgemeines Gerät in einem Rundschreiben vom 6.3.1943 an die Sonderausschüsse, selbstständigen Arbeitsausschüsse und Bezirksbeauftragten: „Bisher sind von einigen Ausschüssen recht brauchbare Vorschläge vorgelegt worden. Im ganzen ist aber festzustellen, daß bei der überwiegenden Anzahl der Ausschüsse der nötige Durchsetzungswille für eine radikale Einschränkung bei der augenblicklichen Lage noch zu verantwortenden Fertigungen nicht vorhanden war. Wir möchten Sie aber nochmals dringend ersuchen, Ihren Vorschlag so umfassend wie möglich abzufassen.“183 Eine weitere Stufe der Stilllegungsaktionen stellten die unveröffentlichten Führererlasse über die Stilllegung unrationell arbeitender Betriebe der Rüstungsindustrie vom 28.6.1943, mit denen nochmals die Stilllegungen durch RWM und RMBM aufgegriffen wurden184, sowie über die Sicherstellung von Räumen zur Aufnahme von Rüstungsfertigung aus luftgefährdeten Gebieten und zur Unterbringung von Rüstungsarbeitern in luftgeschädigten Betrieben, mit dem das RMBM in die Wohn- und Produktionsraumlenkung eingreifen konnte185, dar. 1943 existierten entsprechend einer Zweiteilung der Wirtschaft zwei parallel laufende Organisationsstränge zur Gewinnung von Arbeitskräften und Produktionssteigerung, die konkurrierend die Mitarbeit der regionalen Behörden beanspruchten, wobei eine deutliche Machtverschiebung hin zum RMBM stattgefunden hatte.186 Zur Rezeption des Stilllegungswesens ist ein Aktenvermerk im RWM vom 23.6.1943 aufschlussreich: „Die Verfahren sind ohne ausreichende Abstimmung nebeneinander gelaufen, das gilt namentlich für die Bereiche der Reichsstellen Technische Erzeugnisse, Elektroindustrie, Maschinenbau, Feinmechanik und Optik, Glas, Keramik und Holzverarbeitung. Folge ist weitgehend Unklarheit der Reichsstellen darüber, welche Betriebe von Ausschüssen stillgelegt sind und welche nicht und ebenso mangelhafter Überblick bei den LWÄ über die Gesamtlage der Stillegungen im Bezirk. Die Stillegungen der Ausschüsse und Ringe sind sehr schnell erfolgt.“187 Die Stilllegungsaktion in der Wirtschaft wurde am 31.8.1943 been182 183 184 185 186 187
Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 344 BArch R3101/32220, Bl. 36 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 306, Bl. 10 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 306, Bl. 12 Vgl. BArch R3101/32220, Bl. 38f.; BArch R12I/357a BArch R3101/32218, Bl. 18f.
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det, die letzten Stilllegungsbescheide sollten bis zum 30.9.1943 bei den Reichsstellen ausgestellt werden.188 In ihrer Gesamtheit stellt die Aktion einen Tiefpunkt der Kriegswirtschaftsorganisation durch das RWM dar. Die Ergebnisse der in Folge des Führerauftrags angelaufenen umfangreichen Aktionen wurde bei einem Treffen der Spitzen aus Staat, Partei und Wehrmacht im Juli 1944 erörtert.189 Bis zum Ende des Jahres 1943 wurden aufgrund der Meldepflichtaktion etwas mehr als 1,6 Mio. Personen erfasst, die Auskämmungsaktion, die nach Abschluss der Stilllegungen im Spätsommer 1943 einsetzte, erbrachte rund 400.000 Arbeitskräfte.190 Die Stilllegungsaktion im Bereich des RWM und des RMEL für Betriebe der Ernährungswirtschaft führte zur „Freisetzung“ von etwa 150.000 Arbeitskräften für „wichtigere“ Aufgaben.191 Die Zahlen gewinnen an weiterer Bedeutung, stellt man sie den internen Überlegungen und Erwägungen im engsten Führungszirkel gegenüber. Für 1944 rechnete Sauckel zur Aufrechterhaltung der Produktion mit etwa drei Millionen Arbeitskräften, um die durch Tod, Invalidität und Fluktuation auftretenden Ausfälle zu ersetzen. Speer forderte zusätzlich 1,3 Millionen Arbeitskräfte, um die Eisenerzfertigung zu erhöhen – im Falle einer ausbleibenden Steigerung benötigte Speer die Arbeitskräfte nicht – und für den Ausbau des Werkluftschutzes fehlten 250.000 Arbeitskräfte. Damit ergab sich für 1944 ein Gesamtbedarf von mindestens vier Millionen Arbeitskräften, deren Bereitstellung durch den GBA erfolgen sollte.192 Im Herbst 1943 hatten RWM und RMBM die Stilllegungsaktion angesichts ihres Scheiterns beinahe wortlos auslaufen lassen193 und der Führererlass vom 2.9.1943, der wesentliche Kompetenzen des RWM auf das RMRK übertrug, beendete die Zweigleisigkeit in der Kriegswirtschaftspolitik.194 Erst im Juli 1943 informierte das Auftragslenkungsbüro das LWA Weimar über die Speersche Stilllegungsaktion. Marschler wandte sich daraufhin an Sauckel, um die in der Reichsebene praktizierte Doppelgleisigkeit der Stilllegungen in der Mittelinstanz durch die Bündelung beim LWA Weimar zu
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Vgl. BArch R3101/32218, Bl. 1; BArch R43II/662, Bl. 196; BArch R3101/32220, Bl. 14 Vgl. BArch R43II/664a, Bl. 33-43; Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 369-403 Naasner (Machtzentren, S. 67) beziffert das Ergebnis dieser Auskämmaktion auf etwa 280.000. Vgl. ergänzend zu den „Richtlinien für die Behandlung von Gefolgschaftsmitgliedern auf arbeits-, sozial- und wirtschaftsrechtlichem Gebiet“ bei den Stilllegungen und Betriebsverlagerungen die RGI-Anweisungen, in: BArch R12I/328 Vgl. IMT III, S. 534-536; IMT XVI, S. 568 Vgl. BArch R3/1742, Bl. 149-151; ergänzend Bl. 161-365 sowie BArch R3/1843; BArch R3/1742, Bl. 213 Vgl. BArch R3101/32220, Bl. 291
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kanalisieren.195 Eine realistische Bestandsaufnahme der Stilllegungen in Thüringen und eine weitgehend ungetrübte Sicht auf deren Praxis vermittelt ein Bericht Marschlers an das RWM vom Juni 1943.196 Bis zum April 1943 unterbreiteten die Reichsstellen 400 Vorschläge für Stilllegungen im Bereich des LWA Weimar, die in den Zweig- und Geschäftsstellen der GWK und – vor Ort – vom GWB/KWB, dem Leiter des Arbeitsamtes und den Vertretern der Kammer besprochen wurden. 206 Stilllegungen wurde zugestimmt, 165 Vorschläge wurden abgelehnt, bei 28 Betrieben konnte zum Zeitpunkt der Meldung keine Einigung erzielt werden. Das Fazit der Aktion in Thüringen war verheerend, der Gewinn an Arbeitskräften, Energie, Rohstoffen, Produktionsmitteln und -raum minimal, die 165 von der Stilllegung ausgenommen Betriebe hätten für die Steigerung der Kriegswirtschaft überhaupt keinen Gewinn. Von den 206 Stilllegungen hatten 46 die Produktion spätestens seit Kriegsbeginn durch Wehrmachtseinziehungen bereits eingestellt, 122 Betrieben hatten die Reichsstellen die Produktion verboten bzw. Rohstoffentzug angeordnet, wodurch die Firmen teilweise stillgelegt wurden, 27 Stilllegungen brachten einen Arbeitskräftegewinn und elf Firmen wurde die zivile Produktion – außer für öffentliche Bedarfsträger (z.B. NSV, DRK, Bombengeschädigte) – verboten. Die Kommission verweigerte die Stilllegung bei 156 Firmen, da kein Gewinn für den Arbeitseinsatz gegeben war, und bei neun Betrieben aufgrund kriegswichtiger Produktion.197 Zahlreiche der von den Reichsstellen vorgeschlagenen Unternehmen hatten mit Kriegsbeginn ihre Produktion bereits umgestellt und die Betriebsführer die Arbeitskräfte selbstständig innerhalb des Produktionsprozess umgegliedert. Marschler konstatierte abschließend: „In Wirklichkeit sind aber, besonders in Mitteldeutschland, die Betriebe meiner Betreuung schon vor dem Kriege und in mehreren Wellen nach Beginn des Krieges auf das Schärfste ausgekämmt worden. Was sich heute noch in der Korkwarenindustrie der Rhön, der Tabakpfeifenhersteller im Raum Gotha-Ruhla-Schweina und in kriegsunwichtigen Branchen der Holz-, Keramik- und Papierverarbeitung befindet, ist krank, alt, gebrechlich, ortsgebunden oder landwirtschaftlich gebunden. Meine Herren waren oft selbst erstaunt, von den Arbeitsämtern zu hören, daß in den Betrieben mit 15 bis 20 Mann eine Gefolgschaft sitzt, die mehr in die Hand eines Arztes gehört als in die eines Betriebsführers. Zusammenfassend bemerke ich, dass die Stillegungsaktion in der Industrie, so wie sie gestartet worden ist, in meinem Bezirk ein Schlag ins Wasser ist. Einen Gewinn für den Endsieg bedeutet sie in keiner Weise. Sie bringt, im Ganzen gesehen, nur 195 196 197
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 306, Bl. 9; ausführlich zur Korrespondenz zwischen RWM und LWA Weimar 1943/44 BArch R3101/34609 Vgl. BArch R3101/32220, Bl. 167-169 Vgl. zum ernüchternden Fazit des RWM für die Aktion auf Reichsebene BArch R3101/32218, Bl. 10
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die oft fehlerhaften Karteien der Fach- und Wirtschaftsgruppen in Ordnung. Sie beseitigt die Konkurrenz der in der Organisation der Wirtschaft bestens verankerten Herren, sie zerschlägt Betriebe, die in ihrer Art mit alten Leuten wenigstens noch etwas Nützliches produzieren. Sie trägt nicht zu der so oft geforderten Transportent- sondern -belastung insofern bei, als die zur Versorgung der örtlichen Industrie bestimmten Produktionsstätten ausgeschaltet werden und die Waren von weither herangeholt werden müßen.“198 Der Vorschlag Marschlers, die Produktion bei Klein- und Kleinstbetrieben zu konzentrieren und die Stilllegung mittlerer und Großbetriebe zur Arbeitskräftegewinnung für die Rüstung zu forcieren, ging an der wirtschaftlichen Realität und den Versorgungsmöglichkeiten (Infrastruktur, Transportkapazitäten, Energieversorgung, betriebswirtschaftliche Rentabilität etc.) ebenso vorbei. Dem Widerstand der Thüringer Regionalbehörden bei angeordneten Überprüfungen und Stilllegungen konnten die Zentralinstanzen nur wenig entgegensetzen. So beschwerte sich die Reichsstelle Glas, Keramik und Holzverarbeitung, dass das LWA Weimar die Stilllegung sämtlicher im Stilllegungsplan enthaltenen 15 Korkfabriken und 16 Tabakpfeifenhersteller abgelehnt habe und die für diese Fälle zu machenden Ersatzvorschläge gar nicht beachtete.199 Die Stilllegungs- und Auskämmaktionen gingen im Gau Thüringen bis Kriegsende weiter, aber es mangelte an einem zeitlich und sachlich einer klaren Zielformulierung verpflichteten Konzept und der bürokratische Aufwand stand in keinem Verhältnis zu den erzielten „Erfolgen“. Das Scheitern der groß angelegten Stilllegungsaktion 1943 kann auf ein Bündel an Ursachen (ökonomische, politisch-ideologische und organisatorische) zurückgeführt werden:200 Erstens: Da die Stilllegungen meist Kleinbetriebe mit einer geringen Beschäftigungszahl betrafen, können informierte Kreise von vornherein nicht von einer großen Zahl freiwerdender Arbeitskräfte ausgegangen sein. Zahlreiche im Gau Thüringen (vorübergehend) freigemachte Arbeitskräfte standen einem Einsatz in der Rüstungsindustrie nicht zur Verfügung, da sie ortsgebunden, zu alt oder gesundheitlich nicht geeignet waren und die Transportkapazitäten und Verkehrsanbindungen aufgrund der wirtschaftlichen und Infrastruktur des Gaues einfach nicht vorhanden waren. Stilllegungen stießen zudem dort an ihre Grenzen, wo sie die Versorgung der Bevölkerung gefährdeten. Zweitens: Durch die Auskämm- und Stilllegungsaktionen war ein größerer Personenkreis als der von der Kommission erfasste „Volksgenosse“ betrof198 199 200
BArch R3101/32220, Bl. 168 Vgl. BArch R3101/32220, Bl. 165, 236 Vgl. zum Folgenden Stremmel: Kammern, S. 419-428
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fen. Soziale, milieugebundene Netzwerke drohten zu zerreißen, die Warenversorgung geriet in Bedrängnis, Familien wurden womöglich getrennt. Eine solche tiefe Verunsicherung wollte sich das NS-Regime, allen voran Hitler, aber nicht leisten und so achtete die NS-Führung, höchst sensibilisiert und empfänglich für derlei Signale, peinlich darauf, durch möglichst wenige radikale Maßnahmen die Bevölkerung eher selten zu belasten. Drittens: Die Stilllegungsaktionen waren allesamt organisatorisch unausgereift, gekennzeichnet durch ein Gegen- und Nebeneinander, bewusste und unbewusste Fehlinformationen beteiligter Behörden mit unterschiedlichen Interessen und Zielen und dem Gegensatz von zentraler und regionaler Ebene. Auf horizontaler wie auf vertikaler Ebene überlagerten sich Zielprojektionen und Konfliktherde. Mit Ausnahme der Rüstungsorgane, insbesondere die radikalisierten Rüstungskommandos in Weimar und Eisenach, verfolgte im Grunde kein Machtblock im Gau Thüringen eine umfassende, tief in die regionale Wirtschaft hineingreifende Stilllegungsaktion. Die GWK und die von ihr umschlossenen Organe wollten die von ihnen „betreuten“ Betriebe ebenso wenig schließen lassen wie die Gauführung ihre ökonomischen und Arbeitseinsatzreserven gefährden wollte. Prinzipiell kann gelten: umso näher eine in die Stilllegung involvierte Institution den Betrieben stand, desto sensibler handelte sie und war folglich in deutlich geringerem Maße an einer Stilllegung interessiert. Über gaubezogene Personalunionen und ausgeprägte, gut funktionierende Netzwerke wurden diese Trends kanalisiert und umgesetzt.
III. Der Gaueinsatzstab im NS-Gau Thüringen 1.
Die Errichtung des Gaueinsatzstabes und seine Aufgabenbereiche
Die mit fortschreitender Kriegsdauer einhergehenden gewandelten Rahmenbedingungen an der „Heimatfront“ zwangen die NS-Führung zu Reaktionen, in deren Folge der GBV mit einem Schnellbrief die RVK am 6.5.1942 anwies, die bei größeren Luftangriffen eintretenden Schäden gänzlich zu verhindern bzw. unverzüglich zu beseitigen und zur Eindämmung selbstständig weitere Vorkehrungen zu treffen.201 Nach Erfahrungen mit Luftangriffen im Wehrkreis X hatte der dortige RVK mit Sitz in Hamburg offenbar selbstständig einen Einsatzstab zur Schadensbehebung ins Leben gerufen. Dieser diente als Vorbild für den am 6.5.1942 vom RMI versandten Schnellbrief zur „Planmäßige(n) Vorbereitung der nach größeren Luftangriffen sofort zu treffenden Hilfsmaßnahmen“, der die Bildung von Gaueinsatzstäben anordnete, 201
Vgl. zu Hilfsmaßnahmen der Partei im Krieg Nolzen: NSDAP, S. 151-159
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fen. Soziale, milieugebundene Netzwerke drohten zu zerreißen, die Warenversorgung geriet in Bedrängnis, Familien wurden womöglich getrennt. Eine solche tiefe Verunsicherung wollte sich das NS-Regime, allen voran Hitler, aber nicht leisten und so achtete die NS-Führung, höchst sensibilisiert und empfänglich für derlei Signale, peinlich darauf, durch möglichst wenige radikale Maßnahmen die Bevölkerung eher selten zu belasten. Drittens: Die Stilllegungsaktionen waren allesamt organisatorisch unausgereift, gekennzeichnet durch ein Gegen- und Nebeneinander, bewusste und unbewusste Fehlinformationen beteiligter Behörden mit unterschiedlichen Interessen und Zielen und dem Gegensatz von zentraler und regionaler Ebene. Auf horizontaler wie auf vertikaler Ebene überlagerten sich Zielprojektionen und Konfliktherde. Mit Ausnahme der Rüstungsorgane, insbesondere die radikalisierten Rüstungskommandos in Weimar und Eisenach, verfolgte im Grunde kein Machtblock im Gau Thüringen eine umfassende, tief in die regionale Wirtschaft hineingreifende Stilllegungsaktion. Die GWK und die von ihr umschlossenen Organe wollten die von ihnen „betreuten“ Betriebe ebenso wenig schließen lassen wie die Gauführung ihre ökonomischen und Arbeitseinsatzreserven gefährden wollte. Prinzipiell kann gelten: umso näher eine in die Stilllegung involvierte Institution den Betrieben stand, desto sensibler handelte sie und war folglich in deutlich geringerem Maße an einer Stilllegung interessiert. Über gaubezogene Personalunionen und ausgeprägte, gut funktionierende Netzwerke wurden diese Trends kanalisiert und umgesetzt.
III. Der Gaueinsatzstab im NS-Gau Thüringen 1.
Die Errichtung des Gaueinsatzstabes und seine Aufgabenbereiche
Die mit fortschreitender Kriegsdauer einhergehenden gewandelten Rahmenbedingungen an der „Heimatfront“ zwangen die NS-Führung zu Reaktionen, in deren Folge der GBV mit einem Schnellbrief die RVK am 6.5.1942 anwies, die bei größeren Luftangriffen eintretenden Schäden gänzlich zu verhindern bzw. unverzüglich zu beseitigen und zur Eindämmung selbstständig weitere Vorkehrungen zu treffen.201 Nach Erfahrungen mit Luftangriffen im Wehrkreis X hatte der dortige RVK mit Sitz in Hamburg offenbar selbstständig einen Einsatzstab zur Schadensbehebung ins Leben gerufen. Dieser diente als Vorbild für den am 6.5.1942 vom RMI versandten Schnellbrief zur „Planmäßige(n) Vorbereitung der nach größeren Luftangriffen sofort zu treffenden Hilfsmaßnahmen“, der die Bildung von Gaueinsatzstäben anordnete, 201
Vgl. zu Hilfsmaßnahmen der Partei im Krieg Nolzen: NSDAP, S. 151-159
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da sich ein solcher in Lübeck bei einem Luftangriff am 28./29.3.1942 als leistungsfähig erwiesen hat.202 Als Resultat entstand auf Anordnung des RVK Sauckel am 13.5.1942 der Gaueinsatzstab Thüringen zur Schadensbekämpfung bei größeren Luftangriffen und zur schnellen, wirksamen Durchführung von Hilfsmaßnahmen über die bisherigen hinaus, der den Regierungsbezirk Erfurt und die Kreisherrschaft Schmalkalden noch enger an die Gaustrukturen band und sich auf das gesamte Gaugebiet bezog. Aufgrund der sachlichen und örtlichen Zwänge erhielten die RVK und ihre Einsatzstäbe bei der Organisation der Aufgaben nur den Rahmen vom RMI vorgegeben, aktiv wurden sie selbstständig und trugen damit der vom RMI, insbesondere von Stuckart, vehement geforderten Dezentralisation Rechnung. Zum Leiter des Gaueinsatzstabes, der die Aufgaben des Bevollmächtigten des RVK im Sinne des Erlasses des RMI vom 6.5.1942 wahrnahm203, ernannte Sauckel für den Wehrkreis IX Staatssekretär Ortlepp, der laufend alle Meldungen über Luftangriffe und deren Wirkung erhielt. Zum Stabsleiter berief Sauckel Anfang Juli 1942 den im Thüringischen Innenministerium tätigen Oberregierungsrat Dr. Schmidt und stärkte damit die Vernetzung mit dem Innenministerium.204 Ortlepp begriff sein Amt als ein nicht rein verwaltungsmäßiges, sondern v.a. politisches. Demzufolge involvierte er in erheblichem Maße die Partei in die Aufgaben, die er „lebendig“ gestaltet sehen wollte.205 Die Tätigkeitsbereiche des Gaueinsatzstabes Thüringen umfassten die Gesamtorganisation aller im Zusammenhang mit dem Luftschutz stehenden Aufgabenfelder in Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Apparaten: Fragen der Umquartierung aus Luftschutz-Gründen (NSV), nachrichtenund fernmeldetechnische Einrichtungen der Deutschen Reichspost für den Luftschutzwarn- und Katastrophendienst (Reichspostdirektion Erfurt), Bau von Deckungsgräben, allgemeine Fragen der Führung im Luftschutzort, die Zusammenarbeit der Behörden, Arbeitsteilung in Luftschutz-Fragen in der Behörde, Auslegung der Luftschutz-Bestimmungen und Sicherung der Arbeit der Partei bei Luftangriffen und Prüfung der Stadt- und Landkreise hinsichtlich ihrer Luftschutz-Sicherheitsstandards.206
202
203 204 205 206
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag.; anders Süß (Steuerung, S. 185), wonach der äußere Anlass für die Errichtung des von Goebbels geführten Luftkriegsschädenausschusses gerade aus dem Versagen der kommunalen und Reichsbehörden nach dem Luftangriff auf Lübeck resultierte. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 4 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 3 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 45 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 150-162
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Die Mitglieder des Einsatzstabes aus dem Regierungsbezirk Erfurt wurden nur auf besondere Anordnung Ortlepps oder Schmidts alarmiert.207 Die Befehlsstelle des Gaueinsatzstabes Thüringen befand sich im Thüringischen Innenministerium. In den Stadt- und Landkreisen bildeten die Oberbürgermeister und Landräte entsprechende Arbeitsstäbe.208 Den Aufgabenbereich umriss Ortlepp in einem vertraulichen Schreiben an die staatlichen Polizeiverwaltungen, Landräte und Oberbürgermeister am 10.6.1942: „Der Gaueinsatzstab hat die Aufgabe, die bei größeren Luftangriffen eintretenden Katastrophen und Notstände zu bekämpfen und zur schnellsten und wirksamen Durchführung der fürsorgerischen Hilfsmaßnahmen über die bisherigen Vorbereitungen hinaus weitere Vorkehrungen zu treffen und ihren Ablauf sicherzustellen.“209 Ihm oblagen insbesondere „die Lenkung der zu treffenden polizeilichen und fürsorgerischen Maßnahmen zur Behebung der durch Luftangriffe entstandenen Notstände“ und der Einsatz der dem RVK zur Verfügung stehenden überbehördlichen Hilfskräfte und Mittel zur „Wiederherstellung einer straffen Ordnung“210. Ortlepps Stab setzte sich aus leitenden Sachbearbeitern der verschiedenen Arbeitsgebiete – innere Verwaltung, Wirtschaft, Ernährung, Gesundheitsverwaltung, Verkehr, Versorgungsbetriebe, Bau, soziale Angelegenheiten sowie der Partei, insbesondere der NSV – zusammen und arbeitete im Einsatzfall mit den Wehrmachtsbehörden zusammen. Die Aufgabe des Gaueinsatzstabes, der nach dem Vorbild der frühzeitig mit der Luftkriegsbedrohung konfrontierten Gebiete im Norden konzipiert wurde, bestand im Wesentlichen aus der Organisation der Hilfsmaßnahmen für die betroffene Bevölkerung. Er übernahm integrative und kontrollierende Funktionen und mit ihm verfügte der RVK über ein Exekutivorgan an der „Heimatfront“ zur Sicherung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.211 Die sich wandelnde Lage im Zuge der Luftkriegsbedrohung weitete das Aufgabengebiet des Einsatzstabes aus, was sich in einem Erlass des RVK und einem Schreiben Ortlepps an die Behörden des Gaugebietes widerspiegelt. Alle von den Gaubehörden ergangenen Verfügungen, die den Luftschutz betrafen, mussten vor der Herausgabe über den Gaueinsatzstab geleitet werden und der Gaueinsatzstab erhielt Kontrollkompetenzen, um durch Überprüfungen die „Schlagkraft der gesamten Organisationen“212 jederzeit sicherzustellen. 207 208 209 210 211 212
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 3 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 9 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 25, Bl. 2 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 21 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 2-4 sowie ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 487, n. pag. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 86 (Schreiben Ortlepps vom 8.2.1944 an die Gauleitung Thüringen der NSDAP – M-Beauftragter,
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Unberührt vom Zugriff des Einsatzstabes blieben die Polizeikräfte, die die Inspekteure (Befehlshaber) der Ordnungspolizei aktivierten. Neben der durch den Luftschutz-Dienst durchzuführenden Maßnahmen der unmittelbaren Angriffe, vor allem der Verletztenbergung und -versorgung, stand die Unterbringung der obdachlos gewordenen Personen im Vordergrund aller Hilfsmaßnahmen. Im Schadensort selbst dienten die von den örtlichen Partei- und Gemeindedienststellen eingerichteten und unterhaltenen Sammelstellungen und Auffanglager zur ersten Hilfe. Vorsorgliche Umquartierungen erfolgten auf freiwilliger Basis und erstreckten sich hauptsächlich auf Frauen, Kinder und ältere Menschen.213 Zur Gewährleistung der Verpflegung und Versorgung der vom Luftkrieg betroffenen Bevölkerung und zur Beseitigung der Notlage aktivierte der Gaueinsatzstab das LWA Thüringen, das wiederum die Verbindung mit den vom RWM durch die zuständigen Reichsgruppen eingerichteten Sammellagern organisierte und sicherte. Für die Sicherstellung der erforderlichen Lebensmittel griff der Gaueinsatzstab auf das LEA Thüringen zurück. Für die ersten 24 bis 48 Stunden garantierte die NSV Thüringen über die vom RMEL errichteten Lebensmittellager die Versorgung. Die ärztliche Versorgung lief über die Ärztekammer, die Kreisstellen des DRK und die Gauamtsleitung der NSV, die Schwestern und Pflegepersonal zur Verfügung stellte. Da die Luftangriffe häufig Verkehrseinrichtungen beeinträchtigten und durch die Notstände ein zusätzlicher Bedarf an Transportmitteln entstand, aktivierte der Gaueinsatzstab den Nbv für den überörtlichen Einsatz von Verkehrsmitteln im Zuge eines überbezirklichen Fahrzeugausgleichs. Nach der Bekämpfung der Luftkriegsschäden durch die Luftschutz-Polizei214 während und unmittelbar nach dem Angriff und der Beseitigung der unmittelbaren Gefahren übernahmen die Bürgermeister und die ihnen zur Verfügung stehenden technischen Hilfskräfte die weiteren Aufräumarbeiten. Die Instandsetzungsarbeiten bei den Versorgungsbetrieben (Elektrizität, Gas, Wasser) oblagen den betriebseigenen Bau- und Störtrupps der Betriebe, dem Bereitschaftsdienst der Technischen Nothilfe215 sowie der
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Thüringisches Innenministerium, Regierungspräsidium Erfurt, Gauamtsleitung der NSV, Landesgruppe Thüringen des Reichsluftschutzbund, Motorgruppe des NSKK Thüringen, Rüstungskommission IX b, Reichspostdirektion, Reichsbahndirektion, Gaubeauftragter des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft im Gau Thüringen, LEA, LWA, Wasserbehörde des Wirtschaftsministeriums, Nbv, Landesstelle IX des DRK, Technische Nothilfe, RAD-Arbeitsgau Thüringen und Reichspropagandaamt) Das Recht, ganze Bevölkerungsteile vorsorglich umzuquartieren, behielt sich in der ersten Phase des Krieges Göring vor. (Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 2) Aufgaben der Luftschutz-Polizei waren u.a.: Brandschutz, Bergung von Verletzten und Toten, Beseitigung von Gefahren des Einsturzes von Gebäudeteilen oder Explosionen und Befreiung der Fahrbahn und Straßen von Trümmern. Vgl. zum Reichsamt für Technische Nothilfe Neumann: Behemoth, S. 575f.
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durch den Ortslastverteiler bei der Wirtschaftskammer Thüringen organisierten und einzuberufenden Nachbarschaftshilfe. Der bezirkliche Einsatz von Hilfskräften für größere Schäden wurde über das LWA angefordert. Zur Behebung leichterer Schäden an gewerblichen Betrieben, Einzelhandelsgeschäften etc. wandten sich die örtlichen Organe wegen der Bereitstellung von Arbeitskräften und Materialien an das LAA Thüringen und den Gebietsbeauftragten des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft, der mit der 18. Anordnung über Sofortmaßnahmen bei Bomben- und Brandschäden vom 16.1.1942 den Abzug von Hilfskräften und Material von benachbarten Baustellen bewilligen konnte. Zur Beseitigung von Glas- und Dachschäden an Gebäuden stand der Reichsausgleich der Handwerkerschaft zur Verfügung, Verbindung nahmen die betroffenen Organe mit dem LWA und den Kreishandwerksmeistern auf. Für Aufräumarbeiten etc. in Großstädten standen Kriegsgefangenen- und Arbeiterbataillone zur Verfügung, die in Baracken untergebracht wurden. Um die skizzierten Aufgaben durchzuführen, durften bestimmte Bevölkerungsteile die Stadt nicht verlassen bzw. ihre Rückholung wurde in die Wege geleitet. Für die Bearbeitung der Kriegsschäden forderten die örtlichen Einsatzstäbe beim RMI Geldmittel an, um die Sachbeschädigungen auszugleichen. Bei Personenschäden konnte Unterstützung über den Familienunterhalt gewährt werden. Zweckmäßig erwies sich die Bereitstellung von Fachkräften zur Unterstützung der örtlichen Organe durch den RVK, der damit wichtige Kontrollfunktionen besetzte. Flankiert wurden diese Maßnahmen von zentralem Einsatzpersonal des RMI, das im gesamten Reichsgebiet tätig war. Das trat immer dann ein, wenn der RVK den Personalausgleich in seinem RV-Bezirk nicht mehr selbstständig, d.h. ohne Hilfe von außen, durchführen konnte. Den RVK in den besonders luftgefährdeten RV-Bezirken standen besondere Mittel für den ersten dringenden Bedarf zur Verfügung. Die Berichterstattung lief an das RMI, die Parteikanzlei und das Propagandaministerium. Anforderungen von Hilfsmaßnahmen gingen an die Obersten Reichsbehörden unter Mitteilung an die Parteikanzlei und das Propagandaministerium.216 Die Führer der lokalen Einsatzstäbe in Thüringen erhielten für den örtlichen Bereich der Katastrophe für den kürzesten zu verantwortenden Zeitraum die gesamte vollziehende Gewalt des RVK übertragen und wurden ermächtigt, dessen Befugnisse auszuüben. Damit wurde im Vorfeld versucht, einer ausufernden, sich blockierenden Kompetenzverlagerung auf lokale Funktionäre einzudämmen. Wer allerdings festlegte, wann die äußerste Gefahr gebannt war, blieb unklar und damit den exekutiven Organen vor Ort und den Regio216
Diese Organisationsstruktur nahm Mechanismen vorweg, die auf die Ernennung Goebbels´ zum Chef des Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz am 25.7.1944 verweisen. (Vgl. RGBl I, 1944, S. 161f.; Rebentisch: Führerstaat, S. 512523)
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nal- und Lokalstrukturen überlassen. Der Einsatzstabsführer gewährleistete nach den ersten Anordnungen die Kontaktaufnahme mit den zuständigen Mittel- und Ortsbehörden, Gau-, Kreis- und Ortsdienststellen der Partei, dem LEA, LWA, Nbv, Gebietsbeauftragtem des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft und weiteren beteiligten Institutionen. In besonders drängenden Fällen konnte sich der Einsatzstabführer wegen Anforderungen unmittelbar an die obersten Reichs-, Partei- und Wehrmachtsdienststellen wenden.217 Für die lokalen Behörden boten die Einsatzstäbe eine Möglichkeit, sich vor den Gaueliten zu etablieren und Kompetenzen zu arrondieren und folglich zeigten sie beispielsweise nur geringes Interesse, der vom LWA angeordneten Pflicht zur Anmeldung unbenutzter gewerblicher Räume nachzukommen. Marschler musste im Sommer 1943 mit Nachdruck darauf bestehen und sich der Rückendeckung des RVK versichern, um die Erfassung des Raumbedarfs beim LWA zu bündeln und die eigenmächtigen Bestrebungen der Oberbürgermeister und Landräte einzudämmen.218 Die Polizei regelte den Einsatz der Polizei-, Feuerwehrkräfte, Instandsetzungsbereitschaften und Sprengkommandos, des Sicherheits- und Hilfsdienstes sowie die Anforderungen der Luftschutz-Abteilungen, nahm Verbindung mit Wehrmachtseinheiten für Aufräumarbeiten auf, orderte Pionier- und Sprengkommandos, stellte die Abwehrbereitschaft des Selbstschutzes für den Fall weiterer Luftangriffe her, verhinderte die Abwanderung der männlichen Zivilbevölkerung im Rahmen des Selbstschutzes, leitete den Verkehr um die betroffenen Orte und gab Armbinden an Zivilpersonen für deren Einsatz im Schadensgebiet aus. Die Dienststelle der örtlichen Einsatzstäbe sollte vorwiegend in militärischen Behörden errichtet werden und umgehend Verbindung mit den mittelinstanzlichen Behörden und der Ortsinstanz sowie dem LEA und LWA aufnehmen. Zentrale Aufgabenfelder bei der Erstversorgung besetzte die NSV. Kräfte aus Bau-, Versorgungs- und Verkehrsbetrieben wurden vor Ort ebenfalls zur Beseitigung der Fliegerschäden eingesetzt. Unter Umständen erfolgte die Bildung eines „Amtes für kriegswichtigen Einsatz“, dem alle baulichen Zuständigkeiten übertragen und die örtlichen Baubehörden angegliedert wurden. Dienststellen für Personen- und Sachschäden richteten die Einsatzstäbe in Schulen ein, die örtlichen Sozialdienststellen sollten umgehend eingeschaltet werden. Sofort nach dem Luftangriff aktivierte die Partei die zuständigen Hoheitsträger: Kreis-, Ortsgruppen- und den verantwortlichen NSV-Leiter. Seitens der Kreisleitungen wurde, da der Einsatzstab gesondert und nicht bei den Kreisleitungen untergebracht war, ein Verbindungsmann gestellt. Die Parteiorgane übernahmen die Feststellung über Ausweichstatio217 218
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 5f. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 307, Bl. 38f.
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nen/-kapazitäten zum Auffangen der obdachlos gewordenen Bevölkerung, organisierten die Verpflegung über Großküchen und koordinierten die Verschickung von Frauen und Kindern über die NSV, die mit den Sozialbehörden zusammenarbeitete. Männliche Erwachsene durften nur bei vorliegender Bescheinigung durch die Arbeitsämter abwandern. Die Bestattung der Bombenopfer behielt sich aus leicht einsehbaren Gründen der Propaganda ausschließlich die Partei vor. Am Grab hielt der ranghöchste Hoheitsträger der NSDAP eine Rede. Die Führung im Luftschutzort lag beim örtlichen Luftschutzleiter, der die organisatorischen und technischen Vorkehrungen traf, um die „Kampfkraft, die Arbeitskraft und den Widerstandswillen der gesamten Einwohnerschaft gegen die Wirkungen von Luftangriffen zu erhalten.“219 Zur Durchführung seiner Aufgaben bediente sich der Polizeipräsident als örtlicher LuftschutzLeiter der ihm unterstellten Kräfte der Polizei und des Sicherheits- und Hilfsdienstes, der später in Luftschutz-Polizei umbenannt wurde. Bei Obdachlosenfürsorge, Kriegssach- und Personenschäden bediente er sich der Parteiorgane, insbesondere der NSV, sowie der Wirtschafts- und Ernährungsämter. Nach den Erfahrungen der Luftangriffe auf Lübeck, Rostock und Köln ordnete der Gaueinsatzstab Thüringen die besondere Betreuung der obdachlos gewordenen Bevölkerung an. Daraufhin mussten in Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern örtliche Arbeitsstäbe errichtet werden, denen im Auftrage des örtlichen Luftschutz-Leiters alle die Obdachlosenfrage betreffenden Aufgaben übertragen wurden. Dem Arbeitsstab gehörten Vertreter des Arbeitsamtes, Bauamtes, Ernährungsamtes, Wirtschaftsamtes, Einwohnermeldeamtes, Quartieramtes, Rechtsamtes, Friedhofamtes, der NSV, NSFrauenschaft und der Fahrbereitschaftsleiter an. Zur gegenseitigen Abstimmung fanden regelmäßige Arbeitstagungen statt, damit nach einem vorher aufgestellten Alarmierungsplan eine rasche und effiziente Betreuung gewährleistet werden konnte. Um die Querverbindung mit der örtlichen LuftschutzLeitung herzustellen, installierte der Arbeitsstab einen Verbindungsmann, der für eine reibungslose Informationspolitik sorgte. Diese organisatorischen Maßnahmen wurzelten einerseits in den Anordnungen des RMI vom Frühjahr 1942, andererseits in gauinternen Erfahrungen seit 1940, als man im Thüringischen Innenministerium mit Sorge die zunehmende Aufsplitterung der Luftschutzangelegenheiten bei verschiedenen Referaten diagnostizierte.
219
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 291, Bl. 10
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2.
