Der Männerroman: Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur [1. Aufl.] 9783839433096

It sells well and is read widely, however the men's novel is uncharted academic territory - until now. The first st

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German Pages 378 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Siglenverzeichnis
Einleitung. Der Männerroman als Forschungslücke
Literaturtheoretischer Hintergrund
Literaturästhetische Verortung
Diskursanalyse als notwendiges Begriffsinstrumentarium
Kulturpoetik als Textverständnis
Komparative Methode
Poproman
Das Phänomen Pop
Begleitung und Leitung durch Musik
Das kulturelle Archiv
Konformität und Nonkonformität
Frauenroman
Frauen-, Männer- und Genderforschung
Genderromane
Singleromane
Paratexte
Geschlechterrollentausch
Verhältnis zur literarischen Tradition
Die Leiden der unerfüllten Liebe
Die Bildsamkeit des Individuums
Humorvolle Ernsthaftigkeit
Literatur als Ratgeber
Literatur als Comedy
Medienwechsel
Intermedialität
Hörbücher
Filme
Fazit. Der Männerroman als Genre – ein fiktiver Lexikonartikel
Primärliteratur
Forschungsliteratur
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Der Männerroman: Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur [1. Aufl.]
 9783839433096

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Anna Katharina Knaup Der Männerroman

Lettre

Anna Katharina Knaup, geb. 1986, studierte Germanistik, Komparatistik, Kulturpoetik und Politikwissenschaften in Wien sowie Münster und promovierte zuletzt an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster über den Männerroman. Sie zählt Männer seit jeher zu einem ihrer zeitintensivsten Forschungsobjekte – würde sich auf diesem Gebiet aber trotzdem nicht als Expertin bezeichnen.

Anna Katharina Knaup

Der Männerroman Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: facto - fotolia.com Korrektorat & Satz: Anna Knaup Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3309-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3309-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 Siglenverzeichnis | 9 Einleitung. Der Männerroman als Forschungslücke | 11 Literaturtheoretischer Hintergrund | 17

Literaturästhetische Verortung | 17 Diskursanalyse als notwendiges Begriffsinstrumentarium | 26 Kulturpoetik als Textverständnis | 31 Komparative Methode | 38 Poproman | 43

Das Phänomen Pop | 43 Begleitung und Leitung durch Musik | 49 Das kulturelle Archiv | 67 Konformität und Nonkonformität | 78 Frauenroman | 101

Frauen-, Männer- und Genderforschung | 101 Genderromane | 112 Singleromane | 138 Paratexte | 170 Geschlechterrollentausch | 191 Verhältnis zur literarischen Tradition | 211

Die Leiden der unerfüllten Liebe | 211 Die Bildsamkeit des Individuums | 228 Humorvolle Ernsthaftigkeit | 241

Literatur als Ratgeber | 241 Literatur als Comedy | 259 Medienwechsel | 271

Intermedialität | 271 Hörbücher | 274 Filme | 295

Fazit. Der Männerroman als Genre – ein fiktiver Lexikonartikel | 319 Primärliteratur | 323 Forschungsliteratur | 331

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2014 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und im April 2015 verteidigt. Sie wurde von Prof. Dr. Moritz Baßler und Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim Jürgens begutachtet. Mit dem Ergebnis meiner Untersuchungen soll zum besseren Verständnis der – nein, nicht der Männer beigetragen werden, denn es wäre anmaßend zu behaupten, dass ich mit dieser eindeutig literaturwissenschaftlichen Arbeit einen Beitrag zur Lösung eines biologischen und/oder soziologischen Rätsels geleistet hätte. Ich bin allerdings der Ansicht, dass die Arbeit einen Erkenntnisgewinn bezüglich der aktuellen Gegenwartsliteratur darstellt. Dieses Buch soll außerdem eine Anregung dafür sein, sich im wissenschaftlichen Literaturbetrieb nicht nur mit Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann zu beschäftigen, sondern auch mit den Autoren und Texten, die heute tatsächlich in großer Zahl – und nicht nur in der Schule als Pflichtlektüre – gelesen werden. Zur Beruhigung aller Fans der Hochliteratur: Nichts desto trotz ist auch diese Arbeit natürlich nicht ohne die Erwähnung von Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann ausgekommen… Ganz besonders danken möchte ich meinen Eltern, die mich auf meinem Lebensweg immer unterstützt und auch alle Rahmenbedingungen für die Erstellung dieser Arbeit ermöglicht haben. Dr. Keyvan Sarkhosh und Gerrit Althüser möchte ich herzlich fürs Korrekturlesen danken.

Münster, im Juni 2015

Anna Katharina Knaup

Siglenverzeichnis

AK AS AU BF BM CR FE FJ FL FZ GH HG HI HK HL HM HR HS KD LH LW MB MI MJ MM MR MS MT MU

Am kürzeren Ende der Sonnenallee, Thomas Brussig Allein unter Spielplatzmüttern, Volkmar Nebe Anrufer unbekannt, Katrin Hummel Billigflieger, Philip Tamm Beim nächsten Mann wird alles anders, Eva Heller Crazy, Benjamin Lebert Feindesland, Oliver Uschmann Für jede Lösung ein Problem, Kerstin Gier Faserland, Christian Kracht Freizeichen, Ildikó von Kürthy Der Grüne Heinrich, Gottfried Keller Herrengedeck, Philip Tamm Hartmut und ich, Oliver Uschmann Hauptsache, es knallt!, Matthias Sachau Herr Lehmann, Sven Regener Hausmann gesucht, Katrin Hummel Höhenrausch, Ildikó von Kürthy Herzsprung, Ildikó von Kürthy Kaltduscher, Matthias Sachau Lügen, die von Herzen kommen, Kerstin Gier Die Leiden des jungen Werther, Johann Wolfgang Goethe Der Mann mit dem Bobby-Car, Volkmar Nebe Millionär, Tommy Jaud Mein Jahr als Single, Gregor Eisenhauer Macho Man, Moritz Netenjakob Mr. Mom, Hans Weitmayr Mondscheintarif, Ildikó von Kürthy Man tut was man kann, Hans Rath Murp! Hartmut und ich verzetteln sich, Oliver Uschmann

10 | DER M ÄNNERROMAN

ND RK RU SA SF SG TS ÜM VB VI VIF VIH WE WG WL WM WP WV ZÄ ZB

Nasenduscher, Tim Boltz Resteklicken, Moritz Meschner Resturlaub, Tommy Jaud Soloalbum, Benjamin Stuckrad-Barre Solo für Anna, Michael Eichhammer Schief gewickelt, Matthias Sachau Toreros sind so, Michael Eichhammer Überman, Tommy Jaud Voll beschäftigt, Oliver Uschmann Vollidiot, Tommy Jaud (Roman) Vollidiot, Tommy Jaud (Film) Vollidiot, Tommy Jaud (Hörbuch) Weichei, Tim Boltz Wir tun es für Geld, Matthias Sachau Waschlappen, Sascha Zeus und Michael Wirbitzky Wilhelm Meisters Lehrjahre, Johann Wolfgang Goethe Wer ist eigentlich Paul?, Anette Göttlicher Der Wickelvolontär, Mike Schier Die Zähmung, Gisela Elsner Der Zauberberg, Thomas Mann

Einleitung Der Männerroman als Forschungslücke

Seit dem Erscheinen von Tommy Jauds Vollidiot (2004) ist der Männerroman fester Bestandteil auf deutschen Bestsellerlisten, in der Forschung wurde er jedoch noch nicht beschrieben. Diese unerklärliche Lücke gilt es dringend zu schließen. „Der Autor Tommy Jaud hat mit den Bestsellern ‚Vollidiot‘ und ‚Resturlaub‘ ein brachliegendes Genre neu belebt – den deutschen Männerroman“1, schrieb Wolfgang Höbel nach Erscheinen des Romans Resturlaub im Spiegel. In einem Interview auf diesen Artikel angesprochen antwortete Jaud: „Ich finde das sehr schmeichelhaft – auch wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich Männer-Romane schreibe.“2 Beworben werden die Romane von Jaud trotzdem mit diesem Etikett, denn auf späteren Auflagen von Resturlaub steht das Zitat aus dem Spiegel auf der letzten Umschlagseite. Was Jaud laut Höbel mit dem Männerroman ‚neu belebt‘ haben soll, ist allerdings unklar. Selbstverständlich gab es zuvor schon unzählige deutsche Romane, die von Männern, aus der Sicht von Männern und für Männer geschrieben wurden. Doch derartige Kriterien sind sicherlich kaum ausreichend, um einen Männerroman zu definieren. Was also unterscheidet die deutschen Männerromane im Sinne von Jauds Vollidiot von anderen Texten? Wie lässt sich daraus folgend das Genre ‚Männerroman‘ treffend beschreiben? Diese und weitere Fragen werden in der vorliegenden Arbeit geklärt. Eine Genre-Bestimmung kann allgemein auf zwei verschiedene Weisen erfolgen, nämlich entweder primär inhaltlich oder primär formal. Ein formal determiniertes Genre ist zum Beispiel der Briefroman, der aus Texten in Briefform besteht. Ein gegenteiliges Beispiel ist der Liebesroman, der in erster Linie durch seinen In-

1 2

Höbel, Wolfgang: Mausbär auf großer Fahrt. In: Der Spiegel (2006) H. 30. S. 138 Baumann, Gunther: Bestseller-Autor Tommy Jaud im Interview. In: Oe24 2011. http://www.oe24.at/kultur/Bestseller-Autor-Tommy-Jaud-im-Interview-ueber-Verfil mung-von-Resturlaub/37112592 (20.9.2014).

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halt, nämlich die Liebes-Thematik, bestimmt ist.3 Der Männerroman wird ebenfalls primär durch seinen Inhalt determiniert: Die Selbstthematisierung eines männlichen Protagonisten. Im Männerroman sind ausschließlich Männer Protagonisten. Sie reflektieren über ihre Geschlechtsidentität und sind voller Zweifel über ihre eigene Männlichkeit. „Nichts ist so unstet wie Männlichkeit. Die Geschichte der letzten 500 Jahre ist voll von ‚Neuen Männern‘“4, verkündete unlängst Wolfgang Schmale. Männer müssen sich – ebenso wie Frauen – wieder und wieder neuen Herausforderungen stellen und geraten dabei des Öfteren in Gender-Krisen. Derzeit stehen Männer vor der Bewältigung einer besonders großen Gender-Krise, denn Bereiche, die früher als ‚typisch‘ männlich galten (viele Berufe, Politik, Wissenschaft etc.), werden Frauen erschlossen und werden von mono- zu gemischtgeschlechtlichen Bereichen transformiert. ‚Männlichkeit‘ im Unterschied zu ‚Weiblichkeit‘ zu markieren wird damit schwieriger.5

Dies führt bei Männern zu Selbstzweifeln, da die Separation von gesellschaftlichen Männer- und Frauenbereichen für die traditionellen Geschlechterrollen konstitutiv war.6 Da die genderspezifischen Veränderungen der Gesellschaft eine relativ neue Erscheinung sind, ist auch die Unsicherheit der Männer bezüglich ihrer Männlichkeit eine neue Erscheinung, ebenso wie der Männerroman, in dem diese Unsicherheit zum Thema gemacht wird. Männerromane sind Romane, die ein Massenpublikum angenehm unterhalten, ohne es zu über- oder unterfordern. Sie sind also der Unterhaltungs- und mid-browLiteratur zuzuordnen. Dass Männerromane damit einem eher niederen Literaturniveau zuzurechnen sind, mindert nicht ihren Untersuchungswert, denn Männerromane sind ein exzellentes Beispiel für populäre Literatur mit hoher Rezeptionszahl: „Tommy Jaud ist der derzeit erfolgreichste Autor deutscher Sprache.“7 Statt sich in einer literaturwissenschaftlichen Arbeit der Entwicklung, dass aktuelle Bestseller-

3

Vgl.: Vogt, Jochen: Einladung zur Literaturwissenschaft. Paderborn: Fink 2008 (=UTB 2072), S. 135.

4

Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450-2000). Wien: Böhlau 2003, S. 9.

5

Ebd., S. 262.

6

Vgl.: Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Opladen: Leske + Budrich 1998 (=Fragen der Gesellschaft), S. 263.

7

Baumann: Bestseller-Autor Tommy Jaud im Interview. Jauds Roman Hummeldumm war im Jahr 2010 das meistverkaufte deutsche Buch. (Vgl.: ebd.)

E INLEITUNG

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listen oft von Unterhaltungsliteratur dominiert werden, zu verschließen, ist diese Untersuchung folglich offen für ein aktuelles Phänomen und versucht dieses anhand der Männerromane aufzuzeigen und zu erklären. Außerdem gilt: „Ob ein Text banal oder nicht-banal ist, hängt vielmehr davon ab, wie er gelesen wird, nicht vom Text als solchen.“8 Der literarische Text in seiner Zeichenhaftigkeit wird als ein kulturelles Archiv verstanden. Dieses Archiv ist in einem kulturellen Umfeld situiert, das wiederum als ein Archiv erfasst wird, nämlich als ein Archiv von Texten. Damit steht der literarische Text in einem intertextuellen Verhältnis zu anderen Texten.9 Anhand von literarischen und nicht-literarischen Texten soll dem Intertextualitätsgedanken folgend in dieser Arbeit eine möglichst objektive Analyse des Genres Männerroman vorgenommen werden. Die Texte, zu denen der Männerroman zum Zwecke der Genrekonstitution in Bezug gesetzt werden soll, sind folgende: Der Poproman ist wie der Männerroman ein Genre der Gegenwart, das stark von Männern dominiert ist und daher oft als „das männlich dominierte Produkt einer Herren-Riege“10 umschrieben wird. Es erstaunt daher nicht, dass sich auf der Liste der zehn bedeutendsten Männerbücher, die basierend auf einer Umfrage in der Männerzeitschrift Men’s Health veröffentlicht wurde, neben Männerromanen auch Popromane befinden.11 Die beiden Genres zusammenzubringen liegt so nahe, dass in einem Artikel im Focus sogar fälschlicherweise von „Tommy Jauds PopliteraturBestseller ‚Vollidiot‘“12 die Rede ist.

8

Esposito, Elena: Popularität. In: Kommunikation im Populären. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen. Hrsg. von Roger Lüdeke. Bielefeld: Transcript 2011. S. 15–20, S. 15.

9

Vgl.: Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen: Francke 2005 (=Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 1).

10 Stepper, Michael: Und täglich grüßt der Vollidiot. In: Focus online 2007. http://www.focus.de/kultur/kino_tv/oliver-pocher_aid_53280.html (27.8.2014), S. 74. 11 Ziegler, Arndt: Die wichtigsten 10 Männerbücher. Literatur für Kerle. In: Men’s Health (12.1.2009). http://www.menshealth.de/life/lifestyle/die-wichtigsten-10-maennerbuecher. 95915.htm#1 (27.8.2014). Mit Vollidiot von Jaud und Hartmut und ich von Oliver Uschmann haben auf der Liste zwei Männerromane ihren Platz gefunden. Herr Lehmann und Fever Pitch werden ebenfalls aufgezählt und stammen von den beiden PopromanAutoren Sven Regener und Nick Hornby. 12 Stepper: Und täglich grüßt der Vollidiot.

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Ein weiteres Genre der Gegenwart ist der Frauenroman, der wie der Männerroman thematisch Gender fokussiert. Eine Verbindung der beiden Genres miteinander bietet sich an. Im Feuilleton ist hierzu zu lesen, dass Jaud „den Frauenroman für Männer“13 entworfen habe. Tatsächlich hat Jaud zum Beispiel Mondscheintarif von der Frauenromanautorin Ildikó von Kürthy gelesen und festgestellt, dass der Roman nicht für Männer geschrieben worden ist. Frauenromane für Männer sind seine Romane allerdings schon deswegen nicht, weil sie auch häufig von Frauen gelesen werden.14 Wenn schon, dann sind Jauds Romane Männerromane für Frauen und Männer.15 Doch die Adressaten der Romane sollen in dieser Untersuchung nur eine marginale Rolle einnehmen, vielmehr steht die Materialität der Texte im Zentrum der Analyse. Zu untersuchen ist also, inwieweit der Männerroman den Frauenroman imitiert, konterkariert oder ergänzt. Einige Männerromane unterscheiden sich von anderen durch das Motiv des Geschlechterrollentauschs. Der Diskurs der ‚Neuen Männlichkeit‘ wird hier vor allem am Beispiel der ‚Neuen Väter‘ verhandelt. Bereits als Reaktion auf die 1968er Bewegung konnte eine gesteigerte Popularität von literarischen Texten zum Geschlechterrollentausch festgestellt werden. Der Männerroman scheint in einem Subgenre eine weitere Welle der Popularität ausgelöst zu haben. Daher ist zu untersuchen, inwieweit sich das Motiv des Geschlechterrollentauschs seit den 1968er Jahren bis zum Männerroman weiterentwickelt hat. In der Literatur war Männlichkeit schon immer ein Thema. Von der Ilias über Goethes Werther bis hin zum Poproman wurde Männlichkeit immer wieder litera-

13 Junghänel, Frank: Der König des Bahnhofkiosks. Tommy Jaud schreibt Bücher für Menschen, die ansonsten eher nicht lesen. Mit „Vollidiot“ und „Resturlaub“ steht er seit Monaten in den Bestsellerlisten. In: Berliner Zeitung (30.1.2007). S. 3. 14 Vgl.: ebd. 15 In der Lesesozialisationsforschung konnte bereits festgestellt werden, dass Jungen Jungenbücher bevorzugen, während Mädchen Mädchenbücher lesen – und dazu alles, was Jungen ebenfalls interessiert. (Vgl.: Vollbrecht, Ralf: Jugendmedien. Tübingen: Niemeyer 2002 (=Grundlagen der Medienkommunikation 12), S. 11.) Hierbei sollte allerdings festgehalten werden, dass unter „Jungenbüchern“ oft ein Sammelsurium verschiedener Genres verstanden wird, also Abenteuergeschichten, Horrorgeschichten usw., während „Mädchenbücher“ als eigenständiges Genre angesehen werden. Seit einigen Jahren sind aber auch einzelne „Jungengeschichten“ auf dem Buchmarkt zu finden, die sich thematisch speziell mit den Problemen von männlichen jungen Erwachsenen beschäftigen. (Vgl.: Pohl, Sigrid u. Konrad Umlauf: Warenkunde Buch. Strukturen, Inhalte und Tendenzen des deutschsprachigen Buchmarkts der Gegenwart. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 2007, S. 93.) Es zeigen sich ergo deutliche Parallelen bei der Entwicklung des Erwachsenen- und des Jugendbuchmarktes.

E INLEITUNG

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risch gestaltet. Daher sollte geprüft werden, ob der Männerroman eigentlich kein wirklich neues literarisches Modell darstellt, sondern vielmehr in ihm altbekannte Erscheinungen zu einem neuen Modell zusammenfügt werden. Ein literaturwissenschaftlicher Blick auf mögliche Vorläufer des Männerromans scheint daher lohnenswert. Der Männerroman zeigt selbstverständlich nicht nur intertextuelle Überschneidungen mit literarischen Texten auf, sondern zeichnet sich daneben vor allem durch die Nähe zur Comedy einerseits und zur populären Ratgeberliteratur andererseits aus. So sieht sich Jaud selbst „nicht so sehr als Männer-Autor, sondern als ComedyAutor“16 und Moritz Netenjakob steht sogar mit einem eigenen Comedy-Programm auf der Bühne. Außerdem haben die beiden Autoren Oliver Uschmann und Michael Eichhammer nicht nur Männerromane, sondern auch Männerratgeber veröffentlicht. Ernster Rat und leichte Unterhaltung scheinen sich demnach im Männerroman zu vereinen. Genre ist eine transmediale Kategorie,17 so dass das Genre Männerroman auch in seinen medialen Ausprägungen untersucht werden muss. Dabei wird Intermedialität als ein Teil der Intertextualität verstanden und es wird angenommen, dass die Umformung eines Romans in andere Medien immer einem ästhetischen Prinzip unterliegt, das schon in den Romanen verankert sein kann – man denke hier nur an den Begriff des ‚filmischen Schreibens‘. Aufbauend auf den diskursiven, kontextuellen Schnittstellen, die sich zwischen dem Männerroman und den anderen analysierten Texten ergeben, soll der Männerroman dann möglichst allgemeingültig als Genre beschrieben werden.

16 Baumann: Bestseller-Autor Tommy Jaud im Interview. 17 Vgl.: Scheinpflug, Peter: Genre-Theorie. Eine Einführung. Berlin: Lit 2014 (=Red guide), S. 19.

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Poproman Frauenroman

Vorläufer

Geschlechterrollentausch

Männerroman

Comedy

Film

Hörbuch Ratgeberliteratur

Da das zu beschreibende Genre ein aktuelles Phänomen ist und die bisher erschienenen Romane dieser Kategorie zahlenmäßig noch zu überblicken sind, kann das Korpus, das dieser Untersuchung zugrunde liegt, als nahezu vollständig angesehen werden. Daneben ist diese Arbeit als Grundlagenforschung im Bereich der Gegenwartsliteratur zu werten, denn trotz ihres kommerziellen Erfolgs, auch in transmedialen Erscheinungen, sind Männerromane erstaunlicherweise literaturwissenschaftliches Neuland.

Literaturtheoretischer Hintergrund

L ITERATURÄSTHETISCHE V ERORTUNG Unlängst wurde Jaud in einem Interview gefragt: „Macht es dir Angst, dass die Auflagen deiner letzten Bücher höher sind als die von Kehlmann und Walser?“ Und wahrscheinlich hatte Neon-Journalistin Annabel Dillig erwartet, dass Jaud nun einen Kniefall vor der so genannten ‚hohen Literatur‘ von Daniel Kehlmann und Martin Walser macht. Doch stattdessen geht Jaud in die Offensive und antwortet selbstbewusst: „Das sollte denen Angst macselbstbewusst: „Das sollte denen Angst machen!“1 Literaturästhetisch betrachtet haben Kehlmann und Walser mit Jaud sicherlich nur wenige Gemeinsamkeiten. Was alle drei eint, ist jedoch, dass sie Männer sind und zu den bekanntesten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart zählen. Doch in welcher Beziehung stehen überhaupt Gegenwart und Literatur? Richard Kämmerlings hat hierzu folgende These aufgestellt: „Wenn die Gegenwart ein Fall ist, unsere Gesellschaft ein Tatort und der Autor ein Kommissar, dann wäre die Vergangenheit ein Teil der Lösung. Ansonsten ist sie eine Flucht.“2 Demzufolge ist die Literatur in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg oft geflohen. Lange Zeit dominierte Nachkriegsliteratur das literarische Erzählen in Deutschland. Erst unge-

1

Dillig, Annabel: „Ein Gag pro Seite“. In: Neon.de 2010. http://www.neon.de/artikel/freiezeit/literatur/ein-gag-pro-seite/685657 (27.8.2014). Jaud befand sich mit seinem zweiten Männerroman Resturlaub auf der Spiegel-Bestsellerliste monatelang auch deutlich vor Nobelpreisträger Orhan Pamuk. (Vgl.: Junghänel, Frank: Der König des Bahnhofkiosks. Tommy Jaud schreibt Bücher für Menschen, die ansonsten eher nicht lesen. Mit „Vollidiot“ und „Resturlaub“ steht er seit Monaten in den Bestsellerlisten. In: Berliner Zeitung (30.1.2007). S. 3)

2

Kämmerlings, Richard: Das kurze Glück der Gegenwart. Deutschsprachige Literatur seit ’89. Stuttgart: Klett-Cotta 2011, S. 15.

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fähr zwanzig Jahre nach der Nazi-Diktatur hatte eine bedeutende Modifizierung stattgefunden: „Die jüngeren Autoren wenden sich nun viel stärker der Gegenwart und ihren eigenen Lebenswelten zu“3, äußerte sich vor nicht langer Zeit Olaf Petersenn vom Verlag Kiepenheuer & Witsch gegenüber dem Spiegel. Statt ‚Geschichtsflucht‘ scheint nun ‚Gegenwartsbezug‘ unter jungen Autoren en vogue zu sein und Verkaufszahlen bestätigen diese Tendenz auch bei den Lesern: In dem SpiegelArtikel werden unter anderem der Männerroman-Autor Jaud und die FrauenromanAutorin Ildikó von Kürthy als deutschsprachige Autoren der Gegenwart genannt, die eine sechsstellige Auflagenzahl erreichen, allerdings sicherlich „nichts für den Buchpreis“4 sind. „Gegenwart, mulitmedial, virtuell oder zwischen zwei Buchdeckel gebunden, wuchert von allen Seiten.“5 Laut dem Metzler Literaturlexikon ist ‚Gegenwartsliteratur‘ ein relationaler Begriff, der eine Teilmenge des Gesamtbereichs ‚Belletristik‘ bezeichnet. Seine Bestimmung ist abhängig davon, was der Betrachter als eine Gegenwart erfährt und wie er ‚Gegenwart‘ definiert.6

‚Belletristik‘ bezeichnet hierbei „nicht-wissenschaftliche, sog. ‚schöne‘ oder ‚schöngeistige‘“7 Literatur. Der Begriff hat sich im 18. Jahrhundert etabliert. Seitdem ist die erzählende Literatur, zu der nicht nur Romane, sondern auch längere Erzählungen gerechnet werden, die überwiegende Form belletristischer Literatur. „Unter den belletristischen Neuerscheinungen befinden sich in Prozentzahlen ausgedrückt 80-90 Prozent erzählende Literatur.“8 Der Männerroman hat damit als

3

Olaf Petersenn zitiert nach: Voigt, Claudia u. Silja Ukena: Lesen Sie deutsch? In: KulturSpiegel (2007) H. 3. S. 14–17, S. 16.

4 5

Ebd., S. 17. Jung, Thomas: Viel Lärm um nichts. Beobachtungen zur jüngsten Literatur und dem Literaturbetrieb. In: Alles nur Pop? Anmerkungen zur populären und Pop-Literatur seit 1990. Hrsg. von Thomas Jung. Frankfurt am Main: Peter Lang 2002. S. 9–14, S. 11.

6

Werle, Dirk: Gegenwartsliteratur. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. a. Stuttgart: Metzler 2007. S. 267– 268, S. 267.

7

Schweikle, Irmgard: Belletristik. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. a. Stuttgart: Metzler 2007. S. 75.

8

Pohl, Sigrid u. Konrad Umlauf: Warenkunde Buch. Strukturen, Inhalte und Tendenzen des deutschsprachigen Buchmarkts der Gegenwart. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 2007, S. 64.

L ITERATURTHEORETISCHER HINTERGRUND | 19

Roman die typische Form für Belletristik, die die Hauptwarengruppe des Buchmarkts bildet. Aber zurück zur Gegenwartsliteratur als einem Teil dieser Belletristik. Es sollte geklärt werden, was heute unter ‚Gegenwart‘ zu verstehen ist. Um sie von der vorherigen Literaturgeschichte abgrenzen zu können, bedarf es einer in irgendeiner Weise bedeutenden Zäsur. Diese ist meist ereignisgeschichtlich motiviert und basiert auf politischen oder sozialen Zäsuren, die als Einschnitt im zeitgeschichtlichen Diskurs gewertet werden können. Mit Blick auf die deutsche Geschichte kommen als Zäsuren, die als Beginn der Gegenwart gedeutet werden können, die Jahre 1945, 1968 und 1989 in Frage. Die bedeutendste Zäsur stellt zweifelsfrei das Ende des Zweiten Weltkriegs dar, der in den darauffolgenden Jahrzehnten im literarischen Diskurs verarbeitet wurde und einen zentralen Komplex der Nachkriegsliteratur darstellt. Eine weitere mögliche Zäsur geht auf das Jahr 1968 mit der Studentenbewegung zurück, die zu einer neuen, durch starke Politisierung geprägten Literatur führte. Aber sowohl das Jahr 1945 als auch das Jahr 1968 sind inzwischen zu weit weg, um behaupten zu können, dass Literatur aus diesen Jahren noch Gegenwartsliteratur darstellt. Man denke zum Beispiel an die Frauenromane von Eva Heller, die damals Feministinnen revolutionär erschienen. Eine junge Frau, die heute einen Roman von Eva Heller liest, sieht sich allerdings in eine andere Zeit versetzt. Was damals unter dem Etikett „feministische Literatur“ lief, kann von heutigen Feministinnen nur noch als „Mütterliteratur“ belächelt werden. Genau deswegen ist es verbreitet, die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 als Einschnitt für die Gegenwart anzusehen. In der Literatur ist für diese Zeit das kurzzeitige Aufkommen der Neuen Popliteratur bezeichnend sowie zahlreiche Literaturstreits.9 Diese Ansicht, dass es seit 1989 die derzeitige Gegenwartsliteratur gibt, vertreten jedoch nicht alle Literaturwissenschaftler. Klaus-Michael Bogdal zum Beispiel ist der Ansicht, dass die deutsche Vereinigung keine Zeitenwende in der Literatur bedeutet hat. Zwar sei vereinzelt über den Fall der Mauer geschrieben worden, doch bereits gewohnte Themen würden auch in dieser Zeit dominieren. Nach den 1970er Jahren und dem Abschied von den Kriegsthemen gab es seiner Ansicht nach keine Zeitenwende mehr.10 Trotzdem sieht Bogdal eine Veränderung der Literatur seit den 1980er und 1990er Jahren: In dieser Zeit sei eine Literatur entstanden, die einen neuen Realismus und eine neue Gründerzeit vorzuweisen habe.11 Somit kann auch

9

Vgl.: Werle: Gegenwartsliteratur, S. 267.

10 Vgl.: Bogdal, Klaus-Michael: Klimawechsel. Eine kleine Meteorologie der Gegenwartsliteratur. In: Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre. Hrsg. von Andreas Erb, Hannes Krauss u. Jochen Vogt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998. S. 9–31, S. 15. 11 Vgl.: ebd., S. 23.

20 | DER M ÄNNERROMAN

mit Bogdal für eine Zäsur um das Jahr 1989 argumentiert werden, denn für eine Zeitenwende ist es eben nicht nötig, dass ein historisches Ereignis vermehrt in der Literatur thematisiert wird. Ein Wandel in der Literatur muss nicht zwingend an bestimmte Sujets gebunden sein. Dass das Jahr 1989 nicht von jedem als eine Zäsur in der Literaturgeschichte angesehen wird, mag auch daran liegen, dass die Literatur seitdem keine problemlastige und kämpfende mehr ist. Das eine große Problem der Gesellschaft in Deutschland gibt es nicht mehr. Was die neuere Literatur charakterisiert, die nicht nur im Sujet, sondern auch poetologisch signalisiert, nach 1989 geschrieben worden zu sein, das ist das Fehlen von Zorn und Wildheit. Was in die Augen fällt, ist die Friedfertigkeit der gerade reüssierenden Schriftsteller.12

Eine Generation ohne Probleme in der Größenordnung ‚Krieg‘ hat es schwer, ihre Themen zu finden. „Die Jungen von heute stehen auf den Schultern von Riesen.“13 Aber auch die heutige Generation hat ihre eigenen Themen, eine eigene Gegenwart, die beinahe völlig losgelöst ist von den Themen aus den Jahren um 1945 und 1968. Aus den vorangegangenen Überlegungen resultiert ergo folgende Minimaldefinition als Gebrauchsdefinition für die vorliegende Arbeit: Deutsche Gegenwartsliteratur ist (aus heutiger Sicht) Literatur seit dem Jahr 1989, die sich mit gegenwärtigen Themen beschäftigt und in deutscher Sprache verfasst ist. Damit ist die Definition der Gegenwartsliteratur natürlich immer noch äußerst nebulös, doch dies ist wohl ihr Spezifikum: Die Gegenwartsliteratur hat verschiedene Stimmen, Stile, Schreibweisen. Und der eine Name ‚Gegenwartsliteratur‘ wird für verschiedene Subgenres gebraucht (deutscher Gegenwartsroman, Familienroman, Erinnerungsliteratur, Migrantenliteratur, junge deutsche Lyrik).14

Und zu diesen Subgenres der Gegenwartsliteratur zählen selbstverständlich auch der neue Frauenroman und ebenso der Männerroman, die zwar divergente Stimmen haben, nämlich einmal eine weibliche und einmal eine männliche, die jedoch beide

12 Schmidt, Thomas E.: Der Friede der Dichter und der Krieg der Lektoren. Über die neueste deutsche Literatur auf dem Markt und in der öffentlichen Kritik. In: Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Andrea Köhler u. Rainer Moritz. Leipzig: Reclam 1998. S. 126–136, S. 135. 13 Ebd. 14 Braun, Michael: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln: Böhlau 2010 (=UTB 3352), S. 10.

L ITERATURTHEORETISCHER HINTERGRUND | 21

analoge Stile und Schreibweisen vorweisen, wie noch im Verlauf der Arbeit gezeigt wird. Gegenwartsliteratur ist nicht nur eine Definitions-, sondern auch eine Geschmacksfrage. Auf Gegenwartsliteratur wird selten mit Beifall reagiert. Ganz im Gegenteil: Sie wird oft als minderwertige Literatur bewertet, ganz nach dem Motto ‚früher war alles besser‘ – auch die Literatur. Der deutschen Gegenwartsliteratur wird von Meinungsmachern im Feuilleton nicht selten eine Krise attestiert. Doch wie genau sieht die Krise der Gegenwartsliteratur aus? Friedhelm Rathjen versucht dem auf die Spur zu kommen und resümiert schließlich, dass die Literatur in gar keiner Krise steckt, sondern lediglich mit Krisen umzugehen hat. Zum Beispiel damit, dass sich heute ein Gros lieber den Vergnügungen der Unterhaltungsbranche hingibt, als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Viel zu viele Texte sind seiner Meinung nach daher zwar journalistisch, aber nicht literarisch. Gegenwartsliteratur und Journalismus setzen sich mit gegenwärtigen Themen auseinander. Zeitthemen werden bereits im journalistischen Rahmen und im Sachbuch besprochen. Romane sind nicht an der öffentlichen Debatte zu Zeitthemen beteiligt, so lautet der Vorwurf, und wenn sie dies doch versuchen, dann würden sie über das „aufgemotzte Journalistische“ nicht hinauskommen. Natürlich habe Literatur mit der Zeit zu tun, aus der sie entsteht, meint Rathjen. Aber sie sei eben nicht als „simpler Themen-Diskurs“ zu fassen.15 Trotzdem sollte sich Gegenwartsliteratur, wie der Journalismus auch, mit der Gegenwart auseinander setzen, empfiehlt Kämmerlings. Erhard Schütz stellt Journalismus und Literatur in einen ähnlich engen Zusammenhang: Die printmediale Industrialisierung bringt Buch und Presse unter Austauschdruck. Zeitungen als Ort des Ephemeren, Schnellvergänglichen, das durchaus gewichtig und langwierig produziert sein kann, erzeugen den Wunsch nach Dauer. Die mediale Beschleunigung produziert sowohl Wünsche des Mithaltenwollens wie Sorge um Beständigkeit. Aktualitätsdruck und Archivierungsfunktion fusionieren im Buch.16

Allerdings gilt dies nur dann, wenn es sich um Gegenwartsliteratur handelt. Während Kämmerlings den in der Wissenschaft und in Kulturredaktionen weit verbreiteten Standpunkt vertritt, dass Journalismus als Grundlage für Literatur abgelehnt

15 Rathjen, Friedhelm: Crisis? What Crisis? In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Hrsg. von Christian Döring. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995. S. 9–17, S. 11. 16 Schütz, Erhard: Journailliteraten. In: Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre. Hrsg. von Andreas Erb, Hannes Krauss u. Jochen Vogt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998. S. 97–106, S. 98.

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werden sollte, vertritt Schütz folglich eine weit gemäßigtere Position und sieht Literatur und Journalismus unter ‚Austauschdruck‘ stehen. Die enge Verbindung sei eine logische Folge der Industrialisierung und nicht das Übel der Literatur. Noch weiter geht Maxim Biller, der geradezu für eine Literatur, die auf dem Journalismus fußt, plädiert. Vom Journalismus könne die Literatur „nicht nur das Gespür fürs vorgegebene Material, für den Menschen an sich, für die Wirklichkeit“ lernen, sondern auch, „daß es einen Sinn hat, so zu schreiben, daß der Leser begreift. Denn wenn man etwas erkannt, wenn man etwas zu sagen hat, dann will man logischerweise auch, daß die anderen einen verstehen.“17 Und Biller geht noch weiter, indem er die These aufstellt, dass Literatur nicht mehr sei als eine „ewige Recherche des menschlichen Daseins, der Geschichte des einzelnen, einer Gruppe, eines Volkes, des ganzen Menschengeschlechts.“18 Der Männerroman betriebe in diesem Sinne also die ‚ewige Recherche der Männlichkeit‘. Auf den ersten Blick scheint diese Schlussfolgerung nur allzu logisch. Doch eine Recherche beruht – im Idealfall – auf wahren Gegebenheiten und nicht wie die Literatur auf Imagination, die natürlich auch gerne mit wahren Gegebenheiten gemischt sein darf. Außerdem ist Literatur nicht nur seitenfüllend, wie der kompakt formulierende Journalismus, sondern buchfüllend. Dennoch hat sich die Art und Weise des Formulierens im Journalismus und in der Literatur auffällig stark angenähert: Der Plauderton ist nicht nur bei Autoren wie Christian Kracht,19 sondern auch bei Journalisten angesagt. Doch dies mag vielleicht auch eher ein Phänomen unserer Zeit sein als ein Resultat der Annährung zwischen Literatur und Journalismus. Nach Friedhelm Rathjen muss Literatur im Gegensatz zum Journalismus immer selbstreflexiv sein; wer Literatur schafft oder konsumiert, müsse sich zwangsläufig mit sich selbst auseinandersetzen, „über ein Selbst, dass das des Lesers, das des Autors, auch das der eigenen Text-Materialität“20 sein kann, reflektieren. In diesem Sinne sind Männerromane in jedem Fall Literatur, da sie die Männlichkeit in der Gesellschaft reflektieren und damit auch – ob dies dem Autor nun bewusst ist oder nicht – über die Männlichkeit des männlichen Autors und der männlichen Leser-

17 Biller, Maxim: Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel. Warum die neue deutsche Literatur nichts so nötig hat wie den Realismus. Ein Grundsatzprogramm. In: Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Andrea Köhler u. Rainer Moritz. Leipzig: Reclam 1998. S. 62–71, S. 68. 18 Ebd., S. 70. 19 Vgl.: Hielscher, Martin: Geschichte und Kritik. Die neue Lesbarkeit und ihre Notwendigkeit. In: Was bleibt – von der deutschen Gegenwartsliteratur? Hrsg. von Mariatte Denmann, Peter McIsaac u. Werner Jung. Stuttgart: Metzler 2001. S. 65–71, S. 65. 20 Rathjen: Crisis? What Crisis?, S. 14.

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schaft. Selbstreflexiv sind Männerromane also per se und damit auch immer Literatur im Sinne von Rathjen. Gegenwartsliteratur ist für Rathjen Literatur dann, wenn der Text sich mit einem gegenwärtigen Thema auseinandersetzt. Auch dies trifft auf Männerromane zu, die als Nachfolger der Frauenromane eine andere Seite der aktuellen Geschlechterdebatte beleuchten. Der Mehrwert, den Gegenwartsliteratur nach Kämmerlings gegenüber anderer Literatur anzubieten hat, ist das Versprechen an den Leser auf eine Erkenntnis über die Gegenwart. Denn andernfalls fragt er sich womöglich, ob er nicht bei den bewährten Klassikern bleiben soll. ‚Zeitlosen‘ Fragen und Problemen kann er sich mit Tolstoi und Dostojewski, mit Joseph Conrad und Iris Murdoch und John Updike ebenso gut und wohl im Durchschnitt besser stellen als mit brandaktuellen Büchern, von denen doch die größte Zahl eher nicht zur Weltliteratur aufsteigen wird.21

Deutsche Gegenwartsliteratur hat einen Mehrwert vor allem für deutsche Leser, wenn sie sich nicht nur mit aktuellen Themen auseinandersetzt, sondern mit aktuellen Themen in Deutschland. So wird Männlichkeit in einem kleinen Dorf irgendwo in Afrika mit Sicherheit anders verstanden als in einem kleinen Dorf irgendwo in Deutschland. Männlichkeit ist in verschiedenen Kulturen unterschiedlich besetzt. Aber so weit muss man gar nicht gehen: Für Männer in Deutschland bieten sich auch schon andere Möglichkeiten und Probleme als in den Nachbarländern. Deutsche Gegenwartsliteratur sollte sich folglich mit der deutschen Gegenwart auseinandersetzen, um eine Gegenwart zu behandeln, die den Lesern wirklich gegenwärtig ist. Roland Barthes beklagte einmal: „[M]an verlangt von uns zu warten, bis der Schriftsteller tot sei, um ihm mit ‚Objektivität‘ begegnen zu können.“22 Inzwischen boomen Forschungen zur Gegenwartsliteratur; die Lücke wurde erkannt. Literaturwissenschaftler verstehen sich mehr und mehr als Kombattanten und Korrektoren in den Diskursen der Gegenwartsliteratur. Ursache dafür mag sein, dass sich gerade die jüngeren Wissenschaftler bewusst für die Auseinandersetzung mit der Literatur ihrer Generation entscheiden. Mag aber auch sein, dass dies die süße Rache für die seit mehr als zehn Jahren auf die Literaturwissenschaft niederprasselnde Schelte ist, nicht zuletzt sie sei Schuld an der Mi-

21 Kämmerlings: Das kurze Glück der Gegenwart, S. 15. 22 Barthes, Roland: Kritik und Wahrheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967 (=Edition Suhrkamp 218), S. 71.

24 | DER M ÄNNERROMAN sere der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur mit ihrer viel beschimpften ‚promovierten, habilitierten Germanistenprosa‘.23

Eine Schwierigkeit ist jedoch, dass es keinen Kanon für Gegenwartsliteratur gibt, dafür ist sie einfach noch zu jung. Als Alternative gibt es jedoch Bestsellerlisten als einen Indikator für erfolgreiche Literatur. „Für die Mehrheit des Publikums geben die Bestsellerlisten, so sehr sie auch geschmäht werden, eine wichtige Orientierung.“24 Allein in der Fachzeitschrift Buchreport werden Woche für Woche die meistverkauften Bücher aufgelistet. Unter den rund 200 Titeln befinden sich Sachbücher ebenso wie belletristische Literatur. Auch in den Zeitschriften Spiegel, Börsenblatt und Focus werden Bestsellerlisten veröffentlicht.25

Laut Zimmermann ist Unterhaltungsliteratur „jene Belletristik, die heute in den Taschenbuchreihen erscheint [...], die die Bestseller-Liste des ‚Spiegel‘ erklettert und das Gros der Angebote der Buchgemeinschaften stellt.“26 Zur Belletristik, die die Bestsellerlisten dominiert, gehört also nicht nur Gegenwartsliteratur, sondern auch Unterhaltungsliteratur, wobei zwischen beiden eine Überschneidungsmenge besteht. Nach Wieland – oder Voltaire, denn die Wissenschaft ist sich nicht gänzlich einig, wem von beiden folgendes Zitat zugeschrieben werden muss – gilt: „Jede Art von Literatur ist erlaubt, außer der langweiligen.“27 Literatur soll unterhalten. Doch nicht jede Literatur, die unterhält, ist auch gleich Unterhaltungsliteratur, wie Josef Haslinger in dem Essay Hausdurchsuchung im Elfenbeinturm amüsant anschaulich macht:

23 Delaber, Walter: Reload, remix, repeat – remember. Chronikalische Anmerkungen zum Wunder des Fräuleinwunders. In: Fräuleinwunder literarisch. Literatur von Frauen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hrsg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar u. Helga Meise. Frankfurt am Main: Peter Lang 2005, S. 234. 24 Pohl et al.: Warenkunde Buch, S. 57. 25 Ebd., S. 58. 26 Zimmermann, Hans Dieter: Trivialliteratur? Schema-Literatur! Entstehung, Formen, Bewertung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer 1982 (=Urban-Taschenbücher 299), S. 20. 27 Zitiert nach: Wittstock, Uwe: Ab in die Nische? Über neueste deutsche Literatur und was sie vom Publikum trennt. In: Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Andrea Köhler u. Rainer Moritz. Leipzig: Reclam 1998. S. 86–109, S. 102.

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Ich lese nur Unterhaltungsliteratur. In letzter Zeit waren es Werke von Paul Auster, Theodor W. Adorno, Franz Kafka, Peter Handke, Jacques Derrida, Harold Bloom, Hans-Jörg Schertenleib, Richard Schusterman, Ernst Jandl, Uwe Wittstock, Immanuel Kant, Allen Ginsberg, Ingeborg Bachmann, Flann O’Brien und die Antrittsvorlesung des Wiener Ästhetikprofessors Rudolf Burger, bei deren Lektüre ich mich köstlicher unterhalten habe als bei jeder anderen der genannten Autoren. Hinzu kamen noch Artikel aus Zeitschriften und Magazinen sowie ein Handbuch über die Anwendung einer speziellen Software. Letztere fand ich stinklangweilig.28

Obwohl sich Haslinger mit nur einer Ausnahme von all diesen Texten unterhalten fühlte, ist keiner von ihnen der Unterhaltungsliteratur zuzuschreiben. Stattdessen wird Unterhaltungsliteratur definiert als mittlere Ebene zwischen Hochliteratur und Trivialliteratur in dem Dreischichtenmodell der Literatur nach Foltin.29 Dabei sind die Übergänge zwischen den drei Ebenen zwar fließend, aber die drei Ebenen sind theoretisch anhand von Kriterien unterscheidbar: Unterhaltungsliteratur und Trivialliteratur bedienen im Gegensatz zur Hochliteratur literarische Schemata und klischeehafte Vorstellungen. Im Gegensatz zur Trivialliteratur wird die Unterhaltungsliteratur von diesen jedoch nicht dominiert, sondern bedient sich ihrer lediglich. Der Begriff Unterhaltungsliteratur wird oft in diskreditierender Absicht verwendet.30 „Jeder kann sich mit einem Blick auf die zitierten Bestsellerlisten davon überzeugen, daß dort vorwiegend Bücher notiert werden, mit deren Lektüre man bei seinem alten Deutschlehrer wenig Eindruck schinden dürfte“31, mokiert Wittstock. Gleichzeitig muss er jedoch eingestehen: „Natürlich ist [...] Erfolg kein literarisches Gütesiegel. Aber Mißerfolg auch nicht, soviel steht fest.“32 Bestsellerlisten sind als ein Indikator für Erfolg eine gute Orientierung, wenn es um die Bewertung der Ge-

28 Haslinger, Josef: Hausdurchsuchung im Elfenbeinturm. Essays. Frankfurt am Main: Fischer 1996 (=Fischer 2388), S. 69. 29 Zum Dreischichtenmodell siehe: Foltin, Hans Friedrich: Die minderwertige Prosaliteratur. Einteilung und Bezeichnungen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift (1965) H. 39. S. 288– 323. 30 Vgl.: Leubner, Martin: Unterhaltungsliteratur. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. a. Stuttgart: Metzler 2007. S. 794–795, S. 794. 31 Wittstock: Ab in die Nische?, S. 91. 32 Ebd., S. 89.

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genwartsliteratur geht. Sie „sind Ausdruck von Zeitgeist und zugleich geschmacksbildend“33. Und Männerromane stehen nicht selten auf Bestsellerlisten. Männerromane sind Unterhaltungs- und Gegenwartsliteratur zugleich. Sie sind belletristische Literatur und sie sind nicht selten auf Bestsellerlisten zu finden. Indem sie auf den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs der Männlichkeit rekurrieren, weisen sie eine starke Nähe zum Journalismus auf, der sich bekanntermaßen ebenfalls mit aktuellen Diskursen befasst und sie partiell auch erst generiert. All diese Synthesen des Männerromans sprechen nicht unbedingt für ihn, wenn man dem Tenor der Meinungsmacher im Feuilleton und zahlreichen Literaturwissenschaftlern folgt. Doch genau in dieser Kombination des Massentauglichen und leicht Konsumierbaren liegt das Potential des Männerromans: Er ist für jeden transparent und relevant, weil er auf Bekanntes rekurriert. Er ist als kulturelles Archiv unserer Zeit ergo nicht zu unterschätzen, denn in ihm werden bedeutende Diskurse der Gegenwart geführt und weitergeführt.

D ISKURSANALYSE ALS NOTWENDIGES B EGRIFFSINSTRUMENTARIUM Da sich der Männerroman mit Männern und ihrer Männlichkeit befasst, liegt es auf den ersten Blick nahe mit den Gender Studies zu arbeiten, die in ihrer heutigen Form seit den 1990er Jahren bestehen. In den Gender Studies werden Geschlechterverhältnisse als kontextabhängige Konstrukte erkannt und in unterschiedlichen Disziplinen thematisiert. Doch Gender Studies „sind keine ‚Methode‘ und haben kein ‚Modell‘, sondern sie bezeichnen ein thematisches Interesse, das in verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Gegenstandsbestimmungen und Verfahren verfolgt wird.“34 Die Literatur war dabei von Beginn an ein wichtiger Forschungsbereich der Gender Studies, vor allem seitdem sich die These durchsetzte, dass Geschlecht „mit Hilfe literarischer Narrative produziert und reproduziert“35 wird. Gender Studies auf Literatur anzuwenden liegt folglich nahe, doch eine Anwendung

33 Schmitz, Rainer: Mythos Bestseller. Das Geschäft mit dem Erfolg. In: Bestseller und Bestsellerforschung. Hrsg. von Christine Haug u. Vincent Kaufmann. Wiesbaden: Harrassowitz 2012. S. 1–22, S. 1. 34 Osinski, Jutta: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: Schmidt 1998, S. 122. 35 Dahlke, Birgit: Literatur und Geschlecht. Von Frauenliteratur und weiblichem Schreiben zu Kanonkorrektur und Wissenschaftskritik. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 767–773, S. 770.

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von Gender Studies ohne eine konkrete Methode stellt sich als ein Problem dar und soll daher in dieser Arbeit nicht durchgeführt werden. Seit Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter werden Identität und damit auch Gender jedoch zunehmend als Effekt von Diskursen begriffen – und ohne den Begriff des Diskurses nach Foucault kommt auch diese Untersuchung nicht aus. Für Foucault stellt die Literatur einen von vielen möglichen Wissensspeichern dar: Die archäologischen Gebiete können ebenso durch ‚literarische‘ oder ‚philosophische‘ Texte gehen wie durch wissenschaftliche Texte. Das Wissen ist nicht nur in Demonstrationen eingehüllt, es kann auch in Fiktionen, in Überlegungen, in Berichten, institutionellen Verordnungen, in politischen Entscheidungen liegen.36

Ein literarischer Text befindet sich nach Foucault in einem Geflecht verschiedener Diskurse, wobei der literarische Text ebenfalls von Diskursen durchzogen ist.37 Ein literarischer Text ist nicht mit einem Diskurs gleichzusetzen, denn Untersuchungsgegenstand von Diskursen ist „nicht die Sprache, sondern die Menge des Gesagten, sein durch Strategien der Verknappung in Grenzen gehaltenes und zugleich geregeltes Wachsen“38, das erst im Kontext, also außerhalb des Untersuchungsgegenstandes, greifbar wird. „‚Aussagen‘ sind die Kernelemente eines Diskurses“39. Präziser ist ein Diskurs die „Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“40. Dieses „allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen“41 bezeichnet Foucault als das ‚Archiv‘. „Das Meer der tatsächlichen und unweigerlich nur zum Teil in den Archiven dokumentierten diskursiven Ereignisse“42 stellt die Datengrundlage einer Diskursanalyse dar. Damit besteht ein Diskurs aus Aussa-

36 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988 (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 356), S. 261. 37 Vgl.: Kilian, Eveline: Diskursanalyse. In: Literaturwissenschaft in Theorie und Praxis. Eine anglistisch-amerikanistische Einführung. Hrsg. von Ralf Schneider. Tübingen: Narr 2004. S. 61–82, S. 61. 38 Karpenstein-Eßbach, Christa: Zum Unterschied von Diskursanalysen und Dekonstruktionen. In: Flaschenpost und Postkarte. Korrespondenzen zwischen kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Hrsg. von Sigrid Weigel. Köln: Böhlau 1995. S. 127–139, S. 133. 39 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 41. 40 Ebd., S. 156. 41 Ebd., S. 188. 42 Keller, Reiner: Michel Foucault. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2008 (=Klassiker der Wissenssoziologie 7), S. 76.

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gen und das Archiv aus Diskursen. Die Diskursanalyse besteht aus der Deskription diskursiver Ereignisse dirigiert von der Frage: „[W]ie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine andere an ihrer Stelle?“43 Es wird folglich die Selektion analysiert, die sich aus Aussagen aus dem Archiv des Möglichen in einem Diskurs niedergeschrieben hat. Bevor Diskurse analysiert werden können, müssen sie erst einmal rekonstruiert werden. Diesen Vorgang der Rekonstruktion von Diskursen, die Teil des Archivs einer Kultur sind, bezeichnet Foucault als Archäologie.44 Dabei verhält es sich so, dass in jeder Gesellschaft bestimmte Diskurse als wahr angesehen werden und andere als falsch bewertet und verworfen werden. „Während die Archäologie die Schicht der diskurskonstituierenden Regeln rekonstruiert, erklärt die Genealogie die Herkunft“45 mit Hilfe von Machtverhältnissen. Ebenso wie das Wissen ist somit nach Foucault auch die Wahrheit an Macht gebunden. In jeder Gesellschaft formiert sich durch die Bewahrheitung und Verwerfung von Aussagen als ein Ergebnis von Machtprozessen ein System von möglichen Denk- und Aussageformen.46 Männliche Repräsentationen in modernen westlichen Kulturen werden zum Beispiel vor allem ex negativo konstruiert: Männlichkeit ist nicht weiblich.47 Hierbei wird besonders deutlich: Diskurse sind kein Spiegel der gesellschaftlichen Realität,48 denn ein Diskurs ist kein Ausdruck der Gesellschaft, sondern führt ein Eigenleben. Ein Diskurs ist damit auch kein passives Medium, das Realität speichert oder spiegelt, sondern ein Teil der Realität. Gegenstand dieser Untersuchung des Männerromans ist daher zum Beispiel auch nicht die Männlichkeit der gesellschaftlichen Realität, sondern Männlichkeit, wie sie im literarischen Diskurs der Gegenwart repräsentiert und konstruiert wird. Dabei wird der Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Realität und literarischem Diskurs keinesfalls desavouiert. Es soll vielmehr illustriert werden, wie die gesellschaftliche Realität in Form

43 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 42. 44 Vgl.: Bublitz, Hannelore: Archäologie und Genealogie. In: Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner. Frankfurt am Main: Campus 2001. S. 27–39, S. 30. 45 Ebd., S. 31. 46 Vgl.: Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve 1978, S. 51. 47 Vgl.: Wedgwood, Nikki u. Robert W. Connell: Männlichkeitsforschung. Männer und Männlichkeiten im internationalen Forschungskontext. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 116– 125, S. 117. 48 Vgl.: Keller: Michel Foucault, S. 79.

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der literarischen Repräsentation im Männerroman fixiert wird. Um einen Diskurs richtig einordnen zu können, wird die intertextuelle Verhandlung nicht nur im Männerroman betrachtet, sondern auch in anderen literarischen und rhetorischen Diskursen der Gegenwart und Vergangenheit. Männlichkeit wird erfasst als Wissen über den Mann in der Gesellschaft mit bestimmten Attributen, Charakteristiken und Rezeptionsparadigmen. Foucault vermittelt, dass Wissen immer mit Macht verknüpft ist. Er ist der Ansicht, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstiutiert.49

In diesen Macht-Wissens-Komplex ist die Erkenntnis eingebunden. Dabei verhält es sich so, „daß das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformation bilden.“50 Ein Subjekt ist weder Inhaber von Macht und Wissen noch für sie oder ihr Zusammenspiel konstitutiv. Ein Subjekt ist vielmehr eine der Wirkungen von Macht und Wissen.51 Oft wird Foucaults Texten vorgeworfen, dass in ihnen das Subjekt gänzlich geleugnet würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn ohne Subjekt gäbe es keinen Diskurs und ohne Diskurs kein Subjekt. Allerdings wird in Foucaults Texten bestritten, dass das Subjekt im Diskurs souverän ist,52 eben weil es einen Effekt darstellt.53

49 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977 (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 184), S. 39. 50 Ebd. 51 Vgl.: Volkers, Achim: Wissen und Bildung bei Foucault. Aufklärung zwischen Wissenschaft und ethisch-ästhetischen Bildungsprozessen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, S. 14. 52 Vgl.: Jäger, Margarete: Diskursanalyse. Ein Verfahren zur kritischen Rekonstruktion von Machtbeziehungen. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 386–391, S. 388. 53 Hierbei sind sicherlich Foucaults verschiedene Werkphasen zu differenzieren. In „Die Ordnung der Dinge“ konstatiert er noch das Verschwinden des Subjektes, während er es in späteren Jahren wieder in seine Theorien eingliedert. Man denke nur an die Vorlesungen zur „Hermeneutik des Subjekts“, in denen er eine Selbstethik verfasst. (Vgl.: Foucault, Michel: Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82). Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004.)

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Der Diskurs der Gesellschaft lässt sich als Gesamtdiskurs beschreiben, der sich in unterschiedliche Diskursstränge gliedern lässt, die auf unterschiedlichen Diskursebenen produziert und reproduziert werden. Ein Diskursstrang ist ein thematischer Bereich des Gesamtdiskurses Gesellschaft, zum Beispiel der Bereich der Gender Studies, der nicht starr, sondern historisch wandelbar ist. Diskursstränge bestehen aus Fragmenten, aus einzelnen Aussagen. Diskursebenen sind die Orte, von denen aus Diskurse wirken, zum Beispiel die Literaturebene, die Wissenschaftsebene oder die Ebene der Medien. Die verschiedenen Diskursebenen beeinflussen sich gegenseitig.54 Da ein Diskurs Wissen produziert und transportiert, trägt er zur Komposition von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei, denn das in den Diskursen produzierte und transportierte Wissen ist Handlungsgrundlage der Subjekte und damit Basis der Realitätsgestaltung. Macht und Wissen reglementieren soziale Beziehungen und damit die Gesellschaft55 samt ihrer Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Das ‚Soziale‘ ist hierbei weder Grund noch Wirkung von Diskursen, sondern eine Variable, die sich am ehesten mit dem Begriff ‚Performanz‘56 greifen lässt.57 Literarische Repräsentationen der gesellschaftlichen Realität, wie sie der Männerroman darstellt, sind ‚engendered‘, Aussagen im literarischen Diskurs sind mit dem Wissen über Gender aufgeladen. Unser kulturelles Wissen ist demnach „gendered knowledge“58, also ‚Genderwissen‘, und wurde von ‚knowledge-producers‘ gefertigt und verbreitet59. In der vorliegenden Untersuchung sind diese knowledgeproducers die Autoren der Männerromane. Beim Lesen der Männerromane wird dann wiederum auf das kulturelle Wissen des Lesers zurückgegriffen: Treten Leerstellen im Text auf, werden diese mit den Epistemen der jeweiligen Kultur aufgeladen. Gender wird verstanden als Teil des Macht/Wissen-Komplexes, nämlich als „eine durch gesellschaftliche Machtstrukturen und Wissen determinierte Repräsen-

54 Vgl.: Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 4. Aufl. Münster: Unrast 2004 (=DISS 3), S. 160. 55 Vgl.: Seier, Andrea: Macht. In: Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner. Frankfurt am Main: Campus 2001. S. 90–107, S. 96. 56 Performanz wird hier ganz im Sinne Judith Butlers als eine Strategie der Verkörperung verstanden, mit der auch Identität konstruiert wird. 57 Vgl.: Bublitz: Archäologie und Genealogie, S. 36. 58 Morgan, David H. J.: Discovering Men. London: Routledge 1992 (=Critical Studies on Men and Masculinities 3), S. 34. 59 Vgl.: Ehrenreich, Barbara: The Hearts of Men. American Dreams and the Flight from Commitment. London: Pluto Press 1983, S. 13.

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tationsform des Subjekts“60. Oder divergent formuliert ist Gender mit Foucault gedacht „ein Ensemble von Auswirkungen, die in den Körpern, den Verhaltensweisen, den gesellschaftlichen Beziehungen durch das Dispositiv einer komplexen politischen Technologie herbeigeführt werden“61. Dabei wird das Dispositiv verstanden als ein heterogenes Netz von „Gesagte(m) ebensowohl wie Ungesagte(m)“62 im Macht/Wissen-Komplex. In dem Komplex koordinieren sich folglich diskursive und nicht-diskursive Komponenten, und zwar zu „Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden“63. Männlichkeit ist folglich nichts, das in einem Menschen genuin vorhanden ist, sondern es ist eine mögliche Repräsentationsform des Subjekts, die die Auswirkung eines Dispositivs im Macht/Wissen-Komplex ist. Da in dieser Arbeit mit Männlichkeit auch eine Repräsentationsform des Subjekts analysiert wird, ist dies eine Untersuchung ganz im Sinne Foucaults, der einmal erklärte: „Das Ziel meiner Arbeit während der letzten 20 Jahre war, [...] eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden“64. Es fällt bereits auf, dass die Anwendung der Diskursanalyse auf zum Beispiel ‚Männlichkeit‘ als ein Teil der Realität weitaus leichter fällt als auf das Genre des ‚Männerromans‘ als einen Teil der Literatur. Dies liegt daran, dass Foucaults Diskursanalyse zwar im Gegensatz zu den Gender Studies durchaus eine Methode darstellt – aber eben keine genuin literaturwissenschaftliche.

K ULTURPOETIK

ALS

T EXTVERSTÄNDNIS

Die Kulturpoetik „hat sich […] vorgenommen, sozusagen das Mikroskop auf das aus Diskursfäden gesponnene dichte Gewebe der Kultur […] zu richten und einzelne Fäden daraus zu verfolgen, um jeweils ein Stück Komplexität, Unordnung, Po-

60 Bogdal, Klaus-Michael: Historische Diskursanalyse der Literatur. Theorie, Arbeitsfelder, Analysen, Vermittlung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 1999 (=Historische Diskursanalyse der Literatur), S. 65. 61 Hark, Sabine: Feministische Theorie – Diskurs – Dekonstruktion. Produktive Verknüpfungen. In: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band I: Theorien und Methoden. Hrsg. von Reiner Keller, Andreas Hirseland u. a. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2001. S. 357–376, S. 359. 62 Foucault: Dispositive der Macht, S. 120. 63 Ebd., S. 123. 64 Foucault, Michel: Das Subjekt und die Macht. In: Michel Foucault – jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Hrsg. von Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow. Weinheim: Beltz Athenäum 1994. S. 243–261, S. 243.

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lyphonie, Alogik und Vitalität“65 wiederherzustellen. Sie kann verstanden werden als eine literaturwissenschaftliche Konkretion der Diskursanalyse,66 die Texte und Diskurse auf ein gemeinsames Tableau bringt,67 indem Diskurse nicht mehr systemisch gedacht werden, sondern textuell: Während bei der Diskursanalyse die den Texten vorgehenden, ortlosen Möglichkeitsbedingungen untersucht werden, analysiert die Kulturpoetik das konkret gegebene Textmaterial. Dabei ist unter ‚Text‘ alles zu fassen, „was sowohl gespeichert als auch lesbar, d.h. semiotisierbar ist“68. Männerromane oder Zeitungsartikel werden damit genauso als Text verstanden wie Fernsehauftritte oder Musik. Äquivalent hierzu wird auch ein semiotischer Kulturbegriff vertreten. Ganz in diesem Sinne erklärt Clifford Geertz: „Ich meine […], daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe.“69 Wie ein Text besteht also auch Kultur aus Zeichen, die es zu verstehen gilt.

65 Baßler, Moritz: Einleitung. New Historicism – Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 7–28, S. 15. Barthes bedient sich einer ähnlichen Metaphorik, die Textualität und Textilität zusammenbringt, wenn er behauptet, ein „Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur.“ (Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Uwe Wirth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. S. 104–110, S. 108.) 66 Zu bedeutenden Gemeinsamkeiten der Diskursanalyse mit dem New Historicism zählen, dass in beiden eine teleologische Ausrichtung der Geschichte geleugnet wird, und beide kritisieren die hermeneutisch-textimmanente Methode des New Criticism. 67 Vgl.: Baßler, Moritz: New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies. In: Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2003. S. 132–155, S. 141. 68 Baßler, Moritz: New Historicism und Textualität der Kultur. In: Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Hrsg. von Lutz Musner u. Gotthart Wunberg. Freiburg im Breisgau: Rombach 2003. S. 319–340, S. 326. 69 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte. Hrsg. von Uwe Wirth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008. S. 453–487, S. 455. Eine zufriedenstellende Definition von ‚Kultur‘ ist bei Greenblatt nicht zu finden. Dieser bewertet den Begriff ‚Kultur‘ als „geradezu unglaublich vage und umfassend“. Für ihn ist Kultur „ein Ausdruck, der immer wieder benutzt wird, ohne überhaupt sonderlich viel zu bedeuten, als ein vager Gestus, der auf ein schemenhaft wahrgenommenes Ethos verweist“. (Greenblatt, Stephen: Kultur. In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 48–59, S.

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‚Kulturpoetik‘ ist ein Begriff, der auf Stephen Greenblatt zurückgeht. Dieser gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des New Historicism und hat das Ziel seiner wissenschaftlichen Arbeit bereits in dem 1980 erschienenen Buch Renaissance SelfFashioning als „a poetics of culture“ beschrieben. In dem Aufsatz „The Forms of Power“, in dem er den Begriff des ‚New Historicism‘ eingeführt hat, benutzte er den Begriff ebenfalls. Außerdem benannte er einen Aufsatz mit dem Titel „The New Historicism“ im Untertitel mit „Towards a Poetic of Culture“. Seit den späten 1980er Jahren zieht Greenblatt den Begriff ‚Kulturpoetik‘ sogar dem Begriff ‚New Historicism‘ vor.70 Warum auch in dieser Arbeit der Begriff ‚Kulturpoetik‘ bevorzugt wird, soll später im Text geklärt werden. Zunächst soll jedoch ein einführender Blick auf die Theorie der Kulturpoetik geworfen werden, und es soll dabei nicht verwundern, dass diese im Folgenden auch des Öfteren als ‚New Historicism‘ bezeichnet wird. Im New Historicism wird aufbauend auf den von Geertz in seinem Aufsatz „Dichte Beschreibung“ entwickelten Überlegungen das Textverständnis erweitert durch „die Entdeckung, daß nicht nur hochkulturelle Texte, sondern Kulturen selbst komplexe textuelle Geflechte, symbolische Systeme sind, die das ganze interpretatorisch-analytische Handwerkszeug des Literaturwissenschaftlers fordern.“71 Dadurch verliert der literarische Text seine privilegierte Stellung: „qua sprachliches Produkt ist der literarische Text ein Text unter anderen.“72 Zumindest fast, denn wie Roman Jakobson festhält: „Was wir betonen, ist nicht der Separatismus der Kunst, sondern die Autonomie der ästhetischen Funktion.“73 Nach Jakobson haben alle sprachlichen Äußerungen – und damit auch Texte – eine referentielle Funktion, die ersichtlich wird, wenn man einen Text in seinen Kontext stellt. Bezogen auf diese referentielle Funktion sind alle Texte gleich. Von der Gleichstellung unberührt bleibt aber die poetische Funktion, die ein literarischer Text stärker akzentuiert als andere Texte: „Die poetische Funktion projiziert das

48.) Ohne eine Definition von ‚Kultur‘ ist eine ‚Kulturpoetik‘ jedoch nicht sinnvoll. Da sich die New Historicists selbst gerne auf Geertz beziehen und sein semiotisches Kulturkonzept zur Denkweise des New Historicism passt, soll in dieser Arbeit Geertz’ Kulturdefinition herangezogen werden. 70 Vgl.: Brannigan, John: New Historicism and Cultural Materialism. New York: St. Martin’s Press 1998 (=Transitions), S. 83–84. 71 Baßler: New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies, S. 143. 72 Kaes, Anton: New Historicism. Literaturgeschichte im Zeichen der Postmoderne? In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 251–268, S. 256. 73 Jakobson, Roman: Was ist Poesie? In: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921-1971. Hrsg. von Roman Jakobson. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979. S. 67–82, S. 78.

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Prinzip der Äquivalenz von der Axe der Selektion auf die Axe der Kombination. Äquivalenz wird zum konstitutiven Mittel einer Sequenz erhoben.“74 Während Jakobson also die Sonderstellung der Literatur durch eine besondere ästhetische Funktion gerechtfertigt sieht, kann man im Sinne Greenblatts von einer anderen Seite her argumentieren: Literatur „kodiert besonders viel von der in jeder Kultur unablässig zirkulierenden ‚sozialen Energie‘“.75 Oder mit Geertz’ semiotischer Theorie gesprochen, die Kultur als ein vom Menschen „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“76 ansieht: Die Literatur ist ein besonders dichtes Bedeutungsgewebe. Auch wenn die Literatur als Text unter vielen Texten verstanden wird, wird ihr folglich immer noch eine Sonderstellung eingeräumt. Der New Historicist stellt „seinen Text in einen Kontext anderer Texte derselben Zeit.“77 Dabei bedingen sich Text und Kontext „wechselseitig und sind in einer ständigen Austauschbeziehung miteinander zu denken.“78 Ein kultureller Kontext kann auch verstanden werden als ein intertextueller Zusammenhang. Ein Diskurs ist demzufolge ein intertextueller Zusammenhang eines Textes mit einem anderen und es können „alle Elemente diskursive Einheiten sein, die Paradigmen bilden können – und nur diese.“79 Im Prinzip richtet der New Historicism damit die Achse der Intertextualität neu aus: „Die Achse der Intertextualität ist für den New Historicism

74 Jakobson, Roman: Linguistik und Poetik. In: Strukturalismus in der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Heinz Blumensath. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972. S. 118–147, S. 126. 75 Lehnert, Gertrud: Kulturwissenschaft als Gespräch mit den Toten? Der New Historicism. In: Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren. Hrsg. von Iris Därmann u. Christoph Jamme. München: Fink 2007. S. 105–118, S. 112. Was ‚soziale Energie‘ ist, definiert Greenblatt nicht genau: „The term implies something measurable, yet I cannot provide a convenient and reliable formula for isolating a single, stable quantum for examination.“ (Greenblatt, Stephen: Shakespearean Negotations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England. Oxford: Clarendon Press 1988, S. 6.) Soziale Energie manifestiert sich „in the capacity of certain verbal, aural, and visual traces to produce, shape, and organize collective physical and mental experiences.” (Ebd.) 76 Geertz: Dichte Beschreibung, S. 455. 77 Baßler: New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies, S. 136. 78 Wagner-Egelhaaf, Martina: Text, Kultur, Medien. In: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Ein Arbeitsbuch. Hrsg. von Jürgen H. Petersen, Martina WagnerEgelhaaf u. Dieter Gutzen. Berlin: Schmidt 2006. S. 221–248, S. 232. 79 Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen: Francke 2005 (=Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 1), S. 196.

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die Achse der Kultur“80. Die Achsen sehen dann im Sinne Jakobsons wie folgt aus: Der Text in seiner Zeichenhaftigkeit bildet die syntagmatische Achse und die Kultur die paradigmatische Achse des Textes.81 Julia Kristeva bezieht sich bei ihrer Konzeption von Intertextualität auf Michail Bachtin und dessen Unterscheidung von Monologizität und Dialogizität, wenn sie schreibt: „Im Bereich eines Textes überschneiden und neutralisieren einander mehrere Aussagen, die anderen Texten entstammen.“82 Doch Kristeva geht mit ihrer Intertextualität über Bachtins Intersubjektivität hinaus, denn ihrer Theorie nach baut sich jeder Text „als ein Mosaik von Zitaten auf, jeder ist Absorption und Transformation eines anderen Textes.“83 Damit ersetzt sie Bachtins Idee der Vielfalt der Stimmen in ausgewählten Texten durch eine Vielfalt der Texte in jedem Text. „Wir nennen Intertextualität dieses textuelle Zusammenspiel, das im Inneren eines einzigen Textes abläuft.“84 Kristeva sieht die Verbindungen zwischen Texten nicht als vom Autor gelenkte Verbindungen an. Dennoch unterscheiden sich nach Ansicht der New Historicists die Qualitäten von Autoren. Nach Greenblatt sind „[g]roße Autoren […] Spezialisten im kulturellen Austausch. Die von ihnen geschaffenen Werke sind Strukturen zur Akkumulation, Transformation, Repräsentation und Kommunikation gesellschaftlicher Energien und Praktiken.“85 So gesehen können auch Autoren von Männerromanen ‚große Autoren‘ sein, selbst wenn sie nach gängiger literaturwissen-

80 Baßler: New Historicism und Textualität der Kultur, S. 324. 81 Außerdem gilt bezogen auf Jakobsons Achsen und die Geschichtlichkeit im New Historicism: „Der diachrone Text einer autonomen Literaturgeschichte wird ersetzt durch den synchronen Text eines kulturellen Systems.“ (Montrose, Louis: Die Renaissance behaupten. Poetik und Politik der Kultur. In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 60– 93, S. 63.) 82 Kristeva, Julia: Der geschlossene Text. In: Textsemiotik als Ideologiekritik. Hrsg. von Peter V. Zima. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. S. 194–229, S. 194. In diesem Aufsatz, der im Jahr 1967 zum ersten Mal publiziert wurde, verwendet Kristeva erstmalig den Begriff ‚Intertextualität‘. 83 Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Hrsg. von Jens Ihwe. Bd. 2/2. Frankfurt am Main: Athenäum 1971. S. 345–375, S. 348. 84 Kristeva, Julia: Probleme der Textstrukturation. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Hrsg. von Jens Ihwe. Bd. 3. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. S. 484–507, S. 500. 85 Greenblatt: Kultur, S. 55.

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schaftlicher Bewertung im „Elfenbeinturm des ‚nur‘ Ästhetischen“86 sicherlich nicht als solche benannt würden. Da in dieser Arbeit jedoch gezeigt wird, dass im Männerroman besonders viel von den gesellschaftlichen und kulturellen Energien der Gegenwart zirkuliert, können die Autoren der Männerromane abseits von ästhetischen Bewertungen durchaus als ‚große Autoren‘ betrachtet werden. Eminent für den New Historicism ist Montroses Theorie der ‚Geschichtlichkeit von Texten‘ und der ‚Textualität der Geschichte‘: Die poststrukturalistische Ausrichtung auf Geschichte, die jetzt in der Literaturwissenschaft aufkommt, kann mit einem Chiasmus bezeichnet werden als ein reziprokes Interesse an der Geschichtlichkeit von Texten und der Textualität von Geschichte. Mit der Geschichtlichkeit von Texten behaupte ich die These von der kulturellen Bestimmtheit, der gesellschaftlichen Einbettung jeglicher Art von Geschriebenem – nicht nur der Texte, die Gegenstand der Literaturwissenschaft sind, sondern auch der Texte, in denen wir diese behandeln. Mit der Textualität von Geschichte behaupte ich die These, daß wir erstens keinen Zugang zu einer vollen und authentischen Vergangenheit haben […], die nicht über die überlebenden textuellen Spuren der betreffenden Gesellschaft vermittelt wäre […]; und daß zweitens diese textuellen Spuren selber weiteren textuellen Vermittlungen unterworfen werden […].87

Da der Männerroman ein Phänomen der Gegenwart ist, mag die Entscheidung für einen historischen Zugang verwundern. Doch auch die Gegenwart kann als ein Kontext verstanden werden, in dem der Männerroman zu situieren ist. Dabei ergibt sich der große Vorteil, dass nicht nur auf das zugegriffen werden kann, was aus der Vergangenheit überliefert wurde, sondern auf das gesamte Spektrum der heutigen Kultur. Gleichzeitig kann es nicht mehr als ein Wunsch bleiben, alle Texte der heutigen Zeit überblicken zu wollen, und von dieser „satisfying illusion of a ‚whole reading‘“88 wendet sich auch Greenblatt ab. Doch „[w]eil Texte – und zwar auch literarische Texte –, anders als andere Dinge, eine paradigmatische Achse haben, kann eine kulturwissenschaftliche Analyse auf der Ebene des Partikularen verbleiben und dennoch die Diskurse verfolgen, die die Texte konstituieren.“89 Man kann die partikulare Sichtweise des New Historicism auf Texte auch anschaulich mit einem impulsiven Museumsgang gleichsetzen, „wobei der Betrachter zeitweise bei

86 Wagner-Egelhaaf: Text, Kultur, Medien, S. 222. 87 Montrose: Die Renaissance behaupten, S. 67. 88 Greenblatt: Shakespearean Negotations, S. 4. 89 Baßler, Moritz: Zwischen den Texten der Geschichte. Vorschläge zur methodischen Beerbung des New Historicism. In: Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hrsg. von Daniel Fulda u. Silvia Serena Tschopp. Berlin: De Gruyter 2002. S. 87–102, S. 98.

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einem Objekt verweilt und eine intellektuelle Resonanz erzeugt, indem er über dieses Objekt reflektiert und Bezüge zu anderen, benachbarten Objekten sichtbar macht.“90 Der New Historicism bleibt als Wissenschaft des Partikularen im gegebenen Konkreten und fern von spekulativer Abstraktion. Historisch ist eine solche Herangehensweise jedoch nicht – und muss es auch nicht zwingend sein: Um etwas von der Diachronie abzurücken und die Synchronie des New Historicism zu betonen, wird bezogen auf die Theorie von Montrose in aktuelleren wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema oft ‚Geschichte‘ ersetzt durch ‚Kultur‘, so dass zum Beispiel nicht mehr von der ‚Textualität der Geschichte‘ die Rede ist, sondern von der ‚Textualität der Kultur‘.91 In dieser Tradition der Betonung der Synchronie wurde dieses Kapitel auch bewusst nicht mit ‚New Historicism‘ betitelt, sondern mit ‚Kulturpoetik‘. Die Kulturwissenschaften analysieren typischerweise „Phänomene und Probleme der Gegenwart […] und ziehen historische Aspekte nur in Betracht, wo sie dazu beitragen können.“92 Genau in diesem Sinne wird der Männerroman vor allem im Kontext der Gegenwart betrachtet und nur in einem gesonderten Kapitel, in dem auf die Vorläufer des Genres eingegangen wird, wird die historische Komponente explizit hinzugezogen. Um aufzuzeigen, dass sich Diskursanalyse und Kulturpoetik optimal ergänzen, kann ebenfalls auf die angegebene Stelle von Montrose verwiesen werden. Überträgt man den Chiasmus der ‚Geschichtlichkeit der Texte‘ und der ‚Textualität der Geschichte‘ auf die Diskursanalyse, so ergibt sich: „Diskurse schaffen und bestimmen Texte, aber die Texte sind es, die die Diskurse führen.“93 Da der Fokus dieser Arbeit nicht auf der historischen, sondern auf der kulturellen Komponente liegt, soll primär gezeigt werden, welche Diskurse im Männerroman geführt werden. Nur um dies näher zu erklären, wird an wenigen Stellen auch darauf eingegangen, welche Diskurse den Männerroman hervorgebracht haben.

90 Klawitter, Arne u. Michael Ostheimer: Literaturtheorie. Ansätze und Anwendungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008 (=UTB 3055), S. 196. 91 Vgl.: Baßler: New Historicism und Textualität der Kultur, S. 325. Noch präziser als die Formulierung „Textualität der Kultur“ wäre sicherlich „Intertextualität der Kultur“, wie Baßler treffend anmerkt. (Vgl.: ebd., S. 326. Hervorhebungen im Original.) 92 Baßler: New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies, S. 151. 93 Ebd., S. 136.

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K OMPARATIVE M ETHODE Der literarische Text trägt also zu einem kulturellen Archiv bei, das sich in einem kulturellen Umfeld befindet, das sich wiederum als ein Archiv versteht, nämlich als ein Archiv von Texten. Der literarische Text steht folglich in einem intertextuellen Verhältnis zu anderen Texten. Um den Möglichkeitsbedingungen einer Aussage (Diskurs) auf die Spur zu kommen, soll mit Hilfe des Intertextualitätsgedankens und literarischen sowie nicht-literarischen Texten aus der heutigen Zeit (Kontext) eine möglichst objektive Analyse des Männerromans stattfinden. Die Bedeutung eines Textes lässt sich nach der Theorie der Intertextualität nur ergründen, wenn man die Äquivalenzen, Oppositionen und Differenzen zwischen Texten analysiert. Um zu erkennen, worin genau diese bestehen, muss man sich der Methode des Vergleichs bedienen: Der altehrwürdige Vergleich […] liegt selbstverständlich auch der Erforschung der Beziehungen und Zusammenhänge zwischen literarischen Werken zugrunde, die man seit einigen Jahren unter dem Stichwort ‚Intertextualität‘ zusammenzufassen pflegt.94

Der Vergleich wird als „hermeneutische Grundoperation“95, ‚heuristisches Verfahren‘96 oder auch als „Erkenntnismethode“97 und vieles mehr beschrieben. „Obwohl die Methode aufs erste anspruchslos erscheint, hat sie doch eine lange und ehrwürdige Tradition“98, denn „Vergleichen ist eine wesentliche Aktivität einer jeden Wissenschaft“99. In den Geisteswissenschaften wird die Methode des Vergleichs gehäuft verwendet, „aber der Ehrentitel der Komparatistik par excellence ist der ver-

94 Brockmeier, Peter: Der Vergleich in der Literaturwissenschaft. In: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Hartmut Kaelble u. Jürgen Schriewer. Frankfurt am Main: Campus 2003. S. 351–368, S. 353. 95 Zemanek, Evi: Was ist Komparatistik? In: Komparatistik. Hrsg. von Evi Zemanek u. Alexander Nebrig. Berlin: Akademie 2012. S. 7–20, S. 15. 96 Vgl.: ebd. 97 Zelle, Carsten: Vergleich. In: Handbuch Komparatistik. Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis. Hrsg. von Achim Hölter u. Rüdiger Zymner. Stuttgart: Metzler 2013. S. 129– 134, S. 129. 98 Brockmeier: Der Vergleich in der Literaturwissenschaft, S. 352. 99 Hösle, Vittorio: Über den Vergleich von Texten. Philosophische Reflexionen zu der grundlegenden Operation der literaturwissenschaftlichen Komparatistik. In: ORBIS Litterarum 63 (2008) H. 5. S. 381–402, S. 381.

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gleichenden Literaturwissenschaft zugefallen.“100 Und das sollte nicht verwundern, denn „[d]er Literaturvergleich ist besonders schwierig und zugleich unumgänglich.“101 So anspruchslos, wie die Methode des Vergleichs auf den ersten Blick erscheint, ist sie nämlich bei weitem nicht – zumindest, wenn man sie wissenschaftlich korrekt ausführt. Dem Vergleichen werden zwei verschiedene Funktionen zugeschrieben: Die erste lehnt sich an Platon und Aristoteles an und wird als eidetische Funktion benannt, die zweite ist die kausalwissenschaftliche Funktion. Die eidetische Funktion bezieht sich auf den Umstand, dass wir den Sinn eines Begriffs oft erst dann verstehen, „wenn wir ihn mit demjenigen anderer Begriffe kontrastieren“102 oder eben kontextualisieren. Im Vergleich können demnach eher unbekannte Phänomene wie das Genre des Männerromans durch bekannte Phänomene wie das Genre des Frauenromans oder Goethes Werther kontextualisiert und damit besser verstanden werden. Erst durch den Vergleich mit anderen Phänomenen tritt schließlich das Spezifische des Männerromans deutlich hervor. Die Addition von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die sich beim Vergleich herausgestellt haben, ergibt dann verallgemeinerungsfähige Aussagen über den Männerroman. Die zweite, nämlich die kausalwissenschaftliche Funktion, rekurriert darauf, dass die Feststellung von Ähnlichkeiten und Unterschieden „nicht Selbstzweck“103 ist, sondern das Vorhandensein von kausalen Beziehungen zwischen Dingen offenlegen soll. In der Komparatistik werden klassischerweise zwei verschiedene Vergleichstypen voneinander differenziert: der genetische und der typologische Vergleich.104 Während beim genetischen Typ zwischen einem direkten Kontakt der Texte miteinander ausgegangen wird,105 müssen die Vergleichsobjekte beim typologischen Typ in keinem Kontakt zueinander stehen, können also auf zeitlich, örtlich oder kulturell unterschiedlichen Ebenen vorhanden sein. Zu bedenken ist dabei, dass sich der genetische und der typologische Vergleich nicht gegenseitig ausschließen, da typolo-

100 Ebd., S. 386. Hervorhebungen im Original. 101 Ebd. 102 Ebd., S. 382. 103 Ebd. 104 Diese Unterscheidung geht auf Dionýz Ďurišin zurück. (Ďurišin, Dionýz: Vergleichende Literaturforschung. Versuch eines methodisch-theoretischen Grundrisses. Berlin: Akademie 1972 (=Sammlung Akademie-Verlag, Literatur 18).) 105 Ursprünglich wird zwischen einem Kontakt zwischen den Autoren ausgegangen. Aufbauend auf den Theorien der Kulturpoetik scheint es jedoch sinnvoller zu sein, von Kontakten zwischen Texten auszugehen.

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gische Beziehungen die Voraussetzung für genetische Beziehungen sein können.106 Für die vorliegende Untersuchung sind jedoch die Vergleichstypen nach Manfred Schmeling weitaus dienlicher. Schmeling unterscheidet fünf verschiedene Typen des Vergleichs, wobei an dieser Stelle besonders der vierte Typ von Interesse sein soll: Dieser rückt wie die Kulturpoetik vom historischen Aspekt einer Beziehung ab und richtet seinen Fokus stattdessen auf systemische Beziehungen.107 Wie bei der Diskursanalyse wird hier also ein strukturales Interesse verfolgt. „Ob der Vergleich zweier oder mehrere Dinge sinnvoll ist oder nicht, hängt letztlich von der Konstruktion dieser Gegenstände in einem bestimmten Diskurs ab.“108 Um die Vergleichbarkeit zweier Dinge zu prüfen, wird in der Regel nach einem ‚Tertium Comparationis‘ gesucht, also einer Gemeinsamkeit, die zwei Comparata109 eint. So rät der Volksmund zwar, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen soll, dabei ist der Vergleich durchaus legitim, denn Äpfel und Birnen eint zum Beispiel, dass sie beide ‚Obst‘ sind. ‚Obst‘ könnte in diesem Fall also das ‚Tertium Comparationis‘, das ‚einende Dritte‘ sein.110 Je genauer das Tertium Comparationis definiert wird, desto fruchtbarer fällt ein Vergleich in der Regel aus. So kann verhindert werden, dass das Tertium Comparationis „nicht als ein Drittes neben den beiden Größen, die zu vergleichen sind, sondern als eine Universalisierung der einen Größe in Gestalt eines abstrakten Begriffes“111 fungiert.

106 Vgl.: Zima, Peter V.: Komparatistik. Einführung in die vergleichende Literaturwissenschaft. 2. Aufl. Tübingen: Francke 2011 (=UTB 1705), S. 106-107 und 143-147. 107 Vgl.: Schmeling, Manfred: Einleitung. Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Aspekte einer komparatistichen Methodologie. In: Vergleichende Literaturwissenschaft. Theorie und Praxis. Hrsg. von Manfred Schmeling. Wiesbaden: Athenaion 1981. S. 1–24, S. 16. Der erste Typ „betrifft den monokausalen Vergleich“, der zweite umfasst „historische Prozesse“, der dritte „basiert auf Kontextanalogien“, und der fünfte kann als vergleichende „Literaturkritik“ beschrieben werden. (Ebd., S. 12–16.) 108 Zima, Peter V.: Vergleich als Konstruktion. Genetische und typologische Aspekte des Vergleichs und die soziale Bedingtheit der Theorie. In: Vergleichende Wissenschaften. Interdisziplinarität und Interkulturalität in den Komparatistiken. Hrsg. von Peter V. Zima. Tübingen: Narr 2000. S. 15–28, S. 19. 109 Schlüsselt man die beiden Comparata auf, müsste man genauer von einem Comparandum und einem Comparatum sprechen. (Vgl.: Zemanek: Was ist Komparatistik?, S. 15.) 110 Vgl.: Grabovszki, Ernst: Vergleichende Literaturwissenschaft für Einsteiger. Wien: Böhlau 2011 (=UTB 3565), S. 72–74. 111 Matthes, Joachim: The Operation Called „Vergleichen”. In: Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs. Hrsg. von Joachim Matthes. Göttingen: Schwartz 1992. S. 75–99, S. 84.

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Jedem literaturwissenschaftlichen Vergleich in dieser Arbeit sind idealiter folgende Schritte inhärent: a) es werden die Beobachtungen bezüglich mindestens zweier Textstellen beschrieben, b) es existiert ein klar definiertes Tertium Comparationis, auf das hin die Beobachtungen analysiert werden können, c) es werden in der Analyse Differenzen und Konkordanzen herausgestellt, d) es werden Folgerungen aus dem Vergleich für das Genre des Männerromans gezogen, denn „[i]dealerweise erschließen sich aus dem Vergleich des Partikularen darüber hinausgehende größere Zusammenhänge.“112

112 Zemanek: Was ist Komparatistik?, S. 18.

Poproman

D AS P HÄNOMEN P OP Pop ist überall. Man kann ihm eigentlich gar nicht entkommen.1 Mit der Zeit wurde nämlich „allmählich alles zum Pop: Mode, Lifestyle, Werbung, Weltanschauung, ja sogar die Politik. Nicht zuletzt die Musik. Doch die war es eigentlich schon von Anbeginn – manche behaupten, schon vor der Literatur.“2 Doch Pop zu definieren ist nach Georg M. Oswald ein schwieriges Unterfangen, denn man wird „nicht einen Menschen auf diesem Planeten finden, der leugnet, dass Phänomene wie Andy Warhol und Madonna Pop sind – und keine zwei, die dies gleich begründen.“3 Wenn etwas als Pop erkannt wird und sich gehäuft in Literatur wiederfindet, dann nennt man dies meistens Popliteratur: „Oasis, Madonna und Techno-Musik werden als literaturwürdig anerkannt und erfahren ihre zumeist überschwängliche Würdigung in den Texten der sogenannten Pop-Literaten.“4 Obwohl ‚Pop‘, ‚Popkultur‘

1

Vgl.: Pankau, Johannes G.: Einleitung. In: Pop, pop, populär. Popliteratur und Jugendkultur. Hrsg. von Johannes G. Pankau. Bremen: Aschenbeck & Isensee 2004. S. 7–15, S. 7.

2

Jung, Thomas: Ende gut, alles gut – oder der Pop frißt seine Kinder. Thesen zur Popliteratur von ihrem Ende her erzählt. In: Pop, pop, populär. Popliteratur und Jugendkultur. Hrsg. von Johannes G. Pankau. Bremen: Aschenbeck & Isensee 2004. S. 131–145, S. 131.

3

Oswald, Georg M.: Wann ist Literatur Pop? Eine empirische Antwort. In: Der deutsche Roman der Gegenwart. Hrsg. von Wieland Freund u. Winfried Freund. München: Fink 2001. S. 29–44, S. 29.

4

Tillmann, Markus: Populäre Musik und Pop-Literatur. Zur Intermedialität literarischer und musikalischer Produktionsästhetik in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bielefeld: Transcript 2012 (=Lettre), S. 20.

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und auch ‚Popliteratur‘ „überaus strapazierte Termini“5 sind, die in jüngster Vergangenheit geradezu inflationär gebraucht wurden, gibt es bisher tatsächlich keine einheitliche Definition.6 So kommt Oswald in Bezug auf die literaturwissenschaftliche Problematik zu folgendem Schluss: Die Frage, wann Literatur Popliteratur ist, „läßt sich mangels Definition nur empirisch beantworten: Dann, wenn sie dafür gehalten wird.“7 Wissenschaftlich definieren, so meint auch Thomas Hecken, lässt sich Pop zumindest nicht, denn [i]m wissenschaftlichen historiografischen Rahmen verbietet sich eine scharfe Definition bzw. willkürliche Setzung nach Art von „Pop ist…“ bei einem Gegenstand, der nicht als fest konturiertes materielles Ding vorliegt, sondern als Hervorbringung unterschiedlicher weltanschaulicher und ästhetischer Reden und Interessen jeweils neu oder anders gebildet wird.8

Das Fehlen einer einheitlichen Definition macht das Hantieren mit dem Begriff ‚Pop‘ jedoch nicht unmöglich. So konstatiert Gero Günther: „Nur weil ein Begriff Wischiwaschi ist, heißt das noch lange nicht, daß man nichts mit ihm anfangen kann.“ Dennoch versucht er sich sicherheitshalber an einer eigenen Pop-Definition: „POP ist zuallererst das Geräusch beim Öffnen einer Flasche, vorausgesetzt sie enthält reichlich Kohlensäure.“9 Diese Definition mag spielerisch sein und lustig klingen, verweist jedoch gleichzeitig auch auf die englische Verwendung des Wortes ‚pop‘, das übersetzt so viel heißt wie „knallen, puffen, aufplatzen“10. In diesem Sinne könnte man die Definition auch in Jugendsprache übertragen: Etwas ist Pop,

5

Marek, Christoph: Pop – Schlager. Eine Analyse der Entstehungsprozesse populärer Musik im US-amerikanischen und deutschsprachigen Raum. Wien; Münster: Lit 2006, S. 18. Im Originalzitat bezieht sich Marek lediglich auf die Begriffe ‚Pop‘ und ‚Popkultur‘.

6

Markus Heidingsfelder erklärt Pop daher auch zu einem „Unschärfephänomen.“ (Heidingsfelder, Markus: Pop als System. In: Kommunikation im Populären. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen. Hrsg. von Roger Lüdeke. Bielefeld: Transcript 2011. S. 153–172, S. 153.)

7 8

Oswald: Wann ist Literatur Pop?, S. 30. Hecken, Thomas: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955 – 2009. Bielefeld: Transcript 2009 (=Kultur- und Medientheorie), S. 14.

9

Günther, Gero: Countdown to TXTC (Voulez-Vous-Version). 11 wichtige Hinweise, die man beachten sollte, ehe man mit Popliteratur ins Bett steigt. In: Pop Technik Poesie. Die nächste Generation. Hrsg. von Marcel Hartges, Werner Martin Lüdke u. Delf Schmidt. Hamburg: Rowohlt 1996. S. 10–13, S. 10.

10 Funcke, Bettina: Pop oder Populus. Kunst zwischen High und Low. Köln: König 2007 (=Kunstwissenschaftliche Bibliothek 36), S. 11.

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wenn es knallt.11 Neben dieser lautmalerischen Herleitung ist Pop außerdem eine Abkürzung für den englischen Begriff ‚popular‘, der ‚beliebt‘, ‚bekannt‘ oder auch ‚volkstümlich‘ bedeutet. Etymologisch stammt Pop vom Lateinischen ‚popularis‘, was mit ‚zum Volk gehörig‘ ins Deutsche übersetzt werden kann.12 Doch [p]opulär werden kann nur, was publik ist. Das Populäre geht also nicht vom ‚Volk‘ aus und lässt sich nicht von popularis ableiten. […] Populäres […] gibt es erst seit und mit der Instituierung gesellschaftsweiter Öffentlichkeiten, die neue Formen der Erreichbarkeit und Adressierbarkeit der Gesellschaft […] mit sich bringen.13

Die etymologische Verbindung von ‚Pop‘ mit ‚volkstümlich‘ mag also hier in die falsche Richtung weisen. Es lässt sich mit Hilfe der Herleitungen jedoch deuten, dass Pop ‚volkstauglich‘, also ‚massentauglich‘ ist. Auch Diedrich Diederichsen erklärt hierzu passend: „Pop tritt als Geheimcode auf, der aber gleichzeitig für alle zugänglich ist.“14 Deswegen weiß zwar jeder, dass Andy Warhol und Madonna Pop sind, aber nicht warum – denn der Code für die Entschlüsselung ist geheim. Zumindest ein Stück weit konnte das Geheimnis um Pop und Popliteratur in den letzten Jahren und Jahrzehnten jedoch gelöst werden. So definiert Moritz Baßler im Reallexikon:

11 Im Pons Wörterbuch der Jugendsprache ist unter ‚knallen‘ die Definition „Sex haben“ zu finden. (vgl.: Adam, Karin: Pons Wörterbuch der Jugendsprache 2011. Das Original. Stuttgart: Pons 2010, S. 69.) Im Lexikon von Ehmann, das zu den einzelnen Einträgen weit ausführlichere und realitätsnähere Beschreibungen liefert, jedoch keinen direkten Eintrag zu ‚knallen‘ vorweist, ist in dem Eintrag zu ‚porno‘ zu lesen, dass ‚porno‘ ebenso wie ‚geil‘ oder auch ‚knallt‘ eine „jugendsprachliche Komplett-Entsexualisierung […] mit anschließender Superlativierung“ darstellt. Wenn etwas ‚knallt‘, ‚geil‘ oder ‚porno‘ ist, dann ist es nichts anderes als „extrem gut“. (Ehmann, Hermann: Endgeil. Das voll korrekte Lexikon der Jugendsprache. München: Beck 2005 (=Beck’sche Reihe 1654), S. 107.) Etwas wäre dann also Pop, wenn es extrem gut ist. 12 Vgl.: Baßler, Moritz: Pop-Literatur. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hrsg. von Georg Braungart, Harald Fricke u. a. Berlin; New York: De Gruyter 2003. S. 123–124, S. 123. 13 Helmstetter, Rudolf: Der Geschmack der Gesellschaft. Die Massenmedien als Apriori des Populären. In: Das Populäre der Gesellschaft. Systemtheorie und Populärkultur. Hrsg. von Christian Huck u. Carsten Zorn. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. S. 44–72, S. 44. 14 Diederichsen, Diedrich: Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch. In: Pop Technik Poesie. Die nächste Generation. Hrsg. von Marcel Hartges, Werner Martin Lüdke u. Delf Schmidt. Hamburg: Rowohlt 1996. S. 36–44, S. 38.

46 | DER M ÄNNERROMAN Mit der Vokabel Pop-Literatur faßt man literarische Formen zusammen, die sich im Gegensatz zur Tradition an der Ästhetik der kommerziellen Jugendkultur, Medien- und Warenwelt (POPULÄRKULTUR) orientiert und archivierend, kritisch, ironisch und/oder affirmativ auf sie bezogen bleibt. Sie adaptiert deren Vokabular (Markennamen, Musiktitel) und thematisches Repertoire (Fernsehserien, Popmusik, Prominente) und repräsentiert […] inhaltlich die Alltags-, Jugend- und Gegenwartskultur seit den späten 1960er, besonders aber seit den 1990er Jahren.15

Mitte der 1960er Jahre begann ein Umdenken bei der Bewertung von Literatur, das unter anderem auf Leslie A. Fiedler zurückzuführen ist. 1968 forderte er in akademischen Kreisen in Freiburg „Cross the Border – Close the Gap“ und veröffentlichte unter diesem Titel im Jahr 1969 einen Aufsatz16 im amerikanischen Playboy. In diesem proklamierte er die Überschreitung der Grenze zwischen hoher und populärer Kultur. In diesem Sinne ist im Poproman eine Synthese beider Pole zu finden, die sich äußert im „souveränen Umgang mit der Enzyklopädie unserer Gegenwart, ohne sich von der Hochkultur gänzlich abzukoppeln“17. In der Kunst ist wohl Andy Warhol der bekannteste Vertreter des Pop, genauer der Pop-Art. Er umschreibt die Idee des Pop mit den Worten „Everything is good“18. Doch nicht immer wird Pop so positiv bewertet. Dazu, dass Pop die Grenzen zwischen hoher und populärer Kultur durchlässig zu machen versucht, äußert sich zum Beispiel Gero Günther mit den Worten: Pop wuchert auf den pittoresken Ruinen der sogenannten Hochkultur. Große Ideen werden vulgarisiert und konventionalisiert. Pop ist Abfallprodukt, Kompost, Pilze, Schimmel, Saprophyt. Pop kupfert schamlos ab. Auf wessen Mist das Pop-Unkraut wuchert, kümmert kein Aas. Abschreiben, Hektografieren, Scannen, Tapen, Sampeln, Ausleihen, Tauschen sind gang und gäbe. Pop-Culture ist immer geklaute Kultur. Haarsträubende Mißverständnisse sind das Maggi des Lesens.19

15 Baßler: Pop-Literatur, S. 123. Hervorhebungen im Original. 16 Auf Deutsch: Fiedler, Leslie A.: Überquert die Grenzen, schließt den Graben! In: Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Hrsg. von Uwe Wittstock. Leipzig: Reclam 1994. S. 14–39. 17 Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. 2. Aufl. München: Beck 2005 (=Beck’sche Reihe 1474), S. 203. 18 Warhol, Andy: America. New York: Harper & Row 1985, S. 135. 19 Günther: Countdown to TXTC (Voulez-Vous-Version), S. 12.

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In der Bundesrepublik Deutschland hat Fiedlers Idee der Grenzüberschreitung vor allem Rolf Dieter Brinkmann bekannt gemacht.20 Die erste politische Phase des Pop, die ab den 1960er und bis zu den 1980er Jahren gängig war und in der auch Brinkmann zu situieren ist, nennt Diederichsen „Pop I“. Eine spätere kommerzielle Phase setzt er ab den 1990er Jahren an und bezeichnet sie als „Pop II“.21 Die folgenden literarischen Untersuchungen sollen sich dieser Dichotomie folgend auf Pop 2 beziehen. Literaturhistorisch betrachtet fängt Pop 2 mit Christian Krachts Faserland22 (1995) an. „Faserland“ wurde zum Kultbuch. Und stand Pate für die Entwicklung einer neuen literarischen Richtung, in der es nicht mehr um gesellschaftliche und politische Probleme ging, nicht mehr um die große Weltschau, sondern meist um die Verortung eines Erzähler-Ichs in der Konsumgesellschaft, um eine Selbst-Definition, die keine Biographie mehr nötig hatte, sondern fast ausschließlich über Stilfragen, über Affirmation und Codes der postmodernen Warenwelt stattfand.23

20 Vgl.: Mehrfort, Sandra: Popliteratur. Zum literarischen Stellenwert eines Phänomens der 1990er Jahre. Karlsruhe: Info 2008 (=Lindemanns Bibliothek 53), S. 45. 21 Diederichsen, Diedrich: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999, S. 275. Neben dieser Unterteilung existieren auch noch zahlreiche andere, die aufgrund ihrer unnötigen Komplexität jedoch an dieser Stelle abgelehnt werden. Eine alternative, und ebenfalls gängige, Gliederung nehmen zum Beispiel Degler und Paulokat vor. Sie sehen wie Diederichsen in den 1960er Jahren eine „starke Politisierung“ der Popliteratur. In den 1970ern erkennen sie eine „Introspektive“, die dann in den 1980er Jahren zu einer auf der „Friedens- und Umweltschutz-Bewegung“ basierenden Literatur wird. Auch hier ist also wiederum eine politische Prägung zu erkennen. Schließlich beschreiben Degler und Paulokat die letzte Phase, die sie ebenfalls ab den 1990er Jahren situieren, als einen Pop des „Hedonismus“ und der „Spaßgesellschaft“. (Degler, Frank u. Ute Paulokat: Neue Deutsche Popliteratur. Paderborn: Fink 2008 (=UTB Profile 3026), S. 53.) Wenn Popliteratur von den 1960er bis einschließlich 1980er Jahren beschrieben wird, ist meistens von einer irgendwie politischen Färbung die Rede. Einig sind sich die Historisierungen der Popliteratur auch darin, dass es ab den 1990er Jahren eine neue Phase der Popliteratur gibt, die den Fokus mehr auf Konsum und Spaß legt. 22 Kracht, Christian: Faserland. Roman. 3. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003. 23 Beuse, Stefan: „154 schöne weiße leere Blätter“. Christian Krachts „Faserland“ (1995). In: Der deutsche Roman der Gegenwart. Hrsg. von Wieland Freund u. Winfried Freund. München: Fink 2001. S. 150–155, S. 151.

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Zu den bekanntesten Pop-2-Autoren zählen neben Kracht auch Benjamin von Stuckrad-Barre oder Sven Regener. Sie alle „gehen in ihren Büchern akribisch den Fragen nach, die vom Plateau des aktuellen gesellschaftlichen Bewußtseins aus betrachtet, die entscheidenden sind: Was ziehe ich an? Welche Musik höre ich heute? Wofür gebe ich mein Geld aus?“24 Es ist auffällig, dass Autoren von Popromanen fast immer männlich sind,25 von einigen wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel Karen Duve, Sibylle Berg und Alexa Hennig von Lange einmal abgesehen. Popliteratur wird daher nicht selten gewertet als „das männlich dominierte Produkt einer Herren-Riege“26. Diesem Vorwurf folgend werden in dieser Arbeit ausschließlich Popromane von männlichen Autoren Männerromanen gegenübergestellt, die sich schließlich bisher auch als das „männlich dominierte Produkt einer Herren-Riege“ zeigen und ausschließlich von Männern verfasst wurden. Für den Vergleich scheint diese Beschränkung daher sinnvoll. Dennoch wird Männlichkeit an dieser Stelle nicht untersucht. In Popromanen wird zwar hin und wieder explizit aufgezeigt, wie Männlichkeit durch materielle Güter konsumiert werden kann27 und wie Frauen für Männer zu Konsumobjekten werden,28 gleichzeitig ist eine Krise der Männlichkeit jedoch kein essentielles Thema in Popromanen – ganz im Gegensatz zum Männerroman. Populär wurde Popliteratur in Deutschland vor allem mit Pop 2, also seit den 1990er Jahren, und zählte nach einer Einschätzung von Frank Degler und Ute Paulokat in dieser Zeit zu einem „der meist verwendeten Begriffe innerhalb des deutschsprachigen Literaturbetriebs und sogar darüber hinaus.“29 Als einen entscheidenden Unterschied zur vorhergegangenen Popliteratur in Deutschland seit den 1960ern kann angesehen werden, dass die neue Popliteratur „nicht mehr wütender Protest gegen die Verhältnisse, sondern angenehmer Begleitsound“30 ist. Diese Formulierung von Thomas Ernst ist deswegen besonders spannend, weil sie

24 Oswald: Wann ist Literatur Pop?, S. 34. 25 Vgl.: Hendel, Steffen: Auf dass der Tod sie scheide. Das praktisch unmögliche Miteinander der Geschlechter in Karin Duves Regenroman. In: Pop und Männlichkeit. Zwei Phänomene in prekärer Wechselwirkung? Hrsg. von Katja Kauer. Berlin: Frank & Timme 2009. S. 89–103, S. 89. 26 Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 74. 27 Vgl.: Kauer, Katja: Male Gender als Pop. Eine Einführung. In: Pop und Männlichkeit. Zwei Phänomene in prekärer Wechselwirkung? Hrsg. von Katja Kauer. Berlin: Frank & Timme 2009. S. 9–18, S. 13. 28 Vgl.: Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 84. 29 Ebd., S. 7. 30 Ernst, Thomas: Popliteratur. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2005 (=Eva wissen), S. 75.

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einerseits herausstellt, dass die sozialkritische Dimension in der neueren Variante der Popliteratur vergleichsweise schwach ist. Andererseits ist ‚Sound‘ in der neuen Popliteratur tatsächlich ein zentraler Aspekt: Popmusik funktioniert hier nicht selten als Leitmotiv.31 Auch im Männerroman ist Musik ein wiederkehrendes Motiv. Hier hat sie allerdings einen anderen Stellenwert. Durch einige beispielhafte Analysen soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie sich der Einsatz von Popmusik im Poproman sowie im Männerroman unterscheidet.

B EGLEITUNG UND L EITUNG

DURCH

M USIK

Baßler identifiziert bei seiner Analyse des Popromans Soloalbum32 (1998) von Benjamin Stuckrad-Barre das Beziehungsende des Protagonisten und zugleich Erzählers als „das einzige epische Element des Romans.“33 Wahrscheinlich weil der Leser allgemein auf epische Erzählungen konditioniert ist, folgert Stefan Neuhaus aus diesem einzigen epischen Element der Trennung, dass dieses die Spannung des Romans hält und den Leser mitfiebern lässt, ob das Paar wieder zueinander findet.34 Ein starkes Argument für diese Lesart ist sicherlich der Titel des Romans, Soloalbum, der nicht nur auf eine Variante der musikalischen Veröffentlichung anspielt,35 sondern ebenso auf das ‚solo sein‘, das im Roman durch Katharinas Trennung bedingt wird: „Ich bin nun also allein. Diese Liebe war natürlich schon lange nicht mehr diese Liebe. Aber es war noch was. Plötzlich nun denke ich, es war das einzige überhaupt, das hatte ich vorher ja gar nicht gemerkt“ (SA: 19). Das hört sich sehr

31 Vgl.: Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 25. 32 Stuckrad-Barre, Benjamin von: Soloalbum. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005 (=KiWi Paperback 887), S. 25. 33 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 102. Oswald schreibt hierzu: „Angeblich muß er [der Protagonist, Anm. AKK] die Trennung von seiner Freundin überwinden, doch schon bald begreift der Leser: Hier wird er von einem Erzähler mit auf die Reise genommen, der keinen Passanten vorbeiziehen läßt, ohne zu erklären, was er von ihm hält.“ (Oswald: Wann ist Literatur Pop?, S. 38–39.) 34 Vgl.: Neuhaus, Stefan: „Was ist das mit den Müttern? Was geht hier ab?“. Popliteratur und Familie. In: Pop, pop, populär. Popliteratur und Jugendkultur. Hrsg. von Johannes G. Pankau. Bremen: Aschenbeck & Isensee 2004. S. 68–84, S. 74. 35 Die Gestaltung des Covers von Soloalbum ist hierauf abgestimmt, indem eine Plattenscheibe dargestellt ist. Außerdem ist das Inhaltsverzeichnis wie eine Schallplatte mit einer A- und einer B-Seite aufgebaut und neben den Seitenzahlen sind jeweils zwei Dreiecke abgebildet, die den Symbolen für die Tasten zum Vor- und Zurückspulen auf Musikrecordern entsprechen. (Vgl.: Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 27.)

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danach an, dass eine Liebesgeschichte, oder zumindest das Ende einer Liebe, zentrales Thema des Romans ist und die Musik lediglich als Sprachrohr fungiert. So ist auch die Feststellung „Soloalben sind fast immer scheiße“ (SA: 25) im auf Beziehungen übertragenen Sinne zu verstehen: Zwar werden Soloalben in der Musikkultur meistens schlechter bewertet, hier geht es jedoch darum, dass dem Protagonisten das Solo-Sein nicht gefällt. Letztendlich jedoch „ist das Solo der erzählerische Trick, der die Gegenwart, die man sonst bloß lebt, beobachtbar und reflektierbar macht“36, und nicht das zentrale epische Moment, das die Handlung des Romans trägt. Die Trennung ist ergo nur der Erzählanlass. Dafür spricht auch, dass der Protagonist Katharina im Verlauf des Geschehens nur ein einziges Mal begegnet (vgl. SA: 94-97),37 ansonsten lediglich per Fax oder Telefon mit ihr kommuniziert38 und ihr neben einem zu großen Hintern und zu kleinen Brüsten (vgl. SA: 17-18) nicht viel mehr persönliche Attribute, geschweige denn ein Charakter zugeschrieben werden. Die Spannung, das Mitfiebern um das Ausgehen der Liebesgeschichte, die Neuhaus beschreibt, entsteht so erst gar nicht, weil Katharina nicht zur facettenreichen Person wird, sondern lediglich eine Schablone bleibt. Und wer doch gerne erfahren hätte, wie es mit Katharina und dem Protagonisten ausgeht, der wird in seiner Erwartungshaltung enttäuscht:39 Das Ende des Romans bezieht sich nicht auf die Liebesbeziehung. Stattdessen besucht der Protagonist mit Freunden ein Konzert von Oasis in Berlin (vgl. SA: 243-245).40 Der Männerbund aus Fans bewundert männliche Popgrößen in ihren Männlichkeitsdarstellungen auf der Bühne, kurz: „This one’s for the boys“ (SA: 243). Mit diesem euphorisch erlebten Ereignis wird der Leser aus der Erzählung entlassen. Damit erhält das Konzert eine gewichtige Stellung im Roman, einen überlagernden Wert. Am Anfang war das Ende einer Liebe und am Ende ist Pop. Doch das Konzert stellt alles andere als

36 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 103. 37 Diese Stelle hat Kauer anscheinend überlesen, da sie schreibt, dass sich die beiden Liebenden im Roman Soloalbum nicht begegnen: „Interessanterweise tritt Katharina als Person gar nicht in Erscheinung.“ (Vgl.: Kauer, Katja: Der Zauber männlicher Verletzlichkeit oder das Mannsein stehe ich dann also mal im Wortsinn nicht durch. In: Pop und Männlichkeit. Zwei Phänomene in prekärer Wechselwirkung? Hrsg. von Katja Kauer. Berlin: Frank & Timme 2009. S. 119–148, S. 143.) 38 Per Fax beendet Katharina mittels eines Smashing Pumpkins Zitats („The killer in me is the killer in you“) die Beziehung (SA: 18) und per Fax schickt der Protagonist als Antwort ein Liebesgedicht von Fauser (SA: 130-131). Ein Telefongespräch ist zum Beispiel auf S. 185 zu finden. 39 Vgl. Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 119. 40 Der Film zum Buch endet jedoch nicht mit dem Konzert, sondern mit einem glücklichen Ende der Liebesgeschichte.

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einen Abgesang auf die Liebe dar: Im letzten Absatz des Romans trinkt der Protagonist nach dem Konzert mit anderen Männern auf den Popmusiker Michael Hutchence, von dessen Tod die Männer soeben erfahren haben. Der Sänger der australischen Popgruppe INXS hatte sich nackt mit einem Ledergürtel erhängt.41 Der Tod des Popstars wird kommentiert mit: „Der hatte nun überhaupt nichts verstanden“ (SA: 245). Nach dem Tod von Hutchence hat dessen Frau für horrende Summen Sexvideos verkauft. Der Protagonist rechnet sich aus, wie oft er für das Geld mit der Bahn nach Passau zu Katharina fahren könnte. „Aber das würde ja wahrscheinlich auch nichts ändern. Man weiß es nicht. Ja. ‚Definitely Maybe‘, das ist der beste LP-Titel aller Zeiten“ (SA: 245). Über Katharina ist der Protagonist also im Laufe des Romans nicht hinweggekommen, da er immer noch zu ihr nach Passau fahren möchte. Der Protagonist hat sich nicht weiterentwickelt, genauso wenig wie sich die Erzählung weiterentwickelt hat. Bei Stuckrad-Barre bleibt alles in einem „Definitely Maybe“. Statt große Themen der Weltliteratur wie die Liebe zu verhandeln, macht er Pop-Phänomene zum großen Thema. Dementsprechend endet Soloalbum auch mit einem musikalischen Ereignis. Ganz anders verhält sich dies in dem Männerroman Vollidiot42 (2004) von Tommy Jaud: Auch hier beginnt die Erzählung damit, dass der Protagonist wieder solo ist. Während der Protagonist in Soloalbum seiner ehemaligen Freundin nachtrauert, ist dem Protagonisten in Vollidiot mit dem Namen Simon klar, dass die Beziehung definitiv beendet ist. Anstatt seine ehemalige Freundin zurück zu wollen, möchte er das Herz einer anderen Frau erobern – und zwar am besten bevor seine Ex-Freundin einen neuen Lebenspartner gefunden hat (vgl. VI: 9). Allerdings interessiert sich keine Frau, die er attraktiv findet, für ihn, so dass er gezwungenermaßen Single ist (vgl. VI: 10). Eine Frau, die Simon aus der Ferne anhimmelt, ist Marcia, eine Verkäuferin bei Starbucks. Nachdem Simon sich mit Freunden betrunken hat, entschließt er sich spontan dazu, Marcia im Starbucks-Geschäft aufzusuchen. Aber er traut sich nicht, seine Angebetete anzusprechen. Stattdessen verfolgt er sie heimlich bis zu ihr nach Hause. Während er sie von unten durch ihr Fenster beobachtet, stellt Marcia Musik an. „Ich erkenne das Lied sofort, und es trifft mich wie ein Blitz mitten ins Herz. Es war irgendwann mal mein Lieblingslied. Marcia hört MEIN Lieblingslied“ (VI: 153). Bei diesem Lied handelt es sich um „Tag am Meer“ von der deutschen Hip Hop-Band Die Fantastischen Vier und Simon sieht die Parallele zu seiner Angebeteten als schicksalhafte Weisung an: „Ist das ein Zeichen eines wohlgestimmten Liebesgottes, der mir mitteilen will: Simon, du bist auf dem richtigen Weg?“ (VI: 154).

41 Vgl.: N.N.: Lust ohne Luft. In: Der Spiegel (1997) H. 49. S. 240 42 Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006.

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Auch der Protagonist in Soloalbum leitet aus der Musik, die jemand hört, etwas ab. Er schlussfolgert sogar andersherum von Personen auf deren Musikgeschmack. Auf einer Party lernt der Protagonist zum Beispiel eine Frau kennen und sinniert über ihre Zimmereinrichtung, ihre Vorlieben und ihren Musikgeschmack: Sie hört gerne Reggae. Scheiß Pearl Jam findet sie ‚superintensiv‘, auf ihre CD von Tori Amos und PJ Harvey hat sie mit Edding geschrieben ‚♀-Power rules‘, selbst einem Comeback von Ina Deter stünde sie aufgeschlossen gegenüber. […] Auch allergisch reagiert sie auf die Spice Girls, die findet sie völlig scheiße. (SA: 32)

Damit wird an dieser Stelle die für das Genre typische Oberflächlichkeit in einer ihrer Erscheinungsformen besonders deutlich: „Der Erzähler kann so die Masse etikettieren, ohne sich wirklich mit den Personen auseinandersetzen zu müssen.“43 Anders als der Protagonist in Soloalbum, der Musik als einen Repräsentationsmechanismus von Individualität deutet44 und somit Leute nach ihrem Musikgeschmack beurteilt,45 zieht Simon in Vollidiot vom Musikgeschmack ausgehend kei-

43 Mehrfort: Popliteratur, S. 105. Auch in anderer Hinsicht sind Popromane von Oberflächen dominiert. So beschäftigen sie sich intensiv mit oberflächlichen Dingen wie „Markennamen, Popmusik, Partygesprächen, Konsum und Rauscherfahrungen“ und bleiben „Textoberfläche“, weil ein Text, der sich auf andere Texte bezieht, selber nur oberflächlich bleiben kann. Trotz dieser geballten Oberflächlichkeit, möchten Popromane aber nicht oberflächlich sein, sondern nur so erscheinen, sich mit Oberflächlichkeiten beschäftigen. (Vgl.: Grabienski, Olaf, Till Huber u. Jan-Noël Thon: Auslotung der Oberfläche. In: Poetik der Oberfläche. Die deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre. Hrsg. von Olaf Grabienski, Till Huber u. Jan-Noël Thon. Berlin: De Gruyter 2011. S. 1–12, S. 1.) Außerdem ist Pop ein künstlerisches Verfahren, das sich von der Bildenden Kunst aus verbreitet hat und das „Rearrangement von Oberflächen zum Inhalt hat.“ (Mehrfort: Popliteratur, S. 33.) Es verwundert nicht, dass Seiler den Pop-Autoren eine „Lust an der Oberflächlichkeit“ (Seiler, Sascha: „Das einfache wahre Abschreiben der Welt“. PopDiskurse in der deutschen Literatur nach 1960. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006 (=Palaestra. Untersuchungen aus der deutschen und skandinavischen Philologie 324), S. 284.) attestiert. 44 Vgl.: Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 30. 45 Dies ist ganz im Sinn von Bourdieu, der festgestellt hat: „Der Geschmack paart die Dinge und Menschen, die zueinander passen, die aufeinander abgestimmt sind, und macht sie einander verwandt.“ (Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 10. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch 1998, S. 374.) Dabei kann Geschmack nicht nur verbindende, sondern auch trennende Wirkung haben.

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ne Rückschlüsse auf Marcia als Person. Dennoch ist er für ihn relevant: Dass Marcia und er die gleiche Musik mögen, sieht er nicht als einen Zufall an, sondern als einen Wink des Schicksals, der zeigen möchte, dass die beiden nicht nur musikalisch, sondern auch ansonsten gut zusammen passen. „Verbunden durch den Tag am Meer“ (VI: 154). Simon fasst nun den Beschluss, Marcia endlich für sich zu gewinnen. Er schmiedet einen Plan und bestellt wieder einen Kaffee bei Marcia. „Zusammen mit einem Zehn-Euro-Schein ziehe ich, natürlich aus Versehen, knick-knack, eine Fanta-Vier-Karte aus meinem Portemonnaie“ (VI: 159). Wie zu erwarten war, zeigt Marcia Interesse an den Karten und Simon lädt sie zum Konzert ein. Der Besuch des Konzerts steht in Vollidiot ungefähr in der Mitte des Romans an. Da sich Simon vor der Veranstaltung vor lauter Aufregung aus seiner Wohnung aussperrt, muss er seine Putzfrau Lala darum bitten, ihm vor der Konzerthalle die Ersatzschlüssel zu übergeben. Da Lala Musik liebt – und zwar jede Musik – beschließt sie spontan, mit auf das Konzert zu gehen, denn die Fantastischen Vier hört sie gerne beim Bügeln. Simon wundert sich sehr, dass Lala als Exil-Kroatin und mit über vierzig Jahren eine deutsche Hip Hop-Band hört (vgl. VI: 201-202). Damit erfüllt ihr Musikgeschmack nicht seine Erwartungen und wie in Soloalbum dient hier nun auch in Vollidiot Musik als Repräsentationsmechanismus von Individualität und es wird von der Person auf ihre musikalischen Vorlieben geschlossen. Allerdings erhält in Vollidiot der Musikgeschmack keine besondere Relevanz: Simon wundert sich nur kurz. An späterer Stelle wird in Vollidiot noch einmal darauf hingewiesen, wie wenig der Musikgeschmack über Menschen aussagt – Simon hat inzwischen Marcia auf dem Konzert gefunden und ihr einen Prosecco ausgegeben, ist nun allerdings wieder alleine: Ich lehne mich an ein Stück Wand und beobachte die Leute, die, meist in Gruppen, schnatternd an mir vorbeiziehen. Fast alle sind zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig, und fast alle sind nicht gerade die typischen Konzertbesucher. Ex-Jugendliche, die jeweils 35 Euro dafür bezahlt haben, um sich noch einmal für zwei Stunden in die gute alte Zeit zurückschießen zu lassen. „Fanda Via subbageil!“, ruft ein dicker Schwabe im Fanshirt wie auf Befehl und nimmt einen Bierbecher eines Kumpels entgegen. Was mich an diesen Leuten am meisten erschreckt, ist, dass sie offenbar die gleiche Musik mögen wie ich. (VI: 209)

Anders als der Protagonist bei Stuckrad-Barre, der beim Konzert von Oasis in einem Wir-Gefühl aufgeht („Wir wollen es noch lauter. Lauter!“, SA: 244) und voller

(Vgl.: ebd., S. 104.) In beiden Fällen gilt die Feststellung, dass Sympathie durch Geschmack beeinflusst wird. (Vgl.: ebd., S. 374.)

