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German Pages 194 [200] Year 2008
Der mittelalterliche Tristan-Stoff in Skandinavien
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Der mittelalterliche Tristan-Stoff in Skandinavien Einführung - Texte in Übersetzung Bibliographie
Herausgegeben von Heiko Uecker
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-020028-7 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die norwegische Saga von Tristram und Königin Isönd . . . . .
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Das Geißblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
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Die isländische Saga von Tristram und Isodd . . . . . . . . . . 130
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Die Balladen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die isländische Tristrams-Ballade . . . . . . . . . . . . . . . . . Die dänische Ballade Tristram und Isold . . . . . . . . . . . . . . Die färöische Tistrams-Ballade . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159 162 171 177
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
Einleitung Liebespaare, vor allem wenn ihnen das beständige Glück versagt bleibt, haben Dichter schon immer angezogen: Orpheus und Eurydike, Abaelard und Heloïse, Romeo und Julia, Werther und Lotte und eben Tristan und Isolde, das berühmteste Liebespaar des europäischen Mittelalters. Dieser Stoff war für einige Jahrhunderte, so vom zwölften bis zum fünfzehnten, über die Maßen populär, so daß kaum eine europäische Sprache keine Bearbeitung vorweisen konnte. Das geht vom Französischen aus und erreicht Deutschland, England, Italien, Spanien, die slawischen Sprachen und auch den Norden Europas. Bevor die nordischen Versionen in den Blick genommen werden, soll eine knappe Übersicht über die europäische Verbreitung voranstehen. Als gesichert gilt die Herkunft des Stoffes aus keltischem Sagenbereich. Seit dem 7. Jahrhundert ist der Name Drystan/Trystan belegt, Versuche, ein historisches Vorbild zu finden, sind wenig überzeugend. Wesentliche Elemente des Tristan-Stoffes, und das wird noch in allen überlieferten Zeugnissen sichtbar, sind internationale Schwank- und Märchenmotive: der Liebestrank, die untergeschobene Braut, der Drachenkampf mit dem Zungenbeweis, die fälschlich verleumdete Frau, das belauschte Stelldichein, listige Abenteuer, Ehebruchsszenen. Wie und wann sie sich dem Stoff angelagert haben mögen, das bleibt reine Spekulation, ebenso wie die Suche nach einem „Ur-Tristan“, den J. Bédier postulierte. Die literarische Gestaltung beginnt in Frankreich Mitte des zwölften Jahrhunderts, und wenn auch die ersten Zeugnisse dafür nicht erhalten sind, so darf man gleichwohl von deren Existenz ausgehen, man darf die sog. Estoire (so Bérouls Quellenangabe: : : : si conme l’estoire dit, / La ou Berol le vit escrit, V. 1789 f. – nach dem, was die Geschichte sagt, so wie sie Berol geschrieben fand ) als den Ausgangspunkt aller nachfolgenden Tristan-Dichtungen annehmen. Chrétien de Troyes erwähnt in seinem Cligès, daß er in einem früheren Werk, das allerdings verloren ist, über König Marke und die schöne Ysolt gehandelt habe. Es ist indes unwahrscheinlich, daß es sich dabei um die Estoire gehandelt hat. Béroul (oder Bérol), von dem man nicht viel weiß, dichtete in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts seine nur fragmentarisch erhaltene Version des Stoffes. Hier sind die Liebenden entschuldigt, da sie den Zaubertrank zu sich nahmen. Gott wird ihnen gnädig sein, und da die Wirkung des Trankes erlöschen wird, werden sich die beiden mit König Marc und mit Gott aussöhnen. Der deutsche Dichter Eilhart von Oberge, ein Vasall Heinrichs des Löwen, dessen Frau Mathilda die Tochter der Eleanor von Aquitanien war, geht in seinem Trystrant (Anfang der 1170er Jahre), der der älteste vollständig erhaltene TristanRoman ist, auf dieselbe Quelle wie Béroul zurück. Bei ihm erhält der Schluß einen versöhnlichen Ton. Zwar sterben die Liebenden (und so stand es in seiner Quelle), aber Marke bedauert dies alles und exkulpiert die beiden, die lediglich
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Einleitung
aufgrund des Liebestrankes zu ihren Handlungen gezwungen wurden. Er läßt sie würdig bestatten und pflanzt Rosen und Reben auf ihren Gräbern. Neben Eilhart tritt bald Heinrich von Veldeke auf den Plan, der in seiner Eneit die höfische Verherrlichung der Liebe in den Mittelpunkt stellt. Aber die von ihm gepriesene Liebe ist frei, nicht zwanghaft, wie er sie auch in seinem Lied Tristran muose sunder sînen danc (Minnesangs Frühling, ed. H. Moser-H. Tervooren, 1977, S. 108) besingt: „wan in daz poisûn dar zuo twanc / mêre danne diu kraft der minne“. Er liebt seine Schöne ohne Trank noch viel mehr als Tristan. In Frankreich hatte sich in etwa zur selben Zeit ein anderer Dichter, Thomas de Bretagne, ans Werk gemacht. Von ihm weiß man auch so gut wie nichts. Er war wohl ein Anglonormanne und ist vielleicht in Verbindung mit dem englischen Hof um Heinrich II. und seine Frau Eleanor zu sehen. Sein Tristan ist nur in Fragmenten überliefert, allerdings kann man sein Werk recht genau rekonstruieren, da es einmal Gottfried von Straßburg als Vorlage gedient hat, zum anderen in Norwegen als Tristrams saga übersetzt wurde, die vollständig erhalten ist. Ihr kommt daher eine außerordentliche Bedeutung zu, als Zeugnis norwegisch-isländischer Literatur und als Hilfsmittel zur Kenntnis der verlorenen Teile der Thomas’schen Dichtung (J. Bédier [1902] und R. Sh. Loomis [1951] haben einen Versuch der Rekonstruktion unternommen). Doch darüber später. Thomas bringt etwas entscheidend Neues in die Tristan-Geschichte. Neben dem höfischen, grundsätzlich optimistischen roman courtois thematisiert er das Schicksalhafte, das Zerstörerische der Liebe. Durch Symbolisierungen, psychologisierende Erzählweise und Verinnerlichung hat er die Geschichte im Sinne der höfischen Liebe verfeinert. An der Handlung ist er weniger interessiert als an der psychologischen Begründung. Der Unterschied zu Béroul ist mit Händen zu greifen: es gibt nicht mehr die Rede von der Schuld der Liebenden, sondern die Liebe ist die höchste Macht, die alle gesellschaftlichen Grenzen überschreitet. Daher läßt auch die Wirkung des Liebestrankes nicht nach. Die Liebe ist die höchste, durch nichts getrübte Existenzform. Daher ist auch bei Thomas das Waldleben der beiden Ausdruck größter Seligkeit, die beiden sind einander genug, sie scheinen die (gesellschaftliche) Welt nicht zu benötigen – und doch sind sie von ihr abhängig. Gottfried von Straßburg beruft sich in seinem nicht vollendeten Versroman Tristan und Isold (von ca. 1210) ausdrücklich auf Thomas: als Thomas von Britanje giht / der aventiure meister was / und an britunschen buochen las / aller der lantherren leben / und ez uns ze künde hat gegeben (Vers 150 ff.). Noch poetischer und mit mehr Erzählerkommentaren preist er die unbändige Macht und den Zwang der Liebe. Die Freude-Leid-Thematik durchzieht das ganze Werk. Das dreizehnte Jahrhundert führte sein Werk zu Ende, aber mit erheblich anderen Akzenten. Die Fortsetzer Ulrich von Türheim (ca. 1235) und Heinrich von Freiberg (um 1290) greifen im für die Zeit typischen Hunger nach Stoff auf Eilhart zurück, der nach wie vor populär war, und damit geben sie auch ein versöhnliches Ende. Deutlich heben sich somit Thomas und Gottfried von allen
Einleitung
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anderen ab, ihre Auffassung der Liebe war etwas nur für die wenigen, die edelen herzen. Spätere deutsche Bearbeitungen, wie auch das tschechische Tristan-Gedicht (ca. 1350), greifen auf Eilhart zurück, so der deutsche Prosaroman Tristrant und Isalde des 15. Jahrhunderts, der die Quelle für Hans Sachsens Tragedia mit 23 Personen, von der strengen lieb herr Tristrant mit der schönen königin Isalden, und hat 7 actus von 1553 (gedruckt 1561) abgab. Der Prosaroman endet mit der Warnung, sich vor „unordentlicher“ Liebe in Acht zu nehmen. Welch ein Abstand zu Thomas und Gottfried! Doch noch einen kurzen Rückblick in das Mittelalter. Schon frühzeitig sind aus der Hauptmasse Einzelteile herausgelöst und geformt worden, kürzere Erzählungen, die aber beim Leser und Hörer die Kenntnis des gesamten Stoffes voraussetzen. Hierher gehören der Lai du Chèvrefeuille der Marie de France (um 1165), der auch ins Nordische übersetzt wurde, die Folie Tristan, in der Tristan als Narr verkleidet an Markes Hof weilt (in zwei Fassungen aus dem späten zwölften Jahrhundert). Der aus dem späten dreizehnten Jahrhundert stammende mittelenglische Sir Tristrem erzählt nach Balladenart Tristan-Episoden auf der Grundlage von Thomas, und schließlich muß noch erwähnt werden, daß es in den ersten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderts in Frankreich modern wird, ältere Versromane in Prosa umzuschreiben, und so entsteht in Frankreich der umfangreiche Roman Tristan en prose (ca. 1230), dessen 80 Handschriften und Fragmente sowie Drucke von der Beliebtheit des Stoffes Zeugnis ablegen. Dieser Roman wurde in den nachfolgenden Jahrhunderten ins Englische, Italienische, Spanische, Portugiesische, Polnische und Russische übersetzt.
Zur Übersetzung Bei den beiden Versionen der Tristrams Saga habe ich den Versuch gemacht, mich so eng wie nur irgend möglich an die Ausgangstexte zu halten und deren Stilgebärden durchscheinen zu lassen, auch dort, wo sich im Deutschen eine flüssigere, variationsreichere Ausdrucksweise angeboten hätte; so habe ich Wiederholungen, Satzbrüche, Tempuswechsel und dergleichen als solche übertragen, um einen Eindruck vom Original zu vermitteln. Der Übersetzung der norwegischen Saga lege ich die Ausgabe von Kölbing, der isländischen Saga die von Bjarni Vilhjálmsson zugrunde. Die norwegische Fassung ist früher von Kölbing übertragen worden, die isländische erscheint hier zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Die isländische Tristrams-Ballade gebe ich in der Übertragung von Friedrich Ranke, die, wie mir scheint, die Poesie des Originals gut wiedergibt. Die dänische und die färöische Ballade sowie die Erzählung vom Geißblatt werden hier erstmalig ins Deutsche übertragen. Rolf Heller und Peter Kern haben den Text auf das gründlichste durchforstet und ihn mit zahllosen Verbesserungen angereichert. Beiden gilt mein herzlicher Dank.
Texte
1. Die norwegische Saga von Tristram und Königin Isönd Der beliebte, ja populäre Tristan-Stoff gelangte auch nach Skandinavien, insbesondere nach Norwegen und das kam so: nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen während des 12. Jahrhunderts konsolidierte sich die Königsmacht in Norwegen unter der Herrschaft des Hákon Hákonarson (geb. 1204), der 1217 König wurde und dies bis zu seinem Tod 1263 blieb. Er wollte unter anderem auch den kulturellen Anschluß an das kontinentale Europa, organisierte seinen Hof nach internationalem Vorbild, und hierzu gehörte auch der Import ausländischer Literatur, insbesondere der französischen. Das erste Ergebnis dieser kulturpolitischen Aktivität war die Veranlassung der Übersetzung der französischen Tristan-Geschichte des Thomas im Jahre 1226, „als diese Saga nach der Aufforderung und dem Willen des ehrwürdigen Herrn König Hákon in norröner Sprache geschrieben wurde“, wie es im Vorwort der Tristrams Saga heißt. Dies blieb indes nicht Episode. Während des 13. Jahrhunderts gelangte ein breiter Strom französischer Literatur nach Norwegen: von Chrétien de Troyes wurden drei Werke übersetzt: Erec et Enide (= Erex saga), Le chevalier au lion ou Yvain (= Ívens saga), der fragmentarisch überlieferte Conte de graal ou Perceval (= Parcevals saga und Valvers þáttr), weitere Zeugnisse der arthurischen Literatur sind Floire et Blancheflor (= Flóres saga ok Blankiflúr), Parténopeis de Blois (= Partalopa saga); aber auch chansons de geste sind in den Norden transportiert worden: Elie de St. Gille (= Elis saga), Boeve de Haumtone (= Bevers saga) und die chansons de’Otinel, d’Aspremont, de Roland und Le pélerinage de Charlemagne, die alle in die umfangreiche Karlamagnús saga eingeflossen sind. Dazu gesellen sich noch die lais der Marie de France (= Strengleikar) und das Fabliau Le Mantel mautaillé (= Möttuls saga). Einige von ihnen (Ívens saga, Möttuls saga, Strengleikar) nennen ebenfalls „König Hákon“ als Anreger, und es spricht viel für die Annahme, daß es sich dabei ebenfalls um Hákon Hákonarson handelt und nicht um Hákon Magnússon (1280–1299). Bei diesem Kulturimport, dem in Schweden und Dänemark nichts Vergleichbares an die Seite tritt, darf dann nicht die Erwähnung der Þiðreks saga fehlen, die niederdeutsche Dietrichgeschichten dem Norden vermitteln, und fehlen darf auch nicht die Übersetzung lateinischer historiographischer Werke (vgl. Isländische Antikensagas) Dieser gewaltige Schub ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Er reiht sich ein in den Modernisierungsprozeß Norwegens in einem kaum vorstellbaren Maß, dergestalt, daß er nahezu alle einheimische, traditionelle Literatur verdrängt haben muß, denn von ihr existieren nur schwache Reflexe. Daß es dagegen auch eigene historiographische Literatur gibt, ändert den Befund nicht. Und zum anderen: diese höfische, aus dem Französischen übersetzte Literatur hat nach dem 13. Jahrhundert in Norwegen kaum mehr weitergelebt, wie die äußerst bescheidene handschriftliche Überlieferung zeigt; hingegen erlangte sie auf
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Texte
Island größte Popularität. Die Isländer tradieren diese Geschichten über mehrere Jahrhunderte hinweg und werden dabei so manche Änderungen vorgenommen haben. Da viele der Geschichten erst in der handschriftlichen Überlieferung seit dem 15. Jahrhundert greifbar werden, soll davor gewarnt werden, allzu schnell Rückschlüsse auf die Gestalt der urspünglichen Übersetzung zu ziehen, liegen doch manchmal mehrere Jahrhunderte zwischen Übersetzung und ältester erhaltener Handschrift. Der norwegischen Tristrams saga kommt neben ihrem Stellenwert für die norwegisch-isländische Literatur- und Kulturgeschichte eine besondere Bedeutung zu. Sie ist die vollständige Übersetzung der französischen Dichtung des Thomas, die nur fragmentarisch erhalten ist. Zu ihrer Rekonstruktion ist die Saga die einzige Quelle, da auch Gottfrieds Tristan unvollendet geblieben ist (Kölbing hat in der Einleitung seiner Ausgabe einen peniblen Vergleich zwischen Gottfried und der Saga angestellt). Außerdem haben Gottfried und Thomas nur einige hundert Zeilen gemeinsam. Der Übersetzer nennt sich im Vorwort „Bruder Robert“, und da auch die Elis saga einen „Robert“ als Übersetzer nennt, diesmal als „Abt Robert“, geht man allgemein davon aus, daß es sich um dieselbe Person handelt. Es ergibt sich damit auch, daß die Elis saga der Tristrams saga zeitlich nachgeordnet ist. Der Name „Robert“ ist im Nordischen recht selten, und so hat man vermutet, daß es sich möglicherweise um einen Engländer handelte, der des Norwegischen mächtig war. Mit demselben Recht ist dann auch behauptet worden, es handele sich um einen Norweger, der in einem englischen oder französischen Kloster diesen Namen angenommen habe. Wir kennen von ihm also nicht mehr als seinen Namen. Die handschriftliche Überlieferung setzt spät ein: aus dem 15. Jahrhundert sind vier Pergamentblätter erhalten, wovon drei (= AM 567 4to XXII) Fragmente ein und derselben Handschrift zu sein scheinen und eines (ReevesFragment, Library of Congress, Washington), nicht mit 567 identisch, Reste einer anderen Handschrift bietet. An vollständigen Papierhandschriften liegen vor: AM 543 4to (aus dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts), die Kölbing seiner Ausgabe zugrunde legte; JS 8 fol (von 1729) und ÍB 51 fol (von ca. 1688). Letztere Handschrift liegt (nach Paul Schach) näher an 567 als an 543 und sollte daher als Grundlage einer textkritischen Ausgabe dienen, die aber immer noch nicht erschienen ist. Mit guten Gründen wird angenommen (z. B. Alfrún Gunnlaugsdóttir, Paul Schach), daß die Papierhandschriften trotz ihres großen zeitlichen Abstandes zum Original einen guten Eindruck von Roberts Tätigkeit vermitteln können. Wie ist nun Bruder Robert vorgegangen? Er hat einen Versroman nicht in Versen wiedergegeben, sondern ihn in Prosa übersetzt. Und dies hat zu vielen Spekulationen Anlaß gegeben: hat er sich einer bereits existierenden literarischen Form angepaßt, die in der Literatur vielleicht schon zu seiner Zeit gang und gäbe war und wie sie in Vorzeitgeschichten und Isländersagas greifbar wird, und sich somit in eine literarische Norm eingeschrieben? Oder hat er erst das Vorbild für
1. Die norwegische Saga von Tristram und Königin Isönd
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später entstehende einheimische Prosagattungen geschaffen? Oder hat er gar den Versroman in Prosa umgesetzt, weil es in Frankreich Mode geworden war? Wie ist sein Verhältnis zur Vorlage zu beurteilen? Er erzählt die Geschichte getreu nach Thomas, ändert allerdings in folgenden Punkten: lange Monologe und ausführliche Beschreibungen des Aussehens und der Gefühle der Handelnden hat er weggelassen. Er will nicht reflektieren, er will den raschen Fluß der Begebenheiten und bemüht sich, die Handlung, auf die es ihm besonders ankommt, wahrscheinlich zu machen. Er nimmt eher die Haltung eines objektiven Erzählers ein, wo Thomas als Erzähler immer anwesend ist, dessen Eingriffe und Einschübe er nachhaltig tilgt. Er interessiert sich weit weniger als Thomas dafür, was in seinen Personen vorgeht, und verzichtet nahezu ganz auf psychologisierende Darstellungen. Wichtig sind ihm auch Tristrams große Taten. Er hat der Thomas-Geschichte nichts hinzugefügt, lediglich das Gebet, das Isönd über des Geliebten Leiche spricht, geht auf sein Konto. Daß die Darstellung der Liebe, die sich über alle Grenzen der Konvention hinwegsetzt, keinen so großen Platz wie bei Thomas einnimmt, hängt möglicherweise damit zusammen, daß dergleichen der nordischen Literatur fremd war. Dies besagt freilich nicht, daß es dort nicht schon große Liebesgeschichten gab, man denke beispielsweise an den Kreis um Sigurd und Brynhild, und das ist ja nicht nur eine Geschichte von Rache, oder an die Liebe von Helgi dem Hundingstöter aus der Edda. Als schlecht ist Roberts Bearbeitung gescholten worden. Der Deutsche W. Golther sprach von „stilwidrigen Verunstaltungen des Thomas-Gedichtes“; der Franzose J. Bédier meinte, Robert habe der Vorlage nichts genommen, außer der Poesie, der Isländer Einar Ólafur Sveinsson fand, Robert „has very nearly ruined that great love story“. Erst in jüngster Zeit (z. B. Kalinke) hat man zu sehen gelernt, daß Robert durchaus einen eigenen Stilwillen entwickelt hat, es ist eben ein anderer als man ihn aus der klassischen höfischen Literatur kennt. Zu diesen Stilmitteln gehören: Synonyme, gerne auch gehäuft, variierende Wiederholungen, Hendiadyoin, syntaktische Parallelismen, Kumulierungen, Aufzählungen, Antithesen, Stabreim. Einige Beispiele mögen dies beleuchten: „Isönd verteilte große und gütige Almosen, so daß sie von allem, was sie an Gold und Silber, Zeug und Zubern besaß, einen großen Teil den Armen um der Liebe Gottes willen gab, ebenso den Kranken und Verwundeten, den Vaterlosen und den armen Witwen [: : :] Da weinte alle, Freunde wie Bekannte, Ausländer wie Einheimische, Reiche und Arme, Junge wie Alte. [: : :] Einige wollten sie in die Enge treiben und ängstigen, andere wollten ihr bei der Eidesformel helfen, aber die meisten wollten : : :“ (Cap. 59). Auf ein besonders eindringliches Beispiel hat M. Kalinke verwiesen, es muß hier isländisch zitiert werden, da die Übersetzung alle Feinheiten nur annähernd wiedergeben kann: „Hun óvitaðist optliga niðr fallandi, lá sem dauð ok kostaði með aköfum harmi at fyrirfara sér, hafnandi allri huggan; dauð er hennar gleði ok allt hennar gaman; heldr kaus hun nú at deyja enn lifa, svá segjandi: ,Aum em ek yfir alla kvennmenn, hvernin skal ek lifa eptir svá dýrligan dreng? Ek var
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Texte
hans líf ok huggun, enn hann var unnusti mínn ok líf mítt, ek var hans yndi, en hann mín gleði; hversu skal ek lifa eptir hann dauðan, hversu skal ek huggast er gaman mín er grafit? Báðum okkr sómir saman at deyja; fyrir því at hann má ei til mín koma, þá verð ek gegnum dauðann at ganga, því at hans dauði drepr á mítt hjarta. Hversu skal ek hér mega lengr lifa? Mítt líf skal hans lífi fylgja!‘ “ („Von einer Ohmacht fiel sie in die andere, lag wie tot da und wollte in ihrem großen Kummer sterben, jeden Trost ablehnend. All ihre Freude und Fröhlichkeit waren dahin. Lieber wollte sie sterben als am Leben bleiben und sie sprach: ,Elend bin ich gegenüber allen Frauen, wie kann ich einen so herrlichen Helden überleben? Ich war sein Leben und Trost, er war mein Liebster und mein Leben, ich war seine Wonne, er war meine Freude; wie kann ich nach seinem Tod weiterleben, wie kann ich getröstet werden, da mein Geliebter begraben ist? Es geziemt uns beiden, daß wir zusammen sterben; da er nicht zu mir kommen kann, muß ich durch den Tod hindurchgehen, denn sein Tod klopft an mein Herz. Wie kann ich hier noch länger leben? Mein Leben soll seinem Leben folgen!‘ “). Der überbordende, nach den Regeln der Rhetorik gewirkte Stil scheint Robert das rechte Mittel gewesen zu sein, um die Verse der Vorlage adäquat in Prosa zu überführen. Die ablehnende Haltung, die seine Arbeit gefunden hat, geht von anderen literarästhetischen Maßstäben aus, sei es von der verinnerlichenden, reflektierenden Haltung eines Thomas oder eines Gottfried, sei es vom Stilgestus der Isländersaga, von dem sich in der Tat Bruder Roberts Übersetzung nachdrücklich unterscheidet. Das, was die Saga ausmacht, fehlt der Übersetzung gänzlich. Während die Isländersaga zur Knappheit, zur Kürze drängt und Litotes und Untertreibung geschickt einsetzt, ist die Übersetzung ausladend, bedient sich gerne der amplificatio. Die Tristrams saga, die die erste übersetzte Saga gewesen sein dürfte, steht damit am Anfang einer Reihe von Übersetzungen aus dem Französischen und bildet auch (zusammen mit den anderen Erzählungen aus dem arthurischen Kreis) den Ausgangspunkt originaler isländischer Ritter- und Märchensagas aus dem Spätmittelalter, indem sie Motive und Situationen bereitstellt.
∗ ∗ ∗ Hier wird die Saga von Tristram und Königin Isönd aufgeschrieben, in der von der schwer zu tragenden Liebe erzählt wird, die sie für einander hatten. Seit der Geburt Christi waren 1226 Jahre vergangen, als diese Saga nach der Aufforderung und dem Willen des ehrwürdigen Herrn König Hákon in norröner Sprache geschrieben wurde. Aber Bruder Robert führte dies aus und schrieb sie nach seinem Vermögen mit dieser Ausdrucksweise auf, wie sie in der Saga steht und die nun erzählt werden soll.
1. Die norwegische Saga von Tristram und Königin Isönd
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Kapitel 1 (Gottfried 245–463)1 In Bretland2 lebte ein junger Mann, äußerst schmuck an körperlicher Schönheit, an reichen Gaben auf das beste ausgestattet, mächtig und reich an gewaltigen Kastellen und Burgen, klug an mancherlei Kenntnis, sehr rüstig als Ritter, der treueste in jeder Tapferkeit, klug und kundig in den Beratungen, vorsichtig und vorausschauend, vollendet in allen Fähigkeiten vor allen Männern, die zu jener Zeit in diesem Reich lebten, und dieser Ritter hieß Kanelangres mit Namen. Gegenüber den Harten war er der Härteste und gegenüber den Grimmigen der Grimmigste. Er hatte eine so große Menge tapferer Ritter und ungestümer Gefolgsleute bei sich, daß er sich am liebsten mit einer größeren Schar umgeben hätte, als seine Mittel es ihm erlaubten. Und da er nun in Gaben der Großzügigste und in seinem Auftreten äußerst freundlich und in den Kämpfen der Härteste war, eignete er sich durch Tapferkeit und seine Mannhaftigkeit in Turnieren von seinen Feinden so viele Besitztümer und solche Beutestücke an, daß in wenigen Jahren durch das große Hab und Gut seine Macht und sein Ansehen wuchsen. Im dritten Jahr, in dem er Waffen und Rüstung der Ritter trug, führte er eine zahlreiche Schar im harten Kampf gegen manchen König und Herzog und brachte ihnen großen Schaden und Verlust bei, setzte dort im Lande Kastelle des Königs und Burgen in Brand, und viele Ritter des Königs ergaben sich überwunden und besiegt, von denen er beträchtliches Lösegeld nahm, Gold und Silber und kostbare Kleinode, Rosse und Rüstungen. Er mußte auch einige seiner Männer lassen, wie es oft im Krieg vorkommen kann. Kanelangres tat dies dem König des Landes an, daß er sein Reich zerstörte und seine Leute gefangennahm, bis der König ihm schließlich das Treuegelöbnis abnahm und er sich im Beisein der erfahrensten Männer mit ihm versöhnte, und sie vereinbarten nun einen Vertragsabschluß. Nachdem die Verträge geschlossen waren, da setzte Kanelangres einen Stellvertreter über sein Reich, über die Kastelle, die Städte und Burgen, und dazu vornehme Männer und zuverlässige Ritter. Danach ließ er sein Heer von diesem Land in ein anderes Reich ziehen, um wackere Männer kennenzulernen und um berühmt zu werden und seine Tapferkeit und Ritterschaft zu fördern. Ihm war viel von England erzählt worden, daß es ein großes und wohlhabendes Reich sei, schön und berühmt, gut und reich an Gütern, mit einem Überfluß an höfischen Rittern und mächtigen Burgen und starken Kastellen und ein äußerst ergiebiges Jagdgebiet für Tiere und Vögel und sehr reich an Erz, Gold und Silber und Tuchen aller Art und guten Pferden, grauem Pelzwerk und weißem, Fellen von Bären und Zobeln. Deshalb nahm er sich vor, die Tapferkeit 1
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Der bei Gottfried erzählte Kampf gegen Morgan ist in der Saga ausgelassen. An dessen Stelle sind andere Kämpfe getreten. Hier: „Bretagne“.
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Texte
und Tüchtigkeit, die Freigebigkeit und Lebensart der höfischen Menschen zu erkunden, die in jenem Reich wohnen, die allen Ehrenmännern, die zu ihnen kommen und bei ihm bleiben wollen, Ehrbezeugungen und vorzügliche Freundschaft anbieten; daher will er ihre Lebensweise, ihre Sitten und Gewohnheiten, ihre Macht und Waffen, ihre Tapferkeit und Turniere prüfen.
Kapitel 2 (Gottfried 464–508) Als Kanelangres derartiges bei sich bedacht hatte, bricht er zu seiner ehrenvollen und prächtigen Fahrt auf, mit ausreichenden Vorräten, mit stattlichen Männern, mit klugen und kühnen, höfischen und erprobten Rittern, doch nicht mehr als zwanzig, wohl und würdig ausgestattet mit guten Marschwaffen und sicheren Rüstungen und den besten Pferden, und sie kamen nach England und landen in Kornbretaland3 . Als Kanelangres nach England kam, war der angesehene König Markis Alleinherrscher und Anführer aller Engländer und Kornbreten. König Markis saß mit seinem großen und vornehmen Gefolge in der Hauptburg, die Tintajol heißt. In dieser Burg steht das stärkste Kastell des ganzen Königreiches. Als Kanelangres erfährt, daß sich der König in Tintajol aufhielt, da begab er sich mit seinen Rittern dorthin, und als er in den Hof des Königs kam, da stiegen er und seine Mannen vom Pferd, gingen dann zur Halle des Königs, sorgfältig Ehre und Würde königlicher Sitte beachtend, zwei und zwei zusammen, einander an den Händen haltend, gekleidet und ausgestattet mit kostbaren Gewändern. Als Kanelangres und seine Mannen vor den König kamen, da begrüßten sie den König wohl und würdig. Als er die Rede dieser jungen Männer gehört und verstanden hatte, da antwortete er ihnen schön und ehrenvoll, wie es einem höfischen Herrscher geziemt, und König Markis wies ihnen einen Platz an, Kanelangres neben sich, die Mannen und Begleiter plazierte er den für das Gefolge geltenden Gesetzen und der höfischen Sitte entsprechend. Dann fragte der König Kanelangres nach seinem Begehr, aber der junge Mann, umsichtig und bedachtsam vorgehend, erzählt dem König sein Begehr, welches voller Friede und vollkommener Freude sei, und danach sagt er dem König mit freundlichen Worten, von woher und weshalb er in sein Reich und zu ihm gekommen sei, daß er bei ihm und seiner ehrenvollen Gefolgschaft weilen wolle, um sich die Zeit zu vertreiben und vornehme Lebensart und höfisches Benehmen zu lernen. Als der berühmte König Markis verstanden hatte, daß Kanelangres mit einem derartigen Wunsch an seinen Hof gekommen war, daß er bei ihm weilen und ihm dienen wollte, da nahm er ihn und seine Mannen freundlich und ehrenvoll auf, indem er ihnen Ansehen vor allen seinen Rittern verschaffte. Dadurch wurde ihm das größte Glück und ein großartiges Geschick zuteil. 3
Cornwall (Gottfried: Kurnewal).
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Kapitel 3 (Gottfried 509–586) Nachdem Kanelangres eine Weile in solchen Ehren und vorzüglicher Hochachtung beim König geweilt hatte, da wird davon erzählt, daß der freigebige König Markis zu einem bedeutenden Feiertag ein großes und prachtvolles Fest vorbereiten läßt, und der König schickt nun Brief und Siegel über sein ganzes Land und lädt nun alle Vertrauten, Jarle, Herzöge und Barone mit ihren Gemahlinnen und Söhnen, natürlich auch mit ihren Töchtern ein. Wie alle die Einladung des Königs gehört und seinen Wunsch vernommen haben, da sind alle darauf bedacht und bemühen sich, seinen Willen und ihre Treupflicht zu erfüllen, und nun bereiten sie sich unverzüglich auf ihre Fahrt vor, die Grafen4 und die Jarle und alle vornehmsten Männer dieses Königreiches und Fürsten aller umliegenden Inseln mit ihren Gemahlinnen, Söhnen und Töchtern, wie es von früher her nach der Sitte des Landes geregelt war. Nun kamen all die zum Fest des Königs, die der König dorthin eingeladen hatte, und alle trafen in Kornbretaland in einem Wald an einem Weiher zusammen. Dort waren schöne Wiesen und weite Felder, geschmückt mit schönen und blühenden Pflanzen. Weil dieser Platz für mancherlei Kurzweil so sehr geeignet war, ließ König Markis auf diesen Wiesen große Zelte aufbauen und herrichten, gelbe und grüne, blaue und rote und prachtvoll aufgemacht, vergoldet und goldgerändert, unter duftenden Blättern und gerade aufgeblühten Blumen; da begannen die neu eingerüsteten Ritter und jungen Männer mit schönen Turnieren und kämpften ritterlich ohne Mißgunst und Hochmut und erlangten dadurch die Liebe und Huld schöner Jungfrauen und höfischer Damen, die dort mit so vielen Leute beiderlei Geschlechts zusammengekommen waren, in den Zelten und davor, und da mit ihren Männern und Geliebten standen, die zu diesem Fest dorthin gekommen waren.
Kapitel 4 (bis einschließlich Kapitel 10 = Gottfried 587–1118) Nun ist hier eine große Menge der schönsten Menschen, die sich Mannes Augen zu sehen wünschten, zusammengekommen, und wie König Markis sein herrliches Gefolge mustert, wächst ihm seine Freude sehr bei dem Gedanken, daß er der alleinige Herrscher über dieses Land, das so mächtig und reich war, und über ebensoviele höfische Männer wie feingesittete Frauen ist, und aus all diesen Gründen überlegt er nun mit wachem Wohlwollen, wie er dieses Fest vonstatten gehen lassen könnte, daß keines ihm in irgendwelcher Pracht gleichkäme. Da4
Die Hs. schreibt Bretar (= Briten). Kölbing verbessert zu greifar (= Grafen), Vésteinn Ólason behält Bretar bei, Schach gibt greifar.