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Das Verhältnis von Gaueinsatzstab, staatlichen Behörden und regionaler Parteiorganisation
Bereits kurz nach der Errichtung des Gaueinsatzstabes gab die NSDAPGauleitung Thüringen über ihren Mob-Beauftragten, Gaustabsamtsleiter Oberbereichsleiter Biedermann, dem Vertreter Ortlepps im Gaueinsatzstab, am 8.6.1942 „Richtlinien für die Aufgaben der Partei, der Gliederungen und angeschlossenen Verbände bei Bekämpfung von Katastrophen durch feindliche Luftangriffe“220 heraus, mit denen die Partei ihren Einfluss auf dieses umfassende und an Bedeutung gewinnende Arbeitsfeld sicherte. Die Kreisleiter unterstützten die örtlichen Luftschutz-Leiter bei der Schaffung und Auswahl von Auffang- und Ausweichstellen. Den Transport der Betroffenen in die mit Angehörigen der NSV, der NS-Frauenschaft und des BDM besetzten Auffangstellen und Einzelquartiere übernahm der Ortsgruppenleiter. Parteidienststellen übernahmen die Anforderung von Transportkapazitäten über den örtlichen Luftschutz-Leiter, die Bereitstellung von Kochgelegenheiten für die Massenverpflegung erfolgte über die NSV, aus deren Beständen auch die Erstverpflegung, für die drei Feldküchen der NSV und zwei der Partei in Weimar bereitstanden, organisiert wurde. Die NSV steuerte die Ausgabe von Lebensmitteln, Bekleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen, bei Mangel kontaktierte sie die Wirtschaftsämter. Als Verbindungsmann zwischen der NSV, die die Durchführung der Umquartierungen organisierte, und dem RVK als Lenkungs- und Verantwortungsorgan fungierte Oberverwaltungsgerichtsrat Sievers vom Innenministerium, der als Sachbearbeiter beim RVK gemeinsam mit der NSV die Pläne für die Verteilung der Luftkriegsbetroffenen im Gaugebiet ausgearbeitet hatte.221 Als Sofortmaßnahmen kamen zunächst neben der Erstversorgung nur die Abstellung von Sachbearbeitern der Kriegssachschäden und die Gewährung von Räumungs-/Familienunterhalt an den Schadensorten zur Unterstützung der dortigen Arbeitskräfte und zur Sicherstellung des ersten Geldbedarfs für Kriegssachschäden in Betracht. Die Gaufilmstelle der NSDAP stellte dem Einsatzstab einen in Weimar stationierten Lautsprecherwagen zur Verfügung. Bei den Kreisleitern entstanden bis zum 10.7.1942 in allen Orten der Kreise nach der Erfahrung der Luftangriffe auf Nord- und Westdeutschland auf Basis der Ortsgruppen unter Leitung des Dienstältesten als Führer bis zu 100 Mann starke Einsatzbereitschaften (Einsatzstürme) aus Politischen Leitern, SA- und SS-Männern, Mitgliedern des NSKK, der HJ und weiteren, noch nicht im Luftschutz erfassten Personen. Die Einsatzbereitschaften wurden noch während der Luftangriffe 220 221
Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 15f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 19
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unabhängig von den dem örtlichen Luftschutz-Leiter unterstehenden Selbstschutzkräften, Luftschutzeinheiten oder Polizeibereitschaften aktiviert. Zwar war ausdrücklich festgehalten, dass diese von der Partei aufgestellten Einsatzbereitschaften die Tätigkeit des Luftschutzes (vormals Sicherheits- und Hilfsdienst), des Reichsluftschutzbundes und der übrigen Selbsthilfeorganisationen weder personell noch organisatorisch gefährden sollten.222 Aber der von ihnen ausgehende Anpassungs- und Effektivierungsdruck darf nicht unterschätzt werden, zumal die jeweilige Situation vor Ort ausschlaggebende Impulse für die Aktivitäten der Beteiligten gegeben haben dürfte. Nach den Angriffen und der Behebung der schlimmsten Schäden standen Einsatzbereitschaften den örtlichen Luftschutz-Leitern zur Verstärkung des Instandsetzungsdienstes und der Feuerlöschpolizei zur Verfügung. Die aufgestellte Meldeorganisation (Kurierdienst) befehligte der älteste NSKK-Führer als Leiter der Meldeorganisation am Ort. Sie bestand aus HJ-Freiwilligen und Motor-HJ und stand den Kreis- und Ortsgruppenleitern persönlich und unmittelbar zur Verfügung. Die örtlichen Luftschutz-Leiter forderten den Einsatz der Meldeorganisation direkt beim nächsten Hoheitsträger der Partei an. Damit entstand neben den Selbstschutzkräften, dem Luftschutz und den Polizeibereitschaften ein parteieigener Hilfstrupp, der nicht – wie die vorher genannten – dem örtlichen Luftschutz-Leiter unterstand, von ihm aber Aufgaben erhielt. Personen, die nicht Parteigenossen oder Angehörige der Gliederungen waren, wurden nicht in den Einsatzbereitschaften eingesetzt. Ende Dezember 1942 erfolgte eine präzisere Abstimmung der „Richtlinien“223, mit denen die NSDAP ihren Einfluss auf die örtlichen Arbeitsstäbe (in Städten über 10.000 Einwohnern) deutlich verstärkte. Ihnen gehörten nun die Kreisamtsleiter der NSV, die Kreisfrauenschaftsleiterinnen, die Kreispropagandaleiter und Meldetrupps (NSKK-Führer, 15 HJ-Angehörige) an, während die Kreisleiter bei Fliegeralarm direkt in die Befehlsstellen der örtlichen Luftschutz-Leiter gingen. Dieses Maß an Einflussnahme der NSDAP lässt sich auch im Gaueinsatzstab feststellen. Aus der Partei gehörten zum Gaueinsatzstab Oberbereichsleiter Biedermann als M-Beauftragter und als sein Vertreter der Sachbearbeiter des M-Beauftragten, SA-Oberführer und Gauhauptstellenleiter Gessert, NSV-Gauamtsleiter Thomas und sein Vertreter als Leiter der Abteilung Volkswohlfahrt, Gauhauptstellenleiter Danz, für die DAF als Vertreter des Gauobmanns Dill und Gaupropagandaleiter Brüstlin. Im Falle eines katastrophalen Luftangriffs verpflichtete Biedermann alle
222 223
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 16 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 27, Bl. 18-29
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Parteidienststellen zur unbedingten Befolgung seiner Anordnungen. Entsprechend der personellen Zusammensetzung nahmen die Parteivertreter im Gaueinsatzstab und bei den örtlichen Luftschutz-Leitungen wichtige Funktionen wahr. In den Auffang- und Ausweichstellen, denen der Ortsgruppenleiter mit Arbeitsstab, NSV-Ortsgruppenamtsleiter, die Ortsgruppenfrauenschaftsleiterin und ein Meldetrupp (NSKK-Führer mit zehn HJ-Angehörigen) angehörte, erfolgte die Betreuung der „bombengeschädigten Volksgenossen“ durch die NSV. Die Evakuierung außerhalb des „Katastrophenortes“ übernahm die Partei auf Anordnung des örtlichen Luftschutz-Leiters, die Betreuung in den Bergungsorten lag beim Ortsgruppenleiter unter Heranziehung der NSV und NS-Frauenschaft. Die Massenverpflegung nach folgenschweren Luftangriffen und die Ausgabe von Bekleidung übernahm die NSV, deren Einsatzleiter über die im Gau Thüringen angelegten Verpflegungslager der NSV verfügten. Zusätzliche Mittel konnten beim LEA Thüringen oder (in Ausnahmefällen) beim Reichslager des Hauptamtes für Volkswohlfahrt beantragt werden. Verantwortlich für die Propaganda im Katastrophenfall war der Gaupropagandaleiter Brüstlin, nur mit seiner Genehmigung durften Bild- und Presseberichte über die Folgen der Angriffe veröffentlicht werden und er stellte auch mehrere Lautsprecherwagen im Gaugebiet zur Verfügung. Nach Absprache zwischen der Partei-Kanzlei und dem Reichsluftfahrtministerium wurden in allen Gauen Luftschutz-Gemeinschaften gebildet und die Verantwortung für die Auswahl der Führerkräfte im Selbstschutz dem örtlichen Luftschutz-Leiter in Zusammenarbeit mit der Partei (Kreis- oder Ortsgruppenleiter) übertragen. Als Führer kamen vor allem Amtsträger des Reichsluftschutzbundes in Frage. Im Falle des häufig zu verzeichnenden Personalmangels besetzte die Partei die Stellen der Führer von LuftschutzGemeinschaften mit Politischen Leitern oder anderen Parteigenossen. Besonderen Wert legte die NSDAP-Führung in diesem Zusammenhang auf die Aufnahme von HJ-Angehörigen in die Luftschutz-Gemeinschaften und beeilte sich zu versichern, dass deren Aufstellung die bestehende Organisation des Reichsluftschutzbundes nicht veränderte. Für die eingesetzten Parteikräfte führte der Kreisleiter Planspiele im Vorfeld der Luftangriffe durch, um für den Ernstfall wenigstens in Teilen geübt zu sein. Ende 1942 ordnete Göring als Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe die Organisation der feindlichen Luftabwehr neu und übertrug die Gesamtführung im Heimatkriegsgebiet auf den Luftwaffenbefehlshaber Mitte.224 Die Wahrnehmung der Aufgaben in den Luftgauen lag bei den kommandierenden Generalen und Befehlshabern. Zur Durchführung der Luft224
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 14f. (Schreiben Görings vom 17.12.1942)
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schutz-Maßnahmen bedienten sie sich der Einrichtungen und Truppeneinheiten der Luftwaffe, anderer Wehrmachtsteile und der Polizeibehörden und gaben ihre Weisungen an die Inspekteure der Ordnungspolizei. Die örtlichen Luftschutz-Leiter trugen in ihren Bereichen die Verantwortung für alle erforderlichen Maßnahmen, vor allem nahmen sie alle Befehlsbefugnisse bei der Schadensbehebung wahr. Die Parteiorgane, die sich um die „seelische Betreuung und Stärkung der Volksgenossen“225 kümmerten, schaltete der Luftschutz-Leiter über die örtlichen Hoheitsträger ein. Letzten Endes übertrug das Göring-Schreiben in Anlehnung an zwei Bormann-Erlasse vom 20.12.1940 und 17.3.1941 der NSDAP die Verantwortung für den weit gespannten Auftrag der „Menschenführung“ und „Menschenbetreuung“. Zur Durchführung der Betreuungsaufgaben und zur Unterstützung der Hilfsmaßnahmen bedeutete das, dass die Berichterstattung über Fliegerschäden direkt an die Parteikanzlei und das Propagandaministerium erfolgte, die Partei Notquartiere einrichtete, die Erstverpflegung, -versorgung und -unterbringung der Obdachlosen übernahm und Luftschutz-Kräfte bereitstellte. Damit stand die Partei „voll im Dienst der Abwehr gegen die Auswirkungen der feindlichen Terrorangriffe.“226 Da der Einsatzstab dem RVK Sauckel, den die Inspekteure der Ordnungspolizei über die getroffenen Maßnahmen unterrichteten, unterstand, übte dieser wichtige Funktionen im Rahmen der regionalen Bewältigung der Luftangriffsschäden aus. Er bediente sich dazu der Behörden der allgemeinen und inneren Verwaltung; Träger der örtlichen Hilfsmaßnahmen waren die Leiter der Gemeindeverwaltungen. In die den Dienststellen der Luftwaffe, den Inspekteuren der Ordnungspolizei und den örtlichen Luftschutz-Leitern übertragenen Aufgaben griff er nicht ein, sondern unterstützte sie lediglich. Die Tätigkeit des RVK erstreckte sich insbesondere auf folgende Gebiete: Unterbringung der durch Angriffsschäden obdachlos gewordenen und aus Luftschutzgründen umzuquartierenden Volksgenossen (gemeinsam mit der NSV), Verpflegung und Versorgung der Bevölkerung, Sicherstellung der ärztlichen Betreuung (mit Unterstützung der Wehrmacht), Instandsetzung der Versorgungsbetriebe, Ingangsetzung der Verkehrsmittel in Zusammenarbeit mit dem Wehrkreisbeauftragten, der Rüstungsinspektion IX und dem Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft, Wiederaufbau und Handwerkereinsatz. Wenn die RVK bei der Bewältigung ihrer organisatorischen Aufgaben an ihre Grenzen stießen, konnten sie bei den zuständigen Reichsbehörden unter Information des RMI, Propagandaministerium und der Parteikanzlei zentrale Hilfsmaßnahmen anfordern. Dafür errichtete die NS-Führung Ende 1942 aus Vertretern aller Obersten Reichsbehörden den von Goebbels 225 226
ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 15 ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 14
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geführten, zu jeder Zeit erreichbaren Interministeriellen Luftkriegsschädenausschuss (ILA) als eine Art „Botschaft der angegriffenen Gaue“227, der vor allem die Kommunikation der Obersten Reichsbehörden bei der Bewältigung der Aufgaben in den Gauen aufrechterhalten und die Effizienz, Koordination und Mobilität der Maßnahmenpakete sicherstellen sollte und eine Reichshilfe einrichtete. Zu den formellen Mitgliedern gehörten neben Vertretern der Obersten Reichsbehörden die OT, der Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft, das OKH, der RAD und Parteiformationen wie die Reichsjugend-, die Reichsgesundheitsführung und das Hauptamt für Volkswohlfahrt.228 Der ILA nahm Anfang 1943 nach einer etwa neunmonatigen Anlauf- und Koordinationsphase, in der über Reichweite, Positionierung und Institutionalisierung des Ausschusses gerungen wurde, seine Arbeit auf. Erst Mitte 1943 gelang es dem Ausschuss, auf dem Feld der Luftschutzpolitik eigene Akzente zu setzen. Hauptsächliche Aufgabe der ILA-Mitarbeiter bestand im Entgegennehmen von Hilferufen betroffener Städte und Gemeinden nach einem Luftangriff und die daran anschließende Entscheidung über Hilfsmaßnahmen. Ab diesem Zeitpunkt übernahm der ILA eine Schlüsselfunktion für die betroffenen Städte, die eine Schadensregulierung aus eigener Kraft nicht mehr leisten konnten. Bereits im August 1943 wies der ILA die Gauleitungen darauf hin, künftige Hilfsanfragen nicht mehr an die Obersten Reichsbehörden, sondern an den ILA zu richten und die Entsendung spezieller Gaubeauftragter zu unterlassen, um die alltägliche Praxisarbeit nicht weiter zu erschweren. Er verfügte über eigene, mit Hilfe der Luftwaffe aufgestellte und über das gesamte Reichsgebiet verteilte Hilfszüge mit Bekleidungs- und Verpflegungsstaffeln und Küchenzüge der Wehrmacht. Allerdings wurden diese Angebote kaum von den Gauen wahrgenommen, so dass Goebbels im Frühjahr 1944 feststellen musste, dass „einzelne Gaue aus allzu großer Bescheidenheit trotz schwerer Belastungen keinerlei Reichshilfe in Anspruch genommen haben.“229 Das hatte seine Ursache auch in der Reichweite der Befugnisse des ILA und der im Dezember 1943 errichteten Reichsinspektion der zivilen Luftkriegsmaßnahmen230, die ebenfalls Goebbels leitete. Beide verfügten über allenfalls mittelbare Möglichkeiten, in die Reichsverteidigungspolitik der Gaue einzugreifen, von einer zentralen Steuerung der Maßnahmen für das gesamte Reich war Goebbels weit entfernt. Die politisch sensibel reagierenden Gauleitungen mussten nicht befürchten, dass von außen in ihre Gaue hineinregiert würde, zumal die Reichszentrale dazu überging, 227 228 229 230
ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 25, Bl. 94 Vgl. zum Folgenden Süß: Steuerung ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 25, Bl. 94 Vgl. „Erlaß des Führers über die Errichtung einer Reichsinspektion der zivilen Luftkriegsmaßnahmen“ vom 21.12.1943, in: „Führer-Erlasse“, S. 380
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durch die Forcierung regionaler und lokaler Selbsthilfemechanismen die Luftkriegsproblematik zu regionalisieren und kommunalisieren. Andererseits hatten die Gaue ihrerseits die Errichtung von ILA und Reichsinspektion als legitime und legitimierte Herrschaftsinstrumente akzeptiert, vermutlich vor allem deshalb, um das Ansehen nach außen und gegenüber Hitler, den Goebbels über die Inspektionsergebnisse auf dem Laufenden hielt, zu wahren und da das Inspektionsrecht letzten Endes keine ernsthafte Bedrohung der etablierten Herrschaftsmechanismen und Zuständigkeiten darstellte. Die Mobilisierung von Ressourcen und Kräften für die Bewältigung von Luftkriegsschäden erfolgte weniger durch die Reichsinspektion als durch die Gaue selbst, deren Drängen die führenden Mitarbeiter in ILA und Reichsinspektion auf eine stärkere Anpassung der Hilfsmaßnahmen Mitte 1944 zunehmend nachgaben. Aufgrund der verstärkten Regionalisierung der Problemlösungsstrategien wurde auf Gauebene Ende Oktober 1944, als die Reichsinspektion ihre Arbeit bereits eingestellt hatte – der ILA war noch bis ins Frühjahr 1945 tätig –, ebenfalls eine Inspektion zur Durchführung ziviler Luftkriegsmaßnahmen unter der Leitung Politischer Leiter der Partei eingeführt.231 Im Frühjahr 1944 wies Goebbels die Reichspropagandaämter an, im Rahmen der Gaueinsatzstäbe nach einem Luftangriff sofort Nachrichten-Sammelstellen zu errichten, die die Presse und die Bevölkerung informierten, die Lautsprecherwagen und die in den Auffangstellen eingesetzten Redner mit durchzugebenden Texten und nötigen Unterlagen versorgten und die laufende Unterrichtung der Bevölkerung leisteten. Die Gauleiter und RVK bat Goebbels, dass sie sich dieser Nachrichtenstellen als der Organe für alle Veröffentlichungen bedienten und die Dienststellen von Staat und Partei in den Gaugebieten anweisen sollten, nach Luftangriffen alle Veröffentlichungen nur über die Nachrichten-Sammelstellen der Reichspropagandaämter zu leiten.232 Die im Januar 1944 organisierte Reichsinspektion zur Durchführung ziviler Luftkriegsmaßnahmen fiel zur vollen Zufriedenheit von Goebbels aus.233 Trotzdem ordnete Sauckel gegenüber sämtlichen staatlichen und parteilichen Dienststellen im Gaugebiet die sofortige Überprüfung aller bisherigen Luftschutz-Vorbereitungen und eine enge Kooperation aller betroffenen Behörden bei der Erledigung „dieser vordringlichen Kriegsaufgabe unserer Heimat“234 an. 231 232 233
234
Vgl. Süß: Steuerung, S. 204, Anm. 92 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 96; ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 25, Bl. 97 Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 95. Die Inspektion betraf sechs Gaue, besonders unzufrieden zeigte sich Goebbels über den Stand der Vorbereitungen im Gau Halle-Merseburg. (Vgl. Süß: Steuerung, S. 198) ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 21 (SauckelSchreiben vom 2.2.1944 an die Gauleitung Thüringen der NSDAP – M-Beauftragter,
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Mit der Neuausrichtung des Gaueinsatzstabes im Februar 1944, die vermutlich das Resultat einer umfassenden Bestandsaufnahme der Luftschutzmaßnahmen im Gau Thüringen darstellte, erhielt Biedermann die Verantwortung „für den Gesamteinsatz der Partei“235 übertragen. In den engen Führungskreis rückte nun auch Sauckels rechte Hand als RVK, Escher, als Stellvertreter Schmidts ein. Der gestiegenen Bedeutung der Partei in Fragen der Reichsverteidigung trug auch ein von Ortlepp während der RVK-Sitzung am 11.11.1944 in Weimar verlesener geheimer Erlass des RMI, Heinrich Himmler, Rechnung, mit dem sich die Verantwortlichkeiten in erheblichem Maße verschoben: „Die der Kriegslage angepaßte höchste Einsatzbereitschaft aller Bevölkerungskreise der Heimat gewährleistet die Partei, die staatlichen Dienststellen haben die Partei hierbei zu unterstützen.“236 Besetzung des Gaueinsatzstabes Thüringen237 Führungspersonal Staatssekretär Ortlepp (Thüringisches Innenministerium) Oberbereichsleiter Biedermann (Gauleitung Thüringen) Oberregierungsrat Dr. Schmidt (Thüringisches Innenministerium) Oberregierungsrat Escher (RVReferent)
Bevollmächtigter des RVK für den Wehkreis IX Stellvertreter Ortlepps als Bevollmächtigter des RVK für den Wehrkreis IX Stabsleiter Stellvertretender Stabsleiter
Mitglieder des Gaueinsatzstabes Gauamtsleiter Bürgermeister Thomas Vertreter: Gauhauptstellenleiter Danz Gauorganisationswalter Dill
NSV Gau Thüringen DAF-Gauwaltung Thüringen
Thüringisches Innenministerium, Regierungspräsident in Erfurt, Regierungspräsident in Kassel (für den Landkreis Schmalkalden), Gauleitung Thüringen der NSDAP – Gauamtsleitung der NSV, Kreisleiter, Landräte, Oberbürgermeister, Bürgermeister der Städte mit mehr als 10.000 Einwohnern, Reichsluftschutzbund Landesgruppe Thüringen, Werkluftschutzbereichsstelle, Motorgruppe Thüringen des NSKK, Rüstungskommission IX b, Reichspostdirektion, Reichsbahndirektion, Gaubeauftragter des Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft im Gau Thüringen, GWK Thüringen, LEA Thüringen Abteilung A und B, Bezirksführer der Freiwilligen Feuerwehr, LWA, Wasserbehörde, Nbv, Landesstelle IX des DRK, Bezirksgruppe Thüringen der Technischen Nothilfe, RAD-Arbeitsgau XXIII, Reichspropagandaamt) 235 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 292, Bl. 88 236 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 17 237
Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 22
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Oberlandwirtschaftsrat Wetzel Vertreter: Landwirtschaftsrat Quensell Oberregierungsrat Dr. Thein Vertreter: Oberregierungsrat Dr. Görner Ministerialdirektor Benecke Vertreter: Oberregierungsrat Dr. Hesse Staatsrat Prof. Astel Vertreter: Regierungsrat Reichenbächer DRK-Oberstführer Dr. Grobe Vertreter: DRK-Oberstführer Reichenbächer NSKK-Gruppenführer Barth Vertreter: NSKK-Oberführer Meyer Regierungsrat Räber Vertreter: Regierungsinspektor Löschner Oberverwaltungsgerichtsrat Sievers Vertreter: Regierungsamtmann Hanf Regierungsbaudirektor Kleinmaier Vertreter: Ing. Kluge Oberreichsbahnrat Dr. Troitzsch Vertreter: Reichsbahndirektor Fröhlich Generaldirektor Beckurts Generalmajor a.D. Rembe Vertreter: Oberstabsluftführer Dorbritz Gauhauptstellenleiter Wimmer Vertreter: Hauptschriftleiter Müller Hauptgeschäftsführer Dr. Schulze Vertreter: Geschäftsführer Dr. Fritz Oberregierungsrat Dr. Lullies Vertreter: Regierungsrat v. Reinersdorf Medizinalrat Dr. Heuer Vertreter: Medizinalrat Dr. Deile
269 LEA Thüringen Abteilung A LEA Thüringen Abteilung B LWA Thüringen Thüringisches Innenministerium (Gesundheitswesen) DRK-Landesstelle IX Weimar Motorgruppe Thüringen Nbv Thüringisches Innenministerium (Kriegsschäden) Gaubeauftragter Reichsbahndirektion Erfurt Vorsitzer der Rüstungskommission IX b Reichsluftschutzbund Landesgruppe Thüringen Reichspropagandaamt (aktive Propaganda) Thüringische Gauzeitung Handwerkskammer Regierungspräsident Erfurt Regierungspräsident Erfurt238
Nach einer Besprechung zwischen Ortlepp, Escher (RV-Referent), Schmidt (Thüringisches Innenministerium), Benecke, Hesse (beide LWA), Thein (LEA Abteilung B), Mündnich, Richter und Schulze (alle GWK) bezüglich der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen GWK, LWA und LEA kam man überein, dass die GWK keinen Vertreter in den Gaueinstab entsenden sollte, was offenbar ein Anliegen der GWK gewesen war. Die Fachabteilung 238
Vgl. zur nicht ganz eindeutigen Besetzung einiger Funktionsstellen ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 26, Bl. 17f.; ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 25, Bl. 3
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und Einsatzstäbe standen dem LEA und LWA zur Verfügung. Rüstungswirtschaftliche Fragen innerhalb des Einsatzstabes bearbeitete die Rüstungskommission. Für das 1943 errichtete Holz- und Forstwirtschaftsamt und für den Behelfswohnungsbau wurde Ministerialrat Höfling in den Einsatzstab beordert, für Wasser der Wasserstraßenbevollmächtigte Oberregierungsrat Melzer. Ab 1943 lassen sich regelmäßig durchgeführte Offiziersbesprechungen des Gaueinsatzstabes nachweisen, deren Bestehen bereits 1942 anzunehmen ist.239 Die Inhalte der Besprechungen, die ein durchaus ernstes und realistisches Bild zeichneten, waren für die Teilnehmer und die durch sie repräsentierten Apparate verbindlich. Ihr Charakter änderte sich mit der sich wandelnden militärischen Lage. In das Zentrum rückten aufgrund des sich verschärfenden Luftkrieges fast ausschließlich Luftschutz-Fragen. Ortlepp fasste diese Problematik in einer Sitzung am 5.8.1943 zusammen: „Wir müßen heute noch mehr, als das bisher der Fall war, unser ganzes Augenmerk darauf richten, wie wir die bisher zum Schutz der Bevölkerung getroffenen Maßnahmen verbessern können. Gerade die Luftangriffe der letzten Zeit haben uns ja bewiesen, daß die Kampfmethoden des Gegners schärfer und andere geworden sind.“240 Einigkeit bestand im Gaueinsatzstab sowohl in der Zielorientierung als auch in Sach-, Organisations- und Kommunikationsfragen. Für Thüringen entwarf der Gaueinsatzstab vor diesem Hintergrund eigene Konzepte und Strategien, um die gauinternen Rahmenbedingungen des Luftschutzes stärker zu berücksichtigen, und verwies auf die anders gelagerten Problemfelder als die einer Großstadt. Im Gaueinsatzstab Thüringen liefen gleich mehrere, die „Heimatfront“ erheblich berührende Problemstränge zusammen. Über die NSV (Oberbereichsleiter Thomas) kamen Fragen der „Umquartierung aus Luftschutzgründen“ zur Sprache. Dazu zählten die Unterbringung, Verwandtenhilfe, Versorgung von Verwundeten, Gewährung des Räumungs- und Familienunterhalts, Aufnahmesoll des Gaues Thüringen, Quartierbedarf der Wehrmacht, Verpflegung, wirtschaftliche Betreuung der umquartierten Bevölkerung durch die Gemeinden und die Rolle der Partei in den skizzierten Aufgabenfeldern. Der Gaueinsatzstab Thüringen präsentierte sich als dynamisch agierendes, die wichtigsten regionalen Institutionen, Apparate und deren Führungspersonal integrierendes, funktionstüchtiges und belastungsfähiges Instrument zur Bewältigung der mit dem verstärkten Luftkrieg einhergehenden Folgen, der sich seiner komplexen Aufgaben und der Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung voll bewusst war. Er stellte sich flexibel auf die wandelnden Organisations- und Schutzmaßnahmen ein 239 240
Vgl. beispielhaft die Niederschriften zu den Tagungen vom 5.8. und 5.11.1943, in: ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 32-45, 63-80 ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 32
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und übte gleichzeitig Kontrolle und Druck auf die in ihm versammelten Funktionsträger und Behörden aus. So drohte Ortlepp offen auf der erwähnten Offiziersbesprechung, „gedankenlose Miesmacher und bewusste Schädlinge der inneren Kraft der Heimat“ gegebenenfalls so zu behandeln, dass sie ihre „verbrecherische Arbeit“ nicht fortsetzen könnten. Auf dem Polizeisektor, so Ortlepp weiter, „wollen wir die getreuesten Gefolgsmannen des Führers sein.“241 Zwei Monate nach dem Schreiben an die Polizeiverwaltungen, Landräte und Oberbürgermeister vom 10.6.1942 fand in Weimar unter der Leitung Ortlepps eine Arbeitstagung der Oberbürgermeister und staatlichen Polizeiverwalter statt, mit der diese in die neuen Funktionen eingewiesen und ein Erfahrungsaustausch angeregt wurde. Die Reichsinspektion zur Durchführung ziviler Luftkriegsmaßnahmen, die am 23./24.1.1944 den Gau Thüringen inspizierte, sprach dem Gaueinstab ihre vollste Anerkennung für die geleistete Arbeit aus. Gauintern bewiesen die Behörden und Apparate, dirigiert vom Gaueinsatzstab, insgesamt ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft.
IV. „Als brennendste Frage der Mangel an Arbeitern“ – Die Arbeitskräftefrage im NS-Gau Thüringen, der Gauleiter / Reichsverteidigungskommissar und die Gauführung 1.
Die Berufung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA)
Bei Kriegsbeginn hatte das RAM aufgabenmäßig und organisatorisch als einheitliche Oberste Reichsbehörde mit Zuständigkeiten für die Reichsversorgung, Sozialversicherung (Reichsversicherung), Arbeitsordnung, Lohnpolitik, Wohlfahrtspflege, den Arbeitseinsatz, Arbeitsschutz, Städtebau und das Wohnungs-, Siedlungs- und Tarifwesen seinen größten Umfang erreicht. Unmittelbar unterstanden dem RAM die Behörden der Arbeitseinsatz-, Reichstreuhänder- und Reichsversorgungsverwaltung und die Gewerbeaufsicht in Preußen mit Ausnahme des Bergbaus; mittelbar die Sozialversicherungsträger und ihre Verbände sowie die Gewerbeaufsicht in den Ländern außer Preußen.242 Als mittlere und untere Reichsbehörden verfügte das RAM für Aufgaben der Reichsversorgung seit 1919 über Hauptversorgungs- und Versorgungsämter243, Reichstreuhänder der Arbeit als hauptamtlich oberste 241 242 243
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 45 Vgl. Siebert: Arbeitseinsatzverwaltung, S. 274-293 Vgl. RGBl I, 1919, S. 1784
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und übte gleichzeitig Kontrolle und Druck auf die in ihm versammelten Funktionsträger und Behörden aus. So drohte Ortlepp offen auf der erwähnten Offiziersbesprechung, „gedankenlose Miesmacher und bewusste Schädlinge der inneren Kraft der Heimat“ gegebenenfalls so zu behandeln, dass sie ihre „verbrecherische Arbeit“ nicht fortsetzen könnten. Auf dem Polizeisektor, so Ortlepp weiter, „wollen wir die getreuesten Gefolgsmannen des Führers sein.“241 Zwei Monate nach dem Schreiben an die Polizeiverwaltungen, Landräte und Oberbürgermeister vom 10.6.1942 fand in Weimar unter der Leitung Ortlepps eine Arbeitstagung der Oberbürgermeister und staatlichen Polizeiverwalter statt, mit der diese in die neuen Funktionen eingewiesen und ein Erfahrungsaustausch angeregt wurde. Die Reichsinspektion zur Durchführung ziviler Luftkriegsmaßnahmen, die am 23./24.1.1944 den Gau Thüringen inspizierte, sprach dem Gaueinstab ihre vollste Anerkennung für die geleistete Arbeit aus. Gauintern bewiesen die Behörden und Apparate, dirigiert vom Gaueinsatzstab, insgesamt ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsbereitschaft.
IV. „Als brennendste Frage der Mangel an Arbeitern“ – Die Arbeitskräftefrage im NS-Gau Thüringen, der Gauleiter / Reichsverteidigungskommissar und die Gauführung 1.
Die Berufung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA)
Bei Kriegsbeginn hatte das RAM aufgabenmäßig und organisatorisch als einheitliche Oberste Reichsbehörde mit Zuständigkeiten für die Reichsversorgung, Sozialversicherung (Reichsversicherung), Arbeitsordnung, Lohnpolitik, Wohlfahrtspflege, den Arbeitseinsatz, Arbeitsschutz, Städtebau und das Wohnungs-, Siedlungs- und Tarifwesen seinen größten Umfang erreicht. Unmittelbar unterstanden dem RAM die Behörden der Arbeitseinsatz-, Reichstreuhänder- und Reichsversorgungsverwaltung und die Gewerbeaufsicht in Preußen mit Ausnahme des Bergbaus; mittelbar die Sozialversicherungsträger und ihre Verbände sowie die Gewerbeaufsicht in den Ländern außer Preußen.242 Als mittlere und untere Reichsbehörden verfügte das RAM für Aufgaben der Reichsversorgung seit 1919 über Hauptversorgungs- und Versorgungsämter243, Reichstreuhänder der Arbeit als hauptamtlich oberste 241 242 243
ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 290, Bl. 45 Vgl. Siebert: Arbeitseinsatzverwaltung, S. 274-293 Vgl. RGBl I, 1919, S. 1784
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sozialpolitische Vertreter der Reichsregierung in den Wirtschaftsgebieten244 und die 1927 als Organe der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung errichteten LAÄ.245 Mit Verordnung vom 25.3.1939 wurden die LAÄ zum 1.4.1939 unmittelbare Reichsbehörden und das RAM erhielt damit einen umfangreichen eigenen Verwaltungsunterbau.246 Seit Kriegsbeginn wurden sukzessive einzelne Teile aus dem Zuständigkeitsbereich des RAM herausgelöst und (Haupt)Abteilungen anderen Obersten Reichsbehörden und ihnen gleichgestellten Reichskommissaren und Generalbevollmächtigten übertragen, z.B. ging die Reichsversorgungsverwaltung auf das OKW247 und das Wohnungsund Siedlungswesens auf den Reichswohnungskommissar248 über. Diese Prozesse beinhalteten auch die Übernahme des Personals des RAM für diese Bereiche. Von den umfassenden Aufgaben des Jahres 1939 verblieben dem RAM nur die Sozialversicherung, Reichsversorgung, Fürsorge und Wohlfahrtspflege sowie einige begrenzte Befugnisse auf dem Gebiete der Planung und des Städtebaus, wobei ihm hier neue Einbußen angesichts der DAFAktivitäten drohten. Der formellen Bewahrung des RAM standen seine fachliche und personelle Aushöhlung und die Beschränkung auf nachgeordnete Aufgaben gegenüber. Einen tiefen Einschnitt in die Aufgabenbereiche des RAM markierte der Führererlass vom 21.3.1942249 über die Bestellung eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, in dem es hieß: „Die Sicherstellung der für die gesamte Kriegswirtschaft, besonders für die Rüstung erforderlichen Arbeitskräfte bedingt eine einheitlich ausgerichtete, den Erfordernissen der Kriegswirtschaft entsprechende Steuerung des Einsatzes sämtlicher verfügbarer Arbeitskräfte einschließlich der angeworbenen Ausländer und der Kriegsgefangenen sowie die Mobilisierung aller noch unausgenutzten Arbeitskräfte im Großdeutschen Reich einschließlich des Protektorats sowie im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten.“250 Diese Aufgabe wurde Sauckel, der als „Stiftungsführer“ der Gustloff-Werke über wirtschaftliche Erfahrungen verfügte251, übertragen. Angesiedelt wurde das neue Amt in Gö-
244 245 246 247 248 249
250 251
Vgl. RGBl I, 1934, S. 45 Vgl. RGBl I, 1927, S. 187 Vgl. RGBl I, 1939, S. 575 Vgl. RGBl I, 1939, S. 1742 Vgl. RGBl I, 1942, S. 623 Bereits 1941 kursierten in der Reichskanzlei Pläne zur Errichtung eines Reichskommissariats für den Ausländereinsatz, die schließlich in den GBA-Erlass mündeten. (Vgl. BArch R43II/652) RGBl Teil I, 1942, S. 179 Vgl. Stutz: Gustloff-Werke, S. 64-76
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rings VJP-Behörde.252 Eine Unterstellung unter das RMBM Speers hatte Hitler abgelehnt, ebenso die Besetzung des Postens mit dem mit Speer eng befreundeten niederschlesischen Gauleiter Karl Hanke.253 Der erfahrene, machtbewusste und durchsetzungsfähige Sauckel hatte sich durch die „Erfolge“ in seinem Heimatgau empfohlen und genoss zudem als „alter Kämpfer“ und geschickter Organisator unter den Gauleitern mehr Anerkennung als der um zehn Jahre jüngere Hanke.254 Dienstsitz Sauckels war zunächst das „Thüringen-Haus“, seine Gauvertretung in Berlin.255 Der Stab Sauckels setzte sich vorwiegend aus Mitarbeitern der Thüringer Gauführung zusammen256, denen damit ein Betätigungsfeld riesigen territorialen, organisatorischen, sachlichen und institutionellen Ausmaßes zufiel.
252
253
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256
Vgl. zu den Umständen der Ernennung Speer: Erinnerungen, S. 233; ferner zum Verhältnis Speers zu Sauckel ders.: Spandauer Tagebücher, Frankfurt/Main u.a. 1975, S. 22; Milward: Kriegswirtschaft, S. 75f.; Gitta Sereny: Das Ringen mit der Wahrheit. Albert Speer und das deutsche Trauma, München 1995, S. 365f. Speer führte die Ernennung Sauckels zum GBA auf Bormanns frühe politische Karriere zurück, die in Weimar begonnen hatte. Vgl. die eher journalistische Arbeit von Jochen v. Lang: Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte, Frankfurt/Main 1990, v.a. S. 44-51. Daneben dürften für Sauckels Ernennung machtpolitische Erwägungen Bormanns, der mit dem Gauleiter Thüringens einen Mann der Partei in diese wichtige Funktion brachte und zugleich den Speer-Favoriten Hanke (Gauleiter in Schlesien) überging, ausschlaggebend gewesen sein, um dem Munitionsminister einen ebenbürtigen Gegenspieler zu verschaffen. Vgl. zur Ernennung Sauckels Herbert: Fremdarbeiter, S. 173-178; Rebentisch: Führerstaat, S. 354-356; Hüttenberger: Gauleiter, S. 166; Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 779-786; Dietrich Eichholtz.: Die Vorgeschichte des „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“, in: JfG 9 (1973), S. 339-383 Goebbels (Eintrag vom 27.4.1942, Tagebücher, Teil II, Bd. 4, S. 190) bemerkte zur Ernennung Sauckels: „Jedenfalls ist Sauckel nach seinen Ausführungen entschlossen, in großem Stile das Problem anzugreifen und es zur Lösung zu bringen. Er wird dazu einige Monate brauchen. Schade, schade, daß er nicht ein Jahr vorher betraut worden ist. Es stände dann sicherlich besser um uns, als es augenblicklich tatsächlich steht.“ Als Sauckel mit seinen Vertrauensleuten aus Thüringen seine neuen Aufgaben in Berlin antrat, wurden sie mit den Worten begrüßt: „Was will der Sauckel mit diesen Würstchen aus Thüringen hier?“ Sauckel in seiner Rede „Der Arbeitseinsatz und seine Probleme“ am 4.8.1942 in Berlin-Wannsee, zit. nach: Hüttenberger: Gauleiter, S. 167 (Anm. 99); auch Rebentisch: Führerstaat, S. 358 Vgl. zum Begriff der „Clique“ die Ausführungen in Hüttenberger: Gauleiter
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Der Arbeitsstab des GBA257 Persönlicher Stab 1. Persönlicher Adjutant 2. Stabsleiter und Beauftragter für die Reichsministerien 3. Vertreter des Stabsleiters und Leiter des Geschäftsbereichs 4. Persönlicher Referent und Vertreter von Ortlepp und Escher 5. Leiter des Büros
SS-Hauptsturmführer Kurt Walther (Weimar) Staatssekretär SS-Brigadeführer Walther Ortlepp (Weimar) Oberregierungsrat Gauamtsleiter Walter Escher (Weimar) Landrat Paul Berk (Schleiz) Regierungsrat Fritz Schön (Berlin)
Fachlicher Stab 1. Beauftragter für die Hauptabteilung V des RAM (Arbeitseinsatz) und Vertreter in allgemeinen Fragen des RAM 2. Beauftragter für die Hauptabteilung III (Lohn und Akkord) des RAM 3. Beauftragter für die Zusammenarbeit mit der Parteikanzlei und den Reichs- und Gauleitungen 4. Beauftragter für die Landwirtschaft und Kriegsernährungswirtschaft 5. Beauftragter für Presse und Propaganda sowie Verbindungsmann zur Hauptabteilung I (Strukturforschung, Planung, Statistik) des RAM 6. Beauftragter für die Zusammenarbeit mit der DAF 7. Beauftragter für die Überwachung der ordnungsgemäßen und fristgerechten Aufstellung von Holzhauslagern für die Unterbringung der in der Rüstungsindustrie eingesetzten Arbeitskräfte 8. Beauftragter für den Jugendeinsatz 9. Beauftragter für Finanz-, Währungsund Transferfragen 10. Beauftragter für Industrie- und Wirtschaftsfragen 257
Gauleiter e.h. und Präsident des LAA Mitteldeutschland Prof. Rudolf Jung (Erfurt) Reichstreuhänder der Arbeit Dr. Heinrich Wiesel (Weimar) Gaustabsamtsleiter Bruno Biedermann (Weimar) Reichshauptamtsleiter und LBF Rudolf Peuckert (Weimar) Ministerialdirektor Prof. Wilhelm Börger (Berlin) Gauhauptstellenleiter Max Hoffmann (Weimar) Generalarbeitsführer Hermann Kretschmann (Weimar)
Gebietsführer der HJ Theo Schulte (Weimar) Direktor Karl Goetz (Berlin) Generaldirektor Kurt Beckurts (Weimar)
Vgl. BArch R43II/652, Bl. 201; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 21-23; ergänzend den Geschäftsverteilungsplan von RAM und GBA, in: BArch R3901/20039 sowie das Programm des GBA, in: Mitteilungen des Beauftragten für den VJP. Der GBA vom 1.5.1942, S. 2-11
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Die Berufung des GBA trug den komplizierten militärischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung, angesichts derer eine politische Lösung drängte, um die unterschiedlichen Interessen zu vereinheitlichen und auszugleichen.258 Im Zuge eines umfassenden personellen Revirements und organisatorischen Umbaus nach dem Tode Todts am 8.2.1942 und der Erkenntnis, dass es in erster Linie Partei und Reichssicherheitshauptamt waren, die einen umfassenden, ökonomisch orientierten Einsatz der im Reich befindlichen sowjetischen Arbeitskräfte aus ideologisch-rassischen Gründen blockierten, war ein Mann der Partei, von Hitler – ähnlich wie Speer im Rüstungsbereich – mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, womöglich die einzige Chance, die genannten Vorbehalte der Nationalsozialisten mit den sachlichen und organisatorischen Zwängen des Arbeitsmarktes in Einklang zu bringen. Herbert verweist auf die komplizierte Platzierung des GBA im NS-Herrschaftsgefüge, die diese komplexe Situation widerspiegelt. Sauckel blieb Gauleiter in Thüringen, unterstand offiziell der VJP-Behörde Görings, verfügte mit der Geschäftsgruppe „Arbeitseinsatz“ über einen eigenen Stab, war faktisch von Speer abhängig, der immer höhere Zahlen für die Kriegswirtschaft forderte, politisch Hitler unmittelbar unterstellt, was ihn wiederum stark aufwertete und die Voraussetzung für seine Durchsetzungsfähigkeit in Staat, Partei und Wehrmacht bildete. Sauckels enger Mitarbeiter Timm formulierte in Nürnberg die Bedeutung der Einsetzung des GBA. „Bei seinem Amtsantritt fand er auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes ein ziemliches Durcheinander vor. Jeder machte in Arbeitseinsatz. […] Die vorhergehenden Chefs hatten nicht genügend Durchschlagskraft, um sich gegen manche Stellen durchzusetzen, und Sauckel war der starke Mann und besonders der politisch starke Mann, der diese Dinge in Ordnung bringen sollte.“259 So verstand Sauckel seine Aufgabe denn in erster Linie als politische Aufgabe und bemühte sich, eine effektiv arbeitende Administration zu installieren, die den gestellten Aufgaben Rechnung trug. Die organisatorischen Wandlungsprozesse zu Beginn des Jahres 1942 gingen vor allem auf Kosten des RAM, des VJP und des Wirtschafts- und Rüstungsamtes. Sauckel stieg mit der Ernennung in die Führungsriege des NS-Regimes auf, wurde zum Chef über den Arbeitseinsatz260 und „oberster Sklaventreiber sowohl der deutschen wie der ausländischen Arbeitskräfte.“261 258
259 260
Vgl. zum Folgenden ausführlich Herbert: Fremdarbeiter, S. 150-177 sowie ders.: Arbeit und Vernichtung. Ökonomisches Interesse und Primat der „Weltanschauung“ im Nationalsozialismus, in: ders. (Hg.): Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 384-462 IMT Bd. XV, S. 231 Vgl. Bradley F. Smith: Der Jahrhundert-Prozess. Die Motive der Richter von Nürnberg – Anatomie einer Urteilsfindung, Frankfurt am Main 1977; Eugene Davidson:
276
2.
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Organisation und regionale Mechanismen
Mit dem am 20.4.1942 ergangenen „Programm über den Arbeitseinsatz“262 betraute der GBA die Gauleiter mit der „Propaganda und Aufklärung des deutschen Volkes über die Notwendigkeit des Arbeitseinsatzes und die Durchführung wichtiger Maßnahmen zur Betreuung der eingesetzten Jugend und Frauen“ sowie mit der „Obsorge für den Zustand von Lagern und Unterkünften“ und der Verantwortung für „die engste und kameradschaftlichste Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen“263. Bereits mit der Anordnung eins des GBA über die Bestellung und Aufgaben seiner Bevollmächtigten vom 6.4.1942 waren die Gauleiter zu den Bevollmächtigten des GBA in den ihnen unterstehenden Gauen ernannt worden. Zur Durchführung der damit verbundenen Aufgaben bedienten sich die Gauleiter der Parteidienststellen und arbeiteten mit den Spitzen in Partei und Staat zusammen: den LAAPräsidenten, Treuhändern der Arbeit, LBF, GWB, Gauobmann der DAF, Gaufrauenschaftsleiterin, Gebietsführer der HJ, höchste Vertreter der inneren und allgemeinen Verwaltung und der LWÄ. Die starke Rolle der Partei, die das Gesamtunternehmen Arbeitseinsatz erheblich zu belasten drohte, federte Sauckel nach außen hin ab, indem er den Hoheitsträgern verbot, sich aktiv in die Aufgabenbereiche von Wirtschaft und Wehrmacht einzumischen. Inwieweit diese Regelung in den Gauen Beachtung fand, muss in vergleichender Perspektive noch untersucht werden, anzunehmen ist sicherlich eine trotz des ausdrücklichen Verbots des GBA intensive Mobilisierung der Partei. Mit der Anordnung eins erhielten die Gauleiter umfangreiche Befugnisse zur Steuerung des Arbeitseinsatzes in den Gauen.264 Diese beinhalteten die „Fürsorge“ für alle im Arbeitseinsatz befindlichen Dienstverpflichteten, die außerhalb ihres Wohnsitzes eingesetzt waren, den Schutz von Frauen und Jugendlichen im Arbeitseinsatz vor „Schädigung ihrer Gesundheit an Leib und Seele“, die
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263 264
The Trial of the Germans. An account of the twenty-two defendants before International Military Tribunal at Nuremberg, New York 1966; Robert E. Conot: Justice at Nuremberg, New York 1983. Davidson und Conot sehen in Sauckel den dem intellektuellen Speer unterlegenen „simple man“ (Davidson, S. 506) mit einem „proletarian heart“ (Conot, S. 430). Inhaltsgleich dazu urteilte Speer über Sauckel, dass er ein „einfacher, ziemlich primitiver Mann“ gewesen sei. (Vgl. Sereny: Wahrheit, S. 365) Speers Äußerungen sind freilich mit Vorsicht zu beurteilen. Neumann: Behemoth, S. 645 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 82-85; ferner Die Pflicht Nr. 1/42 vom 10.5.1942, S. 15-17, ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 190, 191, 492; BArch R43II/652, 652a, 653; 654b; BArch R3901/20141; BArch R3901/20481; BArch R3/1817; Oliver Rathkolb: Zwangsarbeit in der Industrie, in : Echternkamp (Hg.): Ausbeutung, S. 667-727 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 82 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 92
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Überprüfung der Auswirkungen des Arbeitseinsatzes auf alle „fremdländischen“ Arbeitskräfte, der ordnungsgemäßen Ernährung, Unterbringung und Behandlung aller Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen im Arbeitseinsatz, Propaganda und Aufklärung über die „kriegsentscheidende Bedeutung“ des Arbeitseinsatzes, die weitgehende Unterstützung der Arbeitseinsatzbehörden bei der Durchführung der Anweisungen des GBA, die Auslösung des Jugendarbeitseinsatzes und des Arbeitseinsatzes der Schulen zur Sicherung aller notwendigen landwirtschaftlichen Arbeiten, die Sicherung der Durchführung des übergebietlichen Einsatzes, die laufende Information über die Lage und Verhältnisse des Arbeitseinsatzes in den Gauen und die Auswirkung der Einzelmaßnahmen. Zur Durchführung dieses umfangreichen Aufgabenpaketes wies der GBA die Präsidenten der LAÄ an, den Gauleitern zu jeglicher Auskunft und Beratung zur Verfügung zu stehen und die „Anregungen und Wünsche der Gauleiter zum Zwecke von Verbesserungen beim Arbeitseinsatz“ zu erfüllen. Mit den Ressortchefs der Behörden der allgemeinen und inneren Verwaltung und der Wirtschaft, insbesondere den LWÄ und LEÄ, vereinbarte der GBA, dass sie sich den Gauleitern beim Arbeitseinsatz zur Verfügung stellten. Die OgW wurde ebenfalls beteiligt, so dass sich ein dichtes und komplexes Behördennetz über den Arbeitseinsatz legte. Im Juni 1942 entzog der GBA den Betriebsführern die Bereitstellung der behelfsmäßigen Unterkünfte und Versorgung mit Einrichtungsgegenständen und übertrug sie den Gauleitern, da die Betriebsführer nicht willens oder in der Lage waren, die geeigneten Rahmenbedingungen zu schaffen.265 Gleichzeitig wies er die LAÄ an, die Gauleiter über die eintreffenden Transporte, die Verteilung auf die Betriebe und die vorgesehenen Unterkünfte laufend zu unterrichten. Im Notfall mussten die Betriebsführer behelfsmäßige Unterkünfte bereitstellen. Zur Durchführung dieser Aktion sollten die Gauleiter mit den Arbeitsgauführern des RAD, dem Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft, dem Chef des Ersatzheeres (Fromm) und der DAF zusammenarbeiten. Die Arbeitseinsatzplanung vor Ort wurde auf zwei getrennten Wegen ermittelt.266 Die Betriebe richteten ihre Anforderungen, die einer Bedarfsprüfung durch die Rüstungsdienststellen oder LWÄ unterlagen, an die Arbeitsämter. Die Arbeitsämter meldeten über die LAÄ an den GBA nach Betriebszweigen aufgeteilt den nachgeprüften Bedarf, die im Wirtschaftsbezirk hierfür vorhandenen Deckungsmöglichkeiten und den nicht gedeckten Restebedarf. Hieraus erarbeitete der GBA einen fachlich gegliederten Gesamtbedarf für das Deutsche Reich und stellte hierfür einen Deckungsplan auf. Dieser Plan 265 266
Vgl. Nachrichten des RMBM 6/1942, S. 78-80 Vgl. zum Folgenden den Vermerk in den Akten des Rüstungsministeriums, der auf einer Besprechung zwischen Generaloberst Fromm (Chef der Heeresrüstung und des Ersatzheeres), Ministerialdirektor Dr. Timm und Ministerialrat Hildebrandt (beide von der GBA-Behörde) beruhte, in: BArch R3/1817, Bl. 428-432
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des GBA wurde aber faktisch nicht verwertet, da über die Zuweisungen im Produktionssektor das RMBM entschied, das die Unterlagen des GBA nicht heranzog. Der Bedarfsplan des GBA litt zweifelsohne daran, dass die Bedarfsprüfung nicht einwandfrei war, nicht sein konnte. Die regionalen und lokalen Dienststellen (Rüstungsdienststellen, LWÄ, LAÄ) waren nur teilweise in der Lage, den realen Bedarf und seine Dringlichkeit fehlerfrei zu prüfen, zumal sie sich nicht nur von den objektiven, zentral begründeten Anweisungen leiten ließen, sondern die regionalen und lokalen Verhältnisse deutlich besser einzuordnen und zu bewerten wussten als die Berliner Zentralorgane. Und in diesen tatsächlichen Umständen sahen die Organisatoren des Arbeitsdienstes eine virulente Gefahr. So übernahmen sie zusätzlich zu ihren Aufgaben Steuerungs- und Regulierungsfunktionen gegenüber den teilweise überzogenen, nicht realisierbaren und den tatsächlichen Handlungsrahmen sprengenden Vorgaben der Reichsbehörden. Parallel zur Erfassungssystematik des GBA ermittelten die Ausschüsse und Ringe des RMBM den zusätzlichen Bedarf ihrer Betriebe aufgrund neuer Fertigungsprogramme sowie den nicht gedeckten Bedarf für die laufende Produktion aufgrund gesondert erhobener Beschäftigungsmeldungen der Industrie. Ebenso wie die GBADaten war sicherlich auch das Zahlenmaterial der Ausschüsse und Ringe nicht fehlerfrei oder vollständig, da es – wie beim GBA – an einem allgemeingültigen Maßstab mangelte, wie auf einer Besprechung zwischen GBA und RMBM herausgestellt wurde, und sich dadurch den regionalen Behörden einige Möglichkeiten für eigenständige Entwicklungen boten. Eine auf Schätzungen und Erfahrungszahlen beruhende Übersicht über Deckungsmöglichkeiten lag lediglich beim GBA vor. Trotz ungenügender Abstimmung der Zuweisungen mit der Deckungsmöglichkeit konnte bis Mitte 1943 die Bereitstellung von Arbeitskräften noch einigermaßen aufrechterhalten werden. Nach Einschätzung der Fachleute beim GBA war aber spätestens seit Ende 1943/Anfang 1944 damit nicht mehr zu rechnen. Man ging nicht mehr von zivilen ausländischen Arbeitskräften aus, sondern lediglich vom Einsatz von Kriegsgefangenen. Die Zuweisungen in der Industrie erfolgten nach Einschätzung der GBA-Behörde weder aufgrund der Bedarfsanforderung der Arbeitsvermittlung, noch unter planmäßiger Berücksichtigung der geschätzten Deckungsmöglichkeiten, sondern vielmehr nach den Anforderungen und Bedürfnissen regionaler Stellen. Gegenüber dem vom RMBM geübten „Rotzettelverfahren“ äußerten sich die GBA-Fachleute sehr kritisch, da es an den realen Arbeitsbedingungen in Teilen zumindest vorbeiging. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass zentrale Anordnungen bei der Arbeitskräftezuweisung oftmals mit den regionalen Steuerungsmechanismen nicht oder nur schwer vereinbar seien. Die sehr realistische und kritische Einschätzung der Praxis des „Ausländereinsatzes“ in der deutschen Kriegs- und Ernährungswirtschaft spiegelt das Grundproblem des GBA wider und nimmt
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gleichsam sein Scheitern vorweg. Der Einsatz von Arbeitskräften konnte eben nicht den gleichen zentralen Prinzipien folgen wie etwa der Einsatz von Rohstoffen. Die Mehrzahl der Arbeitskräfte war ortsgebunden, nur begrenzt flexibel einsetzbar und für zentrale Weisungen deshalb uninteressant. Timm und Hildebrandt kamen unter den skizzierten Bedingungen zu einem konsequent zu Ende gedachten Ergebnis. „Die Arbeitseinsatzsteuerung wird deshalb immer zwangsläufig einen maßgebenden Schwerpunkt in der regionalen Instanz haben müßen.“267 Deshalb arbeitete man hektisch an Plänen, wie eine sinnvolle Kombination zwischen der zentralen Gesamtbedarfsermittlung an Arbeitskräften und der übrigen zentralen Produktionslenkung mit der örtlichen Zuweisung an Arbeitskräften und dem innerbezirklichen Ausgleich gefunden werden konnte, um die erheblichen Probleme, die aus dem zusammenhangslosen Nebeneinander von örtlicher Bedarfsprüfung und örtlicher Zuweisung sowie zentraler Bedarfsprüfung und zentraler Zuweisung einzelner Arbeitskräfte an einzelne Betriebe („Rotzettelverfahren“) entstanden, aufzulösen. Angesichts der skizzierten Probleme im Arbeitseinsatz mühten sich die verantwortlichen Dienststellen um organisatorische, sachliche und kommunikative Verbesserungen. Der Chef der Heeresrüstung, Fromm268, schlug Timm deshalb vor, die Position der zentralen Stellen deutlich aufzuwerten, die Arbeitsämter enger an die Zentralvorgaben zu binden und die zentrale Zuweisung einzelner Arbeitskräfte abzuschaffen. Timm favorisierte eine Stärkung der bezirklichen Strukturen in der Arbeitskräftesteuerung sowie eine deutlichere Trennung der Funktionen von GBA, Rüstungsamt und Planungsamt, da das Rüstungsamt zunehmend eine zusammenfassende Planung des Arbeitseinsatzes in eigener Regie anstrebte und damit die Position des GBA gefährdete.269 Speer hielt noch im Februar 1945 seine Hand auf die Rüstungsindustrie und ihre Beschäftigten, als er Hitler veranlasste, alle Einziehungen zu Wehrmacht, Volkssturm, Volksaufgebot oder ähnlichen Zwecken für die Facharbeiter der Rüstungsindustrie der Jahrgänge 1928 und älter zu stoppen, sofern sie in den Betrieben nicht ersetzt werden konnten.270 Damit erhielten die Betriebsführer einerseits einen Abwehrmechanismus gegen 267 268
269 270
BArch R3/1817, Bl. 430 Vgl. Speer: Erinnerungen; Müller: Kehrl; ders.: Mobilisierung; ders.: Speer und die Rüstungspolitik; Kroener: Ressourcen; ders.: „Menschenbewirtschaftung“; ders.: „Der starke Mann im Heimatkriegsgebiet“. Generaloberst Friedrich Fromm. Eine Biographie, Paderborn u.a. 2005 Vgl. das Schreiben des GBA an die Präsidenten der GAÄ und Reichstreuhänder der Arbeit vom 8.8.1944, in: BArch R3/1597, Bl. 89, 220 Vgl. BArch R3/1596; zur Lage der deutschen Wirtschaft in der Endphase des Krieges die Akten zu Rüstungsprogrammen, Betriebsverlagerungen und -stilllegungen, Bewirtschaftungsfragen, Außenhandel, Kriegsschäden sowie zur Gemeinschaftshilfe der Wirtschaft, in: BArch R12I/10
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äußere Eingriffe, andererseits aber auch erheblichen Druck durch örtliche Parteigrößen, die von Bormann und Goebbels ermutigt wurden, das Letzte aus den Betrieben herauszupressen.