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Euphorie ist („Die Jungs würden es nie wagen, dieses Konzert bloß ‚schön‘ zu finden.“, SA: 244), fühlt sich der Protagonist in Vollidiot eher als Außenseiter. Mehr noch: Er reflektiert die Situation im Gegensatz zum Protagonisten in Soloalbum, der beim Oasis-Konzert als Vollblut-Fan zum absoluten Ja-Sager wird. „Ja“ natürlich vor allem zum Pop. Dabei ist auch er einer der bei Jaud so beschriebenen ExJugendlichen, die noch einmal ein Stück ihrer Jugend erleben wollen, indem sie gealterte Popstars immer noch bejubeln. Doch genau so funktioniert nun einmal Pop: „Pop basiert gleichzeitig auf dem Prinzip des Ausschließens und des Konsenses.“46 Beim Oasis-Konzert in Soloalbum herrscht Konsens. Beim Konzert der Fantastischen Vier in Vollidiot herrscht Gesellschafts-, oder besser noch Popkritik. Dabei richtet sich die Kritik nicht gegen die Popmusiker, gegen die Fantastischen Vier, ganz im Gegenteil: „Das Licht fährt runter, und unter lautem Gejohle kommen jede Menge Musiker auf die Bühne. Lala und ich schreien und klatschen…“ (VI: 212). Die Kritik richtet sich vielmehr an die Fans, die der Lächerlichkeit preisgegeben werden. „Meine Fan-Vorahnung bestätigt sich. Bei jedem anderen Konzert kriegt man pro Reihe wenigstens ein ‚Heyyyyy…‘ oder ‚Drängler!‘ an den Kopf geschmissen. Die Fanta-Vier-Fans treten hingegen einen Schritt zur Seite und lächeln noch bräsig dazu“ (VI: 211-212). Zu beiden Gruppen möchte man als Leser nicht gehören, weder zu den Nörglern noch zu den bräsig Lächelnden. Hier funktioniert das Prinzip Pop also nicht, da man mit niemandem Konsens schließen möchte. Stattdessen bieten vielmehr Simon und Lala eine Identifikationsfläche, die beiden Konzert-Außenseiter. Um welches Konzert es sich handelt, ist in Vollidiot übrigens zweitrangig: Die Fantastischen Vier wären im Prinzip durch jede Band austauschbar, die den Höhepunkt ihres Erfolgs in den 1990ern gefeiert hat. Soloalbum ist hingegen völlig auf die Band Oasis hin ausgerichtet. Der Männerroman scheint vermitteln zu wollen: Man muss nicht dazugehören, um dabei zu sein. Man muss sich dem Pop-Prinzip nicht unterordnen, um an Pop Spaß zu haben. In der Popliteratur ist diese Haltung undenkbar. Gemeinsam ist den Romanen, dass nicht der Konzertbesuch einer brandaktuellen Gruppe ansteht, sondern jeweils eine Band ausgesucht wurde, die sich zwar ins

46 Bessing, Joachim (Hrsg): Tristesse royale. Das popkulturelle Quintett. 2. Aufl. Berlin: Ullstein 1999 (=Metropolis 31226), S. 27. Im Jahr 1999 verbrachten Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad Barre drei Tage im Adlon-Hotel, um Champagner zu trinken und Gespräche über Ästhetik und die Gesellschaft zu führen. Tristesse Royale ist das Buch, das auf Gesprächsprotokollen dieses Treffens basiert und von Joachim Bessing herausgegeben wurde. Aufgrund des großen Erfolges von Tristesse Royale wurden die Autoren zum ‚popliterarischen Quintett‘ erklärt. Das aufgeführte Zitat wird in dem Buch Benjamin von StuckradBarre zugeordnet.

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Pop-Gedächtnis eingebrannt hat, inzwischen jedoch nicht mehr brandaktuell ist. Diese Auswahl ist mit einer Sentimentalität verbunden, die mit dem Alter der Protagonisten im Männer- und im Poproman in Verbindung gebracht werden kann, nämlich der voreiligen, meistens den um die 30 herum einsetzenden Prozeß rasant fortschreitenden Alterns markierenden, sich pathetisch von aller Gegenwart verabschiedenden, zutiefst sentimentalen Verständigung über

dereinst

gemeinsam Erlebtes;

die geheiligte Pop-

Sozialisation.47

Ausschlaggebend für den Konzertbesuch ist bei Jaud, dass der Protagonist Simon seine potentielle Traumfrau Marcia näher kennen lernen möchte. Doch diese hat absolut kein Interesse an Simon und lässt ihn mit seiner Putzfrau Lala stehen. Als Simon Marcia in der Masse von Menschen wiederentdeckt, steht sie neben zwei anderen Männern, von denen einer seine Hand auf ihrem Hintern hat. Als sich die Blicke von Marcia und Simon treffen, guckt Marcia schnell wieder weg. Simons Verliebtheit ist verschwunden: „Was für eine blöde Kuh!“ (VI: 214). Damit stellt das Konzert zu Beginn des letzten Drittels des Romans einen Wendepunkt für den Verlauf der Handlung dar und Simon ist nun nicht mehr daran interessiert, mit Marcia zusammen zu sein. Während es im Poproman primär um das Konzert als Konzert geht und es damit narrative Relevanz hat, dient das Konzert im Männerroman lediglich als Kulisse für ein Revival der Jugendzeit. Wenn man nun die Bedeutung der Musik für den Poproman und den Männerroman in Begriffe fassen möchte, ergibt sich für die Musik im Poproman also eine diegetische und für die Musik im Männerroman eine mimetische Funktion. Im Poproman ist Musik thematisch relevant und ein wesentlicher Teil der Diegese. So könnte die Band Oasis in Soloalbum nicht durch eine andere Band ersetzt werden, ohne dass die Komposition des Romans bedeutend geändert würde. In Vollidiot würde die Komposition des Romans nicht wesentlich variiert werden, wenn man die Band durch eine andere Band ersetzen würde – allerdings nur solange die Regeln der in der Diegese aufgestellten Mimese nicht bedeutend geändert werden (in Vollidiot lautet die Regel: bekannte(r) Musiker aus den 1990er Jahren). Die Band im Männerroman hat eine mimetische Funktion in dem Sinne, dass sie Welthaftigkeit vermitteln soll, sie ist also ein Fakt in der Fiktion. Dieser Fakt ist jedoch

47 Meinecke, Thomas: Ich als Text (Extended Version). In: Zuerst bin ich immer Leser. Prosa schreiben heute. Hrsg. von Ute-Christine Krupp u. Ulrike Janssen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000. S. 14–26, S. 25.

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nicht um seiner selbst im Männerroman integriert, sondern um den Realitätseffekt nach Roland Barthes zu gewährleisten.48 Ergo hat im Poproman Musik eine diegetische und im Männerroman eine mimetische Funktion,49 wobei mit Gérard Genette „die Mimesis durch ein Informationsmaximum und ein Informantenminimum, die Diegesis durch das umgekehrte Verhältnis definiert ist.“50 Bringt man dies nun noch mit dem Prinzip Pop zusammen, ergibt sich für den untersuchten Gegenstand, dass Musik mit diegetischer Funktion im Poproman maximal durch einen Informanten, der in der Regel dem Erzähler entspricht, vermittelt ist und nach dem Prinzip Pop maximal bewertet wird. Damit nimmt in Relation gesehen die Meinung des Informanten einen größeren Raum im Text ein als der tatsächliche Informationsgehalt über die Musik. In eben dieser Relation begründet liegt auch der Vorwurf, dass der Protagonist in Soloalbum ein „Geschmacksterrorist“51 sei. Im Männerroman hingegen wird Musik ten-

48 Der Realitätseffekt wird vor allem in realistischen Romanen durch die Integration von funktional überflüssigen Details eingesetzt, um so eine „illusion réferentielle“ zu erzeugen. (Vgl.: Barthes, Roland: L’effet de réel. In: Littérature et réalité. Hrsg. von Ian Watt, Leo Bersani u. a. Paris: Éditions du Seuil 1982. S. 81–90, S. 89.) 49 In Anlehnung an Phelan, der Figuren in die drei Kategorien mimetisch, thematisch und synthetisch gegliedert hat, könnte man auch dieses Modell weiterdenken: Wie schon erklärt, kann Musik im Roman eine mimetische oder diegetische (bei Phelan thematische) Funktion haben. Wie würde nun eine synthetische Funktion aussehen? In diesem Fall müsste die Musik eine stark artifizielle Funktion erfüllen. Denkbar wäre zum Beispiel der Extremfall eines Romans, der sich komplett aus Lieder-Zitaten zusammensetzt. Hier würde sich dann die Musik zum ästhetischen Prinzip des Romans erheben und nicht wie in der diegetischen Funktion relevant für die Komposition sein. Ansatzweise ist die synthetische Funktion in Soloalbum zu finden, da sich die Kapitel des Romans an Liedtiteln einer Platte von Oasis orientieren. Anzumerken ist an dieser Stelle auch Phelans Auffassung, „that mimesis is not a product of faithful imitation of the real (whatever that is) but rather a set of conventions for representing what we provisionally and temporarily agree to be the real.“ (Phelan, James: Present Tense Narration, Mimesis, the Narrative Norm, and the Positioning of the Reader in „Waiting for the Barbarians“. In: Understanding Narrative. Hrsg. von James Phelan u. Peter J. Rabinowitz. Columbus: Ohio State University 1994. S. 222–245, S. 228.). 50 Genette, Gérard: Die Erzählung. Stuttgart: Fink 2010 (=UTB 8083), S. 106. 51 Nach Menke ist die erste Rezension, in der Popliteraten als „Geschmacksterroristen“ bezeichnet wurde, der Artikel „Amoklauf eines Geschmacksterroristen“, der am 7.9.1998 im Spiegel erschienen ist. (Vgl.: Menke, André: Die Popliteratur nach ihrem Ende. Zur Prosa Meineckes, Schamonis, Krachts in den 2000er Jahren. Berlin: Posth 2011

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denziell wenig durch Informanten bewertet, sondern es wird zumeist lediglich darüber informiert, dass jemand Musik hört oder welche Musik jemand hört. Da im Männerroman Musik lediglich im Sinn von Barthes als Realitätseffekt eingesetzt wird, erübrigt sich hier eine detaillierte Bewertung der Musik in den meisten Fällen. Auch in Millionär52 (2007), dem Fortsetzungsroman zu Vollidiot, gibt es ein Konzert. In dem Roman zieht über Simon eine neue Nachbarin mit dem Namen Johanna ein. Johanna hört nicht nur gerne Musik, wenn sie zu Hause ist, sondern sie singt auch noch lautstark mit, was Simon an den Rand der Verzweiflung treibt. Dabei hört Johanna alle möglichen Popsongs von Robbie Williams (vgl. MI: 111) über Avril Lavigne (vgl. MI: 119) bis hin zu Take That oder Jennifer Lopez (vgl. MI: 120). Besonders bemerkenswert ist, dass Johanna in ihrer Wohnung nicht nur Musik laufen lässt, wenn sie zuhause ist, sondern auch dann, wenn sie unterwegs ist. „Ich lasse Musik laufen, damit die chilenischen Einbrecher denken, ich sei zu Hause“ (MI: 146). Für sie ist Musik also nicht nur eine angenehme Freizeitbeschäftigung, sondern auch noch ein gutes Mittel zur Abschreckung von potentiellen Einbrechern und bekommt damit eine ganz neue Bedeutungsebene zugesprochen. Darüber hinaus hat Johanna auch beruflich mit Musik zu tun: Sie arbeitet beim Musiklabel EMI als Geschäftsführerin für Europa (vgl. MI: 115). So erscheint es auch nicht unrealistisch, dass Roger Cicero auf Johannas Einweihungsfeier ein Privatkonzert gibt. Nicht eingeladen auf die Feier ist Simon, der sich wieder einmal über die laute Beschallung von oben ärgert: „Keine drei Meter über mir steht die personifizierte Rettung des nie existenten deutschen Swing und heult seinen Hit ‚Zieh die Schuh aus‘ ins Mikro“ (MI: 148-149). Dabei lässt sich der Text des Lieds sehr gut auf die derzeitige Situation des arbeitslosen Simon übertragen, über dem neuerdings die Geschäftsführerin für Europa eines bekannten Musiklables wohnt: „…kein Boss und kein Action-Held, kein Stahl- und kein Mafia-Geld: Frauen regier’n die Welt!“ (MI: 149). Damit funktioniert hier Roger Ciceros Lied als Soundtrack zu Simons Leben. Von großer Relevanz scheint die Musik in Millionär damit nicht zu sein, sie unterstreicht jedoch eine andere Relevanz, indem sie einen gewichtigen Link zur realen Gesellschaft bildet: es wird die Relevanz des Neuen Mannes betont. Dieses erfolgreiche Pop-Lied über Neue Männer löst beim Leser einen Wiedererkennungseffekt aus, der verdeutlicht, dass die Romanfigur Simon mit Problemen zu kämpfen hat, die Männer in der heutigen Realität nur zu gut kennen und sogar Lieder darüber schreiben. Damit löst der Popsong durch den Wiedererkennungseffekt einen Realitätseffekt aus und Popmusik hat auch in Millionär eine mimetische Funktion.

(=Schriften zur Popkultur 4), S. 32, Fußnote. Und N.N.: Amoklauf eines Geschmacksterroristen. In: Der Spiegel (1998) H. 37. S. 209) 52 Jaud, Tommy: Millionär. Der Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2007.

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In Popliteratur wird Popmusik oft symbolisch aufgeladen.53 Ein extremes Beispiel hierfür liefert Am kürzeren Ende der Sonnenallee54 (1999) von Thomas Brussig, der „Pop-Versuch aus dem Osten“55. In diesem Roman wird unter anderem die Bedeutung von Popmusik für Heranwachsende in Ostdeutschland thematisiert. Die Gruppe von Jugendlichen um den Protagonisten Micha verbringt ihre Freizeit nach der Schule gerne auf einem Spielplatz, der nicht von Kindern genutzt wird. „Dann hörten sie Musik, am liebsten das, was verboten war“ (AK: 13). Hier wird eine ostdeutsche Besonderheit deutlich: Musik kann illegal sein. Auch das Lied „Moscow, Moscow“56 gehört zu den verbotenen Liedern, wird von den Jugendlichen deswegen aber umso lieber gehört. Ein Abschnittsbevollmächtigter konfisziert die Kassette mit dem Lied, spielt sie seinen Kollegen im Rahmen einer privaten Veranstaltung vor und wird in Folge dessen degradiert. Damit beeinflusst in dem Roman das Hören (und Verbreiten) von bestimmter Musik eine Karrierelaufbahn. Musik ist in Am kürzeren Ende der Sonnenallee allerdings nicht nur als Gefahr konnotiert, sondern wird ganz im Gegenteil auch als Lebensretter dargestellt: Michas Freund Wuschel versucht alles, um das in Ostdeutschland verbotene Doppelalbum „Exile on Main Street“, „die Freakplatte der Rolling Stones“57, aufzutreiben. Schließlich hat Wuschel nicht nur einen Platten-Dealer gefunden, der im Besitz des Doppelalbums ist (vgl. AK: 62), sondern auch noch das benötigte Geld aufgetrieben, und ist schließlich stolzer Besitzer von „Exile on Main Street“.58 Am Ende des Romans findet an der Grenze eine auf Irrtum beruhende Schießerei statt, bei der

53 Als eine Ausnahme ist hier sicherlich Faserland von Kracht zu nennen. In diesem Poproman kommt „Musik nur als Hintergrund oder als Auslöser von Erinnerungen“ vor. (Vgl.: Mertens, Mathias: Robbery, assault, and battery. Christian Kracht, Benjamin v. Stuckrad-Barre und ihre mutmaßlichen Vorbilder Bret Easton Ellis und Nick Hornby. In: Pop-Literatur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München: Edition Text + Kritik 2003. S. 201–217, S. 216. 54 Brussig, Thomas: Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2011. 55 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 58. 56 Gemeint ist hier alleine schon aufgrund der Schreibweise nicht das Lied „Moskau“ (1979) von Dschinghis Khan, sondern „Moskow“ (1968) von Wonderland. 57 Ebd., S. 51. 58 Aus eigener Erfahrung berichtet in Heimliche Leser in der DDR ein Ostdeutscher, dass das Doppelalbum „Exile on Main Street“ in der DDR nicht wie in Am kürzeren Ende der Sonnenallee behauptet, 300 DDR-Mark oder 50 West-Mark gekostet hätte (vgl. AK: 62), sondern 250 DDR-Mark oder knapp 20 West-Mark. (Vgl.: Lokatis, Siegfried u. Ingrid Sonntag: Heimliche Leser in der DDR. Kontrolle und Verbreitung unerlaubter Literatur. Berlin: Links 2008, S. 376.)

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Wuschel getroffen wird. Die Umherstehenden beginnen bereits, den Tod von Wuschel zu beweinen, da regt sich dieser. „Er knöpfte seine Jacke auf und holte, noch ganz benommen, die „Exile on Main Street“ hervor. Die Platten waren zerschossen, aber sie hatten ihm das Leben gerettet“ (AK: 157). Anstatt sich darüber zu freuen, dass er dank der Platten am Leben ist, beweint daraufhin Wuschel den ‚Tod‘ seines Doppelalbums, so wie vorher die anderen Wuschels vermeintlichen Tod beweinten. Damit wird Musik an dieser Stelle bis ins Unermessliche aufgeladen: Sie wird in der materiellen Gestalt der Schallplatten des Doppelalbums antropomorphisiert und sogar zum Lebensretter. Gleichzeitig ist hier eine Parallele zu Millionär zu erkennen: Genau wie Ciceros Lied „Zieh die Schuh aus“ als Soundtrack von Simons Leben gelesen werden kann, passt „Exile on Main Street“ von den Rolling Stones genau auf die Situation der Protagonisten des Romans von Brussig, die schließlich am kürzeren Ende der Sonnenallee ebenfalls im Exil auf einer Hauptstraße leben. Während jedoch im Männerroman damit die symbolische Aufladung der Musik endet, fängt sie im Poproman dann erst richtig an. Relativ mittig in Am kürzeren Ende der Sonnenallee findet eine Feier statt, die Micha zum Anlass nehmen will, um einen versprochenen Kuss von einem Mädchen einzufordern. „Dieses Mädchen hieß Miriam, ging in die Parallelklasse und war ganz offensichtlich die Schulschönste. (Für Micha war sie natürlich auch die Weltschönste.) Sie war das Ereignis der Sonnenallee“ (AK: 19).59 Auch bei dieser Party wird natürlich Musik gespielt. Mit seinen Freunden trifft Micha die Verabredung, dass das Lied „Je t’aime“60 genau dann gespielt wird, wenn Miriam bei der Feier auftaucht, damit Micha sie nicht verpasst. Doch die Feier endet im absoluten Chaos und Micha trinkt zu viel Alkohol. Als dann endlich „Je t’aime“ gespielt wird und

59 Baßler weist darauf hin, dass mit der Bezeichnung von Miriam als „Weltschönste“ nicht nur eine „pubertäre Ideologisierung“ stattfindet, sondern auch eine „Beerbung zahlreicher Pop-Songs“. (Vgl.: Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 54–55.) 60 „Je t’aime“ gehörte zu den Liedern, die in der DDR verboten und damit für die Jugendlichen nur umso interessanter waren (vgl. AK: 13). Weil in dem Song gestöhnt wird und damit eine sexuelle Anspielung unüberhörbar ist, wurde „Je t’aime“ nicht nur in der DDR verboten, sondern außerdem war es in Spanien, Portugal und Schweden untersagt, dieses Lied öffentlich abzuspielen, in Italien und Spanien war auch der Verkauf des Lieds verboten. In Westdeutschland konnte „Je t’aime“ zwar gekauft werden, durfte jedoch nicht im Radio gespielt werden. Dennoch erzielte das Lied in Deutschland 31 Wochen lang eine Chartplatzierung und verkaufte sich weltweit sechs Millionen Mal. (Vgl.: Erwe, HansJoachim: „Je t’aime“ und andere Stöhnsongs. Über Musik und Erotik. In: Thema Nr. 1. Sex und populäre Musik. Hrsg. von Dietrich Helms. Bielefeld: Transcript 2011. S. 114– 125, S. 125–126.)

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dabei sehr geleiert aus dem Recorder kommt, weil die Batterien ihren Geist aufgeben, stürmt Micha sofort ins Wohnzimmer, dem Hauptraum der Feier. „Er war so blau, daß er keine Bedenken mehr hatte, ob etwas so außergewöhnlich Besonderes wie Miriam mit Hilfe von Je t’aime rumgekriegt werden darf“ (AK: 118). Es wird die Logik verfolgt, dass besondere Menschen besondere Lieder hören – oder zumindest hören sollten. Der Kassenschlager „Je t’aime“ könnte folglich für die weltschönste Miriam nicht besonders genug sein. Ob es nun am Lied liegt oder nicht, ergreift Miriam beim Anblick von Micha, der betrunken seinen Kuss einfordert, sofort die Flucht. Damit ist Micha an seinem Tiefpunkt im Roman angekommen – und Schuld war womöglich bloß ein falsches Lied. Auch schon an einer anderen Stelle zuvor hat ein Lied Micha die Kontaktaufnahme mit Miriam unmöglich gemacht: Bei der Schuldisco traut er sich endlich, Miriam zum Tanz aufzufordern, doch just in dem Moment wird ein „Ostsong der übelsten Sorte“ (AK: 27) gespielt und die Tanzfläche leert sich abrupt. Miriam hat keine Lust mit ihm zu tanzen, und womöglich war auch hier nur die schlechte Wahl des Liedes schuld. Eine Party findet auch im Männerroman Vollidiot statt, hat hier aber wieder einen ganz anderen Zweck. In Vollidiot stellt die Feier nicht den Tiefpunkt des Romans dar und die Musik spielt überhaupt keine Rolle. Gefeiert wird der Geburtstag des Protagonisten Simon bei ihm zu Hause. Aus Versehen hat er die Einladung zu seiner Party per SMS nicht nur an seine Freunde geschickt, sondern an alle, die in seinem Telefonbuch gespeichert sind. Im letzten Kapitel des Romans stellt die Feier den Anlass dar, dass Simon sich aus seiner selbst erwählten Einsamkeit zurückmeldet, wieder seine Freunde trifft und damit anscheinend neuen Lebensmut gefunden hat. Wie zuvor das Konzert, erfüllt in Vollidiot auch die Feier lediglich eine mimetische Funktion, hier jedoch mit Tendenz zur diegetischen Funktion. Neben der Feier ist in Vollidiot genauso wie in Am kürzeren Ende der Sonnenallee auch ein Disco-Besuch integriert. Da der Protagonist Simon allerdings anders als Micha nicht mehr zur Schule geht, ist diese Disco natürlich nicht die Schuldisco, sondern eine für die Allgemeinheit zugängliche Lokalität in Köln. Dort wollen Simon und sein Freund Phil zwei Frauen treffen, die Phil auf einer Party kennen gelernt hat. Doch auch wenn die beiden Frauen nach dem Disco-Besuch noch mit den Männern zu Simon nach Hause gehen, hat Simon bei keiner der beiden Frauen Erfolg. Welche Musik in der Disco gespielt wird, wird überhaupt nicht thematisiert. Auch in Vollidiot führt der Disco-Besuch, der hier im zweiten Kapitel stattfindet, somit letztendlich nicht zum Erfolg bei einer Frau. Anders als im Poproman spielt dabei die Musik keine Rolle.

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Die Figur des Plattensammlers ist nicht nur in dem Poproman Am kürzeren Ende der Sonnenallee zu finden, sondern auch im Männerroman Wir tun es für Geld61 (2010) von Matthias Sachau. Wie bereits erwähnt, gibt Wuschel in Am kürzeren Ende der Sonnenallee alles dafür, um Besitzer des Doppelalbums „Exile on Mainstreet“ zu werden. Bei seiner Suche der in Ostdeutschland verbotenen Platten trifft er nicht nur einen Plattendealer, sondern auch einen Plattensammler. Dieser ist ein Hippie, der in einem Bauwagen lebt, in dem der Boden mit Plattencovern übersät ist (vgl. AK: 57). Der Hippie sammelt nicht einfach nur Platten, er hat die Idee, dass Musik zirkulieren muss, so dass er immer wieder Platten tauscht (vgl. AK: 58). Der Hippie wird dem Leser als eine skurrile Figur nahe gebracht, die jedoch durchaus sympathisch wirkt und durch seine außergewöhnliche Lebensweise in einem Bauwagen und das leidenschaftliche Sammeln von Platten durchaus ‚cool‘ wirkt. ‚Coolness‘ ist überhaupt ein Attribut, das die Popliteratur gerne für sich beansprucht. Bereits die Analyse des Konzerts in Soloalbum hat dies gezeigt. Auch Kurt Rothmann stellt in seiner Kleinen Geschichte der deutschen Literatur fest: „Popliteratur ist ‚cool‘“62. So verwundert es auch nicht, dass Bennis Freunde ihm in Crazy63 (1998) von Benjamin Lebert relativ zusammenhanglos zusichern, dass er cool sei, und ihm zur Unterstützung ihrer Worte anerkennend auf die Schulter klopfen (vgl. CR: 39). Ganz im Gegensatz dazu ist im Männerroman zwar auch von jedem Protagonisten das verfolgte Idealbild cool zu sein, doch hier ist auch immer wieder Uncooles zu finden, das nicht zwingend degradiert, sondern vielmehr akzeptiert wird. In dem Männerroman Wir tun es für Geld von Sachau zieht zum Beispiel über dem Protagonisten Lukas, der mit Ines aus steuerlichen Gründen in einer Scheinehe lebt, ein neuer Mieter ein. Bei der ersten Begegnung der beiden Männer im Flur wird der neue Mieter von Lukas wie folgt beschrieben: „Frisur wie ein Ministrant, Brille wie ein Buchhalter, Körper wie Stan Laurel, Lächeln wie Jerry Lewis und niedliche braune Knopfaugen wie ein Kaninchen“ (WG: 29). Damit wird der neue Mieter schon einmal nicht als der Weltschönste beschrieben, doch es kommt noch uncooler: Der Neue stellt sich als „Ekkehart Stöckelein-Grummler“ vor. „Und, der Clou, es passt perfekt zu ihm“ (WG: 29). Dieser Ekkehart Stöckelein-Grummler ist Plat-

61 Sachau, Matthias: Wir tun es für Geld. Roman. 3. Aufl. Berlin: Ullstein 2010. 62 Rothmann, Kurt: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. 19. Aufl. Stuttgart: Reclam 2009, S. 448. Vollständig lautet das Zitat übrigens: „Popliteratur ist ‚cool‘, sie zu definieren ‚uncool‘.“ Auch nach Höller gehören zu den „Popcharakteristika“ „Hipness“ und „Coolness“. (Höller, Christian: Leben in, mit und durch Pop: Entgrenzung, Überdruss, Refokussierung. In: Popkulturtheorie. Hrsg. von Jochen Bonz. Mainz: Ventil 2002. S. 77–93, S. 82.) 63 Lebert, Benjamin: Crazy. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999.

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tensammler und hat ein Vermögen für seine exklusive Hi-Fi-Anlage ausgegeben. Nachdem Lukas dem neuen Mieter geholfen hat, seine Hi-Fi-Sachen hoch zu tragen, ist er neugierig: „Kann ich mir mal deine CDs angucken?“ Ekkehart erstarrt mitten in der Bewegung und schaut hoch. „Ich habe keine CDs.“ Was ist denn los mit ihm? Man könnte meinen, ich hätte nach Hardcore-Sadomaso-Pornos gefragt. „Ich lege Wert auf reinen, unverfälschten Klang. Das geht selbstverständlich nicht digital. Ich habe nur Schallplatten.“ (WG: 34)

Diese Auffassung wird später von Ines bestätigt. Nach einem gemeinsamen Abendessen hören Ines, Lukas und Ekkehart zusammen Platten, die Ekkehart mitgebracht hat. Ines ist von den Klängen begeistert und lobt Ekkehart für seinen tollen Musikgeschmack. Doch da protestiert Lukas, da auch er stolzer Besitzer von „Polka Dots and Moonbeams“64 ist und Ines das Lied schon zigmal gehört hat. Um seine Aussage zu beweisen, schaltet er vom Plattenspieler zum CD-Spieler und das Lied ertönt noch einmal. „‚Aber von der Schallplatte klingt es wärmer‘“ (WG: 61), kommentiert Ines. Damit geht es hier nicht so sehr um die konkreten Musiktitel, sondern vielmehr um die Abspielgeräte, wobei der Plattenspieler eindeutig zu bevorzugen ist. Auch Lukas ist übrigens ein Platten-Liebhaber: „Gut, viele von den Sachen habe ich in irgendeiner Form auf CD, aber die Originalpressung in den Händen zu halten […] ist einfach umwerfend“ (WG: 62). Hier klingt eine Nostalgie an, die auch in Am kürzeren Ende der Sonnenallee zu lesen ist:65 Die Musik damals war gut, viel besser als heute. Das sagen alle, die schon damals einen Kassettenrecorder hatten. Damals wurde nur überspielt. Überspielen war das Wort. Irgendeiner hatte die Platte, und dann wurde sie auf Kassette überspielt. Heute benutzt alle Welt CDs. CDs sind besser, aber Platten haben vielmehr Charme. Wenn eine CD hakt, klingt es hek-

64 Mit dem Song „Polka Dots and Moonbeams“ schaffte Frank Sinatra zum ersten Mal den Sprung in die Billboard-Charts. Diese erste Version erschien 1940 und es folgten zahlreiche weitere, unter anderem von Bill Evans, Ella Fitzgerald und Cassandra Wilson. (Vgl.: Gioia, Ted: The Jazz Standards. A Guide to the Repertoire. Oxford: Oxford University Press 2012, S. 339–340.) 65 Nicht nur für die Platten, sondern generell gilt in Am kürzeren Ende der Sonnenallee: „der Text rechnet mit des Lesers Hang zur Sentimentalität und Nostalgie, und das mit Erfolg.“ (Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 57.)

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tisch, und es stimmt aggressiv, eine Platte hingegen hatte etwas Musikalisches und Einlullendes, zumindest nach sechs, sieben Wiederholungen. […] Platten vermitteln einem das Gefühl, mit etwas Kostbarem zu hantieren. (AK: 63)

Auffällig ist, dass hier die Plattenbenutzung lediglich beschrieben wird, während das Plattenabspielen in Wir tun es für Geld praktiziert wird. Aber nicht deswegen bekommen Platten hier etwas Nostalgisches zugesprochen, sondern vor allem, weil sie trotz ihrer Überholtheit viel charmanter sind. Bevorzugt werden gegenüber Platten aber definitiv CDs, die einfach ‚besser‘ sind. Wer CDs hört, entspricht dem Zeitgeist, und wer Popmusik hört, ebenfalls. Und wer dem Zeitgeist entspricht, der ist cool. In diesem Tenor ist auch Wuschel noch einmal zu nennen, der unbedingt ein bekanntes Pop-Album auf Platte besitzen möchte, sowie der Hippie, der Popmusik auf Platten sammelt. Auch an den Poproman Soloalbum ist zu erinnern, auf dessen Cover eine Platte abgebildet ist und dessen Inhaltsverzeichnis sich wie für Schallplatten typisch in eine A- und eine B-Seite gliedert.66 Wird Popmusik in Zusammenhang mit Platten gebracht, sind also auch im Poproman Schallplatten cool. Nicht zu erwarten ist allerdings, dass eine Figur wie Ekkehart StöckeleinGrummler, der einen Missionars-Haarschnitt hat und eine Beamten-Brille trägt, der außerdem alte amerikanische Jazzplatten hört, im Poproman als ‚cooler Typ‘ dargestellt wird. Überhaupt ist Jazz in der Regel kein Bestandteil von Popmusik67 und demnach auch kein relevanter Bestandteil von Popromanen. Die JazzplattenSammlung hat Ekkehart nebenbei nicht auf interessante Weise mühsam zusammengestellt oder aus voller musikalischer Überzeugung selber angesammelt, sondern schlicht und einfach von seinem Großonkel geerbt, der nach dem Krieg 30 Jahre in New York gelebt hat (vgl. WG: 35). Von ‚Coolness‘ zeugt dies alles nicht – zumin-

66 Die Vermarktung von Popliteratur folgt offensichtlich bekannten Werbestrategien. In diesem Zusammenhang hat Dirk Niefanger herausgefunden, dass der Autor von StuckradBarre zusammen mit Buchtiteln, die offensichtlich aus der Musikkultur stammen (zur Erinnerung ein paar Titel: Soloalbum, Livealbum, Remix), im Prinzip nichts anderes als Markenwerbung darstellt. (Vgl.: Niefanger, Dirk: Der Autor und sein ‚Label‘. Überlegungen zur „fonction classificateure“ Foucaults (mit Fallstudien zu Langbehn und Kracauer). In: Autorschaft. Positionen und Revisionen. Hrsg. von Heinrich Detering. Stuttgart: Metzler 2002. S. 521–539, S. 522.) Dabei ist die Werbung zwar durchaus auf das Produkt ‚Pop-Literatur‘ ausgerichtet, ist gleichzeitig jedoch immer auch indirekte Werbung für (eine bestimmte) ‚Pop-Musik‘. 67 Vgl.: Büsser, Martin: Popmusik. Hamburg: Rotbuch 2000, S. 9.

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dest nicht mehr,68 obwohl der Ursprung der modernen Bedeutung des Begriffs ‚cool‘ aus dem amerikanischen Jazz stammt.69 Während im Poproman die richtige Popmusik cool ist und Leute, die die richtige Popmusik hören, per se cool sind, werden im Männerroman Wir tun es für Geld die zwei Jazz-Liebhaber Ekkehart und Lukas vorgestellt. Muss nun die Schlussfolgerung sein, dass Jazz weniger cool ist als Pop? Mit Sicherheit ist dies nicht so. Doch während zu den Zeiten der Popliteratur noch bestimmte Dinge vehement als cool und andere als uncool deklariert wurden, hat sich in der folgenden Generation eine gelassenere Einstellung zur Musik entwickelt: Wohl wahr, unsere Generation ist nicht sexy, dafür aber sind wir wenigstens nicht so anstrengend wie die, die immer genau wussten, was gut ist und was böse, was cool ist und was nicht. Die Popliteraten der Generation Golf waren stolz auf die Tyrannei ihrer Geschmacksurteile […]. Diese Generation ist davon frei. Sie findet alle Musik gut, die auf ihren iPod passt, sie kann alle Meinungen irgendwie verstehen.70

Ob etwas cool ist oder nicht, kann auch in der Generation nach Stuckrad-Barre und Co. zwar immer noch beurteilt werden – doch das Resultat der Beurteilung ist zumindest bei Musik nicht mehr von Bedeutung. Ob Jazz cool ist oder nicht, ist demnach in Wir tun es für Geld nicht relevant. Wie bereits erwähnt, ist Ekkehart nicht nur Besitzer einer JazzPlattensammlung, sondern kann außerdem eine sehr teure Hi-Fi-Anlage sein Eigen nennen. Mit Hi-Fi-Geräten kennt er sich sehr gut aus und hat sich nach seinem ersten Besuch bei Lukas und Ines sogar Notizen zu deren Stereoanlage in seinem Tagebuch gemacht: Hifi-Kette in Wohnung von Lukas und seiner Frau Ines setzt sich wie folgt zusammen: Plattenspieler: Technics SL-Q3 (stark abgenutzte Nadel!)

68 In den 1920er Jahren war der amerikanische Jazz international angesagt und „[a]merikanische Radiosender, Clubs und Musikveranstaltungen verbreiteten den Jazz im größeren Stil […] als demokratieaffine Musik der Freiheit und des lässigen American Way of Life, während die tendenziell intellektuellen Varianten des Modern- und CoolJazz vorzugsweise in den frühen 50er Jahren“ verbreitet wurden. (Heyer, Robert, Sebastian Wachs u. Christian Palentien: Handbuch Jugend – Musik – Sozialisation. Wiesbaden: Springer 2013, S. 21.) Hervorhebungen im Original. 69 Vgl.: Pountain, Dick u. David Robins: Cool Rules. Anatomy of an Attitude. London: Reaktion Books 2000 (=Focus on Contemporary Issues), S. 12. 70 Rohr, Mathieu von u. Sandra Schulz: Die Unsichtbaren. In: Spiegel Special (2009) H. 1. S. 14–23, S. 22.

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Vollverstärker: Kenwood A-34 Boxen: JBL Control One Kabel: unzureichende Dutzendware Netzkabel: keine Spezialkabel (WG: 49)

Zu einer Essenseinladung bringt er dem Pärchen später eine neue Nadel für ihren Technics-Plattenspieler71 mit (vgl. WG: 57) und erklärt eine Stunde lang, was zu einer guten Stereoanlage dazu gehört, obwohl Lukas nicht viel Interesse für Hi-FiGeräte aufbringen kann: „Ekkehart klingt nun nicht mehr wie ein linkischer Gymnasiast, sondern wie mein alter Religionslehrer, was noch viel schlimmer ist“ (WG: 62). Der Vergleich mit dem Religionslehrer macht zum einen deutlich, dass gute Musik und gute Hi-Fi-Anlagen eine Glaubensfrage sind, und stellt Ekkehart andererseits als Hi-Fi-Anlagen-Missionar dar – was wiederum gut zu seinem Haarschnitt passt. Ekkeharts Liebe zu guten Stereoanlagen geht sogar so weit, dass er sich, als er von seiner Frau vor die Wahl gestellt wird, ob er lieber sie als Frau halten oder einen über 20 000 Euro teuren Plattenspieler von Transrotor kaufen möchte, für die Hi-Fi-Anlage entscheidet (vgl. WG: 47).72 Über Stereoanlagen wird auch in Am kürzeren Ende der Sonnenallee philosophiert, allerdings in einer ganz anderen Art und Weise. Hier klärt ein Grenzer Onkel Heinz auf: Er schlug ein Laken zurück, und zum Vorschein kam eine konfiszierte japanische VierKomponenten Stereoanlage mit Drei-Wege-Baßreflektorboxen, ein riesiges Teil mit Stationsspeichern, AFC, getrennte Höhen-/Tiefenregulierung, manuelle Aussteuerung für jeden Kanal, Mono/Stereo-Wahlschalter, Ferro/Chromoxid-Wahlschalter, jede Menge Funktions- und Bandbereichstasten und sogar vier Ein-/Aus-Schaltern. (AK: 66)

71 Nicht zu verwechseln mit den beiden Plattenspieler-Modellen MKII 1200 und MKII 1210 von Technics. Diese beiden Modelle der Firma hatten bei DJs lange Monopolstellung, bis auch Plattenspieler der Firma Vestax in DJ-Kreisen populär wurden. (Vgl.: Wilke, Thomas: Die Vernetzung der Populärkultur. Überlegungen zur methodischen Verwendung des Dispositivs am Beispiel von DJ Tomekks Rhymes Galore. In: Methoden der Populärkulturforschung. Interdisziplinäre Perspektiven auf Film, Fernsehen, Musik, Internet und Computerspiele. Hrsg. von Marcus S. Kleiner u. Michael Rappe. Berlin: Lit 2012. S. 299–332, S. 319.) 72 In seinem Buch Männerspielsachen widmet der Autor Schickedanz ein Kapitel den Plattenspielern der Firma Transrotor und erklärt die Plattenspieler somit zu einer typisch männlichen Vorliebe. (Schickedanz, Stefan: Männerspielsachen. Von Aggregaten, Armbanduhren und Actionsport. Hamburg: Acabus 2008, S. 52–59.)

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Nach der stolzen Präsentation des Hi-Fi-Geräts resümiert der Grenzer triumphierend: „Ist doch viel zu kompliziert!“ (AK: 66). Als das bessere Modell stellt er nun Onkel Heinz das Zimmerradio Fichtelberg aus Ostdeutschland vor, das nur vier Knöpfe benötigt, damit man es bedienen kann. Das würde nicht nur Materialkosten sparen, sondern wäre auch für jeden verständlich. „Der Grenzer hörte gar nicht auf, die Vorzüge des ‚Fichtelberg‘-Radios zu preisen“ (AK: 67). Ganz anders als Ekkehart, der in Wir tun es für Geld die Vorzüge hochentwickelter Stereoanlagen preist, sind dem Grenzer die technischen Fortschritte viel zu kompliziert und erscheinen ihm überflüssig. Auf die Spitze getrieben und als Angst vor der Technik identifiziert wird die Skepsis des Grenzers dann zum Ende des Romans, als er das viel zu komplizierte Hi-Fi-Gerät an das DDR-Stromnetz anschließt und dadurch einen Stromausfall auslöst. Der Grenzer vermutet, dass die Stereoanlage daher wahrscheinlich so etwas wie ein Trojanisches Pferd sein könnte, und löst den Grenzalarm aus, der schließlich zu dem Schusswechsel führt, bei dem Wuschel getroffen wird (vgl. AK: 155). In beiden Romanen ist die detaillierte Beschreibung der Hi-Fi-Anlage auffällig, die in Wir tun es für Geld sogar visuell als Liste umgesetzt ist, während sie in Am kürzeren Ende der Sonnenallee in einer Aufzählung mündet. Vor allem die listenhaften Darstellungen lassen direkt zum nächsten Punkt dieser Untersuchung überleiten. Konzerte haben im Poproman in der Regel narrative Relevanz, während sie im Männerroman lediglich als Kulisse fungieren. Musik insgesamt erfüllt im Poproman primär eine diegetische, im Männerroman hingegen eine mimetische Funktion. Während Musik im Poproman oft symbolisch aufgeladen wird, löst sie im Männerroman lediglich einen Wiedererkennungs- und Realitätseffekt aus. Daher könnten die Musiker im Männerroman auch ohne Probleme ausgetauscht werden, solange die Regeln der aufgestellten Mimese nicht bedeutend geändert werden. In Popromanen hingegen würde ein solcher Tausch die Komposition des Romans beeinflussen. Während in Popromanen die Bevorzugung bestimmter Musik Rückschlüsse auf den Charakter zulässt und über die ‚Coolness‘ von Personen entscheidet, ist im Männerroman eher eine für die derzeitige Generation junger Menschen typische Offenheit bezüglich verschiedener Musikvorlieben zu erkennen, auch wenn Popmusik hier ebenfalls die bevorzugte Richtung darstellt, jedoch vermutlich eher aufgrund von Massentauglichkeit.

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D AS

KULTURELLE

ARCHIV

„Grob und vorläufig könnte man die gegenwärtige deutsche Literatur in zwei Gruppen einteilen: in Texte ohne Markennamen, ohne Popmusik-, Film- und Fernsehtitel auf der einen Seite und in Texte mit all diesen Dingen auf der anderen.“73 Baßler nennt die Autoren der neuen Popliteratur, also die Autoren „mit all diesen Dingen“, die „neuen Archivisten“.74 Dabei stützt sich Baßler auf Goetz, der das zu archivieren beabsichtigt, „was noch nicht Diskurs ist.“75 Das Novum an den neuen Archivisten ist nun also, dass sie Dinge aus dem profanen Raum neu achten und konstituieren und sie so in das kulturelle Archiv einfließen lassen, damit diese nicht in Vergessenheit geraten. Die Funktion des kulturellen Archivs übernimmt in diesem Fall die Popliteratur – wie dies für Literatur grundsätzlich gilt.76 Somit werden auch profane Dinge diskursiv. Zu den Dingen, die zum profanen Raum gehören und die vor den Popliteraten noch nicht archiviert waren, zählen beispielsweise „T-ShirtAufdrucke, Werbe-Slogans, Szenesprache, aktuelle Hits, Einschätzungen über Fernsehserien etc.“77 In der Archivierungsmaschine78 der Popliteratur werden die Dinge des profanen Raums entweder ganz selbstverständlich in die Textur der Erzählung eingewoben oder sie werden optisch abgehoben und in der Textur von Listen dargestellt. „Paradigmen dieser Art […] sind das Herzstück aller popliterarischen Verfahren zwischen Sammeln und Generieren“79.

73 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 155. Hervorhebungen im Original. So wie sich die Literatur folglich in zwei Gruppen teilen lässt, kann auch die Leserschaft der Bücher „mit diesen Dingen“ in zwei Gruppen geteilt werden, nämlich „in solche, die das Archiv des Text-Ich teilen, und solche, die das – z.B. aufgrund ihres Alters – nicht tun.“ Ebd., S. 36. In Zur Semiotik des Markennamens in literarischen Texten nimmt Baßler noch einmal Bezug auf seine Unterscheidung von Literatur anhand des Vorhandenseins oder des Fehlens von Markennamen. Dabei präzisiert er mit Jacobson, dass seine Feststellung nur die syntagmatische Ebene des Textes betrifft, nicht jedoch die paradigmatische. (Vgl.: Baßler, Moritz: Zur Semiotik des Markennamens in literarischen Texten. In: Markt. Literarisch. Hrsg. von Thomas Wegmann. Bern: Lang 2005. S. 171–182, S. 172.) 74 Baßler: Der deutsche Pop-Roman. 75 Ebd., S. 145. 76 Ebd., S. 21. 77 Hecken, Thomas: „Pop-Literatur“ oder „populäre Literaturen und Medien“? Eine Frage von Wissenschaft und Gender. In: Pop und Männlichkeit. Zwei Phänomene in prekärer Wechselwirkung? Hrsg. von Katja Kauer. Berlin: Frank & Timme 2009. S. 19–36, S. 21. 78 Vgl.: Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 46. 79 Ebd., S. 102.

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Betrachten wir noch einmal die Beschreibungen der Stereoanlagen in dem Poproman Am kürzeren Ende der Sonnenallee und dem Männerroman Wir tun es für Geld: Zunächst ist festzuhalten, dass es spätestens jetzt nicht verwundert, dass in dem Poproman die Beschreibung der japanischen Hi-Fi-Anlage in einer Aufzählung wiedergegeben ist, schließlich ist eine Aufzählung eine in Syntax gepackte Liste, eben ein Paradigma. Auffällig ist nun allerdings, dass die Hi-Fi-Beschreibung im Männerroman auch optisch als Liste dargestellt ist. Damit würde der Männerroman an dieser Stelle das paradigmatische Verfahren der Popliteratur besser erfüllen als die Popliteratur selbst – und ein Vergleich von Pop- und Männerroman bezüglich ihrer Archivierungsmechanismen scheint hiermit angebracht. Obwohl der Protagonist in Soloalbum behauptet, dass er keine Freunde habe (vgl. SA: 37), erstellt er dennoch kurz darauf eine kurze Liste mit seinen drei Freunden Martin, David und Christian. Es werden hier nicht nur die Namen aufgeführt, sondern es folgt jeder Namensnennung außerdem noch eine kurze Personenbeschreibung „nach oberflächlichen Merkmalen“, wobei „insbesondere ihr jeweiliger Musikgeschmack“80 von Interesse zu sein scheint: Martin: koksender Alkoholiker, auch sehr großer Oasis-Fan, sitzt eigentlich immer rauchend zu Hause und liest oder guckt Fernsehen. Regelmäßige, sehr konsequente Exzesse. David: studiert Jura in einer Kleinstadt, hört nur klassische Musik oder aber Plastiktechno, das schon sehr gerne. Ist viel dicker als ich, aber das nützt ja auch nichts. Christian: Studiert auch, offiziell, ist aber eigentlich von Beruf Britpopper, operiert von Hannover aus. Sieht aus wie Jarvis Cocker, der hat’s gut (der Christian – der Jarvis ja sowieso). (SA: 38-39)

Trotz dieser Freunde scheint sich der Protagonist alleine zu fühlen, da er zuvor behauptete, dass er keine Freunde habe. Genau wie diese Liste seiner Freunde, in der übrigens wieder Personen mit Hilfe ihres Musikgeschmacks charakterisiert werden, ist auch die Liste der Frauen aufgebaut, mit denen der Protagonist nach dem Ende seiner Beziehung mit Katharina nun etwas anfangen könnte. Er überlegt, ob er eine der Frauen anrufen möchte, entscheidet sich jedoch dagegen. Stattdessen ruft dann Isabelle bei ihm an (vgl. SA: 25-26). Simon behauptet in Vollidiot auch zunächst, ohne Freunde zu sein: „Ich schalte den Fernseher wieder an, ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und klicke mich durchs Adressbuch. Das muss man machen, wenn man selbst nicht mehr angerufen wird“ (VI: 15). Beim Durchklicken seines Adressbuchs zählt Simon dann nicht nur Namen von Freunden und Bekannten auf, sondern auch Firmen wie den ADAC, Air Berlin, Siemens oder Taxi Köln (vgl. VI: 16-17), die damit aus dem pro-

80 Mehrfort: Popliteratur, S. 149.

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fanen Raum ins kulturelle Archiv gehoben werden. Während der ADAC und Air Berlin ganz selbstverständlich in der Liste zu stehen scheinen, wird die Auflistung von Siemens damit erklärt, dass Simons Kaffeemaschine seit langer Zeit nicht voll funktionsfähig ist. Auch die Existenz der Telefonnummer eines Taxiunternehmens in seinem Adressbuch wird anscheinend als nicht erklärungswürdig angenommen. Simon sinniert jedoch darüber, dass er einen Taxifahrer dafür bezahlen könnte, mit ihm Bier trinken zu gehen. Diese Idee unterstützt die Auffassung, dass Simon der Ansicht ist, keine Freunde zu haben. Gleichzeitig kommen in seiner Aufzählung jedoch auch Namen von Freunden oder Bekannten vor, zu denen Simon – wie der Protagonist in Soloalbum – einige beschreibende Worte verliert. Noch während Simon weiter in seinem Adressbuch im Handy herumklickt, ruft ihn sein Freund Flick an (vgl. VI: 17-18). Auch hier ist wieder eine Parallele zu Soloalbum zu erkennen: Noch während die beiden Männer darüber nachdenken, dass sie niemanden haben, werden beide angerufen. Der Protagonist in Soloalbum wird dabei von einer Frau namens Isabelle angerufen, mit der er sich dann trifft (vgl. SA: 26-29) und die im weiteren Verlauf des Romans wieder auftaucht. Sie ist eine Freundin des Protagonisten, mit der er unregelmäßig sexuell verkehrt, mit der ihn jedoch nicht mehr als Sympathie und Sex verbinden (vgl. SA: 172). In Vollidiot wird Simon von seinem Freund Flick angerufen, der im Roman immer wieder eine relevante Figur ist. Die Verwendung des paradigmatischen Verfahrens der Liste ist an diesen beiden Stellen damit beinahe äquivalent. Die Paradigmen der Popliteratur sind mit profanen Dingen aus der Popkultur gefüllt. Durch „die Verwendung von Markennamen (neben Motiven aus Filmen, Rockmusik und anderen Medien)“ setzt sich Popliteratur „aktiv mit der immer stärker dominierenden Markt- und Massenkultur der westlichen Welt“81 auseinander, und gerade diese Auseinandersetzung mit den profanen Dingen ist sozusagen zum Markenzeichen der Popliteratur geworden. Die profanen Dinge werden nämlich größtenteils nicht einfach nur aus dem Archiv der Gegenwart ins kulturelle Archiv der Literatur übertragen, sondern bekommen meist auch noch eine Konnotation, die im Poproman selbstverständlich nach dem Prinzip Pop wertend ist. So trägt zum Beispiel Nigel, ein Freund des Protagonisten in Faserland von Kracht, nicht nur einfach irgendwelche T-Shirts, sondern „irgendwelche T-Shirts, auf denen das Logo einer Firma steht, […] so richtige Firmen wie Esso oder Ariel Ultra oder Milka“ (FL: 31). Mit diesen T-Shirts beabsichtigt Nigel zu provozieren, und zwar „Linke,

81 Baßler, Moritz: One more Cup of Tchibo for the Road. Über die Abwesenheit von Markennamen in der Popmusik. In: Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst. Hrsg. von Heinz J. Drügh, Christian Metz u. Björn Weyand. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2011. S. 360–379, S. 360.

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Nazis, Ökos, Intellektuelle, Busfahrer, einfach alle“ (FL: 31).82 Warum genau sich Menschen dadurch provoziert fühlen sollten, dass Nigel T-Shirts mit den Logos bekannter Firmen trägt, bleibt unklar, vor allem weil zum Beispiel von den Firmen Ariel oder Milka nicht so leicht ein politisches Statement abzuleiten ist. Bei der Firma Esso wäre immerhin naheliegend, dass Nigel mit T-Shirts, die das Logo der Firma zeigen, Umweltaktivisten provozieren möchte, die wahrscheinlich lieber die Zurschaustellung von Firmen sehen würden, die ihr Geld mit alternativen Energien verdienen. Aber hier liegt bereits so viel Eigeninterpretation vor, dass dies nicht mehr als eine Vermutung bleiben kann – vor allem weil die Provokation durch Firmen-Logos wie die von Milka oder Ariel nicht so leicht erklärbar ist. Auch Simons Freund Phil trägt in Vollidiot Kleidung mit Aufdrucken von Firmen-Logos, nämlich ein grünes „Haribo-T-Shirt“ (VI: 20) und einen „Ahoi-Brause-Pulli“ (VI: 111). Im Gegensatz zu Nigel, der mit seinen Shirts ein politisches Statement abgeben möchte, trägt Phil die Logos auf der Brust aus Modebewusstsein. Sein Haribo-Shirt kombiniert er zum Beispiel mit einem 549 Euro teuren Cord-Anzug. Mit einem ironischen Unterton lobt Simon Phils Anzug – das Shirt kommentiert er nicht. Das könnte daran liegen, dass die Mode der 1990er Jahre das Tragen von Logo-Shirts etabliert hat und dieses inzwischen niemanden mehr verwundert. So wird das Tragen der Logo-Shirts im Poproman näher erörtert, im Männerroman jedoch nicht. Zum kulturellen Archiv gehören auch Fernsehserien. In Soloalbum nimmt der Protagonist an, dass Leute, die „Wonderwall“ nur vom Kuschelrock-Sampler und nicht von der Oasis-Platte kennen, sicherlich Marienhof und Verbotene Liebe sehen (vgl. SA: 47-48). Damit kann man im Sinne der Diegese nicht nur vom Musikgeschmack, sondern auch von Fernsehvorlieben auf Charakterzüge schließen. Und auch hier gibt es wieder Gruppenbildungen: „Am Samstagnachmittag kommen auf RTL lauter saudoofe amerikanische Serien“83 (SA: 48), die von Jugendlichen gese-

82 Diese Textstelle ist damit auch ein Beleg für meine bereits im vorigen Kapitel aufgestellte These, dass die neue deutsche Popliteratur ganz im Sinne von Ernst zwar weniger politisch ist, allerdings nicht vollkommen unpolitisch, denn mit seinen T-Shirts möchte Nigel in Faserland schließlich ein politisches Statement abgeben – wie auch immer dieses lauten mag. 83 Die gehäufte Verwendung von „doof“ oder auch „saudoof“ in Soloalbum veranlasst Joch dazu, den Stil von Stuckrad-Barre in diesem Frühwerk zu bemängeln, da er so „einen Stich ins Pennälerhafte aufweist.“ (Joch, Markus: Geschmacksterrorismen. Eine Möglichkeit, deutsche Pop-Literatur zu beschreiben. In: Entwicklungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1989. Hrsg. von Carsten Gansel u. Elisabeth Herrmann. Göttingen: V&R unipress 2013. S. 91–140, S. 104.) Ob der Gebrauch des Wortes „doof“ schon als Marker eines schlechten Stils zu werten ist, wird bezweifelt, soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter interessieren. Es soll vielmehr darauf hingewiesen werden, dass

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hen werden, denn „[d]ann kommt Werbung für die Zielgruppe, also Shampoo und Pickelwunderkacke, die ja doch niemandem hilft“ (SA: 48). Der Protagonist zählt jedoch weder zu den Marienhof- und Verbotene-Liebe-Schauern, noch sieht er sich die ‚saudoofen amerikanischen Serien‘ an. Was sich die große Masse anscheinend gerne im Fernsehen ansieht – denn ansonsten hätten diese Formate sicherlich nicht bereits jahrelang Bestand – widert ihn an. „Wie man das aushalten, ja sogar freiwillig einschalten kann, ohne sich hinterher sofort umzubringen (oder zumindest andere), werde ich nie begreifen“ (SA: 48). Er empfindet derartige Formate als Verblödungs-Fernsehen und ist unglücklich darüber, dass seine Ex-Freundin Katharina an derartigem Schund Freude gefunden hat. Wenn Katharina sich diese VerblödungsSerien angesehen hat, hat der Protagonist sich während der gemeinsamen Beziehung in ein anderes Zimmer zurückgezogen (vgl. SA: 48-49). Ganz anders wird über populärkulturelle Fernsehformate im Männerroman geurteilt. So orientierte sich zum Beispiel die Gliederung der Woche von Robert, dem Protagonisten in Weichei84 (2011) von Tim Boltz, als er noch mit seiner Freundin Steffi zusammen war, teilweise am Verblödungsfernsehen: Montags auf VOX CSI und Boston Legal schauen und im Anschluss soliden Sex mit Steffi haben. Dienstags mit Steffi zoffen, da sie behauptet, dass die Montage immer gleich verlaufen und wir Sex nach Terminplan haben. Mittwochs zugeben, dass es tatsächlich so ist, um darauf tollen Versöhnungssex zu haben. Donnerstags ist Steffis Mädelsabend, und ich hole sie gegen Viertel nach zwölf angetrunken aus einer Bar an der Bergerstraße ab. Freitags ausmachen, dass man doch auch mal wieder ausgehen könnte, um dann doch wieder auf Pro7 das Eventmovie oder eine Til-Schweiger-DVD zu schauen. Samstags Fußball schauen in der Marriott-Sportsbar an der Messe, danach Sportschau gucken, um schließlich das Gesehene noch mal abends im Sportstudio zu verfestigen. Sonntags wahlweise zu meinen oder Steffis Eltern fahren und sich darauf freuen, am nächsten Tag einfach mal zu Hause bleiben zu können, um auf VOX CSI oder Boston Legal zu schauen. (WE: 18, Hervorhebungen im Original)

genau zehn Jahre nach Soloalbum, also 2008, das Buch Generation Doof die Bestsellerlisten in Deutschland stürmte und der Idee der Pop-Literatur à la Stuckrad-Barre gar nicht so fern ist: „Wir sind die Generation Doof. Wir sind Berufsjugendliche, Schwätzer, AllesWoller-Nix-Könner. Wir sind besessen von Konsum, lassen uns vom Fernsehen die Welt erklären und lieben die Spaßkultur.“ (Bonner, Stefan u. Anne Weiss: Generation Doof. Wie blöd sind wir eigentlich? Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-LübbeTaschenbuch 60596), S. 12.) 84 Boltz, Tim: Weichei. Roman. München: Goldmann 2011.

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Jeder Montag, Freitag und Samstag ist vom Fernsehprogramm mitbestimmt. Dabei werden auch hier keine ‚Intellektuellen-Sendungen‘ aufgezählt, sondern populärkulturelle Unterhaltungsvariationen: ‚saucoole‘ amerikanische Serien (im Gegensatz zu Stuckrad-Barres ‚saudoofen amerikanischen Serien‘), Eventmovies, TilSchweiger-Filme, Fußballspiele und Sportsendungen. Im Gegensatz zu Soloalbum hat das Paar hier die Sendungen bis auf die Fußball-Fernsehformate gemeinsam gesehen, und populärkulturelle Fernsehformate werden nicht als Zeichen der Verblödung gedeutet, sondern ganz im Gegenteil zum lebensstrukturierenden Element von Paaren erhoben. Man könnte auch argumentieren, dass es dem Männerroman damit an etwas fehlt, nämlich an dem von Baßler proklamierten „souveränen Umgang mit der Enzyklopädie unserer Gegenwart, ohne sich von der Hochkultur gänzlich abzukoppeln“85, durch den sich Popromane auszeichnen. Der Männerroman aber koppelt sich ganz bewusst von der Hochkultur ab. So wie die Generation nach den Popromanen jede Musik hört, scheint sie auch jede Sendung zu sehen – alles ist erlaubt, nichts muss (cool sein), aber alles kann. Man könnte auch die Wendung ‚Masse statt Klasse‘ an dieser Stelle anbringen, jedoch nicht wie geläufig semantisiert: Während es im Poproman um die gute Musik im Gegensatz zur schlechten geht und um die guten Sendungen im Gegensatz zu schlechten, also um Klasse, operiert der Männerroman primär mit massenkulturellen Phänomenen. Hier ist nicht relevant, ob die erwähnten Sendungen gut sind, sondern ob die Masse sie kennt, sie womöglich auch regelmäßig sieht. Marken werden im Männerroman nicht massenhaft thematisiert und bewertet, allerdings erstaunlich oft genannt. So trägt zum Beispiel in Vollidiot Phil nicht nur ein Shirt mit einem Logo von Haribo, Phil bestellt sich auch nicht irgendeinen Energie-Drink mit Wodka, sondern einen Wodka Red Bull (vgl. VI: 29), Simon hat seinen Urlaub nicht bei irgendeinem Reiseunternehmen gebucht, sondern bei TUI (vgl. VI: 53) und Dörte trägt nicht irgendeine Handtasche, sondern eine Tasche der Marke MCM (vgl. VI: 88). Manchmal werden aber auch hier Firmen nicht nur erwähnt, sondern thematisiert bzw. bewertet, zum Beispiel Simons Arbeitgeber Telekom („noch stehe ich allerdings in einem beschissenen Telefonladen“, VI: 93) oder auch Ikea. Zu Beginn des Romans kauft Simon nicht irgendeinen Sessel, sondern einen Sessel von Ikea. Dabei bewertet er Ikea als ein Single-feindliches Einrichtungshaus, in dem sich daher zumeist nur Paare und glückliche Familien aufhalten.86 Auch die

85 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 203. 86 Dass Männer nur von ihren Frauen zu Ikea mitgenommen werden, ist ein gängiges Klischee, das zum Beispiel auch in Frauenversteher. Das Buch für alle, die entweder ein Mann oder Frau sind aufgegriffen wird. Hier wird das Kapitel „Frauen und schwedische

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gesamte Werbung von Ikea sei auf Familienglück konzentriert. Daher sollten nach der Auffassung des Protagonisten Simon „Singles nur in Begleitung von Freunden oder professionellen Therapeuten zu Ikea“ (VI: 8) gehen. Schließlich findet Simon aber doch noch etwas Passendes für sich, nämlich einen eierschalenfarbenen Single-Sessel mit dem Warennamen „Jennylund“ (vgl. VI: 12). Dieser Single-Sessel scheint so ganz seinem Lebensgefühl zu entsprechen, da auf ihm nur eine einzige Person Platz findet und Simon sich selber darüber definiert, dass er Single ist. Außerdem war der Sessel im Ikea-Geschäft im Mitnahmelager im Regal 30C87 zu finden (vgl. VI: 11) und Simon steht kurz vor seinem 30. Geburtstag, den er am Ende des Romans feiert.88 Das Einrichtungshaus Ikea wird auch in Florian Illies Generation Golf thematisiert, hier jedoch durchaus positiv bewertet – vorausgesetzt, man vermag mit den Massenartikeln von Ikea stilsicher umzugehen: Es gehört zu den wundersamen Phänomenen der an Phänomenen eben nicht armen Ikea-Welt, daß man aus den unermäßlichen Schätzen des Kataloges sowohl eine eiskalte Wohnung ohne jede Atmosphäre zusammenbauen kann als auch einen jener warmen erdtonartigen Wohlfühlräume. […] Es fällt nur unangenehm auf, wenn alles von Ikea ist.89

„Der Ikea-Katalog“, so analysiert Carsten Lange diese Textstelle, „ist die perfekte Metapher für das vorgefertigte kulturelle Angebot, aus dem sich die Generation der

Möbelhäuser“ mit dem typischen Verhalten von Frauen und Männern bezüglich eines anstehenden Ikea-Besuchs humoristisch aufbereitet analysiert. (Vgl.: Höfer, Carsten: Frauenversteher. Das Buch für alle, die entweder ein Mann oder eine Frau sind. München: Südwest 2012, S. 52–61.) 87 In der Verfilmung von Vollidiot sind weitere Verweise auf die 30C zu finden: So ist zum Beispiel 30C die Liniennummer des Busses, der kurz bevor der Sessel verbrannt wird, zu sehen ist. Außerdem wohnt Marcia in dem Film im dritten Obergeschoss. Als Simon vor ihrer Haustüre steht und überlegt, ob er klingeln soll, arbeiten die Kameraeinstellung und Simons Daumenhaltung so zusammen, dass der Zuschauer nicht 3.OG sieht, sondern 3.OC, was wiederum als 30C gelesen werden kann. 88 Warum die Zahl 30 ausgewählt wurde, ist schnell geklärt und nicht als Willkür zu deuten. Warum der Buchstabe C verwendet wurde, ist schon schwieriger zu klären. Eine mögliche Erklärung ist diese: „Das ‚C‘ ist allerorten auf dem Vormarsch, die massenhafte Falschverwendung dieses Buchstabens scheint zeitgeistig schick zu sein, um nicht zu sagen: chic.“ (Krüger, Sönke: Der Buchstabe „C“ ist ciemlich cum Cotzen. http://www.welt.de/debatte/kolumnen/wortgefecht/article1758093/Der-Buchstabe-C-istciemlich-cum-Cotzen.html (30.4.2013).) 89 Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion. Berlin: Argon 2000, S. 109.

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um die Dreißigjährigen ihre Individualität zusammenstellt.“90 Wie im Poproman sind auch im Männerroman die Protagonisten um die 30 Jahre alt, wobei die Tendenz in beiden Genres eher nach unten geht und man richtiger von einer Altersspanne zwischen dem Jugendalter und etwa 30 Jahren sprechen müsste. Im Poproman wird also Ikea, so die These von Lange, als ein kulturelles Angebot gelobt.91 In Soloalbum kauft der Protagonist bei Ikea ein und ist von dem Angebot positiv angetan: „Die Möbel sind schön, bei IKEA“ (SA: 229). Ähnlich wie Simon in Vollidiot sieht er das Einrichtungshaus als einen Treffpunkt für Paare und Familien an: „Außer uns sind nur Pärchen unterwegs, die Frauen sind schwanger und freuen sich auf das Kind. Die Männer wirken gehetzt, das hätten sie nicht gedacht, was man so alles braucht für ein Kind, für eine Familie“ (SA: 229). Damit ist eine deutliche Parallele zum Männerroman zu erkennen. Der These, dass Ikea mit seinem kulturellen Angebot in Popromanen bejaht wird, widerspricht jedoch ein Vergleich in Soloalbum: Zunächst sinniert der Protagonist über seinen Liebeskummer und stellt dann eine Theorie auf, wie man sich idealerweise bei Liebeskummer zu verhalten hat. Darauf folgt der Vergleich mit Ikea: „Es ist wie ein Bausatz, wie eine IKEA-Anleitung, nur eben viel verbindlicher, und es bleiben auch keine Schrauben über, und nix wackelt, alles hat seinen Platz“ (SA: 39). Doch bei seiner Theorie handelt es sich lediglich um ein Idealbild. Normalerweise bleiben Schrauben über und das soeben aufgebaute Ikea-Regal wackelt. Das ist die Realität, vor der der Protagonist fliehen möchte. Positiv, so kann festgehalten werden, kommt Ikea bei diesem Vergleich sicherlich nicht weg. Allerdings funktioniert Ikea hier als ein Sinnbild dafür, wie das Leben heute ist. Man sollte Langes These daher nicht verwerfen, sondern vielmehr modifizieren: Ikea steht für ein zeitgenössisches Lebensgefühl der Poproman-Autoren. So interpretiert muss Ikea nicht durchweg bejubelt werden und auch die Ikea-Passage in Jauds Vollidiot kann hierunter subsummiert werden. Der Roman Vollidiot endet mit der Verbrennung des Ikea-Sessels. Auf seiner Geburtstagsfeier entdeckt Simon, dass er Gemeinsamkeiten mit seiner ehemaligen Chefin hat, und beginnt sich in sie zu verlieben. Zusammen verlassen die beiden die Party, den Single-Sessel im Schlepptau (vgl. VI: 282). Simon verbrennt den Sessel auf dem Ikea-Parkplatz und fotografiert das Spektakel. Er beschuldigt den Sessel der Grund zu sein, dass sein „Leben zur Hölle“ (VI: 284) geworden ist. Mit der Verbrennung des Sessels soll diese schreckliche Lebensphase, die durch das Single-

90 Lange, Carsten: „Allgemeinverbindlichkeit“. Strategien popliterarischen Erzählens in Florian Illies’ Generation Golf. In: Pop, pop, populär. Popliteratur und Jugendkultur. Hrsg. von Johannes G. Pankau. Bremen: Aschenbeck & Isensee 2004. S. 120–130, S. 125. 91 Vgl.: ebd.

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Sein geprägt war, enden. Ob Simon letztendlich mit seiner Chefin zusammenkommt, bleibt in Vollidiot offen. Im Folgeroman Millionär wird jedoch nicht von einer Beziehung der beiden berichtet, was nicht dafür spricht, dass Simon am Ende von Vollidiot mit seiner ehemaligen Chefin liiert ist. Nicht nur im Männerroman Vollidiot brennt ein Markenprodukt, sondern auch in dem Poproman Faserland, nämlich eine Barbour-Jacke. Schon auf der ersten Seite wird die Marke Barbour mehrmals genannt. Zunächst informiert der Protagonist darüber, dass er wegen Westwind seine „Barbourjacke mit Innenfutter“ (FL: 13) trägt, während er auf Sylt an der Fischbude Gosch steht. Daraufhin trifft er zufällig Katrin wieder, die er aus Salem, einem bekannten Internat, kennt, und die ebenfalls eine Barbour-Jacke trägt, allerdings nicht wie der Protagonist eine grüne, sondern eine blaue. Eben als wir über Barbourjacken sprachen, hat sie gesagt, sie wolle sich keine grüne kaufen, weil die blauen schöner aussehen, wenn sie abgewetzt sind. Das glaube ich aber nicht. Meine grüne Barbour gefällt mir besser. Abgewetzte Barbourjacken, das führt zu nichts. Das erkläre ich später, was ich damit meine. (FL: 13-14)

Die Barbour-Jacke ist hier nicht nur ein beliebiges Kleidungsstück, sondern ein Statussymbol.92 Durch die Jacke wird deutlich, dass Karin und der Protagonist auf einer gesellschaftlichen Stufe stehen.93 Marken fungieren in diesem Sinne als Semantiken für „soziographische Beschreibungen von Personen, Milieus und Szenen“94. In welcher Form die Jacke getragen wird, ob in grün oder blau, ob neu oder abgewetzt, wird nicht nur zum Unterhaltungsgegenstand, sondern zu einer Lebenseinstellung erhoben. So urteilt der Protagonist zum Beispiel: „Abgewetzte Barbourjacken, das führt zu nichts.“ Der Protagonist hätte auch werten können, dass abgewetzte Barbour-Jacken nicht schick seien. Stattdessen wählt er aber eine Formulierung, die weit über modische Urteile hinausgeht und gemein für das Leben zu gelten scheint: das führt zu nichts. Damit muss der Jacke mehr Bedeutung zugesprochen werden als bloß die eines Statussymbols. Auf einem Flug nach Frankfurt steckt sich der Protagonist zwei PfirsichJoghurts der Marke Ehrmann in die Taschen seiner Barbour-Jacke. Die Joghurts platzen während des Fluges in den Taschen und die Masse läuft auf seine Hose und den Sitz. Aufzustehen und das Malheur in der Bordtoilette so gut es geht zu beheben, ist dem Protagonisten zu peinlich – als Poproman-Protagonist setzt er schließlich alles daran, cool zu sein. Daher verweilt er mit den geplatzten Joghurts in sei-

92 Mehrfort: Popliteratur, S. 92. 93 Vgl.: ebd., S. 93. 94 Degler et al.: Neue Deutsche Popliteratur, S. 37.

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ner Tasche auf seinem Sitz, bis das Flugzeug landet (vgl. FL: 59-60). Am Flughafen angekommen, trägt er immer noch die Jacke mit den Joghurts in den Taschen und es ist ihm „extrem unangenehm“ (FL: 65) die Jacke so zu tragen. Mehr noch: Nach dem Malheur gefällt ihm die ganze Jacke nicht mehr. „Ich ziehe meine Barbourjacke aus und lege sie vor mir auf den Fußboden. Dann zünde ich mir noch eine Zigarette an, und werfe das brennende Streichholz auf das blöde Innenfutter der Jacke“ (FL: 65-66). Zunächst geht die Jacke nicht in Flammen auf, doch nach einigen Bemühungen fängt sie endlich Feuer. Wie Sandra Mehrfort richtig deutet, hat diese Bestattung der Jacke nichts mit der Barbour-Jacke als solcher zu tun, sondern mit der Peinlichkeit, mit der die Jacke nun behaftet ist. Um nicht immer an die unangenehme Situation mit den zerplatzten Joghurts erinnert zu werden, verbrennt der Erzähler die Jacke.95 Dafür spricht unter anderem, dass sich der Erzähler schnellstmöglich eine neue Jacke aneignet: Zu Beginn des vierten Kapitels wird die Barbour-Jacke bestattet und schon zum Ende desselben Kapitels klaut er die Barbour-Jacke seines Freundes Alexander, die dieser unbeaufsichtigt in einer Bar gelassen hat (vgl. FL: 81). Im Gegensatz zur vorherigen Jacke hat diese nun kein Innenfutter mehr – die Barbour-Jacke verliert folglich an Masse, wird weniger. Schließlich lässt der Protagonist die BarbourJacke am Ende des Romans im Hotel liegen (vgl. FL: 155), bevor er vermutlich Selbstmord begeht. Damit ist die Barbour-Jacke, wenn man den ganzen Roman betrachtet, als Leitmotiv der Erzählung zu deuten: So wie die Lebenslust des Protagonisten abnimmt, wird auch die Barbour-Jacke weniger. Insgesamt wird sie in Faserland 28 Mal genannt,96 wobei in dem Roman auch noch 75 andere Markennamen erwähnt werden97 – allerdings nicht so oft, und sie werden nicht derart mit Bedeutung aufgeladen.

95 Vgl.: Mehrfort: Popliteratur, S. 94. 96 Vgl.: ebd., S. 92–93. In dem späteren Roman Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (Kracht, Christian: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Roman. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 2010 (=dtv 13892).) wird die BarbourJacke nicht mehr mit der Marke bezeichnet, sondern lediglich eindeutig umschrieben. Überhaupt finden sich in dem Roman wenige Markennamen, was Eckhard Schumacher zu der Frage verleitet, ob dieser Roman von Kracht damit überhaupt noch als Popliteratur gewertet werden kann. (Vgl.: Schumacher, Eckhard: Das Ende der Popliteratur. Eine Fortsetzungsgeschichte (Teil 2). In: Poetik der Oberfläche. Die deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre. Hrsg. von Olaf Grabienski, Till Huber u. Jan-Noël Thon. Berlin: De Gruyter 2011. S. 53–67, S. 61–62.) 97 Vgl.: Jähner, Harald: Dandys Straflager. Christian Kracht unterzieht sich der islamischen Revolution. Die Popliteratur konvertiert zu Askese und Terror. In: Berliner Zeitung (9.10.2001). S. 14.

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Die beiden Bestattungen eines Markenprodukts in Vollidiot und Faserland gleichen sich vor allem darin, dass die beiden Protagonisten mit dem Markenprodukt symbolisch einen Teil von sich verbrennen. Jedoch identifiziert sich der Protagonist in Faserland vor allem mit der Marke des Objekts und beabsichtigt durch die Verbrennung die Erinnerung an eine peinliche Begebenheit hinter sich zu lassen. Simon in Vollidiot hingegen identifiziert sich weniger mit der Marke Ikea, sondern mehr mit dem Objekt des Single-Sessels. Durch das Ritual der Verbrennung möchte er seinem bisherigen Selbstbild ein Ende setzen und sich von nun an nicht mehr primär durch sein Single-Sein identifizieren. Borgstedt deutet die Barbour-Jacke in Faserland als ein Symbol für Männlichkeit. Die Bestattungs-Szene sieht er als einen Akt der Kastration an, bei dem der Protagonist den phallischen Joghurt loswerden möchte.98 Dass dieser These widersprochen werden muss, liegt auf der Hand: Nicht nur Männer tragen schließlich Barbour-Jacken und zu Beginn des Romans identifiziert der Protagonist Karin als Trägerin einer Barbour-Jacke als Gleichgesinnte. Nichtsdestotrotz können Marken aber durchaus mit einem Geschlecht in Verbindung gebracht werden. In dem Männerroman Weichei wird zum Beispiel die Marke Yogurette mit Weiblichkeit verbunden: Zu Hause geht mein erster Weg zum Kühlschrank, aus dem ich mir vier Yogurette aus der Schachtel nehme. Ich stopfe sie mir alle nacheinander in den Mund. Mein Blick wandert zurück zur Schachtel, auf der sich eine junge Frau in weißem Tennisoutfit zeigt. Mann, Robert, du bist echt ein Lutscher. Selbst die Schokolade ist nicht wirklich männlich, erkenne ich und beschließe ab morgen nur noch dunkle Herrenschokolade mit mindestens neunzig Prozent Kakaoanteil zu kaufen. Schmeckt zwar scheiße, wirkt aber wenigstens nicht so tuckig wie die rosa Yogurettenschachtel. (WE: 38-39)

Hier ist die Verbindung von Marke und Geschlecht offenkundig. Die BarbourJacke als Indikator von Männlichkeit oder dergleichen zu sehen fällt jedoch schwer. Oft wird die Barbour-Jacke stattdessen als Indikator von Reichtum angesehen.99 Ikea bietet hingegen eher eine erschwingliche Möglichkeit, sich modern einzurich-

98 Vgl.: Borgstedt, Thomas: Pop-Männer. Provokation und Pose bei Christian Kracht und Michel Houllebecq. In: Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Claudia Benthien u. Inge Stephan. Köln: Böhlau 2003. S. 221–247, S. 240. 99 „Die ständige Erwähnung der Barbour-Jacke, der Automarken, der Musik und der Clubs und Diskotheken sorgt für die Einordnung der erzählten Welt in einen Kontext der Massenanziehung elitärer Klassen.“ (Seiler: „Das einfache wahre Abschreiben der Welt“, S. 283.)

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ten. Während also die Barbour-Jacke im Poproman ganz nach dem Prinzip Pop vor allem zu separieren beabsichtigt,100 ist Ikea in Vollidiot als eine Marke zu verstehen, die vor allem inkludieren möchte und eine Insignie des Mainstreams darstellt. Johannes Ullmaier sieht die enorme Bedeutung von Marken in Faserland in engem Zusammenhang mit dem Dandyismus. Für ihn ist der Protagonist in Krachts Roman ein Dandy, der daher auch nicht irgendwelche Markenprodukte kauft, sondern teure. Faserland ist in diesem Sinne „Auftaktwert und eigentliches Manifest der Markendandy-Literatur“101 Das kulturelle Archiv des Popromans ist zwar wie der Männerroman mit Dingen aus dem profanen Raum der Gegenwart gefüllt, jedoch ganz nach den Regeln der Hochkultur, während das Archiv im Männerroman vom Massengeschmack geprägt ist. Hier ist nicht entscheidend, ob zum Beispiel Marken oder Fernsehserien qualitativ wertvoll sind, entscheidend ist ihr Bekanntheitsgrad. Entsprechend zielt der Männerroman durch die Nennungen von Insignien des Mainstreams auf eine Inklusion möglichst vieler Leser ab, indem er ihnen so eine Identifikationsfläche bietet, während der Poproman ganz nach dem Prinzip Pop eine bestimmte Gruppe als die Ingroup separiert, die von möglichst vielen Lesern bestaunt und bejubelt werden soll.

K ONFORMITÄT

UND

N ONKONFORMITÄT

Seine Blütezeit hatte das Dandytum im Fin de siècle, also um die Wende zum 20. Jahrhundert,102 doch bereits 1844 wurde von Barbey d’Aurevilly eine der grundle-

100 Pop kann verstanden werden als ein „Entzweiungsmechanismus, als Terrain permanenter Distinktion, auf dem man sich mit dem Benennen der eigenen Präferenzen, etwa der Angabe seiner fünf Lieblingsbands, stets noch und mit Genuss über (vermeintlich) schlechten und/oder rückständigen Geschmack lustig macht: Wenn Kohäsion, dann nur in einer kleinen In-Group.“ (Joch: Geschmacksterrorismen, S. 98.) 101 Ullmaier, Johannes: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz: Ventil 2001, S. 33. 102 Vgl.: Drügh, Heinz: Dandyismus im Zeitalter des Massenkonsums. Popliteratur als Neo-Décadence. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der PopModerne. Hrsg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln: Böhlau 2009. S. 80–100, S. 82.

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genden Texte zum Dandyismus verfasst.103 Der Beginn des Dandytums ist folglich bereits deutlich vor der Blütezeit im Fin de siècle zu sehen. Als Inbegriff eines Dandys galt damals George Bryan Brummell, der sehr viel Wert auf modische Kleidung legte104 und laut einer Anekdote seine Schuhe mit Champagner putzte105. Bloß weil die Blütezeit der Dandys bereits hinter uns liegt, sind sie jedoch keine ausgestorbene Größe: es gibt sie immer noch und es wird sie zweifellos auch in der Zukunft geben, jene jungen Rebellen, die gegen alles Häßliche, Banale und Langweilige sich auflehnenden Ästheten und neuen Dandies, wenngleich sich auch ihre „Livree“, ihre Kleidung und ihr Lebensstil, ihre Herkunft und ihre Erlebnisweisen zum Teil gravierend verändert haben.106

Auch Autoren der Popliteratur der 1990er Jahre wurden und werden immer wieder als postmoderne Dandys107 betitelt und die Romanfiguren der Popliteratur können anscheinend ebenfalls mit diesem Begriff beschrieben werden.108 Dandys sind Gestalten, die erlesene leibliche Genüsse ebenso schätzen wie geistige Verfeinerung: Wagneropern wie Trüffelpasteten. In Zeiten von Fastfood und Chartmusik erscheinen sie nur mehr als Randfiguren, als ungebetene Gäste aus längst vergangenen Epochen. Und

103 Vgl.: Schickedanz, Hans-Joachim: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus. Frankfurt am Main: Lang 2000 (=Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 66), S. 13. 104 Vgl.: Erbe, Günter: Der moderne Dandy. Zur Herkunft einer dekadenten Figur. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Hrsg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln: Böhlau 2009. S. 17–38, S. 18. 105 Vgl.: Hawkins, Stan: The British Pop Dandy. Masculinity, Popular Music and Culture. Farnham, Burlington: Ashgate 2009 (=Ashgate popular and folk music series), S. 23. 106 Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 220. 107 Was genau ein Dandy ist, darüber herrscht bis heute in der Forschung kein Konsens (vgl.: ebd., S. 14.). Dennoch soll und muss an dieser Stelle wenigstens ein Versuch der Definition erfolgen, damit mit dem Begriff im Folgenden gearbeitet werden kann. Es ist jedoch zu bedenken, dass diese Definition nicht mehr als ein weiterer Versuch der Definition sein kann, der sicherlich fragmentarisch bleiben muss. 108 Vgl.: Dziudzia, Corinna: Ein neuer Ästhetizismus? Die Jahrhundertwende im Spiegel der Gegenwartsliteratur. In: Turns und Trends der Literaturwissenschaft. Literatur, Kultur und Wissenschaft zwischen Nachmärz und Jahrhundertwende im Blickfeld aktueller Theoriebildung. Hrsg. von Christian Meierhofer. Zürich: Germanistik.ch 2011. S. 285– 303, S. 295.

80 | DER M ÄNNERROMAN dennoch hat das Dandytum vor allem auf dem Gebiet des Ästhetischen eigentümliche Wiedergänger-Qualität bewiesen.109

Ursprünglich wurde der Begriff nur für die Bezeichnung von Männern verwendet, später wurden auch Frauen als Dandys bezeichnet110 bzw. genauer als „Dandizettes“111. Für Baudelaire ist der Dandyismus „ein Verhaltensideal der Dekadenz.“112 Ein Vertreter des Dandyismus distanziert sich „von der bürgerlichen Norm“113. Sein Aufbegehren ist heute jedoch „mal schwächer, mal stärker“114 und niemals destruktiv. Dandys sind in einem stetigen Wandel und müssen daher begriffen werden als „sich gegenseitig und ihre Tradition zitierende und zugleich variierende Figurationen innerhalb eines Jahrhunderte übergreifenden Dandy-Diskurses“115. Auf seiner Suche nach einem anderen gesellschaftlichen Weg geht der Dandy oft auch einen anderen Weg im wortwörtlichen Sinn und erkundet dabei die Welt116 – so wie der Protagonist in Faserland auf seinen Reisen ganz nebenbei Deutschland erkundet. „Der Dandy hat keine andere Berufung außer der des Dandysm, und daher gibt es auch so gut wie keine Dandys mehr.“117 Wer sich das Leben eines Dandys leisten kann, muss folglich von Hause aus reich sein. Soziologisch betrachtet, ist der klassische Dandy in der Regel ein Mitglied der High Society. Der Rückzug von diesem Terrain oder das Verschwinden dieser sozialen Formation beraubt ihn seines Betätigungsfeldes, denn mit dem Verlust an gesellschaftlicher Exklusivität verliert er an Substanz.118

109 Drügh: Dandyismus im Zeitalter des Massenkonsums, S. 83. 110 Vgl.: Erbe: Der moderne Dandy, S. 28. 111 Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 51. 112 Federhofer, Marie-Theres: Dillettant, Dandy und Décadent. Einleitung. In: Dilettant, Dandy und Décadent. Hrsg. von Guri Ellen Barstad u. Marie-Theres Federhofer. Hannover-Laatzen: Wehrhahn 2004. S. 7–16, S. 9. 113 Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück, S. 17. 114 Grundmann, Melanie: Einleitung. In: Der Dandy. Wie er wurde, was er war. Eine Anthologie. Hrsg. von Melanie Grundmann u. Günter Erbe. Köln: Böhlau 2007. S. 1–12, S. 12. 115 Horsley, Sebastian: Dandy in der Unterwelt. Eine unautorisierte Autobiographie. München: Blumenbar 2009, S. 171. 116 Vgl.: Grundmann: Einleitung, S. 12. 117 Meinhold, Roman von: Der Mode-Mythos: Lifestyle als Lebenskunst. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, S. 109. 118 Erbe, Günter: Der moderne Dandy. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (2004) H. 46. S. 31–38, S. 31.

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Und natürlich, wie könnte es anders sein: „Der Dandy ist cool.“119 So verwundert es nicht, dass ihm unter anderem ein „überlegener Geschmack“120 zugesprochen und er als modischer Vorreiter angesehen wird. 121 Dass der Dandy einiges mit den Protagonisten der Popliteratur gemein hat, ist auffällig.122 So muss zum Beispiel auch der Protagonist in Faserland nicht arbeiten, hat aber dennoch ausreichend Geld, um sich gut zu kleiden und durch Deutschland zu reisen.123 „Krachts Figuren entstammen einem Milieu, in dem Geld nicht mehr verdient werden muß, die fernab vom Unbill des Alltags ein vollkommen sorgen-

119 Federhofer: Dillettant, Dandy und Décadent, S. 9. 120 Erbe: Der moderne Dandy, S. 19. 121 Vgl.: Meinhold: Der Mode-Mythos: Lifestyle als Lebenskunst, S. 107. 122 Der Zusammenhang zwischen Dandytum und Literatur ist übrigens alles andere als neu: So bildet sich zum Beispiel im 19. Jahrhundert in England eine eigene Literaturgruppe um Dandys, eine so genannte „Dandyschule“. (Vgl.: Mann, Otto: Der Dandy. Ein Kulturproblem der Moderne. Vom Verfasser überarbeitete Neuauflage. Heidelberg: Rothe 1962, S. 11.) In Frankreich ist das Dandytum besonders in der Romantik angesagt, besteht jedoch nicht lange und lebt dann „mehr in der Literatur fort als in gelebter Darstellung“. (Vgl.: ebd., S. 12.) Bekannte Schriftsteller, die als Dandys galten, sind zum Beispiel Stendhal, Charles Baudelaire, Gustave Flaubert“ und auch Oscar Wilde. (Vgl.: ebd., S. 9.) In Deutschland werden immerhin Stefan George, Rainer Maria Rilke und Thomas Mann als mögliche Dekadenz-Autoren (nicht als explizite Dandys!) gehandelt, in Österreich unter anderem Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, Arthur Schnitzler, Richard von Schaukal, Stefan Zweig, Leopold von Adrian und Hugo von Hoffmansthal sowie Robert Musil Hermann Broch. (Vgl.: Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 24.) 123 Auch der Flaneur wurde bereits vermehrt als eine Möglichkeit angesehen, Protagonisten des Popromans zu typisieren. Der Flaneur ist kein Spaziergänger, der die Natur sucht, sondern er treibt sich in Großstädten herum. Auch der Protagonist in Faserland reist von Großstadt zu Großstadt. Wie der Flaneur ist er mehr ein Beobachter der Gesellschaft und ihrer Ästhetik als ein Teilhaber an dieser. Zwar spaziert der Protagonist in Faserland nicht, sondern ist mit modernen Transportmitteln wie dem Flugzeug, der Bahn oder dem Taxi unterwegs, was ihn jedoch zu einem modernen Flaneur machen könnte. Dass er kein bestimmtes Ziel verfolgt, passt zum typischen Bild des Flaneurs. Dass der Flaneur in der Masse nicht auffallen möchte, damit er sie besser beobachten kann, erklärt die Wahl der Barbour-Jacke, die zwar ein teures Markenprodukt ist, aber eben kein auffallendes, sondern eher ein konformes. (Vgl.: Mehrfort: Popliteratur, S. 105–107.) Dass die Protagonisten in Popromanen aber in der Regel eben doch keine Flaneure sind, ist schon deswegen offensichtlich, weil das Umherreisen generell kein großes Thema in Popromanen ist. Hier bildet Faserland vielmehr eine Ausnahme.

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freies Leben führen können, bzw. sich ganz auf das konzentrieren könnten, was man ‚Leben‘ nennt.“124 Mode ist dem Protagonisten in Faserland definitiv wichtig, auch wenn er mit seiner Barbour-Jacke kein modischer Vorreiter ist. Dass Mode aber dennoch eine wichtige Rolle in dem Roman spielt, kann auch vom Romantitel abgeleitet werden: Faserland. Textilien bestehen aus Fasern und das bereiste Deutschland könnte somit als Land der Fasern angesehen werden.125 Letztendlich ist der Protagonist jedoch kein Mode-, sondern ein Markenliebhaber, worauf auch die besonders häufige Erwähnung teurer Marken hinweist. Doch „[a]uch die ästhetische Funktion des Markenfetischismus weist auf die Haltung des Dandys hin.“126 Und sie ergänzt sich sehr gut mit dem Prinzip Pop: Auf Sylt trifft der Protagonist nicht nur Karin, die wie er eine Barbour-Jacke trägt, sondern auch Sergio. Diesen beurteilt der Protagonist sofort anhand seines Geschmacks – allerdings nicht seines Musikgeschmacks, sondern seines Modegeschmacks: „Sergio, das ist so einer, der immer rosa Ralph-Lauren-Hemden tragen muß und dazu eine alte Rolex, und wenn er nicht barfuß wäre, mit hochgekrempelten Hosenbeinen, dann würde er Slipper tragen von Alden, das sehe ich sofort“ (FL: 18). Die Eröffnung des Satzes deutet an, dass jetzt eine Personenbeschreibung folgt: „Sergio, das ist so einer“. Doch stattdessen folgt eine Beschreibung des Kleidungsstils von Sergio. Damit rückt hier der modische Geschmack an die Stelle der Persönlichkeit. Und wie bestimmte Charakterzüge manchmal auf mögliche Verhaltensweisen in anderen Situationen schließen lassen, so schließt der Protagonist in Faserland von der momentanen Kleidung Sergios auf dessen mögliche Kleidung in anderen Situationen. Wie das Prinzip Pop funktioniert also auch das Prinzip Mode über Inklusion und Exklusion, über Ingroups und Outgroups. Und so wie der Musikgeschmack in der Popliteratur Aussagen über die Persönlichkeit ermöglicht, funktioniert dieses Prinzip hier auch bei der Mode. Auch das Prinzip Mode ist nicht im Männerroman dominant. Am Beispiel Vollidiot zeigt sich zum Beispiel, dass Mode keine bedeutende Rolle einnimmt. Zwar wird erwähnt, welche Marke die Handtasche von Dörte hat („MCM“, VI: 88), es

124 Beuse: „154 schöne weiße leere Blätter“, S. 153. 125 Vgl.: Stauffer, Isabelle: Faszination und Überdruss. Mode und Marken in der Popliteratur. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Hrsg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln: Böhlau 2009. S. 39–59, S. 53. 126 Ebd. Eine Gegenposition hierzu nimmt Günther Erbe ein, wenn er schreibt: „Der Dandy ist ein Kenner und kein Markenfetischist.“ (Erbe, Günter: Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Köln: Böhlau 2002, S. 300.) Es ist jedoch festzustellen, dass Erbe einer Übertragung des Konzepts des Dandys in die Gegenwart insgesamt kritisch gegenübersteht: „Jedem Versuch, die Figur des Dandys in unsere Zeit hinüberzuretten, haftet etwas Erzwungenes an.“ (Ebd., S. 299.)

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werden aber von der Marke keine Rückschlüsse auf Dörte als Person gezogen. Die Einführung der Figur Flick wird in dem Roman mit einer kleinen Beschreibung verknüpft, die sich auch auf seinen Kleidungsstil bezieht: „Mit seiner viel zu netten Art, den Klamotten aus dem 78er-Winterschlussverkauf von C&A und seinem froschgesichtigen Grinsen wirkt er nicht gerade wie ein Frauenheld“ (VI: 96). Obwohl sich Flick ergo in den Augen von Simon schlecht kleidet, ist er seiner Ansicht nach ein netter Kerl. Ein Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Mode wird nicht gesehen. Bei genauer Betrachtung der modischen Kritik fällt auf, dass Flick nicht nur als unzeitgemäß gekleidet beschrieben wird, denn er trägt Sachen, die Ende der 1970er Jahre modern waren, sondern er kauft seine Kleidung auch noch bei C&A, einer Firma, die nicht gerade für teure oder Qualitätsware bekannt ist, sondern für günstige Mode. Es ist jedoch anzuzweifeln, dass Simon Flick in der Logik der Diegese nahe legen würde, statt seiner C&A-Kleidung eine Barbour-Jacke zu tragen. Teure Marken sind im Männerroman in der Regel nicht relevant. Der Fokus der Mode-Kritik in Vollidiot ist daher wohl eher darauf zu legen, dass Flick unmodern angezogen ist, und die Nennung der verbreiteten Low-Budget-Marke C&A dient lediglich dazu, das Weltwissen des Lesers zu aktivieren und so eine genauere Vorstellung der Kleidung Flicks zu ermöglichen, ohne die Kleidung im Detail zu beschreiben – denn so wichtig ist sie für den Roman nicht. In Faserland hingegen hat die Kleidung zum Beispiel von Sergio sehr wohl Relevanz. Sie wird als Bestandteil von Sergios Habitus nach Bourdieu gedeutet. Dass die Protagonisten in Männerromanen nicht reich sind, lässt sich bereits vermuten, wenn man bedenkt, dass Simon in Vollidiot als einfacher Angestellter bei der Telekom arbeitet. Im Fortsetzungsroman Millionär hat er dann sogar so starke Geldprobleme, dass er bei einem Besuch in einem Steak-Haus mit seinen Freunden ein möglichst günstiges Essen bestellen muss, da er als Arbeitsloser kaum Geld zur Verfügung hat: Als ich die Preise der Hauptgerichte auf meiner Speisekarte sehe, halte ich die Luft an. Das billigste Steak kostet 13 Euro 50! Ohne Beilagen und Getränke. Panisch wandern meine Augen über die argentinischen Spezialitäten. Wohin ich auch blättere, es ist kaum ein einstelliges Gericht dabei. Nach dreimaliger Durchsicht der Karte ist sicher: Meine Kohle reicht gerade mal für die pikanten Champignons in Knoblauchsauce und das kleine Kölsch, das ich schon fast ausgetrunken habe. (MI: 47)

Die Geldprobleme, die der Erzähler Simon hat, werden hier in ernstem Ton vor Augen geführt und mit Angst und Panik verbunden. Dass Simon keine Arbeit und dadurch bedingt kein Geld hat, ist neben dem Singledasein sein größtes Problem in dem Roman, in dessen Titel die Anspielung auf Geld schon zu erkennen ist: Millionär. Simons Problem ist dabei, dass er eben kein Millionär ist. Ein dekadentes Leben könnte Simon nicht ferner sein. Seinen fehlenden Reichtum sieht er dabei auch

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im Zusammenhang mit dem Fehlen einer Frau an seiner Seite. Er vermutet, dass er Single ist, weil er einer Frau finanziell nichts bieten kann. Auch einen Zusammenhang zwischen Geld und Freundschaft sieht er: „Was Geld mit Freundschaft zu tun hat? Eine ganze Menge, leider: Restaurantbesuche, Urlaube, Wohnen… am Ende des Tages dreht sich alles immer ums Geld“ (MI: 46). Beim gemeinsamen Essen kommen die Freunde auf den bevorstehenden gemeinsamen Snowboard-Urlaub in St. Anton zu sprechen, an dem Simon aber nicht teilnehmen kann, weil ihm die finanziellen Mittel hierfür erst recht fehlen (vgl. MI: 49). Als Simons beste Freundin ihm nach dem Essen ein Taxi heranwinkt, das Simon nach Hause bringen soll, steigt er zunächst ein, um sofort wieder auszusteigen, als Paula nicht mehr in Sichtweite ist, und stattdessen zu laufen. Auch das Geld für ein Taxi hat Simon in seiner Situation nicht, doch seine Freunde haben dafür kein Verständnis. Sie bemühen sich zwar, ihm aus der Krise zu helfen, und Phil bestellt und bezahlt für Simon nicht nur ein Steak, das Simon sich selber nicht hätte leisten können (vgl. MI: 48), sondern Paula schlägt zudem vor, dass die Freunde einen Teil von dem Geld, das Simon für den gemeinsamen Urlaub in St. Anton bezahlen müsste, übernehmen würden (vgl. MI: 50). Allerdings scheinen Simons Freunde mit seinen Geldnöten mit einem Problem konfrontiert zu werden, das sie selber offenbar noch nicht gehabt haben. Dementsprechend ironisch sinniert Simon, nachdem Paula ihm ein teures Taxi für den Heimweg herangewinkt hat: „Wie schön, wenn einen wenigstens die beste Freundin noch versteht“ (MI: 52). Auch der Protagonist in Soloalbum kann sich kein Taxi mehr leisten. Zu seiner Ex-Freundin Katharina ist er noch mit dem Taxi gefahren. Und anscheinend ist er ansonsten öfter mit dem Taxi unterwegs gewesen, denn der Protagonist vermutet, dass Katharina das Taxi vor ihrem Haus gehört hat, „und wer sonst sollte das sein“ (SA: 95). Diese dekadenten Zeiten sind nun allerdings vorbei, denn inzwischen fährt der Protagonist Bus: „Ich fahre Bus, ich hasse Busfahren, aber ich kann mir keine Taxen mehr leisten, und es ist zu kalt zum Fahrradfahren“ (SA: 82). Wie der Romantitel bereits vermuten lässt, ist Simon am Ende des Romans Millionär – natürlich – Millionär und ein Leben als Dandy wäre nun möglich. Im nächsten Roman Überman127 (2012) wird jedoch nicht der dekadente Lebenswandel von Simon beschrieben, sondern gleich zu Beginn des Romans ist Simon wieder pleite. „Spätestens seit es bei meinem Finanzberater keine leckeren Kekse mehr gab zu den Besprechungen, hätte ich ahnen müssen, dass irgendwas nicht stimmt“ (ÜM: 7). Nicht nur in der Reihe von Jaud, sondern generell sind die Protagonisten im Männerroman nicht reich, sondern zusammenfassend als Normalverdiener zu beschreiben, wobei kleinere Ausnahmen, wie der arbeitslose Simon in Millionär, die Regel bestätigen.

127 Jaud, Tommy: Überman. Der Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012.

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So liegt es auch nahe, dass in Männerromanen keine großen Welterkundungen unternommen werden. Zwar verreist Simon zu Beginn von Vollidiot in einen Single-Club, bucht jedoch eine Pauschalreise, die mit einem Preis von 899 Euro für eine Woche Vollpension eher ein relativ günstiges Angebot als eine luxuriöse Reise darstellt (vgl. VI: 45). In Macho Man128 (2009) von Moritz Netenjakob reist der Protagonist in einen Club in die Türkei, wobei die Türkei unter anderem als günstiges Reiseziel bekannt ist (vgl. MM: 13). In einem weiteren Männerroman steht das Reisen zwar mehr im Zentrum als in anderen Männerromanen, doch auch hier sind weder das Herumreisen und Erkunden im Fokus des Romans, noch handelt es sich um einen dekadenten Urlaub. Bereits der Titel des Romans lässt dies vermuten: Billigflieger (2009) von Philip Tamm. Weder Mode noch Dekadenz spielen folglich im Männerroman eine bedeutende Rolle. Der Protagonist des Männerromans ist schon deswegen nicht als Dandy denkbar. Allerdings hält die These, dass Protagonisten im Poproman Dandys darstellen, auch nicht lange stand, wenn man einmal einen anderen Roman als Faserland auf textueller Ebene analysiert. Wahrscheinlich beziehen sich deswegen auch fast alle Beiträge in dem Sammelband Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne129 auf die Romane von Kracht. Weitet man das Blickfeld aus, muss man jedoch feststellen, dass auch Protagonisten im Poproman in der Regel eben keine Dandys sind: Am kürzeren Ende der Sonnenallee ist ein DDRRoman. Dass das Erkunden der Welt hier nicht auf dem Tagesplan der Figuren steht, benötigt wohl keiner weiteren Erklärung. Ein dekadentes Leben in der DDR führen Micha und seine Freunde ebenfalls nicht und sind stattdessen Schüler aus durchschnittlich wohlhabenden Familien. Auch der Protagonist in Crazy ist Schüler, besucht (wie der Protagonist in Faserland) ein teures Internat (vgl. CR: 21), an Dekadenz fehlt es dem Roman aber dennoch und Reisen werden auch hier nicht zentral behandelt, lediglich ein vom Internat nicht erlaubter Ausflug der Freunde ins nahegelegene München (vgl. CR: 94). In Soloalbum fährt der Protagonist zwar für ein paar Tage ans Meer, dass er sich dort Dekadenzen gönnt, wie dies in Faserland beim Urlaub am Meer der Fall ist – man denke an die zwei Portionen Scampi, obwohl dem Protagonisten schon nach der ersten schlecht ist (vgl. FL: 13) –, wird jedoch nicht berichtet.130 Als einzige

128 Netenjakob, Moritz: Macho Man. Roman. 10. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. 129 Tacke, Alexandra u. Björn Weyand (Hrsg): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln: Böhlau 2009 (=Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe 26). 130 In Stuckrad-Barres Roman Livealbum hingegen ist das Reisen zentral, handelt es sich doch um die Schilderung einer Lesereise. (Stuckrad-Barre, Benjamin von: Livealbum. Erzählung. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999 (=KiWi 546).)

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Ausnahme sind hier Platten zu nennen: Sobald der Protagonist über Geld verfügen kann, geht er zum Plattenladen seines Vertrauens und kauft dort alles – auch „ziemliche[n] Sammlerquatsch“ (SA: 51), was man durchaus schon als Dekadenz, vielleicht aber auch nur als Sammlerleidenschaft beschreiben könnte. Er arbeitet in einem Musikverlag, nachdem er seine Anstellung bei einer Zeitschrift gekündigt hat (vgl. SA: 19). Ob er dort gut verdient, erfährt der Leser nicht. Beim Sinnieren über Geldautomaten erwähnt der Protagonist jedoch, dass von seinem Konto auch schon mal keine Verfügungen mehr möglich waren (vgl. SA: 50), und er trägt SecondHand-Anzüge, weil er sich keine neuen Anzüge leisten kann (vgl. SA: 88). Ob dies auf ein geringes Gehalt oder vielleicht doch eher auf einen schlechten Umgang mit Geld zurückzuführen ist, bleibt offen. So begründet der Protagonist zum Beispiel, dass er momentan nur deswegen Second-Hand-Anzüge tragen müsse, weil er sich zuvor so viele neue Anzüge gekauft habe (vgl. SA: 88). Dies wiederum lässt auf Dekadenz schließen, die jedoch aufgrund der Finanzlage ein Ende finden und im Second-Hand-Laden enden musste. Gleichzeitig ist hier damit aber auch ein Modeverständnis zu finden, das schon Jules Barbey d’Aurevilly in seiner grundlegenden Schrift Du Dandysme mit dem Dandytum in Verbindung gebracht hat: Hier beschreibt er, dass Dandys sich absichtlich schäbig anzogen hätten und diesen Kleidungsstil dann ansprechend fanden. „Aber dann fiel ihnen noch diese Frechheit ein, die so dandyhaft war (ich weiß kein anderes Wort dafür), ihre Anzüge großflächig abschaben zu lassen“131. Vor diesem Hintergrund könnte man das Tragen von Second-Hand-Anzügen auch als dandyhafte Mode verstehen. Dagegen spricht jedoch, dass der Protagonist in Soloalbum den Kauf von getragenen Anzügen damit begründet, dass er kein Geld mehr für neue zur Verfügung habe. Mode und Markenkleidung sind in keinem anderen bekannten Poproman so relevant wie in Faserland, kommen aber, wie am obigen Beispiel ersichtlich, auch in anderen Popromanen verstärkt zur Sprache. Dabei kann der Ursprung des Interesses an Mode in der Langeweile begründet gesehen werden. Der Dandy ist die personifizierte Gestalt der Langeweile, der sich trotz und aufgrund dessen in immer neue Unternehmungen stürzt und darin wiederum seine eigene Leere, einen Abgrund und nicht zuletzt wieder die Langeweile verspürt. Mit dem hervorgerufenen Körperkult wird der Versuch gemacht, die Phenomenalität der Langeweile und Öde zu beherrschen […].132

131 Aurevilly zitiert nach Drügh: Dandyismus im Zeitalter des Massenkonsums, S. 86, Fußnote 26. 132 Schmitter, Sebastian: Basis, Wahrnehmung und Konsequenz. Zur literarischen Präsenz des Melancholischen in den Schriften von Hugo von Hofmannsthal und Robert Musil.

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In dem Poproman Herr Lehmann133 (2001) von Sven Regener kritisiert die Köchin Katrin, dass Herr Lehmann Gefallen an seinem Beruf in der Kneipe hat: „Hinterm Tresen stehen und die Leute abfüllen. Das ist doch kein Lebensinhalt!“ (HL: 54). Darauf beginnt Herr Lehmann einen Monolog über die Metapher Lebensinhalt, die er völlig falsch gewählt findet: „Wenn man von Lebensinhalt spricht, dann sieht man das Leben nur als Gefäß, als Mittel zum Zweck, in das es etwas hineinzufüllen gilt“ (HL: 55). Weil Herr Lehman das Leben aber nicht als etwas Leeres ansieht, scheint er auch in sich keine Leere zu verspüren. Er ist zufrieden mit seinem Beruf in der Kneipe und sucht nicht nach Abwechslung oder Ablenkung. Ganz im Gegenteil. „Was also hat die Tatsache, daß man in einer Kneipe arbeitet, mit Lebensinhalt zu tun? Das ist doch der letzte Scheiß, Lebensinhalt. Man lebt und freut sich daran, das reicht doch völlig“ (HL: 56). Langeweile ist nicht sein Problem, auch wenn Katrin das tagtägliche Stehen hinterm Tresen als „viel zu öde“ (HL: 57) einschätzt. Dass Herr Lehmann die Idee des Lebensinhaltes kritisiert, passt daneben zur stoischen Variante des Dandys, der nicht müde wird zu „betonen, daß er nichts wolle und nichts mehr verachte, als ein nützlicher Mensch zu sein“134 Die Protagonisten im Männerroman wollen zwar auch nicht unbedingt nützlich sein,135 sie haben aber sehr wohl ein Lebensziel: Sie wollen die passende Frau fürs Leben finden.136 Neben dem Phänomen der Langeweile bzw. des Ennui und der Verneinung eines Lebenssinns, zeichnet sich ein Dandy dadurch aus, dass er als das „inkarnierte Gegenbild zur Frau, deren sinnliches Naturwesen dem dandyistischen Anspruch der Leidenschaftslosigkeit und Indifferenz“137 entgegensteht, gilt. Der Dandy kann daher auch gut ohne Frau auskommen; er braucht sie nicht, er lehnt sie sogar vielmehr

Würzburg: Königshausen & Neumann 2000 (=Epistemata Reihe Literaturwissenschaft 327), S. 191. 133 Regener, Sven: Herr Lehmann. Roman. München: Goldmann 2003. 134 Mann: Der Dandy, S. 44. 135 Eine Ausnahme stellt hier ein Subgenre des Männerromans dar, in dem ein Geschlechterrollentausch stattfindet und die Männer Väter sind. Durch ihr Vatersein sind die Protagonisten sicherlich als nützliche Menschen zu beschreiben. Mehr zum Thema ist im Kapitel „Geschlechterrollentausch“ in dieser Arbeit zu lesen. 136 Im Kapitel „Singleroman“ dieser Arbeit ist eine ausführlichere Darstellung hierzu zu finden. 137 Hundenborn, Sylvia: Inkarnation kühler Schönheit. Reflexionen über das ambivalente Verhältnis des Dandys zum Eros am Beispiel von Charles Baudelairs Les Fleurs du Mal. Korreferat zum Vortrag von Kathrin Luz. In: Eingrenzen und Überschreiten. Verfahren in der Moderneforschung. Hrsg. von Martin Roussel. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. S. 95–96, S. 95.

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ab138 und ist damit zumindest in diesem Punkt ein Gegenentwurf zum Don Juan. Im Poproman erkennt Mehrfort „zwar eine übersteigerte Homophobie, die allerdings die eindeutig heterosexuelle, über weite Strecken beinahe asexuelle Haltung des Erzählers nicht überlagern kann.“139 Im Poproman sind Frauen zumeist eine Leerstelle, es besteht aber durchweg Sehnsucht nach ihnen: Soloalbum beginnt zum Beispiel mit dem Verlust der Freundin (vgl. SA: 16) und in Herr Lehmann wünscht sich der Protagonist eine gemeinsame Zukunft mit der Köchen Katrin, die er zu Beginn des Romans kennenlernt (vgl. HL: 45). Im Prinzip ist in jeden Poproman eine Liebesgeschichte eingeflochten – nur Faserland kann sich hiervon wiederum freisprechen. Es liegt sogar die Vermutung nahe, dass sich der Protagonist nicht nach einer Frau sehnt, sondern nach einem Mann. „Faserland ist […] konsistent als Problemstudie über ein verpaßtes Coming-out lesbar.“140 Dies entspricht wiederum ganz dem Dandy, der in sich Homoerotik und Homophobie vereint.141 Auch im Männerroman wird Homophobie immer wieder thematisiert, jedoch ohne den ernst gemeinten Beiklang der Homoerotik. In Vollidiot erklärt zum Beispiel Simon: „Nein, ich bin nicht schwul. Und ich werde es auch nicht. Ich hab lediglich nicht gut aufgepasst bei der Vertragsunterzeichnung“ (VI: 71). So hat er sich aus Versehen in einem Sportstudio für Homosexuelle angemeldet. Obwohl ihm bei dem Gedanken, von anderen Männern als Lustobjekt betrachtet zu werden, nicht wohl ist, geht er regelmäßig in den Club. Von einer ausgeprägten Homophobie kann also nicht die Rede sein. Vielmehr werden die Besuche Simons im Homosexuellen-Club dafür genutzt, um den Leser mit ein paar flachen HomosexuellenSnpäße zu unterhalten. So nimmt Simon zum Beispiel nicht mehr sein „BenjaminBlümchen-Handtuch“ (VI: 73) mit zum Sport, weil ihm jemand „Geiler Rüssel!“ (VI: 73) hinterhergerufen hat. Stattdessen nimmt er nun ein Handtuch mit einem Snoopy-Abdruck mit, weil Snoopy „nun wirklich nichts Schwules an sich hat“ (VI: 73). Simon bedenkt jedoch nicht, dass die Hunde-Figur Snoopy auf eine Vorliebe für den „doggy-style“ (VI: 74) beim Sex verweisen kann. An derartigen und anderen Stellen wird deutlich, dass die Homophobie im Männerroman in erster Linie als humoristisches Mittel eingebaut wird.

138 Vgl.: ebd. 139 Mehrfort: Popliteratur, S. 113. 140 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 113. Hervorhebung im Original. 141 Vgl.: Tacke, Alexandra u. Björn Weyand: Einleitung. Dandyismus, Dekadenz und die Poetik der Pop-Moderne. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der PopModerne. Hrsg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln: Böhlau 2009. S. 7–16, S. 10.

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Ganz anders in Faserland: Auf der Insel Mykonos, die ihm sein Freund Alexander ans Herz gelegt hat, angekommen, bemerkt der Protagonist, dass am Sandstrand nur nackte Männer liegen. Ich laufe ein Stückchen, und dann sehe ich rechts neben mir im Wasser einen älteren Mann, ohne Haare auf seinem braunen Schädel. Er liegt schon ganz im Wasser, läßt sich von den kleinen Wellen so umspülen, schaut mir direkt in die Augen, und zwischen seinen Beinen hat er eine halbe Erektion, obwohl das Wasser doch ziemlich kalt ist. Oh Gott, denke ich. Oh Gott, oh Gott. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Daß diese Männer sich so prostituieren müssen, und vor allem, daß ich hierhergeflogen bin und jetzt völlig betrunken an einem Altmänner-Homosexuellen-Strand herumrennen muß […]. (FL: 136)

Anders als Simon in Vollidiot, kann der Protagonist in Faserland die Feststellung, dass er an einem Ort gelandet ist, der vor allem von Homosexuellen aufgesucht wird, nicht mit Humor nehmen. Er ist mit der Situation vollkommen überfordert. Homophobie und Homoerotik werden hier ernsthaft verhandelt und es wird offengehalten, ob der Protagonist heimlich oder unbewusst in seinen Freund Alexander verliebt ist. Im Männerroman hingegen ist ein homosexueller Protagonist undenkbar. Zwar wird hier Homosexualität als eine mögliche Lebensform durchaus anerkannt, der Protagonist ist jedoch durch und durch heterosexuell, da doch in jedem Männerroman eine Liebesgeschichte mit einer Frau zentrales Thema ist. Es ließe sich vermuten, dass Faserland mal wieder eine Ausnahme bildet, denn auch in dem Poproman Soloalbum besucht der Protagonist regelmäßig einen Ort, den Homosexuelle für ihren Ort erklärt haben: „Ich gehe in das Schwulencafé, da schmeckt es am besten“ (SA: 70). Sofort wird dem Leser hier verdeutlicht, dass der Protagonist nicht wegen der Homosexuellen gerne dieses Café aufsucht, sondern wegen des leckeren Speisenangebots. Darauf wird die Idee, der Protagonist könnte homosexuell sein, noch einmal negiert – und zwar sehr offensiv: „Ansonsten haben die Schwulen inzwischen begriffen, daß ich hier nur Nahrung gegen Geld will, sonst gar nix“ (SA: 70). Homoerotik ist folglich auch hier nicht zu spüren. Dennoch ist auffällig, dass sich der Protagonist in ein „Schwulencafé“ begibt, obwohl es sicherlich ausreichend andere Cafés in der näheren Umgebung der Großstadt gibt. Statt einer Nähe zur Homosexualität soll hier wieder im Poproman eine nonkonforme Einstellung gezeigt werden. So betrachtet passt der regelmäßige Café-Besuch des Protagonisten in Soloalbum wiederum gut zum nonkonformen Dandytum. Nicht ein Schwulencafé, sondern eine „Schwulenkneipe“ (HL: 126) sucht Herr Lehmann im gleichnamigen Roman mit seinen Freunden auf. Allerdings wehrt sich Herr Lehmann gegen den Besuch der Kneipe: „Warum sollen wir in Herrgottsnamen in eine Schwulenkneipe gehen, wenn wir nicht schwul sind? Warum läßt man den Schwulen nicht ihre Kneipen und geht schön in eine Heterokneipe […]?“ (HL:

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126). Am Ende gehen die Freunde jedoch in die Kneipe und sind dort nicht erwünscht. Katrin vermutet, dass dies daran liegen könnte, dass sie eine Frau ist, und empört sich über den Ausschluss. Herr Lehmann hat allerdings Verständnis für die Homosexuellen: „Ich meine, das ist doch die Idee einer Schwulenbar, daß die Schwulen unter sich sind, würde ich mal sagen“ (HL: 128). Doch alle Bemühungen sind umsonst: die Freunde wollen in der Bar verweilen. Der befreundete Sylvio, der in der Bar arbeitet, kommt zu der Truppe an den Tisch und erklärt, dass sie nicht länger in der Lokalität verweilen können, da der Chef der Bar etwas dagegen habe. „Er meint, das ist eine Schwulenbar, da braucht er keinen Hetero-Stammtisch“ (HL: 132). Noch immer sträuben sich aber Herr Lehmanns Freunde zu gehen. Als sich jedoch der Chef zu ihnen hin bewegt, plant die Gruppe um Herrn Lehmann zu gehen. Nun möchte er aber nicht mehr gehen und beginnt eine Schlägerei mit dem Bar-Chef (vgl. HL:133-134). Durch die vorherigen Äußerungen von Herrn Lehmann ist ersichtlich, dass diese Schlägerei nicht durch Homosexuellenhass motiviert ist. Auch an Homophobie leidet der Protagonist nicht und der Roman endet sogar damit, dass er gemeinsam mit dem homosexuellen Sylvio die Öffnung der Mauer erlebt (vgl. HL: 276-285). Anders als der Protagonist in Soloalbum beabsichtigt Herr Lehmann, den Schwulen ihre Kneipe als nonkonformes Rückzugsgebiet zu lassen, da seiner Meinung nach anscheinend jede nonkonforme Gruppe ein Recht auf einen Raum zur ungestörten Entfaltung habe. In der Gruppe seiner Freunde hat Herr Lehman damit eine nonkonforme Einstellung. Nur an einer Stelle konnte bei der Untersuchung der Pop- und Männerromane ein konkreter Hinweis auf die Verwischung von Grenzen zwischen den Geschlechtern gefunden werden: In dem Poproman Herr Lehmann folgt Herr Lehmann einer gutaussehenden Frau auf die Damentoilette. Die Benutzung der falschen Toilette rechtfertigt er vor der Frau damit, dass es keine Seife mehr bei den Herren gebe – und keinen Spiegel. Dass ihn das Fehlen eines Spiegels stört, macht die Frau stutzig und sie fragt nach, wofür er als Mann denn bitte schön einen Spiegel benötige: „Zum Schminken?“ (HL: 119). Herr Lehmann bejaht die Frage vehement. Darauf schminkt sich Herr Lehmann in der Damentoilette mit Hilfe der Frau vor dem Spiegel: „Sie gab mir den Lippenstift, und ich habe mir zeigen lassen, wie das geht“ (HL: 119). Nachdem die beiden noch über Frauen-Themen wie Damenbinden und Slipeinlagen gesprochen haben und Herr Lehmann dem Leser mitgeteilt hat, dass er nicht versteht, „warum die Leute immerzu alles sexistisch finden“ (HL: 119), beschließen die beiden gemeinsam Schnaps zu trinken (vgl. HL: 119). Beim Lesen dieser Romanstelle mag die Idee aufkommen, dass Herr Lehmann hier als Transsexueller vorgeführt wird. Wahrscheinlicher ist jedoch die Interpretation, dass sich Herr Lehmann hier einfach nur gegen die strikte Aufteilung der Geschlechter auflehnt: Eigentlich gehen Männer nicht in die Damentoilette, doch Herr Lehmann geht in die Damentoilette; eigentlich schminken sich Männer nicht, doch Herr

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Lehmann schminkt sich. Das Verwischen der Geschlechtergrenzen kann demnach auch als Auflehnung gegen die Ordnung der Gesellschaft gedeutet werden. Auch ein weiterer Aspekt unterstützt an dieser Stelle die Annahme, dass Herr Lehmann sich zumindest hier wie ein Dandy verhält: „ich bin da recht leidenschaftslos und finde das dauernde SEXISMUS-Gefluche eher langweilig“ (HL: 119). Die Langeweile wurde bereits als ein typisches Empfindungsideal des Dandys angeführt und findet sich nun im Zusammenhang mit Sexismus. Auffällig ist, dass Sexismus durchgängig in Großbuchstaben geschrieben wird. Diese Schreibweise kann so gedeutet werden, dass durch die Großschreibung die Lautstärke der Flüche versinnbildlicht werden soll. Sexismus wird in unserer Gesellschaft groß geschrieben und hat eine bedeutende Rolle im Umgang der Geschlechter miteinander. Dabei dient die Großschreibung zugleich auch als Mittel der Provokation: Beim Blick auf die Seite fallen die aneinandergereihten Großbuchstaben sofort auf und locken die Sensationslust oder den Widerwillen des Lesers hervor, erzeugen in ihm auf jeden Fall eine Empfindung, da das Thema in aktuellen Debatten und vor allem im Alltag omnipräsent und niemand davor gefeit zu sein scheint. Unerwartet reagiert Herr Lehmann auf die Sexismus-Debatten, da ihn das omnipräsente Thema in Großbuchstaben langweilt. Auch mit dieser Haltung setzt sich ein Pop-Protagonist also wieder vom Gros der Gesellschaft ab. Spätestens seit Baudelaire, prominenter Dandy und Dandy-Theoretiker, Die künstlichen Paradiese (Les paradis artificiels, 1860)142 herausbrachte, ist im Leben eines Dandys der Drogenrausch denkbar geworden. Auch in dem aktuelleren Buch Dandy in der Unterwelt. Eine unautorisierte Autobiographie (Dandy in the Underworld. Unauthorised Autobiography, 2008)143 von Horsley ist der Drogenkonsum ein nicht wegzudenkender Bestandteil des Dandytums.144 In Popromanen werden auffällig häufig Drogen konsumiert. In Soloalbum zum Beispiel nimmt der Protagonist immer wieder Drogen. Dabei ist für ihn das Bestellen von Kokain ein völlig alltäglicher Vorgang, ganz so wie das Bestellen einer Pizza (vgl. SA: 23). Als der Protagonist mit seinem Freund Alf und dessen Freunden zu einem Rave nach Berlin fährt, obwohl er diese Musikrichtung nicht favorisiert, freut er sich, dass es im Hotelzimmer der Männer Kokain gibt: „[A]uf der Fensterbank liegen 10 Linien Koks für 4 Leute, das ist ja erst mal nicht so schlecht“ (SA: 114). Der folgende Rausch

142 Baudelaire, Charles: Die künstlichen Paradiese. Bremen: Evl 2011 (=Classic pages). 143 Horsley: Dandy in der Unterwelt. 144 Vgl.: Tietenberg, Anne Kristin: Der Dandy als Grenzgänger der Moderne. Selbststilisierung in Literatur und Popkultur. Berlin, Hannover: Lit 2013 (=Literatur – Kultur – Medien 14), S. 93–94. Auch bei Ullmaier ist eine Verknüpfung von „Dandy-, Beatnik- oder Bohème-Dasein“ mit Drogenkonsum zu finden. (Vgl.: Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück, S. 17.)