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nach eröffnet der König das Fest, alle seine Leute und die Ehrengäste mit allerlei köstlichen Speisen ehrend und achtend. Wie der König zu Ende gespeist hatte und allen ehrenvoll aufgetragen war, da begaben sich alle jüngeren Männer auf das früher erwähnte Feld, um sich die Zeit zu vertreiben, und sie hießen die Schildknappen mit den Pferden sie begleiten. Sie wollten nun ihre jugendlichen Kräfte messen. Dann kamen die Knappen mit den Rossen und Rüstungen. Nun wappnen sich die gerade zu Rittern Geschlagenen und alle anderen jungen Männer, und sie lassen ihre Pferde in vollem Lauf und scharfem Anreiten dahinstürmen, um die Zuneigung so manchen Mädchens zu errreichen, und sie hatten ihre Waffen gekennzeichnet, damit man sehen könne, wer von ihnen sich in den Treffen am besten bewähre. Aber Kanelangres war von allen der wackerste im Waffengang und der ausdauerndste im Angriff, in reisigster Rüstung und in aller Ritterschaft der forscheste. Er errang, wie üblich, das höchste Ansehen, da alle die vielen Mädchen und Frauen ihre Augen und ihre Liebe auf ihn warfen, denn alle begehrten ihn, obschon sie ihn noch nie zuvor gesehen hatten und auch nicht wußten, woher er kam, noch sein Geschlecht noch Namen kannten. Dennoch wandten sie ihm ihr Verlangen zu, denn dies ist Frauenart, daß sie ihr ganzes Verlangen lieber haben als die Zurückhaltung, daß sie oft das begehren, was sie nicht erreichen können, aber vieles aufgeben und verachten, was sie zu Hause haben, so wie es auch bei Dido5 der Fall war, die so sehr liebte, daß sie sich ins Feuer stürzte, als ihr Liebster sie verließ, der aus fremdem Land gekommen war. Ein solches Unglück ist vielen zuteil geworden, die sich selber in eine so große Trauer bringen wollten.
Kapitel 56 Dieser berühmte und mächtige König Markis hatte eine Schwester, die so schön und anmutig war, so schmuck und stattlich, so fein gesittet und liebevoll, von so prachtvoller und würdiger Erscheinung, daß es auf der Welt kein derartiges Rosenleben gab, so weit man wußte. Dieser herrliche Edelstein war sich dessen wohl bewußt, und ebenso waren es alle anderen im Königreich, sodaß niemand geboren wurde, der ihr an Witz und Weisheit, an Feinsinn und Höfischkeit, an Freigebigkeit und Edelmut gleichkam, so daß Reiche wie Arme, Junge wie Alte, Armselige wie Unglückliche dieses liebevolle Mädchen von ganzem Herzen 5
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Vergil erzählt in seiner Aeneis, daß Aeneas nach dem Untergang Trojas nach Karthago kam und sich dort in die Königin Dido verliebte, die ihrerseits den Fremden begehrte und deshalb die Heiratsanträge der Fürsten der umliegenden Länder ablehnte. Die Götter hatten indes bestimmt, daß Aeneas die Stadt Rom zu gründen hatte, und so ließ er denn seine Liebe im Stich und wurde zum sagenhaften Gründer des ewigen Rom. Hier wird die Schwester von König Markis eingeführt, ihr Name Blenzibil jedoch erst Ende Kapitel 6 erwähnt, und zwar in einer Weise, als wäre er längst bekannt. Ähnlich verhält es sich mit Roald, Morhold, Urgan.
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liebten, und wo man auch in anderen Königreichen von ihr hörte, wuchs ihr ruhmvolles Ansehen und eine außerordentliche Zuneigung bei vielen berühmten Fürsten und den schönsten Jünglingen, die sie noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten.
Kapitel 6 Aber obschon dieses fein gesittete und höfische Mädchen nun mit vorzüglicher Sittsamkeit und allem Glück ausgestattet war, da dürfte es ihr doch so gehen, wie man oft sagt, daß es nur selten etwas gebe, woran nichts auszusetzen ist. Kaum jemand wußte oder konnte erraten, woher ihr Kummer kam, der nun sichtbar wurde, denn bald, nachdem sie diesen Mann gesehen hat, kommen vielerlei Gedanken, Schwermut und große Unruhe und ein neues Benehmen über sie, daß sie überhaupt nicht begreifen und verstehen kann, wie sie sich gegen Gott oder die Menschen vergangen haben soll, daß ihr ein so schweres Schicksal ausgebreitet und aufgetragen wurde, wo doch niemals ein Wort oder eine Tat von ihr irgendeinem Menschen Unannehmlichkeit bereitete, sie vielmehr alle mit der Gabe der Freude, mit großherziger Gesinnung und mit feiner Sitte erquickte. Und es ist ein großer Schmerz, daß sie so von Angst und Unruhe geplagt wurde, wie es ihr nun zuteil wird, daß dieses feingesittete und vornehme Mädchen in prachtvollen Kleidern, wie es ihr geziemte, aus dem Zelt heraustritt und mit ihr eine große und schöne Schar liebevoller Mädchen, um die Turnierspiele der Ritter und der anderen jungen Männer zu sehen und zu schauen. Wie sie eine Weile deren spielerischem Kampf zugesehen hat, da bekam sie plötzlich Kanelangres, den schönsten Ritter, zu sehen, der durch Tüchtigkeit, Tapferkeit und Ritterschaft alle anderen übertraf. Und wie sie ihn nun erblickte und all die vielen Männer und Frauen seine Tapferkeit und Ritterschaft lobten und nachdem sie lange seine Reitkünste und seine schön beherrrschte Ritterschaft beobachtet hatte, da wurde sie von einer so großen Nachdenklichkeit überfallen, daß sich darüber ihr ganzes Begehren und ihre vollkommene Liebe auf ihn richtete, und danach seufzte sie aus ganzem Herzen, und es durchschnitt sie im Inneren und es entzündete sich ein Brand in ihrem Gemüt, und dieser Brand des Gemütes stieg ihr schneller als gewöhnlich ins Gesicht, und dann schwand ihre natürliche Schönheit, und sie fühlte Elend und Bedrückung, aber sie weiß gleichwohl nicht, woher das kommt, und sie seufzte erneut und fühlte sich niedergedrückt, denn Herz und Glieder zitterten, so daß der ganze Leib in Schweiß ausbrach. Von dem großen Brand, der sie ergriffen hat, war sie fast von Sinnen und sprach dann:“Herr Gott, woher kommt diese seltsame Krankheit? Dieses grimmige Leid hält mich verzaubert; ich verspüre keinen Schmerz in meinen Gliedern, aber dieser Brand verbrennt mich, doch weiß ich nicht, woher er kommt. Mich hat eine so schwere Krankheit erfaßt, daß ich gesund scheine und dennoch unerträgliche Schmerzen spüre. Woher kommt mir dieses Übel, das
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mir so giftiges Leid zufügt? Ob es wohl einen kundigen Arzt gibt, der mir einen Genesungstrank geben könnte? Es kann doch kaum sein, daß ein so heißer Tag mich im Inneren vergiftet? Niemals möchte ich glauben, daß diese Krankheit mir so viel Leid und Pein verursachen könnte, da Brand mich bibbern, aber Kälte mich schwitzen macht, aber Hitze ist keine Krankheit, sondern eine Plage und Pein für diejenigen, die von beidem zuviel haben. Hitze und Kälte quälen mich in gleicher Weise, da keine ohne die andere sein will, und deshalb muß ich gezwungenermaßen beide ertragen, und niemand kann zu meiner Linderung beitragen7 .“ So wurde die höfische Blensinbil lange von diesen Peinigungen hin und her geworfen.
Kapitel 7 Danach schaute sie auf den Platz hinab und sah dem Spiel der Ritter zu, wie sie ihre Pferde so schön über den Platz laufen ließen und wie sie in scharfem Anreiten die stärksten Speerschäfte an ihren Schilden zerbrachen. Wie sie nun dem Spiel der Ritter zusah, da nahm ihr Brennen ab, denn der Anblick dieser schönen Stätte und des wackeren Anreitens höfischer Ritter machte ihrem Liebesfeuer ein Ende und kühlte ihre allzugroße Hitze, und wie sie dem Spiel zusah, beruhigte sie sich etwas und vergaß, in welcher Stimmung sie zuvor gewesen war, denn so ist es nun einmal mit der Liebe, daß derjenige, der aus Liebe von Verstand ist, diese Liebe leichter tragen kann, wenn er sich zufrieden zerstreut und dabei etwas zu tun hat. So war es auch bei diesem jungen Mädchen, während sie das Spiel der Ritter beobachtete, nahm ihr Leid ab. Aber das währte nur so lange, bis sie sah, daß Kanelangres kühner und schöner als die anderen war, und da lebt ihr Leid mit großer Seelenqual an reichlicher Unruhe wieder auf, die sie zuvor in ihrer Seele verspürt hatte. „Sicher“, sagt sie, „ist dieser Mann voller Zauberei und böser Kräfte, da ich von seinem Anblick und kurzem Anschauen so furchtbar gepeinigt werde. Gott, sei Schild und Schutz meiner gewaltigen Liebe, denn große Beschwernisse gehen von diesem Ritter aus, und wenn alle, die ihn erblicken, dasselbe verspüren wie ich, dann besitzt er mit Sicherheit schlimme, geheime Künste und giftige Peinigungen, den Menschen zum Verderben, denn bei seinem Anblick gerate ich ins Zittern und in meinem Inneren in Brand. Zum Unheil kam er hierher, da ich seinetwegen leiden muß! O weh, Herr Gott, wie können diese Plage und Beschwernis, dieser Kummer und Harm von mir genommen werden, da es ihm besser anstünde, dergleichen zu erbitten als mir es ihm anzubieten und so Schande und Schmach über mich und meine ganze Familie zu bringen, denn er würde sogleich meine Torheit und Unvernunft bemerken und ebenso schnell denken, daß ich an immer wieder neue Liebesabenteuer gewöhnt sei, und er würde sich schnell und schmählichvon mir abwenden. Aber was nutzt 7
In der Saga findet sich der Reim báða – ráða.
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es mir schon, über derartiges zu klagen, denn ich habe keine andere Wahl als alles zu offenbaren, und es bewahrheitet sich an mir, wie schon an manch anderen, daß eine einmal getroffene Entscheidung bindend ist.“
Kapitel 8 Wie die Ritter turniert hatten, so lange es ihnen gefiel, ritten sie vom Platz weg, und Kanelangres in seiner Ritterlichkeit, er kam daher geritten, wo die liebliche Blensinbil mit der ihr angemessenen Schar von Mädchen war, und wie er sie da stehen sah, da grüßte er sie mit schönen Worten und sagte: „Gotte segne Euch, Ehrenwerte!“, worauf sie sofort mit heiterer Miene antwortete: „Wenn du, guter Ritter, das wieder gut machen willst, was du uns angetan hast, dann sollst du von Gott geehrt und gesegnet sein!“. Als Kanelangres die Worte des Mädchens hörte, da war ihm, als ob ihm diese Worte Kummer zufügten, und er sprach dann folgende Worte zu ihr: „Feingesittete“, sagte er, „was hätte ich Euch angetan?“. Blensinbil sagt: „Ich glaube, du bist der einzige von unseren Leuten, der du weißt, daß du mir etwas angetan hast, und daher bin ich recht bekümmert und zornig.“ Sie rief ihn noch einmal zu sich, denn sie fühlte ihr Inneres durch die Liebe zu ihm über die Maßen bewegt. Kanelangres konnte nicht verstehen, wovon sie sprach, denn er wußte nicht, was in ihr vorging, und er antwortet ihr mit ehrenvollen Worten: „Du liebevolles Mädchen“, sagte er, „wenn Gott will, dann werde ich mich Euch gegenüber ehrenvoll und würdig verhalten, ganz nach Eurem Gebot!“ Blensinbil sagt: „Keineswegs spreche ich dich von der Kränkung an mir frei, bevor ich sehe, wie du dies wieder gut machen willst!“ Nachdem sie dies gesprochen hatten, bat Kanelangres, sich entfernen zu dürfen, und wünschte ihr einen guten Tag. Doch das Mädchen seufzte aus ganzem Herzen und sprach zu ihm: „Gott im Himmel beschütze und bewache dich!“ Nun reitet Kanelangres davon, voll neuer Gedanken, was das sein könnte, was er nach Meinung Blensinbils, der Schwester des Königs, ihr angetan haben könnte und das er wiedergutmachen sollte. Er überlegt und bemerkt ihr Seufzen, aber je mehr er überlegt, desto weniger findet er heraus, wovon das Mädchen gesprochen hat. Von diesem angestrengten Nachdenken wird er den ganzen Tag hin und her geworfen und auch die Nacht, wie er im Bett lag, da dachte er so sehr darüber nach, daß er weder Schlaf noch Ruhe fand.
Kapitel 9 Nun tragen sie beide Kummer und haben Leid und Sorge, viel Traurigkeit und großen Gram wegen ihrer schwierigen Lage; sie liebte ihn aus vollstem Herzen,
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er sie mit der nachhaltigsten Beständigkeit, aber keiner von ihnen wußte es vom anderen. Aber da er weise und wohl gesittet war, da überlegt er Zeit und Stunde, wie oder wann er mit ihr sprechen könne, damit sich ihr Sinn ändere, so gut es ging. Er geht in dieser Angelegenheit wie auch sonst richtig und rühmlich vor, da eine sehr große Schwierigkeit von einer anderern Seite kommt. Wenn König Markis gewahr wird, daß dieser junge und gerade zum Gefolge des Königs Markis gekommene Ritter heimlich derartige Absichten und Wünsche nach seiner edlen und engen Verwandten verfolge, dann würde er in keiner Weise seinen Wunsch verwirklichen
Kapitel 10 Was brauchen wir noch mehr darüber zu sagen, denn alle, die etwas Verstand haben, werden wissen, daß Liebende gewöhnlich alles daran setzen, ihr Liebesbegehren so schnell wie möglich zu erfüllen, sei es auch in heimlichen Zusammenkünften. So stillte auch dieses höfische Paar gegenseitig sein Begehren, so gut es nur ging, und sie hatten großen Gefallen aneinander ohne jeden Tadel und Vorwurf, denn niemand konnte irgendeinen Verdacht über ihr Zusammenkommen finden. Sie liebten einander mit der größten Zuneigung, feiner und heimlicher List, so daß der König es nicht gewahr wurde und wußte und auch niemand sonst am königlichen Hof, und niemand konnte einsehen noch herausfinden, weshalb Kanelangres so lange am Hofe des Königs weilen wollte. Aber der König wunderte sich sehr, daß es ihm so lange gut bei ihm gefiel, obschon er hier über kein Eigentum verfügte, aber großen Besitz und eine berühmte Familie in einem anderen Land hatte. Doch dem König wurde immer wieder gesagt, daß jener große Zuneigung zu seiner Schwester gefaßt habe und um sie werben wolle und dies mit Ehre, mit der Zustimmung und dem Willen des Königs erreichen wolle. Da er sich aber in allen Fähigkeiten, die einem hervorragenden Mann anstehen, vor anderen auszeichnete, da hätte er ihre Vereinigung mit einem vielköpfigen Fest und ehrenvoller Zustimmung geschlossen, wenn jener die Werbung vor dem König vorgebracht hätte, und deswegen schien er seine Erlaubnis zu erteilen, daß sie sich zuweilen mit einander unterhielten, wenn es sie danach verlangte.
Kapitel 11 (Gottfried 1119–1198) Einige Zeit später bricht der König mit einer prachtvollen Heerschar zu einem Turnier mit anderen Rittern auf, und als sie zum verabredeten Platz kamen, da richteten sie ihr Turnier ein und betreiben das Kampfspiel mit jedem erdenklichen Eifer und nachdrücklichster Heftigkeit. Dieses äußerst nachdrückliche Kampfspiel wurde mit großer Heftigkeit geführt, wobei keiner dem anderen
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an Kraft und Können nachstand. Auf beiden Seiten kamen wegen des äußerst heftigen Angreifens Männer zu Schaden, da dort die berühmtesten und besten Ritter aufeinander getroffen waren. Aber der sehr beherzte und kühne Kanelangres stürzte sich wie ein unerschrockenes Tier8 mutig mitten in das Heer, verletzt und tötet tapfere Ritter um sich her und bringt vielen Männern den Tod, und da er nun nichts anderes im Sinn hat, als gegen die vorzugehen, die ihm entgegenstanden, da erhielt er eine große und gefährliche Verwundung, als er von einem Schwert fast durchbohrt wurde, und er fällt wie halbtot vom Pferd. Dieses Kampfspiel endet so, daß manch tapfere Männer verwundet und erschlagen sind und viele gefangengenommen werden. Danach hoben Kanelangres’ Gefährten ihn auf und trugen den Halbtoten zurück. In der Heerschar erhob sich Weinen und Trauern. Alle, die sein Ansehen, seine Tapferkeit und Freundlichkeit kannten, beklagten sein Unglück. Als nun die Schwester des Königs vom Unfall ihres Geliebten erfährt, da wurde ihre Trauer umso größer, als sie in ihrer Brust verborgen blieb und sie sie umso weniger zeigen konnte wegen der Angst und Furcht, die sie vor König Markis, ihrem Bruder, und den vielen anderen vornehmen Männern hatte. Aber wenn sie alleine war, weinte sie doch herzzerbrechend über ihren Verlust. Ihr Kummer war umso größer, je heimlicher er war.
Kapitel 12 (Gottfried 1199–1330) Diese fein gesittete Frau und ihr äußerst tapferer Geliebter Kanelangres befinden sich in einer sorgenreichen und schwierigen Lage, und sie überlegt, wenn er stürbe, ohne daß sie ihn noch einmal zu sehen bekäme, dann würde ihr niemals Linderung ihres Leides zuteil, und nun begibt sie sich zu ihrer Ziehmutter und offenbart sich ihr und sagt ihr von ihrem Schmerz und Weh und bittet sie, mit ihr zu kommen. Und dann ging sie sofort geschickt und kundig vor: sie gelangte dorthin, sodaß keiner davon erfuhr außer dem, der es wissen sollte, und so auch ihre Ziehmutter, die alle ihre Wünsche einträchtig befolgte. Als sie dorthin gekommen war, wo er lag, stellt sie fest, daß das Haus gereinigt und gesäubert war und daß alle hinausgegangen waren. Als sie ihren Liebsten verwundet daliegen sah, da schwanden ihr die Sinne und sie sank ohnmächtig neben ihn in sein Bett, und es erneuerten sich wiederum ihr Kummer, Sorge und Schmerz, ihr Weinen und Weh. Nachdem sie nach einer Weile wieder zu sich gekommen war, umarmte und küßte sie ihn immer wieder und sprach: „Mein süßester Geliebter!“, wobei ihr die Tränen über das Gesicht liefen; er aber umfing sie in Leid und Weh seiner Schmerzen mit einer solchen Liebesglut, daß die schöne Frau in ihrem Liebesleid ein Kind empfing 8
Löwe.
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in großer Kümmernis; sie in ihrer Sorge und er in seinen Wunden zeugten ein Kind, das später lebte und all seinen Freunden Kummer verursachte und den Stoff zu dieser Saga lieferte.
Kapitel 13 (Gottfried 1331–1544) Als sie nun ihr Spielen und Reden beendet hatten, ging sie in ihre Wohnung zurück, aber er ließ wie zuvor den besten Arzt seine Wunde behandeln. Als er genesen war, kam ein Bote aus seinem Reich und überbrachte ihm von den Verwandten und dem Hofgesinde die Nachricht, daß die Breten9 sein Land überfallen hätten, Menschen erschlügen und Burgen inBrand steckten. Als er dies hörte, meinte er, daß es ihm nicht zieme, noch länger dort zu bleiben, vielmehr beeilt er sich, so gut er kann, und ließ seine Pferde, Schiffe und Rüstungen und anderes zur Fahrt Notwendige herrichten. Als seine Liebste dies erfährt, da nahmen ihr Harm und Gram noch zu. Als er zu ihr kam, sich Erlaubnis zur Rückfahrt zu holen, da sprach sie zu ihm: „Ich bin doch die Geliebte, die dich unglücklicherweise liebt, denn mit Sicherheit werde ich deinetwegen sterben – es sei denn Gott wolle mir gnädig sein –, denn nach deiner Abreise werde ich nie wieder Freude noch hilfreichen Trost empfangen. Mit Kummer beklage ich meine Liebe zu Euch, und mein Harm wird noch größer werden. Ich weiß nicht, welches von den beiden Leiden ich mir erwählen soll, denn über deine Abreise bin ich voll Trauer, und ich bin ängstlich, wenn Ihr hier bleibt, obschon Ihr mich dann oft trösten könntet. Aber wenn nicht diese Schwangerschaft wäre, wäre es leichter für mich, alleine zurückzubleiben, und mein Harm wäre leichter zu tragen. Da Ihr aber nun wegfahrt, bin ich traurig, daß ich Euch je sah. Ich will aber lieber sterben, als daß es uns beiden schlecht ergehe, denn Ihr verdient nicht einen derartigen Tod. Aber mir steht es an, Euretwegen zu sterben eher als du, mein Liebster, ohne Grund getötet würdest. Deshalb bringt mir Eure Abreise großen Trost, daß Ihr von Eurem Aufenthalt hier nicht den Tod erleidet, denn dann wäre unser Kind vaterlos, wobei es doch von Euch Ehre und Ansehen erhalten soll. Es schmerzt mich, Eure Kunstfertigkeit und höfisches Auftreten und ritterliches Benehmen zu sehen. Ich habe mich selbst hintergangen, daß ich nun so vernichtet und verloren bin!“ Danach sank sie ohnmächtig in seine Arme. Als sie etwas später unter Weinen und Klagen wieder zu sich kam, da tröstete er sie und hieß sie, sich zu ihm zu setzen, und trocknete ihr Augen und Antlitz und sprach: „Liebste“, sagte er, „ich will in dieser Sache tun, was in meiner Macht steht und was uns beiden am meisten zur Ehre gereicht! Ich wußte nichts von dem, was du mir erzählt hast, aber nun, da ich es weiß, soll das gemacht 9
Bei Gottfried ist es Morgan, der Kanelangres’ Land überfällt.
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werden, was am ehrenvollsten ist: entweder bleibe ich hier bei dir, auch wenn dies gefährlich ist, oder du folgst mir in mein Heimatland, und dort werde ich dir jegliches Ansehen verschaffen, das unserer Liebe angemessen ist. Nun wähle und denke darüber nach, Liebste, was dir behagt!“
Kapitel 14 (Gottfried 1545–1655) Wie sie bemerkte, daß er geneigt war, sie mit sich in sein Heimatland zu führen oder, wenn es ihr besser gefiele, dazubleiben, da will er das, was sie will, und deshalb verdient er keinen Vorwurf, da er so ehrenhaft ihren Wunsch erfüllen will. Liebevoll sagt sie zu ihm: „Du meine Wonne und mein Liebster, hier ist unseres gedeihlichen Bleibens nicht: du mußt wissen, daß wir, wenn wir hier bleiben, in Kummer und Kränkungen leben werden“, und deshalb entschlossen sie sich, daß sie ihm in sein Heimatland folgen sollte. Dann erbat sich Kanelangres vom König Urlaub zur Heimreise und eilte zu den Schiffen und fand dort seine Männer versammelt und zur Abfahrt bereit. Dann richteten sie den Mastbaum auf, zogen die Segel auf und bekamen guten Fahrtwind, so daß sie unversehrt und wohlbehalten in Bretland an Land kamen. Als er in sein Reich kam, da fand er seine Leute wegen seiner Feinde10 in einem jammervollen Zustand. Er rief seine Landsleute und den Ratgeber11 , den er sich vertraut und ergeben wußte, zu sich, erzählte ihm, was vorgefallen war, auch von seiner Liebsten, und er schloß mit ihr eine rechtliche und kirchlich gesegnete Ehe und feierte dies mit einem großartigen und prachtvollen Fest. Dann brachte er sie heimlich in ein mächtiges und befestigtes Kastell. Dort ließ er ihr die ganze Zeit alle Ehre erweisen und sie würdig betreuen.
Kapitel 15 (Gottfried 1656–1790) Als Kanelangres sich eines Tages wappnete und zum Kampf ausritt, die Burgen und Kastelle seines Reiches mit großem Eifer zurückzugewinnen, da fehlte es nicht an gewaltigen Hieben, mancher Schild war geborsten und gebrochen, einige Männer waren verwundet, einige erschlagen, und zwar auf beiden Seiten, Lehnsmänner und Ritter gefangen gesetzt: In dieser gewaltigen Schlacht wurde Kanelangres, der höfische, durchbohrt und tot vom Pferd geschossen. Nun befiel Angst alle seine Männer, und sie führten seine Leiche mit sich zum Kastell. Da 10 11
Herzog Morgan, der aber erst in Kap. 24 namentlich genannt wird. Roald; bei Gottfried Rual, der marschalc.
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erhob sich Klagen und Weinen und jammervolles Gebaren, und sie hatten keinen anderen Trost als ihn ehrenvoll zu begraben. Aber seine schöne Frau litt einen derartigen Kummer, daß niemand sie zu trösten vermochte. Von einer Ohnmacht fiel sie in die andere, lag wie tot da und wollte in ihrem großen Kummer sterben, jeden Trost ablehnend. All ihre Freude und Fröhlichkeit waren dahin. Lieber wollte sie sterben als am Leben bleiben und sie sprach: „Elend bin ich gegenüber allen Frauen, wie kann ich einen so herrlichen Helden überleben? Ich war sein Leben und Trost, er war mein Liebster und mein Leben, ich war seine Wonne, er war meine Freude; wie kann ich nach seinem Tod weiterleben, wie kann ich getröstet werden, da mein Geliebter begraben ist? Es geziemt uns beiden, daß wir zusammen sterben; da er nicht zu mir kommen kann, muß ich durch den Tod hindurchgehen, denn sein Tod klopft an mein Herz. Wie kann ich hier noch länger leben? Mein Leben soll seinem Leben folgen! Wenn ich dieses Kindes ledig wäre, würde ich in den Tod gehen!“ Wie sie diesen Kummer vorbrachte, daß sie keinen Trost haben wollte, fiel sie ohnmächtig in ihr Bett, und ihr Leib begann, ihr Schmerzen zu bereiten. Nun hat sie Kummer und Schmerzen und lag in diesen Leiden bis zum dritten Tag, und in der Nacht nach dem dritten Tag gebar sie unter großen Mühen und Schmerzen einen schönen Knaben und starb, als das Kind geboren war, an dem großen Kummer und den Schmerzen, die sie litt, und an der leidenschaftlichen Liebe, die sie für ihren Gatten empfand. Nun wächst der Kummer des Gefolges, die Freunde beweinten ihren Herren, andere ihre Herrin, alle trauerten um beide. Nun erwacht der Harm unter den Hofleuten in der Halle über den Tod ihres herrlichen Herren. Größer war die Trauer über den Tod ihrer Herrin bei den Mädchen in den Schlafgemächern. Alle weinten sie, als sie den so jungen Knaben ohne Vater und Mutter sahen.
Kapitel 16 (Gottfried 1791–2042) Als nun der Ratgeber sah, wie es um seine schöne Herrin bestellt war, da sprach er, man solle das Kind taufen, daß es nicht ungetauft stürbe, und da kam ein Priester mit Salböl und bestrich das Kind damit und sagt, wie es heißen soll, und sprach: „Das scheint mir angebracht“, sagt er, „daß dieser Knabe wegen des Harms und Kummers, der Trauer und Qualen, des Leides und der vielen und schmerzlichen Sorgen und des harmvollen Ereignisses, das uns bei seiner Geburt überfiel, Tristam12 heißen soll.“ 12
Dieser Name wird unmittelbar darauf durch Tristram ersetzt. Der französische Text hat wohl in der Ableitung geschwankt zwischen den Adjektiven trist und tristre, die nebeneinander belegt sind. Gottfried entscheidet sich für trist, die Saga für tristre. Diese Form der Namenserklärung ist im
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Aber in jener Sprache bedeutet „trist“ „traurig“, und „hum“ bedeutet „Mensch“, und deshalb wurde der Name geändert, weil Tristam ein schönerer Wortlaut ist als Tristhum. „Deshalb soll er so heißen“, sagt der Ratgeber, „weil er in Trauer geboren ist. Er hat seine Freude und seine Fröhlichkeit verloren, seinen Vater, unseren Herrn, seine Mutter, unsere Herrin, und deshalb steht es uns an zu trauern, da er in Harm und Kummer geboren wurde“, und nun wurde er Tristram genannt und auf diesen Namen getauft, und er bekam diesen Namen deshalb, weil er unter Kummer gezeugt und unter Schmerzen ausgetragen und unter Trauer und Harm geboren wurde, und harmvoll war sein ganzes Leben; deshalb hieß er mit vollem Recht Tristram, denn traurig war er, wenn er wach war, und traurig war, wenn er schlief, traurig starb er, wie man erfahren wird, wenn man die Saga zu Ende hört. Danach ließ der Ratgeber das Kind heimlich aus dem Kastell in seine Wohnung bringen und ließ ihn behutsam vor seinen Feinden bewachen, und zwar heimlich, und wollte niemandem sagen, daß der Knabe der Sohn seines Herrn sei, und er gebot seiner Schwester [recte: Frau], sich zur Ruhe zu begeben; und nach einiger Zeit hieß er sie in die Kirche gehen und überall verkünden, daß sie dieses Kind empfangen und zu jener Zeit geboren habe, da er nicht will, daß der König erfährt, daß er der Sohn seines Herrn ist. Wenn der König davon Kenntnis bekäme, würde er ihn schnell umbringen lassen, damit er nicht Unfrieden und Schaden, Verlust an Männern und Gefahr für sein Reich von ihm erfahre, und deshalb ließ er den Knaben heimlich aufziehen und ihn als seinen eigenen Sohn in angemessener Pflege bewachen und betreuen.
Kapitel 17 (Gottfried 2043–2148) Hier könnt ihr vom braven Benehmen, von männlicher Milde und höfischem Auftreten hören, denn dieser treue und zuverlässige Mann war ebenso weise wie guten Willens, er machte seinen Herrn zu seinem Sohn, um ihn vor Schwierigkeiten zu schützen und ihn vor seinen Feinden zu bewahren und ihn würdig in Ehren zu halten. Dann ließ er ihn in den Wissenschaften unterrichten, und er war sehr lerneifrig und machte in diesem Unterricht Fortschritte, in den sieben Hauptkünsten13 , und erreichte Meisterschaft in mancherlei Sprache; dann lern-
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Mittelalter durchaus üblich. Der Name Trist(r)an entstammt dem Keltischen Drystan/Trystan. Der Trostansfjörður im isländischen Westland enthält wahrscheinlich diesen Namen (Vésteinn Ólason). In den mittelalterlichen Tristan-Dichtungen kommen folgende Namensformen vor: Trist(r)ant (Béroul, Eilhart), Trist(r)an (Thomas), Tristan (Gottfried); Iseut (Béroul), Isalde (Eilhart), Isolt, Isol, Isode (Thomas), Isolt, Isôt (Gottfried). septem artes liberales, bestehend aus dem trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und dem quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie). Diese Erziehung entspricht ganz dem höfischen Ideal (vgl. J. Bumke: Höfische Kultur. München 1986, Bd.II, S. 381 ff.).
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te er, sieben Saiteninstrumente zu spielen, und zwar so, daß niemand berühmter noch besser war, und an Gutmütigkeit und Milde und höfischem Betragen, an Verstand und Rat und Mannhaftigkeit war keiner reicher ausgestattet, an Sittlichkeit und Würde hatte er nicht seinesgleichen; so vervollkommnete er sich in einem fort. Und als sein Ziehvater seine Sittlichkeit bemerkte, da ehrte er ihn durch kostbarste Kleider, gute Pferde und Kurzweil aller Art und was er ihm sonst an großartigen Wünschen und Wertschätzungen erweisen konnte, sodaß sich seine Söhne ärgerten und sich wunderten, warum ihr Vater ihn so liebte und ihm mehr als den eigenen Söhnen Liebe und Ehrbeweise, Dienste und hohe Gunst und besonders liebevolle Freundlichkeit erwies. Deshalb zürnten sie ihrem Vater, weil sie glaubten, Tristram sei ihr Bruder.