3.
Die Errichtung des Gauarbeitsamtes Thüringen
Die Arbeitsvermittlung wurde in der Weimarer Republik per Reichsgesetz vom 17.7.1927 geregelt, in dessen Folge das für Thüringen zuständige, großräumig ausgerichtete LAA Mitteldeutschland in Erfurt entstand. Es wurde am 1.2.1928 durch die Vereinigung der Landesämter für Arbeitsvermittlung Thüringen und Sachsen-Anhalt gegründet und umfasste die Länder Thüringen und Anhalt sowie die preußische Provinz Sachsen und die preußische Kreisherrschaft Schmalkalden.271 Unterstellt war es der mit dem Reichsgesetz von 1927 geschaffenen Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Berlin; nach deren Aufhebung 1938 dem RAM unmittelbar. Bereits die Verordnung vom 16.11.1942 glich die Bezirke der 13 LAÄ und der Treuhänder der Arbeit den regionalen Wirtschaftsbezirken an. Mit dem „Erlass des Führers zur Durchführung des Erlasses über einen GBA“ vom 4.3.1943 erhielt der GBA die dem RAM nach § 18 der Verordnung über die RVK und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsverwaltung vom 16.11.1942 zustehende Befugnis, Bestimmungen über die Abgrenzung der Bezirke der LAÄ und der Reichstreuhänder der Arbeit zu treffen und die LAÄ mit den Treuhänderbehörden zusammenzulegen.272 Die Anpassung der regionalen Steuerung des Arbeitsproblems an die Gaustrukturen komplettierte die Verordnung vom 27.7.1943, die die LAÄ mit den 1938 gebildeten Wirtschaftgebieten der Reichstreuhänder-Behörden273 zu Gauarbeitsämtern vereinigte, den Einfluss der Partei auf die Arbeitsverwaltung und deren Bürokratie erheblich stärkte und den Gauen weitere Funktionen überantwortete.274 Das LAA Mitteldeutschland wurde am 1.9.1943 aufgelöst und am 4.9.1943 erfolgte im Erfurter Rathaus in Anwesenheit Sauckels die feierliche Übergabe der Geschäfte an das neu errichtete Gauarbeitsamt Thüringen. LAA-Präsident Jung übernahm das von Sauckel neu ins Leben gerufene Amt des Chefs der Reichsinspektion der Arbeitsverwaltung und avancierte damit zum „tatsächliche(n) Verwaltungschef“275 im Amt des GBA. Das Gauarbeitsamt Thüringen hatte bis 1944 seinen Sitz in Weimar, seit 21.2.1944 in 271 272 273 274 275
Vgl. Erwin Scheu: Deutschlands Wirtschaftsprovinzen und Wirtschaftsbezirke, Berlin 1928. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 37 Vgl. RGBl I, 1938, S. 1968 Vgl. RGBl I, 1943, S. 450 Neumann: Behemoth, S. 646
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Weimar (Präsident und Reichstreuhänder) und Erfurt (allgemeine Verwaltung und Arbeitseinsatz). Die Geschäfte des LAA Mitteldeutschland gingen auf drei neu gegründete Gauarbeitsämter über.276 Das Gauarbeitsamt Magdeburg-Anhalt277 mit Sitz in Magdeburg umfasste von der Provinz Sachsen den Regierungsbezirk Magdeburg, das Land Anhalt und vom Land Braunschweig die Enklave des Landkreises Helmstedt; das Gauarbeitsamt HalleMerseburg mit Sitz in Halle/Saale den Regierungsbezirk Merseburg (außer drei Exklaven im Landkreis Weißenfels) und Enklaven in den Landkreisen Weimar und Altenburg; das Gauarbeitsamt Thüringen mit Sitz in Weimar das Land Thüringen (außer den genannten Exklaven in den Landkreisen Weimar und Altenburg und einer Exklave des Landkreises Meiningen), den Regierungsbezirk Erfurt von der Provinz Sachsen, von der Provinz HessenNassau die Kreisherrschaft Schmalkalden und die erwähnte Exklave des zum Regierungsbezirk Merseburg gehörenden Landkreises Weißenfels. Dem Gauarbeitsamt Thüringen unterstanden die Arbeitsämter Altenburg, Arnstadt, Eisenach, Erfurt, Gera, Gotha, Heiligenstadt, Jena, Meiningen, Mühlhausen, Nordhausen, Saalfeld, Sonneberg, Suhl und Weimar. Die vom vormaligen LAA Mitteldeutschland umfassten Mittelinstanzen des RAD mit Sitzen in Magdeburg, Halle und Weimar wurden als Arbeitsgauleitungen ebenfalls den Gauen angepasst.278 Zum Präsidenten des Gauarbeitsamts Thüringen stieg der Reichstreuhänder der Arbeit, Wiesel, auf. Als sich die Kriegs-, Rüstungswirtschafts- und Arbeitseinsatzlage verschärfte, wurden die Gauarbeitsämter oberhalb der Gauebene Anfang 1944 zu großen Arbeitsinspektionen zusammengefasst und der Leitung Jungs unterstellt. Für den Gau Thüringen beauftragte Sauckel am 10.7.1942 den Gauhauptamtsleiter der NSDAP, Bereichsleiter Kurt Schößler (Weimar), mit der „Überprüfung der im Gau Thüringen zum Einsatz gebrachten ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen sowie deren Unterbringung, Verpflegung, Bekleidung und Haltung“ [sic!].279 Das Gauarbeitsamt Thüringen organisierte in Verbindung mit weiteren Organisationen der Rüstungs- und Kriegswirtschaftsverwaltung (OgW, LWA Thüringen, Rüstungsdienststellen in Kassel, Eisenach, Weimar, Rüstungskommission IX b) auf der mittleren Verwaltungsebene die Arbeitseinsatzverwaltung. Die Regelung der Arbeitsbedingungen und die Allokation von Arbeitskräften waren nun nicht mehr rein verwaltungsmäßige, sondern „politische“ Aufgaben, wurden damit der politischen Verwaltung einverleibt und entsprachen so in deutlich höherem Maße den Bedürfnissen der Partei und 276 277 278 279
Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 15; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4221, Bl. 69f.; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 57f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Landesernährungsamt, Abt. B, Nr. 1, Bl. 59 Vgl. BArch R3901/20482, Bl. 45 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 47
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ihren regionalen Funktionseliten, die eine Aufwertung in der Arbeitseinsatzpolitik erfuhren. Die Freisetzung von Facharbeitskräften für die Rüstungsprogramme durch die Betriebe und das Gauarbeitsamt Thüringen erfolgte nur in Ausnahmefällen auf überbezirklicher Ebene, in der Regel bildete der Gau Thüringen den Aktions- und Bezugsrahmen der Arbeitseinsatzpolitik.280 Eine durchaus realistische Bestandsaufnahme der Arbeitskräfteorganisation findet sich in einem Aktenvermerk des Planungsamtes nach einem Besuch beim Gauarbeitsamt in Erfurt im Oktober 1944.281 Anweisungen zur Zuweisung von Arbeitskräften für bestimmte Zwecke ergingen demnach verhältnismäßig selten, der GBA beschränkte sich darauf, Arbeitskräfte zuzuweisen, die das Rüstungsamt, veranlasst durch die Ausschüsse und Ringe, bei ihm beantragte hatte.282 Die Bezirksbeauftragten des RMRK stellten keine unmittelbaren Anforderungen, der RVK verlangte für Thüringen nur für das von ihm persönlich vorangetriebene Vorhaben eines unterirdischen Produktionswerks in Kahla Arbeitskräfte.283 Probleme der Arbeitskräfteorganisation ergaben sich aus den Sonderaktionen („Geilenberg“, „Jägerstab“, Fliegerschädenbeseitigung). Monatlich fanden zur Planung des Arbeitseinsatzes Besprechungen der Leiter der Arbeitsämter, Rüstungskommandos, des LWA und der GWK unter Leitung des Gauarbeitsamts zur Koordination des Rüstungswirtschaftsbedarfs statt, die übrigen Wirtschaftszweige (Landwirtschaft, Ernährungsindustrie, Forstwirtschaft, Bergbau und Handwerk) fanden aus organisatorischen Gründen keine Berücksichtigung. Im Gauarbeitsamt Thüringen wurde die Forderung nach zentralen Richtlinien für die Rangfolgeordnung der verschiedenen Bedarfsarten erhoben, ohne dass dadurch starre Konventionen geschaffen werden sollten, sondern um die komplizierten Bezugsverhältnisse zu vereinfachen, die Bedarfsanforderungen zu regulieren und die Einschaltung der Zentralbehörden zu vermeiden. Im Gau Thüringen wurde die Erfassung der Arbeitskräftesituation von Rüstungskommission IX b und Gauarbeitsamt koordiniert. Bei größeren Kräfteanforderungen, bei Produktionsschwierigkeiten und Verlagerungsmöglichkeiten zur Leistungssteigerung aktivierte die Rüstungskommission ihre Prüfungsausschüsse. Das Rüstungskommando Weimar kritisierte, dass die Beschäftigtenerfassung durch die MB-Dienststelle284 hinsichtlich der Bedarfsgruppenaufteilung nur ungenügend sei. Dahinter verbarg sich freilich ein Kompetenzverlust des Rüstungskommandos, das die von der MB280 281 282 283 284
Vgl. die Sauckel-Anordnung von 1945, in: BArch R12I/10, n. pag. Vgl. BArch R3/1817, Bl. 342 Vgl. zum Durchbruch des RMBM in der Arbeitskräftefrage in der Mittelinstanz Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 790-800 Vgl. Speer: Erinnerungen, S. 420 Bezirksstelle Maschinelles Berichtswesen des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion
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Dienststelle erfassten Beschäftigtenmeldungen nun nicht mehr zur Kontrolle vorgelegt bekam.
4.
Die Goebbels-Aktion vom Sommer 1944
Mit der Ernennung Goebbels´ zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz am 25.7.1944285 gewannen die Gaue und Gauleiter/RVK in den bedeutenden Aufgabenfeldern von Arbeitseinsatz und Wehrmachtseinziehungen an Bedeutung. Mit der Anordnung über die Durchführung des totalen Kriegseinsatzes vom 16.8.1944286 erhielten sie ein umfassendes Auskunfts- und Weisungsrecht gegenüber allen Dienststellen der Mittel- und Unterstufe, der Selbstverwaltungskörperschaften, der Selbstverwaltung der gewerblichen Wirtschaft, den Gemeinden, gewerblichen und Wehrmachtsbetrieben. Die Gauleiter/RVK wurden ermächtigt, alle Maßnahmen zu treffen, durch die Kräfte für Wehrmacht und Rüstung freigemacht, Personen in kriegswichtigere Beschäftigungen umgesetzt und bisher nicht erfasste Arbeitspflichtige einer geeigneten Tätigkeit zugeführt wurden. Bormann betrieb bei Goebbels die Ausdehnung der Eingriffsmöglichkeiten der Gauleiter auf Reichsbahn, -post und zum Teil auf die Reichsfinanzverwaltung.287 Zudem sollten sie stärker in die uk-Stellungsverfahren und in die Nachprüfung des Kräfteeinsatzes, vor allem in der Rüstungswirtschaft, eingeschaltet wer-
285
286 287
Vgl. RGBl I, 1944, S. 161f.; ergänzend zur Vorbereitung des Erlasses BArch R43II/664a, Bl. 2-135; Völkischer Beobachter Nr. 208 vom 26.7.1944 und Nr. 209 vom 27.7.1944; ausführlich Rebentisch: Führerstaat, S. 512-523 sowie BArch R43II/665, Bl. 131f.; ergänzend zur Tätigkeit Goebbels´ BArch R43II/666, 666a, b, c und 669d, auch umfassend zu den Zielen und Planungen des Reichsbevollmächtigten und der Besetzung von Planungs- und Exekutivausschuss. Im Bestand Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda des Bundesarchivs Berlin (R55) finden sich zum Reichsbevollmächtigten keine Aktenbestände. Problematisch und mit quellenkritischem Hintergrund Speer: Erinnerungen, S. 405-407; ferner Reuth: Goebbels, S. 558-562. Formell war der „Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz“ dem Vorsitzenden des Ministerrats für Reichsverteidigung, Göring, unterstellt. Vgl. hierzu und zum Folgenden BArch R43II/666a, Bl. 50-54; BArch R3/1615, Bl. 11-16 Christiane Kuller: Haushaltspolitik als Machtpolitik? Kommissare im Spannungsfeld zwischen traditioneller Finanzpolitik und politischer Sondergewalt, in: Hachtmann/Süß (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 51-71; Martin Friedenberger/KlausDieter Gössel/Eberhard Schönknecht (Hg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus. Darstellung und Dokumente, Bremen 2002; Die Mittelbehörden der Reichsfinanzverwaltung und ihre Präsidenten 1919-1945. Eine Dokumentation, bearb. von Horst Bathe und Johann Heinrich Kumpf (=Finanzgeschichtliche Sammlung der Bundesfinanzakademie), Brühl 1999.
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den.288 Diese Aufgabenbereiche, die eigentliche Überprüfung von Behörden und Wirtschaftsbetrieben, übernahmen in der Mittel- und Unterinstanz Gauund Kreiskommissionen.289 Sie hatten das Recht, Dienststellen, Rüstungs-, Wehrmachts- und Betriebe der gewerblichen Wirtschaft hinsichtlich des Arbeitseinsatzes zu überprüfen und waren den Wehrersatz-, Arbeitseinsatzbehörden, Rüstungsdienststellen und deren Verwaltungen in dieser Hinsicht übergeordnet. An der Spitze der Gaukommission stand der Gauleiter, ihm zur Seite der leitende Beamte der geschäftsführenden Behörde des RVK, der Kommandeur der Wehrersatzinspektion, der Präsident des Gauarbeitsamtes, der Vorsitzende der Rüstungs(unter)kommission und weitere, vom Gauleiter berufene Funktionäre aus Staat, Partei und Wirtschaft. Auf der unteren Verwaltungsebene bildeten die Gauleiter Kreiskommissionen, denen ein vom Gauleiter berufener Vorsitzender, der Kreisleiter, Landrat, Wehrbezirkskommandeur, Leiter des Arbeitsamtes und weitere Funktionäre angehörten. Als Bevollmächtigter der Goebbelsschen Kreiskommissionen fungierte der jeweilige KWB, was die Rolle der Partei in den Kommissionen aufwertete. Zudem plante die Führung weitere Freimachungsaktionen, deren Durchführung aber angesichts des öffentlichen Drucks in der Bevölkerung auf Eis gelegt wurde.290 Gaukommission und Kreiskommissionen stellten in Konkurrenz zu bestehenden Apparaten neuartige Plattformen dar, die der Parteiführung im Gau Thüringen einige Möglichkeiten bot, aktiver in die Arbeitskräftepolitik einzugreifen.291 Für einzelne Verwaltungszweige und Wirtschaftsverbände wurden mit der ersten Ausführungsbestimmung vom 27.8.1944 deren Spitzenvertreter als Beisitzer in die Gau- und Kreiskommissionen berufen.292 Exekutivgewalt besaßen die orts- und betriebsweise vorgehenden Kommissionen nur gegenüber „Arbeitspflichtigen“, die sie ohne Beschäftigungsverhältnis antrafen – zweifelsohne eine erhebliche Einschränkung des Tätigkeitsbereichs.293 Allerdings muss beachtet werden, wie die Aufgaben der Kreiskommissionen vor Ort ausgelegt wurden. Sauckel verstand die Errichtung der Kommissionen als Freifahrtschein, mit dem der
288 289 290 291
292
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Vgl. BArch R43II/666a, Bl. 22f. Vgl. BArch R3/1635; BArch R12I/338 Vgl. RGBl I, 1938, S. 1441; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4290, Bl. 33-35 Im September und Oktober mussten 95 Firmen im Gau auf Anordnung der Gaukommission Thüringen 225 Deutsche aus den Jahrgängen 1884 bis 1928 für sechs Wochen zum Schanzen stellen. (Vgl. BA-MA RW 21-62/12, Bl. 47) Vgl. BArch R43II/665, Bl. 115 (Erste Ausführungsbestimmung zur Anordnung für die Durchführung des totalen Kriegseinsatzes) sowie ergänzend BArch R43II/666a, Bl. 69; BArch R43II/666, Bl. 125 Vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 519-522
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„Schwerpunkt der Verantwortung und des Handelns auf die Partei“294 verlagert wurde und ordnete den Kreisleitern gegenüber an, den Druck auf die Rüstungsindustrie zu verstärken, was diese zu gerne aufnahmen.295 Die von Goebbels auf die Gauleiter/RVK übertragenen Befugnisse nutzte die Partei im Gau Thüringen, jene Bereiche zu durchkämmen, auf die sie vorher keinen Zugriff hatte. Eine Beschwerde gegen die Entscheidung einer Gaukommission war, im Gegensatz zur Kreiskommission, nicht möglich. In allen anderen Fällen konnten sie den zuständigen Stellen nur Maßnahmen empfehlen. Konflikte auf Reichsebene, die aus dem wilden und oftmals ungeplanten Aktionismus Goebbels´ resultierten und den Propagandaminister in Frontstellung zum Rüstungsminister brachten296, schlugen auch auf die Gauebene durch, wo sich die Gaukommission Thüringen als Konkurrentin der Rüstungskommission IX b positionierte. Zur Stärkung der Gauleiter erging zusätzlich die „Verordnung zur Sicherung des totalen Kriegseinsatzes“297, die die Kompetenzen der Gauleiter gegenüber den Rüstungskommissionen Speers sichern sollte und ihnen ein Ordnungsstrafrecht bei Maßnahmen, die den totalen Kriegseinsatz „gefährdeten“, übertrug, das bis zur Todesstrafe reichte. Die von Goebbels in Zusammenarbeit mit Bormann aktivierten Gauleiter/RVK nahmen die neuen Aufgaben extensiv war und übergingen zusehends die Weisungen der Obersten Reichsbehörden bei Organisations- und Verwaltungsangelegenheiten. Sie verfolgten eine weitere Dezentralisierung der Aufgaben und Stärkung der Mittelinstanzen auf Gauebene und griffen in die administrativen Strukturen ein, was die zentrale Steuerung der Maßnahmen des totalen Kriegseinsatzes – wie man in der Reichskanzlei auf ein Fernschreiben Himmlers notierte – „ernsthaft gefährdet(e)“.298 Dagegen monierte Bormann, dass die Richtlinien der Obersten Reichsbehörden zu eng gefasst seien und den Aktionsrahmen der in der Mittelinstanz auf weitere Eigenständigkeit drängenden Gauleiter unnötig beschneide. Als Schlussfolgerung schlug die Parteikanzlei die Aufhebung einiger Erlasse Oberster Reichsbehörden vor und in der Konsequenz dieser Perspektive drängte sie auf eine Unterstellung Oberster Reichsbehörden unter den Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz und den Leiter der Parteikanzlei, mit denen die Obersten Reichsbehörden grundlegende Erlasse vor deren Herausgabe absprechen sollten.299 Am 17.8.1944 ging ein Rundschreiben des Reichsbe294 295 296 297
298 299
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 186f. Vgl. BArch R3/1555, Bl. 172 Vgl. Speer: Erinnerungen, S. 405-419; BArch R3/1555, Bl. 56 Vgl. RGBl I, 1944, S. 184; ergänzend die Korrespondenz zwischen Parteikanzlei und RJM, in: BArch R43II/666, Bl. 141, 145, 147, 151; ergänzend BArch R43II/666a, Bl. 160-201 Vgl. BArch R43II/666, Bl. 225 Vgl. BArch R43II/666a, Bl. 60-67
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vollmächtigten an die Gauleiter/RVK über die Aufstellung neuer Kampfdivisionen, das diese ermutigte, weiter Druck auf die Betriebsführer bei der Quotenerfüllung der Freimachung von Arbeitskräften auszuüben, auch wenn solche Methoden bei den verantwortlichen Stellen verständlicherweise auf wenig Gegenliebe stießen und Speer heftig insistierte, dass Einziehungen aus der Rüstungs- und Kriegsproduktion allein über die Rüstungsdienststellen zu erfolgen hätten.300 Speer wandte sich bereits am 28.8.1944 mit dem Hinweis an Goebbels, dass „bei der von den Gauleitern durchgeführten Einberufungsaktion die Rüstungswirtschaft über die von [ihm] angeordnete Jahrgangseinziehung nur das abzugeben hat, was sie freiwillig, ohne Beeinträchtigung der Fertigung und unter Beachtung der Programmsteigerungen, abgeben kann.“301 Die Mehrzahl der Gauleiter verfuhr in ihrer gewohnten selbstherrlichen Art nach eigenem Gutdünken und betrachtete die von Goebbels erhaltenen Kompetenzen mehr oder weniger stillschweigend als willkommene Gelegenheit, in ihren Gauen tief in die Rüstungsindustrie und Arbeitsmarktpolitik einzugreifen. Sie erlegten den Rüstungsbetrieben die Abgabe eigenständig festgesetzter Quoten auf, die bis zu 400% über den Bedingungen der Betriebe lagen, so dass es mehrfach zu Fertigungseinbrüchen kam. Die Parteidienststellen übergingen vielerorts die Rüstungsdienststellen, wandten sich mit erheblichem Organisationsdruck direkt an die Betriebsführer und übergaben die Einziehungslisten direkt den Wehrersatzdienststellen.302 Im Gau Thüringen verlangte der Gauleiter/RVK die Abgabe von 4.000 Arbeitskräften aus den Rüstungsbetrieben.303 Speer intervenierte bei Goebbels, die Gauleiter und Behörden auf das Verbot der eigenmächtigen Quotenerhebung hinzuweisen und auf die Freiwilligkeit der Rüstungswirtschaft zur Abgabe von Arbeitskräften zu setzen.304 Die angestrebte Zahl von 300.000 Einziehungen wurde denn auch nicht erfüllt und Goebbels musste seine am 11.8.1944 an die Gauleiter gegangenen Weisungen bereits am 4.9.1944 er300 301 302 303 304
Vgl. BArch R3/1615 BArch R3/1615, Bl. 30; vgl. BArch R43II/664a, Bl. 33-43, v.a. Bl. 37f. Vgl. BArch R3/1615, Bl. 61-65 Vgl. BArch R3/1615, Bl. 31 Goebbels (Eintrag vom 27.8.1944, Tagebücher, Teil II, Bd. 13, S. 339) notierte dazu: „Sonst bin ich mit dem totalen Krieg beschäftigt. Speer schreibt mir einen Brief, daß die Gauleiter doch in größerem Umfange den Rüstungswerken Quoten auferlegen, und beschwert sich dagegen. Ich glaube, das ist nicht zu vermeiden. Die Gauleiter müssen ihre für die 300 000 Soldaten geforderten Quoten erfüllen, und sie können sie nach Lage der Dinge überhaupt nur dann erfüllen, wenn sie in den Rüstungs- und den Eisenbahnsektor eingreifen. Aber ich glaube nicht, daß, wie Speer befürchtet, daraus ein Einbruch in die Produktion entstehen wird. Die Rüstungsproduktion ist so übersetzt an Personal und hat so viel an Kräften gehortet, daß sie diesen leichten Aderlaß bequem verschmerzen kann.“
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heblich abändern.305 Die abgezogenen Arbeitskräfte wurden den Betrieben zum Großteil wieder zugeführt, um Einbrüche in der Rüstungsindustrie abzufedern, die Kreisleiter zur Zusammenarbeit mit den Rüstungsdienststellen verpflichtet und die Rüstungsinspektionen koordinierten mit den Gauleitungen die Rückführung der Arbeitskräfte durch die Wehrersatzdienststellen. Die Eingriffsmöglichkeiten der Parteidienststellen in die Betriebe wurden zurückgedrängt, so übernahm das RMRK die Ein- und Absetzung von Betriebsführern und Kommissionen, und für künftige Aktionen einigten sich der Reichsbevollmächtigte und der Rüstungsminister auf eine gemeinsame Koordination.306 Sauckel, über die zu erwartenden Maßnahmen Goebbels´ offensichtlich gut informiert, nahm die Berufung eines Reichsbevollmächtigten und die Übertragung wichtiger Aufgaben auf die Gaue und Gauleitungen zum Anlass, kurzfristig eine Sitzung des RV-Ausschusses unter Beteiligung der Rüstungskommission und Spitzenvertretern aus Partei und Staat auf den 15.8.1944 einzuberufen. Das als geheime Reichssache eingestufte Sitzungsprotokoll307 ist ein aufschlussreiches Dokument zur gewandelten Funktion der Ausschusssitzungen unter der Leitung Sauckels und zugleich eine Zusammenfassung und Weiterentwicklung seines Programms zum reichsweiten und regionalen Arbeitseinsatz. Die Kreisleiter verpflichtete er zwar gleich zu Beginn der Sitzung zur Zusammenarbeit mit den Dienststellen der Wehrmacht, des Staates und der Rüstung, gab kurz darauf aber unumwunden und – so das Protokoll – unter „Bewegung“ unter den Zuhörern zu, künftig „sehr mutig die Quellen auf[zu]schließen, die heute allein noch in der Lage sind, reichlich das Dringlichste zu geben, was wir bedürfen, nämlich Soldaten […] [und] die Rüstung energisch anzupacken.“308 Das war eine unmissverständliche Drohung an die Rüstungsindustrie, die von den anwesenden Kreisleitern, die mit den Kreiskommissionen den Druck auf die Betriebe erhöhen sollten und wollten, nur allzu gerne vernommen wurde. Gegenüber Beckurts und dem Rüstungsinspekteur schlug Sauckel einen versöhnlicheren Ton an und lobte öffentlich die Zusammenarbeit, drängte sie aber gleichzeitig, die Rüstungsindustrie verstärkt nach der Aufhebung von kv-Stellungen zu durchkämmen. Mit dem Gau wollte er gegenüber anderen Gauen und vor der NSFührung den Beweis antreten, dass die Rüstungsindustrie noch über erhebli305
306 307 308
Anders lauteten die von Beckurts während einer Sitzung der Rüstungskommission IX b genannten Zahlen, wonach die von Goebbels initiierten Aktionen 650.000 Arbeitskräfte für die Wehrmacht freimachen sollten, die sich im Einzelnen wie folgt aufteilten: Meldepflicht 200.000, Film 10.000, Verwaltung 150.000, Theater 80.000, Gaststätten 60.000 und Schulen 150.000. (Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 60) Vgl. BArch R3/1615, Bl. 68-71; BArch R3/1555, Bl. 168 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 193-212 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 188
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che Personalressourcen verfügte und deren Zusammenbruch auch bei einer radikalen Rekrutierungspraxis nicht drohe. Anstatt die Wirtschaft zu verprellen, schlug Sauckel den Weg der Kooperation ein in dem Bewusstsein, dass die Mobilisierungsfähigkeit der Partei von den regionalen Industrieführern akzeptiert und mitgetragen werden musste.309 Als Zielprojektion schwebte Sauckel ein gaubezogenes Netzwerk aus Partei-, Staats-, Wirtschafts-, Arbeitseinsatz- und Wehrmachtdienststellen vor, deren „loyalste Zusammenarbeit“310 den „Erfolg“ der Maßnahmen in den Vorstellungen Sauckels sichern und die Rüstungsproduktion steigern konnte. Dass eine solche Konzeption den Druck der Partei auf die Industrie nicht ausschloss, lag im Selbstverständnis der NSDAP-Führung, die gewillt war, alles zu versuchen, um aus dem Gau Thüringen das auferlegte Kontingent für die Wehrmacht zur Verfügung zu stellen und unter Umständen auch darüber hinaus Arbeitskräfte für die Einziehung freizumachen. Die Industrievertreter hingen wohl eher dem von Speer während der Tagung der Rüstungsobmänner am 31.8.1944 in Berlin verkündeten Credo nach: „Was an der Front passiert, das ist für uns an sich vollkommen unwichtig. Wir dürfen uns nicht beunruhigen lassen, sondern wir müßen stur auf unsere Produktion sehen, daß wir herausholen, was wir nur herausholen können. Und da ist es notwendig, dass diejenigen Schwierigkeiten, die wir durch die letzten Tage bekommen haben [GoebbelsAktion], wieder ausgeglichen werden.“311 Die Aktion zur Aufstellung neuer Kampfdivisionen312 mit dem Ziel, neben den laufenden Einberufungen eine größere Zahl von uk-Stellungen für die Wehrmacht freizumachen, legte dem Gau Thüringen ein Soll von 7.980 ukGestellungen auf.313 Nach gauinternen Angaben wurde diese Zahl von den Kreiskommissionen mit 10.114 Gestellungen (etwa 127%) weit übererfüllt.314 Auf den Aktionismus des Reichsbevollmächtigten musste Speer reagieren und er tat es, indem er eine Aktion zur Einziehung von 75% der Wehrpflichtigen der Jahrgangsgruppe 1918 und jünger kv sowie der Wehrpflichtigen 1910 und jünger kv aus den Verwaltungen der Betriebe und der zivilen gewerblichen Wirtschaft, soweit sie zu den Jahrgängen 1918-1922
309 310 311 312 313 314
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 195 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 203 BArch R3/1555, Bl. 172 Vgl. Naasner: Machtzentren, S. 81f. Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 60 Vgl. die Aussage Ortlepps während der RV-Ausschuss-Sitzung für den Wehrkreis IX im Hotel Elefant in Weimar am 11.11.1944, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 16 sowie Sauckel vor dem RV-Ausschuss, der Rüstungskommission und Spitzen aus Partei und Wehrmacht, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 192
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und 1924 gehörten, anordnete.315 Unter der Regie des Gauleiters/RVK und in enger Kooperation mit der Rüstungskommission wurden im Gau Thüringen die beiden Aktionen zusammengefasst und die Betriebe über die Rüstungskommandos kontaktiert, ihre „zwangsläufig abzugebenden Wehrpflichtigen“ für die Speer-Aktion und die „freiwillig abzugebenden“316 der GoebbelsAktion zu melden. Dass die Goebbels-Aktion einen Aderlass an Facharbeitskräften der Rüstungsbetriebe bedeutete, liegt auf der Hand.317 Von dem Aufbringungssoll entfielen auf die Rüstungswirtschaft im Gau 4.000 Wehrpflichtige, von denen durch freiwillige Meldungen der Betriebe bis Anfang September 2.900, deren Abzug von Beckurts mitgetragen und befürwortet worden war, aufgebracht wurden.318 Diese Meldungen wurden zu Listen zusammengestellt und an die Kreiskommissionen weitergegeben, die ihrerseits den Druck auf die Rüstungsbetriebe verstärkten mit dem Ergebnis, dass der Gau Thüringen 4.600 Wehrpflichtige zur Einziehung aufbrachte.319 Die Ersatzkräfte für diese Abgänge ließ der Gauleiter mit besonderer Anweisung schnellstens bereitstellen, was, glaubt man den Angaben Eschers in einer Rüstungskommissionssitzung, auch in erstaunlicher Weise funktionierte, denn bis zum 1.9.1944 waren bereits 2.900 Kräfte als Ersatz zugewiesen, der Rest sollte bis zum 5.9.1944 erreicht werden. Escher mahnte in der Rüstungskommission, dass das Einzugsverfahren nicht zu einer Verschleppung der Aktion führen dürfte, zumal der Gauleiter die Wehrersatzinspektion drängte, die Einberufungen nach den aufgestellten Listen schnellstens durchzuführen. Dass die Gauführung bei der Übererfüllung der auferlegten Sollzahlen gegenüber anderen Gauen eine Vorreiterrolle einzunehmen gedachte und ideologischen Leitlinien folgte, liegt auf der Hand. Die in der Rüstungsinspektion IX vermerkten Zahlen der Einberufungsaktion vom 19. bis 23.8.1944 sprechen auch qualitativ für den Aktionismus der Thüringer Gauführung. Der Gau Kurhessen deckte das ihm auferlegte Soll von 1.177 Mann zu 100%, während der Gau Thüringen das ihm nach unten korrigierte Aufbringungssoll von 3.350 Mann mit freigemachten 4.475 um mehr als 133% erfüllte.320 Da die gewerbliche Wirtschaft die Hauptlast der Goebbels-Aktion zu schultern hatte, musste die Rüstungsindustrie im Gau empfindliche Einbußen hinnehmen, die wiederum zu erheblichen Spannungen zwischen Rüstungsindustrie und Partei führten.321 Das Scheitern des GBA322 und die ver315 316 317 318 319 320 321
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 61 BA-MA RW 20-9/19, Bl. 60 Vgl. BA-MA RW 21-62/12, Bl. 46f. Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 14 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 61, 63 Vgl. BA-MA RW20-9/19, Bl. 15, 45f; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 212 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 20
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heerende Arbeitskräftesituation erhöhten den Aktionismus Bormanns, der mit seinem Rundschreiben vom 1.10.1944 die Parteistellen anfeuerte: „Wenn die Betriebsführer der Rüstungsbetriebe nicht in der Lage sind, schon jetzt die sich hieraus ergebenden Folgerungen zu ziehen und in dem durch die von ihnen eingeleiteten Maßnahmen ermöglichten Umfange deutsche Frauen und freigesetzte Arbeitskräfte zu übernehmen und raschestens anzulernen, wird es notwendig sein, die Einstellung und Anlernung dieser Kräfte von außen her zu erzwingen.“323 Davon ausgehend trieb die Parteikanzlei die Radikalisierung der Kriegswirtschaft mit den Gauleitern als Schalt-, Koordinationsund Exekutivorgan weiter voran und erstellte einen auch Hitler vermutlich vorgelegten Maßnahmenkatalog, mit dem die Rüstungsindustrie verpflichtet werden sollte, jenseits aller volks- und betriebswirtschaftlichen Logik und organisatorischen Sachzwänge und Folgewirkungen kv-Arbeitskräfte durch freigemachte Arbeitskräfte zu ersetzen und die DAF bei Anlernmaßnahmen „maßgebend zu beteiligen“. Wie reagierte die Wehrmachtführung im Gau Thüringen auf diese Entwicklungen im Sommer 1944? An und für sich ist eine zustimmende Haltung zu erwarten. Der Wehrkreisinspekteur IX, General Bonatz, äußerte sich jedoch vor dem RV-Ausschuss verhalten über die gleichzeitig Energien freisetzende und Verwirrung stiftende Einberufungsaktion: „Zum ersten Male war bei der Durchführung der überplanmäßigen Einberufungen die Partei in ausschlaggebender Weise eingeschaltet. Bisher war die Herauslösung der einzuberufenden Wehrpflichtigen aus ihrer uk-Stellung Aufgabe der Bedarfsträger.“324 Wie ist eine solche Reaktion zu erklären? Mit der Goebbels-Aktion drangen die regionalen und lokalen Parteiführer in ureigenste Aufgabengebiete der Wehrmacht vor und übten in Thüringen einen erheblichen Druck auf die Betriebe aus.325 Im Gau Thüringen überließ die Wehrersatzinspektion der Gaukommission und der Kreiskommission weitgehend den Einblick in die ukKarteien der Wehrmeldeämter und um innerhalb der Wehrersatzinspektion IX ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten, entwarf die Inspektion eigens Erfassungsformulare. Schwierigkeiten ergaben sich da, wo Wehrbezirk und NSDAP-Kreis im Gau nicht deckungsgleich waren und die Kreisleitungen veraltete Listen an die Wehrersatzdienststellen sandten. Die Listen der Kreisleitungen enthielten vielfach Wehrpflichtige, die sich bereits im aktiven Wehrdienst befanden oder für das OKW uk-gestellt waren sowie Rüstungs322 323 324 325
Vgl. Naasner: Machtzentren, S. 127-130; Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 935f. BArch R3/1615, Bl. 172 (im Folgenden hieraus und Bl. 443: Rundschreiben 293/44 vom 1.10.1944 an die Gauleiter, Reichsleiter und Verbändeführer) ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 18 (hieraus auch die weiteren Zitate) Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 61
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oder Arbeitsurlauber. Diese Daten konnten für die Goebbels-Aktion natürlich nicht mehr berücksichtigt werden und wurden von den Wehrersatzdienststellen abgelehnt, was wiederum den Zielen der Kreisleitungen entgegenlief, so dass die Durchführung der Gesamtaktion für reichlich Zündstoff im Gau Thüringen sorgte. Denn der Ausfall war bei einigen Kreiskommissionen, die sich plötzlich 15-20% ihrer geplanten Einberufungen beraubt sahen, weitaus höher als erwartet. Bonatz konstatierte denn auch am Ende seines Vortrags, dass die Einberufung der durch die Goebbels-Aktion erfassten uk-Stellungen Sache der Wehrmachtsdienststellen sei und führte weiter aus: „Ich habe die Wehrbezirkskommandeure angewiesen, die gesamte Goebbels-Aktion schnellstmöglich zum Abschluß zu bringen, da in Kürze die planmäßige September-Einberufung vorbereitet und durchgeführt werden muß.“ Die Aktivitäten der Kommissionen im Gau Thüringen liefen den Wehrmachtsinteressen also erheblich entgegen326 und führten wie auf Reichsebene zu Unsicherheit und Rüstungseinbrüchen.327 Aus Sauckels Perspektive war die Aktion freilich ein voller Erfolg, die Bedenken der Wirtschaft, die Rüstungsanforderungen nicht mehr erfüllen zu können, wischte er beiseite und kündigte für die Thüringische Rüstungswirtschaft, die auf Gauebene 19.000 uk-Stellungen der Jahrgänge 1910 und jünger „hortete“, weitere Auskämmaktionen an.328 Und der Rüstungswirtschaft drohte er: „Ich bin entschlossen, auf jedes Risiko hin auch aus diesem Gau der Wehrmacht die Soldaten zu geben, die die Wehrmacht benötigt und die die Wehrmacht anfordert. […] Die Aufrechterhaltung unserer Wirtschaft als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung un326 327 328
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 64 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 473, Bl. 96 Sauckels Argumentation folgte streng nationalsozialistischen Kategorien: Wenn der Betriebsführer nur „mutig“ die verbleibenden Arbeitskräfte zusammenfasse, sich das Führungspersonal weniger auf Geschäftsreisen als im Betrieb befände, die Leistung der Belegschaft noch weiter mobilisiere – kurz: wenn „Wille“ und „Glaube“ vorhanden seien, dann können die Betriebe noch weitere Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. „Wer nur mit technischen und rechnerischen Mitteln den Sieg errechnen will, der wird ewig scheitern. Wer die großen Imponderabilien der Weltgeschichte nicht gelten lassen will, der muß selbstverständlich verzagen.“ (Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 27-31) Dass Sauckel trotz oder gerade wegen der Durchhalteparolen, Drohungen und ideologischen Floskeln Realist war, zeigt eine erstaunliche spätere Äußerung im Rahmen der RV-Ausschuss-Sitzung am 11.9.1944: „Ich darf Sie aber auch bitten, alle diese Dinge [die aktuelle Kriegs-, Wirtschafts-, Arbeits- und Versorgungslage] nicht nur von der technischen Seite her zu sehen, nicht nur von der militärisch-technischen und nicht nur von der wirtschaftlich-technischen Seite her. Wenn wir das tun wollten, dann hätten wir nämlich schon im September 1939 kapitulieren müssen.“ (Bl. 29) Die Zerstörungen und das Leid des Krieges nahm Sauckel, der Hitler blind ergeben war, billigend in Kauf: „Ob weitere Städte und Fabriken in Schutt und Asche sinken, ob der eine oder andere von uns dabei verloren geht und darauf geht [sic!], das ist nicht das Entscheidende.“ (Bl. 41)
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seres täglichen Lebens gewährleistet heute allein die Partei. Nehmen Sie dieses System weg, dann gibt es keine Wirtschaft mehr. […] Nur der Nationalsozialismus ermöglicht eine Wirtschaftsleistung ohnegleichen.“329 Für sich selbst beanspruchte der selbstbewusste Gauleiter/RVK im Gaugefüge selbstverständlich die Führungsposition, in der er sich die Dienststellen von Staat, Partei und Wirtschaft unterordnete.330 Auf der unteren Ebene unternahmen, die Position des Gauleiters aufmerksam registrierend, die Kreisleiter erhebliche Anstrengungen, um ihren Einfluss in der Einberufungsaktion auszudehnen. Diese Entwicklung nahm Formen an, die die Rüstungsinspektion zum Eingreifen zwangen. Sie wollte beim Rüstungsamt des RMRK erwirken, dass Einberufungen aufgrund der von den Kreisleitern eingereichten Listen, soweit die Rüstungsindustrie betroffen war, nur nach vorheriger Stellungnahme der Rüstungsdienststellen erfolgen sollte. Das OKW bremste eine generelle Regelung aber aus, sodass es zu wiederholten Verhandlungen zwischen der Inspektion, den Rüstungskommissionen und den Gauleitungen im Inspektionsbereich IX kam, um die Interessen der Rüstungsindustrie hinsichtlich ihrer Fertigungskapazitäten zu wahren. Letzten Endes konnte die Partei ihren Einfluss auf die Arbeitskräftepolitik stärken, da die Inspektion nur erreichte, dass den Einsprüchen der Rüstungskommandos gegen Einberufungen bei den Kreisleitungen insofern Rechnung getragen wurde, als dass die Entscheidung der Gauleitung eingeholt wurde.331 Vom rein quantitativen Ergebnis zeigte sich die Inspektion zufrieden gestellt, die zweite und dritte Meldepflicht-Verordnung hatte im Inspektionsbereich 71.000 Arbeitskräfte erfasst und im Arbeitseinsatz eine spürbare Entlastung zur Folge, die sich vor allem im September 1944 und bei weiblichen Arbeitskräften bemerkbar machte und vom Rüstungskommando Weimar wohlwollend registriert wurde.332 Die der Rüstungsindustrie zur Verfügung gestellten Kräfte waren zahlenmäßig recht umfangreich, konnten jedoch den Vorrangbedarf nicht voll abdecken, da die Arbeitskräfte nur partiell einsatzfähig waren.333 So versteht sich auch die differenziertere Beurteilung der Goebbels-Aktion durch das Rüstungskommando Eisenach: „Durch die August-Einberufungsaktion (Dr. 329 330 331 332 333
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 28, 33, 35 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 41 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 15 Vgl. BA-MA RW 21-62/12, Bl. 43 Im Gau Thüringen wurden 56.000, im Gau Kurhessen 15.000 Kräfte erfasst. Abschließend bearbeitet wurden 41.000, in die Rüstungsindustrie umgesetzt allerdings nur 30.000 (42%). Das Fazit der Inspektion, der durch die Einberufungen entstandene Bedarf habe gedeckt werden können, traf in letzter Konsequenz sicherlich nicht zu und hält, vor allem vor dem Hintergrund der Angaben in den Sitzungen der Rüstungskommission IX b im August und September 1944, einer eingehenden Prüfung nicht stand. (Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 10)
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Goebbels) ist hinsichtlich Facharbeitern und angelernten männlichen Arbeitskräften den Betrieben so ziemlich das Letztmögliche abgezogen worden. Weitere Einberufungen müßen äußerst vorsichtig mit guter und zeitmäßig hinreichender Vorbereitung durchgeführt werden, wenn nicht empfindliche Einbrüche in die Fertigung erfolgen sollen. An ungelernten und für leichte Arbeiten anzulernenden Arbeitskräften ist kein Mangel. Hier hat sich die Lage wesentlich entspannt. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß Materialund Facharbeitermangel zur Arbeitsverkürzungen führen können.“334 Auch auf anderen Ebenen führte die Goebbels-Aktion im Gau Thüringen zu ambivalenten Einschätzungen. Zwar konnte die Inspektion einerseits zufrieden notieren, dass durch die Maßnahmen des Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz „Entspannung eingetreten“ sei. Andererseits musste sie konstatieren, dass der Rüstungsindustrie durch Einberufungen zahlreiche Fachkräfte v.a. jüngerer Jahrgänge (1910 und jünger, 1918 bis 1924) entzogen waren und deshalb „die Überfremdung an Ausländern in den Betrieben zugenommen“335 habe, während der Facharbeiteranteil in den Betrieben auf zwölf Prozent zusammengeschmolzen war. Hierin lag ein Zug der für den GBA typischen Wahrnehmung des Arbeitseinsatzes. Quantitative Ergebnisse spielten eine größere Rolle als der qualitative Fachkräftemangel. Für die Partei boten die mit der Goebbels-Aktion verbundenen neuen Aufgabengebiete ein Betätigungsfeld, das nur allzu begierig übernommen wurde. Sauckel kündigte nach der auf den 15.8.1944 in aller Hektik anberaumten RVAusschuss-Sitzung unter Beteiligung der Rüstungskommission und Spitzen aus Partei und Wehrmacht monatliche Sitzungen in diesem Rahmen an und lud die versammelten Kreis- und Gauamtsleiter zu einer anschließenden Besprechung ein, während der sie in ihre neuen Funktionen eingewiesen wurden.336 Nach dem Scheitern der in voller Hektik durchgeführten Auskämmaktionen des Reichsbevollmächtigten, der überhasteten Stilllegungen und tiefen Eingriffe in die Rüstungsindustrie, die nicht selten den Kernabsichten der Kriegswirtschaft und -verwaltung entgegenliefen, erhielten die Parteidienststellen bei der Durchführung weiterer Freisetzungsaktionen durch die Parteikanzlei eine neue Dynamik. Als linientreuer Gauleiter sandte Sauckel bereits am 27.7.1944 ein Schreiben an die staatlichen Behörden im RV-Bezirk (Gau Thüringen), mit dem er die Beschränkung der Verwaltungsarbeiten auf kriegswichtige Angelegenheiten verordnete und die in Thüringen offenbar kursierenden territorialen und verwaltungsmäßigen Neuordnungsideen ver334 335 336
BA-MA RW 21-17/17, Bl. 5 Nach einer Erhebung der Inspektion kamen im WK IX auf 100 männliche deutsche Arbeitskräfte 200 bis 260 ausländische. (Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 14, 17) Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 206, 212
294
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bot.337 Im Mittelpunkt der RV-Aufgaben standen die weitere Auskämmung der inneren Verwaltung und die Aufrechterhaltung der gauinternen Funktionsmechanismen bei gleichzeitiger Stilllegung einiger Verwaltungsgebiete. Die Aktionen der Gauleiter/RVK in der Produktionslenkung nahmen Formen an, dass sich das RWM am 26.9.1944 gegen die Beschlagnahmung und Verteilung von Waren und die tiefen Eingriffe in Industrie und Handel durch die Gauleitungen zum Eingreifen genötigt sah.338 Angesichts der Schwäche des RWM, das kaum mit Repressalien drohen konnte, prallte das Schreiben am Selbstverständnis der RVK ab.