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wird als „lustig“ (SA: 114) beschrieben und die vier Männer besuchen gemeinsam ein Bordell. Es wird deutlich, dass der Protagonist öfter Drogen konsumiert, denn er sieht die Regel bestätigt, dass man unter dem Einfluss von Kokain seine Geduld verliert. Als die Prostituierte, für die er sich entschieden hat, ihn fragt, ob er irgendwelche Drogen nehme, verneint er (vgl. SA: 115). Da er das Kokain in seinem Körper leugnet, scheint ihm bewusst zu sein, dass Drogenkonsum nicht anerkannt ist. Besonders skurril wird es dann, als er später erklärt, dass er bei seiner Bank das Geld lieber am Automaten draußen hole, da drinnen oft Junkies säßen (vgl. SA: 235). Er unterscheidet folglich zwischen Junkies und sich selbst, und Drogenkonsum ist für ihn nicht gleich Drogenkonsum. So erklärt er auch, dass er am liebsten Tabletten nehme. „Tabletten nehmen ist schöner als alles andere, Spritzen sind eklig, Tropfen stechen unangenehm in der Nase, aber Tabletten sind großartig“ (SA: 49). So konsumiert er zum Beispiel auch dann Aspirin-Tabletten, wenn er gar keine Kopfschmerzen verspürt (vgl. SA: 46). Dem Kiffen ist er ebenfalls nicht abgeneigt (vgl. SA: 27) und er sagt von sich selber, dass er nicht mit Alkohol umgehen könne (vgl. SA: 171). Gleichzeitig findet er es seltsam, wenn jemand nur ein Bier trinkt: „Ich finde, entweder 3 Bier und mehr oder kein Bier, sonst ist Bier sinnlos“ (SA: 145). Hier ist ein Widerspruch zu finden: Einerseits gibt er zu, dass er seinen Alkoholkonsum nicht im Griff hat, andererseits ist es für ihn keine Option, nur ein Bier zu trinken. Diese Ambivalenz scheint jedoch schon in den Drogen begründet zu liegen: Ist so wie mit dem Dispokredit, das Koksen: zunächst ungeahnte Reserven, großkotzige Gedanken an Endlosigkeit, große Euphorie, da Grenzen nicht zählen und es weiter geht als gehofft. Doch dann irgendwann mußt du mit Zinsen zurückzahlen. Und dann ist Schluß mit Spaß. (SA: 202-203)

Obwohl der Protagonist meistens mit Männern Drogen nimmt, konsumieren auch Frauen in dem Roman Drogen. So trifft der Protagonist zum Beispiel eine Frau, die ebenfalls kokst. Über diese Gemeinsamkeit freut er sich: „she’s kaputt, too!“ (SA: 76). Nicht nur das Kaputt-Sein, sondern auch der Wille zur Selbstzerstörung wird in Soloalbum mit Drogen in Verbindung gebracht. So erklärt der Protagonist, dass er Tabletten nehme, um sich selber Schaden zuzufügen (vgl. SA: 49). Neben dem gemeinsamen Rausch ist es auch diese dunkle Seite der Drogen, die die Konsumenten in einer Ingroup vereint. In Herr Lehmann sind es hingegen die Drogen, die Karl aus der Ingroup seiner Freunde herauskatapultieren. Bei einem längeren Gespräch mit seinem Freund und Kneipenbesitzer Erwin erfährt man, dass für Herrn Lehmann Drogen in seiner Welt keinen Platz haben, während Erwin überall Drogenkonsumenten vermutet. Herr Lehmann geht daher davon aus, dass Erwin sich von den Medien zu viel Angst hat

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machen lassen, während dieser umgekehrt jenen für naiv hält (vgl. HL: 87-89). Kurz darauf raucht jemand in Erwins Kneipe einen Joint, weswegen Erwin den Mann rausschmeißt (vgl. HL: 97). Durch den Vorfall wird deutlich, dass Herr Lehmann in seiner Ansicht, dass kaum jemand Drogen konsumiere, sehr wahrscheinlich tatsächlich naiv ist. Auch durch folgende Aussage von seinem Freund Karl wird deutlich, dass Herrn Lehmann Drogen fremd sind: „‚Das ist ja das Schöne an dir, daß du von Drogen überhaupt nichts verstehst […]‘“ (HL: 111-112). Ganz anders als der Protagonist in Soloalbum nimmt Herr Lehmann also keine Drogen, hat mit Drogen nichts zu tun – bis sein Freund Karl Drogen nimmt. Hinweise auf einen möglichen Rauschmittelkonsum von Karl werden immer wieder in den Text eingestreut: So schlägt Karl zum Beispiel seinen Freund und Chef Erwin ohne ersichtlichen Grund (vgl. HL: 217-218). Als Karl sich wieder einmal seltsam verhält, rufen die Freunde Herrn Lehmann zu sich, da auch Karl immer wieder nach ihm verlangt. Herr Lehmann möchte wissen, ob Karl betrunken ist, doch die Freunde vermuten härtere Drogen als Grund für sein Verhalten (vgl. HL: 241). Herr Lehmann bringt seinen Freund schließlich ins Krankenhaus. Dort werden Herrn Lehmann von einer Frau im weißen Kittel zahlreiche Fragen zum Befinden von Karl stellt: „Trinkt er viel Alkohol?“ „Na ja, was heißt viel?“ „Jeden Tag?“ „Denke schon.“ „Nur Bier? Oder Wein? Harte Alkoholika?“ „Ja.“ „Alles?“ „Ja klar.“ „Hm…Drogen? Hat er Drogen genommen?“ „Ich denke schon […].“ „Welche?“ „Ja also, da bin ich eigentlich überfragt.“ „Kokain? Amphetamin? Heroin?“ „Heroin nicht, das glaube ich nicht, da bin ich mir sicher.“ „Kokain? Amphetamin, Speed?“ „Wahrscheinlich.“ „LSD?“ „Gibt’s das noch?“ Die Frau lächelte. „Sie sind da nicht ganz auf dem laufenden, oder?“ „Nein, ist nicht so mein Ding.“ (HL: 263-264)

Auffällig ist, dass Herrn Lehmann der tägliche Konsum von Alkoholika nicht außergewöhnlich oder beunruhigend erscheint. Dies könnte damit zusammenhängen,

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dass er und sein Freund Karl in einer Kneipe arbeiten. Als die Fragen zu Drogen einsetzen, fühlt sich Herr Lehmann überfragt. Trotzdem ist er sich sicher, dass Karl kein Heroin genommen hat. Genau wie der Protagonist in Soloalbum unterscheidet auch er zwischen den Drogenarten und scheint ebenfalls Drogen, die man sich über Spritzen einflößt, mehr abzulehnen als andere Drogen. Dass Herr Lehmann selber kein Drogenkonsument ist, wird auch noch einmal unterstrichen: Er kennt sich nicht mit Drogen aus. Während in dem Poproman Soloalbum der Drogenkonsum so alltäglich wie das Bestellen einer Pizza dargestellt wird, verurteilt der Poproman Herr Lehmann den Drogenkonsum: Karl, der aufgrund einer Depression Drogen konsumiert (vgl. HL: 268), wird als ein Negativbild vor Augen geführt. Während in eigentlich jedem Poproman Drogen thematisiert werden, wenn auch manchmal nur am Rande, ist der Drogenkonsum in Männerromanen eher die Seltenheit. Eine Ausnahme bildet hier zum Beispiel der Roman Vollidiot. Der Protagonist Simon hat mit seinem Freund Phil zwei Flugbegleiterinnen von der Disco zu Simon nach Hause eingeladen. Kaum sind die vier dort angekommen, tastet Phil mit den Händen die Unterseite der „Couch ab und zieht stolz ein kleines Plastiktütchen raus, was offenbar mit einem Klebeband daran befestigt war“ (VI: 34). Simon scheint keine Ahnung davon gehabt zu haben, dass Phil bei ihm Drogen bunkert, stört sich an dem Umstand allerdings nicht. Darauf werden in der Gruppe reihum die Drogen konsumiert, und auch Simon sagt nicht nein, als er an der Reihe ist: „Ich bekomme den Joint gereicht und nehme trotzig einen viel zu tiefen ersten Zug“ (VI: 36). Die trotzige Stimmung ist übrigens sehr wahrscheinlich nicht auf die Drogen bezogen, sondern auf einen vorangehenden Schlagabtausch zwischen Phil und Simon. Dass Simon sofort erkennt, dass er ‚einen viel zu tiefen ersten Zug‘ raucht, lässt unterschiedliche Schlüsse zu. Zum einen könnte man argumentieren, dass somit deutlich wird, dass Simon im Umgang mit Drogen firm ist. Da er sich jedoch nach diesem Zug auf der Toilette übergeben muss (vgl. VI: 36), kann zum anderen auch die These unterstützt werden, dass sich Simon eben gerade wegen der Fehleinschätzung nicht so gut mit Drogen auskennt. Als er nach dem Toiletten-Besuch wieder zu der Gruppe zurückkehrt, unterhält er sich mit einer der beiden Flugbegleiterinnen und bekommt wiederum eine „Tüte“ gereicht. Er nimmt „noch einen Zug. Und noch einen“ (VI: 37). Mutig nähert er sich nun der Flugbegleiterin, die auf seine Versuche jedoch nicht reagiert und stattdessen wiederum am Joint zieht. Dies kommentiert Simon wie folgt: „Auch gut. Soll die sich mal schön einen wegziehen, ich werde ohnehin jeden Anflug von Kontrollverlust ausnutzen“ (VI: 38). Diese Aussage macht Simon an dieser Stelle zu einem Unsympathen, der geradezu beabsichtigt, eine Frau durch Drogen gefügig zu machen, auch wenn er sie nicht zum Drogenkonsum animiert. Im Verlauf des Textes erhält dieser seltsame Gedanken-Kommentar von Simon jedoch einen Sinn und soll lediglich wieder einmal Simons Versagen verdeutlichen. Die Flugbegleiterin, der sich Simon versucht zu nähern, möchte darauf nämlich ihrer Freundin den Joint

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reichen, die jedoch ablehnt. Sie möchte keine Drogen nehmen (vgl. VI: 38). Dieser Umstand erfreut Simon, da er denkt, dass es nun für seinen Freund Phil umso schwieriger werden dürfte, mit ihr sexuell aktiv zu werden, während er selber leichtes Spiel haben dürfte, da seine Gesprächspartnerin die Drogen nicht ablehnt. Doch natürlich kommt alles anders: Während Phil an dem Abend noch Geschlechtsverkehr mit der drogenablehnenden Flugbegleiterin hat, geht Simon – mal wieder – leer aus. Stattdessen lernt Simon die dunkle Seite des Drogenkonsums näher kennen und bekommt Paranoia (vgl.: VI: 39). In Vollidiot wird damit der Konsum von Joints einerseits als eine völlig normale Handlung dargestellt, die zwar nicht zum Alltagsleben, aber zum Partymachen dazuzugehören scheint. Andererseits ist diese Textstelle zugleich eine Art Antiwerbung für Drogen, die immerhin dazu geführt haben, dass Simon auch diese Nacht wieder ohne Sex verbringen musste. Phil hingegen scheint die Drogen übrigens gut verkraftet zu haben, da über ihn und seinen Rausch nicht weiter berichtet wird. In dem Männerroman Resteklicken145 (2012) von Moritz Meschner wird dem Protagonisten, der ‚Meschner‘ genannt wird, von seinem Freund Hendrik offenbart, dass dieser zusammen mit Bernd bald Cannabis im großen Stil anbauen werde. Damit das Geschäft erfolgreich wird, behauptet Hendrik, dass er selber keine Drogen mehr konsumieren wird. Kurz darauf reicht er dem Protagonisten seine Wasserpfeife. Dieser lehnt zwar zunächst mit den Worten „Is nich so meins.“ (RK: 96) ab, zieht dann aber doch an der Pfeife. Ähnlich wie Simon in Vollidiot wird ihm darauf sofort schlecht. Er fasst den Plan, an die frische Luft zu gehen, landet jedoch im Kleiderschrank und bleibt dort für ungefähr zwei Stunden liegen. Während dieser Zeit macht Hendrik Fotos von ihm und stellt diese auf das soziale Netzwerk Facebook (vgl. RK: 96). Auch hier nimmt der Drogenkonsum wie in Vollidiot kein gutes Ende für den Protagonisten. Damit werden also auch im Männerroman in seltenen Fällen Drogen konsumiert, dies wird jedoch als eine einzelne Episode erzählt und zieht sich nicht durch das ganze Buch wie in Popromanen. Außerdem ist der Drogenkonsum in den Männerromanen immer zum Ende hin negativ konnotiert, ohne dass an diesen Stellen eine direkte Belehrung des Lesers stattfindet. Bei den Popromanen konnte lediglich in Herr Lehmann festgestellt werden, dass der Drogenkonsum vom Protagonisten strikt abgelehnt wird. Während Drogenkonsum im Männerroman eine Seltenheit ist, ist sie im Poproman eher die Regel. Es lässt sich bisher festhalten: Wie die Protagonisten der Männerromane scheinen auch die Protagonisten der Popromane alles in allem doch keine Dandys zu sein, obwohl diese These weit verbreitet ist. Das mag daran liegen, dass im Poproman zahlreiche Elemente des Dandytums zu finden sind. Außer vielleicht in dem Roman

145 Meschner, Moritz: Resteklicken. Ein Facebook-Roman. Berlin: Ullstein 2012.

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Faserland von Kracht sind tatsächliche Dandys in Popromanen, das hat diese kleine Ausführung bereits gezeigt, allerdings Mangelware. Es ist jedoch fraglich, wie im Zeitalter der Massenkultur ein Dandy überhaupt noch existieren kann.146 Roland Barthes sieht den Dandy zum Beispiel aufgrund der Massenkultur als aussterbende Größe an,147 während Susan Sontag eine mögliche Nische für den Dandy im Camp sieht.148 „Camp is the modern dandyism. Camp is the answer to the problem: how to be a dandy in the age of mass culture.“149 Auch André Menke sieht daher den Poproman Faserland nicht als Dandy-Literatur an, sondern als eine „artifizielle Stilübung […], die mit Elementen der Camp-Ästhetik operiert“150. Dass sich in Herr Lehmann trotz des vermeintlich langweiligen Berufs des Barkeepers eben doch keine dandyistische Langeweile einstellt, ist auch mit Sontags Camp-Begriff erklärbar, denn der heutige Dandy hat ihrer Meinung nach

146 Als heutige Dandys werden zum Beispiel „die Modemacher Armani und Gautier sowie Dolce und Gabbana“, „die bi- und/oder homosexuellen Sänger Elton John, David Bowie, Boy George und Michael Jackson sowie die bereits verstorbenen Künstler Andy Warhol, Keith Haring“ und „Freddy Mercury“ genannt. (Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 224.) 147 „Das ‚Detail‘ erlaubte prinzipiell, die eigene Kleidung stets ‚anders‘ zu gestalten. Ihr Variationsspektrum ist ja im Grunde recht beschränkt, ohne die Intervention von gewissen abweichenden Kleinigkeiten sind ihre Erneuerungsmöglichkeiten schnell erschöpft. Das aber ist geschehen, seit die männliche Bekleidung durchgehend zum Industrieprodukt geworden ist: der Dandy mußte auf seine unumschränkte einzigartige Aufmachung verzichten […]. Die Konfektion ist also der erste tödliche Hieb, der dem Dandytum versetzt worden ist.“ (Barthes, Roland: Das Dandytum und die Mode. In: Riten der Selbstauflösung. Hrsg. von Verena von der Heyden-Rynsch. München: Matthes & Seitz 1982. S. 304–308, S. 305.) 148 Schickedanz hingegen sieht im Camp nicht mehr als eine „Dandy-Attitüde“. Seiner Meinung nach kann es heute gar keine originären Dandys mehr geben, da die Voraussetzungen hierfür in der heutigen Zeit einfach fehlten, „nämlich eine adelige Herkunft, ein beträchtliches Vermögen sowie viel freie Zeit und Muße.“ (Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 220.) Zumindest bemerkt werden muss an dieser Stelle, dass allerdings auch der Vorzeige-Dandy Brummell nicht aus dem historischen Adel stammt, sondern „Enkel eines einfachen Zucker- und Pastetenbäckers“ (ebd., S. 44.) und damit höchstens dem Geldadel zugehörig war. 149 Sontag, Susan: Notes on „Camp“. In: Against interpretation. And other essays. Hrsg. von Susan Sontag. New York: Literary Classics of the United States 2013. S. 259–274, S. 271. 150 Menke: Die Popliteratur nach ihrem Ende, S. 115.

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etwas Besseres gefunden als die Pose der Langeweile oder Verachtung,151 nämlich „die in intellektuellen Kreisen praktizierte Haltung eines guten Geschmacks im schlechten.“152 Dabei ist auch ein guter Geschmack möglich, der sich an Massenprodukten orientiert, solange er nicht mit der Masse konform ist: „Der Dandy wird bei Sontag keinesfalls Teil der Masse, erkennbar und singulär bleibt er in ihrer Sicht, weil er sich das Massengut auf eine ungewöhnliche und originelle Weise aneignet“153. Dabei ist das Vulgäre nun auch als guter Geschmack denkbar. „The old-style dandy hated vulgarity. The new-style dandy, the lover of Camp, appreciates vulgarity. Where the dandy would be continually offended or bored, the connoisseur of Camp is continually amused, delighted.”154 Dabei könnte Pop sicherlich als eine moderne Form des Vulgären verstanden werden,155 und der Protagonist, der Pop liebt, liebt das Vulgäre. Doch die Protagonisten des Männerromans strahlen keine Freude aus, sondern ziehen ihre Kreise in ihrer Ich-zentrierten Welt voller Zweifel und Selbstironie, während sich die Protagonisten im Poproman ihre dandyhaftmelancholische Langeweile mit Pop vertreiben und sich von der stillosen Gesellschaft mit einem speziellen Verhältnis zu Pop distanzieren. Nach Heinz Drügh „will sich das spielerische Amüsement, die zärtlich gestimmte Freude, das pastellfarben Optimistische des Sontag’schen Camp in den Texten der Popliteratur häufig nicht mehr einstellen.“156 Ganz anders sieht das Baßler, der ebenfalls Überschneidungen von Camp und Poproman ausmacht. Zu den „wesentliche[n] Aspekte[n] des ursprünglichen Camps“, die auch in Popromanen zu finden sind, zählen für ihn „der Primat des Ästhetischen, die Anführungszeichen, die Entthronung des Ernstes, das Umspielen von Gender-Grenzen, der Bezug zur Massenkultur und vor allem die positive Grundhaltung“157. Anders als Drügh, der den Popromanen das „spielerische

151 Vgl.: Sontag: Notes on „Camp“, S. 271. 152 Baßler, Moritz: „Das Zeitalter der neuen Literatur“. Popkultur als literarisches Paradigma. In: Chiffre 2000. Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Corina Caduff u. Ulrike Vedder. München: Fink 2005. S. 185–202, S. 186. 153 Hecken: Pop, S. 105. 154 Sontag: Notes on „Camp“, S. 272. 155 Analog dazu könnten auch die Konzerte und Discotheken, die in Popromanen besucht werden, als moderne und vulgäre Form der Bälle angesehen werden, die vom ursprünglichen Dandy so gerne besucht wurden. (Vgl.: Schickedanz: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten, S. 20–21.) 156 Drügh: Dandyismus im Zeitalter des Massenkonsums, S. 97. 157 Baßler, Moritz: „Der Freund“. Zur Poetik und Semiotik des Dandyismus am Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der PopModerne. Hrsg. von Alexandra Tacke u. Björn Weyand. Köln: Böhlau 2009. S. 199–

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Amüsement“ abspricht, zählt für Baßler gerade „die positive Grundhaltung“, gepaart mit einer „Entthronung des Ernstes“, zu den Parallelen von Camp und Poproman. Zu welchem der beiden Pole man eher tendieren mag, ist wohl eng im Zusammenhang mit den Romanen zu sehen, die dabei betrachtet werden. Während zum Beispiel die Verbrennung der Barbour-Jacke in Faserland ein ernsthafter Akt ist und dieser Umgang mit dem Marken- und Massenprodukt der Barbour-Jacke sicherlich ganz im Sinne von Drügh nicht als „spielerisches Amüsement“ beschrieben werden kann, ist die Schallplatte als Lebensretter von Wuschel in Am kürzeren Ende der Sonnenallee sicherlich sogar sehr eng mit „spielerischem Amüsement“ verknüpft und damit ganz im Sinne Baßlers zu deuten. Männerromane sind in jedem Fall nicht campy, denn während im Modus des Camps bestimmte ästhetische Phänomene in „quotation marks“158 gesehen werden, auf diese Weise eine ästhetische Aufwertung erfahren und zum „badge of identity even, among small urban cliques“159, werden, manifestiert sich im Männerroman eine Öffnung gegenüber der gesamten Massenkultur. „Camp is the attempt to do something extraordinary.“160 Der Männerroman hingegen ist der Versuch, das Normale, Alltägliche und Durchschnittliche aus Männersicht zu zeigen. Und „there is never, never tragedy“161 im Camp. Im Männerroman aber wird die Krise eines jungen Mannes gezeigt, Tragik ist also eine unerlässliche Voraussetzung für den Männerroman. Dass die Protagonisten in den beiden Genres keine Dandys sind, wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass seit jeher eine enge Verbindung zwischen Dandytum und dem Verwischen von weiblichen und männlichen Grenzen bestand.162 Heute würde man Dandys daher wahrscheinlich als queere Figuren beschreiben. In Susan Sontags Camp-Definition ist zu lesen, dass Camp im engen Zusammenhang mit Homosexualität steht.163 Es konnte jedoch festgestellt werden, dass die Männer im Poproman heterosexuell und nicht queer sind, wenn man einmal wieder den

217, S. 206. Zur Rolle von Anführungszeichen in Camp äußert sich Baßler ausführlich in: Baßler, Moritz: „New Standards of Beauty and Style and Taste“. Expanding the Concept of Camp. In: Quote, Double Quote. Aesthetics between High and Popular Culture. Hrsg. von Paul Ferstl u. Keyvan Sarkhosh. Amsterdam: Editions Rodopi 2014. S. 23–42. 158 Sontag: Notes on „Camp“, S. 263. 159 Ebd., S. 259. 160 Ebd., S. 267. 161 Ebd., S. 270. 162 Vgl.: Jenß, Heike: Sixties Dress Only. Mode und Konsum in der Retro-Szene der Mods. Frankfurt am Main: Campus 2007, S. 68. 163 Vgl.: Sontag: Notes on „Camp“, S. 272.

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Sonderfall Faserland ausklammert, da hier der Protagonist in der Forschungsliteratur nicht selten als homosexuell gedeutet wird. Auch Camp als moderne Form des Dandytums passt also nicht so recht auf die Protagonisten der Popromane – auf die der Männerromane erst recht nicht. Dennoch hat die Untersuchung der Protagonisten als Dandys gezeigt, dass im Poproman zahlreiche Elemente des Dandytums zu finden sind, die im Männerroman lediglich marginal auftreten. Die Protagonisten der Popromane sind also nur oberflächlich betrachtet Dandys. Als Resultat ist folgende Unterscheidung zwischen den beiden Genres möglich: Es konnte festgestellt werden, dass im Poproman Nonkonformität vorgelebt wird und im Männerroman Konformität. Der Protagonist im Poproman weicht von dem Ästhetizismus der Norm ab, indem er sich ironisch von der Gesellschaft und ihrer Kultur distanziert, um so seine Individualität zu proklamieren. Damit „bringt er sich in die eigentümliche Doppelstellung, die Gesellschaft zu verachten und sich doch von ihr nicht lösen zu können.“164 Dieses Dilemma ist auch Teil des Dandys. Wie viel Individualität bei diesem Verhalten zur Welt von den Pop-Protagonisten tatsächlich proklamiert werden kann, ist natürlich fraglich, denn „[d]ann sind sie – im Kreise der vielen, die sich der Einzigartigkeit verpflichtet fühlen – für einen Außenbeobachter die gruppenkonformen Mitglieder einer Gruppe von Nonkonformisten.“165 Nichtsdestotrotz ist die Nonkonformität sicherlich als Versuch der Individualisierung zu deuten. Der Protagonist im Männerroman hingegen entspricht der Norm, er beugt sich ihr, auch in seinem ästhetischen Empfinden. Er distanziert sich nicht durch Ironie von der Gesellschaft, sondern durch Selbstironie von sich selbst. So kann er sein eigenes, konformes Verhalten, das er mit so vielen Mitgliedern der Gesellschaft gemein hat, als lächerlich preisgeben, ohne andere konforme Mitglieder der Gesellschaft zu diffamieren. Der Besuch von Konzerten von Bands aus der Jugendzeit wird zwar allgemein nicht als das höchste kulturelle Ereignis bewertet, aber trotzdem macht man es, wie der Besuch des Fanta Vier-Konzerts in Vollidiot gezeigt hat. Pauschalreisen werden natürlich allgemein weniger hoch angesehen als ein Individualurlaub, aber trotzdem hat fast jeder schon mal eine Pauschalreise gebucht, wie Simon in Vollidiot, Daniel in Macho Man oder Jo in Billigflieger. Konform zu sein ist natürlich nicht so cool, aber in der Regel ist man es trotzdem. In beiden Genres wird ergo Konformität der Lächerlichkeit preisgegeben. Der große Unterschied ist jedoch, dass sich der Protagonist des Popromans von der kon-

164 Mann: Der Dandy, S. 55. 165 Soeffner, Hans-Georg: Stil und Stilisierung. Punk oder die Überhöhung des Alltags. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986. S. 317–341, S. 320.

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formen Gesellschaft distanziert und sie so herablassend abwertet, während der Protagonist im Männerroman sich selber als uncooles Element der lächerlichen Gesellschaft outet. Auf diese Weise ist die Identifikation mit dem Protagonisten im Männerroman für den Leser leichter und der Protagonist wirkt auf den Leser sympathischer. Leser und Protagonist gründen im Männerroman eine Ingroup, während der Protagonist im Poproman eine coole Outgroup öffnet, der man in der Regel nicht angehört und auch nicht angehören möchte, da die Figuren der Popliteratur „keinen (jugendlichen) Charme“ verbreiten, „sondern das Schnöseltum eines SzeneInsiders, der sich gleichzeitig vom Rest seiner Umgebung distanziert und bewusst abzuheben gedenkt.“166 Das mag aus soziologischer Sicht interessant sein,167 sympathische Figuren werden die Protagonisten in Popromanen auf diese Weise aber nicht. Im Poproman wird typischerweise Nonkonformität vorgelebt, im Männerroman hingegen Konformität. Der Protagonist im Männerroman entspricht der Norm: Sein ästhetisches Empfinden ist vom Mainstream geformt, er ist weder außergewöhnlich modisch noch lebt er dekadent und nimmt in der Regel keine Drogen, ist weder homosexuell noch homophob. Er distanziert sich nicht wie der Protagonist im Poproman durch Ironie von der Gesellschaft, sondern durch Selbstironie von sich selbst. Auf diese Weise gibt er sein eigenes, konformes Verhalten als lächerlich preis, ohne andere konforme Mitglieder der Gesellschaft zu demütigen.

166 Kauer: Der Zauber männlicher Verletzlichkeit, S. 142. 167 Auch Oswald gesteht der Popliteratur zu, dass sie aus soziologischer Sicht interessant sei. Er begründet dies mit dem andauernden Bewerten von jedem und allem. Gleichzeitig spricht er dem ständigen Kommentieren aber auch die literarische Bedeutsamkeit ab. (Vgl.: Oswald: Wann ist Literatur Pop?, S. 40.) Da an dieser Stelle jedoch davon ausgegangen wird, dass von Massen gelesene Literatur nicht ohne literarische Bedeutung sein kann, muss dem widersprochen werden. Man möchte vielleicht nicht mit einem PopProtagonisten befreundet sein, über ihn lesen möchte man aber anscheinend schon.

Frauenroman

F RAUEN -, M ÄNNER -

UND

G ENDERFORSCHUNG

Bevor die vergleichende Analyse des Frauen- und Männerromans beispielhaft an konkreten literarischen Erscheinungen vorgenommen wird, soll zunächst das wissenschaftliche Feld beschrieben werden, in dem sich die literarischen Arbeiten zu den Geschlechtern verorten lassen. Aufbauend auf diesem Wissen soll die Entwicklung der Genderforschung als die wissenschaftliche Äquivalenzgeschichte der Entwicklung des Frauen- und Männerromans gelesen werden. Als ein erster Beleg für die Rentabilität dieser Lesart sei angeführt, dass nicht nur Männerromane zeitlich auf Frauenromane folgen, sondern dass sich die Männerforschung auch erst nach der Frauenforschung etablierte. Um derartigen Entsprechungen den Verdacht des Zufalls zu nehmen, soll zunächst näher die Entwicklung von der Frauen- über die Männer- hin zur Genderforschung beschrieben werden, bevor ab dem nächsten Kapitel auf kongruente Entwicklungen des Frauen- und Männerromans eingegangen wird. „Haben Sie eine Ahnung, wie viele Bücher im Laufe eines Jahres über Frauen geschrieben werden?“1, fragte Virginia Woolf in dem Essay „Ein Zimmer für sich allein“, der 1929 zum ersten Mal in London verlegt wurde. Und Woolf weist sogleich auf eine Kuriosität hin: „Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele darunter von Männern geschrieben wurden?“2 Hier liegt bereits ein Streitpunkt der Frauenforschung vor: Da der Begriff ‚Frauenforschung‘ reflexiv ist, stellt sich die Frage, ob das Subjekt oder das Objekt der Untersuchung, womöglich sogar beide zusammen, von Frauen gestellt werden müssen. Je nach Standpunkt kann Frauenfor-

1 2

Woolf, Virginia: Ein Zimmer für sich allein. 2. Aufl. Berlin: Gerhardt 1978, S. 25. Ebd. Die Zentrale Forderung, die Woolf in „Ein Zimmer für sich allein“ stellt, lautet: „eine Frau muß Geld haben und ein Zimmer für sich allein, wenn sie Fiction schreiben will“. (Ebd., S. 8.)

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schung, die zwar Frauen zum Objekt hat, aber von einem Mann betrieben wurde, als Frauenforschung gelten oder nicht. Ebenso reflexiv ist auch der Begriff ‚Männerforschung‘, für den Gleiches bezogen auf Männer gilt. Mit Beginn der Genderforschung erübrigten sich derartige Streitpunkte, da Geschlechter hier gemeinsam betrachtet werden und das Geschlecht des Forschers kein Beanstandungskriterium mehr darstellen kann.3 Es ist auch darauf hinzuweisen, dass Frauenforschung nicht ohne Männer und Männerforschung nicht ohne Frauen auszukommen scheint: Frauenforschung ist implizit oder explizit immer auch Männerforschung und umgekehrt, denn das eine Geschlecht scheint sich nur in der Differenz zum anderen abgrenzen zu können.4 In der Frauenforschung unterscheidet man verschiedene Phasen. In einer frühen Phase des Feminismus, in der vor allem politische Ziele verfolgt wurden, zählten Virginia Woolf (A Room of One’s Own5; Three Guineas6) und Simone de Beauvoir (Le deuxième sexe7) zu den Hauptvertreterinnen. In den 1960er Jahren entwickelten sich dann die Women’s Studies in den USA. Die deutsche Frauenforschung, und damit die feministische Literaturwissenschaft in Deutschland, hat erst etwas später begonnen, nämlich in den 1970er Jahren. Seit Ende der 1980er Jahre wird dekonstruktiver Feminismus betrieben.8 Der Schritt vom frühen Feminismus zum dekonstruktiven Feminismus kann mit Bezug auf die Philosophin und Politologin Seyla Benhabib als ein Paradigmenwechsel vom ‚Standpunktfeminismus‘ zum ‚postmodernen Feminismus‘ bezeichnet werden.9 Auch vor Woolf und de Beauvoir gab es bereits Frauenbewegungen, zum

3

Vgl.: Degele, Nina: Gender/queer studies. Eine Einführung. Paderborn: Fink 2008, S. 28– 29.

4

Vgl.: Walther, Willi: Gender, Geschlecht und Männerforschung. In: Gender-Studien. Eine Einführung. Hrsg. von Christina von Braun u. Inge Stephan. Stuttgart: Metzler 2006. S. 91–110, S. 101.

5

Woolf, Virginia: A Room of One’s Own. London: Harper Collins 1994 (=Modern Classics).

6

Woolf, Virginia: Three Guineas. Oxford: Blackwell 2001 (=The Shakespeare Head Press edition of Virginia Woolf).

7 8

Beauvoir, Simone de: Le deuxième sexe. Paris: Gallimard 1949. Vgl.: Horlacher, Stefan: „Wann ist die Frau eine Frau?“– „Wann ist der Mann ein Mann?“. Konstruktionen von Geschlechtlichkeit aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. In: „Wann ist die Frau eine Frau?“ – „Wann ist der Mann ein Mann?“. Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Hrsg. von Stefan Horlacher. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. S. 7–45, S. 24.

9

Vgl.: Benhabib, Seyla: Von der ‚Politik der Differenz‘ zum ‚sozialen Feminismus‘ in der US-Frauenbewegung. Ein Plädoyer für die 90er Jahre. In: Instanzen, Perspektiven, Ima-

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Beispiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals wurde rechtliche Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz gefordert. Für die Theoriegenese war jedoch die neue Frauenbewegung der späten sechziger Jahre entscheidend, in der nun nach der rechtlichen (Standpunktfeminismus) auch die soziale Gleichheit der Geschlechter (postmoderner Feminismus) gefordert wurde.10 Für diese Frauenbewegung gelten Woolf ebenso wie de Beauvoir als Wegbereiterinnen. Eine der bekanntesten Vertreterinnen der neueren Variante ist Judith Butler. Vor allem ihr Buch Gender Trouble11 gilt als Vorzeigeschrift des postmodernen Feminismus und brachte nach der Psychoanalyse und der Dekonstruktion auch die Diskursanalyse in die Gender Studies ein.12 Unter anderem bei Butler liegt der Fokus auf der Modellierbarkeit des (sozialen) Geschlechts. Sie ist damit eine Vertreterin der Egalitätshypothese, nach der die Geschlechter eigentlich homogen sind und erst durch kulturelle Einflüsse heterogen gemacht werden. Ganz im Sinne der Egalitätshypothese schreibt auch de Beauvoir in Das andere Geschlecht ihre bekannte These: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Die Gegenposition zur Egalitätshypothese ist die Differenzhypothese, bei der von einer biologischen Differenz zwischen den Geschlechtern ausgegangen wird.13 Zu den bekannten Vertreterinnen dieser Position zählen unter anderem Julia Kristeva und Luce Irigaray.14 Letztere plädiert zum Beispiel dafür die

ginationen. Interventionen. Hrsg. von Seyla Benhabib, Jörg Huber u. Alois Martin Müller. Basel: Stroemfeld/Roter Stern 1995. S. 225–248, S. 230. 10 Vgl.: Hoff, Dagmar von: Zum Verhältnis von Gender und Geisteswissenschaften. Eine Bestandsaufnahme. In: Frauen, Literatur, Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Hiltrud Gnüg u. Renate Möhrmann. Stuttgart: Metzler 1999. S. 603–614, S. 605. 11 Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. 10. Aufl. New York: Routledge 1999. 12 Der Titel Gender Trouble bezieht sich darauf, dass Schwierigkeiten, also ‚Trouble’ entsteht, wenn Frauen in männliche Autoritätsbereiche eindringen wollen. (Vgl.: Frey Steffen, Therese: Gender. Leipzig: Reclam 2006, S. 76.) 13 Vgl.: Deuber-Mankowsky, Astrid: Natur/Kultur. In: Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien. Hrsg. von Christina von Braun u. Inge Stephan. Köln: Böhlau 2009. S. 223–242, S. 237. 14 Vgl.: Malatrait, Solveig Kristina: Historische Genderforschung. Überschreitungen der Rollengrenzen und Grenzen der Überschreitung – Sex und Gender in der Literatur des Rinascimento. In: Geschlechterdifferenz – und kein Ende? Hrsg. von Hella Ehlers, Heike Kahlert u. Gabriele Linke. Münster: Lit 2009. S. 97–116, S. 98.

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sexuelle Differenz, „die der elementarsten menschlichen Realität entspricht“15, anzuerkennen. Derartige Aussagen können als ein Rückschritt im Feminismus gedeutet werden. Susan Faludi schrieb 1991 den Bestseller Backlash: The Undeclared War Against American Woman, indem sie Frauen vor solchen und ähnlichen Rückschlägen warnt. In dem Buch belegt sie ihre Befunde vor allem durch Erscheinungen in der Populärkultur. In dem Kapitel Fatal and Fetal Visions: The Backlash in the Movies16 beschreibt Faludi zum Beispiel, dass in Hollywoodfilmen der Zeit auffällig oft das traditionelle Rollenverhalten der Frau propagiert werde und gehäuft verheiratete Frauen als Identifikationsfiguren präsentiert würden. Besonders durch die Darstellung von Singles in der Populärkultur stellt Faludi einen Backlash fest: „In prime time television shows, from thirtysomething to Coronation Street, single, professional or feminist women are humiliated, turned into harpies, or hit by nervous breakdowns.“17 Bezüglich des feministischen Backlashs sei auch an die Debatte erinnert, die Alice Schwarzer und Verona Feldbusch (jetzt Pooth) im Jahr 2001 auslösten: Zu Besuch in der Talksendung von Johannes B. Kerner stritten die beiden Frauen zwar eher oberflächlich, dafür aber sehr medienwirksam, um die heutige Rolle der Frau. Dabei resümierte Feldbusch die divergierenden Meinungen in Richtung der ‚Vorzeige-Emanze‘ Schwarzer wie folgt: „Sie sind eine Vorzeige-Emanze und ich nehme gern die Barbie-Karte.“18 Während Schwarzer in der Talkshow ergo die feministische Seite repräsentiert, kann Feldbusch als eine Repräsentantin des feministischen Backlashs angesehen werden. Eine weniger schwarzmalerische Analyse von Feldbuschs Verhalten könnte mit den gleichen Argumenten zu der These gelangen, dass Schwarzer als Feministin Feldbusch in der Talksendung zwar einen feministischen Backlash attestiert, sich Feldbusch selbst aber wahrscheinlich eher als eine Postfeministin sieht. Während der feministische Backlash ein Terminus ist, der vor allem von älteren Frauen zur Bekundung von Kritik bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen verwendet wird, bewerten vermehrt jüngere Frauen äquivalente Erscheinungen als Phänomene des Postfeminismus, der von ihnen als eine positive Weiterentwicklung des Feminismus angesehen wird.

15 Irigaray, Luce: Die Zeit der Differenz. Für eine friedliche Revolution. Frankfurt am Main: Campus 1991, S. 9. 16 Faludi, Susan: Backlash. The undeclared war against American women. New York: Crown 1991, S. 112–139. 17 Ebd., S. 3. 18 Verona Pooth zitiert nach Mohr, Reinhard: Punktsieg für Pumps. In: Der Spiegel (2001) H. 27. S. 110

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Die Popularisierung feministischer Inhalte habe, so Vertreterinnen des Postfeminismus, zu einem neuen spielerisch-selbstbewussten Umgang mit Themen wie Macht und Sexualität geführt, der jenseits eines konventionellen weiblichen Opferdiskurses angesiedelt ist […].19

Im Gegensatz zum feministischen Backlash ist der Diskurs zum Postfeminismus zumeist nicht akademisch verortet, wird jedoch in der Populärkultur rege vorangetrieben.20 Zu diesem Nexus ist daher nur folgerichtig aus wissenschaftlicher Sicht zu lesen: „Der Postfeminismus als eine Ära, in der Feminismus als überflüssig deklarierter werden könnte, da Frauen ohnehin gleichberechtigt sind, existiert nur als Medienkonstrukt.“21 Bei dem Versuch, die Unterschiede zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit wissenschaftlich zu beschreiben, fand in der Forschung eine „Akzentverlagerung von women auf gender“22 statt, die auch als ein Paradigmenwechsel begriffen wird23. Wenn Gender untersucht wird, wird in der Regel nach der Signifikanz von Gender für verschiedene Bereiche, vor allem für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft, gefragt. Dabei wird Gender als Begriff nicht zwingend a priori definiert, sondern es wird analysiert, wie sich ein solcher Begriff in den verschiedenen Zusammenhängen jeweils herstellt bzw. wie er hergestellt wird, welche Bedeutung ihm beigemessen wird und welche Auswirkungen

19 Paul, Heike: Feminist Chicks? Chick lit als (post)feministische Populärliteratur. In: Screening Gender. Geschlechterszenarien in der gegenwärtigen US-amerikanischen Populärkultur. Hrsg. von Heike Paul u. Alexandra Ganser. Berlin: Lit 2007. S. 59–74, S. 61. 20 Vgl.: ebd. 21 Haas, Birgit: Der postfeministische Diskurs. Positionen und Aspekte. In: Der postfeministische Diskurs. Hrsg. von Birgit Haas. Würzburg: Königshausen & Neumann 2006. S. 7–62, S. 13. Durch diese Aussage wird auch die Doppelbödigkeit des Begriffs Postfeminismus deutlich, die sich schon im Präfix manifestiert: Postfeminismus kann verstanden werden als eine Weiterentwicklung nach (post) dem Feminismus, aber auch, wie hier, als eine Bewegung gegen (post) den Feminismus. (Vgl.: Strube, Miriam: Subjekte des Begehrens. Zur sexuellen Selbstbestimmung der Frau in Literatur, Musik und visueller Kultur. Bielefeld: Transcript 2009 (=Cultural Studies 34), S. 171.) 22 Osinski, Jutta: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: E. Schmidt 1998, S. 105. Hervorhebungen im Original. 23 Vgl.: Vinken, Barbara: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1992, S. 66.

106 | DER M ÄNNERROMAN er auf die Verteilung der politischen Macht, die sozialen Strukturen und die Produktion von Wissen, Kultur und Kunst hat.24

Der Psychologe Robert J. Stoller war wahrscheinlich der Erste, der den Begriff ‚Gender‘ im Jahr 1968 zur Unterscheidung des biologischen und des kulturellen Geschlechts nutzte und nicht, wie bis dato geläufig, in einem grammatischen Zusammenhang.25 Seit den 1970er Jahren wurde Gender als Begriff auch von der Frauenforschung in den USA verwandt.26 Mit der Einführung von Gender als Analysekategorie wurde es möglich, die bekannte These von de Beauvoir, „man wird nicht als Frau geboren, man wird es“27, die für zahlreiche Diskussionen sorgte, wissenschaftlich fundiert zu untersuchen.28 Nachdem de Beauvoir den Konstruktionscharakter des sozialen Geschlechts offen legte, ist es Butler gewesen, die den Konstruktionscharakter des biologischen Geschlechts als These in die Gender-Debatte einbrachte. Bereits 1986 bezweifelte Joan Scott in ihrem Aufsatz „Gender. A Useful Category of Historical Analysis“29, dass es richtig sei, die biologische Differenz als Ausgangspunkt der Geschlechterforschung zu machen. Auch Butler äußert in Gender Trouble30 diesbezüglich ihre Bedenken. Butler versuchte in ihrem Buch herauszustellen, welche Kategorien des Geschlechts als selbstverständlich hingenommen werden. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass auch das gemeinhin als selbstverständlich geltende biologische Geschlecht konstruiert sei. Zwar gebe es Körperlichkeiten, die niemand leugnen kann, doch diese würden erst durch die Wiederholung von kulturellem Verhalten konstruiert und erfahrbar. Der Mensch samt seinem Körper

24 Braun, Christina von u. Inge Stephan: Einleitung. In: Gender-Studien. Eine Einführung. Hrsg. von Christina von Braun u. Inge Stephan. Stuttgart: Metzler 2006. S. 3–9, S. 3. 25 Vgl.: Stoller, Robert J.: Sex and Gender. On the Development of Masculinity and Femininity. New York: Science House 1968 (=International psycho-analytical library 81). 26 Vgl.: Frey Steffen: Gender, S. 13. 27 Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. 4. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004 (=rororo 22785), S. 333. 28 Ihre berühmte These veröffentlichte de Beauvoir in dem im Jahr 1949 in Frankreich zum ersten Mal erschienenen Buch Le deuxième sexe (Das andere Geschlecht). Auf de Beauvoirs epochale These fußten letztendlich die Entwicklungen der Gender Studies in den 1960er und 1970er Jahren sowie die Entwicklung des ‚Doing Gender’ in den 1980er Jahren. (Vgl.: Frey Steffen: Gender, S. 27.) 29 Scott, Joan W.: Gender. A Useful Category of Historical Analysis. In: American Historical Review 5 (1986) H. 91. S. 1053–1075 30 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (=Edition Suhrkamp: Gender studies 722).

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wird folglich in einem dichten Gewebe von Handlungen, Texten, Vorgaben usw. als Frau oder Mann gekennzeichnet. Ohne die ständige Zuschreibung würde ein Mensch nicht wahrnehmen, ob er Mann oder Frau sei. Die „Produktion des Geschlechts als vordiskursive Gegebenheit muß […] als Effekt jenes kulturellen Konstruktionsapparats verstanden werden, den der Begriff ‚Geschlechtsidentität‘ (gender) bezeichnet“31. In diesem Sinne wird nach Butler auch der Körper konstruiert. Erst mit Butler wurde somit Foucaults Interpretation des Körpers als Fassade unterschiedlicher Diskurse in die Gender-Debatte integriert. Auch die Deskription eines performativen Gender-Begriffs, der als Doing und Undoing Gender unterschieden werden kann, ist Butler zuzuschreiben.32 Für sie ist „Geschlechtsidentität ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht.“33 In den USA haben sich Women’s Studies relativ schnell in der Forschung und an Universitäten etabliert. In Deutschland hinkt man mit der Etablierung der Frauenforschung „den amerikanischen Debatten um bis zu 20 Jahre“34 hinterher. Geschlechterforschung wird in Deutschland häufig als Frauenforschung und nicht als beide Geschlechter umschließende Forschung praktiziert. Für Männerforschung muss anscheinend in Deutschland erst noch ein ausgeprägtes Sensorium entwickelt werden.35 Die Männerforschung hat sich ab Mitte der 1970er Jahre in den USA im Disput mit der Frauenforschung, der Geschlechterforschung und den Gay Studies entwickelt.36 Der 1974 erschienene Band Men and Masculinity37 von Joseph Pleck und Jack Sawyer zählt als erster wissenschaftlicher Text der Männerforschung. Mitte der 1970er Jahre wurden das erste Mal Seminare zum Thema Männer und Männlichkeit an Universitäten in den USA gehalten. 1976 wurde erstmalig die wissen-

31 Ebd., S. 24. Hervorhebungen im Original. 32 Mit ihrem Performanz-Konzept denkt Butler die Sprechakttheorie von John L. Austin, der einige Sprechweisen als Handlungen bewertet, weiter. (Vgl.: Austin, John L.: How to do things with words. 2. Aufl. Cambridge Mass: Harvard University 1975 (=The William James lectures delivered at Harvard University 1955).) 33 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S. 49. 34 Horlacher: „Wann ist die Frau eine Frau?“– „Wann ist der Mann ein Mann?“, S. 24. 35 Vgl.: Horlacher, Stefan: Literatur und die Überwindung der Dichotomien. Zum Verhältnis von Lebenswelt, Men’s Studies, Gender Studies und savoir littéraire. In: Literarische Gendertheorie. Eros und Gesellschaft bei Proust und Colette. Hrsg. von Ursula LinkHeer, Ursula Hennigfeld u. Fernand Hörner. Bielefeld: Transcript 2006. S. 33–56, S. 33– 34. 36 Vgl.: Walther: Gender, Geschlecht und Männerforschung, S. 91. 37 Pleck, Joseph H. u. Jack Sawyer: Men and Masculinity. Englewood Cliffs, N. J.: Prentice-Hall 1974.

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schaftliche Forschung zu Männern und ihrer Männlichkeit in ein Curriculum aufgenommen, nämlich an der Univeristät in Berkley. Nur etwas später wurde zu Männerstudien auch an Großbritanniens Universitäten geforscht und gelehrt.38 Im deutschsprachigen Raum wurde die wissenschaftliche Erforschung von Männern und Männlichkeit erst später aufgegriffen. Als bedeutender Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum ist Klaus Theweleit zu nennen, der mit Männerphantasien39 einen Klassiker zum Verhältnis von Sexualität, Geschlecht und Faschismus schrieb. Aber auch die soziologischen Arbeiten von Michael Meuser und die sozialpädagogischen von Constance Engelfrieds und Holger Brandes sind hervorzuheben.40 Die Männerstudien durchliefen zwei Phasen: In der ersten Phase, die zeitlich ungefähr von der Mitte der 1970er Jahre bis zu Beginn der 1990er Jahre reichte, wurde vor allem nach männlichen Vorbildern gesucht. Die Männerstudien standen damals den Frauenstudien und dem Feminismus sehr nah. In der zweiten Phase wurden Männerstudien differenzierter betrieben: Kriterien wie Rasse oder Sexualität wurden nun in die Untersuchungen integriert. Aus der einen stabilen Männlichkeit wurde in den Wissenschaften der Plural ‚Männlichkeiten‘.41 Innerhalb der Männerforschung wird unter anderem versucht, den Paradigmenwechsel, der vom Geschlechterrollenmodell zum sozial konstruierten Geschlecht einherging, zu erklären. Die Theorie des Geschlechterrollenmodells hatte lange Tradition: Seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren hatte sie Konjunktur und es wurden die Veränderungen des Rollenverständnisses des Mannes als Ernährer untersucht und soziologisch zu erklären versucht.42 In diesem Zusammenhang ist als einer der bedeutendsten Soziologen Talcott Parsons zu nennen, der nicht direkt Gender untersuchte, sondern vielmehr die Sozialisation in der Familie. Er setzte einen besonderen Fokus auf den Vater und seine primär instrumentaladaptive Funktion und schrieb der Mutter eine eher expressiv-integrative Funktion

38 Vgl.: Martschukat, Jürgen u. Olaf Stieglitz: Geschichte der Männlichkeiten. Frankfurt am Main: Campus 2008 (=Historische Einführungen 5), S. 35. 39 Theweleit, Klaus: Männerphantasien. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1990 (=Rororo Sachbuch 8331). 40 In Deutschland sind Männerstudien besonders selbstreflexiv und politisch. Sie werden in verschiedenen Fachbereichen betrieben. Zu den wichtigsten Untersuchungsbereichen zählen „Homosexualität, Militär, Sozialisation, Gewalt, Arbeit, Gesundheit, Vaterschaft.“ (Martschukat et al.: Geschichte der Männlichkeiten, S. 38.) 41 Vgl.: ebd., S. 37. 42 Vgl.: ebd., S. 39.

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zu.43 Auf Parsons Theorien folgte Kritik an einem derart funktionalistischen Bild und ungefähr seit den 1970er Jahren setzten sich stattdessen eher konstruktivistische Theorien durch.44 Der australische Soziologe und Erziehungswissenschaftler Robert W. Connell45 führte in die Theoriedebatte das Konzept der ‚Hegemonialen Männlichkeit‘ ein. Unter Hegemonialer Männlichkeit versteht Connell ein kulturelles Ideal von Männlichkeit, das nicht zwingend von vielen Männern gelebt werden muss. Die Hegemoniale Männlichkeit dient vielmehr als Orientierungshilfe.46 Hegemoniale Männlichkeit wird definiert als „the configuration of gender practice which embodies the currently accepted answer to the problem of the legitimacy of patriarchy, which guarantees (or is taken to guarantee) the dominant position of man and the subordination of woman.“47 Die Theorie von Connell ist auch gegenwärtig immer noch eine einflussreiche, wenn nicht sogar die einflussreichste Theorie in den Männerstudien. Durch den Begriff des Habitus konnten theoretische Unschärfen der Theorie der hegemonialen Männlichkeit eliminiert werden.48 Für den Kultursoziologen Pierre Bourdieu ist ein Habitus ein Produktionsprinzip von Verfahrensweisen, „die es ermöglichen, unvorhergesehenen und fortwährend neuartigen Situationen entgegenzutreten“49. In ihm manifestieren und durch ihn reproduzieren sich die Bedingungen, die im sozialen Feld einer Person vorherrschen. Entsprechend der Prinzipien des Habitus wird auch Weiblichkeit und Männlichkeit wahrgenommen und konstruiert.50 Kenneth Clatterbaugh differenziert mehrere Varianten der Männerforschung.51 Bei der in der heutigen Wissenschaft bedeutendsten Variante der Männerforschung

43 Vgl.: Parsons, Talcott: Sozialstruktur und Persönlichkeit. Frankfurt: Europäische Verlagsanstalt 1968, S. 64–65. 44 Vgl.: Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 59–60. 45 Der Mann Robert W. Connell entschied sich dazu als Frau weiterzuleben und nennt sich seitdem Raewyn Connell. Beide Namen bezeichnen dieselbe Person. 46 Vgl.: Connell, Raewyn: Masculinities. Cambridge: Polity Press 1995, S. 79. 47 Ebd., S. 77. 48 Vgl.: Meuser: Geschlecht und Männlichkeit, S. 121. 49 Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der Kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 165. 50 Vgl.: Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005, S. 172. 51 Als eine Variante nennt er die ‚Profeminist Perspective’, bei der die Frau als Hauptopfer des patriarchalen Systems gesehen wird, unter dem allerdings auch Männer zu leiden hät-

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handelt es sich um die ‚New Men’s Studies‘, die auch in dieser Arbeit vertreten werden sollen. Diese Forschung baut typischerweise auf den Erkenntnissen des Feminismus auf und nimmt sich die Diskursanalyse sowie die postfreudianische Psychoanalyse als Hilfsmittel. Männlichkeit wird hier als ein modifizierbares Bündel kultureller Maximen angesehen, dessen Ausbildung von der historischen Komponente abhängt.52 Die Gender Studies ebenso wie die Frauen- und die Männerforschung ziehen sich durch die tradierten Disziplinen und sind nicht selten interdisziplinär. In der Literaturwissenschaft wird untersucht, „wie in der Gestaltung literarischer Texte […] g[ender] als prägendes Prinzip zum Tragen kommt, reproduziert und gegebenenfalls auch dekonstruiert wird.“53 Untersuchungsgegenstand sind vor allem „symbolische Geschlechter-Repräsentationen, das heißt es geht um den kulturellen Ausdruck der

ten. Die ‚Men’s Rights Perspective’ steht der ersten Variante sehr nah, fokussiert aber Männer als Opfer. (Vgl.: Clatterbaugh, Kenneth C.: Contemporary Perspectives on Masculinity. Men, Women, and Politics in Modern Society. Boulder: Westview Press 1990, S. 153–155.) Bei der ‚Spiritual Perspective’ (Horlacher nennt diese Variante „Mythopoetic Perspective“. Horlacher, Stefan: Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Ein Forschungsüberblick mit exemplarischer Vertiefung. In: „Wann ist die Frau eine Frau?“ – „Wann ist der Mann ein Mann?“. Konstruktionen von Geschlechtlichkeit von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Hrsg. von Stefan Horlacher. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. S. 195–238, S. 213.) wird eine Rückbesinnung auf die archetypische Männlichkeit gefordert, die im Unbewussten eines jeden Mannes gespeichert sei. (Vgl.: Clatterbaugh: Contemporary Perspectives on Masculinity, S. 155.) Die ‚Socialist Perspective’ sieht Männlichkeit als eine soziale Realität an, die durch wirtschaftlich bestimmte Klassenstrukturen definiert wird. Hier unterscheidet sich Männlichkeit aufgrund von Klassen und Rassen, da jeweils eine andere Position im kapitalistischen System eingenommen wird. (Vgl.: ebd., S. 155–156.) Bei der ‚Conservative Perspective’ wird die Rolle des Mannes als Beschützer und Ernährer durch die Evolution biologisch begründet oder moralisch durch die Bedürfnisse einer Gesellschaft. (Vgl.: ebd., S. 151–152.) Vor allem die (auch) biologische Begründung der Geschlechtsunterschiede hat in den letzten ungefähr zehn Jahren wieder mehr an Popularität gewonnen. (Vgl.: Horlacher: Überlegungen zur theoretischen Konzeption männlicher Identität aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, S. 213–214.) 52 Vgl.: Horlacher: Literatur und die Überwindung der Dichotomien, S. 38. 53 Feldmann, Doris u. Sabine Schülting: Gender. In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2008. S. 243–245, S. 244.

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Geschlechterdifferenz, und zwar auf hochkultureller wie populärer Ebene“54. Dabei wird jeder kulturelle Ausdruck wie ein semiotisches System gelesen, so dass bei den Gender Studies in der Regel wie beim New Historicism der Textbegriff erweitert wird und der Text als Geschichte und die Geschichte als Text angenommen werden.55 Zu den zentralen Arbeitsfeldern der Geschlechterforschung in der Literaturwissenschaft zählt die Frage nach der Autorschaft. Besonders die Frauenforschung hat sich dieses Themas angenommen, da ein Blick in die Literaturgeschichte zeigt, dass lange Zeit vor allem Männer Autoren waren. Frauen wurde die Fähigkeit, einen hochwertigen literarischen Text verfassen zu können, schlichtweg abgesprochen. Daher schrieben Frauen, die sich literarisch betätigen wollten, nicht selten anonym, unter dem Namen ihres Ehemannes bzw. Bruders oder unter männlichem Pseudonym. So verwundert es auch nicht, dass Werke von Autorinnen nur sehr selten in einen literarischen Kanon aufgenommen wurden. Der Frauenforschung ist es zu verdanken, dass einige vergessene Autorinnen wieder neu entdeckt wurden. Während es sich die Frauenforschung zum Ziel gemacht hat, diese vergessenen Autorinnen in den Kanon zu integrieren oder sogar einen weiblichen Kanon zu gestalten, wird in den Gender Studies untersucht, inwieweit das Geschlecht einen Einfluss auf die Wertung eines Werkes und die Kanonbildung hat.56 Geschlechterbilder, sogenannte ‚Imagines‘, zählen ebenfalls zum Arbeitsfeld der Geschlechterforschung in der Literaturwissenschaft.57

54 Schößler, Franziska: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Eine Einführung. Tübingen: Francke 2006 (=UTB 2765), S. 109–110. 55 Vgl.: Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 107. 56 Vgl.: Stephan, Inge: Literaturwissenschaft. In: Gender-Studien. Eine Einführung. Hrsg. von Christina von Braun u. Inge Stephan. Stuttgart: Metzler 2006. S. 284–293, S. 288. 57 Besonders die Arbeiten von Silvia Bovenschen (Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (=Edition Suhrkamp 921)) auf der weiblichen und von Klaus Theweleit (Theweleit: Männerphantasien) auf der männlichen Seite sind hier zu nennen. Im Rahmen einer Untersuchung von weiblichem Verhalten hat Joan Riviere in einem Aufsatz Geschlechtlichkeit als Maskerade interpretiert: „Ich werde versuchen zu zeigen, daß Frauen, die nach Männlichkeit streben, zuweilen eine Maske der Weiblichkeit aufsetzen, um die Angst und die Vergeltung, die sie von Männern befürchten, abzuwenden“. (Riviere, Joan: Weiblichkeit als Maskerade. In: Weiblichkeit als Maskerade. Hrsg. von Liliane Weissberg. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1994. S. 34–47, S. 35.) Dieser Ansatz wurde auch in der Männerforschung aufgegriffen und von Elfi Bettinger und Julika Funk auf literarische Texte angewandt. (Bettinger, Elfi u. Julika Funk (Hrsg): Maskeraden. Geschlechterdifferenz in der

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Die Stärkung der Frau in unserer Gesellschaft, die oft im Frauenroman thematisiert wird, führt, so die allgemeine Annahme, zur Verunsicherung des Mannes in seiner Männlichkeit, da er sich immer schwerer von der Frau abgrenzen kann, was wiederum im Männerroman thematisiert wird. Da der Frauenroman bereits eingehend untersucht wurde und der Männerroman den Frauenroman zu imitieren bzw. zu kompensieren scheint, kann sich die Untersuchung des Männerromans auf den Literaturdiskurs bezüglich des Frauenromans stützen. Außerdem ergibt sich daraus die Notwendigkeit, das genaue Verhältnis zwischen Frauen- und Männerromanen zu bestimmen. Dass sich die Literaturwissenschaft als eine Disziplin darstellt, in der sich Gender besonders gut ergründen lässt, liegt an der traditionell engen analytischen Verbindung zwischen Kultur und Geschlecht: Performanz und Inszenierung bilden eine wichtige gemeinsame Achse von Kulturwissenschaften und Gender Studies.58 Dabei ist die Literatur eine Ebene der Kultur, auf der Gender besonders gut ergründet werden kann, denn wo wird effektiver inszeniert als in der Literatur? Hier stehen alle Möglichkeiten offen und ein breites Spektrum von Genderentwürfen ist denkbar. Die Literaturwissenschaft kann besonders „genau die Prozesse verfolgen und offen legen, mit denen [...] unterschiedliche Männlichkeiten durch Zeichen, Symbole, Erzählungen und Inszenierungen hergestellt werden“59. Und Gleiches gilt gewiss auch für die unterschiedlichen Weiblichkeiten.

G ENDERROMANE Dass der Männerroman noch nicht als eigenständiges Genre begriffen wurde, liegt vor allem daran, dass er eine neue Erscheinung ist. Mit Vollidiot60 von Tommy Jaud ist im Jahr 2004 der erste deutsche Männerroman erschienen. Frauenromane hingegen gibt es schon länger. Der erste erfolgreiche Frauenroman in der deutschen Lite-

literarischen Inszenierung. Berlin: Erich Schmidt 1995 (=Geschlechterdifferenz & Literatur 3).) 58 Vgl.: Engelmann, Jan: Think different. Eine unmögliche Einleitung. In: Die kleinen Unterschiede. Der Cultural-Studies-Reader. Hrsg. von Jan Engelmann. Frankfurt am Main: Campus 1999. S. 7–34, S. 16, Fußnote. 59 Erhart, Walter u. Britta Herrmann: Der erforschte Mann? In: Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Hrsg. von Walter Erhart u. Britta Herrmann. Stuttgart: Metzler 1997. S. 3–31, S. 16. 60 Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006.

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raturgeschichte ist die Geschichte des Fräulein von Sternheim61 von Sophie von La Roche aus dem Jahr 1771.62 Abhängig davon, wie die Abgrenzung zwischen Frauen- und Liebesroman vorgenommen wird, ist es durchaus legitim, die Romane von Hedwig Courths-Mahler als eine erste populäre Trivialisierungswelle des Frauenromans zu deuten. In den 1920er Jahren wurde dann die ‚Neue Frau‘, ihr Leben und ihr neugewonnenes Selbstbewusstsein zum Thema in Romanen. Als Autorin ist hier vor allem Vickie Baum zu nennen. Es folgte in den 1970er Jahren feministische Frauenliteratur, die unter anderem von Svende Merian, Karin Struck und Verena Stefan verfasst wurde. Die Bezeichnung „bezieht sich auf die literarische Umsetzung des gesellschaftlichen Diskurses über die Emanzipation der Frau im Kontext der Frauenbewegung in der BRD seit 1968.“63 Zu den Schlagwörtern dieser Frauenromane zählen „Erfahrungsberichte, Bekenntnisliteratur, Nabelschau, Öffnung der Tagebücher, literarische Verdopplung der eigenen Erfahrungen, dokumentarisch, authentisch, agitatorisch, propagandistisch, den politischen Feminismus unterstützend.“64 Mit Beim nächsten Mann wird alles anders65 (1987) von Eva Heller folgte der erste Frauen-Unterhaltungsroman. In dieser Form erschienen dann auch Romane von Hera Lind, Gaby Hauptmann, Amelie Fried und Doris Dörrie.66 Diese Generation der Frauenromane wird in der Forschung als der ‚neue Frauenroman‘ bezeichnet – was inzwischen eine verwirrende Terminologie ist, da diese Variante nicht

61 La Roche, Sophie von: Geschichte des Fräulein von Sternheim. Leipzig: Reclam 1938 (=Deutsche Literatur: Aufklärung 14). 62 Vgl.: Jørgensen, Sven Aage, Klaus Bohnen u. a.: Aufklärung, Sturm und Drang, frühe Klassik, 1740-1789. München: Beck 1990 (=Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 6), S. 180. Damals wurde zunächst unter einem Frauenroman noch nach einer Minimaldefinition „Literatur über Frauen“ verstanden. 63 Schröter, Melani: Die unehrlich verlogene Sauberfrau. Hera Linds Romane 1989-1999. In: Zwischen Trivialität und Postmoderne. Literatur von Frauen in den 90er Jahren. Hrsg. von Ilse Nagelschmidt, Alexandra Hanke u. a. Frankfurt am Main: Peter Lang 2002. S. 31–48, S. 31. 64 Frisch, Christine: Powerfrauen und Frauenpower. Zur deutschsprachigen Frauenliteratur der Neunziger. In: Alles nur Pop? Anmerkungen zur populären und Pop-Literatur seit 1990. Hrsg. von Thomas Jung. Frankfurt am Main, New York: Peter Lang 2002. S. 103– 116, S. 103. 65 Heller, Eva: Beim nächsten Mann wird alles anders. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1987 (=Die Frau in der Gesellschaft). 66 Vgl.: Peitz, Annette: Chick Lit. Genrekonstituierende Untersuchungen unter angloamerikanischem Einfluss. Frankfurt am Main: Peter Lang 2010 (=Studien zur deutschen und europäischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts 64), S. 58–59.

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mehr die neueste Form darstellt. Hin und wieder ist auch die mittlerweile treffendere Bezeichnung der ‚Mütterliteratur‘ zu lesen, die eindeutig zu bevorzugen ist. Die gesamte Frauenliteratur nach der feministischen Variante ist nicht so leicht mit ein paar Schlagwörtern zu umschreiben. Sie ist vielfältiger als die feministische Frauenliteratur und reicht „vom trivialen Alltagsmärchen über humorvolle Satiren bis zum Frauenkrimi und grotesk-realistischen oder regelrechten so genannten SplatterRomanen.“67 Dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten der neueren Frauenromane untereinander festmachen, wie zum Beispiel die Abwendung von Erfahrungsberichten, der Einsatz von Ironie und das Spiel mit traditionellen Geschlechterrollen.68 „Genau wie die Literatur der Frauenbewegung mit dem Literaturverständnis ihrer Zeit korrespondierte, so können wir diese Parallelen auch heute ziehen.“69 Während die Frauenromane seit den 1970er Jahren aus einer feministischen Richtung kamen und andersherum auch von der politischen Bewegung instrumentalisiert wurden, ist Frauenliteratur seit ungefähr den 1990er Jahren ein Spiegel der Postmoderne, die von Vielfalt und Leichtigkeit geprägt ist.70 Galt noch ein „Lachverbot im Feminismus“71, wird Humor in den folgenden Frauenromanen ganz im Gegenteil sogar groß geschrieben und sie werden zumeist der Unterhaltungsliteratur zugeordnet. Da die Identifikation der Leserinnen mit den Protagonistinnen ein wesentlicher Bestandteil des Frauenromans ist, verwundert es nicht, dass zum Beispiel Gaby Hauptmann „eine weitgehend beständige Leserschaft“ hat, „die mit ihr älter wird“72. Jüngere Leserinnen können sich jedoch eher schlecht mit den Protagonistinnen von Hauptmann und den anderen Autorinnen der Mütterliteratur identifizieren. „Hera Lind, heißt es, könne heute keine 25-Jährige mehr begeistern.“ Dies liegt daran, dass sich die Frauenliteratur auch nach der Mütterliteratur schon wieder weiterentwickelt hat. „Während es früher darum ging, das Leben der selbständigen Frau, die sich gegen den Mann durchsetzt, darzustellen“73, werden Männer in den Frauenromanen nach der Mütterliteratur nicht mehr als Feinde angesehen. So wie sich die Wissenschaft in Deutschland verstärkt seit den 1990er Jahren weg von der

67 Frisch: Powerfrauen und Frauenpower, S. 104. 68 Vgl.: ebd. 69 Ebd., S. 105. 70 Vgl.: ebd. 71 Schuller, Marianne: Wenn’s im Feminismus lachte… In: Wen kümmert’s, wer spricht. Zur Literatur und Kulturgeschichte von Frauen aus Ost und West. Hrsg. von Inge Stephan, Sigrid Weigel u. Kerstin Wilhelms. Köln: Böhlau 1991. S. 63–72, S. 63. 72 Tieger, Gerhild u. Manfred Plinke: Deutsches Jahrbuch für Autoren, Autorinnen 2005/2006. Berlin: Autorenhaus 2005, S. 114. 73 Ebd.

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Frauen- und hin zur Inklusion der Männerforschung in den Gender Studies entwickelt hat, wird entsprechend auch in der Literatur keine feindliche Distanzierung mehr von den Männern vorgenommen. Bezogen auf eine anglo-amerikanische Entwicklung in Folge von Bridget Jones’s Diary74 (1996) von Helen Fielding wird die Variante der Frauenromane nach der Mütterliteratur auch als die deutsche ‚Chick Lit‘ bezeichnet.75 Der Begriff hat sich zwar nicht durchgesetzt, da sich aber deutschsprachige Alternativbezeichnungen wie „Hühnchen Literatur“, „Püppchenprosa“, „Hühner-Geschreibsel“ oder „Tussiliteratur“ ebenso wenig etablieren konnten und sich auch das hartnäckig von Verlagen vertretene Label „freche Frau“ nicht durchgesetzt hat,76 soll an dieser Stelle an dem Begriff der deutschen Chick Lit festgehalten werden, da er zumindest auf die Wurzeln dieser Literatur verweist. Chick Lit ist „a female-oriented form of fiction and a highly successful and commercial literary phenomenon.”77 Während der Neologismus ‚Lit‘ entweder als „Abkürzung oder Diminutiv”78 vom englischen ‚literature‘ gedeutet wird, wird Chick verstanden als „a postfeminist in a party dress, a bachelorette too smart to be a bimbo, too refined to be a babe, too boojy to be a bohemian.“79 Chick Lit ist folglich Literatur über Postfeministinnen.80

74 Fielding, Helen: Bridget Jones’s Diary. A Novel. London: MacMillan 1997. 75 Vgl.: Young, Mallory u. Suzanne Ferriss: Introduction. In: Chick Lit. The New Woman’s Fiction. Hrsg. von Mallory Young u. Suzanne Ferriss. New York: Routledge 2006. S. 1– 16, S. 6. 76 Vgl.: Peitz: Chick Lit, S. 26–27. 77 Genz, Stéphanie u. Benjamin A. Brabon: Postfeminism. Cultural Texts and Theories. Edinburgh: Edinburgh University 2009, S. 84. 78 Peitz: Chick Lit, S. 26. 79 Wolcott, James: Hear Me Purr. Maureen Dowd and the rise of postfeminist chick lit. In: New Yorker (20.5.1996). S. 54–60, S. 57. Vermutlich wurde der Begriff ‚Chick Lit‘ in dem Artikel von Wolcott zum ersten Mal mit der Bedeutung verwendet, die er auch heute noch hat. Ein Jahr zuvor haben zwar bereits Cris Mazza und Jeffrey DeShell eine Anthologie über Chick Lit veröffentlicht, hierunter jedoch etwas anderes verstanden. (Vgl.: Mazza, Cris: Who’s Laughing Now? A Short Story of Chick Lit and the Perversion of a Genre. In: Chick Lit. The New Woman’s Fiction. Hrsg. von Mallory Young u. Suzanne Ferriss. New York: Routledge 2006. S. 17–28, S. 17.) 80 Auch der Begriff Lad Lit ist im Zusammenhang mit Chick Lit aufgetaucht. Lad Lit ist das männliche Pendent zu Chick Lit, beschreibt jedoch nicht die in dieser Arbeit beschriebenen Männerromane, da der Lad Lit wenig Humor attestiert wird und die Protagonisten als Einzelgänger beschrieben werden. Außerdem ist als eine Schwierigkeit in der Begriffsdefinition zu sehen, dass als Vorzeige-Lad Lit meist der Roman High Fidelity von Nick Hornby genannt wird, der allerdings auch immer wieder als Vorbild für die Popliteratur

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Als erste deutsche Chick Lit gilt Ildikó von Kürthys Roman Mondscheintarif,81 der im Jahr 1999 erschienen ist. Der erste Männerroman ist, wie bereits erwähnt, mit Jauds Vollidiot 2004 erschienen. Damit ist Chick Lit der Bereich aus dem Genre Frauenroman, der dem Männerroman am zeitnächsten steht. Somit scheint eine komparatistische Untersuchung dieser beiden parallelen Phänomene der Gegenwart am sinnvollsten. Wenn im Folgenden vom Frauenroman die Rede ist, soll daher auf diese neueste Variante des Frauenromans verwiesen werden. Aufbauend auf der „Akzentverlagerung von women auf gender“82 in der Forschung, soll ebenso in der Literatur ein Paradigmenwechsel schon in den Begrifflichkeiten festgemacht werden können, daher werden, kongruent zu den Forschungs-Termini, Frauen- und Männerroman in dieser Arbeit auch zusammengenommen als Genderromane bezeichnet. Wenn also der Frauenroman bereits vor dem Männerroman bestand, könnte dieser durchaus eine Modulation des Frauenromans sein. Zumindest scheinen Männerromane auf Frauenromane zu reagieren. Vielleicht reagieren sie aber auch nur auf die geänderten gesellschaftlichen Bedingungen für Männer. Es soll in diesem Kapitel ergründet werden, in welcher Beziehung der Frauen- und der Männerroman zueinander stehen und ob sich die Darstellungen von Gender in den beiden Romanformen unterscheiden oder ergänzen. In beiden Genres, also im Frauen- sowie im Männerroman, wird immer wieder markiert, was typisch weibliches und typisch männliches Verhalten ist. Dabei ist die Schnittmenge in den beiden Genres erstaunlich hoch, was vor allem daran liegt, dass in den Romanen viel mit Geschlechterstereotypen gearbeitet wird. „Geschlechterstereotype sind kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männern enthalten.“83 Dabei sind Geschlechterstereotype gleich in zweifacher Hinsicht dual aufgebaut: Erstens sind sie einerseits individuelles und andererseits konsensuelles Wissen. Zweitens sind sie deskriptiv genauso wie sie präskriptiv sind, mit ihrer Hilfe wird folglich nicht nur

aufgezeigt wird. (Vgl.: Whelehan, Imelda: Chicklit and Ladlit. In: The encyclopedia of twentieth-century fiction. Hrsg. von Brian W. Shaffer. Chichester: Wiley-Blackwell 2011. S. 68–71, S. 70.) Warum Männerromane jedoch gerade keine Popromane sind, auch wenn sie ihnen ähneln, wird in dieser Arbeit im Kapitel zum Poproman geklärt. 81 Vgl.: Peitz: Chick Lit, S. 58–59. 82 Osinski: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, S. 105. Hervorhebungen im Original. 83 Eckes, Thomas: Geschlechterstereotype. Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 178–189, S. 178.

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beschrieben, wie Frauen und Männer sind, sondern auch wie sie sein sollen. In der Geschlechtsstereotypen-Forschung konnte daneben herausgestellt werden, dass die vorhandenen Stereotype eminent änderungsresistent sind.84 Ganz im Sinne des Ratgebers „Männer kommen vom Mars – Frauen von der Venus“85 wird in Genderromanen die These vertreten, dass Frauen und Männer eigentlich gar nicht zusammenpassen. Es wird von einer biologischen Differenz zwischen den Geschlechtern ausgegangen. Das entspricht ganz der Differenzhypothese. In der Populärkultur hat sich eindeutig die Differenztheorie gegenüber der Egalitätstheorie durchgesetzt, denn auf dem biologischen Unterschied basieren zahlreiche Unterhaltungsformate wie die Comedy von Mario Barth oder die RTL-Sendung Typisch Frau – typisch Mann86. Die populär-biologistische Differenzhypothese schlägt sich ebenfalls in den traditionellen Geschlechterstereotypen wieder, die in Frauen- und Männerromanen zu finden sind. In dem Frauenroman Freizeichen87 (2003) von Ildikó von Kürthy führt die Protagonistin aus, wie sich Frauen und Männer ihrer Meinung nach unterscheiden. Sie vertritt die Meinung, dass es nicht zu Männern „passt, auf die Sonnenbank zu gehen, launisch zu sein, Volkshochschulkurse zu besuchen oder sich noch darüber aufzuregen, dass Frauen nun mal so sind, wie sie sind“ (FZ: 145). Da sich Männer nicht darüber aufregen sollen, dass Frauen nun mal so sind, wie sie sind, wird davon ausgegangen, dass es einen biologisch begründeten Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt, der sich nicht modifizieren lässt. Die Ausführungen dazu, was ein Mann machen sollte und was nicht, weil er ein Mann und keine Frau ist, sind sehr detailliert. Dabei reflektiert die Protagonistin: Ich höre schon, wie man mir vorwirft, dass ich mit zweierlei Maß messe. Aber erstens ist das eine korrekte Feststellung, und zweitens empfinde ich das nicht als Vorwurf. Ich finde es völlig normal und richtig, mit zweierlei Maß zu messen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir alles über einen Kamm scheren? (FZ: 146)

84 Vgl.: ebd. 85 Evatt, Cris: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Tausend und ein kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern. Hamburg: Kabel 1994. 86 Die Unterhaltungsshow wurde zum ersten Mal 2005 auf dem Sender RTL ausgestrahlt und bis 2006 von Günther Jauch moderiert. Nach einer längeren Pause wurde die Show 2011 wiederaufgelegt und dann von Dieter Nuhr moderiert. Die letzte Staffel wurde 2012 auf dem Sender RTL ausgestrahlt. 87 Kürthy, Ildikó von: Freizeichen. Roman. 9. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004.

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Der Textauszug enthält ein deutliches Statement für die Differenzhypothese, die mit zweierlei Maß misst. Argumente für diese Position werden nicht aufgeführt, es wird lediglich propagiert, dass diese Theorie völlig normal und richtig ist. Die Protagonistin ist mit der Differenz folglich vollkommen einverstanden und ihr dienen Geschlechtsstereotype zur Ordnung und Orientierung in der Welt. In von Kürthys Herzsprung88 (2001) vertritt die Protagonistin ebenfalls die These, dass Frauen und Männer substantiell divergent sind. Daher sinniert sie darüber, wie es wohl wäre ein Mann zu sein, und zählt dabei zehn Gründe auf, die dafür sprechen, ein Mann zu sein. Das macht den Anschein, dass sie ebenfalls von einer Differenz zwischen den Geschlechtern ausgeht. Der Mann scheint hierbei auf der Gewinnerseite zu stehen. Zusammenfassend spielen die aufgelisteten zehn Motive, warum es besser ist ein Mann zu sein, darauf an, dass Männer nicht über Probleme reden wollen und auch mit ihren Freunden lieber gemeinsamen Aktivitäten nachgehen anstatt sich mit ihnen zu unterhalten, dass nur Frauen sich Gedanken über ihre Figur-, Kosmetik- und Kleidungsprobleme machen und schließlich Männer Frauen einfach nicht verstehen (vgl. HS: 72-73). In summa werden Frauen sowie Männer in der Aufzählung humoristisch diffamiert: Frauen machen sich zu viele und Männer zu wenige Gedanken. Deswegen stellt die Protagonistin die These auf: „Ich glaube, wenn es keine Frauen gäbe, hätten Männer gar keine Probleme“ (HS: 72). An einer Stelle in der Aufzählung der Gründe, warum es besser sei, ein Mann zu sein, erscheinen Männer in einem sehr positiven Licht: Unter Punkt neun wird die These aufgestellt, dass Männer „Probleme lösen, statt nur über sie zu reden“ (HS: 73). Lediglich bei diesem Punkt fehlt der Aufzählung die Ironie, die ansonsten deutlich zu erkennen ist. Dadurch bekommt dieser Punkt eine besondere Bedeutung zugesprochen, die damit zu exemplifizieren ist, dass die Protagonistin sich an dieser Stelle in dem Roman in einer Situation sieht, in der sie selbst ein Problem lösen müsste. Sie beschließt ihr Problem nun wie Männer anzugehen. Dieses männliche Konzept scheint schließlich von Erfolg gekrönt zu sein, denn: „Männer können Papst werden und Präsident der USA und Chef von Daimler-Chrysler. Verdammt, die Jungs müssen irgendwas richtig machen“ (HS: 73). Also versucht die Protagonistin dieses Konzept zu imitieren und ihre Probleme ohne viele Worte zu eliminieren. Doch bereits kurz nachdem der Vorsatz gefasst ist, ruft sie ihre Freundin namens Ibo an, um mit ihr die Angelegenheit zu besprechen. Ihre Reaktion erscheint dabei nur allzu natürlich, denn Frauen müssen einfach über Probleme reden. Damit wird deutlich: Frauen und Männer sind nun einmal substanziell divergent.

88 Kürthy, Ildikó von: Herzsprung. Roman. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2003.

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Damit ist es einfach natürlich,89 dass lediglich Männer Papst, US-Präsident oder Chef eines bedeutenden Konzerns werden. Diese Ansicht arbeitet offensichtlich gegen die Errungenschaften des Feminismus und es wird deutlich, dass die Differenzhypothese die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft legitimiert. Mit diesem strengen Blick dürften emanzipatorisch denkende Frauen in unserer mehr oder weniger um Emanzipation bemühten Gesellschaft Frauenromanen eigentlich nicht gewogen sein. Dennoch sind Frauenromane gerade für Frauen geschrieben worden. Und ein Blick auf Bestsellerlisten verrät: mit Erfolg. Da der Frauenroman keine sachlich-orientierte Abhandlung mit ernsten Absichten, sondern lediglich eine humoristisch-orientierte Genderinszenierung mit Unterhaltungsanspruch darstellt, scheinen viele Leserinnen über derartige Degradierungen der Frau um des Spaßes Willen hinwegzulesen – oder verfügen über einen ausgeprägten Galgenhumor. Auf die geschlechtliche Differenz wird später in Herzsprung noch einmal hingewiesen. Dieses Mal nimmt sich die Protagonistin vor, ein Problem einfach zu verdrängen, „etwas, was Männer ungerechterweise können und Frauen erst mühsam lernen müssen“ (HS: 146). Auch hier wird wieder die bereits bekannte Begründung bemüht: „Wenn Frauen sich weniger Zeit nehmen würden, über sich selbst, ihre Beziehung, ihre Kinder, ihre Eltern und die Probleme ihrer sieben engsten Freundinnen nachzudenken, dann hätten sie weniger Probleme“ (HS: 147). Zu viele Gedanken sind es, so die These des Frauenromans, die Frauen von Höchstleistungen abhalten. Doch daran lässt sich nichts ändern: Frauen sind einfach so. Und genauso wie die Frauen in den Frauenromanen ihre Probleme haben mit Männern umzugehen, die nun einmal so sind wie sie sind, haben Männer im Männerroman ihre Schwierigkeiten mit Frauen umzugehen, die man ebenso wenig ändern kann. Der Protagonist in Nasenduscher90 (2012) von Tim Boltz wird zum Beispiel von seiner Freundin Jana mit einer Einkaufsliste in einen Drogeriemarkt geschickt. Obwohl sich auf der Liste nur vier Dinge befinden, die Robert besorgen soll, nämlich „eine Haartönung in Virginie Goldbraun 5.3 von L’Oreal, Tampons Super Plus, Gesichtswasser und einen Hornhauthobel“ (ND: 25), fühlt sich Robert durch die Liste bereits überfordert. Er ist zwar motiviert, die vier Dinge zu finden, „[g]enetisch ist es aber nahezu unmöglich“, meint Robert, „die Utensilien einer

89 In Mythen des Alltags entwickelt Barthes die These, dass der Mythos Dinge enthistorisiert und naturalisiert. Durch diesen Akt der Naturalisierung werden Ungleichheiten in der Geschichte legitimiert. (Vgl.: Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1964 (=Edition Suhrkamp 92), S. 113.) In Über mich selbst stellt Barthes ganz in diesem Sinne fest: „das Natürliche ist eine Legalität“. (Barthes, Roland: Über mich selbst. München: Matthes & Seitz 1978 (=Batterien 7), S. 142.) 90 Boltz, Tim: Nasenduscher. Roman. München: Goldmann 2012.

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Fraueneinkaufsliste vollständig abzuarbeiten“ (ND: 25). Tatsächlich findet er ohne große Probleme die ersten drei Dinge auf Janas Liste, scheitert jedoch an dem Hornhauthobel. Als er eine Verkäuferin mit Migrationshintergrund nach dem Produkt fragt, weiß auch sie keinen Rat, fragt jedoch lautstark eine Arbeitskollegin: „‚Vorhauthobel. Er sucht Vorhauthobel. Welcher Gang?‘“ (ND: 29). Nach kurzer Irritation weist Robert auf die Verwechslung hin und steht schließlich vor einem Regal mit Pflastern, in dem er tatsächlich einen Hornhauthobel entdeckt (vgl. ND: 29-30). Damit hat Robert doch alle vier Produkte von der Fraueneinkaufsliste beisammen, obwohl natürlich eingewendet werden kann, dass er die Dinge nur mit Hilfe von Frauen zusammentragen konnte. Aus genetischen Gründen wäre er ergo in der Logik des Romans nicht in der Lage gewesen, alleine einen Hornhauthobel im Drogeriemarkt zu finden. Aus genetischen Gründen mag Robert im Vorgängerroman Weichei91 (2011) auch kein Sushi, denn Männer mögen kein Sushi. Umso erstaunter reagiert Jana, als sich Robert mit ihr zum Sushi essen verabredet: „‚Die meisten Männer, die ich kenne, mögen kein Sushi. Du bist einfach anders‘“ (WE: 200). Doch Robert ist eigentlich gar nicht anders, er möchte lediglich der Frau, mit der er sich verabredet hat, gefallen und isst dafür sogar „todesmutig“ (WE: 200) rohen Fisch. Warum Jana dieses Essen nicht nur freiwillig isst, sondern auch noch gerne mag, kann er nicht nachvollziehen. In Billigflieger92 (2009) von Philip Tamm stellt der Protagonist Jo die GenderRegel „Männer sind Helden, Frauen sind leichtsinnig“ auf. „So einfach ist das“ (BF: 133). Ganz natürlich sind seiner Meinung auch die verschiedenen Erwartungen, mit denen Frauen und Männer an eine Liebesbeziehung oder auch an eine Ehe herangehen: Frauen denken zum Beispiel, Liebe wäre rosa. Männer gehen eher von einem dunklen Beigeton aus. Frauen vergleichen eine Hochzeit mit einem Einzug in eine gemeinsame neue, wundervolle Wohnung. Für Männer hat es eher etwas von einer Zwangseinweisung in eine geschlossene Anstalt. Frauen denken an Schweben. Männer an Fallen. Frauen freuen sich darauf. Männer finden sich damit ab. (BF: 214)

Es wird wieder von der Differenzhypothese ausgegangen und Frauen werden als das ‚andere Geschlecht‘ dargestellt, das biologisch begründet gar nicht anders kann, als sich auf eine Ehe mit einem Mann zu freuen. Ebenso scheint der Mann gar nicht

91 Boltz, Tim: Weichei. Roman. München: Goldmann 2011. 92 Tamm, Philip: Billigflieger. Roman. München: Heyne 2009.

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anders zu können, als nicht heiraten zu wollen. Die Probleme zwischen den Geschlechtern scheinen hiernach auch im Verständnis des Männerromans schon biologisch vorprogrammiert zu sein. In von Kürthys Mondscheintarif93 (1999) schaut sich die Protagonistin zum ersten Mal genauer in der Wohnung von Daniel um, mit dem sie gerne zusammenkommen möchte, und lässt auf eine Deskription der Küche eine des Badezimmers folgen: Auch das Badezimmer entsprach meinen Vorstellungen vom Badezimmer eines vielversprechenden Mannes. Ein [sic!] Dose Niveacreme und daneben ‚Envy‘ von Gucci. Eine Zahnbürste, die nicht aussah, als hätte er damit schon seine Milchzähne geputzt, ein Rasierpinsel aus echtem Dachshaar und daneben das altvertraute Pärchen: Elmex und Aronal. Puh. Ich sage immer: Mädels, wenn ihr im Bad Davidoffs ‚Cool Water‘ oder Alpecine Forte oder eine Nagelfeile im Zahnputzbecher seht, dann nix wie weg. Dasselbe gilt für schwarze Satinbettwäsche und Topfpflanzen im Schlafraum, alphabetisch geordnete Videokassetten im Wohnzimmer, Trockenblumen in der Küche und ein Schlüsselbrett im Flur. (MS: 122-123)

Der Fokus soll an dieser Stelle nicht auf die auffallend gehäufte Enumeration von Markennamen gelegt werden, sondern auf die Nagelfeile im Zahnputzbecher. Anscheinend wird davon ausgegangen, dass nur Männer auf die Idee kommen können, die Nagelfeile im Zahnputzbecher aufzubewahren. Und die Männer, die auf diese Idee kommen, so die Conclusio, sind keine ‚guten‘ Männer. Ganz im Gegenteil sollten sich paarungswillige Frauen von dieser Sorte Mann fernhalten, so lautet der deutliche Rat der Protagonistin an ihre imaginierte Leserinnenschaft. Begründet wird der Rat, oder vielmehr das Abraten, dabei nicht. Anscheinend ist eine Begründung gar nicht notwendig, scheint es sich doch um ein allgemein bekanntes Vorurteil zu handeln. Der selbstverständliche Umgang mit diesem Vorurteil im Frauenroman ist auch in Jauds Männerroman Vollidiot zu finden und auch hier wird eine Komplizenschaft mit den Geschlechtsgenossen aufgebaut: Es gibt ein paar Dinge, die ein Mann auf jeden Fall wissen muss. Dinge, die sehr, sehr wichtig sind. Dass man die Nagelschere nicht im gleichen Becher aufbewahrt wie die Zahnbürste, weil das Frauen supereklig finden und sich sofort ein Taxi rufen. Dass einen Frauen nie an die eigene Mutter erinnern sollten, dann rufen die sich nämlich gleich zwei Taxen, und dass man nie allzu viel über seine Ex-Freundinnen ausplaudern darf. (VI: 121)

93 Kürthy, Ildikó von: Mondscheintarif. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2000.

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Da das Genderwissen darum, dass Nagelutensilien für Frauen nichts im Zahnputzbecher zu suchen haben, zu dem gehört, was ein Mann auf jeden Fall wissen muss, wird suggeriert, dass es sich hierbei um Altbekanntes für die Leserschaft handelt. Auch die beiden offensichtlich abschreckenden Verhaltensweisen, die in der Textstelle folgen, bekräftigen die Annahme, dass es sich hier um allgemeines Genderwissen handelt.94 Der Gender-Diskurs in den beiden Genres korrespondiert auch, wenn es um die Weg-Suche bei Männern geht. Hier lautet das Klischee: „Männer fragen […] niemals und unter gar keinen Umständen nach dem Weg.“ (HR: 211) Dabei wird in von Kürthys Frauenroman Höhenrausch95 (2006) das Klischee offenbar als ein biologisch begründeter Umstand angesehen, da auch schon Moses nicht nach dem Weg zum Gelobten Land fragen wollte und nur deswegen so lange dorthin unterwegs war (vgl. HR: 211). Im Männerroman Voll beschäftigt96 (2006) von Oliver Uschmann sucht das namenlose Ich in einer Universität den Germanistik-Hörsaal und findet sich auf dem Campus nicht zurecht. „Ich könnte nach dem Weg fragen, aber ich tue es nicht. Männer fragen nicht“ (VB: 116). Knapp zwei Romanseiten später, nachdem das namenlose Ich weiter herumgeirrt ist, sieht es jedoch keinen anderen Ausweg: „Ich frage jetzt. Ich muss“ (VB: 118). Somit wird die im Frauenroman aufgestellte These, dass Männer nicht nach dem Weg fragen möchten, im Männerroman bestätigt. Es scheint sich demzufolge wieder um die Darstellung von allgemeinem Genderwissen und die Bestätigung der Differenzhypothese zu handeln. Allerdings scheint hier auch ein Wandel aufgezeigt zu werden: „Es heißt, dass sich Männer lieber verirren, als nach dem Weg zu fragen. Aber diese Tendenz nimmt ab.“97

94 Etwas später im Roman wird auf diese Stelle noch einmal Bezug genommen, nämlich wenn Simon sich mit einer Frau auf einem Konzert trifft und sie nach der Veranstaltung gerne zu sich nach Hause einladen möchte. Damit die Wohnung für den Besuch in einem guten Zustand ist, hat er seiner Haushaltshilfe namens Lala zuvor noch Anweisungen gegeben: „Zu Hause bringt Lala gerade meine Wohnung auf Hochglanz. Ich habe nichts dem Zufall überlassen: frische Bettwäsche, sauberes Bad, die Nagelschere in einem anderen Becher als die Zahnbürste“ (VI: 179). 95 Kürthy, Ildikó von: Höhenrausch. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2007. 96 Uschmann, Oliver: Voll beschäftigt. Roman. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2009. 97 Schmidbauer, Wolfgang: Männer sind endlich bereit zum Rollentausch. In: Zeit Magazin. Spezial Mann (2014) H. 14. S. 6–9

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Die Diskurse in den untersuchten Romanen bestätigen sich aber nicht nur auf derart direkte Weise, sondern manchmal auch indirekt. Als ein Exempel sei hier die Verknüpfung des Sports Fußball mit Gender aufgeführt. „Hierzulande ist Fußball ein Inbegriff des Männlichen“98 und Bestandteil der hegemonialen Männlichkeit, wenn man die Realitätsebene untersucht. Wenn in einem alltäglichen Gespräch das Thema auf die Sportart Fußball kommt, dann wird selbstverständlich von fußballspielenden Männern ausgegangen. Redet man über Frauen, die Fußball spielen, wird in der Regel explizit auf das Geschlecht der Spielerinnen hingewiesen, indem die Sportart als ‚Frauen-Fußball‘ eingeführt wird. In der Regel würde allerdings wohl niemand von ‚Männer-Fußball‘ sprechen. Auch wenn über die Fußballbundesliga und ihre Vereine gesprochen wird, ist selbstverständlich die Bundesliga der Männer gemeint, die Nationalmannschaft ist selbstverständlich die Nationalmannschaft der Männer usw.99 Fußball ist damit bereits in der Terminologie als eine männlich dominierte Sportart ausgeschrieben. Auch Fußball-Fans sind meistens männlich. „Zumindest für manche Fans ist das Fußballstadion einer der letzten Orte, an denen sie echte Männlichkeit – was auch immer das sein mag – leben können“100, denn im Stadion können Männer Gefühle zeigen und trotzdem männlich sein.101 Diese ungeschriebene Regel, dass Fußball in erster Linie ein Männersport ist, wird in den Romanen oft ohne große Worte, sozusagen parenthetisch, bestätigt. So

98

Brändle, Fabian u. Christian Koller: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fussballs. Zürich: Orell Füssli 2002, S. 207.

99

Vgl.: Müller, Marion: Fußball als Paradoxon der Moderne. Zur Bedeutung ethnischer, nationaler und geschlechtlicher Differenzen im Profifußball. Wiesbaden, Bielefeld: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden 2009, S. 298.

100 Sülzle, Almut: Männerbund Fußball – Spielraum für Geschlechter im Stadion. Ethnograpfische Anmerkungen in sieben Thesen. In: Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Hrsg. von Martin Dinges. Frankfurt am Main: Campus 2005. S. 173–191, S. 173. Hervorhebung im Original. 101 Der ansonsten durch Homophobie bedingt abgelehnte Körperkontakt zwischen Männern wird beim Fußball toleriert und nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch unter den Fans gelebt: Fällt ein Tor, werden freudig Umarmungen und Schulterklopfer verteilt. Auch Grölen, Saufen und Gewalt (vgl.: ebd.) gehören zum Fußball und sind als typisch männliche Verhaltensformen markiert, die in der Gesellschaft eigentlich nicht positiv bewertet werden. Weil Fußball ein popkulturelles Phänomen ist, werden diese ansonsten abgelehnten Verhaltensweisen beim Fußball allerdings akzeptiert (vgl.: ebd., S. 189.), und tauchen – ausgenommen ein erhöhtes Gewaltpotential – auch in den mainstreamförmigen Frauen- und Männerromanen auf.

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spielt zum Beispiel in dem Männerroman Kaltduscher102 (2009) von Matthias Sachau der Protagonist Krach einmal in der Woche mit seinen (männlichen) Freunden Fußball. Während ihres Fußballspiels verifizieren die jungen Männer ganz nebenbei noch ein weiteres Klischee: Männer unternehmen gerne etwas gemeinsam, bei dem sie nicht miteinander über Persönliches reden müssen. Ganz in diesem Sinne stellt Krach die rhetorische Frage: „Wozu reden, wenn man einen Fußball hat?“ (KD: 16). Dennoch sprechen die Männer im Roman natürlich miteinander, aber eben nicht so gerne über persönliche Themen, sondern tauschen sich lieber über populärkulturelle Bereiche wie Fußball aus. Damit finden Männer ihre eigenen Themen, die sich von denen der Frauen unterscheiden. In der Wohngemeinschaft des Protagonisten ist Fußball daher auch ein regelmäßiges Thema und der Leser des Romans erfährt, dass Tobi Fan des HSV ist, Gonzo von Werder Bremen und Krach unterstützt Hertha (vgl. KD: 38). Entgegen des Klischees ist der gemeinsame Mitbewohner Francesco kein Fußballfan. Doch obwohl er kein Fan ist, gehört Fußball auch zu seinem tagtäglichen Leben, denn in dem gemeinsamen Flur der Wohngemeinschaft steht ein ‚InzaghiHass-Altar‘, der aus einer alten Spiegelkommode besteht, an der Fotos von Inzaghi und von Krankenschwestern befestigt sind. Filippo Inzaghi103 ist zur Zeit des Erscheinens des Romans ein Stürmer des Vereins AC Mailand, den alle Bewohner der Wohngemeinschaft nicht mögen. Nachdem Inzaghi in einem Spiel vorgab, dass er verletzt sei, obwohl ihm nichts fehlte, kam den jungen Männern der witzige Einfall, dass zu den Bildern von Inzaghi Bilder von Krankenschwestern auf dem Altar hinzugefügt werden sollten (vgl. KD: 38-39). Durch den Hass-Altar ist in der MännerWohngemeinschaft im Roman Kaltduscher Fußball ein omnipräsentes Thema, das die Männer durch den gemeinsamen ‚Feind‘ Inzaghi zu einer Gruppe zusammen-

102 Sachau, Matthias: Kaltduscher. Ein Männer-WG-Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. 103 In Minutenwissen für den Mann von Welt zählt Harald Braun in seiner „Top drei der unfairsten Fußballer aller Zeiten“ nach Andoni Goikoetxea und Vinnie Jones auch Filippo Inzaghi auf und thematisiert vor allem die nach dem Fußballspieler benannte InzaghiSchwalbe. „Inzaghi performt Fußball wie ein schlechter Schauspieler die Rolle des klagenden Opfers.“ (Braun, Harald: Minutenwissen für den Mann von Welt. Köln: Bastei Lübbe 2012, S. 90. Hervorhebung im Original.) Zu dem Fußballer schreibt er außerdem: „Inzaghi ist ein schneller Stürmer, gilt als torgefährlich, hat ‚einen Riecher‘, spielte schon für Juventus Turin, AC Mailand, die italienische Nationalmannschaft. Und trotzdem ist der Mann außerhalb der Region, in der er gerade seine Künste versilbert, eine unbeliebte, ja verhasste Person“. (Ebd., S. 89.) Vor diesem Hintergrund wird in dem Männerroman Kaltduscher in Bezug auf das Thema Fußball nicht nur Genderwissen und Sportwissen, sondern auch popkulturelles Wissen archiviert.

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schweißt. Auch Simon in Jauds Vollidiot ist wie Francesco in Kaltduscher kein Fußball-Fan. Er geht zwar gemeinsam mit seinem besten Freund und Schalke-Fan Flick in ein Fußballstadion, um sich ein Spiel anzusehen, ist dabei jedoch nicht durch den Sport, sondern durch seine Freundschaft zu Flick motiviert (vgl. VI: 100). In dem Männerroman Hartmut und ich104 (2005) von Oliver Uschmann ist Fußball ein allgegenwärtiges Thema. So berichtet der namenlose Ich-Erzähler: „Fußball war schon immer unsere Sache“ (HI: 139). Doch wie so manches in der Wohngemeinschaft von Hartmut und dem namenlosen Ich anders verläuft, ist auch die für Männer typische Fußball-Vorliebe bei den beiden Männern etwas anders. So beschreibt der Ich-Erzähler weiter: „Unser Fußball findet auf der Playstation statt und auf Wettseiten im Internet, in der kleinen Stecktabelle in der Küche und in gelehrten Diskussionen über Spielstrategie und Vereinspolitik“ (HI: 139). Neben dieser eher untypisch ausgelebten Fußball-Liebe unterstützen die beiden aber auch den FC Freiburg und haben ebenso wie die Wohngemeinschaft in dem Roman Kaltduscher ein Fußballsymbol in ihrem Flur installiert: Hier hängt ein Wappen des FC St. Pauli. Außerdem besitzen die beiden Männer Fußballbücher und im Badezimmer liegen neben der Toilette die beiden Fußballzeitschriften Kicker und Elf Freunde griffbereit. Wie der Protagonist in Kaltduscher spielen auch Hartmut und der Ich-Erzähler selbst aktiv Fußball. Hartmut spielt mit Kommilitonen von der Universität in einem Indoor-Center, und der Ich-Erzähler in der Mannschaft seines Betriebs (vgl. HI: 139). Zwischenzeitlich ist Hartmut außerdem Sportjournalist bei einer Bochumer Lokalzeitung. Bei den Terminen besucht der namenlose Ich-Erzähler Hartmut bei Spielen der Landesliga, über die dieser berichten soll (vgl. HI: 140), so dass auch Hartmuts Job als Sportjournalist für die beiden Männer zu einem gemeinsamen Fußballerlebnis wird. Von eminenter Bedeutung ist Fußball in Michael Eichhammers Männerroman Solo für Anna105 (2008). Hier spielen die beiden besten Freunde Frank und Arne Alexander um ein Date mit Anna, wobei Frank den sportlichen Wettstreit gewinnt (vgl. SF: 208-211). Damit wird hier eine Frau als Fußball-Trophäe gesehen. Fußball spielende Frauen sind in Männerromanen hingegen überhaupt nicht zu finden, auch weibliche Fußball-Fans sind rar vertreten. Fußball wird im Männerroman vehement als eine Männer-Domäne verteidigt. Eine Ausnahme stellt jedoch Jana dar, die potentielle Traumfrau des Protagonisten Robert in Weichei. Sie ist die Tochter eines Physiotherapeuten, der Fußballspieler betreute. Bei einem gemeinsamen Besuch im Stadion erklärt Robert, der zu diesem Zeitpunkt von Janas Verbin-

104 Uschmann, Oliver: Hartmut und ich. Roman. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006. 105 Eichhammer, Michael: Solo für Anna. Roman. München: Piper 2008.

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dung zu Fußball noch nichts weiß, ihr erst einmal alles für ihn Relevante zum Thema Fußball und seinem Verein Eintracht Frankfurt. Am Ende meines zehnminütigen Monologs schaut sie trotz allem nicht wirklich so gelangweilt aus ihren großen Augen, wie ich dachte. Stattdessen nickt sie verständnisvoll und fügt fast entschuldigend die dazu passende Erklärung an. „Ich weiß das alles, Robert. Ich war bei all den Spielen auch dabei.“ „Wie, du warst auch dabei?“ „Na ja, mein Vater war Physiotherapeut bei der Eintracht und hat mich immer zu den Spielen mitgenommen.“ (WE: 217)

Über diese neue Erkenntnis ist Robert zwar zunächst verwundert, freundet sich mit dem Gedanken jedoch relativ schnell an und erkennt Jana schließlich sogar als Fußballexpertin an, mit der er beim Betrachten und Bewerten des Spiels eine Menge Spaß hat (vgl. WE: 218). Damit stellt sich Weichei in dem untersuchten FußballDiskurs im Männerroman als eine Ausnahme dar, die dem weiblichen Geschlecht in puncto Fußball aufgeschlossen gegenübersteht. Die zwar durchgeführte Abgrenzung von Fußball als einer Männerdomäne wird in dem Roman immerhin durch die Figur Jana für Frauen durchlässig gemacht. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass Jana lediglich als eine Ausnahme vorgeführt wird, was besonders dadurch deutlich wird, dass Robert von sich aus gar nicht auf die Idee kommt, dass Jana sich mit Fußball auskennen könnte, sondern sofort ungefragt mit seinem monologischen Vortrag beginnt. In dem Frauenroman Wer ist eigentlich Paul?106 (2004) von Anette Göttlicher stellt sich die Protagonistin als durchaus fußballbegeistert heraus. Als sie von einem Freund gefragt wird, ob sie sich ein Fußballturnier ansehen möchte, bei dem er mitspielt, sagt sie spontan zu und fährt zu der Sporthalle. Ich betrete die Tribüne, setze mich in die erste Reihe und werde das Gefühl nicht los, von ungefähr vierzig Augenpaaren unverwandt angestarrt zu werden. Vorsichtig sehe ich mich um. Ungefähr vierzig Augenpaare gucken schnell in eine andere Richtung. Ich stelle fest, dass ich das einzige weibliche Wesen weit und breit bin. (WP: 71)

Damit wird im Frauenroman Wer ist eigentlich Paul? Fußball als Männerdomäne bestätigt, obwohl die Protagonistin durchaus Interesse an Fußball hat. Da sie jedoch die einzige anwesende Frau ist, sind die Genderzuweisungen zu dem Sport schnell in Richtung Mann gemacht. Auch durch die Protagonistin wird dieser Zusammen-

106 Göttlicher, Anette: Wer ist eigentlich Paul? Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005.

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hang als der eigentlich präsente herausgestellt: „Okay, es gibt für Frauen gewiss Attraktiveres als ein Fußball-Hallenturnier des örtlichen Burschenvereins. Wäre im Nachbardorf ein D&G-Lagerverkauf107 beheimatet, säße vielleicht auch ich nicht hier“ (WP: 71). Zu dem Fußballspiel hat sie sich außerdem für den Fall, dass ihr das Spiel zu langweilig wird, einen Krimi von Mankell mitgenommen (vgl. WP: 72). Nach zwei Stunden, in denen sich die Protagonistin das Spiel voller Begeisterung als einzige Frau angesehen hat, bekommt sie weibliche Verstärkung und es befinden sich schließlich „acht Mädels“ in der Sporthalle, als es zum finalen Spiel des Turniers kommt. In ihrem Fanverhalten entsprechen die Frauen dabei nicht dem der Männer: Anstatt wie die Männer zu grölen, kreischen die Frauen108 (vgl. WP: 72), womit in dem Roman ein weiteres Klischee bestätigt wäre. Dass es nicht als selbstverständlich angesehen wird, dass sich Frauen genauso wie Männer mit Fußball auskennen, wird besonders deutlich, wenn die Protagonistin in dem Roman ihre Leserinnen animiert, sich ebenfalls mit der Sportart auseinanderzusetzen: „Mädels, ich sag’s euch, Fußball macht richtig Spaß“ (WP: 154). Dazu klärt die Protagonistin über ein gewisses Flirtpotential auf, das Fußballwissen für Frauen mit sich bringt: „[M]it nichts kann man Männer mehr beeindrucken als mit beiläufig eingestreutem Fußballwissen“ (WP: 154). Da hier davon ausgegangen wird, dass Frauen Männer mit Fußballwissen beeindrucken können, wird vorausgesetzt, dass sich Männer mit dem Sport auskennen, Frauen jedoch eigentlich nicht. Ganz so wie die Protagonistin in Mondscheintarif ihren Leserinnen von Männern abgeraten hat, die ihre Nagelutensilien im Zahnputzbecher aufbewahren, rät die Protagonistin in Wer ist eigentlich Paul? ihren Leserinnen davon ab, sich einen Mann als Partner auszusuchen, der kein Interesse an Fußball hat: „Männern, die Fußball langweilig und doof finden, sollte man mit dem gleichen Misstrauen begegnen wie denen, die nicht gerne Bier trinken. Meistens ist irgendetwas faul an

107 D&G ist nicht nur ein Designer-, sondern geradezu ein Prestigelabel. „D&G steht für die Zweitmarke von ‚Dolce und Gabbana‘, ein Markenname, der nach ungleichen Zwillingen klingt. Tatsächlich ist es das Kontrastprogramm ihres Stils, das sie so erfolgreich macht. Die Rede ist von Domenico Dolce, dem Sizilianer, und Stefano Gabbana, dem Norditaliener, deren kometenhafte Karriere 1982 begann.“ (Loschek, Ingrid: Modedesigner. Ein Lexikon von Armani bis Yamamoto. 3. Aufl. München: Beck 2007 (=Beck'sche Reihe 1249), S. 66.) 108 „Das weibliche Kreischen war in früheren Zeiten, in biologischer Geschichtszeit, ein Hilferuf, und dieser Hilferuf hatte eine erotische Komponente; Rettung aus Angst sollte belohnt werden. Die erotische Qualität des Kreischens lässt sich bei jedem Popkonzert […] beobachten“ (Morsbach, Paul: Die Entstehung der Gesellschaft. Naturgeschichte des menschlichen Sozialverhaltens. München: Allitera 2001, S. 127.) – und auch beim Anfeuern einer Fußballmannschaft.

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ihnen“ (WP: 154). Auf diese Weise wird in dem Frauenroman das Klischee als Orientierungshilfe gepriesen: Fußball gucken und Bier trinken sind als klischeehaftes Männerverhalten zu deuten, das hier dazu genutzt wird, um gute Männer von schlechten zu unterscheiden, wobei gute Männer dem Klischee entsprechen. Damit sind die guten Männer auch gleichzeitig die durchschnittlichen, die normalen, wie sie eigentlich im Männerroman repräsentiert sind. Da das Gros der männlichen Figuren im Männerroman gerne Fußball sieht, ergänzen sich hier unterm Strich die Diskurse im Frauen- und Männerroman. Doch nicht in jedem Frauenroman wird Fußball schauen als eine positive männliche Eigenschaft gepriesen – ganz im Gegenteil. In Anrufer unbekannt109 (2005) von Katrin Hummel erklärt die Protagonistin zum Beispiel: „Man weiß ja, wie das mit Männern und Fußball ist. Vor dem Fernseher werden sie zu sozialen Amöben und haben dann nur noch ein einziges, überlebenswichtiges Ziel vor Augen, von dem sie nichts und niemand abbringen kann (außer die nächste Werbepause): das Spiel zu verfolgen“ (AU: 180). Während also im Männerroman der Nexus Fußball und Männer als durchaus positiv und selbstverständlich angesehen wird, wird zwar in diesem Frauenroman auch die Verbindung als selbstverständlich angesehen, jedoch nicht positiv bewertet. Hierin unterscheiden sich die Darstellungen des Diskurses Fußball aus der Sicht des Frauen- und Männerromans teilweise, ergeben jedoch durchaus ein schlüssiges Gesamtbild, denn würden Frauen das Fußballverhalten der Männer tatsächlich durchweg positiv bewerten, wäre zu hinterfragen, warum sie nicht selbst Fußballfans sind. Dass damit sowohl in Frauen- als auch in Männerromanen ein konservatives Bild verstärkt wird, ist offensichtlich und entspricht ganz den Tendenzen auf Realitätsebene. Bei Mädchen und Frauen konnte zwar eine steigende Begeisterung für Fußball festgestellt werden, von Männern wird diese Tendenz jedoch argwöhnisch betrachtet. „Diese wollen lieber unter sich bleiben, nicht nur auf der Tribüne und auf dem Platz, sondern auch vor dem Fernseher.“110 Nur als Männersportart kann Fußball schließlich weiterhin als Männlichkeitsverstärker funktionieren. Um im Genderroman eine Differenzierung zwischen Frau und Mann zu ermöglichen, wird also auch im Diskurs Fußball auf konservative und altbewährte Differenzierungen der Geschlechter zurückgegriffen, anstatt die konservativen Zuordnungen zu transformieren oder sogar Gegenentwürfe hierzu zu entwickeln. Die Romane nehmen

109 Hummel, Katrin: Anrufer unbekannt. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005. 110 Tillmann, Angela: Frauen und Ballgefühl?! Wie sich Frauen in einer Männerdomäne bewegen. In: Doppelpässe. Eine sozialwissenschaftliche Fußballschule. Hrsg. von Michael Rautenberg, Angela Tillmann u. Lothar Böhnisch. Weinheim: Juventa 2008. S. 91–110, S. 91.

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damit lediglich den gesellschaftlichen Diskurs auf und bestätigen Geschlechterstereotype. Fußball ist nicht der einzige Sport, der in Genderromanen thematisiert wird. Immer wieder gehen Männer in Männerromanen in ein Fitnessstudio oder erwerben Fitnessgeräte. Für Simon in Vollidiot ist es für Männer typisch, dass sie sich, wenn sie gerade erst von ihrer Freundin getrennt sind, in einem Fitnessstudio anmelden, um wieder eine bessere Figur zu bekommen. Vor allem durchtrainierte Männer auf Zeitschriftencovern würden heutzutage vor Augen führen, was für eine ansprechende Figur man als Mann haben könnte, doch leider nur in den seltensten Fällen tatsächlich hat. Erwähnt wird hier das Männermagazin Men’s Health (vgl. VI: 9), dem auch in der Wissenschaft eine führende Antriebskraft für die Vermarktung eines männlichen Schönheitsideals zugeschrieben wird: „Ein Mann ist dann schön, wenn er seinen Körper mit Muskeln bestückt, was Fitness-Zeitschriften wie die Men’s Health zeigen“111. Doch vom Ideal ist der Durchschnittsmann in der Regel weit entfernt. So findet sich Simon selbst viel zu dünn und zu wenig muskulös. Im Fitnessstudio möchte er sich daher ein paar Muskeln antrainieren (vgl. VI: 9). Aus Unwissenheit hat sich Simon in seinem Eifer jedoch in einem Studio für Homosexuelle angemeldet, was die Suche nach einer neuen Partnerin in seinem Fitnessstudio erheblich erschwert. Seine Besuche dort werden detailliert beschrieben, wobei (flache) Pointen nicht nur dadurch geschaffen werden, dass Simon als heterosexueller Mann in einem „Schwulenfitnessstudio“ (VI: 70) trainiert, sondern auch dadurch, dass Simon sehr unsportlich ist und beim Training nicht mithalten kann (vgl. VI: 75-76). Anstatt wie Simon zu dünn findet sich Robert in Weichei etwas zu dick: „Nachdenklich ertastete ich den kleinen Ring, der sich in den letzten Jahren klammheimlich um meine Hüften geschlungen hat“ (WE: 181). Als Robert angetrunken einen Werbespot für den „MuscleMaster X 2000“ (WE: 151) ansieht, ist er von dem Produkt begeistert. Da in dem Spot damit geworben wird, dass nur bei sofortiger Bestellung 150 Euro gespart werden können und es nur bei sofortiger Bestellung noch ein paar Extras wie Batterien oder eine Tragetasche gratis gibt, greift Robert sofort zum Telefon und bestellt das batteriebetriebene Bauchwegwunder. Angetrieben wird er dabei auch durch die Erinnerung an den Anblick des durchtrainierten Piloten, mit dem er seine Ex-Freundin in flagranti ertappt hat (WE: 152). Damals erinnerte er sich daran, dass Steffi ihn oft als zu unmännlich beschimpft hatte. Durch die direkte Aneinanderreihung des als makellos beschriebenen nackten Körpers des

111 Vgl.: Trapp, Wilhelm: Der schöne Mann. Zur Ästhetik eines unmöglichen Körpers. Berlin: Erich Schmidt 2003 (=Geschlechterdifferenz & Literatur 15), S. 183. Hervorhebung im Original.

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Piloten, der dazu noch mit einem besonders großen Geschlechtsteil bestückt ist, und Steffis Kritik an Roberts fehlender Männlichkeit, wird unvermittelt eine Verbindung der beiden Tatsachen hergestellt. Es wird geradezu automatisch die These aufgestellt, dass Steffi Robert womöglich verlassen hat, weil er für ihren Geschmack einen zu wenig attraktiven Körper hat (vgl. WE: 11). Ganz ähnlich liest sich eine Stelle in Moritz Netenjakobs Männerroman Macho Man112 (2009): Hier wurde der Protagonist namens Daniel von seiner Freundin Melanie verlassen, weil diese ihn für zu wenig männlich hielt (vgl. MM: 28-29). Während ihrer Beziehung hat Melanie Daniel zwar nicht betrogen, sich aber hin und wieder mit Jan getroffen, den Daniel sehr um seinen Körper beneidet: „Jan hatte reichlich Muskeln und löste bei mir Minderwertigkeitskomplexe aus“ (MM: 63). Noch an einer weiteren Stelle werden in diesem Roman Muskeln und Männlichkeit miteinander verbunden: Daniels Chef, der gerne englische Begriffe verwendet, offenbart sich geradezu jenem gegenüber: „So ist das halt: Die einen trainieren sich Muskeln an, um cool und männlich zu wirken, die anderen sagen nicht ‚Ich bin Praktikant‘, sondern ‚Ich bin Head of Coffee Cooking‘. Der dahinterstehende Minderwertigkeitskomplex ist derselbe“ (MM: 91). Damit wird nicht nur die Verbindung von Muskeln und Männlichkeit hergestellt, sondern sie wird zudem kritisiert. Die versteckte These lautet hier schließlich, dass nur Männer mit Minderwertigkeitskomplexen es nötig haben, sich Muskeln anzutrainieren. Ganz in diesem Sinne lehnt es auch der Protagonist in dem Männerroman Mein Jahr als Single113 (2009) von Gregor Eisenhauer ab, sportlich aktiv zu werden, obwohl ihm sein Freund dazu rät. Zwar kann er an seinem Körper die Entwicklung feststellen, dass er weniger Muskeln und dafür mehr Bauchspeck bekommen hat, und er ist damit unzufrieden, doch er ist gleichzeitig zu bequem, um Sport zu treiben. Immerhin ist er trotzdem seit bereits zwei Jahren in einem Fitnessstudio angemeldet (vgl. MJ: 184). In diesem Zusammenhang sei auch an den im Jahr 2008 im Zeit Magazin Leben 114 erschienenen Artikel „Mein Bauch gehört mir“ von Adam Soboczynski erinnert. Der Titel des Artikels ist klar als der zentrale Slogan aus der Abtreibungsdebatte in Deutschland zu Beginn der 1970er Jahre zu erkennen. Der Kampf für das Recht auf Abtreibung wird oft als ein Auslöser für die Neue Frauenbewegung in Deutschland angesehen, und auf die Frauenbewegung möchte Soboczynski mit diesem Artikel anspielen. Er sieht nämlich den in den Medien immer intensiver geforderten Körperkult von Männern als eine Konsequenz der Emanzipation der Frau an:

112 Netenjakob, Moritz: Macho Man. Roman. 10. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. 113 Eisenhauer, Gregor: Mein Jahr als Single. Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. 114 Soboczynski, Adam: Mein Bauch gehört mir! In: Zeit Magazin Leben (2008) H. 10. S. 12–15.

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Ich glaube, diese Entwicklung der Emanzipation hat die Männer kalt erwischt. Viele reagieren mit der Dressur ihres Körpers. Fast alle aber mit dem Reden über ihren eigenen Körper. Letzteres haben die Frauen, glaube ich, nie gewollt. Die Emanzipation hat dazu geführt, dass es den Männern so schlecht geht wie zuvor nur den Frauen.115

Der ideale Männerkörper, so wird es in den Medien propagiert, hat eine muskulöse V-Form, wobei der Brustumfang mit einer möglichst hohen Zahl beziffert werden sollte. Mit den neuen Forderungen an die Männer geht eine stetig wachsende Unzufriedenheit der Männer mit ihrem Körper einher, in deren Konsequenz immer mehr Männer Fitnessstudios aufsuchen, um sich Muskeln anzutrainieren.116 Der muskulöse Körper wird als Ideal verkauft, er entspricht sozial verbreiteten Ansichten von der männlichen Geschlechtsrolle wie stark, kräftig, effektiv sein; der muskulöse Körper transportiert diese Vorgaben, signalisiert, dass der Inhaber des muskulösen Körpers den Anforderungen von Männlichkeit entspricht.117

Die Protagonisten im Männerroman, so konnte gezeigt werden, stellen ebenfalls den muskulösen Männerkörper als das Körperideal dar, den die dargestellten Durchschnittsmänner jedoch selbst nicht vorweisen können. Daher sind die Protagonisten unzufrieden mit ihrem Körper und wollen sich in einem Fitnessstudio Muskeln antrainieren. Und das ist ganz im Sinne der Frauen. In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter deutschen Frauen konnte festgestellt werden, dass 70 Prozent das männliche Schönheitsideal in einem muskulösen Männerkörper umgesetzt 118 sehen. Dieser Diskurs wird auch in Frauenromanen aufgenommen. In Für jede Lösung ein Problem119 (2007) von Kerstin Gier verfasst die Protagonistin Heftromane, die man zum Beispiel an Kiosken käuflich erwerben kann. In ihren Romanen erträumt sie sich jedes Mal aufs Neue den perfekten Mann, der ihrer Meinung nach nicht nur „gute Manieren“ haben sollte und andere Themen als sein Werkzeug ansprechen können, sondern auch noch „breite Schultern“ (FJ: 43) haben sollte. Breite Schultern sind auch der Protagonistin in Freizeichen sehr wichtig, allerdings nicht unbedingt als körperliches Attribut. Ben ist der Angebetete der Protagonistin und er ist für sie „[e]iner, bei dem man denkt, er hat breite Schultern, selbst

115 Ebd., S. 15. 116 Vgl.: Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450-2000). Wien: Böhlau 2003, S. 263. 117 Ebd. 118 Vgl.: Trapp: Der schöne Mann, S. 183. 119 Gier, Kerstin: Für jede Lösung ein Problem. Roman. Köln: Bastei Lübbe 2007.