Kapitel 18 (Gottfried 2149–2400) Danach geschah es eines Tages, daß ein großes Seeschiff angesegelt kam, und im Hafen unterhalb des Kastells warfen sie Anker. Sie waren durch gewaltige Nordstürme dorthin getrieben worden, norwegische Kaufleute mit großer Warenladung. Auf dem Schiff gab es viel Grauwerk und weiße Pelze und Biberpelze, schwarzen Zobel, Walroßzahn und Bärenfelle,Hühnerhabicht und graue und viele weiße Habichte, Wachs und Häute, Ziegenfelle, getrocknete Fische und Teer, Tran und Schwefel und mancherlei norwegische Ware14 . Und nun kamen diese Neuigkeiten ins Kastell, und die Söhne des Ratgebers unterhielten sich darüber und riefen Tristram zu sich. Sie sagten zu ihm: „Was sollen wir tun, da wir keine Vögel zu unserer Unterhaltung haben? Und dabei sind nun so viele und sehr schöne mit dem Schiff gekommen. Aber wenn du uns helfen willst, dann kannst du alles erreichen, worum du unseren Vater bitten willst, denn niemals schlägt weder er noch unsere Mutter dir ab, worum du bittest. Sie kaufen lieber sieben der schönsten, bevor sie dich traurig sehen.“ Und sie baten ihn so nachdrücklich, daß er es ihnen auf der Stelle versprach. Sie begaben sich dann alle zum Schiff. Sie ließen Tristram die Vögel sehen. Aber die Kaufleute waren Norweger und verstanden weder bretonisch noch welsch noch andere Sprachen, um ihren Kaufhandel zum Abschluß zu bringen. Tristram aber beherrschte einige Sprachen, und er kaufte ihnen sieben Vögel ab, aber sein Ziehvater erlegte den Preis, und er überließ sie seinen Brüdern. Dann sah er dort ein Schachbrett und fragte, ob einer der Kaufleute mit ihm spielen wolle. Einer erklärte sich dazu bereit, und sie bestimmten den Gewinn und setzten eine hohe Summe aus. 14
Die voraufgehende Liste ist durch isländische Schreiber erweitert worden, denn Schwefel oder Tran sind typische und wichtige isländische Exportartikel.
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Als sein Ziehvater sah, daß er am Schachbrette saß, sprach er zu ihm: „Mein Sohn,“ sagt er, „ich gehe nach Hause, aber dein Lehrer15 wartet auf dich und begleitet dich nach Hause, wenn du fertig bist.“ und dann blieb ein vornehmer und höfischer Ritter bei ihm. Aber die Kaufleute waren über diesen jungen Mann erstaunt und lobten sein Wissen, seine Geschicklichkeit und Schönheit und Tüchtigkeit, seinen Verstand und sein Benehmen, da er sie alle matt setzte, und sie überlegten nun, daß sie, wenn sie ihn entführen könnten, von seinem Wissen und seinen vielen Kenntnissen großen Gewinn erlangen würden, und auch, daß sie, wenn sie ihn verkauften, viel Geld für ihn bekämen. Wie er nun grübelnd über dem Spiel saß, zogen sie in äußerster Heimlichkeit Taue und Anker auf und ließen das Schiff aus der Bucht gleiten. Das Schiff war überzeltet16 und wurde von Wind und Strömung getrieben, so daß Tristran es nicht eher bemerkte, bevor sie fern vom Land waren. Da sagte er zu den Kaufleuten: „Ihr Herren“, sagt er, „warum tut ihr dies?“ Sie sagen: „Weil wir wollen, daß du uns folgst!“ Da begann er sofort zu weinen und sich ungehalten aufzuführen und sich selbst zu bejammern, und dies tat auch der Ritter aus Liebe zu ihm. Und dann packten die Norweger seinen Lehrer und setzten ihn auf ein Boot und gaben ihm nur ein Ruder. Nun wird das Segel aufgezogen und das Schiff nimmt volle Fahrt auf, aber Tristram ist in ihrer Gewalt, voller Sorge und Kummer. Aber sein Lehrer gelangt mit großen Anstrengungen und vieler Mühe an Land, und er verwandte nicht viel Sorgfalt weder auf Hafen noch Landeplatz. Aber Tristram ist voll Sorge und Kummer und bat Gott um Erbarmen, daß er ihn vor Gefahr und Nöten beschütze und beschirme, daß ihn nicht Waffen noch Wind, Verrat noch Demütigung, Unglaube noch Falschheit der Heiden verdürben oder er ihrer Gewalt ausgeliefert werde. Er seufzte schwer und brach in jammervolles Klagen aus. Nun ist sein Lehrer ins Kastell zurückgekommen und erzählt, was vorgefallen ist, worüber bei keinem Freude aufkam. All die vielen Tausende von Menschen wurden bei der Nachricht von seinem Verschwinden von Sorge und Kummer befallen. Beim Eintreffen dieser Nachricht wurde das ganze Gefolge betrübt, und alle liefen zum Strand hinunter. Sein Ziehvater grämt sich mehr als alle anderen zusammen, von allen empfand er den tiefsten Schmerz, er weinte und beklagte diesen Verlust und nannte all dies sein Mißgeschick, daß dieses Unglück ihn treffen und dieser Kummer ihm durch ein unglückseliges Ungeschick zufallen sollte, und er blickte auf das Meer hinaus und rief mit lauter Stimme: „Tristram“, sagt er, „mein Trost und Herr, meine Seelenruhe, meine Liebe und Wonne, Gott übergebe ich dich und seinem Schutz vertraue ich dich an. Nun wo ich dich verloren habe, bin ich des Lebens nicht mehr froh, da wir voneinander getrennt sind!“ So jammervoll, oft und nachdrücklich äußerte er seinen Schmerz und sorgte sich um seinen Tristram, und alle, Junge 15 16
Der heißt bei Gottfried Kurneval. Während der Liegezeit im Hafen wurde ein Zeltdach über die Schiffe gespannt.
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wie Alte, die zugegen waren, beweinten ihn und beteten für ihn. Alle, die sich an ihm erfreut und ihn gern gehabt hatten, sind nun betrübt und kummervoll, Arme wie Reiche; alle, die ihn in seinem Reich kannten, waren voller Trauer.
Kapitel 19 (Gottfried 2401–2481) Nun ließ der Ratgeber in höchster Eile ein Schiff mit allem Zubehör und ausreichenden Lebensmitteln herrichten, denn er will die Kaufleute verfolgen und nicht lebend zurückkehren, bevor erwiesen ist, wo Tristram, sein Ziehsohn, hingekommen wäre. Nun beschleunigt er alles, so gut er kann, und das Schiff war mit allem Zubehör, Wein und Vorräten ausgerüstet. Dann besteigt er das Schiff und ließ alle Taue und den Anker hochziehen, und danach wanden sie die Segel auf und segelten auf das Meer hinaus, und sie hielten nun auf Norwegen zu und mußten Mühsal und Verdruß, Hunger und Leiden, Angst und Kummer in fremden Ländern erdulden. Sie kamen auf der Suche nach ihrem Herren Tristram nach Dänemark und Gautland und nach Island und auf die Orkneys und nach Hjaltland, und nirgendwo war er zu finden, denn als die, die ihn entführt hatten, in die Nähe ihres Landes kamen, blies ein scharfer Wind mit gewaltigem Sturm und Seegang in ihre Segel, so daß sie untergegangen wären, hätten sie nicht schleunigst das Segel eingeholt. Das ganze Meer ging mit gewaltigen Wellen, es hagelte und regnete unter Donner und Blitz. Der Mast war hoch, das Meer tief und das Schiff krängte vor dem Unwetter, sodaß sich niemand auf den Beinen halten konnte, und sie legten das Schiff vor den Wind. Alle ängstigten und fürchteten sich, weinten und lamentierten, sodaß sogar die Standhaftesten in der Schar bekümmert wurden, und alle glaubten, sie seien verloren, da sie so gewaltig herumgetrieben wurden, und eine ganze Woche trieb der Sturm sie umher, sodaß sie nirgendwo Land sahen, und als sie guten Wind bekamen, waren sie genauso furchtsam und ängstlich und sie konnten nirgendwo an Land noch in einen Hafen gelangen. Dann sprachen alle zum Steuermann: „Dieser ganze Sturm, die Mühsal und Gefahr, die wir erleiden, haben wir uns selbst zuzuschreiben, da wir uns an Tristram versündigt haben, als wir ihn von seiner Familie und seinen Freunden und aus seinem Reich raubten, und dieser Sturm wird sich nicht legen und wir werden auch nicht an Land kommen, solange wir ihn an Bord haben. Wenn Gott uns gnädig sein und uns guten Wind geben will, sodaß wir an Land kommen, dann geloben wir, daß er seine Freiheit erhalten wird“, und dies bestätigten sie mit kräftigem Handschlag. Danach hob sich das Dunkel, und die Sonne begann zu scheinen und das Unwetter nachzulassen. Eifrig und froh wanden sie sofort das Segel auf, und als sie eine Weile gesegelt waren, da sahen sie Land und segelten mit vollen Segeln auf das Land zu und warfen dort Anker und setzten Tristram an Land
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und überließen ihm etwas von den Lebensmitteln und baten Gott, sich um ihn zu kümmern. Sie wußten nun nicht, in welchem Land sie ihn ausgesetzt hatten. Danach hißten sie das Segel und fuhren ihres Weges.
Kapitel 20 (Gottfried 2482–2730) Nun befindet sich Tristram in einem ihm unbekannten Land, ängstlich und ratlos. Er setzt sich nieder und blickt dem Schiff nach, wie es mit vollem Segel davonfuhr, und will sich nicht hinwegbegeben, solange er das Schiff sah. Als es ihm aus den Augen geschwunden war, da schaute er umher und sprach aus ängstlichem Herzen: „Allmächtiger Gott, der du in deiner Macht den Menschen nach deinem Bilde schufest, so wie du ein Gott in dreifacher Gestalt bist wie dreifache Gestalten in einer Gottheit, nun tröste mich und gib mir einen Rat und bewahre mich vor Unheil und Schwierigkeiten, vor Gefahr und Feinden, denn du weißt, was ich nötig habe, denn ich weiß nicht, wohin ich gekommen bin und in welchem Land ich mich befinde! Niemals war ich so rat- und hilflos. Solange ich mich auf dem Schiff der Kaufleute befand, da hatte ich von ihrer Gesellschaft Trost, solange wir zusammen waren. Nun bin ich hier auf dem Strand eines unbekannten Landes angelangt: von hier aus kann man nur Berge und Wälder, flache Felsen und Klippen sehen. Von hier kenne ich weder Weg noch Steg noch kann ich von hier aus irgendeinen Menschen sehen, ich weiß nicht, wohin ich mich von hier wenden soll und ob dieses Land christlich oder besiedelt ist. Hier kenne ich nichts als meine Hilflosigkeit. Ich finde hier keinen, der mir Hilfe oder Trost gewähren könnte, weder finde ich hier Wege noch irgendeinen brauchbaren Wegweiser. Es kann auch sein, daß ich die Sprache der Menschen hier nicht beherrsche, wenn es hier überhaupt Menschen gibt. Ich habe Angst, daß mich Löwen zerfleischen oder Bären beißen oder irgendwelche andere Tiere, die sich von der Sprache der Menschen nicht einschüchtern lassen. Oh, mein Vater ist für mich verloren, meine Mutter beweint mich, meine Freunde betrauern mich, meine Verwandten vermissen mich! Weh über die Vögel, die zu kaufen mich so sehr verlangte, und weh über das Schachspiel, in dem ich den Sieg davontrug, deswegen habe ich meinen Freunden Kummer gebracht. Wenn sie mich am Leben wüßten, dann wäre mein Leben ihr Trost. Nun weiß ich, daß es mir nichts nützt, dies zu beklagen. Was nützt es mir, hier sitzen zu bleiben? Besser ist es aufzubrechen, solange es noch Tag ist und ich sehen kann, wohin ich meine Füße führen kann, wenn ich das Glück haben sollte, ein Haus finden zu können und mir in meiner Hilflosigkeit eine Unterkunft zu verschaffen.“ Und danach steigt er auf einen Felsen und findet dort manche von Menschen getretene Pfade, und er folgte erfreut einem von ihnen aus dem Wald heraus, und er war da sehr müde und schritt dennoch, so rasch er konnte, weiter, gewandet in kostbare Kleider, wohl gewachsen und von mannhafter Gestalt. Die Hitze
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war groß, und er hatte seinen Mantel abgelegt und trug ihn auf der Schulter, dachte oft an seine Verwandten und Freunde, bat Gott um Gnade für sich; er war bekümmert in seinem Gemüt. Danach sah er zwei Pilger denselben Weg wandern. Sie stammten aus Veneasorburg17 und kamen vom Berg des großen Michael. Sie hatten sich dorthin begeben, um zu beten. Als sie auf den jungen Mann trafen, da begrüßt er sie freundlich und sie ihn: „Freund,“ sagen sie, „zu wem gehörst du, was machst du hier oder woher kommst du?“ Tristram merkte, daß sie nicht aus diesem Lande stammten, und antwortete ihnen auf listige Art, damit es ihnen nicht deutlich werden sollte, unter welchen Umständen er dorthin gekommen war und dort herumwanderte. „Freunde,“ sagte er, „ich stamme aus diesem Land und suche meine Freunde und kann keinen von ihnen finden. Wir waren hier heute auf der Jagd, und sie haben das Wild verfolgt, aber ich bin alleine hier zurückgeblieben, und sie werden bald auf diesem Weg zurückkehren, auf dem wir ausgezogen sind. Nun sagt mir, wohin ihr wollt und wo ihr zu bleiben beabsichtigt, und meinetwegen könnten wie einander ja begleiten!“. Sie antworteten: „Wir wollen in Tintajolburg Herberge nehmen.“ Da sagte Tristram: „Ich habe dort auch etwas zu erledigen und dafür dort auch die zuverlässige Unterstützung von Freunden; wenn wir heute abend dorthin kommen, werden wir mit Gottes Willen gutes Unterkommen und mächtige Freunde finden, die uns Wohlwollen gewähren.“
Kapitel 21 (Gottfried 2731–3222) Nun gehen sie zusammen weiter, Tristram und die, die ihm folgten. Tristram fragt sie, was sich in anderen Ländern und bei Fürsten, Königen und Jarlen zugetragen habe. Und wie sie ihm dies erzählten, sprang da ein Hirsch hervor, und diesen verfolgte eine große Schar von Hunden, Spürhunden und Windspielen; einige bellten, einige schnappten und alle machten heftig Jagd auf ihn. Er merkte, daß es ihm nichts helfen würde weiterzulaufen, er kam auf den Weg vor die Pilger, und danach sprang er in den Fluß und folgte der Strömung und sucht sich einen Weg, aber die Hunde sind hinter ihm her, und er sprang zum zweiten Mal in den Fluß, aber als er auf das Ufer kam, erwischten sie und fällten ihn. Danach kamen Jäger herzu und fanden den Hirsch dort liegen und stellten ihn auf die Füße und wollten ihm den Kopf abschlagen. Da sagt Tristram: „Was macht ihr da? Niemals sah ich, daß ein Hirsch auf diese Weise zerlegt wurde, wie ihr es vorhabt, und sagt mir euer Wissen und eure Gewohnheit, wie ihr mit dem Wild umzugehen pflegt!“ Der Jägermeister war 17
Der Name ist unklar und sonst nicht belegt. Kölbing schlägt Venedig vor.
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höflich und bescheiden und wohl bewandert in allen Sitten höfischen Auftretens. Er sah, daß Tristram außerordentlich schön und prachtvoll gekleidet und in seiner ganzen Erscheinung männlich war, und er sprach zu ihm: „Freund“, sagte er, „gerne will ich dir unsere Gewohnheit mitteilen: wenn wir unsere Jagdbeute gehäutet haben, dann schneiden wir sie vom Rücken her auf und zerlegen sie in vier Teile. Eine andere Art haben wir nicht gelernt noch gesehen noch gehört oder von anderen übernommen. Wenn du kannst, was wir noch nicht gesehen haben, dann wollen wir das gerne von dir lernen.“ Tristram sagte: „Gott lohne es euch! So war es nicht üblich in unserem Land, in dem ich aufgewachsen und geboren bin. Da ich nun merke, daß ihr gut zu mir seid und wenn ihr mich zu eurem Obmann machen wollt, dann will ich euch zeigen, wie es die Jäger in unserem Land zu tun pflegen.“ Da machte er sich daran, den Hirsch zu zerlegen. Nachdem er das Tier gehäutet hat, zerlegte er es und schnitt zuerst das Geschlecht und die Schenkel vom Rücken ab; danach nahm er das Eingeweide heraus, dann die beiden Schulterstücke und den Teil des Rückens, der am fettesten war zwischen den Schultern, und das fleischigste Stück zwischen den Lenden. Dann drehte er den Hirsch um und trennte beide Flanken ab und all das Fett, das an ihm saß, und trennte die Glieder vom Rücken. Dann schnitt er den Hals durch und den Kopf vom Hals und schließlich den Schwanz mit allem Fett der Lenden, das an ihm haftete. Dann machte er einen langen Zweig zurecht und steckte Herz und Nieren, Leber und Lunge und Lende darauf und sprach zu den Jägern: „Nun ist“, sagte er, „der Hirsch nach Art unserer Jäger zerlegt. Bereitet“, sagte er, „dies nun den Hunden!“ Aber sie wußten nicht, was das sein sollte. Da nahm er alle Eingeweide, die er aus dem Hirsch genommen hatte, und legte sie auf die Haut und führte die Hunde heran und legte ihnen das zum Fraß vor und sprach dann zu ihnen: „Nehmt nun“, sagte er, „und rüstet ein Stangengeschenk zu und befestigt das Haupt des Hirsches darauf und bringt es dem König in höfischer Weise dar!“ Da sagen die Jäger: „Meiner Treu!“, sagten sie, „noch nie hörte man in diesem Land von Hautfülle18 und Stangengeschenk19 sprechen; aber da du der erste Jäger bist, der diese Sitte hierher gebracht hat, da lehre uns diese Hauptkunst und diesen höfischen Brauch vollständig, da wir diese Sitte nicht beherrschen!“ Da schnitt Tristram etwas Fleisch von allen Gliedern ab und ebenso etwas vom Besten aus den Eingeweiden und warf dies erneut auf die Haut, und die Hunde fraßen dies vollständig auf: dies heißt „Hautfülle“. Das haben die Hunde auf der Haut zu fressen, und den Jägern kam dies seltsam vor. Dann ging Tristram in den Wald und hieb einen möglichst langen Ast ab, jedoch so, daß man ihn noch mit einer Hand tragen konnte, und band an diese Stange den Zweig, an den er die köstlichsten Leckerbissen befestigt hatte, die er aus dem Hirsch genommen hatte, und er setzte den Kopf an das obere Ende und sprach zu den Jägern: „Ihr 18 19
Sonst nicht belegt. Sonst nicht belegt.
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Herren!“, sagte er, „nehmt dies nun entgegen, und dies heißt „Stangengeschenk“, und bringt den Kopf in höfischer Weise dem König; Eure Jagdgehilfen gehen euch voraus, und stoßt in euer Jagdhorn. Das heißt „ankommende Jagdgabe“20 , und so machen es die Jäger dort, wo ich geboren bin.“ Sie sprachen: „Wir können damit nicht umgehen; indes gefällt uns euer Brauch besser als unserer. Du sollst“, sagen sie, „uns zum König begleiten und ihm die ankommende Jagdgabe übergeben. Aber wir wollen alles tun, was du uns aufträgst.“ Dann setzten sie Tristram auf ein Pferd, und die Pilger begleiteten ihn, und er trug das Haupt des Hirsches auf der Stange, und danach kamen sie zum Palast des Königs.
Kapitel 22 (Gottfried 3223–3749) Da nahm Tristram ein Jagdhorn und blies auf diesem Horn einen langen und schönen Ton, und alle Jagdgehilfen bliesen auf ihren Hörnern, so wie er es ihnen gesagt hatte. Viele waren hier versammelt und auch viele Hörner, und es gab ein lautes Tönen der Hörner, und sehr viele Männer des Königs stürzten aus der Halle, wunderten sich und fragten, was dieser gewaltige Hörnerklang zu bedeuten habe. Aber Tristram und die Schar der Jagdgehilfen hörten nicht früher zu blasen auf, bis sie vor den König selbst kamen, und da erzählten die Jäger dem König, wie Tristram den Hirsch zerlegt und wie er den Hunden zu fressen gegeben hatte und vom Stangengeschenk und wie sie unter Hörnerschall die Beute ihrem Herrn und König bringen sollten, denn niemals zuvor war in diesem Land ein Hirsch auf diese Weise zerlegt noch die Jagdbeute so prachtvoll nach Hause gebracht noch der König so würdig geehrt worden. Wie Tristram nun im Gefolge des Königs weilte, da ging er oft auf die Jagd und zerlegte die Hirsche und die Tiere, die er erlegte, immer auf die gleiche Weise und brachte sie dem König nach seiner Gewohnheit, denn keine Sitte war schöner und ehrenvoller als die, die Tristram in seinem Land gelernt hatte. Aber die Jäger des Königs hielten seine Sitte für besser. Als der König am Abend gesättigt war, setzte sich das Gefolge in die Halle, sich zu unterhalten, einige an das Schachbrett, andere an andere Brettspiele, einige lauschten Gesängen, andere Geschichten, aber der König hörte dem Harfenspiel zu, und sofort erkannte Tristram das Lied und die Weise und sprach zu ihm: „Du, Harfner!“, sagt er, „spiel’ diese Weise gut! Dieses Lied machten die Bretar in Bretland über die Geliebte des guten Geirnir.“ Da sprach der Harfner: „Was weißt du davon?“, sagte er, „Hast du einen Harfenmeister gehabt oder in welchem Land hast du das Saitenspiel gelernt, denn 20
Ebenfalls sonst nicht belegt.
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es scheint mir, daß du diese Weise kennst?“ „Guter Meister“, sagt Tristram, „dort, wo ich herkomme, lernte ich mir zum Vergnügen ein wenig das Harfenspiel.“ „Nimm nun die Harfe und laß uns hören, was du gelernt hast!“ Da nahm Tristram die Harfe und stimmte alle Saiten und spielte für den König und alle seine Leute eine so schöne Weise, daß es dem König über die Maßen gefiel und ebenso allen, die zuhörten, und alle lobten es, wie gut er es gelernt habe und wie feingesittet er gebildet sei, allseitig ausgestattet mit sanfter Herzensgüte und er beherrscht allerlei Unterhaltungskünste. Er glänzte durch hervorragenden Verstand; niemals hatten sie in ihren Tagen die Harfe so schön spielen hören. Als er diese schöne Weise beendet hatte, da baten der König und viele andere ihn, daß er ihnen noch eine Harfenweise spiele, und er merkte, daß es ihnen gefiel, und er bot ihnen eine zweite Weise mit anderer Melodie dar. Er stimmte die Saiten erneut und trug ihnen eine andere Weise vor, indem er seiner Stimmlage entsprechend zur Harfe sang. Nach kurzer Weile trug er ihnen eine dritte Harfenweise so schön vor, daß alle entzückt waren. Da sprach der König zu ihm: „Teurer Freund!“, sagt er, „Wohl dem, der dich unterrichtete und dich solche Geschicklichkeit lehrte. Du sollst heute nacht in meinem Zimmer sein und mich mit deinem Können und deinem Saitenspiel trösten, wenn ich wach daliege!“ Tristram war danach allen willkommen, angenehm und beliebt, froh und freundlich, friedfertig zu allen. Alle liebten ihn, aber der König liebte ihn am meisten, und ihm waren dessen Sperber, Bogen und Köcher anvertraut, und der König schenkte ihm ein Reitpferd. Am Tag begleitete er den König bei seinen Zerstreuungen, des Nachts diente er ihm mit seinem Harfenspiel. Nun genießt er in reichem Maße, was er in seiner Jugend gelernt hat. Wenn nun Tristram nicht entführt worden wäre, hätte er diesen König nicht kennengelernt und wäre nicht so angesehen und beliebt in diesem Land, wie ihn nun alle lieben und schätzen in dieser Burg und im ganzen Reich.
Kapitel 23 (Gottfried 3750–4094) Nun wollen wir von Tristram schweigen und uns seinem Ziehvater zuneigen21 , dem feingesitteten Ratgeber, der weit umherfuhr, seinen Ziehsohn zu suchen, und viele Länder durchforschte und Wind und Wetter, Strömungen und Stürmen des Meeres und der See und dem Elend langer Heimatlosigkeit ausgesetzt war, und nirgends bekam er etwas von Tristram zu wissen. Als er nach Dänemark kam – drei Winter waren verstrichen, seit er von zu Hause aufgebrochen war –, erfuhr er von einem Wanderer, daß Tristram sich im Gefolge des Königs Markis, des mächtigen und berühmten Fürsten, aufhalte und dort gut gestellt und ge21
Das Isländische hat den Reim þegja – segja; weitere Reime in diesem Kapitel sind ræðum – klæðum (Verhältnisse – Kleidern), akrkarl – jarl (Ackerknecht – Jarl).
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schätzt sei, überall anerkannt und beliebt, und daß er beim König weilen sollte, denn der König schätzte ihn sehr. Nachdem ihm dieser Mann solche Nachricht gesagt hatte, glaubte er ihm sofort, denn er erkannte an seiner Kleidung [i.e. an der Beschreibung von Tristrams Kleidung], daß er die Wahrheit gesprochen hatte. Es war dies einer der beiden Pilger, der Tristram begleitet hatte und mit den Jägern zum Hofe des Königs gekommen war, und er wußte alles genauestens von Tristram, von seinem Auftreten und wie er liebevoll in die Gunst des Königs gelangt war. Nun will Roald der Ratgeber seine Reise fortsetzen und ging zum Schiff und wartet auf Wind. Als der Wind kam, wollte er aufbrechen, und sie segelten über das Meer, und er kam nach England. Dann begab er sich nach Kornbretaland, das mit England im Westen verbunden ist. Dort hielten sich der König und sein Gefolge auf. Dort fragte Roald heimlich, ob ihm jemand darüber genaue Auskunft geben könnte. Sie erzählten ihm das, worüber er sehr erfreut wurde, daß Tristram zufällig an diesem Tag dem König diente und der Tafel vorstand. Roald wollte sehnlichst ihn alleine heimlich treffen. Kurz zuvor noch war er in glänzenden Verhältnissen, jetzt steht Roald in ärmlichen Kleidern da. Wegen der Mühsal und der langen Reise ist sein ganzes Auftreten erbärmlich. Er weiß nun nicht, wie er es anstellen soll, daß Tristram ihn treffen kann, da er so ärmlich gekleidet ist und wenig Mittel besitzt, sich nach Art des Hofes zu kleiden, um die vollständige Anerkennung des Hofes zu erlangen. Nun ist er bekümmert, denn ein armer Mann ist am Hofe des Königs nicht willkommen, da nur die dort wilkommen sind, die reich genug sind. Wenn auch ein Mann aus guter Familie stammt und in feinen Sitten gut herangebildet ist und doch arm an den Hof kommt, dann findet er dort nur wenige, die ihm helfen möchten. Nun ist Roald an den Hof gekommen und doch keinem willkommen, denn niemand wußte, wer er war noch in welcher Absicht er kam. Aber schließlich wurde ihm klar, daß es ihm, dem Unbekannten, nicht taugte, sich vor dem hier herrschenden König länger zu verstecken, und er ging auf die eine Seite der Tür und rief den Torwächter zu sich. Er gab ihm ein Geschenk, damit er ihn ungehindert eintreten lasse. Als der Torwächter das Geschenk sah, schloß er die Tür auf und nahm ihn an der Hand und führte ihn zur Halle, er ging hinein, aber jener wartete draußen. Dann kam Tristram heraus, als der Torwächter ihn rief. Als Roald Tristram erblickte und ihn deutlich erkannte, fiel er sogleich in Ohnmacht, so sehr freute er sich über sein Kommen. Alle, die Tristram begleiteten, wunderten sich, wie diesem Mann, aus Freude fallend, das frohe Ereignis so nahe ging. Sie nahmen ihn und richteten ihn wieder auf. Aber Weinen und Freude erschreckten und erquickten Roald zugleich, die ihm eine so große Freude gaben, daß er niemals zuvor eine so große Freude verspürt hatte, wie er sie nun erlebte, als er Tristram da sah. Sobald Tristram ihn erkannt hatte, freute er sich und umarmte ihn unter Küssen derart, daß man keinem schildern konnte, wie sehr jeder den anderen liebte. Da nahm Tristram ihn an der Hand und führte ihn zum König und
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sagte laut, wobei der ganze Hof zuhörte: „Herr König“, sagt er, „dies ist ein Verwandter, mein Vater und Ziehvater, der in vielen Ländern nach mir gesucht hat; nun ist er froh, mich gefunden zu haben, nachdem er lange in fremden Ländern Mühsal ertragen hat, und nunsieht er wie ein armer Mann aus; ich bin über sein Kommen erfreut, wenn ihr ihn freundlich aufnehmen wollt.“ Der König war höfisch und von ritterlichem Wesen und rief heimlich einen Diener zu sich und sprach zu ihm: „Führe diesen Mann in unser Schlafgemach und diene ihm wohl und gib ihm ein schönes Gewand, von dem du meinst, daß es ihn kleide, denn er ist immer ein reicher Mann gewesen, klug und höfisch und fein gebildet. Er soll bei uns in Ehren gehalten werden, weil er Tristram ein treuer Freund und eine Freude war!“ Als Roald nach Art des Hofes in kostbare Gewänder gekleidet war, da sah er aus wie ein vornehmer Mann und von stattlichem Bau der Glieder. Sah er vorher wie ein Ackerknecht aus, so jetzt wie ein Adliger oder ein Jarl. Nun wird ihm ein Platz an der Tafel des Königs angewiesen, und er sitzt nun als Vornehmer bei den Vornehmen. Nun speisen sie mit Freuden, aber Tristram dient ihm nach Art des Hofes.
Kapitel 24 (bis einschließlich Kapitel 25 Gottfried 4095–5866) Als sie satt und mit feinen Speisen und vortrefflichen Getränken gut bedient worden waren, erzählten sie nach Art der Vornehmen von anderen Ländern, was bei den Fürsten so passiert war, die in den anderen benachbarten Ländern herrschten, und was sich in den letzten Jahren ereignet hatte, was ihnen zu wissen und ihm zu erzählen ziemte. Danach trägt Roald mit gewandter Rede und wohl gewählten Worten und klarer Erinnerung dem König vor, wobei alle zuhörten, auf welche Weise Kanelangres, sein Herr und Fürst, Blensibil, die Schwester des Königs, die er liebte, heimlich entführte und zur Frau nahm, und von seinem Hinscheiden und wie sie ihren Sohn gebar und von ihrem Tod und warum er ihn Tristram nennen ließ, und zeigt ihm dann einen Fingerring mit kostbaren Steinen (den hatte der Vater von König Markis besessen, und der König hatte ihn in Liebe seiner Schwester mit großer Zuneigung gegeben), und wie Blensinbil ihn vor ihremTod bat, daß er diesen Ring dem König, ihrem Bruder, übergeben solle als sicheres Wahrzeichen ihres Todes. Als Roald den Ring übergeben und der König ihn an sich genommen hatte, da erkannte der König an dem Ring den Jüngling. Daraufhin gab es keinen in der ganzen Schar der Herzöge und Jarle und Lehensmänner, Ritter, Mundschenken und Schildknappen, Frauen und Mägde, der über dieses bejammernswerte Ereignis keine Tränen vergossen hätte und auch über seinen Bericht, wie elend Tristram von ihm weggestohlen worden war und wie er in vielen Ländern mit Mühsal und Beschwerden nach ihm gesucht hatte.