337 338
Vgl. hierzu und zum Folgenden ThHStAW, Thüringisches Finanzministerium, Nr. 15, Bl. 37f. Vgl. BArch R43II/607a, Bl. 70, 273
TEIL 5 DIE KRIEGSBEDINGTEN MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN IM NS-GAU THÜRINGEN
I. 1.
Die Situation von 1939 bis 1942 Die Mobilmachung der Kriegswirtschaft durch die Wehrwirtschaftsinspektion IX und die Wehrwirtschaftsstellen in Weimar und Eisenach
Die Aufgabengebiete der Rüstungsinspektion IX – die Zahl der von ihr „betreuten“ Rüstungsbetriebe schnellte zwischen 1.9.1939 und 30.9.1939 von 337 auf 520 empor1 – waren so vielfältig wie umfangreich: Betriebszuteilungen, Erkundung und Erfassung der Betriebe, Gerätefertigung, Werkzeugmaschinen, Lehren, Werkstoffe, Anlauf und Überwachung der Produktion, Behebung von Fertigungshemmnissen, Arbeitseinsatz, uk-Stellungen, Roh-, Betriebsstoff-, Kohle- und Energieversorgung, Bauwesen, Ausfuhr, Verlagerung von Aufträgen in die besetzten Gebiete, Transport und Verkehrslage, Anwendung des Reichsleistungsgesetzes, Kriegs-, Finanzierungs- und soziale Fragen, Schutz der Betriebe, Räumung und Bergung, Zu- und Unterlieferungen, Lochkartenstelle2 und sonstige die Wehrwirtschaft der Wehrmacht betreffende Fragen. In den Kontext dieser umfangreichen Aufgaben ist der Plan zur Errichtung eines Wehrwirtschaftsführerkorps als Zusammenfassung der bedeutendsten Vertreter der Rüstungsindustrie und deren Heranziehen zu Tätigkeit und Verantwortung in allen rüstungswirtschaftlichen Fragen einzuordnen und die Industrieführer damit zu „Offizieren der Kriegswirtschaft“3 zu machen. Berufliche Stellung, Sachkenntnis und charakterliche Eignung bildeten hierzu Voraussetzungen. Allerdings scheiterte der Versuch, die Einbindung in die produktive Mitarbeit erfolgte in den seltensten Fällen und wich meistens der reinen Auszeichnung zum Wehrwirtschaftsführer, da sich die Industrievertreter nicht bedingungslos vor den Karren der Wehrmacht spannen lassen wollten. Im Rahmen der Mobilmachung ergaben sich Schwierigkeiten in zeitlicher, materieller und personeller Hinsicht, da zunächst keine offizielle Mobilma1 2 3
Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 10 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 93 BA-MA RW 20-9/20, Bl. 104
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chungserklärung erfolgte und die Aufrüstung noch in vollem Gange war. Am 22.8.1939 wurde mit dem Stichwort „Alarich“ die schnelle Befehlsübermittlung durch Tag- und Nachtdienst und die Überprüfung sämtlicher MobVorarbeiten sichergestellt.4 Am 24.8.1939 erfolgte die Rückberufung der im Urlaub befindlichen Mitarbeiter der Wehrwirtschaftsinspektion und einen Tag später erging über die Kommandantur in Kassel die getarnte Mobilmachung der Wehrmacht für den 26.8.1939, die das Inkrafttreten der MobVerwaltungsvorschriften und die Mobilmachung der Dienststellen vorsah und für deren Durchführung das Arbeitsamt Kassel 15 Personen als MobZusatzpersonal zur Verfügung stellte.5 Am selben Tag erhielt die Inspektion vom OKW ein Schreiben, mit dem die Wehrmachtführung auf die Leistungserhaltung und -steigerung für in die Wehrmachtrüstung eingespannte Betriebsgruppen drängte. Die Rohstoffe wurden über die Auftrag gebenden Wehrmachtteile zugewiesen, die Versorgung mit Energie und Kohle lag bei den einzelnen Firmen, die einzelne Fertigungszweige einzuschränken hatten und Ergänzungspersonal bei den Rüstungskommandos anforderten. Bereits zu diesem Zeitpunkt – noch vor der Entfesselung des Krieges – zeigten sich Versorgungsprobleme, so bei den Muna-Baustellen „Barbara“ bei AllendorfMarburg (Personal), im Bereich Suhl (Gasversorgung) und ganz allgemein mit Lebensmitteln und Fabrikationsstoffen im gesamten WK IX. Zahlreiche Meldungen aus den W-Betrieben (Wehrmacht) ließen erkennen, dass für sie uk- und sichergestelltes Personal trotz entgegen gesetzter Bestimmungen zur Wehrmacht eingezogen worden war und die Rückführung dieser Arbeitskräfte erheblichen Organisations- und Zeitaufwand bedeutete.6 Am 1.9.1939 informierte das OKW die Inspektion und die ihr nachgeordneten Wirtschaftsstellen, dass sie in das Bewirtschaftungsverfahren der Reichsstelle für Eisen und Stahl nicht eingebunden seien und untersagte damit Eingriffe in die davon betroffenen Versorgungszweige. Die Zweiteilung der Wirtschaft in einen zivilen und militärischen Sektor rief bei den verantwortlichen Militärs erheblichen Unmut hervor. In der Wehrwirtschaftsinspektion IX enthält das Kriegstagebuch dazu eine aufschlussreiche Bemerkung: „Diese Art der Mobilmachung bedeutet für die Wehrwirtschaftsstellen eine aufmerksame Bearbeitung, um ein Erfassen der nicht für sie vorgesehenen Betriebe unter allen Umständen zu vermeiden.“7 Erst am 4.9.1939 erging auf ein OKH-Schreiben der sofortige Mob-Anlauf für alle Betriebe, die Geräte für das OKH produzierten. Die regionale Mobilisierungsphase der militärischen Kriegswirtschaft war gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Verunsicherung und feh4 5 6 7
Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 6f. Vgl. BA-MA RW 20-9/1, Bl. 9-11 Vgl. BA-MA RW 20-9/1, Bl. 28 BA-MA RW 20-9/1, Bl. 18f.
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lender Planung, so dass am 7.9.1939 eine Ausschusssitzung von OKW, OKH, OKM, Reichsluftfahrtministerium und Oberbefehlshaber der Luftwaffe einberufen wurde, bei der die Rahmenbedingungen der Produktion festgelegt wurden. Eine überzeugende Einschätzung zu diesen Ereignissen liefert das Kriegstagebuch der Inspektion IX vom September 1939: „Auf dem Gebiet des Planungsverfahrens setzte seit den ersten Septembertagen ein völliges Durcheinander bei allen militärischen Stellen ein, während das Verfahren bei den zivilen Stellen weiterlief.“8 Die Ursachen für die Konzeptlosigkeit der regionalen militärischen Stellen sind in widersprüchlichen Anweisungen, zahlreichen Stellenneubesetzungen, Kompetenzkonflikten mit der Wehrkreisverwaltung IX und Rangeleien mit dem Luftgaukommando zu suchen. Am 2.9.1939 ergingen die Vorbefehle für die Mobilmachung der Rüstungswirtschaft, am folgenden Tag wurde der X-Fall für die Wirtschaft befohlen mit der Einschränkung, dass nur solche Betriebe erfasst wurden, die aufgrund besonderer Weisungen der Wehrmachtteile hierfür in Frage kamen.9 Das Inkraftsetzen der Mob-Aufträge wurde seitens der Wehrmachtteile für die einzelnen Gerätearten gesondert angeordnet, was gegenüber den friedensmäßigen Vorbereitungen eine Abkehr vom starren System der Mobilmachung der Rüstungsindustrie bedeutete. Die Planungen offenbarten bereits erhebliche Fehler bei der Festsetzung der Produktionshöhe und -leistung, da sie von an den rüstungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorbeigehenden Parametern ausgingen. Bereits 1939/40 diagnostizierten die verantwortlichen Stellen der Inspektion IX einen erheblichen Mangel an Arbeitskräften, Produktionsstörungen durch Feindeinwirkung, Transportschwierigkeiten, Mangel an Material, Metallen, anderen Roh- und Zusatzstoffen, Eisen, Kohle, Gas und Treibstoff, so dass die Kapazitäten stellenweise nur zu 50% ausgelastet werden konnten.10 Die Inspektion reagierte auf Anordnung des OKW vom 30.10.1939 auf die Problemlagen mit der Einsetzung einer aus Offizieren und Unteroffizieren bestehenden Wirtschaftsinspektion z.b.V.11 Im Gau Thüringen verfügte die auf den WK IX ausgerichtete Wehrwirtschaftsinspektion IX über Wehrwirtschaftsstellen in Eisenach und Weimar12. Die Wehrwirtschaftsstellen als Unterbau der Inspektion übernahmen wichtige Steuerungsfunktionen in den Bezirken und fungierten als Anlaufstelle für zahlreiche Firmen als Informations-, Organisations-, Beschwerde-, Rückver-
8 9 10 11 12
BA-MA RW 20-9/1, Bl. 23 Vgl. BA-MA RW 20-9/1, Bl. 97 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 2f. Vgl. BA-MA RW 20-9/1, Bl. 133 Vgl. Arbeitsplan des Rüstungskommandos Eisenach, in: BA-MA RW 21-17/13, Bl. 26
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sicherungs- und Hilfestelle.13 Der Arbeitskräftemangel stellte für die Wehrwirtschaftsstellen im Gaugebiet unmittelbar nach Kriegsbeginn das vordringliche Problem der regionalen militärischen Mobilisierung der Kriegswirtschaft dar. Facharbeitermangel mit rüstungstechnischen Auswirkungen ergab sich vor allem im mit Rüstungswirtschaft stark belegten Suhler Bereich, den die Inspektion durch Auskämmaktionen wichtiger Betriebe beheben wollte. Die Wehrwirtschaftsstellen Weimar und Eisenach meldeten dagegen allerdings Bedenken an, da die in Frage kommenden Betriebe selbst unter Arbeitermangel litten und die von der Inspektion geplante Aktion bereits vor deren Anlaufen ergebnislos blieb.14 Nach einer zwischen September und Oktober 1939 erfolgten Phase der bezirklichen Bestandsaufnahme kamen die Stellen in Weimar und Eisenach zu dem Ergebnis, dass der im Gau Thüringen bestehende Facharbeitermangel nach den gemachten Erfahrungen innerbezirklich nicht gedeckt werden könne. In besonderen Sitzungen mit dem LAA Mitteldeutschland vereinbarten die Wehrwirtschaftsstellen, Betrieben, die zu diesem Zeitpunkt als nicht kriegswichtig eingestuft wurden, die für die wehrwirtschaftlichen Betriebe erforderlichen Facharbeiter zu entziehen, auf die wehrwirtschaftlichen Betriebe aufzuteilen und als Ersatz weibliche Arbeitskräfte zuzuweisen.15
2.
Kriegsbedingte Probleme der Rüstungsinspektion IX: Energie- und Kohleversorgung und die Ermittlung freier Kapazitäten
Im Winter 1939/40 wurde die Inspektion mit erheblichen Versorgungsschwierigkeiten konfrontiert. Bei der Wehrwirtschaftsstelle Eisenach mehrten sich seit November 1939 Klagen über die unzureichende Kohlenversorgung, woraufhin die Wehrwirtschaftsstelle bei der Inspektion nachfragte, ob die Verwendung des dreimonatigen Kohlenvorrats möglich sei.16 Anfang 1940 verschärfte sich die Versorgungssituation bei Kohle, Gas und Brennstoffen17, so dass die Inspektion versuchte, bei den Wehrmachtteilen eine Verschonung des Suhler Bezirks zu erreichen, solange nicht die Frage der Energieversorgung geklärt und alle damit verbundenen Schwierigkeiten be13
14 15
16 17
Vgl. BA-MA RW 21-17/1, Bl. 16-29. Die am 9.9.1939 anstehende Entladung von etwa 200 Waggons Räumungsgut aus den Westgebieten führte beim Rüstungskommando Eisenach zu einer fieberhaften Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten. Vgl. BA-MA RW 21-17/1, Bl. 28 Das Rüstungskommando Eisenach bezifferte die Höhe des Arbeitskräftemangels am 4.1.1940 auf 147 Facharbeiter und 720 ungelernte Kräfte in der Munitionsproduktion. (Vgl. BA-MA RW 21-17/2, Bl. 4) Vgl. BA-MA RW 21-17/1, Bl. 30, 33f. Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 9-12
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seitigt waren. Zur Bewältigung dieser Probleme kam es am 9.1.1940 im Suhler Rathaus zu einem Treffen, an dessen Teilnehmerliste sich bereits ablesen lässt, welche Bedeutung die regional agierenden Institutionen der Gasversorgung im Bezirk Suhl beimaßen. Vertreten waren das BWA IX b, die IHK Erfurt, die IHK Weimar, die Thüringer Gasgesellschaft, die Gaswerke Suhl, Eisenach und Erfurt, die Rüstungskommandos Weimar und Eisenach und die Inspektion Kassel.18 Man kam während des Meetings vor dem Hintergrund einer realistischen Lageeinschätzung überein, dass eine Abschaltung einer Anzahl von Betrieben nicht mehr umgangen werden konnte, um den Zusammenbruch der Gasversorgung, insbesondere in der Stadt Suhl, zu vermeiden.19 Eine weitere Aufschiebung hätte – so das Urteil der Versammelten – den Produktionsstopp in den Rüstungsbetrieben bedeutet, so dass zwischen dem 17.1. und 14.3.1940 im Inspektionsbezirk für die Rüstungsindustrie arbeitende Betriebe vorübergehend stillgelegt oder die Produktion gedrosselt wurde.20 In den Kontext der Versorgungskrise ist eine Aktennotiz im Kriegstagebuch der Inspektion einzuordnen, die auf das eigenmächtige Umleiten von Kohlenzügen durch regionale Behörden aufmerksam macht.21 Die Maßnahmen der Inspektion ergänzten die Anordnungen des RVK, der angesichts der problematischen Kohlenversorgung vor allem der Zivilbevölkerung auf Vorschlag der Inspektion am 23.1.1940 eine Verfügung erließ, mit der die Hausbrandverordnung auf Kosten der gesamten Industrie, also auch der der Rüstungsindustrie, vorzunehmen war.22 Ihren Höhepunkt erfuhr die Produktionseinschränkung am 19.2.1940 mit 38 stillgelegten und 14 eingeschränkt arbeitenden W-Betrieben (Wehrmacht).23 Für den Bereich des BWA IX b (Rüstungskommandos Weimar und Eisenach) schränkte der RVK seine Anordnung aber bereits am 29.1.1940 wieder ein. Aufgrund der gewandelten klimatischen Bedingungen und auf Anordnung Görings nahm Sauckel die Verfügung am 1.3.1940 zurück und am 14.3.1940 hatten alle Betriebe die Produktion wieder aufgenommen, lediglich zwei arbeiteten eingeschränkt aufgrund von Gas- und Rohstoffmangel. Die Inspektion ordnete daraufhin an, sämtliche W-Betriebe (Wehrmacht) für die restlose Durchführung des Rüstungsprogramms auszulasten, untersagte eine Einteilung nach Dringlichkeitsstufen und die Beschlagnahmung der Kohlenvorräte der Industrie mit der Einschränkung, dass zunächst eine freiwillige Hilfe geprüft werden müsse, und wies die Kommandos an, auf dem Wege des innerbezirklichen Aus18 19 20 21 22 23
Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 52-54 Vgl. BA-MA RW 21-17/2, Bl. 4-6, 49-51 Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 100-146 Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 147 Vgl. BA-MA RW 21-62/2, Bl. 53-55 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 51
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gleichs weitere Stilllegungen von Rüstungsbetrieben unbedingt zu vermeiden.24 Die sich als problematisch erweisende Gasversorgung im Bereich der Inspektion, insbesondere von Kassel, Erfurt, Suhl und Schmalkalden als Industriestandorte, hatte bereits vor dem Krieg bedenkliche Engpässe aufgewiesen, so dass die Inspektion zu dem Urteil kam, dass die örtlichen Gaswerke und die Ferngasversorgung den an sie gestellten Anforderungen kapazitätsmäßig nicht gewachsen waren.25 Mitte 1940 bezeichnete die Inspektion die problematische Gasversorgung als nie aufhörende Schwierigkeiten aufgrund der unzureichenden Gasversorgung in den Ballungs- und Wirtschaftszentren, die eine dauernde Gefahr für die ungehinderte Fertigung und Auslastung der Produktionskapazitäten in diesen Orten bedeutete. Um die Sicherstellung der Gasversorgung zu gewährleisten, wurde der Bau einer Gasleitung Erfurt – Gotha – Friedrichroda – Schmalkalden – Suhl in die Wege geleitet, die 1940 aber nicht mehr fertig gestellt werden konnte.26 Als Beispiel: einem Bedarf von 1,13 Mio. Kubikmeter/Monat in Suhl stand eine Erzeugungsleistung des Städtischen Gaswerkes von 0,5 Mio. Kubikmeter/Monat, den ein Fremdbezug von 0,22 Mio. Kubikmeter/Monat aus Eisenach und Erfurt ergänzte, gegenüber. Damit fehlten mehr als 0,4 Mio. Kubikmeter/Monat.27 Das Grundproblem blieb bis zur Angleichung der Inspektionsbezirke an die Gaugrenzen 1942 bestehen. In ihrem vierteljährlichen Bericht von Anfang 1942 konstatierte die Inspektion, dass eine der Hauptschwierigkeiten der regionalen Rüstungsindustrie in der Versorgung der Betriebe mit Energie und Kohle gelegen habe.28 Zwar gewöhnte sich die Industrie an die vorgeschriebenen Einsparungen bei Energie durch entsprechende Arbeitszeitverlagerungen, insgesamt jedoch konnten dadurch nur tendenziell Produktionseinschränkungen abgefedert werden und Lieferungsverzögerungen blieben nicht aus. Die Energie-, Gas- und Kohleversorgung stellte während der gesamten Kriegszeit eines der drängenden Probleme der von der Inspektion „betreuten“ Rüstungsbetriebe dar, das insbesondere in der zweiten Kriegshälfte unter den sich erheblich verschlechternden militärischen Rahmenbedingungen an Brisanz gewann. Im Dezember 1942 meldete der Vorsitzer der Prüfungskommission im WK IX, Generalmajor Hillert, dem RMBM, dass die Gasversorgung in Thüringen durch die allgemein schlechte Kohlenversorgung so angespannt sei, dass die Versorgung der Firmen, die für die wichtigsten Rüstungsprogramme arbeiteten, nicht mehr 24 25 26 27 28
Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 163 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 52 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 135f. Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 65f. Vgl. BA-MA RW 20-9/22, Bl. 1
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sichergestellt werden konnte, die Bemühungen des Bezirkslastverteilers ergebnislos blieben und Produktionseinbrüche drohten.29 Im Sommer 1944 berichtete der Lastverteiler Gas, Direktor Boje, auf einer Sitzung der Rüstungskommission IX b von einem sich ständig erhöhenden Gasverbrauch. Der Bedarf konnte zu diesem Zeitpunkt aufgrund erheblicher Feindeinwirkungen im mitteldeutschen Raum nicht mehr gesichert werden, zumal sich andere Abnehmer, wie die „Hermann-Göring-Werke“, durch „undiszipliniertes Verhalten“ hervortaten und eigenmächtig die Gasversorgung zu ihren Gunsten umleiteten. Für den Fall des längeren Ausfalls der Gasversorgung sah die Kommission das Ausweichen auf Haushaltsgas vor. Das Rüstungskommando Weimar meldete der Rüstungskommission für den Juli 1944 die volle Gasversorgung von Betrieben an lediglich elf Tagen des Monats.30 Nach einem Luftangriff auf Leipzig Anfang 1944 wurde die Hauptgasleitung der mitteldeutschen Versorgung beschädigt und dadurch die Gasversorgung beeinträchtigt, zur gleichen Zeit geriet die Kohlenbelieferung in eine akute Schieflage aufgrund der angespannten Verkehrssituation, so dass beim LWA in Weimar eine Besprechung über größere, nicht ausgelieferte Überhänge beim Oberschlesischen Steinkohlesyndikat für die Industrieversorgung stattfand, während der der Reichsbeauftragte für Kohle auf die festgelegte Reihenfolge der Auslieferung (Reichsbahn, Export, Versorgungsunternehmen, Pulver- und Sprengstofffabriken, Chemie, Hausbrand, Industrie) und die Schwierigkeiten aufgrund unzureichender Transportkapazitäten verwies.31 Die durch die verschlechterte Kohlenbelieferung entstandenen Probleme wurden dabei weitgehend während einer Besprechung mit der Reichsstelle für Kohle und den LWÄ beseitigt. Die zunehmend sich im Reichsinnern massierende Wirtschaftsballung, die sich im Gau Thüringen durch intensive Verlagerungsvorgänge Bahn brach, verschärfte diese Problematik. Zur Dynamisierung der Maßnahmen errichteten auf Veranlassung der Inspektion IX die Abteilungen Industrie der Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen Technische Kommissionen, deren Aufgabe es war, die Rüstungskommandos in ihrer Arbeit zu unterstützen, alle freien oder freiwerdenden Kapazitäten der gewerblichen Wirtschaft zu erfassen und in die Wehrmachtfertigung einzubinden. Die im WK IX gebildeten Technischen Kommissionen leisteten im Wesentlichen Vorarbeit, indem sie Betriebe sichteten und die Ergebnisse ihrer Tätigkeit laufend an die für sie zuständigen Rüstungskommandos meldeten.32 Ferner wurde eine Reihe von Besprechungen mit den Wirtschafts- und Betriebsführern abgehalten, in denen die Inspektion 29 30 31 32
Vgl. BA-MA RW 20-9/13, Bl. 52 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 63, 114 Vgl. BA-MA RW 20-9/17, Bl. 10-27 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 12
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Druck auf die Wirtschaft auszuüben und die Produktivität zu steigern versuchte. Firmen, die für eine direkte Fertigung nicht infrage kamen, wurden durch die Rüstungskommandos zu Unterlieferanten-Börsen bestellt, bei denen Hauptlieferanten Aufträge an Subunternehmer vergaben. Kleinere Industriefirmen und Handwerksbetriebe wurden zu Liefergemeinschaften zusammengeschlossen. Auf Grundlage des Runderlasses des RWM vom 3.9.1941 führten die Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen in Kooperation mit der Rüstungsinspektion Auftragsbörsen in Frankfurt/Main und Weimar durch, um alle Fertigungsmöglichkeiten für die Sonderprogramme zu erfassen.33
3. a.
Das Arbeitskräfteproblem und die Lösungsversuche durch die Rüstungsdienststellen im Wehrkreis IX Die Situation 1939/40
Im Rückblick auf das erste Quartal 1940 findet sich in den Lageberichten der Rüstungsinspektion IX ein ernüchterndes Bild der Arbeitsmarktlage: „Es bleibt anzustreben, Arbeitskräfte heranzuschaffen, damit die an die Rüstungsindustrie gestellten Anforderungen erfüllt werden können.“34 Und ein Jahr nach Kriegsbeginn kam die Inspektion mit Blick auf die wirtschaftliche Situation aus Sicht des Krieg führenden NS-Regimes zu einem alarmierenden Urteil: „Ganz allgemein kann nach dem Stand vom September 1940 zum Ausdruck gebracht werden, daß weitere Maßnahmen zur Ermittlung freier Kapazitäten und zur Stillegung von Betrieben, abgesehen von einzelnen Fällen, für die Fortdauer des Krieges zwecklos sind, da inzwischen die gesamte Wirtschaft in erheblichem Umfang direkt oder indirekt für die Fertigung von Wehrmachtgerät und für die Sicherstellung des Nachschubbedarfs der Truppe eingespannt ist. Demgegenüber ist der Anteil für den zivilen Bedarf und für Export soweit abgesunken, daß bereits von verschiedenen Stellen eine weitere Drosselung des zivilen Sektors nicht für tragbar gehalten wird. Da dieser Standpunkt seitens der Rüstungsinspektion IX nicht in vollem Umfang gebilligt werden kann, wird es in der kommenden Zeit Aufgabe aller Dienststellen sein, die Frage weiterer Einschränkung der zivilen Fertigung zu überprüfen, um durch Steigerung der Fertigungskapazitäten für Wehrmachtgeräte zu einer siegreichen Beendigung des Krieges beizutragen.“35 33
34 35
Im Bereich der Wirtschaftskammer Hessen konnten durch die Auftragsbörse mehr als 2.000 Arbeitskräfte in die Fertigungen der Sonderprogramme umgesetzt werden. (Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 12) BA-MA RW 20-9/2, Bl. 48 BA-MA RW 20-9/20, Bl. 16
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Die Mob-Vorbereitungen auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes durch Sicherstellungs- und andere Maßnahmen in Kooperation mit der Arbeitseinsatzverwaltung sowie durch uk-Stellungen aufgrund der Verfügungen des OKW in Zusammenarbeit mit den Wehrersatzdienststellen schufen an sich eine angemessene Grundlage für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Rüstungsfertigung im Hinblick auf den Arbeitseinsatz und die uk-Stellungen. Allerdings wichen sowohl die militärischen Operationen als auch die kriegswirtschaftlichen Mobilisierungsmaßnahmen von denen der Mob-Planung zugrunde gelegten Zielvorstellungen stark ab, so dass sich bereits frühzeitig Probleme zeigten.36 Aus dem Bezirk der Rüstungsinspektion wurden vor Beginn der militärischen Operationen uk-Stellungen aufgehoben, so dass bei Kriegsbeginn etwa 4.000 Arbeitskräfte nur zögerlich und nicht in ihrer Gesamtheit über uk-Entlassungsanträge aus der Wehrmacht zurückgeholt wurden. Die rüstungswirtschaftliche Lage verschärfte sich durch die schon bald über den Rahmen der planmäßigen Mob-Belegung weit hinausgehenden Anforderungen an die von der Inspektion betreuten Rüstungsbetriebe, durch die aus Sicht der Inspektion überaus starke Belegung des zivilen Sektors der Industrie mit Produktionsauflagen und die Bestrebungen nach einer weitgehenden Aufrechterhaltung der privaten Wirtschaftstätigkeit. Diese Bedingungsfaktoren bewirkten, dass der „gefährlichste Engpaß“ im WK IX „auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes entstand“37 – so die Inspektion in ihrer dreibändigen „Geschichte“. Arbeitseinsatzschwierigkeiten traten bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn am 5.9.1939 bei der Firma Selkado in Sömmerda auf, wo die Inspektion IX in Kooperation mit dem zuständigen LAA Mitteldeutschland eingriff.38 Ende September 1939 wandte sich das OKM an die Inspektion IX, die mittlerweile mit den Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen die Aktivierung berufsfremder Arbeitskräfte forcierte, und drängte auf die Bewältigung der sich immer stärker abzeichnenden Facharbeiterproblematik. Den Druck der Inspektion bekamen auch die zivilen Stellen zu spüren. Durch innerbezirklichen Ausgleich zu Lasten der zivilen Produktion wollte die Inspektion den Arbeitskräftemangel auffangen und die militärische Produktion steigern. Nachdem Göring Anfang Oktober 1939 Facharbeiterzurückhaltung als Sabotage bezeichnet und das OKW gleichzeitig die Auflockerung des Arbeitseinsatzes im Metallsektor angeordnet hatte, verstärkte sich der Druck der Rüstungskommandos auf die Zivilproduktion und führte zu einer ersten Aktion, in der die Kommandos in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern die verfügbaren Kräfte im WK IX in die kriegs-
36 37 38
Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 8f. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 42 Vgl. BA-MA RW 21-17/1, Bl. 31f.
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wichtige Produktion bringen wollten.39 Der Widerstand aus den unterschiedlichen Bereichen führte zwischen den einzelnen Behörden zu erheblichen Spannungen, die 1939/40 jedoch noch dadurch innerbezirklich austariert werden konnten, dass die evakuierte Saarbevölkerung durch die Einbindung in die regionale Wirtschaft das Arbeitskräfteproblem quantitativ und qualitativ abzufedern vermochte.40 Besonders schwierig gestaltete sich aber weiterhin die Arbeitseinsatzlage im Gau Thüringen in den Industriezentren Suhl, Zella-Mehlis, Jena, Sömmerda und Erfurt. Parallel zum Arbeitskräftebedarf in den von den Wehrmachtsdienststellen betreuten Rüstungsbetrieben im WK IX wuchsen die Rüstungsbauvorhaben und als Folge hiervon der Arbeitskräftebedarf auch in diesem Sektor. So belief sich der ungedeckte Bauarbeiterbedarf im Rüstungsbereich Gießen und im Bezirk Wetzlar Ende September 1939 auf je 6.000 Bau- und Hilfsarbeiter41, die zwar vorübergehend durch Teile der evakuierten Saarbevölkerung ersetzt werden konnten; mittelfristig allerdings visierte die Inspektion, der die Stilllegung von Bauten einschließlich nicht dringlich erscheinender Wehrmachtbauten vorschwebte, eine Steuerung und Straffung der Bauwirtschaft für den Herbst 1939 an. Die bereits im Winter 1939 von der Inspektion verlangte Stilllegung nicht kriegswichtiger Bauvorhaben wurde vom Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft aber erst Mitte 1940 in Gang gebracht und beschränkte sich auf einige wenige Baustellen. Angesichts der akuten, breit gefächerten und in allen Bereichen der militärischen Rüstungswirtschaft spürbaren Arbeitskräfteprobleme – die Beschäftigungszahl in den W-Betrieben (Wehrmacht) im Bereich der Inspektion IX betrug zur Jahreswende 1939/40 250.000, der ungedeckte Bedarf lag mit 28.000 bei über zehn Prozent42 – nahmen in den Wehrkreisen Auskämmkommissionen ihre Arbeit auf.43 Deren Erfolge waren zunächst verhältnismäßig befriedigend – so die Einschätzung der Inspektion.44 Der akute Bedarf bestand freilich weiter fort.45 Infolge der Errichtung der Kommissionen drängte die Inspektion das Heereswaffenamt, die „betreuten“ Firmen in den Bereichen der Inspektionen III, VI und IX anzuweisen, dass vor weiteren Auftragsannahmen die Versorgung der Betriebe mit Arbeitskräften sicherzustellen war. Zur Jahreswende 1939/40 verschärfte sich die Situation in akuter Weise, so dass als erster Mechanismus zur Aufrechterhaltung der Produktion 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 43 Vgl. BA-MA RW 20-9/2, Bl. 8f. Vgl. BA-MA RW 20-9/23, Bl. 18 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 44: BA-MA RW 20-9/3, Bl. 21 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 139f., 141f., S. 154f. Vgl. BA-MA RW 20-9/23, Bl. 44, 285 Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 43
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die Inspektion in einer Art Selbstschutz-Aktion mit den LAÄ, nachdem sie bei den Beschaffungsämtern vergeblich auf einen Stopp weiterer Verlagerung in den Inspektionsbereich gedrängt hatte, zur „Selbsthilfe“ in Form verschärfter Betriebsauskämmungen überging. Diese versprachen freilich nur partielle Erfolge, zumal der von der Inspektion immer wieder vorgeschlagene Einsatz deutscher Frauen in der Rüstungswirtschaft durch das Regime weiterhin blockiert wurde und die vom RWM 1940 durchgeführte Stilllegungsaktion nur geringe Ergebnisse brachte. Gegen die von den BWÄ ausgesprochenen Stilllegungen ergingen häufig Einsprüche, denen aufgrund der Produktionsauflagen des RWM entsprochen werden musste.46 Die Rüstungskommandos im Gau Thüringen schlugen im Frühjahr 1940 Alarm. Die Arbeitsämter im Gaugebiet waren nicht in der Lage, für die einberufenen Arbeitskräfte Ersatz zu stellen, so dass die Kommandos Fertigungseinbrüche wegen bevorstehender Einberufungen befürchteten, wenn nicht in kürzester Zeit Ersatz bereitstünde und kriegsunwichtige Produktion stillgelegt würde. Sie drängten auf einen verstärkten Ausländer-Arbeitseinsatz und die Dienstverpflichtung von Frauen.47 Letztere gestaltete sich aus ideologischen und organisatorischen Gründen als besonders problematisch. Der von den Rüstungsdienststellen immer wieder vehement geforderte Fraueneinsatz belief sich Anfang 1941 im Inspektionsbereich auf 69.500, Ende des Jahres auf 75.600, die Neuwerbungen innerhalb dieses Jahres ersetzten gerade einmal die Abgänge, das Fernbleiben aufgrund unterschiedlicher Gründe (z.B. steigende Schwierigkeiten in der Haushaltsführung, Krankheit) lag in manchen Betrieben bei 25% der arbeitstätigen Frauen.48 Das Kommando Weimar errichtete nach zwei Besprechungen mit den Arbeitsämtern Saalfeld und Erfurt offenbar in Eigenregie so genannte Auskämmkommissionen bei den Arbeitsämtern49, die 1940 auch für den Bereich des Kommandos Eisenach nachweisbar sind. Sie trieben die Freimachung von Arbeitskräften in den von den Rüstungskommandos betreuten Betrieben voran, übernahmen eine Gelenkfunktion zwischen den Anforderungen der Industrie und dem Arbeitskräftemarkt und griffen regulierend in die Arbeitskräftepolitik ein. Die erzielten Ergebnisse erfüllten die an sie gestellten Erwartungen allerdings nicht.50 Die bestehende Facharbeiterknappheit im Bereich der Kommandos Eisenach und Weimar wurde durch die Einberufungen weiter verschärft, so dass sich dieses Problem zu einem Mangel an ungelernten Arbeitskräften und Frauen ausweitete, dies um so mehr – so das Rüs46 47 48 49 50
Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 44; BA-MA RW 20-9/3, Bl. 45f. Vgl. BA-MA RW 20-9/20, Bl. 44; BA-MA RW 20-9/23, Bl. 309 Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 30 Vgl. BA-MA RW 21-62/1, Bl. 16f. Vgl. BA-MA RW 21-17/4, Bl. 71
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tungskommando Eisenach –, als die „Organe der Kriegswirtschaft über den Umfang der stillzulegenden oder einzuschränkenden Betriebe keine klaren Verfügungen geben konnten“51 und der stark vermehrte Auftragseingang bei den Rüstungsbetrieben diese zwang, auf bisher als Ausschöpfungsbetriebe betrachtete Kleinbetriebe zurückzugreifen. Vor dem skizzierten Hintergrund fand am 11.1.1940 bei der Inspektion eine Besprechung der leitenden Ingenieure der Rüstungskommandos wegen der Aufstellung einer für den WK IX geltenden einheitlichen Marschroute für die Erkundung freier Kapazitäten zur Steigerung der Munitionsproduktion sowie für den innerbezirklichen Ausgleich statt, woraufhin das Kommando Eisenach eine intensive Firmenkontrolle in Gang setzte.52 Diese fand im Gau Thüringen offenbar in engerer Kooperation mit der Industrie, den Kammern und der zivilen Wirtschaftsverwaltung staatlicher Organe53 statt: am 27./29.2.1940 folgte das Rüstungskommando Weimar einer Einladung der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen zu einer Kriegswirtschaftsberatung mit 180 Teilnehmern in Gera und Weimar über die Munitionsfertigung und die Einbindung weiterer Betriebe in selbige, die intensive Besprechungen mit den Industrievertretern in den IHK-Bezirken beinhaltete. Am 5.3.1940 fand im Anschluss an eine am Vortag durchgeführte Sitzung des Ausschusses für technische Leistungssteigerung der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen in Weimar, während der über die Tätigkeit der eingesetzten Ingenieure beim Erfassen freier Maschinenkapazitäten berichtet wurde, eine weitere Kriegswirtschaftsberatung in Greiz vor 110 Industriellen und eine Woche später eine ebensolche vor 200 Industriellen in Saalfeld statt. Diese Besprechungen mündeten in eine erste Verhandlung über stillzulegende Betriebe in Nordhausen – mit einem niederschmetternden Ergebnis. Ein Beispiel: Von den im Kreis Sangershausen kontrollierten und für eine Stilllegung vorgesehenen sieben Metall verarbeitenden Firmen kam letzten Endes nur eine mit einer Belegschaft von 14 Personen für eine Stilllegung in Frage. Eines der Hemmnisse der Stilllegungen im Gau Thüringen lag in seiner Wirtschaftsstruktur, da es sich einfach nicht lohnte, in strukturschwachen Regionen kleinere Betriebe mit tendenziell schlechter Verkehrsanbindung zu schließen, da die Arbeitskräfte kaum in der Rüstungswirtschaft Verwendung finden konnten. Regelmäßige Treffen zur Lösung der Arbeitskräfteproblematik fanden mit dem BWA Weimar, der Handwerkskammer Thüringen, den IHK Thüringen, den Wehrersatzdienststellen und der Wirtschaftskammer Thüringen statt.54 51 52 53 54
BA-MA RW 21-17/1, Bl. 35 Vgl. BA-MA RW 21-17/2, Bl. 48, 53-57, 62f. Vgl. BA-MA RW 21-62/2, Bl. 9 Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 49f.