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wenn er so schmal gebaut ist wie ein Räucheraal“ (FZ: 29). Statt eines körperlichen Attributs sind breite Schultern für sie eine Metapher dafür, dass ein Mann eine Frau beschützen kann – ganz unabhängig von realen Muskeln (vgl. FZ: 29). Als die Protagonistin in Anrufer unbekannt den Architekten Leon trifft, sinniert sie darüber, wie es wäre mit Leon „im Bett zu liegen“ (AU: 162), wobei es in der Phantasie wahrscheinlich nicht nur beim regungslosen Liegen bleibt. Dabei weist die Protagonistin Leons Körper die Attribute „muskulös“, „stahlhart“ und „außergewöhnlich männlich“ zu. Auch hier wird folglich eine Verbindung von Muskeln und Männlichkeit aufgezeigt. Doch erstaunlicherweise ist der Protagonistin Leons Körper zu durchtrainiert und sie hätte stattdessen lieber einen Mann mit einem durchschnittlichen und weniger athletischen Körperbau (vgl. AU: 162-163). Obwohl also in den Frauenromanen die Protagonistinnen auch die Verbindung von Muskeln und Männlichkeit herstellen, wollen sie teilweise keinen muskulösen Mann als Partner haben. Stattdessen bevorzugen sie vielmehr den Durchschnittstypen, der im Männerroman durch den Protagonisten dargestellt werden soll. So verwundert es auch nicht, dass die Männer in den Männerromanen trotz ihrer fehlenden Muskeln am Ende meistens doch ihre Traumfrau für sich gewinnen können, denn auch diese Frauen scheinen es nicht für notwendig zu halten, dass ihr Freund so durchtrainiert aussehen muss wie die Models auf den Zeitungscovern der Men’s Health. Damit vermitteln die Genderromane wiederum ein einheitliches Bild der Geschlechter. Frauen kümmern sich in den Romanen auch sehr intensiv um ihren Körper, machen dies jedoch eher selten durch Sport treiben. Zumindest wird dies vergleichsweise selten thematisiert. Ihre Arbeit am Körper sieht in der Regel anders aus und wird von der Protagonistin in Lügen, die von Herzen kommen120 (2007) von Kerstin Gier wie folgt beschrieben: „Ich rasierte, pedikürte, manikürte, zupfte, cremte, bügelte, parfümierte, malte und puderte an mir herum“ (LH: 254). Dennoch findet auch Sport in Frauenromanen einen Platz. So geht zum Beispiel Marie in Wer ist eigentlich Paul? zum Yoga-Training, einer Sportart, die tendenziell eher von Frauen ausgeübt wird.121

120 Gier, Kerstin: Lügen, die von Herzen kommen. Roman. Köln: Bastei Lübbe 2002. 121 Auch Cornelia Topf weist in ihrem Selbstcoaching-Buch für Frauen Yoga als eine explizite Frauensportart aus. (Vgl.: Topf, Cornelia: Selbstcoaching für Frauen. Stark, sympathisch und erfolgreich in Beruf und Privatleben. Offenbach: Gabal 2012, S. 82.) Ganz anders erklärt jedoch Mathias Thiete, dass zwar auch Männer denken würden, dass Yoga ein Frauensport sei, dies jedoch nicht der Fall sei – zumindest wenn man sich die Geschichte des Yoga anschaut. Ursprünglich haben nämlich ausschließlich Männer Yoga gemacht. Außerdem wäre Yoga seiner Meinung nach eine gute Alternative zu

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Auch Diäten werden als Arbeit am eigenen Körper in Frauenromanen gehäuft thematisiert und nicht selten mit einem Sportprogramm kombiniert, um möglichst schnell Gewicht zu reduzieren. So animieren zum Beispiel die Freundinnen von Hanna, der Protagonistin in Lügen, die von Herzen kommen, sie zum Joggen und Sport treiben im Fitnessstudio (vgl. LH: 125). Beides bleibt jedoch ohne den gewünschten Erfolg, da Hanna genau wie Simon in Vollidiot als unsportlich dargestellt wird und ihr sportliches Versagen wie bei Simon zum Erzeugen von Humor genutzt wird. Die Protagonistin Annabel geht in Freizeichen „zweimal die Woche mindestens dreißig Minuten schwimmen, um die Fettverbrennung anzukurbeln“ (FZ: 30). Das hat ihr Freund Ben während der gemeinsamen Beziehung auch nicht als störend empfunden – die Badesachen, die auf dem Rücksitz ihres Autos zum Trocknen ausgebreitet sind, jedoch schon (FZ: 30). Frauen nutzen ihr Auto tendenziell als Gebrauchsgegenstand, während für Männer ein Auto als ein Medium fungieren kann, mit dem sie ihre Männlichkeit ausleben können.122 Vielmehr noch kann sich ein Mann durch einen Autokauf geradezu Männlichkeit kaufen.123 Der Auto-Diskurs ist somit immer auch ein versteckter Gender-Diskurs, der meistens geführt wird als ein „verborgener Diskurs über Männlichkeit“124 und daher nicht selten in Genderromanen inkludiert ist. Natürlich ist nicht jedes Auto als ein Männlichkeitsverstärker denkbar. Simons „gelber Peugeot“, mit dem er zu seinem „pinke[n] Schwulenfitnessstudio“ fährt, ist sicherlich nicht zu dieser Kategorie zu zählen. Ein Porsche hingegen kann schon eher als Männlichkeitsverstärker fungieren. So stellt Hans-Lothar Merten in seiner

Fußball und dem Besuch im Fitnessstudio, die in diesem Kapitel bereits als typische Männersportarten herausgestellt wurden. (Vgl.: Tiethe, Mathias: Yoga. Energie und Entspannung für jeden Tag. München: Compact 2010, S. 55.) 122 Vgl.: Böhnisch, Lothar: Die Entgrenzung der Männlichkeit. Verstörungen und Formierungen des Mannseins im gesellschaftlichen Übergang. Opladen: Leske + Budrich 2003, S. 214. 123 Vgl.: Lengwiler, Martin: Männer und Autos in den 60er Jahren. Technische Artefakte als Gegenstand der Geschlechterforschung. In: Masculinities – Maskulinitäten. Mythos, Realität, Repräsentation, Rollendruck. Hrsg. von Therese Steffen. Stuttgart: Metzler 2002. S. 246–258, S. 250. 124 Eisch, Katharina: Auto, Männlichkeit, Tod. Zur Geschlechtsspezifik der Rede vom Automobil. In: Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur; 31. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Marburg 1997. Hrsg. von Christel Köhle-Hezinger, Martin Scharfe u. Rolf Wilhelm Brednich. Münster: Waxmann 1999. S. 444–455, S. 452.

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Untersuchung von Luxusprodukten fest, dass ein Sportwagen der Marke Porsche zu den populärsten Luxusgütern für Männer zählt.125 Und anscheinend ist ein Porsche ein gutes Trostpflaster bei Trennungen: In dem Männerroman Herrengedeck126 (2010) von Philip Tamm ist der Protagonist namens Stefan wieder Single, nachdem er von seiner Freundin verlassen wurde. Um über seinen Frust hinwegzukommen, fährt Stefan zu einem Porsche-Händler und fährt kurzentschlossen einen weißen Porsche Targa mit 350 PS zur Probe (vgl. HG: 121). In dem Roman wird das Auto der Marke Porsche als Luxusobjekt herausgestellt, das für Männer gemacht wurde. „Manche Leute behaupten, dass ein Porsche ein Spielzeug für große Jungs ist. Meine Meinung: Sie haben Recht. Aber es ist ein verdammt geiles Spielzeug“ (HG: 122). Dass ein Porsche hier als Spielerei für große Jungs und nicht für gestandene Männer beschrieben wird, ist damit zu erklären, dass mit dem Begriff ‚Spielzeug‘ eine metaphorische Ebene erschlossen wird, die mit ‚Jungs‘ metonymisch weitergedacht wird.127 In dem Männerroman Man tut was man kann128 (2009) von Hans Rath muss sich Schamski, ein Freund des Protagonisten Paul, keinen Porsche leihen – er besitzt bereits einen. Weil ihm seine Frau zu eifersüchtig wird, beschließt Schamski spontan bei Paul einzuziehen und hat seine wichtigsten Sachen eingepackt: „‚Sie kann alles haben, nur nicht den Porsche und das Klavier‘“(MT: 101). Wie wichtig Schamski sein Porsche ist, wird ebenfalls deutlich, wenn Paul sich eines Morgens Schamskis Wagen borgen möchte: Schamski muss seinen Autoschlüssel nicht lange suchen, sondern zieht ihn allzeitbereit aus einer Tasche seines Bademantels heraus (vgl. MT: 226). Keinen Porsche, sondern einen BMW Z4 mit 265 PS kauft sich der Protagonist Martin in Michael Eichhammers Toreros sind so129 (2007), nachdem er von seiner

125 Vgl.: Merten, Hans-Lothar: In Luxus investieren. Wie Anleger vom Konsumrausch der Reichen profitieren. Wiesbaden: Gabler / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden 2009, S. 46–47. 126 Tamm, Philip: Herrengedeck. Roman. München: Heyne 2010. 127 ‚Metapher‘ und ‚Metonymie‘ werden hier verstanden im Sinne der Theorie von Roman Jakobson, der der Metapher die Prinzipien der Similarität, der Selektion und der paradigmatischen Beziehung zuweist, während er der Metonymie die Prinzipien der Kontiguität, der Kombination und der syntagmatischen Beziehung zuschreibt. (Vgl. z.B.: Jakobson, Roman: Two Aspects of Language and Two Types of Aphasic Disturbances. In: On language. Hrsg. von Linda R. Waugh u. Monique Monville-Burston. Cambridge MA: Harvard University Press 1990. S. 115–133) 128 Rath, Hans: Man tut, was man kann. Roman. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2009. 129 Eichhammer, Michael: Toreros sind so. Roman. München: Piper 2007.

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Freundin Heike verlassen wurde (TS: 43-44). Der Kauf ist für Martin keine Kurzschlussreaktion aus Liebeskummer und er kauft sich ihn auch nicht nur deswegen, weil er seinen Job verloren hat, sondern die Anschaffung ist für ihn eine absolut logische Konsequenz, denn „[e]rstens: Heike hasst Cabrios. Zweitens: Wenn ich schon zum Arbeitsamt fahren muss, will ich das wenigstens stilvoll tun“ (TS: 42). Damit ist das Auto für Martin womöglich auch ein Männlichkeitsverstärker, jedoch in erster Linie die Erfüllung eines Traums, um nicht in der Realität leben zu müssen: „Ich bin auf der Flucht vor Heike, der Arbeitslosigkeit, der Melancholie, der Realität“ (TS: 43). Tim, der Protagonist in Matthias Sachaus Hauptsache, es knallt!130 (2014), fährt einen blauen Opel Admiral. Den Oldtimer aus dem Jahr 1969 fand er optisch so ansprechend, dass er ihn unbedingt haben musste. Inzwischen meint er:. „War eine spinnerte Idee, ihn zu kaufen, muss ich zugeben. Ich habe keine Ahnung von Autos, und erst recht nicht von alten“ (HK: 38). Damit bedient Tim hier eigentlich ein weibliches Klischee: Während sich Männer für ein Auto vor allem wegen der Technik entscheiden, gehen Frauen nach der Optik.131 Der Stolz, mit dem Tim über sein Auto spricht, ist jedoch wiederum als Bestätigung eines männlichen Klischees zu verstehen. In Frauenromanen werden Autos nicht großartig thematisiert, womit die These, dass Autos ein männliches Konsumgut sind, indirekt bestätigt wird. Lediglich in Für jede Lösung ein Problem rät eine Großtante der Protagonistin, sich ein Auto, genauer ein Cabriolet, zuzulegen – oder alternativ einen Hund. „Beides erleichtert den ersten Kontakt mit dem männlichen Geschlecht erheblich“ (FJ: 284). Damit wird ein Auto hier nicht als ein potentieller Männlichkeitsverstärker, sondern vielmehr als ein Köder für Männer angesehen. Auch damit wird die Verbindung von Mann und Auto im Genderwissen natürlich bestätigt. Doch die Großtante fügt hinzu: „Und beides macht das Leben ohne Mann erträglicher“ (FJ: 284). Ein Hund und ein Auto sind hier also zwei Dinge, die sich eine Frau kauft, um ihr Leben zu bereichern – ganz unabhängig von Männern. Einen schwarzen BMW fährt der potentielle Traummann der Protagonistin in Mondscheintarif. Sie führt den naiv anmutenden Vergleich an, dass das Auto ungefähr so groß wie ihr Badezimmer sei. Dahinter steckt jedoch auch der Vergleich eines männlichen Raumes (Auto) mit einem weiblichen Raum (Badezimmer). Dass Autos in dem Roman als Männlichkeitsverstärker angesehen werden, wird in einen

130 Sachau, Matthias: Hauptsache, es knallt! Roman. Berlin: Ullstein 2014. 131 Vgl.: Nagl, Anna; Haubrock, Alexander; Calcagnini, Giorgio; Rath, Verena; Schnaiter, Judith; Bozem, Karlheinz: Market Insights: Nachhaltige Mobilität. In: Energie für Nachhaltige Mobilität. Trends und Konzepte. Hrsg. Von: Bozem, Karlheinz; Nagl, Anna; Rennhak, Carsten. Wiesbaden: Springer 2013. S. 193-252, S. 223.

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Rat verpackt sehr deutlich gemacht: „Autos, Stereoanlagen und Geschlechtsorgane sind Dinge, über die man sich als Frau, einem Mann gegenüber, immer nur lobpreisend äußern sollte“ (MT: 112). Damit wird das Auto auf einer Ebene befindlich mit dem männlichen Geschlechtsorgan gesehen. Und auch in der weiteren Ausführung wird noch einmal ein Körperteil mit einem Auto in Verbindung gebracht: „Ich finde männliche Unterarme erotisch, insbesondere wenn sie die Verlängerung eines BMW-Schaltknüppels darstellen. Ich bin da schlicht gestrickt. Männer verlieren in schlammfarbenen Toyotas einen Gutteil ihrer sexuellen Attraktion“ (MT: 114). Simon aus dem Roman Vollidiot könnte bei der Protagonistin von Mondscheintarif ergo sehr wahrscheinlich mit seinem gelben Peugeot nur schwer punkten. In dem Frauenroman wird damit das Genderwissen, über das die männlichen Protagonisten in den Männerromanen verfügen, nur bestätigt: Wenn ein Mann ein teures Auto fährt, kann das seine Männlichkeit steigern. In dem Frauenroman Freizeichen fährt Robin zwar kein teures Auto, dafür steuert er aber ein anderes motorisiertes Gefährt, nämlich eine teure Yacht, was der Protagonistin Annabel sehr imponiert: „Es gibt wohl kaum eine männlichere Betätigung, als eine Yacht zu steuern, die größer ist als alle um sie herum. Da kommt es nicht mehr auf innere Werte, Reichtum, Schönheit oder ein Herz für Kinder an. Da zählt nur noch die pure Größe“ (FZ: 63-64). Nicht zu überlesen ist hier die sexuelle Anspielung, die mit der Größe der Yacht auf die Größe des männlichen Geschlechtsteils verweist: So wie ein großes Geschlechtsteil ein Symbol für Männlichkeit ist, kann das Steuern einer großen Yacht als eine männliche Betätigung angesehen werden. Daneben wird ganz deutlich dafür plädiert, dass es sehr wohl auf die Größe ankommt. Diese Aussage mag Männer ärgern, ist aber nach Eckes nicht als sexistisch zu werten, da hier nicht davon ausgegangen wird, dass alle Männer per se das minderwertige Geschlecht darstellen. Lediglich Männer mit kleinen Autos werden diffamiert.132 Dies ist ganz im Gegensatz zu einer Aussage zu sehen, die die Protagonistin im Frauenroman Herzsprung über ihre Geschlechtsgenossinnen macht: „Ich halte nicht viel von Frauen hinterm Steuer. Ehrlich gesagt halte ich gar nichts von Frauen hinterm Steuer. Ich merke sofort, wenn eine Frau vor mir fährt. Und ich werde sofort aggressiv“ (HS: 103). Es wird davon ausgegangen, dass alle Frauen minderwertige Autofahrer sind. Dies ist nach Eckes eine ganz klar sexistische Äußerung, die gerade deswegen so spannend ist, weil sie eine sexistische Äußerung von einer Frau über Frauen ist. Damit macht diese Stelle sehr deutlich, dass moderne Frauenromane keine emanzipatorischen Ziele mehr verfolgen, zumindest nicht primär. Ganz im Gegenteil werden Frauen sogar mit einem sexistischen Blick betrachtet. Dass Leserinnen nicht spätestens an dieser Textstelle den Roman erbost zur Seite legen, liegt

132 Vgl.: Eckes: Geschlechterstereotype, S. 183.

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daran, wie der Roman nach dieser sexistischen Aussage verfährt: Es wird nämlich das Bild der schlechten Autofahrerin konkretisiert. Die suchen Parkplätze immer in Zeitlupe. Sie blinken minutenlang, ohne abzubiegen. Sie verlangsamen vor Wegweisern mit mehr als zwei Angaben auf Schritttempo. Im Nebel halten sie lieber gleich ganz an, und wenn du einen Termin hast, dann sag ihn lieber ab, wenn du in einer engen Straße hinter einer Frau stehst, die versucht, rückwärts in eine stattliche Lücke einzuparken. (HS: 103)

Die Konkretion stellt eine so übertrieben schlechte Autofahrerin dar, dass sich sicherlich niemand mit dieser Darstellung identifiziert und sich so niemand selbst als schlechte Autofahrerin bezeichnen würde. Stattdessen werden Leserinnen wahrscheinlich eher ein Bündnis mit der Protagonistin gegen die schlechten Autofahrerinnen gründen. Nichtsdestotrotz wird so natürlich Sexismus von Frauen gegen Frauen gefördert. Die Differenz der Geschlechter, von denen in Genderromanen ausgegangen wird, konnte an mehreren einzelnen Subdiskursen des Genderdiskurses festgemacht werden. Unter dem Strich ergeben die Gender-Diskurse in den Genres Frauen- und Männerroman ein stimmiges Bild: Sie stehen in einem wechselseitigen Bestätigungsverhältnis. Als eine Gegenbewegung zum Frauenroman kann der Männerroman daher nicht angesehen werden, eher als eine folgerichtige literarische Ergänzung, genauso wie die Männerforschung sich als eine folgerichtige Ergänzung zur Frauenforschung entwickelt hat. Und so wie aus der Frauenforschung Genderforschung entstanden ist, könnte sich in Zukunft ein Trend weg von der Untersuchung von Frauenromanen und hin zu der Untersuchung von Genderromanen entwickeln. Die Differenzhypothese der Geschlechter, die sich in den Genderromanen manifestiert, konnte in einen engen Zusammenhang mit Genderstereotypen gebracht werden. In literarischen Texten zeigen sich Stereotype vor allem in den Figurendarstellungen und fußen hier auf dem mimetischen Charakter von Literatur,133 wobei Mimesis verstanden wird als literarische Nachahmung (Fiktion) der außerliterarischen

133 Vgl.: Nünning, Ansgar: Stereotyp. In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2008. S. 679, S. 679.

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Wirklichkeit (Realität).134 Inwieweit die Diskurse in den Genderromanen also die Diskurse der Realität nachahmen oder konterkarieren, soll im nächsten Kapitel weiter erörtert werden. Gleichzeitig wird dabei eine Besonderheit der Frauenromane offengelegt, die sich auch für die Mehrzahl der Männerromane – auf die Ausnahmen wird im Kapitel zum Geschlechterrollentausch näher eingegangen – bestätigen lässt: In Frauen- und Männerromane agieren meistens Singles als Protagonistinnen und Protagonisten.

S INGLEROMANE „Medien wie Filme, Bücher, Zeitschriften und Fernsehsendungen machen das Thema ‚Singles‘ zum Motiv der spätmodernen Gesellschaft.“135 Da auch nach mehrmaliger Proklamation einer aufkommenden Single-Gesellschaft dieser Trend durch Untersuchungen der gesellschaftlichen Struktur nicht bestätigt werden kann – ganz im Gegenteil Singles sogar „prozentual gesehen eine Randerscheinung“136 darstellen – liegt es nahe zu vermuten, dass dieser Trend erst durch die Medien entworfen wurde und somit in den untersuchten Romanen ein Bild von Singles konstruiert wird, das möglicherweise wenig mit der Realität gemein hat. Es wird sich im Laufe der Untersuchung jedoch zeigen, dass die in den Romanen konzipierten Single-Figuren eine erstaunliche Realitätsnähe aufweisen. Dass eine Randerscheinung wie Singles den Büchermarkt thematisch derart beeinflusst, dass Singleromane auf Bestsellerlisten landen, ist daneben nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass eigentlich jeder irgendwann in seinem Leben schon einmal Single war und sich mit dieser Lebensform daher auch identifizieren kann, wenn er aktuell kein Single ist. Der angloamerikanische Begriff ‚single‘ tauchte wahrscheinlich zum ersten Mal in den 1970er Jahren auf und bezeichnet vor allem jüngere Alleinstehende, die ohne Partner oder Familie leben.137 In Deutschland fand eine Hochphase der Singlefor-

134 Vgl.: Zapf, Hubert: Mimesis. In: Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2008. S. 501–502, S. 501. 135 Deml, Sonja: Singles: einsame Herzen oder egoistische Hedonisten? Eine kritische und empirische Analyse. Freiburg, Regensburg: Centaurus 2010 (=Soziologische Studien 34), S. 80. 136 Ebd., S. 249. 137 Vgl.: Hradil, Stefan: Die „Single-Gesellschaft“. München: Beck 1995 (=Perspektiven und Orientierungen 17), S. 6. Auch schon vorher wurde das Singledasein gelebt, man denke nur an die Begriffe ‚Hagestolz‘ oder ‚Jungfrau‘, auf die noch näher eingegangen

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schung in den 1970er und 1990er Jahren statt und 1978 wurde ‚Single‘ sogar zum Wort des Jahres gewählt.138 In der Populärkultur, genauer in „Frauenzeitschriften, Romane[n], Lebensratgeber[n], Fernsehfilme[n] und Spielshows“139, scheint man sich darüber relativ „einig zu sein, daß ein Single auf jeden Fall keinen festen Partner bzw. feste Partnerin hat, die Wohnform scheint dabei eher unerheblich zu sein“140. Dennoch wird oft vernachlässigt, dass Singles nicht zwingend in Einpersonenhaushalten leben müssen, sondern zum Beispiel auch in Wohngemeinschaften leben können.141 Die Möglichkeit der Variation der Wohnformen spiegelt sich in den Romanen wider: In Mondscheintarif lebt die Protagonistin alleine, in Lügen, die von Herzen kommen wohnt die Protagonistin mit ihrem kleinen Bruder zusammen und in Hausmann gesucht wohnt die Protagonistin zu Beginn des Romans mit einer Freundin und später mit einem Hausmann in einer Wohngemeinschaft. Auch in Männerromanen leben Singles in unterschiedlichen Wohnformen: In Vollidiot lebt

wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass mit der Entstehung eines neuen Begriffs auch eine neue Bedeutungsaufladung entstanden ist, so dass es den Begriff ‚Singles‘ im heutigen Sinne tatsächlich erst seit den 1970er Jahren gibt. 138 Vgl.: Deml: Singles: einsame Herzen oder egoistische Hedonisten?, S. 45. 139 Küpper, Beate: Sind Singles anders? Ein Vergleich von Singles und Paaren. Göttingen: Hogrefe 2002 (=Brennpunkte der Persönlichkeitsforschung 5), S. 19. 140 Vgl.: ebd. Ob ein Single nur nicht verheiratet sein darf oder gar keinen Partner haben darf, ob ein Single alleine wohnen muss, wie lange jemand Single sein muss, um so bezeichnet zu werden, darüber herrscht in der Forschung kein absoluter Konsens. Eine interessante Lösung zu diesem Problem hat Jutta Kern angeboten, die basierend auf dem Thomas-Theorem eine „[s]ubjektorientierte Definition“ des Singledaseins „über die individuelle Betroffenheit“ (Kern, Jutta: Singles. Biographische Konstruktionen abseits der Intim-Dyade. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998, S. 39.) vorschlägt. Das bedeutet in Kurzform, dass jemand dann Single ist, wenn er sich selbst als Single bezeichnet. Diese subjektorientierte Definition ist dabei aus einer handlungstheoretischen Perspektive zu sehen: Durch sein Handeln situiert sich jedes Subjekt in der Gesellschaft. Durch sein Handeln entscheidet man sich folglich für ein Leben als Single und das Singledasein ist nichts, was einem lediglich passiert. Allerdings kann man unterscheiden, ob sich jemand prospektiv für ein Leben als Single entschieden hat oder retrospektiv feststellt, Single zu sein. Während also im ersten Fall eine bewusste Entwicklung stattgefunden hat, hat im zweiten Fall eine unbewusste Entwicklung stattgefunden. (Vgl. ebd., S. 40.) Da die Singles in den untersuchten Romanen mit ihrem Singledasein unzufrieden sind, liegt es nahe zu vermuten, dass die Figuren in den Romanen eher retrospektiv festgestellt haben, dass sie nun Single sind. 141 Vgl.: ebd., S. 38.

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der Protagonist alleine, Hartmut und ich wohnen in einer Männer-WG und in Wir tun es für Geld142 (2010) von Sachau lebt der Protagonist aus finanziellen Gründen mit einer Freundin in einer Scheinehe und gemeinsamen Wohnung. Ab Mitte der 1990er Jahre gibt es gehäuft Romane, in denen Singles die Hauptfiguren verkörpern, und diese Hauptfiguren sind, so Britta Claus, meistens Frauen.143 Aus heutiger Sicht kann man den ersten Punkt nur bestätigen; es gibt viele Romane, in denen ein Single im Fokus steht.144 Jedoch ist der Protagonist inzwischen nicht mehr so viel öfter eine Frau. Im Männerroman sind die Männer ebenfalls oft Singles. Daher lohnt es sich, den Frauen- und den Männerroman einmal auf ihr Potential als Singleroman hin zu untersuchen. Den Singleroman versteht Claus als ein Subgenre des FrauenUnterhaltungsromans,145 was jedoch hier vor dem Hintergrund des neuen Phänomens der Männerromane natürlich widerlegt werden muss. Wenn schon, dann sind Singleromane eine Untergruppe der Genderromane.146

142 Sachau, Matthias: Wir tun es für Geld. Roman. 3. Aufl. Berlin: Ullstein 2010. 143 Vgl.: Claus, Britta: Kein Leben zu zweit. Würzburg, Düsseldorf: Ergon 2012 (=Germanistische Literaturwissenschaft 4), S. 17–18. 144 Ein besonders guter Beleg dafür, dass sich ein Genre etabliert hat, ist der Befund, dass bereits eine Gegenbewegung stattgefunden hat. Als ein Beispiel sei die Heimatliteratur mit ihrer Gegenbewegung der Anti-Heimatliteratur zu nennen. Mit Den lass ich gleich an: (Kein) Single-Roman von Ellen Berg kann diese Entwicklung auch für den Singleroman beobachtet werden, auch wenn sich die Distanzierung zum Genre der Singleromane hier sicherlich nur im Titel findet, denn auch hier ist die Protagonistin Single, oder besser eine alleinerziehende Mutter. Damit ist sie keine für den Singleroman typische Figur, auch wenn die Mechanismen des Singleromans auch in diesem Roman durchaus greifen und es daher ausreichend Gründe gibt, auch diesen Roman als Singleroman bewerten zu können. (Berg, Ellen: Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman. Berlin: Aufbau 2013 (=Aufbau-Taschenbuch 2639).) 145 Vgl. Claus: Kein Leben zu zweit, S. 18, Fußnote. 146 Es ist an dieser Stelle zu fragen, ob nicht auch Popromane zumindest untergeordnet ebenfalls Singleromane sind, denn schließlich sind auch die Protagonisten in Popromanen typischerweise Singles. So vertritt zum Beispiel Wehdeking die These, dass Stuckrad-Barre mit Soloalbum die „West-Berliner ‚Single-Generation‘ im Jahr 1989“ anspricht. (Wehdeking, Volker: Generationenwechsel. Intermedialität in der deutschen Gegenwartsliteratur. Berlin: Schmidt 2007 (=Philologische Studien und Quellen 205), S. 29.) Doch wie bereits im Kapitel zum Poproman gezeigt werden konnte, geht es in Soloalbum nur tertiär um die Liebe, zentrales Thema ist und bleibt die Popkultur. Ein weiterer Ansatzpunkt zur Unterscheidung ist die Erklärung des Single-Daseins in den beiden Genres Poproman und Männerroman: Während die durchschnittlichen Typen im

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Im deutschsprachigen Raum hat Wiltrud Oelinger in Emanzipationsziele in Unterhaltungsliteratur? unter anderem diskursanalytisch untersucht, inwieweit man einen Wandel der Frauenromane in Bezug auf die Kategorien „Erwerbsberuf“ und „Partnerschaft“ feststellen kann. Hierfür hat sie sieben deutschsprachige Frauenromane aus den 1980er und 1990er Jahren untersucht und ist zu folgendem Schluss gelangt: Die sowohl finanzielle als auch mentale Unabhängigkeit der Frau wird als Diskursfragment in allen Romanen bei unterschiedlicher Gewichtung einzelner Akzente differenziert aufgegriffen. Zu Anfang der 80er Jahre ist dieses Fragment eine unabdingbare Forderung, Mitte der 80er wird diese zunehmend realisiert und dient in den 90ern als Basis der Emanzipationsziele.147

Während folglich von den ‚Superweibern‘ der Frauenromane in den 1980er Jahren die finanzielle Unabhängigkeit als Voraussetzung für das Leben als Single vor der gesellschaftlichen Schablone der Realität auch im Roman noch gefordert werden musste, wird die Teilhabe von Frauen am Erwerbssystem mit der Zeit immer selbstverständlicher und ist in aktuelleren Frauenromanen wie der Chick Lit lediglich noch erwähnenswert. Bemerkenswert ist hier vor allem, dass die weiblichen Protagonistinnen in den Singleromanen nicht nur in irgendeinem Beruf tätig sind, sie sind mehrheitlich Akademikerinnen und durch ihren Erwerb finanziell gut abgesichert. Wie im Männerroman werden dabei im Frauenroman vor allem Berufe in der Medienbranche ausgeübt.148 Obwohl erst durch eine Anstellung das Leben als Single zu einer finanzierbaren Lebensform wird, ist in der deutschsprachigen Chick Lit kaum eine Erörterung dieses Nexus zu finden. Dabei ist schon in sprachhistorischer Sicht eine enge Verknüp-

Männerroman von der großen Liebe träumen, diese aber bisher nicht erlebt haben, wird den Sonderlingen im Poproman eine „Bindungsscheu“ attestiert. (Ebd.) Die Protagonisten im Männerroman suchen ergo aktiv nach einer Partnerin, um ihr Singledasein zu beenden, und diese Suche wird zum zentralen Thema des Romans. Im Poproman hingegen wird das Singledasein vielmehr so wie die Popkultur als ein Phänomen der Gegenwart thematisiert, im Gegensatz zur Populärkultur sogar lediglich gestreift. 147 Oelinger, Wiltrud: Emanzipationsziele in Unterhaltungsliteratur? Münster: Lit 2000 (=Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte 10), S. 147. 148 Für die Realitätsebene konnte übrigens festgestellt werden, dass junge Alleinlebende vor allem in der Gesundheitsbranche und im IT-Bereich arbeiten. (Vgl.: Held, Josef, Seddik Bibouche u. a.: Was bewegt junge Menschen? Lebensführung und solidarisches Handeln junger Beschäftigter im Dienstleistungsbereich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden 2011, S. 262.)

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fung von Single und Erwerb zu erkennen: „Hagestolz“ ist eine Bezeichnung für einen alleinstehenden Mann, der das übliche Heiratsalter bereits passiert hat. Im Mittelhochdeutschen bezog sich der Begriff auf „den Besitzer oder auch Vorsteher eines ‚Hags‘, eines Grundstückes“149, das jedoch nicht viel Ertrag brachte150. Weil der Besitzer eines Hags folglich nicht genug verdiente, konnte er sich keine Familie leisten. Der Begriff „Junggeselle“ kommt aus der Handwerkersprache und bezeichnet einen jungen Mann in der Ausbildung.151 Auch ein Junggeselle verdiente nicht genug, um sich eine Ehe leisten zu können. Erst ab dem sechzehnten Jahrhundert wurde der Begriff dann in der heutigen Bedeutung verwendet und bezeichnet seitdem allgemein einen unverheirateten Mann.152 Unverheiratete Frauen wurden lange als „Jungfrau“ betitelt oder in der Kurzform als „Jungfer“. Später setzte sich auch die Bezeichnung „Fräulein“ durch. Im Mittelalter war eine Jungfrau eine „junge (unverheiratete) Adelige“. Eine Verbindung zum Beruf ist hier nicht gegeben, stattdessen wird durch die Begriffe manchmal auch eine sexuelle Information vermittelt, die sich als Keuschheit oder sexuelle Unberührtheit umschreiben lässt. Diese Verbindung ist seit dem christlichmythischen Marienkult zu beobachten.153 Interessant ist hier vor allem die Verbindung von ‚Single‘ und ‚Alter‘ im Sprachgebrauch: Ein älterer Junggeselle wird als „ewiger Junggeselle“ bezeichnet, eine ältere Jungfrau als „alte Jungfer“, wobei Frauen bereits zwischen 25 und 30 Jahren als alte Jungfern bezeichnet worden sind.154 In diesen Benennungen äußert sich die unterschiedliche Bewertung des Singleseins durch die Gesellschaft: Während die männliche Bezeichnung tendenziell wertfrei daherkommt, ist die weibliche durch Geringschätzung markiert.155 So verwundert es nicht, dass Frauen im Frauen-

149 Baumgarten, Katrin: Hagestolz und alte Jungfer. Entwicklung, Instrumentalisierung und Fortleben von Klischees und Stereotypen über Unverheiratetgebliebene. Münster, Freiburg (Breisgau): Waxmann 1997 (=Internationale Hochschulschriften 240), S. 7. 150 Vgl.: ebd. 151 Vgl.: Pober, Maria: Gendersymmetrie. Überlegungen zur geschlechtersymmetrischen Struktur eines Genderwörterbuches im Deutschen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007, S. 139. 152 Vgl.: Baumgarten: Hagestolz und alte Jungfer, S. 5. 153 Vgl.: Ebd., S. 8. 154 Vgl.: ebd., S. 11–12. 155 Vgl.: ebd., S. 9-10, 11. Ein ähnliches Ungleichgewicht stellt die Protagonistin in Hausmann gesucht (2005) von Katrin Hummel bei den Begriffen ‚Hausfrau‘ und ‚Hausmann‘ fest: „Ein Hausmann war jemand, der aus Leidenschaft wunderbar kochte, seine Wohnung stilsicher mit erlesenen Accessoires dekorierte und bei jeder Gelegenheit eine erstklassige Flasche Wein kredenzte. Eine Hausfrau scheuerte auf Knien den Fußboden,

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roman oft über ihren Status als Single klagen. Aber auch die Männer im Männerroman wollen keine Singles sein. Hier scheint sich also etwas geändert zu haben. Nach Eva Jaeggi ist Every Woman Loves a Russian Poet156 (1988) von Elizabeth Dunkel der erste amerikanische Bestsellerroman, der sich mit einer finanziell unabhängigen, weil beruflich erfolgreichen Single-Frau und ihren alltäglichen Problemen auseinandersetzt. Dabei wird nach Jaeggi die Single-Frau hier zum ersten Mal nicht als Mängelwesen dargestellt, sondern als eine moderne Frau, die sich bewusst für die moderne Lebensform Single entschieden hat.157 In Deutschland erschien der Roman von Dunkel unter dem Titel Der Fisch ohne Fahrrad158 im Jahr 1990. Auf die deutschsprachige Literatur hatte Der Fisch ohne Fahrrad relativ wenig Einfluss. Stattdessen feierte der deutschsprachige Buchmarkt in der ersten Hälfte der 1990er Jahre Romane der Autorin Hera Lind, die sich zwar thematisch auch mit der Beziehung von Frauen und Männern beschäftigt, jedoch die Singlethematik weitgehend außen vor lässt. Erst als 1996 in Großbritannien der Singleroman Bridget Jone’s Diary von Helen Fielding erscheint, der im Jahr 1997 auf dem deutschen Buchmarkt mit dem Titel Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück veröffentlicht wurde, ist auch in Deutschland eine Wende hin zum Singleroman festzustellen. Besonders von Kürthys Roman Mondscheintarif (1999) ist als Wegbereiter der deutschen Singleromane zu nennen. Weitere Autorinnen dieses Roman-Typus im deutschsprachigen Raum sind Kerstin Gier, Katrin Hummel oder Anette Göttlicher,159 die in dieser Untersuchung beispielhaft näher betrachtet werden sollen. Im deutschsprachigen Raum hat das Thema Single in der Literaturwissenschaft nach eigenen Angaben zum ersten Mal Claus ausführlich in ihrer Arbeit Kein Leben zu zweit erörtert.160 Sie ist unter anderem der Auffassung, dass Eva Heller mit dem

schüttete Abflussfrei in verstopfte Toiletten und wischte Babykotze von Polstergarnituren. Selbstverständlich hatte sie keine Aussicht auf einen bezahlten Job, während der Hausmann als Hausmann nur nebenberuflich tätig war“ (HG: 152). 156 Dunkel, Elizabeth: Every Woman Loves a Russian Poet. New York: Harper Collins 1991 (=Harper Paperbacks Fiction). 157 Vgl.: Jaeggi, Eva: Ich sag’ mir selber Guten Morgen. Single – eine moderne Lebensform. München: Piper 1992, S. 35–37. 158 Dunkel, Elizabeth: Der Fisch ohne Fahrrad. Roman. München: Knaur 1990.„Der Titel spielt auf den bekannten Feministinnenspruch an, demzufolge eine Frau einen Mann überhaupt nicht braucht.“ (Jaeggi: Ich sag’ mir selber Guten Morgen, S. 35.) 159 Vgl.: Claus: Kein Leben zu zweit, S. 77–79. 160 Hierbei ist explizit die Erforschung von Singleromanen gemeint, denn die Singleforschung hat eine lange Tradition. (Vgl.: Herrmann, Sabrina: Pluralisierung von Leitbil-

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Roman Beim nächsten Mann wird alles anders (1987), der in der Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“ des Fischer-Verlages erschienen ist, lediglich einen Vorläufer des Singleromans geschrieben hat. Sie argumentiert, dass der Roman ein Singledasein thematisiert, „das sich noch nicht von dem Bild der Ehe als allein seligmachender Lebensform zu emanzipieren vermag.“161 So verlässt die Protagonistin ihren Partner zwar, kehrt schließlich jedoch wieder zu ihm zurück. Damit ist nach Claus keine Entwicklung der Protagonistin zu erkennen. Außerdem weise der Traum, den die Protagonistin Constanze zu Beginn des Romans von sich als Lady Diana zusammen mit Prinz Charles hat, darauf hin, dass hier das Ideal der Ehe propagiert wird, da das britische Paar als ein Traumpaar der 1980er Jahre zu verstehen ist.162 Auf einer Ausgabe des Romans Beim nächsten Mann wird alles anders, die im Fischer-Verlag erschienen ist, sind Lady Diana und Prinz Charles sogar auf dem Cover des Buchs zu sehen: Auf dem gemalten Bild ist ein Foto von Diana und Charles zu sehen, das von einer Frauenhand mit lilafarbenem Nagellack gehalten wird. Die rechte lackierte Hand setzt mit einer Schere dazu an, Charles Kopf von dem restlichen Foto abzutrennen. Dieses Bild ist nach Angaben im Buchinneren von der Autorin Eva Heller gestaltet worden und kann damit nicht als ein beliebiges Bild, das vom Verlag ausgewählt wurde, abgetan werden. Vielmehr bekommt das Cover durch die aktive Mitgestaltung der Autorin einen besonderen Wert für den Roman und scheint somit gemäß der Intention der Autorin untrennbar mit ihm zu verschmelzen. Vor allem auf der Grundlage dieses Zusammenspiels von Bild und Text muss dann auch der Einschätzung von Claus widersprochen werden: Das im Erscheinungsjahr und noch bis zur offiziellen Trennung 1992 real existierende MedienTraumpaar Charles und Diana dient dem Roman nicht dazu, die Ehe als ideale Lebensform zu vermitteln. Stattdessen soll aufgezeigt werden, dass die moderne Frau zu hohe Ansprüche an ihren Partner stellt: Sie sucht nicht nur irgendeinen netten Mann, sondern den idealen Mann. Doch leider kann das ideale Männerbild der Protagonistin niemand erfüllen. Selbst ein waschechter Prinz wie Prinz Charles ist ihrer Meinung nach noch lange nicht perfekt: „Charles, der wäre zwar optisch nicht mein Typ, aber der wäre wenigstens ein Mann, der weiß, was er will!“ (BM: 6). Trotz seiner optischen Defizite wäre Charles zumindest besser als ihr jetziger Freund, den

dern – die Lebensentwürfe junger Singles. In: Soziologie des Privaten. Hrsg. von Kornelia Hahn u. Cornelia Koppetsch. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden 2011. S. 227–252, S. 228–229.) 161 Claus: Kein Leben zu zweit, S. 81. 162 Vgl.: ebd.

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die Protagonistin Constanze anhand einiger Zwischenfälle im Alltag als ordnungsfanatisch und geizig beschreibt (vgl. BM: 6-7). Dass Constanze schließlich nach einer langen Trennungszeit doch zu ihrem Freund zurückkehrt, wird dem Leser nicht wie ein Happy Ending und damit eine Lobpreisung auf die Ehe präsentiert. Vielmehr wird die Ehe als ein lächerliches und scheinheiliges Modell entlarvt. Auch am Ende des Romans entspricht Albert163 immer noch nicht Constanzes Idealvorstellung eines Mannes: „Wenn Albert schon nicht der Liebhaber meiner Träume sein wollte, dann konnte er wenigstens so tun, als ob“ (BM: 334). Ihr reicht hier folglich schon die Illusion, der Schein, dass Albert so sein möchte wie Constanze ihn gerne hätte. Hier kann wiederum eine Parallele zu Lady Diana und Prinz Charles gesehen werden: Auch dieses Paar ist lediglich in der Scheinwelt der Klatschpresse ein Traumpaar – wie die Realität tatsächlich aussieht, kann zu dieser Zeit nur gemutmaßt werden. Doch nach außen hin glücklich zu scheinen, sich das Glück einreden zu können, würde Constanze bereits reichen. Obwohl Albert also nicht ihr Traummann ist, möchte Constanze ihn heiraten. „Albert war zwar nicht der Mann meines Lebens, aber vielleicht würde er der Mann meines Lebens werden?“ (BM: 334). Dass er ihr einen Heiratsantrag machen würde, daran ist jedoch nicht zu denken. So ergreift die emanzipierte Frau selbst die Initiative: „Wenn Albert nicht bereit war, meine Träume zu erfüllen, dann würde ich sie mir eben selbst erfüllen“ (BM: 335). Also geht sie in einen Blumenladen und bestellt dreißig Rosen an die Adresse von Albert und lässt eine Karte mit folgender indirekten Aufforderung beilegen: „Für deinen Heiratsantrag“ (BM: 335). Am nächsten Morgen steht Albert dann tatsächlich mit Rosen vor ihrer Tür – sogar mit 50 Rosen. Albert hat also 20 Rosen aus eigener Tasche finanziert und damit fünf Rosen mehr in einen Strauß für eine Frau investiert, als er je vorhatte. Constanzes Reaktion ist überfreudig: „Wenn das kein Erfolg war! Es war der helle Wahnsinn!“ (BM: 336). Dass eine durch ihren in Eigeninitiative herbeigeführten Heiratsantrag als emanzipiert dargestellte Frau durch einen Bonus an fünf Rosen gegenüber dem

163 Auch in Goethes Werther ist Albert der nichtgewollte Mann. Mehr zu Goethes Text im Vergleich zum Männerroman ist im Kapitel „Die Leiden der unerfüllten Liebe“ dieser Arbeit zu lesen. Gleichzeitig wird Albert abgeleitet von „edel“ und „von Adel kommend“. Es ist außerdem in einem Namensbuch ganz passend zu der Figur in Hellers Roman zu lesen: „Das Edle in Albert ist verdeckt.“ (Schaffer-Suchomel, Joachim: Sage mir deinen Namen und ich sage dir, wer du bist. Die Bedeutung der 500 wichtigsten Vornamen. 3. Aufl. München: Goldmann Arkana 2011, S. 37–39.) Entsprechend offenbart sich erst zum Ende des Romans der Protagonistin das Edle in ihrem Albert und sie ist nicht an dem tatsächlich adligen Prinzen Charles interessiert.

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geplanten Soll in einen derartigen Freudentaumel gerät, rückt sie in die Lächerlichkeit. Noch interessanter ist jedoch eine andere Rechnung: Am Ende hat folglich die Protagonistin 30 Rosen für die Ehe investiert, ihr Angebeteter lediglich 20 Rosen. Symbolisch könnten diese Zahlen auch für das stehen, was eine Frau und ein Mann in die Ehe investieren: Wenn ein Paar heiratet, bedeutet es mehr Einsatz und mehr Arbeit für die Frau als für den Mann – man denke hier nur an die Hausarbeitsdebatte, die im Zuge der Frauenbewegung aufgekommen ist. Gleichzeitig könnte man aber auch von der Zahl der Rosen auf die Bedeutung der Ehe für die Geschlechter schließen: Für eine Frau bedeutet die Ehe mehr als für einen Mann. Für die Ehe als Scheinmodell spricht ein weiteres Symbol, das am Ende des Romans überreicht wird: Der Verlobungsring. „Ein Ring, ganz genauso wie der Ring, den Prinz Charles Prinzessin Diana zur Verlobung geschenkt hat!“ (BM: 336). Der einzige Unterschied ist, dass der Ring, den Albert ihr schenkt, natürlich nicht echt ist. Für 89,95 DM hat er ganz im Gegenteil sogar ein Schnäppchen gemacht, wie er stolz berichtet. Praktischerweise hat er dazu auch noch ein Pfund Kaffee günstig erstanden. Diese Zusatz-Informationen nehmen dem Ring die Romantik. Dennoch klammert sich die Protagonistin an ihre Illusion: „Er sieht aber aus wie echt“ (BM: 336). Und das ist es schließlich auch, was ihr reicht: Die Illusion vom Eheglück. Damit wird die Ehe als ein lächerliches und scheinheiliges Modell entlarvt – und gleichzeitig auch das Singledasein: Bevor eine emanzipierte Frau tatsächlich für längere Zeit als Single lebt, gibt sie sich im Roman lieber mit wenig zufrieden, mit einem Mann, der nicht einmal annähernd ihr Idealbild von einem Mann repräsentiert. Damit wird die Ehe bei Heller nicht gepriesen, sondern vielmehr als einzig mögliche Lebensform dargestellt, weil niemand ernsthaft für längere Zeit Single sein möchte.164 Anders als zum Beispiel bei Heller ist die Einstellung zur Ehe in den neueren Frauenromanen der Kategorie Chick Lit: Zum einen wollen sich die Protagonistinnen der neueren Frauenromane nicht mit weniger als dem Traummann zufrieden ge-

164 Auch bei Gaby Hauptmann, Amelie Fried und Hera Lind wird das Singledasein zwar für eine relativ kurze Zeit gelebt, jedoch verfolgen die Protagonistinnen in den Romanen immer die Absicht, den Partner fürs Leben zu finden. „Denn obwohl sie sich durchaus als emanzipiert verstehen und in keiner Weise auf die finanzielle Unterstützung durch einen Ehepartner angewiesen sind, zeigt sich schnell, dass sie ihre Identität nahezu ausschließlich über den Mann an ihrer Seite gewinnen“. (Claus: Kein Leben zu zweit, S. 84.)

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ben.165 Zum anderen übernehmen die Singleromane zwar die Handlungsmuster der Liebesromane aus der Romantik, sie enden typischerweise jedoch nicht mit der Ehe. Die Idee, dass ein Paar für immer zusammenbleibt, ist damit in den neueren Frauenromanen eigentlich nicht mehr zu finden.166 Gleichzeitig wird der Mensch aber immer noch als ein paarzentriertes Wesen angesehen, dass einen Partner an seiner Seite benötigt. Das Singledasein ist zwar durchaus ein toleriertes Konzept – jedoch nur bis zu einem bestimmten Alter der Singles. Damit sind die Figuren als Stereotype zu entlarven, denen Katrin Baumgartner in ihrer Untersuchung von Klischees und Stereotypen von Unverheirateten auf den Grund geht und dabei zu dem Schluss kommt, dass das Singledasein nur dann akzeptiert wird, wenn der betroffene Single jung ist: „Egoismus, Konsumsucht, Unfähigkeit, Verantwortung tragen zu können und zu wollen, solche Vorwürfe bekommt der Single, der die Dreißig überschritten hat, zunehmend zu hören.“167 Gelingt die Familiengründung bis zum ungefähr 30. Lebensjahr nicht, so „werden Singles sogar als Synonym für den Werteverfall der Gesellschaft betrachtet. Ihnen wird ungeachtet ihrer persönlichen Umstände, die möglicherweise zum Single-Sein führten, Egoismus vorgeworfen.“168 Es wundert also nicht, dass in den Frauenromanen der Subkategorie Singleromane nicht selten die Überschreitung des 30. Geburtstags von Relevanz ist.169 So stellt Gerri in Für jede Lösung ein Problem von Kerstin Gier fest: Ich hatte nie vorgehabt, mit dreißig noch Single zu sein. Eigentlich hatte ich das ganz anders geplant: Mit spätestens achtundzwanzig wollte ich mit dem Mann meiner Träume verheiratet sein, mit neunundzwanzig das erste Kind bekommen und mindestens einen Apfelbaum gepflanzt haben. (FJ: 29)

165 Damit spiegeln sie eine aktuelle Entwicklung in der Gesellschaft wieder: Singles sind stärker auf der Suche nach dem oder der Richtigen, nach der Traumfrau oder dem Traummann. (Vgl.: Bodmann, Maria Mechthild: Dem Single-Dasein auf der Spur. Pädagogisch-psychologische Bedingungsfaktoren für Partnerlosigkeit im mittleren Erwachsenenalter. Marburg: Tectum 2000, S. 252.) 166 Vgl.: Werber, Niels: Liebe als Roman. Zur Koevolution intimer und literarischer Kommunikation. München: Fink 2003, S. 44. 167 Baumgarten: Hagestolz und alte Jungfer, S. 286. 168 Deml: Singles: einsame Herzen oder egoistische Hedonisten?, S. 75. 169 In seiner Untersuchung Die Dreißigjährigen stellt Martin Doehlemann fest, dass schon seit Anbeginn der Literatur das dreißigste Lebensjahr von besonderer Wichtigkeit zu sein schien. (Doehlemann, Martin: Die Dreißigjährigen. Lebenslust und Lebensfragen. Münster: Waxmann 2006.) Diese Feststellung kann Doehlemann auch für die heutige Zeit bestätigen, und durch die Analyse der Genderromane kann diese These bekräftigt werden.

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Soweit der ideale Lebenslauf, doch die Realität sieht für Gerri anders aus, und nicht nur sie selbst leidet darunter, dass sie mit 30 Jahren noch Single ist, sondern auch ihre Eltern. Ihr Vater wirft ihr zum Beispiel vor, dass sie „keine vernünftige Altersvorsorge und keinen Mann, der das mal ausgleichen wird“ (FJ: 19) habe – und das, obwohl sie nun auch schon dreißig Jahre alt sei. In einem anderen Roman der Autorin, in Lügen, die von Herzen kommen, steht zwar nicht der 30. Geburtstag der Protagonistin an, aber der ihrer Freundin. Diese kommentiert den anstehenden Feiertag wie folgt: „Nächste Woche werde ich dreißig. Und selbst ein perverser Mann wäre besser als überhaupt kein Ärger“ (LH: 30). Zu Beginn des Romans Herzsprung berichtet die Protagonistin, dass sie „morgen zweiunddreißig Jahre alt“ (HS: 11) werde, so dass auch hier die Geschichte kurz vor einem Geburtstag beginnt. Dabei haben die Protagonistinnen bei von Kürthy generell ihr 30. Lebensjahr bereits überschritten, sind jedoch noch keine 40 Jahre alt: Die Protagonistin in Mondscheintarif ist „dreiunddreißigdreiviertel“ (MS: 8), in Freizeichen ist sie „seit neuestem einunddreißig“ (FZ: 14), in Höhenrausch „fünfunddreißig Jahre alt“ (HR: 9) usw. Bei Katrin Hummel und Anette Göttlicher sind die Protagonistinnen etwas jünger. Sie sind nicht älter als 25 Jahre. In Lügen, die von Herzen kommen erklärt eine Arbeitskollegin der Protagonistin, dass Frauen sich schon mit Mitte 20 dafür rechtfertigen müssen, wenn sie Single sind, da der gesellschaftliche „Trend wieder mehr hin zur Familie geht“ (LH: 51). Von den anderen Anwesenden wird diese Aussage durch Nicken bestätigt. Die Protagonistin in Anrufer unbekannt von Hummel hat vor kurzer Zeit ihren „fünfundzwanzigsten Geburtstag“ (AU: 11) gefeiert und zu Beginn der Paul-Reihe ist die Protagonistin in Wer ist eigentlich Paul? von Göttlicher 27 Jahre alt (vgl. WP: 5). Obwohl die Frauen in den Romanen damit nicht einmal die Hälfte ihres Lebens gelebt haben, wenn man einmal vom erhofften Normalfall ausgeht, fühlen sich die Frauen alles andere als jung. So kommentiert die 27-jährige Marie in Wer ist eigentlich Paul ihre Kopfschmerzen, die sie auch noch drei Tage nach einer Feier spürt, mit: „Ich werde alt. Ich bin alt“ (WP: 19).170 Direkt im nächsten Absatz erfolgt eine Schilderung der Feier am Samstag, einem Treffen mit Freundinnen, bei dem auch Alexa anwesend war, die nächste Woche heiraten wird. Dabei vergleicht Marie ihr Leben mit dem ihrer Freundin Alexa: „Sie ist drei Jahre jünger als ich und hat schon den Mann fürs Leben gefunden, während ich wahlweise von Paul oder Peter träume und der goldene Ring am Finger eine so tollkühne Vision ist wie eine Last-

170 Und heißt es nicht auch schon in Goethes Faust II (1830) im zweiten Aufzug: „Gewiss, das Alter ist ein kaltes Fieber / Im Frost von grillenhafter Not, / Hat einer dreißig Jahr‘ vorüber, / So ist er schon so gut wie tot.“ (Goethe, Johann Wolfgang von u. Lieselotte Lohrer: Die grossen Dramen. Stuttgart: Cotta 1951 (=Gesamtausgabe der Werke und Schriften in zweiundzwanzig Bänden. Poetische Werke 5), S. 399.)

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Minute-Pauschalreise zur Venus“ (WP: 19). Damit erlangt das zunächst noch als scherzhaft deutbare Altersbekenntnis nun eine eindeutig ernsthafte Färbung: Obwohl sie noch älter als Alexa ist, ist sie weit davon entfernt, einen Mann zu heiraten, ebenso wie sie weit davon entfernt ist, den Planeten der Weiblichkeit zu besuchen. Bringt man den Vergleich zusammen, könnte man schließen, dass verheiratete Frauen an dieser Stelle als weiblicher angesehen werden – es könnte sich bei der Reise zur Venus jedoch auch ebenso gut um ein zufällig gewähltes Beispiel ohne tiefere Bedeutung handeln. Eine ähnliche Einstellung wie Marie in Wer ist eigentlich Paul? hat die Protagonistin in Hausmann gesucht171 (2005) von Katrin Hummel: Ich steuere […] seit meinem dreißigsten Geburtstag vor einigen Monaten unaufhaltsam auf die vierzig zu, und danach würden quasi über Nacht die Wechseljahre einsetzen, und dann würde ich […] bestimmt keinen jungen und attraktiven Mann mehr in mein Bett bekommen. (HM: 119)

Vor der Schablone der Suche nach einem Lebenspartner läuft also auch hier ab ungefähr dreißig Jahren die Zeit ab. Eine andere Stelle im Roman macht diese Annahme und die daraus resultierende Angst der Protagonistin noch deutlicher. Dabei wird auch auf die biologische Uhr Bezug genommen, die der Gründung einer Familie für eine Frau altersbedingte Grenzen setzt: Man kennt sie ja, diese Frauen um die dreißig, die, egal ob sie an der Bushaltestelle stehen oder ein Lokal betreten, diesen Scanner-Blick einschalten, mit dem sie jeden Mann im zeugungsfähigen Alter einer eingehenden Prüfung unterziehen. Wenn sie dann irgendwann jemanden kennen gelernt haben, der auch nur halbwegs so wirkt, als seien seine Spermien beweglich und sein Bankkonto dick genug, um eine Familie gründen und ernähren zu können, schmeißen sie sich ihm an den Hals und schalten auf „Empfängnis“. Dann wird gebaut, und fünf bis zehn Jahre später steht das Haus zum Verkauf, weil alles doch ganz anders ist, als es an der Bushaltestelle ausgesehen hat. Charlotte – gaaanz ruhig. Alles wird gut. Dir passiert so was nicht. (HM: 27)

Obwohl also auch Charlotte Angst hat, am Ende als Single dazustehen, möchte sie bei der Partnerwahl einen Schnellschuss vermeiden und sich nicht für den falschen Mann entscheiden – was natürlich in einer Diskrepanz endet, da der ‚Richtige‘ nicht in Sichtweite zu sein scheint, aber vor dem Hintergrund der biologischen Uhr die Zeit der Partnersuche langsam abläuft. An dieser und ähnlichen Stellen wird der ge-

171 Hummel, Kathrin: Hausmann gesucht. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005.

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sellschaftliche Druck deutlich, den weibliche Singles in den Singleromanen verspüren. Bei der Untersuchung der Männerromane zeigt sich ein ähnliches Bild der Altersstrukturen: Der Protagonist in dem Männerroman Vollidiot steht kurz vor seinem 30. Geburtstag und erleidet eine Findungskrise, die sich in einer depressiven Phase manifestiert, in der er nicht mehr seine Wohnung verlässt und soziale Kontakte unterlässt (vgl. VI: 247). Der Roman endet mit einer Feier an seinem 30. Geburtstag und einer darauffolgenden symbolischen Verbrennung eines SingleSessels, den er zu Beginn des Romans im Geschäft Ikea erstanden hat.172 Zu Beginn des Romans Toreros sind so von Eichhammer erfährt man, dass der Protagonist auf seinem Nachttisch eine Karte platziert hat, auf der ihm „zum dreißigsten Geburtstag gratuliert“ (TS: 10) wird. In Resteklicken von Meschner ist der Protagonist 30 Jahre alt und Langzeitstudent (vgl. RK: 36). Mit Abstand der älteste Protagonist in Männerromanen ist wohl mit 39 Jahren der Protagonist in Mein Jahr als Single (vgl. MJ: 18), womit auch hier kein Single in den Romanen 40 Jahre oder älter ist. In Kaltduscher von Sachau wird der Protagonist „in ein paar Tagen 24“ (KD: 7) und ist damit etwas jünger als der durchschnittliche Protagonist im Männerroman. Auch hier steht damit übrigens wieder ein Geburtstag im Roman an. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Protagonistinnen und Protagonisten in den Genderromanen entweder in ein Alter kommen oder bereits in einem Alter sind, in dem das Singlesein von ihnen und/oder ihrem Umfeld nicht mehr bedingungslos akzeptiert wird. Bei den Frauen im Frauenroman kommt noch eine weitere Komponente hinzu: Die Gründung einer Familie ist für sie aus biologischer Sicht weitaus mehr an Altersgrenzen gebunden als bei Männern. In jedem der erwähnten Genderromane besteht der Haupterzählstrang daher aus der Schilderung des Kampfes gegen das Singledasein. Umfragen, die in der Realität gemacht wurden, bestätigen das Bild, das sich in den Romanen zeigt: „Insgesamt möchte eine große Mehrheit der Singles (88%) sich verlieben, sie schließen in ihrer Lebensplanung eine erneute Partnerbindung dezidiert nicht aus, da sie an dem Ideal von Liebe und Zweisamkeit festhalten.“ Damit sind Singles „eine sehr bindungswillige Gruppe“ und es konnte nicht festgestellt werden, „dass Singles ihr unabhängiges, freies Leben nur ungern aufgeben wollen“.173 Als Urtext der Singleromane sieht Claus in ihrer Untersuchung Kein Leben zu zweit den britischen Roman Bridget Jones’s Diary174 von Helen Fielding an. Der

172 Mehr zum Ikea-Diskurs ist im Kapitel „Poproman“ dieser Arbeit zu lesen. 173 Monyk, Elisabeth: Lieber alleine oder zu zweit? Die individualistische Lebensweise von Singles und kinderlosen Paaren. Wien: Lit 2007 (=Sozialanthropologie des städtischen Lebens 2), S. 145. 174 Fielding: Bridget Jones’s Diary.

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Roman stellt eine Adaption von Jane Austens Roman Pride and Prejudice175 aus dem Jahr 1813 dar, was nach Meinung von Claus dazu führt, dass Fielding nicht nur auf einen anachronistischen Text zurückgreift, sondern auch auf konservative Lösungsmodelle wie das der Ehe am Ende des Romans.176 Da sich die sozioökonomischen Gegebenheiten knapp zweihundert Jahre nach dem Erscheinen von Austens Roman geändert haben, fehle Fieldings Roman eine glaubwürdige Legitimation für die scheinbare Unmöglichkeit des Zusammenseins der beiden Liebenden. Die Ersatzparameter, die bei Fielding angeboten werden (zumeist optische Makel und Tollpatschigkeit), würden den Roman zu einer Trivialisierung von Austens Roman werden lassen. Gleichzeitig würde der Roman aber auch eine getreue Abbildung des weiblichen Singles in der gegenwärtigen Gesellschaft zeigen, was man ihm wiederum zu Gute halten kann.177 Die Parameter der optischen Makel und der Tolpatschigkeit sind nicht nur Merkmale von Fieldings Roman, sondern sind auch in Chick Lit und im Männerroman zu finden. Durch die vorgestellten Makel sind die Protagonistinnen nicht mehr die Superweiber der früheren Frauenroman-Generation à la Hera Lind, sondern stellen sich eher als die junge Frau von nebenan dar. Auch die männlichen Protagonisten im Männerroman haben wenig gemein mit Idolen wie Brad Pitt oder George Clooney, sondern verkörpern eher den Durchschnittstypen. In Kein Leben zu zweit argumentiert Claus, dass jungen Frauen heute Rollenvorbilder und Orientierungshilfen fehlen und sie sich daher in konservative Muster flüchten würden.178 Tatsächlich fehlt es heute zwar weder Frauen noch Männern an Rollenvorbildern, denn statt eines Unterangebots gibt es vielmehr ein über die Medien verbreitetes Überangebot, doch dieses führt nicht zur Orientierung, sondern ganz im Gegenteil zur Orientierungslosigkeit junger Menschen. Erklärt werden kann dies unter anderem mit der Theorie der Quarterlife-Krise.179

175 Austen, Jane: Pride and Prejudice. Oxford: Oxford University 1980 (=Oxford Classics). 176 Vgl.: Claus: Kein Leben zu zweit, S. 86–87. 177 Vgl.: ebd., S. 94–95. 178 Vgl.: ebd., S. 95. 179 Der Begriff der Quarterlife-Crisis ist offensichtlich an den Begriff der Midlife-Crisis angelehnt. In der Midlife-Crisis sehen Betroffene ihr Leben in einer Stagnation und wünschen sich Ablenkung von ihrem Alltag. In der Quarterlife-Crisis hingegen leiden die Betroffenen an einem Zuviel der Möglichkeiten. (Vgl.: Robbins, Alexandra u. Abby Wilner: Quarterlife crisis. Die Sinnkrise der Mittzwanziger. Berlin: Ullstein 2003, S. 15.) Sie leiden unter dem Druck, dass Entscheidungen, die sie in dieser Lebensphase treffen, den Verlauf ihres weiteren Lebens bedeutend beeinflussen können. (Vgl.: ebd., S. 22.) Die Quarterlife-Crisis ist somit in erster Linie eine Identitätskrise, bei der die

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Wer sich in der Quarterlife-Phase befindet, muss zahlreiche lebensleitende Entscheidungen treffen: Welchen Beruf soll ich ergreifen? Welchen Partner möchte ich heiraten? Möchte ich Kinder haben? Wer will ich eigentlich sein? Wem diese Entscheidungen nicht so leicht von der Hand gehen, wer nicht die Möglichkeiten schätzt, die einem in dieser Lebensphase gegeben werden, sondern vielmehr die Qual der Wahl verspürt, der befindet sich in einer Quarterlife-Krise. Dabei kann einen nicht nur die Frage nach dem, was man möchte, in eine Krise führen, sondern auch die Frage danach, wer man eigentlich ist. Im Prinzip sind diese beiden Fragen immer eng miteinander verknüpft. Dabei scheint die Quarterlife-Krise ein neues Phänomen zu sein, wie auch von Kürthy in Höhenrausch feststellt: Mein Vater hat sich nicht gefragt, ob er mit achtunddreißig schon bereit sei, Verantwortung für eine Familie zu übernehmen, oder welche Turnschuhmarke zurzeit modern ist. Mein Vater hatte da schon zwei Kinder, den Beruf, den er bis zur Rente behalten würde, und trug die Turnschuhe, die ihm meine Mutter kaufte. (HR: 34)

Doch die Welt hat sich schnell gedreht und von der Generation ihres Vaters bis zur Generation der Protagonistin hat sich viel getan: „Es gibt ihn nicht mehr: den Beruf fürs Leben, den Mann fürs Leben, den Freund fürs Leben. Nicht einmal mehr Jeans kann man länger als eine Saison tragen“ (HR: 35). So ist zum Beispiel Hanna in Lügen, die von Herzen kommen zu Beginn des Romans mit ihrem Leben völlig in Einklang – auch wenn ihr bewusst ist, dass sie sich so nicht den Rest ihres Lebens vorstellt: „Natürlich wollte ich nicht für immer dort wohnen bleiben, ebenso wenig wie ich für immer Single oder für immer bei ANNIKA bleiben wollte, aber zu diesem Zeitpunkt meines Lebens war ich damit völlig zufrieden“ (LH: 25). Anscheinend kommt es ihr nur darauf an, im Moment glücklich zu sein. Den Beruf als Kolumnistin bei der Zeitschrift ANNIKA180 behält

Betroffenen nicht nur an ihren Entscheidungen und ihren Fähigkeiten zweifeln, sondern auch an sich selbst. (Vgl.: ebd., S. 24.) 180 Auffällig ist, dass nicht nur die Frauenzeitschrift in Giers Roman Lügen, die von Herzen kommen ANNIKA heißt, sondern auch im einen Jahr später erschienenen Roman Hausmann gesucht von Hummel (vgl. HM: 14-15). Der intertextuelle Bezug ist kaum zu leugnen. Im Bertelsmann-Lexikon der Vornamen wird Annika als schwedische Variante des Namens Anna aufgeführt. (Vgl.: Varnhorn, Beate: Das große Lexikon der Vornamen. Gütersloh: Wissen Media 2008, S. 19.) Seit den 1970er Jahren kommt der Name häufiger in Deutschland vor und gehörte dort in den 1990er Jahren zu den beliebtesten Vornamen. Dieser Trend ist inzwischen jedoch wieder rückläufig. (N.N.: Annika. http://www.beliebte-vornamen.de/4557-annika.htm (21.8.2014).) Dass der Name zwischenzeitlich so populär war, könnte mit den Pippi Langstrumpf-Verfilmungen zusam-

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Hanna dann tatsächlich den ganzen Roman über und ist weitestgehend mit ihrer Arbeit zufrieden. Auch bleibt sie im gleichen Haus wohnen. Doch Single möchte sie relativ schnell nicht mehr sein, sie gerät in eine Krise und die Handlung wird so ins Rollen gebracht. Auf dem Buchrücken des Männerromans Toreros sind so wird der Protagonist wie folgt vorgestellt: „Martin ist in der Quarterlife-Crisis.“ Schon früher wurde Martin von Freunden vor der Krise gewarnt (vgl. TS: 41). Da Martin zu dieser Zeit jedoch mit dem Model Heike liiert war und erfolgreich als Journalist bei der Männerzeitschrift „For Men Magazine“ (TS: 7) arbeitete, nahm er die Warnung seiner Freunde nicht ernst. Als jedoch sein 31. Geburtstag ansteht, ist auch Martin von der Krise betroffen (vgl. TS: 41). Mittlerweile ist er Single und arbeitslos (vgl. TS: 8). Bis zu seinem Geburtstag möchte Martin auf jeden Fall wieder glücklich sein, weiß jedoch nicht so recht, wie er das bewerkstelligen soll. Immerhin ist ihm bewusst, dass er keinen Hund besitzen möchte, aber ob er Vater werden will, kann er nicht eindeutig entscheiden. Martin findet es erstrebenswert, Besitzer einer Garage zu sein, aber ob er ein Einfamilienhaus sein Eigen nennen möchte, kann er noch nicht beantworten (vgl. TS: 41). Er weiß auch nicht, welchen Beruf er ergreifen will, weil er überhaupt nicht weiß, wer er ist und was ihn interessiert (vgl. TS: 112). Es stellt sich dann jedoch im Verlauf des Romans heraus, dass Martin Musikjournalist sein möchte, und prompt bekommt er eine Anstellung in einem Musikjournal angeboten. Natürlich ist Martin am Ende des Romans auch nicht mehr Single: Er beginnt eine Beziehung mit Mia (vgl. TS: 223).

menhängen, da Pippis beste Freundin bekanntlich auch Annika heißt. (Vgl.: Siedenberg, Sven: Lost in Laberland. Neuer Unsinn in der deutschen Sprache. München: Beck 2010 (=Beck'sche Reihe 1969), S. 90.) Damit verweist der Name Annika indirekt auf „Pipi Langstrumpf, dem ersten freien Mädchen in der Literatur, von dem sich allerdings niemand vorstellen kann, daß es sich verliebt und damit in Abhängigkeit gerät.“ (MayrKleffel, Verena: Mädchenbücher: Leitbilder für Weiblichkeit. Opladen: Leske + Budrich 1984 (=Alltag und Biografie von Mädchen 6), S. 11.) Doch Pipi und Annika sind zwei verschiedene Figuren und die Zeitschriften in den beiden Frauenromanen sind eben nicht nach Pipi Langstrumpf benannt, sondern nach ihrer Freundin Annika. „Pippi Langstrumpf ist […] keine Figur, die Mädchen/Frauen wirklich anspricht: Wer so albern angezogen und draußen auf Krawall gebürstet ist, mag vielleicht als Freundin okay sein, denn sie verspricht schließlich viel Abenteuer und Action. Aber dennoch: Kein Mädchen will wirklich so sein wie sie. Traurig, aber wahr: Die große Mehrheit gerade der jüngeren Mädchen identifiziert sich eher mit der langweilig-ängstlichen Annika.“ (Vgl.: Dammler, Axel: Rosa Ritter & schwarze Prinzessinnen. Was wirklich „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ ist. Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 2011, S. 49.)

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In dem Männerroman Solo für Anna hat der Protagonist Frank das Gefühl, dass nicht nur jeder außer ihm genau weiß, was er will, sondern dies auch schon erreicht hat: „Es ist ja überhaupt jeder verheiratet außer mir, hat Haus, Kinder, einen gut bezahlten Job und auch sonst alles erreicht im Leben“ (SF: 13). Ganz anders sieht Franks Leben aus: Er hat keine Freundin und verliert zu Beginn des Romans seine Anstellung in einer Tankstelle. Wie seine Zukunft aussehen soll, kann er nicht sagen. Früher, als Kind, hatte er noch so einige konkrete Wünsche: Er wollte Cowboy sein, eine Playmobil-Frau heiraten und dann doch lieber James Bond sein. Als Kind schienen ihm Lebensentscheidungen noch sehr einfach zu sein, doch nun hat er nicht einmal mehr Ziele (vgl. SF: 13). Nur Single sein, das möchte auch Frank natürlich definitiv nicht und versucht daher erfolgreich seine Jugendliebe Anna für sich zurückzugewinnen. Ganz nebenbei wird Frank dann auch noch ein erfolgreicher Musiker. In der Quarterlife-Phase stehen zahlreiche Entscheidungen im Privat- und im Berufsleben an. Gleichzeitig führen die Medien vor Augen, dass das, was gestern noch eine richtige Entscheidung war, heute vielleicht schon gar nicht mehr gilt: Wir sind verdammt dazu, neugierig und jung zu bleiben, immer aufgeschlossen für Neues, für Veränderungen, für Entwicklungen. Ist ja auch gut und richtig und bewahrt vor dem Gelangweiltsein und vorm Langweiligwerden. Aber sei mal gleichzeitig offen für alles Neue und trotzdem zufrieden mit dem, was du hast. Nicht so leicht. (HR: 36)

Da scheint die Krise der Protagonistin in dem Frauenroman Höhenrausch, von der diese Worte stammen, schon vorprogrammiert zu sein. Vor allem dann, wenn man bedenkt: „Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht wahrscheinlich auch mal was, was ihm besser gefällt als das, was er hat“ (HR: 36). Es scheint heute essentiell zu sein, den perfekten Partner für sich zu finden. Doch wo könnte man diesen treffen? Da es immer mehr Singles gibt, hat sich geradezu ein Markt auf diesem Gebiet entwickelt: Es gibt Single-Börsen im Internet, man kann Annoncen in der Zeitung unter Single-Rubriken aufgeben oder auf diese antworten, es werden Speed-Datings organisiert und man kann sogar Single-Urlaube buchen. Dadurch wird nicht nur ein großes Angebot an Singles offeriert, sondern als Single-Bewerber hat man ständig auch Single-Mitbewerber, die ebenfalls auf der Suche nach dem richtigen Partner sind. Somit ist der Single-Markt immer auch stark von Konkurrenz und dem dazugehörigen Druck geprägt. Für die Figuren in den Singleromanen gilt es, sich auf diesem Markt durchzusetzen. In Höhenrausch überredet der schwule beste Freund der Protagonistin sie zu einem gemeinsamen Single-Club-Urlaub in der Türkei. Der erste Mann, mit dem die Protagonistin dort in Kontakt kommt, stellt sich jedoch als Journalist heraus, der gar kein Interesse an einer Partnerschaft hat, sondern lediglich einen Artikel über Sin-

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gle-Clubs verfassen möchte (vgl. HR: 63). Der zweite Mann ist ein älterer Herr, mit dem sich die Protagonistin lediglich unterhalten möchte, während er gerne mit ihr sexuell aktiv werden möchte (vgl. HR: 74). Auf der Suche nach einem neuen Partner hat sich der Single-Urlaub in jedem Fall als nicht erfolgreich herausgestellt. Ähnliches erlebt Simon in Vollidiot. Er fährt auf Empfehlung seines Freundes Phil in einen Single-Club und bleibt ebenfalls partnerlos, wobei ihm eigentlich auch schon ein sexuelles Abenteuer genügen würde, das allerdings ausbleibt (vgl. VI: 45). An dieser Stelle ergänzen sich die beiden Romane damit sehr auffällig: Während die Protagonistin in dem Frauenroman klagt „Männer suchen hier Sex, während Frauen, wie immer eigentlich, Liebe suchen.“ (HR: 65), beschwert sich der Protagonist im Männerroman darüber, dass er im Urlaub nicht einmal „einen einzigen Pikser gemacht“ (VI: 45) hat, also kein einziges Mal Sex hatte. Auch ein Treffen mit der Animateurin Aneta, die, wie sich im Nachhinein herausstellt, bereits vergeben ist, bleibt für Simon erfolglos (vgl.: VI: 62). Treffend für den Frauen- wie auch für den Männerroman kommt Simon zu dem Schluss, dass ein „Single-Club […] nur deswegen so heißt, weil man garantiert als Single wieder nach Hause fährt“ (VI: 48). Bei der Suche nach einem neuen Partner, oder auch nur nach einem sexuellen Abenteuer, wird der Single-Club ergo in den Romanen mit keinen Erfolgsaussichten verbunden. Als nicht zielführend stellt sich auch ein Speed-Dating heraus, bei dem der Protagonist Robert in Weichei mitmacht. Zwar ist hier durchaus auch eine potentielle Traumfrau namens Kerstin mit von der Partie, jedoch entscheidet sich Robert aus Unwissenheit für einen Transvestiten und verwirkt so die Chance auf ein Date mit der potentiellen Traumfrau (vgl. WE: 102-103). Die Situation beim Speed-Dating beschreibt Robert wie folgt: „Sieben Malaria-Single-Männer an sieben kleinen Tischen gegenüber von sieben Lepra-Single-Frauen, und wir warten auf den Startschuss, um in einem Sieben-Minuten-Rhythmus uns gegenseitig unser Leid zu klagen“ (WE: 94). Für ihn ist das Singledasein wie eine Krankheit, so dass er sich und die anderen Singles beim Speed-Dating auch als „Aussätzige unserer Gesellschaft“ beschreibt, als „die Versager“, die beim Speed-Dating zu einer Art „Selbsthilfegruppe“ (WE: 94) zusammenkommen. Auch in dem Frauenroman Lügen, die von Herzen kommen wird das Leben als Single von einer Freundin der Protagonistin mit einer Krankheit verglichen: „‚Ab einem bestimmten Alter ist das Singledasein wie eine Krankheit […]. Du kannst zwar alt damit werden, aber die Schmerzen werden immer schlimmer, und du weißt genau, wenn du nichts dagegen tust, wirst du daran sterben. Einsam und allein“ (LH: 36). Allerdings bewertet die Protagonistin diesen Vergleich als „haarsträubende[n] Unsinn“ (LH: 36).

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Auch Zeitungsannoncen181 werden in Frauen- sowie Männerromanen zu Hilfe genommen, um einen Partner zu finden. So gibt in Hausmann gesucht die Mitbewohnerin der Protagonistin namens Anna eine Kontaktanzeige auf, mit der sie nicht nur einen Zwischenmieter für ihr Zimmer in der Zweier-Wohngemeinschaft zu finden beabsichtigt, während sie verreist ist, sondern auch einen passenden Mann für ihre Mitbewohnerin. Da die Zeitung, für die die Protagonistin arbeitet, einen Artikel über Hausmänner plant, hat Anna in der Annonce passenderweise nach einem Hausmann als Mitbewohner für ihre im Haushalt ungeschickte Freundin gesucht (vgl. HM: 25). Der Mann, der schließlich der neue Mitbewohner der Protagonistin wird, wird dann auch der neue Partner der Protagonistin (vgl HM: 218). Selbst hätte sie jedoch niemals eine Kontaktanzeige aufgegeben, um jemanden kennen zu lernen (vgl. HM: 29, 136-137). Als in Für jede Lösung ein Problem die Mutter der Protagonistin Gerri herausbekommt, dass diese schon einmal auf eine Kontaktanzeige geantwortet hat, ist sie entsetzt: „‚Das hätte ich nie gedacht, dass es eine meiner Töchter einmal nötig haben würde, auf eine Kontaktanzeige zu antworten. Aber du warst ja schon immer mein Sorgenkind“ (LH: 20). Da die Protagonistin zu diesem Zeitpunkt Single ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese Kontaktanzeige nicht von Erfolg gekrönt war. Auf eine Kontaktanzeige einer ganz anderen Art antwortet Robert in Weichei. In diesem Roman ist die Kontaktanzeige aus dem Internet182 sogar abgedruckt:

181 Die Kontaktanzeige ist eine „vergleichsweise traditionelle Methode einer mediatisierten und vermarktlichten Partnersuche“ in Printmedien. „Typischerweise präsentieren Inserenten in Kontaktanzeigen eigene, persönliche Eigenschaften und explizieren Merkmale, die sie an einem potentiellen Partner suchen.“ (Vgl.: Skopek, Jan: Partnerwahl im Internet. Eine quantitative Analyse von Strukturen und Prozessen der OnlinePartnersuche. Wiesbaden, Bamberg: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden 2012, S. 20.) Es ist daher auffällig, dass in den ansonsten sehr auf aktuelle Entwicklungen in der Gesellschaft reagierenden Romanen diese traditionelle Methode der Partnersuche gewählt wird. Da jedoch auch die Geschlechterstereotype weitestgehend traditionell dargestellt werden, liegt die Wahl einer traditionellen Partnersuche nahe. Außerdem ist die Partnersuche in den untersuchten Romanen über Kontaktanzeigen in Printmedien auch insgesamt betrachtet deutlich geringer vertreten als die moderne Suche im Internet. 182 Im Gegensatz zu den Kontaktanzeigen in den zuvor erwähnten Frauenromanen, handelt es sich in dem Männerroman um ein im Internet aufgegebenes Inserat. Singlebörsen im Internet sind „spezifische, digitale Intermediäre der Partnersuche“, die es bereits seit 1994 in deutscher Sprache gibt. (Ebd., S. 30.) Eine Alternative zu den Singlebörsen als eine der bekanntesten Varianten der Partnersuche im Internet ist die Online-

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Hallo, ich bin Natascha, eine 19-jährige Lolita, die mal wieder das Besondere erleben möchte. Ich bin naturgeil, und meine Vorlieben neben normalem Sex sind: FO, SM, NS, ZA passiv & aktiv sowie SpZk. Aber dieses Wochenende möchte ich wieder mal eine geile GB erleben. Wenn du Lust und Interesse hast, mail mich einfach an. Deine geile Natascha (WE: 26)

Nach einer längeren Überlegung, wofür die Abkürzungen stehen könnten, kommt Robert zu dem Schluss, dass er auf diese Kontaktanzeige unter der Rubrik „Sie sucht ihn“ (WE: 26) antworten möchte. Als Reaktion bekommt er folgende Nachricht: „Für Natascha ist eine Flasche Sekt sowie hundert Euro Taschengeld mitzubringen. Ein Freund namens ‚Patrick‘ wird mich in Empfang nehmen“ (WE: 40). Bis dato scheint Robert noch davon ausgegangen zu sein, dass es sich bei der Anzeige nicht um Werbung für eine Prostituierte handelt, sondern um eine ganz normale Kontaktanzeige, denn er erklärt: „Das zerstört zwar meine Fantasie, nach einer romantischen Nacht mit Natascha zu frühstücken und im Anschluss zusammen mit ihr einen Liebesurlaub auf Rhodos anzutreten. Aber gut“ (WE: 40). Durch die Naivität, mit der Robert an die für den Leser offensichtlich unseriöse Anzeige herangegangen ist, kann ihm leicht verziehen werden, dass er einen derartigen Schritt unternimmt. Spätestens als sich dann auch noch herausstellt, dass Robert sich nicht darüber im Klaren war, dass ihn bei Natascha Gruppensex erwartet und er unvollbrachter Dinge die Lokalität sofort wieder verlässt (vgl. WE: 54), ist die Sympathie mit der Figur Robert beim durchschnittlichen Leser wieder gänzlich hergestellt. Eine andere Suche nach dem passenden Partner im Internet wird im Frauenroman Lügen, die von Herzen kommen dargestellt: Da Hanna für die Zeitung, bei der sie arbeitet, etwas zum Thema „Liebe auf den ersten Klick“ (LH: 10) schreiben soll, meldet sie sich in einem Chat an und macht dort im anonymen Raum falsche Anga-

Partnervermittlung. „Während bei Singlebörsen die Suche nach Kontaktpartnern durch Filterung der Kontaktanzeigendatenbanken sowie Kontaktanbahnung im Grunde dem Nutzer selbst überlassen wird, ist die Idee der Online-Partnervermittlung […], dem Nutzer eine Vorauswahl ‚passender‘ Partnervorschläge zu präsentieren und ihn unmittelbar bei der Kontaktanbahnung zu unterstützen.“ (Ebd., S. 32.) Damit ist der Suchende bei der Online-Partnervermittlung tendenziell passiver. Da außerdem bei der OnlinePartnervermittlung detailliertere Informationen und Angaben von beiden Seiten gefordert werden, ist die Trefferquote bei der Suche über Online-Partnervermittlungen sehr wahrscheinlich höher, weil die Suche kalkulierter ist als in Singlebörsen. Diese stärker kalkulierte Suche widerspricht dem Zufallsprinzip, das oft in Liebesromanen dominiert, so dass sie wahrscheinlich deswegen in dem auf Liebe fokussierten Singleroman nicht als Narrativ präferiert wird.

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ben zu ihrer Person. Im Chat lernt sie Boris kennen (vgl. LH: 18), der im realen Leben ihr neuer Chef bei der Zeitung ist und mit dem sie am Ende des Romans eine Partnerschaft eingeht. In dem Männerroman Weichei und in dem Frauenroman Lügen, die von Herzen kommen werden damit zwei typische Arten des „moralischen Missbrauchs“ bei der Partnersuche im Internet vorgeführt: „Es besteht die Möglichkeit, dass man Täuschungen wie gefälschten Profilen (sogenannte ‚Fakes‘)“ und „Betrugsversuchen von ‚Lockvögeln‘ (für anderweitige kostenpflichtige Angebote oder sogar Prostitution) anheimfallen […] kann“183. Damit werden in den Romanen nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken der Partnersuche im Internet vorgeführt, was den Texten nicht nur Möglichkeiten für humorvolle Verwechslungen und damit eine narrative Ausweitung bietet, sondern außerdem auch schlicht einen Wiedererkennungs- oder zumindest einen Realitäts-Effekt zur Folge haben kann. Interessanterweise werden die moralischen Missbräuche im Internet aus beiden Perspektiven geschildert: Während Robert in Weichei das Opfer eines Lockvogels ist, erstellt Hanna in Lügen, die von Herzen kommen, ein Fake-Profil. Letztendlich erscheint aber auch die Täterin Hanna als Opfer, da sie sich durch ihre falschen Angaben die Chance auf ein Treffen mit ihrem potentiellen Traumpartner Boris verbaut. Damit werden die Figuren durch die moralischen Missbräuche noch mehr in ihrer Rolle als Single-Versager gestärkt. Ähnlich wie in Hausmann gesucht ist auch in Lügen, die von Herzen kommen die Motivation, warum sich die Frauen derart offensiv auf dem Single-Markt bewegen, keine innere, sondern eine äußere. Im Prinzip geht die Motivation in beiden Fällen auf einen Schreibauftrag bei der Arbeit zurück. Die externe Motivation dient als Legitimation dafür, warum die beiden Frauen auf diese Instrumentarien der Partnersuche zurückgreifen. Aus freien Stücken hätten beide diese Schritte in Richtung Partnersuche nicht unternommen. Ganz anders Robert in dem Männeroman Weichei: Er ist aus eigenem Antrieb nicht nur zu dem Speed-Dating gegangen, sondern hat sich auch absolut freiwillig im Internet nach Kontaktanzeigen umgesehen und auf eine geantwortet. Zu unterscheiden sind auch die Anstöße zum SingleUrlaub: Im Frauenroman muss die Protagonistin von ihrem besten Freund zu dem Trip überredet werden, während der Protagonist im Männerroman auf Empfehlung eines Freundes allein die Reise antritt. Es bleibt also festzuhalten, dass die weiblichen Protagonistinnen in den Frauenromanen offensichtliche Single-Angebote wie Kontaktanzeigen oder Single-Urlaube eher widerwillig in Anspruch nehmen. Als einzige Ausnahme ist hier die Protagonistin in Für jede Lösung ein Problem zu nennen, deren Mutter mit der Idee, dass ihre Tochter auf eine Kontaktanzeige geantwortet hat, nicht zufrieden ist. Im Männeroman hingegen scheint es eher die Re-

183 Ebd., S. 80.

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gel zu sein, dass sich die männlichen Protagonisten aktiv um Möglichkeiten bemühen, ihrem Single-Dasein ein Ende zu setzen. Damit wären in den beiden Romanarten Geschlechterstereotype bestätigt: Während Frauen bei der Partnersuche lieber passiv bleiben, werden Männer gerne aktiv.184 Wir leben heute in einer Leistungsgesellschaft. „Das Leistungsprinzip ist ein spezifisch neuzeitliches gesellschaftliches Ordnungsprinzip.“185 Es „entsteht als Folge aufgeklärter Individualisierung der Interessen. Es vertritt den Grundsatz, daß jeder für sein Leben und seinen Erfolg selbst verantwortlich ist.“186 Dabei erscheint die Auswahl an Möglichkeiten, erfolgreich zu sein, grenzenlos. Eigentlich muss man sich nur entscheiden. Doch gerade in der Entscheidung liegt das Problem der Betroffenen der Quarterlife-Krise. Oft können sich dementsprechend die Protagonistinnen und Protagonisten der Genderromane nicht nur nicht für einen Partner entscheiden, sie sind zusätzlich auf der Suche nach einem passenden Job und wissen noch nicht so recht, wer sie eigentlich sind. So lernt zum Beispiel Robert in Weichei Jana kennen. Nachdem sie sich vorgestellt hat, ist nun Robert an der Reihe, sich vorzustellen. Und ich? Wer bin ich? Und noch viel wichtiger. Was bin ich? Ja was eigentlich? (WE: 135)

Dass jeder einzelnen Frage hier gleich eine ganze Zeile zugesprochen wurde, verdeutlicht nur noch mehr die Wichtigkeit dieser Fragen. Zumindest ‚was‘ Robert ist, also seinen Beruf, könnte er Jana nennen. Doch mit der Wahrheit ist er nicht zufrieden: „Ich kann so einer Frau doch nicht sagen, dass ich eine immer noch andauernde Studienpause genommen habe und als Teilzeitkraft an der Tankstelle jobbe“ (WE: 135). Stattdessen überlegt er sich eine neue Identität, die seiner Ansicht nach Janas Erwartungen entspricht. Er behauptet, dass er Pilot sei, weil er denkt, dass Frauen diese anziehend finden (vgl. WE: 135). Zumindest fand seine Ex-Freundin einen Piloten anziehend, denn mit einem Piloten hat sie ihn betrogen (vgl. WE: 10).

184 Vgl.: Köhle-Hezinger, Christel: Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur; 31. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde, Marburg 1997. Münster: Waxmann 1999, S. XI. 185 Honecker, Martin: Grundriss der Sozialethik. Berlin, New York: W. de Gruyter 1995 (=De Gruyter Lehrbuch), S. 496. 186 Ebd.

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Um die Lüge aufrecht zu halten, besorgt sich Robert eine Uniform, lässt sich von Jana am Flughafen abholen und organisiert, dass Jana von ihm geschriebene Postkarten aus dem Ausland zukommen. Am Ende des Romans soll Jana Robert dann so lieben, wie er wirklich ist – und weil Jana schon vor der ersten Begegnung Roberts wahre Identität kannte, macht sie dies dann auch (vgl. WE: 247). Unrealistischer hätte man eine Liebesgeschichte wohl kaum stricken können und doch weist sie auf ein realistisches Problem hin: Die Angst, dem potentiellen Partner nicht zu genügen. Ein ähnliches Problem hat Hanna in Giers Frauenroman Lügen, die von Herzen kommen. Hanna hat sich zwecks einer Recherche in einem Chat angemeldet, um einen Mann kennenzulernen. Für den Chat hat sie sich extra eine neue Identität zugelegt, um ihr Ideal vom Ich einmal ausleben zu können: Fairy33a, das war ich. Das heißt, das war mein berufliches Inkognito. Daher löschte ich alle bisherigen Angaben zu meiner Person und fing noch mal von vorne an. Fairy33a war keine Journalistin, sondern, hm, sagen wir mal, Musikerin, Cellistin in einem Orchester. Und sie war auch nicht rothaarig, sondern blond, wie sich das für Feen gehört. Und ihre Augen waren blau. Und natürlich war sie größer als ich, schätzungsweise 1 Meter 72. Und was das Gewicht anging: Bei dieser Größe kam Fairy33a auf elfenhafte 55 Kilogramm. (LH: 10)

Im Chat lernt Hanna dann ihren potentiellen Traummann Boris kennen, den sie nun aber nicht in der Realität kennenlernen möchte, da sie schließlich gar nicht so aussieht, wie sie sich beschrieben hat. Im Gespräch mit ihrer Freundin kommen die beiden Frauen dann zu dem Schluss, dass es für Hanna nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder sie vergisst Boris oder sie nimmt ab (vgl. LH: 117). Dass Hanna nicht nur bei ihrem Gewicht, sondern auch bei ihrem Beruf, ihrer Augen- und Haarfarbe sowie ihrer Größe gemogelt hat, scheint an dieser Stelle kein Problem zu sein. Lediglich das Gewicht hält Hanna in der Logik des Romans davon ab, eine perfekte Traumfrau zu sein. Wäre sie schlank, wäre sie attraktiv. Dieser Zusammenhang ist anscheinend auch für viele Frauen in der Realität gegeben: „Für viele Frauen ist ihr Selbstbild nahezu völlig identisch mit ihrem Körperbild geworden. Wenn sie perfekt aussehen, sind sie perfekt.“187 So motiviert schmiedet Hanna in dem Roman Pläne zum Abnehmen, stellt ihre Ernährung um und geht joggen. Doch alle Bemühungen bleiben ohne Erfolg und Hanna gibt schließlich ihren Plan auf. Auch hier hat die Lüge jedoch keine Konsequenzen: Boris, der sich als Hannas neuer Chef herausstellt, findet ihre Figur natürlich so gut wie sie ist und die beiden werden ein

187 Bepko, Claudia u. Jo-Ann Krestan: Das Superfrauen-Syndrom. Vom weiblichen Zwang, es allen recht zu machen. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Wolfgang Krüger 1991, S. 28.

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Paar (LH: 282). Das Paradoxon beschreibt die Protagonistin in Hummels Hausmann gesucht wie folgt: „In diesem Stadium unserer Beziehung wollte ich kein unnötiges Risiko eingehen und jede Disharmonie vermeiden. Später werde ich selbstverständlich immer sagen, was ich denke und wie sich die Dinge tatsächlich zugetragen haben“ (HM: 35). In der Kennenlern-Phase bemühen sich folglich alle Protagonistinnen und Protagonisten darum, sich besonders gut darzustellen, ihre Mängel nicht erkennen zu lassen, und sie scheuen dabei auch nicht vor Lügengeschichten zurück. Obwohl die dargestellte Identität nichts mit der Realität zu tun hat, soll der angebetete Partner die betroffene Figur dann am Ende aber trotzdem so nehmen, wie sie wirklich ist.188 Da es sich dabei um sympathische Lügen handelt, nämlich um Lügen in Liebesdingen, wie auch der Romantitel Lügen, die von Herzen kommen suggeriert, steht in den Romanen einem Happy Ending dann tatsächlich nichts im Weg. Motiviert scheinen die Lügen dabei durch den großen Druck auf dem Singlemarkt zu sein: nicht nur um besser als man selbst ist zu sein, sondern auch um besser als die Konkurrenz zu sein, wird zu unlauteren Mitteln im Wettbewerb gegriffen. Ein weiterer Widerspruch in Genderromanen ist, dass der Single zu Beginn als Mängelwesen in der Krise dargestellt wird. Am Ende des Romans ist die Hauptfigur dann immer noch ein Mängelwesen – allerdings nun mit Partner. Die eigenen Mängel wurden nicht durch Anstrengungen überwunden und dennoch hat sich alles zum Guten gewendet. So ist Robert noch immer Langzeitstudent und arbeitet an einer Tankstelle, doch dank seiner neuen Partnerin ist dies nun kein Mangel mehr. Hanna hat noch die gleiche Figur wie zu Beginn des Romans, doch da ihren Traummann ihre Figur nicht stört, ist sie nun kein Makel mehr. Der Mensch als Mängelwesen existiert folglich in der Logik der Singleromane nur als Single. Tritt

188 In einer musikalischen Variation beschreibt Annett Louisan in dem Lied „Das große Erwachen“ (2005) dieses Paradox der suchenden Singles, so dass deutlich werden sollte, dass es sich hier nicht nur um ein rein literarisches Phänomen handelt: „Ich tat sehr viel Stoff in mein Dekolletee, / pflegte meine Haut und mein Renommee. / Ich hab mich benommen, so als hätte ich Stil, / noch ein Schlückchen Sekt, ach bitte nich’ so viel. / Ich hab mich bemalt, damit du mich siehst / Ich hab mich geaalt, wie ein kleines Biest / Ich war die blonde Elfe mit gesenktem Blick, / doch das war nur ein Trick, / damit ich dich krieg’. / (Refrain:) Und jetzt möchte ich, dass du mich liebst / ganz genauso wie ich wirklich bin / und mir all’ meine albernen Macken vergibst, / meine Fehler, jetzt verdammt, / nimm’ sie hin.“ (Louisan, Annett: Das große Erwachen. In: Unausgesprochen 2005)

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zum märchenhaften Schluss der Romane dann endlich ein Partner ins Leben des Singles, verschwinden sogleich wie von Zauberhand alle Mängel.189 Thematisiert wird dies in Anrufer unbekannt von Hummel. Hier führt die Protagonistin ein Gespräch mit ihrer Freundin Kiwi und kommt in Gedanken zu dem Schluss: „Hatte ich mir ja auch schon überlegt: dass ich immer neue Männer brauchte, um darüber hinwegzukommen, dass ich eigentlich allein war. Dass ich immer einen Kerl an meiner Seite brauchte, um irgendwie zurechtzukommen“ (AU: 187). Insgeheim hatte sich die Protagonistin von dem Gespräch erhofft, dass ihre Freundin ihr „spontan einen Mann aus dem Hut“ (AU: 188) zaubert, doch stattdessen rät sie ihr etwas ganz anderes: „‚Ich meine ja nur, dass du lernen solltest, dich auch ohne einen Mann an deiner Seite als liebenswerte, attraktive, intelligente, intellektuelle, interessante, aufregende und begehrenswerte Frau zu fühlen‘“ (AU: 188-189). Ernst genommen werden kann dieser Rat jedoch nicht. Zum einen offenbart Kiwi darauf, dass sie nun wieder liiert ist, zum anderen ist auch die Protagonistin selbstverständlich am Ende des Romans nicht mehr Single. Es scheint also die Idee zu geben, dass man alleine glücklich sein könnte, doch auch in den neueren Romanen nach Lind und Heller scheint das Singlesein nicht auf Dauer gewollt zu sein. Die Idee, dass man um seiner selbst willen von anderen geliebt werden könnte, dass man sich um seiner selbst willen selbst lieben könnte, wird damit in den Singleromanen unterm Strich konsequent negiert. Die Gesellschaft ist noch immer eine paarzentrierte, was auch in den untersuchten Romanen deutlich wird. „Das Leben ist nicht fair. Und zu hungrigen Singles schon gleich dreimal nicht. Was kann ich dafür, dass ich alleine lebe und keinen Partner habe, der für die fehlenden 8 Euro 50 die Ente süß-sauer in sich reinschaufelt?“ (WP: 112). Alleine kann die Protagonistin nicht so viel Essen verschlingen, dass sie den Lieferservice in Anspruch nehmen könnte. Der Lieferservice ist eine Erfindung, die sich nur bei Paaren oder Gruppen ökonomisch rechnet. Außerdem würde niemand „ohne einen Partner mit einer venezianischen Gondel“ fahren, sich „alleine ein Käsefondue“ machen oder alleine „den Sonnenuntergang am Strand“ (AU: 190) ansehen. Alle diese Aktivitäten, die in unserer Gesellschaft für Lebensgenuss stehen, werden symptomatisch nicht alleine unternommen. Auch in der Werbung lässt sich das paarzentrierte Denken widerfinden. Robert wird in Weichei darauf aufmerksam, als er durch die TV-Sender zappt:

189 Damit ist in diesem Punkt ein weiterer Unterschied der neueren Frauenromane des Typs Chick Lit gegenüber Frauenromanen aus den 1970er Jahren festzustellen: Während die Frauen in den älteren Romanen ihren Mann verließen, um ihre Identität leben zu können, liieren sich die Frauen in der Chick Lit, um dasselbe Ziel zu erreichen. (Vgl.: Claus: Kein Leben zu zweit, S. 125.)

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Gerade wuchtet sich Herr Kerner nach dem morgendlichen Frühstückswursteinkauf beschwingt über den Gartenzaun, um seiner Familie beste Geflügelwurst aufs Brot zu legen. War es vor einigen Jahren noch das Mammut, das man erlegte, um die Sippe in der Höhle ernähren zu können, ist es nun fettarme Geflügelmortadella, die die Familie gnädig und glücklich stimmt. Und da ich weder Familie noch Gartenzaun besitze, bin ich demzufolge auch kein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft. (WE: 20)

Da überall suggeriert wird, dass man einen Partner braucht, dass man eine Familie gründen soll, empfinden die Singles in den Romanen schnell Minderwertigkeitsgefühle. Der Single Robert in Weichei beschreibt zum Beispiel seine Emotionen wie folgt: „Ich fühle mich wie ein Schoko-Adventskalender am 25. Dezember. Leer und überflüssig“ (WE: 13). In Lügen, die von Herzen kommen führt für Carla, einer 34jährigen Single-Freundin der Protagonistin, das Singlesein sogar zu Sinnfragen: „‚Wozu bin ich auf der Welt? Wozu sind Singles wie ich überhaupt gut? Wem nutzen sie? Eigentlich gehöre ich ganz oben auf eine Liste für Menschen, die die Welt nicht braucht. Noch vor Überraschungsfigurensammler und Dieter Bohlen“ (LH: 36-37). Besonders schlimm wird daher auch das Ende einer Beziehung bewertet, das in den Singleromanen meistens vorangestellt ist und den Erzählanlass darstellt. Die zu Beginn gestellte Aufgabe für die Protagonistinnen und Protagonisten im Singleroman ist damit immer die Bewältigung des Singledaseins. Auffällig ist dabei, dass Frauen und Männer in dieser Situation relativ ähnlich zu reagieren scheinen. Beliebt ist zum Beispiel das Aufstellen von Listen, das uns bereits im Kapitel zu den Popromanen begegnet ist. In den Singleromanen dienen die Listen dazu, Ordnung ins neue Leben als Single zu bringen, und stellen sozusagen einen Schlachtplan dar, wie das Singlesein möglichst schnell überwunden werden kann. Dazu muss natürlich zunächst die Beziehung mit dem letzten Partner überwunden werden. In Mondscheintarif werden hierfür „die sechs klassischen Trennungsphasen“ (MS: 134) aufgeführt, die die Protagonistin auf einem Spaziergang durch den Park im Schnelldurchlauf zu durchleben versucht. Diese Punkte bestehen aus der Aufzählung und Beschreibung der allerdings relativ selbsterklärenden „Nichtwahrhaben-wollen-Phase“, der „Wut-zulassen-Phase“, der „Schmerz-auslebenPhase“ und der „Positive[n] Neuorientierungs-Phase“. Damit wären vier der angekündigten sechs Phasen im Roman aufgezählt. Hier endet die Listung dann jedoch, da die Protagonistin die beiden letzten Phasen „übersprungen und statt dessen noch mal von vorne angefangen“ (MS: 134-136) hat. Der Beginn der Liste ist in dem fünf Jahre später erschienen Frauenroman Wer ist eigentlich Paul? in ähnlicher Weise zu finden. Hier beschreibt die Protagonistin Marie ihre geplante Vorgehensweise, um Paul zu vergessen. Wie bei von Kürthy sind auch hier zunächst Punkte aufgelistet, die darunter ausführlicher beschrieben werden. Statt Phasen, handelt es sich hier jedoch um Methoden. Und in Wer ist ei-

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gentlich Paul? sind dann auch wahrhaftig alle sechs Punkte aufgezählt: „Die Verdrängungs-Methode“, „[d]ie Miesmach-Methode“, „[d]ie Alkohol-Methode“, „[d]ie Aha-Effekt-Methode“, „[d]ie Justiz-Methode“ und „[d]ie Einzig Konsequente Methode“ (WP: 102-105). Dabei ähnelt die Verdrängungs-Methode offensichtlich der Nicht-wahrhaben-wollen Phase und die Miesmach-Methode der Wut-zulassenPhase. Anders als bei von Kürthy sind hier auch noch nach jeder Phase mögliche „Störfaktoren“ aufgelistet, durch welche die Durchführung der aufgeführten Methode womöglich scheitern könnte. Doch wie schon die Liste in Mondscheintarif nicht zum erhofften Erfolg geführt hat, da sie bereits bei Punkt vier abgebrochen wurde, ist auch die Liste bei Wer ist eigentlich Paul? nicht zielführend, da Marie erst gar nicht damit beginnt, sich an die Methoden zu halten. Sie fasst lediglich – wie übrigens auch Bridget Jones im Roman von Fielding – am Silvesterabend den Vorsatz, ihr Leben im neuen Jahr zu ändern. Dabei fungiert das Silvester-Fest, wie ein anstehender Geburtstag in anderen Romanen, als der angestrebte Initiationspunkt, zu dem sich alles gebessert haben soll. Dass selbstgestellte Vorhaben in Listenform nicht eingehalten werden, ist auch in Hausmann gesucht von Hummel zu finden. Schon bei der Feststellung, dass Singles durch das Finden eines Partners in den Romanen ihre Krise zu überwinden versuchen, konnte aufgeführt werden, dass lediglich in Hummels Roman dieses oft aufgezeigte Phänomen direkt zur Sprache gebracht wird – auch wenn die Kritik an diesem Konzept ebenso bei ihr ins Leere führt. Ähnliches kann bei der Befolgung von Listen festgestellt werden: Die Protagonistin Charlotte ist in Hausmann gesucht darum bemüht, einen Mann namens Raul zu vergessen und stellt hierfür eine Liste mit fünf Punkten auf. Dabei nimmt sie sich im dritten Punkt vor, einen neuen Mann kennen zu lernen, mit dem sie dann im vierten Punkt nicht ins Bett geht. Punkt fünf lautet nun: „Er wird das verstehen, und wir werden wunderbaren Sex haben“ (HG: 138). Obwohl sich Charlotte also noch in Punkt vier vorgenommen hat, nicht mit ihrem neuen Freund zu schlafen, weil sie „noch nicht in der Lage sei, eine ernsthafte Beziehung zu einem Mann einzugehen“ (HG: 138), plant sie mit ihrem neuen Freund Sex zu haben, sobald er ihren Wunsch nach Enthaltsamkeit akzeptiert hat. Damit ist in der Liste in Punkt fünf festgehalten, dass sie sich nicht an Punkt vier halten wird. Derart inkonsequent gehen auch die anderen Protagonistinnen mit ihren Listen um. Im Männerroman Vollidiot nimmt sich der Protagonist Simon nicht vor, sich an eine Liste zu halten, sondern beschreibt lediglich zu Beginn des Romans fünf Single-Phasen, die jeder Single durchlaufe, wobei er selbst sich bereits in Phase vier situiere. Phase fünf möchte er dabei niemals erreichen, da er in dieser gerne in einen Schwulenfitnessclub gehen würde. „Doch dazu wird es nicht kommen!“ (VI: 8-10), kündigt Simon an dieser Stelle an. Am Ende des Romans erklärt Simon dann jedoch: „Herzlich willkommen in Singlephase fünf“ (VI 284). Was genau damit gemeint ist, bleibt offen. Die Interpretation, dass Simon zum Ende des Romans homo-

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sexuell geworden ist und daher nun gerne in einen Schwulenfitnessclub geht, ist jedoch zu verwerfen, da für diese Wandlung keine Anzeichen zu finden sind. Womöglich ist die Erwähnung lediglich eine humoristische Aufnahme der Singlephasen zu Beginn des Romans, um eine Rahmung herzustellen. Außerdem ist Punkt fünf in den Singlephasen als das komplette Versagen eines Singles zu verstehen. Daher könnte die Anspielung zum Ende auch lediglich verdeutlichen wollen, dass Simon gescheitert ist in seinem Vorhaben kein Single mehr zu sein, auch wenn er dazu nicht homosexuell werden musste. In jedem Fall hat Simon dadurch, dass er sich nun in Singlephase fünf befindet, sein Ziel, auf keinen Fall in Singlephase fünf zu landen, eindeutig verfehlt. Auch Simons Plan, den er in einer Liste verpackt hat, hat sich damit nicht erfüllt. Genauso wie der Single in der heutigen Gesellschaft zumindest in den untersuchten Romanen mit seiner Lebensform zwangsläufig scheitern muss, sind auch die aufgestellten Listen in den Romanen zum Scheitern verurteilt. Dabei können die Listen auch symbolisch für Lebenspläne stehen: der Single hält sich nicht nur nicht an seine Listen, sondern auch nicht an seinen Lebensplan. Nur so ist schließlich zu erklären, dass der Single Single ist. Dieser These entsprechend ist die Protagonistin in Höhenrausch nicht imstande eine Liste zu den positiven Seiten des SingleLebens aufzustellen (vgl. HR: 212), denn das ist schließlich kein Lebensplan, den sie für sich schmieden würde. Im angloamerikanischen Raum existieren bereits einige Untersuchungen der Populärkultur zu Singles, vor allem zu weiblichen Singles. Meistens wird hierzu Chick Lit untersucht. Whelehan hat dabei im Zuge ihrer Untersuchungen im gesamten Bereich der Populärkultur der Gegenwart einen feministischen Rückschritt erkannt, was die wissenschaftliche Theorie des feministischen Backlash nach Faludi stützt.190 Auch in der Chick Lit ist diese Tendenz zu erkennen: Immer wieder wird hier von der weiblichen Protagonistin, die sich wahrscheinlich selbst als Postfeministin beschreiben würde, die alte Rollenverteilung herbeigesehnt und so verwundert es nicht, dass die Frau in den meisten Fällen am Ende des Romans mit ihrem Traummann zusammenkommt. Es konnte dazu passend in Untersuchungen von Frauenromanen festgestellt werden, dass der Stereotyp der Frau als Single immer mit einem Mängelwesen gleichzusetzen ist. Ertragen werden können die eigenen Mängel der Single-Frauen durch ihre Freundinnen, denen im Narrativ eine identitätsstabilisierende Bedeutung zugesprochen wird. Durch die Beziehung zu Freun-

190 Vgl.: Whelehan, Imelda: The Feminist Bestseller. From ‚Sex and the Single Girl‘ to ‚Sex and the City‘. Basingstoke: Palgrave Macmillan 2005.

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dinnen wird sozusagen etwas von dem Druck genommen, eine Beziehung zu einem Mann haben zu müssen.191 Sehr wahrscheinlich kann man die Frauen-Unterhaltungsliteratur jedoch nicht so einfach als feministischen Backlash kritisieren und ablehnen. Sie ist womöglich nicht ein antifeministisches Produkt, sondern versucht vielmehr zu legitimieren, dass nicht jeder feministisch sein will. Schließlich werden zwar immer die emanzipatorischen Errungenschaften in den Frauenromanen – auch der jüngeren Generation – positiv dargestellt und bewertet, doch die Protagonistinnen handeln dennoch, und zwar aus freien Stücken und nur in bestimmten Lebensbereichen, anders. Während die Frauenromane von Heller und Co. noch gezeigt zu haben scheinen, dass Emanzipation möglich ist, scheinen die Frauenromane von von Kürthy und Co. zeigen zu wollen, dass Emanzipation aber eben auch kein Zwang ist. Ganz in diesem Sinn beschreibt Christine Frisch die neue Powerfrau in den neuen Frauenromanen: Sie legitimiert das, was eigentlich frauenpolitisch incorrect ist: auf einen Macho abzufahren, sich Seifenopern anzusehen, oder sich hemmungslos dem Genuß von Schokolade hinzugeben. Sie tobt sich ein bißchen aus, genießt ihre Freiheit, um sich dann schließlich doch, aus freien Stücken, auf das Wesentliche zu konzentrieren: Mann und Kinder.192

Auch in Hummels Anrufer unbekannt werden eigentlich überholte Rollenbilder wieder ausgegraben. Die Protagonistin erklärt zum Beispiel: „Ich mag Männer, zu denen ich aufschauen kann. Die in einigen Dingen mehr Erfahrung als ich haben“ (AU: 200). Dem Bekenntnis zum überholten Rollenmuster folgt beinahe schuldbewusst direkt eine Verteidigung der eigenen Person, die, auch wenn sie sich zur alten Rollenverteilung bekennt, noch lange nicht dumm sei: „Nein, deswegen bin ich noch lange kein Weibchen, das Männer mit blauen Puppenaugen und dummem Gesicht anhimmelt“ (AU: 200). In von Kürthys Mondscheintarif spricht sich die Protagonistin dafür aus, dass der Mann bei einem Date die Rechnung bezahlt, da für sie die finanzielle Potenz eines Mannes mit Männlichkeit verbunden ist. Anstatt zu folgern, dass sie alte Rollenbilder präferiert, erklärt sie: „Da bin ich klassisch“ (MS: 72). Diese Formulierung verwirft alle negativen Deutungen ihres Verhaltens mit einem Satz. Dass das geschlechtsbezogene Verhalten der Protagonistin nicht als altmodisch gewertet werden soll, wird an einer anderen Stelle noch deutlicher, nämlich dann, wenn sie sich selbst als „auf moderne Weise emanzipiert“ (AU: 26) beschreibt. Mit dieser Formulierung wird dem oft gemachten Vorwurf, dass in den neueren Frauenromanen ein feministischer Backlash festzustellen sei, der Wind aus den Segeln genom-

191 Vgl.: Claus: Kein Leben zu zweit, S. 28–29. 192 Frisch: Powerfrauen und Frauenpower, S. 109.

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men. Es handelt sich nämlich nach dieser Logik nicht um einen Rückschritt, sondern um eine modernere Variante des Feminismus, nämlich um den Postfeminismus, und damit um einen Fortschritt. Die „modern emanzipierten“ Frauen in den untersuchten Frauenromanen scheinen die traditionelle Rollenverteilung nun nicht mehr in jedem Punkt bekämpfen zu wollen, sondern in einigen Bereichen stattdessen lieber ihr Wissen um die Rollenmuster gezielt einzusetzen. So berichtet zum Beispiel die Protagonistin Puppe in Herzsprung: Ehrlich gesagt, habe ich mir schon so oft von irgendwelchen Typen erklären lassen, wo der Große Wagen ist, dass ich ihn mit verbundenen Augen finden würde. Aber das Firmament scheint eine männliche Domäne zu sein, ähnlich wie Werkzeugkisten, Motoren und CarreraBahnen. Und man tut gut daran, wenn man die klassische Rollenverteilung, was diese Heiligtümer angeht, akzeptiert und den Herren das Gefühl gibt, man wäre ohne ihre Expertise völlig verloren. Es ist meiner Erfahrung nach wichtig, Männern – besonders wenn man mit ihnen schlafen möchte – das Gefühl zu geben, sie seien männlich. Früher erlegten die Männchen Säbelzahntiger, heute erklären sie den Weibchen, wo der Große Wagen parkt. So ändern sich die Zeiten, aber gewisse Dinge ändern sich eben nie. (HS: 165)

Es findet eine deutliche Differenzierung statt: Nicht in allen Bereichen des Lebens soll die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau torpediert werden, so lautet der Rat. Lediglich in bestimmten Bereichen sollen Frauen mit ihrem Wissen um die traditionelle Rolle der Männer spielen. Dieses kalkulierte Verhalten sollten Frauen einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen, wobei das genannte Ziel hier ein sexuelles Abenteuer mit einem Mann darstellt. In diesem Zusammenhang verhält sich die Frau dann sogar, zumindest bezogen auf das Klischee, typisch männlich: Sie gibt alles dafür, ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Die auf diese Weise modern emanzipierte Frau wird den Männern gegenüber eindeutig als überlegen dargestellt, was sich auch noch mal in dem Blick auf die Evolution niederschlägt: Während der Mann in der Steinzeit noch von den Frauen angehimmelt wurde, weil er überlebenswichtige Taten wie das Erlegen eines Säbelzahntigers vollbrachte, beschränkt sich seine vermeintliche Expertise heutzutage auf Werkzeugkisten, Motoren und Carrera-Bahnen. Wegen des Wissens um diese Dinge müsste eine Frau einen Mann nicht anhimmeln – sollte es aber doch, um den Mann auf diese Weise zu manipulieren. Dass auf diese Weise gleichzeitig die unbegründete Vormachtstellung des Mannes in der Gesellschaft legitimiert wird, wird gar nicht erst problematisiert. Diese Feststellung bekräftigt dann natürlich doch die vielgemachte Aussage, dass die modern emanzipierte Frau in der Frauenunterhaltungsliteratur im Prinzip einen feministischen Backlash propagiert.

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Gleichzeitig wird an anderer Stelle bei von Kürthy dieser Backlash aber auch missbilligt: Ich muss zugeben, dass ich mich manches Mal extra unbeholfen anstelle, um einem Mann das Gefühl zu geben, ich könne ihn für irgendwas brauchen. Ist schon irre, dass emanzipierte Frauen mittlerweile der Beziehungshygiene zuliebe so tun müssen, als seien sie gar nicht so emanzipiert. (HR: 124)

Auch hier wird der Mann diffamiert und seine Bedeutung für die heutige Gesellschaft auf ein lächerliches Maß reduziert: Die größten Heldentaten, die meine Männer so begangen haben, waren, ihrer Mutter zu sagen, dass man nichts Selbstgestricktes mehr geschenkt haben möchte, in das Kabel der neuen Stehleuchte einen Dimmer einzubauen und mir zu beichten, dass es eine andere gibt. (HS: 124)

Neben dem beschriebenen feministischen Backlash ist damit gleichzeitig eine auf ein Höchstmaß gebrachte Degradierung des Nutzens des Mannes für die Frau im Frauenroman vorgeführt. Es sollte festgehalten werden, dass, obwohl in den untersuchten Frauenromanen ein Legitimationsversuch dafür stattfindet, warum nicht jede Frau jede feministische Errungenschaft in Anspruch nehmen möchte, gleichzeitig nirgendwo ernsthaft behauptet wird, dass in der heutigen Gesellschaft Frauen und Männer gleichberechtigt seien. Ganz im Gegenteil erklärt sogar Jo, die beste Freundin der Protagonistin in Mondscheintarif: „‚Frauen und Männer werden erst an dem Tag wirklich gleichberechtigt sein, an dem auf einem bedeutenden Posten eine inkompetente Frau sitzt‘“ (MS: 40). Auch auf die Probleme bei der Partnersuche, die Single-Frauen in der heutigen Gesellschaft haben, wird eingegangen. Dabei wird das Problem damit auf den Punkt gebracht, dass Männer keine beruflich erfolgreichere Partnerin an ihrer Seite wünschen, vor allem dann nicht, wenn sie nicht dazu bereit ist, ihre Karriere für ihn und eine Familiengründung aufzugeben (vgl. MS: 41).193

193 Auch diese im Roman gemachte These kann für den Diskurs auf Realitätsebene bestätigt werden: „Männer mit hohen Erwerbs- und Einkommenschancen sind attraktive Partner. Bei Frauen hingegen werden diese Eigenschaften insofern negativ bewertet, als sie für eine geringe häusliche und familienbezogene Orientierung sprechen.“ (Lengerer, Andrea: Partnerlosigkeit in Deutschland. Entwicklung und soziale Unterschiede. Wiesbaden, Heidelberg: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden 2011, S. 211.)

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In den Männerromanen werden die gesellschaftlichen Entwicklungen hin zur Emanzipation der Frau auch thematisiert, allerdings selbstverständlich aus Männersicht. Dabei fällt auf, dass sich nicht nur die Frauen im Frauenroman mit ihrer neu gewonnen Emanzipation schwer tun, sondern auch die Männer stellt die Emanzipation der Frauen vor neue Probleme. Somit zeigen die Männerromane in diesem Punkt die andere Seite der Medaille und ergänzen sehr gut die Darstellungen in den Frauenromanen. Im Prinzip wird dabei auch in Männerromanen an der alten Rollenverteilung festgehalten: Jeder Singlemann sucht in den Romanen eine Frau. Er möchte weder alleine bleiben noch mit einem Mann zusammen sein oder sich von der Paarzentrierung in unserer Gesellschaft distanzieren und zum Beispiel in einer Gruppenbeziehung leben. So wie im Frauenroman emanzipatorische Elemente zu finden sind, sind auch im Männerroman Elemente zu finden, die auf neuere Entwicklungen in der Gesellschaft hindeuten. Erwähnt seien hier zum Beispiel die vielen Männerromane, die sich mit dem Rollentausch auseinandersetzen. Diese Romane werden in einem gesonderten Kapitel einer genaueren Analyse unterzogen. Es wird sich dabei zeigen, so viel sei schon einmal gesagt, dass auch hier neue Modelle lediglich für einen kurzen Zeitraum gelebt werden und letztendlich die traditionelle Rollenverteilung auch in diesen Männerromanen angestrebt wird. Freunde haben im Männerroman ebenfalls eine identitätsstabilisierende Wirkung für Singles. Für Robert in Weichei ist Peter – genannt Peter Silie – so ein identitätsstabilisierender Freund. Die beiden kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit und Robert sieht Peter in einer imaginären Ordnung der Gewinner und Verlierer unserer Gesellschaft ganz klar unter sich stehen. „Nicht dass ich mich überschätzen würde, aber unter den Blinden ist und bleibt der Einäugige nun mal König. Und einen noch Blinderen als Peter Silie kann ich mir nicht vorstellen“ (WE: 34). Durch Peters Unglück versucht Robert sein kleines Glück aufzuwerten. „Ich halte nur aus einem einzigen Grund Kontakt zu ihm: Ich weiß, dass es ihm auf jeden Fall noch viel beschissener geht als mir“ (WE: 34). Wie selbstverständlich geht Robert davon aus, dass Peter Single ist. Als er ihm daher beim Chatten im Internet davon berichtet, dass er nun wieder Single ist, stellt Robert fest, dass die beiden Männer „doch jetzt so was wie Leidensbrüder“ (WE: 34) seien. Doch Peter ist bereits seit sechs Jahren mit seiner Freundin zusammen und möchte sie bald heiraten (vgl. WE: 35). Damit fällt für Robert Peter als identitätsstabilisierender Freund weg. „Ich sehe, wie sich ein Peter_Mannheim aus dem Chat verabschiedet. Und mit ihm mein letzter, treuer Versagerfreund“ (WE: 36). Doch auch Wolfram und Rene, die Robert von der Tankstelle kennt, an der er arbeitet, sind zum Glück noch Singles. „Anders als Peter Silie, der verdammte Verräter, haben die beiden Jungs in den letzten Wochen keine Frau aus dem Hut gezaubert“ (WE: 38). Damit bleiben Robert immer noch Wolfram und Rene als identitätsstabilisierende Freunde. Auch in den anderen

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Männerromanen sind diese identitätsstabilisierenden Figuren ebenso wie in Frauenromanen zu finden. Erstaunlich oft sind die Protagonistinnen und Protagonisten in Genderromanen Singles, und niemals möchte ein Single ein Single bleiben. Doch die QuarterlifeKrise macht es den Protagonistinnen und Protagonisten um die 30 Jahre nicht gerade leicht: Sie haben die Qual der Wahl und können sich nicht entscheiden. Inzwischen hat sich sogar ein Markt für die Partnervermittlung entwickelt: Speed Datings, Single-Chats, Annoncen, Single-Urlaube – Singles haben theoretisch viele Möglichkeiten, den Partner fürs Leben kennen zu lernen. Vor allem Männer haben sich auf diesem Gebiet eher als die Jäger herausgestellt, während Frauen tendenziell eher passiv agieren, Informationen von ihren Freundinnen sammeln und abwarten, bis sie zu einem aktiven Schritt geradezu gedrängt werden. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Frauen- sowie Männerromane an konservativen Werten und Idealen festhalten und diese vermitteln. Bereits im vorangegangenen Kapitel konnte festgestellt werden, dass in Genderromanen die traditionellen Geschlechterrollen beibehalten und propagiert werden. Nun kommt die Feststellung hinzu, dass auch traditionelle Lebensformen in Genderromanen beschrieben und empfohlen werden. Single zu sein wird in den Romanen zwar für eine kurze Dauer und bis zu einem Alter von ungefähr 30 Jahren akzeptiert, jedoch nicht ernsthaft als alternatives Lebenskonzept beworben. Gleichzeitig wird die Idee, dass es den Partner fürs Leben gibt, in den Romanen negiert. Stattdessen scheint sich der ‚Lebensabschnittsgefährte‘ als Modell dieser Generation durchzusetzen.

P ARATEXTE Nach Gérard Genette sind Paratexte der „Begleitschutz“ eines Textes. Wird ein Text veröffentlicht, ist dieser schließlich meistens nicht „nackt“, sondern umgeben von zum Beispiel einem Titel und Untertitel, einem Autorennamen, einem Vorwort, Illustrationen oder einer Widmung. Diese Paratexte „umgeben und verlängern“ den eigentlichen Text, „um ihn […] zu präsentieren; ihn präsent zu machen, und damit seine ‚Rezeption‘ und seinen Konsum in […] der Gestalt eines Buches zu ermöglichen.“194 Oder einfacher formuliert: „Der Paratext ist also jenes Beiwerk, durch das

194 Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt am Main: Campus 1992, S. 9. Hervorhebungen im Original.