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Als der König diesen Nachrichten aufmerksam zugehört hatte, da rief er Tristram mit liebevollen Worten zu sich und umarmte ihn mit herzlichem Kuß als seinen Adoptivsohn und wahren Schwestersohn. Dann schritt er zum König, seinem Onkel, und fiel vor ihm auf die Knie und sprach zu ihm: „Herr“, sagte er, „nun möchte ich, daß Ihr mir eine Rüstung gebt, und ich will mein Vaterland und Erbe aufsuchen und den Tod meines Vaters rächen, denn nun bin ich alt genug, daß ich imstande bin, mein rechtmäßiges Eigentum wiederzugewinnen.“ Da sprachen alle Fürsten, die zu beiden Seiten des Königs saßen, daß es ihm wohl anstünde, dies zu tun, und dann bewilligte ihm dies auch der König und sprach, man solle ihm eine Rüstung zurechtmachen. Diese Rüstung, die ihm der König schenkte, war sehr gut; sie war ganz aus gebranntem Silber und Gold gefertigt und mit kostbaren Steinen besetzt. Tristram wurden tapfere, schöne, stattliche, mächtige und höfische Ritter zugesellt. Sie befestigten Sporen an seinen Füßen, aus gebranntem Gold gefertigt. Dies taten zwei Lehnsmänner. König Markis selbst gürtete ihm das Schwert um und versetzte ihm einen gewaltigen Schlag auf den Nacken und sprach: „Mein lieber Neffe, dulde niemals Schläge von anderen Männern, ohne dich sofort dafür zu rächen; nimm kein Bußgeld oder andere Wiedergutmachung als nur Schlag für Schlag, solang du dich rächen kannst. Auf diese Weise sollst du deiner Ritterschaft Ehre machen.“ Der König machte ihn nun zu einem vornehmen Ritter, und sie brachten ihm ein schönes und kräftiges Kriegsroß, mit roter Schabracke, in die mit Goldfäden Löwenfiguren eingewebt waren. Da schenkte ihm der König Pferde und Rüstungen für weitere zwanzig junge Männer an jenem Tage, ihm zu Ehren, und hundert weitere erprobte Ritter, die alle Tristram in den Süden Bretlands folgen sollten, um sein Recht einzufordern und zu verteidigen. Aber am Morgen nahm Tristram Abschied vom König, um mit seinem Ziehvater und seinen Gefährten nach Hause zu fahren, und sie kommen zu ihren Schiffen und bestiegen sie mit ihren Pferden und Waffen. Einige lichteten die Anker und wanden die Segel auf, die vielfarbigen, gelbe und blaue, rote und grüne, und segelten auf das Meer hinaus und landeten im Süden Bretlands, wo es ihnen am besten dünkte, und als sie zu den Landeplätzen gekommen waren, da landeten sie vor der Burg, die Ermenia hieß, und sie sahen dort ein außerordentlich starkes Kastell, mächtig und prächtig, auf allen Seiten unzugänglich. Dieses Kastell hatte Tristrams Vater gehört, und immer noch saßen dort seine eidlich verpflichteten Dienstmannen, und da begab sich Roald der Ratgeber als erster vom Schiff und ritt zur Burg und ließ alle Tore und Eingänge aufschließen, und da übergab der Ratgeber dem Tristram alle Schlüssel des Kastells, und er schrieb dann an alle Lehnsmänner des Reiches, daß sie dorthin kommen und ihren Herren begrüßen sollten, den er weithin hat suchen müssen und nun mit Gottes Hilfe und Umsicht gefunden hatte. Als die Herzöge und Fürsten, Lehensmänner und reichen Ritter gekommen waren, da nahm Tristram ihre Unterwerfung entgegen und nahm ihnen den Treueeid ab, und nun herrscht bei allen im Reich eine erneute Freude über
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seine Heimkehr. Nun sind alle frei und froh, die zuvor ängstlich und bekümmert waren, als er entführt worden war. Aber am Morgen machte er sich mit zwanzig Rittern auf, Herzog Morgan aufzusuchen, um von ihm Recht und Reich einzufordern, die er seinem Vater weggenommen hatte. Als er in die Halle des Herzogs kam, wobei das ganze Gefolge aufstand22 und zuhörte, da begrüßte Tristram den Herzog auf folgende Weise: „Gott vergelte Euch, Herzog, wie du an uns gehandelt hast, denn du herrschst über mein Reich zu unrecht und erschlugst meinen Vater im Kampf! Ich bin der Sohn von Kanelangres, hierher gekommen, von Euch mein Erbland einzufordern, das du in Besitz hast und das meinem Vater gehörte, daß du es mir mit Anstand und Ehre zurückgibst. Aber ich bin bereit, dir Dienste zu leisten, wie es einem freien Mann unter Wahrung seiner Ehre ansteht.“ Da antwortet der Herzog: „Ich habe erfahren, daß du König Markis dientest, und er gab dir gute Pferde, Rüstungen, kostbare Stoffe und Seide, und ich sehe, daß du ein schmucker Ritter bist. Und du sagst, du willst mir das Reich abnehmen, und behauptest, daß ich dein Eigentum zu Unrecht innehabe und daß ich deinen Vater erschlug. Nun weiß ich nicht, wie es mit deiner Bitte mir gegenüber bestellt ist, mir jedenfalls scheint, als ob du Streit mit mir suchst, und du scheinst eine Sache vorzubringen, die du niemals zu Ende bringen wirst. Wenn du nach deinem Reich trachtest, dann mußt du es mit Gewalt tun, denn ich habe das, was du dein Reich nennst, sei es zu Recht oder zu Unrecht. Was aber nun deine Anklage über den Tod deines Vaters angeht, wirst du in dieser Sache all das gebrauchen müssen, was in deiner Macht steht, denn niemals werden wir seinen Tod vor dir verleugnen oder verheimlichen.“ Da sagte Tristram: „Wenn jemand einen Mann tötet und seinen Tod auch einräumt, dann geziemt es ihm, diesen Tod gegenüber seinen Freunden zu büßen. Du räumst nun beides ein, mein Reich zu Unrecht innezuhaben und meinen Vater erschlagen zu haben. Nun fordere ich dich auf, für beides Buße zu leisten, denn das kannst du nicht verweigern!“ Da sprach der Herzog: „Schweig, du Narr!“, sagte er, „du bist voller Hochmut, du bist ein Hurensohn und weißt nicht einmal, wer dich gezeugt hat und du erlügst dir deinen Vater!“ Da wurde Tristram zornig und sprach: „Herzog, nun hast du gelogen, denn ich bin in rechtmäßiger Ehe gezeugt; das werde ich dir gegenüber beweisen, wenn du dich traust, die Sache weiter zu verfolgen!“ Als der Herzog die Worte Tristrams hörte, da er sagte, daß er löge, da sprang er voller Zorn und Unmut auf und auf Tristram zu und schlug ihm mit seiner Faust mit aller Kraft auf die Zähne. Doch Tristram zog sofort sein Schwert und hieb ihm von oben aufs Haupt und spaltete es bis zu den Augen hinunter und schleuderte ihn tot neben sich auf den Boden im Angesicht seines ganzen Gefolges. Tristrams Gefährten und Gefolgsleute waren äußerst tapfer, sie zogen ihre Schwerter und
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Von Kölbing ersetzt statt des handsschriftlichen sitjandi (= sitzen blieb).
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bahnten sich einen Weg durch das Gedränge in der Halle, hieben nach beiden Seiten und erschlugen jeden, den sie erwischten. Sobald er aus der Halle gelangte, sprang Tristram auf sein Pferd, und alle seine Gefährten auf ihre Pferde, nahmen ihre Schilde und Lanzen und reiten dann in geordneter Schlachtordnung aus der Burg, und der ist ein Tor, der sie nun reizen will, und nun machen sie aus dem Scharmützel eine Schlacht, in der mehr als hundert Mann fielen, ehe sie auseinander gingen, denn nun waffnete sich das ganze Gefolge des Herzogs, um den Tod seines Herrn zu rächen, und dann zogen fünfhundert Mann, alle in Waffen, aus und verfolgten Tristram so schnell, daß diejenigen, die die schnellsten Pferde hatten, sich seinen Gefährten näherten.
Kapitel 25 Nun hat Tristram manchen Ritter und Herzog Morgan erschlagen und strebt eilig heimwärts; doch die Breten ritten in großer Zahl ihm nach und drohen ihm, daß sie ihren Herrn rächen werden. Als die, die zuvorderst ritten, sie erreichten, da wandten sich Tristram und seine Leute ihnen entgegen und griffen sie so tapfer an, daß sie alle erschlugen und die Pferde an sich nahmen. So rächten sie ihren Kummer, daß jene Berühmtheit erlangen würden nimmer23 . Aber am selben Tage ließ der Ratgeber Roald sechzig Ritter sich mit starken Waffen und guten Pferden waffnen und schickte sie auf denselben Weg, auf dem Tristram geritten war, damit sie ihm Hilfe leisten sollten, wenn er deren bedürfte oder wenn er andere seiner Burgen aufsuchen wollte, damit er sicher und ohne Furcht vor seinen Feinden des Weges ziehen könne. Die, die Tristram und seine Mannen verfolgten, wußten nicht, wo er sich einen Schlupfwinkel suchen wollte, und er wandte sich so schnell und häufig, wie er konnte, zu ihnen um und erschlug die, die ihm am nächsten waren. So lange verfolgten sie ihn, bis schließlich seine sechzig Männer ihnen entgegen angesprengt kamen, und sie senkten ihre Lanzen zum Angriff und hieben sofort mit ihren Schwertern so tapfer und wacker, daß sie sofort die vordere Reihe zu Boden stießen und alle erschlugen, die sich ihnen entgegen zu stellen wagten. Aber die, die übrig geblieben waren, flohen davon. Aber Tristram und seine Genossen verfolgten sie und erschlugen die Fliehenden, die wie eine Schafherde davonrannten, und sie erbeuteten dann viele Pferde und allerlei Rüstungen und kehrten mit großem Sieg und Ruhm in ihr Kastell zurück. Tristram war äußerst tapfer und gewann Ruhm und Lob, war zu allen freigebig und freundlich, war würdig und vornehm, angesehen und glückreich. Nun hat er mit großem Sieg und Ruhm seinen Vater gerächt. Tristram war äußerst tapfer, und er sandte dann nach allen Fürsten in seinem Reich, und als sie kamen, 23
Im Isländischen steht hier der Reim sinna – vinna.
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da sprach er zu ihnen: „Freunde!“, sagte er, „ich bin euer rechtmäßiger Herr, König Markis’ Schwestersohn, und er hat nun keinen Sohn oder Tochter oder rechtmäßigen Erben, deshalb bin ich sein rechtmäßiger Erbe. Ich will mich nun zu ihm begeben und ihm dienen, so ehrenvoll wie ich es vermag. Nun übergebe ich Roald, meinem Ziehvater, diese Burg mit all ihren Einkünften. Nach seinem Tod übernehme sie sein Sohn für die viele Arbeit und Mühsal, die er meinetwegen erduldete, und auch für die sorgfältige Fürsorge und die ehrenvolle Behandlung, die er mir in meiner Kindheit erwies. Seid ihm nun alle gehorsam und folgsam! Hier übergebe ich ihm mein Recht und meine Stellung. Nun will ich in Freundschaft und mit eurer Erlaubnis abreisen!“ Und er küßte alle mit weinenden Augen. Dann stieg er auf sein Pferd und ebenso seine Männer und sie ritten zum Schiff, sie zogen die Anker auf und wanden ihre Segel auf und segelten auf das Meer hinaus. Aber seine Untertanen bleiben voller Kummer zurück, seine Abreise beklagend, und sie waren unzufrieden damit, daß er nicht länger bei ihnen bleiben wollte, und es verlangte sie sehr, daß er zurückkommen möchte. Nun erneuert sich ihr Kummer wegen seines Wegganges von ihnen.
Kapitel 26 (Gottfried 5867–6220) Nun erzählt uns die Tristrams Saga hier, daß die Iren zu jener Zeit Tribut von England erhoben, und dies hatten sie schon viele Jahre lang getan, weil die Iren eine besondere Vorliebe für England hatten, da der englische König, der damals regierte, sich nicht zu wehren vermochte, und deshalb war England lange Zeit Irland tributpflichtig. Doch ein früherer Tribut von 300 Pfund Pfennig war dem Römerkönig24 geleistet worden. Als ersten Tribut nahmen die Iren Messing und Kupfer, im zweiten Jahr reines Silber, im dritten Jahr geläutertes Gold, und das sollte für die allgemeinen Bedürfnisse zurückgelegt werden. Im vierten Jahr25 sollten sich der König von England und die Fürsten in Irland zusammenfinden, um die Gesetze zu hören und Recht zu sprechen und alle Männer zu bestrafen. Im fünften Jahr sollte der Tribut aus den sechzig schönsten Knaben bestehen, die man finden konnte und die ausgeliefert werden sollten, die der König von Irland sich zu Dienern forderte, und deshalb wurde zwischen den Lehensmännern und den anderen Fürsten das Los geworfen, wer seine Kinder hergeben sollte. Diejenigen, die das Los traf, sollten sie ausliefern, sobald nach dem Tribut gesandt würde, auch wenn es nur das einzige Kind war. Nun ist Tristram in England in dem Hafen gelandet, in dem er wollte, in dem Jahr, als der König von Irland den Kindertribut einforderte, und mit einem 24 25
Von Kölbing gebessert aus handschriftlichem Ronia kge. Hier liegt wohl eine Textverderbnis vor.
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stattlichen Kaufmannsschiff war der gelandet, der ihn abholen sollte. In Irland war ein mächtiger Kämpe, groß und bösartig, stark und grimmig, der in jedem Sommer dorthin kam, um den Tribut abzuholen. Wenn ihm aber der Tribut verweigert würde, dann will er allein derjenige sein, ihn mit Gewalt von dem einzutreiben, der ihn ihm verweigert, denn entweder soll man den Tribut bezahlen oder den Kampf gegen ihn wählen26 . Nun ging Tristram von seinem Schiff herab und bestieg ein Pferd und ritt dann hinauf ins Kastell, wo der König sich aufhielt und wo die Herzöge und Jarle, die Lehnsmänner und eine große Zahl von Rittern waren, denn sie waren dorthin beordert worden. Es waren dort auch alle die mächtigsten Frauen mit ihren Söhnen hingekommen, und nun sollte man die erlosen, die als Tribut nach Irland fahren sollten. Alle äußerten ihren Kummer und ihre Sorge, eine wie die andere war um ihren Sohn in Angst, daß sein Los gezogen würde, denn später hilft es nichts, die Hand darüber zu halten oder sich der Sache anzunehmen, und es geschah mit gutem Grunde, daß sie über derartige Unterdrückung betrübt waren, ihre Kinder in Verbannung und Gefahr und Elend geben zu müssen. Es ist ein großer Jammer und eine jammervolle Vorstellung, daß Kinder aus so vornehmem Geschlecht in solche Knechtschaft und Unterdrückung gegeben werden. Herr Gott, geduldig bist Du, daß Du solches duldest: habe Mitleid mit diesem elenden Jammer. Mächtige Männer weinten, die Frauen klagten und jammerten, die Kinder plärrten, die Mütter verfluchten die Väter der Kinder, die es nicht wagten, ihre Kinder gegen die vor dem Elend zu verteidigen, die die Kinder nahmen, nennen die Väter ängstlich, ehrlos, besiegt und überwunden, da sie sich nicht trauten, gegen Morhold zu kämpfen, der den Tribut eintrieb, da sie wußten, daß er äußerst hart, grimmig und mächtig an Kraft und im Kampf, kühn im Angriff, groß an Wuchs war, und deshalb gab es dort keinen, der nicht lieber sein Kind in Knechtschaft und Unterdrückung geben wollte als selber dem Tod verfallen zu sein. Daher traut sich niemand, gegen ihn zu kämpfen, denn niemand hat die Hoffnung, daß er siegen werde. Als Tristram in die Halle kam, erblickte er die ganze Schar der vornehmsten Männer des ganzen Reiches. Alle äußerten ihren Jammer, daß sie einen derartigen Tribut zu entrichten hätten. Tristram sah ihre Angst und Bekümmernis und daß viele weinten. Er fragt, woher das käme, daß sie sich so benähmen. „Das ist“, sagen sie, „wegen des Tributes, den Morhold, der Abgesandte des Irenkönigs, gewöhnlich abholt, und er ist jetzt gekommen, um von den Fürsten dieses Reiches, die sich alle hier eingefunden haben, nachdrücklich zu verlangen auszulosen, wessen Kinder fortziehen müssen.“ Als er zur Halle und ins Kastell gekommen und schon vorher betrübt gewesen war, da war er nun noch betrübter, denn er fand dort die vornehmsten Fürsten, die es in diesem Königreich gab, und sie saßen alle vor denen auf den Knien, die die Lose aufnehmen sollten, und 26
„bezahlen – wählen“: im Isländischen steht der Reim gjalda – halda.
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jeder bat Gott, ihm gnädig zu sein, daß er sie vor dem Losentscheid bewahre. Da weinten auch die Mütter der Kinder, die Kinder klagten und plärrten. In diesem Moment kam Tristram, der freundlich Gesinnte, herzu und sprach mit lauter Stimme: „Höfische Herren, Gott segne euch alle und rette euch aus Unterdrückung und Knechtschaft, aus eurer Schmach und Schande! Es erscheint mir jedoch sonderbar, daß sich in einer so großen Schar von Rittern, wie ich sie hier anwesend sehe, keiner findet, der sich traut, eure Freiheit zu verteidigen oder euch von Knechtschaft und Unterdrückung zu befreien, und nicht einer gegen einen an diesem Tag antritt, um euch dem Elend zu entreißen, das euch bedrückt, damit ihr nicht mehr das Los werfen noch eure Kinder in die Knechtschaft geben müßt. In Wahrheit ist das Land von Knechten bewohnt, wenn ihr euch nicht selbst aus der Knechtschaft befreit, denn ihr seid alle Knechte und keine Ritter, wenn er den Tribut so fortschleppt, und das ganze Land ist beraubt und geplündert. So groß scheint mir eure Feigheit, daß es euch nicht kümmert, wohin eure Kinder in Elend und Schande gelangen, wenn ihr eure Kinder aus eurer Obhut entlaßt. Wenn ihr meinen Rat haben wollt, dann sollt ihr weder eure Kinder fortschicken noch dem Abgesandten den Tribut entgelten. Wählt nun einen unter euch, der der tapferste und stärkste im Waffengang und erfahren in jeglicher Ritterschaft ist, kräftig und waffenkühn. Der soll im Zweikampf gegen den antreten, der nun den Tribut abholen will, und jener soll sich euch besiegt und überwunden auf dem Feld des Zweikampfes ergeben. Wenn sich aber kein besserer dazu bereit findet als ich, dann will ich meinem Onkel, dem König, zuliebe gerne im Zweikampf mit der Kraft kämpfen, die Gott mir verliehen hat. Aber wenn dieser stark ist, dann ist Gott mächtig, mir zu helfen und eure Kinder zu befreien und euch die Freiheit zu geben, eher als daß jener unter solchen Umständen mit euren Kindern und eurem Vermögen davonzieht, ohne daß er ernsthaft herausgefordert wäre, und euren Reichtum und eure Erben mit sich nimmt. Steht nun schleunigst auf und beendet das Loswerfen. Niemals soll er sich dessen rühmen, daß er uns alle mutlos antraf.“
Kapitel 27 (Gottfried 6221–6482) Da sprach der König: „Vielen Dank“, sagte er, „mein lieber Neffe: Komm hierher und umarme mich. Wenn du unsere Freiheit wiedergewinnst, dann sollst du der Erbe meines ganzen Reiches sein. Niemand ist würdiger dazu als du, es zu besitzen, da du der Sohn meiner lieben Schwester bist.“ Dann trat Tristram herzu und küßte den König, seinen Verwandten, und alle Lehnsmänner und Ritter, die zugegen waren, und Tristram übergab dem König seinen Handschuh, um den Zweikampf gegen Morhold zu bekräftigen, und alle dankten ihm da, die jüngeren Männer und die älteren, und sie sagten, daß, wenn er ihren Feind zu besiegen und ihre Freiheit zurückzugewinnen vermöchte, sie alle ihn lieben und
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ihn immer als ihren Herren ehren und ihm dienen würden, da er ihr Beschützer sein wolle, und sie sandten nun nach Morhold. Er aber glaubte, daß sie das Los geworfen hätten und daß er die Kinder abholen sollte. Als Tristram Morhold hereinkommen und sich niedersetzen sah, da sprach Tristram mit lauter Stimme: „Höret, Herren und Fürsten, Lehnsmänner und Ritter, jüngere Männer und ältere, die ihr hierher gekommen seid! Morhold ist nun hierher gekommen und behauptet, daß ihr Tribut zu entrichten habt, da er gewohnt ist, ihn sich jedes Jahr abzuholen, aber der wurde euch mit Raub, Gewalt und Übermacht abgenommen, und widerrechtlich seid ihr in die Unterdrückung gegangen, als die Iren euch bekriegten und England mit Unfrieden überzogen. Die Einwohner dieses Landes konnten sich auf keine andere Weise wehren noch Frieden erreichen als jenen wegenihrer Übermacht tributpflichtig zu werden, und so ist es seitdem immer gewesen. Aber Gewalt ist nicht Recht, sondern offenbar Schmach und Unrecht, und deshalb braucht rechtmäßig kein Tribut entrichtet zu werden, da er immer unrechtmäßig erhoben worden ist, denn das ist nicht rechtmäßig, was gewalttätig genommen worden ist. Was aufgrund von Gewalt aufgegeben wird, ist nach rechtem Urteil ein übler Gewinn. Alles, was durch Raub erreicht wird, ist immer übel erworben. Da nun Raub nicht Recht ist, soll er nichts Unrechtes von uns bekommen. Wenn er die Kinder wegführen will, dann soll das niemals mit unserer Zustimmung geschehen. Aber er behauptet, daß er ein Recht habe, sie mitzunehmen. Durch seine eigenen Worte will ich beweisen, daß er kein Recht hat, hier Tribut zu nehmen noch ihn von hier wegzubringen, denn wir werden uns mit Macht zur Wehr setzen und seiner Macht zum Trotz nicht davon ablassen. Was er mit Gewalt nehmen will, werden wir mit Gewalt verteidigen. Da es Gewalt gegen Gewalt bedarf, da möge der sie behalten, der der bessere Kläger ist. Wir wollen ihm die Einsicht ermöglichen, daß sie jegliche Rechtsverdrehung für Wahrheit ansehen!“ Als Tristram dies gesagt hatte, sprang Morhold sofort auf und stand da und schien breit im Gesicht, groß an Wuchs, gewaltig an Gliedern, in jeder Hinsicht außerordentlich stark und sprach mit lauter Stimme aus seiner gewaltigen Gurgel: „Ich habe verstanden“, sagt er, „was Ihr aus törichtem Entschluß gesagt habt, daß Ihr mir den Tribut nicht entrichten und gutwillig übergeben, sondern ihn mir lieber mit aller Macht vorenthalten wollt. Ich bin nun nicht zum Kampf gerüstet, denn ich habe hier nur eine kleine Gefolgschaft. Als ich in Bretland landete, glaubte ich nicht, derartiges zu benötigen, noch daß Ihr mir den Tribut verweigern und eidbrüchig werden und mich abweisen würdet. Da ich wenige Männer bei mir habe und zu einer Feldschlacht nicht gerüstet bin, da möge einer von euch gegen mich allein antreten, um zu beweisen, daß ihr den Tribut zu Unrecht entrichtet. Aber wenn ich mich um diese Übereinkunft drücke, dann seid ihr nach Recht und Ehre frei. Wenn sich nun jemand traut, euch zu verteidigen, dann nehme er meinen Handschuh auf!“ Tristram stand in der Nähe, mutig und mannhaft, kühn und ansehnlich, erhob sich sofort und ging zu ihm und spach: „Ich bin der“, sagte er, „der gegen
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dich verteidigen wird, daß wir dir keinen Tribut zu entrichten haben und daß wir dir gegenüber niemals treuebrüchig waren. Das will ich gegen dich vertreten und an dir selbst erweisen. Eile du zu deinen Waffen, denn ich eile zu meinen.“
Kapitel 28 (Gottfried 6493–7142) Nun ist die Abmachung zum Zweikampf bekräftigt, und Morhold geht zum Strand und wappnet sich; dann stieg er auf ein gewaltiges Pferd, das mit einer schützenden Pferdebrünne bedeckt war, hängte sich an die Schulter einen festen und großen und dicken, sehr schweren Schild und war mit einem großen und scharfen Schwert gegürtet und ritt dann auf den Kampfplatz und sprengte auf seinem Pferd daher, wobei alle sehen konnten, wie gut er zu reiten verstand. Tristram wappnete sich im Palast des Königs mit guten Beinharnischen, zwei Lehnsmänner banden ihm goldene Sporen an die Füße. Dann kleidete er sich in eine schützende Brünne, dick und groß, aber der König, sein Onkel, gürtete ihn mit einem guten Schwert, das in vielen Kämpfen erprobt war. Dieses Schwert hatte ihm der König, der Vater des Königs, geschenkt und auch den Ring, von dem ihr früher in dieser Geschichte habt erzählen hören, jene zwei Kostbarkeiten, die die besten in seinem Reich waren. Dann setzten sie ihm einen glänzenden und strahlenden Helm auf das Haupt, den besten, den sie finden konnten, und hängten ihm einen schützenden Schild, eisenbeschlagen und goldverziert, auf die Schulter und führten ein rotes Pferd herbei, ganz gepanzert, und Tristram, der gute Ritter, bestieg es und nahm Abschied vom König und allen seinen Freunden. Alle ängstigten sich um Tristram und alle beteten zu Gott, ihm gnädig zu sein, und empfahlen ihn dem allmächtigen Gott, daß er ihn aus dieser Gefahr befreie und ihnen die Freiheit gebe, der das ganze Land bedurfte. Alle beteten für ihn. Danach bestieg Tristram sein Pferd und beeilte sich, seinen Feind zu treffen und die Freiheit ganz Englands gegen die Abgesandten des Königs von Irland zu verteidigen. Morhold ist stark, hochfahrend und hochmütig und groß an Wuchs. Er fürchtete sich vor keinem Ritter der Welt. Er ist der Bruder der Königin von Irland, für die er den Tribut einfordert. Der König hatte ihn deshalb nach England geschickt, weil er wußte, daß die Kraft keines Mannes seiner Kraft standzuhalten vermöchte. Doch nun ist es so weit gekommen, dies zu erproben. Dann hielt er sich seinen Schild zum Schutz vor und senkte seine Lanze zum Stoß und trieb das Pferd mit den Sporen an und sprengte auf Tristram zu. Sofort drehte Tristram den Schild vor sich zum Schutz und hielt seine Lanze zum Stoß bereit, und als sie aufeinander trafen, da zielte jeder mit großer Gewalt und scharfem Anreiten in den Schild des anderen, so daß beider Speerschäfte barsten, aber die Schilde waren so hart, daß es ihnen nicht schadete. Danach zogen sie ihre Schwerter und versetzten einander gewaltige Streiche, sodaß Funken aus ihren Helmen, Schwertern und Brünnen flogen. Tristram war tüchtig im
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Waffenkampf, Morhold war stark und groß und in vielen und harten Kämpfen erprobt. Als die Schutzwaffen versagten, griff jeder den anderen an, ihm Schaden anzutun, die Helme bogen sich vor den Schwertern, die Brünnen gaben nach, die Schilde barsten, der Kampfplatz wurde mit Eisen und Stahl und vergoldetem Zierrat der Schilde und Helme bedeckt. Weder die Iren noch die Burgleute glaubten feststellen zu können, wer besser kämpfte und wer dem Sieg näher wäre. Tristram wurde dann sehr zornig und schwingt das Schwert und hieb jenen von oben in das Haupt, zwischen Schild und Helm, und hieb den Schulterriemen und das Helmband und ein Viertel des Schildes aus glänzendem Gold und Edelsteinen ab und die Brünne vom Arm weg und soviel vom Fleisch, wie das Schwert erreichte, und den Sattelbogen entzwei und mehr als eine Spanne in den Rücken des Pferdes hinein, und dieser Hieb hätte ihn noch mehr verletzt, wenn das Schwert länger gewesen wäre. Aber Morhold hieb nach Tristram dorthin, wo er ihn ungeschützt sah, denn er hielt den Schild weit von sich weg, und das Schwert traf die Brust auf der linken Seite, und die Brünne wurde durch diesen Hieb beschädigt, und er wurde dort stark verletzt, wo das Schwert traf, und es war nahe daran, daß er ihn getötet hätte, und da sprach Morhold zu ihm: „Nun scheint es“, sagte er, „daß du eine falsche Sache vertrittst. Es wäre besser, daß der Tribut entrichtet würde“, sagte er, „als daß du so beschädigt und schimpflich wärest, denn alle die Wunden, die mein Schwert schlägt, sind tödlich, da es an beiden Schneiden vergiftet ist. Es wird keinen Arzt geben, der diese Wunde heilen kann, außer meiner Schwester. Sie allein kennt die Eigenschaft aller Kräuter und ihre Kraft und alle Art Heilmittel, die Wunden heilen können. Gib dich als im Kampf geschlagen und besiegt und überwunden, und ich werde aus Zuneigung zu dir dich zur Königin begleiten und sie deine Wunden heilen lassen. Dann wollen wir immer Gefährten sein, und all mein Gut soll dir zur Verfügung stehen, denn niemals traf ich einen Ritter, den ich so loben kann wie dich.“ Da antwortet Tristram: „Wegen keiner Gefälligkeit, die du mir anbietest, werde ich von meiner Tatkraft und Tapferkeit ablassen; viel eher will ich im Zweikampf sterben als mit Schande meine Ehre verlieren. Niemals werde ich wegen irgendeiner Wunde, die ich jemals verspüren könnte, so übel handeln. Gott ist allmächtig, mir in seiner Gnade zu helfen und unsere Freiheit gegen dich zu verteidigen. Ich bin zuversichtlich, mich noch an dir rächen zu können. Schlag für Schlag will ich dir vergelten, so daß England für immer in Frieden vor dir sein kann. Du fühlst dich jetzt ganz oben, doch am Abend wirst du den Tag nicht loben!27 “ Alle waren bekümmert und gedrückter Stimmung, Männer und Frauen, als sie sein Pferd ganz blutig sahen, und sie baten Gott, daß er ihn aus Schmerzen und Gefahr befreie. Tristram hörte ihre Worte und bemerkte sogleich, daß Morhold 27
at kveldi ert þu ecki leyfandi erinnert an ein Sprichwort aus den eddischen Hávamál : At kveldi skal dag leyfa (= Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben). Kölbing hat aus dem handschriftlichen leifandi ein lifandi gemacht: „du wirst den Abend nicht erleben“.
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dabei war, ihn anzugreifen, und da schwang er das Schwert mit großer Kraft und hieb von oben in den Helm. Das Eisen gab nach, der Stahl hielt nicht stand, der Panzerhut war von keinem Nutzen, das Schwert schnitt ihm Haar und Bart ab und blieb in Haupt und Hirn stecken, und er zog das Schwert zu sich heran, denn er wollte es in Bereitschaft haben, falls er es bräuchte, und zog das Schwert mit aller Kraft zu sich heran. Da blieb vom Schwert so viel im Haupt zurück, wie eingedrungen war, aber Morhold stürzte tot vom Pferd, und da sprach Tristram zu ihm: „Wenn Königin Isodd die Heilung von giftigen Wunden beherrscht und mir sonst niemand helfen kann, so wird sie dir niemals helfen oder dich heilen können, was auch immer aus meiner Wunde werden mag, denn deine Wunde ist schlimmer und schrecklicher!“ Dann forderte er die Boten auf, die Leiche nach Irland zu bringen und auszurichten, daß sie niemals einen anderen Tribut von England bekämen, weder Gold noch Silber, als diese Opfergabe. Da nahmen die Iren seine Leiche und trugen sie mit großem Kummer zum Strand hinunter in sein Zelt und zogen ihm die Rüstung aus und trugen ihn dann auf das Schiff hinaus und zogen ihre Taue und Anker auf und segelten auf das Meer hinaus und zurück nach Irland und erzählten dort, was vorgefallen war, worüber alle Iren seitdem trauerten.
Kapitel 29 (Gottfried 7143–7230) Nun reitet Tristram zurück zum Palast des Königs, und sie zogen ihm die ganze Rüstung aus und sandten nach allen Ärzten, die die besten in diesem Königreich waren, denn die Wunde war vergiftet, und er trank Theriaca und einen Trunk aus allerlei Kräutern, und sie ließen ein Pflaster auflegen, um das Gift herauszuziehen. Nun ist Tristram in großer Sorge, der König und das Gefolge und das Volk sind sehr bekümmert, denn alle befürchten, er möchte sterben. Seine Wunden wurden schwarz, und weder durch Kräuter noch Getränke trat eine Heilung ein. Da richteten sie ihm ein schönes Gemach ein und ließen es mit kostbaren Decken umhüllen, damit er dort bequem liege. Nun sind die Iren in den schönsten Hafen, den von Dublin, eingelaufen, und sie nahmen Morholds Leiche und legten sie auf seinen Schild und trugen sie über die Straße, und es erhob sich ein großes Weinen aller Menschen über den Tod Morholds, des Bruders der schönen Königin Isönd, und da sprachen alle Einwohner: „Zu Unrecht wurde dieser Tribut gefordert!“ Da nahmen die Boten die Leiche und trugen sie hinauf ins Kastell, und da liefen ihnen alle Lehnsmänner entgegen, um den toten Ritter zu sehen. Da sprachen die Botenmit lauter Stimme und kühnen Worten zum König: „König Markis von England sendet Euch die Botschaft, daß er Euch rechtmäßig keinen anderen Tribut zu entrichten hat als eben diesen toten Ritter! Aber wenn du ihn wieder einfordern und einen Boten dorthin schicken willst, dann wird er ihn dir tot zurückschicken.
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Ein junger Mann in jenem Lande, der Schwestersohn des Königs, kühn und tapfer, übertraf Morholds Tapferkeit und übergab ihn uns zu unserem Kummer als Toten. Er ist kürzlich in das Gefolge des Königs gekommen, es gibt keinen tapfereren als ihn!“ Als der König den toten Morhold sah, da seufzte er aus ganzem Herzen und war sehr entsetzt, und es verbreitete sich Kummer im ganzen Gefolge. Danach erfährt diese Kunde die schöne Isodd, und sie ging aus ihrem Zimmer in die Halle, und als sie ihren Bruder tot sah, da fiel sie über der Leiche in Ohnmacht und weinte sehr über seinen Tod, wobei sie England und den englischen Tribut und Morholds Unglück verfluchte. Danach verfluchte sie den, der ihn getötet hatte, und das ganze Land, das den Tribut entrichten sollte. Dann sahen sie das Stück des Schwertes, das abgebrochen und im Schädel stecken geblieben war. Sie nahmen dann eine Zange und zogen es damit heraus und übergaben es Isodd. Sie ließ sogleich Hirn und Blut abwaschen und legte es in ihr Kästchen, damit es allen eine Erinnerung an den Kummer sein möchte, denn mit diesem Stück war er getötet worden. Danach bestatteten sie seine Leiche auf ehrenvolle Weise.