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Im Bereich des Kommandos Eisenach bestand im April 1940 ein Bedarf an 2.305 Arbeitskräften, der sich auf 3.700 steigern sollte, wovon die Arbeitsämter nur 500 decken konnten – das bedeutete einen Fehlbetrag von 5.500 Kräften, von denen 1.500 Facharbeiter sein mussten.55 Als Ende Mai 1940 von der Inspektion der Arbeitskräftebedarf auf etwa 40.000 gestiegen war – Anfang Juli betrug er noch 36.00056 –, führte das Regime seit Juni 1940 eine Aktion durch, in deren Verlauf die Auskämmkommandos, die auch die Aufgabe der Stilllegungen übernahmen, einige Ergebnisse erzielten. Diese jedoch wurden durch die Ende Juni einsetzende „Rückführung“ der Saarländer, deren Ersetzung ernsthafte Bedenken seitens der verantwortlichen Arbeitseinsatzbehörden auslöste, nivelliert.57 Aufgrund verschiedener Umstellungen in der Rüstungswirtschaft spannte sich die Arbeitseinsatzlage im August 1940 derart an, dass mehrere Stellen aktiv wurden und rüstungswirtschaftliche Steuerungsmechanismen im Inspektionsbezirk initiierten. Sonderabgeordnete der Wehrmachtteile versuchten die LAÄ zu veranlassen, für bestimmte Aufträge Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die von anderen Fertigungslinien abgezogen werden sollten und der Wehrkreisbeauftragte58 des RMBM griff zugunsten anderer Produktionen ein. Im Inspektionsbezirk IX wurden diese Prozesse abgefedert und überlagert durch die Errichtung von Arbeitsgemeinschaften in den LAA-Bezirken Hessen und Mitteldeutschland durch die Inspektion unter Hinzuziehung des Wehrkreisbeauftragten IX, um – so in der Selbsteinschätzung – die dringend notwendige „einheitliche Steuerung des Arbeitseinsatzes zu gewährleisten und damit eine gerechte Verteilung der Kräfte für die kriegsentscheidende Fertigung“59 zu erreichen. Als Fazit lässt sich festhalten: Nach etwa einem Jahr hatte sich die Kooperation zwischen den Wehrersatzdienststellen und den Rüstungsdienststellen eingespielt und die Inspektion hatte ihre Position im regionalen Spannungsgefüge von Truppeneinziehungen und Aufrechterhaltung und Steigerung der Produktion in den W-Betrieben (Wehrmacht) gegenüber den Wehrersatzdienststellen gefestigt. Der sich in diesem Zeitraum, der einer Anlauf- und Organisationsphase gleichkam, ausprägende Status quo konnte freilich die Kernprobleme der regionalen Kriegswirtschaftsorganisation im WK IX nur partiell überdecken. 1939/40 registrierte die Inspektion einen exponential steigenden, in dieser Intensität offenbar nicht erwarteten Bedarf an Arbeitskräften, dessen Deckungsmöglichkeiten mit fortschreitender Kriegsdauer weiter rapide abnahmen. Die Inspektion versuchte, nach eigenem Bekunden 55 56 57 58 59
Vgl. BA-MA RW 21-17/3, Bl. 8 Vgl. BA-MA RW 20-9/23, Bl. 309 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 47; BA-MA RW 20-9/23, Bl. 309 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 34 BA-MA RW 20-9/20, Bl. 45
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und die Quellenlage spricht für diese Einschätzung, „mit allen Mitteln“60, beispielsweise durch Kontrolle der uk-Stellungen, Auskämmaktionen (vor deren offizieller Einführung) und einer engeren Kooperation mit den entsprechenden Dienststellen (z.B. LAÄ, Wehrkreiskommando), eine starke Einflussnahme auf den regionalen Arbeitseinsatz zu nehmen und diesen zu Lasten eben dieser Behörden auszudehnen.61 Perspektivisch verlangte die Inspektion einen Auftragsstopp durch die Beschaffungsämter und eine durch die Produktionsauflagen begründete Auftragsverlagerung durch das RWM. Angesichts der militärischen Lage und vor dem Hintergrund des Führerbefehls vom 28.9.1940 zur Freimachung von Soldaten dürften die mit einer solchen Erwartungshaltung verbundenen Erfolgsaussichten aber selbst im engen Führungszirkel der Inspektion eher gering gewesen sein. Die Belastungen innerhalb des Inspektionsbezirkes waren im Reichsvergleich überdurchschnittlich groß. Während die Inspektion hinsichtlich des Bestandes an Arbeitskräften an sechster Stelle stand, verzeichnete sie den viertgrößten Bedarf im Reich bei einem weiterhin andauernden Abzug von Arbeitskräften im Rahmen des Reichsausgleichs. Die Inspektion unternahm erhebliche Anstrengungen, eine Lösung dieser Problematik herbeizuführen, musste aber spätestens seit 1940 erkennen, dass die Rahmenbedingungen im Grunde keine befriedigenden Ansätze boten. Diese qualitative Bestandsaufnahme spiegelt auch ein Fazit des Kommandos Weimar für das erste Quartal 1940 wider: „Zurückblickend muß gesagt werden, daß der Erfolg der Arbeiten in keinem gesunden Verhältnis zu der dazu aufgewandten Arbeit steht.“62
b.
Die Arbeitskräftesituation 1940 bis 1942
Nach der Kapitulation Frankreichs und dem Abschluss der Kämpfe im Westen Mitte des Jahres 194063 schien es zunächst, als ob im Bezirk der Inspektion IX durch die Verlegung des Hauptgewichts der Kämpfe auf Marine und Luftwaffe und die Einschränkung der Munitionserzeugung für das Heer eine bedeutende Entlastung des Arbeiterbedarfs eintreten würde – aber „diese
60 61 62
63
BA-MA RW 20-9/20, Bl. 48 Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 6 BA-MA RW 21-62/2, Bl. 27f. Das bedeutete freilich nicht, dass die Inspektion sich zu einem Handlager der regionalen Industrieführer zu degradieren dachte, im Gegenteil. Während der konstituierenden Sitzung des Munitionsausschusses IX am 6.5.1940 stellte die Inspektion klar, „dass es nicht angeht, die Industrie sich selbst zu überlassen, vielmehr eine Überwachung erforderlich ist.“ (BA-MA RW 20-9/3, Bl. 84) Die Inspektion wollte das regionale Wirtschaftsverwaltungszentrum werden. Vgl. Klaus A. Meier/Horst Rohde/Bernd Stegemann: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 2: Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent, hg. vom militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1979.
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Erwartung erfüllte sich nicht“64, so die Inspektion rückblickend. Sie verzeichnete einen anhaltend hohen Arbeitskräftebedarf, der am 31.6.1940 im WK IX bei 70.000 lag, von denen 36.000 auf die W-Betriebe (Wehrmacht) entfielen.65 Da das Ergebnis der Stilllegungsaktion 1939/40 mit etwa 13.000 deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, versuchte die Inspektion, durch neu gebildete Auskämmkommissionen, Stilllegungsaktionen (insbesondere im Bausektor) und durch die Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte (insbesondere Polen, Kriegsgefangene), den Fehlbedarf zu decken.66 Bereits zu Beginn des Jahres trieb die Inspektion, um den Mangel an Facharbeitern zu beheben, die Umschulungsarbeit in Kooperation mit den Abteilungen Industrie der Wirtschaftskammern und LAÄ voran. Die Abteilung Industrie der Wirtschaftskammer Thüringen hatte sich hier bereits ausgezeichnet und als besonders aktiv – so die Inspektion – hervorgetan. Sie lud frühzeitig Ingenieure großer Konzerne wie der Firma Siemens zu Vorträgen ein, an denen als Umschulungsleiter vorgesehene Kräfte teilnahmen. Diese Kurse sollten dazu dienen, die Ingenieure, Betriebsleiter etc., die in den Betrieben für die Umschulungen verantwortlich waren, für dieses Tätigkeitsfeld zu sensibilisieren.67 Die problematische Munitionsfertigung führte zu Beginn des Jahres 1940 zu einem unter der Leitung des Rüstungsinspekteurs initiierten, groß angelegten Treffen der Wirtschaftskammern Hessen und Thüringen, vertreten durch die Industrie-Abteilung Thüringen, der BWÄ Kassel und Weimar, der Gauleitungen Thüringen (vertreten durch den Mitarbeiter des GWB, Seipt), Kurhessen, Hessen-Nassau, des Reichsstands des deutschen Handwerks, der Handwerkskammern Kassel, Würzburg, Arnsberg, der Inspektion IX, der Kommandos Weimar, Eisenach, Gießen und Frankfurt/Main zur Ermittlung freier Kapazitäten in der Industrie und im Handwerk, um die Arbeit der Wirtschaftskammern, Gauämter für Technik, Rüstungsdienststellen und Handwerkskammern zu koordinieren und Informationen und Erfahrungen auszutauschen, „damit möglichst Fehler und Fehlleitungen vermieden“68 wurden. Für den Gau Thüringen einigte sich die Industrie-Abteilung mit den Rüstungskommandos Weimar und Eisenach und dem Verein deutscher Ingenieure, dass die damit verbundenen Aufgaben durch einen Ausschuss übernommen werden, der regelmäßig zusammentrat und auf Grundlage der Mitgliedskarteien der Industrie-Abteilung und der Handwerkskammer Material zusammenstellte und den Kommandos zuleitete. 64 65 66 67 68
BA-MA RW 20-9/21, Bl. 10.; vgl. zur „Munitionskrise“ die ausführlichen Darstellungen von Müller: Mobilisierung, S. 406-426, Kroener: Ressourcen, 819-832 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 65 Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 14 Vgl. BA-MA RW 20-9/23, Bl. 199 BA-MA RW 20-9/2, Bl. 149
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Die im August 1940 errichteten Arbeitsgemeinschaften bei den LAÄ Hessen und Mitteldeutschland aus je einem Vertreter der Rüstungsinspektion IX, des Wehrkreisbeauftragten des RMBM und des LAA stellten einen Versuch der Inspektion dar, die Arbeitskräftesteuerung durch organisatorische Straffung bei der Inspektion zusammenzufassen und den vor allem im Bereich des LAA Mitteldeutschland spürbaren Arbeitskräftemangel in den Griff zu bekommen. Als Exekutivorgane entstanden die bereits erwähnten „fliegenden Kommissionen“, die in den Betrieben Kontrollfunktionen wahrnahmen und die von der Inspektion als „hemmende Überforderungen“69 umschriebenen Anpassungs- und Organisationsprobleme durch innerbezirklichen Ausgleich und Absenkung der betrieblichen Überforderungen zu beseitigen suchten. Inhaltlich vertieften die Kommissionen die 1940 auf Weisung des OKW eingeführten Nachtbesuche bei den Rüstungsfirmen70 und wiesen verstärkt auf die Kontrollfunktionen, die neben organisatorischen, planerischen und „betreuenden“ Aufgaben in den Vordergrund traten, hin. Die Zusammenarbeit mit dem Wehrkreisbeauftragten scheint sich nach anfänglichen Schwierigkeiten im WK IX relativ rasch eingespielt zu haben. Insgesamt wertete die Inspektion die Kommissionen als geeignetes Mittel und dynamisches Element zur Regulierung des Arbeitskräftebedarfs71, zumal die Auskämmaktionen immer weniger Erfolge brachten, da schlichtweg keine Betriebe mehr vorhanden waren, in denen Arbeitskräfte entbehrlich waren.72 Die bei den LAÄ errichteten Kommissionen stärkten den Einfluss der Rüstungskommandos auf den Arbeitseinsatz und bei den Arbeitsämtern. Während zuvor die Arbeitsämter bei den Anforderungen der Rüstungskommandos auf die Zuständigkeit der LAÄ verwiesen, konnten die Kommandos nun Druck auf die LAÄ direkt ausüben. Die Kommandos führten parallel dazu eine interne Straffung durch, so dass nicht mehr die einzelnen Gruppen der Wehrmachtteile innerhalb der Kommandos73 sich einzeln an die LAÄ/Arbeitsämter wandten und eigene Interessen in den Vordergrund rückten, und intensivierten die Kooperation mit der Arbeitseinsatzverwaltung über Vorprüfungen mit den Gruppen Wehrmachtteile und einer dann geschlossenen Anforderung gegenüber den LAÄ/Arbeitsämter.74 Konflikte ergaben sich für die Kommandos Eisenach und Weimar aufgrund der Klagen von Firmen über die unzureichende Versorgung mit Betriebs- und Hilfsstoffen, da zivile Stellen, z.B. die Wirtschaftsgruppen, die Beschaffung dieser Hilfsstoffe einfach ab69 70 71 72 73 74
BA-MA RW 20-9/24, Bl. 86 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 65 Vgl. BA-MA RW 20-9/24, Bl. 156f. Vgl. BA-MA RW 20-9/24, Bl. 157 Vgl. BA-MA RW 20-9/24, Bl. 201f. Vgl. BA-MA RW 20-9/24, Bl. 201f.
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lehnten. Für diese erste Mobilisierungsphase fällte das Rüstungskommando Weimar gegenüber der Inspektion im Sommer 1940 ein wohl treffendes Urteil: „Der größte Mangel besteht bei dem Produktionsfaktor Arbeit.“75 Dieses Fazit ist umso erhellender, berücksichtigt man die in den Gau Thüringen durchgeführte und von den Rüstungsdienststellen heftig kritisierte Verlagerungstätigkeit bei Aufträgen. Da Thüringen bereits den Status eines Engpassbezirkes innehatte, stießen die von den Wehrmachtteilen an den Rüstungsdienststellen vorbei direkt an die Firmen vergebenen Produktionsaufträge auf umso mehr Unverständnis, da im westlichen Teil des Gaues Thüringen bereits eine hohe Dichte an rüstungsindustrieller Fertigung zu verzeichnen war und freie Kapazitäten nicht mehr verfügbar waren. Die zwischen Oktober und Dezember 1940 vom Rüstungskommando Eisenach durchgeführten Prüfungen brachten folglich ein ernüchterndes Ergebnis. Aus 48 kontrollierten Firmen wurden 93 Facharbeiter, 323 andere männliche und 276 weibliche Arbeitskräfte abgezogen und in kriegswichtige Produktion umgesetzt. Die Arbeitsämter waren nicht in der Lage, den Bedarfsträgern, die nicht für die Sonderstufen tätig waren, Arbeitskräfte zuzuweisen, so dass sämtliche aus dem Heer entlassenen Kräfte den Betrieben der Sonderstufe zugeführt werden mussten.76 Die kaum noch Erfolg versprechenden Kontrollen der Firmen fanden trotz einer erheblichen organisatorischen Vereinfachung des FM- und uk-Verfahrens, das probeweise Mitte 1940 bei den Kommandos in Weimar und Eisenach eingeführt worden war und die Nachprüfungen durch die Kommandos durch den Abbau bürokratischer Hürden vorübergehend erhöht hatte, immer seltener statt.77 Das Kommando Eisenach prüfte im ersten Quartal 1941 nur noch 16 Firmen, aus denen ein Facharbeiter, 49 andere männliche und 146 weibliche Arbeitskräfte abgezogen wurden. Das Ziel der Beschaffung richtete sich auf die Fertigungsstufen SS und S, im Vordergrund stand der Bedarf der Firma Thiel (Ruhla), da für sie nur ein unwesentlicher Teil der angemeldeten Kräfte für die Produktion von Uhrwerkzündern zur Verfügung gestellt werden konnte und Ende 1940 5.000 Arbeitskräfte fehlten.78 Zwar gelang es durch Vermittlung des RMBM, weibliche Arbeitskräfte aus der Pforzheimer Industrie nach Ruhla und Mühlhausen zu bringen, der akute Bedarf blieb aber weiterhin bestehen.79 Das Kommando Eisenach konstatierte, dass die Personallage bis 1942 das vordringliche Problem einer ansonsten, abgesehen von einigen unerheblichen Störun-
75 76 77 78 79
BA-MA RW 21-62/3, Bl. 61 Vgl. BA-MA RW 21-17/5, Bl. 45 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 65 Vgl. BA-MA RW 21-62/5, Bl. 24 Vgl. BA-MA RW 21-17/6, Bl. 46
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gen, reibungslos ablaufenden Produktion sei.80 Die Prüfung des Arbeitskräftebedarfs der betreuten Firmen durch die Rüstungskommandos im Gau Thüringen beruhte auf einem komplexen Mechanismus der Bedarfsermittlung durch die Betriebe und der Bereitstellung von Arbeitskräften durch die Rüstungs- und Arbeitseinsatzdienststellen, der sich im Spannungsfeld der Beantragung möglichst zahlreicher Kräfte zur Sicherstellung und Ausdehnung der Produktion und dem Abzug von nicht rationell eingesetzten Kräften bzw. geringerer Zuweisung bewegte und der neben der Rationierung von Betriebsmitteln, Roh- und Werkstoffen den wirksamsten, von den regionalen Behörden einsetzbaren Mechanismus zur Produktionskontrolle darstellte.81 Der auffallende Unterschied zwischen den von den Betrieben gemeldeten und von den Rüstungs- und Arbeitseinsatzdienststellen anerkannten Bedarfszahlen lag in mehreren Aspekten begründet. Die Betriebe arbeiteten gewinnorientiert und trugen betriebswirtschaftlichen Mechanismen der KostenNutzen-Intensivierung Rechnung. In ihren Überlegungen spielte die Hereinnahme von Wehrmachtsaufträgen eine immer wichtigere Rolle. Deshalb planten sie langfristiger als die Rüstungsdienststellen, die die ihnen auferlegten Einberufungszahlen ad hoc an die Betriebe weitergeben mussten und deren Produktions- und Leistungsfähigkeit monatlich beeinträchtigte. Darüber hinaus lässt sich das Bestreben der Betriebe erkennen, es mit den vorgegebenen Regelungen der Bedarfsanmeldung nicht allzu genau zu nehmen, Arbeitskräfte für künftige Projekte und übernommene Aufgaben zu horten und über den Sofortbedarf eine Art Planungsbedarf anzumelden, der bei den führenden Rüstungsfirmen im Gau Thüringen in der Größenordnung von 500 bis 800 Arbeitskräften liegen konnte.82 Augenscheinlich wird die Situation der militärischen Kriegswirtschaftsorganisation im WK IX am Beispiel der Munitionsproduktion, in der vom Rüstungskommando Eisenach „betreute“ Firmen im Januar 1940 einen Arbeitskräftemangel von 147 Facharbeitern und 720 ungelernten Kräften verzeichneten.83 Der von Todt ins Leben gerufene Munitionsausschuss84 wurde im WK IX bis Mitte 1940 aufgebaut und erhielt als Exekutivorgane mehrere Arbeitsgemeinschaften.85 Zum Vorsitzer des Munitionsausschusses im WK IX, der territorial mit den beiden Gruppen West und Ost auf die Bezirke der BWÄ IX a und b und damit die Gaue Hessen-Nassau und Kurhessen sowie 80 81 82 83 84
85
Vgl. BA-MA RW 21-17/10, Bl. 39 Vgl. v. Rozycki: Kriegswirtschaft, S. 20 Vgl. BA-MA RW 21-17/15, Bl. 40 Vgl. BA-MA RW 21-17/2, Bl. 4 Vgl. die vorläufigen „Richtlinien des Reichsministers für Bewaffnung und Munition Dr. Todt betreffend Zusammenarbeit zwischen Rüstungsinspekteur, Munitionsausschuss und Wehrkreisbeauftragtem“, in: BA-MA RW 20-9/3, Bl. 85f. Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 52
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Thüringen ausgerichtet war, avancierte Generaldirektor Unholtz (Frankfurt/Main), zu seinem Vertreter für den Bereich des BWA IX b (Thüringen) Direktor Schlaefer von der Firma Rheinmetall-Borsig AG (Sömmerda).86 Um den Einfluss der Kommandos auf den Ausschuss zu sichern, erhielt Unholtz Dipl. Ing. Rockmann vom Rüstungskommando Frankfurt/Main und Schlaefer Ing. Ranke vom Rüstungskommando Weimar als Mitarbeiter zur Seite gestellt.87 Die Gruppe Ost (Gau Thüringen) setzte sich aus neun Unterausschüssen zusammen, die von einflussreichen Industrieführern geleitet wurden.88 Am 6.5.1940 trat der mit RMBM-Erlass vom 6.4.1940 gebildete Bezirksmunitionsausschuss des WK IX (Ost) der Bezirke der Rüstungskommandos Weimar und Eisenach zu seiner ersten konstituierenden Sitzung zusammen, während der die Richtlinien für die kommenden Arbeiten festgelegt wurden.89 Der Sitzung vorausgegangen war ein Treffen der Inspektion, des Rüstungskommandos Weimar, des Wehrkreisbeauftragten, des IHK-Präsidenten Dr. Braun (Kassel), ranghohen Vertretern des BWA Weimar und der Gauämter für Technik in Kassel und Weimar am 4.5.1940 beim Rüstungskommando Weimar, in dessen Mittelpunkt eine erste persönliche und institutionelle Kontaktaufnahme der mit der Munitionsbeschaffung befassten Behörden stand.90 Die im Mai errichteten Munitionsarbeitsgemeinschaften im Gau Thüringen führten regelmäßige Tagungen unter Beteiligung der Rüstungskommandos Eisenach und Weimar, der Inspektion IX und der Industrie-Abteilung durch und drängten auf eigenständige Maßnahmen.91 Der mit der Bildung der Arbeitsgemeinschaften verfolgte Zweck, den Anlauf der Munitionsfertigung zu beschleunigen und die Produktionszahlen zu erhöhen, wurde nach Einschätzung des Rüstungskommandos Weimar nicht erreicht.92 86 87 88 89 90
91 92
Vgl. zu Rheinmetall-Borsig Schilling: Hitlers Trutzgau I, S. 160-162 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 84 Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 83f.; BA-MA RW 21-62/3, Bl. 33 Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 17; BA-MA RW 20-9/20, Bl. 5, 10 Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 46. In der Gesamtheit scheinen die Gaue bereits zu diesem frühen Zeitpunkt den Rahmen für das Ausschusswesen gebildet zu haben, denn an einer Tagung des Munitionsausschusses IX am 5.6.1940, an der die Spitzen der regionalen Kriegswirtschaftsorganisation teilnahmen, ließ sich der östliche WK IX (Thüringen) lediglich durch Schlaefer und Dr. Schön von der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Thüringen vertreten. Sitzungsteilnehmer: Generaldirektor Unholtz (Vorsitzender), Oberst Hillert (Inspektion IX), die Leiter der Arbeitsgemeinschaften der Gruppe West des WK IX, Abteilungen der Inspektion IX, das Kommando Frankfurt/Main, Präsident Dr. Kretschmann (LAA Hessen) und Vertreter der Wirtschaftskammer Hessen (Vgl. BA-MA RW 20-9/3, Bl. 116f.) Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 53f. Vgl. BA-MA RW 21-62/3, Bl. 33
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Zudem sah sich die Inspektion durch die von Todt vorangetriebene Selbstverantwortung der Industrie, die in den Munitionsausschüssen vorexerziert wurde, in ihren ureigenen Zuständigkeiten bedroht und drängte über eine umfassende Informationspolitik auf eine enge Zusammenarbeit.93 Über die den Firmenbelegungen vorangehenden Prüfungen durch die Arbeitsgemeinschaften versprachen sich die militärischen Stellen eine gewisse Mitsprache.
c.
Die Prüfungskommission im Wehrkreis IX
Auf Grund der Ergebnisse, die die Nachprüfung der Auftrags- und Arbeitseinsatzlage durch eine von RAM und OKW bestellte Kommission bei vier Betrieben im Bereich des LAA Brandenburg brachte, erfolgte Ende November 1939 die Aufstellung von zehn überbezirklich operierenden Kommissionen durch das RAM und das Wirtschafts- und Rüstungsamt im OKW, die auf dieselbe Aufgabe in anderen Bezirken angesetzt wurden. Diese Prüfungskommissionen setzten sich aus je einem vom RAM bestimmten Beamten, einem Offizier und technischen Beamten der Wehrmachtteile sowie einem vom RAM ernannten Betriebsingenieur aus der Privatwirtschaft als Berater zusammen und operierten in den Bezirken der LAÄ Schlesien, Niedersachsen, Mitteldeutschland, Bayern, Sachsen, Südwestdeutschland und Nordmark, wobei in den letzten drei jeweils zwei Kommissionen tätig waren. Den Kommissionen voraus gingen Vertreter der Arbeitseinsatzverwaltung, die die Nachprüfung der Betriebe vorbereiteten. An den Prüfungen sollten, um den überbezirklichen Charakter der Kommissionen zu wahren, Personen aus dem Befehlsbereich der Rüstungsinspektionen nicht teilnehmen, sie wurden lediglich über die Ergebnisse informiert, die Namen der kontrollierten Betriebe unterlagen bis zur Überprüfung der Geheimhaltung, um ein möglichst objektives Ergebnis zu erzielen. Die Kommissionen machten die bezirklichen Auskämmaktionen der LAÄ und Arbeitsämter nicht überflüssig, sondern ergänzten diese. Die kommissarischen Untersuchungen führten zu einiger Verwirrung und Unruhe in der regionalen Kriegswirtschaftsorganisation, was intendiert war und in Kauf genommen wurde, da – so die Position des Wirtschafts- und Rüstungsamtes – auf „eine andere Weise […] bei der augenblicklichen Sachlage eine Auflockerung und einigermaßen gleichmäßige
93
Oberstleutnant v. König von der Inspektion IX formulierte diesen Anspruch recht drastisch: „Sie [Munitionsausschussmitglieder] müssen uns ständig auf dem Laufenden halten über alles, was Sie tun und vor allem planen.“ (BA-MA RW 20-9/3, Bl. 87)
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Verteilung der Facharbeiter nicht mehr möglich“94 war. Die dem Anschein nach in aller Eile aus dem Boden gestampften Kommissionen scheinen ihren Zweck erfüllt zu haben, bildeten sie doch die Vorläufer der allerdings erst 1941 mit Verfügung Görings errichteten Prüfungskommissionen. Im ersten Quartal 1941 konnte der wachsende Bedarf an Arbeitskräften durch die ständig steigenden Anforderungen der Beschaffungsstellen, erhöhte Produktionsaufträge, größeren Kräftebedarf im Bausektor infolge der Besserung der Wetterlage, Frühjahrsarbeiten in der Landwirtschaft, Abzug von Wirtschaftsurlaubern und Einberufungen zur Wehrmacht selbst für die dringendsten Fertigungen nicht mehr gedeckt werden.95 Im Februar 1941 meldeten die Rüstungskommandos in Weimar und Eisenach einen Bedarf von jeweils 3.500 Arbeitskräften, der nur durch den Reichsausgleich behoben werden konnte.96 Das RMBM versuchte die Auswirkungen auf die Rüstungswirtschaft durch ein Maßnahmenbündel abzufangen: Erklärung der wichtigsten Rüstungsbetriebe zu „Spezialbetrieben“ und deren Schonung gegenüber Einberufungen bis zum 30.6.1941; Verbleiben der Arbeitsurlauber in den Betrieben der Panzerfertigung und anderen kriegsentscheidenden Produktionen durch eine Aktion des RMBM („Sperrausweise“), die später auf die Luftwaffenbetriebe ausgedehnt wurde, und den Wechsel von Arbeitsurlaubern aus anderen Rüstungsbetrieben in die der Panzerproduktion ab 1.4.1941.97 Uk-Stellungen wurden seitens der Wehrersatzdienststellen in erhöhtem Maße nicht mehr genehmigt, bis auf die FM-Anträge wurde so gut wie jeder uk-Antrag abgelehnt. Mit dem Eingeständnis des Scheiterns der Kräftebeschaffung, insbesondere durch die Arbeitseinsatzverwaltung und Auskämmkommissionen, die nicht in der Lage waren, weitere Arbeitskräfte für den Einsatz in der Rüstungsindustrie freizumachen, wurde mit dem Erlass Görings vom 18.2.1941 in jedem Wehrkreis eine Prüfungskommission unter Federführung des Rüstungsinspekteurs mit der Aufgabe errichtet, durch die Drosselung des zivilen Sektors und der weniger vordringlichen Wehrmachtfertigung Arbeitskräfte in die Engpassfertigung der Wehrmacht umzuset-
94
95
96 97
BA-MA RW 20-9/1, Bl. 161 (Geheimes Eilschreiben des Wirtschafts- und Rüstungsamtes im OKW vom 28.11.1939 zur kommissarischen Nachprüfung des Arbeitseinsatzes) Vgl. dazu den nicht veröffentlichten Erlass Hitlers vom 11.9.1941, in dem es heißt: „Die Rüstungswirtschaft ist mit Aufträgen mehr als ausgelastet. Die Unterbringung der von mir festgelegten Programme ist nur möglich, wenn die Forderungen der einzelnen Wehrmachtteile aufeinander abgestimmt und mit der Leistungsfähigkeit der Industrie in Einklang gebracht werden.“ („Führer-Erlasse“, S. 197) Vgl. BA-MA RW 20-9/25, Bl. 60 Vgl. BA-MA RW 20-9/6, Bl. 38
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zen.98 Der Rüstungsinspekteur im WK IX, Hillert, richtete als Vorsitzer der Prüfungskommission am 28.2.1941 an den Wehrkreisbeauftragten IX, die BWÄ IX a und b und die LAÄ als Kommissionsmitglieder ein Schreiben, mit dem er diese Stellen zur Einreichung von Vorschlägen und Anregungen für eine vollständige oder teilweise Stilllegung von Betrieben aufforderte.99 Aufgrund der erst am 4.3.1941 bei der Inspektion IX eingegangen näheren Weisungen und Ausführungsbestimmungen trat die Prüfungskommission am 7.3.1941 unter dem Vorsitz Hillerts zusammen und wurde von diesem in Richtlinien, Tätigkeitsfelder und Anzahl der im Bereich der Arbeitsämter vertikal einzusetzenden Unterkommissionen eingewiesen.100 Auf horizontaler Ebene der Rüstungskommandos arbeiteten mehrere Gruppen (Hilfs-, Sonderprüfungskommissionen101) zur Freimachung von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie, die ihren Personalbestand aus den Offizieren und Ingenieuren der Rüstungskommandos rekrutierten und im Bereich des Kommandos Eisenach bis Ende April 1941 98 Betriebe mit einer Personalstärke von 12.000 Mitarbeitern kontrollierten, 1.647 Arbeitskräfte freisetzten und Zusammen- und Stilllegungen aussprachen.102 Die Unterkommissionen aus je einem Vertreter des federführenden Arbeitsamtes, der IHK und des Kommandos unter dem Vorsitz der zuständigen LAÄ bzw. Arbeitsämter, die am 14.3.1941 ihre Tätigkeit aufnahmen, sollten im WK IX 60.000 Arbeitskräfte freistellen, davon 30% bis zum 15.4.1941.103 Nach vorläufigen Berechnungen und Ergebnissen ging die Inspektion Ende März/Anfang April 1941 davon aus, die erste Rate erfüllen zu können. Alle weiteren Raten, so eine realistische Einschätzung des Führungspersonals der Inspektion, die immerhin Eingang in das Kriegstagebuch gefunden hatte und damit die offizielle und nachlesbare Position der Inspektion darstellte, mussten zu erheblichen Schwierigkeiten führen, da bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genügend einsatz- und umsetzungstaugliche Kräfte zur Verfügung standen.104 Angesichts dieser desolaten Situation kam die Inspektion zu dem Schluss, aus der zivilen Produktion 30% aller verfügbaren Arbeitskräfte herauszuziehen und 98 99 100
101 102 103 104
Vgl. zu den auch „Todt-Kommission“ genannten Ausschüssen den knappen Überblick bei Stremmel: Kammern, S. 409-411 Vgl. zum Folgenden BA-MA RW 20-9/25, Bl. 131f. Die Arbeit der Prüfungskommission IX ergänzte eine zu Beginn des Jahres 1941 beim LAA Erfurt errichtete und auf Gauebene eingesetzte Sonderprüfungskommission (SPK) unter dem Vorsitz des Vizepräsidenten des LAA Mitteldeutschland, Kühne, die am 13.3.1941 zu ihrer ersten Sitzung im LAA Erfurt zusammentrat. (Vgl. BA-MA RW 21-62/6, Bl. 29f.; BA-MA RW 21-62/7, Bl. 34; BA-MA RW 21-62/8, Bl. 21) Vgl. BA-MA RW 21-17/7, Bl. 15 Vgl. BA-MA RW 21-17/7, Bl. 6 Vgl. BA-MA RW 20-9/6, Bl. 40 Vgl. BA-MA RW 20-9/6, Bl. 41
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
317
der Rüstungsindustrie zuzuführen, die weniger dringliche Wehrmachtfertigung zu drosseln, ganze Industriezweige stillzulegen (z.B. Fahrräder, Schreibmaschinen) und Aufträge rigoros in die besetzten Gebiete zu verlagern. Die Arbeitseinsatzlage gestaltete sich nach Einschätzung des Rüstungskommandos Eisenach zunehmend schwieriger, im zweiten Quartal 1941 konnten der Dringlichkeitsstufe SS kaum Kräfte zugeführt werden, der Reichsausgleich versagte ebenso wie der Versuch, Kriegsgefangene oder ausländische Arbeitskräfte im Bereich des Rüstungskommandos zu erhalten, die Zuweisung italienischer Arbeiter dauerte zu lange und Kriegsgefangene, die im Winter in der Industrie eingesetzt worden waren, wurden in der Landwirtschaft zurückverlangt. Vor diesem Hintergrund trieben die Rüstungskommandos die Betriebsprüfungen durch die Kommissionen weiter voran. Im zweiten Quartal 1941 wurden im Bereich des Rüstungskommandos Eisenach 380 Firmen mit 36.916 „Gefolgschaftsmitgliedern“ kontrolliert und 2.895 in andere Betriebe umgesetzt. Ebenso wie bei der von den BWÄ 1939/40 durchgeführten Stilllegungsaktion erhob die Inspektion IX Forderungen, die auf eine Verschärfung der Kontrollarbeiten hinausliefen105: Ergänzungsbestimmungen und erwartete Weisungen an die Prüfungskommission IX, die vor allem aus dem RWM drohten, sollten die anvisierten und angesichts der militärischen Lage als für den Erfolg der Aktion unbedingt notwendig erachteten Maßnahmen in keiner Weise beeinträchtigen. Aufgrund der im WK IX agierenden zwei BWÄ IX a und b und der vier LAÄ teilte die Inspektion IX die Prüfungskommission in zwei auf die Gaue zugeschnittene Prüfungskommissionen Ost und West.106 Mit Blick auf die Differenzen in der regionalen Wirtschaftsstruktur und die von den BWÄ IX a und b auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Ergebnissen durchgeführten Stilllegungen 1940 ging die Inspektion von einer im Westen des Inspektionsbereiches erfolgreicheren Tätigkeit aus. Ein Ausgleich zwischen den beiden Gebieten aufgrund fehlender notwendiger Anweisungen war (vorläufig) nicht möglich, so dass Arbeitskräfte, die im Westen freigesetzt und nicht für die SS- oder S-Stufe benötigt wurden, nicht an den östlichen Bezirk abgegeben werden konnten. Nach den 1941 bestehenden Weisungen hätten solche Kräfte dem Reichsausgleich zur Verfügung gestellt werden müssen und wären damit dem WK IX vermutlich verloren gegangen, was nicht im Sinne der Inspektion war. Die Inspektion wurde nicht müde hervorzuheben, dass im WK IX ein Missverhältnis zwischen der Auftragslage und den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften bestand und strebte eine Reduktion bzw. Streichung der Beschaffungen der öffentlichen, nicht militärischen Stellen an, um effektiv arbeiten zu können. Die eingesetz105 106
Vgl. BA-MA RW 20-9/6, Bl. 39 Vgl. BA-MA RW 21-17/6, Bl. 45
318
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ten Unterkommissionen nahmen unter dem Vorsitz der zuständigen LAÄ bzw. Arbeitsämter am 14.3.1941 ihre Tätigkeit auf. Das rein quantitative Arbeitsergebnis der Prüfungskommission IX, die in zweiwöchigen Abständen ihre Ergebnisse an das RMBM melden musste, erscheint auf den ersten Blick mit 23.778 freigestellten und 16.734 umgesetzten Arbeitskräften, ergänzt von 2.385 freigestellten und 2.085 umgesetzten Arbeitskräften durch die Tätigkeit der Arbeitsämter in kleineren Betrieben bis zum 30.6.1941, durchaus beachtlich. 72% der freigesetzten Kräfte wurden demnach umgesetzt, ferner wurde der Bedarf der Firmen um 7.033 Arbeitskräfte gesenkt.107 Trotz des rigorosen Vorgehens der Kommission, durch das ein solches Ergebnis erst möglich wurde, konnte das für den WK IX festgesetzte Soll bei den freigesetzten Arbeitskräften aber nur mit 43% und bei den umgesetzten mit 31% erreicht und der Bedarf für die Dringlichkeitsstufen SS und S trotz der Zuweisung von 18.792 und der Senkung der Anforderungen um etwa 7.000 Kräfte nur unwesentlich gesenkt werden.108 Ursachen für den ständig wachsenden Bedarf lagen in den erhöhten Auflagen der Wehrmachtsfertigung, insbesondere Luftwaffe und Marine, und in den zahlreichen Einberufungen. Zudem versuchte eine ganze Zahl an Firmen mit allen Mitteln und beachtlichem Erfolg, durch die Annahme von Aufträgen der Dringlichkeitsstufen SS und S sich gegen den Entzug von Arbeitskräften zu stemmen und sich an der Inspektion vorbei direkt zwecks Auftragsvergabe an die Wehrmachtteile zu wenden, so dass die Inspektion für den „Erfolg“ der Maßnahmen anordnete, „mit aller Schärfe und wenn nötig rücksichtslos“ vorzugehen, da die Industrie „nicht in der erforderlichen verantwortungsvollen Weise alle Kräfte so eingesetzt“ habe, „wie es zur siegreichen Beendigung des Krieges nötig“109 sei. In der zweiten Maihälfte blieb der Anteil der freigemachten Arbeitskräfte (1.352) erstmals unter dem der umgesetzten (2.226) und die Zahl der Freimachungen sank weiter – in der zweiten Maihälfte um 44% im Vergleich zur ersten.110 Die Kommission kam zu dem folgerichtigen Schluss, dass die Freimachungsaktionen im zivilen Sektor ihrem Ende entgegensteuerten und selbst durch radikalere Vorgehensweisen nicht wesentlich bessere Ergebnisse erzielen könnten – im Gegenteil, so das ernüchternde Fazit der Prüfungskommission Anfang Juni 1941: eine Verschärfung der Maßnahmen hätte Arbeitskräfte freigemacht, die nicht umsetzungsfähig waren und in der Arbeitslosigkeit gelandet wären. Und das Rüstungskommando Weimar urteilte: Im zweiten Quartal 1941 „machte sich erstmalig in bedrohlicher Weise bemerkbar, daß die an die Wirtschaft gestellten Forderungen nicht im Entferntesten 107 108 109 110
Vgl. BA-MA RW 21-17/6, Bl. 46 Vgl. BA-MA RW 20-9/7, Bl. 41f. BA-MA RW 20-9/6, Bl. 27f. Vgl. BA-MA RW 20-9/7, Bl. 51
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mehr im Einklang standen mit der Leistungsfähigkeit der einzelnen Firmen.“111 Vor diesem Hintergrund entwarf die Kommission einen Neunpunkteplan, mit dem sie auf Veränderungen drängte und die problematische Arbeitskräftelage im WK IX entspannen wollte.112 Dem konstant hohen Bedarf für SS- und S-Fertigungen von etwa 20.000 Kräften sah sich die Kommission zunehmend hilflos gegenüber, da der Entzug von Arbeitskräften aus dem zivilen Sektor sank und deshalb die Wehrmachtfertigung geringerer Dringlichkeit Arbeitskräfte freigeben musste.113 Im Oktober 1941 waren nach Angaben der Prüfungskommission im WK IX kaum noch Fertigungen und Betriebe vorhanden, aus denen in nennenswertem Umfang Kräfte freigemacht werden konnten, zumal sich auch der Druck der Prüfungskommission auf die Firmen nicht endlos erhöhen ließ.114 Die Arbeitskräftesituation und die Tätigkeit der Prüfungskommission IX scheinen das Selbstbewusstsein und den Radikalisierungsgrad der Kommandos gesteigert zu haben, meldete doch das Rüstungskommando Weimar nicht ohne Stolz an die Inspektion, dass von den seit November 1941 laufenden Einsprüchen gegen die Abschaltung von Firmen, die sich an das Rüstungskommando gewandt hatten, keiner Erfolg hatte.115 Andererseits: Auf einer Sitzung beim Kommando Eisenach am 12./13.1.1942 führten zahlreiche Firmen Beschwerde über die Einberufungen wichtiger Fachkräfte und drohten dem Rüstungskommando mit der Einstellung der Produktion, sollten weitere Arbeitskräfte den Betrieben entzogen werden. Das Rüstungskommando Eisenach wandte sich daraufhin an den Wehrkreisbeauftragten und bat wiederholt um den Schutz wichtiger Firmen.116 Die im WK IX eingesetzte Kommission „brachte zunächst beachtliche Ergebnisse“117 – so die Selbsteinschätzung der Inspektion IX, fand aber ihre Grenzen. Im WK IX mussten nach Angaben des Wehrkreiskommandos IX im Rahmen dieser Maßnahmen bis zum 1.2.1942 18.800 Mann als Rekruten (davon 5.800 aus Rüstungsbetrieben) und 12.500 Ausgebildete (davon 8.200 aus Rüstungsbetrieben) zur Verfügung gestellt werden.118 Das führte zu einer großen Beunruhigung der Betriebe – wie die Inspektion, die mit einem Absinken der Produktion trotz Eingriffen in die Rüstungsindustrie (Zuweisung 111 112 113 114
115 116 117 118
BA-MA RW 21-62/7, Bl. 34 Vgl. BA-MA RW 20-9/7, Bl. 51-54 Vgl. BA-MA RW 20-9/26, Bl. 33 Vgl. in diesem Kontext den nicht veröffentlichten Erlass Hitlers über „Vereinfachung und Leistungssteigerung unserer Rüstungsproduktion“, in: „Führer-Erlasse“, S. 210212 Vgl. BA-MA RW 21-62/10, Bl. 13 Vgl. BA-MA RW 21-17/10, Bl. 9 BA-MA RW 20-9/21, Bl. 29 Vgl. BA-MA RW 21-17/11, Bl. 4
320
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
ausländischer Arbeitskräfte, innerbetrieblicher Ausgleich) rechnete, aufmerksam und nervös registrierte.119 Um die dadurch entstandenen Produktionseinbrüche abzufedern, wurden unter Leitung des Wehrkreisbefehlshabers Ausschüsse gebildet und von diesem am 2.1.1942 in die Funktionen eingewiesen.120 Durch die Tätigkeit der Prüfungskommission im WK IX gelang bis zum 31.12.1941 die Freimachung von 32.267 und die Umsetzung von 27.226 Arbeitskräften. Trotz des heftigen Drucks der Kommission auf die Firmen konnte das für den WK IX festgesetzte Soll nur mit 54% bei den freigemachten und mit 45% bei den umgesetzten Arbeitskräften erreicht werden – ein deutliches Verfehlen der ursprünglichen Zielsetzungen.121 Das Rüstungskommando Eisenach kontrollierte mittels der im Bereich der Arbeitsämter Arnstadt, Eisenach, Gotha, Meiningen, Mühlhausen, Nordhausen, Sonneberg und Suhl tätigen Unterkommissionen im vierten Quartal 1941 28 Firmen mit 24.423 Mitarbeitern, von denen 227 männliche und 102 weibliche mit Ausnahme von 30 Mann, die der Wehrersatzinspektion zur Einziehung freigegeben wurden, zur Umsetzung gemeldet wurden.122 Die Industrie versuchte dem Druck der Prüfungskommission zu entgehen, indem sie sich gegen den Arbeitskräfteentzug durch die Hereinnahme von Aufträgen der SS- und SStufe zu schützen suchte. In zahlreichen Fällen gelang es Firmen, sich ohne Einschaltung der Inspektion Aufträge der Wehrmachtteile zu beschaffen. Am 13.5.1941 ordnete das RMBM aufgrund dieser reichsweiten Praxis an, dass die Rüstungsinspekteure in die Auftragsvergabe eingeschaltet wurden und ein Sichtvermerk, den bei handelsüblichem Gerät die Bezirksausgleichsstelle erteilte, für alle Aufträge verpflichtend wurde. Der Einfluss der Inspektion wurde dadurch begrenzt, dass Aufträge bis 20.000 RM ohne deren Zustimmung erteilt und Unterlieferungen auch jenseits dieses Betrages ohne Genehmigung der Inspektion in den Wehrkreis genommen werden konnten.123 Auf diese Lücken wies die Inspektion das OKW mit einem Schreiben vom 18.7.1941 hin, ohne deren Schließung zu erreichen, zumal die zentralen Beschaffungsstellen ohne Rücksicht auf die Arbeitslage weiterhin Aufträge an die Wirtschaft vergaben, was von der Kommission auf das Schärfste kritisiert wurde. In zahlreichen Fällen erhoben die Firmen gegen den Entzug der Mitarbeiter Einspruch und fanden Unterstützung im RWM und bei den Wirtschaftsgruppen, die ihre Klientel schützen wollten. Mit Verfügung des 119 120 121 122 123
Vgl. BA-MA RW 20-9/22, Bl. 1 Ergänzt wurden diese Schritte durch innerbetriebliche Maßnahmen, Rationalisierung und insbesondere Umschulungen. (Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 29) Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 37 Vgl. BA-MA RW 21-17/9, Bl. 23f. Vgl. BA-MA RW 20-9/9, Bl. 40
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
321
RMBM vom 21.6.1941 wurde das Arbeitsgebiet der Prüfungskommission erweitert und elf technische Kommissionen zur Überprüfung der Betriebe auf den richtigen Einsatz der Facharbeiter und die rationelle Fertigung durch den Wehrkreisbeauftragten im WK IX aufgestellt, die sich aus dem Vertreter des Wehrkreisbeauftragten, des zuständigen Kommandos und der Arbeitseinsatzbehörde zusammensetzten.124 Im ersten Tätigkeitsabschnitt der Prüfungskommission im WK IX zwischen März und Dezember 1941 wurden den Rüstungsbetrieben einschließlich der chemischen Erzeugung 75.648 Arbeitskräfte zugewiesen – das waren etwa 10% der Gesamtbeschäftigten im WK IX.125 Trotz der hohen Durchschlagskraft der Prüfungskommission bestand Ende 1941 noch ein anerkannter Bedarf von 25.739 Arbeitskräften (610 mehr als im März 1941)126, der bis September 1942 von 38.242 auf 47.770 stieg, was mehr als eine Verdopplung gegenüber Januar des Jahres bedeutete.127
d.