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ein Text zum Buch wird.“195 Mit Bezug auf Keller könnte man sogar salopp behaupten: „Kleider machen Leute und Umschläge machen Bücher“196 – wobei die Umschläge natürlich noch lange nicht den kompletten Paratext darstellen. Der Paratext lässt sich vielmehr in zwei Bereiche untergliedern, nämlich in den Peritext und den Epitext. Der Peritext197 befindet sich im unmittelbaren Umfeld des Textes, also in oder auf dem Buch, in dem der Text abgedruckt ist. Der Epitext befindet sich „noch im Umfeld des Textes, aber in respektvollerer (oder vorsichtigerer) Entfernung“198. Hierunter sind Interviews oder auch Briefwechsel und Tagebucheinträge des Autors zu zählen. In der vorliegenden Untersuchung soll der Fokus auf den Peritext gesetzt sein.199 Bei der Betrachtung des Autorennamens auf der ersten Umschlagseite, die auch als ‚Cover‘ bezeichnet wird, fällt die offensichtliche und doch „indirekte Enthüllung

195 Ebd., S. 10. 196 Max, Frank R.: Vorbemerkung. In: Die Welt in Gelb. Zur Neugestaltung der UniversalBibliothek 2012. Hrsg. von Karl-Heinz Fallbacher. Stuttgart: Reclam 2012. S. 7–8, S. 7. 197 Katrin Blumenkamp kritisiert, dass bei Genettes Theorie eine Hierarchisierung der Paratexte fehlt. In ihrer Kritik bezieht sie sich jedoch nur auf den Peritext, wenn sie schreibt: „In der Regel hat aber z.B. die Gestaltung des Buchcovers oder die Titelgebung einen sehr viel größeren Einfluss auf die Rezeption des literarischen Textes als z.B. eine relativ unauffällig platzierte Widmung im Innern des Buchs.“ (Blumenkamp, Katrin: Authentizität in literarischem Text und Paratext. Alexa Hennig von Lange und Amélie Nothomb. In: Literatur der Jahrtausendwende. Themen, Schreibverfahren und Buchmarkt um 2000. Hrsg. von Evi Zemanek u. Susanne Krones. Bielefeld: Transcript 2008. S. 345–360, S. 349-250.) Bezogen auf den Epitext ist folgerichtig sicherlich z.B. auch eine Rezension in einer bekannten Zeitschrift relevanter als eine Rezension in einem Lokalblatt. Dass der Epitext und der Peritext generell zueinander in eine hierarchisierende Beziehung gesetzt werden können, soll an dieser Stelle übrigens bestritten werden, da ein Buch z.B. von einem besonders auffälligen Cover genauso profitieren kann wie von einer besonders positiven (oder in bestimmten Fällen auch von einer besonders negativen) Besprechung in den Medien. Im Prinzip ist die Hierarchisierung der einzelnen Paratext-Ebenen von Fall zu Fall zu untersuchen und lässt sich nicht so einfach generalisieren. 198 Genette: Paratexte, S. 10. 199 Die Beschränkung hat an dieser Stelle vor allem pragmatische Gründe, da zum Beispiel Tagebucheinträge oder Briefwechsel der Autoren nicht als Untersuchungsgegenstand vorliegen.

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des Geschlechts durch den Namen“200 auf. Es gilt diesbezüglich den Eindruck festzuhalten, dass Frauenromane ausschließlich von Frauen verfasst werden und Männerromane von Männern. Entfernen wir uns an dieser Stelle vom Peritext und schauen noch einmal genauer auf den Romantext, so fällt auf, dass das Geschlecht des Autors bzw. der Autorin ausnahmslos mit dem Geschlecht des Erzählers bzw. der Erzählerin identisch ist. Alle untersuchten Genderromane haben außerdem gemeinsam, dass sie Teil der Gegenwartsliteratur sind, und wenn man diese zu definieren versucht, endet das Unterfangen meist in etwas nebulösen Formulierungen. Doch diese Ungenauigkeit ist wohl auch gerade ihr Spezifikum und folgende These soll an dieser Stelle noch einmal herangezogen und bekräftigt werden: Die Gegenwartsliteratur hat verschiedene Stimmen, Stile sowie Schreibweisen und der Begriff ‚Gegenwartsliteratur‘ wird für verschiedene Subgenres verwendet.201 Frauen- und Männerromane zählen zu den Subgenres der Gegenwartsliteratur und sie haben zwar divergente Stimmen, nämlich Frauenromane eine weibliche und Männerromane eine männliche – die sich nicht nur in der Erzählerstimme, sondern auch im Autorennamen und damit in der Autorenstimme zeigen – beide Varianten des Genderromans haben jedoch analoge Stile und Schreibweisen vorzuweisen. Analog scheint auch die Berufswahl der Autorinnen und Autoren zu sein, die meist auf Buchseite zwei in einem kurzen Autorenportrait zu finden ist. So ist in den Frauenromanen zu lesen, dass Ildikó von Kürthy „Redakteurin beim Stern“ (MS: 2) ist, Katrin Hummel ist „Redakteurin bei der FAZ“ (HM: 2), Anette Göttlicher ist „Leiterin der Online-Redaktion von ‚Cosmopolitan‘“ (WP: 2). Auch die Autoren der Männerromane arbeiten primär im Medienbereich: Michael Eichhammer arbeitete bereits bei der FHM, dem Playboy, der FAZ und dem Tagesspiegel (vgl. TS: 2), für den Tagesspiegel schreibt auch Gregor Eisenhauer (vgl. MJ: 2), für den Playboy und die Brigitte rezensierte Hans Rath (vgl. MT: Umschlagsseite 4), Tim Boltz „arbeitete zunächst als Redakteur“ (WE: 2) und Matthias Sachau arbeitet „als freier Autor und Texter“ (KD: 2). Auch für die Protagonistinnen und Protagonisten konnte bereits festgestellt werden, dass diese vermehrt im Medienbereich tätig sind. Damit ist nicht nur das identische Geschlecht von Autor und Erzähler auffällig, sondern auch die weitestgehend identische Berufswahl. Da sich die Namen von Autor und Erzähler jedoch nicht entsprechen, ist der Verdacht, dass es sich

200 Ebd., S. 15. Einen Sonderfall stellt hier sicherlich Ildikó von Kürthy dar, da der ungarische Vorname ‚Ildikó‘ vermutlich in Deutschland nicht so geläufig ist, dass er sofort von jedem als weiblicher Name erkannt wird. 201 Vgl.: Braun, Michael: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln: Böhlau 2010 (=UTB 3352), S. 10.

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womöglich nicht um Romane, sondern um Autobiografien handeln könnte, schnell verworfen.202 Hierzu trägt auch die Gattungsangabe bei, die auf Genderromanen zu finden ist und meistens als „Roman“ angegeben wird. Diese Angabe ist „rhematisch, da sie den angestrebten Gattungsstatus des nachfolgenden Werkes angeben soll.“203 Gattungsangaben auf dem Umschlag waren nicht immer gängig und setzten sich erst im 20. Jahrhundert durch.204 Die Selbstbezeichnung ist für Genette ein performativer Akt, so dass er mit einer Anspielung auf de Beauvoirs berühmtes Zitat zum Geschlecht analog für die Genrebezeichnungen feststellt: „ein Roman ist man also nicht von Geburt an, man wird es.“205 Damit schreibt er der Selbstbezeichnung ein großes Gewicht zu und mindert gleichzeitig nicht die Bedeutung des kritischen Lesers. Stattdessen stellt er zur Gattungsangabe fest: Dieser Status ist insofern offiziell, als Autor und Verleger ihn diesem Text zuschreiben wollen und kein Leser diese Zuschreibung rechtmäßig ignorieren oder vernachlässigen darf, selbst wenn er sich nicht verpflichtet fühlt, ihr zuzustimmen206. Wie bereits erwähnt, besteht die Selbstbezeichnung bezüglich der Gattung auf dem Umschlag der Genderromane meistens aus einem schlichten „Roman“. Dabei wiederholt sich die Selbstbezeichnung übrigens auch noch einmal auf der dritten Buchseite. Interessant sind für die Untersuchung vor allem die Ausnahmen, also die Bücher, die sich selbst nicht als „Roman“ bezeichnen. Bei den analysierten Frauenromanen ist der vollständige Titel samt Gattungsbezeichnung vonGöttlichers Wer ist eigentlich Paul? zum Beispiel Wer ist eigentlich Paul? Maries Tagebuch. Der Zusatz „Maries Tagebuch“ lässt sich damit erklären, dass das anglo-amerikanische Vorbild mit Bridget Jones’s Diary207 benannt ist. In einer deutschen Fassung lautet der Titel Schokolade zum Frühstück. Das Tagebuch der Bridget Jones208. In der Bezeichnung Wer ist eigentlich Paul? Maries Tagebuch wird diese Systematik offensichtlich übernommen. Es wird durch den Zusatz „Maries Tagebuch“ also zwar keine direkte Gattungsbezeichnung vorgenommen, aber eine Verbindung zu einem

202 Autobiografische Elemente können die Romane aber selbstverständlich trotzdem vorweisen. 203 Genette: Paratexte, S. 94. 204 Vgl.: ebd., S. 97. 205 Ebd., S. 102. 206 Ebd., S. 94–95. 207 Fielding: Bridget Jones’s Diary. 208 Fielding, Helen: Schokolade zum Frühstück. Das Tagebuch der Bridget Jones. München: RM-Buch-und-Medien-Vertrieb 1999.

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bereits existierenden Buch hergestellt.209 Durch diese Mimese soll dem kaufwilligen Leser vermutlich suggeriert werden, dass er mit Maries Tagebuch eine ähnliche Lektüre erlebt wie mit dem Bestseller um Bridget Jones. Obwohl die Gattungsangabe bei dem Buch von Göttlicher mit „Tagebuch“ gemacht wird, kommt nicht die Idee auf, dass es sich bei dem Text um reale Tagebucheinträge handelt, da der Name der Autorin (Anette) nicht mit dem der Figur (Marie) übereinstimmt. Diese Divergenz ist als Fiktionalitätsmarker zu deuten. Tommy Jauds Romane sind mit „Der Roman“ (Vollidiot, Millionär210, Überman211) „Das Zweitbuch“ (Resturlaub212) und „Das Roman“ (Hummeldumm213) ausgewiesen. In der Erscheinungsreihenfolge ist „Das Zweitbuch“ Jauds zweite Buchveröffentlichung gewesen, so dass diese humoristische Bezeichnung schnell erklärt ist. In den drei mit „Der Roman“ betitelten Büchern ist der Protagonist die Figur Simon, sie stellen also eine Serie dar und haben daher dieselbe Gattungsbezeichnung. Auch diese Bezeichnung kann humoristisch gelesen werden: Anstatt die übliche Gattungsbezeichnung „Roman“ zu wählen, die auf gefühlt jedem zweiten Buch zu lesen ist, distanziert sich Jaud mit seiner Bezeichnung von der Norm, ohne wirklich von ihr abzuweichen, denn auch er bezeichnet seinen Roman schließlich als Roman. Der vorangestellte Artikel soll Jauds Roman aber von der Masse der anderen Romane abheben, denn bei diesem Roman handelt es sich nicht um irgendeinen weiteren Roman, sondern um „den“ Roman, den einen Roman, der wichtiger oder besser ist als alle anderen. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass hier ein männlicher Artikel vor die Gattungsbezeichnung gesetzt wurde, was das männliche Profil des Männerromans nur noch mehr betont. Noch deutlicher als bei „Der Roman“ wird die humoristische Note der Gattungsbezeichnung bei „Das Roman“, da hier nicht nur der Artikel vorangestellt ist, sondern ein grammatikalisch inkorrekter Artikel bewusst gesetzt wurde. Der Grund für die falsche Artikelwahl ist unumstritten die Belustigung des Lesers. Zugleich kann der inkorrekte Artikel auf die Verwirrtheit des Protagonisten hindeuten. In je-

209 Auch im Romantext sind bei Göttlicher Verweise auf andere Frauenromane zu finden. So hört Marie zum Beispiel in der Badewanne den Soundtrack zu der Verfilmung von Mondscheintarif (vgl. WieP: 122). Auf dem Cover von Mondscheintarif sind die Füße einer Frau zu sehen, die gerade in der Badewanne liegt. Intertextuelle Verweise sind bei Göttlicher aber nicht nur in Bezug auf andere Frauenromane zu finden. So zitiert die Protagonistin Marie zum Beispiel auch eine Passage aus Goethes Faust (vgl. WieP: 22). 210 Jaud, Tommy: Millionär. Der Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2007. 211 Jaud, Tommy: Überman. Der Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012. 212 Jaud, Tommy: Resturlaub. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2007. 213 Jaud, Tommy: Hummeldumm. Das Roman, ne. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2010.

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dem Fall weisen die von der Standardisierung abweichenden Gattungsangaben auf das humoristische Potential der Romane Jauds hin. Auffällig ist eine Abweichung von der Standardisierung, die gleich bei zwei verschiedenen Autoren zu finden ist: Auf Uschmanns Hartmut und ich ist zunächst in üblicher Weise ein „Roman“ an den Titel angehängt. Dazu prangt auf dem Cover ein runder Aufkleber, der den Roman näher bezeichnet: „Ein Männer-WG-Roman“. Diese Bezeichnung ist bei Sachau direkt als Gattungsangabe zu lesen: Kaltduscher. Ein Männer-WG-Roman. Diese Parallele könnte schlicht das Ergebnis eines Zufalls sein. Die Wahrscheinlichkeit für einen Zufall wird jedoch sehr unwahrscheinlich, wenn man sich die Kommentare zu dem Roman Kaltduscher auf der vierten Umschlagseite214 ansieht, denn hier wird Uschmann mit den Worten „Sachau strickt Pointen so engmaschig wie Pullover“ zitiert. Die beiden Autoren kennen sich also, oder zumindest kennt Uschmann Sachaus Romane. Da Uschmann der Erste von beiden war, der sein Buch als einen Männer-WG-Roman bezeichnet, kann jedoch ausgeschlossen werden, dass Uschmann die Idee von Sachau übernommen hat. Wahrscheinlicher ist der umgekehrte Weg. Dann würde Uschmann womöglich sogar als Sachaus Vorbild fungieren. Auf Uschmanns Hartmut und ich ist wiederum auf der vierten Umschlagseite des ersten Männerroman-Autors Jaud zu lesen: „Saugut geschrieben und sehr witzig. Jetzt weiß ich, dass ich einen neuen Lieblingsautor habe und dringend eine Playstation brauche!“ Genauso wie Göttlicher mit ihrer Gattungsangabe einen Verweis zu einer anderen Frauenromanautorin macht, verweisen also die Männerromanautoren auch gegenseitig auf sich. Daneben wird auf der vierten Umschlagseite von Männerromanen auch auf Frauenroman-Autorinnen verwiesen. Auf Der Mann mit dem Bobby-Car215 (2008) ist zum Beispiel ein Artikelausschnitt aus der Nürnberger Zeitung abgedruckt: „Volkmar Nebe ist die Antwort auf Ildikó von Kürthy: Witzig, männlich und kin-

214 Der vierten Umschlagseite spricht Genette strategisch betrachtet eine eminente Bedeutung zu. Innerhalb der Aufzählung der möglichen Bestandteile der vierten Umschlagseite erläutert Genette bezüglich der Abdrucke aus Rezensionen wie folgt: „Auszüge aus der Presse oder andere lobende Urteile über frühere Werke desselben Autors und sogar über das vorliegende, falls es sich um eine Neuausgabe handelt oder falls der Verlag solche vor der Veröffentlichung erhalten konnte: letztere Gepflogenheit wird nach anglo-amerikanischem Brauch als blurb (oder wörtlich promotional statement) bezeichnet, was etwa unserem Blabla oder Gewäsch entspricht“ (Genette: Paratexte, S. 31. Hervorhebungen im Original.). Nicht zu verwechseln ist die vierte Umschlagseite übrigens mit dem Buchrücken, der nach Genette „die sichtbare Seite eines senkrecht im Regal stehenden Buches“ ist (vgl.: ebd., S. 29, Fußnote). 215 Nebe, Volkmar: Der Mann mit dem Bobby-Car. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2008.

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derfreundlich.“ Wenn also Nebe hier als Antwort auf von Kürthy gewertet wird, liegt die Vermutung nahe, dass der Männerroman als eine Antwort auf den Frauenroman zu verstehen ist. Doch den Schluss nachzuvollziehen stellt sich als nicht so einfach heraus: Ebenso wie von Kürthy sind die Romane Nebes „witzig“, doch anders als die Autorin von Kürthy ist Nebe ein Mann und sein Roman wird als männlich interpretiert. Während bei der Aufzählung folglich der erste Punkt „witzig“ für beide Romanarten bestätigt werden kann, sind nur Nebe und sein Roman „männlich“. Zunächst wird in der Aufzählung also eine Gemeinsamkeit aufgeführt, danach ein Unterschied. Da von Kürthy Mutter ist,216 kann davon ausgegangen werden, dass sie „kinderfreundlich“ ist – in ihren Romanen sind die Protagonistinnen jedoch gerade keine Mütter, sondern junge Frauen, die auf der Suche sind, meistens auf der Suche nach dem passenden Mann. „Kinderfreundlich“ ist damit ein Attribut, das sicherlich nicht zu den Romanen der Autorin von Kürthy passt – ihnen aber auch nicht widerspricht. Obwohl das Zitat aus der Nürnberger Zeitung also nicht treffend ist, wurde es auf dem Umschlag abgedruckt. Erklärt werden kann dieser Umstand wohl damit, dass die Verbindung von Nebe mit der erfolgreichen Autorin von Kürthy als ein Verkaufsargument gewertet und somit aus marktstrategischen Gründen gerne genutzt wurde. Auf der vierten Umschlagseite ist bei Sachau regelmäßig ein Kommentar der Frauenroman-Autorin Gier zu lesen. So wird Gier auf Sachaus erstem Roman Schief gewickelt217 (2007) zitiert mit „Sie werden nach der Lektüre dieses wunderbaren, witzigen Romans den unwiderstehlichen Wunsch verspüren, auf einem Bobbycar Probe zu sitzen.“ Auf dem zweiten Buch wird Gier auf der Umschlagseite vier zitiert mit „Mein letztes Buch von Matthias Sachau musste ich zweimal kaufen. Das erste war mir vor lauter Lachen in die Badewanne gefallen.“ Da der Kommentar sich anscheinend besonders gut eignete, ist er auch noch einmal auf der letzten Umschlagsseite von Linksaufsteher218 (2011) zu lesen. Auf den beiden erstgenannten Romanen wird zusätzlich Jürgen von der Lippe mit „Saumäßig komisch!“ zitiert, seinem Kommentar zu Sachaus Roman Schief gewickelt, wobei der Kommentar bei Schief gewickelt wie bei Uschmann mit einem Aufkleber auf das Cover geklebt wurde und bei Wir tun es für Geld auf der vierten Umschlagseite zu finden ist. Bei der Verwendung von Kommentaren scheint der Ullstein-Verlag folglich ökonomisch vorzugehen.

216 Über das Muttersein hat Ildikó von Kürthy sogar ein Buch verfasst, der Artikel in der Nürnberger Zeitung entstand allerdings noch bevor von Kürthy 2010 zum ersten Mal Mutter wurde. (Kürthy, Ildikó von: Unter dem Herzen. Ansichten einer neugeborenen Mutter. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 2012.) 217 Sachau, Matthias: Schief gewickelt. Roman. 5. Aufl. Berlin: Ullstein 2009. 218 Sachau, Matthias: Linksaufsteher. Ein Montagsroman. 4. Aufl. Berlin: Ullstein 2011.

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Auf den Umschlagseiten der untersuchten Frauenromane konnten zwar keine Kommentare von Männerroman-Autoren gefunden werden, aber es sind hier immerhin Kommentare von aus der Klatschpresse bekannten Männern zu lesen. So kommentiert Harald Schmidt Höhenrausch von Ildikó von Kürthy und Wolfgang Joop nicht nur Mondscheintarif, sondern auch Herzsprung – hier sind allerdings zwei unterschiedliche Kommentare Joops zu lesen. Interessant sind die Kommentare auf der Umschlagseite vier auch im Hinblick auf die offiziellen Gattungsangaben. Auf Mondscheintarif ist zum Beispiel die Frauenzeitschrift MAX zitiert mit: „Hera-Lind-Hasser aufgepaßt: Dieser Frauenroman ist geistreich, voller Witz und selbstkritischem Spott. Ein Buch, das auf jeder Seite Spaß macht.“ Wie bereits erörtert, lassen sich die neuen Frauenromane à la von Kürthy von den Frauenromanen à la Lind abgrenzen – und auf diese Differenz wird auch durch das Zitat auf der Umschlagseite hingewiesen. Ähnliches ist bei der Untersuchung von Jauds Roman Resturlaub festzustellen. Hier wird die Gattungsangabe auf der ersten Umschlagseite zwar mit „Das Zweitbuch“ gemacht, auf der dritten Buchseite ist jedoch zusätzlich die standardisierte Gattungsangabe „Roman“ zu lesen. Eine nähere Spezifizierung des Romans findet nun auf der vierten Umschlagseite durch einen Kommentar der Zeitschrift Der Spiegel statt: „Tommy Jaud hat mit den Bestsellern ‚Vollidiot‘ und ‚Resturlaub‘ ein brachliegendes Genre neu belebt – den deutschen Männerroman.“ Es ist zwar fraglich, was Jaud „neu belebt“ haben soll, denn der deutsche Männerroman hat vor Jaud nicht existiert, doch immerhin wird Jaud als Autor von Männerromanen erkannt. Durch den Abdruck des Kommentars auf dem Buch kann die Gattungsspezifizierung geradezu als eine Selbstbezeichnung verstanden werden: Die Romane von Jaud sind in Genettes Begrifflichkeit damit „offiziell“219 Männerromane. Neben der Gattungsbezeichnung und dem Autornamen sind auf der ersten Umschlagseite, die im Folgenden auch als ‚Cover‘ bezeichnet wird, in der Regel auch noch ein Bild und eine Farbgebung auffällig. Farbe- und Bildauswahl sind wesentlicher Bestandteil der Covergestaltung. „Die bloße Farbwahl kann bereits sehr nachdrücklich auf einen bestimmten Büchertypus verweisen.“220 Die Covergestal-

219 „Offiziell ist jede paratextuelle Mitteilung, die vom Autor und/oder dem Verleger offen einbekannt wird und für die er die Verantwortung nicht leugnen kann.“ (Genette: Paratexte, S. 16.) 220 Ebd., S. 30. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren zum Beispiel gelbe Cover und Umschläge ein Zeichen für anzügliche Bücher (vgl.: ebd.). Heutzutage erinnert die Farbe Gelb bei der Buchgestaltung wohl eher ganz im Gegenteil an Reclams „Klassiker in Gelb“ (Fallbacher, Karl-Heinz: Viel mehr als Klassiker in Gelb. Zu Programm und Programmentwicklung der Universal-Bibliothek. In: Die Welt in Gelb. Zur Neugestaltung

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tung von Männerromanen folgt einem ähnlichen Aufbau, der zu einem Wiedererkennungseffekt führt: Bei der Farbwahl wird fast ausschließlich zu kräftigen Farben gegriffen, in den meisten Fällen zu Blautönen. Nach neuerer Farbsymbolik wird Blau im Genderwissen Männern zugeschrieben, was vor allem auf Modeentwicklungen zurückzuführen ist: Babykleidung für Jungen ist oft hellblau, Babykleidung für Mädchen rosa. Der ‚Blaumann‘ ist eine typische Arbeitskleidung im Handwerksbereich und sowohl ‚Arbeit‘ als auch ‚Handwerk‘ werden klischee-begründet eher mit Männern als mit Frauen in Verbindung gebracht. Auch die Blue Jeans wurde ursprünglich von der Firma Levi Strauss als Arbeitskleidung konzipiert, nämlich für Cowboys und Goldgräber.221 Dabei wird Blau nach älterer Farbsymbolik mit Weiblichkeit in Verbindung gesetzt: Blau wirkt passiv und ruhig, was lange mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht wurde. Daher wurden einige Blau-Töne auch mit Frauennamen benannt, während nur ein Blau-Ton mit einem Männernamen benannt wurde, nämlich ein Dunkelblau mit ‚Douglas‘.222 Laut einer Befragung geben ungefähr 46% der Männer an, dass ihre Lieblingsfarbe Blau sei. Bei Frauen ist der Anteil mit 44% nicht bedeutend geringer.223 Laut einer anderen Befragung ist Blau die Lieblingsfarbe von 40% der Männer und 36% der Frauen, womit die Prozentzahlen hier geringer sind, allerdings zusätzlich lediglich unter 2% angaben, dass sie die Farbe Blau gar nicht leiden können.224 Ein Verkaufsprodukt in Blau zu gestalten, liegt folglich nahe und so sind auch einige Frauenromane mit blauer Außengestaltung auf den Büchermarkt gebracht worden, wie zum Beispiel von Kürthys Herzsprung und Höhenrausch, Giers Für jede Lösung ein Problem oder Hummels Hausmann gesucht. Bei der Nutzung von Blautönen wie auch generell bei der Wahl der Farben ist dabei zu beobachten, dass Frauenromane eher ein Cover mit pastellfarbener Gestaltung vorweisen,225 während Männerromane eher in kräftigeren Farben vermarktet werden. Einzige Ausnahme scheint bei den Frauenromanen die Farbe Pink zu sein, wobei es zu reflektieren gilt, „dass Rosa- und Pinktöne typische Mädchen-Farben

der Universal-Bibliothek 2012. Hrsg. von Karl-Heinz Fallbacher. Stuttgart: Reclam 2012. S. 53–60, S. 53.). Farben und ihre Assoziationen wandeln sich demnach nicht nur generell in der Geschichte, sondern auch bezogen auf die Buchvermarktung. 221 Vgl.: Hammer, Norbert: Mediendesign für Studium und Beruf. Grundlagenwissen und Entwurfssystematik in Layout, Typographie und Farbgestaltung. Berlin, Heidelberg: Springer 2008, S. 190. 222 Vgl.: Bartel, Stefanie: Farben im Webdesign. Symbolik, Farbpsychologie, Gestaltung. Berlin, Heidelberg: Springer 2003, S. 57–58. 223 Vgl.: ebd., S. 56. 224 Vgl.: Hammer: Mediendesign für Studium und Beruf, S. 189. 225 „Es dominieren rosa-rote Farbskalen oder Pastelltöne“. (Vgl.: Peitz: Chick Lit, S. 65.)

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sind“, und diese machen, so die These von Annette Peitz, „aus erwachsenen Frauen kleine Mädchen […]. Hier wird also absichtlich mit dem Verniedlichungseffekt gespielt: Frauen werden infantilisiert“226. Die Cover der neueren Frauenromane, dies gilt es zu bedenken, sind jedoch eher Pink als Rosa und „Pink steht für ein Rosa mit höherem Blauanteil.“227 Pink ist also eine besonders männliche weibliche Farbe, da sie eine weibliche Farbe mit einem hohen Anteil an einer männlichen Farbe ist. Außerdem ist Pink eine „aggressivere, schrille, freche Farbe, die von Teenagern und jüngeren Frauen gerne getragen wird. Ältere Frauen bevorzugen eher Rosa in allen Schattierungen.“228 Um sich von der Mütterliteratur abzugrenzen, tun die neueren Frauenromane also gut daran, sich in einem pinken Farbgewand zu präsentieren und so besonders jüngere Frauen anzusprechen, denn jüngere Frauen sind schließlich auch die Protagonistinnen in den Frauenromanen, so dass vermutet werden kann, dass sich besonders jüngere Frauen mit den Romanheldinnen identifizieren können und daher sehr wahrscheinlich die Hauptzielgruppe bei der Vermarktung darstellen. Die erste Veröffentlichung eines Männerromanautors ist meistens mit einem blauen Cover bestückt. Der Nachfolgeroman setzt sich dann oft farblich vom Vorgänger ab, wobei die restliche Gestaltung zwecks Widererkennung beibehalten wird. So ist zum Beispiel der erste Roman von Sachau (Schief gewickelt) blau, der zweite (Kaltduscher) orangefarben und der dritte (Wir tun es für Geld) gelb. Nach seinem ersten Männerroman in Blau wechselt auch bei Jaud die Cover-Farbe: Nach Blau (Vollidiot) folgt Grün (Resturlaub), dann wiederum Blau (Millionär) – wobei der zweite blaue Roman auch eine Fortsetzung des ersten blauen Männerromans ist – der vorletzte Roman von Jaud (Hummeldum) ist orangefarben und der letzte, der eine Fortsetzung der blauen Romane darstellt, gelb (Überman). Der Trend zu kräftigen Farben wurde also auch bei diesen beiden Autoren beibehalten, wobei nach Blau geschlechts-neutralere Farben für die Covergestaltung gewählt wurden. So ist zumindest der erste Eindruck. Forscht man jedoch nach, welche Farben außer Blau noch als männliche Farben gehandelt werden, so ist zu finden, dass einerseits Grün tatsächlich als eine neutrale Farbe zwischen Blau und Rot gedeutet wird,229 andererseits Grün aber auch bevorzugt Jungen und Männern zugeordnet wird.230 Jauds Erstling Vollidiot folgte damit mit Resturlaub wieder ein Roman in männlich-

226 Ebd., S. 66. 227 Welsch, Norbert u. Claus Christian Liebmann: Farben. Natur, Technik, Kunst. 3. Aufl. Heidelberg: Spektrum Akademie 2012, S. 84. 228 Ebd. 229 Vgl.: Hammer: Mediendesign für Studium und Beruf, S. 192. 230 Vgl.: Willmann, Silke: Kleidungspraktiken aus Sicht von Kindern im Vorschulalter. Frankfurt am Main, Dortmund: Peter Lang 2008 (=Europäische Hochschulschriften Reihe 22, Soziologie 426), S. 183.

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konnotierter Farbgestaltung. Der Umschlag von Kerstin Giers Lügen, die von Herzen kommen ist ebenfalls grün gestaltet, typischerweise für Frauenromane wurde hier jedoch wieder eine pastellfarbene Variante gewählt. Die Männerromane Waschlappen231 (2009) von Sascha Zeus und Michael Wirbitzky und Macho Man von Moritz Netenjakob stehen der These, dass bei der Covergestaltung der Männerromane vor allem männliche Farben gewählt wurden, entgegen, denn hier wurde das Cover pinkfarben gestaltet. Diese aus dem Rahmen fallende Farbgebung kann allerdings thematisch begründet werden: Der Roman Waschlappen handelt davon, dass sich der Protagonist nicht männlich fühlt, weil er Vollzeitvater ist. Der Protagonist von Macho Man fühlt sich nicht männlich, weil er nicht den Männlichkeitsvorstellungen des deutsch-türkischen Umfeldes entspricht, aus dem seine Angebetete stammt. Dementsprechend wurde wahrscheinlich eine Farbe gewählt, die eher Frauen zugeschrieben wird, um die Krise der Männlichkeit der Protagonisten zu unterstreichen. Um die Romane dennoch auch äußerlich erkennbar sofort als Männerromane kenntlich zu machen, ist auf dem pinkfarbenen Cover jeweils ein Mann abgebildet. Auf Waschlappen wird der Mann dabei fast völlig von einem Wäschekorb verdeckt, so dass eigentlich nur seine Beine und Füße zu sehen sind. Auf Macho Man ist ein Mann in weißen Boxershorts zu sehen, wobei der Kopf kein Bestandteil der Abbildung ist. Bei der Farbgestaltung der Cover von Männerromanen sind auch Orange und Gelb immer wieder beliebte Farben. Gelb ist die „hellste und leuchtkraftstärkste aller Farben.“232 Nach Johann Wolfgang Goethes Farbenlehre ist sie als Farbe des Lichts der Gegenpol zu Blau, der Farbe der Dunkelheit.233 Die Werbung macht sich heutzutage vor allem die Signalwirkung von Gelb zunutze, um auf ein Produkt aufmerksam zu machen.234 Orange wird aus Rot und Gelb gemischt und steht als Farbe für „Modisches und Neues. Begriffe wie das Vergnügen, das Lustige, die Geselligkeit machen Orange tauglich für die Farbwelten junger Leute“235. Damit passt Orange als Farbe natürlich ausgezeichnet zu einem neuen Genre, das vor allem junge Menschen als Leser gewinnen möchte, die sich mit Protagonisten um die 30 Jahre identifizieren können. In neutralem Weiß gehalten sind die Männerroman von Eichhammer (Torreros sind so, Solo für Anna), die allerdings Teil der Reihe ‚Piper Boulevard‘ sind und

231 Zeus, Sascha u. Michael Wirbitzky: Waschlappen. Roman. Bergisch Gladbach: Lübbe 2009. 232 Welsch et al.: Farben, S. 75. 233 Vgl.: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Tübingen: J.G. Cotta 1810, S. 259. 234 Vgl.: Welsch et al.: Farben, S. 76. 235 Hammer: Mediendesign für Studium und Beruf, S. 197.

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dementsprechend der Gestaltung der Reihe entsprechen. Auch die Männerromane von Uschmann weisen ein weißes Cover vor und sind damit aufgrund der Farbgestaltung nicht sofort dem untersuchten Genre zuzuordnen. Allerdings erfüllen sie das zweite auffällige Merkmal der Covergestaltung: Auf Frauen- und Männerromanen sind oft stilisierte Illustrationen abgebildet. „Häufig werden keine Fotos, sondern stilisierte Darstellungen gewählt, die auf das urbane Umfeld und den Lebensstil der Protagonistinnen schließen lassen, so z.B. Cocktailgläser, Schuhe mit hohen Absätzen, Einkaufstaschen.“236 Auf Uschmanns Männerromanen sind Warnschilder abgebildet, wie sie aus dem Straßenverkehr bekannt sind, allerdings in abgewandelter Form. Da laut Genderwissen Männer eine engere Bindung zu Autos aufweisen, wie bereits erörtert wurde, liegt die Verbindung von Verkehrszeichen und Männern nahe und auch Uschmanns Covergestaltung ist gegendert. Das Cover von Tim Boltz’ Weichei ist mit einem pinkfarbenen Waschlappen mit einer Reh-Applikation verziert. Der Waschlappen wird auch im Roman thematisiert und steht symbolisch dafür, dass der Protagonist nicht besonders männlich ist. Aufgrund des Romantitels wäre sicherlich eine Illustration mit einem Ei zu erwarten gewesen und aufgrund der Illustration sollte der Titel wohl passender „Waschlappen“ lauten, doch ein Männerroman mit dem Titel Waschlappen ist schließlich bereits zwei Jahre vor Erscheinung von Weichei von Zeus und Wirbitzky veröffentlicht worden und im gleichen Monat wie Weichei, nämlich im Oktober 2011, ist die deutsche Übersetzung Rumeiern237 (Originaltitel: William Walker’s first year of marriage. A horror story, 2009) von Matt Rudd erschienen, auf dem bereits ein Ei zu sehen ist. Daneben scheint bei der Vermarktung der Romane von Boltz eine Verschränkung der Text-Bild-Schere auch gar nicht gewollt zu sein, wenn man bedenkt, dass den Nachfolgeroman Nasenduscher auf dem Cover eine gelbe, schnorchelnde Quietscheente ziert. Sicherlich können nun Überlegungen der Art angeführt werden, dass die Ente über kein rudimentales Nasenorgan, sondern über Nasendrüsen verfügt, weswegen gerade die Abbildung einer Quietscheente auf einem Roman mit dem Titel Nasenduscher humoristisch anmutet, es könnte jedoch genauso gut sein, dass bei der Vermarktung der Romane von Boltz zwar jeweils auf einen ansprechenden Titel und eine ansprechende Illustration geachtet wurde, diese jedoch nicht zueinander in Beziehung gesetzt werden. Betrachtet man das Cover des dritten und derzeit aktuellsten Romans des Autors mit dem Titel Linksträger, fällt die Abbildung einer gelben Banane ins Auge. Die Banane als phallisches Symbol kann direkt in Zusammenhang mit dem Buchtitel gebracht werden. Dies lässt die Tendenz erkennen, dass die Titel-Bild-Schere der Romancover von Boltz mit der Zeit tendenziell enger greift.

236 Peitz: Chick Lit, S. 65. 237 Rudd, Matt: Rumeiern. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2011.

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Betrachtet man die Buchcover von Frauen-238 und Männerromanen, so fällt auf: „Die Bücher sehen bunt, poppig und cool aus.“239 Damit zielt die optische Vermarktung primär auf jüngere Leserinnen und Leser und es wurde bereits herausgestellt, dass die Protagonistinnen und Protagonisten ebenfalls eher zu den jungen Erwachsenen zu zählen sind und somit das Gesamtpaket des Textes und des Paratextes auf vorrangig jüngere Konsumenten abzielt. Betrachtet man die poppige Vermarktung etwas genauer, fällt auf, dass erstaunlich oft Füße oder Schuhe als Abbildungen ausgewählt wurden. Viele Männer finden Frauenfüße erotisch240 – aber was suchen dann Frauenfüße auf Frauenromanen? Finden Frauen Frauenfüße etwa auch erotisch? Schaut man in die Romane, so wird der Fuß ganz im Gegenteil eher als eine Problemzone beschrieben. Besonders bei der Autorin von Kürthy sind immer wieder Passagen zu finden, die auf die Un-Erotik von Füßen anspielen. Ihr erster Roman Mondscheintarif beginnt zum Beispiel folgendermaßen: Der Fuß ist eine weitgehend unerschlossene weibliche Problemzone. Ein Satz, wie in Stein gemeißelt. Der Fuß ist eine weitgehend unerschlossene weibliche Problemzone. So könnte ein Artikel in einer Frauenzeitschrift anfangen. Oder in ‚Psychologie Heute‘. Oder so. Ich heiße Cora Hübsch, ich bin dreiunddreißigdreiviertel Jahre alt und gehöre zu der Mehrheit von Frauen, die auch in fortschreitendem Alter noch kein freundschaftliches Verhältnis zu ih-

238 Paul wertet Cover von Chick Lit-Romanen allgemein als campy im Sinne Sontags. (Vgl.: Paul: Feminist Chicks?, S. 66–67.) Es ist jedoch zu bezweifeln, dass die Cover ernsthaft als guter schlechter Geschmack vermarktet werden sollen. Außerdem sind die vermeintliche Leichtigkeit und Trivialität, die durch die Cover vermittelt werden und nach Paul nicht inhaltlich in den Texten zu finden sind, sehr wohl textimmanent. Damit sind die Cover nicht campy, sondern konvergent zu den Texten. 239 Grond-Rigler, Christine: Ich und die Medien. Neue Literatur von Frauen. Innsbruck: Studien 2005, S. 144. Dieses Zitat bezieht sich im Original zwar nur auf Frauenromane, kann aber problemlos auch auf Männerromane übertragen werden. 240 Schon in der Antike galten bei den Griechen Füße als erotische Körperteile und jungfräuliche Göttinnen wurden daher immer mit bedeckten Füßen abgebildet. In China gelten schöne, kleine und zugleich schlanke Füße auch heute noch als ein Schönheitsideal. (Vgl.: Trautmann-Voigt, Sabine u. Bernd Voigt: Grammatik der Körpersprache. Ein integratives Lehr- und Arbeitsbuch zum Embodiment. Mit 18 Tabellen. 2. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2012, S. 33.) In den letzten Jahrzehnten hat in China die Bedeutung des Fußes als erotisches Körperteil im Vergleich zu früheren Zeiten jedoch vehement abgenommen. (Vgl.: Kubin, Wolfgang: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert. München: K.G. Saur 2005 (=Geschichte der chinesischen Literatur 7), S. 63.)

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ren Füßen aufgebaut haben. Meine Zehen sind krumm wie die Zähne im Mund eines Schuljungen, der sich beharrlich weigert, eine Zahnspange zu tragen. In meiner Bauch-Beine-PoGruppe ist eine, deren Zehen sind so kurz, als seien sie ihr in jungen Jahren von einer scharfkantigen Glasplatte guillotiniert worden. Und meine Freundin Johanna hat Füße wie andere Leute Oberschenkel. In ihren Pumps hätten sich noch einige Zweite-Klasse-Passagiere von der Titanic retten können. (MS: 7)

Schließlich kommt die Protagonistin bei ihren Überlegungen zwar zu dem Schluss, dass die allergrößte weibliche Problemzone „Mann“ heißt, doch Frauenfüße sind in dem Frauenroman auch keine schöne Angelegenheit. Warum also sind so oft Füße auf den Covern von Frauenromanen abgebildet? Füße sind vor allem dann typisch weiblich, wenn die Nägel lackiert sind. Auch auf dem Cover von Mondscheintarif und anderen Frauenromanen sind Füße mit lackierten Nägeln abgebildet. Oft sind auf den Covern von Frauenromanen auch gar nicht direkt nackte Füße zu sehen,241 sondern vielmehr Schuhe, in die aber ganz eindeutig keine Männer-, sondern Frauenfüße gehören. Dass seltener nackte Füße als bekleidete gezeigt werden, kann übrigens mit erotischen Neigungen erklärt werden: „Heutige erotische Vorstellungen über den schlanken Fuß haben mehr das Schuhwerk als die Füße zum Ziel.“242 Abgebildet sind auf den Covern von Frauenromanen meistens Schuhe mit Pfennigabsatz243 oder auch Ballerinas244. In seltenen Fällen sind auch Gummistiefel245 oder

241 Andere Beispiele für Cover von Frauenromanen, auf denen nackte Füße zu sehen sind, sind unter anderem: Göttlicher, Anette: Die Melonenschmugglerin. Roman. Berlin: Ullstein 2009. / Kürthy, Ildikó von: Blaue Wunder. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004. / Völler, Eva: Hände weg oder wir heiraten. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2005 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 15327). 242 Trautmann-Voigt et al.: Grammatik der Körpersprache, S. 33. In der chinesischen Literatur kann ein Frauenschuh sogar „sinnbildlich für die Vagina“ stehen. (Kubin: Die chinesische Literatur im 20. Jahrhundert, S. 63.)

243 Brömme, Bettina: Weisswurst für Elfen. Roman. Meßkirch: Gmeiner 2011 (=Frauenromane). / Gier, Kerstin: Die Braut sagt leider nein. Köln: Bastei Lübbe 2012. / Gier, Kerstin: Die Mütter-Mafia und Friends. Das Imperium schlägt zurück. Köln: Bastei Lübbe 2011 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 16043). / Kürthy, Ildikó von: Schwerelos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2009. / Kürthy: Herzsprung. / Möller, Michaela: Einzelstücke. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2011 (=Bastei-LübbeTaschenbuch 16347). / Tempel, Katrin: Stillen und Chillen. Roman. München, Zürich: Piper 2010. / Thewes, Michaela: Der Kater der Braut. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 15886).

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Taucherflossen246 zu sehen. Die Anspielung auf die anderen Fuß- und Schuhabbildungen ist jedoch in diesen Ausnahme-Fällen unbestritten. Dass oft Schuhe zu sehen sind, ist nicht zuletzt als eine klischeehafte Anspielung zu deuten: Frauen, so sagt das Klischee, besitzen viel zu viele Schuhe in allen Formen und Farben. Zugespitzt formuliert wird Frauen typischerweise ein ‚Schuhtick‘ zugeschrieben. Die weiblichen Füße bzw. kulturelle Anspielungen auf weibliche Füße in Form von lackierten Nägeln und Schuhen sind damit ein Zugeständnis an klischeehaftes Denken, das nicht selten auch im Romantext wiederzufinden ist. Heike Paul beschreibt diese Vorzeichen-Funktion der Cover von Frauenromanen wie folgt: „Die deutliche Überzeichnung klischeehafter Weiblichkeit ist bereits an der optischen Vermarktung der Bücher zu erkennen“247 In diesem Sinne geben die Schuhe und Füße einen Hinweis auf den platt-füßigen Inhalt der Romane, auf ihre Zentriertheit auf Klischees. Es ist aber auch noch auf einen anderen Grund hinzuweisen, warum die Cover von Frauenromanen so oft Füße bzw. Schuhe zieren: dieser Grund ist in Vermarktungsstrategien zu sehen. Den ersten modernen Frauenroman nach Autorinnen wie Hauptmann, Heller oder Lind schrieb, wie bereits erörtert, im Jahr 1999 von Kürthy mit Mondscheintarif und auf dem Cover sind Füße zu sehen. Der äußerst erfolgreiche Roman landete sofort auf oberen Plätzen der Bestsellerlisten. Auf dieser Welle des Erfolgs wollten anscheinend andere Autorinnen mitschwimmen und so fanden sich zahlreiche Nachahmer für Romane in der Art von Mondscheintarif. Nach den ungeschriebenen Coverregeln verhält es sich in diesem Fall nun so, dass die Nachahmer ihre eigenen Cover idealerweise an den Bestseller anlehnen, damit Leser schon optisch eine Verbindung zu dem erfolgreichen Vorgänger schnell herstellen können. Sind auf einem anderen Roman also auch Füße abgebildet, hat dieser Roman wahrscheinlich ein ähnliches Thema wie Mondscheintarif und ist ähnlich geschrieben. Wir haben es hier also mit einem Wiedererkennungseffekt zu tun.

244 Gier, Kerstin: Die Laufmasche. 17 gute Gelegenheiten, den Traummann zu verpassen; Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 1998 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 16178). / Steffan, Kristina: Nicht die Bohne! Roman. München: Diana 2013. 245 Manchmal sind auch Gummistiefel neben Schuhen mit Absatz abgebildet, so dass einerseits der Kontrast noch größer wird, andererseits die Verbindung zu den hochhackigen Schuhen aber auch bestehen bleibt. Beispiele hierfür sind: Möller: Einzelstücke. / Tempel: Stillen und Chillen. 246 Gier, Kerstin: Fisherman’s Friend in meiner Koje. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 26909). 247 Paul: Feminist Chicks?, S. 66.

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Zu diesem Wiedererkennungseffekt war am 23.4.2010 in der Berliner Zeitung ein Interview248 abgedruckt, das die Journalistin Barbara Weitzel mit der Buchhändlerin Martina Gunduli geführt hat. In diesem Interview ist zu lesen, dass es nach dem Erscheinen des Bestsellers P.S. Ich liebe Dich249 (2004) von Cecilia Ahern geradezu einen Boom von Büchern gab, auf denen Wölkchen abgedruckt sind, weil diese auf dem Cover von P.S. Ich liebe Dich abgebildet sind. All diese Wölkchenbücher funktionierten auch inhaltlich nach dem gleichen Prinzip: Immer handelte es sich um eine Liebesgeschichte, bei der einer der beiden Liebenden gestorben ist oder im Koma liegt. Deswegen sind diese Wölkchenbücher auch unter dem Begriff Comantacys bekannt. Nach ähnlichen Cover-Regeln funktionieren nun auch die Frauenromane mit ihren Abbildungen von Füßen.250 Hierzu stellt die Buchhändlerin fest: „Groß im Kommen sind Bücher, ebenfalls in der Frauenliteratur, mit Füßen. Füße auf einem Steg, Füße im Gras. Wir haben da eine ganze Ecke.“251 Anhand der bereits oben in den Fußnoten aufgeführten Frauenromane mit Füßen und Schuhen auf dem Cover lässt sich diese These hier nur bestätigen. Die Buchhändlerin analysiert nun allerdings wie folgt weiter: „Bei den Männern funktioniert das nicht. Vielleicht, weil Männerfüße nicht so schön sind.“252 Ob Männerfüße nun schön sind oder nicht – die Fuß-Cover funktionieren auch bei Männerromanen: „Mit dem Männerfuß-Motiv wollen Nachahmer mit ihren sogenannten ‚Me, too‘-Covern auf den Erfolgszug von Tommy Jauds Bestsellern ‚Vollidiot‘, ‚Resturlaub‘ und ‚Millionär‘ (S. Fischer) aufspringen.“253 Gleichzeitig ist das Zeigen des Männerfußes auf Männerromanen aber natürlich auch ein Nachahmen des Frauenfußes auf Frauenromanen. Auf der Coverseite von Jauds Vollidiot sind zwei Männerfüße abgebildet, die in zwei verschiedenen Socken stecken, was auch einen Bezug zum Titel Vollidiot herstellen lässt. Das Cover des Romans Resturlaub zieren Männerfüße in Flip Flops, die von einer imaginären Sockenlinie aufwärts braungebrannt sind, auf Millionär sind Männerfüße in Tennissocken und schicken

248 Weitzel, Barbara: Wölkchen müssen drauf sein, Wölkchen! In: Berliner Zeitung (23.4.2010). S. 23 249 Ahern, Cecelia: P.S. Ich liebe Dich. Roman. 19. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2008 (=Fischer 16133). 250 Es gibt auch Frauenromane, auf denen Füße und Wölkchen zusammen abgebildet sind: Holst, Evelyn u. Stephanie Holst: Punktlandung auf Wolke sieben. Roman. München: Diana 2011. / Kürthy: Blaue Wunder. 251 Weitzel, Barbara: Wölkchen müssen drauf sein, Wölkchen!: Weitzel: Wölkchen müssen drauf sein, Wölkchen!. 252 Ebd. 253 N.N.:

Buchcover

immer

wichtiger – Wölkchen

langsam.

http://www.haus-der-

literatur.com/newsextra/FrankfurterBuchmesse2010.htm (1.7.2014).

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Lederschuhen abgebildet,254 in dem aktuellen Roman Überman sind Männerfüße in weißen Socken abgebildet, die auf einem Haufen Tomaten stehen, so dass sich die weißen Socken von unten rot verfärben. Durch die Männerfüße wird darauf hingewiesen, dass der Roman wahrscheinlich von Männern handelt. Diese Anspielung ist jedoch nicht neutral, da nackte Männerbeine in Socken klischee-bedingt als unerotisch und unmännlich gelten. Eine Untersuchung von Neurowissenschaftlern in Großbritannien hat zum Beispiel ergeben, dass Männerfüße die unerotischsten Körperteile überhaupt sind.255 Durch die Männerfüße ist gleichzeitig auch der Hinweis darauf gegeben, dass die Romane ‚Männlichkeit‘ zum Thema haben könnten. In einem Interview wurde Jaud gefragt, ob das eigentlich seine Füße seien, die auf den Covern abgebildet werden. Darauf antwortete Jaud: „Nein. Sie stammen vom tschechischen Körperteile-Modell Vojtech Menzel, bekannt u.a. aus TV-Serien und Filmen wie: Six Feet Under, Happy Feet, Mein linker Fuß und Soweit die Füße tragen.“256 Dass diese Antwort nicht der Wahrheit entspricht, sondern vielmehr ein Beleg für Jauds Phantasie darstellt, begreift man sicherlich schon beim ersten Lesen. Recherchen bekräftigen diesen Eindruck, denn das tschechische KörperteilModell Vojtech Menzel ist nicht im Internet ausfindig zu machen, vermutlich weil er tatsächlich eine Erfindung von Jaud ist. Den Wiedererkennungseffekt der Männerfüße machten sich nach Jauds Bestseller Vollidiot auch andere Autoren zu Nutze.257 Der große Unterschied zu den Frau-

254 In dem chronologisch folgenden Roman Hummeldumm ist ein Erdmännchen abgebildet. Da es sich hierbei jedoch nicht um einen Männer-, sondern um einen Comedy-Roman handelt, soll diese Ausnahme nicht weiter stören. Vielmehr bestätigt dies die These, dass Männerfüße ein Zeichen für Männerromane sind. 255 Vgl.: Jimenez, Fanny: Die erogenste Zone des Mannes ist ganz woanders. In: Welt online (11.10.2013). http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article120818802/Dieerogenste-Zone-des-Mannes-ist-ganz-woanders.html (1.7.2014). Es gilt allerdings zu bedenken, dass auch weibliche Füße von den Probanden nicht als besonders erotische Körperteile herausgestellt wurden. Dies mag jedoch damit zusammenhängen, dass, wie bereits erwähnt, heutzutage eher die weiblichen Schuhe und weniger die Füße als erotisches Symbol angesehen werden. (Vgl.: Trautmann-Voigt et al.: Grammatik der Körpersprache, S. 33.) 256 S. Fischer Verlag: Tommy Jaud. FAQ. http://tommyjaud.de/faq1/ (1.7.2014). 257 Auf dem Cover von Toreros sind so sind Männerfüße in roten Socken abgebildet (Eichhammer, Michael: Eichhammer: Toreros sind so.). Das Cover von Macho Man zeigt einen Mann kopfabwärts, der nur eine Unterhose und Socken trägt (Netenjakob: Macho Man.). Auf In die Füße atmen ist der komplette Körper eines Mannes abgebildet. Da der Mann jedoch eine Papiertüte über Kopf und Oberkörper gestülpt trägt, liegt der Fokus auf den Männerbeinen, die in Boxershorts, schwarzen Socken und schwarzen Le-

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enromanen ist, dass in diesen die Füße durchaus als erotisch oder zumindest ansprechend angesehen werden können. Es werden durchweg schöne Füße mit lackierten Nägeln abgebildet und schicke Schuhe – wenn man von den Gummistiefeln und Taucherflossen einmal absieht, wobei auch diese zumindest neben schicken Schuhen abgebildet sind. Die Männer-Füße hingegen sind alles andere als erotisch. Der Mann, dem die Füße auf dem Cover gehören, wird vom Betrachter sofort als Trottel identifiziert, denn: In Lederschuhen trägt man doch keine Sportsocken! Wer legt sich denn mit Socken an den Strand, um braun zu werden? Und so weiter. Die Cover sind also bereits ein Anhaltspunkt dafür, dass im Frauenroman die Frau eher als Superweib dargestellt wird, der Mann im Männerroman hingegen eher als Vollidiot. Dieser erste Eindruck bestätigt sich, wenn man sich die Titel typischer Frauenromane ansieht: Man denke zum Beispiel an Ich schenk dir meinen Mann258 (1998) von Claudia Keller, an Beim nächsten Mann wird alles anders259 (1987) von Eva Heller, an Suche impotenten Mann fürs Leben260 (1995) von Gaby Hauptmann, Männer und andere Katastrophen261 (1996) von Kerstin Gier oder Frauen rächen besser262 (2006) von Kim Schneyder. Diese Buchtitel sind alle als Ansagen von starken Frauen zu verstehen. Männerromane hingegen heißen Vollidiot (2004) von Tommy Jaud, Weichei (2011) von Tim Boltz, Waschlappen (2009) von Zeus und Wirbitzky, Nichtschwimmer263 (2011) von Felix Wegner, Schief gewickelt (2007) von Matthias Sachau oder Resteklicken (2012) von Moritz Meschner. Hier gehen die Formulierungen der Titel offensichtlich in eine ganz andere Richtung, die den Mann abwerten. Untersucht man hierauf aufbauend den Romantext und den Romantitel als etwas Zusammengehöriges, so ist „[d]er Titel dann eine Art Kurztext,

derschuhen stecken (Welte, Mark: In die Füsse atmen. Ein Schauspielschüler-Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011.). Auf Billigflieger sieht man Männerbeine zur Abwechslung einmal nicht vertikal, sondern horizontal abgebildet und zwar bekleidet mit Taucherflossen (Tamm: Billigflieger.), eine Darstellung, die auch schon auf einem Frauenroman von Kerstin Gier aufgefallen ist. 258 Keller, Claudia: Ich schenk dir meinen Mann! Roman. 5. Aufl. München: Blanvalet 1995. 259 Heller: Beim nächsten Mann wird alles anders. 260 Hauptmann, Gaby: Suche impotenten Mann fürs Leben. Roman. 22. Aufl. München: Piper 1996 (=Serie Piper Frauen 2152). 261 Gier, Kerstin: Männer und andere Katastrophen. Roman. 14. Aufl. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2009. 262 Schneyder, Kim: Frauen rächen besser. Roman. München, Zürich: Piper 2006 (=Serie Piper 6188). 263 Wegener, Felix: Nichtschwimmer. Roman. Berlin: Ullstein 2011.

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der mit einem zugehörigen Langtext ein Textpaar bildet.“264 Ganz in diesem Sinne bezeichnet Horst-Jürgen Gerigk Romantitel auch als „Prä-Texte“265, also als eigenständige Texte vor dem eigentlichen Text. Damit widerspricht er im Prinzip nicht Genettes Ausführungen zum Paratext, da auch Genette die Texte in eine Chronologie bringt, in dem er die Gliederung seines Buches damit begründet, dass er „sich so weit wie möglich an die Reihenfolge der üblichen Begegnung mit den Mitteilungen“266 hält. Da Frauen in der heutigen Gesellschaft immer mehr Bereiche erschließen, dringen sie auch in bisher typisch männliche Domänen ein. Die Stärkung der Frau führt auf diese Weise gleichzeitig zur Verunsicherung des Mannes, da er sich in seinem Habitus immer schwieriger von der Frau abgrenzen kann. Diese gesellschaftlichen Wandlungen lassen sich in den Frauen- und Männerromanen wiederfinden. Diese Entwicklungstendenzen begegnen uns in den unterschiedlichen Romanbezeichnungen von Frauenromanen auf der einen und Männerromanen auf der anderen Seite. Auf den Punkt gebracht handeln die Männer in Männerromanen daher eher wie Vollidioten und Waschlappen, während in Frauenromanen eher Superweiber267 zu agieren scheinen. Bei der Untersuchung der Titel von Frauen- und Männerromanen fällt auf, dass die Mitteilungsfunktion im Zentrum steht: In dem Roman „Wer ist eigentlich Paul?“ geht es tatsächlich darum, wer eigentlich Paul ist. In dem Roman „Vollidiot“ geht es tatsächlich um einen vermeintlichen Vollidioten. Mit den Titeln ist der Inhalt des Romans zwar noch nicht gänzlich greifbar, die Mitteilungsfunktion wirkt jedoch so, „daß sie auf einen vorerst rätselhaften Inhalt vorverweist und dadurch

264 Weinrich, Harald: Titel für Texte. In: Titel – Text – Kontext. Randbezirke des Textes; Festschrift für Arnold Rothe zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Jochen Mecke u. Susanne Heiler. Berlin: Galda + Wilch 2000. S. 3–20, S. 3. Sicherlich gibt es auch andere Schemata, nach denen die Betitelung von Romanen funktioniert, bei Frauen- und Männerromanen ist diese Logik der Titelgebung jedoch auffällig oft zu finden. 265 Gerigk, Horst-Jürgen: Titelträume. Eine Meditation über den literarischen Titel im Anschluß an Werner Bergengruen, Leo H. Hoek und Arnold Rothe. In: Titel – Text – Kontext. Randbezirke des Textes; Festschrift für Arnold Rothe zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Jochen Mecke u. Susanne Heiler. Berlin: Galda + Wilch 2000. S. 21–28, S. 27. 266 Genette: Paratexte, S. 11. 267 Man denke hier nicht zuletzt an den bekannten Frauenroman mit dem Titel Das Superweib von Hera Lind. Dieser Roman gehört zwar nicht zu der moderneren Form der Frauenromane und die Darstellung der Frau als Superfrau ist in moderneren Frauenromanen sicherlich im Vergleich zur Vorgängerliteratur nur in einer abgeschwächten Form zu finden, jedoch immer noch vorhanden. (Vgl.: Frisch: Powerfrauen und Frauenpower, S. 106.)

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beim prospektiven Leser eine starke Mitteilungserwartung, also eine besondere Form der Neugierde erzeugt.“268 Zusätzlich erfüllen vor allem die Titel der Männerromane, aber zum Teil auch die Titel der Frauenromane, eine phatische Funktion, die dann zutage tritt, wenn „zwischen dem Autor und dem Leser eine bestimmte emotionale Strömung“269 hergestellt wird. So hat die Tatsache, dass Jauds Erstling mit Vollidiot betitelt ist, Einfluss auf die Erwartungen und Emotionen, mit denen ein Leser diesen Roman konsumiert. Die Erwartungen und Emotionen werden also schon durch den Titel maßgeblich gelenkt. Genette spricht dem Titel in seiner Arbeit Paratexte nicht nur eine lenkende Funktion zu, sondern bezeichnet ihn sogar als den „Zuhälter des Buches“270, wobei ein guter Titel allerdings seiner Meinung nach noch lange nicht auf ein gutes Buch verweisen muss. Die Analyse der Paratexte von Genderromanen hat ergeben, dass Frauen- und Männerromane im Prinzip ähnlich vermarktet werden, wobei auch hier an konservativen Gendervorstellungen festgehalten wurde – man denke zum Beispiel an die gendertypischen Farbzuschreibungen. Stilisierte Illustrationen und Zitate von bekannten Persönlichkeiten der Populärkultur sind den beiden Untersuchungsgegenständen gemein. Daneben konnte eine gehäufte Abbildung von Füßen auf Genderromanen festgestellt werden, wobei die abgebildeten Frauenfüße tendenziell als weibliches Attribut und Männerfüße eher als ein Marker für Unmännlichkeit präsentiert werden. Dazu passend unterscheiden sich auch die Romantitel: Während vor allem zu Beginn der Frauenunterhaltungsliteratur durch die Titel die Stärke der Frauen vermittelt werden soll, wird in Titeln von Männerromanen das Versagen der Männer suggeriert. Damit orientieren sich Genderromane zwar zu einem Großteil an tradierten Geschlechterzuschreibungen, greifen gleichzeitig aber auch aktuelle Entwicklungen der Genderdebatte auf.

268 Weinrich: Titel für Texte, S. 7. 269 Ebd., S. 8. Weinrich nennt hier als Beispiel den Roman Chéri von Colette. (Vgl.: ebd.) 270 Genette: Paratexte, S. 94.

Geschlechterrollentausch

Es kann davon ausgegangen werden, „daß der Tausch der weiblichen mit der männlichen Rolle in der Realität wie in der Literatur eher einem durchaus ernsten Hintergrund“1 entstammt. „Geschlechtertauschphantasien enthalten in erster Linie erst einmal Kritik an den bestehenden Geschlechtsrollen“2, die manchmal ergänzt wird durch eine Kritik der Idee des Tauschs. Die negativen Sichtweisen auf den Geschlechterrollentausch, die noch in literarischen Texten der 1970er Jahre häufig zu lesen sind, sind in den Männerromanen ab den 2000er Jahren jedoch nicht mehr zu finden. Dass der Geschlechterrollentausch in der Realität aber auch heutzutage immer noch nicht überwiegend positiv bewertet wird, zeigt eine vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Studie mit dem Titel Der Mann 2013: Arbeitsund Lebenswelten – Wunsch und Wirklichkeit3. Für die repräsentative Studie wurden insgesamt 947 Frauen und Männer im Alter von 18 bis 65 Jahren in Deutschland zu den Themen Rollenverständnis, Arbeitsteilung und Gleichberechtigung der Geschlechter interviewt. Nach eigenen Angaben konnten sich mit einem kompletten Geschlechterrollentausch (die Frau arbeitet Vollzeit und der Mann kümmert sich

1

Meyer, Carla: Vertauschte Geschlechter – verrückte Utopien. GeschlechtertauschPhantasien in der DDR-Literatur der siebziger Jahre. Pfaffenweiler: Centaurus 1995 (=Thetis 7), S. 40.

2

Stephan, Inge: „Daß ich eins und doppelt bin…“. Geschlechtertausch als literarisches Thema. In: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. Hrsg. von Inge Stephan u. Sigrid Weigel. Berlin: Argument 1988. S. 138–152, S. 161.

3

Die Ergebnisse der von der Zeitschrift Bild der Frau in Auftrag gegebene Studie ist online einsehbar: Institut für Demoskopie Allensbach: Der Mann 2013. Arbeits- und Lebenswelten – Wunsch und Wirklichkeit. http://www.axelspringer.de/downloads/21/ 16383966/ BdF_Studie_Ma__776_nner1-86_finale_Version.pdf.

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um den Haushalt und die Kinder) nur 13 Prozent der Männer und neun Prozent der Frauen identifizieren.4 Außerdem gab jeder fünfte Mann an, dass er ein Problem damit habe, wenn seine Partnerin im Beruf erfolgreicher ist als er.5 „Trotz der Auflösung festgelegter Geschlechterrollen folgt die Aufgabenteilung in den meisten Familien nach wie vor dem herkömmlichen Muster“6, kommentierte Renate Köcher, die Geschäftsführerin des Instituts, die Befunde. Dennoch hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten viel geändert: Männer sehen sich heute mit hohen Erwartungen konfrontiert: Sie sollen gleichzeitig berufsund familienorientiert sein, sich intensiv um die Kinder kümmern und vermehrt Aufgaben in Haushalt und Familie übernehmen, selbstbewusst und gleichzeitig einfühlsam sein, eigene Gefühle zeigen und eine selbstbewusste Partnerin schätzen.7

Diese hohen Rollenerwartungen setzen den Mann unter Druck und überfordern ihn nicht selten. 76 Prozent der Männer finden es schwierig, die heutzutage an Männer gestellten Erwartungen zu erfüllen.8 Ein Mann, der den Rollenansprüchen nicht genügen kann, ist nicht männlich. Damit stürzen die hohen Rollenerwartungen Männer in eine Krise der Männlichkeit, und diese Krise der Männlichkeit ist notwendiger Bestandteil eines Männerromans. Es wundert also nicht, dass sich Männerromane thematisch auch mit den aktuellen Rollenanforderungen an Männer und mit dem Geschlechterrollentausch auseinandersetzen. „Literatur und Literaturwissenschaft waren wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Diskurses, der Ende [der, Anm. AKK] 1960er und Anfang der 1970er Anstöße für deutliche Veränderungen des öffentlichen Bewusstseins zum Rollenverständnis der Geschlechter gab.“9 Den bekannten Beginn dieses Trends machte eine Antholo-

4

Vgl.: ebd., S. 56.

5

Vgl.: ebd., S. 59.

6

Witte, Jens: Allensbach-Studie: Männer haben genug von Gleichberechtigung. In: Spiegel online (30.9.2013). http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/allensbach-studiemaenner-haben-genug-von-gleichberechtigung-a-925249.html (20.9.2010).

7

N.N.: Große BILD der FRAU-Studie: Männer mit Supermann-Rolle überfordert? In: Bild der Frau.de (30.9.2013). http://www.bildderfrau.de/partnerschaft/grosse-bild-der-fraustudie-d54100.html (1.7.2014).

8 9

Vgl.: Institut für Demoskopie Allensbach: Der Mann 2013, S. 76. Ehlers, Hella: Pantherfrau, Geschlechtertausch und Suche nach der anderen Schrift. Zu literarischen Präsentationsformen des Weiblichen am Beginn der 1970er Jahre. In: Geschlechterdifferenz – und kein Ende? Sozial- und geisteswissenschaftliche Beiträge zur

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gie, die von Edith Andersson, einer im deutschen Osten lebenden gebürtigen Amerikanerin, ins Leben gerufen wurde. Sie forderte insgesamt 15 männliche sowie weibliche Autoren dazu auf, Geschichten über den Geschlechterrollentausch zu verfassen. Ziel der Anthologie war es, real existierende GeschlechterUngerechtigkeiten aufzudecken – ein Unternehmen, das vor allem in der DDR brisant war, da sich die DDR selbst als Vorreiterin für die Gleichberechtigung darstellte.10 Nicht gerade zugute kam der geplanten Anthologie außerdem, dass Andersson 1972 das Buch Der Beobachter sieht nichts veröffentlicht hatte, eine Reportage über die USA, die von der Zensur eingehend geprüft wurde, da von der Autorin parteipolitische Vorgänge der Kommunistischen Partei in den USA nicht wie von der DDR-Politik gewünscht bewertet wurden. Unterstützt wurde Andersson in ihrem Vorhaben, eine Anthologie über den Geschlechtertausch herauszubringen, von dem Rostocker Verlag Hinstorff, der unter anderem 1973 Ulrich Plenzdorfs Die Leiden des jungen W. veröffentlichte. Nach Andersson wurde versucht „die ganze Anthologie zu sabotieren, in jeder erdenklichen Weise“, und sie wurde „nach fünf Jahren Verzögerungen, Lügen und sogar Verbrechen nur, nachdem ich mit Hilfe des (Schriftsteller) Verbandes […] mit einer Klage drohte“11, dann doch noch herausgebracht. Publiziert wurden schließlich 1975 insgesamt acht Texte unter dem Titel Blitz unter heiterm Himmel. Zu den Autoren zählen Christa Wolf, Sarah Kirsch, Edith Anderson, Annemarie Auer, Gotthold Gloger, Günter de Bruyn, Rolf Schneider, und Karl-Heinz Jakobs, also vier weibliche und vier männliche Autoren. Beiträge von Irmtraud Morgner oder auch Stefan Heym wurden nicht für die Veröffentlichung ausgewählt.12 Die Geschichten stehen in „der Tradition klassischer Verwand-

Genderforschung. Hrsg. von Hella Ehlers, Heike Kahlert u. a. Berlin, Münster: Lit 2009. S. 117–136, S. 133. 10 Vgl.: Stephan: „Daß ich eins und doppelt bin…“, S. 159. 11 Barck, Simone: Zensurspiele. Blitz aus heiterem Himmel. In: Berliner Zeitung (13.4.2004). http://www.berliner-zeitung.de/archiv/blitz-aus-heiterem-himmel,10810590, 10167704.html. 12 Vgl.: Ehlers: Pantherfrau, Geschlechtertausch und Suche nach der anderen Schrift, S. 131. Der Verzicht auf die Veröffentlichung von Morgners Text „Gute Botschaft der Valeska in 73 Strophen“ wurde von der Zensur sogar zu einer Voraussetzung dafür gemacht, dass eine Publikation der Anthologie überhaupt stattfinden durfte. (Jakobs, Karl Heinz: Lob der Zensur. In: Fragebogen: Zensur. Zur Literatur vor und nach dem Ende der DDR. Hrsg. von Richard Zipser. Leipzig: Reclam 1995. S. 184–200, S. 190.) Begleitet werden die sieben publizierten Geschichten in Blitz unter heiterm Himmel von dem Essay „Mythen und Möglichkeiten“ der Literaturkritikerin Annemarie Auer.

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lungsgeschichten“13, deren bekanntester Vertreter wohl Ovids Metamorphosen sind. „Mal verwandelt nur eine Person ihr Geschlecht, mal verwandeln sich Mann und Frau, mal ist die Geschichte eingebettet in die Normalität des DDR-Alltags, […] mal spielt die Geschichte in der Zukunft […] und mal werden Matriarchats- bzw. Hexenvorstellungen aktualisiert.“14 In Sarah Kirschs titelgebender Geschichte „Blitz aus heiterm Himmel“ verwandelt sich zum Beispiel die Frau Katharina in den Mann Max und lebt fortan mit ihrem Freund Albert in einer freundschaftlichen Beziehung, in der die Aufgaben im Haushalt gleichberechtigt aufgeteilt sind. In Gotthold Glogers „Rübenfest“ vollzieht ein Ehepaar, das in einem ländlichen Milieu beheimatet ist, einen Rollentausch. In „Geschlechtertausch“15 von de Bruyn wacht das Ehepaar Anna und Karl eines Morgens als Adam und Karla auf. In Wolfs „Selbstversuch. Traktat zu einem Protokoll“ wird der Geschlechtertausch als wissenschaftliches Experiment vollzogen. Es werden in der Anthologie „zum Teil utopische Bilder eines Lebens, in dem die Polarisierung von männlich und weiblich und die Festschreibung der Rollen märchenhaft-phantastisch aufgehoben werden“16, dargestellt. In einem Teil der Männerromane wird zwar auch ein Geschlechterrollentausch vollzogen, jedoch sind die Texte niemals ‚märchenhaft-phantastisch‘, sondern immer realistisch. Außerdem sind Männerromane per se keine Kurzgeschichten. Es existieren jedoch auch Romane zum Geschlechterrollentausch aus dieser Zeit, die ebenfalls realistisch verfasst sind. Als ein Beispiel, das sich als ertragsvoll für die Konstituierung des Männerromans durch die Methode des Vergleichs herausstellt, ist Gisela Elsners Roman Die Zähmung17 (1984) hervorzuheben. Gisela Elsner macht wiederholt Begleiterscheinungen der 1968er-Bewegung zum Thema ihrer Romane: in Der Nachwuchs18 (1968) die antiautoritäre Erziehung, in

13 Barck, Simone: Die ‚Anthologitis‘. Ein Phänomen des Literaturbetriebs in der DDR. In: Literatur in der DDR im Spiegel ihrer Anthologien. Ein Symposium. Hrsg. von Günter Häntzschel. Wiesbaden: Harrassowitz 2005. S. 1–14, S. 11. 14 Stephan: „Daß ich eins und doppelt bin…“, S. 153. 15 Rosenberg bezeichnet die Geschichte von de Bruyn als „easily the most sensitive piece of GDR male writing on gender roles“. (Rosenberg, Dorothy: Redefining the Public and the Private. Women Writers in the GDR. In: Frauen-Fragen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Hrsg. von Mona Knapp u. Gerd Labroisse. Amsterdam: Rodopi 1989. S. 131–158, S. 142.) 16 Stephan: „Daß ich eins und doppelt bin…“, S. 153. 17 Elsner, Gisela: Die Zähmung. Chronik einer Ehe. Berlin: Verbrecher 2002. 18 Elsner, Gisela: Der Nachwuchs. Roman. 26.-35. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1970 (=Rororo 5828).

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Das Berührungsverbot19 (1970) die sexuelle Befreiung und in Die Zähmung die neue Frauenbewegung samt der Idee des Geschlechterrollentauschs.20 In der Literaturwissenschaft wird hin und wieder diskutiert, ob Elsner zu den Autorinnen der Frauenliteratur zu zählen ist oder nicht. So äußert zum Beispiel Dorothe Cremer ihr Unverständnis darüber, dass Elsner, der in der Literaturwissenschaft insgesamt nicht viel Beachtung geschenkt wurde, auch in der feministischen Literaturwissenschaft bisher kaum Bedeutung zugesprochen wurde.21 Hermann Kinder zeigt sich erstaunt, dass Elsner nicht zur Frauenliteratur gezählt wird, obwohl seiner Meinung nach derart verschwenderisch mit dem Begriff Frauenliteratur umgegangen wird.22 Dabei ist es durchaus möglich, in Elsners Romanen feministische Tendenzen zu entdecken. So stellt Cremer heraus, dass die Romane Die Riesenzwerge23 (1964), Das Berührungsverbot und Abseits24 (1982) durchaus eine Nähe zum Feminismus zugeschrieben werden könnte.25 Die Zähmung ist in der Aufzählung nicht enthalten. Nach Rita Morrien wurde der Roman dabei zu Recht ausgelassen, denn „[d]ie klischeehafte Überzeichnung der Ehefrau als karrieresüchtige Emanze läßt keinen Zweifel daran, daß Elsner den Zielen der Neuen Frauenbewegung äußerst skeptisch gegenüberstand.“26

19 Elsner, Gisela: Das Berührungsverbot. Roman. 25.-27. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1984 (=Rororo 5125). 20 Mindt stellt außerdem einen Bezug zwischen Die Zähmung und dem zwei Jahre früher erschienenen Roman Abseits her: „Beide Romane erzählen somit die Geschichte einer Ehe, die in der Zähmung mit der ‚Domestikation‘ des Mannes und im anderen Fall mit der Selbsttötung der Frau endet.“ (Vgl.: Mindt, Carsten: Verfremdung des Vertrauten. Zur literarischen Ethnografie der „Bundesdeutschen“ im Werk Gisela Elsners. Frankfurt am Main: Peter Lang 2009 (=Hamburger Beiträge zur Germanistik 49), S. 79.) 21 Vgl.: Cremer, Dorothe: „Ihre Gebärden sind riesig, ihre Äußerungen winzig“. Zu Gisela Elsners Die Riesenzwerge; Schreibweise und soziale Realität in der Adenauerzeit. Herbolzheim: Centaurus 2003 (=Frauen in der Literaturgeschichte 13), S. 5. 22 Vgl.: Kinder, Hermann: Gisela Elsner – der entsorgte Stachel. Nachwort zu Die Riesenzwerge. In: Die Riesenzwerge. Ein Beitrag. Hrsg. von Gisela Elsner. Hamburg: Rotbuch 1995. S. 290–301, S. 292. 23 Elsner, Gisela: Die Riesenzwerge. Ein Beitrag. 43.-46. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977 (=Rororo 1141). 24 Elsner, Gisela: Abseits. Roman. 18.-20.Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987 (=Rororo 5365). 25 Vgl.: Cremer: „Ihre Gebärden sind riesig, ihre Äußerungen winzig“, S. 5. 26 Morrien, Rita: „Böse Blicke“. Der Gesellschaftsroman von Frauen nach 1945. In: Frauen, Literatur, Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Hiltrud Gnüg u. Renate Möhrmann. Stuttgart: Metzler 1999. S. 498–515, S. 507.

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Sich selbst hat Elsner nicht als Feministin gesehen, schon gar nicht als schreibende Feministin. Das Ziel vieler Feministinnen, die „Zerstörung der Männergesellschaft durch eine weibliche Alternativkultur“27, ist nicht ihr Ziel. Schreibende Feministinnen würden sich als Frau in einer Opferrolle sehen, in der sie sich suhlen, und sie würden sich immer wieder selbst in ihrer Literatur spiegeln. Stattdessen sollten Schriftstellerinnen aber die Gesellschaft und die Missstände in der Gesellschaft spiegeln.28 Diese schreibenden Feministinnen, die voller Hingabe Selbstbespiegelung treiben, ohne sich um die Arbeitslosigkeit, den Mietwucher, die Inflation oder das Wettrüsten zu kümmern, genießen von Seiten der bundesdeutschen Literaturkritik eine Schonung, wie sie aussterbenden Indianerstämmen gewährt zu werden pflegt.29

Das ist für Elsner, die Frauenliteratur nicht als ein positives Etikett ansieht, ein Ärgernis, vor allem weil sie selbst eine Autorin ist, die in ihren Romanen, nicht zuletzt in Die Zähmung, Gesellschaftskritik übt, und Gesellschaftskritik kein Attribut von Frauenliteratur ist. Gesellschaftskritik sei Männersache und ob ein Buch von einem weiblichen Autor als gut bewertet wird, hänge davon ab, ob man es dem Buch anmerken kann, dass es von einer Frau verfasst worden sei. Wenn also ein Mann ein Buch, das eine Frau geschrieben hat, genauso gut hätte schreiben können, spreche das gegen das Buch.30 Den Begriff ‚Frauenliteratur‘ lehnt Elsner insgesamt ab und daher würde sie wohl auch den Begriff ‚Männerroman‘ ablehnen, denn [u]m den Sachverhalt zu klären, daß ein Buch von einem weiblichen Autor verfaßt worden ist, braucht man es nämlich nicht der sogenannten Frauenliteratur zuzuordnen. Schon der weibliche Vorname einer Autorin, der auf jedem Buchumschlag gedruckt zu werden pflegt, weist ganz und gar unmissverständlich darauf hin, daß dieses Buch von keinem Mann verfaßt worden ist.31

Für die 2002 im Verbrecher-Verlag erschienene Wiederauflage von Die Zähmung hat Tjark Kunstreich das Nachwort geschrieben. Er ist der Ansicht, dass von der

27 Elsner, Gisela: Autorinnen im literarischen Ghetto. In: Im literarischen Ghetto. Hrsg. von Christine Künzel. Berlin: Verbrecher 2011. S. 41–60, S. 48. 28 Vgl.: Elsner, Gisela: Bandwürmer im Leib des Literaturbetriebs. In: Im literarischen Ghetto. Hrsg. von Christine Künzel. Berlin: Verbrecher 2011. S. 247–256, S. 247–248. 29 Elsner: Autorinnen im literarischen Ghetto, S. 47. 30 Vgl.: ebd., S. 43. 31 Ebd., S. 45.

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Komik, die dem Rollentausch in Die Zähmung noch 1984 zugesprochen wurde, im Jahr 2002 nichts mehr übrig sei.32 Statt komisch zu sein, sei ein Rollentausch nun absolut im Bereich des Möglichen und Realistischen. Wie die Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach gezeigt hat, ist der Rollentausch aber auch heutzutage von der Mehrheit ebenso wenig gewünscht. In dieser Hinsicht ist also keine bedeutende Veränderung in der Gesellschaft erkennbar, die inzwischen ihren Weg in die Literatur hätte finden können. In einem Portrait zu Elsner ist auch Evelyne Polt-Heinzl der Ansicht, dass sich die Rezeption des Romans Die Zähmung mit der Zeit geändert habe: „Damals passten Elsners artistisch hergestellte Kälte, die Distanz zu ihren Figuren und zum Teil auch ihre Themen nicht in die soeben neu eingerichtete Nische ‚Frauenliteratur‘“33. Inzwischen wäre dies sehr wohl der Fall. Im direkten Bezug zum Roman Die Zähmung schreibt sie: Und während Autorinnen beginnen, Frauen als Opfer von Unterdrückung und Gewalt zu zeigen, führt Die Zähmung ein umgekehrtes Fallbeispiel vor: Hier wird der erfolglose Schriftsteller Alfred Giggenbacher das Opfer seiner tüchtigen Gattin Bettina und rutscht unversehens in die Rolle des Hausmannes.34

Der Mann wird also als Opfer dargestellt und die Frau als Täterin, wobei der Mann als ‚das Opfer seiner tüchtigen Gattin‘ beschrieben wird. Es scheint ein Opfer zu geben, aber keine wirkliche Täterin, und obwohl Bettina in dem Roman die tüchtige und erfolgreiche Gattin ist, soll uns Die Zähmung die Unterdrückung der Frau vor Augen führen. Das klingt zunächst unlogisch, ist von Polt-Heinzl allerdings gut durchdacht: „In der ‚unnormalen‘ Umkehr der Geschlechterrollen wird der für Frauenfiguren ‚normale‘ Prozess der Zurichtung auf neue Art lesbar.“ Die Zähmung sei also ein feministischer Roman, gerade weil er die Unterdrückung eines Mannes und nicht einer Frau zeige, denn Elsner habe sich in dem Roman dem Stilmittel der Umkehrung bedient, wodurch das tatsächliche Bild nur noch deutlicher aufgezeigt werden soll:

32 Vgl.: Kunstreich, Tjark: Über Gisela Elsner. Nachwort. In: Die Zähmung. Chronik einer Ehe. Hrsg. von Gisela Elsner. Berlin: Verbrecher 2002. S. 273–281, S. 276–277. 33 Polt-Heinzl, Evelyne: Ein Leben ohne Netz. In: EMMA (2005) H. 5. S. 96–99, S. 97. 34 Ebd., S. 98.

198 | DER M ÄNNERROMAN Die Zähmung karikiert genußvoll und mit narrativem Schwung den Rollentausch in einer Ehe und legt dadurch die herrschenden Geschlechterkonventionen absichtsvoll bloß. In der extremen Zuspitzung und Umkehrung soll Wahrheit erscheinen.35

In der FAZ hingegen wird Die Zähmung beschrieben als „die kalte Geschichte eines Lebenszweikampfs, die Geschichte von Sprachverlust, Liebesverlust, Achtungsverlust, dem Grauen eines unerträglichen Lebens zu zweit, von Rollentausch, Geschlechtertausch, Unterdrückung, Haß und Lebenszweisamskälte.“36 Dass es in Die Zähmung zumindest auch um einen Rollentausch geht, ist aus den Rezensionen des Romans unbestritten herauszulesen. Unterschiedlich sind jedoch die Kommentierungen des Rollentauschs: Wer unterdrückt hier eigentlich wen? Die Unterdrückungsmechanismen spiegeln sich unter anderem in der Nutzung der Namen: Die Protagonistin des Romans wird durchweg mit dem Vornamen genannt, also mit ‚Bettina‘, und der Protagonist wird ‚Giggenbacher‘ genannt. Dazu schreibt Wiggershaus: Wenn sie [gemeint ist Elsner, AKK] in dem Roman Die Zähmung von einem Ehepaar als Giggenbacher und Bettina spricht, ohne die jahrhundertealte Entmündigung, die hinter der Nennung der Frau bei ihrem Vornamen steckt, auf sarkastische oder ironische Art zu verfremden, so dominiert die Verlängerung eines alten patriarchalischen Unterdrückungsmechanismus.37

Es gibt aber auch Fundstellen, die eine andere Sicht auf die ‚patriarchalischen Unterdrückungsmechanismen‘ werfen: Zu Beginn des Romans beschwert sich Bettina Begemann, dass sie bei der Arbeit oft mit ‚Frau Giggenbacher‘ angesprochen wird. Sie möchte aber mit ihrem eigenen Namen angesprochen werden, mit ‚Begemann‘ (vgl. ZÄ: 2). Giggenbacher wird bereits zur Mitte des Romans als ‚Herr Bachmaier‘ (vgl. ZÄ: 155) angeredet, zum Ende des Romans wird er dann ‚Herr Begemann‘ (vgl. ZÄ: 239) genannt. Die patriarchalische Unterdrückung hat sich also umgekehrt: Von ‚Frau Giggenbacher‘, die eigentlich ‚Begemann‘ heißt, zu ‚Herrn Begemann‘, der eigentlich ‚Giggenbacher‘ heißt. Wurde zu Beginn des Romans also

35 Armanski, Gerhard: Fränkische Literaturlese. Essays über Poeten zwischen Main und Donau; Max Dauthendey, Elisabeth Engelhardt, Gisela Elsner, Friedrich Rückert, Süßkind von Trimberg, Moritz August von Thümmel, Leo Weismantel. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, S. 46. 36 N.N.: Die Zähmung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (12.5.2002). S. 34 37 Wiggershaus, Renate: Neue Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. In: Frauen, Literatur, Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Hiltrud Gnüg u. Renate Möhrmann. Stuttgart: Metzler 1999. S. 416–433, S. 430.

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noch Bettinas Nachname unterdrückt und damit sinnbildlich sie, wird am Ende Giggenbachers Name unterdrückt und damit sinnbildlich er. Dabei fällt ein Unterschied auf: Während Bettina sich gegen die Unterdrückung wehrt und gefälligst bei ihrem richtigen Nachnamen angesprochen werden möchte, fügt sich Giggenbacher am Ende seinem Schicksal und lässt sich ohne Widerspruch ‚Herr Begemann‘ nennen. Zu Beginn des Romans wird Bettina als eine Frau eingeführt, die körperlich stark ist und viel Geld verdient, was zwei typisch männliche Attribute sind. Durch ihre Schwangerschaft wirkt Bettina allerdings trotzdem nicht männlich. „Als untrügliches Zeichen der männlichen Geschlechtszugehörigkeit gilt interkulturell der schlichte anatomische Befund, dass ein Mann im Gegensatz zu einer Frau biologisch nicht in der Lage ist, ein Kind zu gebären.“38 Dazu ist im Roman zu lesen: Mit einer gekünstelten Munterkeit begrüßte Alfred Giggenbacher, ein nahezu hünenhafter, zur Korpulenz neigender Mann, seine Frau, die mit zwei Tragetaschen hinauf zum dritten Stockwerk stieg. Obwohl es ihm mittlerweile schwer gefallen wäre, auf den Lebensstandard zu verzichten, den Bettina finanzierte, empfand er bei ihrem Anblick plötzlich Gewissensbisse, weil sie sich auch im neunten Monat ihrer Schwangerschaft nicht schonen konnte. (ZÄ: 1)

Hier ist die doppelte Belastung erkennbar, die emanzipierte Frauen zu tragen haben: Sie machen Karriere, kümmern sich aber weiterhin um alle Aufgaben, die im Haushalt anliegen. Das ist die Ausgangssituation des Romans, und das war – und ist – Realität in vielen Ehen. Dann findet jedoch der Rollentausch statt und Giggenbacher erscheint als Opfer: „An Haus und Herd gebunden, wie er es gegen seinen Willen war, empfand er den Rollentausch, den sie voller Raffinesse herbeigeführt hatte, als unzumutbar. Doch wusste er nicht, wie er diesen Rollentausch rückgängig machen sollte“ (ZÄ: 154). Er schwankt zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Selbstüberschätzung. Einerseits hat er die Idee, dass er längst ein gefeierter Autor wäre, wenn er sich nur endlich von Bettina und seiner Tochter trennen würde. Andererseits hat er Angst, dass er als Autor versagt und zum Sozialhilfeempfänger wird. Schlussendlich lässt er sich nicht scheiden. Es kann festgehalten werden, dass der Rollentausch nicht zu seinem Glück beiträgt, ihn im Gegenteil sogar zum Opfer, zum Unterdrückten macht. Carsten Mindt stellt die These auf, dass es sich in Die Zähmung eigentlich nicht um einen Rollentausch, sondern vielmehr um eine Radikalisierung der Situation

38 Schallenberg, Andrea: Spiel mit Grenzen. Zur Geschlechterdifferenz in mittelhochdeutschen Verserzählungen. Berlin: De Gruyter 2012 (=Deutsche Literatur. Studien und Quellen 7), S. 355.

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handelt, da Bettina von Beginn an den Lebensunterhalt verdient.39 Betrachtet man die Berufs-Ebene, ist diese These so zu unterstreichen. Auf der Hausarbeits-Ebene findet allerdings sehr wohl ein Rollentausch statt, denn zu Beginn des Romans kümmert sich Bettina um beides, das Einkommen und den Haushalt, womit das typische Bild einer emanzipierten Frau vorliegt. Im Laufe des Romans übernimmt dann jedoch Giggenbacher die Rolle der Hausfrau.40 Außerdem schreibt Bettina in dem Roman einen autobiographischen Roman mit dem Titel Miranda41, der sehr erfolgreich ist. Bettina wird zur gefeierten Schriftstellerin und erreicht damit ein Ziel, das ursprünglich ihr Mann Giggenbacher hatte. Jetzt liest er lediglich frustriert die Rezensionen über das Erfolgsbuch seiner Frau, während er sich um die Hausarbeit und die Kindererziehung kümmert.42 Eine einzige Frau im Roman wird direkt als Feministin bezeichnet: Ernesta Schnegel. Die Beschreibungen von Ernesta Schnegel strotzen nur so von Klischees: Ihre Haare sind kurz geschnitten, sie trägt keinen Büstenhalter, ist nicht besonders gepflegt, schläft auch mit Frauen und leitet ein Frauenhaus (vgl. ZÄ: 200). Von Giggenbacher wird sie nur ‚Die Feministin‘ genannt. Sein Freund, der Dichter Ode, warnt Giggenbacher nach dem vollzogenen Rollentausch: „Wenn du so weitermachst, wirst du bald den männlichen Typus verkörpern, von dem Ernesta und ihre Mitstreiterinnen träumen“ (ZÄ: 203). Da Bettina diejenige ist, die Giggenbacher

39 Vgl.: Mindt: Verfremdung des Vertrauten, S. 88. 40 Anzumerken ist, dass Elsner bewusst den Begriff ‚Hausfrau‘ wählt, statt das männliche Pendant ‚Hausmann‘ zu verwenden. Auf diese Weise wird der vollzogene Rollentausch nur noch mehr betont. 41 Hier steht der Frauenname gleich doppelt auf dem Buch, um mit Elsner zu sprechen: Einmal gibt es den Vornamen der Autorin, also Bettina, und dann noch den Titel Miranda. Damit ist das Buch gleich doppelt als weiblich kenntlich gemacht. 42 „Es verblüffte Giggenbacher, was die Rezensenten alles in das Buch hineininterpretierten. Sie behaupteten, daß den Roman Miranda kein Mann hätte schreiben können. Sie sahen in dem Roman einen Niederschlag des Ewigweiblichen. Sie redeten von einer weiblichen Ästhetik. Sie lobten Bettinas Einfühlungsvermögen. Die Heldin Miranda wurde als die Verkörperung der emanzipierten Frau schlechthin bezeichnet“ (ZÄ: 245-246). In dieser kurzen Passage ist viel von dem wiederzufinden, was Elsners Meinung über Frauenliteratur widerspiegelt. Die Kritik wird dabei besonders im ersten Satz deutlich: „Es verblüffte Giggenbacher, was die Rezensenten alles in das Buch hineininterpretierten.“ Dass es ihn verblüffte, weist darauf hin, dass er selbst die von den Feuilletonisten beschriebenen Phänomene nicht in dem Buch seiner Frau gesehen hat. Mit „was die Rezensenten alles in das Buch hineininterpretierten“ wird zudem suggeriert, dass die aufgeführten Merkmale, wie zum Beispiel die weibliche Ästhetik, auch gar nicht im Roman vorhanden sind. Sie müssen erst ‚hineininterpretiert‘ werden.

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drängt so zu sein, liegt es nahe, dass Bettina eine der Mitstreiterinnen von Ernesta ist, also eine Feministin. Der Roman Die Zähmung würde demzufolge also die Zähmung eines Mannes durch eine Feministin beschreiben. Möglich und naheliegend wäre aber auch, dass es in Die Zähmung gar nicht so sehr um den Feminismus geht, sondern um die Gender-Frage überhaupt. Schließlich werden auch ein Mann und seine Männlichkeit verhandelt, beziehungsweise seine schwindende Männlichkeit. So fasst Giggenbacher zum Beispiel den Plan, wie seine Frau Bettina fremdzugehen, hat jedoch Angst davor, dann seine Männlichkeit beweisen zu müssen, und schläft lieber nicht mit einer anderen Frau (vgl. ZÄ: 103). „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Mit diesem bekannten Satz hat Simone de Beauvoir den Konstruktionscharakter des sozialen Geschlechts offen gelegt. Dieses soziale Geschlecht von Giggenbacher ändert sich im Laufe des Romans zusehends: Seine Beschäftigung mit Belanglosigkeiten blieb nicht folgenlos. Sie verdarb seinen Charakter. Er fing an launisch, reizbar, zänkisch und kleinlich zu werden. In lichten Momenten hatte er den Verdacht, daß er, wenn er dieser charakterlichen Entwicklung nicht rechtzeitig Einhalt gebot, auf dem besten Wege war, sich in eine männliche Xanthippe zu verwandeln. (ZÄ: 153)

Auch der Hausfrauen-Diskurs, der Bestandteil des Marxistischen Feminismus ist, wird mehrfach widergespiegelt, zum Beispiel wenn von Giggenbachers Händen berichtet wird, die durch die Hausarbeit angegriffen sind und sich in „[t]ypische Hausfrauenhände“ (ZÄ: 262) verändert haben. Aber nicht nur körperlich verwandelt sich Giggenbacher immer mehr in eine Hausfrau: Daß ich immer beim Beischlaf die Rolle des Mannes übernehme, ist nur von untergeordneter Bedeutung. Viel wichtiger ist, daß ich das Leben einer braven, biederen Hausfrau führe. Das färbt auf mich ab. Ich merke, daß ich immer weibischer werde. Ich bin Bettina ebenso treu ergeben, wie es ehrbare Hausfrauen ihren Männern sind. Wie die meisten Hausfrauen, stelle ich meine eigenen Interessen hinten an. Wie die meisten Hausfrauen bin ich, weil mich die Hausarbeit vom Geldverdienen abhält, vom Wohlwollen meines Ehepartners abhängig. (ZÄ: 203)

Elsner geht an anderer Stelle noch weiter und lässt Giggenbacher mutmaßen, dass das soziale Geschlecht Einfluss auf das biologische Geschlecht haben kann: Giggenbacher nascht heimlich und wird dicker. Er bekommt Ansätze von kleinen wulstartigen Brüsten43 (vgl.: ZÄ: 133). „Dabei machten ihm seine wulstartigen

43 Bei dieser Erscheinung handelt es sich wahrscheinlich nicht um Gynäkomastie: „Unter Gynäkomastie versteht man die ein- oder beidseitige Vergrößerung der männlichen Brust

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Brüste noch mehr zu schaffen als sein Bauch und sein Doppelkinn. Er argwöhnte, daß er zu viele weibliche Hormone im Körper hatte“ (ZÄ: 134). Giggenbacher verweiblicht auch körperlich. Bettina vermännlicht körperlich nicht, denn zu Beginn und am Ende des Romans bekommt Bettina ein Kind und wird damit als sehr weiblich dargestellt. Kurz wird auch der Gedanke aufgenommen, dass Männer die besseren Frauen sind, nämlich dann, wenn Giggenbacher sich in einer roten Schürze präsentiert, auf der steht „Vati kann es besser“ (ZÄ: 261). Da Giggenbacher gleich mehrere Männerschürzen besitzt, die mit Sprüchen bedruckt sind, wird deutlich, dass es anscheinend einen Bedarf an Männerschürzen gibt, dass es viele Männer gibt, die kochen. Giggenbacher ist folglich nicht als Einzelfall anzusehen. Die Zähmung ist als eine pessimistische Sicht auf den Geschlechterrollentausch zu interpretieren. Es wird zum Thema gemacht, dass eine Ehe nicht funktionieren kann, weil es Gleichberechtigung in einer Gesellschaft, die von derart vielen Machtspielen lebt, nicht geben kann. Jeder hat die Absicht den anderen zu unterdrücken, damit er in keinem Fall der Unterdrückte ist. Jeder will den anderen zähmen – nicht nur eine Frau einen Mann oder ein Mann eine Frau. Das wird besonders dadurch deutlich, dass Bettina und Giggenbacher auch außerhalb ihrer Ehe zu Zähmern werden, wenn es möglich ist: Bettina unterdrückt eine Freundin, die ihr den Haushalt machen soll, obwohl diese schwanger ist (vgl. ZÄ: 78-82) und Giggenbacher zwingt seinen Vater zur Hausarbeit, als der beim Ehepaar zu Besuch ist (vgl. ZÄ: 192). Es unterdrückt also auch eine Frau eine andere Frau und ein Mann einen anderen Mann. Die Zähmung führt folglich zwar auch einen Geschlechterkampf vor, aber der Fokus sollte hier nicht aufs Geschlecht gelegt werden, sondern auf den Kampf. Die Zähmung führt vor, dass Gleichberechtigung in einer Gesellschaft, die so stark an Machtstrukturen gewöhnt ist und sich daran orientiert, nicht möglich ist. Männerromane hingegen haben einen tendenziell optimistischen Blick auf den Geschlechterrollentausch. Dennoch wird auch in ihnen aufgezeigt, dass der Geschlechterrollentausch besonders Männer vor große Aufgaben und Schwierigkeiten stellt

unter dem Einfluss von Östrogenen oder Wirkstoffen mit Östrogeneffekt“. (HeywangKöbrunner, Sylvia H.: Bildgebende Mammadiagnostik. Untersuchungstechnik, Befundmuster, Differenzialdiagnose und Interventionen. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme 2003 (=RRR (Referenz-Reihe Radiologie)), S. 454.) Da beschrieben wird, dass Giggenbacher die ‚wulstartigen Brüste‘ bekommt und gleichzeitig zugenommen hat, handelt es sich hier wohl eher um eine „Pseudogynäkomastie des Adipösen“. (Siegenthaler, Walter u. André Aeschlimann: Siegenthalers Differenzialdiagnose. Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. 19. Aufl. Stuttgart: Thieme 2005, S. 90.)

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und wahrscheinlich deswegen nicht als dauerhaftes Konzept bevorzugt wird. Zentraler Gegenstand ist immer wieder der Verlust der Männlichkeit, der durch den Rollentausch befürchtet oder sogar erlebt wird und auch schon in Elsners Roman thematisiert wurde. Im Männerroman Waschlappen44 (2009) von Sascha Zeus und Michael Wirbitzky stürzt Vigo, der beste Freund des Protagonisten Alex, diesen in eine Waschlappen-Krise: Vigo schreibt Briefe, in denen er Alex mit „Hola Waschlappen“ (WL: 36, 79, 111, 133) anredet und ihn fragt, ob er schon die Betten gemacht habe (vgl. WL: 111). Als Alex seinem Freund Vigo erzählt, dass er einen Rollentausch plant, entgegnet Vigo ihm: Kriegst du dann immer montags ein bisschen Haushaltsgeld? Alex, du bist ein Kerl! Männer machen so was nicht. [...] Männer bauen Wolkenkratzer, verlegen Unterseekabel, besteigen Achttausender. Die rühren keinen Brei an für zahnlose Monster. Komm zur Besinnung! (WL: 62)

Nach Vigos Meinung sind Männer für Höchstleistungen gemacht – und nicht für die Kinderbetreuung. Da Alex sich dennoch für den Rollentausch entscheidet, ist er, wenn man Vigos Ausführungen weiterdenkt, für Vigo ein weniger männlicher Mann. Die unterschiedlichen Ansichten der beiden Männer stellen ihre Freundschaft auf eine harte Probe: „Vigo hab ich nicht oft gesehen in den letzten Jahren. Er hat mich auch ganz schön spüren lassen, dass er mich für ein Weichei hält“ (WL: 78). Als Alex eine Zeit lang von seiner Freundin Inga getrennt ist und wieder arbeitet, bezeichnet ihn niemand mehr als einen Waschlappen. Er befürchtet dennoch, wieder in sein altes Verhaltensmuster zu fallen: „Ich hab so Angst, dass aus mir wieder der Käsekuchen-Alex wird. Denn der bin ich ja. Auch“ (WL: 186). Gleichzeitig hat Vigo inzwischen einen Wandel vollzogen: Er hat sich in eine Frau verliebt, erwartet ein Kind mit ihr und gibt für seine neue Familie sein gewohntes Leben auf (vgl. WL: 198). Nun nennt Vigo seinen Freund Alex nicht mehr Waschlappen (vgl. WL: 197), sondern stattdessen schreibt Alex jetzt Briefe an Vigo mit der Anrede „Hola Waschlappen“ (WL: 198). Es hat damit eine Umkehrung stattgefunden. In dem Roman Waschlappen sind es die Männer, die sich gegenseitig in eine Krise stürzen, weil sie sich gegenseitig Regeln dafür aufstellen, wann ein Mann männlich ist und wann nicht.

44 Zeus, Sascha u. Michael Wirbitzky: Waschlappen. Roman. Bergisch Gladbach: Lübbe 2009.

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In Der Wickelvolontär45 (2009) von Mike Schier leugnet der Protagonist gänzlich die Existenz einer ‚Krise der Männlichkeit‘, die sich angeblich dann einstellen soll, wenn ein Mann einen Geschlechterrollentausch durchführt: „Kein Vater wird automatisch in eine Sinnkrise seines männlichen Selbstbildes gestürzt, bloß weil er für eine Weile mehr Bilderbücher als Aktenordner, Baupläne oder Optionsscheine in Händen hält“ (WV: 247). Diese Feststellung gehört zum Resümee seiner Elternteilzeit. Zu Beginn des Romans wehrt sich der Protagonist bereits explizit gegen den Vorwurf des Waschlappens: Bis vor kurzem gab es im Prinzip nur zwei Arten von Vollzeitvätern: jene, die gerade arbeitslos oder schlecht bezahlt waren und dank der Kinder endlich eine gute Ausrede parat hatten. Und jene, die in Strickpulli, Latzhose oder Selbstgebatiktem den Kindern Müsli fütterten. Beide Gruppen trugen ihren Teil dazu bei, dass Männer, die sich um ihre Kinder kümmerten, als Waschlappen galten. Ich bin kein Waschlappen. (WV: 26)

Auch hier sind es demzufolge wieder Männer, die Schuld an der WaschlappenKrise sind, genauer die zwei Ur-Typen der Vollzeitväter. Sich selbst zählt Mike zu einer Weiterentwicklung dieser Varianten. Ein paar Zeilen weiter wird noch einmal unterstrichen: „Ich war kein Weichei, sondern vom Staat geförderter Jungvater“ (WV: 27). Mike wehrt sich folglich vehement gegen die Idee, dass ein Vollzeitvater weniger männlich sei, und behauptet, dass er nicht unter einer Krise der Männlichkeit gelitten habe, nur weil er einen Rollentausch vollzogen hat. Umso erstaunlicher ist es, dass er dann doch noch die alles entscheidende Frage stellt: „War ich doch ein Waschlappen?“ (WV: 30). Der Protagonist ist handwerklich unbegabt – seine Frau hingegen handwerklich sehr geschickt (vgl. WV: 30). Er befürchtet, dass er seinem Sohn Ben später wegen seiner handwerklichen Defizite womöglich kein guter Vater sein kann, kein adäquates männliches Rollenvorbild. So lange Ben noch klein ist, wird er allerdings ganz andere Bedürfnisse haben: „Zu Beginn meiner Elternzeit braucht er vor allem Wärme, Nähe und andere feminine Spezialitäten. Da war ich genau der richtige Mann dafür“ (WV: 31). Was er seinem Sohn als Vater bieten kann, sind typisch weibliche Qualitäten. Diese Erkenntnis führt zum erwarteten Selbstvorwurf: „‚Waschlappen!‘, dachte ich. ‚Was bist du nur für ein Waschlappen!‘“ (WV: 31). Zugespitzt wird die Krise in Mr. Mom46 (2009) von Hans Weitmayr: Während eines Streits wird Jakob von Katharina als „Schlappschwanz“ (MR: 119) be-

45 Schier, Mike: Der Wickelvolontär. Wie man als Vater überlebt. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. 46 Weitmayr, Hans: Mr. Mom. Die Wahrheit über ein Jahr Väterkarenz. Roman. Wien: Edition a 2009.

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schimpft. Als Jakob den Streit reflektiert, kommt er zu dem Schluss: „Katharina, das musste ich zugeben, hatte nicht in allen Punkten Unrecht. Das mit dem Schlappschwanz beispielsweise stimmte“ (MR: 121). Also wendet sich Jakob mit seinen tatsächlich vorhandenen Erektionsproblemen an einen Arzt. Nach einigen Tests stellt dieser fest, dass Jakob einen erhöhten Östrogen-Wert hat (vgl. MR: 122). Dieser Befund erinnert stark an die Brüste, die sich in Elsners Roman bei Giggenbacher entwickelt haben. Jakob bringt seinen erhöhten Wert an weiblichen Hormonen ebenfalls sofort in Zusammenhang mit seiner neuen Rolle als Hausmann und Vollzeitvater: Konnte das sein? Hatte die Mutterrolle – das tägliche Windelwechseln, das Füttern, die ständige Nähe des Babys, sein Geruch, das ständige Ansuchen um Haushaltsgeld bei der Alleinverdienerin – einen psychosomatisch bedingten hormonellen Schub ausgelöst und eine Frau aus mir gemacht? (MR: 122)

Letztendlich stellt sich zwar heraus, dass der Hormonwert von Jakob völlig normal und dem Labor bei der Auswertung des Blutes nur ein Fehler unterlaufen ist (vgl. MR: 125), es bleibt aber Jakobs Vermutung, dass sein vermeintlich erhöhter Östrogen-Wert in Zusammenhang mit seiner neuen Rolle steht. Hausarbeit und Kinderbetreuung scheinen für ihn biologisch bedingt weiblich konnotiert zu sein und weibliches Verhalten liege folglich in den biologischen Anlagen einer Frau begründet. Nimmt ein Mann weibliches Verhalten an, kann sich das seiner These nach auf seine ursprünglich männlichen Anlagen auswirken. Diese Idee ist in sehr ähnlicher Weise auch von der Figur Giggenbacher in Elsners Roman zu finden. Diese wissenschaftlich betrachtet unkorrekte Befürchtung scheint sich damit hartnäckig über Jahrzehnte hinweg gehalten zu haben. Sowohl in den Romanen zum Rollentausch der 1970er Jahre als auch in den Männerromanen kämpfen alle Männer mit der Angst, dass sie ihre neue Rolle weniger männlich machen könnte. Diese Angst wird explizit nicht von Frauen geäußert, sondern immer wieder von den betroffenen oder befreundeten Männern. Damit stürzen sich die Männer gegenseitig in eine Krise der Männlichkeit aufgrund des Geschlechterrollentauschs. Auffällig ist, dass die Männer in den Männerromanen ihre Entscheidung, von nun an Vollzeitvater und Hausmann zu sein, genau wie in dem Roman von Elsner aus den 1970er Jahren nicht vollkommen freiwillig treffen. Der Rollentausch wird vielmehr dann vollzogen, wenn es bei den Männern berufliche Schwierigkeiten gibt oder ihnen bereits die Anstellung gekündigt wurde. Gleichzeitig befindet sich die Frau und werdende Mutter karrieretechnisch auf der Überholspur. Die Umstände zwingen den Mann geradezu zum Geschlechterrollentausch.

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Nach einer kurzen Phase des Tauschs kehren die Protagonisten in den Männerromanen relativ schnell wieder in ihre alte Rolle und ins Berufsleben zurück, wobei der Wiedereinstieg in den Beruf meistens zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem das Kind in den Kindergarten geht oder von Erzieherinnen betreut wird. So wird der Berufswiedereinstieg des Mannes im Roman ermöglicht, ohne dass er als schlechter Vater dargestellt wird. In den Männerromanen zum Rollentausch werden verschiedene Vatertypen beschrieben. Die verschiedenen Vater-Typen sollen mit Hilfe einer Einteilung von Svenja Hofert vorgestellt werden. Hofert unterscheidet die verschiedenen Typen anhand der Kategorien Kind, Karriere und Haushalt wie folgt: ‚Mappis‘ sind alleinerziehende Väter, ‚Haumäs‘ sind Hausmänner und Vollzeitväter, ‚Fairpas‘ versuchen in ihrem Leben Kind und Karriere zu vereinbaren, ‚Mopas‘ kümmern sich innerhalb eines kurzen Zeitraumes von beispielsweise zwei Monaten voll um den Nachwuchs, ‚Allies‘ verstehen sich als Alleinernährer der Familie und ‚Testos‘ sehen die Erziehung des Nachwuchses als alleinige Aufgabe der Frau an.47 Giggenbacher in Elsners Roman ist entweder als alleinerziehender Vater oder als Hausmann und Vollzeitvater beschreibbar. Überträgt man die Kategorien auf die Männerromane, so kommt man zu dem Schluss, dass die beiden Extrempole hier gar nicht bedient werden: Es werden keine Männer dargestellt, die wie Giggenbacher den Rest ihres Lebens in der traditionell weiblichen Rolle verbringen wollen, noch werden Männer figuriert, die komplett an der traditionellen Rollenverteilung festhalten. Zwischen den Extrempolen ist jedoch jede Variante vertreten: Der Protagonist in Der Wickelvolontär ist ein Mopa, da er sich lediglich zwei Monate voll und ganz um seinen Sohn kümmert. Torben ist sowohl in Allein unter Spielplatzmüttern48 (2007) als auch in Der Mann mit dem Bobby-Car49 (2008) von Volkmar Nebe ein Fairpa, weil er am Ende des Männerromans Allein unter Spielplatzmüttern in dem Kapitel mit dem bezeichnenden Titel „So ist alles besser“ berichtet, dass seine Frau Jette nun nur noch vier Tage in der Woche arbeitet und diese auch nur halbtags (vgl. AS: 237). Torben hingegen ist in der Zwischenzeit Chef einer Schauspieler-Agentur geworden (vgl. AS: 238). In dem Folgeroman Der Mann mit dem Bobby-Car ist er im letzten Kapitel fest bei einer Werbezeitung angestellt und verdient dreimal so viel wie in seinem vorherigen Job als freier Mitarbeiter beim Fuhlsbüttler Anzeiger. Seine Frau Jette macht ein Sabbatjahr (vgl. MB:

47 Vgl.: Hofert, Svenja: Papa ist die beste Mama. Ein Ratgeber zum Rollentausch. München: MVG 2009, S. 26. 48 Nebe, Volkmar: Allein unter Spielplatzmüttern. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2007 (=Rororo 24404). 49 Nebe, Volkmar: Der Mann mit dem Bobby-Car. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2008 (=Rororo 24584).

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223-224). In beiden Romanen teilen Jette und Torben folglich Kind und Karriere untereinander auf. Auch Alex, der in Waschlappen zunächst bei einem Automagazin arbeitet, dort kündigt und schließlich wieder als Journalist arbeitet (vgl. WL: 180), ist ein Fairpa, da seine Frau Inga Chefredakteurin einer Zeitschrift ist und Alex sich daher mit um die Erziehung der beiden Söhne kümmert. In Schief gewickelt50 (2007) von Matthias Sachau wird Markus der Sänger einer angesagten Easy-Papa-Metal-Band (vgl. SG: 199-200). Gleichzeitig ist Simone in ihrem Beruf aufgestiegen (vgl. SG: 198) und zum zweiten Mal schwanger (vgl. SG: 202). Da Simone in ihrem Beruf aufgestiegen ist, liegt es nahe, dass sie weiter arbeiten geht, während sich Markus um Daniel kümmert. Markus ist zwar Sänger einer Band geworden, wodurch er viel Anerkennung erlangt, das Mitwirken bei der Band ist jedoch eher als eine Freizeitbeschäftigung denn als ein Beruf anzusehen. Damit ist Markus ein Hauma. In Die Krise der Kerle stellt Thomas Gesterkamp heraus, dass Männer Arbeitslosigkeit als eine Krise ihrer männlichen Identität empfinden, da viele Männer meinen, dass Männlichkeit unter anderem auf der Ernährer-Rolle beruht.51 Ein Rollentausch wird oft dann durchgeführt, wenn Männer berufliche Probleme haben oder ihre Partnerin mehr verdient.52 Die Protagonisten in den Männerromanen geben ebenfalls diese Argumente für einen Rollentausch an. Arbeitslosigkeit wird hier immer wieder als ein Grund aufgeführt, warum Männer ihren Schreibtisch gegen den Wickeltisch eintauschen. Es wird argumentiert, dass der Mann zum Zeitpunkt der Schwangerschaft der Frau gerade berufliche Probleme hat, während die Frau Karriere macht, so dass es nahe liegt, dass sich der Mann und nicht die Frau um das Kind kümmert. Weil der Mann also gar keine andere Wahl hat, verzichtet er auf die Ernährer-Rolle. Sobald es die Situation zulässt, wollen Vollzeitväter in der Realität schnell wieder ins Berufsleben zurück und den Rollentausch umkehren.53 Eine Beobachtung, die auch in den Männerromanen gemacht werden kann. In Schief gewickelt von Matthias Sachau rechtfertigt der Protagonist Markus seine Entscheidung, Vollzeitvater zu werden, wie folgt:

50 Sachau, Matthias: Schief gewickelt. Roman. 5. Aufl. Berlin: Ullstein 2009. 51 Vgl.: Gesterkamp, Thomas: Die Krise der Kerle. Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft. Münster: Lit 2007 (=ZASS, Zukunft der Arbeit und der Sozialen Sicherung. Schriftenreihe der Stiftung der KAB Deutschlands, Band 2 2), S. 28. 52 Vgl.: Peuckert, Rüdiger: Familienformen im sozialen Wandel. 7. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden 2008, S. 280. 53 Vgl.: ebd., S. 281.

208 | DER M ÄNNERROMAN Um jetzt mal keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das war alles nicht so geplant. Ich wollte nie einer von diesen schlabberhosigen Ersatzmama-Vätern werden. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, wäre ich heute immer noch festangestellter Grafiker meiner alten Internet-Agentur [...]. Vielleicht wäre ich auch schon zum Creative Director aufgestiegen. Oder ich hätte sogar meine eigene Internet-Start-up-Idee endlich in die Tat umgesetzt und stünde kurz vor dem Börsengang. Und Simone? Würde, genau wie sie es sich gewünscht hatte, ihre Babypause machen. (SG: 13)

Stattdessen wird jedoch Markus arbeitslos und Simone bekommt eine Stelle als Abteilungsleiterin angeboten (vgl. SG: 14). Markus wird wohl oder übel doch ein ‚schlabberhosiger Ersatzmama-Vater‘. Der werdende Vater Alex arbeitet in Waschlappen als Journalist bei einem Automagazin. Doch dann wird Svenja Richter neue Chefredakteurin und erwartet von ihren Angestellten eine andere Ausdrucksweise als bisher, denn ab jetzt soll das Automagazin auch Frauen ansprechen (vgl. WL: 38). Da Alex es nicht schafft, die Anforderungen von Svenja Richter zu erfüllen, soll er zukünftig nur noch für Sonderaufgaben verantwortlich sein (vgl. WL: 51). Dass Alex daraufhin Erziehungsurlaub beantragt, klingt eher nach Rache als nach Vaterliebe: Der Richter bin ich erstmal mit Erziehungsurlaub gekommen. Das war großartig. Da konnte die dämliche Ziege mal zeigen, wie familyfreundlich sie unterwegs ist. Die wurde limonengrün, wie ihre Scheißzeitschrift! War ja eh klar, dass ich da keinen Fuß mehr in die Türe setzen würde. Und vorher sollte sie noch ein bisschen bluten ... (WL: 57)

Alex’ neue Chefin war vorher Chefredakteurin der Zeitschrift Belezza (vgl. WL: 28). Ihre Nachfolgerin bei Belezza soll Inga werden, mit der Alex sein erstes Kind erwartet. Damit ist auch in dem Roman Waschlappen die Frau beruflich erfolgreich, während der Mann mit einem Karriereknick zu kämpfen hat. Die Entscheidung, dass Alex Hausmann und Vollzeitvater wird, wird als logische Konsequenz und nicht als freie Entscheidung dargestellt: „Ich war dann erst mal zuhause. Kam irgendwie automatisch“ (WL: 56). Torben verliert in Volkmar Nebes Allein unter Spielplatzmüttern seinen Job als Klavierverkäufer, weil der Laden seines Chefs von einem Gerichtsvollzieher gepfändet wird (vgl. AS: 19). Kurze Zeit später verkündet ihm Jette, dass sie von ihm schwanger ist (vgl. AS: 22). Somit ist er zum Zeitpunkt der Schwangerschaft arbeitslos, während Jette weiterhin in ihrem Beruf als Maklerin (vgl. AS: 24) arbeiten kann. Da liegt es nahe, dass der arbeitslose Mann zu Hause bleibt. Im Folgeroman Der Mann mit dem Bobby-Car hat Torben keine Festanstellung, sondern arbeitet gelegentlich als freier Mitarbeiter bei einer Zeitung in Hamburg (vgl. MB: 14). Jette hingegen soll für längere Zeit ihren obersten Chef in Berlin vertreten und dafür gut entlohnt werden (vgl. MB: 13, 41). Damit ist Torben prädesti-

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niert für die Betreuung der inzwischen dreijährigen Tochter Kaya, denn während seine Frau weit entfernt von der Heimat Hamburg ein festes und hohes Gehalt bekommen kann, ist Torben lediglich freier Mitarbeiter bei einer kleinen Zeitung. In Mr. Mom begeht Jakob einen Fehler in seinem Beruf als Consulter (vgl. MR: 55) und sein Chef macht ihm deutlich, dass Jakob so nicht weiter arbeiten könne (vgl. MR: 60). Von einem Freund erfährt Jakob, dass seine Firma darüber nachdenkt, ihn zu entlassen (vgl. MR: 63). Als Konsequenz kündigt Jakob seiner schwangeren Frau Liv an: „Also gehe ich in Karenz“ (MR: 64). Die einzige Ausnahme bei den Vollzeitvater-Romanen bildet Der Wickelvolontär: Protagonist Mike ist glücklich in seinem Beruf als Journalist, scheint eine feste Position bei der Zeitung zu haben und möchte trotzdem in Elternzeit gehen (vgl. WV: 22-23). Im Gegensatz zu den Männern in den anderen Romanen ist Mikes Leben als Vollzeitvater allerdings auch schon im Vorhinein auf zwei Monate begrenzt. Danach kann er wieder wie gewohnt jeden Tag zur Arbeit gehen (vgl. WV: 250). Am Ende der Vollzeitväter-Romane kehren die Männer meistens wieder in einen Beruf zurück, der aber nicht zwingend der Beruf ist, den sie zuvor ausgeübt hatten. Diese Entwicklung lässt sich dadurch erklären, dass die Männer in ihrem vorherigen Beruf oft unzufrieden waren. Möglich wird die Rückkehr in das Berufsleben dadurch, dass das Kind nun anderweitig betreut werden kann: In Allein unter Spielplatzmüttern arbeitet Torben wieder, während seine Tochter Kaya zusammen mit anderen Kindern von zwei Erzieherinnen betreut wird (vgl. AS: 238-239). In dem Folgeroman Der Mann mit dem Bobby-Car soll Kaya bereits im ersten Kapitel zum ersten Mal für ein paar Stunden in den Kindergarten gehen (vgl. MB: 13). Auch Markus bringt seinen Sohn Daniel in Schief gewickelt zum ersten Mal in den Kindergarten (vgl. SG: 82). Der Wickelvolontär endet mit dem ersten Tag von Ben in der Kinderkrippe (vgl. WV: 238), ebenso wie in Mr. Mom auch der erste Kindergartentag an den Schluss des Romans gesetzt worden ist (vgl. MR: 185). Der Tenor in Männerromanen ist identisch und gleicht dem Tenor bei Elsner: Ein Mann, der keine Arbeit (und hierzu zählt nicht die Hausarbeit) hat, zweifelt an seiner Männlichkeit und ist schon allein aufgrund dieser Zweifel automatisch weniger männlich. Nach einer ersten Welle literarischer Texte zum Geschlechterrollentausch in den 1970er Jahren scheint das Thema nun eine zweite Hochkonjunktur zu erleben. Die Auseinandersetzung mit den Texten hat gezeigt, dass relativ schnell eine Diskursentwicklung stattgefunden hat: Zunächst wurde der Geschlechterrollentausch teilweise noch als kompletter Geschlechtertausch in den Texten vollzogen und kam daher nicht ohne märchenhaft-phantastische Elemente aus. Als ein Gegenbeispiel wurde Gisela Elsners Die Zähmung aufgeführt, weil sich dieser zum Vergleich mit den ebenfalls realistisch verfahrenden Männerromanen anbot.

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Während Elsners Roman den Rollentausch noch mit einem stark pessimistischen Blick betrachtet, ist in den neueren Romanen ein eher optimistischer Blick festzustellen, da die Männer hier seltener als Opfer dargestellt werden, sondern vielmehr als Erkunder einer neuen Lebensform. Es geht in den neueren Texten weniger um die Darstellung von Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern, als um eine Illustration der Krise der Männlichkeit, die ein Rollentausch mit sich bringt. Es konnten in Elsners Roman genauso wie in den Männerromanen viele Gemeinsamkeiten mit den Ergebnissen der aktuellen Allensbach-Studie festgestellt werden, also mit der Realität. Es scheint sich auf allen Ebenen die gesellschaftliche Sicht wenig geändert zu haben, und die neue Hochkonjunktur der Romane zum Geschlechterrollentausch ist primär als eine literarische Aktualisierung des Diskurses zu verstehen.

Verhältnis zur literarischen Tradition

D IE L EIDEN DER UNERFÜLLTEN L IEBE Obwohl die Geburtsstunden von Vollidiot1 (2004) und Die Leiden des jungen Werther2 (1774) mehr als zweihundert Jahre auseinander liegen, vereinen die beiden Texte viele Gemeinsamkeiten. Es soll an dieser Stelle nicht die Behauptung aufgestellt werden, dass Jauds Roman dem von Goethe in seiner literarischen Qualität oder Bedeutung auch nur annähernd entspräche. Doch spätestens seit Leslie Fiedlers Aufsatz Cross the Border, Close the Gap!3 ist der Vergleich von Phänomenen aus unterschiedlichen Kulturebenen in der Wissenschaft salonfähig geworden. „In der Konsequenz bedeutet das, dass man z.B. das Liebeskonzept in Goethes Werther ohne weiteres mit Liebeskonzeptionen, wie sie etwa in der Popmusik zum Ausdruck kommen, ins Verhältnis setzen und vergleichen kann.“4 Warum also kein

1

Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006.

2

Goethe, Johann Wolfgang von: Romane und Novellen I. Hrsg. von Erich Trunz. 6. Aufl. Hamburg: Christian Wegner 1965 (=Sämtliche Werke 6).