Kapitel 30 (Gottfried 7231–8141) Nun ist von Tristram zu erzählen. Er läßt sich nun seine Wunden verbinden und behandeln, und er findet keinen Arzt, der ihn in diesem Lande zu heilen vermochte. Da plagte ihn diese Wunde so sehr, daß er lieber tot sein wollte als mit diesen großen Leiden leben. Niemals genießt er Ruhe noch Schlaf, denn Gift hatte sich in Knochen und Fleisch festgesetzt, und es war seinen Verwandten und Freunden zuwider, wegen des Gestanks, der von ihm ausging, bei ihm zu sitzen. Da sprach Tristram zum König: „Herr“, sagte er, „ich bitte Euch um Eurer Liebe willen, tröstet mich ein wenig in meinem elenden Leben und sinnt auf einen guten Rat für mich und meinen Jammer. Keiner meiner Verwandten noch Freunde will zu mir kommen noch mich sehen oder mich trösten, und deshalb will ich von hier wegfahren, wohin mich auch Gott in seiner großen Gnade und nach meinem Bedarf hinkommen lassen mag.“ Als Tristram seine Rede beendet und dem König seine Bedrängnis geklagt hate, da sagte der König: „Das ist eine große Torheit, mein lieber Neffe, daß du dich selbst ums Leben bringen willst. Es kann an einem Tag etwas geschehen, was sich sonst in zwölf Monaten nicht ereignet, so daß dir in kurzer Zeit Hilfe zuteil wird. Aber da du wegfahren willst, werde ich dir ein Schiff ausrüsten mit all dem, was du zur Reise benötigst.“ Tristram dankte dem König, aber der König und alle anderen waren über seine Abreise betrübt. Danach wurde Tristrams Schiff mit ausreichenden Vorräten ausgerüstet und mit dem, was er zur Reise benötigte, und alle folgten ihm zum Schiff und
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beklagten seine Abreise, und sie segelten nun auf das Meer hinaus. Alle, die zurückblieben, beteten für ihn, daß Gott ihn behüten und ihm gnädig sein sollte. Nun trieben sie vor Wind und Strömung so lange auf dem Meer herum, daß sie nicht mehr wußten, wo sie waren. Aber schließlich kamen sie nach Irland, und es wurde ihnen sofort gesagt, wohin sie gekommen waren, und nun war Tristram darüber voller Angst, daß der König und seine Feinde gewahr würden, wer er war, und er nannte sich daher mit dem Namen Trantris. Nun zeigt er sein Harfenspiel, seine Ritterlichkeit und Höfischkeit, die er beherrschte. Rasch verbreitet sich die Kunde von seiner Schönheit und seinen großen Fähigkeiten. Als die Königstochter Isönd, die schöne und feingesittete, diese Kunde zu hören bekommt, da verlangt es sie sehr, ihn zu sehen und etwas von seinen vielen Kenntnissen, und sie bittet nun ihren Vater und ihre Mutter, daß Trantris dorthin kommen solle. Nun ist die Jungfrau Isönd so klug, ihren Vater und Königin Isodd, ihre Mutter, darum zu bitten, daß sie sie bei ihm Unterricht nehmen ließen, denn sie wollte zuerst das Harfenspiel erlernen und Briefe schreiben und dichten. Nun kam er in die Wohnung der Königin, und man konnte es wegen des Gestanks, der von seiner Wunde ausströmte, darin nicht aushalten, und das tat der Königin leid, und sie sprach: „Wegen Isönd, meiner Tochter, will ich dir gerne helfen, daß du sie, so gut du nun vermagst, mit Güte und Gutmütigkeit lehrst, was du weißt und was sie lernen möchte“, wenn sie ihm damit helfen könne. Dann sprach sie zu einer Dienerin: „Mach’ mir rasch Arznei gegen Gift zurecht!“ Sie ließ den ganzen Tag ein Pflaster auflegen, und das zog schnell den Gestank aus der Wunde, und in der Nacht danach, da packte die Königin eigenhändig zu und wusch die Wunde mit Heilkräutern aus und verband sie mit wunderkräftigen Pflastern, so daß sie in kurzer Zeit Geschwür und Gift wegbrachte. In der ganzen Welt gab es keinen solchen Arzt, der alle möglichen Heilkünste in gleicher Weise beherrschte, denn sie wußte für jede Art von Weh und Wunden Hilfe, die Menschen bekommen konnten. Sie kannte die Kraft all der Kräuter, die zu etwas Gutem zu gebrauchen waren. Sie kannte alle Künste und alle Hilfsmittel, die zur Heilkunde gehörten. Sie konnte auch bei giftigen Tränken helfen und vergiftete Wunden und gefährliche Krämpfe und Geschwüre aller Art heilen und Schmerz aus allen Gliedern ziehen, so daß niemand geschickter war als sie noch ein besserer Meister in der Heilkunst. Als sie die Wunde geöffnet hatte und alles tote Fleisch entfernt und sorgfältig das Gift herausgezogen hatte, da sah alles lebendige Fleisch besser aus. Da band sie mit ihrem Finger Pflaster und Heilsalbe darauf, so häufig und so kräftig, daß er innerhalb von vierzig Tagen so gut genesen war, als ob ihm niemals eine Wunde zugefügt worden wäre. So stark und gänzlich wiederhergestellt ist er, wie er früher war. Dann strengte sich Trantris mit ganzem Sinn an, Isönd Tag und Nacht zu lehren, die Harfe zu schlagen und alle möglichen Saitenspiele, zu schreiben und Briefe zu fertigen und das Verstehen aller Künste, und Isönd lernt nun viel von
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ihm, und über das ganze Königreich verbreitete sich ihr Lob und Ruhm wegen des großen Wissens, das sie durch ihre Aufmerksamkeit von ihm gelernt hatte, und es erfreute ihre Mutter, daß sie von Trantris so gute Kenntnisse und so weitberühmte Weisheit angenommen hatte. Dies war auch ihrem Vater eine große Freude, daß sie in kurzer Zeit so viel gelernt hatte, und er schickte nach ihr, daß sie ihm und den anderen Fürsten zur Unterhaltung die Harfe schlage. Dann zeigte sie auch ihr Wissen in mancherlei Fragen und Antworten, die sie vor den weisesten Männern vorbrachte. Der König hatte Tag und Nacht die größte Freude an ihr, denn er hatte keine anderen Kinder als sie allein, und sie war sein größter Trost.
Kapitel 31 (Gottfried 8142–8225) Als Tristram sich geheilt und vollkommen gesundet sah und sein Fleisch und seine ganze Kraft und Schönheit wiedererlangt hatte, da dachte er vielfach darüber nach, wie er aus Irland wegkommen könne, denn er wagte es nun nicht, dort länger zu bleiben. Er befürchtete, daß er dort erkannt werden könnte, woher er wäre, und deshalb ging er stets in der Furcht umher, jemand könnte ihm begegnen, der ihn zufällig erkannte, und er traf seinen Entschluß und seine Überlegung und er ging am nächsten Tag zur Königin und fiel vor ihr auf die Knie und sprach mit schönen und liebvollen Worten zu ihr: „Ich bringe Euch, hohe Frau, den Dank Gottes und aller Heiligen für deine demütige Tätigkeit und das Wohlwollen großartiger Dienstleistungen und würdiger Höfischkeit, da du meine Wunde heiltest und meinen Kummer und meine Sorge tröstetest und dich so großartig meiner annahmst. Ich bin Euch zugetan und stehe Euch zu Diensten und ich bin in jeder Hinsicht verpflichtet, Euch mit voller Freundschaft und unverbrüchlicher Liebe Ehre zu erweisen. Jetzt will ich mit Eurer Erlaubnis nach Hause fahren und meine Freunde und Verwandte besuchen, aber ich bin, solange ich leben darf, für Euch da. Meine Verwandten und Freunde wissen nicht, wohin ich gekommen bin, noch ob ich am Leben oder tot bin, denn als ich wegfuhr, da hatte ich vor, nach Spanien zu gelangen, denn ich wollte mir Sternenkunde und die Kenntnisse mir unbekannter Gebiete aneignen. Doch nun will ich meine Freunde besuchen und ihren Kummer trösten. Laßt mein Schiff zurecht machen, und mit Eurer Erlaubnis will ich wegfahren. Gott danke Euch und vergelte Euch alle Eure guten Taten, die Ihr mir gütig und gnädig erwiesen habt, als ich ihrer so sehr bedurfte.“ Da sagt die Königin: „Mein Freund“, sagt sie, „Dein Schiff ist bereit, sobald du es willst; aber das haben wir nun davon, daß wir einen Ausländer gepflegt haben: jetzt verläßt du uns, da uns am meisten daran liegt, dich zu behalten, wegen deiner Freunde und würdigst nicht unsere Mühe, aber wir haben viel für dich getan. Da du uns nicht länger dienen willst, wollen wir dich nicht gegen
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deinen Willen aufhalten. Du sollst dein Schiff vollständig ausgerüstet haben, sobald du in Gottes und unserem Namen fahren willst, wohin es dir gefällt. Nun gebe ich dir bei unserem Abschied als Zehrpfennig eine Mark gebrannten Goldes.“ Tristram nahm das Geld an und dankte ihr für vielfältige Gnade, Güte, reiche Gaben und große Gutmütigkeit. Wenn die Königin ihm einen Rat hätte geben können, dann hätte sie lieber gewollt, daß er es mit seiner Abreise nicht so eilig gehabt hätte. Nun nimmt Tristram seine Harfe und ging, indem er auf ihr spielte, zum Schiff, und sein Schiff war vollkommen mit den Dingen ausgestattet, die er zur Reise benötigte. Dann ging Tristram auf das Schiff, bekam einen guten Fahrtwind und segelte auf das Meer.
Kapitel 32 (Gottfried 8226–8432) Tristram hatte eine so gute Reise von Irland, daß er da, wo er beabsichtigt hatte, in Bretland28 im Hafen unterhalb des Kastells des Königs landete. Die da waren, erkannten sofort das Schiff Tristrams und sprangen in ein Boot und fragen, wo Tristram war, und sie fanden ihn gesund und fröhlich vor und begrüßten ihn und empfingen ihn liebevoll, und er ging vom Schiff, und sie brachten ihm ein starkes und großes Pferd. Er stieg auf dieses Pferd und ritt dann zum Kastell, und da liefen ihm die Diener des Königs entgegen, und es begrüßten ihn Jüngere und Ältere und freuten sich mit so großem Jubel, als wäre er vom Tod zurückgekommen. Als der König diese Nachricht erhielt, da stand er sofort auf und ging ihm entgegen und begrüßte ihn freundlich und umarmte ihn, und nachdem der König ihn neben sich niedersetzen ließ, erzählte Tristram dem König von seinen Fahrten, wo er gewesen war und wer ihn geheilt hatte. Tristram sagt ihm, daß ihm in Irland geholfen worden war, und er sagt, daß er List und Lüge zu seiner Rettung gebraucht habe und daß die Königin selbst ihn auf ehrenvolle Weise und mit kräftigen Kräutern geheilt habe. Das ganze Gefolge des Königs, das dies hörte, war verwundert über diesen Bericht, denn alle glaubten, da er so schwach und elend war, als er wegfuhr, daß er niemals zurückkommen noch sie besuchen werde. Einige sagen, daß er wundersame Kenntnis und Listen gekannt haben müsse, daß er vor solchen Feinden davongekommen sei; aber das sagen andere, daß er es verstünde, den Sinn der Menschen umzuwandeln. Sie sagen, er werde sich an all denen rächen, die sich während seiner Krankheit von ihm abgewandt hatten. Jarle und Ritter, Lehnsmänner und die mächtigsten Männer, die es in Bretland gab, fürchteten Tristram wegen seiner Kenntnisse und seiner Klugheit und daß er nach seinem 28
Wohl Schreibfehler für Kornbretland (= Cornwall).
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Mutterbruder König werden würde und sich dann rächen und denen große Feindschaft zeigen werde, die sich von ihm und seiner Krankheit und seinem Elend schändlich abgewandt haben. Sie machten dann heimlich einen Plan gegen Tristram, denn sie fürchteten und neideten ihm seine Gutmütigkeit, Kenntnis und sein Glück. Danach verkündeten sie, was sie beschlossen hatten, daß es dem König gezieme, sich zu verheiraten und sich einen Erben zu verschaffen, wie Gott wolle, Junge oder Mädchen, der sein Reich regieren und nach ihm übernehmen könne, und sie versammelten sich da alle vor dem König und erläuterten ihm ihren Plan, bewiesen und bezeugten ihm dann, wenn er sich nicht noch in jüngeren Jahren mit einer Frau verheiratete, mit der er einen Erben haben könne, der sein Reich nach seinem Tod lenken könne, „dann ist zu befürchten, daß Unfriede entsteht und sich irgendeiner zum Fürsten erhebt, der zu Unrecht dieses Reich beansprucht.“ Und deshalb ließen sie das hinzufügen, daß sie unter keinen Umständen dem König weiterhin dienen wollten, außer ihm gefalle dieser ihr Plan. Da sagt der König: „Dank sage ich eurer redlichen Gesinnung, daß ihr um meiner Ehre willen und aus Fürsorge für mein Ansehen wollt, daß ich mir eine Frau nehme und einen Erben haben werde, der mein Reich nach meinen Tagen haben wird. Ich weiß, daß ihr vor dem Unfrieden keine Angst zu haben braucht, dennoch ist es gut, in Sicherheit zu leben. Da mir nun dies zur Ehre gereicht, will ich gerne eurem Plan folgen, und findet mir die, die mir ebenbürtig an Abkunft sei, an Verstand und Höfischkeit, Schönheit und gesittetem Benehmen, Keuschheit und würdigem Auftreten, daß ich mich nicht unter meinem Stand verheirate. Dann tue ich gerne, worum ihr bittet. Ihr seid Männer in meinen Diensten, und es ziemt sich nicht, daß ein Plan gegen meinen Willen beschlossen wird.“ „Gib uns, Herr“, sagen sie, „Zeit zu überlegen und bestimme uns einen festen Tag für diese Angelegenheit, da werden wir für Euch die Partie suchen, die die beste ist, sodaß wir keine Schande davon haben, sondern Euren Dank und vollkommenes Wohlwollen. Da du diese Entscheidung uns und unserer Umsicht überläßt, da wollen wir eine solche Wahl treffen, wie Ihr sie selbst wünscht.“ Da sprach der König: „Ich will gerne, daß es so sei. Ich setze euch eine Frist von vierzig Tagen. Zeigt mir dann eure Entscheidung, und wenn sie mir gefällt, dann will ich ihr gerne folgen, wenn es zu einer guten Heirat führt.“
Kapitel 33 (Gottfried 8433–8544) Als der festgesetzte Tag kam, da kamen alle zum König, denn sie wollen Tristram verderben, denn selten läßt man den in Frieden, den zu hassen man sich nachdrücklich entschlossen hat. Sie wollen jetzt, daß der König sich mit der Frau verheiratet, mit der er einen Erben zeugen kann. Aber der König will unter kei-
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nen Umständen irgendeine Frau nehmen, außer der, die ihm an Herkunft gleich sei, verständig und höfisch in all ihrem Benehmen und in allen Kenntnissen, rühmlich und lobenswert, und nur unter dieser Bedingung will er diesen Plan ins Auge fassen, daß er keine andere haben will als sie zuvor beschrieben wurde. „Herr König!“, sagte einer von ihnen, „auf diesen Tag habt Ihr uns die Frist gesetzt. Euch die Frau zur Ehe zu benennen, die zur königlichen Gemahlin zu haben Euch mit Ehre und Ansehen geziemt und nicht geringerer Herkunft sei als Ihr und die für Euch zu wählen Ihr uns gebeten habt. Ihr habt oft gehört, daß der Irenkönig eine schöne Tochter hat und derartig mit Glück begabt, daß es ihr nicht an Güte noch Hochgestimmtheit fehlt, wie es höfischen Frauen zu haben geziemt. Diese ist die berühmteste und schönste, die verständigste und feingesitteste aller Frauen in jeder Hinsicht, von der man in christlichen Ländern jetzt Kenntnis hat, und Euch ist ihre Herkunft nicht unbekannt, daß sie die Tochter eines Königs und einer Königin ist. Wenn Ihr nun dieses Mädchen nicht nehmen wollt, dann scheint es uns, daß Ihr überhaupt keine Frau und keinen Erben für Euer Reich haben wollt. Aber Tristram, Eurem Schwestersohn, ist dies bekannt, und er ist der Zeuge, daß wir für Euch die gewählt haben, die wir als die geeignetste kennen, denn ihre guten Eigenschaften sind größer als unsere Fähigkeit, sie zu beschreiben.“ Da schwieg der König eine Weile und dachte über eine Antwort nach und sprach: „Wenn es so wäre“, sagte er, „daß ich sie haben wollte, auf welche Weise könnte ich zu ihr gelangen, da ihr Vater und sein ganzes Gefolge mich und mein ganzes Volk hassen, so daß sie jeden, der in diesem Land lebt, töten wollen? Ich fürchte, daß, wenn ich meine Männer dorthin sende, er sie entehren und töten läßt und mir seine Tochter verweigert. Aber das wird mir zum Spott und Hohn, diese schmähliche Zurückweisung, und meine Feinde werden sagen, daß die Furcht vor ihm uns zwingt, um seine Tochter anzuhalten.“ „Herr!“, sagte einer seiner Lehensmänner, „das kann oft geschehen, daß Könige in verschiedenen Königreichen sich in langem Leid und vielfältigem Verlust an Menschen bekriegen, danach ihren Zorn und Haß aufgeben und ihre Feindschaft in Frieden und ihren Zorn in Zuneigung wegen ihrer Töchter und Schwestern und in achtungsvolle Anhänglichkeit wegen der Nachkommen ihrer Familien kehren. Wenn wir nun diese Vereinigung und Ehe mit Frieden und Freuden zustanden bringen könnten, dann könnte es wohl sein, daß Ihr über ganz Irland herrscht, denn die Jungfrau Isönd ist das einzige Kind des Irenkönigs.“ Da sagt der König: „Wenn dies mit Ehren gefördert und vollendet werden könnte, dann will ich keine andere heiraten als sie, denn Tristram hat ihre Höfischkeit und ihren Verstand und alle Vorzüge, die einer Frau anstehen, sehr gelobt. Nun denkt darüber nach, wie wir sie bekommen können, denn von anderen Frauen will ich haben keine, der Sinn steht mir nur auf diese eine!29 “
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„keine – eine“: der Reim der Saga ist fá – ná.
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Da sagt ein Jarl: „Herr!“, sagt er, „niemand in der Welt vermag sie Euch zu schaffen, außer Tristram, Euer Neffe; er kennt den König und auch das Mädchen und er ist gut Freund mit der Königin. Er kann auch Irisch30 und kennt ganz Irland. Wenn er sich nachdrücklich bemüht, dann kann er sie ganz sicher bekommen, durch List, Diebstahl oder Raub, oder der König stimmt der Heirat zu.“
Kapitel 34 (Gottfried 8545–8728) Nun hat Tristram ihre Rede verstanden, daß sie den König angestachelt hatten, daß er sicher zu heiraten habe und daß er keine andere haben will als Isönd. Er bedachte auch, daß sein Onkel keinen Erben hat, der sein Reich nach seinem Tag regieren könne, und er bedenkt nun bei sich, er erwecke, wenn er die Reise ablehne, ihren Verdacht und sie würden meinen, daß er keinen anderen Erben wolle als sich selbst, und nun begriff er alle ihre Ränke, List und Heimtücke und antwortet dann verständig und mit Gleichmut: „Herr König!“, sagte er, „bedenkt diese Reise genau, zu der Ihr mich berufen habt. Ich kenne Irland und die Sitten der Iren, ich kenne den König und alle seine vornehmen Leute, die Königin und die Jungfrau Isönd; aber ich habe ihren Bruder getötet, und wenn ich dorthin reise, um um das Mädchen anzuhalten, und der König erfährt, wer ich bin, läßt er mich niemals lebendig zurückkommen. Aber damit ich mir weder Eure noch anderer Feindschaft zuziehe und weil ich möchte, daß mein Onkel einen rechtmäßigen Erben erhält, will ich gerne reisen, den Ruhm meines Onkels zu befördern, und mit äußerster Kraft und allem Können tun, was Gott mir bewilligt. Ich werde gewiß nach Irland reisen, diese Sendfahrt zu vollbringen. Wenn ich Isönd nicht gewinnen kann, kehre ich nicht zurück!“ Danach bereitete er seine Reise vor und wählte aus der Schar des Königs die zwanzig aus, die er als die tapfersten und stattlichsten und tüchtigsten aus dem ganzen Gefolge des Königs kannte, und dazu die besten Waffen und gute Pferde, und dann begeben sie sich zum Schiff, gut versehen mit genügend Vorräten und guten Getränken und reichen Geldmitteln, und sie luden guten Weizen, Mehl und Honig, Wein und all die äußerst beliebten Getränke, die man so braucht. Nun ist ihr Schiff bemannt, und sie segeln ihre Sendfahrt zu ihren Feinden, und er weiß nicht, ob er um die Jungfrau anhalten oder sie mit irgendeiner List auf das Schiff bringen und mit ihr wegsegeln soll. Aber wenn er um sie anhält, dann kann es sein, daß sie ihm verweigert wird; doch sie von so mächtigem Vater und Verwandten zu rauben, das kann er nicht sehen, wie sich das machen lassen könne, und er trägt dies seinen Gefährten vor, und keiner von ihnen wußte eine Antwort oder eine Entscheidung. Sie beklagten ihre Sendfahrt und waren 30
Glaubt man Gottfried (3702-04), konnte Tristan auch Norwegisch und Dänisch.
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bekümmert und verfluchten die Ratgeber des Königs, die ihnen so etwas ausgedacht hatten. Nun segelt Tristram durch das irische Meer und war bekümmert und besorgt. Er denkt nun darüber nach, daß es ihnen besser gelingen würde, wenn er Isönd auf sein Schiff bringen und mit ihr entkommen könnte, da er nun beschlossen hatte, daß sie sich Kaufleute31 nennen und lange bleiben sollten, um einen guten Ausweg zu finden, zu überlegen, wie er am besten mit schlauer List und äußerst heimlich sich ihrer bemächigen könne. Nun sind sie Nächte und Tage gesegelt, bis sie vor Dyflinnsburg Anker warfen, und sie setzten ihr Boot aus und schickten zwei ihrer Ritter, um vom König Erlaubnis, Frieden und Freiheit zum Verkauf ihrer Waren zu erhalten. Als die Ritter zum König kamen, grüßten sie ihn mit wohlgesetzten Worten, denn ihnen waren alle höfischen Sitten vertraut.
Kapitel 35 (Gottfried 8729–8933) Als sie nun den König begrüßt hatten, da sprachen sie: „Wir sind Kaufleute und fahren mit unserer Ware von Land zu Land, um Geld zu verdienen, da wir uns auf keine andere Arbeit verstehen, und wir beluden unser Schiff in Bretland und wollten nach Flandern, und als wir auf das Meer hinaus kamen, da kam Sturm auf, und es trieb uns solange umher, bis wir in einen Hafen kamen, und hier erfuhren wir nun, daß es in Irland schwer ist, Lebensmittel zu kaufen, und deshalb segelten wir mit schwerer Ladung hierher. Wenn wir nun von Euch Erlaubnis erhalten, in Frieden unseren Wein und unsere Lebensmittel zu verkaufen, dann wollen wir hier im Hafen unser Schiff vor Anker legen und unsere Waren feilbieten, aber wenn Ihr das nicht wollt, dann wollen wir in andere Länder segeln.“ Da antwortet der König: „Erlaubnis gebe ich euch, Frieden und Freiheit, hier Handel zu treiben, wie es euch beliebt. Man wird keine Klage gegen euch erheben noch euch Übles antun. Ihr werdet die gastlichste Aufnahme finden und frei sein, wegzufahren dann, wenn ihr wollt!“ Als sie die Erlaubnis vom König bekommen hatten, da dankten sie ihm, begaben sich zum Schiff und legten im Hafen an, ankerten und überzelteten das Schiff, aßen und tranken und spielten allerlei Brettspiele, bis sich der Tag endete, und es wurden keine Käufe getätigt, sondern sie vergnügten sich mit großer Heiterkeit und durch Gespräche nach höfischer Art mit vornehmen Rittern. Aber am nächsten Morgen, als sie erwachten, hörten sie auf den Straßen ein Rufen und Wehklagen der Männer und Frauen sich erheben, und dann sehen sie, daß die Menschen hinab zum Meer flohen, um sich vor Angst und Schrecken 31
Daß sich Werber als Kaufleute verkleiden, ist auch sonst belegt (vgl. van Nahl 1981, S. 228).
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vor einem furchtbaren Drachen32 zu retten, der in diesem Königreich lebte und jeden Tag in die Burg zu kommen pflegte und so großen Schaden unter den Menschen anrichtete, daß er alle, die er erwischen konnte, mit dem Feuer tötete, das er aus sich herausspie. Keiner im ganzen Königreich war so wacker und kühn, daß er es wagte, auf ihn zu warten. Alle Ritter und Burgleute flohen, als sie sein Nahen hörten, zum Strand hinab, um sich zu retten. Der König hatte in seinem ganzen Reich austrompeten lassen, daß, wenn es einen so tapferen Ritter gebe, daß er den Drachen tötete, er seine Tochter und sein halbes Reich mit aller Ehre für sich und seine Erben erhalten solle, und das hatte der König auch schriftlich gegeben und fest zugesagt, was alle Großen seines Reiches hörten, und so viele hatten das schon versucht, die der Drache getötet hatte, daß keiner so kühn und tapfer war, daß er wagte, auf ihn zu warten oder ihm auf seinem Weg zu begegnen. Die Wackersten liefen davon, um sich in Sicherheit zu bringen. Als Tristram sie nun weglaufen sah, da fragte er die Iren, was sie hätten oder warum sie davonliefen, und dann sagen sie ihm, was es gäbe sowohl in Bezug auf den Drachen wie auf das, was der König dem versprochen habe, der den Drachen tötete. Er erforschte dann genau, wo sich der Drache nächtens aufhielt und um welche Zeit er die Burg aufzusuchen pflegte, und er wartete dann bis zum Abend, ohne jemandem seine Absicht mitzuteilen, und er sagte dann zu seinem Steuermann, daß er sein Pferd, seinen Sattel und seine Rüstung herbeibringen solle, und als es zu tagen begann, legte er seine ganze Rüstung an.
Kapitel 36 (Gottfried 8934–9092) Der Drache blieb bei seiner Gewohnheit, die Burg im Morgengrauen aufzusuchen. Als Tristram es am wenigsten ahnte, hörte er das Gejammere und sprang sofort auf sein Pferd, was keiner seiner Gefährten wahrnahm, außer seinem Schildknappen. Tristram trieb dann sein Pferd mit den Sporen an und sprengte, so schnell er konnte, auf den Berg hinauf, wo der Drache sich des Nachts aufhielt. Wie er so einherritt, kam ihm eine große Menge Ritter entgegen, die auf schnellen Pferden und in voller Rüstung vor dem Drachen flohen, und sie riefen ihn an und baten ihn, schleunigst umzukehren, damit der Drache ihn nicht tötete, der voller Gift und Feuerglut war, und er wollte unter keinen Umständen wegen ihrer Worte umkehren, denn er will seine Tapferkeit erproben. Er blickte vor sich hin und sah den Drachen, der dahergekrochen kam und sein Haupt hoch trug und Augen und Zunge herausstreckte und überall Gift und Glut aus sich herausblies, sodaß er alles Lebendige, das ihm in die Nähe kam, tötete und durch sein Feuer zerstörte. 32
Ein häufiges Motiv in der isländischen Literatur (vgl. van Nahl 1981, S. 169 f.)
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Sobald der Drache Tristram sah, brüllte er und ergrimmte ganz und gar, aber jener nahm seinen ganzen Mut zusammen, seine Mannhaftigkeit zu erproben, und er trieb sein Pferd mit den Sporen an und hielt den Schild vor sich und stieß ihm die Lanze ins Maul mit so furchtbarer Kraft und Wut, daß dem Drachen alle Zähne, die die Lanze traf, weit aus dem Schädel wegflogen, und das Eisen drang sofort durch sein Herz und zum Bauch wieder heraus, so daß Tristram einen Teil des Schaftes in Bauch und Hals versenkte, aber das Feuer, das der Drache aus sich herausschleuderte, tötete und brachte das Pferd um. Tristram sprang flugs vom Pferd und zog sein Schwert und ging auf den Drachen los und hieb ihn in der Mitte entzwei. Als der Drache tot dalag, ging er zu seinem Haupt und schnitt ihm die Zunge aus dem Schädel und steckte sie in seine Gamasche und ging zurück, denn er wollte nicht, daß man ihn sähe. Dann sah er einen See, der dort im Tal bei einem Wald lag, und er ging sogleich dorthin. Als er nahe an den See gekommen war, da wurde die Zunge in der Gamasche heiß, und es drang der Rauch von der Zunge ihm in die Brust und vergiftetet dann seinen ganzen Körper und beraubte ihn sogleich der Sprache, und er wurde sofort ohnmächtig und schwarz, fahl und aufgeschwollen, und dergestalt lag er wegen des Giftes kläglich und kraftlos da, daß er nicht auf die Beine kommen und sich selber helfen konnte, wenn ihm nicht das Mitleid anderer zuteil würde.
Kapitel 37 (Gottfried 9093–9376) Der König hatte einen Ratgeber. Das war ein äußerst stolzer Mann, irischer Abstammung, bösartig und hinterhältig, ränkevoll und ein Lügner und Betrüger. Dieser behauptete, Isönd, des Königs Tochter, zu lieben, und aus Liebe zu ihr wappnete er sich jeden Tag gegen den Drachen, aber jedesmal, wenn er den Drachen sah, sprengte er, so schnell er konnte, mit seinem Pferd davon, so feige und furchtsam, daß, auch wenn ihm damals alles Gold Irlands geboten wäre, er es nicht wagte, hinter sich in die Augen des Drachens zu blicken. Als Tristram dem Drachen entgegenritt, da sah dieser Ratgeber das, ganz gewappnet, mit gezogenem Schwert in der Hand, aber er wagte dennoch nicht, näher zu kommen, wo er Übles erwartete, bis er sah, daß der Drache tot war. Da er nirgends Tristram sah, sondern nur sein Schwert und seinen Schild daliegen und das Pferd tot, da glaubte er, daß der Drache das Pferd getötet und Tristram verschlungen habe, und dann nahm er das Schwert, das da blutig lag, und schlug mit seinem Schwert dem Drachen den Kopf ab, damit ihm dies Ehre einbringen sollte, daß er in Wirklichkeit den Drachen erschlagen hatte, und er kam dann mit seinem Pferd angesprengt, brüllte in der ganzen Burg mit lauter Stimme: „Ich habe den Drachen getötet! Ich habe den Drachen getötet! Nun habe ich, König, dein Reich befreit und deine Männer und deinen Schaden gerächt. Rücke nun
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meine Belohnung heraus, nämlich Isönd, deine Tochter. Das ist in Wahrheit der Lohn für mich, es sei denn, du behältst dein Versprechen für dich33 !“ Der König sagte, als er hörte, was jener sagte, getan zu haben, und was er wollte: „Ich werde heute abend meine Ratgeber versammeln und dir morgen früh antworten und alles halten, was ich früher versprochen habe.“ Als dies bekannt wurde, daß des Königs Tochter vergeben sei, und Leute in ihre Wohnung kamen, als sie dies erfahren hatte, da erschrak sie und wurde betrübt, denn sie haßt keinen Feind aus der Hölle mehr als diesen Ratgeber, der behauptete, sie zu lieben. Daher konnte sie ihn nicht lieben, auch wenn sie das ganze Weltreich als Brautgabe erhielte, und sie spricht dann zu ihrer Mutter: „Niemals stimme ich dem zu“, sagte sie, „wenn mein Vater beabsichtigt, mich diesem bösen Manne zu verheiraten. Niemals kann Gott mir so Böses wollen, ihn zu heiraten. Eher will ich mich mit dem Messer entleiben, ehe ich mich in die Gewalt dieses Betrügers und unfähigen Mannes begebe. Woher kommen ihmTatkraft undTüchtigkeit,Tapferkeit und Ritterschaft, wo er immer unter rechtschaffenen Recken furchtsam und feige war. Wie kann er diesen schrecklichen Wurm getötet haben, da jeder in diesem Lande weiß, daß er wegen seiner Feigheit verhöhnt wird und sich niemals bewährt hat. Niemals will ich glauben, daß er den Wurm getötet hat und daß er hinter sich nach ihm sehen konnte, solange er lebte, vielmehr bringt er diese Lüge vor, damit er mich in seinen Besitz bekommen kann. Mutter!“, sagte sie, „laßt uns hingehen und den Drachen ansehen und herausfinden, wer ihn getötet haben mag und wann er gestorben ist, denn irgendjemand von den Leuten wird uns etwas davon sagen können.“ Da sagte die Königin: „Gerne, Tochter! Wie es dir gefällt!“ Da schickten sie sich an, durch eine Geheimtür, die auf den Apfelgarten ging, das Kastell zu verlassen. Sie gingen dann auf einem schmalen Pfad, der vom Garten hinaus und auf die Felder führte, und fanden dort den Drachen tot daliegen und das Pferd vor ihm auf dem Sand. Das Pferd war ganz versengt und aufgeschwollen, so daß es sehr seltsam schien. „Das weiß unser Herr“, sagte sie, „niemals besaß der Ratgeber dieses Pferd. Der Ritter, dem dieses Pferd gehörte, hat den Wurm getötet, was auch immer aus ihm geworden sein mag.“ Danach sehen sie den mit strahlendstem Gold belegten Schild und darauf eine glänzende Figur gezeichnet.