Betriebs- und Auftragsverlagerungen aus dem Wehrkreis IX
Neben den geschilderten Aktionen und Instrumentarien erwog die Inspektion als einen Ausweg aus der Engpasslage die Fertigungsverlagerung in die besetzten Gebiete128, die von der Inspektion mit besonderem Nachdruck vorangetrieben wurde, um eine Entlastung der eigenen Industrie zugunsten der Schwerpunktprogramme der Wehrmachtfertigung zu erreichen.129 Hürden ergaben sich aus den Preisforderungen ausländischer Unternehmen, auf die die heimische Industrie nicht eingehen konnte und wollte, der angespannten Rohstofflage und der problematischen Kohlenversorgung, die die Verlagerungspläne bereits in ihren Ansätzen durchkreuzten.130 Um freie Kapazitäten in verstärktem Maße ausnutzen zu können, kontaktierte die Inspektion 265 Firmen des WK IX, verlagerungstaugliche Gegenstände zu melden, und versuchte als Ergebnis, für 33 Firmen Teile ihrer Fertigung in den besetzten Gebieten, im Protektorat und im Generalgouvernement unterzubringen. Von 124 125 126
127 128
129 130
Vgl. BA-MA RW 20-9/7, Bl. 43 Vgl. BA-MA RW 20/9-22, Bl. 19 Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 39. Davon geringfügig abweichende Zahlen finden sich im Bericht des Vorsitzers der Prüfungskommission, Hillert, an das RMBM vom 9.1.1942. (Vgl. BA-MA RW 20-9/10, Bl. 41) Vgl. BA-MA RW 20-9/13, Bl. 32 Vgl. dazu auch den Erlass bzw. die Anordnung Hitlers über die „Industrieverlagerung nach dem Protektorat, dem Generalgouvernement und den besetzten Ostgebieten“ vom 28.6.1943, mit dem Speer beauftragt wurde, Betriebe und Fertigungen in diese Gebiete zu verlagern, um Luftkriegsschäden zu verhindern, in: „Führer-Erlasse“, S. 345f. Vgl. BA-MA RW 20-9/26, Bl. 34 Vgl. BA-MA RW 20-9/21, Bl. 12
322
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
dem Druck der militärischen Stellen auf die regionale Industrie war auch der Gustloff-Konzern betroffen, dessen Stiftungsführer Sauckel sich mit der Rückendeckung Himmlers und Bormanns mit dem Heereswaffenamt auf einen Kompromiss einigte und sich lediglich zur pachtweisen Übernahme von Fertigungsstätten und Grundstücken in Litzmannstadt bereit erklärte anstatt zu einem Kauf. Als Informationsplattform führte die Inspektion seit Anfang 1941 Besprechungen und Vorträge über Auftragsverlagerungen in die besetzten Gebiete durch, die im Bezirk Weimar auf nur geringes Interesse der beteiligten Firmen stießen. Die nach eigenem Bekunden schlechten Erfahrungen bei der Kooperation mit Betrieben in den besetzten Gebieten bremsten das Engagement der Thüringer Industrie, so dass es nur vereinzelt zu Abschlüssen über Verlagerungen kam. Neben zu hohen Preisen hemmten „rückständige Arbeitsmethoden“ und die „mangelhaften Kenntnisse einer fortschrittlichen Fertigung“131 die Verlagerungspraxis. Die Firmen in den besetzten Gebieten entsprachen hinsichtlich ihrer Produktion (Maschinen, Einrichtungen) nicht den gestellten Anforderungen der Thüringer Industrie, mancher Auftragsverlagerung standen aber auch tatsächliche oder vorgeschobene rassische Motive im Wege. Die Organisation der Verlagerungen (lange Lieferzeiten, aufwändige Verhandlungen, Reisen ins besetzte Gebiet, Mangel an Kfz und Kraftstoff, schlechte Transportverhältnisse und Postverbindungen) dürfte ihr Übriges getan habe, diesen Ansatz der Steigerung der Kriegswirtschaftsproduktion im WK IX frühzeitig auszuhebeln. Schon bald nach einer ersten Phase der Zielorientierung zeigte sich bei den verantwortlichen Kreisen der Inspektion, dass die Auftragsverlagerung nur punktuell die gewünschten Ergebnisse brachte und meist nur dann, wenn die Industrie selbst eingeschaltet wurde und über persönliche Verhandlungen geeignete Partner fand. Die Preispolitik verhinderte Lieferungsabschlüsse, worauf auch das Einschalten der Preisüberwachungsstellen keinen Einfluss hatte.132 Die Qualität der in den besetzten Gebieten produzierten Waren entsprach z.T. nicht den gestellten Anforderungen und der Produktionsanlauf nahm deutlich mehr Zeit in Anspruch als geplant, so dass die im WK IX ansässigen Firmen Mitarbeiter in die besetzten Gebiete entsandten, um die Vorarbeiten zu kontrollieren und die Produktionsaufnahme zu gewährleisten. Rückendeckung gegen eine Auftragsverlagerung boten die Wirtschaftsgruppen, die den Firmen – sehr zum Missfallen der Inspektion – Bescheinigungen ausstellten, dass eine Verlagerung in besetzte Gebiete nicht möglich sei.133 Als Fazit lässt sich festhalten: Der auf eine durchgreifende Verlagerungspolitik drängenden Prüfungskommission standen organisatorische, strukturelle, 131 132 133
BA-MA RW 20-9/25, Bl. 133 Vgl. BA-MA RW 20-9/26, Bl. 74f. Vgl. BA-MA RW 20-9/9, Bl. 40
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
323
finanzielle, ideologische und persönliche Motivationen und Gemengelagen entgegen, die die Beteiligung an der Auftragsverlagerung erheblich einschränkten.
II. 1.
Die Situation ab 1942 Die Zusammenfassung der Rüstungsorganisation in der Mittelinstanz
Mit Erlass vom 25.8.1942 wurden die Grenzen der Rüstungsdienststellen134 den Gaugrenzen angeglichen.135 Regelungen für die in der politischen Praxis bedeutsame Mittelinstanz erfolgten durch einen – auf Vorschlag Speers erfolgten – Erlass Görings vom 17.9.1942, mit dem zum 1.10.1942 Rüstungskommissionen136 errichtet wurden, die aus den mit den Aufgaben der Rüstungswirtschaft befassten Behörden, Dienststellen und Beauftragten bestanden137, die in der Mittelinstanz die Überwachungs- und Koordinationsstellen der Rüstungswirtschaft bildeten.138 In den Rüstungskommissionen waren die mittelinstanzlichen Funktionsträger des RMBM, RWM, RAM, der Parteikanzlei, später der OT, DAF, des Verkehrsministeriums und weiterer Behörden vertreten, wobei die regionalen Beauftragten des Speer-Bereichs deutlich überrepräsentiert waren. Die Grenzen der Rüstungskommissionen deckten sich mit denen der Rüstungsdienststellen (Rüstungsinspektionen bzw. kommandos) und damit auch der Gaue139 und wiesen in ihrer Entwicklung bereits auf die zwei Monate später vollzogene Anpassung der LWA-Grenzen vom 1.11.1942140 und der RV-Bezirke vom 16.11.1942141 an die Gaue hin. Ziel der Neustrukturierung war die Schaffung einer Mittelinstanz, bei der die
134 135 136
137 138 139 140 141
Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 466, Bl. 30; BArch R3/531 Vgl. Nachrichten des RMBM 12/1942, S. 120-123 Vgl. Naasner: Machtzentren, S. 166; ergänzend das Anschriftenverzeichnis der Rüstungskommissions-Vorsitzer und Rüstungskommissionen, in: BArch R3/1772; zur Errichtung der Rüstungskommissionen auch BArch R3901/20478 sowie Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 307-312 Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 127f. Vgl. die Auflistung der Rüstungskommissionen, -inspektionen, Wehrkreisbeauftragten und Rüstungsobmänner (Stand: 1.10.1944), in: BArch R3/289, Bl. 130-135 Vgl. die Aufstellung der Rüstungskommissionen, deren Sitze und die Gaue, die sie umfassten, in: Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 139. Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 3, S. 139f.; ergänzend zu den Grenzen der Gaue, Rüstungsinspektionen und LWÄ BArch R3/1769; BArch R3/1969 Vgl. RGBl I, 1942, S. 649f.
KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
323
finanzielle, ideologische und persönliche Motivationen und Gemengelagen entgegen, die die Beteiligung an der Auftragsverlagerung erheblich einschränkten.
II. 1.
Die Situation ab 1942 Die Zusammenfassung der Rüstungsorganisation in der Mittelinstanz
Mit Erlass vom 25.8.1942 wurden die Grenzen der Rüstungsdienststellen134 den Gaugrenzen angeglichen.135 Regelungen für die in der politischen Praxis bedeutsame Mittelinstanz erfolgten durch einen – auf Vorschlag Speers erfolgten – Erlass Görings vom 17.9.1942, mit dem zum 1.10.1942 Rüstungskommissionen136 errichtet wurden, die aus den mit den Aufgaben der Rüstungswirtschaft befassten Behörden, Dienststellen und Beauftragten bestanden137, die in der Mittelinstanz die Überwachungs- und Koordinationsstellen der Rüstungswirtschaft bildeten.138 In den Rüstungskommissionen waren die mittelinstanzlichen Funktionsträger des RMBM, RWM, RAM, der Parteikanzlei, später der OT, DAF, des Verkehrsministeriums und weiterer Behörden vertreten, wobei die regionalen Beauftragten des Speer-Bereichs deutlich überrepräsentiert waren. Die Grenzen der Rüstungskommissionen deckten sich mit denen der Rüstungsdienststellen (Rüstungsinspektionen bzw. kommandos) und damit auch der Gaue139 und wiesen in ihrer Entwicklung bereits auf die zwei Monate später vollzogene Anpassung der LWA-Grenzen vom 1.11.1942140 und der RV-Bezirke vom 16.11.1942141 an die Gaue hin. Ziel der Neustrukturierung war die Schaffung einer Mittelinstanz, bei der die
134 135 136
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Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 466, Bl. 30; BArch R3/531 Vgl. Nachrichten des RMBM 12/1942, S. 120-123 Vgl. Naasner: Machtzentren, S. 166; ergänzend das Anschriftenverzeichnis der Rüstungskommissions-Vorsitzer und Rüstungskommissionen, in: BArch R3/1772; zur Errichtung der Rüstungskommissionen auch BArch R3901/20478 sowie Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 307-312 Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 127f. Vgl. die Auflistung der Rüstungskommissionen, -inspektionen, Wehrkreisbeauftragten und Rüstungsobmänner (Stand: 1.10.1944), in: BArch R3/289, Bl. 130-135 Vgl. die Aufstellung der Rüstungskommissionen, deren Sitze und die Gaue, die sie umfassten, in: Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 139. Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 3, S. 139f.; ergänzend zu den Grenzen der Gaue, Rüstungsinspektionen und LWÄ BArch R3/1769; BArch R3/1969 Vgl. RGBl I, 1942, S. 649f.
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KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN
Fäden der Kriegswirtschaftsorganisation zusammenliefen142 und die den Arbeitseinsatz mit den Rüstungsfragen koordinierte.143 Die Rüstungsdienststellen übernahmen die Geschäftsführung der Rüstungskommissionen, Vorsitzer und Stellvertreter wurden von Speer berufen und erhielten von ihm Weisungen, bei Meinungsverschiedenheiten in der Rüstungskommission entschied der Vorsitzer, die Einsprüche der Mitglieder gegen Entscheidungen hatten keine aufschiebende Wirkung.144 Mit dem „Erlaß über die Zusammenfassung der Dienststellen der Selbstverantwortungsorgane der Rüstungswirtschaft in der Mittelinstanz“ gab Speer die Marschrichtung der Rüstungskommissionen vor. Sie steuerten einheitlich die Weisungen aller mit rüstungswirtschaftlichen Aufgaben befassten Dienststellen, sollten Doppelarbeit vermeiden und dafür gleiche Arbeitsgebiete in einer Dienststelle zusammenfassen. Sie sollten den Erfahrungsaustausch der Selbstverantwortungsorgane in der Rüstungswirtschaft vorantreiben und dabei auftretende Schwierigkeiten beseitigen. Sie vertraten den Ausgleich des Arbeitskräftebedarfs der Rüstungswirtschaft gegenüber den Wehrersatzdienststellen und übernahmen die Aufgaben der bisherigen Prüfungskommissionen. Zur Bewältigung dieses umfassenden Aufgabenpaketes und um die Mitarbeit der Partei zu aktivieren, verpflichtete Speer die Rüstungskommissionen, mit den RVK „dauernd engste Fühlung zu halten.“145 Um die Mitarbeit der Partei zu mobilisieren, durften sie nur in Absprache mit den Gauleitern/RVK kriegswirtschaftliche Anordnungen erlassen, was den Interessen der Parteikanzlei Bormanns und der Gauleiter entgegenkam.146 Die umfangreichen und mit Dauer des Krieges wachsenden Eingriffsmöglichkeiten der Rüstungskommissionen und deren Vorsitzern führten trotz und wegen des vordergründigen Interessenabgleichs und Koordinationszwangs zu erheblichen Konflikten mit den Gauleitern/RVK.147 Mitglieder der Rüstungskommissionen waren der Rüstungsinspekteur, Wehrkreisbeauftragte, Rüstungsobmann der Ausschüsse und Ringe, LWALeiter, LAA-Präsident, GWB, GWK-Präsident (insofern die GWK nicht 142 143 144 145
146 147
Vgl. Nachrichten des RMBM 12/1942, S. 120; Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 128 Vgl. Nachrichten des RMBM 16/1942, S. 169-176; BArch R3/288, Bl. 128-133 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 307; Eichholtz: Kriegswirtschaft, Bd. 2/1, S. 296 Vgl. „Erlaß über die Zusammenfassung der Dienststellen und Selbstverwaltungsorgane der Rüstungswirtschaft in der Mittelinstanz“, in: Nachrichten des RMBM 13/1942, S. 128; ergänzend zum Schriftwechsel Speers mit den Rüstungskommissionen einige Aktensplitter, in: BArch R3/1596 Vgl. Hüttenberger: Gauleiter, S. 182 Vgl. Rolf-Dieter Müller: Der Manager der Kriegswirtschaft: Hans Kehrl: Ein Unternehmer in der Politik des Dritten Reiches (=Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Neue Folge 9), Essen 1999, S. 156
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schon durch ein Mitglied ihres Präsidiums in seiner Eigenschaft als Rüstungsobmann der Ausschüsse und Ringe in der Rüstungskommission vertreten war), später dann Baubeauftragter und Bezirkslastverteiler.148 Die Gauleiter wurden über die GWB in den Rüstungskommissionen aktiv, waren selbst aber nicht Mitglied der Kommission, um diese nicht in zu starker Abhängigkeit von der Partei anzusiedeln.149 Zu Beratungszwecken wurden weitere Behörden, Dienststellen und Beauftragte herangezogen. Soweit es die rüstungswirtschaftlichen Belange erforderten, konnten die Rüstungskommissionen besondere bezirkliche Unterkommissionen für die Gaubereiche bilden.150 Die Rüstungsinspektionen, denen meist mehrere Rüstungskommandos unterstanden, deckten sich mit den Gaugrenzen oder umfassten – falls ein Gau als Gebiet einer Rüstungsinspektion zu klein war – mehrere Gaue.151 Der Wehrkreisbeauftragte war der Beauftragte Speers für den Einsatz der Technik im Bereich der Rüstungsinspektion, der sich zur Durchführung seiner Aufgaben der Gauämter für Technik mit den im NSBDT152 zusammengeschlossenen Ingenieuren und der unter einem Bezirksobmann zusammengefassten Bezirksbeauftragten der Ausschüsse und Ringe bediente.153 Die bei ihm gebildeten technischen Kommissionen, die die Betriebe auf rationellen Arbeitseinsatz überwachten und den Einsatz der Facharbeiter prüften, wurden mit Erlass vom 17.9.1942 den Rüstungskommissionen angegliedert.154 Den Rüstungs- und Bezirksobmann155 der Ausschüsse und Ringe berief, als Mittelinstanz des Rüstungslieferungsamtes, dessen Chef im Einvernehmen mit den zuständigen Gauleitern und nach Abstimmung mit der RGI. Der Rüstungsobmann im Bereich der Rüstungsinspektion und der Bezirksobmann im Bereich der Gaue vertrat die Aufgaben der Ausschüsse und Ringe, kontrollierte und koordinierte den Ablauf der Rüstungsfertigung, die Rüstungssteigerung, Rationalisierungsmaßnahmen und gewährleistete Fertigungsvoraussetzungen der Rüstungswirtschaft. Bei den Aufgaben der Rüs148
149 150 151 152 153 154 155
Vgl. 1. Durchführungsverordnung zum „Erlaß über die Zusammenfassung der Dienststellen und Selbstverwaltungsorgane der Rüstungswirtschaft in der Mittelinstanz vom 17.9.1942“, in: Nachrichten des RMBM, Anl. 1, S. 133. Die Baubeauftragten und die Bezirkslastverteiler traten erst nach dem Erlass vom 2.9.1943 in die Rüstungskommissionen ein. (Vgl. BArch R3/1917, Bl. 199) Vgl. Nachrichten des RMBM 12/1942, S. 123; zum Verhältnis Speers zu den GWB auch BArch R43II/1194b Vgl. BArch R3/3287, n. pag. Vgl. Nachrichten des RMBM 12/1942, S. 120 Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 234f. Vgl. ausführlich die „Vorläufige Dienstanweisung für die Wehrkreisbeauftragten“ (1940), in: ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 3838, Bl. 25f. Vgl. BArch R3/288, Bl. 130f. Vgl. BArch R3/1555, Bl. 167
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tungsinspektionen und -kommandos wirkte er bei der Einhaltung der Reihenfolge der Dringlichkeit bei Rüstungsfertigungen, beim Überwachen des Arbeitskräfteeinsatzes und des ordnungsgemäßen Verbrauchs von kontingentierten Rohstoffen, Betriebs- und Produktionsmitteln mit. Der Rüstungsobmann war gegenüber den Bezirksobmännern weisungsbefugt und nutzte für seine Geschäftsführung die GWK-Einrichtungen. Der Bezirksobmann als Gaubeauftragter der Rüstungsinspektion stand mit den Bezirksbeauftragten der Ausschüsse und Ringe dem Rüstungsobmann zur Durchführung der Aufgaben auf Gauebene zur Verfügung, wirkte bei der Auftragssteuerung, der Betriebsbelegung und -stilllegung, der Inbetriebnahme von Produktionsstätten, beim überbetrieblichen Erfahrungsaustausch und der Verbindung der Ausschüsse und Ringe untereinander mit und organisierte den Abgleich von Arbeitskräften und Fertigungsvoraussetzungen.156 Für seine Geschäftsführung bediente er sich der Industrie-Abteilung der GWK, denen er in der Regel als Leiter vorstand.157 Die Berufung der Bezirksbeauftragten der Ausschüsse und Ringe erfolgte durch die Ausschuss- und Ringleiter. Der Aufgabenbereich der LWÄ wurde auf die nicht mit der Rüstungsindustrie (einschließlich der Zu- und Unterlieferanten) befassten Betriebe sowie auf Ausfuhr und Zivilbedarf beschränkt. Sie betreuten die Betriebe der Ur-, Roh- und Werkstofferzeugung und der handelsüblichen Erzeugnisse, soweit es sich dabei nicht um Teilbetriebe von Rüstungsbetrieben handelte, organisierten auf Vorschlag der Technischen Kommissionen Teile des Maschinenausgleichs, verfügten in Zusammenarbeit mit den Ausschüssen und Ringen die Stilllegung von Betrieben und verantworteten die Versorgung der Bevölkerung. Die LAÄ steuerten seit 1942 als GBA-Außenstellen den Arbeitseinsatz, mussten dabei aber die Bedarfsanforderungen des Vorsitzers der Rüstungskommissionen erfüllen, koordinierten die Arbeitskräfteumsetzung zu Engpassfirmen sowie den Einsatz von Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeitskräften und lenkten den Berufsnachweis und das Unterstützungswesen (z.B. Entschädigungsansprüche).158 Die LAÄ wurden an die Anforderungen der Rüstungskommissionen bei der Arbeitskräfteregelung gebunden. Bei Konflikten der Betriebe mit den Entscheidungen der LAÄ hatte der Vorsitzer der Rüstungskommission Weisungsrecht. Die Dienststellen trafen alle die für die Durchführung der von ihren zentralen Dienststellen gestellten Aufgaben erforderlichen Anordnungen innerhalb ihres Geschäftsbereiches selbstständig. 156 157 158
Vgl. BArch R3/288, Bl. 130 Vgl. BArch R3/1555, Bl. 167 Vgl. ausführlich zu den Aufgaben der Rüstungskommissionen Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 1, S. 134-138
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Der von Speer eingesetzte Vorsitzer der Rüstungskommission als zentrale Figur der Kommission entschied „in allen Fragen der Dringlichkeitsfolge im Bereich der Rüstung, die regional“159 auftraten. Hier spiegelt sich die Durchsetzung des Führerprinzips in der regionalen Dimension der Kriegswirtschaftsorganisation wider. Die Weisungen der Rüstungskommission waren für alle in ihr vertretenen Behörden, Dienststellen und Beauftragten verbindlich. Auf die den Mitgliedern der Kommission nachgeordneten Dienststellen hatten die Vorsitzer jedoch keinen direkten Zugriff.160 Eine solche Machtfülle hätte die etablierten Regionalstrukturen durch die Schaffung gaubezogener Wirtschaftsverwaltungsimperien zu heftig angegriffen und verunsichert und wäre gegenüber Staat, Partei, Wehrmacht, und Wirtschaft nicht durchsetzbar gewesen.161 Anordnungen anderer bezirklicher Stellen bedurften, wenn sie Rüstungsbelange berührten, der Zustimmung des Vorsitzers der Rüstungskommission. Grundsätzliche Anordnungen der Rüstungskommissionen, die sich auf die allgemeine Kriegswirtschaft auswirkten, durften nur in Rücksprache mit den zuständigen Gauleitern/RVK, „mit denen dauernd engste Fühlung zu halten [war], erlassen werden.“162 Weitere Kompetenzen erwuchsen den Vorsitzern im Rahmen der Betriebsverlagerungen, wenn Betriebe sofort zu verlegen waren und eine Stilllegung aufgrund der Kriegswichtigkeit nicht in Betracht kam.163 Waren Betriebe mit ziviler und Rüstungsproduktion gleichzeitig belegt und dadurch den Weisungen des RMBM und des RWM untergeordnet, regelte der Vorsitzer die Verantwortlichkeit des Betriebes. Die Rüstungskommissionen betreuten in sachlicher Hinsicht die Betriebe, kontrollierten und regulierten die die Rüstungswirtschaft betreffenden Anordnungen nachgeordneter Dienststellen164 und übernahmen von den bisherigen Prüfungskommissionen alle Funktionen auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes. Den Führererlass vom 12.11.1943165 sah das RMRK als Sprungbrett, um über die Rüstungskommissionen Einfluss auf die Raumbewirtschaftung zu gewinnen und ein Gegengewicht zu den Gauleitern/RVK zu installieren.166 Ergänzt wurden diese Entwicklungen von der Ausrichtung der Ausschüsse und Ringe auf die Gebiete der Rüstungsinspektionen. Die Inspektion IX 159 160 161 162 163 164 165 166
Nachrichten des RMBM 16/1942, Anl. 1, S. 170; vgl. auch ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 33 Vgl. BArch R3/288, Bl. 132 Vgl. Peter: Rüstungspolitik, S. 33; Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 1, S. 133138 BArch R3/3287, n. pag. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 12, Bl. 4 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 310 Vgl. RGBl I, 1943, S. 659f. Vgl. ThHStAW, Thüringisches Ministerium des Innern, Abt. W, Nr. 12, Bl. 99-130
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wurde bei der Einsetzung des Bezirksbeauftragten des Rüstungsausschusses, der bei der Industrie-Abteilung der Wirtschaftskammer Hessen in Frankfurt/Main angesiedelt war, geteilt. Für den Gau Thüringen wurde Schieber zum stellvertretenden Bezirksbeauftragten ernannt, sein Vertreter war Mevius, Geschäftsführer der Industrie-Abteilung.167 Diese Entwicklungen veränderten die Bedeutung der regionalen Funktionen, denn für die Kontrolle der Wirtschaft entwickelte sich die Rüstungsinspektion mit Gauausrichtung zur administrativen Schlüsseleinheit. Die „Zweigleisigkeit in der Wirtschaftspolitik“168, eine anachronistisch gewordene Trennung in einen zivilen (RWM) und einen rüstungswirtschaftlichen (RMBM) Lenkungsbereich in einem dem Anspruch nach auf den totalen Krieg ausgerichteten Staat, führte zu steter Unsicherheit und Unzufriedenheit auf den mittleren und unteren Ebenen von Partei, Staat, Wirtschaft und Wehrmacht und wurde erst durch den „Erlaß des Führers über die Konzentration der Kriegswirtschaft“169 vom 2.9.1943 aufgelöst.170 Mit der Übernahme der gewerblichen Kriegswirtschaft drang das RMRK in neue Aufgabengebiete vor. Mit der Schaffung der Amtsgruppe Arbeits-Ordnung im Rüstungsamt 1943 wurde dem Koordinationsbedürfnis mit den Obersten Reichsbehörden, Parteidienststellen und vor allem der DAF im Hinblick auf die neu hinzugewonnenen Arbeitseinsatzfragen Rechnung getragen.171 Zum Chef der Amtsgruppe avancierte Oberdienstleiter Dr. Theodor Hupfauer, Leiter des Amtes „Soziale Selbstverantwortung“ in der DAF, Geschäftsführer der Reichsarbeitskammer und Verbindungsmann der DAF zum RMRK, der 1944 das Zentralamt im Rüstungsministerium übernahm.172 Trotz der personellen Verflechtung folgte ein erbittertes Ringen um Zuständigkeiten zwischen RMRK und DAF.173 Der Konflikt wurde zu Beginn des Jahres 1945 durch eine Vereinbarung „Über Rationalisierung und Mobilisierung von Leistungsreserven“ beigelegt, mit der sich DAF und RMRK zu engerer Zusammenarbeit verpflichteten.174 In den Gauen wurde die personelle und funktionelle Vernetzung durch die Mitgliedschaft der Gauobmänner der DAF in den Rüs167 168 169
170 171 172 173 174
Vgl. BArch R3901/20481, Bl. 239 Herbst: Totaler Krieg, S. 255 Vgl. RGBl I, 1943, S. 529f.; zur Genese des Erlasses BArch R43II/610, Bl. 63-199 sowie BArch R43II/610a, Bl. 1-162; Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 331347; Janssen: Ministerium Speer, S. 133-139; Herbst: Totaler Krieg, S. 255-261; Naasner: Machtzentren, S. 166; BArch R43II/610, Bl. 121-124; BArch R3/105; IMT XVI, S. 628-630 Vgl. RGBl I, 1943, S. 531f. Vgl. BArch R43II/1157a, Bl. 20 Vgl. IMT XVI, S. 630; Speer: Erinnerungen, S. 347, 567; Müller: Kehrl, S. 156 Vgl. BArch R43II/610, Bl. 43-52 Vgl. BArch R3/1979, Bl. 12f.
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tungs(unter)kommissionen sichergestellt. In den Betrieben koordinierten die Vorsitzer der Rüstungskommissionen, Betriebsführer und Betriebsobmänner bzw. Gauobmänner der DAF die vom RMRK beanspruchte Ausschüttung besonderer Leistungsprämien.
2.
Planungen zur Neuordnung der Mittelinstanz im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion gegen Ende des Krieges
Zu Beginn des Jahres 1945 entstanden im Planungsamt des RMRK auf Initiative Fromms Pläne zu einer umfassenden Neuordnung der Mittelinstanz.175 Im selbst bei Kriegsende noch weiter angeheizten und mit umfassenden Neustrukturierungsplänen versehenen Aktionismus spiegelt sich in erster Linie die Bedeutung der Mittelinstanz für die innere Verfassung und Leistungsfähigkeit des Regimes wider.176 Kern einer Neuordnung war, äquivalent zu den ungelösten Verwaltungsproblemen, das Verhältnis der Mittelinstanz zur Zentrale, das Beziehungsgeflecht der mittelinstanzlichen Funktionsträger untereinander und eine Stärkung der echten (d.h. interessengebundenen und selbstständigen) Selbstverwaltung. Die Pläne bauen auf einer eingehenden Mängelanalyse des bestehenden Kriegswirtschaftsverwaltungssystems auf und benennen konkret die fehlende Abgrenzung zwischen LWÄ und GWK deren mangelnde Betriebsnähe infolge der großen Menge der Betriebe sowie den Gegensatz zwischen Betriebsfürsorge und knapper Zuteilungen mit Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie. Eine weitere Schwachstelle des bestehenden Systems bestand in den ungeklärten Zuständigkeiten der Rüstungsdienststellen einerseits und LWÄ und GWK andererseits, forciert durch die Differenzen aufgrund des militärischen bzw. zivilen Charakters, der verschieden starken Personaldecke und der unterschiedlich weit reichenden Kompetenzen und Arbeitsweisen. Innerhalb des RMRK bestand eine mangelnde Aufgabentrennung zwischen Inspektion und den nachgeordneten Kommandos, die LWÄ und Rüstungskommandos schalteten sich zudem nicht in die Erzeugungsplanung ein und die Wehrkreisbeauftragten wurden durch die Entwicklung der Rüstungskommandos, Rüstungskommissionen, Ausschüsse und Ringe überflüssig. Kaum Verbindung bestand zwischen den Erzeugungsmittellenkungstellen (Gauarbeitsämter, LWÄ, GWK) und Erzeugungslenkungsstellen (Ausschüsse und Ringe) sowie der Erzeugungsmittellenkungstellen untereinander – ein nicht zu unterschätzendes Defizit in der horizontalen Verklammerung der regionalen Behörden. Insgesamt enthält die Bestandsaufnahme einen realistischen und kritischen Blick auf die Gemengelage in der Mittelinstanz, in der allgemein eine zu geringe Kooperation und 175 176
Vgl. hierzu und zum Folgenden BArch R3/116, Bl. 6-13 Vgl. BArch R3/1555, Bl. 56
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Koordination beklagt wurde, was freilich auch auf die Zentralstellen zurückzuführen war, die den bezirklichen Stellen zu wenig Spielraum ließen. Als Konsequenz schlug das Planungsamt bei der Neuordnung der Mittelinstanz eine weitgehende Dezentralisierung auf die territoriale und funktionale Ebene der Gaue mit einer klaren Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Zentrale und Mittelinstanz sowie zwischen den mittleren Funktionsträgern und einer weitgehenden Selbstverwaltung als Gegenpol der Betriebe zu den staatlichen Behörden und der Mittelinstanz gegenüber der Zentrale vor.177 Um das bezirkliche Konfliktpotential zu entschärfen, wurde die Errichtung eines Gau-, Rüstungs- und Produktionsamt mit einer Zentral-, Erzeugungslenkungs-, Erzeugungsmittelzuteilungs- und Betriebslenkungsabteilung als Schaltzentrale in der Mittelinstanz vorgeschlagen. Rüstungsobmann, Bezirks- und Produktionsbeauftragter nebst Bezirksstellen der Wirtschaftsgruppen unterstanden stärker der Zentrale und deren Entscheidungen und den Fachabteilungen des Gauamtes in der Erzeugungslenkung. Mit einem durchsetzungsfähigen Gauamt wäre der Rüstungsobmann allerdings obsolet geworden, zumal seine Querschnittsaufgaben auf die GWK überführt werden sollten. Das Gauarbeitsamt, das neben dem Gauamt bestehen bleiben, aber dem Gauamtschef unterstellt werden sollte, wurde durch einen Vertreter in der Zentralabteilung strukturell mit dem Gauamt verklammert und dadurch der Arbeitseinsatz stärker auf die betrieblichen Anforderungen eingestellt. Die GWK stand als Selbstverwaltungsorgan für Querschnittsaufgaben dem Rüstungsobmann/Gauamt mit ihren Untergliederungen zur Verfügung. Bis zur geplanten einheitlichen Zusammenfassung aller Bezirksstellen unter dem neu zu errichtenden Gauamt war als Übergangslösung der Ausbau der Führungs- und Vermittlungsfunktion der Rüstungskommission mit maßgeblicher Entscheidungsbefugnis des Vorsitzers geplant. Das LWÄ und die Rüstungsinspektionen sollten abgeschafft, der Wehrmachtscharakter der Rüstungskommandos durch Überführung in das Gauamt beseitigt und die Wehrkreisbeauftragten aufgehoben oder unter Beschränkung auf technische Erzeugungsfragen in das Gauamt überführt werden. Eine einheitliche Bezirksabgrenzung durch die Gauausrichtung aller mittelinstanzlichen Stellen hätte für territoriale Klarheit und strukturelle Kompaktheit gesorgt. Die Schaffung von Außenstellen der Mittelinstanz untermalte den Weg hin zu gleichzeitiger Zentralisierung wie Dezentralisierung. Zur Versorgung und Lenkung der Betriebe wurde deshalb die Schaffung von Bezirks-Unterinstanzen, wie sie die Arbeitsämter, GWK und Rüstungsdienststellen bereits betrieben und die auf die Stadt- und Landkreise ausgerichtet waren, erwogen.178 Jenseits der internen Auseinandersetzungen um Organisation und strukturelle Feinabstimmungen 177 178
Vgl. Held: Abgrenzung, v.a. S. 105-107 Vgl. BArch R3/116
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der Mittelinstanz zeigt die Diskussion die nicht mehr zu verkennende Durchsetzung der Gaue, die Entwicklung der mittelinstanzlichen Funktionsstrukturen zum unverzichtbaren komplementären Gegengewicht zur Reichszentralisierung, die Parallelität von Zentralisierung und Dezentralisierung im NSStaat und extrem destruktive Energien eines Systems, das selbst angesichts des militärischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs Versuche zu einer grundlegenden und umfassenden Strukturreform vorantrieb.179 Die Planungen stellen eine Art Rückzugsgefecht des RMRK angesichts der nicht mehr abzuwendenden Niederlage und des mit fortschreitender Kriegsdauer deutlicher werdenden Auseinanderbrechens der zentral gelenkten Rüstungsindustrie dar, vor dessen Hintergrund die Planer des RMRK versuchten, die Gaue funktionell mit erheblichen Kompetenzen in der Kriegswirtschaft auszustatten und zentrale und dezentrale Entwicklungen miteinander zu verklammern, um die Systemstabilität und Effizienz der Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten. Bemerkenswert für das Verhältnis des Rüstungsministers zu den Gauleitern/RVK ist ein Entwurf für einen Führererlass, der Ende 1944 oder Anfang 1945 im Führerhauptquartier vorlag, der aber keine Verwirklichung erfuhr. Für die Zielprojektion des RMRK in der Mittelinstanz ist er allemal von höchstem Interesse.180 Hitler verpflichtete darin die Gauleiter als RVK einleitend, den RMRK bei der Reichsverteidigung mit allen Mitteln zu unterstützen. Im Einzelnen ordnete er an: Die Vorsitzer der Rüstungs(unter)kommissionen und die unter ihnen zusammengefassten Organe des RMRK sollten auf dessen Vorschlag hin dem RVK unmittelbar unterstellt werden. So weit, so gut – eine solche Regelung entsprach dem Bedürfnis der Gauleiter/RVK, sich die einflussreichen Kommissionen gefügig zu machen. Darüber hinaus sollte der RMRK das Recht erhalten, im Rahmen seines Aufgabenbereiches den RVK unmittelbar Weisungen erteilen zu können und die RVK wurden verpflichtet, in allen Angelegenheiten der Rüstung und Kriegsproduktion, vor allem in grundsätzlichen Fragen, dem RMRK unmittelbar zu berichten. Einziehungsaktionen zur Wehrmacht und zu anderen Zwecken und Umsetzungen von Arbeitskräften innerhalb der Rüstung und Kriegsproduktion sollten ausschließlich nach den Weisungen des RMRK durchgeführt und geregelt werden. Die Steuerung der Produktion (Auftragsverlagerungen, Belegung der Betriebe mit Aufträgen, Auftragslenkung) erfolgte allein durch die zentralen Organe des RMRK. Diese Maßnahmen sollten auch über die Grenzen der RV-Bezirke hinweg durchgeführt werden können. Und weiter heißt es: „Die RVK haben sich bei der Regelung der Angelegenheiten der Rüstung und Kriegsproduktion ausschließlich – und zwar ohne Zwischen179 180
Vgl. BArch R43II/1157a, Bl. 78; BArch R3/1623a, Bl. 22-51; BArch R12I/9 Vgl. BArch R3/1592, Bl. 40f.
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schaltung von Beauftragten – der Dienststellen und Selbstverantwortungsorgane des Reichsministers für Rüstung und Kriegsproduktion zu bedienen. Die Beauftragung anderer Dienststellen der Partei und des Staates mit der Regelung von Aufgaben der Rüstung und Kriegsproduktion ohne Genehmigung des Reichsministers für Kriegsproduktion ist nicht möglich.“ Der Erlassentwurf spiegelt in prägnanter Weise die machtpolitischen Verhältnisse wider. Die zentrale Rüstungslenkung durch das RMRK brach unter den Belastungen des Krieges und vorangetrieben durch regionale Mechanismen sukzessive auseinander. Das ausdrückliche Verbot der Einschaltung von Dienststellen außerhalb des RMRK-Bereiches verweist auf die realen Bedingungen und der mehrfach erhobene Anspruch des RMRK, allein die Kriegsproduktion zu lenken, zerbrach an der Realität.
3. a.
Die Rüstungskommission IX b Organisation und Aufbau
Für den Gau Thüringen stellen sich vor dem Hintergrund der kriegswirtschaftlichen Entwicklungen mehrere Fragen: Wie wurde die beschriebene Steigerung des Rüstungsausstoßes organisatorisch ermöglicht? Welche Mechanismen und Strukturen trugen zu dieser Steigerung bei und in welchen Spannungsfeldern verliefen die entscheidenden Prozesse? Wie reagierten die einzelnen Behörden und Institutionen auf die sich in der zweiten Kriegshälfte verschiebenden Rahmenbedingungen in der Rüstungs- und Kriegswirtschaft? Für den Bereich der Rüstungsinspektion IX mit Sitz in Kassel entstanden mit Erlass vom 25.8.1942 zwei voneinander unabhängige Rüstungskommissionen: IX a in Kassel für den Gau Kurhessen und IX b in Weimar für den Gau Thüringen.181 Mit der Ernennung des Generaldirektors der Gustloff-Werke, Karl Beckurts, zum Vorsitzer der Rüstungskommission sowie Rüstungs- und Bezirksobmann erhielt ein Spitzenvertreter der regionalen Rüstungsindustrie eine Schlüsselposition in der Kriegswirtschaftsorganisation und – wie skizziert – umfassende rüstungswirtschaftliche Kompetenzen, die seit 1942 in mehreren Schüben wuchsen.
181
Vgl. Nachrichten des RMBM 13/1942, Anl. 2, S. 139; Nachrichten des RMBM 19/1943, Anl. 2, S. 208
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Mitglieder der Rüstungskommission IX b (Stand: 1943) Generaldirektor Beckurts Generalmajor Schindke Gauamtsleiter Stützer Ministerpräsident Marschler Dr. Wiesel Vertreter Oberregierungsrat Andres Regierungsrat Brücher Staatsrat Dr. Schieber Dr. Thiel Oberbaurat Kyser Oberregierungsbaudirektor Schmidt Regierungsrat Raeber
Vorsitzer, Rüstungs- und Bezirksobmann, Weimar182 Rüstungsinspekteur IX, Kassel183 Wehrkreisbeauftragter IX b des RMBM, Weimar Leiter des LWA Thüringen und Gauobmann der DAF, Weimar Präsident des Gauarbeitsamtes Thüringen, Weimar Reichstreuhänderverwaltung, Weimar Arbeitseinsatzverwaltung, Erfurt GWB184, Weimar Präsident der GWK Thüringen, Ruhla Bezirkslastverteiler Thüringen, Weimar OT-Einsatzgruppenleiter „Kyffhäuser“, Weimar185 Nbv, Weimar186
Die Rüstungskommission IX b, die eine Verklammerung der unterschiedlichen Behörden und Apparate bedeutete, dominierten zunächst die Vertreter des Speer-Imperiums. Einfluss übte die Partei lediglich über den GWB aus und auch die Wehrmacht sah sich in den Kommissionen unterrepräsentiert. Eine funktionelle und institutionelle Ausdehnung der Rüstungskommission IX b erfolgte in mehreren Schüben seit 1943. Ablesbar ist dieser Aufgabenzuwachs in der Zunahme der Kommissionsmitglieder. An den Sitzungen nahmen Dr. Engel von der Inspektion IX, die Kommandeure der Rüstungskommandos Weimar und Eisenach, Oberst Dr. Fix und Oberstleutnant Schmidt, Ing. Garde als Vertreter des Wehrkreisbeauftragten, der Hauptgeschäftsführer der GWK Dr. Mündnich, Regierungsbaudirektor Kleinmeier und Dipl.-Ing. Koekelmann als Vertreter des Baubevollmächtigten IX, der Lastverteiler Gas III Direktor Boje, der Bezirks-Arbeitseinsatzingenieur Dr. Schmidt, der RVK-Referent Escher, der Vertreter des Rüstungsobmanns IX b
182 183 184 185 186
Vgl. BArch R3/289, Bl. 133; BA-MA RW 21-62/12, Bl. 12; BA-MA RW 21-62/10, Bl. 59-64 Vgl. BArch R3/3287, n. pag. Vgl. BArch R43II/1157a, Bl. 75f.; BA-MA RW 20-9/19, Bl. 59, 112, 158 Vgl. BArch R3/289, Bl. 119-122 Vgl. BArch R3/100, Bl. 34
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Henning187 und der Leiter der Arbeitsgruppe Kriegsheimarbeit Vizepräsident Schneider teil.188 Der sich wandelnde Teilnehmerkreis führte die mit der Kriegswirtschaft befassten Behörden an einen Tisch, um die im Gau zu bewältigenden Aufgaben zu organisieren. Deshalb ist den monatlich abgehaltenen Treffen im Sitzungssaal der Thüringischen Staatsbank Weimar eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Koordinations-, Informations- und Kooperationszentrum beizumessen. Die Kommission entwickelte sich zur bedeutendsten Schaltzentrale der gaubezogenen Wirtschaftsorganisation in Thüringen in der zweiten Kriegshälfte.189 Eine enge Verbindung mit der Selbstverwaltung der Wirtschaft erreichte die Rüstungskommission durch die Vernetzung mit der Geschäftsführung der Industrie-Abteilung der GWK. Die geschäftsführende Dienststelle des Vorsitzers wurde beim Rüstungskommando Weimar unter Hauptmann Gutik errichtet.190 Alle Fragen der Rüstungskommissionen bearbeitete in der Inspektion IX Hauptmann Bornefeld.191 Durch Erlass des RMBM vom 25.8.1942 wurde die Neueinteilung der Rüstungsdienststellen mit Wirkung vom 1.10.1942 angeordnet. In der Durchführung dieses Erlasses traten vom Kommando Weimar die Kreise Sangerhausen, Eckartsberga und Querfurt an das Kommando Halle, die Kreis Sonderhausen, Heiligenstadt und Sonneberg an das Kommando Eisenach und der bisher zum Kommando Leipzig gehörende Kreis Altenburg an das Kommando Weimar über, um der Angleichung der Rüstungsdienststellen an die Gaugrenzen Rechnung zu tragen.192 Die „Flurbereinigung“ vom Oktober 1942 durch die Angleichung der Grenzen der Rüstungskommandos an die der politischen und wirtschaftlichen Verwaltung im Gau Thüringen entsprach zunächst einmal dem Gedanken der regio187
188 189
190
191 192
Das Sitzungsprotokoll vom 1.9.1944 führt als Vertreter des Rüstungsobmanns den Geschäftsführer der Industrie-Abteilung, Dr. Mevius. (Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 59) Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 158 Von den monatlichen Sitzungen der Rüstungskommission IX b sind in den Akten des Bundesarchivs-Militärarchiv Freiburg/Breisgau lediglich das 23., 24., 25. Protokoll (Juli bis September 1944) erhalten. (Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 59-64, 112-115, 158-161) Martin Moll hat für die Gau- und Reichsleitertagungen auf deren hohe Bedeutung als systeminterner Steuerungsmechanismus aufmerksam gemacht. (Vgl. Moll: Steuerungsinstrument) In diese Überlegungen sind tendenziell die Sitzungen der Rüstungskommission IX b einzuordnen. Die Quellen sind für die Geschäftsführung nicht eindeutig. Sie führen sowohl Dr. Mevius, Geschäftsführer der Thüringer Industrie-Abteilung, als auch Hauptmann Gutik vom Kommando Weimar als Leiter der geschäftsführenden Dienststelle des Kommissionsvorsitzers. (Vgl. BArch R3/1784, Bl. 5; BA-MA RW 20-9/13, Bl. 16f.; BA-MA RW 21-62/10, Bl. 67) Vgl. BA-MA RW 20-9/13, Bl. 16f. Vgl. BA-MA RW 21-62/10, Bl. 54; BA-MA RW 21-17/13, Bl. 9
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nalen Einheit und der vordringlichen Aufgabe der Rüstungskommission, die einheitliche Steuerung der Rüstungsproduktion unter Ausschaltung von Doppelarbeit zu gewährleisten.193 Die Errichtung der Rüstungskommission IX b wertete das Rüstungskommando Eisenach wenig erfreut als einen „Markstein in der Geschichte“194 der Rüstungskommandos, da nun zivile Stellen verstärkt Einfluss auf die Lenkung der Rüstungswirtschaft nehmen konnten. Einheitlichkeit und Führerprinzip waren die Schlagworte, deren Durchsetzung von den jeweiligen Vorsitzern der Kommissionen abhing. Deren Persönlichkeit, Fähigkeiten und Akzeptanz spielten eine nicht zu unterschätzende Rolle, um die Kommissionen zu schlagkräftigen Instrumenten von Krisenund Konfliktmanagement auszubauen. Die in den Rüstungskommissionen vertretenen Behörden und Apparate existierten weiter und es lag in deren Natur, sowohl mit- als auch gegeneinander zu arbeiten, eifersüchtig über eigene Pfründe zu wachen und Besitzstandswahrung zu betreiben, zumal selbst zwischen den Vertretern des Speer-Imperiums auf regionaler Ebene nicht immer Einigkeit über Vorgehensweise und Methoden bestand.195 Speer folgte dem Vorschlag General Waegers, seinen Rüstungsinspekteuren den Vorsitz in den Kommissionen zu übertragen, nur in Ausnahmefällen. In der überwiegenden Zahl rückten die Wehrkreisbeauftragten seiner Ingenieursorganisationen an die Spitze, die in den Kommissionen die Entscheidungsgewalt hatten und Weisungen erteilen konnten.196 An die Spitze der Rüstungskommission IX b berief das RMBM den Spitzenmanager und Generaldirektor des Gustloff-Konzern, Karl Beckurts, der sich der Mitarbeit der regionalen Wirtschaftsspitzen und der Parteiführung sicher sein und als Integrationsfigur gelten konnte. Mit seiner Berufung sollte sicherlich auch die von der Inspektion IX registrierte Verunsicherung der Industrie seit dem Jahreswechsel 1941/42 aufgrund der starken Einberufungen abgefedert werden. Der Wirtschaftsmanager konnte sich offensichtlich des Rückhalts der Partei und insbesondere des Gauleiters versichern.197
193 194 195 196 197
Vgl. BA-MA RW 20-9/17, Bl. 35 Diese Formulierung verwandte das Kommando Eisenach in seinem Kriegstagebuch am 2.10.1942. (Vgl. BA-MA RW 21-17/13, Bl. 9) Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 316 Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 307 Vgl. BArch PK A239, Bild 2109-2176
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KRIEGSBEDINGTE MOBILISIERUNGSSTRATEGIEN DER RÜSTUNGSDIENSTSTELLEN Rüstungskommission im Wehrkreis IX b Vorsitzer: Beckurts Stellvertreter: Oberst Dr. Fix
Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Speer
Rüstungsinspektion Wehrkreis IX Generalmajor Schindke
Rüstungskommandos in Weimar und Eisenach
Rüstungsobmann im Wehrkreis IX Karl Beckurts
Bezirksobmann für Reichsverteidigungsbezirk Thüringen Beckurts
Wehrkreisbeauftragter IX Gauamtsleiter Stützer
Gauamt für Technik, Weimar Gauamtsleiter Stützer
Bezirkslastverteiler Gas Bezirkslastverteiler Strom Boje, Kyser
Landeswirtschaftsamt beim Thüringischen Wirtschaftsamt Ministerpräsident Marschler
Wirtschaftsämter in Städten und Landkreisen
9 Zweig- und Geschäftsstellen
Reichswirtschaftsminister Funk
Gauwirtschaftskammer Thüringen Dr. Thiel
Auftragslenkungsbüro Dr. Thiel
Industrie-Abteilung mit Zweigstellen Beckurts
Reichsarbeitsminister Seldte
Gauarbeitsamt Dr. Wiesel
Arbeitsämter in Städten und Landkreisen
NSDAP
Gauwirtschaftsberater
18 Kreiswirtschaftsberater
Die wichtigsten Organe der Rüstungs- und Kriegswirtschaft im Gau Thüringen (1943), Schema nach Stremmel: Kammern, S. 320
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Die Zusammenarbeit zwischen der Parteiführung und den Wirtschaftsspitzen hatte sich bereits seit den dreißiger Jahren bei der „Arisierung“ des GustloffKonzerns und dessen Ausbau zu einem Rüstungsimperium unter der Leitung des Gauleiters als Stiftungsführer eingespielt, wenngleich es nicht frei von Konflikten war.198 Der Einfluss der Partei auf die Rüstungskommission erfolgte auf Ebene der Ämter- und Personalvernetzung. Der Gauleiter/RVK in Thüringen ließ seine Interessen über seine rechte Hand Walter Escher in der Rüstungskommission vertreten. Als die Kommission bei der Zuteilung von Betriebsstoffen das Prinzip aufstellte, dass Fertigungseinbrüche unter allen Umständen zu vermeiden seien, erhob Escher Einspruch mit dem Hinweis auf die verheerenden Auswirkungen einer weiteren Beschneidung des zivilen Sektors, vor allem bei der Lebensmittelversorgung.199 In der im August 1944 stattgefundenen Sitzung drängte Escher auf eine umfassende Erfassung aller für die Kriegswirtschaft nützlichen Waffen, Geräte, Maschinen, Lagerkapazitäten etc., ohne den zeitlichen oder organisatorischen Rahmen der von nur vier Trupps, bestehend aus je einem Offizier und einem Techniker, durchgeführten Aktion zu bedenken. Hier zeigen sich deutliche Interessengegensätze innerhalb der Kommission. Der unbedingten Steigerung der Rüstungswirtschaft stand die Aufrechterhaltung an der Heimatfront gegenüber, für die der RVK verantwortlich zeichnete. Dass Escher de jure als Vertreter des RVK, nicht als Sprachrohr des Gauleiters auftrat, spielte in der Praxis wohl kaum eine Rolle. Die Differenz zwischen staatlichem RVK-Amt und Parteifunktion war in der Praxis nicht fassbar. Unbestritten trat die Partei in der zweiten Kriegshälfte und hier umso mehr in Erscheinung, wie sich eine Verschlechterung der Kriegssituation abzeichnete.200 Der „totale Krieg“ steigerte den Drang der Partei und ihrer Spitzenfunktionäre zur umfassenden Kontrolle gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme. Die Kreisleiter scheinen ab der zweiten Jahreshälfte 1944 Druck auf die Arbeit der Kommission ausgeübt zu haben, indem sie die Rahmenbedingungen der regionalen Kriegswirtschaft zu ihren Gunsten zu nutzen verstanden und beispielsweise selbstständig Umfragen über Bestandsaufnahmen durchführten. Die Kommission reagierte darauf heftig und stellte gegenüber den Kreisleitungen klar, dass die Lagererfassungen allein von den Rüstungsdienststellen durchgeführt wurden, bei denen die Kreisleiter zwar zur Mitarbeit aufgefordert, eigenständige Schritte jedoch untersagt waren.201 Die neue Konzeption der auf die Gaue 198 199 200
201
Vgl. Stutz: Gustloff-Werke Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 161 Vgl. Hans Mommsen: Die Rückkehr zu den Ursprüngen – Betrachtungen zur inneren Auflösung des Dritten Reiches nach der Niederlage von Stalingrad, in: Hans Mommsen: Von Weimar nach Auschwitz. Zur Geschichte Deutschlands in der Weltkriegsepoche. Ausgewählte Aufsätze, Stuttgart 1999, S. 309-324 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 64
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ausgerichteten Kriegswirtschaftsbehörden in der Mittelinstanz trug zu einer erheblichen Leistungssteigerung der Rüstungs- und Kriegswirtschaft bei, tarierte die nicht den realen Erfordernissen entsprechenden Anweisungen der zentralen Behörden aus, positionierte sich als Gegengewicht und komplementäre Seite des auf Straffung ausgerichteten RMBM und trug damit zur Herrschaftsstabilisierung bei. Die Verklammerung der unterschiedlichen Herrschaftsstränge in und durch die Kommission IX b und die enge personelle und strukturelle Verflechtung von staatlichen, parteilichen und wirtschaftlichen/industriellen Eliten trug dazu ebenso bei wie die Einigkeit in der Zielorientierung bei den kriegs- und rüstungswirtschaftlich wichtigen Themen.