3

Im Deutschen ist das so genannte ‚Gründungsmanifest der Postmoderne‘ unter anderem wie folgt erschienen: Fiedler, Leslie A.: Überquert die Grenzen, schließt den Graben! In: Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Hrsg. von Uwe Wittstock. Leipzig: Reclam 1994. S. 14–39

4

Wagner-Egelhaaf, Martina: Text, Kultur, Medien. In: Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft. Ein Arbeitsbuch. Hrsg. von Jürgen H. Petersen, Martina WagnerEgelhaaf u. Dieter Gutzen. Berlin: Schmidt 2006. S. 221–248, S. 223. Hervorhebungen im Original. Auch andere Ansätze für einen Vergleich sind denkbar, so ist zum Beispiel Werther genauso wie Vollidiot unter anderem als „Ratgeber für Lebensfragen“ gelesen worden. (Stanitzek, Georg: Blödigkeit. Beschreibungen des Individuums im 18. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 1989 (=Hermaea, Neue Folge 60), S. 156.)

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Vergleich von Liebeskonzepten in Werther und Vollidiot? Abgesehen von den qualitativen Unterschieden sind erzählsystemische Entsprechungen der beiden Romane erkennbar und der Männerroman scheint in der Tradition von Goethes Werther verankert zu sein. Nach Luhmann ist Liebe „kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode“, mit dem man „Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.“5 Luhmann geht bezogen auf die Literatur davon aus, dass „Darstellungen der Liebe ihre Themen und Leitgedanken nicht zufällig wählen“6. Vielmehr reagieren sie auf „Veränderungstrends“7. Dementsprechend kann man die Liebescodierungen in Goethes und Jauds Romanen als ‚trendige‘ Darstellungen der unerfüllten Liebe der jeweiligen Zeit auffassen. Die Leiden des jungen Werther erschien 1774 auf der Leipziger Herbstbuchmesse.8 Die erste Auflage belief sich damals auf 1 500 Exemplare, die zweite Auflage im darauffolgenden Jahr umfasste 3 000 weitere. Bis zum Jahr 1777 sind neben den offiziellen Auflagen schätzungsweise rund 4 500 Raubdrucke des Romans auf den Markt gebracht worden. In den ersten drei Jahren hatte Die Leiden des jungen Werther damit eine Gesamtauflage von ungefähr 9 000 Exemplaren, was für die damaligen Maßstäbe einem Bestseller entsprach.9 Auch Jauds Roman ist ein Bestseller.

5

Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994 (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1124), S. 23. Ganz in diesem Sinne schreibt Kristeva: „Die Liebe als Prüfung ist ein Prüfstein der Sprache: ihrer Eindeutigkeit, ihres referentiellen und kommunikativen Vermögens.“ (Kristeva, Julia: Geschichten von der Liebe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989 (=Edition Suhrkamp 482), S. 10.)

6

Luhmann: Liebe als Passion, S. 24.

7

Ebd.

8

Der Roman von Goethe erschien bei Friedrich Weygand, „einem Leipziger Verleger, der mit literarischem Spürsinn und verlegerischem Instinkt junge Autoren für seinen Verlag gewinnen konnte.“ Neben Goethe verlegte Weygand unter anderem Texte von „Jakob Michael Reinhold Lenz, Friedrich Maximilian Klinger, Johann Anton Leisewitzs und Johann Gottfried Herder.“ (Verweyen, Georg: Literarische Blamagen. Darstellung und Funktion eines peinlichen Topos in der deutschsprachigen Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts. Münster: Lit (=Literatur und ihre Kontexte 2), S. 195.) Weygand gilt als der Verleger der Epoche des Sturm und Drang. Da er sehr profitorientiert handelte, blieben die Autoren damals allerdings meist nicht lange in seinem Verlag. (Vgl.: ebd.)

9

Vgl.: Flaschka, Horst: Goethes „Werther“. Werkkontextuelle Deskription und Analyse. München: Fink 1987, S. 243.

V ERHÄLTNIS ZUR

LITERARISCHEN

T RADITION

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Die Leiden des jungen Werther ist „Goethes größter Publikumserfolg, nicht nur im Sinne des Skandalons und des ‚Bestsellers‘.“10 Nach Thomas Mann war Die Leiden des jungen Werther „der größte, ausgedehnteste, sensationellste Erfolg, den Goethe, der Schriftsteller, je erlebt hat“11. Diese These kann nur unterstützt werden: Es gab eine Werther-Epidemie, ein Werther-Fieber, eine Werther-Mode, bei der die jungen Herren nach der Schilderung des Buches in blauem Frack und gelber Weste erschienen. Es gab Werther-Selbstmorde, Feiern zu Werthers Gedächtnis am Grabe seines Urbildes, Werther-Predigten gegen das Schandwerk, Werther-Karikaturen, und das nicht nur für ein Jahr, sondern auf Jahrzehnte hinaus, in Deutschland, in England, Frankreich, Holland, Skandinavien; Goethe vermerkt, daß selbst der Chinese Lotte und Werther auf Porzellan gemalt habe.12

Es lässt sich sogar behaupten: „Kaum ein Roman hat wohl mehr Aufmerksamkeit erregt oder eine nachhaltigere Wirkung ausgeübt als Goethes Die Leiden des jungen Werthers.“13 Goethes Roman ist ein Briefroman. Auch Sophie von La Roche, die bereits als erste Autorin eines Frauenromans genannt wurde, schrieb mit ihrem Initialwerk Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim14 (1771) einen Briefroman. Durch ihn stieg La Roche „zu den berühmtesten Autoren Deutschlands“15 auf. „Unter den ersten deutschen Briefromanen von Hermes, Gellert, Musäus und Sophie von La Roche war für Goethe wohl allein deren Roman […] in der Nachfolge Richardsons von

10 Andree, Martin: Wenn Texte töten. Über Werther, Medienwirkung und Mediengewalt. München: Wilhelm Fink 2006, S. 9. 11 Mann, Thomas: Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten. Frankfurt am Main: S. Fischer 1953 (=Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann), S. 198. Mann reiht daneben Werther und Lotte ein in eine „Reihe der klassischen Liebespaare“, zu denen er auch „Laura und Petrarca, Romeo und Julia, Abälard und Heloise, Paolo und Francesca“ zählt. (Ebd., S. 200.) 12 Friedenthal, Richard: Goethe. Sein Leben und seine Zeit. 7. Aufl. München: Piper 1991 (=Serie Piper 248), S. 137. 13 Dye, Robert Ellis: Blanckenburgs Werther-Rezeption. In: Goethezeit. Studien zur Erkenntnis und Rezeption Goethes und seiner Zeitgenossen. Festschrift für Stuart Atkins. Hrsg. von Gerhart Hoffmeister. Bern: Francke 1981. S. 65–79, S. 65. 14 La Roche, Sophie von: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Hrsg. von Barbara Becker-Cantarino. Stuttgart: Reclam 1983 (=Universal-Bibliothek 7934). 15 Flaschka: Goethes „Werther“, S. 32.

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Bedeutung.“16 Goethe kannte sie seit April 1772 persönlich. Damals führte ihn sein Weg nach einer Lahnwanderung nach Koblenz, wo die Familie La Roche bei Ehrenbreitstein wohnte.17 Bei seinem damaligen Besuch lernte er auch Sophie von La Roches 16-jährige Tochter Maximiliane kennen und war von ihr gänzlich begeistert,18 obwohl er zu diesem Zeitpunkt seine zuvor erblühte Liebe für Charlotte Buff noch nicht ganz überwunden hatte.19 Zwei Jahre später, also 1774, trifft Goethe ein weiteres Mal auf Maximiliane, die inzwischen mit dem zwanzig Jahre älteren Kaufmann Peter Brentano verheiratet ist. In eben diesem Jahr entsteht dann auch die erste Fassung von Die Leiden des jungen Werther. „Einigen zeitgenössischen Quellen nach soll die Lotte-Figur des Romans teils Züge von Maximiliane tragen; Albert, Lottes Verlobter im Roman, soll Peter Brentano ähneln.“20 Die schwarzen Augen,21 die Lotte im Roman zugeschrieben werden, sollen zum Beispiel auf Maximiliane zurückzuführen sein.22 Das hauptsächliche Vorbild für die Gestaltung der Figur der Lotte war für Goethe aber sicherlich Charlotte Buff, für die Figur des Albert Charlotte Buffs späterer Ehemann Johann Christian Kestner.23

16 Sauder, Gerhard: Werther – empfindsam? In: Neue Einblicke in Goethes Erzählwerk. Genese und Entwicklung einer literarischen und kulturellen Identität. Zu Ehren von Gonthier-Louis Fink. Hrsg. von Raymond Heitz u. Christine Maillard. Heidelberg: Winter 2010. S. 27–44, S. 29–30. 17 Vgl.: Flaschka: Goethes „Werther“, S. 32. 18 Vgl.: Brodowsky, Paul: Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther. In: Weltliteratur III. Von Goethe bis Fontane. Hrsg. von Hanns-Josef Ortheil, Thomas Klupp u. Alina Herbing. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim 2010. S. 26–45, S. 26. 19 Vgl.: Flaschka: Goethes „Werther“, S. 32. Goethe lernte am 9. Juni 1772 die damals 19jährige Charlotte Buff bei einem Ball nahe Wetzlar kennen. (Valk, Thorsten: Melancholie im Werk Goethes. Genese – Symptomatik – Therapie. Tübingen: Niemeyer 2002 (=Studien zur deutschen Literatur 168), S. 62.) 20 Brodowsky: Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werther, S. 27. 21 „Ich lese in ihren schwarzen Augen wahre Teilnehmung an mir und meinem Schicksal. Ja ich fühle, und darin dar ich meinem Herzen trauen, daß sie– o darf ich den Himmel in diesen Worten ansprechen?–daß sie mich liebt! Mich liebt!– Und wie wert ich mir selbst werde, wie ich– dir darf ich’s wohl sagen, du hast Sinn für so etwas– wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!“ (LJW: 38) 22 Vgl.: Flaschka: Goethes „Werther“, S. 18. 23 Kestner wird gerne aufgrund der Konkurrenz um Charlotte Buff als Goethes „historischer Rivale“ bewertet. (Schwander, Hans-Peter: Alles um Liebe? Zur Position Goethes im modernen Liebesdiskurs. Opladen: Westdeutscher 1997 (=Historische Diskursanalyse der Literatur), S. 29.) Es wird oft eine „Doppelzugehörigkeit der Wertherfigur“ beschrieben, denn während der erste Teil des Romans um die Figur Werther auf Erlebnissen des Au-

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Vor dem Hintergrund, dass von La Roche als erste Frauenroman-Autorin überhaupt bewertet und Goethe als der bedeutendste Vorläufer des heutigen Männerromans angesehen wird, ist es besonders interessant, dass sich die beiden kannten. Hier kann wieder festgestellt werden, dass Frauen anscheinend eine Vorreiterrolle einnehmen: Bevor Goethe mit Die Leiden des jungen Werther einen Briefroman schrieb, hat unter anderem bereits von La Roche einen selbigen verfasst.24 Und bevor Goethe mit Die Leiden des jungen Werther einen Vorläufer des heutigen Männerromans geschrieben hat, hat von La Roche einen Frauenroman zu Papier gebracht. Über seinen Roman schreibt Goethe, dass er mit Werther einen jungen Mann dargestellt habe, „der mit einer tiefen reinen Empfindung, und wahrer Penetration begabt, sich in schwärmende Träume verliert, sich durch Spekulation untergräbt, biss er zuletzt durch dazutretende unglückliche Leidenschaften, besonders eine endlose Liebe zerrüttet, sich eine Kugel vor den Kopf schiesst.“25 Die Bedeutung der Liebesthematik im Roman wird unterschiedlich bewertet. So gibt es zum einen die These, dass „Werther stirbt, weil Lotte ihm versagt bleibt.“ Daraus folgt, dass die Liebe „der absolute Wert in diesem Kunstwerk“26 ist. Zum anderen wird die Auffassung vertreten, dass die Liebe nicht mehr als ein „Vordergrundmotiv“ sei, Werthers Krise beginnt schließlich schon, bevor er Lotte kennenlernt. „Wird das Scheitern Werthers einseitig und allein aus einer unglücklichen Liebe abgeleitet, so ist die Gefahr einer Trivialisierung des Romans nicht von der Hand zu weisen.“27 Auch wenn man sicherlich darüber streiten kann, ob die Liebe das zentrale Motiv in Goethes Text ist, so lässt sich doch unbestritten feststellen, dass „die Liebesproblematik die augenscheinlich faszinierendste und virulenteste Komponente in der Wirkungsgeschichte“28 des Romans darstellt. „Werther wird zum zeitenthobenen Sym-

tors Goethes mit dem späteren Ehepaar Kestner basiert, ist das Fundament des zweiten Teils der Selbstmord Karl Wilhelm Jerusalems. (Flaschka: Goethes „Werther“, S. 18.) „Seine Schreckenstat erregte großes Aufsehen und wurde einer unglücklichen Liebe zugeschrieben.“ (Ebd., S. 16.) 24 Allerdings hat Goethe „als erster das Briefeschreiben auf nur einen Charakter beschränkt.“ (Dye: Blanckenburgs Werther-Rezeption, S. 72.) 25 Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Briefe I. Briefe der Jahre 1764-1786. Hrsg. von Karl Robert Mandelkow. Hamburg: Christian Wegner 1962, S. 161. 26 Schöffler, Herbert: Die Leiden des jungen Werther. Ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 1938 (=Wissenschaft und Gegenwart 12), S. 27. 27 Flaschka: Goethes „Werther“, S. 212. 28 Ebd., S. 211.

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bol des von unglücklicher und auswegloser Liebe zerrissenen Herzens, für das der Tod ein Ende irdischer Liebespein bedeutet“29. Die Protagonisten in den zu untersuchenden Romanen von Goethe und Jaud sind beide junge Männer: Werther, der bereits im Titel als „junger Werther“ beschrieben wird, ist zu Beginn der Geschichte 27, Simon ist 29 Jahre alt. Beide Männer sind in ihrem Leben auf die eine oder andere Weise überfordert, sie sind verunsichert und scheinen sich in einer Krise zu befinden. Sie sind Singles und werden in ihrem Denken und Handeln von einem leidenschaftlichen Verlangen nach Liebe geleitet. Beide Protagonisten stellen dankbare Identifikationsfiguren für eine Generation ihrer Zeit dar. „Nicht nur so wie Werther zu lieben und so wie Lotte geliebt zu werden, sondern auch wie sie als Liebende zu leiden, war der sehnsüchtige Wunsch und Traum so vieler Jünglinge und Mädchen.“30 Die Generation, die sich mit Werther identifizieren konnte, kann beschrieben werden als „junge Generation empfindsamer bürgerlicher Intellektueller“. Diese „bejaht das Konzept der ‚totalen‘ Liebe Werthers. Die Liebe zur geliebten Frau wird deutlich über die Männerfreundschaft gestellt.“31 Dabei wurden ‚Liebe‘ und ‚Ehe‘ übrigens im Werther ebenso wie heutzutage nicht zwangsläufig gleichgesetzt. Noch bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts befasst sich die Literatur jedoch hauptsächlich mit einer „utopischen Dimension“ von Liebe, bei der diese dem Individuum als höchste Sinnerfüllung vorgeschrieben, zugleich aber durch die Bindung ihrer physischen Erfüllung an die Ehe gesellschaftlich auf das strengste festgelegt und damit zur Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt gemacht32

wird. Für Werther jedoch ist Liebe auch außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen erfahrbar, was in dieser Zeit eine revolutionäre Auffassung war, mittlerweile jedoch als eine Selbstverständlichkeit begriffen wird. Die Leiden des jungen Werther zählt inzwischen zu den Klassikern und „[s]eine Aktualität ist bis heute ungebrochen.“33 „Mit den Leiden des jungen Werther schafft

29 Ebd. 30 Ebd. 31 Bobsin, Julia: Von der Werther-Krise zur Lucinde-Liebe. Studien zur Liebessemantik in der deutschen Erzählliteratur 1770 – 1800. Tübingen: Niemeyer 1994 (=Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 48), S. 100. 32 Witte, Bernd: Casanovas Tochter, Werthers Mutter. Über Liebe und Literatur im achtzehnten Jahrhundert. In: Eros, Liebe, Leidenschaft. Hrsg. von Heinrich Kaspar Spinner. Bonn: Romanistischer Verlag 1988. S. 93–113, S. 94.

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Goethe der unglücklichen Liebe ein Paradigma“34. Die Liebe ist bei Goethe ebenso wie bei Jaud „[w]ichtigstes, zuletzt einziges Medium angestrebter Daseinsbestätigung und -erfüllung […]. Auf sie konzentriert sich schließlich alles“35. Der Liebesdiskurs hat sich in den über 200 Jahren zwischen den Romanen natürlich weiterentwickelt. Doch „Liebe und Liebestheorie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert: Das ist ein weites Feld, ja eine dornige Sache.“36 Zu Beginn der beiden Romane steht das Ende einer vorangegangenen Liebe. In Goethes Roman hat sich eine junge Frau namens Leonore in Werther verliebt, der diese Liebe jedoch nicht erwiderte. „Die unmögliche Liebe, auf die Goethe im ersten Satz anspielt, wiederholt sich bei Lotte“37, schreibt hierzu Edgar J. Forster. Tatsächlich lautet der bekannte erste Satz bei Goethe zwar „Wie froh bin ich, daß ich weg bin!“ und ist kein direkter Hinweis auf eine unerfüllte Liebe. Die unglücklichen Umstände um Leonore werden dem Leser jedoch innerhalb des ersten Briefes – nicht des ersten Satzes – deutlich. Im Verlauf des Romans wiederholt sich die unerfüllte Liebe dann bei Lotte, nun ist allerdings Werther derjenige, dessen Liebe nicht erwidert wird. Es findet also eine Umkehrung statt. In Vollidiot ist Simon „frisch getrennt“ (VI: 8), beziehungsweise ‚frisch verlassen‘, denn seine Freundin beendete den gemeinsamen Bund. Im weiteren Verlauf des Romans wird Simon wieder derjenige sein, dessen Liebe nicht erwidert wird. In Vollidiot ereignet sich folglich eine Verdopplung der unerfüllten Liebe.

33 Scherler, Kirsten: „Wie froh bin ich, dass ich weg bin!“. Werther in der deutschen Literatur. Frankfurt am Main: Peter Lang 2010 (=Europäische Hochschulschriften Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur 2002), S. 9. 34 Tebben, Karin: Von der Unsterblichkeit des Eros und den Wirklichkeiten der Liebe. Geschlechterbeziehungen – Realismus – Erzählkunst. Heidelberg: Winter 2011 (=Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 45), S. 70. Hervorhebungen im Original. 35 Reuter, Hans-Heinrich: „Die Leiden des jungen Werthers“. In: Goethes „Werther“. Kritik und Forschung. Hrsg. von Hans Peter Herrmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. S. 248–265, S. 255. 36 Neumann, Gerhard: „Erklär mir, Liebe“. Eros auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert. In: Liebe in der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Festschrift für Ingrid Haag. Hrsg. von Karl Heinz Götze. Frankfurt am Main: Peter Lang 2010. S. 17–32, S. 17. 37 Forster, Edgar J.: Unmännliche Männlichkeit. Melancholie – „Geschlecht“ – Verausgabung. Wien: Böhlau 1998 (=Nachbarschaften. Humanwissenschaftliche Studien 7), S. 335.

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Die Codierung der Liebe bei Goethe ist untrennbar mit Unerfüllbarkeit verknüpft.38 „Daß die Liebe von Anfang an nicht auf Verwirklichung aus ist, ist inzwischen ein Topos der Forschung.“39 Auch in Vollidiot erfüllt sich die Liebe nicht. Gleichzeitig sind beide Romane auf das Thema ‚Liebe‘ fokussiert. Damit kann hier wieder eine Verbindung zu den bereits untersuchten Singleromanen gezogen werden, da in diesen auch die Überwindung des Single-Seins als zentraler Inhalt gesehen wird. Im Gegensatz zu Goethes Roman, in dem die Überwindung des Zustandes nicht erreicht werden kann, wird in zahlreichen Singleromanen zwar die Erfüllung in der Zweisamkeit zumindest angedeutet, jedoch ist, wie bereits festgestellt wurde, das Finden eines Partners am Ende des Romans auch kein zwingendes Kriterium für den Singleroman. Daneben existiert die These, „daß Werthers Liebe zu Lotte am fehlenden Diskurs scheitert“40, dass also die Zeit für die erfüllte Liebe bei Goethe einfach noch nicht gekommen war. Dass sich die Liebe im Singleroman von Goethe nicht erfüllt, kann somit „als Problem des Entwicklungsstandes der Liebessemantik gesehen“41 werden. Letztlich können also nicht nur zahlreiche Männerromane, wie zum Beispiel auch Vollidiot, als Singleromane beschrieben werden, sondern auch Goethes Die Leiden des jungen Werther können rückwirkend zentrale Elemente des Genres zugerechnet werden – selbst wenn es den Begriff ‚Single‘ zur damaligen Zeit noch nicht gab. Sowohl in Die Leiden des jungen Werther als auch in Vollidiot wird mit der Vorausdeutung der Geschichte gespielt. „Goethe ließ seinen Leser das traurige Schicksal Werthers vorausahnen.“42 Im Werther funktioniert so zum Beispiel die Erzählung über den Knecht in dem Brief vom 30. Mai (vgl. LW: 17-19) wie eine Vorwegnahme von Werthers Schicksal, „deren Beginn das Beziehen des Erzählten auf die eigene Person ist.“43 Die Episode über den Bauern fügte Goethe erst in der Zweitfassung44 des Romans als eine Nebenhandlung ein. Inhaltlich geht es in der

38 Vgl.: Scherpe, Klaus Rüdiger: Werther und Wertherwirkung. Zum Syndrom bürgerlicher Gesellschaftsordnung im 18. Jahrhundert. 3. Aufl. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1980, S. 64. 39 Schwander: Alles um Liebe?, S. 22, Fußnote. 40 Ebd., S. 9. 41 Ebd. 42 Engel, Ingrid: Werther und die Wertheriaden. St. Ingbert, Saarbrücken: Röhrig 1986 (=Saarbrücker Beiträge zur Literaturwissenschaft 13), S. 313. 43 Schwander: Alles um Liebe?, S. 21. 44 Goethe schreibt bezüglich seiner zweiten Fassung in einem Brief vom 2. Mai 1783 an Kestner: „Ich habe in ruhigen Stunden meinen Werther wieder vorgenommen, und denke, ohne die Hand an das zu legen was so viel Sensation gemacht hat, ihn noch einige Stufen höher zu schrauben.“ (In: Goethe: Goethes Briefe I, S. 425.) Die Umarbeitung der ersten

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Episode um einen jungen Bauern, der als Knecht bei einer verwitweten Frau arbeitet und sich in sie verliebt. Doch diese geht nicht auf die Avancen des Bauern ein.45 „Mit dem Bauernburschen teilt Werther das Los einer unerfüllten Liebe.“46 In Vollidiot kann die Aufzählung der Singlephasen zu Beginn des Romans als eine Vorwegnahme verstanden werden. Zwar situiert sich Simon hier selber in der Phase vier, diese Selbsteinschätzung wird jedoch schnell relativiert. So meldet sich der Single in Phase eins in einem Fitnessstudio an (vgl. VI: 9). Dies hat Simon bereits getan. In Phase zwei war der Single immerhin schon zweimal im Fitnessstudio trainieren (vgl. VI: 9). Simon besucht sein Fitnessstudio jedoch im fünften Kapitel zum ersten Mal (vgl. VI: 71). Nach Logik der Singlephasen befindet sich Simon zu Beginn des Buchs folglich in Phase eins und hat sich bisher lediglich in dem Fitnessstudio angemeldet. In Phase drei, so ist bereits im ersten Kapitel zu lesen, fährt der Single in einen „Single-Ferienclub“ (VI: 10). Dies erfüllt sich in Vollidiot bereits im dritten Kapitel, also bevor die zweite Phase im fünften Kapitel vollzogen wurde. Die Single-Phasen sind also als eine Vorausdeutung der Geschehnisse zu bewerten, jedoch weicht die Reihenfolge der Phasen in der Geschichte um Simon von der in den Singlephasen beschriebenen Reihenfolge ab. Beide Vorausdeutungen, sowohl die bei Goethe als auch bei Jaud, sind Vorausdeutungen der Liebescodierung. In Die Leiden des jungen Werther ist diese Verbindung offensichtlich, handelt es sich bei der Knecht-Erzählung schließlich um die Geschichte einer unerfüllten Liebe. Aber auch auf Jauds Roman trifft diese Feststellung zu, da die Phasen des Single-Seins nichts anderes sind als der Versuch, eine neue Liebe zu finden und so die unerfüllte Liebe in eine erfüllte zu wandeln. Werther schreibt, sein Herz sei „ganz allein die Quelle von allem […], aller Kraft, aller Seligkeit und alles Elendes. Ach, was ich weiß, kann jeder wissen – mein Herz hab ich allein“ (LW: 74). Damit wird das Herz nicht nur verstanden als der Sitz der Gefühle, sondern auch der Individualität. Das Erleben der Liebe wird

Fassung kann allerdings nicht nur mit einer künstlerischen Intention begründet werden, sondern auch damit, dass Goethe dem Ehepaar Kestner, also den primären Vorbildern für die Figuren Lotte und Albert, mit einer neuen Version entgegenkommen wollte. (Vgl.: Flaschka: Goethes „Werther“, S. 35–36.) 45 „Der Bauernbursche, dessen Schicksal Werther als das seine begreift, stellt mögliche Konsequenzen von Werthers Verhalten vor Augen: ‚Liebe‘, ‚Treue‘ und ‚Leidenschaft‘ in ‚Reinheit‘, ‚Unschuld und Wahrheit‘, die der Bauernbursche verkörpert, pervertieren in Gewalt und Mord.“ (Jäger, Georg: Die Leiden des alten und neuen Werther. Kommentare, Abbildungen, Materialien zu Goethes „Leiden des Jungen Werthers“ und Plenzdorfs „Neuen Leiden des jungen W.“. München, Wien: Hanser 1984 (=Literatur-Kommentare 21), S. 10.) 46 Flaschka: Goethes „Werther“, S. 203.

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im 18. Jahrhundert mehr noch als ein „Kriterium für den ‚Werth‘ des Individuums“47 angesehen. Mit Liebe hat ein Subjekt also einerseits einen Mehrwert vorzuweisen, „andererseits verliert die Liebe ohne Möglichkeit der Verwirklichung ihre lebensbejahende Signatur und ist insofern Ausdruck eines Mangels.“48 Diese Feststellungen lassen sich auch auf das 21. Jahrhundert übertragen: In Frauen- sowie in Männerromanen ist es ebenfalls von essentieller Bedeutung, den Partner fürs Leben zu finden, und der Single wird auch heute noch als Mängelwesen beschrieben, der erst als Teil eines Paares glücklich werden kann. So wird zum Beispiel zu Beginn des Romans Vollidiot Simon in einer Ikea-Filiale „sein ganz persönliches Scheitern“ bewusst, da er selber alleine einen Single-Sessel kauft, während sich ansonsten nur „glückliche Pärchen mit und ohne Kind“ (VI: 7) in der Filiale aufhalten. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund wundert es nicht, dass sowohl Werther als auch Simon Schwärmer sind, die sich die Liebe herbeisehnen. „Lakonisch reiht Goethe sein Werk in die literarische Tradition der Schwärmergeschichten ein, ohne allerdings die Bekehrung des Protagonisten in Aussicht zu stellen.“49 Der Schwärmer „übertreibt und erdichtet gegenüber der Wirklichkeit“ und orientiert sich damit „nicht am wahren Leben, sondern berauscht sich in Ersatzbefriedigung an der Unwirklichkeit seiner fiebrigen Einbildungen.“50 Ganz in diesem Sinne leben auch Simon und Werther an der Wirklichkeit vorbei. Für das beschriebene Phänomen sind zur Goethezeit neben der Schwärmerei auch die pathologischen Befunde „Enthusiasmus“, „Fanatismus“, „Hypochondrie“ und „Melancholie“ bekannt, die „oft wechselhaft und wahlweise“51 für die Beschreibung des Zustands von Werther herangezogen wurden.52 Innerhalb des Romans von Goethe ist zum Beispiel zu lesen: „Lieber! brauch‘ ich dir das zu sagen, der du so oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung und von süßer Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehen zu sehen?“ (LW: 10). In einem Brief an Lavater

47 Tebben: Von der Unsterblichkeit des Eros und den Wirklichkeiten der Liebe, S. 70. 48 Ebd., S. 79–80. 49 Marx, Friedhelm: Erlesene Helden. Don Sylvio, Werther, Wilhelm Meister und die Literatur. Heidelberg: Winter 1995 (=Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 3. Folge, Bd. 139), S. 111. 50 Flaschka: Goethes „Werther“, S. 169. 51 Ebd., S. 170. 52 Man kann auch von einer pathologischen Interpretation des Romans sprechen, „die sich im 20. Jahrhundert zu einem der erfolgreichsten Interpretationsparadigmen entwickeln sollte.“ (Wiethölter, Waltraud: Zur Deutung. In: Die Leiden des jungen Werthers, Die Wahlverwandtschaften, Kleine Prosa, Epen. Hrsg. von Waltraud Wiethölter, Hendrik Birus u. Christoph Brecht. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker-Verlag 1994. S. 984– 1017, S. 940.)

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formuliert Goethe jedoch: „Siehe, das Ende dieser Krankheit ist Tod! Solcher Schwärmereien Ziel ist Selbstmord!“53 Als Werther Lotte zum ersten Mal begegnet, verliebt er sich sofort in sie und schreibt: „Kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht“ (LW: 19). Er nennt Lotte „eins der liebenswürdigsten Geschöpfe“ und beschreibt sie sogar als „vollkommen“: „So viel Einfalt bei so viel Verstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit, und die Ruhe der Seele bei dem wahren Leben und der Tätigkeit“ (LW: 19). Weil er sich beim Schreiben des Briefes vor Sehnsucht nach ihr verzehrt, kündigt er an, nach dem Verfassen sofort zu Lotte eilen zu wollen. Später nimmt Werther dann sogar selbstreflektierend Stellung zu seiner Schwärmerei: „[M]einer Einbildungskraft erscheint keine andere Gestalt als die ihrige, und alles in der Welt um mich her sehe ich nur im Verhältnis mit ihr“ (LW: 55). Diese Erkenntnis beängstigt Werther jedoch nicht, so fährt er ganz im Gegenteil euphorisch fort: „Und das macht mir so manche glückliche Stunde“ (LW: 55). Dies ist ein Hinweis darauf, dass Werther geradezu danach strebt, „sich ganz aus der äußeren Wirklichkeit zurückzuziehen und in eine künstlich evozierte Phantasiewelt zu flüchten.“54 Auch Simon ist sofort in Marcia verliebt, obwohl er sie zunächst nur in einem Kaffeegeschäft arbeiten sieht. „Ein sieben Tonnen schwerer Granitblock mit der Aufschrift LIEBE donnert mir direkt in den Magen. Der Schmerz geht über in einen Strom wohliger Wärme, die mich sanft betäubt und zugleich nervös macht“ (VI: 114). Simon ist sofort besessen von Marcia, ebenso wie Werther von Lotte. Simon ist überzeugt davon, dass Marcia die Liebe seines Lebens ist, und er plant eine gemeinsame Zukunft mit ihr (vgl. VI: 114). Er nennt Marcia seine „zukünftige[] Ehefrau“ (VI: 115), möchte mit ihr seinen Alltag verbringen und sie so „lange angucken, bis […] beide Wange an Wange einschlafen“ (VI: 114). Er möchte sie mit seinem „gelben Peugeot in die Karibik bringen“, dort ein Haus mieten und „noch am Nachmittag Zwillinge zeugen, trotz Jetlags“ (VI: 90). Auch über eine gemeinsame Hochzeit auf den Virgin Islands sinniert Simon: „Marcia trägt ein Hochzeitskleid und über meine muskulöse Brust hinweg sehe ich unsere Kinder am Strand winken“ (VI: 126). Es wird deutlich, dass Simon seine Träume nicht nur bezüglich einer gemeinsamen Zukunft mit Marcia glorifiziert, er idealisiert auch sich selber in der Zukunft und weist auf seine ‚muskulöse Brust‘ hin, die er sich in der Realitätsebene des Romans jedoch nicht antrainiert hat. Diese Selbstidealisierung geht noch weiter und Simon beschreibt: „ich höre Marcias zarte Stimme, die mir sagt, dass sie mich mehr liebt als alles andere auf der Welt und

53 Lavater, Johann Kaspar: Vermischte Schriften. Winterthur: Heinrich Steiner und Comp 1781 (=Bd. 2), S. 127–128. 54 Valk: Melancholie im Werk Goethes, S. 67.

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dass sie nie gedacht hätte, mal einen so tollen Mann zu finden“ (VI: 126). Damit weist Simon ein Verhalten auf, das „psychologisch als Narzißmus beschrieben werden“55 kann und auch Werther zugeschrieben wird. Indem sich Simon eine muskulöse Brust zuschreibt, also ein männliches Attribut, macht er sich männlicher. Immer wieder wirkt Simon unsicher in seiner Männlichkeit und er schafft es sogar bei der Aktivität der Bartrasur nicht, Männlichkeit zu demonstrieren (VI: 196). Auch Werther hat Probleme mit seiner Männlichkeit. „Die unmögliche Liebe verkettet sich mit dem Geschlecht, indem sie seine Unzulänglichkeit ausdrückt.“56 So fordert Lotte Werther auf: „Sein Sie ein Mann, wenden Sie diese traurige Anhänglichkeit von einem Geschöpf, das nichts tun kann als Sie bedauern“ (LW: 102).57 Daneben repräsentiert in dem Roman „Albert die männlich-rationale Seite des aufgeklärten Bürgertums“ und „Lotte sein weiblichempfindsames Pendant.“58 Werther ist zwar ein Mann, jedoch ebenso wie Lotte empfindsam. Dadurch muss ihm ein weiblicher Zug zugeschrieben werden. Wirklich unmännlich machen diese Zuschreibungen Werther jedoch nicht, da er ein Melancholiker ist: „Melancholiker müssen sich nicht zu ihrer Männlichkeit bekennen. Trotz Inszenierungen des Unmännlichen verlieren sie jedoch ihre Männlichkeit nicht.“59 Die Gefühle der beiden jungen Männer in den Romanen entsprechen nicht nur denen des Schwärmers, sie überbieten sie vielmehr. So bringt Werther sich als Höhepunkt wegen Lotte gar selbst um und Simon verfolgt Marcia gleich einem Stalker von der Arbeit bis nach Hause, um in ihrer Nähe sein zu können (VI: 152). Vor ihrem Haus bekommt er mit, dass Marcia ein Lied von der Band Die Fantastischen Vier hört, das auch mal Simons Lieblingslied war. Später arrangiert Simon ein gemeinsames Treffen mit Marcia, indem er sie auf ein Konzert der Band einlädt. Während Simons Liebe damit über Musik vermittelt wird, scheint „Werthers Liebe […] wesentlich durch Bücher vermittelt.“60 Man denke hierbei vor allem an den Ausruf „Klopstock!“, der zeigt, dass „die größte und intensivste Nähe zwischen

55 Herrmann, Hans Peter: Einleitung. In: Goethes Werther. Kritik und Forschung. Hrsg. von Hans Peter Herrmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. S. 1–20, S. 14. 56 Forster: Unmännliche Männlichkeit, S. 335. 57 In der zweiten Auflage des Romans hat Goethe folgende Warnung an den Leser hinzugefügt: „Sei ein Mann, und folge mir nicht nach.“ 58 Bobsin: Von der Werther-Krise zur Lucinde-Liebe, S. 83. 59 Forster: Unmännliche Männlichkeit, S. Umschlagseite 4. 60 Marx: Erlesene Helden, S. 115.

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Lotte und Werther durch Literatur vermittelt und ausgedrückt wird.“61 Der Klopstock-Szene geht jedoch ein Gespräch von Lotte und Werther über Literatur voraus, in dem die unterschiedlichen Positionen der beiden deutlich werden. Damit ist der Stellenwert der Literatur als „Medium ihres […] wechselseitigen Verstehens“ kritisch zu sehen und „[d]er Mythos vom Gleichklang ihrer Seelen wird von Beginn an in Frage gestellt.“62 Musik ist ebenfalls Bestandteil von Goethes Roman: Lotte spielt auf ihrem Klavier „mannigfaltige Melodien“ (LW: 91), wobei man bis ungefähr 1800 unter einem Klavier in der Regel ein Clavichord verstand.63 Dies ist ein Instrument, das eine Wende in der Musik darstellt, da es die technische Voraussetzung schafft, „zwei Kommunikationsmedien, zwei Instrumente und zwei Ausdruckstechniken […], nämlich die Gesangsstimme und die Klaviatur“64 zusammen zu bringen. Zentral ist in Goethes Roman allerdings sicherlich nicht die Musik, sondern die Literatur als emotionales Vermittler-Medium. „Nicht weniger exklusiv als Goldsmith oder Klopstock verbindet der Garten die fühlenden Herzen von Werther und Lotte.“65 Werther ist ein Liebhaber der Natur. „Einsames Naturerleben ist Werther eine Möglichkeit des ‚Voll-Bei-Sich-Seins‘“66. Die Natur dient ihm als Spiegel seiner Gefühle. In Vollidiot sind es eher Konsum und Konsumprodukte, die diese Funktion erfüllen. So berichtet Simon seinen Freunden per SMS, dass er in einer Cornflakes-Packung, auf deren Aufdruck eine Überraschung angekündigt war, keine Überraschung gefunden habe (vgl. VI: 257258). Dass er um seine Überraschung betrogen wurde, dient Simon als Entsprechung dafür, dass er vom Leben betrogen wurde. In zeitgenössischen Romanen wie Vollidiot ersetzt der Konsum die Bedeutung der Natur in Romanen des 18. Jahrhunderts. Diese Verschiebung ist einem Wandel des Zeitgeistes geschuldet, die Ersetzung der Natur durch den Konsum ist daher als eine Aktualisierung zu verstehen.

61 Müller-Salget, Klaus: Zur Struktur von Goethes „Werther“. In: Goethes „Werther“. Kritik und Forschung. Hrsg. von Hans Peter Herrmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. S. 317–337, S. 335–336. 62 Reinhardt-Becker, Elke: Seelenbund oder Partnerschaft? Liebessemantiken in der Literatur der Romantik und der Neuen Sachlichkeit. Frankfurt: Campus 2005, S. 32. 63 Vgl.: Scherer, Wolfgang: „Aus der Seele muss man spielen“. Instrumentelle und technische Bedingungen der musikalischen Empfindsamkeit. In: Materialität der Kommunikation. Hrsg. von Hans Ulrich Gumbrecht u. Karl Ludwig Pfeiffer. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988. S. 295–309, S. 296. 64 Ebd. 65 Marx: Erlesene Helden, S. 118. 66 Hübner, Klaus: Alltag im literarischen Werk. Eine literatursoziologische Studie zu Goethes „Werther“. Heidelberg: Groos 1982 (=Sammlung Groos 12), S. 136.

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Dass sich die beiden jungen Männer ad hoc in eine ihnen bis dahin noch unbekannte Frau verlieben, scheint nur auf den ersten Blick sonderbar. Auf den zweiten Blick kommt ihnen dieser Umstand sogar entgegen. So versucht Werther ein Bild von Lotte zu malen: „Lottens Porträt habe ich dreimal angefangen, und habe mich dreimal prostituiert, das mich um so mehr verdrießt, weil ich vor einiger Zeit sehr glücklich im Treffen war. Darauf habe ich denn ihren Schattenriß gemacht, und damit soll mir g’nügen“ (LW: 41). Bei einem Schattenbild kann das Ungenaue vom Betrachter beliebig mit Details ergänzt werden. Diese Herausforderung der Phantasie war sicherlich ein Umstand, der Werther gefallen hat. Daneben war Lotte auf dem Schattenbild gewiss nicht eindeutig als ebendiese identifizierbar. Doch diese Ungenauigkeit des Schattenbildes stellt alles andere als ein Hindernis für Werthers Zuwendung dar, denn „[n]icht Lotte ist es, die Werther will, sondern das emphatische Gefühl der grenzenlosen Hingabe“67. So liebkost er auch nicht die real existierende Lotte, sondern projiziert seine Zuneigung auf das Bild, wie er in seinem Abschiedsbrief schreibt: „Liebes Schattenbild! Ich vermache dir es zurück, Lotte, und bitte dich, es zu ehren. Tausend, tausend Küsse habe ich darauf gedrückt, tausend Grüße ihm zugewinkt, wenn ich ausging oder nach Hause kam“ (LW: 122). Dass es Werther weniger um Lotte als vielmehr um die Erfahrung der totalen Liebe geht, wird bereits im Brief vom 26. Mai deutlich: „Ein junges Herz hängt ganz an einem Mädchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu, verschwendet all seine Kräfte, all sein Vermögen, um ihr jeden Augenblick auszudrücken, daß er sich ganz ihr hingibt“ (LW: 15). Der These, dass Werther „Lottes einzigartige Individualität“68 liebt, muss deutlich widersprochen werden, denn Lotte ist zwar „Gegenstand seiner Liebe“, doch das „Medium ist er selbst. Amor hat seine Funktion eingebüßt. Werther ist sein eigener Liebesschöpfergott […].“69 Dass Lotte für Werther unerreichbar ist, weil sie mit Albert zusammen lebt, muss vor diesem Hintergrund nicht mehr als tragischer Grund für die Unerfüllbarkeit der Liebe angesehen werden, sondern als die gewünschte Bedingung: „Der Verdacht liegt nahe, daß Werther sich nicht in Lotte verliebt, obwohl sie verlobt ist, sondern daß sich seine Gefühle für sie nur entwickeln, weil sie für ihn unerreichbar ist.“70 Beschrieb noch

67 Schwander: Alles um Liebe?, S. 28. 68 Henkes, Melanie: Goethes „Werther“. Emotionale Entgrenzung im Einheitstaumel der Liebe. In: Emotionale Grenzgänge. Konzeptualisierung von Liebe, Trauer und Angst in Sprache und Literatur. Hrsg. von Lisanne Ebert, Carola Gruber u. a. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011. S. 53–74, S. 62. 69 Tebben: Von der Unsterblichkeit des Eros und den Wirklichkeiten der Liebe, S. 79. 70 Schwander: Alles um Liebe?, S. 23.

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die hohe Minne „[d]ie reine Liebe zur unerreichbaren Frau“, so wird bei Goethe das „Modell der leidenschaftlichen Liebe zur unerreichbaren Frau“71 veranschaulicht. Dass Marcia in Vollidiot für Simon austauschbar ist, dass es auch Simon eigentlich nur um die Liebe und nicht um Marcia im Besonderen geht, wird deutlich, wenn man sich das Kapitel zum Singleurlaub einmal genauer ansieht. Hier verliebt sich Simon in die Animateurin Aneta, die ihn dann am letzten Abend seines Urlaubs zu sich aufs Zimmer einlädt. Simon malt sich auch mit ihr sofort eine gemeinsame Zukunft aus: „Aneta und ich! In Köln! Das wäre schon was! Ganz ohne Pauschalfußvolk aus dem Club könnten wir durch die Kneipen ziehen, am Rhein spazieren gehen oder einfach mal nur zu Hause abhängen und stern TV schauen“ (VI: 56). Auch Aneta kennt Simon erst seit ein paar Tagen, als er diese Träumereien über einen gemeinsamen Alltag mit ihr hat. Ebenso wie Werther ist Simon sein eigenes Liebes-Medium und seine Liebes-Objekte scheinen austauschbar zu sein. Weder Lotte noch Marcia stellen romantische Liebesheldinnen dar. Marcia nimmt Simons Bemühungen um sie entweder nicht wahr oder nicht ernst und Lotte sieht die Zuwendung Werthers als eine Bedrohung für ihre Ehe mit Albert an. Und so wie Lotte Albert bevorzugt, bevorzugt auch Marcia einen anderen Mann als Simon. Beim Konzert weicht Marcia Simon aus. „Dann entdeckt er Marcia. Sie steht an der Sektbar. Neben ihr zwei riesige, muskulöse Typen in knallengen Muscleshirts. Einer von ihnen hat die Hand auf ihrem Hintern“ (VI: 213). So wird Simon auf dem Konzert aus seinen Träumereien zurückgerissen: „Ich muss daran denken, wie ich das Lied vor Marcias Fenster gehört habe und wie glücklich ich in dieser Nacht war. Ich schlucke und kämpfe gegen das Feuchte in meinen Augen“ (VI: 213). Simon und Werther sind aufgrund ihrer unerfüllten Liebe frustriert und betrübt. Sie sind Männer, „die melancholisch auf ihre Rettung hoffen in einer ganz und gar anderen Welt, in der sie endlich wieder andere, ‚richtige‘ Männer sein dürfen“72. Diese Welt hat sich Werther zunächst noch selber gebaut, indem er sich in seine Innerlichkeit geflüchtet hat: „Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt!“ (LW: 13). Doch auch diese Welt bleibt ihm zum Ende des Romans hin verschlossen: „Ich leide viel, denn ich habe verloren, was meines Lebens einzige Wonne war, die heilige, belebende Kraft, mit der ich Welten um mich schuf; sie ist dahin!“ (LW: 85). Nun muss Werther in der richtigen Welt weiterleben. Seine Liebe mit Lotte „wird […] in für Werther schmerzlicher und schließlich tödlicher Weise als Illusion erkennbar gemacht“73. Dabei bedeutet das Ende der Schwärmerei den „Verlust der Liebe“ und Werther wird „eben nicht nur ein besonders heftiger Schmerz

71 Tebben: Von der Unsterblichkeit des Eros und den Wirklichkeiten der Liebe, S. 73. 72 Forster: Unmännliche Männlichkeit, S. 16. 73 Hübner: Alltag im literarischen Werk, S. 146.

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zugefügt, sondern er verliert den Boden, auf dem er steht.“74 Das Ende der Liebe bedeutet für ihn auch das Ende seines Lebens.75 „Die Liebe war seine letzte Hoffnung, um den sich ständig weitenden Abgrund zwischen sich und der Wirklichkeit zu überbrücken.“76 Auch Simon zieht sich nach dem gescheiterten Versuch, Marcia für sich zu gewinnen, zurück. Die Frustration über die unerfüllte Liebe führt zu einer Stimmung der Gesamtunzufriedenheit und Simon sperrt sich von der Außenwelt in seiner Wohnung ab. Da er auch nicht mehr zur Arbeit gehen möchte, verliert Simon seine Anstellung. Werther will ebenfalls keinen Platz in der Arbeitswelt einnehmen. „Die unglückliche Liebe wird nicht durch eine glänzende Karriere kompensiert, sondern der Mangel pflanzt sich fort;“77 er breitet sich auf andere Lebensbereiche aus. Schmerzlichste Enttäuschung im beruflichen und privaten Leben bestätigen dem Helden, was er im Grunde seit jeher gewußt hat: die Gegenwart bietet ihm und seinesgleichen keine Möglichkeit zu einer angemessenen Entfaltung seiner ‚Kräfte‘.78

Gleichzeitig kann das Scheitern der beiden Männer im Beruf aber auch als Voraussetzung für ihre Schwärmereien angesehen werden, denn „Zeit haben ist eine Voraussetzung für Liebesfähigkeit. Wer keine Zeit hat, weil er entweder mit entfremdeter Erwerbsarbeit oder fremdbestimmten [sic!] Konsum beschäftigt ist, kann nicht zu sich kommen und damit auch nicht zum anderen“79.

74 Petersdorff, Dirk von: „Ich soll nicht zu mir selbst kommen“. Werther, Goethe und die Formung moderner Subjektivität. In: Goethe-Jahrbuch 123, 2006. Hrsg. von Werner Frick u. Jochen Golz. Göttingen: Wallstein 2012. S. 67–85, S. 77. 75 Dass Werther sich in Goethes Roman umbringt, führte bekanntlich zu einer Selbstmordwelle in der Realität. Mehr hierzu zum Beispiel in: Hölter, Achim: Wie tödlich war das Werther-Fieber? Projektbericht von einer empirischen Untersuchung. In: Fervor de centenarios. Goethe, Humboldt y otros estudios. Hrsg. von Nicolás Jorge Dornheim, Lila de Bujaldón Esteves u. Claudia Garnica de Bertona. Mendoza: Asociación Argentina de Germanistas 2001. S. 25–53 76 Hoffmeister, Gerhart: ‚Krankheit zum Tode‘. Bemerkungen zu Goethes Werther, Foscolos Jacopo Ortis und André Gides André Walter. In: Goethezeit. Studien zur Erkenntnis und Rezeption Goethes und seiner Zeitgenossen. Festschrift für Stuart Atkins. Hrsg. von Gerhart Hoffmeister. Bern: Francke 1981. S. 81–90, S. 83. 77 Forster: Unmännliche Männlichkeit, S. 344–345. 78 Reuter: „Die Leiden des jungen Werthers“, S. 254. 79 Dischner, Gisela: Liebe und Müßiggang. Bielefeld, Basel: Edition Sirius 2011, S. 13. Hervorhebungen im Original.

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Beide jungen Männer handeln in den Romanen gefühlsbetont und scheitern an der Liebe und dem Leben. Doch im Gegensatz zu Werther schließt Simon einen Selbstmord vehement aus: „Dass ich mich vor ’ne Bahn werfe? Keine Sorge. Nur, weil ich meinen Job los bin, ums Verrecken keine Frau finde und mir das Finanzamt bald den Stuhl unterm Arsch wegfändet, nehm ich mir doch nicht gleich das Leben!“ (VI: 267). In seiner selbstverordneten Sozialquarantäne reflektiert Simon sein Leben. Letztendlich findet er wieder zu sich und der Welt zurück und an seinem dreißigsten Geburtstag beginnt er einen Neustart seines Lebens, der durch das Verbrennen des Single-Sessels symbolisiert wird. Werther hingegen beschreibt bereits in einem Brief vom 10. Mai eine Todessehnsucht, die „vermutlich einer tiefverwurzelten Neigung“ entspringt und „dem noch unbewußten Gefühl einer verhängnisvollen Schwäche, denn es liegt kein eigentlicher Grund dafür vor, solange Werther von dem ganzen lebendigen Universum erregt und durchdrungen ist.“80 Als Gründe für seinen Freitod werden zumeist der „unlösbare Gegensatz der freien und allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit mit der bürgerlichen Gesellschaft selbst“81 und die „Ausweglosigkeit seiner eigenen unerfüllbaren Liebe“82 aufgeführt. Was die Figur Werther im Laufe des Romans durchmacht, ist „die Entwicklung eines empfindsamen zum schwermütigen Jüngling infolge seiner unerfüllten Liebe.“83 Diese Wandlung ist auch in einem Herausgeberbericht zu lesen, der die Monologe Werthers nach dem Brief vom 6. Dezember unterbricht. Dort ist zu lesen: Unmut und Unlust hatten in Werthers Seele immer tiefer Wurzeln geschlagen, sich fester untereinander verschlungen und sein ganzes Wesen nach und nach eingenommen. Die Harmonie seines Geistes war völlig zerstört, eine innerliche Hitze und Heftigkeit, die alle Kräfte seiner Natur durcheinanderarbeitete, brachte die widrigsten Wirkungen hervor und ließ ihm zuletzt nur eine Ermattung übrig, aus der er noch ängstlicher empor strebte, als er mit allen Übeln bisher gekämpft hatte. (LW: 93) Zu den großen Unterschieden der beiden Romane Vollidiot und Werther zählt neben der divergenten Einstellung der Protagonisten zum Freitod sicherlich auch der

80 Anstett, Jean-Jacques: Werthers religiöse Krise. In: Goethes „Werther“. Kritik und Forschung. Hrsg. von Hans Peter Herrmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. S. 163–173, S. 164. 81 Lukács, Georg: „Die Leiden des jungen Werther“. Goethe und seine Zeit (1936/1950/1964). In: Goethes „Werther“. Kritik und Forschung. Hrsg. von Hans Peter Herrmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1994. S. 39–57, S. 52. 82 Müller-Salget: Zur Struktur von Goethes „Werther“, S. 317. 83 Dye: Blanckenburgs Werther-Rezeption, S. 68.

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Modus, in dem die jeweiligen Geschichten verfasst sind. So ist bereits im Titel bei Goethe ein Bezug zu Leiden hergestellt. „Allein auf sie soll sich die Aufmerksamkeit richten.“84 Während der Roman Vollidiot eine auffällige Nähe zur Comedy aufweist, die in dieser Arbeit noch näher untersucht werden soll, lässt sich schon am Titel von Goethes Roman erahnen, „dass besagter Werther wohl kaum etwas zu lachen findet.“85 Die Veränderungstrends der Liebescodierungen nach Luhmann lassen sich bezogen auf die beiden untersuchten Romane von Goethe und Jaud wie folgt zusammenfassen: Beide jungen Single-Männer lieben um der Liebe willen und die Objekte ihrer Liebe sind austauschbar. Die Liebe ist für die beiden Schwärmer identitätsstiftend und daher zwingendes Element ihres Lebens. Während die Metaphern für die Beschreibung von Werthers Gefühlen noch primär aus der Literatur und der Natur gegriffen wurden, sind es bei Simon die Musik und der Konsum. In beiden Bestsellern kommt der Verdacht der Unmännlichkeit der Protagonisten auf, dieser wird jedoch nur bei Simon bestätigt. Es wird in beiden Romanen mit Vorausdeutungen gearbeitet und beide Male bleibt die Liebe der Single-Männer zu Beginn des Romans sowie am Ende unerfüllt. Während Die Leiden des jungen Werther jedoch das Narrativ einer Umkehrung der unerfüllten Liebe darstellt, findet in Vollidiot eine Verdoppelung des Misslingens statt. Die Konsequenz, die die Protagonisten aus ihrem Scheitern ziehen, divergiert: Während in Goethes Roman die Lösung im Selbstmord gesehen wird, schließt die Figur Simon in Jauds Roman den Freitod für sich aus. Daneben ist zu beobachten, dass die Leiden von Werther eher ernst geschildert wurden, während ‚Die Leiden des jungen Simons‘ eher humoristisch dargestellt werden.

D IE B ILDSAMKEIT

DES I NDIVIDUUMS

Ausgehend von Jacques Lacans Differenzierung von Mann und Frau86 gilt, dass der Bildungsroman „das Genre des Mannes“ ist. Er ist „verfasst von Männern und für

84 Klotz, Volker: Erzählen. Von Homer zu Boccaccio, von Cervantes zu Faulkner. München: Beck 2006, S. 373. 85 Ebd. 86 Es wird hier von der Differenzierung nach Lacans lettre d’âmour ausgegangen. Nach Lacan gibt es eine unaufhebbare Geschlechter-Differenz zwischen Mann und Frau, bei der der Mann das Subjekt darstellt und die Frau das Objekt. Das universalisierende Subjekt begehrt das nicht-universalisierende Objekt nach dem Lustprinzip in seiner Phanta-

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Männer.“87 So verwundert es nicht, dass der Männerroman auch zahlreiche konstituierende Elemente dieses Genres in sich trägt. Der Bildungsroman ist neben dem Desillusionsroman dem Oberbegriff ‚Entwicklungsroman‘ zuzuordnen.88 Den Bil-

sie. Dabei ist es nicht notwendig, dass zum Beispiel der Mann in Lacans Theorie auch biologisch betrachtet Mann sein muss, was sich zum Beispiel daran manifestiert, dass er auch Homosexualität in seine Theorie einbezieht. (Vgl.: Lacan, Jacques: Eine lettre d’âmour. In: Das Seminar. Buch 20 (1972-1973). Encore. Hrsg. von Jacques Lacan. Weinheim: Quadriga 1986. S. 85–96) Dass die Frauen in Bildungs- sowie in Männerromanen tatsächlich als Objekte gewertet werden können, kann darin bestätigt gesehen werden, dass die begehrten Frauen niemals so beschrieben werden, dass eine Identifikation mit ihnen möglich wäre. Es werden lediglich die Gedanken und Gefühle der männlichen Protagonisten fokussiert. Über einen Objektstatus kommen die Frauen damit nicht hinaus. Diese Feststellung bekommt eine andere Bedeutung, wenn man sie neben folgender Passage aus Manns Tod in Venedig liest: „[D]er Mensch liebt und ehrt den Menschen, solange er ihn nicht zu beurteilen vermag, und die Sehnsucht ist ein Erzeugnis mangelhafter Erkenntnis.“ (Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. In: Frühe Erzählungen. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: Fischer 1981. S. 559–644, S. 612.) Nur solange ein Mann eine Frau nicht als Subjekt, sondern lediglich als Objekt betrachtet, kann er sie demnach voller Sehnsucht lieben. Der Objektstatus der Frau wäre damit die Voraussetzung für Liebe. 87 Suh, Eun Ju: Der Bildungsroman als literarisches Opfer. Frankfurt am Main, New York: Peter Lang 2011 (=Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland 43), S. 8. Hervorhebungen im Original. 88 Vgl. Stanitzek, Georg: Bildungs- und Entwicklungsroman. In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. von Walther Killy. Gütersloh: Bertelsmann 1992. S. 117–122, S. 118. Über die Beziehung von Bildungs- und Entwicklungsroman herrscht große Uneinigkeit in der Wissenschaft und oft verwischen die Grenzen, wie zum Beispiel bei Jürgen Jacobs: Für ihn geht es im Bildungsroman um „den in seinen Voraussetzungen und Zielen individuellen und gleichwohl exemplarischen Reifungsprozess eines jungen Menschen, der auf ein ausgeglichenes Ende hin ausgelegt ist. Die Entwicklungsproblematik und die Tendenz zu deren harmonischen Auflösung sind es also, die den zur Gattung gerechneten Werken ihre Gemeinsamkeit geben.“ (Jacobs, Jürgen: Wilhelm Meister und seine Brüder. Untersuchungen zum deutschen Bildungsroman. München: W. Fink 1972, S. 18.) Da es nicht Zielsetzung dieser Arbeit ist, die Diskussionen um die Grenzen zwischen Bildungs- und Entwicklungsroman wieder einmal zu entfachen, gilt hier das Literaturlexikon als eine angesehene Instanz in der Literaturwissenschaft als Orientierungsgröße. Neben dem Bildungs- und Entwicklungsroman wird oft auch noch der Erziehungsroman in das Grenzziehungsproblem inkludiert. Ortrud Gutjahr sieht die Beziehungen zwischen den Dreien wie folgt: „Der Bildungsroman hat mit dem Erziehungsroman zu-

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dungsroman beschrieben hat wahrscheinlich als Erster, ohne ihn jedoch mit dem Begriff zu bezeichnen, Friedrich von Blanckenburg in Versuch über den Roman im Jahr 1774. Karl Morgenstern hat als Erster den Begriff ‚Bildungsroman‘ verwendet und mit Wilhelm Dilthey beginnt die literaturwissenschaftliche Erforschung dieses Genres zu erblühen.89 Typischerweise beginnt dessen Hochphase mit Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre90 (1795/96), hat seine chronologische Mitte bei Kellers Der grüne Heinrich91 (1879/1880) und endet bei Manns Der Zauberberg92 (1924),

nächst einmal gemeinsam, dass eine Hauptfigur im Zentrum steht, die ihre Anlagen stufenweise entfaltet und zeichnet sich wie der Entwicklungsroman durch die Darstellung eines Reifungsprozesses aus.“ (Gutjahr, Ortrud: Einführung in den Bildungsroman. Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2007 (=Einführungen Germanistik), S. 13.) Im Erziehungsroman ist jedoch die Entwicklung, die der Protagonist zu durchlaufen hat, auf ein pädagogisches Ziel hin gerichtet, während im Bildungsroman wie im Männerroman eine individuelle Entwicklung samt individuellen Zielsetzungen im Zentrum stehen. Eine Auseinandersetzung mit Entwicklungsvorgaben der Gesellschaft ist im Bildungsroman wie im Männerroman allerdings sehr wohl realisiert, auch wenn diese Vorgaben nicht als Entwicklungsziele übernommen werden. (Vgl.: ebd., S. 13–14.) 89 Vgl.: Kiehl, Robert: Das Experiment des aufgeklärten Bildungsromans. Ein Vergleich der Fassungen von Christoph Martin Wielands „Geschichte des Agathon“. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008 (=Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 647), S. 13. Vgl. auch: Selbmann, Rolf: Einleitung. In: Zur Geschichte des deutschen Bildungsromans. Hrsg. von Rolf Selbmann. Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1988. S. 1–44, S. 20. 90 Goethe, Johann Wolfgang von: Romane und Novellen II. Hrsg. von Erich Trunz. 6. Aufl. Hamburg: Christian Wegner 1965 (=Sämtliche Werke 7). Bezüglich Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre ist oft die „Rede vom größten […] deutschen Bildungsroman“ und er gilt sogar als „Paradigma“ des Genres. (Selbmann, Rolf: Der deutsche Bildungsroman. 2. Aufl. Weimar: Metzler 1994 (=Sammlung Metzler 214), S. 74.) 91 Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich 1854/55. Hrsg. von Walter Morgenthaler. Basel: Stroemfeld 2000 (=Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe 11 und 12). Die erste Fassung des Romans ist 1854/1855 erschienen, eine zweite folgte 1879/1880. Im Gegensatz zur ersten Fassung ist die zweite Fassung als Ich-Erzählung abgefasst, was einen Vergleich mit Männerromanen, die typischerweise ebenfalls in der Ich-Perspektive erzählen, erleichtert. Daher soll für diese Arbeit die zweite Fassung als Grundlage dienen, auch wenn in der Forschung immer wieder die erste Fassung als die zu bevorzugende beurteilt wurde, obwohl Keller selber ebenfalls die zweite Fassung präferierte. (Vgl.: Batzel, Marie: Helden auf Bildungswegen? Die Exemplarik erstrebende Biographie-Erzählung. Ein Gegenentwurf zum Gattungskonzept des Entwicklungs- und Bildungsromans. Passau: Schuster 2010 (=Pataviensia 1), S. 381.)

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so dass dieses Genre das Subjekt in der Epoche der Moderne thematisiert – und nicht wie der Männerroman das Subjekt der Gegenwart.93 Womöglich erscheint es auch hier wieder auf den ersten Blick wenig plausibel, Goethe, Keller und Mann auf eine Stufe mit Jaud, Sachau und Rath zu stellen, doch der Vergleich ist bei näherer Betrachtung alles andere als unergiebig, denn das Genre des Bildungsromans hat sich weiterentwickelt. Es scheint daher sinnvoll, die Definition der Gattung ‚Bildungsroman‘ so anzulegen, daß sie jenen Strang der deutschen Literaturentwicklung erfaßt, in dem der Wilhelm Meister als Muster gewirkt hat, wobei allerdings die Definition so offen bleiben muß, daß sie die beträchtlichen historischen Modifikationen dieses Romantyps in sich aufnehmen kann.94

Der Männerroman könnte als eine ‚beträchtliche historische Modifikation‘ des Bildungsromans angesehen werden.95 Dann widerspricht dem Vergleich auch nicht

92 Mann, Thomas: Der Zauberberg. Roman. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: Fischer 1981 (=Gesammelte Werke in Einzelbänden 17). Es wird in der Forschung oft diskutiert, ob Manns Roman überhaupt als Bildungsroman anzuerkennen ist. In dieser Arbeit soll die These vertreten werden, dass es sich beim Zauberberg nicht nur um einen Bestandteil des Genres, sondern sogar um einen der bedeutendsten Bildungsromane überhaupt handelt. Zur Unterstützung der These, dass Manns Roman sehr wohl zu dem Genre zu zählen ist, sollen einige Worte des Autors aufgeführt werden, die er am 4. September 1922 an Arthur Schnitzler schrieb. In seinem Brief berichtet Mann dem Schriftstellerkollegen, er schreibe an „einer Art von Bildungsgeschichte und Wilhelm Meisteriade, worin ein junger Mensch (vor dem Kriege) durch das Erlebnis der Krankheit und des Todes zur Idee des Menschen und des Staates geführt wird“. (Mann, Thomas: Briefe 1889-1936. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt am Main: S. Fischer 1961, S. 199–200.) Dass Mann hier den Zauberberg nicht nur als „Bildungsgeschichte“ deutet, sondern den Roman auch noch in eine Traditionslinie mit Goethes Vorzeige-Bildungsroman stellt, muss an dieser Stelle als Begründung für die Einreihung des Romans in das Genre genügen. Einen für den Einstieg guten Überblick über die verschiedenen Meinungen in der Forschungsliteratur geben zum Beispiel Jacobs und Krause. (Jacobs, Jürgen u. Markus Krause: Der deutsche Bildungsroman. Gattungsgeschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. München: Beck 1989 (=Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 208–210.) 93 Vgl.: Suh: Der Bildungsroman als literarisches Opfer, S. 2. 94 Jacobs et al.: Der deutsche Bildungsroman, S. 18. 95 Auch Frauenromane wurden schon bezüglich Überschneidungen zu Bildungsromanen untersucht: „Die Analyse und Interpretation von Romanen wie [...] Helen Fielding’s Bridget Jones’s Diary [...] kann nur gewinnen, wenn man sie im Lichte der ihnen memorierten Gattungsideologien des Bildungsromans, der Tagbuchform und der romance liest,

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mehr, dass der Bildungsroman typischerweise der höheren Literatur und der Männerroman der Unterhaltungsliteratur zugewiesen wird, denn womöglich ist der Wechsel der Wertungsebene eine historisch bedingte Modifikation. Im Rahmen dieser Argumentation lässt sich sicherlich Vieles als ‚historisch bedingte Modifikation‘ des Bildungsromans verteidigen, doch eben nicht alles. In jedem Fall muss ein Bildungsroman von ‚Bildung‘ handeln, ist dieses Genre doch ebenso wie der Männerroman durch den Inhalt, also hier durch Bildung, definiert. Der determinierende Begriff für ‚Bildungsroman‘, nämlich ‚Bildung‘, zeigt eine Assoziationsvielfalt, die sowohl im alltagssprachlichen wie auch im wissenschaftlichen Gebrauch nicht in Gänze abzudecken ist. ‚Bildung‘ wird kontextuell je spezifisch verwendet.96

Im Bildungsroman wird die These vertreten: „Ausbildung ist keine Bildung.“97 So wird zum Beispiel Heinrich in Kellers Roman der Schule verwiesen. Das vernichtende Urteil über ihn lautet: „nicht zu brauchen!“ (GH: I, 170) – und dennoch wird Heinrich seinen Bildungs-Weg gehen. Bildung muss im Sinne des Bildungsromans vielmehr verstanden werden als Bildsamkeit des Individuums.98 Meyer stellt als Grundstruktur des Bildungsromans, die sich allem historischen Wandel zum Trotz gehalten hat, heraus: Die Prämisse des Bildungsromans ist die Idee der Bildsamkeit der Individuums: dessen Fähigkeit, sich während der Jugendzeit und Adoleszenz in Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Umwelt zur personalen Identität, zum Bewußtsein der Konsistenz und Kontinuität des Ichs zu entwickeln. Daraus ergibt sich als zentrale Thematik der Romanart die erfolgreiche Suche eines jugendlichen Protagonisten nach existenssichernden Orientierungsmustern, nach Bestimmung seines gesellschaftlichen Standortes. Diese Suche stellt sich als eine meist nicht krisenfreie innere Progression dar, die in der Regel mit dem Eintritt in die Welt der Erwachsenen, mit der Selbstfindung ihren vorläufigen Abschluß findet.99

da bereits diese [...] Texte in vielfältiger Weise Wiedergebrauchs-Formen subversiv umdeuten, implizit fortschreiben und explizit aktualisieren.“ (Erll, Astrid u. Klaudia Seibel: Gattungen, Formtraditionen und kulturelles Gedächtnis. In: Erzähltextanalyse und Gender Studies. Hrsg. von Vera Nünning u. Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2004. S. 180–208, S. 203. Hervorhebungen im Original.) 96 Kiehl: Das Experiment des aufgeklärten Bildungsromans, S. 13. 97 Suh: Der Bildungsroman als literarisches Opfer, S. 63. 98 Vgl.: Mayer, Gerhart: Der deutsche Bildungsroman. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Stuttgart: Metzler 1992, S. 12. 99 Ebd., S. 19.

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Dass die personale Identität am Ende der Adoleszenz erlangt wird, ist eine verbreitete These, die der Realität allerdings schon lange nicht mehr standhält. So wird als eine Lösung das Ende der Adoleszenz im Rahmen der Genese des Genres Bildungsroman immer weiter nach hinten geschoben, mal Ende der zwanziger Lebensjahre und mal Anfang der dreißiger Lebensjahre gesetzt.100 Wahrscheinlich hat sich stattdessen eine weitere Lebensphase entwickelt, nämlich die Phase des ‚jungen Erwachsenen‘, die zwischen der Lebensphase des ‚Jugendlichen‘ und des ‚Erwachsenen‘ einzuordnen ist. Genaue Altersangaben lassen sich für diese Phase nicht machen. Es steht lediglich fest: „An der modischen Variante des Entwicklungsromans [zu dem der Bildungsroman zu zählen ist, Anm. AKK] ist auch eine Aufhebung von Altersgrenzen zu beobachten. Jungsein ist nicht ausschließlich an ein biologisches Alter gebunden, sondern eine Frage der persönlichen Einstellung.“101 Gleichzeitig lässt sich die Phase des ‚jungen Erwachsenen‘ allerdings sehr wohl an Lebensentscheidungen festmachen: In dieser Lebensphase stehen „Berufseinmündung, Partnerschaftsbildung und Familiengründung“ an. Auch die erwachsene Männlichkeit eignet sich der Mann in dieser Phase an.102 Als ‚nicht krisenfrei‘ im Sinne Gerhart Meyers können auch die Auseinandersetzung mit und Entwicklung der Männlichkeit als Teil der personalen Identität der Protagonisten in den Männerromanen beschrieben werden, ist doch die ‚Krise der Männlichkeit‘ eine Hauptkonstituente des Genres Männerroman. Dazu passend wurde der Bildungsroman bereits als „Reflexions- und Verarbeitungsmedium für Krisenerfahrungen“103 beschrieben. Dass die Krise vom Protagonisten im Männerroman nicht gelöst wird, stellt eine weitere Parallele zum Bildungsroman dar: „Die Verwirklichung seines Lebensentwurfs ist nicht mehr Gegenstand der Darstellung,

100 Vgl.: ebd., S. 415. 101 Rigler, Christine: Ich und die Medien. Neue Literatur von Frauen. Innsbruck: Studienverlag 2005, S. 56. 102 Vgl.: Meuser, Michael: Junge Männer. Aneignung und Reproduktion von Männlichkeit. In: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 428–435, S. 429. In Kellers Der grüne Heinrich findet ein großer Teil der Geschichte noch vor der Jugendzeit, nämlich in der Kindheit statt. Dies steht jedoch nicht im Gegensatz hierzu, da der Erzähler in der ersten Fassung des Romans die Kindheit als „Vorspiel des ganzen Lebens“ wertet, das „schon die Hauptzüge der menschlichen Zerwürfnisse im Kleinen abspiegele“ (GH/I: I, 216). In der zweiten Fassung fehlt diese Passage jedoch. 103 Voßkamp, Wilhelm: „Ein anderes Selbst“. Bild und Bildung im deutschen Roman des 18. und 19. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein 2004 (=Essener kulturwissenschaftliche Vorträge 15), S. 25.

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weshalb der Romanschluß, der ja nur die Selbstfindung signalisiert, über sich hinausweist“104. In diesem Sinne wird lediglich eine Versöhnung mit der eigenen Männlichkeit im Romanschluss angedeutet, was gehäuft dadurch geschieht, dass der Protagonist zum Ende mit einer Frau liiert ist, die den Protagonisten als Subjekt samt seiner Männlichkeit akzeptiert.105 Auch in Männerromanen lassen sich am Ende ähnliche Andeutungen finden: In Tommy Jauds Resturlaub106 (2006) kommt Pitschi zum Beispiel wieder mit seiner Freundin Biene zusammen, in Philip Tamms Billigflieger107 (2009) wird eine gemeinsame Zukunft von Jo und Katie angedeutet, in Toreros sind so108 (2007) von Michael Eichhammer werden am Ende des Romans Martin und Mia ein Paar. Sowohl im Bildungs- wie im Männerroman ist typischerweise der geradewegs zum Ziel führende Weg für den Protagonisten nicht möglich. Er geht immer zunächst einen Weg „durch Irrtümer und Krisen zur Selbstfindung“109. So bemüht sich der Protagonist in Wilhelm Meisters Lehrjahre zunächst als Schauspieler, bemerkt jedoch seinen Irrtum, verkündet in einem Brief an Werner: „Ich verlasse das Theater“ (WML: VII, 491) und wird später Kaufmann.110 Heinrich in Der grüne Heinrich bemüht sich zunächst als Landschaftsmaler, wird schließlich aber Beamter. Im Männerroman Überman111 (2012) von Jaud bereitet Simon akribisch Vorkehrungen

104 Mayer: Der deutsche Bildungsroman, S. 20. 105 Das glückliche Ende unterscheidet den Bildungsroman vom Desillusionsroman, deswegen muss es tendenziell ein glückliches Ende geben. (Vgl.: Saariluoma, Liisa: Erzählstruktur und Bildungsroman. Wielands „Geschichte des Agathon“, Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 8.) Dass zum Beispiel Keller für seinen Bildungsroman dennoch kein überglückliches Ende gewählt hat, „und die Lebensgeschichte Heinrichs nicht idealisierend verbrämt, galt zunächst als Mangel, später aber auch als Zeichen der Modernität des Romans […].“ (Gutjahr: Einführung in den Bildungsroman, S. 101.) 106 Jaud, Tommy: Resturlaub. Das Zweitbuch. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2007. 107 Tamm, Philip: Billigflieger. Roman. München: Heyne 2009. 108 Eichhammer, Michael: Toreros sind so. Roman. München: Piper 2007. 109 Jacobs, Jürgen: Bildungsroman. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Hrsg. von Klaus Weimar. Berlin: De Gruyter 1997. S. 230–233, S. 230. 110 Zum Irrtum ist in Wilhelm Meister Lehrjahre konkret zu lesen: „Nicht vor Irrtum zu bewahren, ist die Pflicht des Menschenerziehers, sondern den Irrenden zu leiten, ja ihn seinen Irrtum aus vollen Bechern ausschlürfen zu lassen, das ist Weisheit der Lehrer“ (WM: VII, 494-495). 111 Jaud, Tommy: Überman. Der Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012.

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für einen bevorstehenden Weltuntergang vor, bis ihm klar wird, dass er sich mit seiner These geirrt hat und er sich stattdessen besser um seine tatsächlichen Probleme kümmern sollte. In Resturlaub sucht Pitschi krampfhaft in der weiten Welt nach einem besseren Leben, bevor ihm bewusst wird, dass es für ihn nichts Schöneres als sein altes Leben in der Provinz gibt. Damit ist in Resturlaub sogar ein ‚Weg des Irrtums‘ im wortwörtlichen Sinne zu finden. Es wird deutlich, dass im Bildungs- sowie im Männerroman der Irrweg nicht nur als erzählerischer Trick zur Ausdehnung der Geschichte, sondern als konstituierendes Element gewertet werden kann, das notwendig für die Entwicklung des Protagonisten ist. Nur so kann Wilhelm am Ende von Wilhelm Meisters Lehrjahren nicht trotz, sondern auch gerade wegen seiner vorherigen Irrungen feststellen, dass er sein glückliches Leben „mit nichts in der Welt vertauschen möchte“ (WM: VII, 610). Wie im Männerroman wird auch im Bildungsroman homodiegetisch und intern fokalisiert erzählt, damit ein Einblick in das Innere des Protagonisten möglich wird112 und seine Weiterbildung nachvollzogen werden kann. Gleichzeitig wird durch dieses formale Kriterium ein inhaltliches Hauptkriterium des Bildungsromans nach Jacobs erfüllt: Er sieht ein entscheidendes Merkmal des Bildungsromans „in den Phasen der Reflexion, des resümierenden Innehaltens […], in denen der Protagonist über sich selbst und seine Erfahrungen Klarheit zu gewinnen versucht.“113 Auch hier ist wieder eine Parallele zum Männerroman aufgezeigt, für den ein entscheidendes Merkmal die Selbstreflexion (vor allem der eigenen Männlichkeit) darstellt. Die Ausbildung von Männlichkeit oder von Gender allgemein kann generell unter Bildung gefasst werden: „Bildung umfasst immer einen körperlich-geistigen Reifungsvorgang wie auch eine Auseinandersetzung mit geschlechterdifferenten Rollenvorgaben und kulturspezifischen Wertkontexten.“114 Der ‚körperlich-geistige Reifungsvorgang‘ kann verstanden werden als ‚sex-gender Reifungsvorgang‘, der die Vereinbarung von körperlichem Sein und sozialem Tun zum Ziel hat. Das Verständnis der eigenen Gender-Rolle ist unbestreitbar in der Auseinandersetzung mit

112 Vgl.: Gutjahr: Einführung in den Bildungsroman, S. 43. 113 Jacobs, Jürgen: Zwischenbilanzen des Lebens. Zu einem Grundmuster des Bildungsromans. Bielefeld: Aisthesis 2005 (=Aisthesis Essay 20), S. 11–12. Der Protagonist muss sich nach Jacobs „seiner Rolle als Suchender und Werdender ausdrücklich bewusst sein.“ (Ebd., S. 13.) Dass der Protagonist sich selber reflektiert, unterscheidet den Bildungsroman übrigens auch vom Abenteuerroman, bei dem Selbstreflexion in der Regel kein Bestandteil ist, sondern vielmehr durch Tatendrang ersetzt wird. (Vgl.: ebd., S. 16. Vgl. auch: Jacobs et al.: Der deutsche Bildungsroman, S. 37.) 114 Gutjahr: Einführung in den Bildungsroman, S. 13.

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‚geschlechterdifferenten Rollenvorgaben‘ verbunden. Was als männlich gilt und was nicht, ist dabei an ‚kulturspezifische Wertkontexte‘ gebunden. Wie beim Männerroman geht es daneben auch beim Bildungsroman traditionell nicht nur um Selbstvervollkommnung, sondern um „die Selbstvervollkommnung des (männlichen) Individuums“115, weswegen der Protagonist im Bildungsroman traditionell ebenfalls männlich ist.116 In Kellers Roman hat Heinrich nach eigener Einschätzung Schwierigkeiten damit männlich zu wirken, da ihm mit seinem Vater das männliche Vorbild gefehlt hat (vgl.: GH: I, 130). Auch später reflektiert er darüber, was Männlichkeit wohl ausmache: „Nur die Ruhe in der Bewegung hält die Welt und macht den Mann“ (GH: III, 17). Im Zauberberg ist die Krise der Männlichkeit des Protagonisten ein zentrales Thema. So urteilt Hans Castorp über sich selber: „Ich bin gar nicht männlich auf die Art, daß ich im Manne nur das nebenbuhlende Mitmännchen erblicke, – ich bin es vielleicht überhaupt nicht, aber bestimmt nicht auf diese Art, die ich unwillkürlich ‚gesellschaftlich‘ nenne, ich weiß nicht, warum“ (ZB: 821). In Goethes Roman wertet Wilhelm Lothario als besonders männlich und sagt in diesem Zusammenhang zu sich selbst: „Wie weit verbreitet sich die Wirkung der Männlichkeit und Würde! Wenn nur andere nicht so sehr dabei zu kurz kämen! Ja, gestehe dir nur deine Furcht“ (WM: VII, 445). Alle Männer in den drei untersuchten Bildungsromanen haben Zweifel an ihrer Männlichkeit, ebenso wie die Protagonisten in den Männerromanen, was bereits detailliert erörtert wurde. Nachdem eine Riege von Gemeinsamkeiten zwischen dem Männer und dem Bildungsroman herausgestellt wurde, ist es nun an der Zeit, zu Unterschieden zwischen den beiden Genres zu kommen, um den Fehlschluss, dass der Männerroman ein Bildungsroman par excellence sei, zu vermeiden. Folgendes bedeutendes Charakteristikum des Bildungsromans entspricht zum Beispiel nicht dem Männerroman: „Der Erzähler erscheint didaktisch motiviert, auf Leserlenkung bedacht. [...] Der Erzähler des Bildungsromans verkündet sein humanes Leitbild mit mehr oder minder entschiedenem Anspruch auf exemplarische Verbindlichkeit“117. Jürgen Jacobs und Markus Krause bezweifeln jedoch, dass der Erzähler als „Bildungsmissionar“ eine angebrachte Beschreibung im Bildungsroman darstellt und plädieren für eine abgeschwächte Rolle des Erzählers: Daß der Erzähler einer im Zeichen des Bildungsproblems stehenden Geschichte seine Helden oft mit Ironie betrachtet und daß er sein Verhältnis zum Leser so anlegt, daß die Intention des

115 Voßkamp: „Ein anderes Selbst“, S. 21. 116 Vgl.: Gutjahr: Einführung in den Bildungsroman, S. 8. 117 Mayer: Der deutsche Bildungsroman, S. 20.

V ERHÄLTNIS ZUR

LITERARISCHEN

T RADITION

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Buchs durch Reflexionsanstöße und durch mehr oder weniger deutliche Steuerung der Rezeption gefördert wird, ist sicher zutreffend.118

Ein wie auch immer stark didaktisch motivierter Erzähler oder ein Erzähler mit einer ironischen Distanz existiert im Männerroman nicht, da er sich hier nicht von den Ansichten des Protagonisten abhebt und meistens sogar ohnehin mit dem Protagonisten gleichzustellen ist. „Die Helden der Bildungsgeschichten haben meist das Privileg, vor dem Eintritt in das Alter der Erwachsenen eine Phase freier Selbsterprobung zu durchlaufen.“119 Diese Phase der Selbsterprobung ist nicht selten mit Reisen verbunden. Zwar reisen auch einige Protagonisten im Männerroman, wobei die Reise stets als Reise zu sich selbst gedeutet werden kann, jedoch dauern diese Reisen nur wenige Tage bis Wochen an und sind kein fester Bestandteil eines jeden Männerromans. Eine ‚Phase freier Selbsterprobung‘ erleben die Protagonisten schon alleine deswegen nicht, da sie sich eher unter Druck gesetzt statt frei empfinden. So liegt es auch nahe, dass in Männerromanen keine großen Welterkundungen unternommen werden. Zu den wenigen Romanen, in denen nicht nur gereist wird, sondern bei denen das Reisen sogar in den Romantitel aufgenommen wurde, ist der Männerroman Billigflieger zu zählen: Joachim steht kurz vor der Hochzeit mit Nina und fliegt wie jedes Jahr mit seinen männlichen Freunden auf die Insel Mallorca (vgl. BF: 6-7). Im Urlaub lernt er Katie kennen (vgl. BF: 21), die ihn in seinen bisherigen Lebensentscheidungen verunsichert. Letztendlich verlässt Joachim seine Verlobte und beginnt einen neuen Lebensabschnitt mit Katie als seiner neuen Freundin (vgl. BF: 266-267). Der Urlaub ist damit in diesem Männerroman nicht als Phase freier Selbsterprobung vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter zu deuten, sondern vielmehr eine Selbstfindung bzw. die Findung der vermutlich ‚richtigen‘ Frau anstelle der ‚falschen‘.120 In Resturlaub möchte der Protagonist Pitschi nicht seine langjährige Freundin Biene heiraten. Er ist gegenüber der Entwicklung, dass in seinem Bekanntenkreis zahlreiche Paare heiraten, negativ eingestellt (vgl. RU: 15). Als ein gemeinsamer Urlaub mit befreundeten Paaren auf Mallorca ansteht, freut sich Pitschi „nicht gerade übermäßig“ (RU: 13) auf den gemeinsamen Trip. Am Flughafen überlistet Pitschi seine Freunde kurzentschlossen und fährt nicht wie jedes Jahr mit ihnen auf

118 Jacobs et al.: Der deutsche Bildungsroman, S. 32. 119 Jacobs: Zwischenbilanzen des Lebens, S. 15. 120 Vor diesem Hintergrund ist Billigflieger auch im weitesten Sinne zu den Singleromanen zu zählen, obwohl Joachim kein Single ist. Da er jedoch bereits zu Beginn des Romans eine Affäre mit Katie beginnt, wird dem Leser deutlich, dass sich Joachim anscheinend trotz der Verlobung mit Nina sehr wohl als Single empfindet.

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die Insel Mallorca, sondern alleine nach Argentinien. Seine Freundin lässt er glauben, dass er alleine zu Hause zurückgeblieben sei. Währenddessen lernt er jedoch seine Spanisch-Lehrerin in Argentinien näher kennen. Schlussendlich fliegt Pitschi wieder nach Deutschland und kehrt zurück zu Biene, die von Pitschis Ausflug überhaupt nichts mitbekommen hat (vgl. RU: 248). Da der Ausflug nach Argentinien mit all seinen Abenteuern für Pitschi ohne Konsequenzen bleibt, kann hier die Reise sehr wohl als Phase freier Selbsterprobung angesehen werden. Dass dieser Schluss in Männerromanen möglich ist, ist allerdings, wie bereits erörtert, die Ausnahme. Auch weitere typische Elemente des Bildungsromans sind im Männerroman eigentlich nicht zu finden: Typische Erfahrungen der Bildungshelden sind die Auseinandersetzung mit dem Elternhaus, die Einwirkung von Mentoren und Erziehungsinstitutionen, die Begegnung mit der Sphäre der Kunst, erotische Seelenabenteuer, die Selbsterprobung in einem Beruf und bisweilen auch der Kontakt zum öffentlich-politischen Leben.121

Im Männerroman erscheinen die Eltern des jeweiligen Protagonisten meistens gar nicht, und wenn doch, dann nur peripher, und sie sind in keinem Fall handlungsentscheidend. In Der Grüne Heinrich wird mit den Worten „Mein Vater war ein Bauernsohn aus einem uralten Dorfe“ (GH: I, 11) in die Geschichte eingeleitet, also mit einem Bezug zum verstorbenen Vater. Das zweite Kapitel ist sogar mit „Vater und Mutter“ (GH: I, 18) überschrieben und auch im weiteren Handlungsverlauf werden Heinrichs Eltern wiederkehrend von Bedeutung sein. Heinrich sinniert zum Beispiel darüber, „wie es mit mir gekommen wäre, wenn mein Vater gelebt hätte, und wie mir die Welt in ihrer Kraftfülle von frühester Jugend an zugänglich gewesen wäre“ (GH: I, 28). Schon im später erschienenen Bildungsroman von Mann haben die Elternfiguren keine handlungsweisende Funktion mehr, so dass die marginale bis gar nicht vorhandene Rolle der Eltern im Männerroman keinen bedeutenden Gegensatz zum Bildungsroman darstellt. Statt Mentoren gibt es im Männerroman Freunde, die dem Protagonisten mit ihrem Rat zur Seite stehen. Diese als Mentoren zu deuten, würde nicht das Wesen der freundschaftlichen Beziehung treffen, die schließlich in der Regel auf Augenhöhe stattfindet. Erziehungsinstitutionen, Kunst und Kontakt zum öffentlich-politischen Leben sind typischerweise keine Themen im Männerroman – erotische Seelenabenteuer und die Selbsterprobung im Beruf hingegen schon, da sowohl Liebesbeziehungen als auch der Beruf als Männlichkeitsverstärker für die Protagonisten funktionieren können.

121 Jacobs et al.: Der deutsche Bildungsroman, S. 37.

V ERHÄLTNIS ZUR

LITERARISCHEN

T RADITION

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Im Bildungsroman haben Liebesbeziehungen einen hohen Stellenwert und sind als Parameter zu verstehen, „bei dem die jeweiligen Liebesbeziehungen des Helden häufig die jeweils erreichte Entwicklungsstufe dokumentieren“122. In diesem Sinne gehören Liebesbeziehungen zum Bildungsroman und zur Entwicklung der IchIdentität in ihm dazu.123 Die Rolle der Liebe im Männerroman ist ebenfalls evident, wurde an anderen Stellen jedoch bereits so ausführlich erörtert, dass an dieser Stelle auf eine Wiederholung verzichtet werden soll. Bildungs- sowie Männerroman sind beide männliche Genres. Die Protagonisten sind junge Männer, die sich in einer Lebensphase befinden, in der sie ihre persönliche Identität ausbilden. Dabei erfahren sie immer eine Krise ihrer Männlichkeit und sind auf der Suche nach einer passenden Frau, die sie meist zum Ende des Romans gefunden zu haben scheinen. Letztlich wird die glückliche Zweisamkeit jedoch ebenso wie die erfolgreiche Selbstfindung lediglich angedeutet. Auf ihrem Weg durchleben die Protagonisten typischerweise Irrungen, bevor sie die für sich richtige Richtung auf ihrem Lebensweg einschlagen. Trotz dieser zahlreichen Parallelen ist der Männerroman keine historische Modifikation des Bildungsromans, da ihm zahlreiche konstituierende Elemente des Bildungsromans, wie zum Beispiel die enorme Bedeutung der Eltern oder das Vorhandensein von Mentoren, fehlen. Der Männerroman steht jedoch, das konnte durch die Untersuchungen festgestellt werden, in der Tradition des Bildungsromans.

122 Hansel, Beate: Die Liebesbeziehungen des Helden im deutschen Bildungsroman und ihr Zusammenhang mit der bürgerlichen Konzeption von Individualität. Frankfurt am Main: Peter Lang 1986 (=Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur 901), S. 2. 123 Vgl.: ebd.

Humorvolle Ernsthaftigkeit

L ITERATUR

ALS

R ATGEBER

In der Welt am Sonntag proklamierte Nicola Erdmann unlängst: „Der Mann ist die neue Zielgruppe der Ratgeberliteratur.“1 Auch in einem Artikel von Silvia Schaub ist zu lesen, dass die männliche Zielgruppe von Ratgebern nun gezielt angesprochen wird, nachdem sie lange vernachlässigt wurde. „Entsprechend viel Potenzial bietet diese Nische – und sie boomt: ob es um Stilfragen, Krankheit, Ernährung, Erziehung oder Höflichkeit geht. Für alles hagelt es männerspezifische Ratschläge.“2 Auf wissenschaftlicher Seite kann eine entsprechende Feststellung gemacht werden: Niemals zuvor gab es so viele sozialwissenschaftliche und psychologische Studien über Männer. Auch Ratgeberliteratur für Männer (und deren Partnerin) sowie ironisch-sarkastische Populärliteratur über ‚Männer‘ haben einen festen Platz in den Bestseller-Listen.3

Bevor Männer von Ratgeberverlagen als neue Zielgruppe erkannt wurden, ist Ratgeberliteratur vor allem speziell auf Frauen zugeschnitten gewesen: „Früher standen in den Buchhandlungen vor allem auf weibliche Sorgen abzielende Ratgeber“4. Nun zielen die Ratgeber zwar auch auf ‚männliche Sorgen‘ ab, doch: „Ein dickes Ge-

1 2

Erdmann, Nicola: So geht das, Mann! In: Welt am Sonntag (25.8.2013). S. 23 Schaub, Silvia: Auf den Mann gekommen. Männer sind die neue Zielgruppe der Ratgeberliteratur – Tipps erhalten sie für alle Lebenslagen. In: Berner Zeitung (29.10.2013). http://bazonline.ch/kultur/diverses/Auf-den-Mann-gekommen/story/13897036 (20.9.2014).

3

Wippermann, Carsten, Marc Calmbach u. Katja Wippermann: Männer: Rolle vorwärts, Rolle rückwärts? Identitäten und Verhalten von traditionellen, modernen und postmodernen Männern. Opladen: Budrich 2009, S. 8.

4

Erdmann: So geht das, Mann!

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schäft ist die Männerratgeber-Literatur freilich noch nicht.“5 Weiterhin gilt, dass „das Ratgeberterrain eine Domäne der weiblichen Leserinnen ist“6. Und dies betrifft vermutlich auch die Männerratgeber. So stellt der Mediziner Marco Caimi die These auf: „Es ist davon auszugehen, dass es oft die Frauen sind, die diese Bücher kaufen und ihren Männern schenken. Viele werden sie auch gleich selbst lesen, um sie besser zu verstehen.“7 Mit dieser Vermutung bestätigt Caimi gängige Klischees. Doch er kann auch eine Veränderung in der Gesellschaft beobachten: „Nach gut 40 Jahren Emanzipation werden Männer jetzt aber auch öffentlich krank, in Sport, Politik und Wirtschaft oder bringen sich gar um. Dies weckt Bedürfnisse und Begehrlichkeiten.“8 Daher soll an dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass auch vermehrt Männer zu der Leserschaft der Männerratgeber gehören, da sie in der heutigen Zeit neue „Bedürfnisse und Begehrlichkeiten“ entwickelt haben. Man denke hierbei nur an das Stichwort ‚Neue Männer‘. Außerdem sind die Autoren von Männerratgebern meistens Männer, so dass angenommen werden kann, dass sich auch Männer mit Ratgebern beschäftigen. Der letzte überdurchschnittlich erfolgreiche Männerratgeber ist mit Ein Mann – ein Buch9 im Jahr 2007 erschienen. Die Autoren legitimieren das Verfassen ihres Buchs damit, dass an Frauen und Männern unterschiedliche Anforderungen gestellt werden und sie somit auch über unterschiedliches Wissen verfügen sollten. Für die meisten Frauen ist es nicht wichtig zu wissen, wie man sich mit dem Messer rasiert, worauf man beim Kauf eines Anzugs oder eines Aston Martins achten sollte, wie man in die Fremdenlegion eintritt, wie man Haarausfall bekämpft, Papst wird, eine Krawatte bindet oder ein Bier ohne Öffner öffnet. Das sind Dinge, die eher Männer interessieren.10

Auch die Bücher, die ein Mann und eine Frau gelesen haben sollten, unterscheiden sich. So zählt es laut Ratgeber „zu der kulturellen Grundausstattung eines Mannes“11 unter anderem Johann Wolfgang Goethes Die Leiden des jungen Werthers

5 6

Schaub: Auf den Mann gekommen. Kessler, Georg: Der Buchverlag als Marke. Typik und Herausforderungen des markengeprägten Publizierens am Beispiel der Ratgeberliteratur Deutschlands. Wiesbaden: Harrassowitz 2013 (=Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 87), S. 36.

7

Schaub: Auf den Mann gekommen.

8

Ebd.

9

Augustin, Eduard, Philipp von Keisenberg u. Christian Zaschke: Ein Mann – ein Buch. München: Goldmann 2009.

10 Ebd., S. 12. 11 Ebd., S. 322.

H UMORVOLLE E RNSTHAFTIGKEIT

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und Thomas Manns Der Zauberberg gelesen zu haben – zwei Romane, die in dieser Arbeit als Vorläufer des Männerromans untersucht werden. Der Ratgeber Ein Mann – ein Buch gehörte lange zu den meist verkauften Büchern in Deutschland und schaffte es zum Beispiel 2008 als Hardcover-Ausgabe auf den sechsten Platz der Jahresbestsellerliste des Spiegels in der Kategorie ‚Sachbuch‘12 (im Jahr darauf auf Platz acht13). Als Taschenbuch belegte er im Jahr 2010 den sechsten Platz in der Jahresbestsellerliste des Spiegels in derselben Kategorie14. Erst ein Jahr nach dem Männerratgeber folgte dann der Frauenratgeber Eine Frau – ein Buch15. Dieser war auch ein Bestseller, schaffte es jedoch kein einziges Mal auf die oberen zehn Plätze der untersuchten Jahresbestseller. An den Erfolg des Männerratgebers kam der Frauenratgeber in diesem Fall nicht heran. Insgesamt sind Ratgeber derzeit ein umsatzstarkes Marktsegment. Das Börsenblatt stellt Ratgeberliteratur sogar als „erfolgreichste Warengruppe“ des Jahres 2013 „mit einem Plus von 5,5 Prozent“16 heraus. Es steigerte sich aber nicht nur der Umsatz, sondern auch die Verkaufszahl: 700 000 mehr Ratgeber als im Jahr zuvor wurden verkauft, so dass 2013 insgesamt rund 15,2 Millionen Ratgeber über die Ladentheken gingen. Damit nehmen Ratgeber einen Anteil von 18,3 Prozent des gesamten Buchmarkts ein.17 Doch gerade weil die Ratgeberliteratur so boomt, kann man ihr auch Versagen in ihrer Funktion vorwerfen: Tatsächliche Hilfe zur Verbesserung des Lebensgefühls rat- und tatenloser moderner Menschen scheint die Ratgeberliteratur seit den vergangenen Jahrzehnten nicht geleistet zu haben. Die Aufhebung eines Zustands der Ratlosigkeit wurde offenbar auch nicht herbeigeführt, ha-

12 Vgl.: N.N.: Spiegel Bestseller. Hardcover 2008. In: Buchreport. http://www.buchreport. de/bestseller/jahresbestseller/hardcover.htm?tx_bestseller_pi1[jahr]=2008 (20.9.2014). 13 Vgl.: N.N.: Spiegel Bestseller. Hardcover 2009. In: Buchreport. http://www.buchreport. de/ bestseller/jahresbestseller/hardcover.htm?tx_bestseller_pi1 [jahr]=2009 (20.9.2014). 14 Vgl.: N.N.: Spiegel Bestseller.Taschenbuch 2010. In: Buchreport. http://www.buchreport. de/bestseller/jahresbestseller/taschenbuecher.htm?tx_bestseller_pi1[jahr]=2010 (20.9.2014). 15 Blümner, Heike u. Jacqueline Thomae: Eine Frau – ein Buch. München: Süddeutsche Zeitung 2008 (=Süddeutsche Zeitung Editon). 16 Schulte, Christina: Punktgewinn für das stationäre Sortiment. Branchen-Monitor Buch 2013. In: Boersenblatt.net (16.1.2014). http://www.boersenblatt.net/689440/ (20.9.2014). 17 Vgl.: N.N.: Marketing auf allen Ebenen. Frühjahrstagung der Ratgeberverlage. In: Boersenblatt.net (12.5.2014). http://www.boersenblatt.net/797073/ (20.9.2014).

244 | DER M ÄNNERROMAN ben Handbücher zur Lebens- und Selbsthilfe doch seit den vergangenen Jahrhunderten in keiner Weise an Popularität eingebüßt.18

Wahrscheinlich versagt die Ratgeberliteratur jedoch gerade nicht, sondern hat ganz einfach eine andere Funktion als hier suggeriert wird. Ratgeber sollen zwar unbestritten „Hilfe zur Verbesserung des Lebensgefühls“ geben, aber eben nicht auf lange Sicht gesehen. „Offenbar wird diese Literatur immer wieder gekauft und gelesen, weil ihre Wirkung eingeschränkt ist. Die von ihr vermittelte Zuversicht oder positive Stimmung hält meist nur und immerhin so lange an, als man sich mit dem entsprechenden Buch beschäftigt.“19 Obwohl die Wirkung von Ratgebern bei den Lesern folglich in den meisten Fällen nicht von Dauer ist, ist ihre Wirkung für die Gesellschaft trotzdem nicht zu unterschätzen, denn „sie schreiben mit an der Definition dessen, was der Mensch ist oder sein soll“20, ganz im Sinne der Diskurstheorie von Michel Foucault. Daneben hat Ratgeberliteratur natürlich auch zahlreiche Vorteile besonders für Männer vorzuweisen, die laut allgemeinem Klischee ungern reden, gerade wenn es um Gefühle oder Probleme geht. So heißt es zum Beispiel in Dietrich Schwanitz’ Bestseller-Ratgeber Männer. Eine Spezies wird besichtigt: „Der Mann kann nicht über sein Inneres – also seine Gefühle und seine seelischen Zustände – sprechen.“21 Daher kommen Männern Ratgeber in Buchform sehr entgegen. Der Nachteil, zugleich der Vorteil und ein zentraler Grund für die Beliebtheit von Ratgeberliteratur ist: Im Gegensatz zu einer Therapie muss sich hier niemand allzu intensiv mit sich selbst und/oder seiner sozialen Umgebung beschäftigen. Im Gegensatz zu einer professionellen Beratung ist es nicht notwendig, mit Unterstützung und doch auch selbsttätig Probleme und mögliche Lösungen zu erkennen. Und im Gegensatz zu Partnern und Familie, zu Arbeitskollegen und Freunden zeigt ein Buch keine Reaktion. Es bewertet, urteilt und verurteilt nicht, zumindest nicht wie eine wirkliche Person. Es ist daher leichter, sich ihm gegenüber einen Zweifel oder eine Missstimmung oder Unsicherheit einzugestehen.22

18 Meerhoff, Jasmin: Read me! Eine Kultur- und Mediengeschichte der Bedienungsanleitung. Bielefeld: Transcript 2011 (=Masse und Medium 9), S. 92. 19 Moser, Gerda E.: Im Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Zum Erfolg von Thriller- und Ratgeberliteratur aus vergnügungstheoretischer Sicht. In: Bestseller und Bestsellerforschung. Hrsg. von Christine Haug u. Vincent Kaufmann. Wiesbaden: Harrassowitz 2012. S. 123–138, S. 132. 20 Meerhoff: Read me!, S. 93. 21 Schwanitz, Dietrich: Männer. Eine Spezies wird besichtigt. München: Goldmann 2001, S. 115. 22 Moser: Im Wechselspiel von Spannung und Entspannung, S. 132.

H UMORVOLLE E RNSTHAFTIGKEIT

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Ratgeber sind, wie zum Beispiel auch Bedienungsanleitungen, Rezepte, Gesetzestexte oder Schulbücher, im Gegensatz zu literarischen Texten Gebrauchstexte. Dabei ist nach Klaus Brinker die Appellfunktion „typisch für ratgeberische Gebrauchstexte“23. Die Appellfunktion unterscheidet auch das Sachbuch vom Ratgeber. Beide dienen der Sache, von der sie handeln, und richten sich an Rezipientenkreise oder Leserschaften mit einem mehr oder weniger allgemeinen bzw. bestimmten Informationsbedürfnis, das beim Ratgeber nicht nur über den Wissenstransfer, sondern auch über Handlungsanleitungen eingelöst wird.24

Im Gegensatz zur Literatur haben Sachbuch und Ratgeber einen zwingenden und engen Bezug zur realen Welt vorzuweisen.25 In Jauds Männerroman Vollidiot26 (2004) ist Simon Besitzer des Ratgebers Sorge dich nicht, lebe!, der in der Realitätsebene eine Entsprechung hat und von Dale Carnegie geschrieben wurde.27 Doch Simon hat seinen Ratgeber nicht selbst gekauft und hätte dies auch niemals getan: „Neben mir liegt das Buch Sorge dich nicht, lebe!, das mir Flik geschenkt hat. Eigentlich eine Frechheit, dass er glaubt, ich hätte so was nötig“ (VI: 14). Simon entspricht damit einem gängigen Klischee, das auch in Ratgebern vertreten wird. So ist in Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen zu lesen: „Ein Mann versteht einen Ratschlag […] als einen Hinweis darauf, dass er im Unrecht ist.“28 Und im Unrecht möchte niemand sein. Also lehnt ein Mann – so das durch den Ratgeber sowie den Männerroman bestätigte Klischee – Ratgeberliteratur ab. Doch dies ist nur die Seite, die der Mann an die Öffentlichkeit trägt. Eigentlich lesen nämlich auch Männer gerne Ratgeber. In jedem Fall trifft dies auf Simon zu, der sofort nach der Bekundung seiner Ablehnung gegenüber dem ratgebenden Buch Sorge dich nicht, lebe! zugibt: „Ich hab’s fast durch“ (VI:

23 Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 7. Aufl. Berlin: Schmidt 2010 (=Grundlagen der Germanistik 29), S. 88. 24 Kessler: Der Buchverlag als Marke, S. 56. 25 Vgl.: ebd. 26 Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006. 27 Carnegie, Dale: Sorge dich nicht – lebe! Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2003. Im englischen Original lautet der Titel „How to Stop Worrying and Start Living“ und erschien 1984 zum ersten Mal. Er gilt als Klassiker der Ratgeberliteratur. 28 Pease, Allan u. Barbara Pease: Warum Männer lügen und Frauen dauernd Schuhe kaufen. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen. München: Ullstein 2002, S. 157.

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14). Von dem Inhalt des Ratgebers hält er jedoch nicht viel: „Inzwischen weiß ich so viel: Ich soll mir nicht so viel Sorgen machen und mehr leben“ (VI: 14-15). Das ist genau die Information, die bereits durch den Titel des Buchs vermittelt wird. Nachdem Simon allerdings durch diesen Kommentar wieder die ironische Distanz zur Ratgeberliteratur aufgebaut hat, geht er dann doch näher auf den Inhalt von Sorge dich nicht, lebe! ein: Und dann steht da noch, dass man halt grob wissen sollte, wo man hinwill im Leben, und damit meinen die nicht, dass man weiß, ob man jetzt bowlen geht oder ins Kino, sondern so die richtigen Dinge im Leben wie Liebe und Karriere und so. Das Problem ist nur, dass genau das mein Problem ist und ich nicht weiß, wo ich genau hinwill, und dann ist das halt auch mit den Zielen nicht so einfach. (VI: 15)

Diese Textstelle ist als eine ernsthafte Information über das Befinden des Protagonisten zu verstehen, die ganz ohne Humor die schwierige Situation beschreibt, in der sich Simon befindet. Diese Situation ist bereits an anderer Stelle in dieser Arbeit als Quarterlife-Krise identifiziert worden, die auch erklärt, warum es ihm so schwer fällt, sich für bestimmte Lebensziele zu entscheiden. Nach dieser Offenbarung der Gefühlslage folgt wieder eine humoristisch angehauchte Passage, die jedoch noch den Offenbarungscharakter beibehält: „Während ein gelackter Österreicher irgendwas zum Thema Herbstwetter erzählt, blättere ich vor zu den Problemlösungsstrategien. Das ist die Stelle, wo man so Sachen mit Bleistift reinschreiben kann, was ich auch schon gemacht habe“29 (VI: 15). Der humoristische Verweis auf den „gelackten Österreicher“ und das „Herbstwetter“ ist wahrscheinlich so zu deuten, dass Simon gerade die Stelle im Ratgeber von Carnegie liest, in der der Autor eine beispielhafte Szene zur Veranschaulichung schildert. Da Simon sich Notizen in die Felder im Teil des Buches mit den Problemlösungsstrategien gemacht hat, ist anzunehmen, dass er sich bereits intensiv mit dem Ratgeber auseinandergesetzt hat und

29 In dem Ratgeber von Carnegie ist die beschriebene Stelle, „wo man Sachen mit Bleistift reinschreiben kann“, auf den Seiten 74 und 75 zu finden. Hier stehen vier Frage, die der Leser beantworten soll: „Worüber mache ich mir Sorgen?“, „Was kann ich tun?“, „Wie entscheide ich mich?“ und „Wann setze ich meine Entscheidung in die Tat um?“. Diese vier Fragen bauen auf einer Methode von Galen Litchfield auf. (Carnegie: Sorge dich nicht – lebe!, S. 74–75.) Im Männerroman Vollidiot sind die Fragen wie folgt formuliert: „Was ist das Problem?“, „Was ist die Ursache des Problems?“, „Welche Lösungen sind möglich?“ und „Welche Lösung schlagen Sie vor?“ (VI: 15). Es bleibt zu vermuten, dass diese Anpassung nötig war, um zum Beispiel keine Rechte von Litchfield zu verletzen, oder dass auf diese Weise einfach nur humorvolle Antworten auf die angepassten Fragen ermöglicht werden sollten.

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nun erneut zu ihm greift. Dies bestätigt die These, dass Simon zwar nach außen hin vorgibt, nicht an Ratgebern interessiert zu sein, sich aber heimlich sehr wohl und sogar intensiv zumindest mit einem Ratgeber auseinandergesetzt hat. Als Simon später im Roman mit seinem Freund Phil feiern geht, stellt dieser ihm zwei Stewardessen vor. Mit der Frage „wie viele Bonusmeilen kriegt man eigentlich, wenn man eine Stewardess vögelt?“ kann Simon bei den beiden Frauen allerdings keinen großen Eindruck schinden und zieht sich daher zurück. Er überlegt, warum er immer noch Single ist, und kommt zu dem Schluss, dass der Grund hierfür wahrscheinlich in einer in ihm vorhandenen Mischung aus „purer Verzweiflung“ und „einem stetig bröckelnden Selbstbewusstsein“ (VI: 29) besteht. Er bedauert sich selbst und rechnet sich keine Chancen bei Frauen aus. In dieser Verzweiflung denkt er wieder an die Ratgeberliteratur: „Die Lösung laut Sorgenbuch: sich gut fühlen, entspannen, positiv denken“ (VI: 29). Ein Rat, den man einem Ratgeber ohne Bedenken zuschreiben würde. Dann fährt Simon jedoch fort: „Und natürlich: sich zuschütten, denn das hilft dabei“ (VI: 29). Dieser Rat entspringt natürlich nicht dem in einem ernsthaften Modus verfassten „Sorgenbuch“ – und um dies zu wissen, muss man nicht erst einen Blick in Sorge dich nicht, lebe! werfen. Ein Alkoholrausch wird in keinem ernstgemeinten Ratgeber als Lösungsstrategie empfohlen. Da sich der verzweifelte Simon jedoch nicht ad hoc „gut“ und „entspannt“ fühlen kann, greift er zum Alkohol, um mit diesem in den erwünschten Zustand zu gelangen. Diese von Simon konstruierte Problemlösungsstrategie ist offensichtlich von vornherein zum Scheitern verurteilt, während der ihr zugrundeliegende Rat aus dem „Sorgenbuch“ objektiv betrachtet durchaus empfohlen werden kann. Besondere Beachtung soll an dieser Stelle auch dem Neologismus „Sorgenbuch“ geschenkt werden: Eigentlich heißt die Ratgeberliteratur, zu der Simon in Vollidiot greift, Sorge dich nicht, lebe!. Durch die neue Zusammensetzung kann man nun nicht mehr nur folgern, dass sich das Buch mit Sorgen beschäftigt, sondern man kann ebenso gut schließen, dass das Buch Sorgen macht. Diese Doppeldeutigkeit spiegelt sich auch in Simons gesamten Äußerungen zum Ratgeber wider, da er ihn einerseits generell verpönt, andererseits dann aber doch immer wieder zu ihm greift, wenn er sich Hilfe ersehnt. Auch als Simon nach dem enttäuschenden Konzertbesuch mit Marcia festgestellt hat, dass Marcia und er kein Paar werden, greift Simon zu seinem Ratgeber und schlägt ihn wahllos auf. Dort liest er: „Wenn Sie eine Zitrone haben, machen Sie Zitronenlimonade daraus“ (VI: 245). Ironisch kommentiert Simon diese altbekannte Lebensweisheit: „Mensch! Wenn ich das zwei Tage früher gewusst hätte, dann wäre das alles nicht passiert“ (VI: 245). Darauf wirft er das Buch in seiner Wohnung „in Richtung Plasmafernseher“ (VI: 245) weg. Es scheint, dass ein Bruch mit dem Ratgeber stattgefunden hat. Doch als Simon kurz darauf sein Bücherregal aufräumt, schlägt er das Buch wieder an der Stelle, in der der Sinnspruch mit der

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Zitrone steht, auf und legt es neben seinen Sessel (vgl. VI: 251). Er scheint sich doch noch näher mit der Idee auseinandersetzen zu wollen. Kurz darauf ist im Roman jedoch zu lesen: Ich gehe in die Küche und bereite einen Kaffee vor. In meinem Obstkorb liegt noch immer die Sorge-dich-nicht-lebe-Zitrone. Ich überlege, ob ich mir nicht doch eine Limonade machen soll. Immerhin ist das Buch ein Bestseller, und womöglich hilft es mir ja. Also drücke ich die Zitrone in ein Glas, gebe Zucker dazu und ein bisschen Wasser. Dann rühre ich das Ganze um und kippe es runter. Es schmeckt zum Kotzen. Vielen Dank, Herr Carnegie. (VI: 262)

Simon nimmt den metaphorischen Rat wörtlich und macht sich eine Limonade. Weil die Limonade mit den Zitronen nicht schmeckt, so die Konsequenz im Roman, ist auch der Ratgeber nicht gut. Zumindest wird der Ratgeber ab dieser Stelle nicht weiter erwähnt. Diese Stelle kann unterschiedlich gedeutet werden: Man könnte herauslesen, dass es den Problemlösungsstrategien im Ratgeber am Bezug zur Realität oder an praktischen Handlungsempfehlungen fehlt. Dann würde der Ratgeber hier als ein zu theorielastiges Medium identifiziert und abgestraft werden. Man könnte die Textstelle aber auch so verstehen, dass hier veranschaulicht wird, dass es niemandem besser geht, wenn er die Ratschläge in einem Ratgeber befolgt. In jedem Fall findet hier eine Diffamierung der Ratgeberliteratur statt, da sie nicht in der Lage war, dem Protagonisten zu helfen, und ab dieser Stelle nicht mehr in den weiteren Romanverlauf integriert wird. Doch obwohl in Vollidiot Ratgeberliteratur am Beispiel von Sorge dich nicht, lebe! wiederholt ins Lächerliche gezogen wird, wird die Idee der Ratgeberliteratur durchaus positiv dargestellt. So sucht Simon mehrfach Rat bei seiner Freundin Paula. Paula kennt nicht nur jedes „Wie angele ich mir einen Mann“ und „Männer essen Mars, Frauen Venus“30-Buch, sie hat auch für jedes Männer-Frauen-Problem eine eiserne Regel. Regeln, die weit hinausgehen über die bekannten Klassiker wie „Ruf niemals am nächsten Tag an“ oder „Liebe nicht zu sehr“. (VI: 122)

Paulas Kompetenz in Sachen „Männer-Frauen-Probleme“ wird damit begründet, dass sie zahlreiche Ratgeber zum Thema gelesen hat. Gleichzeitig wird auch offengelegt, warum viele Leser gerne zu Ratgebern greifen: Ratgeber vermitteln Regeln

30 Dies ist wahrscheinlich als humoristischer Bezug auf das Buch Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus zu verstehen. (Vgl.: Evatt, Cris: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Tausend und ein kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern. Landsberg am Lech: MVG 1997.)

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und Regeln suggerieren Sicherheit. Ein Grund, sich Hilfe in einem Ratgeber zu suchen, ist die eigene Verunsicherung bezüglich eines bestimmten Themas und „Verunsicherung lässt sich nun mal am besten mit der Suggestion von Sicherheit beschwichtigen.“31 Auch in anderen Männerromanen wird zu Ratgebern gegriffen. In Resteklicken32 (2012) von Moritz Meschner hat sich zum Beispiel der Protagonist Moritz einen Ratgeber mit dem Titel „Das Liebeskummerbuch für Männer“33 im Internet bestellt. Er hat jedoch wie Simon in Vollidiot nicht vor in seinem Ratgeber zu lesen. Allerdings aus anderen Gründen, denn Moritz ist der Meinung, dass er bereits alle Antworten zu den Fragen, die er hatte, im Internet gefunden hat (RK: 22-23). Später im Roman gehen die Freunde von Moritz Fußball spielen und obwohl Moritz „keinen Bock“ dazu hat, geht er mit, denn „Sport soll in meiner Situation ganz gut helfen.“ Diesen Ratschlag, sich bei Liebeskummer sportlich zu betätigen, hat er aus dem „Liebeskummerbuch für Männer“, das er letztendlich doch gelesen hat. „Und dessen Quintessenz – grob zusammengefasst – lautet, dass Männer Weicheier sind und mit überhaupt nichts klarkommen“ (RK: 135). Die positive Einstellung, die Ratgeberliteratur zumindest laut Theorie bei ihren Lesern hervorrufen soll, und die es den Lesern ermöglichen soll „das Leben zu genießen und gelassener anzugehen“34, hat dieser Ratgeber bei Moritz folglich nicht bewirkt. Auch ein Ratgeber im Männerroman Kaltduscher35 (2009) von Matthias Sachau erzielt nicht den gewünschten Erfolg. Der fiktive Ratgeber „Stecherakademie“ bekommt in dem Roman einmal den Titelzusatz „in jedem Mann steckt ein Verführer“ (KD 208) und einmal „Frauen verführen und manipulieren“ (KD: 266). Es bleibt nur zu vermuten, dass es sich bei diesem Wechsel des Titelzusatzes im Laufe des Romans um einen textimmanenten Fehler handelt. In dem Roman hat der Protago-

31 Moser, Andrea: Kampfzone Geschlechterwissen. Kritische Analyse populärwissenschaftlicher Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 129. 32 Meschner, Moritz: Resteklicken. Ein Facebook-Roman. Berlin: Ullstein 2012. 33 Tatsächlich existiert ein Ratgeber mit dem Titel Das Liebeskummer-Buch für Männer von Silvia Fauck. (Fauck, Silvia: Das Liebeskummer-Buch für Männer. Geschichten und Tipps. Stuttgart: Kreuz 2008.) Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass in dem Roman auf genau diesen Ratgeber angespielt wird. Gegen eine Verbindung spricht, dass sich der Ratgeber im Männerroman und der von Fauck in ihrer Schreibweise unterscheiden („Liebeskummerbuch“ und „Liebeskummer-Buch“). 34 Moser: Im Wechselspiel von Spannung und Entspannung, S. 138. 35 Sachau, Matthias: Kaltduscher. Ein Männer-WG-Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009.

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nist Krach eine Affäre mit Julia. Als die beiden bei Krach in der Wohngemeinschaft Sex auf der Toilette haben, entdeckt Julia den Ratgeber. Noch während des Akts schlägt sie mit dem Taschenbuch auf Krach ein, der das Buch zuvor noch nie gesehen hat und nicht weiß, wie ihm geschieht. Nach dem Sex zitiert Julia dann empört Stellen aus dem Ratgeber: Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, landen Sie mit jeder Frau nach nur einer Stunde im Bett. Wenn Sie es wollen. […] Alle Frauen sind unsicher. Sie können davon ausgehen, dass keine von ihnen, auch nicht die Begehrenswerteste, auch nur andeutungsweise weiß, was sie eigentlich will. […] Umso wichtiger ist es, dass Sie die Frauen, die Sie treffen, von Anfang an steuern. Und sie werden merken, es ist ganz leicht. […] Sagen Sie sich jedes Mal, bevor Sie eine Frau ansprechen, drei Mal laut in Gedanken, dass das größte Glück, das einer Frau widerfahren kann, ist, Sie zu treffen. (KD: 208-209).

Bei Stecherakademie handelt es sich eindeutig um einen Männerratgeber. Bereits der Titel weist darauf hin, dass hier Ratschläge auf dem Gebiet ‚Sex‘ gegeben werden. Die von Julia zitierten Stellen vertiefen die bereits durch den Titel aufkommende Vermutung, dass in diesem Ratgeber eine machohafte Männlichkeit propagiert wird. Dass der Ratgeber in dem Roman gerade dann auftaucht, als Krach Sex hat, und seiner Sexualpartnerin durch den Ratgeber die Lust daran vergeht, liest sich dabei wie die reinste Ironie. Dennoch weckt der Ratgeber das Interesse von Krach, und nachdem Julia versucht, das Buch in der Toilette hinunterzuspülen, fischt Krach es wieder heraus (vgl. KD: 209). Immerhin die letzten 102 Seiten kann er retten (vgl. KD: 210). Später überlegt er, wem das Buch gehören könnte. In Frage kommen für ihn nur seine beiden Mitbewohner Reto und Francesco sowie Julia, wobei er Julia als Besitzerin sofort ausschließt. „Und auch wenn ich nicht behaupten kann, Francescos Sexualleben hundertprozentig zu kennen, spätestens seit Madeleine und Fiona ist ja wohl klar, dass das Buch Reto gehören muss“ (KD: 266). Weil Krach gerne so erfolgreich bei Frauen wäre wie sein Freund Reto, beginnt er in dem Ratgeber zu lesen.36 Wiederum wird eine Stelle aus dem fiktiven Ratgeber im Männerroman abgedruckt: „Ihr Ziel ist es nicht, einfach nur attraktiv zu erscheinen oder Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Ziel ist es, die Frau, auf die Sie ein Auge geworfen haben, gezielt zu manipulieren, dass es zu ihrem eigenen Wunsch wird, von Ihnen verführt zu wer-

36 Erst später im Romanverlauf wird aufgelöst, dass der Ratgeber tatsächlich nicht Reto gehört, sondern Francesco. Dieser sollte im Auftrag einer Frau prüfen, ob man den Verfasser des Ratgebers vor Gericht verklagen kann (vgl. KD: 380). Durch diesen Hinweis soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass der Ratgeber „Stecherakademie“ entgegen der durch den Titel geweckten Erwartungen keinen Erfolg bei Frauen verspricht.

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den. Das erreichen Sie durch…“ (KD: 268). Zunächst wird dem Leser durch die Zitation der Eindruck vermittelt, er lese selbst in dem Ratgeber. Doch genau dort, wo der spannende, helfende Ratschlag folgen müsste, bricht die Zitation ab, weil Gonzo das Zimmer von Krach betritt. Dadurch wird einerseits beim Leser eine Erwartungshaltung erweckt, die durch den fehlenden Ratschlag nicht erfüllt wird. Durch die aufkommende Enttäuschung kann dem Leser verdeutlicht werden, dass er selbst an Ratschlägen in Buchform interessiert ist. Der Leser kann daher eine Interessengemeinschaft mit dem Protagonisten bilden, was die Identifikation mit der Figur fördert. Andererseits entflieht der Männerroman durch die Leerstelle dem Druck, selbst einen konkreten Ratschlag im Sinne einer Ratgeberliteratur vermitteln zu müssen. In Männerromanen werden aber nicht nur Ratschläge aus Ratgeberliteratur aufgenommen, sondern es werden auch darüber hinaus Ratschläge vermittelt. Durch diese Ratschläge wird der Männerroman an einigen Stellen selbst zu einer Art literarischem Ratgeber, der sich typischerweise „im Grenzbereich“ von Literatur und Ratgeberliteratur befindet.37 Folgender Rat aus dem Männerroman Murp!38 (2008) von Oliver Uschmann könnte auch einem Männerratgeber entstammen: „Frauen bitte nicht tätscheln, wenn sie gerade wütend werden, sonst fühlen sie sich, als würde ihre Wut auf Mädchenlevel runtergestuft“ (MU: 176). Alle drei typischen Elemente eines Ratschlags in Ratgebern sind hier enthalten: Es wird das Problem geschildert (eine Frau ist wütend), es wird ein Rat für diesen Fall gegeben (nicht tätscheln!) und eine Begründung für die Handlungsanweisung gegeben (Frauen fühlen sich ansonsten nicht ernst genommen). Folgende Stelle aus Vollidiot könnte ebenfalls ohne Probleme einem Ratgeber für Männer entstammen, weicht in ihrer Form jedoch von den typischen Ratgebern ab: Es gibt ein paar Dinge, die ein Mann auf jeden Fall wissen muss. Dinge, die sehr, sehr wichtig sind. Dass man die Nagelschere nicht im gleichen Becher aufbewahrt wie die Zahnbürste, weil das Frauen supereklig finden und sich sofort ein Taxi rufen. Dass einen Frauen nie an die

37 Als ein bekanntes Beispiel für einen literarischen Ratgeber nennt Michael Schikowski Der alte König in seinem Exil (Geiger, Arno: Der alte König in seinem Exil. München: Hanser 2011.), das Arno Geiger über seinen demenzkranken Vater geschrieben hat. (Vgl.: Schikowski, Michael: Burn after reading. Der Ratgeber und seine Beziehung zum Komischen. In: Sachtexte für Kinder und Jugendliche. Hrsg. von Almuth Meissner, David Oels u. Henning Wrage. Hannover: Wehrhahn 2010. S. 99–126, S. 124.) 38 Uschmann, Oliver: Murp! Hartmut und ich verzetteln sich. Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2008.