Kapitel 38 (Gottfried 9377–9506) „Bei meiner Treu, Mutter!“, sagte Isönd, „niemals trug der Ratgeber diesen Schild, denn dieser ist erst neulich verfertigt und innen wie außen vergoldet worden, er entspricht nicht der Machart dieses Landes; dieser hat unseren Kummer 33
„mich – Dich“ entspricht dem isländischen Reim der Saga mínn – þínn
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an dem Drachen gerächt. Aber unser übler Ratgeber fordert frech die Belohnung für eines anderen Tat. Er wird diesen wackeren Ritter ermordet haben.“ Dann gingen sie weiter dort herum, bis sie Tristram dort liegen sahen, und als sie ihn fanden, da sahen sie ihn schwarz und geschwollen. Da erkannten sie, daß er vergiftet war, und das erschien ihnen schmerzlich, und die Königin weinte über seine gefährliche Lage und faßte ihn an und spürte, daß er lebendig und warm war und nahm dann etwas aus ihrer Tasche, was wir Giftmittel nennen, und steckte es ihm in den Mund zwischen die Zähne und dazu einige Theriaca, und sogleich wurde er von der ganzen Gewalt des Giftes gereinigt, und die Ohnmacht wich von seinem Herzen, und dann öffnete er Augen und Mund und sprach deutlich: „O Herr, mein Gott!“, sagte er, „niemals zuvor habe ich mich so übel gefühlt! Wer seid Ihr“, sagte er, „und wo bin ich?“ „Habe keine Angst. Diese Krankheit wird dir nach Gottes Willen nicht schaden! Du wirst bald von dieser Krankheit genesen!“ Die Begleiter der Königin trugen ihn in solcher Heimlichkeit davon, daß es außer ihnen niemand gewahr wurde. Als sie nun mit ihm in die Wohnung der Königin gekommen waren, zogen sie ihm die Rüstung aus und fanden in seinem Umhang34 die Zunge des Drachen. Danach bereitete die Königin ein Heilpflaster, um das Gift aus ihm herauszuziehen, und sie legte ihm außen um den Körper ein kräftiges Pflaster, um das Gift herauszuziehen, und innerlich behandelte sie seinen Körper mit wirksamen Heiltränken, sodaß er spürte, wie sein ganzer Leib genas. Er hatte keinen anderen Arzt als die Königin und keinen Knappen außer Frau Isönd, die ihm demütig diente. Er dankte ihnen nachdrücklich für ihre vielfältige Mühe und Güte, da sie ihm Ruhe und Rettung vor dem Gift gegeben hatten, das in seinem Leib war. Früh am Morgen kam der Ratgeber in den Palast des Königs und hatte das Haupt des Drachen in der Hand und ging vor den König und spricht mit lauter Stimme: „„König!“, sagte er, „hört meine Worte. Ihr ließt es vor allem Volk austrompeten und bekannt machen, daß der, der den Drachen töte, Eure Tochter bekommen solle. Nun bitte ich Euch, daß Ihr mir gegenüber Euer Wort und königliches Versprechen haltet. Rückt nun Eure Gabe heraus und verheiratet mir Eure Tochter. Hier könnt Ihr das Haupt des Drachen sehen, das ich mit meinem Schwert abschlug!“ Da sagte der König: „Gewiß sollen meine Worte gehalten werden!“ Dann rief er zwei Ritter zu sich und sprach zu ihnen. „Gehet in die Wohnung der Königin und sagt ihr, sie solle zu mir kommen und auch meine schöne Tochter, Jungfrau Isönd.“ Als die Ritter dorthin kamen, trugen sie die Bitte des Königs vor, wie es ihnen aufgetragen war. Jungfrau Isönd sagte, daß sie unter keinen Umständen dorthin gehen würde, denn Kopf und Glieder schmerzten derart, daß sie weder Ruhe noch Schlaf finde, und sie bittet den König um ihrer Ehre willen, daß sie 34
In Kapitel 36 steckte er die Drachenzunge in seine Gamasche.
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diesen Tag in Ruhe und Frieden verbringen könne, denn sie kann unter keinen Umständen dorthin kommen. Die Königin erhob sich dann und ging mit den Rittern zum König, und dann schoben König und Königin mit ihren Räten diese Angelegenheit auf, und dem Ratgeber sollte ein Termin festgesetzt werden.
Kapitel 39 (bis einschließlich Kapitel 40, Gottfried 9507–9770) Danach, als dem Ratgeber ein Termin festgesetzt worden war, fuhren die Lehnsmänner nach Hause. Nun suchen die Gefährten Tristrams ihn überall in Feldern und Büschen, Wegen und Wäldern und beklagten traurig ihren Kummer, daß er von ihnen verschwunden war. Sie wissen nun nicht, wie sie sich verhalten sollen und welchen Beschluß zu fassen ihnen am besten ziemt, zurückzukehren oder dazubleiben, da sie nicht wissen, was aus ihm geworden ist. Aber er befindet sich wohlbehalten im Palast der Königin, und Königin Isönd35 heilt ihn, und er hat nun Kraft und Gesundheit wiedererlangt, und dann spricht die Königin zu ihm: „Freund“, sagte sie, „wer bist du und woher kommst du und wie tötetest du den Lindwurm? Du bist Trantris sehr ähnlich, der früher hier Ruhm genoß. Du mußt ein naher Verwandter von ihm sein, oder welchen Rang nimmst du ein?“ Tristram sagte der Königin, was ihm über beider Herkunft am besten schien: „Frau!“, sagte er, „ich bin aus Flandern, und ich unternahm eine Handelsfahrt hierher, und mit des Königs Erlaubnis landeten wir hier, und dies mit Freude und Frieden. Und eines Tages wappnete ich mich wie andere Ritter, und ich ritt davon, um etwas über den großen Lindwurm zu erfahren, von dem ich gehört hatte, daß er der ganzen Bevölkerung Schaden getan hatte. An diesem schrecklichen Drachen wollte ich meine Tapferkeit und Ritterschaft erproben. Es kam so, wie Gott wollte, daß ich ihn tötete, und ich zog ihm die Zunge aus dem Kopf und steckte sie in die Gamasche, und da wurde ich vom Gift vesengt und schwoll ganz an, so daß ich glaubte, sterben zu müssen, und ging dann hinab zum See. Dann fiel ich in Ohnmacht, daß ich nicht wußte, wer zu mir kam. Gebe Gott, daß ich denen dankbar sein werde, die mir Hilfe gewährten, und ich will ihnen mit guten Diensten zur Verfügung stehen, derer ich fähig bin!“ Da sprach die Königin: „Freund!“, sagte sie, „ich kam zu dir und ich ließ dich heimlich hierher bringen und ich zog das Gift aus dir, und nun wirst du gesund werden und wenn du uns unsere Mühe wohl vergelten willst, dann tust du wie ein verständiger und höfischer Ritter und feingesitteter Mann, und nun 35
Normalerweise sind Mutter und Tochter auch in ihren Namen unterschieden: die Mutter Isodd und die Tochter Isönd. Wenn hier die Mutter Isönd genannt wird, dann liegt wohl ein Schreibfehler vor. Später wird die zweite Frau Tristrams mal Isodd, mal Isönd genannt. Auch in diesen Fällen handelt es sich wohl um (Ab-)Schreibfehler.
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wollen wir dir, Freund, sagen, was wir als Lohn haben möchten, und wenn du der tüchtige Mann bist, für den wir ich halten, dann kannst du uns sehr nützlich sein. Unser Ratgeber erzählt dem König, daß er den Drachen getötet habe, und er will als seine Belohnung meine Tochter Isönd haben und dazu die halbe Königsherrschaft über unser Reich, und der König will sie ihm verheiraten, aber sie will das keinesfalls, denn er ist einfältig und aufgeblasen vor Hochmut, grimmig und bösartig, falsch wie ein Flittchen, das keinem treu ist, hinterlistig und neidisch, verhaßt und herzlos und mit vielen weiteren Makeln behaftet, die zu haben keinem Ehrenmann ansteht, und deshalb will sich Jungfrau Isönd ihm niemals zusagen, und eher tötet sie sich, denn das paßt nicht zusammen, ihre Höfischkeit und seine mannigfache Bosheit, auch wenn er ihr schenkte, was es in der ganzen Welt gibt. Nun haben wir ihm einen Termin gesetzt, an dem er sie bekommen soll, außer wir können ihm nachweisen, daß nicht er den Drachen getötet hat, und du weißt genau, daß er nicht der Töter des Drachens war. Wenn du es auf dich nehmen willst, das Mädchen und das ganze Reich gegen ihn zu verteidigen, dann erweist du uns große Ehre und Dienst und einen wertvollen Liebesdienst, und wegen deines Willens und deiner Tapferkeit wirst du in unserem ganzen Reich Ruhm erlangen und zusätzlich kannst du das Mädchen und ein großes Reich erwerben; denn der König muß dir das Mädchen mit allen Ehren verheiraten, wie früher festgesetzt worden ist.“ Da sprach Tristram: „Das weiß Gott“, sagte er, „aus Liebe zu Euch werde ich ihn als Lügner erweisen, und niemals tötete er den Drachen, und niemals waren seine Hände in der Nähe, als ich ihn tötete. Wenn er aber darum kämpfen will, dann will ich Jungfrau Isönd gegen ihn verteidigen, und niemals soll er sie bekommen, denn er fordert sie mit Falschheit, Lügen und Hochmut. Zu Unrecht gabt Ihr mir das Leben zurück, wenn ich es ablehnte, Euch in so offensichtlicher Bedrängnis und wahrer Not zu dienen und zu stützen. Nun, meine Herrin, wenn es Euch gefiele und Ihr nichts dagegen hättet, dann möchte ich, daß mein Schildknappe zu mir käme, denn ich möchte wissen, wie es um unsere Kauffahrtgenossenschaft und um meine Gefährten steht. Ich weiß, daß sie sich Sorgen machen, da sie nicht wissen, was aus mir geworden ist oder ob ich am Leben oder tot bin. Ich weiß, daß sie nach mir gesucht und geforscht haben, und sie wissen nicht, ob ich am Leben oder tot bin.“ Da sagte die Königin: „Gerne will ich tun, was dir gefällt!“, und sie sandte dann einen ihrer liebsten Diener aus, Tristrams Knappen zu ihm zu bringen, denn er will mit ihm über seine Bedürfnisse und seine Gefährten sprechen und wie es ihm ginge.
Kapitel 40 Nun spricht Tristram mit seinem Schildknappen und sagt ihm, daß er seinen Gefährten alles kundtun soll, was seine Lage betrifft, seitdem er von ihnen weg-
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gegangen war, und in wie großer Freude und Ansehen er sich bei der Königin und der Jungfrau Isönd befinde. Dann ging der Schildknappe hinab zum Strand und erzählte es zuerst ihrem Steuermann, und der Steuermann berichtet den Rittern, daß Tristram den Drachen tötete, und von der Vereinbarung, die über das Mädchen, des Königs Tochter, und über das halbe Reich des Irenkönigs getroffen worden war. Nun beruhigten sich alle und erkühnten sich großer Freude, und ihre Lage erschien ihnen vorzüglich, als sie wußten, daß er am Leben und gesund war, und sie verkauften dann ihren Wein und dankten allen Burgleuten mit großer Freundschaft, so groß war ihre Freude über die Nachrichten, die sie über Tristram erhielten, und sie machten vorzügliche Geschäfte mit Wein und Lebensmitteln, Honig, Mehl und Weizen und erwarben sich jedermanns Freundschaft und das Wohlwollen aller Leute und angemessene Aufnahme. Nun läßt Isönd es sich angelegen sein, Tristram angemessen zu dienen, wie sie ihn mit allen möglichen Speisen versehen kann, die der Körper zur Kräftigung und Stärkung benötigt, bis der Irenkönig sein Gefolge zu sich bestellt, Fürsten und Lehnsmänner aus seinem ganzen Reich, denn er wollte seine Tochter verheiraten und gegenüber dem Ratgeber sein Wort halten. Tristram sandte seinen Gefährten die Botschaft, zusammen mit den Lehnsmännern des Königs zum Hof zu kommen, und sofort kleideten sie sich in kostbare Gewänder, alle in einer Farbe und die unteren Gewänder in verschiedenen Farben und darunter weißen Pelz mit Zobel und dem besten Seidenstoff mit großer Geschicklichkeit gefertigt, so daß, wenn auch jeder von ihnen der prächtigste König eines großen Reiches wäre, sie nicht besser hätten ausgestattet sein können, und dann stiegen sie auf ihre Pferde mit ihrer Ausrüstung und vergoldeten Sätteln und ritten dann zwei und zwei zusammen an den Hof des Königs und stiegen dann vor den Stufen der Königshalle ab. Doch ihre Pferde waren wohl genährt und in harten Gefechten erprobt, sie stampften mit den Füssen und wieherten, sodaß man es im ganzen Königshof hören konnte. Tristrams Gefährten waren außerordentlich schön und sehr wacker an den Waffen. Sie gingen in die Halle und nahmen in höfischer Weise neben den vornehmsten Lehensmännern auf der höchsten Bank Platz, ansehnlich und anmutig grüßend. Ihre Schar war prachtvoll, und würdig war ihre Ausstattung. Da sprachen die Iren unter sich: „Schön ist die Schar der flandrischen Männer und von großer Würde müßte die Schar der flandrischen Ritter sein, wenn dies Kaufleute aus jenem Land sind, denn unsere Leute sind nicht so wacker wie sie!“
Kapitel 41 (bis einschließlich Kapitel 42, Gottfried 9771–9981) Danach, als alle Platz genommen hatten, wurde die Königin ehrenvoll in die Halle geleitet und so würdig, wie es ihr zukam, und sie setzte sich neben den König, aber Tristram, der ihr folgte, neben die Jungfrau Isönd, schön und mit
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großen Augen und würdig gekleidet. Alle, die ihn sahen, wollten gerne erfahren, wer er wäre, denn sie wußten, daß er kein Ire war, und der eine fragte den anderen, und keiner konnte sagen, wer er wäre. In dieser großen Schar von Fürsten und Lehnsmännern, die da war, stand der Ratgeber eilfertig auf, brüstete sich und blies sich auf und sprach mit lauter Stimme: „König“, sagte er, „hört meine Sache heute an, da Ihr mich hierher geladen habt, und es ziemt Euch, die Zusage mir gegenüber zu halten, daß der, der den Drachen tötete, Eure Tochter und Euer halbes Reich erhalten sollte. Ich verfüge über große Tapferkeit und Ritterschaft; vor der großen Schar deiner Ritter tötete ich den Drachen und hieb ihm mit meinem Schwert in einem einzigen Streich den Kopf ab, und Ihr könnt nun sehen, daß ich seinen Kopf hierher gebracht habe. Nun, da ich ihn getötet habe, bitte ich Euch, Herr König und Königin, daß Ihr mir das Mädchen gebt. Aber wenn Ihr Eure Zusage nicht halten wollt, dann bin ich bereit, meine Sache zu verteidigen und mein Recht zu suchen, wenn es jemanden gibt, der es mir vorenthalten und verweigern will, und so wie das Gefolge darüber urteilt und verständige Männer es entscheiden können!“ „Bei meiner Treu!“, sagte Jungfrau Isönd, „ein Tölpel und Tor ist er, der Lohn und Bezahlung für seine Leistung haben will. Es gehört sich, daß er dies auf andere Weise erreicht, oder er ist niemals wert, eine Belohnung zu bekommen. Aber dieser Ritter weiß nicht, was er tut, der sich die Tat eines anderen zuerkennt und die Tapferkeit eines anderen für sich in Anspruch nimmt. Allzu geringen Widerstand erfuhrst du von dem Drachen, als daß du für gar nichts mich und ein großes Reich gewännest. Es dünkt mich, daß du mehr tun müßtest, mich und ein großes Reich zu gewinnen, als den Kopf des Drachens vorzuzeigen, denn das ist eine geringe Leistung, es in den Hof des Königs zu tragen. Viele hätten den Kopf des Lindwurms schon längst hierher getragen, wenn es sich so leicht und mit so geringer Leistung hätte machen lassen, mich zu bekommen, wie es dir zuteil wurde, als du dem Drachen den Kopf abschlugst. Aber wenn Gott will, dann sollst du mich mit einer so kleinen Brautgabe nicht bekommen!“ Da antwortet der Ratgeber: „Jungfrau Isönd!“, sagte er, „warum bist du mir gegenüber so widerspenstig, wie du so hart zu mir sprichst? Laß nun den König zuerst antworten, der uns eine bessere Antwort geben und vernünftig antworten wird! Er wird mit Sicherheit meinen Willen in Bezug auf dich und sein Reich erfüllen, wie es für ihn am ehrenvollsten ist. Aber du tust nicht so, wie es dir geziemt, denn du willst nicht die lieben, die dich lieben. Das ist Art der meisten Frauen, daß sie denen, die sie lieben, Intrigen und Vorwürfe machen und Freund ihrer Feinde sind. Die Frau haßt immer den, der sie liebt, und sie begehrt das, was sie nicht bekommen kann, und strebt danach, was sie nicht auf rechtem Wege bekommen kann, und sie wendet sich von denen ab, die zu lieben ihr wohl anstünde. Nun, da ich dich so sehr und so lange verehrt und geliebt habe, da wendet sich deine ganze Zuneigung von mir ab, und überdies lästerst du mit aller Macht über meine Ehre, die ich mit meiner Tapferkeit und wackerer Ritterschaft erworben habe, um sie abzuleugnen und mich ihrer zu berauben. Aber fürwahr,
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als ich den Drachen tötete, da hättest du nicht für dieses ganze Königreich dabei sein wollen, so ängstlich wärest du gewesen, daß du den Verstand verloren hättest beim Anblick dieses harten Treffens und schrecklichen Kampfes, als ich den Drachen überwand und ihn besiegte.“ Da sagte Jungfrau Isönd: „Du spichst die Wahrheit“, sagte sie, „sicher würde ich es nicht um alles Gold und alle Schätze dieses Reiches gewagt haben, es anzusehen, daß du den Drachen tötetest, und allzu jämmerlich wäre ich, wenn ich all das begehrte, was ich haben kann, und alle die liebte, die mich lieben wollten. Aber du kennst nicht mein Wesen, wenn du sagst, daß ich mich von all dem abwende, was ich haben will. Ich will essen und esse meine Speise nicht, weil ich etwas will, aber nicht alles. Die Speise esse ich, die mir ansteht, nicht aber die, die mir nicht schmeckt und mir Schande bereitet. Du willst mich haben, aber ich dich nicht und auch keine königliche Gabe36 , und niemals sollst du mich um irgendeinen Dienst bekommen, den du vielleicht geleistet hast. Aber wegen deiner großen Klugheit und der Heldentat, die du behauptest, vollbracht zu haben, da soll dir das Geschenk gemacht werden, das für dich paßt. Es wird hier am Hof des Königs erzählt, daß ein anderer den Drachen tötete und nicht du, und du hattest im Sinn, den Lohn für die Tat eines anderen einzuheimsen. Aber diesen Tag sollst du niemals erleben oder dich dessen freuen!“ Da sagt der Ratgeber: „Sage mir nun, wer diejenigen sind, die solches erzählen, denn es gibt keinen im Königreich, der mit größerem Recht als ich sagt, daß er den Drachen tötete. Wenn es jemanden gibt, der etwas anderes behaupten will, dann will ich ihm mit Waffen und Kampf entgegentreten, daß er Falsches vorbringt.“
Kapitel 42 Tristram hört der Rede Isönds zu und merkte, daß sie dem Ratgeber nicht mehr antworten wollte, und kühn hob er seine Rede an und sprach vor allen Fürsten und dem Gefolge mit deutlichen Worten: „Hör zu, Ratgeber! Du sagtest, du hättest den Drachen getötet, da du den Kopf von ihm abnahmst, aber in Wahrheit wird sich erweisen, daß ein anderer da war, bevor du kamst. Ich bin bereit, dies zu beweisen. Wenn du es wagst dagegen zu sprechen, dann sollst du dich selber verteidigen, wenn du Mut dazu hast, und es wird sich dann erweisen, wie weit deine Wahrheit reicht, und es wird deutlich werden, daß ich den Lindwurm tötete, aber du verlangst Lohn vom König zu Unrecht. Ich bin vollständig bereit, dies mit meinen Waffen gegen deine falschen Behauptungen zu verteidigen, entsprechend dem, wie der König es bestimmen und die Gefolgschaft es entscheiden und die weisesten Männer es beurteilen werden.“ 36
Hier muß etwas ausgefallen sein.
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Da sprach der König: „Vereinbart euren Kampf durch Handschlag und schafft uns Geiseln und Bürgen dafür, daß eingehalten wird, was verabredet wurde.“ Da übergabTristram dem König seinen Handschuh zum Pfand, und da sprach der König: „Ich stehe für ihn ein; und mögen die flandrischen Kaufleute, seine Gefährten, ihn bald auslösen!“ Danach sprangen die zwanzig Gefährten Tristrams auf, jeder von ihnen ein außerordentlich tapferer Ritter, schön waren sie und gut gewaffnet und sprachen: „Herr König!“, sagten sie, „wir stellen uns als Geiseln für ihn, unseren Gefährten, und all unser Gut und unsere Waren.“ Da sprach der König: „Frau Königin! Ich gebe dir diesen Mann in deine Gewalt und deinen Gewahrsam. Wenn er zurückweicht und nicht wagt, die Vereinbarung zu halten, dann lasse ich dich enthaupten, denn er soll sicherlich diese Sache vertreten!“ Da sagte die Königin: „Ich werde ihn so würdig, wie es mir zukommt, in unserer Wohnung mit Gottes Schutz und ehrenvoller Aufnahme und sicherem Frieden behüten, sodaß sich niemand erdreisten soll, ihn zu beleidigen.“ Nun übergaben beide ihr Pfand und stellten Geiseln und setzten den Tag des Kampfes fest. Tristram befindet sich nun in der Wohnung der Königin, und es werden ihm Bäder und Heilmittel bereitet, und er wird sorgfältig behütet und geziemend geehrt, und es wird ihm alles gewährt, worum er bittet.
Kapitel 43 (Gottfried 9982–10165) Eines Tages, als er im Bad saß, das ihm mit Sorgfalt bereitet war mit Heilkräutern aller Art, um die Schmerzen aus seinem ganzen Körper zu entfernen, da kam Jungfrau Isönd zu ihm, um mit ihm zu reden, und sie blickte ihm mit liebevollen Augen in sein schönes Antlitz und dachte nach und sprach: „Wenn dieser Mann Mut entsprechend seinem Wuchs hat, dann steht zu erwarten, daß er sich gegen einen Mann zu verteidigen versteht, und aller Wahrscheinlichkeit nach hat er die Kraft zu einem harten Kampf, denn er ist von ritterlichem Wuchs.“ Danach ging sie zu seinen Waffen und betrachtete sie, und wie sie seinen Beinschutz und seine Brünne sah, sprach sie: „Dies ist eine außerordentlich gute Rüstung und dieser Helm wird nicht nachgeben“, und dann ging sie zum Schwert und faßte es am Griff und sprach: „Dies ist ein langes Schwert, und wenn ein tüchtiger Mann es hält, dann wird der damit dem tödliche Schläge versetzen, den sie treffen. Dies alles ist eine gute Rüstung für den, der friedlich Handel treibt, und das Schwert ist sehr schön, wenn nicht der Stahl nachgibt oder im Gift des Drachen Schaden genommen hat“, und da sie neugierig war, das Schwert zu sehen, zog sie es und sah sofort die Scharte, die entstanden war, als Tristram Morhold tötete, und es kam ihr mancherlei in den Sinn, auf welche Weise die Scharte in das Schwert gekommen sein mag, und es schien ihr, daß
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das nicht bei der Tötung des Drachen geschehen war, sondern daß sie schon lange da war, und sie ging dann zu ihrem Kästchen und nahm das Stück des Schwertes, das sie dort aufbewahrt hatte, und legte es in die Scharte, und es paßte genau in das Schwert, wie es dort herausgesprungen war. Als sie sah, daß das Stück so genau in das Schwert paßte, da erschrak sie im Innersten ihres Herzens, sie begann sofort aus Wut und Zorn zu zittern, und Schweiß brach ihr aus vor Böswilligkeit und Haß, der sie beunruhigte und quälte, und sie sprach da: „Dieser Schurke!“, sagte sie, „er hat meinen Mutterbruder getötet; wenn ich ihn nicht mit diesem Schwert töte, dann bin ich schlecht und zu nichts nutze, und auch, wenn ich ihm nicht das Leben nehme und an seinem Tod Freude finde!“ Und sie ging sogleich mit gezogenem Schwert dorthin, wo er im Bade saß, und schwang das Schwert über ihrem Kopf und sprach zu ihm: „Du böser Schurke!“, sagte sie, „du sollst wegen meines Mutterbruders sterben, den du zu töten wagtest! Man soll dir nicht mehr vertrauen, auch wenn du dich lange verborgen hast. Nun sollst du augenblicklich sterben, und mit diesem Schwert werde ich dich töten. Nichts kann dir jetzt helfen!“ Und wieder schwang sie das Schwert. Aber er sprang sofort der Jungfrau entgegen und sprach: „Gnade! Gnade! Laß mich drei Worte sagen, bevor du mich tötest. Tu dann, wie es dir gefällt. Du hast mir zweimal das Leben geschenkt und mich aus zweifachem Tod errettet. Daher kannst du mich ohne Sünde töten. Zuerst heiltest du mich, als ich dem Tode nahe war, von der Wunde, die ich von dem vergifteten Schwert erhielt, als ich dich das Harfenspiel lehrte. Nun hast du mir ein zweites Mal das Leben gegeben. Nun steht es in deiner Macht, mich in diesem Badezuber zu töten, aber ich bin deine Geisel und zum Kampf bestimmt, deine Ehre zu verteidigen, und es ist weder weiblich noch feingesittet, weder rühmlich noch freundlich, mich zu töten. Du höfisches und hochherziges Mädchen, wozu wolltest du mich heilen, wenn du mich, wo ich geheilt und gesund bin, verderben willst! All das, was du an Mühe für mich getan hast, ist sofort verloren, wenn du mich sterben siehst, und du wirst dann nicht mehr Freunde haben als du jetzt hast. Schöne Isönd!“, sagte er, „denk daran, daß ich deinem Vater verpflichtet, aber dir und deiner Mutter vergeiselt bin! Wenn du mich tötest, dann muß deine Mutter für mich beim König aufkommen, so wie er es früher bestimmt hat!“ Als Isönd hörte, daß er den Tag des Kampfes erwähnte, den er für den Ratgeber festgesetzt hatte, da dachte sie daran, daß sie den Ratgeber, der sie gegen ihren Willen besitzen will, mehr als irgend einen lebenden Menschen haßt, und sie blickte auf Tristram, der sie gegen ihn verteidigen sollte, und dann zog sie das Schwert wieder zu sich und wollte ihn nicht niederhauen und weinte dann sehr und seufzte aus ganzem Herzen, sehr zornig und übel gestimmt. Aber ihre Weiblichkeit hielt das Schwert zurück und schonte ihn. Jedesmal, wenn sie ergrimmte, schwang sie das Schwert, aber wenn sie an den Ratgeber dachte, dann schwand ihr Zorn.
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Kapitel 44 (Gottfried 10166–10802) Danach kam Königin Isodd, und als sie ihre Tochter und das Schwert in ihrer Hand erblickte, da sprach sie: „Bist du von Sinnen? Was wirfst du diesem Kauffahrer vor?“ und ergriff sie sofort am Arm und nahm ihr das Schwert weg. Da sagte die Jungfrau Isönd: „Hoho, Mutter! Dieser Mann tötete Euren Bruder Morhold!“ Als die Mutter verstand, was das Mädchen sprach, da sprang sie sofort auf Tristram los und wollte ihn niederhauen; doch Jungfrau Isönd sprang sofort hinzu und hielt sie zurück. Da sprach die Königin: „Hinweg! Ich räche meinen Bruder!“ Da sprach Jungfrau Isönd: „Leihe mir das Schwert. Ich will Morhold rächen, denn ich darf ihn ohne Vorwurf töten. Er ist Eure Geisel und zum Schutz in Eure Obhut gegeben. Ihr verspracht, ihn dem König heil und wohlbehalten zu übergeben, deshalb steht es Euch nicht zu, ihn zu töten!“ Da hielt jede die andere zurück, sodaß die Königin ihren Bruder nicht rächen konnte; keine der beiden wollte das Schwert loslassen, und dadurch wurde die Rache aufgehalten und aufgeschoben. Tristram fürchtete sich und bat um Gnade und Schonung seines Lebens: „Königin“, sagte er, „seid mir gnädig!“ Er sprach mit einer solchen Sanftmut und mit schönen Worten und bat oft um Gnade, daß schließlich keine von ihnen ihn töten wollte. Dann schickten sie nach dem König, und als er gekommen war, fielen sie ihm zu Füßen: „Herr!“, sagten sie, „erfüllt uns die eine Bitte, um die wir Euch bitten!“ „Gerne“, sagte der König, „wenn es mir wohl ansteht, sie zu gewähren!“ „Hier ist nun“, sagte die Königin, „Tristram gekommen, der meinen Bruder getötet hat. Doch nun tötete er den Drachen, und ich bitte, daß Ihr ihm den Tod Morholds vergebt unter der Bedingung, daß er unser Reich und unsere Tochter aus der Kränkung und der Rechtsverdrehung des Ratgebers befreit, so wie er es uns versprochen hat!“ Da sagt der König: „Da ich eure Bitte zu erfüllen versprochen habe und du mehr verlorenhast als ich, da ihr beide ihm den Tod Morholds vergeben wollt – niemand hat hierbei mehr verloren als ihr, und deshalb will ich tun, wie es euch am besten gefällt.“ Da fiel Tristram dem König zu Füßen und dankte ihm, doch Jungfrau Isönd und die Königin richteten ihn auf. Da sprach er zum König: „Hört mich an, Herr König! Der freigebige und mächtige König Markis von England sendet Euch die Botschaft, Ihr mögt ihm Isönd Eure Tochter zur Frau geben, und wenn Ihr die Wahrheit wissen und unter dieser Bedingung in die Versöhnung einwilligen wollt, dann soll sie ganz Bretland als Brautgabe erhalten und Herrscherin über ganz England sein. Es gibt in der ganzen Welt kein besseres Land noch höfischere Männer; Jarle und Lehnsmänner sollen ihr zu Diensten verpflichtet sein. Sie ist dann Königin über England, und deshalb steht eurem Ansehen diese Versöhnung wohl an, jedem der beiden Reiche, England und Irland, zu Frieden und Freude.“
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Als der König diese Botschaft hörte, sprach er zu Tristram: „Schwöre mir nun, daß dieser Vertrag gehalten wird. Ich will auch, daß deine Gefährten dieses tun, sodaß kein Betrug dahinter stecken soll, und ich werde dem König, deinem Mutterbruder, mit dir Jungfrau Isönd, meine Tochter, senden!“ Da ließ der König die Heiligtümer herbeibringen, und Tristram legte da den Eid ab, daß dieser Vertrag vom König von England gehalten werden solle.
Kapitel 45 (Gottfried 10803–11416) Nun kam der verabredete Tag, der den Jarlen und Lehnsmännern des Königs bestimmt war, dem Kampf beizuwohnen, den sie festgesetzt hatten, Tristram und der Ratgeber, und der König geleitete dann Tristram in die Halle und sprach, wobei alle zuhörten: „Nun könnt ihr alle bezeugen, daß ich meine Geisel gut in Gewahrsam hatte, und laßt ihn nun kommen, wie es verabredet und ausgemacht war!“ Da sprach Tristram vor allen Fürsten und Lehnsmännern des Königs zum Ratgeber: „Höre, du Schurke!“, sagte er, „diese Zunge, die ich hier habe, schnitt ich aus dem Kopf, der dort liegt, als ich den Drachen tötete, und im Kopf mag man noch sehen, wo ich die Zunge hernahm, und es bewahrheitet sich nun offensichtlich, daß ich vor den guten und vielen Fürsten weder Lügen noch Torheiten vortrage. Nun, wenn Ihr mir nicht glaubt, dann nehmt das Haupt in die Hand und seht nach, wie es im Maul aussieht! Wenn er aber noch nicht einräumen will, daß er lügt, dann gehe er zu seiner Rüstung und bereite sich dazu, sich zu verteidigen, denn gewiß werde ich ihm die Lüge heimzahlen, daß er den Drachen erschlug.“ Der König ließ sich das Drachenhaupt bringen, und alle sahen, daß die Zunge herausgeschnitten war. Da höhnte und haßte ihn jeder, und er wurde seitdem immer herumgestoßen, gequält und geschmäht, daß er es gewagt hatte, vor den Fürsten und Weisen des Landes eine so große Lüge vorzutragen. Aber da die Fürsten nun einmal am Hof des Königs versammelt waren, da teilt der König allen Iren seinen Entschluß mit, den er für seine Tochter ausgedacht hatte, daß er sie dem König von England zur Heirat versprochen hatte, und das erschien allen der ehrenvollste Entschluß, daß Haß und Unfrieden aufgegeben und Frieden und Freiheit zwischen Irland und Bretland gehalten und befestigt werden könnten.