b.
Die Rüstungskommission und das Arbeitskräfteproblem
1943 bilanzierte das Rüstungskommando Eisenach mit Blick auf die kriegswirtschaftliche Lage im Gau Thüringen: „Die allgemeine Lage der Rüstungswirtschaft war gekennzeichnet […] durch […] die zu starke Einberufung. […] Allgemein hat die Arbeitseinsatzlage gegenüber Ende 1942 eine Verschärfung erfahren. Um trotzdem nach Möglichkeit den für die vordringlichsten Wehrmachtsaufträge benötigten Arbeitskräftebedarf zu decken, wurden unter Beteiligung des Kommandos zahlreiche Betriebsüberprüfungen durch die Prüfungssausschüsse der Rüstungskommission durchgeführt. Hierbei wurden vereinzelt angetroffene nicht kriegswichtige Fertigungen unterbunden (Damentaschenbügel-Herstellung). Als wichtigstes Ergebnis dieser Überprüfungen und sonstiger Firmenbesuche ist die gewonnene Erkenntnis, daß eine durchgreifende Auftragsbereinigung stattfinden muß. Anfänge hierzu sind bereits da, genügen jedoch in keiner Weise.“202 Das drängende Problem der Arbeitskräftesituation übernahm die Rüstungskommission IX b von der im WK IX eingesetzten Prüfungskommission unter der Leitung des Rüstungsinspekteurs.203 Eine Bestandsaufnahme der Inspektion aufgrund der Anpassung der Inspektionsbezirke an die Gaugrenzen erfolgte am 1.10.1942. Von den 543 Betrieben innerhalb der „alten“ Inspektion IX mit 329.151 Arbeitskräften zählten noch 400 Betriebe mit 263.024 Kräften zur „neuen“ Inspektion IX.204 Im Inspektionsbereich erfolgte im Dezember 1942 die Zuweisung von 10.668 Arbeitskräften, während sich der Sofortbedarf (ohne Bauvorhaben) von 23.102 auf 19.500 senkte. Der Bedarf der Rüstungsbetriebe (ohne chemische Produktion und Bauvorhaben) stieg im Januar 1943 explosionsartig um 36% auf 26.606205 und pendelte sich 1944 bei einem geprüften
202 203 204 205
BA-MA RW 21-17/14, Bl. 9 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 47, 205 Vgl. BA-MA RW 20-9/13, Bl. 22 Vgl. BA-MA RW 20-9/14, Bl. 9, 13, 24, 27
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Bedarf von ca. 17.000 Kräften ein.206 Die Abstellung von Kräften aus den Rüstungsbetrieben für die Ernteeinbringung in der Landwirtschaft stieß auf zum Teil beträchtlichen Widerstand der Betriebe. Die zunehmenden Verlagerungsaktivitäten von Firmen und Behörden, die eine Übersiedlung in den Gau Thüringen vorantrieben, und der in den Augen der Verantwortlichen dramatisch ansteigende Bedarf im Gau Thüringen stellten die Kommission IX vor erhebliche Probleme.207 Vor diesem Hintergrund entwarf die Rüstungskommission auf einer Sitzung im November 1943 ein neues Verfahren, wonach regional für jeden Arbeitsamtsbezirk und sachlich für bestimmte Industriezweige (z.B. Porzellan) Umsetzungsbeauftragte aufgestellt wurden, die die Umsetzungsvorschläge mit den unterschiedlichen Interessen der örtlichen Dienststellen der Kommission IX b, der Partei und der Wirtschaft so vorbereiteten, dass im Nachhinein keine Einsprüche mehr zu erwarten waren. Die Notwendigkeit zum Konsens überlagerte hier die schon mehrfach beschriebenen polykratischen Strukturen des NS-Herrschaftsgefüges.208 Zu Umsetzungsbeauftragten avancierten die Spitzen der Rüstungskommandos.209 Den durch die Einberufungen entstandenen Druck auf den Arbeitsmarkt versuchte ein Ausschuss der Rüstungskommission IX b unter dem Vorsitz von Beckurts, dem der Rüstungsinspekteur, Vertreter der Rüstungskommandos, der Arbeitsämter im Gau und der Bezirks-Arbeitseinsatzingenieur angehörten, aufzufangen.210 Die Aufgaben der unter dem Rüstungsinspekteur IX 1941 auf Wehrkreisebene errichteten Prüfungskommission gingen auf die bei der Rüstungskommission IX b gegründeten Prüfungskommission über, die in Kooperation mit dem Stab des Generals von Unruh die Firmen im Gau Thüringen auf den Arbeitskräfteeinsatz prüfte und auskämmte.211 Diesem Gremium gehörten Beckurts als Vorsitzer der Rüstungskommission, der Mitarbeiter des Wehrkreisbeauftragten, Ing. Garde, Vertreter der Inspektion IX, der Rüstungskommandos, der Hauptausschüsse, der Arbeitsämter, der GWK und die jeweiligen KWB an. Dadurch wurde der Einfluss der Partei, die sich im Gau aus ideologischen Gründen heraus für eine Aufrechterhaltung auch nicht kriegswichtiger Produktion einsetzte212, gewährleistet.213 Der Modus der Arbeitskräftebeschaffung blieb dabei weitgehend derselbe wie der der Prüfungskommission IX unter Hillert. Die als 206 207 208 209 210 211 212 213
Vgl. BA-MA RW 20-9/17, Bl. 9; BA-MA RW 20-9/18, Bl. 10 Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 13f., 16; BA-MA RW 20-9/14, Bl. 26, 29, 37 Vgl. Hachtmann/Süß: Editorial, in: dies. (Hg.): Hitlers Kommissare, S. 9-27 Vgl. BA-MA RW 21-17/14, Bl. 51f. Vgl. BA-MA RW 21-17/14, Bl. 56f. Vgl. BA-MA RW 21-17/14, Bl. 64-83, 88 Vgl. BA-MA RW 21-17/14, Bl. 55; BA-MA RW 21-62/6, Bl. 31 Vgl. BA-MA RW 21-17/14, Bl. 57, 63
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nicht kriegswichtig erachteten Fertigungszweige wurden stillgelegt. Zusätzlich wurden ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene in der Industrie eingesetzt. Vor dem Hintergrund ständig steigender Anforderungen drängte die Rüstungskommission mit einer richtungsweisenden Forderung auf strukturelle Änderungen: „Es muß daher immer wieder die Forderung erhoben werden, daß der Mittelinstanz die Feststellung des Bedarfs und die Zuweisung überlassen bleibt.“214 Zwei Monate nach dieser Kritik, im Februar 1943, wiederholte die Kommission ihre Position gegenüber dem RMBM: „Es ist dringend erforderlich, an Stelle der zentralen Regelung die bezirkliche Steuerung maßgebend bei der Zuteilung von Arbeitskräften einzuschalten.“215 Im Januar 1943 brach die Zahl der durch die Rüstungskommission IX zugewiesenen Arbeitskräfte auf 5.019 ein, während der bei den Arbeitsämtern angemeldete und anerkannte Sofortbedarf auf 20.755 stieg. Im Februar lag die Versorgungsquote bei 10.820 und der Sofortbedarf bei 25.708 bei dauerhaft hohem Bedarf an Metall- und Facharbeitskräften, so dass die rein quantitative Problematik durch die qualitative Situation verschärft wurde.216 Andererseits gelang es der Kommission, den vordringlichen Bedarf, z.B. Panzerprogramm, Schnellaktion, Versorgungsabwurf, zu decken und die Rüstungswirtschaft im Gau zu effektivieren, so dass bis 1944 das Soll der wichtigsten Fertigungen im Gau Thüringen im Allgemeinen gehalten werden konnte.217 Ein Blick auf die Differenz zwischen beantragter und genehmigter Höhe von Arbeitskräften zeigt, dass die Kommandos in Kooperation mit den Arbeitsämtern und unter der Aufsicht der Kommission über erheblichen Einfluss auf die Steuerung der Arbeitskräftepolitik hatten und Druck auf die Rüstungsindustrie auszuüben vermochten, die sich ihrerseits betriebsintern um Rationalisierungsmaßnahmen bemühen musste, wenn sie die beantragten Kräfte von den Kommandos nicht erhielt.218 Die Beseitigung der Teilung der Kriegswirtschaft in einen zivilen und militärischen Sektor durch den Führererlass 1943 wies den Rüstungskommissionen umfassende Aufgaben und Kompetenzen bei Betriebsumsetzungen und Stilllegungen zu, in denen die Kommission eine Plattform des Interessenausgleichs und der Kompromisse darstellte, mit denen sich die beteiligten militärischen Stellen nur schwer abfinden konnten. Beckurts war sich bewusst, dass Stilllegungen von Betrieben und 214 215 216
217 218
BA-MA RW 20-9/13, Bl. 53 BA-MA RW 20-9/14, Bl. 27 Vgl. BA-MA RW 20-9/14, Bl. 26, 29, 37. Dem grundlegenden Irrtum, eine rein quantitative Aufstockung der Arbeitskräfte folge automatisch eine Erhöhung des Rüstungsausstoßes, hing offensichtlich auch Sauckel nach. (Vgl. dazu die Rede vor dem RV-Ausschuss am 15.8.1944, in: ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 192-212) Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 159f. Vgl. BA-MA RW 21-17/16, Bl. 9
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Umsetzungen von Tausenden von Arbeitskräften im Gau Thüringen ein hochsensibles Aufgabenfeld mit nicht zu unterschätzender politischer Brisanz darstellten, das die System- und Herrschaftsstabilisierung in ihren ideologischen Grundfesten berührte.219 Die tiefen volks- und betriebswirtschaftlichen Eingriffe brachten erhebliche Folgen für einzelne Branchen, Regionen, soziale Gruppen, Einkommensverhältnisse und Zukunftsperspektiven.220 Beckurts schwenkte in diesem Spannungsfeld auf die Position des Generalbevollmächtigten für Betriebsumsetzungen221, Ministerialrat Wissmann, ein, der als eine Art Kompromisslösung in zahlreichen Stilllegungsfällen die Erhaltung von Rumpfbetrieben zugestand, während die Inspektion IX eine radikalere Position vertrat und auf umfassende Gesamtstilllegungen drängte.222 Eine solche Haltung lief den Interessen der Kreiskommissionen, die vom Gauleiter im Sommer 1944 errichtet wurden, entgegen. Die Kreisleiter feuerte Sauckel an, den Druck auf die Rüstungsindustrie zu verstärken und Arbeitskräfte in erhöhtem Maße für die Wehrmachteinziehung freizumachen.223
c.
Die Rüstungskommission im Spannungsfeld der Arbeitseinsatzpolitik
Den Einfluss der Partei auf die Rüstungswirtschaft konnte Speer kaum für sich nutzen, auch wenn er am 10.8.1944 vor den Chefs der Rüstungskommissionen erklärte, die Begeisterung, mit der die Gauleiter bereit seien, die Arbeit der Kommissionen zu unterstützen, sei außerordentlich. Und Speer kündigte an, die Aktivierung der Partei für die in seinem Machtbereich liegenden Aufgaben müsse dringend voranschreiten. Solche Worte waren, verbunden mit dem Ansehensverlust Speers infolge des 20.7.1944, Wasser auf die Mühlen der Parteistellen. Speer, der die Aufgaben der Rüstungswirtschaft vor den Vorsitzern der Rüstungskommissionen als „politische Aufgabe“ bezeichnete, verfolgte eine Doppelstrategie. Mit der Einbindung der Parteidienststellen in die Kriegswirtschaft wollte er deren Dynamik und Mobilisierungsfähigkeit für die Rüstungswirtschaft dienstbar machen und damit bei der Senkung des Krankenstandes, Beseitigung des „Bummelantenunwesens“ und des Absenkens von Fluktuationen beginnen. Mit der Anlehnung des RMRK an die Par219 220 221 222 223
Vgl. „Führer-Erlasse“, S. 366f. Vgl. Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 352 Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 14f.; BA-MA RW 20-9/17, Bl. 38; Müller: Speer und die Rüstungspolitik, S. 351-356 Vgl. BA-MA RW20-9/19, Bl. 158; BA-MA RW 21-62/3, Bl. 61 Auf einer eiligst einberufenen Sitzung des RV-Ausschusses, an der neben der Rüstungskommission Spitzenvertreter aus Partei und Wehrmacht teilnahmen, äußerte sich Sauckel am 15.8.1944: „Ich verlange insbesondere als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, daß in meinem Gau ganz besonders vorbildlich gearbeitet wird.“ (ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 189)
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tei trat die Rüstungswirtschaft in eine neue Phase, in der Speer die „Partei mit ihren Institutionen vor [seinen] […] Wagen spannen und sie in diese Aufgaben verantwortlich“224 einzuschalten gedachte. Speers Konzept ging nicht auf, wie er sehr deutlich während einer Tagung der Rüstungsobmänner am 31.8.1944 in Berlin unter dem Beifall der Anwesenden mit Blick auf die Goebbels-Aktion und an die Partei gerichtet formulierte: „Die letzten Tage haben uns leider gezeigt – Sie wissen, daß ich immer offen spreche –, daß auf vielen Gebieten der Rüstung und Kriegsproduktion nicht[s] so eingeschätzt wird, wie es notwendig ist. Wir haben durch den absolut anerkennenswerten guten Willen der Parteigenossen, von Kreisleitern und deren Organen, von den Gauobmännern der Deutschen Arbeitsfront, in unsere Rüstung ein Durcheinander hineingebracht bekommen in den letzten Tagen, das zum Himmel stinkt! [Allgemeiner Zwischenruf: Sehr richtig!] Ich werde hieraus einige Konsequenzen ziehen müssen. Ich weiß nicht, wie weit meine Warnungsrufe hier beachtet werden. Die Rüstung und Kriegsproduktion ist ein kompliziertes Gebilde und diejenigen, die sich nicht durch eine Arbeit von Jahren in diesem komplizierten Gebilde auskennen, können auch beim besten Willen, wenn sie in dieses Gebilde eingreifen, nicht helfen, sondern durch ganz kleine Fertigungseinbrüche katastrophale Folgen auslösen.“225 Die sich zuspitzende Arbeitskräftesituation zeigt neben Problemlösungsstrategien und Konfliktmanagement die Leistungsfähigkeit der regionalen mit der Kriegswirtschaft befassten Behörden. Trotz der Belastungen und des Drucks durch die Wehrersatzinspektionen, die Partei und zentral gelenkte Steuerungselemente sowie weitere strukturelle, erheblichen dynamischen Prozessen unterworfenen Rahmenbedingungen zeitigte eine am 8.9.1944 beim Gauarbeitsamt Thüringen durchgeführte Planungsbesprechung über die Arbeitseinsatzlage im Gau Thüringen ein erstaunliches Ergebnis. Infolge der Eingänge aus den laufenden Meldepflichtaktionen konnte das Ergebnis der Vorplanungen im Gau Thüringen mit 6.440 Arbeitskräften (120%) erreicht werden. Die September-Planung der Wehrersatzinspektion sah ein Ergebnis von 7.176 Kräften vor, von denen der Spitzenbedarf von 6.984 Arbeitskräften gedeckt werden konnte. Bis auf den Engpassort Suhl wurden die aus der Einberufung von 5.813 Wehrpflichtigen entstandenen Arbeitsausfälle im August 1944 abgedeckt.226 Diese „Erfolgsmeldungen“, die aus der GoebbelsAktion und den darauf folgenden Aktionismus Speers resultierten227, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Arbeitskräfteproblem das vor-
224 225 226 227
BArch R3/1555, Bl. 54 BArch R3/1555, Bl. 168 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 7f. Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 17
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dringlichste der regionalen Rüstungswirtschaft darstellte und erhebliche Energien band.228 Die Ernennung Goebbels´ zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz am 25.7.1944 übte auf die Rüstungskommission IX b einen Anpassungsdruck aus und führte zu weiteren, auf die Steigerung der Rüstungsproduktion gerichteten Maßnahmen.229 Bereits einen Tag später verpflichtete Speer seine Dienststellen zur Abgabe von 30% ihres Personals, die Rüstungsbetriebe zum Abbau von 30% der Verwaltungsstellen bis zum 1.9.1944 und sofortiger Überweisung in die Rüstungswirtschaft.230 Die Durchführung der Aktion oblag den Arbeitseinsatzingenieuren.231 Escher kündigte daraufhin in der August-Sitzung der Rüstungskommission an, eine ebensolche Kürzung bei sämtlichen Behörden der Mittelstufe vorzunehmen.232 Nicht zufällig wurden mit Erlass vom 2.8.1944 die Aufgaben der Rüstungs(unter)kommissionen noch einmal erheblich durch – wie Speer es selbst formulierte – „scharfe Eingriffe in das gesamte Arbeitsleben“233 ausgedehnt. Sie verantworteten die Senkung des Krankenstandes, die Bekämpfung des „Bummelantenunwesens“, die Erhöhung der Arbeitszeit in den Betrieben, die Auskämmung des zivilen Sektors, die Intensivierung der Kriegsheimarbeit und die Einreichung von Stilllegungs- und Umsetzungsvorschlägen. In diesen Gebieten arbeite die Kommission IX b zunehmend mit der Partei zusammen, die förmlich darauf brannte, ihrer Mobilisierungsfähigkeit und den radikalen Positionen ein Ventil zu öffnen. Sauckel rechnete in diesem Zusammenhang auf einer Sitzung des RV-Ausschusses, an der die Rüstungskommission und Spitzenvertreter aus Partei und Wehrmacht teilnahmen, vor, dass der Rüstungssektor des Speer-Bereiches 769.000 ukStellungen der Jahrgänge 1906 bis 1927 hortete, die eingezogen werden könnten.234 Am 22.8.1944 erging ein Schreiben Speers an die Vorsitzer der Rüstungskommissionen, mit denen er den wilden Aktionismus Goebbels´ auf
228 229
230 231
232 233 234
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 13; BA-MA RW 20-9/18, Bl. 14 Vgl. BArch R3/1635, Bl. 2-4; die Sammlung von Erlassen und Anordnungen Speers zur Durchführung des totalen Krieges auf allen Gebieten der Rüstung und Kriegsproduktion, in: BArch R3/1763 Vgl. BArch R3/1555, Bl. 56 Vgl. BArch R3/1596, Bl. 110; BArch R3/384, n. pag.; ThHStAW, Thüringisches Wirtschaftsministerium, Nr. 4290, Bl. 19; BArch R3/1979, Bl. 6-10, 12f., 38-40, 100278 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 112 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 73; vgl. ausführlich zum Folgenden Bl. 74-78 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 190-194; Speer: Erinnerungen, S. 276
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die Rüstungswirtschaft übertrug235, um den Parteistellen zuvorzukommen, die den Speer-Bereich in der Mittelinstanz zunehmend unter Druck setzten. Von den von Goebbels durchgeführten Auskämmungsaktionen wurden vorwiegend „deutsche Frauen“ erfasst. Um diese an für sie „geeignete Rüstungsfertigungen“ zu bringen, mussten in- und ausländische Arbeitskräfte und Ostarbeiterinnen aus der Produktion herausgelöst und in schwerer körperlicher Arbeit in Bergbau, Eisen schaffender Industrie, Panzer- und Schiffsbau und ähnlichen Fertigungszweigen eingesetzt werden. Die Durchführung dieser Maßnahmen übertrug Speer den Vorsitzern der Rüstungskommissionen, die er anwies, die in körperlich leichteren „Fertigungen bei den Betrieben eingesetzten männlichen Arbeitskräfte, Kriegsgefangene und Ostarbeiterinnen […] sofort den Rüstungsdienststellen […] zu melden.“236 Diese koordinierten den Austausch der Arbeitskräfte und schickten die Vorgenannten an jene Produktionsstätten, an denen „deutsche Frauen nicht eingesetzt werden können.“237 Am 4.7.1944 wies der RMI wiederholt darauf hin, dass den Vorsitzern die Koordination des Arbeitseinsatzes übertragen wurde und die Präsidenten der Gauarbeitsämter den Anordnungen der Vorsitzer in diesen Fragen Folge leisten müssen.238 Mit der Unterstellung der Gauarbeitsämter unter die Rüstungskommissionen übernahmen diese vollständig die Kontrolle des regionalen Arbeitseinsatzes. Mit dem Führererlass über die Konzentration der Rüstung und Kriegsproduktion vom 19.6.1944 und den am gleichen Tag erlassenen fünf Anordnungen zum Erlass wurde versucht, durch intensive Rationalisierungsmaßnahmen der Rüstungswirtschaft weitere Impulse zu geben.239 Das im Frühjahr 1944 gescheiterte Arbeitseinsatzprojekt zeigte im Gau Thüringen erhebliche Auswirkungen auf die Rüstungswirtschaft und die Politik der nicht konfliktfrei agierenden, aber in der Zielorientierung im Wesentlichen übereinstimmenden Rüstungs-, Partei-, Wehrmacht-, Staats- und Arbeitseinsatzdienststellen.240 Im Februar 1944 meldete das Gauarbeitsamt den Rüstungskommandos, dass gerade einmal acht Prozent der erwarteten 3.500 ausländischen Arbeitskräfte in den Gau gebracht worden waren, so dass in den Kommandobereichen Weimar und Eisenach der Fehlbetrag durch eigene Mobilisierungs- und Auskämmaktionen beschafft werden musste. Da bereits das Februarsoll im Bereich des Rüstungskommandos Eisenach nicht vollständig hatte erreicht werden können und der Rotzettelbedarf 1944 erkennbar anstieg, sahen sich die Kommandos einem nicht mehr zu bewälti235 236 237 238 239 240
Vgl. BArch R3/1555 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 92 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 92 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 52 Vgl. BArch R3/98, Bl. 20-30; BArch R3/1742, Bl. 203f.; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 312, Bl. 54-66 Vgl. BA-MA RW 21-62/12, Bl. 8
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genden Arbeitskräfteproblem gegenüber, das nach neuen Problemlösungsstrategien verlangte.241 Den zunehmend selbstständiger agierenden Rüstungskommandos bot sich unter diesen Rahmenbedingungen ein Gestaltungsspielraum, den sie für sich nutzen konnten. Sie trieben energisch den Arbeitseinsatz von Justizgefangenen voran und forderten vehement und noch vor der von Sauckel und Seldte erlassenen Verordnung vom 31.8.1944242 die Einführung der 60-Stunden-Woche.243 Bereits 1943 ergaben sich infolge des sich verschärfenden Luftkrieges neue Aufgabenfelder, für deren Bewältigung die Kommandos Informationsdienste und Erkundungstrupps als Präventivund Hilfsmaßnahmen bei Fliegerschäden aufstellten.244 In diesem Spannungsfeld konnten sich die Kommandos des Rückhalts der Gauleitung versichern. Im August 1944, nachdem Goebbels zum Reichbevollmächtigten aufgestiegen war, erklärte Sauckel vor dem RV-Ausschuss, der Rüstungskommission und Vertretern aus Partei und Wehrmacht mit Blick auf die Leistungen in der Rüstungsindustrie, dass in Thüringen noch lange nicht das geleistet werde, was geleistet werden könne. Weiter heißt es: „Und ich möchte Sie hier in diesem Gau zu der Härte bringen, aus dem deutschen und aus dem ausländischen Arbeiter herauszuholen, was herausgeholt werden kann. Das sind wir unseren Soldaten schuldig.“245 Solche Worte wurden von der Partei nur zu gerne vernommen und in die Tat umgesetzt. Speer drängte zwar auf eine weitgehende Verschonung der Rüstungsindustrie, blieb aber ohne Erfolg und machte die Partei für die Einbrüche in der Rüstung verantwortlich.
d.
Hilfsmaßnahmen zur Aktivierung der Arbeitskräfte
Im Juni 1944 arrangierte sich Speer mit Sauckel und erreichte eine Vereinbarung, wonach künftig den Vorsitzern der Rüstungskommissionen auch in Fragen des Arbeitseinsatzes volle Entscheidungsbefugnis eingeräumt wurde.246 Zu diesem Zeitpunkt meldete das Gauarbeitsamt Thüringen der Rüstungskommission einen ungedeckten Bedarf von 16.900 Arbeitskräften, von denen 37% auf die Vorrangstufen entfielen. Durch erhöhte Zuweisung und den Rückgriff auf einige Vorrangstufen ging der ungedeckte Rotzettel-
241 242 243 244 245 246
Vgl. BA-MA RW 21-17/15, Bl. 41; ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 195 Vgl. RGBl I, 1944, S. 191f. Vgl. BA-MA RW 46/450, n. pag.; BA-MA RW 21-62/2, Bl. 20f. Vgl. BA-MA RW 20-9/15, Bl. 13 ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 205 Vgl. BArch R3/1597 sowie Speers Erlass betreffend die Mittelinstanz vom 22.6.1944, in: BArch R3/1551
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Bedarf247 um ein Drittel zurück, so dass die Zahl der für den Rotzettel-Bedarf gestellten Kräfte etwa 1.600 Arbeitskräfte betrug.248 Ausländertransporte aus Frankreich und Italien trafen nur in geringen Mengen im Gau ein. Lediglich aus den besetzten Ostgebieten kamen einige Arbeitskräfte nach Thüringen, die jedoch fast durchweg für Sondervorhaben bestimmt waren.249 Die Zahl der durch die Aktion „Betriebsumsetzung Rüstung“ gewonnenen Arbeitskräfte brach gegenüber den Vormonaten ein. Vor diesem Hintergrund stieg die Bedeutung der von der Kommission hoch eingestuften Heimarbeit im Rahmen des Arbeitseinsatzproblems in Thüringen in der zweiten Kriegshälfte deutlich an. Im Juni 1944 wurden 36.800 Arbeitsstunden an 81 Betriebe in Heimarbeiteraufträge neu vergeben, wobei den zur Verfügung stehenden Heimarbeiterkräften jedoch noch ein bedeutender Mangel an Heimarbeitsaufträgen aus der unmittelbaren Rüstungsfertigung gegenüberstand.250 Vizepräsident Schneider von der GWK-Zweigstelle Sonneberg avancierte zum Leiter der im Sommer 1944 errichteten Arbeitsgruppe Heimarbeit in der Rüstungskommission, die zwei Hauptprobleme zu bewältigen hatte: Arbeit beschaffen und Arbeit zielorientiert und effektiv verteilen. Zur Behebung der Transportschwierigkeiten von den Heimarbeitsverlegern zu den Heimarbeitern bzw. vom Werk zu den Heimarbeitsstuben schaltete die Arbeitsgruppe um Schneider, der im Juni 1944 während einer Tagung der Rüstungskommission seinen Arbeitsplan, der vor allem die Frauenarbeit aktivieren sollte, vorstellte, die HJ ein. Das Programm gliederte sich in die beiden Hauptpunkte „Werbung von Arbeitskräften“ und „Werbung von Aufträgen“, die Aufstellung von Werbelisten erfolgte durch die Einschaltung der Partei (Kreis-, Ortsgruppen-, Blockleiter, Kreisredner, NS-Frauenschaft, DAF), die vom Gauleiter angetrieben wurde, die Mobilisierung vermuteter Arbeitskräftereserven zu intensivieren.251 Die Betriebe sollten durch Werbung unter Einschaltung der Betriebs-Arbeitseinsatzingenieure oder der örtlichen Arbeitsgruppen angehalten werden, die von der Kommission bevorzugten Heimarbeiterstuben zu bilden, um unter Vermeidung bürokratischer Zwänge und binnen kurzer Zeit Arbeitskräfte für die vordringlichen Fertigungen freizumachen. Diese Maßnahmen flankierten entsprechende Propagandamaßnahmen und der Druck der Arbeitsämter und Prüfungsausschüsse. Beckurts ap247 248 249 250
251
Vgl. zur Neuregelung des Rotzettel-Verfahrens im November 1943 Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 889 Der Arbeitskräftemangel im WK IX belief sich im Frühjahr 1944 auf 30.000. (Vgl. BA-MA RW 46/499, Bl. 14; BA-MA RW 20-9/19, Bl. 59, 61f.) Vgl. Moczarski/Post/Weiß (Hg.): Zwangsarbeit Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 160f. Der Optimismus rührte von einer in Dresden durchgeführten Tagung, auf der „vielseitige Anregungen hinsichtlich der Überwindung aller bisher aufgetretenen Schwierigkeiten“ gegeben wurden. Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 211
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pellierte an die in der Rüstungskommission vertretenen Dienststellen, die Arbeitsgruppe Heimarbeit bei der Durchführung ihrer Maßnahmen nach Kräften zu unterstützen.252 Im Juli 1944 hatten von 72 meldenden Firmen im Bereich des Rüstungskommandos Weimar 18 Heimarbeit ausgegeben, 42 erstatteten Fehlanzeige und 12 wollten Heimarbeit neu vergeben – ein insgesamt ernüchterndes Ergebnis, das die Ressentiments aufgrund der mangelnden Attraktivität gegenüber dieser vom Regime entworfenen Hilfsmaßnahme widerspiegelt. Durch die Verstärkung der auf die Facharbeitermobilisierung ausgerichteten Anlernmaßnahmen von bisher 1.000 auf im Sommer 1944 4.000 Arbeitskräften hoffte die Kommission, allmählich Facharbeitskräfte freistellen zu können. Die von den Betrieben angeforderten Meldungen bezüglich der Kriegsheimarbeit brachten nach Aussagen der Kommission zum Teil sehr beachtliche Vorschläge, die von der Kommission ausgewertet und auf deren Umsetzbarkeit geprüft wurden. Bis zum 29.8.1944 verlagerten im Gau Thüringen 190 Firmen insgesamt 430.000 Arbeitsstunden in die Heimarbeit und gaben damit dem Druck nach, dass auf anderem Wege Arbeitskräfte nicht mehr zu bekommen waren. Anfang September 1944 standen der Rüstungskommission für den Einsatz noch 5.300 Meldepflichtige zur Verfügung, in 20 Heimarbeitsstuben wurden im Juli 750 Arbeitskräfte beschäftigt, Ende August erhöhte sich deren Zahl auf 50. Soweit für den Einsatz von Arbeitskräften eine Rangfolge notwendig war, forderte die Kommission in erster Linie den Einsatz von meldepflichtigen Frauen, die für einen Einsatz in betrieblicher Fertigung nicht geeignet waren, ehe auf die aus dem freiwilligen Ehrendienst zur Verfügung stehenden Kräfte zurückgegriffen wurde. Aufgrund dieser Vorgehensweise entgegenstehenden Auffassungen einiger politischer Stellen kontaktierte die Kommission den Gauleiter. Beckurts war sich des Konfliktpotenzials des Fraueneinsatzes in den Heimarbeitstuben durchaus bewusst, wenn er forderte, dass die in der Wirtschaft eingesetzten Frauen auf sozialen Gebieten in gewisser Weise entschädigt und mit Erleichterungen im Alltag bedacht werden müssten. Er versuchte über die Einbindung der DAF eine möglichst breite Basis zu schaffen, um das heikle ideologische Problem der berufstätigen „deutschen“ Frau abzufedern.253 Die angesprochene Meldepflicht-Aktion führte zur Erfassung von 30.000 Frauen – ein auf den ersten Blick weit über den Erwartungen liegendes „Ergebnis“. Davon prüfte das Gauarbeitsamt 15.000 und erklärte 7.000 für einsatzfähig, wovon bis September 1944 nach Schätzungen des Gauarbeitsamts 4.000 bis 5.000 vorwiegend in der Kriegsheimarbeit zum Einsatz kamen. In der Gesamtheit rechnete das Gauarbeitsamt mit der wohl sehr optimistischen Zahl von 12.000 Frauen, die aufgrund der Aktion erfasst und in die Wirtschaft umge252 253
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 115 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 60
348
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setzt werden sollten.254 In dieselbe Richtung stieß der zum Wehrkreisbeauftragten avancierte Gauamtsleiter Stützer aus der Thüringer Gauleitung, als er auf der Sitzung „Aktion Hermann Göring“ des Hauptausschusses Waffen (ehemals Programm 88) in der Weimarhalle am 20.9.1944 für die Mobilisierung des letzten Einsatzes die Zahl von einer Million Arbeitskräfte, insbesondere Frauen, nannte.255 Die Betriebe stellten sich eher zögerlich auf die Kriegsheimarbeit ein. Die Arbeitsämter horteten im März 1944 noch mehr Kräfte, als die Betriebe für Heimarbeit anforderten und erst mit der sich in der zweiten Jahreshälfte 1944 durchsetzenden Erkenntnis, dass die Heimarbeit eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, überhaupt noch Arbeitskräfte zu erhalten, sank die anfängliche Zurückhaltung der Betriebe.256 Die Aktivierung des Fraueneinsatzes in der Rüstungsindustrie blieb vor allem eine Domäne der Parteistellen, der Inspektion IX und der Gauleitung. Sauckel beantragte im Sommer 1944 bei Bormann, in den Kreisen und Ortsgruppen einen Verbindungsmann bzw. Beauftragten für das zuständige Arbeitsamt zu berufen, um den Fraueneinsatz auf organisatorisch bessere Grundlagen zu stellen. Die Kreisleiter und Ortsgruppenführer wies Sauckel an, die durch die (zweite) Meldepflichtaktion 1944 erfassten Frauen auch tatsächlich in den Betrieben unterzubringen, sie ganztätig in den Betrieben zu beschäftigen und alle Frauen ohne Ausnahme den Arbeitsämtern zu melden.257 Die Verbindungsmänner der Kreisleiter erfassten gemeinsam mit den Ortsgruppenleitern diejenigen Personen, auch solche, die aufgrund von Behörden- und Betriebsverlagerungen in den Gau Thüringen gelangt und nicht polizeilich gemeldet waren, denen nach Ansicht der Partei ein Arbeitseinsatz zugemutet werden konnte. Weitere Hilfsmittel der Kommission lagen in der Aktivierung von Lazarettinsassen und im ideologisch problematischen Einsatz von Strafgefangenen in der Rüstungsindustrie.258. Im Bereich des Rüstungskommandos Eisenach übernahmen Lazarettinsassen im Juli 1944 186.000 Arbeitsstunden. Im August 1944 lag die Zahl im Bereich des Rüstungskommandos Weimar bei 168.000 Stunden. Eine weitere Steigerung des Gefangeneneinsatzes schien aus Sicht der Inspektion IX, die Verpflegungszulagen für die Arbeiter gewährte und gleichzeitig nach eigenem Bekunden unter Druck arbeiten ließ, nicht mehr möglich, weshalb die Inspektion unge254 255 256 257
258
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 61 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 39 Vgl. BA-MA RW 21-17/15, Bl. 42; BA-MA RW 21-62/12, Bl. 43 Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 192, Bl. 197f., 203; dazu die Studie von Ludwig Eiber: Frauen in der Kriegsindustrie. Arbeitsbedingungen, Lebensumstände und Protestverhalten, in: Broszat u.a. (Hg.): Bayern in der NS-Zeit, Bd. 3: Broszat/Fröhlich/Grossmann (Hg.): Bayern in der NS-Zeit III. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil B, S. 569-643 Vgl. Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 818-820
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duldig die Verlagerung von Gefangenen aus dem Osten nach der Auflösung von dortigen Lagern erwartete.259 Die Organisation des Arbeitseinsatzes von Strafgefangenen lief über den Generalstaatsanwalt in Kassel für den Bereich der Rüstungskommission IX a, über die Staatsanwaltschaft Jena für den Bereich IX b. Die Inspektion IX bewertete die Kooperation als gut und drängte auf eine weitere Intensivierung der Maßnahmen. Als Voraussetzung für die Zuweisung von Gefangenen, die meist gegen die Kriegswirtschaftsverordnung verstoßen hatten, als Arbeitskräfte mussten Unterkünfte, Kochgelegenheiten und Drahtzaun zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich des Kommandos Weimar arbeiteten im Juli 1944 von den 1.120 Insassen der Strafanstalten 668 in der Rüstungsfertigung, 122 an Luftschutzbauten, 135 waren mit sonstigen Arbeiten beschäftigt und der Rest aufgrund Krankheit nicht arbeitsfähig.260 Die vom OKW an die Stalags ergangene Weisung, nach der die Bestellung eines Arbeitseinsatz-Offiziers eine Leistungssteigerung der internierten Arbeitskräfte erwirken sollte, wurde vom Gauarbeitsamt für den Gau Thüringen aufgrund des Nebeneinanders zahlreicher Kommissionen und Behörden abgelehnt. Sondermaßnahmen, Doppelarbeit und die Errichtung von Behörden und Kommissionen auf Gauebene bildeten ein Wesensmerkmal auch der regionalen Kriegswirtschaftsorganisation unter Führung der Rüstungskommission IX b. Die Kommission bewegte sich in einem komplexen und komplizierten, vertikalen und horizontalen Spannungsfeld von Arbeitskräftebedarf, Erhaltung und Steigerung der Produktionsleistung, regionalen Wehrmachteinziehungen, Anforderungen und Weisungen zentraler Stellen und regional von der Kommission und denen in ihr vertretenen Behörden deutlich besser wahrnehm- und regulierbaren kriegswirtschaftlichen Gemengelagen und trug durch ihre Effizienz, Mobilisierungsfähigkeit und personelle Vernetzung mit staatlichen, parteilichen und wirtschaftlichen Organen in erheblichem Maße zur Herrschaftsstabilisierung in der Region bei. Im Spannungsfeld der regionalen, mit der Kriegswirtschaft befassten Behörden aus Partei, Staat und Wirtschaft stellte die Kommission aufgrund integrierender institutioneller Elemente den Kern der Kriegswirtschaftsorganisation im Gau Thüringen dar, eine unentbehrliche Schaltstelle, deren Gestaltungsspielraum in dem Maße zunahm, in dem wirtschaftspolitische Entscheidungen vor Ort und möglichst rasch umgesetzt werden mussten.261 Das von Ralf Stremmel diagnostizierte 259 260 261
Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 63, 114, 159 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 114 Dem Fazit Stremmels (Kammern, S: 319-321), die Kommissionen konnten die ihnen gestellten Aufgaben kaum erfüllen und nur im Bereich des Arbeitseinsatzes einige Koordinationserfolge vorweisen, kann auf Grundlage des derzeitigen Forschungsstandes und der Ergebnisse für Thüringen nicht zugestimmt werden. (Vgl. zu diesem Aspekt die Ergebnisse bei Peter: Rüstungspolitik)
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„anarchisch-chaotisch(e)“262 Beziehungsgeflecht trifft nur einen Teil der regionalen Rüstungs- und Kriegswirtschaftsproduktion im Gau Thüringen. Wie gezeigt werden konnte, überwogen gaubezogene Binde- und Integrationskräfte, die in hohem Maße zur Leistungsfähigkeit und Stabilität der regionalen Kriegswirtschaftsorganisation beitrugen.
e.