252 | DER M ÄNNERROMAN eigene Mutter erinnern sollten, dann rufen die sich nämlich gleich zwei Taxen, und dass man nie allzu viel über seine Ex-Freundinnen ausplaudern darf. (VI: 121)

Die Ratschläge in Vollidiot werden nicht akribisch begründet, sondern vielmehr in den Raum gestellt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es sich bei den Ratschlägen nicht um neueste Erkenntnisse, sondern um allgemeines Gender-Wissen handelt. In diesem Sinne sind die meisten Ratschläge in Männerromanen auch in der Regel keine konkrete Hilfe gebenden Appelle, sondern wirken systemstabilisierend. Auffällig sind auch Ratschläge und Feststellungen, die nicht nur in Männerromanen, sondern ebenso in Ratgebern gemacht werden. Beide Textformen scheinen sich nicht selten zu ergänzen. So steht zum Beispiel im Männerratgeber Anleitung zum Männlichsein geschrieben: „Der Kunde Mann ist längst im Nebel verschwunden, keine Ahnung vom Alltag, keine Ahnung vom Einkaufen, kein Fachmann in der Apotheke, auf breiter Front nicht in der Lage zu formulieren, was er will und was er ist.“39 Dazu passend ist Robert in dem Männerroman Nasenduscher40 (2012) von Tim Boltz der Überzeugung: „Genetisch ist es aber nahezu unmöglich, die Utensilien einer Fraueneinkaufsliste vollständig abzuarbeiten“ (ND: 25). Es wird beide Male die These aufgestellt, dass ‚Frauen‘ und ‚Einkaufen‘ zwei Dinge sind, die zueinander passen, während Männer bereits mit dem alltäglichen Einkauf schnell überfordert sind. Der Ratgeber stellt darüber hinaus eine These auf, warum dies so ist: Männer sind dazu nicht in der Lage, weil sie nicht wissen, was sie wollen und wer sie sind. Männer befinden sich in einer Krise. In Männerromanen werden nicht nur Ratschläge an Männer weitergegeben, sondern es gibt auch geschlechterübergreifende Tipps. In einer Textstelle verbessert zum Beispiel Simon seinen Freund Flik in dessen Wortwahl: „Wie war denn dein Putzfrauenrendezvous?“ „Kein Mensch sagt mehr Rendezvous, Flik!“ „Na ja … dann halt dein Treffen …!“ „War ‘ne echte Pornokatze!“, lüge ich. „Und … na ja … war halt geil! Weiß gar nicht, was du wissen willst.“ „Du hast … am ersten Abend? Das ist pfiffig!“ „Pfiffig? Sagt auch keiner mehr.“ „Das ist cool, meine ich! […]“ (VI: 97)

39 Lebert, Andreas u. Stephan Lebert: Anleitung zum Männlichsein. Frankfurt am Main: Fischer 2007, S. 100. 40 Boltz, Tim: Nasenduscher. Roman. München: Goldmann 2012.

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Simons Verbesserungen sind hier als Ratschläge zu verstehen, denn er zeigt Flik auf, dass dieser sich nicht zeitgemäß ausdrückt. Fraglich ist sicher, ob es sich hier um gutgemeinte Ratschläge handelt, oder Simon Flik einfach nur bloßstellen möchte. So weist er Flik darauf hin, dass niemand mehr ‚Rendezvous‘ sage – die offensichtliche Provokation liegt jedoch in der Formulierung ‚Putzfrau‘, die als herabsetzende Bezeichnung für Frauen begriffen werden kann. Eine sinnvolle Verbesserung hätte also in der Ersetzung von ‚Putzfrau‘ durch zum Beispiel das geschlechtsneutrale Wort ‚Reinigungskraft‘ bestanden. Die so enttäuschte Erwartungshaltung ist aber auch der Grund für die Komik von Simons Verbesserung. Paula meint es mit ihren Ratschlägen zwar durchaus gut, doch während Flik Simons Rat sofort in die Tat umsetzt und seine Wortwahl verbessert, scheint Simon Paulas Ratschlägen gegenüber zunächst resistent zu sein. So beabsichtigt Simon alkoholisiert Marcia zu folgen, um mit ihr zu sprechen, und Paula rät ihm davon ab. Ihren Ratschlag verpackt Paula in eine fiktive Anekdote, die Simon veranschaulichen soll, was das richtige und was das falsche Verhalten in dieser Situation ist. Simon nimmt dieses Gedankenspiel zunächst nicht ernst, gibt Paula gegenüber dann jedoch zu, dass er durch die Anekdote verstanden hat, was das richtige und was das falsche Verhalten sei. Also verspricht er Paula, nicht Marcia zu folgen, sondern den Heimweg anzutreten. Obwohl Simon eingesehen hat, dass Paulas Rat richtig war, hält er sich jedoch nicht an ihn und verfolgt Marcia (VI: 150-151). Dieses Phänomen, dass man manchmal weiß, was richtig ist, und dennoch das Falsche macht, wird auch in Uschmanns Männerroman Murp! verhandelt – und dort sogar empfohlen. In dem Roman verfasst die Figur Hartmut einen Ratgeber zur Unvollkommenheit. Was er für diesen Ratgeber schreibt, kann ebenfalls im Roman gelesen werden. Dabei gibt es mehrere Kapitel, die übertitelt sind mit „Unvollkommenheit für Männer“. Das erste Kapitel dieser Art ist mit dem Zusatz „Das Herumstromern“ versehen. In diesem wird dafür plädiert, dass ein Mann nicht gesellschaftsfähig sein muss: In den wenigen Momenten, in denen Sie auf Ihrer eigenen Feier tatsächlich anwesend sind, reden Sie mit den Gästen nur so viel wie nötig. […] Unperfekt ist, die ganze Zeit mit Zigarette und Bier diplomatisch ins plappernde Rund zu lächeln, sich dabei aber an keiner einzigen Diskussion zu beteiligen und bereits für alle unmerklich [gemeint ist wahrscheinlich ‚merklich‘, Anm. AKK] spürbar auf dem Rand des Sessels zu hocken und mit den Hufen zu scharren. (MU: 80)

Hier werden gleich mehrere Klischees angesprochen und gefördert: Männer reden nicht viel und trinken gerne Bier – und das ist gut so. An anderer Stelle wird aber auch mit Klischees aufgeräumt. So heißt es im nächsten Kapitel zur „Unvollkommenheit für Männer“: „Der hartnäckigste Mythos der westlichen Kultur besteht da-

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rin, dass Männer sich gut mit Autos auskennen“ (MU: 94). Die Ratschläge in diesem Männerroman wirken damit nicht wie in den meisten anderen Männerromanen durchweg systemstabilisierend, erfüllen aber eine typische Funktion der Ratgeberliteratur, nämlich „den gegenwärtigen Steigerungslogiken und den damit verbundenen Zwängen zu entkommen.“41 Auch in dem Frauenratgeber Das Pippilotta-Prinzip wird dazu geraten, nicht perfekt zu sein. Dort ist unter dem Kapitel „Wie erleichternd es ist, nicht perfekt zu sein“ zu lesen: „Eine Pippi, die ständig versucht 120 Prozent Leistung zu erbringen, wäre niemals so berühmt geworden. Wir hätten nach wenigen Seiten das Buch zugeklappt, weil uns ihre Superergebnisse gelangweilt hätten.“42 Andersherum scheint auch ein Ratgeber keinen Perfektionismus propagieren zu sollen, denn in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Ratgeberliteratur für Frauen ist zu lesen: „Wer anderen die Welt erklärt, tut gut daran, seine eigene nicht ausschließlich als Insel des Glücks zu beschreiben. Es klingt schlicht unglaubwürdig. Außerdem produziert es Neid.“43 Unvollkommenheit scheint folglich auf ganzer Linie gewollt zu sein: Weder soll in Ratgebern das perfekte Leben vorgegaukelt werden, noch sollen die Leser der Ratgeberliteratur Perfektionismus anstreben. Außerdem scheint die Forderung geschlechterübergreifend zu gelten. Kein Wunder also, dass Unvollkommenheit auch im Männerroman thematisiert wird. Der Männerroman-Autor Uschmann hat neben Romanen auch einen Männerratgeber geschrieben. In Fehlermeldung. Der Mann und seine Krisen44 (2009) erzählt Uschmann beispielhaft die typisch männlichen Fehler, die die fünf prototypischen Männer Bernd, Manuel, Thomas, Christoph und Ole machen. In jedem Kapitel folgt nach einer „Fehlerbeschreibung“ ein Unterkapitel mit dem Titel „Warum ist das so?“, in dem die Handlungen der Männer zu erklären versucht werden. Schließlich sind unter „Fehlerbehebung“ zum Problem passende Ratschläge zu lesen. Im Gegensatz zu Uschmanns Romanen fehlt dem Ratgeber eine fortlaufende Erzählung.

41 Moser: Im Wechselspiel von Spannung und Entspannung, S. 138. 42 Weiner, Christine u. Carola Kupfer: Das Pippilotta-Prinzip. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Frankfurt am Main: Campus 2006, S. 129. 43 Mühl, Melanie: Wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich. Ratgeberliteratur für Frauen. In: Frankfurter

Allgemeine

Zeitung

(23.8.2013).

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton

/buecher/ themen/ratgeberliteratur-fuer-frauen-wenn-ich-du-waere-waere-ich-lieber-ich12542662-p2.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 (20.9.2014). 44 Uschmann, Oliver: Fehlermeldung. Der Mann und seine Krisen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2009.

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Ratgebern als Gebrauchsgattung sui generis ist eigen, dass sie in textlicher Hinsicht in den meisten Fällen nicht in einer geschlossenen narrativen Erzählabfolge vorliegen, sondern sujetbezogen zur partiellen Lektüre einladen, die ihrem fragmentarisierten Aufbau entspricht.45

Auffallend sind aber auch Gemeinsamkeiten von Uschmanns Männerromanen und dem Männerratgeber, wie zum Beispiel der ständige Wechsel zwischen Ernst und Humor. Ganz anders verhält es sich bei dem Ratgeber Der verletzte Mann. Was ihn kränkt, was ihn tröstet46, den der Männerromanautor Michael Eichhammer47 zusammen mit dem Paar- und Familientherapeuten Peter Thiel geschrieben hat.48 Hierbei handelt es sich um einen Männerratgeber im traditionellen Sinn, bei dem der Humor nicht mehr als eine Nebenrolle einnimmt.49 Eine Feststellung, die in dem Ratgeber gemacht wird, ist folgende: „Arbeit ist noch immer der Identitätsstifter Nummer eins für Männer. […] Ohne Arbeit oder im zunehmenden Konkurrenzkampf mit Frauen geraten sie verstärkt in einen Zustand von Orientierungslosigkeit.“50 In der wissenschaftlichen Arbeit Die Krise der Kerle stellt Thomas Gesterkamp ebenfalls Arbeitslosigkeit bei Männern als eine

45 Kessler: Der Buchverlag als Marke, S. 85. 46 Eichhammer, Michael u. Peter Thiel: Der verletzte Mann. Was ihn kränkt, was ihn tröstet. Kreuzlingen; München: Heinrich Hugendubel 2008. 47 Neben dem Männerratgeber Der verletzte Mann hat Eichhammer auch noch den Ratgeber Erste Hilfe für Frischverliebte geschrieben. Dort heißt es im Vorwort: „Enttäuschte Liebesdeserteure sind nicht die Zielgruppe von Erste Hilfe für Frischverliebte. Im Gegenteil sollen alle angesprochen werden, die das Wagnis eingehen, ihr Herz so weit zu öffnen, dass es zur Eintrittspforte für das Allerschönste wird, was das Leben zu bieten hat, sich damit aber gleichzeitig auch verwundbar machen.“ (Eichhammer, Michael: Erste Hilfe für Frischverliebte. Stuttgart: Klett-Cotta 2010, S. 15.) Da dieser Ratgeber damit thematisch weiter vom Männerroman entfernt ist als Der verletzte Mann, wird er in dieser Untersuchung nicht näher behandelt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass Erste Hilfe für Frischverliebte bedeutend humorvoller verfasst ist als Der verletzte Mann. 48 Auch der Männerromanautor Tim Boltz, der mit richtigem Namen Zeno Diegelmann heißt, hat einen Ratgeber verfasst: Unter dem Pseudonym Chris Kind hat er zusammen mit Sven Binner den Weihnachtsratgeber Oh, Pannenbaum herausgebracht. (Kind, Chris u. Sven Binner: Oh, Pannenbaum. Wie man Weihnachten überlebt. München: Piper 2013 (=Piper 30436).) 49 Der Kontakt zwischen Eichhammer und Thiel ist zustande gekommen, weil Eichhammer bei seinen Recherchen auf die Internetseite des Paar- und Familientherapeuten aufmerksam geworden ist. Ob es sich dabei um Recherchen für einen seiner Männerromane handelte, kann nur vermutet werden. (Vgl.: Eichhammer et al.: Der verletzte Mann, S. 7.) 50 Ebd., S. 17.

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Krise der männlichen Identität heraus, da viele der Ansicht sind, dass ihre Männlichkeit unter anderem auf ihrer Funktion als Ernährer beruht.51 Der Rat im Männerratgeber von Eichhammer und Thiel zu diesem Problem lautet: „Das Streben nach Authentizität lohnt sich. Denn letztlich geht es für die Männer darum, Zufriedenheit und Glück zu finden, im beruflichen wie im privaten Lebensbereich.“52 Dieser Rat bleibt sehr abstrakt und ist weit entfernt von einer konkreten Handlungsanweisung. Hartmut, sein Freund und ihre beiden Freundinnen sind zu Beginn von Feindesland53 (2010), einer Fortsetzung des Männerromans Hartmut und ich54 (2005), arbeitslos. Susanne findet als erste eine Anstellung bei einem Taxiunternehmen und Caterina stellt eine Bewerbungsmappe für eine Werbeagentur zusammen. Bei dieser Werbeagentur wird sie später angestellt werden. Damit haben die beiden Frauen vor den Männern eine neue Arbeitsstelle gefunden, bzw. Aussicht auf eine neue Anstellung. Für Hartmuts Freund läuft damit „alles vollkommen falsch“ (FE: 15). Als Hartmut nachfragt, warum sein Freund es so schlimm findet, wenn seine Freundin mehr verdient als er, entgegnet dieser, dass er nichts dagegen habe, wenn die Frau mehr verdient als der Mann, dass er es aber nicht ertragen könne, wenn er als Mann gar nichts zum Lebensunterhalt beisteuere. Hartmut stellt im Laufe des Gesprächs fest, dass sein Freund rückschrittliche Rollenbilder verfolgt und am liebsten der Alleinernährer wäre. Für diese Einstellung hat Hartmut nur Spott übrig (vgl. FE: 16). Während sich Hartmuts namenloser Freund als Mann in der Ernährer-Rolle sieht, besteht für ihn selbst kein Zusammenhang zwischen der Ernährer-Rolle und seiner Männlichkeit. Auch wenn sich Arbeit und Männlichkeit hier also nicht zwingend ergänzen, wird deutlich, dass das alte Rollenverständnis des Mannes als Ernährer noch immer in der Gesellschaft verankert ist, was einer Rechtfertigung dieser Einstellung gleichkommt. Der versteckte Rat an die Männer lautet jedoch, ähnlich wie im Ratgeber Der verletzte Mann, von diesem überholten Rollenbild Abschied zu nehmen und wie Hartmut seinen eigenen Weg zu gehen. In Kaltduscher fühlt sich der Protagonist besonders männlich, weil er als Synchronstimme von Ernie aus der Sesamstraße bald sein erstes Gehalt bekommen wird. Um Amelie zu beeindrucken, in die er heimlich verliebt ist, erzählt er ihr beim Einkaufen, dass er sich aufgrund seines neuen Jobs nun auch eine teure Hose

51 Vgl.: Gesterkamp, Thomas: Die Krise der Kerle. Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft. Münster: Lit 2007 (=ZASS, Zukunft der Arbeit und der Sozialen Sicherung 2), S. 28. 52 Eichhammer et al.: Der verletzte Mann, S. 20. 53 Uschmann, Oliver: Feindesland. Hartmut und ich in Berlin. Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2010. 54 Uschmann, Oliver: Hartmut und ich. Roman. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006.

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leisten könne. Kaum ist die Prahlerei ausgesprochen, besinnt er sich jedoch darauf, dass er Amelie sicherlich nicht mit viel Geld oder einem tollen Porsche beeindrucken kann. „Der männliche Angeber-Reflex. Ein Überbleibsel aus archaischen Zeiten“ (KD: 183). Damit wird auch hier die Rolle des Mannes als Ernährer als überholte Auffassung vermittelt. In Gregor Eisenhauers Männerroman Mein Jahr als Single55 (2009) beschließt der Protagonist in dem Jahr, in dem seine Frau von ihm zur Probe getrennt sein möchte, nicht zu arbeiten. Diese Entscheidung trifft er freiwillig und hat in der Zeit, in der er nicht als Fotograf arbeitet, keine Geldsorgen. Er kann sich demnach seine Arbeitslosigkeit leisten und muss daher auch nicht einen Verlust seiner Männlichkeit durch diese Entscheidung befürchten. Dennoch wird die Idee, dass Männlichkeit und Arbeit zusammengehören, thematisiert: „70% aller Frauen unter dreißig wollen einen Mann, der sie ernähren kann. 60% wollen einen Mann, der seinen Job zugunsten der Familie hintanstellt, macht 130% Ratlosigkeit bei Männern“ (MJ: 247). Das Ziel, das mit der Nennung der Zahlen verfolgt wird, ist deutlich: Der Protagonist fühlt sich unsicher in seiner Rolle als Mann und fragt sich, ob er nun als Ernährer oder Familienmann für Frauen attraktiver und damit männlicher ist. Woher die Unsicherheit der Männer in dieser Frage herrührt, ist ihm unmissverständlich: Weil Frauen nicht wissen, was sie wollen, wissen Männer nicht mehr, was sie männlich macht. Daraus kann der Ratschlag gefolgert werden, dass Männer lieber nicht so viel Wert auf die Meinung von Frauen in diesem Punkt legen sollten. Dem widerspricht der Ratschlag in Der verletzte Mann. Hier heißt es: „Zur neuen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung gehört auch der Mut, um Hilfe zu bitten und Hilfe zu suchen. Frauen können Männer dabei gut unterstützen […].“56 Auch für Jo in Billigflieger57 (2009) von Philip Tamm sind die Frauen Schuld an der Misere der Männer. Früher hätte sein Vater seine Mutter schon glücklich machen können, indem er arbeiten ging und Geld verdiente. Heute würden an Männer viel höhere Ansprüche gestellt: Natürlich müssten Männer immer noch Geld verdienen, zusätzlich sollten sie jedoch modisch angezogen, gut durchtrainiert und gepflegt sein. Dabei sind diese Anforderungen für Jo ausschließlich die Wünsche der Frauen (BF: 195). Seiner Meinung nach müssten sich Männer wieder auf altbewährte Rollenteilungen einlassen, um glücklich zu werden, da sie den neuen Anforderungen der Frauen sowieso nicht gerecht werden können (BF: 197). Damit wird auch hier ein Zusammenhang zwischen Arbeit und Männlichkeit gesehen und wie-

55 Eisenhauer, Gregor: Mein Jahr als Single. Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. 56 Eichhammer et al.: Der verletzte Mann, S. 20. 57 Tamm, Philip: Billigflieger. Roman. München: Heyne 2009.

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derum wird der versteckte Rat vermittelt, nicht viel Wert auf die Meinung von Frauen zu legen. Auffällig ist beim Vergleich des Ratgebers mit den Männerromanen, dass ähnliche Themen behandelt werden. Der Zusammenhang von Arbeit und Männlichkeit wird immer gesehen und meistens kritisiert. Eine konkrete Handlungsanweisung wird an keiner Stelle gegeben, immer bleiben die Ratschläge abstrakt und benötigen im Männerroman manchmal sogar eine Interpretation, um überhaupt erst zutage gebracht werden zu können. Männer können als neue Zielgruppe der Ratgeberliteratur gesehen werden und Ratgeber sind immerhin die erfolgreichste Warengruppe des Jahres 2013 gewesen. So scheint es nur konsequent, dass auch die Männer in den Männerromanen gehäuft zu Ratgebern greifen. Es werden aber nicht nur Ratschläge aus existierenden oder fiktiven Ratgebern aufgenommen, sondern es werden auch darüber hinaus eigene Ratschläge vermittelt. Da sich der Männerroman damit in einem Grenzbereich zwischen Ratgeberliteratur und Literatur befindet, kann er auch als literarischer Ratgeber begriffen werden. Die Appellfunktion des Männerromans ist weniger stark ausgeprägt als in Ratgebern. Seine primäre Funktion ist eine systemstabilisierende. Daneben sind die Ratschläge im Männerroman nicht immer so offensichtlich wie in Ratgebern. Im Männerroman wird manchmal die Fähigkeit des Lesers zur Interpretation verlangt, um auch versteckte Ratschläge als solche zu erkennen. Sehr wahrscheinlich wird der Männerroman nicht (nur) wegen seiner guten Ratschläge gekauft. Und „Bastian Sicks Genitiv-Pamphlet wird nicht aufgrund seiner grammatischen Genauigkeit geliebt, sondern weil es zum Schmunzeln anregt, unterhält und nebenbei noch einen Lerneffekt bietet.“58 Ebenso wie Sicks Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod59 kommt auch der Männerroman nicht ohne Humor aus.

58 Eierhoff, Lena: Der Bungee-Sprung aus dem Elfenbeinturm. In: Sachtexte für Kinder und Jugendliche. Hrsg. von Almuth Meissner, David Oels u. Henning Wrage. Hannover: Wehrhahn 2010. S. 167–170, S. 169. 59 Sick, Bastian: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. 5. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005 (=KiWi 900).

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C OMEDY

Tommy Jaud „wird beneidet und belächelt. Beneidet, weil er so unfassbar erfolgreich ist, belächelt, weil seine Bücher nicht als Literatur gelten, sondern als Comedy.“60 Und das ist kein Vorwurf, den Jaud nicht selbst unterstützen würde. So berichtet er in einem Interview: „Das Einzige, was meine Texte mit Literatur verbindet, sagen wir, wie Daniel Kehlmann sie schreibt, ist, dass sie zwischen zwei Buchdeckeln erscheinen. Deshalb nenne ich mich Comedy-Autor und nicht Literat.“61 Natürlich ist das, was Jaud schreibt, Literatur. Doch es ist keine hohe Literatur wie sie Kehlmann oder Walser schreiben, sondern Jaud verfasst Belletristik62. Und diese belletristische Literatur ist nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch sehr lustig. „Seit seinem Roman ‚Vollidiot‘ gilt Tommy Jaud als Deutschlands Spaßautor Nummer eins.“63 Dabei ähnelt der Spaß, den man in Jauds Büchern erleben kann, demjenigen in Comedy-Formaten im Fernsehen. „[D]die Comedy-Welle ist längst in den Buchmarkt geschwappt“64 und hat zahlreiche Bücher hervorgebracht, die die Bezeichnung „Comedy-Roman“ durchaus plausibel vertreten. „Sarah Kuttner, Tommy Jaud, Ralf Husmann, David Safier, Michael Gantenberg, Roger Willemsen, Moritz Netenjakob … Ein Pocher-Epos ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.“65 Neben Jaud und Netenjakob sind auch alle anderen Männerromanautoren als Vertreter dieser Richtung zu nennen, wobei Jauds Roman Vollidiot sogar als „Wegbereiter“66 der Comedy-Welle gilt.

60 Seegers, Armgard u. Thomas Andre: Eine Frage des Humors. Einst Gagschreiber, dann Bestsellerautor: Tommy Jaud, der „Chronist der Peinlichkeiten“, hat einen neuen Roman geschrieben. In: Hamburger Abendblatt (17.11.2012). S. 25 61 Junghänel, Frank: Der König des Bahnhofkiosks. Tommy Jaud schreibt Bücher für Menschen, die ansonsten eher nicht lesen. Mit „Vollidiot“ und „Resturlaub“ steht er seit Monaten in den Bestsellerlisten. In: Berliner Zeitung (30.1.2007). S. 3 62 Eine ausführliche Definition des Begriffs ist im Kapitel „Literaturästhetische Verortung“ dieser Arbeit zu finden. 63 Baier, Eckart: Tommy Jaud – der Pate des Comedy-Romans. In: Börsenverein des Deutschen Buchhandels (24.3.2010). S. 12–15. http://www.boersenverein.de/375517/ (20.10.2014). 64 Ebd. 65 Schneider, Wolfgang: Humorstandort Deutschland. In: Boersenblatt.net (20.5.2009). http://www.boersenblatt.net/321500/ (20.9.2014). 66 Baier, Eckart: Tommy Jaud – der Pate des Comedy-Romans: Baier: Tommy Jaud – der Pate des Comedy-Romans.

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Jaud produzierte lange Zeit erfolgreich Gags für Comedy-Formate wie Samstag Nacht, die Harald Schmidt Show oder Ladykracher.67 Nachdem er diese ComedySchule durchlaufen hat, scheint Jaud zu wissen, worüber die Deutschen gerne lachen, und setzt sein Können auch gezielt in seinen Romanen ein. „Witze über die Deutsche Bahn, über volle Einkaufszentren an Weihnachten oder – wie in Hummeldumm – über Gruppenreisen, die funktionieren anscheinend gut. Das kennen viele aus eigener Erfahrung, damit können sie sich identifizieren.“68 Auch über die Probleme, die die neuen Geschlechterrollenanforderungen für junge Männer mit sich bringen, können die Leser von Jauds Romanen anscheinend gut lachen, weil sie diese kennen oder sich sogar mit ihnen identifizieren können. Doch auch wenn Jauds Schaffen damit „als männliche Antwort auf Hera Linds freche Frauenromane“69 gilt, kann er sich „mit dem Etikett Männerroman“70 nicht identifizieren: „Keine Ahnung, was das sein soll. Ich bin ein Mann und schreibe aus männlicher Sicht – was sonst?“71 Obwohl seine Romane ganz offiziell von Verlagsseite aus mit dem Etikett Männerroman beworben werden, sieht sich Jaud selbst als Comedy-Autor – ein weiteres Etikett, mit dem seine Romane von Verlagsseite aus bedruckt werden.

67 Eigentlich wollte Jaud Deutschlehrer für Fremdsprachler werden und studierte Germanistik in Bamberg. Doch die finanziellen Aussichten imponierten ihm nicht und er arbeitete eine Weile für den Radiosender ‚Antenne Thüringen‘. Dort lernte er den Chefautor des RTL-Comedy-Formats Samstag Nacht kennen und wurde von ihm zu einem zweiwöchigen Praktikum bei der Show eingeladen. In dieser Zeit konnte Jaud genau einen Witz verkaufen, für den er immerhin 150 DM bekam: „Der Bundestag soll verkleinert werden, er heißt ab sofort Bundesvormittag.“ Jaud beschloss, doch lieber weiter zu studieren, finanzierte sich sein Studium nun jedoch damit, weiter Gags ans Fernsehen zu verkaufen – unter anderem an die Harald Schmidt Show. Der Verkauf klappte inzwischen so gut, dass er danach auch für die Wochenshow und Anke Engelkes Ladykracher Witze produzierte. (Vgl.: Jaud, Tommy: Überman. Der Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012, S. 2. Vgl. auch: Junghänel: Der König des Bahnhofkiosks.) 68 Baumann, Marc u. Alexandros Stefanidis: „Ich bin weit davon entfernt, den Humor der Deutschen zu definieren“. In: Süddeutsche Zeitung Magazin (2011) H. 31. http://szmagazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/36078/Ich-bin-weit-davon-entfernt-den-Humorder-Deutschen-zu-definieren (20.9.2014). 69 Baier: Tommy Jaud – der Pate des Comedy-Romans. 70 Ebd. 71 Ebd.

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Und tatsächlich wird Jaud in der Presse nicht nur als Männerroman-Autor betitelt, sondern auch als der „Mario Barth der Literatur“72. Mario Barth ist ein deutscher Comedian, der als „erfolgreichster Komiker Europas“73 gilt. Nachdem er bereits im Jahr 2008 über 70 000 Zuschauer zu seinem Soloprogramm ins Berliner Olympiastadion locken konnte, hält er seit Juni 2014 laut dem „Guinnessbuch der Rekorde“ den Weltrekord für das größte Publikum eines Komikers binnen 24 Stunden mit einer Zuschauerzahl von 116 498. Auch dieses Programm mit dem Titel „Männer sind schuld, sagen die Frauen“ führte er wieder im Berliner Olympiastadion auf. Weil Barth einer der bekanntesten männlichen Comedians dieser Zeit ist, wird im Männerroman Resteklicken in einem auf Ironie abzielenden Vergleich sogar direkt auf ihn verwiesen: „Du bist ja heute witziger als Mario Barth“ (RK: 67). Thematisch setzt sich Barth vor allem mit dem Beziehungsverhältnis von Frauen und Männern auseinander. „[D]ass ein männlicher Comedian dieses Thema aufgreift und aus der Männerperspektive beschreibt“74, wird in der Wissenschaft als ein Novum in der deutschen Comedy-Landschaft beschrieben. Sicherlich gab es auch vor Barth einige Komiker, die sich thematisch mit diesen Themen auseinander setzten, allerdings nicht ausschließlich oder so erfolgreich wie er. Beim Publikum sind vor allem Frauen die Zielgruppe, da sie sich ohnehin für Beziehungsthemen interessieren. „Will man Männer mit Beziehungsthemen locken, muss einer wie Mario Barth […] kommen, also einer aus ihrer Mitte.“75 Das Konzept scheint aufzugehen und dennoch steht Barth unter Dauerbeschuss der Feuilletons – genauso wie Jaud, der in einem Interview meint: „Bei mir ist das wie bei Mario Barth: Bei ihm sitzen 70 000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion, die die Show gut finden – und siebzig Journalisten, die danach schreiben: Das ist der Untergang der Zivilisation. Das ist die übliche Mainstreamphobie.“76 Aber auch die Ablehnung des so genannten ‚leichten Humors‘ kann als Grund für die ständige Kritik an den humoristischen Darstellungen beider Künstler gesehen werden. So antwortet Jaud, als er nach Barth gefragt wird: „Ob wir in einer Schublade sind, weiß ich nicht, vielleicht eher im gleichen Boot. Der sogenannte leichte Humor

72 Isfort, Volker: Tommy Jauds weinseliger Weltuntergang. In: Abendzeitung (12.11.2012). http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.literatur-tommy-jauds-weinseliger-weltun tergang.c4735933-a071-48f9-bc48-4ada8386020a.html (20.9.2014). 73 Thomann, Jörg: Der Siegeszug des unmodernen Mannes. Mario Barth. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (2007) H. 277. S. 40. 74 Wendt, Heide-Ulrike: Frauen lachen anders. Heidelberg: MVG 2007 (=Frau im Dialog), S. 66. 75 Ebd. 76 Baumann et al.: „Ich bin weit davon entfernt, den Humor der Deutschen zu definieren“.

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hat‘s halt ein bisschen schwer in unserem Stechuhr-Schlips-Land.“77 Jaud selbst schaut sich die Comedy von Barth gerne an: „Wenn ich fernsehe, und es läuft was von ihm, dann schau ichs mir auch an.“78 Das scheint vielen Deutschen so zu gehen, denn ansonsten ließe sich Barths Erfolg nicht erklären. In zahlreichen Kritiken wird Barths leichter Humor dennoch verrissen. Dazu meint Jaud: „Was mich nervt, ist die typisch deutsche Neid- und Niveaudiskussion um seine Person.“79 Anstoßpunkt bei Barth ist jedoch nicht nur sein Niveau: „Der häufigste gegen Mario Barth vorgebrachte Vorwurf lautet, sein Humor sei frauenfeindlich.“80 Es bleibt jedoch zu fragen, ob er nicht ebenso männerfeindlich ist. Dieser Frage wird sowohl in der Wissenschaft als auch im Feuilleton nachgegangen. So heißt es in dem Sammelband Männerpolitik: Die sexuelle Denunziation von Männern, an der sich übrigens auch Frauen mit Vergnügen beteiligt haben, hat inzwischen den Höhepunkt ihrer Beliebtheit überschritten und wird nur noch bei Mario Barth-Auftritten in lachenden Sporthallen zelebriert.81

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es entsprechend: In der von ihm verbreiteten Weltsicht ist der Mann auf einem bestürzend niedrigen Stand der Evolution stehengeblieben; mit der Zufuhr von Nahrung und ihrem geräuschvollen Ausscheiden ist er hinreichend ausgelastet. Die Frau hingegen hat sich weiterentwickelt, aber in keine gute Richtung. Sie redet zu viel, kauft zu viel ein, braucht zu lange im Bad und raubt dem Mann den Nerv.82

Die „sexuelle Denunziation von Männern“ – oder Frauen – ist kein wesentlicher Bestandteil von Männerromanen. Hier werden zwar auch bekannte Klischees und Stereotype konserviert, jedoch in der Regel nicht als Mittel der Herabwürdigung genutzt, sondern als Darstellung des Ist-Zustandes, mit dem der Mann in der heutigen Zeit nur schwer zurechtkommt. Dieser Blick hinter die Dinge, die der Männerroman immer wieder bietet, ist in der Comedy von Barth nicht zu finden.

77 Seegers et al.: Eine Frage des Humors. 78 Pauli, Harald: „Sex und Humor passen nie zusammen“. In: Focus Magazin (2011) H. 32. S. 76 79 Ebd. 80 Thomann: Der Siegeszug des unmodernen Mannes. 81 Gesterkamp, Thomas: Jenseits von Feminismus und Antifeminismus. Plädoyer für eine eigenständige Männerpolitik. In: Männerpolitik. Was Jungen, Männer und Väter stark macht. Hrsg. von Markus Theunert. Wiesbaden: Springer VS 2012. S. 59–78, S. 66. 82 Thomann: Der Siegeszug des unmodernen Mannes.

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Es wundert nicht, dass sich auch die feministisch orientierte Zeitschrift Emma mit dem Thema ‚Mario Barth‘ befasst und ihm unter dem Titel „Humor ist, wenn mann trotzdem lacht“ gleich zwei komplette Seiten gewidmet hat. Erstaunlich dabei ist jedoch, wer den Artikel über den Comedian verfasst hat, nämlich der Männerroman-Autor Moritz Netenjakob.83 Dieser definiert in dem Artikel zunächst einmal, was ein Comedian überhaupt ist: „Der Beruf eines Comedians besteht darin, Menschen zum Lachen zu bringen.“84 Und diese Aufgabe erfüllt Barth seiner Meinung nach vorbildlich. Doch eine Gruppe von Menschen scheint sich skeptisch von dem Comedian abzuwenden: „Tatsächlich habe ich selten so viele Intellektuelle ratlos erlebt wie angesichts des Mega-Erfolgs von Mario Barth.“ Und diese Intellektuellen scheint Netenjakob auch in der Leserschaft der Emma zu sehen, denn daraufhin versucht er zu argumentieren, warum Barth ein guter Comedian ist, obwohl dieser Menschen mit Sätzen zu Lachtränen bewegt, „in denen nicht einmal der Ansatz eines komischen Gedankens zu stecken scheint.“85 Seine Argumentation beginnt mit der Feststellung: „Eine Grundregel der Comedy lautet: Lachen und Nachdenken schließen sich gegenseitig aus.“86 Daher müsse ein Gag immer um Eindeutigkeit bemüht sein und so zwangsläufig einen Teil der Realität ausblenden, „denn die Wirklichkeit hat bekanntlich mindestens zwei Seiten.“87 Zur Exemplifizierung seiner Theorie untersucht er folgenden Witz näher, dessen Ursprung ungeklärt bleibt: „Warum gibt es Männer? Weil Vibratoren keinen Rasen mähen können.“88 In diesem Beispiel wird nicht nur ein Teil der Realität ausgeblendet, sondern sie wird gar komplett ignoriert. „Denn dass Vibratoren keinen Rasen mähen können, ist im philosophisch-religiösen Diskurs, warum es Männer gibt, nicht einmal der Ansatz einer plausiblen Erklärung.“89 Nach dieser Feststellung kann Netenjakob bereits ein Zwischenfazit zum Niveau von Barths Comedy ziehen: „1. Mario Barth übt seinen Beruf im Rahmen der Anforderungen des Genres Comedy zur allgemeinen Zufriedenheit aus. 2. Seine Aussagen sind von

83 Der Autor und Alice Schwarzer, die Gründerin der Emma, kennen sich schon lange: Als Netenjakob sieben Jahre alt war, zog Schwarzer in seine Nachbarschaft nach Köln und freundete sich mit seinen Eltern an, die Schwarzer als ‚Intellektuelle‘ beschreibt. (Vgl.: Schwarzer, Alice: Macho Man: Softie trifft Türkin. In: Emma (2009) H. 2. S. 60–63) 84 Netenjakob, Moritz: Humor ist, wenn mann trotzdem lacht. In: Emma (2009) H. 4. S. 42– 43, S. 42. 85 Ebd. 86 Ebd. 87 Ebd. 88 Ebd. 89 Ebd.

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der Realität unabhängig.“90 Dem letzten Punkt muss widersprochen werden: Barth belebt in seiner Comedy vor allem reaktionäre, populistische Klischees und Stereotype und damit ist sie in keinem Fall realitätsunabhängig. Sie ist jedoch nicht allgemeingültig, genauso wie die Krise der Männlichkeit, die in Männerromanen beschrieben wird, nicht zwangsläufig auf jeden Mann – auch nicht auf jeden jungen Mann – zutreffen muss. Es folgt in dem Artikel der Emma eine nähere Betrachtung des genderzentrierten Inhalts. Dabei stellt Netenjakob zunächst fest, dass Barths Pointen immer wieder darauf ausgerichtet sind, dass Männer sich eher männlich und Frauen sich eher weiblich verhalten. Diese intellektuell betrachtet eher schlichte Analyse kann man Barth nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Wäre sie differenzierter, wären die Voraussetzungen für Comedy nicht mehr gegeben.91

Den verbreiteten Vorwurf, dass das Rollenbild, das Barth vermittelt, rückschrittlich sei, wiegelt der Männerromanautor ab: „Die alten Rollenbilder sind zwar im Zeitalter der Emanzipation reaktionär, aber sie sind offenbar großen Menschenmengen ein Wohlgefallen.“92 Den hauptsächlichen Grund hierfür sieht Netenjakob darin, dass die alten Rollenbilder beruhigen, denn sie gaukeln eine Ordnung vor, die Bestand hat. Das Bedürfnis der Menschen nach Beruhigung ist spätestens seit dem 11. September 2001 größer geworden. Wenn die Türme wenigstens eingestürzt wären, weil eine Frau versucht hätte, das Flugzeug rückwärts einzuparken! Das hätte man verstanden. Aber so trug Ground Zero extrem zur allgemeinen Verunsicherung bei – und bereitete den Boden für Mario Barth.93

Dass Barth der erste Comedian sei, der sich mit Geschlechterthemen auseinandersetzt, negiert Netenjakob und nennt „Horst Schroth“ und „Caveman“ als Gegenbeispiele. „Auch jeder andere pragmatisch denkende Comedian sagt sich: Wenn sonst nichts funktioniert, mach ich halt was über Männer und Frauen.“94 Diesen Gedanken hat offensichtlich auch schon der Autor selbst gehabt. Netenjakob schreibt nicht nur Romane, sondern auch Gags für Comedy-Formate. Er arbeitete

90 Ebd. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Ebd., S. 43. 94 Ebd.

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unter anderem bereits als Autor für Die Wochenshow und Ladykracher. Für seine Mitarbeit an den Drehbüchern zu der Comedy-Serie Stromberg wurde ihm 2006 der Adolf Grimme-Preis verliehen. Aber Netenjakob schreibt nicht nur Gags für andere, er steht auch selbst auf der Bühne.95 Sein erstes Soloprogramm multiple Sarkasmen ist sogar auf CD erhältlich.96 Auf dem Tonträger sind 18 Tracks gespeichert, von denen sich lediglich zwei mit Geschlechterproblemen befassen. Diese beiden sind mit „Meine Pubertät“ und „Supertitti“ betitelt. Der Track „Meine Pubertät“ beginnt damit, dass Netenjakob die Feststellung, dass Frauen an Männern Humor mögen, als einen Trugschluss herausstellt, da er in seiner Jugend gegenteilige Erfahrungen gemacht habe. Damals scherzte er, nachdem sich eine Austauschstudentin in einem intimen Moment zwischen den beiden ihres Büstenhalters entledigt hatte.97 Während eines Auftritts bei Stratmanns, der am 11. Mai 2013 auf dem Fernsehsender WDR ausgestrahlt wurde, macht Netenjakob wiederum die Feststellung, dass Frauen keinen Humor mögen, geht nun aber differenzierter vor: Frauen würden es zwar verschmähen, wenn ein Mann zum Beispiel Didi Hallervorden imitiere, sie würden Humor aber positiv bewerten, wenn er zum Beispiel von einem attraktiven Feuerwehrmann komme, der die Frau am besten auch noch gerade aus einem brennenden Haus gerettet habe. Nach Netenjakob schafft Humor also keine Männlichkeit, kann sie jedoch verstärken. Auch in der Wissenschaft wurde bereits der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Humor untersucht: Nach Einschätzung von Männern gehört zu den wichtigsten positiven männlichen Eigenschaften neben „Standfestigkeit, Stärke und Loyalität“ auch „Humor“.98 Während Frauen an Männern deren Humor schätzen, ist es für Männer relativ unbedeutend, ob eine Frau humorvoll ist. Viel wichtiger ist Männern, dass Frauen über den Humor des Mannes lachen.99 Weil Humor eine Art der Kommunikation ist, kann dieser Unterschied zwischen Frauen und Männern durch ihre Kommunikations-Bedürfnisse erklärt werden: Frauen wollen mit anderen Frauen oft über Persönliches reden. Männer hingegen scheuen persönliche Gespräche, daher kommen ihnen humorvolle Bemerkungen und Witze als eine alternative

95 Auch der Männerroman-Autor Tim Boltz steht mit seinem Comedy-Programm „Rüden haben kurze Beine“ selbst auf der Bühne. 96 Netenjakob, Moritz u. Thomas Lienenlüke: Multiple Sarkasmen. Aufgenommen am 2. Februar 2007 in der Comedia, Köln. Köln: WortArt 2007. 97 Vgl.: ebd. Track 14. 98 Moser: Kampfzone Geschlechterwissen, S. 109. 99 Vgl.: Wendt: Frauen lachen anders, S. 11.

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Kommunikation zum persönlichen Gespräch entgegen.100 Auch in schwierigen Situationen greifen Männern typischerweise auf Humor zurück, da es ihnen leichter fällt, auf diese Weise Selbstkritik zu üben.101 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass durchweg alle Männerromane mit einer großen Portion Humor gespickt sind, denn hier stellen sich Männer unter anderem selbstkritisch die Frage, ob sie männlich genug sind. Außerdem lachen Frauen und Männer manchmal über unterschiedliche Dinge. Diese Feststellung hat auch Netenjakob gemacht und berichtet über seine Erfahrungen in der Sendung Stratmanns. So habe er ein und denselben Witz einmal vor einer Gruppe Männer und einmal vor einer Gruppe Frauen erzählt und während die Frauen herzhaft lachten, war bei den Männern nur betretenes Schweigen zu vernehmen. Der Grund hierfür liegt wahrscheinlich zum einen im Witz begründet, denn dieser richtete sich gegen die im Allgemeinen verkrampften und onanierenden deutschen Männer. Während Frauen über eine Diffamierung des anderen Geschlechts lachen konnten, wollten Männer anscheinend nicht über eine böswillige Äußerung über ihr eigenes Geschlecht lachen. Zum anderen sind die Umstände zu beachten: Während die Gruppe von Frauen den Witz während einer Karnevalsveranstaltung vernommen hat, befanden sich die Männer auf einer Veranstaltung ihres Arbeitsgebers. Dieser Comedy-Beitrag von Netenjakob widerspricht somit nicht der bereits aufgestellten These, dass Männer nur dann über ihr Geschlecht lachen können, wenn einer aus ihrer Mitte sich über sie lustig macht, sondern führt sie nur noch mehr aus: Es muss für Männer auch der Rahmen stimmen, in dem sich über Männer lustig gemacht wird, damit sie darüber lachen können. In Männerromanen sind humorvolle Äußerungen über Männer zu erwarten, sie bilden ergo einen passenden Rahmen. An den Stellen, an denen Netenjakobs Comedy-Programm sich auf Geschlechter und ihre Beziehungen zueinander bezieht, sind teilweise Parallelen zu Jauds Männerroman Vollidiot ersichtlich. Bei Netenjakob heißt es zum Beispiel wie folgt: Ja, äh, ich hatte eigentlich immer den perfekten Plan, so das richtige Essen, die richtige Musik, Kerzenlicht und, äh, ich hatte mir schon poetische Sätze zurechtgelegt, die ich nach dem Beischlaf, äh, zum Besten geben wollte, und dieser Plan scheiterte immer nur an einem einzigen, winzigen Detail: Ich hätte die Frauen ansprechen müssen.102

100 Vgl: Kotthoff, Helga: Gackernde Hühner und röhrende Hirsche. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hrsg. von Thomas Vogel. Tübingen: Attempto 1992. S. 192–210, S. 204. 101 Vgl.: Süfke, Björn: Männerseelen. Ein psychologischer Reiseführer. Düsseldorf: Patmos 2008, S. 118, 122. 102 Netenjakob et al.: Multiple Sarkasmen. Track 14, 1:20-1:37.

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Auch Simon hat in Vollidiot eigentlich den perfekten Plan, nämlich einen Zukunftsplan mit der Starbucks-Verkäuferin Marcia. Doch er traut sich nicht, Marcia anzusprechen. Dabei ist das Problem für Simons Freund Phil ganz einfach zu lösen: „Mensch, Simon, da musste reingehen und sie fragen, was sie nach Feierabend macht, ist doch klar, oder? ODER?“ (VI: 21). Doch was Phil als eine Kleinigkeit erscheint, ist für Simon ein großes Problem. Erst nach mehreren Anläufen wagt er es, Marcia eine Karte für ein Konzert unterzujubeln, das er gemeinsam mit ihr besuchen möchte. Er traut sich jedoch nicht, sie direkt zu fragen, ob sie gemeinsam mit ihm die Musikveranstaltung besuchen möchte. Als Simon mit Marcia das Konzert besucht, erinnert der Männerroman an den Track „Supertitti“ auf der CD multiple Sarkasmen von Netenjakob. In dem Comedy-Programm berichtet Netenjakob, wie er mit einer Zahnarzttochter, die aufgrund ihrer großen Oberweite den Kosenamen „Supertitti“ hat, eine Verabredung trifft. Dabei fragt er sie nicht direkt, ob sie sich mit ihm verabreden möchte, sondern klärt lediglich mit „Supertitti“ ab, dass sich beide zur gleichen Zeit am gleichen Ort befinden. Da seitens der Zahnarzttochter kein Protest erfolgt, sind die beiden in Netenjakobs Augen verabredet. Als sich die beiden dann treffen, kennt „Supertitti“ nicht einmal seinen Namen und nennt ihn stattdessen „Dingens“. Außerdem erscheint sie in männlicher Begleitung, die sie zunächst als ihren Freund und darauf als ihren Zuhälter vorstellt.103 In Jauds Männerroman hat sich Simon ebenfalls nicht getraut, eine Verabredung zu treffen. Stattdessen hat er dafür gesorgt, dass Marcia das gleiche Konzert wie er besucht. Als sich die beiden auf dem Konzert treffen, weiß auch Marcia nicht mehr, wie Simon eigentlich heißt. Sie fragt daher: „Du … bist doch der Typ mit der Karte?“ (VI: 205). Als Simon dies bestätigt, fährt Marcia fort: „Sagst du mir noch mal, wie du heißt, sorry, hab’s voll vergessen!“ (VI: 206). Dass Marcia sich nicht seinen Namen gemerkt hat, ist für Simon bereits ein Hinweis darauf, dass sie sich nicht für ihn interessiert. Doch noch hegt er Hoffnungen, dass aus den beiden dennoch ein Paar werden könnte. Später sucht Simon Marcia zunächst vergebens auf dem Konzert. Als er sie schließlich entdeckt, ist sie mit zwei anderen Männern zusammen (vgl. VI: 213). Wie „Supertitti“ bei Netenjakob war auch Marcia bei Jaud von vorneherein unerreichbar für den Protagonisten. Beide Male wird Humor unter anderem durch Personenbezeichnungen hervorgerufen: Einmal durch „Supertitti“ und einmal durch „der Typ mit der Karte“. Doch während das Comedy-Programm von Netenjakob sich auf die Schilderung der lustigen Anekdote beschränkt, stellt der Männerroman neben die humorvolle Seite eine ernste. So heißt es bei Jaud zum Beispiel nach der enttäuschenden Feststellung, dass sich Marcia nicht für Simon interessiert: „Ich

103 Vgl.: ebd. Track 15.

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könnte kotzen um jede einzelne Träne, die ich wegen ihr vergeudet habe“ (VI: 214). Genau hierin liegt der wahrscheinlich bedeutendste Unterschied zwischen Comedy und Männerroman: Während die Comedy lediglich auf humorvolle Unterhaltung abzielt, regt der Männerroman darüber hinaus zur ernsthaften Auseinandersetzung an, die in diesem Beispiel durch das Mitleiden mit dem Protagonisten angeregt wird. Ein Vergleich der Comedy von Barth mit Männerromanen stellt sich als schwieriger heraus. Dies liegt zum einen daran, dass durch die reaktionären Rollenbilder im Comedy-Programm Barths Männer und Frauen hier schon ihre Rollen gefunden haben. Der Mann kann sich problemlos von der Frau abgrenzen, und eine Krise der Männlichkeit, wie sie im Männerroman zentral verhandelt wird, gibt es bei Barth nicht. Zum anderen baut Barths Comedy auf dem Zusammensein von Frau und Mann auf, während in Männerromanen die Überwindung des Alleinseins thematisiert wird. Überschneidungspunkte zu finden ist folglich ein mühsames Unterfangen. Dennoch gibt es auch ein paar wenige Parallelen zwischen Barths Comedy und Männerromanen. Zu den wenigen Überschneidungen zählt zum Beispiel die Feststellung, dass Frauen miteinander reden, während Männer miteinander schweigen, die Barth in seinem Programm „Männer sind primitiv, aber glücklich“ macht. Barth berichtet in seinem Programm über die unterschiedlichen Kommunikationsverhältnisse von Frauen und Männern in Freundschaften. Dort heißt es wortwörtlich: „Frauen können sich stundenlang unterhalten – machen Männer nicht.“104 In der Literatur existieren zahlreiche Beispiele für Freundschaften zwischen Männern.105 Freundschaft zwischen Männern wird allerdings anders beschrieben als Freundschaft zwischen Frauen. „Natürlich haben Männer Kontakt zu anderen Männern, aber meistens im Plural. Selten verabredet sich ein Mann mit seinem ‚besten Freund‘, um mit ihm zu reden, so wie Frauen das häufig tun.“106 Außerdem treffen sich Männer selten, um zu reden, wie dies oft der Fall bei Frauen ist. Männer wollen vielmehr etwas gemeinsam unternehmen.107 „Die Verbindung von gemeinsamer

104 Barth, Mario: Männer sind primitiv, aber glücklich. DVD. 2007, S. 21:29-21:32. 105 Vgl.: Freudenburg, Rachel: Männliche Freundschaftsbilder in der neueren Literatur. In: Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Hrsg. von Walter Erhart u. Britta Herrmann. Stuttgart: Metzler 1997. S. 271–291, S. 237. 106 Leimbach, Bjørn Thorsten: Männlichkeit leben. Die Stärkung des Maskulinen. Hamburg: Ellert & Richter 2007, S. 226. 107 Vgl.: Stiehler, Steve: Männerfreundschaft – mehr als eine Beziehung zweiter Klasse. In: Frauen und Männer. Zur Geschlechtstypik persönlicher Beziehungen. Hrsg. von Karl Lenz. Weinheim: Juventa 2003. S. 207–227, S. 217.

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Aktivität und gemeinsamem Erleben gilt als primärer Beziehungsträger männlich geprägter Freundschaft.“108 Probleme in der Partnerschaft oder der Familie werden unter Männern selten besprochen, stattdessen wird über den unpersönlichen Alltag, also über Politik oder Fußball geredet.109 Dass es einen Unterschied zwischen Frauen- und Männerfreundschaften gibt, davon geht auch Jo in Billigflieger aus, und er erklärt: „Kurz und gut, die Jungs und ich, wir sind das, was man eine eingeschworene Gemeinschaft nennt. Echte Freunde. Oder noch besser: echte Männerfreunde“ (BF: 9). Es ist zwar auffällig, dass ein Unterschied zwischen ‚Männerfreundschaft‘ und ‚Freundschaft‘ gemacht wird, wie dieser Unterschied genau aussieht, darauf wird allerdings nicht eingegangen. Es liegt jedoch nahe, anhand dieser Textstelle eine Steigerung auszumachen: Von der ‚Gemeinschaft‘ über die ‚Freundschaft‘ bis hin zur ‚Männerfreundschaft‘. Damit wird die Männerfreundschaft als die bedeutendste Form des Miteinanders gewertet und es bleibt offen, wo sich in dieser Hierarchisierung die Frauenfreundschaft befindet. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie unterhalb der Männerfreundschaft einzuordnen ist. In dem Männerroman Kaltduscher gibt Amelie Gonzo einen Liebesbeweis, indem sie ihm eine Lasagne mitbringt, denn diese Lasagne bereitet sie bekanntlich nur Männern zu, in die sie verliebt ist. Weil Gonzo die Lasagne samt Alufolie im Ofen backt, verdirbt er den Lasagne-Liebesbeweis von Amelie. Diese ist darüber wütend, stürmt aus der Männer-WG und Gonzo folgt ihr. Eine Stunde später ist die restliche Männer-WG immer noch um den Küchentisch versammelt und wartet auf Gonzos Rückkehr. Wir könnten also jetzt im trauten WG-Kreis lange und viel über Amelies und Gonzos Missgeschick sprechen. Und darüber, wie man das vielleicht wieder einrenken kann. Heißt ja immer, dass Männer nicht über Gefühle sprechen können. Stimmt aber gar nicht. Ist eher eine Frage der Menge. Trotzdem, jetzt denkt jeder für sich [...]. Wir lassen also Amelie und die Lasagneproblematik links liegen und diskutieren mehr so allgemein in Richtung Frauen und was wir so an ihnen beobachten. (KD: 290-291)

Obwohl hier der These widersprochen wird, dass Männer nicht über Gefühle sprechen, wird sie gleichzeitig bestätigt: Die Männer könnten sich über ein Liebesproblem ihres Freundes Gonzo unterhalten, ziehen jedoch zunächst gemeinsames Schweigen und darauf eine Unterhaltung über allgemeine Probleme vor.

108 Ebd. 109 Vgl.: ebd., S. 220.

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Als der Protagonist Martin in Toreros sind so110 (2007) von Michael Eichhammer von seiner Freundin verlassen wird, trifft er sich mit seinen Freunden in einer Kneipe. „Als ich im Gedränge vor dem Tresen stehe, werde ich plötzlich sentimental: Eigentlich sind sie doch prima, meine Kumpels. Immer da, wenn man sie braucht. Das hier ist schließlich nicht nur ein normaler Kneipenbesuch. Das ist Krisenmanagement unter Männern“ (TS: 18). Das gemeinsame Trinken mit seinen ‚Kumpels‘ vergleicht Martin mit Therapiestunden bei einem Psychotherapeuten. Sobald einer der Männer Probleme hat, würden sie sich in einer Kneipe treffen, um darüber zu reden und viel Bier zu trinken (vgl. TS: 18-19). Hier wird folglich mit dem Klischee gebrochen und die Männer reden sehr wohl viel miteinander, auch über persönliche Probleme. Während also Barth in seiner Comedy lediglich Klischees und Stereotype bedient, werden diese im Männerroman zwar auch aufgenommen, jedoch nicht zwangsläufig bestätigt. Es ist erstaunlich, dass Jaud als der „Mario Barth der Literatur“ gilt. Zwar werden in beiden Genres (Männerroman und Comedy) aus männlicher Sicht Geschlechterthemen in einem humorvollen Ton verhandelt, jedoch geht es bei Barth um das Zusammensein von Mann und Frau, während es im Männerroman um die Überwindung des Alleinseins geht. Daneben vermittelt Barth reaktionäre Geschlechterrollen, während Geschlechterrollen im Männerroman manchmal ebenfalls nur aufgenommen, manchmal aber auch neu verhandelt werden. Während sich Comedy auf humorvolle Anekdoten über Genderthemen beschränkt, ist im Männerroman auch die ernsthafte Sicht auf die Thematik integriert. Im Männerroman werden Gender-Themen folglich differenzierter betrachtet. Zwar enthält er immer wieder humorvolle Elemente und kann daher durchaus legitim als ein Bestandteil der derzeitigen Comedy-Welle in der Literatur begriffen werden, jedoch bietet er nicht nur humorvolle Unterhaltung, sondern hat zum Beispiel auch eine beratende Funktion, wie bereits im vorigen Kapitel festgestellt werden konnte. Die Fusion aus ernsthaftem, literarischem Ratgeber und genderzentrierter Comedy ist konsekutiver Bestandteil des Männerromans.

110 Eichhammer, Michael: Toreros sind so. Roman. München: Piper 2007.

Medienwechsel

I NTERMEDIALITÄT „[S]eit es den Film gibt, reden die Helden in Büchern manchmal häufiger über das Kino als über die schöne Literatur, wie das Goethes Werther noch tat.“1 Und was in einem Buch steht, muss nicht mehr zwingend in Buchform bleiben: „Ein Bestseller wird verfilmt, der Soundtrack vertrieben und der Roman zusätzlich als Hörbuch gelesen oder inszeniert, als Hörspiel distribuiert. Die mediale Vervielfältigung verbreitert das schon erreichte (Millionen-)Publikum.“2 Bei der Untersuchung eines Textes im Sinne der Text-Kontext-Theorie ist es daher nicht nur spannend, ihn als Text im Ursprungsmedium Buch zu untersuchen, sondern auch seine verschiedenen medialen Erscheinungsformen zu analysieren. Vor allem die Intermedialität hat sich in letzter Zeit als beliebtes und fruchtbares Konzept herausgestellt, um die medialen Formen und Bezüge eines Textes zu untersuchen. Man könnte geradezu proklamieren: „Intermedialität ist ‚in‘.“3 Doch nicht nur das, sondern Intermedialität ist auch „[e]in weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“4, wie Werner Wolf in seinem gleichnami-

1

Bathrick, David u. Heinz-Peter Preußer: In Between – Das mediale ‚Dazwischen‘. Text, Bild und Ton im audiovisuellen Zeitalter. Eine Einleitung. In: Literatur inter- und transmedial. Inter- and Transmedial Literature. Hrsg. von David Bathrick u. Heinz-Peter Preußer. Amsterdam; New York: Editions Rodopi 2012. S. 7–32, S. 8.

2

Ebd., S. 9.

3

Paech, Joachim: Mediales Differenzial und transformative Figurationen. In: Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebietes. Hrsg. von Jörg Helbig u. Joachim Paech. London: Turnshare 2009. S. 14–30, S. 14.

4

Wolf, Werner: Intermedialität. Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft. In: Literaturwissenschaft. Intermedial – interdisziplinär. Hrsg. von Her-

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gen Aufsatz herausstellt. In der Forschung hat sich noch keine allgemeingültige Definition des Intermedialitätsbegriffs etabliert, daher wird er in Anlehnung an Umberto Eco auch als ein „termine ombrellone“5 bezeichnet. Dennoch muss an dieser Stelle natürlich eine Definitionsfestlegung erfolgen. Nach Irina O. Rajewsky kann man allgemein drei Varianten unterscheiden, in denen veränderte mediale Bedingungen in Erscheinung treten: die Intramedialität, die Transmedialität und die Intermedialität. Intramedialität ist dann gegeben, wenn sich identische Medien aufeinander beziehen, wenn sich also ein Roman auf einen anderen bezieht oder wenn sich ein Film auf einen anderen bezieht. Zu denken sei hier zum Beispiel an Goethes Werther, der auf Klopstock rekurriert. Mediengrenzen werden bei der Intramedialität nicht überschritten. Transmediale Erscheinungen werden von Rajewsky beschrieben als „medienunspezifische Wanderphänomene, […] wie das Auftreten desselben Stoffes oder die Umsetzung einer bestimmten Ästhetik […] in verschiedenen Medien, ohne dass hierbei die Annahmen eines kontaktgebundenen Ursprungsmediums möglich ist oder für die Bedeutungskonstitution des jeweiligen Medienprodukts relevant würde.“6 Es betont also „der Begriff der Transmedialität den Transfer“7, der auch während der Rezeption erfahrbar ist. Demgegenüber ist die Intermedialität das Produkt einer „vollzogene[n] Verbindung beider Partner“. Während die Transmedialität also mit Genette gesprochen die „effektive Präsenz eines Textes in einem anderen

bert Foltinek u. Christoph Leitgeb. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2002. S. 163–192 5

Rajewsky, Irina O.: Intermedialität. Tübingen: Francke 2002 (=UTB für Wissenschaft Medien- und Kommunikationswissenschaft 2261), S. 6. Umberto Eco prägte die Wendung „termine ombrello“ in seinem Buch Apocalittici e integrati (Eco, Umberto: Apocalittici e integrati. Comunicazioni di massa e teoria della cultura di massa. Milano: Bompiani 1994 (=Tascabili Bompiani 27), S. 24.). Rajewsky übertrug die Wendung auf die Intermedialität und änderte den Regenschirm (ombrello) kurzerhand in einen Sonnenschirm (ombrellone) um. Die Wendung verweist darauf, dass die Bezeichnung ‚Intermedialität‘ ein Sammelbegriff für viele verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen ist und daher nicht einheitlich definiert wird. Er vereint vielmehr die verschiedenen Ansätze unter seinem Schirm.

6 7

Rajewsky: Intermedialität, S. 12. Meyer, Urs, Roberto Simanowski u. Christoph Zeller: Vorwort. In: Transmedialität. Zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren. Hrsg. von Urs Meyer, Roberto Simanowski u. Christoph Zeller. Göttingen: Wallstein 2006. S. 7–18, S. 10.

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Text“8 beschreibt, ist die Intermedialität wie die Intertextualität als ein Gewebe von verschiedenen Medien bzw. Texten zu verstehen. Zu Beginn der Intermedialitätsforschung wurde Intermedialität noch gehäuft in Verbindung gebracht mit dem Dialogizitätsbegriff von Michael Bachtin oder der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva.9 Inzwischen wird der Begriff ganz unabhängig von derartigen Vorläufern gesehen, denn Intermedialität ist „von vorneherein auf sehr verschiedenen Ebenen (oder in ganz unterschiedlichen Systemen)“10 anzusiedeln und wird daher eher mit medientheoretischen oder medienphilosophischen Erklärungen inhaltlich aufgebaut.11 Der Begriff ‚Intermedialität‘ tauchte wahrscheinlich zum ersten Mal 1812 bei Samuel Taylor Coleridge auf, der sich in seinen Ausführungen jedoch auf die Allegorie12 bezog. Erst in der künstlerischen Programmatik „Statement on Intermedia“13 (1966) von Dick Higgins wurde der Begriff wie heute üblich gebraucht. In seinem Aufsatz fordert Higgins Künstler zur bewussten Überschreitung von medialen Grenzen zwischen den verschiedenen Kunstformen auf. Den Gegenstandsbereich intermedialer Forschung unterteilt Rajewsky in drei heterogene Phänomenbereiche, nämlich in die Medienkombination, den Medienwechsel und die intermedialen Bezüge. Die Medienkombination ist in anderen Untersuchungen auch unter den Begriffen Multimedialität, Plurimedialität, Polymedialität oder Medienfusion bekannt. Sie ist das Resultat der Zusammenführung mindestens zweier Medien, die aufbauend auf ihrer Medienspezifik zur Bedeutungskonstitution des Endergebnisses beitragen. Zu unterscheiden ist hierbei die Medienkombination mit und ohne Dominanz eines Mediums. Eine Verknüpfung mit Dominanz ist zum Beispiel bei der punktuellen Illustration eines Romans gegeben, während Musik und Lyrik im Kunstlied tendenziell ohne Dominanz kombiniert

8

Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993 (=Edition Suhrkamp 1683), S. 10.

9

Vgl.: Rajewski, Irina O.: Intermedialität ‚light‘? Intermediale Bezüge und die ‚bloße Thematisierung‘ des Altermedialen. In: Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. Hrsg. von Roger Lüdeke u. Erika Greber. Göttingen: Wallstein 2004. S. 27–77, S. 34.

10 Paech: Mediales Differenzial und transformative Figurationen, S. 18. 11 Vgl.: Rajewski: Intermedialität ‚light‘?, S. 34. 12 Eine Allegorie ist bei Coleridge ein „proper intermedium between person and personification“. (Vgl.: Coleridge, Samuel Taylor: Coleridge’s Miscellaneous Criticism. London: Constable 1936, S. 33.) 13 Higgins, Dick: Statement on Intermedia. In: Theories and Documents of Contemporary Art. A Sourcebook of Artists' Writings. Hrsg. von Kristine Stiles u. Peter Selz. Berkeley: University of California Press 1996. S. 728–729.

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sind.14 Der Medienwechsel ist auch als Medientransfer oder Medientransformation geläufig. Hier wird der Prätext oder das Textsubstrat in ein anderes Medium transformiert. Beispiele für einen Medienwechsel sind die Literaturverfilmung, das Hörbuch oder die Inszenierung eines dramatischen Textes. Intermediale Bezüge sind dann zu finden, wenn zum Beispiel Musik narrativiert wird oder sich in einem Roman filmische Schreibweisen erkennen lassen. Intermedialität ist ein „Hyperonym“ und bezeichnet „die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene“15. Es „bedeutet weder eine Addition verschiedener medialer Konzepte noch ein Zwischen-die-Medien-Platzieren einzelner Werke, sondern eine Integration von ästhetischen Konzepten einzelner Medien in einen neuen medialen Kontext“16. Damit wurde „das konzeptuelle Miteinander der Intermedialität dem bloßen Nebeneinander der Multimedialität entgegengesetzt“17. „Die Literaturwissenschaft hat lange erfolgreich ignoriert, daß ihre Texte gedruckt und in Büchern verkauft und nun auch noch statt gelesen in Filmen, im Fernsehen, Video und auf CD-ROM gesehen […] werden können“18 Doch dies hat sich geändert und Überlegungen zu verschiedenen Bezügen und Transformationen zwischen den Medien „haben auch die Literaturwissenschaft an den Rand der Intermedialität gebracht.“19 Werden Mediengrenzen überschritten, ergibt sich eine Wechselwirkung zwischen den Medien und es kann sowohl die Komplementarität als auch die Divergenz zwischen verschiedenen Medien deutlich werden. Dabei ist für die Intermedialität nicht der technische Unterschied von primärer Bedeutung (Medium), sondern der konzeptionelle (Medialität).

H ÖRBÜCHER „Lesen Sie noch oder hören Sie schon?“ lautet der Titel einer wissenschaftlichen Arbeit zum Hörbuch.20 Offensichtlich ist die Adaption des bekannten Ikea-Slogans

14 Vgl.: Rajewsky: Intermedialität, S. 15–16. 15 Ebd., S. 12. 16 Müller, Jürgen E.: Intermedialität. Formen moderner kultureller Kommunikation. Münster: Nodus 1996 (=Film und Medien in der Diskussion 8), S. 89. Hervorhebungen im Original. 17 Ebd., S. 83. 18 Paech: Mediales Differenzial und transformative Figurationen, S. 14. 19 Ebd. 20 Diehm, Angelika: Lesen Sie noch oder hören Sie schon? Die Kürzungsproblematik beim Hörbuch. Marburg: Tectum 2010.

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„Wohnst du noch oder lebst du schon?“, der auch schon in anderen Varianten wie „Lächeln Sie noch oder flirten Sie schon?“ oder „Chatten Sie noch oder twittern Sie schon?“ Einzug in unsere Alltagssprache gefunden hat.21 Die ungeschriebene Formel für die gekonnte Adaption des Ikea-Slogans, die nach Belieben mit Inhalt gefüllt werden kann, lautet natürlich: Machst du noch das nicht mehr angesagte Alte oder machst du schon das trendige Neue? Demzufolge wäre Hören das neue Lesen, das Hörbuch22 das neue Lesebuch. Ganz in diesem Sinne bezeichnet Cornelia Schwarz Hörbücher als „die neue Form des Erzählens“23. Die naheliegende Idee, dass Hörbücher „Bücher zum Hören“ sind, ist gar nicht so falsch, denn „in erster Linie werden publizierte Bücher in die akustische Lesung transferiert.“24 Dies mag sicherlich auch eine Kostenfrage sein, denn die Herstellung eines Hörbuchs als Lesung kostet in günstiger Form ungefähr 4 000 Euro, für die Produktion eines Hörspiels belaufen sich die Kosten auf ungefähr 15 000 Euro aufwärts.25 Eine Lesung ist ein Genre des Hörbuchs,26 bei dem in der Regel ein einziger Sprecher den zugrundeliegenden Text in einem Tonstudio vorliest. Dabei wird der Originaltext, der oft ein Roman ist, nur wenig geändert. „Die Lesung ist die Erscheinungsform des Hörbuchs, die dem Medium Buch am nächsten steht“27, stellt daher Susanne Noack richtig fest.

21 Siedenberg, Sven: Lost in Laberland. Neuer Unsinn in der deutschen Sprache. München: Beck 2010 (=Beck'sche Reihe 1969), S. 14. 22 Neben dem Begriff ‚Hörbuch‘ kursieren unter anderem auch noch die Begriffe „Audiobuch“, „audiobook“ oder „audio book“. (Zymner, Rüdiger: Lesen hören. Das Hörbuch. In: Allgemeine Literaturwissenschaft – Grundfragen einer besonderen Disziplin. Hrsg. von Rüdiger Zymner. Berlin: Schmidt 2001. S. 208–215, S. 208.) 23 Schwarz, Cornelia: Audiobooks. Überblick über die Herstellung und das Marketing von Hörbüchern. Diplomarbeit. Stuttgart: Hochschule für Druck 1997, S. 1. Zitiert nach: Rühr, Sandra: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch. Geschichte – Medienspezifik – Rezeption. Göttingen: V & R Unipress 2008, S. 17. 24 Diehm: Lesen Sie noch oder hören Sie schon?, S. 19–20. 25 Vgl.: Weitendorf, Jan: Vom Buch zum Hörbuch: Substitut oder Ergänzung? Facetten der Umsetzung. In: Lesen – Hören – Sehen. Kinder- und Jugendbücher in anderen Medien und Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung. Hrsg. von Franz-Josef Payrhuber. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2007. S. 24–32, S. 27–28. 26 Neben der Lesung gibt es auch noch die Genres Hörspiel, Feature und Originalaufnahme. (Vgl.: Noack, Susanne: Das Hörbuch. Zur Entstehung und Entwicklung eines expandierenden Marktsegments. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller 2007, S. 22–29.) 27 Ebd., S. 22. Handelstechnisch kommt das Hörbuch dem Buch übrigens nicht nur sehr nah, es wird sogar als Buch betrachtet: „Inzwischen bezieht sich der Buchbegriff im Handel nicht mehr ausschließlich auf bedrucktes Papier. Auch CD-ROMs und Hörbücher

276 | DER M ÄNNERROMAN Das Hörbuch ist eine Form des Umgangs mit Literatur, eine Form ihrer (möglicherweise kanonisierenden) Auswahl, eine Form ihrer (medial verschobenen Re-) Produktion, ihrer (vorlesekünstlerischen und inszenatorischen) Interpretation, ihrer (akustischen, aufgrund des Mediums beliebig unterbrechbaren oder wiederholbaren und im Prinzip ortsunabhängigen) Rezeption sowie ihrer Vermarktung als ‚event‘ einer Medien-Popkultur.28

Beim Hörbuch handelt „es sich im Gegensatz zum Musiktonträger um Worttonträger“29. Bei einem Hörbuch muss der Wortanteil daher mindestens 50 Prozent betragen.30 1954 wurde zum ersten Mal der Begriff ‚Hörbuch‘31 verwendet, der damals

werden mit einer ‚International Standard Book Number‘ (ISBN) versehen und so handelstechnisch als Buch geführt.“ (Rautenberg, Ursula: Der Buchbegriff der herstellenden und verbreitenden Organisationen. In: Buch. Hrsg. von Ursula Rautenberg u. Dirk Wetzel. Tübingen: Niemeyer 2001. S. 2–3, S. 3.) Auch steuertechnisch wird das Hörbuch als Buch behandelt, so dass nicht, wie bei den meisten anderen Produkten üblich, aktuell 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnet werden, sondern der ermäßigte Steuersatz von gegenwärtig sieben Prozent. (Vgl.: Häusermann, Jürg: Das Medium Hörbuch. In: Das Hörbuch. Medium – Geschichte – Formen. Hrsg. von Jürg Häusermann, Korinna Janz-Peschke u. Sandra Rühr. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2010. S. 9–58, S. 13.) Angesichts dieser Entwicklungen lässt sich konstatieren, dass man es mit dem Hörbuch „mit einer Form der Veränderung des Literaturbegriffs und, wie man mit Pierre Bourdieu sagen könnte, wohl auch mit einer Erweiterung des ‚literarischen Feldes‘ zu tun“ (Zymner: Lesen hören, S. 213.) hat. 28 Ebd., S. 210. Hervorhebungen im Original. 29 Fey, Antje: Das Buch fürs Ohr wird populär. Hörbuch: Definition, Marktentwicklung und Marketingstrategien. In: Media Perspektiven (2003) H. 5. S. 231–237, S. 231. 30 Vgl.: Markgraf, Hendrik: Salonfähig. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 167 (2000) H. 92. S. 30, S. 30. Dieser Wortanteil ist auch ein Kriterium bei der Wahl zur Hörbuch-Bestenliste, die 1997 vom Börsenblatt, dem Buchjournal und dem Hessischen Rundfunk ins Leben gerufen wurde. (Vgl.: Rühr: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch, S. 122.) 31 Die Anfänge des Hörbuchs gehen bis zu der Erfindung des Phonographen durch Thomas Alva Edison im Jahr 1877 zurück, da es durch den Phonographen zum ersten Mal möglich wurde, Töne zu speichern. 1899 gab es dann die erste literarische Aufnahme. Vertont wurde damals ein Ausschnitt aus Lessings Minna von Barnhelm. (Vgl.: Travkina, Elena: Sprechwissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung vorgelesener Prosa (Hörbuch). Frankfurt am Main: Peter Lang 2010 (=Hallesche Schriften zur Sprechwissenschaft und Phonetik 34), S. 22–23.) Die erste Sprechplatte wurde 1954 herausgegeben. Dabei handelte es sich um Faust I von Goethe. Von der Goethe-Inszenierung des Düsseldorfer Schauspiels würden über 250 000 Hörexemplare verkauft. (Vgl.: Fey: Das Buch fürs Ohr

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aber noch speziell als ein Worttonträger für Blinde und Sehbehinderte verstanden wurde.32 Als erster Hörbuch-Bestseller gilt Sofies Welt, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Jostein Gaarder. Das Hörbuch erschien 1995 im Hörverlag und verkaufte sich über 25 000 mal.33 Seit den 1990er Jahren wird immer wieder ein „Hörspielboom“34 attestiert, der neben dem Erfolg von Sofies Welt wohl auch auf die hohen Absatzzahlen von Harry Potter- und Herr der Ringe-Hörbüchern zurückzuführen ist.35 Der Begriff ‚Boom‘ ist dabei jedoch kritisch zu betrachten, denn zwar steigen die Verkaufszahlen von Hörbüchern stetig an, insgesamt handelt es sich jedoch um ein kleines Segment in der Buchbranche. „Der gesamte Buchmarkt macht den Umsatz von Aldi-Süd, das Hörbuch ist also bestenfalls das Marmeladenregal“36. Das Hörbuch ist heute nicht mehr unbedingt eine Nachveröffentlichung eines Buchs, wie es noch ursprünglich der Fall war, sondern vor allem große Verlage bringen nicht selten Buch und Hörbuch zeitgleich auf den Markt. Auch auf Männer-

wird populär, S. 231.) Ein Jahr später wurde Kabale und Liebe von Schiller vertont. (Vgl.: Travkina: Sprechwissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung vorgelesener Prosa (Hörbuch), S. 22–23.) 32 Vgl.: Rautenberg, Ursula: Hörbuch. In: Reclams Sachlexikon des Buches. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Stuttgart: Reclam 2003. S. 263–264, S. 263–264. Neben Blinden und Sehbehinderten sind unter anderem auch Kinder zu der Gruppe zu zählen, die Bücher nicht ohne Hilfe konsumieren können. Doch Hörbücher sind nicht nur Kindersache, „[d]enn das Bedürfnis, vorgelesen zu bekommen, hält bis weit über die Kindheit an“. (Perrig, Severin: Stimmen, Slams und Schachtel-Bücher. Eine Geschichte des Vorlesens. Von den Rhapsoden bis zum Hörbuch. Bielefeld: Aisthesis 2009, S. 8.) 33 Vgl.: Rühr: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch, S. 121. 34 Köhler, Stefan: Hörspiel und Hörbuch. Mediale Entwicklung von der Weimarer Republik bis zur Gegenwart. Marburg: Tectum 2005, S. 8. 35 Vgl.: Fey: Das Buch fürs Ohr wird populär, S. 231. Ulrich Sonnenschein sieht einen Grund für den Boom auch in den WDR-Krimihörspielen, die in den 1990er Jahren vom Goldmann Verlag veröffentlicht wurden und Auflagenzahlen von bis zu 30 000 Stück erreichten. Hierbei handelt es sich jedoch explizit um Hörspiele und nicht um Hörbücher, so dass die von Fey erwähnten hohen Auflagenzahlen von Hörbüchern für die Untersuchung von Hörbüchern sicherlich relevanter sind. (Sonnenschein, Ulrich: Hörbuch. In: Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. Hrsg. von Erhard Schütz, Silke Bittkow u. a. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. S. 138–141, S. 140.) 36 Johannes Stricker zitiert nach N.N.: Reaktionen der Hörbuchverlage zum Negativtrend. Wenn

Preise

und

Umsätze

sinken.

In:

Buchreport.express

(2009)

H.

17.

http://www.buchreport.de/nachrichten/verlage/verlage_nachricht/datum/2009/04/29/wenn -preise-und-umsaetze-sinken.htm..

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romane trifft diese Beobachtung zu. Bei gleichzeitiger Veröffentlichung können Synergieeffekte bei der Vermarktung genutzt werden, während es das Hörbuch als Nachveröffentlichung auf dem Markt eher schwer hat, da das Interesse an den Inhalten bereits wieder verebbt ist. In unserer schnelllebigen und von Konsumgütern überschwemmten Gesellschaft ist es schließlich eher unwahrscheinlich, dass die Aufmerksamkeit der Medien lange auf einen bestimmten Text bezogen bleibt. Solange ein Text neu ist, kann er also besser vermarktet werden – egal in welcher Form.37 Diese Feststellung lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: In der Regel liegt die erste Auflage eines Hörbuchs bei ungefähr 3 000 Exemplaren. Wird das Hörbuch jedoch zeitgleich mit dem Buch veröffentlicht, wird die erste Auflage um ungefähr 50 Prozent erhöht.38 Nicht jedes Buch ist gleich gut dazu geeignet, als Hörbuch produziert zu werden. Noack nennt folgende Merkmale, die ein Text erfüllen sollte, um vertont zu werden: Das Buch sollte eine reiche, originelle aber auch griffige, überschaubare und nicht zu sehr ins epische abdriftende Geschichte aufweisen. Ein Konflikt, der die Handlung antreibt und zugleich aufstaut und ein Konflikt, der es möglich macht in das Innere der Seele der Figuren zu schauen, ist ebenfalls sehr wichtig. Hinzukommen pointierte Szenen, die gut im Gedächtnis haften bleiben und Dialoge, in denen die Handlung vorausgeahnt werden kann.39

So verwundert es nicht, dass die beliebteste Textvorlage für Hörbücher belletristische Texte sind.40 Um einen möglichst hohen Absatz eines Hörbuchs zu erreichen, werden meistens belletristische Bestseller vertont. „Die Fixierung auf Bestseller kann man wahlweise als Erfolgsrezept eines stetig anwachsenden Markts und als angeratene Vorsicht einer jungen Branche loben – oder aber als Ängstlichkeit davor schmähen, in einem neuen, entwicklungsfähigen Medium eigene Trends zu setzen.“41 In jedem Fall sind Männerromane in der Regel beides: Sie sind Belletristik

37 Vgl.: Noack: Das Hörbuch, S. 61. 38 Vgl.: ebd., S. 62. „Eine Hörbuchauflage ist gedeckt, sobald etwa 1 500 Exemplare verkauft sind.“ (Schlaffer, Hannelore: Revolution im Ohr. Hörbücher verändern den Stil der Literatur. In: Neue Zürcher Zeitung (4.9.2002). S. 55. http://www.nzz.ch/aktuell /startseite/ article89U2D-1.421052 (20.9.2014).) 39 Noack: Das Hörbuch, S. 32. 40 Vgl.: Hennig, Ute: Der Hörbuchmarkt in Deutschland. Münster: Monsenstein und Vannerdat 2002, S. 25. 41 Ebbinghaus, Uwe: Neues für die Ohren. In: Börsenblatt. Spezial Hörbuch (2005) H. 1. S. 32–35, S. 33.

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und sie sind Bestseller. Damit scheint es sich anzubieten, Männerromane auch als Hörbuch herauszugeben, und tatsächlich werden Männerromane erstaunlich oft vertont. Es liegt dabei die Vermutung nahe, dass eine mögliche Veröffentlichung des Textes als Hörbuch bereits den Schreibprozess des Autors beeinflussen könnte. So mutmaßt Schlaffer: Junge Autoren, die die Chance des Hörbuchs begriffen und ergriffen haben und schon die Erstausgabe ihres Romans von einem Hörbuch begleiten lassen, werden ihre Texte immer öfter so schreiben und die Worte, die Themen so wählen, dass sie gehört wie gelesen werden können. Das Hörbuch wird, wenn sein Markt weiterhin so wächst, den Stil der geschriebenen Literatur verändern.42

Ob der Wandel der Sprache junger Autoren tatsächlich auf den Hörbuch-Boom zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nur Spekulation bleiben. Wahrscheinlich würde man mit dieser These von Schlaffer die Wirkmacht des Hörbuchs überschätzen. Sicher ist jedoch, dass man in der Wissenschaft nicht nur zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf medialer Ebene unterscheiden kann, sondern es kann auch auf konzeptioneller Ebene zwischen gesprochener und geschriebener Sprache unterschieden werden.43 Die mediale Ebene des Männerromans ist unstrittig als das Buch zu identifizieren. Die Zuordnung bezüglich der konzeptionellen Ebene stellt sich als etwas komplizierter heraus. Hier müssen die morphologische, lexikalische, syntaktische und pragmatische Ebene geprüft werden, bevor eine fundierte Zuordnung möglich ist.44 Das vermehrte Auftreten von verkürzten Sätzen oder Satzbrüchen ist zum Beispiel ebenso ein Anzeichen für konzeptionelle Mündlichkeit wie die vielfache Verwendung von Interjektionen, Wortwiederholungen, umgangssprachlichen Ausdrücken, Gesprächspartikeln oder gehäufte polysyndetische Verknüpfungen.45 Auch an Versprachlichungsstrategien kann der Unterschied zwischen konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit ausgemacht werden. Ist eine Äußerung zum Beispiel nicht in hohem Maße informationshaltig und bemerkenswert elaboriert, ist sie eher

42 Schlaffer: Revolution im Ohr. 43 Vgl.: Koch, Peter u. Wulf Oesterreicher: Schriftlichkeit und Sprache (Writing an Language). In: Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Hrsg. von Jürgen Baurmann, Hartmut Günther u. Otto Ludwig. Berlin; New York: De Gruyter 1994. S. 587–604, S. 587. 44 Vgl.: Dürscheid, Christa: Einführung in die Schriftlinguistik. 3. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006 (=Studienbücher zur Linguistik 8), S. 49. 45 Vgl.: ebd., S. 47–48.

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der konzeptionellen Mündlichkeit zuzuordnen.46 All diese Merkmale sind in Männerromanen vorzufinden. Männerromane sind folglich zwar medial schriftlich, jedoch konzeptionell mündlich. Da sie konzeptionell mündlich sind, schaffen sie Kommunikationsbedingungen, die Vertrautheit suggerieren.47 Weil die Anwendung des Begriffs ‚Mündlichkeit‘ auf einen Roman befremdlich wirkt, soll hier vielmehr von inszenierter Oralität auf konzeptioneller Ebene die Rede sein, die als solche gelegentlich als Stilmittel in literarischen Texten verwendet wird.48 Auch der Begriff ‚Parlando‘ wird in diesem Zusammenhang oft gebraucht. Parlando-Texte zeichnen sich durch Wiedergabe einer fiktiven Redesituation aus49 und sind am ehesten mit Radiomanuskripten zu vergleichen, die zwar auch medial schriftlich verfasst, jedoch konzeptionell mündlich sind. Wie auch Radiomanuskripte sind Parlando-Texte leicht verständlich und flüssig geschrieben. Die Syntax und die Wortwahl sind simpel gehalten und Parenthesen, Ellipsen sowie Ausklammerungen werden in Anlehnung an das Gesprochene oft eingesetzt. Parlando-Texte sind außerdem meist dialogisch aufgebaut, womit Nähe zum Leser geschaffen wird.50 Durch die feste interne Fokalisierung wird in der Ich-Erzählung der Eindruck des mündlich Erzählten im Männerroman unterstrichen und ein enger Konnex zwischen der Figur und dem Leser hervorgerufen. Literarische Stilmittel werden – neben dem durchgängigen Gebrauch der Umgangssprache – eher selten genutzt. Lediglich Wortneuschöpfungen oder Metaphern sind noch zu nennen, die sich allerdings nicht durch ihre Originalität hervorheben und einem eher niederen literarischen Anspruch genügen. Es bleibt also festzuhalten, dass sowohl die inhaltliche als

46 Vgl.: ebd., S. 48. 47 Vgl.: Koch et al.: Schriftlichkeit und Sprache (Writing an Language), S. 588. 48 Vgl.: Dürscheid: Einführung in die Schriftlinguistik, S. 60. 49 Vgl.: Sieber, Peter: Parlando in Texten. Zur Veränderung kommunikativer Grundmuster in der Schriftlichkeit. Tübingen: Niemeyer 1998 (=Reihe Germanistische Linguistik 191), S. 253–254. 50 In einer Schreibanweisung für Parlando-Texte ist zu lesen: „Nimm das einzelne Wort, den einzelnen Satz nicht allzu wichtig. Schreib weiter. Formuliere so, dass sich dir die Leserin/der Leser möglichst nahe fühlt. Schreibe verständlich und baue auf das Alltagsverständnis deines Lesers. Gehe davon aus, dass der Leser/die Leserin das, was du schreibst, auch so versteht wie du. Baue auf einen verständnisvollen, einfühlsamen Leser. Rechne mit dem gesunden Menschenverstand der Leserin/des Lesers, vermeide unnötige Differenzierungen. Nimm den Inhalt wichtiger als die Form. Schreibe aus eigener Erfahrung. Schreibe authentisch.“ (Siebert, Peter: Immer schlimmer. Wie Jugendliche schreiben. In: Semikolon (2005). S. 4–7, S. 7. http://www.sal.ch/pages/immer-schlimmer--wie-jugendliche-schreiben (20.9.2014).)

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auch die sprachliche Komposition der Männerromane der Vertonung als Hörbuch sehr entgegenkommt. Das Hörbuch kann verstanden werden als eine Transformation der textlichen Grundlage „qua Performativität des Stimmlichen in einen gesprochenen, analog oder digital aufgezeichneten, je und je reproduzierbaren, wiederholbaren HörText“51. Im Hörbuch entfaltet sich sozusagen die transmediale Wirkung des Buches. „Sie liegt dort vor, wo der Buchinhalt Vorlage gibt für eine Hörbuch-Version. Dann stellt sich die Frage: Beeinflußt das Vorlesen durch eine andere Person die Rezeption des Inhalts durch Betonungen, Akzente, Klangfarben, ironische Brechungen u.dgl.?“52 In jedem Fall ist das Vorlesen eines Textes „eine Art von SinnFestlegung, eine ‚Vereindeutigung der Bedeutung‘ durch Prosodie und Sprechhaltung, Bedeutungsakzente und Tempo der Rede.“53 Außerdem kann das Vorlesen als ein Akt der Kommunikation bewertet werden. So deutet Tilla Schnickmann das Organon-Modell54 von Karl Bühler für das Hörbuch in ein Modell mit zwei Ebenen um und folgert, dass bei einer Lesung der Autor des vorgelesenen Textes als Sender zu verstehen ist. Der vorgelesene Text ist die Botschaft. Empfänger ist zunächst der Leser und spätere Sprecher des Textes. Soweit die erste Ebene. Auf einer zweiten Ebene wird dann der Sprecher zum Sender der Botschaft in Form des Textes. Durch den Lesevorgang wird laut Schnickmann der Text zu einer neuen Botschaft, die nun vom Hörer des Hörbuchs empfangen und gedeutet werden kann.55

51 Hachenberg, Katja: ‚Hörbuch‘. Überlegungen zu Ästhetik und Medialität akustischer Bücher. In: Literatur hören. Hrsg. von Katja Hachenberg u. Peter Seibert. Stuttgart: Klett 2004. S. 29–38, S. 34–35. 52 Kerlen, Dietrich: Buchwirkungsforschung – Vermessung eines Forschungsfeldes. In: Buchwissenschaft und Buchwirkungsforschung. VIII. Leipziger Hochschultge für Medien und Kommunikation. Hrsg. von Dietrich Kerlen u. Inke Kirste. Leipzig: Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft 2000. S. 99–111, S. 100. 53 Meyer-Kalkus, Reinhart: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert. Berlin: Akademie 2001, S. 461. 54 Das Organon-Modell ist ein Kommunikationsmodell, bei dem Sprache als ein Werkzeug (Organon) begriffen wird. Durch die Sprache kann ein Sender einem Empfänger eine Botschaft übermitteln. (Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. 3. Aufl. Stuttgart: Lucius und Lucius 1999 (=UTB für Wissenschaft: UniTaschenbücher 1159).) 55 Vgl.: Schnickmann, Tilla: Vom Sprach- zum Sprechkunstwerk. Die Stimme im Hörbuch: Literaturverlust oder Sinnlichkeitsgewinn? In: Das Hörbuch – Stimme und Inszenierung. Hrsg. von Ursula Rautenberg. Wiesbaden: Harrassowitz 2007. S. 21–53, S. 31–32.

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Bühler selbst hat dazu geforscht, was die Stimme über einen Sprecher verrät: „Das Ohr vermittelt uns dann und wann einen bestimmten und zwingenden Eindruck der Persönlichkeit.“56 Diese soziale Komponente der Stimme sieht Cornelia Epping-Jäger eng verbunden mit einer kulturellen Komponente, die zusammen mit der technisch-medialen Komponente die „ästhetische Valenz“ der Stimme ausmacht. Durch die Wahrnehmung der Stimme geht das Vorlesen eines Textes im Hörbuch über die reine „Kundgabe der Literatur“ weit hinaus.57 Ob die Argumentation nun direkt mit Bühler oder über sein Organon-Modell vorgenommen wird oder über den Performativitäts-Begriff, der Kern der Aussage ist letztlich der folgende: „Die Wahl des Sprechers oder der Sprecherin ist oft schon Teil der Interpretation“58 und „[j]enseits des Inhalts des jeweils Gesprochenen […] ist es die Stimme, die uns packt, gleichgültig lässt oder abstößt.“59 Daher erscheint

56 Bühler, Karl: Was erraten wir aus der menschlichen Stimme? In: Radio Wien (1931) H. 33. S. 11 Der Titel des Artikels ist auch der Wortlaut eines von Bühler im Mai 1931 durchgeführten Rundfunkexperiments im Rahmen seiner Forschungen zum Rundfunk am Psychologischen Institut an der Universität Wien. (Vgl.: Epping-Jäger, Cornelia: Kontaktaktion. Die frühe Wiener Ausdrucksforschung und die Entdeckung des Rundfunkpublikums. In: Formationen der Mediennutzung. Strategien der Verdatung. Hrsg. von Irmela Schneider u. Isabell Otto. Bielefeld: Transcript 2007. S. 55–72, S. 55.) Am 19., 21. und 22. Mai 1931 sollten jeweils drei Personen eine Vermisstenmeldung über einen entlaufenen Hund vorlesen. Ein paar Tage vor diesem Experiment erschien in der Zeitung ‚Radio Wien‘ eine Ankündigung, in der Bühler die Durchführung des Experiments wie folgt beschreibt: „[D]ie Hörer sollen jeweils folgendes von den Sprechern anzugeben versuchen: Geschlecht, Alter, Beruf […]. Es wird weiter gefragt, ob die Stimme sympathisch ist und wie der Sprecher aussieht. Unsere nächste Frage zielt auf die allgemeine Sicherheit des Sprechenden ab. […] Wenn jemand noch allgemeine Bemerkungen machen will, dann möge er sie auf einem eigenen Blatt beifügen […].“ (Bühler: Was erraten wir aus der menschlichen Stimme?, S. 11.) 57 Epping-Jäger, Cornelia: Von der anthropologischen zur medialen Stimme. In: Auditive Medienkulturen. Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung. Hrsg. von Axel Volmar u. Jens Schröter. Bielefeld: Transcript 2013. S. 99–114, S. 112. 58 Häusermann, Jürg: Zur inhaltlichen Analyse von Hörbüchern. In: Das Hörbuch. Medium – Geschichte – Formen. Hrsg. von Jürg Häusermann, Korinna Janz-Peschke u. Sandra Rühr. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2010. S. 139–232, S. 193. 59 Baßler, Moritz u. Martin Butler: Doubt to Stand. Die Stimme von Marcus Wiebusch. In: Performativität und Medialität populärer Kulturen. Theorien, Ästhetiken, Praktiken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner u. Thomas Wilke. Wiesbaden: Springer VS 2013. S. 277–298, S. 277.

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es lohnenswert, sich an dieser Stelle einmal genauer die Sprecher der Männerromane in Hörbuchform anzusehen. Die ersten Hörbücher von Tommy Jaud liest Christoph Maria Herbst, der unter anderem dreimal nacheinander den Deutschen Comedypreis für den besten Schauspieler für seine Darstellungen in der Comedy-Serie Stromberg bekommen hat. Das erste Hörbuch, in dem Herbst zu hören war, war Vollidiot. Der wollte das eigentlich selbst einlesen und stellte dann im Studio auf einmal fest: Ups, das ist ja was ganz anderes, ein ganz anderes Medium, da werde ich ja vor ganz andere Aufgaben gestellt. Und dann stand auf seiner Tanzkarte ich dann wohl an zweiter Stelle. Also gleich nach ihm. Und bin dann quasi nachgerückt. Und das war dann also meine erste Anfrage und mein erstes […] Hörbuch.60

Inzwischen ist Herbst ein gefragter Sprecher für Hörbücher und hat neben Jauds Romanen Vollidiot, Resturlaub61 und Millionär62 auch noch Nicht mein Tag63 von Ralf Husmann, Stefan Zweigs Schachnovelle64, Plötzlich Shakespeare65 von David Safier, Er ist wieder da66 von Timur Vermes und Ausgefressen67 sowie Voll Speed68

60 Herbst in: Reis, Gabriele: Audible.de Backstage. Menschen hinter Hörbüchern. Gabriele Reis spricht mit Christoph Maria Herbst. http://www.m-magazin.net/2012/08/horbarwitzig-die-top-10-der-humoristischen-horbucher-21137.html (30.8.2014). 61 Jaud, Tommy, Christoph Maria Herbst u. Frank Marienfeld: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Resturlaub. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2006 (=ArgonHörbuch). 62 Jaud, Tommy, Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Millionär. Vollidiot reloaded. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2007 (=Argon-Hörbuch). 63 Husmann, Ralf, Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Ralf Husmann, Nicht mein Tag. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2008 (=ArgonHörbuch). 64 Zweig, Stefan, Christoph Maria Herbst u. Torsten Feuerstein: Christpoh Maria Herbst liest Stefan Zweig, Schachnovelle. Ungekürzte Lesung. Berlin: Argon 2009 (=Argon Klassiker). 65 Safier, David, Anneke Kim Sarnau u. a.: Anneke Kim Sarnau und Christoph Maria Herbst lesen David Safier, Plötzlich Shakespeare. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2010 (=Argon-Hörbuch). 66 Vermes, Timur, Christoph Maria Herbst u. a.: Christoph Maria Herbst liest Timur Vermes, Er ist wieder da. Bearbeitete Fassung. Köln: Lübbe 2012 (=Lübbe Audio).

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von Moritz Matthies gelesen, die allesamt Hörbuch-Bestseller wurden. Doch begonnen hat seine Karriere als Hörbuchsprecher, wie bereits angeführt, mit Romanen von Jaud. In der Mehrzahl der Kundenrezensionen, wie man sie etwas bei OnlineBuchhändlern findet, bewerten die Hörerinnen und Hörer die eingesprochenen Jaud-Romane positiv. Meist werden die Hörbücher im Vergleich zu den Büchern sogar bevorzugt: „Das Buch dürfte selbst gelesen wahrscheinlich nicht annähernd so lustig sein, als wenn man sich die Interpretation von Christoph Maria Herbst in Hörbuchform zu Gemüte führt. […] Eine herrliche Lesung!“69 Noch schlechter bewertet wird das Medium Buch in folgender Meinung: „Die Witze, die im Buch eher flach wirken, lässt Christoph Maria Herbst plötzlich witzig werden.“70 Angesicht derartiger Meinungen wird der Mehrwert deutlich, den die Interpretation durch einen Sprecher einem Hörbuch gegenüber einem Buch verschaffen kann. Die humorvolle Art, in der Herbst die Texte von Jaud übermittelt, wird in den Lobesreden immer wieder hervorgehoben. So ist zum Beispiel auch zu lesen: „Meiner Meinung nach, hätte man niemand besseren lesen lassen können. […] Er bringt Jauds Witze absolut auf den Punkt und ich wurde seiner Stimme nie überdrüssig oder gar hat sie mich genervt.“71 Texte mit der Stimme auf den Punkt zu bringen, ist auch genau das Ziel, das Herbst selbst verfolgt. In einem Video-Interview berichtet er: Also ich bin da nicht manisch in diesen Dingen und als perfektionistisch würde ich mich irgendwie auch nicht bezeichnen, aber ich versuche schon genau zu sein. Und das Wort ‚Pointe‘ heißt ‚Punkt‘. Also du musst schon gucken, dass du bei jedweder Literatur, ob sie jetzt zum komischen Genre gehört oder zum dramatischen oder – ist wurscht – die Dinge auf den

67 Matthies, Moritz, Christoph Maria Herbst u. Oliver Versch: Christoph Maria Herbst liest Moritz Matthies, Ausgefressen. Berlin: Argon 2012 (=Argon-Hörbuch). 68 Matthies, Moritz, Christoph Maria Herbst u. Oliver Versch: Christoph Maria Herbst liest Moritz Matthies, Voll Speed. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2013 (=ArgonHörbuch). 69 Cizmadia, Melanie: Comedy-Hörtipp vom Feinsten. Tommy Jaud – Millionär. http://hoermalzu.edublogs.org/2007/08/15/comedy-hortipp-tommy-jaud-millionar/ (20.9.2014). 70 Kathrin: Ich sag nur… Sumpfhuhngackern. Rezension auf amazon.de 2008. http://www.amazon.de/gp/aw/cr/rR34I0J2444MZB6 (20.9.2014). 71 Charles: Thommy [sic!] Jaud. „Millionär“. In: Im Wunderland der Bücher 2011. http://book-wonderland.blogspot.de/2011/09/horbuch-rezension-thommy-jaud-millionar. html (20.9.2014).

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Punkt zu sprechen. Das ist dann natürlich immer mein eigener Punkt. Vielleicht sieht der Punkt des Regisseurs ganz anders aus. Gut, dann macht man es halt nochmal.72

Die Vereindeutigung der Texte durch das Vorlesen ist folglich ein performativer Akt, der dem Sprecher Herbst durchaus bewusst ist. Außerdem wird deutlich, dass nicht nur der Sprecher selbst über die Vertonung des Textes entscheidet. Vielmehr gibt es genauso wie bei Filmen auch bei Hörbüchern in der Regel einen Regisseur.73 In dem Video-Interview berichtet Herbst unter anderem auch noch von seiner Abneigung gegen Kopfhörer beim Einlesen der Bücher, da er sich dann zu sehr von der Außenwelt abgeschottet fühle. Tatsächlich ist der Sprecher bei der Aufzeichnung im Studio isoliert – ob nun mit Kopfhörern oder ohne.74 „Die Aufnahme im Studio ist der bewusste Verzicht auf Signale, die den Sprecher platzieren. Er kommt – in modernen Aufnahmen – auf diese Weise dem Zuhörer so nah, dass die Illusion möglich wird, dass sie einen einzigen Raum teilen.“75 Diese Studio-Situation ist durchweg die Variante, die in der Vertonung von Männerromanen zu hören ist. Dass die Sprecher von Männerromanen so positiv von den Hörerinnen und Hörern bewertet werden, ist nicht immer der Fall. Ein Gegenbeispiel sind die Hörbücher von Hans Rath, die von Bjarne Mädel gesprochen werden. Mädel hat wie Herbst in der Serie Stromberg mitgespielt und ebenfalls den Deutschen Comedypreis als bester Schauspieler gewonnen. Auch er hat bereits in mehreren Hörbüchern bzw. Hörspielen gesprochen, unter anderem in Herr Lehmann und Der kleine Bruder von Poproman-Autor Sven Regener. Mädel scheint ein angesehener und beliebter Schauspieler zu sein, der als Hörbuch-Sprecher jedoch tendenziell fehlbesetzt ist. „Live-Lesungen von ‚Stromberg‘-Star Bjarne Mädel mögen noch einen gewissen spröden Charme haben, doch dieses Hörbuch plätschert auf Dauer langweilig 76 dahin. Mädels etwas holpriger Vortrag ist höchstens unfreiwillig komisch.“ Der ‚spröde Charme‘ und der ‚etwas holprige Vortrag‘, der Mädel hier attestiert wird, ist in einer anderen Rezension als ein sprachlich gleichbleibender Vortrag definiert, durch den „das Hörbuch einen hohen Wiedererkennungswert“ erhält. Letztendlich wird Mädel als Sprecher aber auch hier nicht positiv bewertet: „310 Minuten ziehen sich […] eher wie Kaugummi.“ Womöglich ist die Problematik aber auch nicht bei Mädel zu suchen, sondern in der Romangrundlage zu sehen: „‚Da muss man durch‘

72 Herbst in: Reis, Gabriele: Reis: Audible.de Backstage. Menschen hinter Hörbüchern… 73 Vgl.: Diehm: Lesen Sie noch oder hören Sie schon?, S. 24. 74 Vgl.: Rühr: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch, S. 27. 75 Häusermann: Zur inhaltlichen Analyse von Hörbüchern, S. 224. 76 Hairapetian, Marc: Da muss man durch. In: Bücher. Das unabhängige Literatur- & Hörbuch-Magazin. http://www.buecher-magazin.de/rezensionen/hoerbuecher/erzaehlungenund-romane/da-muss-man-durch (1.7.2014).

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ist ein viel gelesener, leider pointenarmer deutscher Unterhaltungsroman. In dieser CD stößt er mit einem wunderbaren Schauspieler wie Bjarne Mädel zusammen – und es klingt hohl. Nein, da muss man nicht durch.“77 Es ist bezüglich Hörbüchern hin und wieder zu lesen, „[d]ass die Branche all zu sehr auf die Zugkraft der Schauspielernamen setzt“78. Dies mag hier womöglich der Fall sein: Dass Bjarne Mädel als ein hervorragender Schauspieler angesehen wird, wird in den Rezensionen zu den Hörbüchern von Hans Rath fast ebenso oft angesprochen wie der Eindruck, dass er als Hörbuchsprecher vielleicht nicht seine Berufung gefunden hat: „Ok, Bjarne Mädel ist kein ausgebildeter Hörbuchsprecher. Aber das macht im dritten Teil der ‚Paul‘-Trilogie den Charme aus, vor allem für Fans des sympathischen Schauspielers.“79 Der Fall kann selbstverständlich auch ebenso gut umgekehrt sein: Ein schlechter Schauspieler kann durchaus ein guter Hörbuchsprecher sein. Glaubt man den Hörbuchrezensionen im Internet, so ist dies zum Beispiel bei Simon Gosejohann der Fall, der die Männerromane von Matthias Sachau einspricht. Wie die anderen bisher erörterten Sprecher von Männerromanen kommt auch Gosejohann aus der Comedy-Branche. Er wirkte bei Comedy-Formaten auf dem Sender Viva mit, ist immer wieder in Produktionen von Stefan Raab zu sehen und machte außerdem bei den Serien Comedystreet und Comedy Falle mit. In einer Rezension zum Hörbuch Kaltduscher ist zu lesen: „Simon Gosejohann ist nicht mein Favorit, wenn es um Comedy geht. Seine Leistung als Sprecher bei diesem Hörbuch hat mich jedoch klar überzeugt. Gekonnt setzt er die schräge Erzählung von Matthias Sachau um“80. Dass Gosejohann zugetraut wird zu wissen, wie gutes Vorlesen funktioniert, kann auch dadurch bestätigt werden, dass er bereits Jury-Mitglied beim Deutschen Vorlesepreis war.81

77 Literaturen-Redaktion: Kurztipp. In: Cicero online. Magazin für politische Kultur 2010. http://www.cicero.de/salon/kurztipp/47157 (20.9.2014). 78 Schneider, Wolfgang: Bügeln mit „Wallensteins Tod“. In: Börsenblatt. Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel (2006) H. 46. S. 11 79 Bärmann, Christian: Was will man mehr. Rezension. In: Bücher. Das unabhängige Literatur-

&

Hörbuch-Magazin.

http://www.buecher-magazin.de/rezensionen/hoerbuecher

/erzaeh lungen-und-romane/was-will-man-mehr (1.7.2014). 80 Brinkschulte, Michael: Kaltduscher. In: Der Hörspiegel. Lesen, was hörenswert ist. Seit 2002 2009. http://www.der-hoerspiegel.de/portal/index.php?option=com_content&view =article&catid=10:humor&id=919:Kaltduscher&Itemid=2 (20.9.2014). 81 Vgl.: Schaffer, Matthias: Deutscher Vorlesepreis 2011 für Hannelore Hoger. In: Wortjunkies. Berichte vom Lesen und Hören 2011. http://www.wortjunkies.de/deutschervorlesepreis-2011-verleihung-hannelore-hoger (20.9.2014).

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In der Regel verfügt ein Autor nicht über die sprecherischen Kompetenzen eines professionellen Sprechers. Deswegen werden gerne „ghost reader“82, also professionelle Sprecher, zum Vorlesen für das Hörbuch engagiert. Da es sich bei Männerromanen um sehr pointenreiche Texte handelt, wird der Fokus der Sprecherauswahl anscheinend nicht so sehr auf die allgemeinen Sprecherqualitäten, sondern vielmehr auf die Comedy-Qualitäten gesetzt. Folglich werden hier vor allem Prominente aus der Comedy-Branche als Sprecher eingesetzt. Auffällig ist daneben, dass bei der Auswahl der Sprecher anscheinend auf das Geschlecht geachtet wird: Ebenso wie der Autor und wie die Protagonisten im Männerroman sind auch die Sprecher ohne Ausnahme männlich. Manchmal werden Männerromane auch vom Autor des entsprechenden Textes gelesen. In diesem Fall spricht man von einer ‚Autorenlesung‘. Eigentlich wird der Autor sehr gerne als Vorleser seines Textes ausgewählt, obwohl er kein professioneller Sprecher ist, denn seine Interpretation des Textes wird in der Regel nicht vom Hörer in Frage gestellt. Liest ein professioneller Sprecher den Text vor, wird i. d. R. versucht, für sich die Frage zu beantworten, ob der Text angemessen vorgelesen wird und den eigenen Erwartungen entspricht. Bei einer Autorenlesung tritt die Frage nach dem Vergleich eigener Erwartungen mit dem Gehörten bezüglich der sprecherischen Gestaltung eher zurück.83

Laut Herbst, der die ersten Romane von Jaud für die Hörbuch-Versionen gesprochen hat, hat der Autor Jaud zu Beginn seiner Karriere zu großen Respekt davor gehabt, seine Texte selbst einzusprechen. Die beiden letzten erschienenen Romane von Jaud, also Hummeldumm und Überman, hat Jaud nun aber doch selbst eingelesen. Nach dieser Änderung der Sprecherwahl wird Jaud auch in einem Interview für die Zeitschrift hörBücher gefragt. Er antwortet, dass er bei seinen Lesungen von Besuchern gefragt worden sei, warum er in den Hörbüchern zu den Romanen nicht selbst spreche. Daraufhin habe er den Schritt gewagt, dem anscheinend bestehenden Wunsch seiner Fans zu entsprechen, und seine Texte nun doch selbst einzulesen – „wohl wissend, dass es nicht jedem gefällt oder ich ständig mit Christoph Maria Herbst verglichen werde. Aber das ist mir egal.“84

82 Zymner: Lesen hören, S. 215. 83 Travkina: Sprechwissenschaftliche Untersuchungen zur Wirkung vorgelesener Prosa (Hörbuch), S. 80. 84 Bärmann, Christian: Tommy Jaud. „Die meisten meiner Urlaube waren Horror-Trips“. In: Bücher. Das unabhängige Literatur- & Hörbuch-Magazin. http://www.buechermagazin.de/magazin/gesichter-und-geschichten/interview/die-meisten-meiner-urlaubewaren-horror-trips?page=0,0 (1.7.2014).

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Tatsächlich ist der Vergleich ein Element, das in Rezensionen zu den von Jaud gelesenen Hörbüchern nur selten fehlt. In diesen wird oft hervorgehoben, dass Jaud keine schlechte Besetzung für die Lesung seiner Texte ist: „Tommy Jaud liest selbst. Und das richtig gut.“ Es wird sogar die These aufgestellt: „Den Vergleich zu seinem ‚Haussprecher‘ Christoph Maria Herbst muss er nicht scheuen“85. Gleichzeitig schreibt dieser Journalist allerdings auch, dass er seine positiven Aussagen „dem vermissten Herbst zum Trotz“86 macht. Auch an anderer Stelle wird Jauds Leseleistung überwiegend positiv bewertet, allerdings mit dem Nachtrag versehen: „Der ein oder andere wird aber wahrscheinlich die Stimme von Christoph Maria Herbst vermissen.“87 Dass sich Jaud im Vergleich mit Herbst als der schlechtere Sprecher herausstellt, ist dem Autor der Romane durchaus bewusst. So ist er beim Einsprechen an seine stimmlichen Grenzen gestoßen – „daran habe ich gemerkt, dass ich kein professioneller Sprecher bin.“ Autoren stoßen beim Lesen ihrer Romane oft an eigene Grenzen. „Viele Autoren haben Mühe damit, in ihren Text hinein zu gehen und die Rolle des Erzählers so persönlich zu übernehmen, wie es das Publikum von ihnen erwartet“88. Daneben sieht Jaud aber auch seine Vorteile, wenn er den Text als Autor einliest: „Er [Herbst, AKK] ist Schauspieler und macht das großartig, aber anders als ich. Ich hätte viele Sachen anders interpretiert als er, wobei ich in meinen Fähigkeiten und meiner Präsenz auf der Bühne natürlich limitierter bin als ein Schauspieler.“89 Ein weiteres Beispiel für einen Autor, der seinen Männerroman selbst einliest, ist Moritz Netenjakob. „Wieder liest der Autor seinen Roman als Hörbuch selbst. Wahrscheinlich, weil es wohl niemand besser machen könnte als der Comedian, denn passender geht nicht.“90 Er hat zwar nicht wie die Hörbuchsprecher Herbst und Mädel bei Stromberg mitgespielt, dafür aber für die Serie Drehbücher ge-

85 Bärmann, Christian: Hummeldumm. Gelesen von Tommy Jaud. In: hörBücher H. 4 2010. http://www.testberichte.de/d/einzeltest/hoerbuecher-214409.html#?p=230073 (1.7.2014). 86 Bärmann, Christian: Überman. Rezension. In: Bücher. Das unabhängige Literatur- & Hörbuch-Magazin.

http://www.buecher-magazin.de/rezensionen/hoerbuecher/erzaehlun

gen-und-romane/ueberman (1.7.2014). 87 Mettenborg, Jennifer: Pleite, einsam und verrückt. In: literaturmarkt.info. Der literarische Markt

in

Buchbesprechungen

2013.

http://www.literaturmarkt.info/cms/front

_content.php? idcat=93&idart=6890 (20.9.2014). 88 Häusermann: Zur inhaltlichen Analyse von Hörbüchern, S. 194. 89 Bärmann: Tommy Jaud. 90 Mettenborg, Jennifer: Hochzeit mit Klischees. In: literaturmarkt.info. Der literarische Markt in Buchbesprechungen 2012. http://www.literaturmarkt.info/cms/front_content. php?idcat=93& idart=5990 (20.9.2014).

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schrieben. Außerdem war er auch schon selbst als Comedian auf der Bühne und hatte Auftritte bei NightWash und im Quatsch Comedy Club. Im Gegensatz zu anderen Männerroman-Autoren schreibt Netenjakob damit nicht nur Comedy-Texte, sondern bietet sie auch selbst dar. Damit hat er nicht nur die ungeschriebene Qualifikation für einen Männerroman-Autor (Comedy-Texte schreiben), sondern auch für einen Männerroman-Hörbuch-Sprecher (Comedian sein). Der Vergleich mit den Erfolgen von Jaud und Herbst liegt auf der Hand: „Ein Gag-Feuerwerk in bester Tradition von Autorenkollege Jaud, gelesen im gleichen Stil wie ‚Stromberg‘Darsteller Herbst.“91 Auch bei den Hörbüchern war Jaud damit im Genre Männerroman Vorreiter und dient daher als gern und oft genutzte Vergleichsgröße. Genau deswegen soll an dieser Stelle auch eine kurze und beispielhafte Interpretation des Hörbuchs Vollidiot92 folgen, das auf dem von Jaud geschriebenen gleichnamigen Roman basiert und von Herbst gesprochen wird. Das Hörbuch erschien wie der Roman im Jahr 2004 im Argon Verlag. Es handelt sich um eine autorisierte Lesefassung93, die eine Länge von 238 Minuten hat und auf drei CDs94 gepresst worden ist. Das Cover des Hörbuchs ist mit dem Cover des Buchs beinahe identisch. Beide sind in ihrer Grundfarbe hellblau, der Name des Autors ist in weißen Lettern abgedruckt, der Romantitel in magentafarbenen. Außerdem ist auf beiden dieselbe Abbildung zu sehen, die zwei Männerfüße in unterschiedlichen Socken zeigt. Eine Änderung ist, dass der Zusatz „der Roman“, der sich auf der Buchversion befindet, auf dem Hörbuch durch „Christoph Maria Herbst“, also einen Hinweis auf den Sprecher, ersetzt wurde. Auf den ersten Blick fällt diese Änderung jedoch nicht auf und es entsteht der Eindruck, die Cover von Buch und Hörbuch seien identisch. „Die Vorderseite der Hörbuchverpackung sieht in der Regel exakt wie die der gedruckten Variante aus und vermittelt allein dadurch den Eindruck, man habe es mit dem komplett akustisch umgesetzten Buchtext zu tun“95.

91 Bärmann, Christian: Macho Man. Rezension. In: Bücher. Das unabhängige Literatur- & Hörbuch-Magazin. http://www.buecher-magazin.de/rezensionen/hoerbuecher/ erzaehlungen-und-romane/macho-man (1.7.2014). 92 Jaud, Tommy, Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Vollidiot. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Sauerländer Audio 2005. 93 Wird ein Text für eine Hörbuchfassung mit Zustimmung des Autors gekürzt, nennt man das entstandene Produkt auch ‚autorisierte Lesefassung‘ oder ‚autorisierte Hörbuchfassung‘. (Vgl.: Diehm: Lesen Sie noch oder hören Sie schon?, S. 31.) 94 „Etabliert hat sich bei den meisten Hörbüchern mittlerweile die Obergrenze von sechs CDs“. (Ebd., S. 33.) 95 Ebd., S. 50.

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Doch diese Annahme ist natürlich falsch. „Ein Taschenbuch von 200 Seiten bringt es auf immerhin zehn bis zwölf Stunden Vorlesezeit. Dies hängt natürlich vom Schriftbild und von der Sprechweise ab; aber in vielen Fällen kann die Gleichung 20 bis 30 Seiten = 1 Stunde als Richtwert gelten.“96 Nimmt man diese Information als Rechenanleitung, so lässt sich festhalten, dass der Roman Vollidiot in der vorliegenden gedruckten Form 284 Seiten umfasst, wobei das erste Kapitel auf Seite sieben beginnt. Es müssten für die Hörbuchversion folglich 278 Seiten vorgelesen werden. Für die Rechnung soll zunächst der Mittelwert von 25 Seiten pro Stunde genommen werden. Damit ergibt sich folgende Rechnung: 278 Seiten dividiert durch 25 ergibt eine Sprechzeit von 11,12 Stunden. Das vorliegende Hörbuch müsste also eine Gesamtlänge von 667,2 Minuten haben – hat jedoch nur eine Länge von 238 Minuten. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass in einer Stunde die angegebene Höchstzahl von 30 Seiten gelesen wurde, ergibt sich immer noch ein Wert von 556 Minuten, der im Widerspruch mit den angegebenen 238 Minuten des Hörbuchs steht. Der Text wurde folglich für die Hörbuchversion deutlich gekürzt und die ‚autorisierte Lesefassung‘ ist nichts anderes als eine ‚autorisierte Romankürzung zum Vorlesen‘. Das sei „Betrug am Hörbuch-Interessierten“97, scheltet der Journalist Jochen Hieber in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Literaturwissenschaftler Zymner spricht vom „Fast-Food-Hörbuch“98, wenn umfangreiche Texte für eine Hörbuchfassung gekürzt werden. Für Literatur- und Medienwissenschaftler bieten Fast-Food-Hörbücher auf jeden Fall ein spannendes Potential, sind sie doch Ergebnis einer potentiellen ästhetischen Umcodierung, die sich bei der Vertonung eines Romans ergeben kann. „Wer eine Erzählung zum Hörbuch kürzt, bemüht sich meistens darum, dass der grobe Handlungsverlauf des gesamten Textes vermittelt wird. Dies funktioniert dann problemlos, wenn der Text linear und einfach strukturiert ist.“99 Auf Männerromane trifft dies zu: Sie sind linear aufgebaut und einfach strukturiert. Eine Kürzung dürfte folglich kein großes Problem darstellen. Beim Vergleich der Buch- und Hörbuchversion fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Kapitel im Buch mit der des Hörbuchs übereinstimmt. Es wurde also kein komplettes Kapitel für die gesprochene Variante eliminiert. Allerdings wurden zwei Kapitel für die Hörbuchversion umbenannt: Aus „Das Katzenmädchen“ wurde „Danke, WMF!“ und aus „Die Poolnudeln von Yokohama“ wurde „Paula“.

96 Häusermann: Zur inhaltlichen Analyse von Hörbüchern, S. 178. 97 Hieber, Jochen: Die Zweitverwertung. Skandal: Kluges „Chronik der Gefühle“ ist Hörbuch des Monats. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2001). S. 59 98 Zymner: Lesen hören, S. 211. 99 Häusermann: Zur inhaltlichen Analyse von Hörbüchern, S. 178.