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Kapitel 46 (Gottfried 11417–12693) Danach wurde die Reise des Mädchens und Tristrams prachtvoll vorbereitet. Die Königin hatte einen geheimnisvollen Trank genau aus allen möglichen Blüten, Gräsern und mit schlauen Zauberkünsten hergestellt und hatte ihn so zur Liebe verlockend gemacht, daß kein lebender Mann, der davon trank, widerstehen konnte, die Frau zu lieben, die mit ihm davon trank, solange er lebte. Dann gab die Königin diesen Trank in einen kleinen Krug und sprach zu dem Mädchen, das die Dienerin der Jungfrau Isönd sein sollte, das Bringvet hieß: „Bringvet, hüte diesen Krug wohl. Du sollst meine Tochter begleiten, und in der ersten Nacht, wenn sie, der König und sie, beieinander liegen und er nach Wein verlangt, dann gib beiden zugleich von diesem Trank!“ Da antwortet Bringvet: „Gerne, meine Herrin, wie Ihr es bestimmt“, und dann begaben sie sich wohl vorbereitet zum Schiff. Der König und die Königin begleiteten ihre Tochter zum Schiff, und da war die Flut in den Fluß gekommen. Da weinten viele, Männer wie Frauen, die in derselben Gegend wie sie geboren waren, über ihre Abreise, denn durch ihre Höfischkeit und ihre Bescheidenheit war sie außerordentlich beliebt und jedem teuer. Als Jungfrau Isönd auf das Schiff gekommen war, da zogen sie die Segel auf und segelten mit günstigstem Wind auf das Meer hinaus. Aber das Mädchen weinte und klagte, daß es wegen unbekannter Menschen seine Verwandten und Freunde und sein Vaterland und die außerordentliche Liebe von Vater und Mutter verloren habe, und dieser Tausch gefiel ihm sehr schlecht, und es seufzte aus ganzem Herzen und sprach: „Viel lieber möchte ich tot als hierher gekommen sein!“ Aber Tristram tröstete sie mit großer Freundlichkeit. Tristram segelt weiter, und es war schönes Wetter, und da die Hitze drückend war, wurde er sehr durstig, und er verlangte, Wein zu trinken, und sogleich sprang ein Diener Tristrams auf und füllte den Becher aus dem Krug, den die Königin Bringvet in Verwahrung gegeben hatte, und als Tristram den Becher entgegengenommen hatte, da trank er ihn zur Hälfte aus und dann ließ er das Mädchen trinken, was noch im Becher war, und nun sind sie beide von dem Trank betrogen, den sie tranken, weil der Diener sich vergriffen hatte, und er bescherte beiden ein kummervolles Leben und Leiden und lange Gemütsqualen mit fleischlicher Begierde und anhaltender Sehnsucht. Tristrams Verlangen nach Isönd und ihr ganzes Verlangen nach ihm war sofort von so großer Liebe, daß sie kein Heilmittel dagegen aufbringen konnten. Nun segeln sie mit geschwollenen Segeln und halten direkt auf England zu, und dann rufen die Ritter, daß sie Land aus dem Meer auftauchen sähen, und darüber waren alle erfreut, außer dem liebeerfüllten Tristram, denn wenn es so ginge, wie er wollte, dann sollten sie niemals Land erblicken, lieber hätte er mit seiner Liebe und seiner Wonne und Freude auf das Meer hinausfahren wollen,
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und dennoch segelten sie auf das Land zu und landeten in einem guten Hafen, und die Menschen erkannten Tristrams Schiff, und ein junger Mann sprang auf ein schnelles Pferd und ritt, so schnell er konnte, zum König und fand ihn im Wald auf der Jagd und sprach zu ihm: „Herr!“, sagte er, „wir sahen das Schiff Tristrams im Hafen landen!“ Als der König diese Nachricht vernahm, wurde er froh und sehr fröhlich und macht diesen jungen Mann sofort zum Ritter und gab ihm wegen dieser Frohbotschaft eine gute Rüstung. Dann ritt der König zum Strand hinab und sandte sofort ein Gastgebot über sein ganzes Reich und hielt mit großer Pracht und königlicher Würde Hochzeit mit Isönd, und sie vergnügen sich an diesem Tag mit großer Freude und auch alle, die da zugegen waren. Frau Isönd war eine außerordentlich schlaue Frau, und als der Abend herankam, nahm sie Tristram an der Hand, und sie gingen beide in das Schlafgemach des Königs und riefen Bringvet, ihre Dienerin, zum vertrauten Gespräch zu sich, und da begann Isönd sehr zu weinen und bat sie mit schönen Worten, daß sie ihr für diese Nacht helfen und im Hof und Bett des Königs die Stelle der Königin einnehmen solle, denn sie wußte, daß sie noch ein unberührtes Mädchen war, was sie von sich selbst nicht sagen konnte. So lange baten sie das Mädchen mit Freundlichkeit und schönen Worten, daß es in ihre Bitte einwilligte, und es wurde mit allem Putz einer Königin ausstaffiert, als ob es selber eine Königin wäre, und begab sich nun an die Stelle ihrer Herrin in das Bett des Königs, aber die Königin hatte Bringvets Kleider an. Der König war froh und heiter und leicht angetrunken, als er in das Bett stieg. Tristram löschte sogleich das Licht aller Leuchter. Der König umarmt Bringvet und vergnügte sich mit ihr. Aber Isönd war bekümmert und fürchtete, daß sie sie hintergehen und dem König offenbaren würde, was geschehen war, und deshalb postierte sie sich während der Nacht so nahe wie möglich bei ihnen, um zu erfahren, worüber sie sprachen. Als der König eingeschlafen war, da ging Bringvet hinweg, doch die Königin legte sich zum König, und als er erwachte, verlangte er, Wein zu trinken, und Bringvet gab ihm listig von dem Wein, den die Königin von Irland gemischt hatte, aber dieses Mal trank die Königin nicht davon. Nach einer Weile dreht er sich ihr zu und schlief mit ihr, so daß er nicht gewahr wurde, daß sie nicht dieselbe war, und da er sie ganz nachgiebig und wohlgefällig fand, da erzeigte er ihr große Liebe und so große Freundlichkeit und Zärtlichkeit, daß Isönd sehr froh darüber wurde. Sie schwatzten da über alle möglichen heiteren Dinge, wie es ihrer Jugend anstand, mit Scherz und Heiterkeit, König und Königin angemessen. Isönd wurde froh und heiter und dem König liebevoll zugetan und war bei allen, Reichen und Armen, beliebt und angesehen, und sie und Tristram waren heimlich zusammen, wann immer sie zusammen kommen konnten, und weil sie beständig in seiner Obhut war, kam es niemandem in den Sinn, Verdacht gegen sie zu hegen.
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Kapitel 47 (Gottfried 12694–12848) Eines Tages, als die Königin in ihrem Prachtkleid dasaß, kam es ihr in den Sinn, daß kein lebendes Wesen von ihrem und Tristrams Verkehr wußte außer Bringvet, ihrer Dienerin, und sie dachte nach und grübelte darüber, daß sie ihr in dieser Sache nicht treu sein könnte und daß sie das Versprechen brechen und es dem König sagen würde und daß ein böser Wille sie dazu brächte, davon zu erzählen, und wenn dies geschehe, daß sie bei irgendeiner Gelegenheit ihre Liebe offenbarte, dann weiß sie sich entehrt und Tristram verhaßt und entehrt; sie dachte, daß, wenn Bringvet tot wäre, sie dann von keinem zu fürchten hätte, daß die Sache aufkäme, und dann rief sie zwei Sklaven des Königs zu sich und sprach zu ihnen: „Nehmt dieses Mädchen und bringt es weit in den Wald hinaus und schlagt ihm das Haupt so heimlich ab, daß es niemand erfahre, außer mir. Fürwahr, ich gebe euch mein Wort, daß ich euch morgen die Freiheit und so viel Geld schenken werde, daß ihr immer anständig leben könnt“, und da sprachen die Sklaven: „Gerne, Herrin!“, sagen sie und versprachen dies bei ihrer Treue. Dann ließ sie Bringvet, ihre Dienerin, zu sich rufen, und sprach zu ihr: „Meine schönste Freundin!“, sagt sie, „mein Kopf schmerzt mir vor Schwere des Herzens, und sehr krank bin ich gewesen“, sagte sie, „und gehe du nun mit diesen Knechten in den Wald. Sie wissen, wo alle möglichen Kräuter sind, und bringe sie mir, von denen du weißt, daß ich sie üblicherweise für Pflaster verwende, mit denen ich Gift aus den Gliedern der Menschen ziehe und Schmerzen und Schwere des Herzens vermindere. Diese beiden Knechte werden dich begleiten.“ Bringvet sagte: „Gerne, meine Herrin, will ich dorthin gehen, wie Ihr befehlt, denn Eure Krankheit ist mir der größte Kummer. Wenn Gott es will, wird Euch diese Krankheit nicht schaden!“ Nun ging sie mit den Sklaven, bis sie in den Wald kamen, wo er am dichtesten war. Der eine Sklave ging vor, der andere hinter ihr. Dann zog der sein Schwert, der vor ihr ging. Da fing Bringvet an zu zittern und sich zu fürchten und schrie, so laut sie konnte und faltete die Hände und bat, um Gottes Willen, den Sklaven, ihr zu sagen, wegen welcher Untat oder aus welchem anderen Grunde sie getötet werden sollte. Da antwortet der Sklave: „Das soll dir nicht verheimlicht werden. Aber sobald du es gehört hast, werde ich dich sofort mit diesem Schwert niederhauen. Was hast du Übles gegen Königin Isönd getan, daß sie dir diesen Tod bestimmt hat? Sie ist es, die dich töten läßt.“ Als Bringvet dies hörte, sprach sie: „Gnade um Gottes Willen! Laßt mich euch etwas erklären, bevor ihr mich tötet, denn ich will Königin Isönd eine Botschaft senden. Aber wenn ihr mich getötet habt, dann bitte ich euch um Gottes Willen noch, daß ihr wahrheitsgemäß sagt, daß ich ihr niemals etwas Übles tat. Als wir von Irland wegfuhren, da hatten wir beide zwei Nachtgewänder aus Seide, weiß wie Schnee, und ihre Mutter zog ihr das Hemd an, bevor sie sich trennten. Aber
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da ich ein armes Mädchen und fremden Menschen verdingt war, da achtete ich, so gut ich konnte, auf mein Nachtgewand, während ich auf dem Schiff war. Aber als Isönd, meine Herrin, auf das Schiff kam, da war die Sonnenhitze so groß, daß sie wegen der Wärme es nicht aushielt, ihr Pelzkleid zu tragen, und da nutzte sie ihr Nachtgewand Nacht und Tag so sehr ab, daß es von ihrem Schweiß schwarz wurde. Später, als wir hierher kamen und sie als Königin das Bett des Königs bestieg und ihr Nachtgewand nicht so weiß war, wie sie wollte, wo sie dessen so sehr bedurft hätte, bat sie mich, ihr mein Nachtgewand zu leihen, und ich lieh es ihr, und ich weiß vor Gott, daß ich niemals Übles gegen sie getan habe, außer daß ihr dies mißfiel, so daß sie deshalb meinen Tod will. Ich weiß von keinem anderen Groll, Ärger noch Zorn, Vergehen oder Sünden zwischen uns. Nun bringt ihr Gottes Gruß und meinen und sagt ihr, daß ich ihr für die vielen Auszeichnungen dankte, die sie mir erwiesen hat, und die Güte durch so lange Zeit von meiner Kindheit an bis auf den heutigen Tag. Aber diesen meinen Tod vergebe ich ihr, und nun, bei Gott, haue zu so rasch du willst.“
Kapitel 48 (Gottfried 12849–12934) Als der Sklave ihre Worte und sie so jammervoll weinen hörte und daß sie weiter nichts gegen die Königin verbrochen hatte, da hatten sie großes Mitleid mit ihr und fanden keine Schuld an ihr und banden sie an einen großen Baum. Dann fingen sie einen großen Hasen und töteten ihn und schnitten ihm die Zunge heraus und begaben sich zurück und kamen vor die Königin, und sie fragte sie in vertrautem Gespräch, was sie ausgerichtet hätten. Da nahm der eine von ihnen die Zunge hervor, zeigte sie ihr, und sie sprachen: „Meine Herrin!“, sagten sie, „wir töteten sie und bringen dir ihre Zunge hierher!“. Königin Isönd fragte, was sie gesagt hätte, bevor sie starb, und die Sklaven berichteten der Königin von ihrem Gruß und all dem anderen, was sie gesagt hatte. „Hört auf!“, sagte sie. „Ihr sollt nicht so reden!“ Und da schrie die Königin mit lauter Stimme: „Ihr bösen Sklaven“, sagte sie, „warum habt ihr meine Dienerin getötet? Ich will ihren Tod an eurem Leibe rächen und euch von Pferden zerreißen oder auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, wenn ihr sie mir nicht gesund und unverletzt zurückbringt, wie ich sie euch übergab, um sie in den Wald zu begleiten. Aber ich gebe euch mein Wort, daß, wenn ihr sie mir zurückbringt, ich euch die Freiheit geben werde!“ Da sagte der eine Sklave: „Gnade, meine Herrin! Wankelmütig ist Euer Sinn; etwas anderes sagtet Ihr gestern, als Ihr befahlt, sie zu töten, und daß wir dann die Freiheit erhalten sollten. Aber nun willst du uns ihretwegen verderben. Aber wenn wir abgelehnt hätten, worum du uns batest, dann wäre uns sofort der Tod bereitet worden.“
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Da sagte die Königin: „Hurensöhne!“, sagte sie, „bringt mir sofort das Mädchen hierher, und an diesem Tage werde ich euch die Freiheit geben!“ Da antwortete einer der Sklaven: „Gott danke es Euch, meine Herrin!“, sagte er, „noch lebt Bringvet, Eure Dienerin, ich werde sie Euch heil und wohlbehalten bringen“, und sie erlaubte dem einen Sklaven, nach ihr zu gehen, aber den anderen ließ sie bewachen. Aber der, der wegging, löste das Mädchen im Wald und begleitete es sofort zurück in die Wohnung der Königin. Als die Königin Isönd es sah, da kehrte sich ihr Kummer sofort in Trost. Die Königin ging sofort ihm entgegen und küßte es mehr als zwanzig Mal.
Kapitel 49 (Gottfried 12935–13242) Nun hat Königin Isönd Bringvet, ihre Dienerin, auf die Probe gestellt und sie verständig und höfisch gefunden, und es stellt sich von neuem Einverständnis und Freundschaft zwischen ihnen her. Die Königin hat nun alles, was sie an Wünschen des Leibes liebt, täglichen Trost an Tristram, ihrem Liebsten. Der König war öffentlich liebevoll zu ihr, aber Tristram heimlich, der überall innerhalb des Gefolges tun kann, was er will, denn er ist der Hauptratgeber der Königin, und jeder ihrer Pläne wurde einträchtig mit List und Heimlichkeit ausgeführt, sodaß niemand etwas davon wußte außer Bringvet, weder von ihren Gesprächen noch Taten, ihrer Freude noch Fröhlichkeit noch Zärtlichkeit. Sie hörten niemanden von ihrer Liebe sprechen noch daß jemand Verdacht schöpfte, denn Tristram diente ihr so ehrenhaft als der Schwestersohn des Königs, und das erschien allen wegen der Verwandtschaft zum König angemessen. Wenn die beiden nicht bekamen, was sie wollten, dann waren sie betrübt. Sie behüteten ihre Liebe so, daß sie bei keinem von beiden abnahm, weder heimlich noch öffentlich. Tristram war wacker, gebildet und verständig und in Ritterschaft erprobt. Eines Tages war er auf die Jagd gegangen, und da landete ein großes und schönes Schiff, und auf diesem Schiff war ein Lehnsmann von Irland, dem das Schiff gehörte und der der Anführer all derer war, die sich dort befanden. Dieser Lehnsmann war äußerst hochfahrend und ehrgeizig. Er kam auf einem schmucken und schön geputzten Pferd zum Hof des König Markis und trug unter seinem Gewand eine Harfe, ganz mit Gold beschlagen. Er grüßte den König und die Königin Isönd. Sie erkannte ihn sofort, denn er hatte sie lange geliebt, und ihretwegen kam er in das Gefolge des Königs. Als die Königin ihn erkannt hatte, sagt sie sofort dem König, wer er wäre und woher er sei, und bat den König, daß er ihn ehrenvoll und würdig behandele. Der König tat dies und ließ ihn mit sich von seiner eigenen Schüssel speisen. Dieser tat, als sei er ein Spielmann, und deswegen ließ er seine Harfe so nahe wie möglich neben sich hängen, denn er wollte sie unter keinen Umständen für irgendjemandes Freundschaft oder Ehre ablegen.
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Als der König satt und die Tafel aufgehoben war, da wurde das Gefolge froh und heiter. Da fragte der König vor den Ohren des ganzen Gefolges, ob dieser irische Lehnsmann sich ein wenig auf das Harfenspiel verstehe und ob er dem König zuliebe eine Harfenweise spielen wolle. Da sagt der Ire, daß er keinen König in anderen Reichen unterhalten wolle, bevor er erführe, welche Belohnung er dafür bekäme. Der König sprach: „Unterhalte uns nun mit einer irischen Weise, und du sollst bekommen, was du willst!“ Er willigte ein und zog seine Harfe hervor und schlug eine irische Weise an, die allen wohlklingend dünkte. Da sprach der König, daß er ihm eine zweite Weise spielen möchte, ebenso gut oder besser, und er spielte eine zweite, doppelt so schön, sodaß es eine Lust war zuzuhören, und er sprach da zum König, wobei das ganze Gefolge zuhörte, daß der König sein Versprechen halten möge, wie es verabredet war und er es selbst bestimmt hatte. „Das soll so sein!“, sagt der König. „Sage mir, was du willst!“ Da antwortet der Ire: „Isönd sollst du mir geben“, sagte er, „denn du besitzt keine Schätze oder anderes, was ich lieber haben möchte.“ Der König antwortet: „Meiner Treu, sie wirst du niemals bekommen. Erbitte dir das, was du auch bekommen kannst.“ Er antwortet dem König: „Du lügst nun und brichst dein Versprechen, das du mir vor den Ohren des ganzen Gefolges gegeben hast, und es entspricht Gesetz und Recht, daß du das Reich hinfort nicht mehr regierst, denn der Fürst, der öffentlich lügt und Eid und Wort bricht, darf niemals weder Gewalt noch Macht über tüchtige Männer ausüben. Aber wenn du verweigerst, was ich gefordert habe, dann werde ich es dem Urteil zuverlässiger Männer übergeben. Doch findest du jemanden, der mir dies nicht zugestehen will, und es wagt, dagegen zu sprechen, dann will ich heute vor den Augen des ganzen Gefolges gegen ihn meine Sache verteidigen, daß du mir meinen Wunsch gewährt hast, was immer es wäre, worum ich Euch bitten wollte. Wenn du mir nun das abschlägst, was du mir versprochen hast, dann hast du kein Recht mehr auf dieses Königreich, und dies werde ich mit meinen Waffen gegen dich beweisen, wenn dieses dein Gefolge recht urteilen will und diese tüchtigen Männer ihre Aufrichtigkeit bewahren wollen.“
Kapitel 50 (Gottfried 13243–13450) König Markis hat nun seine Worte gehört und blickte über alle Bänke hin auf seine Mannen, und er fand keinen in seinem Gefolge, der es wagte, dagegen zu sprechen und seine Sache zu betreiben, denn alle wußten, daß jener grimmig und äußerst hart im Waffengang und in allen möglichen Unternehmungen war, und als der König sah, daß niemand es mit ihm aufnehmen wollte, da übergab er die Frau in seine Gewalt, wie es seine Ratgeber und Ritter entschieden hatten. Er nahm sie sofort mit Freuden entgegen und führte sie hinab zum Strand.
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Kläglich war nun ihr Kummer, als sie ihre üble Lage beklagte, weinte und voller Gemütsqual war und niedergeschlagen seufzte. Sie verfluchte den Tag, an dem ihr Liebster auf die Jagd ging, denn, wenn er dagewesen wäre, als sie preisgegeben wurde, hätte er sie mit hartem Kampf erworben, und es wäre wahrscheinlich, daß er eher das Leben lassen würde als daß er sie nicht bekäme. Der Ire trug nun die Weinende in sein Zelt, und als sie ins Bett gelegt worden war, da sprach er, daß man das Schiff schnellstmöglich zurüsten solle, damit sie unmittelbar wegfahren könnten. Aber das Schiff lag ganz auf trockenem Sand, und es begann da die See gerade erst zu steigen, aber war noch weit entfernt vom Schiff. In diesem Augenblick kam Tristram aus dem Wald, und es wurde ihm berichtet, was vorgefallen war, daß Königin Isönd weggeführt und preisgegeben war. Er rief seinen Knappen zu sich und griff seine Geige und sprang auf sein Kriegspferd und sprengte, so schnell er konnte, hinab zu den Zelten. Als er zu einer Anhöhe unweit des Zeltes kam, stieg er von seinem Pferd und übergab es dem Knappen in seine Obhut und ging mit seiner Geige eiligst zum Zelt und sah Isönd in seinen, des Lehnsmanns Armen, der sie beruhigte, wie er es vermochte; aber sie wollte nichts von seinen Tröstungen wissen, weinte und klagte. Als der Ire den Fiedler erblickte, der da in das Zelt gekommen war, da sprach er: „Tölpel!“, sagte er, „bereite uns auf deiner Geige eine schöne Unterhaltung, und ich will dir einen Mantel und eine gutes Gewand geben, wenn du meine Frau zu trösten vermagst!“ Da sprach Tristram: „Gott danke Euch, Herr! Ich werde so viel tun, daß sie in diesem Halbjahr nicht mehr trauern wird, wenn ich mich anstrenge, sie zu unterhalten!“ Nun machte er seine Geige zurecht und bereitete ihnen mit schönen Weisen eine schöne Unterhaltung. Isönd hörte während der Nacht zu und tröstete sich durch die Ankunft ihres Freundes und durch ihre Liebe. Als er sein Spiel geendet hatte, da war das Schiff flott, und ein Ire sprach zu diesem Lehnsmann: „Herr!“, sagte er, „laßt uns eiligst davonfahren. Ihr verweilt hier allzu lange. Wenn Herr Tristram von der Jagd zurückkommt, dann ist zu fürchten, daß er unsere Abreise ein wenig verzögern wird. Er ist berühmt vor allen Rittern, die in diesem Reich sind, und er ist ihr aller Anführer.“ Da sagte der Lehnsmann: „Weh über die, die sich etwa vor seinen Angriffen fürchten! Freund!“, sagte er, „spiel mir noch ein Lied, Isönd, meine Frau, zu trösten, sodaß du ihren Kummer vertreibst.“ Tristram stimmt dann seine Geige und hob dann eine schöne und vorzüglich anzuhörende Weise an, die von Liebe handelte, und Isönd hörte mit ganzem Herzen zu. Er spielte ein langes Lied und schloß es mit etwas traurigem Ende, und währenddessen war die See so gestiegen, daß man wegen der Flut nicht mehr auf den Landungssteg kommen konnte, und der Landungssteg schwamm vor dem Schiff. Da sprach der Ire: „Was sollen wir jetzt tun? Wie sollen wir Isönd“, sagte er, „auf das Schiff bringen? Lassen wir die See soweit fallen, daß sie trockenen Fußes auf den Landungssteg kommt.“ Tristram sagte: „Ich habe hier
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in der Nähe im Tal mein gutes Pferd.“ „Sei so gut“, sagte der Ire, „bringe das Pferd hierher!“ Tristram begab sich sofort zu dem Pferd und sprang auf und nahm sein Schwert und kam dann zu dem irischen Lehnsmann angesprengt: „Herr“, sagte er, „bringe mir Frau Isönd hierher. Ich verspreche dir, daß ich sie anständig behandeln werde“, und dann hob jener Ire sie in den Sattel und bat mit schönen Worten, daß er seine Liebste gut und anständig behandele. Als Tristram Isönd übernommen hat, sprach er mit lauter Stimme: „Höre, du Tor“, sagte er, „und Tölpel. Du gewannst Isönd mit deiner Harfe, aber nun hast du sie wegen einer Geige verloren. Es wäre angemessen, daß du von ihr abließest, denn durch Betrug bekamst du sie. Fahre nun mit Schande und Schmach zurück nach Irland, du übler Betrüger. Du bekamst sie vom König durch Betrug, ich aber von dir durch List!“ Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt eilig den Sand hinauf und dann in den Wald. Nun hat der Ire tatsächlich Isönd verloren, denn Tristram hat ihm seine Liebste weggenommen, und als es Abend wurde, da waren die beiden im Wald und richteten sich dort ein, wie es die Umstände zuließen, und verbrachten dort die Nacht in wonniglicher Ruhe. Aber am Morgen, als der Tag heraufkam, da ritt er mit ihr zum Hof des Königs zurück und übergab sie dem König und sprach: „Herr!“, sagte er, „bei meiner Treu, wenig steht es einer Frau an, den Mann zu lieben, der sie für eine Harfenweise aufgibt. Nun behütet sie das nächste Mal besser, denn nur mit großer List ist sie zurückgekommen!“
Kapitel 51 (Gottfried 13451–13665) Tristram liebte Isönd unverändert und sie ihn ebenso treu, beide in gleich anmutiger und angemessener Weise. So groß war die Kraft ihrer Liebe, als wären sie eines Sinnes und eines Herzens, bis darüber gesprochen wurde und die Leute sich wunderten. Es gab aber keinen, der es genau wußte, sondern es wurde nur gerüchteweise darüber gesprochen. Tristram hatte einen Gefährten, den er sehr mit ganzem Vertrauen und feiner Freundschaft liebte, und der war ein Ratgeber des Königs und viel bei ihm, sodaß er bei ihm alles durchsetzte, was er wollte, und der war mit Namen Mariadokk genannt. Sie waren beständig zusammen, Tristram und er, und sie hatten gemeinsam eine Kammer, und es geschah eines Nachts, als sie schlafen gegangen waren und der Ratgeber in seinem Bett eingeschlafen war, da stahl sich Tristram von ihm fort, und als er nach draußen gekommen war, da war Schnee gefallen und der Mond schien so hell, als wäre es Tag. Als er zum Zaun des Apfelgartens kam, drückte er dort eine Planke heraus, wo er hineinzuschlüpfen pflegte. Bringvet nahm ihn an der Hand und führte ihn zu Frau Isönd und nahm einen Korb aus Eschenholz und stülpte ihn über den Kerzenständer, damit kein
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Licht auf sie fiele. Dann stieg sie in ihr Bett und vergaß, die Tür zu schließen, doch Tristram vergnügte sich mit der Königin Inzwischen träumt der Ratgeber einen Traum, daß er glaubte, einen sehr großen Wildeber aus dem Wald hervorbrechen zu sehen, mit geöffnetem Maul, und er wetzte seine Zähne, als wäre er in Wut, und führte sich so ungebärdig auf, als wolle er alles niedermachen, und strebte dem Palast entgegen, und als er dorthin kam, da wagte keiner aus dem ganzen Gefolge des Königs, sich ihm in den Weg zu stellen noch ihm entgegen zu gehen noch ihn zu erwarten, und da sah er, daß er zum Bett des Königs rannte und den König zwischen die Schultern stieß, sodaß er mit dem Blut und Geifer, die ihm aus dem Munde rannen, das ganze Bettzeug besudelte, und da kamen viele Leute, ihm zu helfen, und er wagte es nicht, etwas gegen den Eber zu tun, und da erwachte Mariadokk vor Erschöpfung und Angst aus dem Traum und glaubte zuerst, es sei wahr, und dann kam ihm in den Sinn, daß es ein Traum war, und er wollte gerne wissen, was das bedeuten könnte, und er rief Tristram, seinen Gefährten, und wollte ihm dies erzählen. Er taperte da herum und wollte ihm den Traum erzählen und suchte ihn und fand ihn nirgends. Da stand er auf und ging zur Tür und fand die Pforte offen und vermutete da, daß Tristram in dieser Nacht ausgegangen war, sich zu amüsieren, und es schien ihm merkwürdig, daß er so heimlich davongegangen war, daß niemand sein Fortgehen hatte bemerken können, und er hatte niemandem gesagt, wohin er gehen wollte, und im Schnee vor sich sah er seine Fußspuren, und er zog seine Schuhe an und folgte seinem Weg, denn der Mond gab ihm genügend Licht, und als er zum Garten kam, da fand er sogleich die Öffnung, durch die Tristram hineingeschlüpft war. Er wunderte sich, wohin er gekommmen sein mochte, denn er hegte keinen Verdacht gegen die Königin, sondern dachte, daß er in die Dienerin der Königin verliebt sei, und er setzte seinen Gang fort, und er ging so heimlich und so leise wie möglich, um herauszufinden, was los war, bis er schließlich ihr Gespräch, Tristrams und der Königin, hörte, und er zweifelte da, wie er sich verhalten sollte, und sein Gemüt war bekümmert, und es gefiel ihm schlecht, solche Schmach und Schande des Königs zu dulden, und dennoch wagte er nicht, es zu verraten, denn er fürchtete, sie zu verleumden. Da kehrte er in dieser Nacht auf demselbenWeg zurück. Er tat, als wisse er nichts davon. Als Tristram zurückkam, legte er sich zu ihm ins Bett und keiner sprach darüber mit dem anderen. Dies war der Vorfall, durch den etwas von ihrer Liebe bekannt wurde, doch früher war niemand das gewahr geworden, weder des Nachts noch am Tage, und so lange dauerte es, bis die Neider und Feinde Tristrams König Markis ihr Geheimnis bekannt machten. Daraus erwuchsen dem König großer Kummer und kummervolle Qual, Leid und Unruhe, und er weiß nicht, was er tun soll, und er ließ ihr Treiben beobachten.
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Kapitel 52 (Gottfried 13666–13748) Da entschloß sich der König, die Königin auf die Probe zu stellen, und er will ihre Antwort hören und trug ihr etwas Falsches vor. Eines Nachts, als er der König bei ihr in seinem Bett lag, da sprach er mit scheinbar traurigen Worten: „Meine Frau“, sagte er, „ich will als Pilgrim außer Landes fahren und mir zum Heil heilige Stätten aufsuchen. Nun weiß ich nicht, wem ich es übertragen soll, meinem Gefolge vorzustehen. Deswegen möchte ich nun hören, welchen Rat du hast oder was Euch am besten gefällt oder behagt. Nun sagt mir Euren Rat und in wessen Obhut Ihr sein wollt, und ich will Eurem Rat folgen!“ Isönd sagte: „Mir erscheint es verwunderlich, daß Ihr zweifelt, was zu tun Euch in der Sache am besten ansteht, die Ihr vorgetragen habt. Wer sollte mich behüten, wenn nicht Herr Tristram. Das scheint für mich am angemessensten zu sein, daß ich in seiner Obhut sei. Er kann Euer Reich verteidigen und Eurem Gefolge vorstehen. Er ist Euer Schwestersohn, und er wird jede Anstrengung unternehmen, daß Euer Ansehen in jeder Hinsicht gewahrt bleibe und Euer Gefolge mit treuem Dienst und ergebener Fürsorge in Friede und zu jedermans Freude gehalten werde!“ Als der König ihre Worte und ihren Rat gehört hatte, ging er, als es Tag geworden war, zu seinem Ratgeber, der der Königin Böses wollte, und sagte ihm alle Worte Isönds, aber er antwortete da: „Es ist wirklich so“, sagte er, „wie ich habe sagen hören. Nun könnt Ihr deutlich ihren Worten entnehmen, daß sie da sein will, wo es ihr besser gefällt, denn sie liebt ihn so sehr, daß sie es nicht verbergen kann, und es ist erstaunlich, daß Ihr eine solche Schande so lange ertragen wollt und Tristram nicht von Euch jagt!“ Aber der König war in großer Verwirrung und schwankte und zweifelte, daß wahr sei, was ihm über Isönd und Tristram erzählt worden war. Isönd stand nun von ihrem Bett auf und rief Bringvet, ihre Dienerin, zu sich und sprach: „Meine liebste Freundin“, sagte sie, „du weißt nicht, daß ich die gute und mir willkommene Nachricht gehört habe, daß der König außer Landes fahren will, und währenddessen werde ich in der Obhut meines Liebsten sein, und wir werden Freude und Lust haben, wem auch immer es mißfalle.“ Da antwortet Bringvet: „Woher wißt Ihr das oder wer hat Euch dies gesagt?“ Da sagte Isönd ihr, was der König zu ihr gesprochen hat. Doch Bringvet erkannte sofort ihre Torheit und sagte: „Ihr versteht nicht, Euch zu verstellen. Der König hat Euch auf die Probe gestellt und herausgefunden, daß du dich nicht verstellen kannst, und der Ratgeber ist schuld, daß du dich durch die Lügen verraten hast, die dir vorgetragen wurden und die du geglaubt hast. Jetzt haben sie es herausgefunden und durch deine eigenen Worte bewiesen!“ Und sie zeigte ihr einen Ausweg und brachte ihr eine Antwort bei, die sie dem König geben und die sie aus der Verleumdung retten könne, die der Ratgeber über sie verbreitete.