Die Errichtung der Gau-Prüfungsausschüsse
Die eng miteinander verzahnten Aufgabenbereiche von RMBM und GBA machten eine Kooperation und eine von beiden Seiten akzeptable Abgrenzung der Aufgabenbereiche notwendig, die am 1.12.1942 in eine Fixierung der „Zusammenarbeit im Arbeitseinsatz für die Rüstung“ mündete.263 Die bedeutende Absprache regelte die zentralen und regionalen Aufgaben von RMBM und GBA. Entsprechend seiner Gesamtverantwortung für den Rüstungsablauf entschied in allen Fragen der Rangfolge von Rüstungsaufgaben und der Dringlichkeit der Versorgung der Rüstungsprogramme mit Arbeitskräften allein der RMBM. Rahmenkontingente für die Zuweisung von Arbeitskräften für die einzelnen Rüstungsprogramme entwarf das Amt „Zentrale Planung“, das nach der Entmachtung des RWM mit Führererlass vom 2.9.1943 im von Speer kontrollierten und von Hans Kehrl geleiteten Planungsamt, das Rohstoffverteilung und Arbeitskräfteplanungen überwachte und zu einer Schaltzentrale der Kriegswirtschaft wurde, aufging. Parallel dazu bestand das „Rotzettelverfahren“ weiter fort. Die Bereitstellung und Lenkung der Arbeitskräfte entsprechend der rüstungswirtschaftlichen Erfordernisse, die das RMBM festlegte, erfolgt durch den GBA. Von eigentlicher Bedeutung waren die Bestimmungen für die Mittelinstanz, die die Vorsitzer der Rüstungskommissionen zu nahezu Alleinverantwortlichen in allen Fragen im Bereich der Rüstung, die regional auftraten und damit das nationalsozialistische Führerprinzip in diesem Sektor bestätigte, machte. Sie entschieden über den Einsatz eingesparter Arbeitskräfte und bei Einsprüchen von Betrieben oder betreuenden Dienststellen und nach Verständigung mit den Präsidenten der LAÄ über Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit überbetrieblicher Umsetzungen innerhalb der gleichen Wehrmachtfertigung. Die Rüstungsdienststellen wurden maßgeblich beteiligt, wenn durch Maßnahmen der Einsatzdienststellen der Ablauf der betrieblichen Rüstungsfertigungen wesentlich berührt und ein rationeller Einsatz gefördert wurde. Die bezirklichen Arbeitseinsatzdienststellen führten die Deckung des Rüstungsbedarfs nach den Weisungen des GBA durch. Dazu prüften sie den bei ihnen von den Rüstungsbetrieben anzumeldenden Normalbedarf, stimmten ihn mit den zentral 262 263
Stremmel: Kammern, S. 319 Vgl. zum Folgenden ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 3135
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vorgegebenen Bedarfszahlen ab und erstellten einen Deckungsplan unter Berücksichtigung der lokalen Rahmenbedingungen. Für die Durchführung von Einzelaufgaben, die für den Ablauf der Rüstungsproduktion von besonderer Bedeutung waren, errichteten die Vorsitzer der Rüstungskommissionen unter Leitung von Angehörigen der Arbeitseinsatzverwaltung, die im Einverständnis mit den Präsidenten der LAÄ berufen wurden, Prüfungsausschüsse. Sie wurden auf Betreiben der Arbeitseinsatzdienststellen tätig, bündelten in der Mittelinstanz parallel zu den Gauleitern als GBA-Unterbau die Arbeitseinsatzkräftepolitik, erhielten Kompetenzen bei der Prüfung größerer zusätzlicher Bedarfsanforderung, insbesondere wenn „gegen einen zentral aufgegebenen Bedarf Zweifel“264 bestanden, und trugen damit erheblich zur Dezentralisierung des Arbeitseinsatzes auf die Gaufunktionen bei. Die Ausgangsbedingungen der Prüfungsausschüsse im Gau Thüringen hatten zum Zeitpunkt ihrer Errichtung eine dramatische Verschärfung erfahren. Das Rüstungskommando Eisenach meldete im Frühjahr 1944 ein erhebliches Anschwellen des von den Betrieben gemeldeten Arbeitskräftebedarfs, der durch die scharfen Prüfungsmaßnahmen des Rüstungskommandos zwar um die Hälfte herabgedrückt werden konnte, aber immer noch einen derart hohen Stand aufwies, der nicht befriedigt werden konnte, zumal auch in den Bereichen Vorrangstufe und Spitzenbedarf aufgrund der höheren Einstufung des Jägerprogramms im Gau kaum ausländische Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Die Rüstungsdienststellen führten zusammen mit den Arbeitseinsatzdienststellen Auskämmaktionen auch im zivilen Sektor und in der nachrangigen Rüstungsfertigung durch, um Kräfte für die wichtigste Rüstungsproduktion freizumachen. Und mit anderen beteiligten Dienststellen betrieben die Rüstungsdienststellen die Mobilisierung, die nach eigenem Bekunden dem Herausholen der „letzten Reserven der Betriebe“ gleichkam, durch die Erhöhung der Arbeitszeit und das Herabsenken der Fehlstunden. Das Aufgabengebiet der Ausschüsse umfasste die Grundlagenprüfung bei innerbetrieblichen Ausgleichsmaßnahmen zur Abdeckung größeren Arbeitskräftebedarfs, die Durchführung von Auskämmaktionen, die infolge von Dringlichkeitsverlagerungen der Rüstungsprogramme, Änderungen der Beschäftigungs-, Auftrags, Rohstoff- und Energielage auftraten, und die Kontrolle der Beschäftigungsstrukturen (Facharbeiter-, Ausländer-, Frauenanteile). Dazu erstellten die Ausschüsse statistische Unterlagen, stellten Fertigungsprogramme auf und kontrollierten Arbeits- und Produktionsweise. Sie setzten sich aus Vertretern der Rüstungsinspektion und Arbeitseinsatzverwaltung, dem Wehrkreisbeauftragten und Rüstungsobmann, dem Bezirks-Arbeitseinsatzingenieur und weiteren Sachverständigen zusammen und wurden durch die Arbeitseinsatz264
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 491, Bl. 34; vgl. auch BArch R3/466
352
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dienststellen aktiviert. Für die Rüstungskommission IX b errichtete daraufhin Beckurts fünf Gau-Prüfungsausschüsse auf Basis zusammengefasster Arbeitsamtbezirke und beauftragte sie mit der Arbeitskräfteüberprüfung in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitskräften265 GauPrüfungsausschuss I II
Arbeitsamtbezirk
Leiter
Altenberg, Gera, Jena
Regierungsrat Dr. Hartmann, Arbeitsamt Weimar Regierungsdirektor Dr. Mey, Arbeitsamt Erfurt Oberregierungsrat Wurthmann, Arbeitsamt Eisenach Regierungsrat Dr. Wöhler, Arbeitsamt Sonneberg Generalleutnant a.D. Auer, Suhl
III
Nordhausen, Mühlhausen, Heiligenstadt Gotha, Erfurt, Weimar
IV
Eisenach, Saalfeld
V
Suhl, Meiningen, Sonneberg, Arnstadt
Auf der unteren Ebene avancierten die Leiter der Arbeitsämter zu Chefs der Prüfungsausschüsse und führten Firmenkontrollen (mit bis zu 100 Beschäftigten) durch.266 Die Aufgabe der Prüfungsausschüsse bestand in der sehr vage formulierten „Überprüfung des Arbeitseinsatzes im weitesten Sinne“267 und schloss die Berechtigung zur ständigen Betriebskontrolle ein. Die jeweils als Sachverständige Eingesetzten wurden vom Wehrkreisbeauftragten und Rüstungsobmann der Rüstungskommission IX b, die überhaupt die Ausschüsse dominierten, gemeinsam bestellt. Zum Einsatz kamen die GauPrüfungsausschüsse auf Anordnung des Vorsitzers der Rüstungskommission, durch die Leiter der Ausschüsse und auf Anregung der in der Rüstungskommission IX b vertretenen Dienststellen. Bei den Arbeitsämtern wurden Sachbearbeiterstellen für die Prüfungsausschüsse eingerichtet, die Ergebnisse wurden dem Vorsitzer der Rüstungskommission, dem Rüstungskommando, dem LWA, der GWK, dem Gauarbeitsamt, dem Wehrkreisbeauftragten, dem Rüstungsobmann, dem zuständigen Arbeitsamt und den durchkämmten Firmen mitgeteilt.268 Die Durchführung der Arbeitskräfteverlagerungen oblag den Arbeitseinsatzdienststellen. 1944 wurden, nach einem Erlass Speers und
265 266 267 268
Vgl. BArch R3/1817, Bl. 346 Vgl. BA-MA RW 20-9/19, Bl. 115 BArch R3/1817, Bl. 348 (Beckurts an die mit der Kriegswirtschaft befassten Rüstungsstellen am 1.8.1944) Vgl. ausführlich zum Prozedere BArch R3/1817, Bl. 349-352
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Sauckels vom 22.6.1944269, die Prüfungsausschüsse durch eine erhebliche Kompetenzerweiterung deutlich aufgewertet. Jede Arbeitskräftemaßnahme, deren betriebs- und volkswirtschaftliche Funktion im „Gesamtorganismus“ der Rüstungswirtschaft nicht der Leistungssteigerung diente, konnte durch die Prüfungsausschüsse aufgehoben werden.270 Die Prüfungsausschüsse trieben die Einführung der 60-Stunden-Woche271 und den Fraueneinsatz voran, griffen durch Abzug und Zufuhr von Arbeitskräften tief in betriebsinterne Produktionsmechanismen ein, konnten bei hohem Krankheitsstand der Belegschaft die Versorgung des Betriebs mit Arbeitskräften verhindern und Beschäftigte und Maschinen in „besser disziplinierte“ Betriebe verlagern. Sie steuerten den Einsatz der Arbeitskräfte vor Ort durch die Zuweisung und den Abzug von qualifizierten Fachkräften, regelten die lohnordnenden Maßnahmen (z.B. Akkordgestaltung) und griffen in Bereiche der nicht für die Kriegswirtschaft tätigen gewerblichen Wirtschaft zur Freimachung von Beschäftigten für die Rüstung ein. Die inner- und überbetrieblichen Vorschläge der Prüfungsausschüsse mussten von den Arbeitseinsatzdienststellen durchgeführt werden. Zur effizienteren Erfassung und Auswertung der Arbeitskräftesituation bildete das Rüstungsamt (Amtsgruppe Arbeitseinsatz) unter Beteiligung des Reichs-Arbeitseinsatzingenieurs mit Erlass vom 22.6.1944 überbezirkliche Fachkommissionen in bestimmten Betriebsgruppen und Fertigungen.272
f.
Die Berufung von Arbeitseinsatzingenieuren
Mit der Berufung von Arbeitseinsatzingenieuren am 24.6.1943, die eine Konsequenz der angespannten Arbeitseinsatzlage und ein Instrument des RMBM zur Dynamisierung des Arbeitsmarktes waren und durch innerbetriebliche Maßnahmen die Produktivität steigern sollten, stieß das RMBM noch tiefer in die viel beschworene „industrielle Selbstverwaltung“ vor.273 269
Vgl. BArch R3/288, Bl. 140; BArch R3/1551, Bl. 66, 69-72 Vgl. BArch R3/1817, Bl. 243f. 271 Vgl. RGBl I, 1944, S. 191f. (Einführung der 60-Stunden-Woche) 272 Vgl. BArch R3/1817, Bl. 299f. 273Vgl. ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 305/1, Bl. 36 (vertrauliches Schreiben Speers an die Betriebsführer vom 24.6.1943); Der Arbeitseinsatzingenieur. Sammlung aller Bestimmungen und Richtlinien in laufender Folge, hg. vom Rüstungsamt – Reichs-Arbeitseinsatz-Ingenieur – und unter Mitwirkung des Zentralamtes für Rüstungs- und Kriegsproduktion, bearb. von K. Hempel, Wiesbaden 1944, vor allem S. 7-11 (Richtlinien für den innerbetrieblichen Arbeitseinsatz); Hans Benkert: Gefolgschaft und Leistungssteigerung (=Schriftenreihe des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes von 1821, Schriftenreihe 1940, Heft 2, zugl. Vortrag im Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes am 8.3.1940), o. O. 1940; vgl. auch BArch R3/1817, Bl. 194); siehe auch die vom stellvertretenden Reichs-Arbeitseinsatzingenieur und 270
354
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Zentrale Aufgabe war die Koordination des Arbeitskräfteeinsatzes in den Betrieben, was die betriebliche Rüstungskontrolle weiter vorantrieb.274 Zur Organisation des innerbetrieblichen Arbeitseinsatzes bedienten sich die Arbeitseinsatzingenieure der regionalen Gliederungen – Bezirks-, Gau- und Kreisobmänner – der DAF.275 Diese verlor dadurch einen Teil ihrer Zuständigkeiten in den Betrieben, da sie den Weisungen der Arbeitseinsatzingenieure unterlag. Die Arbeitseinsatzingenieure waren gegenüber den Betriebsführern und Vorsitzern der Rüstungskommissionen verantwortlich, arbeiteten mit den Rüstungsobmännern zusammen und erhielten in den Betrieben wichtige Steuerungsfunktionen. Sie prüften Organisation und Einsparungsmöglichkeiten von Arbeitskräften, kontrollierten die Durchsetzung der Rationalisierungsvorschläge der Ausschüsse und Ringe und bildeten einen weiteren Arm der Speer-Administration in den Betrieben. Die betrieblichen Interessen wurden den Anforderungen von Rationalisierung und Sparsamkeit, Effektivität und Produktivität untergeordnet. Auf regionaler Ebene wurden in den Gauen Bezirks-Arbeitseinsatzingenieure ernannt, die zur Geschäftsführung der Rüstungskommissionen gehörten. Im Gau Thüringen wurde der in der Firma des GWK-Chefs Thiel, Fa. Gebr. Thiel GmbH, Ruhla, angestellte Direktor Dr. Ing. Hans K. Schmidt zum Bezirks- Arbeitseinsatzingenieur IX b ernannt. Sein Vertreter war Dipl. Ing. Otto Hinzmann vom Rüstungskommando in Weimar.276 Durch die personelle Vernetzung mit einem führenden Rüstungskonzern und den Rüstungsdienststellen und die strukturelle Einbindung des Bezirks- Arbeitseinsatzingenieurs in die Rüstungskommission IX b verdichtete sich das Netz der mit der gaubezogenen Kriegswirtschaftsorganisation befassten Behörden und Institutionen weiter. 1944 errichtete die RGI mit den Gau- und Kreiskommissionen zur Regelung von Arbeitseinsatzfra-
274
275 276
Leiter der Abteilung Arbeitseinsatz-Wirtschaft im Rüstungsamt, Major Bock, ausgearbeiteten Richtlinien für die inner- und überbetriebliche Prüfung des Arbeitseinsatzes sowie das 119-seitige, vom GBA herausgegebene Verzeichnis der Wirtschaftszweige für die Arbeitseinsatzstatistik, in: BArch R3/1814; den Geschäftsverteilungsplan der Arbeitsgruppe Arbeitseinsatz beim Rüstungsamt des RMRK, in: BArch R3/1917; ergänzend den informativen Überblick in Kroener: „Menschenbewirtschaftung“, S. 893f. Vgl. Nachrichten des RMRK 30/1943 (ohne Seitenangabe); gegenteilig dazu die Aussage Speers in Nürnberg, in der er die Aufgabe der Arbeitseinsatzingenieure auf ihre „Ingenieuraufgabe“ verkürzte und deren Eingriffsmöglichkeiten unterschlug. (IMT XVI, S. 642) Vgl. Nachrichten des RMRK 30/1943, S. 330 Vgl. BArch R3/3283, n. pag. sowie Der Arbeitseinsatzingenieur, S. 18; aufschlussreich für den Aktionismus der Bezirks-Arbeitseinsatzingenieure ist der vom BezirksArbeitseinsatzingenieur im Generalgouvernement, Dr. Ing. Wilhelm Unteutsch, verfasste 25-seitige Aufsatz „Die Arbeitsminute als einheitliche Grundlage für die Leistungsbewertung und den Betriebsvergleich“, Starachowice 1942 (in: BArch R3/3283)
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gen ein Konkurrenzmodell, das auf die vorhandenen Mechanismen einen Anpassungs- und Effektivierungsdruck ausübte.277 Die unter Leitung des Bezirks-Arbeitseinsatzingenieurs abgehaltenen Tagungen, die Fragen des Arbeitseinsatzes in den Betrieben (z.B. Maßnahmen zur Hebung der Betriebsdisziplin, gegen das Bummelantentum, zur Freimachung von Leistungsreserven durch Fertigungsvergleiche und Umschulung, Fragen des Lazarett- und Heimarbeitereinsatzes) besprochen und Anregungen gegeben wurden, beeindruckten aufgrund ihrer Praxisnähe die Rüstungskommandos in Thüringen. Das Kommando Eisenach, das die von den Arbeitseinsatzingenieuren gegebenen Hinweise bei Betriebsüberprüfungen verwertete, urteilte über eine solche Besprechung der Arbeitseinsatzingenieure am 23./25.11.1943: „Diese Tagungen waren einige der wenigen, von welchen die Teilnehmer wirklich brauchbare Anregungen für die Anwendung im eigenen Betrieb erhielten.“278
277 278
Vgl. BArch R12/338 BA-MA RW 21-17/14, Bl. 53
RESÜMEE
„Wie auch bei anderen Mittelinstanzen des Gaues Thüringen wurde beklagt, daß die Grenzen der Arbeitseinsatz-Verwaltungsbezirke nicht mit den Grenzen der staatlichen Verwaltung (Land und Kreise), aber auch nicht mit der politischen Verwaltung und ebenso wenig mit den militärischen Dienststellen, schließlich auch nicht mit den zusammenhängenden Wirtschaftsbezirken zusammenfallen. Nicht nur für die Zuständigkeit, sondern auch für die Statistik ergeben sich dadurch in jedem Falle Schwierigkeiten oder wenigstens Bedürfnisse nach eingehender Feststellung. Wenn überhaupt eine einheitliche Grundlage für die Bezirksabgrenzung gefunden werden sollte, dürften noch die politischen Verwaltungsbezirke am besten passen.“1 Die im Planungsamt des Rüstungsministeriums diagnostizierte territoriale, organisatorische und administrative Überlagerung förderte die Durchsetzung der Gaue als regionale Mittelinstanzen. Für den NS-Gau Thüringen verlief dieser Prozess zwischen 1939 und 1942 in funktionssteigernden und schwächenden Phasen, bis sich 1942 ein Umschwung hin zu einer auch von der Regimeführung akzeptierten Lösung anbahnte und der NS-Gau Thüringen als RV-Bezirk IX b mit wichtigen Funktionen in denen von der NSFührung als vordringlich erachteten und auf den Krieg ausgerichteten Aufgabenfeldern ausgestattet wurde. Die oft nachweisbaren konfliktgeladenen Beziehungsgeflechte sollen für den NS-Gau Thüringen in der Kriegszeit weder übersehen noch geleugnet werden. Das darf aber nicht über die vielfältigen und in den für die Stabilität und Leistungsfähigkeit zentralen Aktionsräumen (innere Administration, Ernährungs-, Siedlungs-, Kriegswirtschafts-, Arbeitseinsatzpolitik) vorfindbaren Mobilisierungsstrategien und Integrationskräfte hinwegtäuschen. Die Ursachen für die regional nachweisbare Stabilität und die „Erfolge“ der Führung im NS-Gau Thüringen wurzeln in mehreren Aspekten. Mit Fritz Sauckel stand einer der besonders durchsetzungsfähigen und organisatorisch geschickten Parteigenossen an der Spitze, der für den Gau Thüringen vor allem kriegswirtschaftliche, siedlungspolitische und rassehygienische Ziele verfolgte und Konzepte entwarf. Ihm gelang es, ein Gauführungskorps aus Staat und Partei, Wirtschaft und Wehrmacht zu etablieren, das gleichermaßen konflikt- wie leistungsfähig war. Enge personelle Kontakte, 1
BArch R3/1817, Bl. 271 (Notiz im Planungsamt nach einem Besuch beim Arbeitsamt Weimar im Oktober 1944)
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die Sauckel seit den zwanziger Jahren knüpfen konnte, spielten dabei ebenso eine Rolle wie ideologische Zuverlässigkeit, organisatorische Fähigkeiten und Sachverstand. Strukturell stützte sich Sauckel auf zahlreiche Stäbe (z.B. Gauleitung, Reichsstatthalterei, RV-Ausschuss, Stab des RVK, Gaueinsatzstab, Rüstungskommission IX b), denen er vorstand oder die ihm sachlich, politisch oder in einer seiner Funktionen unterstellt oder auf den Gau Thüringen ausgerichtet waren. Seine Gauregionalpolitik, die auf eine Verselbstständigung des NS-Gaues Thüringen auf Kosten tradierter administrativer Räume hinauslief, war dann erfolgreich, wenn sie mit Reichsinteressen in Einklang gebracht werden konnte, wie beispielsweise bei der Übernahme des Oberpräsidentenamtes für die Provinz Erfurt 1944. Die Angleichung der Wirtschafts- und Sozialverwaltung an die NS-Gaue sowie die Übertragung wichtiger Funktionen auf die Gauleiter im Kriege werteten die Position Sauckels zweifelsohne auf. Seine Ernennung zum GBA und der Aufstieg in den engsten Führungszirkel des Reiches sind nicht zuletzt Ausdruck seiner regionalen „Erfolge“ sowie seiner Position innerhalb der Partei und im Ansehen Hitlers. Mit der Übernahme des Amtes des GBA durch Sauckel stiegen Mitglieder des Gauführungskorps in den Stab des GBA auf. Dieser Bedeutungszuwachs schlug sich in Betätigungsfeldern riesiger Ausmaße nieder. Von den im Krieg anwachsenden Aufgaben profitierten die Gauführung und der NS-Gau Thüringen gleichermaßen. Der Gauleiter war zweifelsohne die dominierende Figur im Gaufunktionsgefüge. Seine personellen Entscheidungen und strukturellen Eingriffe lassen sich auf zahlreichen Ebenen nachweisen und förderten die Herausbildung einer auf ihn zugeschnittenen Führungsgruppe und die faktische Verselbstständigung des NS-Gaues Thüringen. Konfliktfrei waren diese Entwicklungen nicht. Aber Sauckel verstand es im Wesentlichen, seine Konzepte auf die jeweiligen Handlungsfelder zu übertragen. Neben seiner ideologischen Überzeugung, einem tief verwurzelten Rassismus und einer machtorientierten Durchsetzungsfähigkeit kann dem Gauleiter Thüringens eine zielorientierte Kooperationsfähigkeit bescheinigt werden. Die regionalen Bindekräfte, der Topos der „Volksgemeinschaft“ und die Integrationsmechanismen des Regimes im NS-Gau Thüringen wirkten denn auch bis Kriegsende, so dass Sauckel die regionalen Spitzen anspornen konnte: „Ich wollte Ihnen nur das eine sagen: daß die politischen und wirtschaftlichen Verbände, daß die Behörden, daß die Einrichtungen der Partei nichts anderem dienen können, als bis zum letzten auch ihrerseits ihre Pflicht zu tun, und daß Partei, Staat und Wirtschaft entschlossen sind, in der engsten und besten Kameradschaft mit den Männern, die die Ehre haben, die Uniform der nationalsozialistischen Wehrmacht zu tragen, zusammenwirken und daß sie dieser Kameradschaft auch sicher sein können.“2 2
ThHStAW, Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr. 477, Bl. 39 (Sauckel am
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Bereits 1933/34 setzte die kriegswirtschaftliche Aufwertung des industrialisierten Brückengaues Thüringen ein, die mit dem VJP 1936 eine neue Stufe erreichte. Damit begann die zunächst rüstungswirtschaftliche, dann auch auf weiteren kriegswirtschaftlich bedeutsamen Feldern sich durchsetzende Aufwertung der Gaue über ihre Funktion als regionale Parteibezirke hinaus. Die daraufhin im Gau Thüringen geschaffenen Strukturen der regionalen VJPOrganisation wirkten stilbildend für die in der Folge einsetzenden kriegswirtschaftlichen Organisationsprozesse. Selbst in der Phase der vorübergehenden Orientierung am großräumigen Wehrkreis IX mit Dienstsitz in Kassel (1939-1942) trat der Gau als Organisationsgefüge und Bezugsrahmen nur tendenziell hinter den Wehrkreis zurück. Gleich auf mehreren Ebenen (z.B. Führungsstab Wirtschaft, BWA IX b, Munitionsausschuss, Gaueinsatzstab) liefen die Gaufunktionen weiter. Bis zur Wende des Regimes 1941/42 prägten komplexe und kompliziert aufeinander abgestimmte Strukturen das Bild der inneren Administration sowie der Kriegswirtschafts- und Arbeitseinsatzorganisation in Thüringen. Der großräumige Wehrkreis IX ließ sich nur schwer steuern und absorbierte erhebliche Energien. Zivile und militärische Dienststellen überlagerten sich auf Wehrkreis- und Gauebene. Erst mit dem personellen Revirement 1942 und dem Aktionismus des Munitionsministeriums wurde für eine Straffung in der regionalen Rüstungswirtschaft gesorgt. Die im Herbst 1942 errichtete Rüstungskommission IX b entwickelte sich zum akzeptierten und leistungsfähigen Kern der Kriegswirtschaftsorganisation im Gau Thüringen mit starker integrierender Funktion. Sie konnte dabei an bereits vorhandene Strukturen der Kriegswirtschaftsverwaltung anknüpfen. Auf zahlreichen Ebenen der inneren Administration entstanden formelle und informelle Stäbe mit Gauausrichtung. Interinstitutionelle Netzwerke und Gremien waren auf allen bedeutenden Aktionsfeldern anzutreffen. Diese modernen Organisationsformen hielten das System in ständiger Bewegung. Im Krieg verfestigten sich Herrschaftsprinzipien und -mechanismen, die sich seit 1932/33 im Gau Thüringen herausgebildet und „bewährt“ hatten. Sie wurden ergänzt durch neue Prozesse, die dem Gau wichtige Steuerungsfunktionen übertrugen und damit die Gaufunktionen erweiterten. Dabei entstanden engmaschige Beziehungsgeflechte, die die Eliten aus Staat und Partei, Wirtschaft und Wehrmacht miteinander verbanden. Sie bildeten den Hintergrund für die Gestaltung der regional immer mehr an Bedeutung gewinnenden Aktionsräume und förderten neue Kommunikations- und Interaktionsformen und -foren. Die Interessen einzelner Herrschaftsblöcke lagen zum Teil quer zueinander, überlagerten und blockierten sich. Sie setzten aber 11.9.1944 in einer Sitzung des Reichsverteidigungsausschusses IX im Hotel Elefant in Weimar)
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auch erhebliche Mobilisierungs- und Bindekräfte frei, da zwischen den einzelnen Bürokratien, Netzwerken und Akteuren Einigkeit in der Zielorientierung bestand: die Durchführung des Krieges, die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit der Kriegswirtschaft und des Arbeitseinsatzes und die Stabilität der „Heimatfront“. Die horizontale und vertikale Verklammerung der administrativen Aktionsräume erfolgte personell und strukturell und war höchst dynamisch. Eine grundlegende Ordnung auf der Ebene des NS-Gaues Thüringen war zugleich Voraussetzung für die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralbehörden und Ergebnis eines Konsenses zwischen regionalen politischen, staatlichen, zivilen und wehrwirtschaftlichen Bürokratien. Der NS-Gau Thüringen funktionierte in den für die Stabilität des Regimes zentralen Aktionsfeldern als Korrektiv zur Reichspolitik immer dort, wo berechtigte regionale Sonderinteressen den (überzogenen) Planungen und Forderungen der Reichsebene gegenübergestellt wurden. Administrative Prozesse im NS-Gau Thüringen wurden effizienter gestaltet, wenn es möglich war, die oft weitgehenden Eingriffe der Reichsebene zu korrigieren und Gefahren für die politische Stabilität der Region abzuwenden. Das Outsourcing von staatlichen Aufgaben und eine damit einhergehende „Entstaatlichung“ entwickelte sich im Krieg zu einem regionalen Strukturmerkmal im Gau Thüringen. Die neue Konfiguration der Gau-Mittelinstanz seit 1942 leistete zugleich einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des kriegführenden Regimes. Polykratische Strukturen bestanden im Krieg fort. Aber sie wurden in wichtigen Bereichen abgefedert und austariert. Die regionale Klientelvertretung in Staat und Partei, Wirtschaft und Wehrmacht wurde auf diese Weise eher selten vorgeführt und behielt ihre für das Regime positive Wirkung. Mittelfristige politische Stabilisierung und kurzfristige kriegswirtschaftliche Erfolge bildeten vor allem in der zweiten Kriegshälfte das regional prägende, höchst dynamische Spannungsfeld im Gau Thüringen. Die Herausbildung einer hermetisch abgeriegelten Gauherrschaft, wie sie die Forschung einigen Gauleitern nachzuweisen versucht, scheint durch die Auflösung preußischer Provinzen und die faktisch vollzogene Angliederung des preußischen Thüringens an das Land zu einem vorläufigen Höhepunkt gekommen zu sein. Dass diese Entwicklung den Gau Thüringen stärkte, bedarf keiner besonderen Ausführung. Die Ausbildung einer Territorialherrschaft im Gau Thüringen wird seit Mitte des Jahres 1944 wohl kaum zu bestreiten sein. Dieses Bild muss aber die in zahlreichen Bereichen nachweisbare Flexibilität und bis weit in die zweite Kriegshälfte belegbare Dynamik des Regimes im Gau Thüringen integrieren. Die Gauherrschaft war natürlich zunächst einmal auf den Gau Thüringen bezogen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Interaktionen mit anderen Regionen des Reiches bewusst gesucht wurden, um Herrschaftskonzepte aufeinander abzustimmen, um ge-
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meinsame Vorgehensweisen zu besprechen oder einfach um sich Rückendeckung zu verschaffen. Trotz aller Konkurrenz zwischen den Gauen und einer vor allem in der zweiten Kriegshälfte verstärkten Abschottung des Gaues Thüringen nach außen (z.B. in der Evakuierungsfrage) gab es Kommunikations- und Interaktionsforen, die über den Gau hinauswiesen. Für die Mobilisierung sorgten auf den Gau ausgerichtete Konzepte, die über neuartige Kommunikationsformen und die Ausbildung einer Organisation von Stäben integrierende Funktionen übernahmen. Die Ausbildung einer spezifisch thüringischen Gauherrschaft erhielt von der Gruppe um Sauckel ebenso wie von Tendenzen in anderen Gauen wie auf Reichsebene immer wieder Impulse. Die von der Gauführung entworfenen und getragenen Mobilisierungsstrategien trugen in erheblichem Maße zur regionalen Leistungsfähigkeit bei. Bis zum Kriegsende übernahm der Gau Thüringen in einem konzeptionell wie funktionell noch genauer zu beschreibenden Transformationsprozess wichtige Funktionen. Die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ zeigte sich dabei gleichzeitig belastbar und leistungsorientiert. Regionale Eliten leisteten hinsichtlich der Systemstabilität in Thüringen durchaus „erfolgreiche“ Arbeit, indem sie einerseits integrierend wirkten und andererseits die Integrationsbereitschaft breiter Bevölkerungskreise wie die regionalen wirtschaftsund arbeitsmarktpolitischen Voraussetzungen und Gemengelagen zu nutzen verstanden. Nationalsozialismus und thüringische Gesellschaft bildeten alles andere als Pole eines Spannungsfeldes. Der Nationalsozialismus war tief in der thüringischen Gesellschaft verankert. Die damit verbundene Frage nach Verantwortung ist für Thüringen noch unzureichend beantwortet.
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Abkürzungsverzeichnis
BArch BA-MA
Aktenbestände des Bundesarchivs Berlin Aktenbestände des BundesarchivsMilitärarchivs Freiburg/Breisgau BDM Bund deutscher Mädel BWA/BWÄ Bezirkswirtschaftsamt/Bezirkswirtschaftsämter DAF Deutsche Arbeitsfront Dipl. Ing. Diplomingenieur DRK Deutsches Rotes Kreuz ebd. ebenda FM Freistellung von Facharbeiten in Mangelberufen GBA Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz GBV Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung GBW Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft GuG Geschichte und Gesellschaft GWB Gauwirtschaftsberater GWK Gauwirtschaftskammer(n) GW-Versorgungsring Gemeinschaftswerk Versorgungsring der DAF Hervorh. i. Orig. Hervorhebung im Original HJ Hitlerjugend HSSPF Höherer SS- und Polizeiführer IMT Internationaler Militärgerichtshof JfRL Jahrbuch für Regionalgeschichte und Landeskunde JfG Jahrbuch für Geschichte JfWG Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte JfwL Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte IHK Industrie- und Handelskammer(n) ILA Interministerieller Luftkriegsschädenausschuss Ing. Ingenieur KLV Kinderlandverschickung kv kriegsverwendungsfähig KWB Kreiswirtschaftsberater LAA/LAÄ Landesarbeitsamt/Landesarbeitsämter LBF Landesbauernführer LEA/LEÄ Landesernährungsamt/Landesernährungsämter LWA/LWÄ Landeswirtschaftsamt/Landeswirtschaftsämter Mio. Million(en) n. pag. nicht paginiert
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Nbv NSBDB NSBDT NSBO NSDAP NSFK NSKK NSKOV NSRDW
399
Nahverkehrsbevollmächtigter Nationalsozialistischer Bund Deutscher Beamter Nationalsozialistischer Bund Deutscher Techniker Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Fliegerkorps Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung Nationalsozialistische Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt OB Oberbürgermeister OgW Organisation der gewerblichen Wirtschaft OKH Oberkommando des Heeres OKM Oberkommando der Marine OKW Oberkommando der Wehrmacht OSAF Oberster SA-Führer OT Organisation Todt PEA/PEÄ Provinzialernährungsamt/Provinzialernährungsämter RAD Reichsarbeitsdienst RAM Reichsarbeitsministerium/Reichsarbeitsminister RDB Reichsbund Deutscher Beamter RFSS Reichsführer SS RGBl Reichsgesetzblatt RGI Reichsgruppe Industrie RM Reichsmark RMI Reichsinnenministerium/Reichsinnenminister RMBM Reichsministerium für Bewaffnung und Munition / Reichsminister für Bewaffnung und Munition RMEL Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft / Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft RMRK Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion / Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion RV-Angelegenheiten Reichsverteidigungsangelegenheiten RV-Aufgaben Reichsverteidigungsaufgaben RV-Ausschuss Reichsverteidigungsausschuss RV-Bezirk Reichsverteidigungsbezirk RV-Gesetz Reichsverteidigungsgesetz RV-Maßnahme Reichsverteidigungsmaßnahme RV-Rat Reichsverteidigungsrat
400 RV-Referent RVK RVL RWM SA SD SE-Aktion SS ThHStAW uk VfZ VJP WK ZfbL ZfG ZVTG
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Reichsverteidigungsreferent Reichsverteidigungskommissar(e) Reich – Volksordnung – Lebensraum. Zeitschrift für völkische Verfassung und Verwaltung Reichswirtschaftsministerium / Reichswirtschaftsminister Sturmabteilungen Sicherheitsdienst der SS Sondereinziehungsaktion Schutzstaffel Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar unabkömmlich Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vierjahresplan Wehrkreis Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte
Personenverzeichnis
Die Ermittlung der fehlenden Vornamen war aus Zeitgründen und mit Blick auf den erheblichen Aufwand leider nicht möglich. Althaus, Oberbefehlsleiter 119 Andreä 216 Auer, Generalleutnant a.D. 352 Barth, Franz 139f., 146, 158, 269 Beckmann, Ernst 140 Beckurts, Karl 96, 236, 245f., 269, 274, 287, 289, 332f., 335f., 339ff., 346f., 352 Benecke, Fritz 73, 78, 155, 157, 163, 201, 269 Berk, Paul 274 Best, Werner 36, 84, 91f. Biedermann, Bruno 108, 113, 262f., 268, 274 Block, Dipl. Ing. 198 Boje, Direktor 301, 303, 336 Bonatz, General 290f. Börger, Wilhelm 274 Bormann, Martin 45, 54f., 81f., 118, 120, 148ff., 155, 214f., 217, 223, 226, 234, 250, 265, 273, 280, 283, 285, 290, 322, 324, 348 Böttger, Manfred 113, 124 Brandt, Karl 94 Braun, Rudolf 140, 313 Bredow, Reinhard 139 Brüstlin, Wilhelm 216, 263f. Buchmann, Erich 71, 140, 229 Burandt, Wilhelm 108 Crailsheim, Hanns Freiherr von 144 Danz, Rudolf 205, 113, 263, 268 Darré, Richard Walter 64, 171 Deile. Dr. 269 Demme, Otto 72, 79 Dietrich, Otto 44 Dill, Gauorganisationswalter 268 Dinter, Artur 41, 63f. Donnerhack, Arno 65 Dorbritz, Oberstabsluftführer 269 Dorpmüller, Julius Heinrich 144f. Dreyer 216 Eberhardt, Otto 42, 73, 79, 96 Eckelmann, Regierungsrat 163
Eggeling, Joachim A. 138 Ehrensberger, Otto 118f. Engel, Dr. 130f., 199, 333 Escher, Walter 71, 139f., 268f., 274, 289, 333, 337, 343 Esser, Hermann 41 Fiedler, Gerhard 172 Fincke, Dr. 163 Fix, Dr. 216, 333, 336 Forster, Albert 57f., 81, 226 Frey, Kurt 139 Frick, Wilhelm 66, 69f., 83, 90, 95, 149, 164, 213, 227 Fritz, Dr. 269 Fromm, Friedrich 277 Funk, Walther 144f., 152, 159, 240, 336 Galland, Dr. 150 Garde, Ing. 333, 339 Gärtner, Friedrich K. 139 Gessert, Ferdinand 113, 263 Goebbels, Joseph 54, 57, 61, 94f., 112, 153, 168, 213, 215, 247, 256, 265ff., 273, 280, 283, 285ff., 342ff. Goetz, Karl 274 Göring, Hermann 42, 45, 52, 59, 79, 94, 125, 136, 145f., 148, 159, 166, 202, 213, 215, 217, 234, 258, 264f., 283, 303, 348 Görner, Dr. 173, 180, 269 Grobe, Dr. 269 Günther, Hans F.K. 66 Gutik, Hauptmann 334 Hahn, Karl 139 Hammer 71 Hartmann, Dr. 352 Hauschild, Max 119 Hayler, Franz 165f., 183 Hellmuth, Otto 138 Hennicke, Paul 64 Henrichs, Paul 236 Hesse, Dr. 269 Heuer, Dr. 269
402 Heuschkel, Alfred 172 Heynen, Werner 197 Hilgenfeldt, Erich 103, 116 Hillert, Walter 203, 300, 313, 316, 321, 399 Hillmer, Dr. 216 Himmler, Heinrich 54, 94, 228, 268 Hinzmann, Otto 354 Hitler, Adolf 12, 36, 40f., 54, 57, 59, 61ff., 66, 68f., 81ff., 94f., 114, 124, 150, 215, 226f., 240, 255, 267, 273, 275, 279, 290f., 331 Hoffmann, General 217 Hoffmann, Max 274 Höfling, Ministerialrat 220, 270 Hofmann, Franz 119 Höhn, Reinhard 84 Hornig, Walter 236 Hupfauer, Theodor 246, 328 Josef Erbprinz zu Waldeck-Pyrmont 138, 216 Jung, Rudolf 47, 216, 274, 280 Junghanns, Paul 67 Kamps, Rudolf 82 Kaphahn, Kurt L. 139 Kehrl, Hans 350 Keitel, Wilhelm 234 Kiesling, Walter 120 Kleinmaier, Regierungsdirektor 216, 269 Kluge, Ing. 269 Koblinski, v., Oberregierungsrat 189f. Koch, Erich 57 Koekelmann, Dipl. Ing. 333 Kohlschmidt, Regierungsoberinspektor 163 Kram, Landesplaner 117f.f. Krause, Schulrat 124 Krebs, Fritz 140 Krebs, Regierungsdirektor 175 Kretschmann, Hermann 139, 274 Kyser, Oberbaurat 333, 336 Lafferentz, Bodo 125 Lahmeyer, Gustav 140 90, 223, 227, 250 Lammers, Hans Heinrich Landfried, Friedrich Walter 232 Ley, Robert 57, 94, 218, 240, 242 Lippold, Martin 78, 155, 157, 163, 201, 242 Löblich, Alfred 139 Löschner, Regierungsinspektor 269 Lorenz, Werner 123 Lullies, Dr. 269 Lutze, Viktor 64, 138, 189
Mackeldey, Erich 67 Maercken, Kurt v. 139
PERSONENVERZEICHNIS Marschler, Willy 42, 64, 67, 70f., 73, 78f., 83, 138, 145, 155, 157ff., 163, 216, 220, 222, 227, 244ff., 252f., 260, 333, 336 Meister, Johannes 67 Mevius, Walter 96, 197f., 236f., 328, 334 Mey, Dr. 352 Meyer, Alfred 138 Meyer, NSKK-Oberführer 269 Miensopust, Assessor 220 Monbart, Konrad v. 138, 216, 228 Müller, Dr. 220 Mündnich, Dr. 269, 333 Müller, Hauptschriftleiter 269 Murr, Wilhelm 57 Mutschmann, Martin 82, 134, 157, 225f., 250 Nentwich, Hans 119 Nothnagel, Oberbannführer 119 Ohlendorf, Otto 166 Ortlepp, Walter 42, 72f., 79, 83, 105, 107, 113f., 120, 124, 138, 140, 142, 174f., 179f., 185, 216, 256f., 268ff, 274 Peuckert, Rudolf 42, 79, 139, 159, 171, 174f., 177, 180, 274 Pfeffer, Fritz v. 139, 147ff. Prinz Philipp von Hessen 133, 138, 150, 154, 216, 228 Quensell, Landwirtschaftsrat 269 Rabes, Dr. 216 Raeber, Nahverkehrsbevollmächtigter 105, 216, 333 Ranke, Ing. 313 Rebling, Dr. 241 Reichenbächer, Regierungsrat 269 Remarque, Erich Maria 66 Reinersdorf, Regierungsrat 269 Rembe, Generalmajor a.D. 269 Richter, Obering. 269 Rockmann, Dipl. Ing. 313 Rumohr, Karl Albert v. 228 Runte, Ludwig 139 Rust, Bernhard 61, 138 Sauckel, Fritz 26, 33ff., 46, 64ff., 70ff., 79, 94ff., 105, 108, 119f., 122, 133, 135, 137ff., 143ff., 147ff., 154, 167, 177, 185, 216f., 220, 222f., 229ff., 236, 241, 252, 256, 265, 267, 272f., 275f., 280ff., 284, 287f., 291, 293, 299, 322, 340f., 343, 345, 348, 356f., 360 Schellert, Otto 216 Schieber, Walther 73, 96, 139f., 210f., 236, 328, 333
PERSONENVERZEICHNIS Schindke, Wilhelm 216, 333, 336 Schirach, Baldur von 124 Schlaefer, Direktor 313 Schmelter, Fritz 139 Schmidt, Dr. 256, 268f. Schmidt, Hans K. 333, 354 Schmit, Oberregierungsbaudirektor 333 Schmidt, Oberstleutnant 216, 333 Schneider, Regierungsamtsmann 71, 220 Schneider, Richard 236 Schneider, Vizepräsident 334, 346 Schön, Dr. 313 Schön, Fritz 274 Schößler, Kurt 122, 124, 281 Schröder, Ludwig 139 Schulte, Theo 274 Schulze, Dr. 269 Schultze-Naumburg, Paul 66 Schwede-Coburg, Franz 225 Seidler, Walther 140 Seipt 309 Seldte, Franz 336, 345 Sidow, Hans 171 Siebert, Ludwig 138 Siegismund, SS-Obersturmführer 185 Siekmeier, Heinrich 139f. Sievers, Oberverwaltungsgerichtsrat 113, 262, 269 Sommer, Friedrich 139 Speer, Albert 51, 94, 158, 167, 213, 215, 218, 236f., 242, 248, 250, 252, 273, 275f., 279, 286, 288f., 321, 323f., 327, 333, 335f., 341ff., 350, 354 Spiller, Karl 64 Sprenger, Jakob 57f., 97, 135, 137f., 147ff. Stolze, Paul 73 Strasser, Gregor 41f. Streicher, Julius 41, 57
403 Stuckart, Wilhelm 43, 83ff., 118, 128, 140, 155, 217, 227f., 256 Stützer, Hugo 333, 336, 348 Tappert, Hermann 73 Thein, Ludwig 171, 173ff., 180, 182, 189f., 269 Thiel, Reinhold 42, 74f., 77ff., 96, 154, 216, 235f., 311, 333, 336, 354 Thierack, Otto Georg 55 Thomas, Georg 51 Thomas, Karl 112f., 124, 263, 268, 270 Timm, Max 275, 277, 279 Todt, Fritz, 94, 312, 314, 316 Troitzsch, Dr. 105, 269 Ulrich, Curt v. 138, 216f. Unholtz, Bernhard 313 Wächtler, Fritz 67, 70f., 95 Wagner, Adolf 134, 137f., 144 Wagner, Josef 138 Walther, Kurt 274 Walther, Ministerialdirektor 113, 124 Weber, Otto 42, 67, 79, 139, 216, 222, 229f. Wedler 163 Wehr, Dr.198 Weinrich, Karl 133, 138 Wetzel, Hans 170, 172, 175, 269 Wiesel, Heinrich 79, 139, 216, 274, 281, 333, 336 Wildberger, Dr. 216 Wilhelmi 139 Wimmer, Gauhauptstellenleiter Wissmann, Ministerialrat 341 Wöhler, Dr. 352 Wurthmann, Oberregierungsrat 352 Zangen, Wilhelm 246 Ziegler, Hans Severus 65, 95