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Es lässt sich vermuten, dass die erste Umbenennung vollzogen wurde, um die Spannung des Kapitels zu halten: Die Animateurin, die Simon als ‚Katzenmädchen‘ bezeichnet, wird bereits zu Beginn des Kapitels auf Seite 44 vorgestellt. Die Rolle, die WMF in dem Kapitel spielt, bleibt jedoch bis Seite 57 unklar. Ein weiterer Grund könnte sein, dass das Katzenmädchen für den weiteren Handlungsverlauf keine Rolle spielt. Das Kapitel hat lediglich die Funktion zu verdeutlichen, dass Simon kein Glück mit Frauen hat und die Chance, mit einer so tollen Frau wie der Animateurin zusammenzukommen oder wenigstens einen One-Night-Stand mit ihr zu haben, nicht nutzt. Es stellt folglich ein Exemplum für Simons Versagen dar. In dem Kapitel „Die Poolnudeln von Yokohama“ wird hingegen Simons beste Freundin Paula eingeführt, die als Figur auch für den weiteren Verlauf der Geschichte relevant ist. Die Poolnudeln sind nur ein humoristischer Beitrag zur Geschichte. Daher kann argumentiert werden, dass das Kapitel wahrscheinlich mit „Paula“ in der Hörbuchversion einen Titel erhalten hat, der mehr Relevanz aufzeigt. Tatsächlich ist für die Vertonung des Romans der humoristische Part mit den Poolnudeln sogar als so redundant für den Verlauf der Geschichte gewertet worden, dass er komplett herausgestrichen wurde. Ergo musste dieses Kapitel zwangsläufig umbenannt werden. Anstatt also komplette Kapitel für die Hörbuchversion zu streichen, wurden immer wieder einzelne Passagen, nicht selten auch nur einzelne Sätze, aus der Buchvorlage herausgenommen. So wurde zum Beispiel aus der Textstelle „Als ich ins Taxi springe, bin ich kurz verführt, auf der anderen Seite wieder auszusteigen und blöd grinsend Mentos in die Kamera zu halten. Mach ich natürlich nicht, weil es den beknackten Spot ja schon gibt.“ (VI: 19) die gekürzte Variante „Ich spring ins Taxi“ (VIH: CD1, Track 2, 13:15-13:16). Für die Geschichte ist Simons Idee, dass er die Mentos-Werbung nachspielen könnte, redundant. Deswegen lässt sie sich ohne diegetische Probleme zu erzeugen herausstreichen. Der einzige Zweck dieser Textstelle ist eine humoristische Intention, wobei die Witzigkeit eher zweifelhaften Wert hat. Daher stellt die Streichung der Mentos-Idee keinen Verlust für den Text da. Auch längere Passagen wurden gestrichen. So erzählt zum Beispiel im Buch der Spanischlehrer seinen beiden Schülern Simon und Daniel Geschichten aus seinem Leben, während die drei in der Kneipe sitzen. Diese Textstelle zieht sich immerhin über eine halbe Buchseite (vgl. VI: 168-169). Im Hörbuch wird die Stelle beinahe komplett ausgelassen und es wird lediglich berichtet: „Soyjulián, der gar nicht Soyjulián heißt, sondern nur Julián, leert seinen Rioja und verabschiedet sich bis zur nächsten Woche“ (VIH: CD2, Track 8, 6:34-6:40). Da Julián im weiteren Verlauf der Geschichte keine Rolle mehr spielt, ist die Streichung dieser Stelle problemlos. Auch Doppelungen wurden für die Hörbuchversion vermehrt gekürzt. So wurde aus „Hallo? Geht’s noch?“ (VI: 70) die kurze Variante „Hallo?“ (VIH: CD1, Track

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5, 7:11-7:12) und bei „Die Frau hat mich in der Hand. Seit der ersten verschissenen SMS hat sie mich in der Hand, und ich bin machtlos“ (VI: 85) wurde der erste Satz gestrichen (VIH: CD1, Track 7, 7:52-7:55). Da für die Hörbuchversion anscheinend häufig Redundanzen getilgt wurden, könnte man auch im Gegensatz zu Hieber, der die Kürzungen als einen „Betrug am Hörbuch-Interessierten“ (s.o.) wertet, die Verdichtung des Textes ganz im Gegenteil als eine ästhetische Verbesserung werten. Welche Bewertung sinnvoller erscheint, ist dabei wohl von Fall zu Fall neu zu entscheiden. Für den Fall des Männerromans Vollidiot kann festgestellt werden, dass die Geschichte in summa unter den Kürzungen nicht leidet und gut nachvollziehbar bleibt. Ausnahmen bestätigen aber natürlich die Regel: So bestellt Simon im Buch sehr umständlich und nach einigen Überlegungen und Überwindungen endlich im Starbucks-Geschäft bei seiner angebeteten Marcia einen Kaffee für sich. Dazu bestellt er für seinen Freund Phil ein Sandwich und ebenfalls einen Kaffee. Schließlich nimmt er die beiden Heißgetränke und das Sandwich in Empfang und geht zu Phil, der in der Zwischenzeit abseits telefoniert hat (vgl. VI: 116-118). Diese Folge der Fakten ist schlüssig. Unlogisch hingegen ist nach großzügigen Streichungen die Variante im Hörbuch: Hier bestellt Simon ebenfalls sehr umständlich einen Kaffee für sich, nimmt schließlich zwei Kaffees und ein Sandwich in Empfang und geht zu seinem Freund herüber (vgl. VIH: CD2, Track 3, 4:23-5:18). Es stellt sich für den Hörer die Frage, warum die erhaltenen Produkte nicht mit der Bestellung übereinstimmen. Hier handelt es sich eindeutig um einen Anschlussfehler, der aufgrund der Kürzungen entstanden ist. Genauso wie im gedruckten Buch zum Beispiel Rechtschreibfehler zu finden sind, können übrigens auch im Hörbuch ähnliche Fehler gefunden werden. So fragt Simon in der Buchfassung sein Date Dörte: „‚Kochen? Wo sollen wir denn überhaupt kochen?‘“, worauf Dörte antwortet „‚Ich wohne in Köln-Deutz!‘“ (VI: 79). In der Hörbuchfassung fragt Simon „‚Was sollen wir denn überhaupt kochen?‘“ und bekommt auf die Frage nach dem ‚was‘, die Antwort auf die Frage nach dem ‚wo‘: „‚Ich dachte, du wohnst um die Ecke!‘“ (VIH, CD1, Track 7, 2:10-2:15). Neben Kürzungen wurden weitere Änderungen am Text vorgenommen. So ist in der Romanversion über Simons Freund Phil zu lesen: „er zelebriert sein Erscheinen, als hätte er einen Auftritt in Ankes Late Night Show“ (VI: 20). In der Hörbuchversion hingegen zelebriert Phil „sein Erscheinen, als hätte er einen Auftritt bei Wetten dass…“ (VIH: CD1, Track2, 14:35-14:38). Der Autor Jaud war für Anke Engelke unter anderem als Creative Producer und als Headwriter tätig (VIH: Booklet). Dass er in seinem Roman auf eine Show von Engelke anspielt, ist daher nachvollziehbar. Als bekannteste Show im deutschen Fernsehen gilt aber wahrscheinlich Wetten dass…, so dass der Vergleich mehr Kraft erhält, wenn er mit dieser Show vorgenommen wird. Außerdem ist Wetten dass… als ein Evergreen im deutschen Fernsehprogramm zu werten, während Engelkes Show relativ schnell wieder abge-

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setzt wurde.100 Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung, die Show-Namen zu ersetzen, als eine Anpassung an den Mainstream zu verstehen. In Anbetracht der vorherigen Kapitel dieser Arbeit ist daneben interessant, dass oft Pop-Anspielungen gestrichen wurden. So ertönt auf dem Handy, das Simon einem achtjährigen Mädchen im Telekom-Laden verkauft hat, in der Buchversion ein Lied von Ricky Martin, wenn man die Telefonnummer anruft (VI: 109-110). Außerdem hat das Mädchen einen Aufkleber des Popsängers aus der Jugendzeitschrift Bravo an ihrer Pinnwand befestigt (VI: 109). Im Hörbuch wird Ricky Martin überhaupt nicht erwähnt. Während außerdem im Buch vier Zeilen aus dem Lied Tag am Meer der Fantastischen Vier abgedruckt sind (VI: 153), wird im Hörbuch lediglich der Titel des Liedes genannt (VIH: CD2, Track 6, 8:54-8:56). Diese Funde können noch einmal die bereits gemachte Feststellung unterstreichen, dass Männerromane sicherlich nicht als Popromane gewertet werden sollten. Es wurden für das Hörbuch auch Änderungen am Text vorgenommen, die vermutlich als eine Anpassung an den Sprecher Herbst zu werten sind. So ist zum Beispiel der badische Dialekt von Simons Spinninginstructor (vgl. VI: 48) für die Hörbuchfassung in einen schwäbischen Dialekt umgemünzt worden (VIH: CD1, Track 4, 4:29-4:37), der Ausruf „Uhu!“ (VI: 77) wird als ein „Auhauaha!“ (VIH: CD1, Track 7, 00:27-00:28) vertont und aus „‚Iiiiiiigitt!‘“ (VI: 101) wurde „‚Bäääääääh!‘“ (VIH: CD2, Track 2, 1:09-1:11). An einer anderen Stelle spricht Herbst in unverkennbarem sächsischen Dialekt, so dass der im Roman zu findende Zusatz „fragt er mich mit leicht sächsischem Akzent“ (VI: 54) in der Hörbuchfassung nicht zu finden ist. Insgesamt werden inquit-Formeln in der Hörbuchfassung deutlich weniger verwendet. Dies liegt vor allem daran, dass Herbst in dem Hörbuch die Variante des engagierten und spielenden Erzählers verkörpert, was bedeutet, dass er Rollenspiele sowohl für den Erzähler als auch für die anderen Figuren vollführt.101 Dadurch ist es für den Hörer leicht zuzuordnen, in welcher Rolle Herbst sich gerade befindet und zusätzliche Hinweise darauf sind meistens hinfällig. Außerdem werden die Informationen, die in den inquit-Formeln gegeben werden, im Hörbuch sehr konsequent umgesetzt. So wird die Passage „‚Danke! Du hast mir das Leben gerettet!‘, stammle ich“ (VI: 45) im Hör-

100 Auch wenn Wetten dass… bald ebenfalls abgesetzt werden soll, wird die Sendung auch weiterhin eine der bekanntesten Shows in Deutschland bleiben, während Engelkes Show schon heute nicht jedem ein Begriff ist. 101 Neben dem engagierten und spielenden Erzählen ist im Hörbuch außerdem die Variante des distanzierten Erzählens denkbar, das eine vermittelnde Funktion hat, sowie das engagierte Erzählen, bei dem der Sprecher in eine Rolle für den Erzähler schlüpft, nicht jedoch für die anderen Figuren. (Vgl.: ebd., S. 210.)

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buch in „‚Danke! Du hast… du hast mir das Leben gerettet!“ (VIH: CD1, Track 4, 1:22-1:27) umgewandelt und von einem Hecheln des Sprechers begleitet. Ähnlich dem Vorwort im Buch kann es im Hörbuch ein Intro geben. In Vollidiot wird ein Intro vom Autor Jaud gesprochen. Darin erklärt er unter anderem, dass Herbst sein Lieblingsschauspieler sei, und bezeichnet das Hörbuch als eine „Binzu-faul-zum-Selberlesen“-Version des Romans. Es wird oft die These aufgestellt, dass das Hörbuch ein Medium für Lesefaule sei. Inzwischen hat sich jedoch folgende Ansicht etabliert: „Das Medium Hörbuch erschließt neue Kunden und dient zugleich als Werbeträger für das Buch.“102 Damit ist das Hörbuch eine Ergänzung zum Buch und ersetzt es nicht einfach. Dass das Hörbuch ein Medium für bildungsferne Menschen ist, konnte in der Vergangenheit mehrfach widerlegt werden. Ganz im Gegenteil konnte festgestellt werden, dass vor allem Literaturinteressierte mit einem höheren Bildungsabschluss vermehrt zu gesprochenen Texten auf Tonträgern greifen. Dazu passend gilt: Je geringer der Grad der Schulbildung ist, desto geringer ist auch das Interesse an Hörbüchern.103 Auffällig ist, dass Neukunden außergewöhnlich oft Männer sind. „Und zwar diejenigen, die vorher eher nur Sach- und Fachbücher gelesen haben, für eine lange Autofahrt jetzt aber auch schon mal nach belletristischen Bestseller-Hörbüchern greifen.“104 Der Hörverlag macht sogar eine „Generation Hörbuch“ aus, die besonders gerne zu diesem Medium greift. Nach einer Studie umfasst diese ‚Generation Hörbuch‘ Hörer zwischen 25 und 30 Jahren, wobei zu einem ähnlichen Anteil Männer und Frauen zu den Hörbuch-Hörern gezählt wurden.105 Auch Noack stellt fest, dass das Hörbuch „ein Medium für jüngere Menschen“ 106 ist. Die Zielgruppe des Männerromans ist folglich auch die Zielgruppe des Hörbuchs: Junge Erwachsene, nicht zuletzt Männer, aus eher höheren Bildungsschichten. Aus strategischen Gründen werden Buch und Hörbuch in der Regel zeitgleich veröffentlicht, um Synergie-Effekte bei der Vermarktung nutzen zu können. Der

102 Fey: Das Buch fürs Ohr wird populär, S. 237. 103 Vgl.: Noack: Das Hörbuch, S. 67. 104 Brunst, Cornelia: Voll akzeptiert. In: BuchMarkt. Das Ideenmagazin für den Buchhandel (1999) H. 7. S. 158, S. 158. 105 Vgl.: Rühr: Tondokumente von der Walze zum Hörbuch, S. 343. 106 Noack: Das Hörbuch, S. 65–66. Der Begriff „jüngere Menschen“ wird bei Noack allerdings sehr gedehnt: Zum einen werden Menschen zwischen 14 und 29 Jahren hierunter begriffen, zum anderen aber auch eine Untersuchungsgruppe mit einem Alter zwischen 30 und 44 Jahren.

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Vortrag eines Textes ist bereits als seine Interpretation zu werten, was die Wahl des Sprechers umso bedeutender macht. Männerromane werden von einem männlichen Sprecher in der Form der Lesung vertont. Während MännerromanAutoren vor allem aus dem Bereich der Comedy-Texter zu kommen scheinen, sind Sprecher oft Comedians – falls der Autor seinen Text nicht selbst vorliest. In Männerromanen ist durchweg inszenierte Oralität auf konzeptioneller Ebene vorzufinden, was nicht nur dem Zeitgeist entspricht, sondern zugleich die Vertonung der Romane als Hörbücher vereinfacht. Wie andere Texte auch werden Männerromane für die Hörbuch-Version meistens drastisch gekürzt. Da Männerromane linear aufgebaut und einfach strukturiert sind, stellt ihre Kürzung kein großes Problem dar. Die Adressaten der Männerromane scheinen identisch mit denen von Hörbüchern zu sein, weswegen eine Doppel-Vermarktung in beiden Medien sinnvoll erscheint.

F ILME In dem bereits erwähnten Video-Interview zu den Hörbüchern von Jaud äußert sich der Sprecher Herbst unter anderem wie folgt über seine Arbeit: „Es ist Kopfkino. Ja. Ich möchte ja im besten Falle, dass es hinterher für die Hörerin und den Hörer auch Kopfkino ist“107. Mit ähnlicher Intention drehte der Hörverlag im Jahr 2008 einen 35-sekündigen Kinospot mit dem Schauspieler Hubertus Hiess unter dem Motto „Das Ohr sieht mehr“. Trotz dieser schönen Wendungen ist ein Hörbuch natürlich noch lange kein Film und es scheint nur konsequent, nach der Betrachtung, was mit einer Männerromanvorlage passiert, wenn sie in ein Hörbuch gewandelt wird, nun einen Blick darauf zu werfen, wie der Medienwechsel zum Film funktioniert und welche Konsequenzen er für den Text hat. „Tatsächlich stellt die Untersuchung von Literatur-, insbesondere von Romanverfilmungen wohl den bisher am besten erforschten Bereich des Intermedialen dar“108, nichtsdestotrotz sind bisher keine wissenschaftlichen Analysen zu Verfilmungen von Männerromanen bekannt – eine Lücke, die im Folgenden geschlossen wird. Doch zunächst soll ein kurzer Blick auf die Entwicklung der Verfilmung geworfen werden, denn „[e]gal, worauf sich der Film bezieht, ob auf einen Roman, ein Musical, ein Hörspiel, er ist zunächst und ausschließlich Film.“109 Im Jahr 1896

107 Reis: Audible.de Backstage. Menschen hinter Hörbüchern… 108 Rajewsky: Intermedialität, S. 23. 109 Hickethier, Knut: Film und Fernsehen als Text. Zum medienwissenschaftlichen Umgang mit dem Textbegriff. In: Film–Text–Kultur. Beiträge zur Textualität des Films.

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drehte Louis Lumière kurze Episoden nach Motiven von Johann Wolfgang Goethes Faust.110 Der „meistverfilmte literarische Stoff überhaupt“111 ist jedoch nicht von Goethe, sondern Alexandre Dumas Der Graf von Monte Christo. Die beiden Autoren Arthur Schnitzler und Gerhard Hauptmann kooperierten im Jahr 1912 mit der dänischen Nordisk Filmkompagnie und schrieben an Drehbüchern mit. Es entstanden sogenannte ‚Autorenfilme‘, wie zum Beispiel Liebelei von Schnitzler oder Atlantis von Hauptmann. In der amerikanischen Filmindustrie wurden kongruent ebenfalls Zusammenarbeiten mit Autoren eingeführt, zum Beispiel mit Ernest Hemingway oder William Faulkner.112 Albersmeier stellt fest: „Im Zeitalter von Medienwechseln und Intermedialität wäre es wenig sinnvoll, die Verfilmung von Literatur als Einbahnstraße zu begreifen: Längst werden nach Filmen und Fernsehspielen Romane geschrieben.“113 Außerdem steigt nach der Verfilmung eines Romans oft die Auflagenzahl an und Jaud hat zum Beispiel nach der Verfilmung von Vollidiot mit Vollidiot. Filmbuch114 das Buch zum Film veröffentlicht. Im Gegensatz zum ursprünglichen Roman sind auf dem Cover des Filmbuchs nicht mehr nur Männerbeine zu sehen, sondern, ebenso wie auf dem Filmcover, der Schauspieler Oliver Pocher, der allerdings ebenso zwei verschiedene Socken trägt. Die restliche Gestaltung des Covers wurde weitestgehend übernommen. An der Neuvermarktung des Romans nach der Verfilmung zeigt sich, dass intermediale Produkte nicht zuletzt verkauft werden wollen: „Der Film ist innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft eine Ware wie andere Waren auch.“115 Und so ist es „ein wesentlicher ökonomischer Faktor, das Material eines erfolgreichen Romans auch als Film zu verwerten.“116 Da sich in diesen Fällen immerhin

Hrsg. von John Bateman, Matthis Kepser u. Markus Kuhn. Marburg: Schüren 2013. S. 116–138, S. 117. 110 Vgl.: Sölkner, Martina: Über die Literaturverfilmung und ihren ‚künstlerischen Wert‘. In: Literatur im Film. Beispiele einer Medienbeziehung. Hrsg. von Stefan Neuhaus. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. S. 49–62, S. 49. 111 Ebd., S. 50. 112 Vgl.: ebd., S. 54. 113 Albersmeier, Franz-Josef: Von der Literatur zum Film. Zur Geschichte der Adaptionsproblematik. In: Literaturverfilmungen. Hrsg. von Franz-Josef Albersmeier u. Volker Roloff. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989. S. 15–37, S. 17. 114 Jaud, Tommy: Vollidiot. Filmbuch. Frankfurt am Main: Fischer 2007. 115 Kracauer, Siegfried: Kino. Essays, Studien, Glossen zum Film. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 19. 116 Monaco, James: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000 (=60657), S. 45.

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schon der Roman gut verkauft hat, ist die Erwartung der Verlage, dass sich auch der dazugehörige Film gut verkaufen lassen wird. Daneben werden häufig auch noch andere Produkte wie Soundtracks zum Film mitvermarktet.117 Eine der größten Gemeinsamkeiten von Roman und Film ist sicherlich das Narrative. „Egal, was geschieht, es wird erzählt.“118 Nur wie erzählt wird, unterscheidet sich natürlich teilweise sehr voneinander. Diese Unterschiede sind nicht zuletzt mit den verschiedenen technischen Möglichkeiten zu begründen, deren sich Roman und Film bedienen können. Aber auch die Zeitfrage ist bezüglich der Narration relevant: „Ein Drehbuch hat durchschnittlich 125-150 Typoskript-Seiten, ein landläufiger Roman das Vierfache.“119 Die Narration muss folglich stark gekürzt werden. So wie die Auswahl der Stimme beim Hörbuch schon als Interpretation des Textes gewertet werden kann, ist sicherlich auch die Wahl der Schauspieler für die Verfilmung als eine Interpretation des Romantextes zu verstehen. Besonders die Rolle des Protagonisten scheint hierbei von Bedeutung zu sein. Der Hörbuch-Sprecher und vor allem Schauspieler Herbst hätte gerne auch in dem Film Vollidiot120 (2007) die Hauptrolle gespielt und wurde zunächst sogar als Besetzung in Erwägung gezogen.121 Doch für die Rolle war Herbst ungefähr zehn Jahre zu alt. Der Regisseur Tobi Baumann bemerkte hierzu: „Es wäre eine ganz andere, wohl auch tragischere Geschichte geworden, wenn die Hauptfigur plötzlich kein Endzwanziger, sondern

117 Auf dem Soundtrack zu Vollidiot ist auch der Titelsong „Ich kann nix dafür“ von Nena (alias Gabriele Susanne Kerner), Oliver Pocher und Stephan Remmler (bekannt geworden mit Trio) zu finden. Es handelt sich bei dem Lied um ein Cover von „Young Folks“ der schwedischen Gruppe Peter, Bjorn & John (mit Victoria Bergsman von The Concretes). (Nena, Olli und Remmler: Ich kann nix dafür. In: Vollidiot. Der Soundtrack zum Kinofilm: Edel 2007) Der Titelsong war insgesamt 14 Wochen lang in den deutschen Charts und erreichte mit dem zehnten Platz seine Höchstplatzierung. 118 Neuhaus, Stefan: Literatur im Film. Eine Einführung am Beispiel von Gripsholm (2000). In: Literatur im Film. Beispiele einer Medienbeziehung. Hrsg. von Stefan Neuhaus. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008. S. 11–30, S. 17. 119 Monaco: Film verstehen, S. 45. 120 Baumann, Tobi; Tommy Jaud u. Christian Zübert: Vollidiot. Mit: Pocher, Oliver; Engelke, Anke; Wenzel, Tanja; Feuerstein, Herbert. Prod.: Burgemeister, Sven u. Christoph Müller. Deutschland 2007. 121 Vgl.: Lange, Nadine: Für immer Single. Christoph Maria Herbst liest Tommy Jauds „Vollidiot“ 2007. http://www.tagesspiegel.de/kultur/tagestipps/lesungchristoph-mariaherbst-liest-tommy-jauds-vollidiot-fuer-immer-single/1006978.html (20.9.2014).

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ein Enddreißiger gewesen wäre.“122 Also wurde weitergesucht und schließlich der Comedian Oliver Pocher verpflichtet, der in dem passenden Alter war. Außergewöhnlich ist, dass Pocher sich selbst als mögliche Besetzung für die Figur des Simon Peters ins Gespräch brachte. Nachdem sich Baumann eine Show von Pocher im Quatsch Club angesehen hatte, hat Pochers Managerin offiziell bei Baumann angefragt, ob er sich nicht Pocher für die Rolle vorstellen könne. Auch Jaud stellte Überlegungen zu der Besetzung an: „Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto besser gefiel mir die Idee, dass Oli den Simon spielt.“123 Und ‚Oli‘ Pocher gefiel die Idee sowieso, denn nach eigener Aussage hatte er das Buch gelesen und sofort die Rolle übernehmen wollen, weil er so viele Parallelen zwischen sich und Simon gesehen hat. Als Jaud davon hörte, dass Pocher sich so gut mit Simon identifizieren könne, antwortete er auf Pochers Aussage laut einer Anekdote mit dem Kommentar: „Die arme Sau!“ In einem Pressetext witzelte Jaud außerdem darüber, dass Pochers Wohnung tatsächlich erschreckend viele Ähnlichkeiten mit der Wohnung von Simon im Roman habe.124 Mit der Besetzung von Pocher ist Jaud vollkommen zufrieden: „[N]ach dem ersten Gucken des fertigen Films muss ich sagen: Der läuft genauso verstrahlt durch den Film wie mein Held durchs Buch. Er spielt den Simon Peters genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe, und sieht auch so aus.“125 Doch nicht nur Pocher und Jaud finden viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Comedian und der Romanfigur, sondern auch die Presse sieht Pocher teilweise als eine gute Besetzung für die Verfilmung an. So schreibt zum Beispiel ein Filmmagazin: „‚Vollidiot‘ ist eine spritzige Komödie, die perfekt für Oliver Pocher geeignet ist. Pocher ist kein Schauspieler, er ist er selbst.“126 In einem Interview für die Morgenpost stellt der Journalist gegenüber Pocher fest: „Sie bei der Verfilmung des Erfolgsbuchs ‚Vollidiot‘ in der Titelfigur zu besetzen, passt wie ‚Arsch auf Eimer‘.“127 Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet ähnlich über Pocher,

122 Baumann zitiert nach Laumann, Jörg: „Wir wollten einen schmutzigen Film“. Baumann & Jaud. http://www.kino.de/news/wir-wollten-einen-schmutzigen-film/230484 (20.9. 2014). 123 Jaud zitiert nach ebd. 124 Vgl.: Zander, Peter: Wie viel „Vollidiot“ steckt in ihm? Interview mit Oliver Pocher. In: Die Welt online 2007. http://www.morgenpost.de/kultur/article650581/Wie-vielVollidiot-steckt-in-ihm.html / http://www.welt.de/kultur/kino/article802209/Wie-vielVollidiot-steckt-in-ihm.html (20.9.2014). 125 Jaud zitiert nach Laumann: „Wir wollten einen schmutzigen Film“. 126 Osteried, Peter: Vollidiot. In: Movieman. Deutschlands schnellstes Filmmagazin. http://www.movieman.de/Film.php?mid=17898&nid=2630 (6.2.2014). 127 Zander: Wie viel „Vollidiot“ steckt in ihm?

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bloß in seriöserer Wortwahl: „‚Vollidiot‘ ist ganz und gar Pochers Film.“128 Später heißt es in dem Artikel: Das Fernsehen steht ihm gut. So würde man ihn leicht übersehen, aber das Querformat und die innere Illumination des Bildschirms verhelfen seiner schmalen Statur zu einer optimalen Erscheinung, er füllt den Schirm glänzend aus, jeden Schirm. Als einer der wenigen funktioniert er als Gast, als Moderator, als Comedian, als Sidekick und Außenwettenmoderator. Selbst auf You-Tube wirken seine Sketche, er beherrscht die kurze wie die lange Strecke – und bleibt dabei immer er selbst, wiedererkennbar und gleich gut.129

Dass Pocher in der Rolle so authentisch wirkt, hängt sicherlich auch damit zusammen, dass er zur Zielgruppe des Romans gehört und sich mit der Hauptfigur und seinen Problemen identifizieren kann. Doch nicht jeder ist ein Pocher-Fan, und so wird er zum Beispiel auf Spiegel online als „Fratzenminimalist“ beschimpft. Pocher scheint folglich zu polarisieren. Die Beleidigung wird auch noch näher ausgeführt: „Schließlich beherrscht er nur knapp zwei Gesichtsausdrücke: Mal sind die Augen stupide aufgerissen und der Mund ist stumpf geschlossen, mal sind die Augen stumpf geschlossen und der Mund ist stupide aufgerissen.“ Dass Pocher kein ausgebildeter Schauspieler ist, wird in dem Film schnell klar. Er ist in erster Linie Comedian. Doch auch die Fähigkeit, lustig zu sein, wird Pocher auf Spiegel online abgesprochen und es ist zu lesen: „So poltert sich Pocher als Handy-Verkäufer Peters auf der Suche nach der großen Liebe durch Porno-Witze und Single-Tristesse, ohne auch nur einen Gag geschweige denn eine Gefühlsregung richtig ausspielen und platzieren zu können.“130 In der Westdeutschen Zeitung wird Pocher ebenfalls das komödiantische Talent abgesprochen: „Als ‚Vollidiot‘ laviert er sich redlich durch die Szenerie, versäbelt mit seiner leierigen Sprachmelodie aber manchen gut gemeinten Gag.“ In dem Film wird Pocher immer wieder als reale Person eingebracht: In einer Szene, die in einem Kinderzimmer gedreht wird, hängen nicht wie im Roman Ricky-Martin-Poster, sondern neben Tokio Hotel hängt ein Bild von Pocher. Auch hier wird damit wieder deutlich, wie austauschbar die Musikanspielungen in Vollidiot sind, so dass Vollidiot in keinem Fall als Poproman gehandelt werden sollte.

128 Nils: Ich bin dann mal da. Oliver Pocher. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 2007. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/oliver-pocher-ich-bin-dann-mal-da-1434693. html (20.9.2014). 129 Ebd. 130 Buß, Christian: Pocher-Film „Vollidiot“. Witze für die Generation Media Markt. In: Spiegel online 2007. http://www.spiegel.de/kultur/kino/pocher-film-vollidiot-witzefuer-die-generation-media-markt-a-476746.html (20.9.2014).

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Neben der visuellen Anspielung auf Pocher werden auch noch weitere Anspielungen gemacht, zum Beispiel auf die Zeugen Jehovas, zu deren Mitglied sich Pocher zählte. Außerdem wird mehrmals auf die Werbe-Kampagne von Media Markt rekurriert, bei der Pocher mitgewirkt hat („Lasst euch nicht verarschen“). Doch diese ständigen selbstreferentiellen Anspielungen finden in der Westdeutschen Zeitung keinen Anklang. Ganz im Gegenteil wird festgestellt: „‚Vollidiot‘ reduziert sich damit auf eine One-Man-Show im Dienste der Marke Pocher.“131 Auf Spiegel online ist zur Selbstreferentialität zu lesen: Hauptdarsteller Pocher vergeigt in „Vollidiot“ nicht nur die schönen Anspielungen auf die Image-Kampagnen der Telecom [sic] oder den grotesken Expansionismus amerikanischer Milchkaffeeanbieter, sondern suhlt sich dazu auch noch in öder Selbstbezüglichkeit.132

Pocher zeigt in Vollidiot sicherlich ein diskutierbares schauspielerisches Talent und er ist ein Comedian, der stark polarisiert. Es muss jedoch auch festgehalten werden, dass er besonders von dem Teil der Gesellschaft gekannt und gerne gesehen wird, der auch die Zielgruppe des Romans Vollidiot darstellt, nämlich von jungen Erwachsenen. Damit ist die Besetzung der Figur Simon mit Pocher als eine strategische und nicht zuletzt kommerzielle Entscheidung zu deuten. Daneben ist der Film ebenso wie der Roman mit zahlreichen humorvollen Passagen gespickt, was bereits im entsprechenden Kapitel zum Humor näher erörtert wurde. Es liegt daher nahe, die Rolle des Simon mit einem Comedian zu besetzen, der darin geübt ist, lustige Szenen darzustellen. Außerdem war Pocher nicht nur im passenden Alter, sondern konnte sich nach eigener Aussage auch mit dem Protagonisten im Roman identifizieren. Wenn man diese Aspekte zusammennimmt, gehörte Pocher sicherlich trotz aller Kritik zum Kreis derjenigen, die als optimale Besetzung für Simon gewertet werden können. Im Roman ist Pocher jedoch irrelevant, er wird nicht einmal am Rande erwähnt. Anspielungen auf ihn und sein Leben wurden erst für den Film geschrieben. Überhaupt musste der Roman für die Verfilmung stark geändert und gekürzt werden. Die Problematik des Kürzens ist auch beim Hörbuch gegeben: „Die gekürzten Hörfassungen jedenfalls sind ein großes Übel, sie entwürdigen das Hörbuch zum minderen Medium – und sie entwürdigen die Literatur.“133 Ganz in diesem Sinne laute-

131 Gantzkow, Sven: „Vollidiot“. Mit dem Fuß im Fettbottich. In: Westdeutsche Zeitung (11.4.2007). http://www.wz-newsline.de/home/kultur/film/kino/komoedie-vollidiot-mitdem-fuss-im-fettbottich-1.462143 (20.9.2014). 132 Buß: Pocher-Film „Vollidiot“. 133 Hieber: Die Zweitverwertung.

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te auch lange die Kritik, dass ein Film per se weniger ästhetischen Wert habe als ein Buch. Selbst einer Literaturverfilmung wurde oft weniger Wert zugetraut als einem Buch, so dass Literaturverfilmungen manchmal gar die Möglichkeit abgesprochen wurde, eine „hochkulturelle Form“ darstellen zu können.134 Doch die Zeiten haben sich geändert und im Prinzip gab es auch schon immer Wertungen, die nicht derart negativ für den Film ausfallen, sondern versuchen, beide Medien gegeneinander abzuwägen: „Während der Film mehr oder weniger kontinuierliche Realität vorführen kann und somit ein Optimum an sinnlicher Präsentation und Genauigkeit zu bieten scheint, ist es die Stärke der Literatur, Präzision als begriffliche Benennung zu leisten.“135 Im Vergleich mit dem Medium Hörbuch ist es sicherlich so, dass dem Hörbuch Kürzungen und Veränderungen gegenüber der Romanvorlage übler genommen werden als dem Film. Das hängt nicht zuletzt mit der gängigen Praxis zusammen: „Wird beim Hörbuch bislang strikt darauf geachtet, lediglich Passagen oder Sätze wegzukürzen, aber den ursprünglichen Text weder zu modifizieren noch zu erweitern, so wird bei der Drehbuchherstellung teilweise radikal umgeschrieben und hinzugefügt.“136 Entsprechend sind auch Jauds Romane für die Verfilmungen deutlich geändert worden, wobei nicht zuletzt zahlreiche Kürzungen vorgenommen wurden. „Als Autor bedeutet das auch auf Lieblingsnebenfiguren verzichten. Alles muss schneller werden. Ein Film verlangt stets nach Rasanz.“137 Gestrichen wurden für die Verfilmung zum Beispiel die Passagen im Fitnessstudio oder der Ausflug von Simon und Flick ins Fußballstadion. Außerdem werden im Film nicht die fünf Single-Phasen erwähnt, obwohl sie im Roman von großer Bedeutung sind und ihn sogar rahmen. Die Hintergründe für die „30C“, die die Nummer des Regals ist, in dem Simon in dem Ikea-Geschäft seinen Single-Sessel findet, werden zwar im Film kurz angerissen, jedoch bei weitem nicht so ausführlich erörtert wie im Roman. Dennoch sind im Film zahlreiche Verweise auf die 30C zu finden: So ist 30C die Liniennummer des Busses, der zu sehen ist, bevor der Sessel verbrannt wird, und als Simon im

134 Vgl.: Beutelschmidt, Thomas, Henning Wrage u. a.: „Das Buch zum Film, der Film zum Buch“. Annäherung an den literarischen Kanon im DDR-Fernsehen. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2004 (=Materialien, Analysen, Zusammenhänge 9), S. 18. 135 Wieselhuber, Franz: Das literarische Werk im Medienwechsel. Ein Beitrag zur Funktionalisierung der Medien für die Ästhetik literarischer Werke. In: Literatur in Film und Fernsehen. Von Shakespeare bis Beckett. Hrsg. von Herbert Grabes. Königstein: Scriptor 1980. S. 131–148, S. 147. 136 Diehm: Lesen Sie noch oder hören Sie schon?, S. 43. 137 Jaud zitiert nach Athanassiou, Dimitrios: „Resturlaub“. Interview mit Tommy Jaud 2011. http://www.spielfilm.de/news/1001002/resturlaub-tommy-jaud (20.9.2014).

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Film den Sessel verbrennt, brennt unerklärlicherweise auch eine 30C auf dem Parkplatz. Außerdem wohnt Marcia im Film im dritten Obergeschoss und als Simon vor ihrem Haus steht und abwägt, ob er klingeln soll, arbeiten die Kameraeinstellung und Simons Daumenhaltung so zusammen, dass nicht „3.OG“ zu sehen ist, sondern „3.OC“, was als 30C gedeutet werden kann. Diese Anspielungen sind eigentlich nur für Kenner des Romans verständlich. Annette Simonis stellt in anderem Zusammenhang fest, eine „Adaption kann daher auch als ein ästhetisches Spiel mit den Vorlagen und dem Wissen des Lesers […] begriffen werden.“138 Derartige Verweise auf das Ursprungsmedium können verstanden werden als „ein spielerisches Abrufen der Prätexte und eine augenzwinkernde Kontaktaufnahme mit dem neugierigen sowie wissenden Rezipienten, Leser, Zuhörer oder Betrachter.“139 Damit ist in dem intermedialen Phänomen des Medienwechsels vom Roman zum Film Vollidiot an den Stellen, an denen im Film die 30C auftaucht, auch ein transmedialer Bezug zu finden. Denn hier werden transmediale Verweise gemacht, „die den Rezipienten zu einem vergleichenden Blick einladen und die mit einer Bewusstwerdung der betreffenden Assoziationen aus dem kulturellen Gedächtnis, und seien sie auch nur bruchstückhaft präsent, rechnen und ohne jene nicht ‚funktionieren‘ würden bzw. kaum lesbar wären.“140 Ohne das Wissen um die Bedeutung der 30C im Roman bleiben die Bezüge im Film ohne viel Sinn. Erst der Rückbezug auf das Ursprungsmedium Roman gibt der 30C ihre Bedeutung. Deutlich gekürzt wurde der Single-Urlaub, der im Roman ein komplettes Kapitel beansprucht und im Film nicht mehr als einen Gag am Rande darstellt. Auch größere und kleinere Änderungen wurden vorgenommen: im Buch heißt Simons ehemalige Freundin Julia und sie taucht nicht als Figur auf, sondern wird lediglich erwähnt. Im Film heißt die Ex-Freundin Tina und ist durchaus von Relevanz. Damit ist für den Film die Figur der Tina hinzugekommen. Gestrichen wurde dafür Simons Freund Phil. Statt Phil ist im Film Steve, ein irischer Kneipenbesitzer, ein guter Freund Simons. Auch im Roman kommt ein Kneipenbesitzer vor, der jedoch nicht von Bedeutung für die Handlung ist. Für den Film sind daher sozusagen Phil und der Kneipenbesitzer zu der Figur Steve verschmolzen. Das jeweilige Ende von Roman und Film unterscheidet sich deutlich: Im Roman wird angedeutet, dass Simon möglicherweise Interesse für seine Chefin, die

138 Simonis, Annette: Literarizität und Medialität zwischen den Künsten. Zur Neubestimmung der Funktion des Ästhetischen im Kontext inter- und transmedialer Forschungsinteressen. In: Literaturwissenschaft heute. Gegenstand, Positionen, Relevanz. Hrsg. von Susanne Knaller u. Doris Pichler. Göttingen: V & R Unipress 2013. S. 57–82, S. 80. 139 Ebd. 140 Ebd.

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‚Eule‘ genannt wird, entwickelt. Im Film hingegen steht Simon am Ende auf einem Parkplatz vor einem Ikea-Geschäft, verbrennt seinen Single-Sessel und sieht eine andere Frau, die ebenfalls auf dem Parkplatz einen Single-Sessel verbrennt. Es wird angedeutet, dass womöglich Simon und diese Frau ein Liebespaar werden könnten.141 Obwohl also auch ein Happy End mit der Eule denkbar gewesen wäre, wurde das Happy End mit der unbekannten Frau bevorzugt. Da die Eule im Film mit Anke Engelke besetzt wurde, wäre ein Zusammenkommen von Simon und der Eule verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Engelke ungefähr 13 Jahre älter ist als Pocher. Die Frau, die Simon stattdessen auf dem Parkplatz trifft, wird von Marleen Lohse gespielt, die ungefähr sechs Jahre jünger als Pocher ist. Sich diese beiden als Paar vorzustellen, entspricht eher den gängigen Klischees. Für die Verfilmung wurde übrigens nicht nur das Ende von Vollidiot umgeschrieben, wie Jaud erklärt: „Das Ende in Resturlaub habe ich für den Film ebenfalls umgeschrieben. Im Buch kommt Pitschi einfach zu gut davon.“142 Im Roman kann der Protagonist mit dem Namen ‚Pitschi‘ noch rechtzeitig einen von ihm geschriebenen Brief vor seiner Freundin Sabine verstecken. In dem Film entdeckt Sabine den Brief, liest, dass Pitschi nicht mehr mit ihr zusammen sein möchte, und trennt sich daraufhin von Pitschi. Doch Pitschi kämpft um Sabine und als er ihr deutlich machen kann, dass er doch mit ihr in einem Haus im Grünen seinen Lebensabend verbringen möchte, steht einem Happy End dann letztlich auch im Film nichts mehr im Weg. Für die Verfilmung von Resturlaub143 wurden ebenso wie für die Verfilmung von Vollidiot zahlreiche Änderungen vorgenommen. Mit dem Endprodukt ist Jaud alles andere als zufrieden: „Autoren sind nie zufrieden, und ich finde, man muss den Film vom Buch trennen.“144 Ein Wunsch, der sicherlich ein Wunsch bleiben wird. Positive Worte für das Resultat der Verfilmung findet Jaud natürlich trotz sei-

141 In einer ersten Film-Fassung stand Simon noch am Ende mit brennender Hose auf dem Parkplatz, doch Testvorführungen haben ergeben, dass sich vor allem die Zuschauerinnen stattdessen lieber ein Happy End gewünscht haben, so dass die Schlussszene neugedreht wurde. 142 Athanassiou: „Resturlaub“. 143 Zwischen den Verfilmungen von Vollidiot (2007) und Resturlaub (2011) schrieb Jaud unter anderem das Drehbuch für Zwei Weihnachtsmänner (2008), eine Fernsehkomödie mit den Schauspielern Bastian Pastewka und Christoph Maria Herbst. Regisseur war wie schon bei Vollidiot Tobi Baumann. Der Film erhielt 2009 den Deutschen ComedyPreis in der Kategorie „Beste TV-Komödie“. 144 Jaud zitiert nach Blöchl, Bernhard: Schreiben lernen mit Tommy Jaud. In: creativeminds. Das Karrieremagazin für kreative Köpfe 2011. http://creativemindsmag. de/schreiben-lernen-mit-tommy-jaud-teil-1/ (20.9.2014).

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ner Unzufriedenheit: „Wenn ich aber abschalte – was mir einmal sogar schon gelungen ist – und mir einfach nur diesen Film angucke, als hätte ich ihn nie gesehen, dann finde ich ihn wunderbar. Eine wunderbare, leichte Kinokomödie.“145 Die Schwierigkeit, die sich für Jaud bei der Verfilmung ergibt, ist vor allem, dass er noch weniger selbstbestimmt arbeiten kann: „Beim Roman hab ich meinen Lektor und den Verlag, den ich mit einbeziehe – aber in der Regel lassen die mich in Ruhe.“146 Beim Film hingegen haben viele Leute ein Mitspracherecht, in dem Fall von Vollidiot nicht zuletzt auch Christian Zübert, mit dem Jaud zusammen das Drehbuch für den Film schrieb. Einen Roman in ein Drehbuch umzuändern macht viel Arbeit und so beklagte sich Jaud in einem Interview: „Wenn ich den Film sehe, habe ich 17 Drehbuchfassungen, 180 Gespräche mit Dramaturgen und 19 verschiedene Musiken im Kopf.“147 Dabei hatte Jaud beim Schreiben des Drehbuchs einen ganz konkreten „Film“ im Kopf. Dieser ist jedoch nicht der Film, der nun für jeden sichtbar ist. Nein, das ist ein komplett anderer Film. Das ist aber gar nicht schlimm. Jeder Leser hat einen eigenen Film vor Augen, und das können sehr teure Filme sein, die 20 oder 30 Millionen Euro kosten würden. Und alle stellen sich ihre Lieblingsschauspieler vor. Bei der Verfilmung eines Romans muss man die gesunde Mitte finden – in der Gewissheit, dass man es nicht allen rechtmachen kann.148

Nicht einmal sich selbst konnte es Autor Jaud recht machen: „Auf einmal haben die Personen Gesichter. Die Stadt hat ein Gesicht, der Film bekommt ein Gesicht, und die Geschichte wird eine andere Geschichte als jene, die man geschrieben hat.“149 Für Jaud zieht der Medienwechsel vom Roman zum Film damit immer auch einen Wechsel der Geschichte nach sich. „Da gerät der Roman, eigentlich schon ab dem ersten Drehbuchschreibtag, ein bisschen unter die Räder: […] So schmerzhaft das für den Autor ist – von der Eins-zu-eins-Adaption muss man sich verabschieden.“150

145 Jaud zitiert nach ebd. 146 Jaud zitiert nach ebd. 147 Jaud zitiert nach ebd. 148 Jaud zitiert nach Baumann, Gunther: Bestseller-Autor Tommy Jaud im Interview. Jaud über Erfolg und die aktuelle Verfilmung seines Romans „Resturlaub“. In: Oe24.de (12.8.2011). http://m.oe24.at/kultur/Bestseller-Autor-Tommy-Jaud-im-Interview-ueberVerfilmung-von-Resturlaub/37112592 (20.9.2014). 149 Jaud zitiert nach ebd. 150 Jaud zitiert nach Blöchl: Schreiben lernen mit Tommy Jaud.

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Doch nach welchen Regeln funktioniert das Umschreiben eines Romans in einen Film? Es ist naheliegend, dass sich die Drehbücher der Verfilmungen an generellen Drehbuch-Regeln orientieren. Eines der bekanntesten Muster, nach denen Geschichten verlaufen, ist das der Heldenreise. In dem Buch The Hero with a Thousand Faces151 (1949) beschreibt Joseph Campbell das Motiv der Heldenreise und seine Zyklen. Das Buch ist ein Klassiker über Mythologie und die Heldenreise. Es wurde im Jahr 2011 vom Time Magazine zu den 100 besten und einflussreichsten nicht-fiktionalen Büchern in englischer Sprache seit der Gründung dieses Magazins im Jahr 1923 gewählt.152 Unter anderem basierend auf dem Modell von Campbell entwarf Christopher Vogler mit The Writer’s Journey153 (1997) eine Beschreibung der Heldenreise als Anleitung für Drehbuchautoren. Im selben Jahr, in dem Vollidiot erschien, also 2007, veröffentlichte Joachim Hammann in der Tradition von Campbell und Vogler sein Buch Die Heldenreise im Film154. Darin beschreibt er, was ein Drehbuch zu einem erfolgreichen Film werden lässt. Vor allem wegen der zeitlichen Nähe von Vollidiot und Die Heldenreise im Film soll anhand Hammanns Thesen analysiert werden, inwieweit die Verfilmung des Romans Vollidiot ein Zugeständnis an die Regeln des Drehbuchschreibens ist. Dass Simon in Vollidiot kein klassischer Held ist, soll dabei nicht weiter stören, denn Helden sind heute einfach nicht mehr das, was sie einmal waren. So sieht zum Beispiel Frauke Hanser den Loser als den neuen Helden der Popkultur an. „Die rasante Verfilmung von Tommy Jauds Verlierer-Geschichte ‚Vollidiot‘ scheint da perfekt in diese Entwicklung zu passen.“155 Ein Film beginnt nach Hammann typischerweise in der Gegenwart, auch wenn die Geschichte eigentlich schon viel früher beginnt, nämlich in einer Zeit, als die Welt des Filmhelden noch vollkommen war. Diese Vorgeschichte, in der der Held in einem paradiesischen Zustand lebte, wird laut Hammann oft erst durch Rückblenden im Laufe des Films aufgezeigt.156 So beginnt auch der Film Vollidiot in der

151 Campbell, Joseph: The Hero with a Thousand Faces. New York: Meridian Books 1949. 152 Vgl.: Schrobsdorff, Susanna: The Hero with a Thousand Faces. http://entertainment. time.com/2011/08/30/all-time-100-best-nonfiction-books/slide/the-hero-with-a-thou sand-faces-by-joseph-campbell/#the-hero-with-a-thousand-faces-by-joseph-campbell (20.9.2014). 153 Vogler, Christopher: The Writer’s Journey. Mythic Structures for Writers. Studio City, CA: Michael Wiese Productions 1992. 154 Hammann, Joachim: Die Heldenreise im Film. Drehbücher, aus denen die Filme gemacht werden, die wirklich berühren. Frankfurt am Main: Zweitausendeins 2007. 155 Hansen, Frauke: Schäm dich, du (Voll-)Idiot. In: Stern 2007. http://www. stern.de/kultur/film/vollidiot-schaem-dich-du-voll-idiot-586736.html (20.9.2014). 156 Vgl.: Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 71.

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Gegenwart der Erzählwelt:157 Simon Peters steht außen auf dem Fenstersims eines Hauses und es ist zu vermuten, dass er sich das Leben nehmen möchte, indem er vom Sims in die Tiefe springt. Eine Frau, die sich noch im Laufe des Films als Simons Freundin Paula herausstellen wird, versucht ihn davon abzuhalten. Während des Gesprächs mit Paula, an dem sich von unten auch ein Mann mit einem Lautsprecher beteiligen möchte, der vermutlich zur Feuerwehr gehört, verliert Simon das Gleichgewicht und fällt in die Tiefe (vgl. VIF: 0:40-1:25). Nun erfolgt die Rückblende, die zwar nicht die paradiesische Vergangenheit zeigt, aber von ihr berichtet: Simon erzählt den Zuschauern seine Geschichte als Single, nachdem er von Tina verlassen wurde. Als Simon noch mit Tina zusammen war, lebte er im Paradies, in dem nach Hammann ein Friede herrscht, „den die Liebe des Einen zum Anderen schafft“158. Das Paradies ist folglich die glückliche Liebe zweier Menschen, „die Ein-heit oder Eins-heit von zweien“159. Dieses Paradies erlebte Simon mit seiner Ex-Freundin. Schon zu Beginn des Films wurden damit große Zugeständnisse an die Drehbuchtheorie gemacht, denn der Roman beginnt nicht mit einer derartigen Rückblende, die in der Drehbuchtheorie als Rahmung einer Heldenreise empfohlen wird. Später findet in der Rückblende im Film dann sogar noch eine weitere, allerdings nur sehr kurze Rückblende statt, die die Szene zeigt, in der Tina die Beziehung mit Simon beendet (vgl. VIF: 9:00-10:24). Damit bekommt Simons ehemalige Freundin im Film eine Bedeutung zugeschrieben, die sie im Roman nicht hat. Während sie im Roman nicht als Figur in Erscheinung tritt, wird sie im Film von Friederike Kempter gespielt. Durch die Figur der Tina wird die paradiesische und traumatische Vorgeschichte im Film ganz im Sinne der Drehbuchtheorie integriert. Neben dem Paradies, das durch zwei sich liebende Menschen geschaffen wird, gibt es nach Hammann noch ein weiteres Paradies, dem er anscheinend eine größere Bedeutung zuspricht als dem Liebes-Paradies, denn während dem LiebesParadies von Hammann ein Absatz gewidmet wird, erörtert er das andere Paradies in einem kompletten Kapitel. Der Schlüssel zu diesem zweiten Paradies ist nicht die Einheit von zwei Menschen, sondern die Ganzheit eines einzelnen Menschen: „Die ursprüngliche menschliche Ganzheit besteht [...] aus insgesamt vier Wesenheiten.“160 Nach dieser Theorie besteht ein Mensch aus Körper, Geist, Herz und See-

157 Auffällig ist, dass auch der Film Resturlaub mit einer vergleichbaren Rückblende arbeitet, obwohl im Roman kein derartiger Verweis von der Gegenwart der Erzählwelt auf die Vergangenheit zu lesen ist. Dadurch wird die These, dass Romane bei ihrer Verfilmung an die Regeln der Drehbuchtheorie angepasst werden, nur umso mehr bekräftigt. 158 Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 73. 159 Ebd., S. 72. 160 Ebd., S. 84.

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le.161 Durch böse Kräfte wurde die Ganzheit der Wesenheiten beim Helden zerstört und somit der Held traumatisiert.162 Im Fall der Vollidiot-Verfilmung stehen sich die beiden verschiedenen Auffassungen von Paradies nicht im Weg: Geht man davon aus, dass die Ganzheit und damit das Paradies von Simon dadurch zerstört wurde, dass sich seine Freundin von ihm getrennt hat und somit sein Herz gebrochen wurde, wird die Theorie, dass Simon zusammen mit seiner Ex-Freundin sein Paradies erlebt hat, nicht widerlegt. Es ergänzt vielmehr die eine Theorie vom Paradies die andere. Dass die paradiesische Vorgeschichte von Simon mit Tina in Vollidiot nicht detailliert erzählt wird, stellt laut Hammann übrigens kein narratives Problem dar. „Damit ein Film zu einer Sinn stiftenden Erfahrung wird, brauchen wir nicht unbedingt die Vorgeschichte einer erst paradiesischen und dann traumatischen Vergangenheit.“163 Dass in Vollidiot kaum auf die paradiesische und nur durch die Rückblende, in der Tina die Beziehung beendet, auf die traumatische Vergangenheit eingegangen wird, ist demnach kein Widerspruch zur Theorie der Heldenreise. „Dann fehlt dem Film zwar eine Dimension, aber wenn er es ansonsten schafft, eine tiefgreifende charakterliche Wandlung und Heldwerdung zu erzählen, ist das nicht schlimm.“164 Indem das Paradies im Film sein Ende findet, endet nach Hammann auch der Held als ‚Selbst‘ und wird zum ‚Ich‘. Das bedeutet, dass der Held nicht mehr seine ursprüngliche (paradiesische) Persönlichkeit besitzt, sondern eine nach außen gewendete Scheinpersönlichkeit.165 Durch die Traumatisierung entwickelt der Held diese Scheinpersönlichkeit zum Selbstschutz.166 Simons ‚Selbst‘ verwirklicht sich in einer Beziehung und als Single ist er nicht mehr als ein ‚Ich‘. Die Scheinpersönlichkeit, die Simon aufbaut, ist die des Frauenhelden, der sich als Single mit möglichst vielen Frauen sexuell vergnügt, wenn er schon niemanden hat, mit dem er in einer Beziehung leben kann. Doch seine Scheinpersönlichkeit bleibt nicht mehr als ein Wunsch und der Film zeigt Simons Leben als Single, das ganz ohne sexuelle Abenteuer verläuft, auch wenn er sich diese noch so sehr ersehnt. Als ein Beispiel hierfür wird direkt zu Beginn des Films auf den Single-Urlaub verwiesen, den Si-

161 Vgl.: ebd., S. 88. 162 Vgl.: ebd. 163 Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 204. 164 Ebd. 165 Vgl.: ebd., S. 117. 166 Vgl.: ebd., S. 118.

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mon auf Anraten seiner Freundin Paula macht,167 und aus dem er als Einziger als Single zurückkehrt (vgl. VIF: 2:40-3:50). Das Ziel der Heldenreise ist es laut Hammann nun, den inneren Drachen (die falsche Persönlichkeit) durch eine große Tat zu töten, um ein Held zu werden.168 Für Simon lautet das Ziel der Reise, wieder eine Freundin zu finden, um nicht mehr Single sein zu müssen. Zu Beginn des ersten Aktes wird dann das Leben des Helden im Ödland dargestellt.169 Hierbei kann der Zuschauer nur deswegen nachvollziehen, dass der Held freiwillig im Ödland lebt, weil er zuvor die Vorgeschichte gesehen hat.170 So ist das Ödland von Simon das Leben als Single. Da er von seiner Freundin Tina verlassen wurde, hatte er jedoch keine andere Wahl und musste fortan erst einmal als Single leben. Damit ist dem Zuschauer deutlich gemacht worden, warum Simon im Ödland des Single-Daseins lebt. Bis hierhin hat sich der Charakter des Helden nicht weiterentwickelt, er ist immer noch so traumatisiert wie zu Beginn.171 Doch dann passiert etwas, das den Status quo verändert und den Helden dazu bringt, dass er seine Probleme nicht länger übersehen kann.172 Es findet sozusagen eine Aufforderung zur Selbstverwirklichung statt.173 In Vollidiot möchte Simons Haushaltshilfe Lala für ihn ein Treffen mit einer Frau namens Dörte arrangieren und gibt Simon daher Dörtes Telefonnummer. Zunächst weigert sich Simon Dörte zu kontaktieren, da er sich dann eingestehen müsste, dass er es selbst nicht zustande bringt, eine Frau anzusprechen und nach einem Date zu fragen (vgl. VIF: 6:45-7:38). Doch dann erzählt Simons bester Freund Flick, dass er eine Frau namens Daniela kennen gelernt hat und Simon findet den Gedanken unerträglich, dass Flick eine Freundin haben könnte und er nicht. Also verabredet er sich doch mit Dörte (vgl. VIF: 15:23-16:50). Die eigentliche Heldenreise hat immer noch nicht begonnen. Stattdessen betritt der Held nun eine Zwischenwelt, die es ihm auf der einen Seite ermöglicht, die Vorteile des Status quo zu behalten, und auf der anderen Seite die Vorteile des Ziels der Heldenreise schon einmal zu genießen.174 Simon ist also immer noch ungebundener Single, hat aber immerhin schon einmal ein Date mit einer Frau. In Vollidiot

167 Im Roman tritt Simon den Urlaub aufgrund eines Ratschlags seines Freundes Phil an, doch da Phil als Figur für den Film gestrichen wurde, musste diese Aufgabe hier von einer anderen Figur übernommen werden. 168 Vgl.: ebd., S. 126. 169 Vgl.: ebd., S. 133. 170 Vgl.: ebd., S. 134. 171 Vgl.: Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 181. 172 Vgl.: ebd., S. 186. 173 Vgl.: ebd., S. 188. 174 Vgl.: ebd., S. 214.

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wiederholt sich dann sozusagen der erste Akt noch einmal, wenn Simon und Steve in einer Disco zwei Frauen, die Stewardessen von Beruf sind, kennen lernen. Auch hier bleibt Simon Single, hat aber immerhin schon wieder einmal eine Frau angesprochen und zu sich nach Hause eingeladen. Nun beginnt nach Hammann im zweiten Akt, im Bereich der hellen Hälfte, die Liebesgeschichte, mit der die Heldenreise beginnt: „Kaum hat der Held die Zwischenwelt verlassen [...], trifft er auch schon auf die Frau“175. Durch diese Frau, die auch als ‚Prinzessin‘ bezeichnet wird, erfährt der Held Liebe – und zwar nicht irgendeine Liebe, sondern die höchste und ursprünglichste Form der Liebe, nämlich die „Liebe des Paradieses“176. Nichtsdestotrotz ist die erste Begegnung zwischen Held und Prinzessin in den meisten Filmen unspektakulär dargestellt. Genauso wie in Vollidiot findet laut Hammann bei der ersten Begegnung nicht mehr als ein erster Blickwechsel statt.177 Der Held Simon sieht seine Prinzessin Marcia, die in einem Kaffeegeschäft arbeitet, zum ersten Mal, als er mit seinem Freund Flick ein Gurkenrennen an der Glasscheibe des Kaffeegeschäfts veranstaltet. Bei ihrem Anblick verliebt er sich sofort in sie und dem Held wird klar, dass er seine verlorene Seele „nie […] in der Gegenwart des Ödlands“178, also als Single, finden kann: „Das war er, der wichtigste Augenblick meines Lebens. Der Augenblick, in dem nach Jahren des Nichts endlich wieder die Liebe zuschlug“ (VIF: 29:37-29:46). Im Roman ist Marcia Simon schon vor Beginn der Geschichte ins Auge gefallen und er hat sich lediglich nicht getraut, sie anzusprechen (vgl. VI: 111). Im Film hingegen sieht Simon Marcia in dieser Szene zum ersten Mal. Damit ist auch hier wieder ein Zugeständnis an die Drehbuchtheorie der Heldenreise zu finden. In Vollidiot bestellt Simon bei der zweiten Begegnung mit Marcia lediglich einen Kaffee bei ihr. Die dritte Begegnung findet nur zufällig in der Sauna statt. Bei der vierten Begegnung verfolgt Simon Marcia bis nach Hause, ohne dass sie dies bemerkt. Als Simon vor Marcias Wohnung wartet und sie beobachtet, bekommt er jedoch mit, dass sie „Tag am Meer“ von den Fantastischen Vier hört. „ln dieser Phase macht der Held zwar keinen Versuch, das Ziel zu erreichen“, sich also in Simons Fall mit Marcia zu verabreden, bekommt aber „einen wichtigen Hinweis […], wie er seine Probleme lösen und sein Ziel erreichen kann.“179 Da Simon den für ihn wichtigen Hinweis erhalten hat, dass Marcia die Band die Fantastischen Vier mag, fasst er den Plan, mit ihr zusammen auf das Konzert der Band zu gehen. Bei der fünften Begegnung verabredet sich Simon also mit Marcia für das Konzert.

175 Ebd. S. 259. Hervorhebung im Original. 176 Ebd., S. 260. 177 Vgl.: ebd. 178 Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 262. 179 Ebd., S. 302.

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Nach Hammann ist nicht nur der Held traumatisiert, sondern auch die Prinzessin. In der Szene in der Sauna wird Marcia in Vollidiot von ihrer Freundin gefragt, ob sie noch einmal Markus angerufen habe. Darauf antwortet sie: „Nee, mit dem bin ich durch“ (VIF: 37:48-37:49). Marcia war also vermutlich mit dem „falschen Mann“181 zusammen. Nun ist sie wieder Single und ebenso wie Simon deswegen traumatisiert. Eine Lösung wäre, dass sich Simon und Marcia finden und so ihr Trauma des Single-Daseins beenden, indem sie ein Paar werden. Bis es soweit ist, müssen sich Held und Prinzessin jedoch noch näher kennen lernen. In Vollidiot geschieht dies auf dem Konzert der Fantastischen Vier.182 „Es sieht so aus, als werde der Held am Ziel seiner Wünsche ankommen und die ihm gestellte Aufgabe erfolgreich zu Ende führen.“183 Das Glück soll an dieser Stelle jedoch nur von kurzer Dauer sein.184 Im Roman findet das beschriebene Gespräch in der Sauna nicht statt, über eine mögliche Traumatisierung der Prinzessin Marcia erfährt der Romanleser ergo nichts. Es kommt der große Wendepunkt und der Held ist wieder weit entfernt von seinem Glück.185 So stellt Simon, als er Marcia auf dem Konzert trifft und diese sehr abweisend auf ihn reagiert, fest: „Komisch, bis vorhin dachte ich, das wird der wichtigste Moment in meinem Leben“ (VIF: 1:01:40-1:01:44). Simon erkennt außerdem, dass er Rivalen hat, die mit Marcia an der Bar stehen, und gegen die er womöglich nicht ankommen kann. Er stellt fest, dass Marcia mit den anderen Männern mehr verbindet als mit ihm und dem Helden Simon wird bewusst, „dass er nicht die herausragenden männlichen Eigenschaften besitzt, die nötig wären, um das Ziel zu erreichen.“186 Die Rivalen demütigen den Helden Simon, indem sie ihn schlagen, und „[d]ie Niederlage, die er soeben erlitten hat, ist der Schlag, der den Anfang vom Ende des Ich besiegelt und den Beginn der Held- oder Selbstwerdung einläutet.“187 Simon bricht im dritten Akt seine Kontakte mit der Außenwelt ab und schließt sich in seiner Wohnung ein. Seine Wohnung wird geradezu zu „einem mythischsymbolischen Bild der Gefängniszelle oder des Verlieses“188. Seine Lage scheint ausweglos zu sein. „Was auch immer der Ich-Held hier noch an Anstrengungen un180

180 Vgl.: ebd., S. 267. 181 Ebd., S. 274. 182 Vgl.: ebd., S. 300. 183 Ebd., S. 315. 184 Vgl.: ebd., S. 317. 185 Vgl.: Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 330. 186 Ebd., S. 359. 187 Ebd., S. 398. 188 Ebd., S. 451.

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ternehmen mag, seinem selbst geschaffenen Gefängnis zu entkommen: Es wird ihm nicht mehr gelingen – nicht mit unermüdlichem Willenseinsatz und auch nicht mit Scharfsinn.“189 Doch zum Glück hat Simon seine Freunde. Diese Helfer des Helden retten ihn aus seinem selbstgeschaffenen Gefängnis. Simon erkennt, dass sein „Ich nicht ein Problem hat, sondern das Problem ist.“190 Dabei hilft ihm seine ehemalige Freundin Tina, die ihm erklärt: „Es liegt nicht an den Frauen, Simon, dass es dir beschissen geht, es liegt an dir selber“ (VIF: 1:22:35-1:22:38). Der Film ist in der Gegenwart der erzählten Welt angekommen und Simon steht wieder auf dem Fenstersims. Es wird deutlich, dass Simon nicht beabsichtigt, sich umzubringen und nur aus Versehen in die Tiefe stürzt, wo bereits ein großes Kissen aufgeblasen wurde, das den Aufprall abfängt. Als letzter Schritt der Heldenreise in Vollidiot muss noch der Drache getötet werden,191 der durch den Single-Sessel versinnbildlicht wird. Simon stellt fest: „Etwas steht noch zwischen mir und meinem neuen Leben“ (VIF: 1:30:46-1:30:51). Also fährt er mit dem Sessel zum Ikea-Parkplatz und verbrennt ihn dort. Neben ihm verbrennt eine junge Frau ebenfalls einen Single-Sessel. Es wird angedeutet, dass die beiden zueinander finden könnten. „Der Held erreicht endlich das Ziel“192 und findet sein Selbst auf dem Ikea-Parkplatz wieder. „Der Held kehrt zurück in die Normalwelt des Status quo“193, ist also endlich kein Single mehr, sondern vermutlich schon sehr bald wieder in einer Beziehung, nämlich mit der jungen Frau, die auch ihren Single-Sessel verbrennt. Sie scheint die eigentliche Prinzessin des Helden Simon zu sein. Es konnte festgestellt werden, dass sich einige Änderungen, auch große Änderungen, die für den Film gemacht wurden, tatsächlich mit Empfehlungen der Drehbuchtheorie von Hammann erklären lassen. Zu denken sei hier zum Beispiel an die Rückblende zu Beginn des Films oder die Einführung der Figur Tina. Andere Änderungen, zum Beispiel bezüglich des Erzählens, sind mit dem Wechsel der technischen Möglichkeiten zu erklären. Dabei gilt: „Was immer gedruckt im Roman erzählt werden kann, kann im Film annähernd verbildlicht oder erzählt werden.“194 So erhält der Leser des Romans Vollidiot durch präsentisches Erzählen Informationen über die Innensicht des Erzählers Simon, die keinen direkten Einfluss auf die Handlung haben. Im Medium Film kann der Zuschauer kongruent dazu durch das Mittel

189 Ebd., S. 452. 190 Ebd., S. 456. Hervorhebungen im Original. 191 Vgl.: ebd., S. 460 und 470. 192 Hammann: Die Heldenreise im Film, S. 526. 193 Ebd., S. 531. 194 Monaco: Film verstehen, S. 45.

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der voice-over Einblicke in das Innere von Simon erhalten. Der erste bedeutende Film, der sich dem Mittel der voice-over bedient, um einen Ich-Erzähler zu Wort kommen zu lassen, ist Le roman d’un tricheur195 (1936) von Sacha Guitrys. Diese Variante des Erzählers im Film hat also eine lange Tradition. Der Film Vollidiot belässt es jedoch nicht bei dieser klassischen Variante, sondern summiert in diesem Bereich verschiedene Potentiale. Wenn Simon zum Beispiel seinen Sessel im Ikea-Geschäft abholen möchte, wendet er sich direkt an die Zuschauer und stellt Thesen über die Ikea-Besucher auf. Er läuft dabei zunächst außen an dem Geschäft vorbei und geht nach einem Schnitt im Geschäft durch die Gänge weiter. Obwohl ein Ortswechsel stattgefunden hat, erzählt Simon flüssig und ohne Unterbrechung weiter. Lediglich die Geräuschkulisse, die im Geschäft zu hören ist, wird in der Tonspur dazuaddiert (vgl. VIF: 4:20-4:25). Während also auch nach dem Schnitt noch die inhaltliche Kohärenz beibehalten wird, findet auf der Bild- und Tonebene teilweise eine Brechung der Kohärenz statt. Doch auf der Bildebene bleibt noch ein Sinnzusammenhang zu finden, so ändert sich zwar der Ort, Simon bleibt aber als erzählende Person weiterhin im Zentrum der Kamera. Der Ton ist ebenfalls übergreifend, da Simons Stimme auch nach dem Schnitt weiterhin vernommen werden kann. Es wird lediglich die Geräuschkulisse der Ikea-Filiale im Hintergrund in der Tonspur ergänzt. Damit findet zwar ein Wechsel der Mittel statt, letztendlich wird jedoch auch an dieser Stelle im Film die „Kohärenz erzeugende Strategie“196 verfolgt. Simon erzählt der Kamera, und damit dem Zuschauer, seine Thesen direkt, mitten im restlichen Geschehen, ohne dass jemand auf ihn aufmerksam wird. Dabei sollte ein Mann, der laut Selbstgespräche führt, in der Realität auffallen – nicht jedoch in der Filmdiegese, da diese Worte „allein für den Filmzuschauer vernehmbar und relevant“ und damit „extradiegetisch“197 sind. Gleichzeitig redet Simon jedoch diegetisch, nämlich als Figur in der Erzählwelt. Er ist folglich diegetisch und spricht zunächst extradiegetisch, nämlich nur zu den Zuschauern. Dann allerdings redet er auch mit Personen in der Ikea-Filiale, so dass seine Stimme letztlich auch diegetisch wird. Diese Entwicklung kann als eine Metalepse gedeutet werden.198

195 Guitrys, Sacha: Le roman d’un tricheur. Mit: Guitry, Sacha; Delubac, Jacqueline; Moreno, Marguerite; Carton, Pauline. Prod.: Sandberg, Serge. Frankreich 1936. 196 Hickethier: Film und Fernsehen als Text, S. 127. 197 Dieterle, Bernard: Erzählerstimme im Film. In: Erzählen im Film. Unzuverlässigkeit – Audiovisualität – Musik. Hrsg. von Susanne Kaul, Jean-Pierre Palmier u. Timo Skrandies. Bielefeld: Transcript 2009. S. 159–172, S. 160. 198 Vgl.: Sarkhosh, Keyvan: Metalepsis in Popular Comedy Film. In: Metalepsis in Popular Culture. Hrsg. von Karin Kukkonen u. Sonja Klimek. Berlin: De Gruyter 2011. S. 171– 195.

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An einer anderen Stelle, wenn Simon nicht mehr seine Wohnung verlassen möchte, spekuliert er darüber, ob ihn wohl jemand vermissen würde, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Diese Gedanken werden über eine voice-over für den Zuschauer hörbar. Gleichzeitig ist zunächst Simon zu sehen, wie er in seiner Wohnung auf seinem Singlesessel sitzt und Milch trinkt. Darauf ist Simon zu sehen, wie er seine Milch weitertrinkt, nun aber auf Eisenbahnschienen liegt, in der offensichtlichen Absicht, sich vom nächsten Zug überfahren zu lassen (vgl. VIF: 1:17:24-1:17:44). Durch den Konjunktiv, der während Simons Spekulationen eingesetzt wird, wird verdeutlicht, dass die Szene auf den Eisenbahnschienen nicht in das Geschehen integriert werden, sondern als eine Phantasie verstanden werden soll. Später liegt Simon in seiner Wohnung in einem Lichtermeer aus Kerzen und die Stimme aus dem Off erzählt nun: „Ich spürte den Wahnsinn langsam auf mich zukommen. Aber es war gar kein Wahnsinn. Es war die Wahrheit über mich, die sich nur als Wahnsinn verkleidet hatte und nun im rasenden Tempo auf mich zurollte“ (VIF: 1:19:06-1:19:20). Die Narration auf der Realitätsebene wird unterbrochen und es folgt ein Einschub, in dem sich verschiedene Menschen, denen Simon im Laufe der Geschichte begegnet ist, plötzlich in dessen Wohnung befinden und ihm unterschiedliche Dinge mitteilen (vgl. VIF: 1:19:06-1:20:36). Dabei sind diese Menschen nur unscharf und flackernd zu sehen, manchmal auch verstörend zurechtgemacht, während Simon weiterhin zumeist scharf zu sehen bleibt. Durch die Kameraarbeit wird deutlich gemacht, dass es sich bei den Besuchern nur um Phantasien von Simon handelt. Nachdem er im Wohnzimmer Daniela und Steve begegnet ist, flüchtet Simon ins Badezimmer. Dort trifft er seine Chefin, die Eule, und einen Polizisten. Außerdem hat Flick eine Nachricht auf dem Badezimmerspiegel hinterlassen, in der er Simon die Freundschaft kündigt. Als Simon darauf das Badezimmer verlassen möchte, fährt ein Zug durch den Flur in seiner Wohnung, so dass er nicht aus dem Badezimmer kommt. Er wird von seiner Chefin und dem Polizisten übertrieben ausgelacht. Die Chefin verlässt das Badezimmer und wird anscheinend von dem Zug im Flur erfasst. Darauf ist Simon wieder in seinem Wohnzimmer zu sehen, wie er auf dem Boden liegt. Die Kamera dreht sich über ihm im Kreis und aus dem Off werden O-Töne eingespielt, die zuvor im Film zu hören gewesen sind, und Simons derzeitige Problemsituation noch einmal zusammenfassen. Diese Indikation der Phantasie hat keine andere Funktion, als dem Zuschauer wiederum einen Einblick in Simons Inneres zu geben. In diesem Sinne stellt sie eine Ausweitung der Erzählmöglichkeiten dar und versinnbildlicht die Innenperspektive. Dass die tragischen Schilderungen in der Szene betont absurd gehalten werden, ist darin begründet, dass der Szene so ihr ernstes Potential genommen werden soll. Die Schilderung der schwierigen Lage, in der sich Simon derzeit befindet, wird also zum Einsatz von Humor genutzt. Was sich auf den ersten Blick widersprechen mag, da der Zug im Flur zum Beispiel als eine Bedrohung empfunden werden kann,

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ist leicht zu erklären: Die Kopplung von Komik und Gewalt funktioniert hier im Sinne der Kongruenztheorie, die zusammengefasst besagt, dass die notwendige Bedingung für Komik eine Normabweichung ist und die hinreichende Bedingung das Vorliegen einer harmlosen Situation.199 Genau dies ist an der Stelle der Fall: Eigentlich liegt eine harmlose Situation vor, da Simon sich lediglich in seinem Badezimmer befindet. Die Normabweichung ist der Zug, der durch seinen Flur fährt. Da durch die absurden Einschübe die Medialität und Fiktionalität des Films besonders deutlich werden, und zum Beispiel das Überfahren der Chefin in der Realitätsebene der Geschichte ohne Konsequenz bleibt, wird das Lachen über Simons schwierige Situation durch den Erzähltrick der Absurdität legitimiert. Derartige Änderungen der Romanvorlage, wie sie in dieser absurden Szene zu finden sind, sind als ästhetische Effekte zu deuten, die im Wechsel der Erzählmöglichkeiten begründet liegen, die der Film gegenüber dem Roman hat. Zu den ökonomisch betrachtet erfolgreichsten Literaturverfilmungen der letzten Jahre zählen unter anderem Lord of the Rings, Harry Potter oder auch Twilight. Aber auch im deutschsprachigen Raum sind vermehrt Literaturverfilmungen erfolgreich, „[s]ei es im Fernsehen (die enorme Anzahl an Rosamunde Pilcher Verfilmungen) oder im Kino (MARIA IHM SCHMECKTS NICHT, 2009 oder VOLLIDIOT, 2007).“200 So verwundert es nicht, dass die Verfilmungen von Jauds Romanen inzwischen auch schon im Lexikon des internationalen Films eingetragen sind. Über Vollidiot ist dort zu lesen: „Die mit Fernseh-Comedians gespickte BestsellerVerfilmung unterhält weitgehend solide, kann aber trotz der handwerklichen Perfektion von Kamera und Regie ihren Fernsehsketch-Charakter nicht abstreifen.“201 Resturlaub wird hingegen wie folgt bewertet: „Mit infantilem Pennäler-Humor vollgestopfte Komödie, die sich in platten Gags und schlecht konzipierten Figuren erschöpft.“202 Auch an anderen Stellen sind kritische Bewertungen des Films Resturlaub zu finden: „Nomen est omen: Der Verfilmung des ‚Zweitbuchs‘ merkt man

199 Vgl.: Hillebrandt, Claudia: Das emotionale Wirkungspotenzial von Erzähltexten. Mit Fallstudien zu Kafka, Perutz und Werfel. Berlin: Akademie 2011 (=Deutsche Literatur. Studien und Quellen 6), S. 128. 200 Malcovati, Georg: Geschichten sind keine Stoffe. „Machen Sie doch erstmal ein Buch draus“. In: Film&Literatur. Eine Sonderausgabe von CINE-FILS.com 2014. http://www.cine-fils.com/special/geschichten-sind-keine-stoffe.html (20.9.2014). Hervorhebungen im Original. 201 N.N.: Vollidiot. In: Lexikon des internationalen Films. Filmjahr 2007. Hrsg. von Horst Peter Koll u. Hans Messias. Marburg: Schüren 2008. S. 466. 202 N.N.: Resturlaub. In: Lexikon des internationalen Films. Filmjahr 2011. Hrsg. von Horst Peter Koll u. Hans Messias. Marburg: Schüren 2012. S. 347–348, S. 348.

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seine Zweitklassigkeit an.“203 Auch in der Kritik von Thomas Abeltshauser kommt der Film schlecht weg. Dennoch prophezeit er: „Es steht zu befürchten, dass ‚Resturlaub‘ trotzdem ein Hit wird.“204 Und tatsächlich wollten 628.715 Zuschauer den Film im Kino sehen, so dass er den elften Platz der besucherstärksten deutschen Filme im Jahr 2011 belegte.205 Das Phänomen, dass Resturlaub trotz zahlreicher schlechter Kritiken dennoch so gern gesehen wird, ist damit zu erklären, dass der Film tatsächlich „keine Arthouse-Komödie“ ist. „Aber es ist eine Wohlfühlkomödie“206, und die wird vom Publikum anscheinend so gern gesehen wie der Unterhaltungsroman gelesen. So verwundert es auch nicht, dass bereits Jauds dritter Roman als Verfilmung geplant ist, nämlich Hummeldumm. Doch nicht nur Jauds Männerromane wurden bisher adaptiert. Auch Man tut was man kann207 von Hans Rath wurde von Regisseur Marc Rothemund unter anderem mit Wotan Wilke Möhring, Jasmin Gerat und Jan Josef Liefers verfilmt und erreichte den sechsten Platz bei den Besucherzahlen deutscher Filme im Jahr 2012. Insgesamt sahen die Verfilmung 746.017 Kinogänger.208 Auffällig ist, dass der Titel des Films nicht wie die Romanvorlage geschrieben wird, nämlich Man tut was man kann, sondern Mann tut was Mann kann. „Diese Umbenennung ist freilich nachvollziehbar – schließlich war von Doris Dörries ‚Männer‘ über ‚Der bewegte Mann‘

203 Granert, Lutz: Resturlaub. In: Critic.de 2011. http://www.critic.de/film/resturlaub-2767/ (1.7.2014). 204 Abeltshauser, Thomas: „Resturlaub“ hat trotz Plattitüden Facebook-Freunde. In: Die Welt

2011.

http://www.welt.de/kultur/kino/article13536461/Resturlaub-hat-trotz-

Plattitueden-Facebook-Freunde.html (20.9.2010). 205 Vgl.:

Filmförderungsanstalt:

Zahlen

aus

der

Filmwirtschaft

H.

http://www.ffa.de/downloads/publikationen/ffa_intern/FFA_info_1_2012.pdf,

1

2012. S.

18.

Zum Vergleich: Der Film Vollidiot konnte im Jahr 2007 insgesamt sogar 819.757 Kinobesucher

zählen.

(Filmförderungsanstalt:

Geschäftsbericht

2007

2007.

http://www.ffa.de/downloads/publikationen/GB_FFA_2007.pdf (20.9.2014), S. 48.) 206 Zistl, Sandra: Vom Provinz-Proleten zum Latin Lover. Filmkritik: „Resturlaub“. In: Focus online 2011. http://www.focus.de/kultur/kino_tv/filmstarts/filmkritik-resturlaubvom-provinz-proleten-zum-latin-lover_aid_654303.html (20.9.2014). 207 Rothemund, Marc u. Hans Rath: Mann tut was Mann kann. Mit: Möhring, Wotan Wilke; Gerat, Jasmin Liefers Jan Josef. Prod.: Thies, Alexander u. Stefan Thies. Deutschland 2012. 208 Vgl.: Filmförderungsanstalt: Zahlen aus der Filmwirtschaft H. 1 2013. http://www. ffa.de/downloads/publikationen/ffa_intern/FFA_info_1_2013.pdf (20.9.2014), S. 16.

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bis hin zu ‚Männerherzen‘ schon einiges überraschend erfolgreich in deutschen Kinos, was einen Mann im Titel trug.“209 Am 27.6.2014 wurde in der ARD die Verfilmung210 des Männerromans Wir tun es für Geld211 von Matthias Sachau ausgestrahlt. Bei der Verfilmung durch den Regisseur Manfred Stelzer spielten unter anderem Diana Amft, Florian Lukas und Ludger Pistor mit. Die Fernsehkomödie hatte eine Einschaltquote von 17,5 Prozent und wurde von 4,53 Millionen Zuschauern gesehen. Hervorzuheben ist, dass die Komödie „vor allem beim jungen Publikum herausragende Werte“212 erreichte. „Durchschnittlich sahen 1,01 Millionen zwischen 14 und 49 Jahren die Erstausstrahlung“213. Immerhin annähernd gute Einschaltquoten bei einem Freitagabendfilm erreichte die ARD zuletzt 2012 mit einer Ausstrahlung von Der kleine Lord.214 Die Verfilmung des Männerromans kann also als überragender Zuschauererfolg bewertet werden. Bei Männer (1985)215 und Männerherzen (2009)216 handelt es sich um transmediale Erscheinungen, die den gleichen Diskurs in sich aufnehmen. Es ist jedoch zu bedenken, dass sich Diskurse mit der Zeit ändern können. In diesem Sinne kann man argumentieren, dass der Diskurs dieser Filme letztlich auch der Diskurs in Männerromanen ist. Da Männerromane jedoch später entstanden sind, haben die Diskurse hier teilweise andere Ausformungen. So mussten die Männer in Filmen wie Männer oder Der bewegte Mann noch nicht mit der heute florierenden Krise der Männlichkeit kämpfen, die auch in Männerromanen thematisiert wird. Als Vergleichsfolie für den Männerroman scheinen daher auch weniger diese älteren Erscheinungen zum Vergleich ratsam, als vielmehr zeitgleiche Phänomene wie der Film Männerherzen (2009), die Fortsetzung Männerherzen… und die ganz, ganz

209 Engels, Josef: Mann-o-Mann-o-Mann! Eine deutsche Komödie! In: Die Welt (8.10.12). http://www.welt.de/kultur/kino/article109695310/Mann-o-Mann-o-Mann-Einedeutsche-Komoedie.html (20.9.2014). 210 Stelzer, Manfred: Wir tun es für Geld. Mit: Lukas, Florian; Amft, Diana; Pistor, Ludger. Prod.: Müll-Kaldenberg, Marc. Deutschland 2014. 211 Sachau, Matthias: Wir tun es für Geld. Roman. 3. Aufl. Berlin: Ullstein 2010. 212 Sanchez, Manuel Nunez: Amft tut es auch für die Top-Quote. In: Quotenmeter (28.6.2014).

http://www.quotenmeter.de/n/71551/amft-tut-es-auch-fuer-die-top-quote

(20.9.2014). 213 Ebd. 214 Vgl.: ebd. 215 Dörrie, Doris: Männer. Mit: Lauterbach, Heiner; Ochsenknecht, Uwe; Kriener, Ulrike. Prod.: Rasp, Helmut. Deutschland 1985. 216 Verhoeven, Simon: Männerherzen. Mit: Schweiger, Til; Ulmen, Christian; Möhring, Wotan Wilke. Prod.: Berg, Quirin u. Max Wiedemann. Deutschland 2009.

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große Liebe (2011)217, Keinohrhasen (2007)218, Zweiohrküken (2009)219 und Kokowääh (2011220/2013221) von Til Schweiger oder What a Man (2011)222 und Der Schlussmacher (2013)223 von Matthias Schweighöfer. Vor kurzem lief außerdem mit Vaterfreuden (2014)224 ein weiterer Film von und mit Matthias Schweighöfer in den Kinos. Der Film ist eine Adaption des Männerromans Frettsack225 von Murmel Clausen und damit ein weiteres intermediales Phänomen. Die Analyse hat gezeigt, dass bei der Verfilmung von Männerromanen Anpassungen an die inhaltlichen Standards des Films im Sinne der Drehbuchtheorie nach Hammann vorgenommen werden, ebenso wie an die Erzählmöglichkeiten des Mediums Film. Die Verfilmung der Männerromane hat damit nicht nur zu Restriktionen, also zum Beispiel zu einer Komprimierung der Handlung und einer Kumulation von Figuren geführt, sondern auch zu neuen Chancen, wie zum Beispiel neuen Darstellungspotentialen und alternativen Fortschreibungen des Romantextes. Es konnte gezeigt werden, dass Männerromane nicht nur in Buchform, sondern auch im Medium Film auffällig hohe Rezeptionszahlen aufweisen. Wie bei Hörbüchern die Wahl des Sprechers bereits als eine Interpretation des

217 Verhoeven, Simon: Männerherzen… und die ganz, ganz große Liebe. Mit: Schweiger, Til; Ulmen, Christian; Möhring, Wotan Wilke. Prod.: Berg, Quirin u. Max Wiedemann. Deutschland 2011. 218 Schweiger, Til: Keinohrhasen. Mit: Schweiger, Til; Tschirner, Nora; Schweighöfer, Matthias. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2007. 219 Schweiger, Til: Zweiohrküken. Mit: Schweiger, Til; Tschirner, Nora; Schweighöfer, Matthias. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2009. 220 Schweiger, Til: Kokowääh. Mit: Schweiger, Til; Schweiger, Emma; Gerat, Jasmin. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2011. 221 Schweiger, Til: Kokowääh 2. Mit: Schweiger, Til; Schweiger, Emma; Gerat, Jasmin. Prod.: Schweiger, Til, Thomas Zickler u. Béla Jarzyk. Deutschland 2013. 222 Schweighöfer, Matthias: What a Man. Mit: Schweighöfer, Matthias; M’Barek, Elyas; Kekilli, Sibel. Prod.: Bacher, Gabriela; Maag, Dan; Beckmann, Marco; Schweighöfer, Matthias. Deutschland 2011. 223 Schweighöfer, Matthias: Der Schlussmacher. Mit: Schweighöfer, Matthias; Peschel, Milan. Prod.: Schäfer, Cornel; Maag, Dan; Beckmann, Marco; Schweighöfer, Matthias. Deutschland 2013. 224 Schweighöfer, Matthias: Vaterfreuden. Mit: Schweighöfer, Matthias; Beck, Tom. Prod.: Beckmann, Marco; Berg, Quirin; Maag, Dan; Schweighöfer, Matthias; Wiedemann, Max. Deutschland 2014. 225 Clausen, Murmel: Frettsack. Roman. München: Heyne 2012 (=Heyne 43613).

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Romantextes gedeutet werden kann, gilt dies auch für die Wahl der Schauspieler bei der Verfilmung. Im Gegensatz zu den Hörbüchern konnten in den Verfilmungen gewichtige Unterschiede zur Romanvorlage ausgemacht werden.

Fazit Der Männerroman als Genre – ein fiktiver Lexikonartikel

Männerroman: Roman, der die die Krise eines jungen Mannes im Kontext der Emanzipation der Frau thematisiert. Explikation: Unter der Bezeichnung Männerroman wird systemstabilisierende Unterhaltungsliteratur der Gegenwart verstanden, die sich mit der Krise eines jungen Mannes im Zuge der Emanzipation der Frau emphatisch auseinandersetzt. Es wird davon ausgegangen, dass Literatur nicht geschlechtsneutral und der Autor eines Männerromans per definitionem männlich ist. Eine Frau als Autorin eines Männerromans ist zwar theoretisch denkbar, wenn sie sich den Duktus eines männlichen Autors aneignet, bisher jedoch noch nicht verzeichnet worden. Der Protagonist ist obligatorisch ein junger Mann, der eine zeitgemäße männliche Sicht auf die Geschlechterrollen innehat. Der Adressatenkreis besteht nicht zwangsläufig aus Männern, sondern umfasst die gesamte junge Leserschaft. Männer-

romane sind von Männern, über Männer und für Frauen und Männer verfasst. Ausgangspunkt der Handlung ist ein Wendepunkt im alltäglichen Leben des männlichen Protagonisten und zugleich Ich-Erzählers, der um die 30 Jahre alt ist: Der Protagonist gerät in eine Misere, indem er seine Lebenspartnerin, seine berufliche Anstellung oder sogar beide verliert. Er befindet sich spätestens zu diesem Zeitpunkt in einer Krise, die Anzeichen der ‚Quarterlife-Crisis‘ aufweist und sich in den Romanen immer auch als Krise der Männlichkeit äußert. Die Narration ist von Humor durchzogen und zielt in der Regel auf ein Happy End ab, das zumeist die Überwindung des Singledaseins des Protagonisten darstellt. Der Inhalt ist dicht am Alltag der potentiellen Rezipienten gestaltet, die Handlung simpel gehalten und die Sprache der Alltags- und Umgangssprache sehr nahe. Kleine Schwächen, die dem Protagonisten zugeschrieben werden,

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machen ihn nicht nur zu einem Durchschnitts-Typen, sondern auch zu einem Sympathie-Träger. Dabei wird bereits in den Titeln der Männerromane (Vollidiot, Weichei, Waschlappen etc.) oft schon die Unvollkommenheit der männlichen Protagonisten suggeriert. Unterstrichen wird dies wiederholt durch stilisierte Illustrationen auf der ersten Umschlagseite. Ausgegangen wird von der Differenzhypothese der Geschlechter, die sich vor allem in der Darstellung von Geschlechterstereotypen manifestiert. Es wird an traditionellen Geschlechterrollen festgehalten und es werden traditionelle Lebensformen propagiert, so dass die Überwindung des Singledaseins als oberstes Ziel angesehen wird. Wie im Bildungsroman durchleben die Protagonisten im Männerroman auf ihrer Identitätssuche Irrungen, bis sie sich für den mutmaßlich richtigen Lebensweg entscheiden. Fast immer wird im Happy End eine glückliche Zweisamkeit des Protagonisten mit einer Frau nur angedeutet. Dies trifft auch auf die Identitätsfindung des Protagonisten zu. Die Protagonisten sind wie Goethes Werther Schwärmer und die Liebe ist für sie identitätsstiftendes Element, wobei ihre Liebesobjekte prinzipiell austauschbar sind. So wird hier nicht unbedingt an der Idee festgehalten, den Partner fürs Leben zu finden, sondern es wird das Modell der Lebensabschnittsgefährten als zeitgerechte Alternative darge-

stellt. Zur Beschreibung von Gefühlszuständen wird primär zu Metaphern aus dem Konsumbereich gegriffen. Der Männerroman integriert wie der Poproman auffallend zahlreiche Objekte aus dem profanen Raum der Gegenwart (Musiktitel, Markennamen etc.) in das kulturelle Archiv, die den Massengeschmack der Zeit widerspiegeln. Der Männerroman hat dabei jedoch lediglich einen Wiedererkennungs- und Realitätseffekt zum Ziel. Unter anderem durch diese Verweise auf den Massengeschmack wird der Protagonist des Männerromans als ein konformes Mitglied der Gesellschaft dargestellt. Diese Normalität wird allerdings nicht glorifiziert, sondern durch Selbstironie des Protagonisten auf den Prüfstand gestellt. Von der Selbstironie unberührt bleibt in der Regel die Mittelmäßigkeit des Protagonisten, die sich zum Beispiel darin äußert, dass er weder arm noch vermögend und weder dumm noch hochintelligent ist. Durch seine Mittelmäßigkeit dient der Protagonist vor allem der Leserzielgruppe der sozialen Mittelschicht als hervorragende Identifikationsfläche. In einem Subgenre des Männerromans wird die Neue Männlichkeit als Konsequenz der Emanzipation der Frau am Beispiel der Neuen Väter erörtert. Anders als frühere Texte zum Geschlechterrollentausch vor allem aus den 1970er Jahren wird der Diskurs hier nicht mit einer Anklage

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der Frau verbunden, sondern als alternativer Lebensweg aufgezeigt. Dem Männerroman liegt kein völlig neues Erzählen zugrunde, er ist vielmehr eine neuartige Kombination bekannter Elemente und steht in einer literarischen Tradition zum Beispiel des Sturm und Drangs oder Bildungsromans und reagiert auf zeitnahe Genres wie den Frauenoder Poproman. Der Männerroman hat auch die Funktion eines literarischen Ratgebers, wobei die Appellfunktion weniger stark ausgeprägt ist als in Ratgebern, und Ratschläge müssen vom Leser oft erst durch Interpretation als solche identifiziert werden. Obwohl im Männerroman Krisen des Mannes verhandelt werden, wirkt er nicht larmoyant. Ganz im Gegenteil ist er Element einer genderzentrierten Comedy-Welle. Durch die Fusion von literarischem Ratgeber und Comedy wird das Lachen über Krisen ermöglicht und der Identitätssuche ihre Bedeutungsschwere genommen, so dass der Männerroman trotz seiner ernsthaften Thematik Unterhaltungsliteratur darstellt. Wort- und Begriffsgeschichte: Der Begriff ist ursprünglich eine feuilletonistische und buchhändlerische Einordnung, die seit Erscheinen des ersten Männerromans Vollidiot (2004) von Tommy Jaud auf zahlreiche folgende Romane mit vergleichbarer Form und ähnlichem Inhalt angewandt wurde. Zum ersten Mal auf den Gegenstand bezogen hat den

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Begriff wahrscheinlich der Journalist Wolfgang Höbel in dem SpiegelArtikel „Mausbär auf großer Fahrt“ (Ausgabe 30/2006, S. 136). Die Bezeichnung setzt sich aus dem Plural von ‚Mann‘, also einem erwachsenen Menschen des männlichen Geschlechts, und der literarischen Gattungsbezeichnung ‚Roman‘ zusammen. Auf den ersten Blick scheint der Begriff obsolet zu sein, da Romane und Literatur insgesamt seit jeher überwiegend von Männern verfasst wurden. Doch durch die Emanzipation der Frau sind seit den 1970er Jahren zahlreiche literarische Arbeiten entstanden, die sich mit dem Diskurs der Geschlechterverhältnisse aus Frauensicht befassen (Frauenroman), und eine literarische Entsprechung aus Männersicht gab es lange nicht. Erst seit dem Erstlingswerk von Tommy Jaud ist der Männerroman der Ort, an dem der herrschende Diskurs der Zeit über Geschlechter aus Männersicht in literarischer Form gespiegelt und fortgeschrieben wird. Zu unterscheiden ist der Begriff ‚Männerroman‘ von ‚Männerliteratur‘. Letzterer umfasst alle Texte, die auf eine männliche Zielgruppe rekurrieren. ‚Literatur‘ ist hierbei kein Verweis auf eine ästhetische Kategorie, sondern auf ihren Gebrauchswert: Männerliteratur wird gelesen. So zählen zur Männerliteratur zum Beispiel nicht nur Wildwestromane, sondern auch pornografische Zeitschriften oder Lebensratgeber für Männer. Männerromane hingegen

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lassen sich nicht so sehr durch ihre Zielgruppe definieren, sondern vor allem durch ihren Inhalt und ihre Romanform. Sachgeschichte: Der Männerroman ist die literarische Ergänzung zum Frauenroman. Beide Genres stehen in einem wechselseitigen Bestätigungsverhältnis. Zu den erfolgreichsten Männerroman-Autoren zählen neben Tommy Jaud auch noch Matthias Sachau, Hans Rath, Zeno Diegelmann (alias Tim Boltz), Moritz Netenjakob und Oliver Uschmann. Die optische Vermarktung des Romans in Buchform ähnelt stark seinen medialen Ausprägungen als Hörbuch oder Film. Hörbücher werden als Lesungen durch den entsprechenden Autor oder einen Comedian vertont und meistens zeitgleich mit den Büchern veröffentlicht. Während

die Bearbeitung des Originaltextes für die Vertonung lediglich in einer Kürzung besteht, werden die Romane für die Verfilmung nicht selten außerdem an Standards der Drehbuchtheorie angepasst und stellen daher eine alternative Fortschreibung des Romantextes dar. Obwohl die ursprüngliche Variante des Männerromans die Buchform ist, ist das Genre ein multimediales Phänomen. Forschungsgeschichte: In der Forschung hat sich die Bezeichnung bisher noch nicht etabliert. Aufgrund der hohen Anzahl an Romanen dieses Genres und zahlreicher Platzierungen auf Bestsellerlisten ist dieser Umstand als Forschungslücke zu sehen. Durch eine genrekonstituierende Untersuchung des Männerromans hat die Germanistin Anna Katharina Knaup begonnen diese Lücke zu schließen. (AKK)

Primärliteratur

Ahern, Cecelia: P.S. Ich liebe Dich. Roman. 19. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2008 (=Fischer 16133). Augustin, Eduard; Philipp von Keisenberg u. Christian Zaschke: Ein Mann – ein Buch. München: Goldmann 2009. Austen, Jane: Pride and Prejudice. Oxford: Oxford University 1980 (=Oxford Classics). Barth, Mario: Männer sind primitiv, aber glücklich. DVD. 2007. Baumann, Tobi; Tommy Jaud u. Christian Zübert: Vollidiot. Mit: Pocher, Oliver; Engelke, Anke; Wenzel, Tanja; Feuerstein, Herbert. Prod.: Burgemeister, Sven u. Christoph Müller. Deutschland 2007. Berg, Ellen: Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman. Berlin: Aufbau 2013 (=Aufbau-Taschenbuch 2639). Blümner, Heike u. Jacqueline Thomae: Eine Frau – ein Buch. München: Süddeutsche Zeitung 2008 (=Süddeutsche Zeitung Editon). Boltz, Tim: Weichei. Roman. München: Goldmann 2011. Boltz, Tim: Nasenduscher. Roman. München: Goldmann 2012. Bonner, Stefan u. Anne Weiss: Generation Doof. Wie blöd sind wir eigentlich? Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 60596). Braun, Harald: Minutenwissen für den Mann von Welt. Köln: Bastei Lübbe 2012. Brömme, Bettina: Weisswurst für Elfen. Roman. Meßkirch: Gmeiner 2011 (=Frauenromane). Brussig, Thomas: Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2011. Carnegie, Dale: Sorge dich nicht – lebe! Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2003. Clausen, Murmel: Frettsack. Roman. München: Heyne 2012 (=Heyne 43613). Dammler, Axel: Rosa Ritter & schwarze Prinzessinnen. Was wirklich „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ ist. Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 2011.

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Dörrie, Doris: Männer. Mit: Lauterbach, Heiner; Ochsenknecht, Uwe; Kriener, Ulrike. Prod.: Rasp, Helmut. Deutschland 1985. Dunkel, Elizabeth: Der Fisch ohne Fahrrad. Roman. München: Knaur 1990. Dunkel, Elizabeth: Every Woman Loves a Russian Poet. New York: Harper Collins 1991 (=Harper Paperbacks Fiction). Eichhammer, Michael: Toreros sind so. Roman. München: Piper 2007. Eichhammer, Michael: Solo für Anna. Roman. München: Piper 2008. Eichhammer, Michael: Erste Hilfe für Frischverliebte. Stuttgart: Klett-Cotta 2010. Eichhammer, Michael u. Peter Thiel: Der verletzte Mann. Was ihn kränkt, was ihn tröstet. Kreuzlingen; München: Heinrich Hugendubel 2008. Eisenhauer, Gregor: Mein Jahr als Single. Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. Elsner, Gisela: Der Nachwuchs. Roman. 26.-35. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1970 (=Rororo 5828). Elsner, Gisela: Die Riesenzwerge. Ein Beitrag. 43.-46. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1977 (=Rororo 1141). Elsner, Gisela: Das Berührungsverbot. Roman. 25.-27. Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1984 (=Rororo 5125). Elsner, Gisela: Abseits. Roman. 18.-20.Tausend. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1987 (=Rororo 5365). Elsner, Gisela: Die Zähmung. Chronik einer Ehe. Berlin: Verbrecher 2002. Evatt, Cris: Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus. Tausend und ein kleiner Unterschied zwischen den Geschlechtern. Landsberg am Lech: MVG 1997. Fauck, Silvia: Das Liebeskummer-Buch für Männer. Geschichten und Tipps. Stuttgart: Kreuz 2008. Fielding, Helen: Bridget Jones’s Diary. A Novel. London: MacMillan 1997. Fielding, Helen: Schokolade zum Frühstück. Das Tagebuch der Bridget Jones. München: RM-Buch-und-Medien-Vertrieb 1999. Geiger, Arno: Der alte König in seinem Exil. München: Hanser 2011. Gier, Kerstin: Die Laufmasche. 17 gute Gelegenheiten, den Traummann zu verpassen; Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 1998 (=Bastei-LübbeTaschenbuch 16178). Gier, Kerstin: Lügen, die von Herzen kommen. Roman. Köln: Bastei Lübbe 2002. Gier, Kerstin: Für jede Lösung ein Problem. Roman. Köln: Bastei Lübbe 2007. Gier, Kerstin: Fisherman’s Friend in meiner Koje. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 26909). Gier, Kerstin: Männer und andere Katastrophen. Roman. 14. Aufl. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2009. Gier, Kerstin: Die Mütter-Mafia und Friends. Das Imperium schlägt zurück. Köln: Bastei Lübbe 2011 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 16043). Gier, Kerstin: Die Braut sagt leider nein. Köln: Bastei Lübbe 2012.

P RIMÄRLITERATUR

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Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Briefe I. Briefe der Jahre 1764-1786. Hrsg. von Karl Robert Mandelkow. Hamburg: Christian Wegner 1962. Goethe, Johann Wolfgang von: Romane und Novellen I. Hrsg. von Erich Trunz. 6. Aufl. Hamburg: Christian Wegner 1965 (=Sämtliche Werke 6). Goethe, Johann Wolfgang von: Romane und Novellen II. Hamburg: Christian Wegner 1965 (=Sämtliche Werke 7). Goethe, Johann Wolfgang von: Briefe 1782–1785. Altenmünster: Jazzybee 2012. Goethe, Johann Wolfgang von u. Lieselotte Lohrer: Die grossen Dramen. Stuttgart: Cotta 1951 (=Gesamtausgabe der Werke und Schriften in zweiundzwanzig Bänden. Poetische Werke 5). Göttlicher, Anette: Wer ist eigentlich Paul? Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005. Göttlicher, Anette: Die Melonenschmugglerin. Roman. Berlin: Ullstein 2009. Guitrys, Sacha: Le roman d’un tricheur. Mit: Guitry, Sacha; Delubac, Jacqueline; Moreno, Marguerite; Carton, Pauline. Prod.: Sandberg, Serge. Frankreich 1936. Hauptmann, Gaby: Suche impotenten Mann fürs Leben. Roman. 22. Aufl. München: Piper 1996 (=Serie Piper Frauen 2152). Heller, Eva: Beim nächsten Mann wird alles anders. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1987 (=Die Frau in der Gesellschaft). Höfer, Carsten: Frauenversteher. Das Buch für alle, die entweder ein Mann oder eine Frau sind. München: Südwest 2012. Hofert, Svenja: Papa ist die beste Mama. Ein Ratgeber zum Rollentausch. München: MVG 2009. Holst, Evelyn u. Stephanie Holst: Punktlandung auf Wolke sieben. Roman. München: Diana 2011. Horsley, Sebastian: Dandy in der Unterwelt. Eine unautorisierte Autobiographie. München: Blumenbar 2009. Hummel, Kathrin: Hausmann gesucht. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005. Hummel, Katrin: Anrufer unbekannt. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2005. Husmann, Ralf; Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Ralf Husmann, Nicht mein Tag. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2008 (=Argon-Hörbuch). Illies, Florian: Generation Golf. Eine Inspektion. Berlin: Argon 2000. Jaud, Tommy: Vollidiot. Der Roman. 4. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006. Jaud, Tommy: Millionär. Der Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2007. Jaud, Tommy: Resturlaub. Das Zweitbuch. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2007. Jaud, Tommy: Vollidiot. Filmbuch. Frankfurt am Main: Fischer 2007.

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Jaud, Tommy: Hummeldumm. Das Roman, ne. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2010. Jaud, Tommy: Überman. Der Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2012. Jaud, Tommy; Christoph Maria Herbst u. Frank Marienfeld: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Resturlaub. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2006 (=Argon-Hörbuch). Jaud, Tommy; Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Vollidiot. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Sauerländer Audio 2005. Jaud, Tommy; Christoph Maria Herbst u. Dirk Schwibbert: Christoph Maria Herbst liest Tommy Jaud, Millionär. Vollidiot reloaded. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2007 (=Argon-Hörbuch). Keller, Claudia: Ich schenk dir meinen Mann! Roman. 5. Aufl. München: Blanvalet 1995. Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich 1854/55. Hrsg. von Walter Morgenthaler. Basel: Stroemfeld 2000 (=Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe 11 und 12). Kind, Chris u. Sven Binner: Oh, Pannenbaum. Wie man Weihnachten überlebt. München: Piper 2013 (=Piper 30436). Kracht, Christian: Faserland. Roman. 3. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2003. Kracht, Christian: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Roman. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 2010 (=dtv 13892). Kürthy, Ildikó von: Mondscheintarif. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2000. Kürthy, Ildikó von: Herzsprung. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2002. Kürthy, Ildikó von: Herzsprung. Roman. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2003. Kürthy, Ildikó von: Blaue Wunder. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004. Kürthy, Ildikó von: Freizeichen. Roman. 9. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2004. Kürthy, Ildikó von: Höhenrausch. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2007. Kürthy, Ildikó von: Schwerelos. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2009. Kürthy, Ildikó von: Unter dem Herzen. Ansichten einer neugeborenen Mutter. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 2012. La Roche, Sophie von: Geschichte des Fräulein von Sternheim. Leipzig: Reclam 1938 (=Deutsche Literatur: Aufklärung 14).

P RIMÄRLITERATUR

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Lebert, Andreas u. Stephan Lebert: Anleitung zum Männlichsein. Frankfurt am Main: Fischer 2007. Lebert, Benjamin: Crazy. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999. Louisan, Annett: Das große Erwachen. In: Unausgesprochen 2005. Mann, Thomas: Altes und Neues. Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten. Frankfurt am Main: S. Fischer 1953 (=Stockholmer Gesamtausgabe der Werke von Thomas Mann). Mann, Thomas: Briefe 1889-1936. Hrsg. von Erika Mann. Frankfurt am Main: S. Fischer 1961. Mann, Thomas: Der Zauberberg. Roman. Hrsg. von Peter de Mendelssohn. Frankfurt am Main: Fischer 1981 (=Gesammelte Werke in Einzelbänden 17). Matthies, Moritz; Christoph Maria Herbst u. Oliver Versch: Christoph Maria Herbst liest Moritz Matthies, Voll Speed. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2013 (=Argon-Hörbuch). Meschner, Moritz: Resteklicken. Ein Facebook-Roman. Berlin: Ullstein 2012. Möller, Michaela: Einzelstücke. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2011 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 16347). Nebe, Volkmar: Allein unter Spielplatzmüttern. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2007 (=Rororo 24404). Nebe, Volkmar: Der Mann mit dem Bobby-Car. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2008. Netenjakob, Moritz: Macho Man. Roman. 10. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2009. Netenjakob, Moritz u. Thomas Lienenlüke: Multiple Sarkasmen. Aufgenommen am 2. Februar 2007 in der Comedia, Köln. Köln: WortArt 2007. Pease, Allan u. Barbara Pease: Warum Männer lügen und Frauen dauernd Schuhe kaufen. Ganz natürliche Erklärungen für eigentlich unerklärliche Beziehungen. München: Ullstein 2002. Rath, Hans: Man tut, was man kann. Roman. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2009. Regener, Sven: Herr Lehmann. Roman. München: Goldmann 2003. Remmler, Stephan u. Cecil Remmler: Vollidiot. Der Soundtrack zum Kinofilm: Edel. Rothemund, Marc u. Hans Rath: Mann tut was Mann kann. Mit: Möhring, Wotan Wilke; Gerat, Jasmin Liefers Jan Josef. Prod.: Thies, Alexander u. Stefan Thies. Deutschland 2012. Rudd, Matt: Rumeiern. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2011. Russo, Manfred: Tupperware & Nadelstreif. Geschichten über Alltagsobjekte. Wien: Böhlau 2000. Sachau, Matthias: Kaltduscher. Ein Männer-WG-Roman. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009.

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Sachau, Matthias: Schief gewickelt. Roman. 5. Aufl. Berlin: Ullstein 2009. Sachau, Matthias: Wir tun es für Geld. Roman. 3. Aufl. Berlin: Ullstein 2010. Sachau, Matthias: Linksaufsteher. Ein Montagsroman. 4. Aufl. Berlin: Ullstein 2011. Sachau, Matthias: Hauptsache, es knallt! Roman. Berlin: Ullstein 2014. Safier, David; Anneke Kim Sarnau u. a.: Anneke Kim Sarnau und Christoph Maria Herbst lesen David Safier, Plötzlich Shakespeare. Autorisierte Lesefassung. Berlin: Argon 2010 (=Argon-Hörbuch). Schickedanz, Stefan: Männerspielsachen. Von Aggregaten, Armbanduhren und Actionsport. Hamburg: Acabus 2008. Schier, Mike: Der Wickelvolontär. Wie man als Vater überlebt. Berlin: Ullstein Taschenbuch 2009. Schneyder, Kim: Frauen rächen besser. Roman. München, Zürich: Piper 2006 (=Serie Piper 6188). Schwanitz, Dietrich: Männer. Eine Spezies wird besichtigt. München: Goldmann 2001. Schweiger, Til: Keinohrhasen. Mit: Schweiger, Til; Tschirner, Nora; Schweighöfer, Matthias. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2007. Schweiger, Til: Zweiohrküken. Mit: Schweiger, Til; Tschirner, Nora; Schweighöfer, Matthias. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2009. Schweiger, Til: Kokowääh. Mit: Schweiger, Til; Schweiger, Emma; Gerat, Jasmin. Prod.: Schweiger, Til u. Thomas Zickler. Deutschland 2011. Schweiger, Til: Kokowääh 2. Mit: Schweiger, Til; Schweiger, Emma; Gerat, Jasmin. Prod.: Schweiger, Til, Thomas Zickler u. Béla Jarzyk. Deutschland 2013. Schweighöfer, Matthias: What a Man. Mit: Schweighöfer, Matthias; M’Barek, Elyas; Kekilli, Sibel. Prod.: Bacher, Gabriela; Maag, Dan; Beckmann, Marco; Schweighöfer, Matthias. Deutschland 2011. Schweighöfer, Matthias: Der Schlussmacher. Mit: Schweighöfer, Matthias; Peschel, Milan. Prod.: Schäfer, Cornel; Maag, Dan; Beckmann, Marco; Schweighöfer, Matthias. Deutschland 2013. Schweighöfer, Matthias: Vaterfreuden. Mit: Schweighöfer, Matthias; Beck, Tom. Prod.: Beckmann, Marco; Berg, Quirin; Maag, Dan; Schweighöfer, Matthias; Wiedemann, Max. Deutschland 2014. Sick, Bastian: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. 5. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005 (=KiWi 900). Steffan, Kristina: Nicht die Bohne! Roman. München: Diana 2013. Stelzer, Manfred: Wir tun es für Geld. Mit: Lukas, Florian; Amft, Diana; Pistor, Ludger. Prod.: Müll-Kaldenberg, Marc. Deutschland 2014. Stuckrad-Barre, Benjamin von: Livealbum. Erzählung. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1999 (=KiWi 546). Stuckrad-Barre, Benjamin von: Soloalbum. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2005 (=KiWi Paperback 887).

P RIMÄRLITERATUR

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Tamm, Philip: Billigflieger. Roman. München: Heyne 2009. Tamm, Philip: Herrengedeck. Roman. München: Heyne 2010. Tempel, Katrin: Stillen und Chillen. Roman. München, Zürich: Piper 2010. Thewes, Michaela: Der Kater der Braut. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2008 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 15886). Tiethe, Mathias: Yoga. Energie und Entspannung für jeden Tag. München: Compact 2010. Uschmann, Oliver: Hartmut und ich. Roman. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2006. Uschmann, Oliver: Murp! Hartmut und ich verzetteln sich. Roman. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Scherz 2008. Uschmann, Oliver: Fehlermeldung. Der Mann und seine Krisen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2009. Uschmann, Oliver: Voll beschäftigt. Roman. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 2009. Uschmann, Oliver: Feindesland. Hartmut und ich in Berlin. Roman. Frankfurt am Main: Scherz 2010. Verhoeven, Simon: Männerherzen. Mit: Schweiger, Til; Ulmen, Christian; Möhring, Wotan Wilke. Prod.: Berg, Quirin u. Max Wiedemann. Deutschland 2009. Verhoeven, Simon: Männerherzen… und die ganz, ganz große Liebe. Mit: Schweiger, Til; Ulmen, Christian; Möhring, Wotan Wilke. Prod.: Berg, Quirin u. Max Wiedemann. Deutschland 2011. Vermes, Timur; Christoph Maria Herbst u. a.: Christoph Maria Herbst liest Timur Vermes, Er ist wieder da. Bearbeitete Fassung. Köln: Lübbe 2012 (=Lübbe Audio). Völler, Eva: Hände weg oder wir heiraten. Roman. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe 2005 (=Bastei-Lübbe-Taschenbuch 15327). Wegener, Felix: Nichtschwimmer. Roman. Berlin: Ullstein 2011. Weiner, Christine u. Carola Kupfer: Das Pippilotta-Prinzip. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Frankfurt am Main: Campus 2006. Weitmayr, Hans: Mr. Mom. Die Wahrheit über ein Jahr Väterkarenz. Roman. Wien: Edition a 2009. Welte, Mark: In die Füsse atmen. Ein Schauspielschüler-Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2011. Wortmann, Sönke: Der bewegte Mann. Mit: Schweiger, Til; Riemann, Katja; Król, Joachim; Rohde, Armin. Prod.: Eichinger, Bernd. Deutschland 1994. Zeus, Sascha u. Michael Wirbitzky: Waschlappen. Roman. Bergisch Gladbach: Lübbe 2009. Zweig, Stefan; Christoph Maria Herbst u. Torsten Feuerstein: Christpoh Maria Herbst liest Stefan Zweig, Schachnovelle. Ungekürzte Lesung. Berlin: Argon 2009 (=Argon Klassiker).

Forschungsliteratur

Einleitung Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen: Francke 2005 (=Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 1). Baumann, Gunther: Bestseller-Autor Tommy Jaud im Interview. In: Oe24 (12.8.2011). http://www.oe24.at/kultur/Bestseller-Autor-Tommy-Jaud-imInterview -ueber-Verfilmung-von-Resturlaub/37112592 (20.9.2014). Esposito, Elena: Popularität. In: Kommunikation im Populären. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein ganzheitliches Phänomen. Hrsg. von Roger Lüdeke. Bielefeld: Transcript 2011. S. 15–20. Höbel, Wolfgang: Mausbär auf großer Fahrt. In: Der Spiegel (2006) H. 30. S. 138. Junghänel, Frank: Der König des Bahnhofkiosks. Tommy Jaud schreibt Bücher für Menschen, die ansonsten eher nicht lesen. Mit „Vollidiot“ und „Resturlaub“ steht er seit Monaten in den Bestsellerlisten. In: Berliner Zeitung (30.1.2007). S. 3. Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Opladen: Leske + Budrich 1998 (=Fragen der Gesellschaft). Pohl, Sigrid u. Konrad Umlauf: Warenkunde Buch. Strukturen, Inhalte und Tendenzen des deutschsprachigen Buchmarkts der Gegenwart. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 2007. Scheinpflug, Peter: Genre-Theorie. Eine Einführung. Berlin: Lit 2014 (=Red guide). Schmale, Wolfgang: Geschichte der Männlichkeit in Europa (1450-2000). Wien: Böhlau 2003. Stepper, Michael: Und täglich grüßt der Vollidiot. In: Focus online (12.4.2007). http://www.focus.de/kultur/kino_tv/oliver-pocher_aid_53280.html (27.8.2014). Vogt, Jochen: Einladung zur Literaturwissenschaft. Paderborn: Fink 2008 (=UTB 2072). Vollbrecht, Ralf: Jugendmedien. Tübingen: Niemeyer 2002 (=Grundlagen der Medienkommunikation 12).

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Ziegler, Arndt: Die wichtigsten 10 Männerbücher. Literatur für Kerle. In: Men’s Health (12.1.2009). http://www.menshealth.de/life/lifestyle/die-wichtigsten-10maennerbuecher.95915.htm#1 (27.8.2014). Literaturtheoretischer Hintergrund Barthes, Roland: Kritik und Wahrheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967 (=Edition Suhrkamp 218). Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Uwe Wirth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002. S. 104–110. Baßler, Moritz: Einleitung. New Historicism – Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 7–28. Baßler, Moritz: Zwischen den Texten der Geschichte. Vorschläge zur methodischen Beerbung des New Historicism. In: Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Hrsg. von Daniel Fulda u. Silvia Serena Tschopp. Berlin: De Gruyter 2002. S. 87–102. Baßler, Moritz: New Historicism und Textualität der Kultur. In: Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Hrsg. von Lutz Musner u. Gotthart Wunberg. Freiburg im Breisgau: Rombach 2003. S. 319–340. Baßler, Moritz: New Historicism, Cultural Materialism und Cultural Studies. In: Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Hrsg. von Ansgar Nünning. Stuttgart: Metzler 2003. S. 132–155. Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen: Francke 2005 (=Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 1). Biller, Maxim: Soviel Sinnlichkeit wie der Stadtplan von Kiel. Warum die neue deutsche Literatur nichts so nötig hat wie den Realismus. Ein Grundsatzprogramm. In: Maulhelden und Königskinder. Zur Debatte über die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Hrsg. von Andrea Köhler u. Rainer Moritz. Leipzig: Reclam 1998. S. 62–71. Bogdal, Klaus-Michael: Klimawechsel. Eine kleine Meteorologie der Gegenwartsliteratur. In: Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre. Hrsg. von Andreas Erb, Hannes Krauss u. Jochen Vogt. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998. S. 9–31. Bogdal, Klaus-Michael: Historische Diskursanalyse der Literatur. Theorie, Arbeitsfelder, Analysen, Vermittlung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 1999 (=Historische Diskursanalyse der Literatur). Brannigan, John: New Historicism and Cultural Materialism. New York: St. Martin’s Press 1998 (=Transitions). Braun, Michael: Die deutsche Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Köln: Böhlau 2010 (=UTB 3352).

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Brockmeier, Peter: Der Vergleich in der Literaturwissenschaft. In: Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Hartmut Kaelble u. Jürgen Schriewer. Frankfurt am Main: Campus 2003. S. 351–368. Bublitz, Hannelore: Archäologie und Genealogie. In: Michel Foucault. Eine Einführung in sein Denken. Hrsg. von Marcus S. Kleiner. Frankfurt am Main: Campus 2001. S. 27–39. Dahlke, Birgit: Literatur und Geschlecht. Von Frauenliteratur und weiblichem Schreiben zu Kanonkorrektur und Wissenschaftskritik. In: Handbuch Frauenund Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. Hrsg. von Ruth Becker, Beate Kortendiek u. Barbara Budrich. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010. S. 767–773. Delaber, Walter: Reload, remix, repeat – remember. Chronikalische Anmerkungen zum Wunder des Fräuleinwunders. In: Fräuleinwunder literarisch. Literatur von Frauen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Hrsg. von Christiane Caemmerer, Walter Delabar u. Helga Meise. Frankfurt am Main: Peter Lang 2005. Dillig, Annabel: „Ein Gag pro Seite“. In: Neon.de (11.3.2010). http://www.neon. de/artikel/freie-zeit/literatur/ein-gag-pro-seite/685657 (27.8.2014). Ďurišin, Dionýz: Vergleichende Literaturforschung. Versuch eines methodischtheoretischen Grundrisses. Berlin: Akademie 1972 (=Sammlung AkademieVerlag, Literatur 18). Ehrenreich, Barbara: The Hearts of Men. American Dreams and the Flight from Commitment. London: Pluto Press 1983. Foltin, Hans Friedrich: Die minderwertige Prosaliteratur. Einteilung und Bezeichnungen. In: Deutsche Vierteljahrsschrift (1965) H. 39. S. 288–323. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977 (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 184). Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin: Merve 1978. Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. 3. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988 (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 356). Foucault, Michel: Das Subjekt und die Macht. In: Michel Foucault – jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik. Hrsg. von Hubert L. Dreyfus u. Paul Rabinow. Weinheim: Beltz Athenäum 1994. S. 243–261. Foucault, Michel: Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am Collège de France (1981/82). Frankfurt am Main: Suhrkamp 2004. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: Kulturwissenschaft. Eine Auswahl grundlegender Texte. Hrsg. von Uwe Wirth. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008. S. 453–487. Grabovszki, Ernst: Vergleichende Literaturwissenschaft für Einsteiger. Wien: Böhlau 2011 (=UTB 3565).

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Karpenstein-Eßbach, Christa: Zum Unterschied von Diskursanalysen und Dekonstruktionen. In: Flaschenpost und Postkarte. Korrespondenzen zwischen kritischer Theorie und Poststrukturalismus. Hrsg. von Sigrid Weigel. Köln: Böhlau 1995. S. 127–139. Keller, Reiner: Michel Foucault. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2008 (=Klassiker der Wissenssoziologie 7). Kilian, Eveline: Diskursanalyse. In: Literaturwissenschaft in Theorie und Praxis. Eine anglistisch-amerikanistische Einführung. Hrsg. von Ralf Schneider. Tübingen: Narr 2004. S. 61–82. Klawitter, Arne u. Michael Ostheimer: Literaturtheorie. Ansätze und Anwendungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008 (=UTB 3055). Kristeva, Julia: Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Hrsg. von Jens Ihwe. Bd. 2/2. Frankfurt am Main: Athenäum 1971. S. 345–375. Kristeva, Julia: Probleme der Textstrukturation. In: Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Hrsg. von Jens Ihwe. Bd. 3. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. S. 484–507. Kristeva, Julia: Der geschlossene Text. In: Textsemiotik als Ideologiekritik. Hrsg. von Peter V. Zima. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. S. 194–229. Lehnert, Gertrud: Kulturwissenschaft als Gespräch mit den Toten? Der New Historicism. In: Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren. Hrsg. von Iris Därmann u. Christoph Jamme. München: Fink 2007. S. 105–118. Leubner, Martin: Unterhaltungsliteratur. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. a. Stuttgart: Metzler 2007. S. 794–795. Matthes, Joachim: The Operation Called „Vergleichen”. In: Zwischen den Kulturen? Die Sozialwissenschaften vor dem Problem des Kulturvergleichs. Hrsg. von Joachim Matthes. Göttingen: Schwartz 1992. S. 75–99. Montrose, Louis: Die Renaissance behaupten. Poetik und Politik der Kultur. In: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Hrsg. von Moritz Baßler. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1996. S. 60–93. Morgan, David H. J.: Discovering Men. London: Routledge 1992 (=Critical Studies on Men and Masculinities 3). Osinski, Jutta: Einführung in die feministische Literaturwissenschaft. Berlin: Schmidt 1998. Pohl, Sigrid u. Konrad Umlauf: Warenkunde Buch. Strukturen, Inhalte und Tendenzen des deutschsprachigen Buchmarkts der Gegenwart. 2. Aufl. Wiesbaden: Harrassowitz 2007. Rathjen, Friedhelm: Crisis? What Crisis? In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Hrsg. von Christian Döring. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995. S. 9–17.

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F ORSCHUNGSLITERATUR

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Lettre Hans Stauffacher, Marie-Christin Wilm (Hg.) Wahnsinn und Methode Zur Funktion von Geniefiguren in Literatur und Philosophie Dezember 2015, ca. 320 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2339-0

Johanna Richter Literatur in Serie Transformationen des Romans im Zeitalter der Presse, 1836-1881 November 2015, ca. 240 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3166-1

Armin Schäfer, Karin Kröger (Hg.) Null, Nichts und Negation Becketts No-Thing Dezember 2015, ca. 290 Seiten, kart., ca. 35,99 €, ISBN 978-3-8376-2704-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Lettre Carsten Gansel, Werner Nell (Hg.) Vom kritischen Denker zur Medienprominenz? Zur Rolle von Intellektuellen in Literatur und Gesellschaft vor und nach 1989 Dezember 2015, ca. 300 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3078-7

Reinhard Babel Translationsfiktionen Zur Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens November 2015, ca. 350 Seiten, kart., ca. 44,99 €, ISBN 978-3-8376-3220-0

Tanja Pröbstl Zerstörte Sprache – gebrochenes Schweigen Über die (Un-)Möglichkeit, von Folter zu erzählen August 2015, 300 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3179-1

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)

Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014

Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.

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Zeitschrif t für interkulturelle Germanistik Dieter Heimböckel, Ernest W.B. Hess-Lüttich, Georg Mein, Heinz Sieburg (Hg.)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 5. Jahrgang, 2014, Heft 2

Dezember 2014, 208 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN 978-3-8376-2871-5 E-Book: 12,80 €, ISBN 978-3-8394-2871-9 Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (ZiG) trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der nationalen und internationalen Germanistik Interkulturalität als eine leitende und innovative Forschungskategorie etabliert hat. Sie greift aktuelle Fragestellungen im Bereich der germanistischen Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft auf und versammelt aktuelle Beiträge, die das zentrale Konzept der Interkulturalität weiterdenken. Die Zeitschrift versteht sich bewusst als ein interdisziplinär und komparatistisch offenes Organ, das sich im internationalen Wissenschaftskontext verortet sieht. Lust auf mehr? Die ZiG erscheint zweimal jährlich. Bisher liegen 10 Ausgaben vor. Die ZiG kann auch im Jahresabonnement für den Preis von 22,00 € (international 28,00 €) bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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