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Kapitel 53 (Gottfried 13749–14282) König Markis strengte sein ganzes Sinnen und Trachten mit Wachen und Aufpassen an, und er will mit vollständiger Sicherheit wissen, was ihm über den Verdacht, der auf Isönd und Tristram gefallen war, als wahr zu glauben anstünde. In der Nacht danach, als er in seinem Bett bei Isönd lag, da versuchte er wieder eine List, und er will sie auf die Probe stellen, und er nahm sie mit großer Zärtlichkeit und süßen Küssen in die Arme und mit jenem Spiel, an dem die meisten Spaß haben, die Kätner so viel wie die Könige. Aber sie merkte sofort, daß er sie auf die Probe stellen wollte, so wie er es früher getan hatte; sie verkehrte ihre Gesinnung, seufzte aus ganzem Herzen und weinte und verfluchte den Tag, an dem sie ihn erblickte und er sie in sein Bett führte und sprach: „Ich Arme“, sagte sie, „war zu Elend und Kummer geboren: so elend ist es mir in allem gegangen, und es wird mir am wenigsten zuteil, was mir am meisten zustünde, und das, was ich am liebsten haben möchte, wird mir am wenigsten vergönnt!“ Und so zeigte sie dem König mit vielen Tränen ihre Traurigkeit und Sorge, Angst und Unruhe, ihren Zorn und Kummer. Da sprach der König zu ihr: „Meine schöne Herrin“, sagte er, „was ist Euch oder warum weinst du?“. Da antwortet Isönd: „Es gibt viele Gründe für meine Trauer und meine unerträglichen Qualen, wenn Ihr mir keine Linderung verschafft. Ich glaubte, daß Ihr einen Scherz machtet mit dem, was Ihr letzte Nacht spracht, oder daß dies ein Scherz war, als Ihr sagtet, außer Landes fahren zu wollen. Ich habe nun alles über Eure Wegreise genau erfahren. Elend ist die Frau, die ihren Mann zu sehr liebt. Keine Frau kann einem Mann vertrauen, wenn Ihr von mir wegfahren und mich hier allein zurücklassen wollt. Da Ihr den Entschluß gefaßt habt, warum verheimlicht Ihr mir dies? Heute hat man mir wahrheitsgemäß gesagt, daß Ihr wegfahren wollt. Wo wollt Ihr mich zurücklassen und welcher unserer Freunde soll mich behüten? Euretwegen ließ ich alle meine Hilfsmöglichkeiten zurück – Vater und Mutter, Verwandte und Freunde und große Ehren, Glück und Herrschaft. Es ist schmählich und schändlich von Euch, mich hier zurückzulassen. Niemals erlange ich Trost, weder bei Nacht noch am Tag, wenn ich Eure Liebe entbehre. Um Gottes Willen, bleibt zu Hause oder laßt mich Traurige mit Euch fahren!“ König Markis sagt: „Meine Herrin! Ich werde dich nicht allein zurücklassen, denn Tristram, mein Schwestersohn, wird dich mit großer Zuneigung und würdigem Dienst beschützen. Es gibt keinen in meinem Reich, den ich ebenso sehr liebe wie ihn, weil er Euch so vornehm dient.“ Isönd sagte: „Höchst unglücklich trifft es sich für mich, wenn er mich beschützen und ich in seiner Obhut sein soll. Mir sind sein Dienst, seine Zuneigung und seine Freundlichkeit zu mir bekannt. Das ist Falschheit und Gefasel hinter schönen Worten. Er tut, als sei er mein Freund, denn er tötete meinen Mutterbruder, und spricht deshalb schöne Worte
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zu mir, damit ich mich nicht an ihm rächen noch ihn hassen soll. Doch soll er genau wissen, daß seine Freundlichkeit mich nicht über den großen Schmerz, die Schande und den Schaden, hinwegzutrösten vermag, den er mir und meiner Familie antat, und wäre er nicht Euer Schwestersohn, mein Herr, dann hätte ich ihn schon längst meinen Zorn spüren lassen und meinen Harm und meine Trauer an ihm gerächt, und nun will ich ihn nicht mehr sehen noch mit ihm reden. Aber deshalb erweise ich mich freundlich ihm gegenüber, weil man mir mit öffentlicher Verleumdung vorgeworfen hat, ich haßte Euren Verwandten und deinen liebsten Freund, denn es ist ein bekanntes Sprichwort, daß der Sinn der Frauen häßlich werden kann, daß die Frauen die Angehörigen ihrer Männer nicht lieben und sie bei ihren Worten und Werken weder des Nachts noch des Tages in ihrer Nähe haben wollen. Nun habe ich deswegen Verleumdungen und Vorwürfe vermieden, seine Freundlichkeit und seinen Dienst gerne entgegengenommen. Niemals will ich in seiner Gewalt sein noch seinen Dienst annehmen. Vielmehr bitte ich Euch, mein Herr, daß Ihr mich mit Euch fahren laßt!“ Sie sprach bei dieser Gelegenheit soviel, daß der König ihr seinen ganzen Zorn vergab. Dann ging er zu seinem Ratgeber und sagt ihm, daß es keine Liebe zwischen ihnen, zwischen der Königin und Tristram, gebe. Aber der Ratgeber bemühte sich mit aller List, dem König beizubringen, was er der Königin sagen und wie er sie auf die Probe stellen sollte, und als der König seine Worte gehört hatte, da ging er zur Königin und sprach, daß er gewiß wegfahren wolle, aber sie in der Obhut der edelsten Männer und Freunde zurückbleiben solle, die sie ganz ihrem Wunsch und ihrer Würde entsprechend ehren sollten, „und ich will, daß keiner etwas tut, was Euch mißfällt, oder etwas, was Eurem Sinn entgegen ist. Aber da es Euch nicht behagt, daß Tristram, mein Verwandter, in Eurem Dienst sei, da werde ich ihn um Eurer Liebe willen wegbringen und ihn in fremde Länder senden, denn unter keinen Umständen will ich ihn gegen Euren Willen und Eure Ehre lieben!“ Isönd sagte: „Herr“, sagte sie, „niemals sollt Ihr so Übles tun, da dann alle in Eurem ganzen Reich sagen werden, daß ich Euch einen derartigen Rat gegeben hätte und daß ich Euren Verwandten wegen Morholds Tod hasse und Euch anstachelte, ihn deswegen zu hassen, und daß ich ihn der Güter Eures Reiches beraube, wobei er als Euch am nächsten Stehender am meisten dazu verpflichtet ist, Euch zu beschützen, und deshalb würde ich verleumdet werden, und ich will nicht, daß Ihr Euren Verwandten aus Liebe zu mir haßt. Es geziemt Euch nicht, ihn meinetwegen wegziehen zu lassen noch Euer Reich, Frieden und Güter aufs Spiel zu setzen. Aber ich bin nur eine Frau, und wenn Unfrieden kommt, dann werden die Feinde mir Euer Reich schnell abnehmen, denn ich habe weder Kraft noch Macht, es zu verteidigen, und da wird man sagen, daß ich Tristram deswegen weggeschickt habe, der die kräftigste Verteidigung unseres Reiches ist, weil ich ihn so haßte, daß er meinetwegen hier nicht länger bleiben konnte. Tut nun eines von beiden, daß ich eilig mit Euch wegfahre oder übertragt ihm Schutz und Verteidigung Eures Reiches!“
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Der König hörte bereitwillig die Worte Isönds, und er fand, daß sie Tristram großes Wohlwollen entgegenbrachte, und er dachte wieder an denselben Verdacht und wurde traurig vor Harm und Qual, und es erneuerten sich sein Zorn und sein Kummer. Am Morgen zog die Königin Bringvet in ein vertrautes Gespräch, und die nannte sie töricht und unverständig und brachte ihr da eine gute List bei, wie sie dem König in seinem Entschluß, Tristram wegzuschicken, antworten soll.
Kapitel 54 (Gottfried 14283–14612) Danach will der König, daß Tristram nicht mehr in seinem Gefolge sein soll wegen des Verdachtes, der auf Tristram und die Königin gefallen ist, und er hat sie nun sorgfältig getrennt, und Tristram wohnt nun in einem Hof unterhalb des Kastells. Er richtete sich dort eine Wohnstätte mit großer Pracht ein, und er ist nun beständig traurig und so auch Isönd, daß sie nicht zusammen sein konnten. Da sie nun so getrennt sind, da wurden beide aus Sorge und Traurigkeit blaß, da sie ihre Wonne verloren hatten, und nun bemerkt das ganze Gefolge ihren Kummer, und ebenso bemerkt dies der König deutlich, und er sinnt nun über eine List nach, da er wußte, daß sie gerne zusammen sein wollten, da sie Leid und Kummer über ihre Trennung erduldeten, und man bewacht sie nun sorgfältig. Eines Tages schickt der König nach seinen Jagdhunden und ließ Pferde bereit machen und schickte in das Jagdrevier, um Laubhütten zu errichten und Zelte aufzustellen, und es wurden Wein und Speisen dorthin gebracht, denn er sagte, er wolle sechs Woche oder mehr auf die Jagd gehen, und er nahm Abschied von der Königin, um sich seinem Vergnügen zu widmen, und dann zog er in den Wald. Als Tristram von der Abreise des Königs erfuhr, da wurde sein Herz heiterer, und er sagte, er sei krank, und blieb zu Hause, um zu sehen, ob sich irgendeine Gelegenheit einstellte, daß er die Königin treffen könnte, und da nahm er einen Zweig und schnitzte schöne Späne mit so großer Geschicklichkeit, daß niemand seinesgleiches gesehen hatte, denn als sie ins Wasser geworfen wurden, da gingen sie nicht unter und schwammen auf dem Wasser, als wären sie Schaum, und keine Strömung konnte sie zerstören. Jedes Mal, wenn Tristram Isönd sprechen wollte, dann warf er die Späne in den Fluß, der am Turm und dem Schlafgemach der Königin vorbeifloß, und durch diese List wußte und erkannte die Königin sofort sein Begehren nach einer Begegnung. Als Tristram dastand und den Zweig schnitzte, da kam ein Zwerg aus dem Kastell gegangen und sagte: „Gottes Gruß und der Frau Isönd! Sie sendet Euch Botschaft, daß sie mit Euch sprechen will. Nun versäumt keinesfalls, zu ihr dorthin zu kommen, wo du sie zuletzt trafst, und ich vermute, du weißt den Ort noch und wirst dich seiner erinnern, und ich sage dir allein das in aller
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Heimlichkeit, und es ist nicht sicher, daß dies bald wieder eintreten kann, wie es jetzt ist, denn das ganze Gefolge ist auf die Jagd gegangen, und deswegen sendet sie Euch die Botschaft, daß Ihr heute Nacht zu ihr kommt, mir ihr zu reden. Nun sagt mir die Worte, die Ihr ihr senden wollt, denn ich wage nicht, hier länger zu weilen wegen der bösen Menschen, die mich beneiden und dem König erzählen, daß ich all das Schlimme veranlasse, was zwischen euch geschieht. Wenn sie wüßten, daß ich hier wäre, dann verleumdeten sie mich und schwärzten mich vor dem König an.“ Tristram sprach zu ihm: „Freund“, sagte er, „Gott danke dir, daß du mir Botschaft bringen wolltest, und es soll dir Belohnung zuteil werden, wenn ich mein Leben behalten kann. Doch für dieses Mal, gebe ich dir, auch wenn es nur wenig ist, meinen Mantel mit den weißen Pelzen, ein ander Mal soll es mehr sein. Nun bitte ich dich freundlichst, daß du ihr sagst, daß ich der äußerst feingesitteten Isönd Gottes Gruß und meine Freundschaft sende, und sage ihr, daß ich nicht kommen kann, da ich starke Kopfschmerzen habe, und diese ganze Nacht war ich sehr krank. Aber morgen, wenn ich irgend kann, gehe ich, sie zu treffen, wenn sie etwas von mir wünscht, und dann kann sie reden, was sie will.“ Der Zwerg nahm Abschied und ging zurück zum Kastell, wo der König sich versteckt hatte, um ihnen aufzulauern, und sagte dem König, was er zu Tristram gesagt und wie dieser geantwortet hatte: „König“, sagte er, „Tristram verstellt sich ganz vor mir. Aber heute Nacht werdet Ihr sicher ihr Verhältnis sehen und entdecken, das sie lange heimlich zu hegen sich gewöhnt haben, denn ich sah, daß er Späne schnitzte, die er in den Fluß zu werfen pflegte, um Isönd zu locken und zu sich zu bestellen“. Und sie besprachen sich da so lange, bis sie schließlich den Ratschlag und die List herausfanden, daß der König sich die Nacht über verstecken und ihr Stelldichein belauern sollte, wo sie sich zu treffen pflegten.
Kapitel 55 (Gottfried 14613–15266; Béroul 1–826) Als es Abend wurde, da machte sich Tristram auf und ging zum Fluß am Apfelgarten, denn Isönd pflegte jeden Abend eine Weile am Fluß zu ihrer Unterhaltung zu sitzen und die Ereignisse ihrer Jugend zu beklagen, und als sie dorthin kam, sah sie die Späne schwimmen, und sie merkte, daß Tristram in den Garten gekommen war, und hüllte sich ganz in den weißen Pelz, aus dem ihr Überwurf bestand, und ging dann verhüllten Hauptes in den Garten zu den Bäumen, bei denen der König schon war. Aber Tristram kam auf der anderen Seite um den Zaun herum und strebte dem Baum zu, wo sich die beiden zu treffen pflegten. In diesem Augenblick ging der Mond auf und schien schön. Da sah er den Schatten des Königs auf der Erde und blieb sofort stehen, denn er wußte, daß der König sie auskundschaften
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wollte. Er bekümmerte und ängstigte sich sehr um die Königin, sie möchte den Schatten nicht bemerken. Dann sah sie den Schatten des Königs und wurde sehr ängstlich um Tristram, und sie beide gehen nun weg und sahen da, daß sie in dieser kummervollen und sorgenreichen Angelegenheit hintergangen waren. Der König aber blieb unter dem Baum zurück, und er war sich in dieser Sache immer noch nicht im klaren, sodaß er seinen Zorn gegen sie aufgab. Das geschah eines Tages, daß sie sich zur Ader ließen, der König und die Königin und Tristram, denn der König will sie nun heimlich in seiner Schlafkammer auf die Probe stellen, und Tristram konnte ihre List nicht entdecken. In der Nacht, als alle schliefen, da ließ der König niemanden dort sein außer Tristram. „Neffe“, sagte der König, „lösche alle unsere Lichter! Mir ist das Licht unangenehm.“ Aber deswegen sprach er so, weil er sich schon längst eine gewaltige List und Ränke ausgedacht hatte nach den Vorschlägen jenes bösen Zwerges, der immer Übles gegen Königin Isönd und Tristram plante. Dieser böse Zwerg stand da heimlich von seinem Bett auf und nahm einen Korb voll von Weizenmehl, den er neben seinem Bett hatte, und streute das Weizenmehl über den Boden, sodaß man Tristrams Fußspuren im Mehl sehen konnte, wenn er zur Königin ginge. Aber Bringvet wurde sogleich gewahr, was er getan hatte, und gab Tristram Kenntnis davon. Danach stand der König mitten in der Nacht auf und sagte, er sei des Liegens überdrüssig, und er will zur Frühmesse gehen und sagt, der Zwerg solle ihn begleiten. Als der König weggegangen war und Tristram alleine dalag, da sann er darüber nach, wie er zur Königin zu kommen vermöchte, denn er weiß, daß man, wenn er zu ihr geht, seine Fußspuren im Mehl sehen kann. Deshalb sprang er mit beiden Beinen über das Mehl in das Bett der Königin, und er hatte sich bei diesem Sprung so angestrengt, daß seine Adern platzten und die ganze Nacht bluteten. Als er aufstand, sprang er in sein Bett zurück, und in diesem Augenblick kam der König und sah, daß Blut in seinem Bett war, und er fragte da Isönd, woher das Blut käme. Sie sagte, daß ihre Hand blute. Der König ging dann zum Bett Tristrams und fand ihn blutig. Er stellte da fest, daß Isönd gelogen hatte. Dies war dem König ein offensichtlicher Verdachtsgrund, und der König wurde traurig und zornig, wußte immer noch nicht, was wahr war, außer dem Blut, das er da sah, und es war das kein sicherer Grund noch zuverlässiger Erweis, und deswegen ist der König im Zweifel und weiß nicht, was er davon halten soll, denn er kann sie durch keinen Wahrheitsbeweis entlasten, und doch will er unter keinen Umständen aufgeben, sondern er will dies öffentlich machen, aber doch will er sie nicht in ihrer Ehre kränken, und er schickte dann nach allen seinen Lehnsmännern und Ratgebern und klagte ihnen da seinen Kummer wegen Isönd und Tristram, und alle Lehnsmänner äußerten sich darüber und wollten gerne die Rache übernehmen, wenn es wahre Anlässe gäbe.
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Kapitel 56 (Gottfried 15267–15517) Danach entbot der König alle seine Ratgeber nach Lundunarborg37 , und es kamen alle, die sich des Königs Freundschaft bewahren wollten, Bischöfe und Lehnsmänner und alle die weisesten Männer, die es in England gab, und als sie dorthin gekommen waren, da bat der König, sie möchten ihm einen heilsamen Rat geben, wie er diese Angelegenheit gegen die beiden, Tristram und Isönd, beenden könne, die ihn in eine so große Beleidigung gebracht hat, daß er in seinem ganzen Reich an der Ehre gekränkt ist. Da äußerten sich die Ratgeber, einige von ihnen sagten Torheiten, andere Verständiges und Vernünftiges. Danach stand ein bejahrter Bischof auf und sprach zum König: „Herr“, sagte er, „hört auf das, was ich sagen will, und wenn ich sage, was recht ist, dann erklärt Euch damit einverstanden. Hier ist nun mancher in unserem Lande, der gegen Tristram Anklagen erhebt, die er ihm gegenüber nicht zu bekräftigen wagte. Ihr, Herr König, sucht nach einem Rat, und es steht allen wohl an, Euch einen heilsamen, verläßlichen und vertrauensvollen Rat zu geben. Nicht steht es Euch wohl an, diese Beleidigung öffentlich zu machen, und nicht dürft Ihr sie in dieser Sache in ihrer Ehre kränken, denn Ihr habt sie nicht bei solchen Taten ertappt, daß Ihr öffentlich die Anklagen gegen sie erhärten könnt. Wie wollt Ihr da Euren Schwestersohn und deine Gemahlin verurteilen, da Ihr gesetzlich verheiratet seid, und Ihr könnt Euch unter keinen Umständen in dieser Lage scheiden lassen, wenn keine offensichtlichen Anklagepunkte gegen sie in der Sache vorliegen, deren sie ihre Feinde und Neider beschuldigen. Und es steht Euch auch nicht wohl an, dies aufzugeben wegen der Beleidigung und der Vorwürfe, die die Leute glauben und mit denen sie sich beschäftigen, sei es nun recht oder unrecht, aber oft glauben die Menschen das Unrichtige nicht weniger als das Richtige. Aber wegen der Beleidigung, die Ihr so lange geduldig ertragen habt, und weil Ihr der Königin wegen dieser Ehrenkränkung Vorwürfe gemacht habt, da steht es Euch wohl an, daß Königin Isönd hier vor der Versammlung dieser Fürsten erscheine, und hört dann auf meine Rede und ihre Antwort, und wenn sie geantwortet hat, dann wollen wir als gerechtes Urteil festsetzen, daß sie nicht in des Königs Bett schlafen darf, bis sie sich von dieser Beleidigung befreit hat.“ Da antwortet der König: „Diesem Urteil gebe ich vor allen Fürsten und Lehnsmännern gerne meine Zustimmung.“ Dann schickten sie nach Isönd, und sie folgte sofort ihrer Vorladung in die Halle und setzte sich hin. Da stand der Bischof auf und sprach zu ihr: „Königin“, sagte er, „hört auf das, was der König dir zu sagen mir gebot. Bekannt ist allen innerhalb und außerhalb des Gefolges eine Beleidigung, die allgemein über Euch gekommen ist und mehr als zwölf Monate über Euch und Tristram, den Neffen unseres Königs, schwebt. Sei dies nun richtig oder falsch, so liegen offensichtlich 37
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Beleidigungen und Vorwürfe auf Euch und Ehrenkränkungen auf dem König. Aber er hat offensichtlich nichts als Gutes gesehen und gefunden, mit Ausnahme dieser Beleidigung, die die Leute aufbringen, jedoch ohne hinreichenden Beweis für ihre Taten. Nun erhebe ich vor den Fürsten und Lehnsmännern in dieser Sache Anklage gegen dich und verlange von dir eine Reinigungsprobe, damit du dich selbst frei machst und den König aus seinem Irrtum herausführst, denn es steht Euch nicht wohl an, mit dem König öffentlich das Bett zu teilen, bevor du dich von dieser Beleidigung gereinigt hast!“ Isönd war eine verständige Frau und höfisch und ein äußerst schönes und beredtes Weib, und sie stand dann vor dem König auf und sprach: „Guter König! Wißt fürwahr, daß mir die Beleidigung bekannt ist, die Neider und böswillige Menschen gegen mich vorlegen, denn das ist ein altes Wort, daß niemand ohne Tadel und Vorwürfe lebt, und es scheint mir nicht verwunderlich, daß man gegen mich Unschuldige Lügen vorbringt. Jenen scheint dies tunlich, weil ich eine Ausländerin bin und weit weg von meinen Verwandten und Freunden und hier in fremdem Land allein unter fremden Menschen wie eine Kriegsgefangene, und daher weiß ich, daß niemand mit meiner schwierigen Lage Mitleid haben wird. Nun bitte ich den König, meinen Herrn, daß er über meine Angelegenheit vor seinem ganzen Gefolge durch eine Reinigungsprobe ein Urteil fälle. Niemals kann mir ein so hartes Urteil zuteil werden, daß ich mich ihm nicht unterwürfe, um den Tadel der Neider loszuwerden – denn ich bin bezüglich dieser Beleidigung unschuldig –, sei es nun die Eisenprobe oder eine andere Reinigungsprobe. Aber wenn diese Reinigungsprobe zu meinem Nachteil ausfällt, dann lasse mich der König mit Feuer verbrennen oder von Pferden zerreißen!“
Kapitel 57 (Gottfried 15518–15541 Der König hörte Isönds Worte, wie sie erklärte, daß sie gerne die Eisenprobe oder eine andere Reinigungsprobe auf sich nehmen will, und sieht nun, daß es ihm nicht wohl ansteht, mehr zu fordern. Da er keinen Wahrheitsbeweis noch offenbare Schuld an ihr gefunden hat, da muß er ihr ein gerechtes Urteil zugestehen, und er sprach zu ihr: „Komme hierher“, sagte er, „und beeidige mir vor diesen Fürsten die Reinigungsprobe, daß gehalten wird, was du nun gesprochen hast, denn wir wollen dir gerne das einräumen, und du sollst dich nach Korbinborg begeben, und dorthin entbiete ich euch, alle Fürsten, auf meine Ehre und Rechte zu sehen, und wir wollen uns dort in Monatsfrist einfinden!“ Da trat Isönd herbei und beeidigte dem König die Reinigungsprobe, wie er es selbst gefordert hatte. Die Fürsten und das Gefolge trennten sich und begeben sich nach Hause, aber Isönd blieb in Kummer und Sorge zurück, denn sie findet nun, daß diese Beschuldigung gerechtfertigt ist, derenwegen sie verurteilt und in Unehre gebracht ist.
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Kapitel 58 (Gottfried 15542–15633) Nun, als der anberaumte Tag herangekommen war, dachte sie über einen Plan nach und schickte Tristram eine Botschaft, daß er ihr dort entgegenkomme, wo eine bestimmte Furt war, und sich unkenntlich mache, so gut er nur könne, an dem Tag, den sie ihm bezeichnete. Sie will, daß er sie vom Boot trage, wenn sie über den Fluß gesetzt wird, und dann will sie ihm ein Geheimnis sagen. Nun befolgte er sein Versprechen, daß er dort bei ihr am anberaumten Tag war, vollkommen unkenntlich, so daß ihn niemand erkannte. Sein ganzes Gesicht war mit gelber Farbe bemalt, und er war in einen schäbigen Lodenrock gekleidet und hatte sich einen alten Umhang übergeworfen. Die Königin bestieg ein Boot auf der anderen Seite des Flusses. Sofort gab sie Tristram ein Zeichen, und danach landete sie mit dem Boot. Dann rief sie Tristram mit lauter Stimme an: „Freund“, sagte sie, „komm hierher und trage mich vom Boot! Du wirst ein guter Schiffer sein.“ Tristram ging sogleich zum Boot und nahm sie in seine Arme. Wie er sie trug, sprach sie leise zu ihm, daß er sich auf sie fallen lassen sollte, wenn sie auf das sandige Ufer kämen, und als er mit ihr vom Boot ein kurzes Stück vom Fluß weg gekommen war, da hob sie ihre Kleider auf, und er fiel sofort auf sie. Als ihre Leute das sahen, da sprangen sie sofort vom Boot, einige mit Stöcken, einige mit Bootshaken, andere mit Rudern und wollten ihn totschlagen. Aber die Königin sprach, sie sollten ihm nichts antun, sagte, daß er nicht absichtlich gefallen wäre, sondern weil er erschöpft und vom Wandern sehr ermüdet war, „denn er ist ein Pilger, eines weiten Weges gekommen“, und sie machten über ihre Worte Scherze und lachten darüber, wie der Pilger mit ihr hingefallen war, und alle sagen, daß sie die feingesittetste Frau war, da sie allein ihm nichts Übles habe antun lassen wollen. Aber niemand wußte, weshalb sie auf diesen Plan gekommen war. Danach sprangen sie auf ihre Pferde und ritten ihres Weges und trieben Spott und Scherz über den Pilger, wie komisch er sich ausgenommen hat. „Ist das verwunderlich“, sagte Isönd, „daß der Pilger seinen Spaß haben und meine weißen Schenkel befühlen wollte? Aber nun kann ich unter keinen Umständen den Eid leisten, daß da kein anderer als der König gelegen habe!“ Dann ritten sie zum Hof des Königs, und die Königin stieg von ihrem Pferd und alle, die sie begleiteten.
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Kapitel 59 (Gottfried 15634–15755) Das Gefolge war nun zahlreich dorthin gekommen. Der König war nun schroff und grimmig, ungestüm und heftig, sich zu rächen und Isönd in der Eisenprobe zu prüfen, die sie wegen Tristram auf sich nehmen soll, und dann war das Eisen schon ins Feuer gelegt und hergerichtet worden. Drei Bischöfe weihten es, aber Isönd hörte dann die Messe und verteilte große und gütige Almosen, so daß sie von allem, was sie an Gold und Silber, Zeug und Zubern besaß, einen großen Teil den Armen um der Liebe Gottes willen gab, ebenso den Kranken und Verwundeten, den Vaterlosen und den armen Witwen. Dann ging sie unbeschuht in Wollkleidern einher, und ihre Lage deuchte jeden beklagenswert. Da weinten alle, Fremde wie Bekannte, Ausländer wie Einheimische, Reiche und Arme, Junge und Alte, allen lag ihre Lage schwer auf der Brust, und es wurden die Heiligtümer herbeigetragen, auf die sie den Reinungseid ablegen sollte, und weinend trat sie hinzu und legt eine Hand auf das Heiligtum. Sie hörte da, daß die Lehnsmänner über den Wortlaut des Eides stritten, einige wollten sie in die Enge treiben und ängstigen, andere wollten ihr bei der Eidesformel helfen, aber die meisten wollten sich dem König darin anschließen, die Eidesformel so streng wie möglich zu fassen, und da sprach Isönd: „König“, sagte sie, „höre meinen Eid. Nie wurde ein Mann von einer Frau geboren, der mir Bemitleidenswerten nahe gekommen wäre außer Dir, König, und dem geplagten Pilger, der mich vom Boot trug und vor Euer aller Augen auf mich fiel. So helfe mir Gott bei dieser Probe, und so reinige er mich an diesem Eisen, und niemals wurden mir von einem anderen Mann Schuld noch Sünden vorgeworfen. Dies bezeuge ich bei Gott und allen Heiligen! Nun, wenn ich etwas von diesem Eid ausgelassen habe, dann fügt es schnell hinzu, wie es Euch beliebt, und ich werde es beschwören!“ Der König sah Isönd weinen und viele andere, Reiche und Arme, wegen ihres Kummers. Da betrübte sich auch sein Herz, und er sprach zu Isönd: „Ich habe den Eid gehört“, sagte er, „und es scheint mir, daß ihm nichts hinzugefügt werden muß. Trage nun“, sagte er, „dieses heiße Eisen, und möge Gott dich so rein werden lassen, wie du es verdienst und vorgetragen hast!“ „Ja!“, sagte sie und ergriff wacker das Eisen mit ihrer Hand und trug es, so daß keiner Mutlosigkeit noch Feigheit an ihr feststellte, und Gott schenkte ihr in seiner schönen Gnade schöne Reinigung, Versöhnung und Einverständnis mit dem König, ihrem Herrn und Ehegatten in voller Liebe, Ehre und großer Würde.
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Kapitel 60 (Gottfried 15756–15764) Danach, als Isönd durch das Eisen gereinigt war, setzte sie sich und sagte, der König habe kindisch gehandelt, daß er seinen Neffen wegen der Königin haßte. Nun läßt der König von seiner Torheit und bereut, daß er jemals einen bösen Verdacht gegen seinen Neffen gehegt hatte, aber sich selbst unnötig Kummer und vielerlei Unruhe verschafft hat, und er ist nun von jedem Zweifel frei, sodaß sein Gemüt nun gänzlich rein und trotz aller Neider ohne Argwohn ist. Er glaubte nun, daß Isönd zu Unrecht jener Beleidigung ausgesetzt war, derer sie beschuldigt wurde, und dann war der König äußerst liebevoll, um sie nach ihrer Betrübnis zu trösten. Alles, was er besaß, galt ihm nichts im Vergleich zu ihrer Liebe und Zuneigung. Er liebte sie über die Maßen, so daß kein anderes Geschöpf Gottes ihm so gut gefiel wie die schöne Isönd.
Kapitel 61 (Gottfried 15765–15914) Aber als Tristram, der wackere und würdige, sich aus dem Reich des Königs wegbegeben hat, und sie schieden im Zorn, der König und er, undTristram diente danach einem Herzog über Polisreich38 . Der Herzog ehrte ihn und zeichnete ihn vor allen seinen Freunden aus wegen seiner Berühmtheit, seines Herkommens und seiner Tapferkeit, seiner Ritterschaft und des gewandten Auftretens und der höfischen Gefolgschaftssitten und hochherzigen Gesinnung aller Art, für die er vor allen anderen bekannt war. Das geschah eines Tages, als Tristram voller Kummer dasaß wie einer, der in ein fremdes Land gekommen war, und weil er von seinem Trost, seiner Liebe und seiner Wonne weit weg war, da seufzte er oft aus ganzem Herzen und sann oft über seinen Kummer und Harm nach, da er dem, was ihn trösten konnte, so fern war. Als der Herzog dies bemerkte, bat er seine Diener, sein Spielwerk herbeitragen zu lassen, damit er dadurch Tristrams Trauer trösten könne, den er krank im Gefolge sah, denn er wollte ihm gerne Gutes tun und ihm die Zeit vertreiben, wenn er ihn dadurch erheitern könne. Danach kamen die Kerzenträger des Herzogs mit einem kostbaren Seidenstoff herbei und breiteten ihn auf dem Boden vor dem Herzog aus, und es kamen andere herzu, die ihm seinen Hund brachten, der ihm aus Alfheim39 geschickt worden war. Das war ein seltsam schönes Lebewesen, sodaß niemand je geboren war, der dessen Geschichklichkeit noch Wuchs aufschreiben noch berichten könnte, denn von welcher Seite man auch den Hund ansah, da glänzte er in so vielen Farben, daß niemand es 38 39
Wohl Polen. Gottfried: Avelûn. Bald darauf heißt es allerdings, der Hund kam von einer „Insel Polin“.
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begreifen noch festhalten konnte. Wenn man ihn von vorne ansah, dann glänzte er weiß und schwarz und grün an der Seite, die dem Betrachter zugewandt war. Wenn man ihn von der Quere ansah, dann glänzte er blutrot, als kehre sich die Innenseite des Felles heraus und das Fell nach innen, mitunter, als wäre er von dunkelbrauner Farbe und dann wieder, als hätte er ein hellrotes Fell. Sah man ihn aber der Länge nach, konnte man am wenigsten feststellen, wie er war, denn dann schien er überhaupt keine Farbe zu haben, so weit man das feststellen konnte. Er kam von der Insel, die Polin heißt, und diesen Hund hatte dem Herzog eine Alfenfrau geschenkt. Nie gab es ein gleich großes Tier, das edler noch schöner und so klug, freundlich und dienstwilig war. Diesen Hund führten die Diener des Herzogs an einer Goldkette aus dem Hause des Schatzmeisters herbei. Dann nahmen sie ihm die Goldkette ab, und als er los war, da schüttelte er sich, und es läutete die Schelle, die ihm am Hals befestigt war, mit einem so schönen Ton, daß Tristram all seinen Harm hinter sich ließ und seine Geliebte vergaß und sich sein ganzes Gemüt, Herz und Sinn so verwandelten, daß er kaum wußte, ob er derselbe oder ein anderer wäre. Es war keiner unter den Lebenden, der den Ton dieser Schelle hörte, daß er nicht sofort in seinem ganzen Herzen und in seinem Harm getröstet und von Freude und Heiterkeit erfüllt würde und keine andere Zerstreuung haben wollte. Tristram lauschte sorgfältig auf den Ton und beobachtete den Hund genau, und die Farbe des Hundes schien ihm viel wunderbarer als der Ton der Schelle, und er faßte dann mit der Hand nach ihm und spürte, daß er überall ein zartes und weiches Fell hatte, und dachte nun, daß er sein Leben nicht behalten wollte, wenn er nicht Isönd, seiner Geliebten, diesen Hund ihr zur Zerstreunng verschaffen könnte, aber er weiß nicht, wie er ihn erlangen soll, und er tat nicht so, als wolle er ihn haben, denn der Herzog hatte ihn so lieb, daß er niemals unter keinen Umständen von ihm lassen oder von ihm absehen wollte.
Kapitel 62 (Gottfried 15915–16262) Nun, wie uns die Tristrams Saga wahrheitsgemäß erzählt, gab es damals in jenen Tagen einen Riesen, und er hauste in einem Bezirk am Meeresstrand und nahm alle zwölf Monate Tribut von dem ganzen Reich, den zehnten Teil des Viehbestandes, und der Herzog bezahlte ihm jedes Jahr diesen Tribut, und nun war der Riese gekommen, den Tribut zu holen. Da wurden diese Abgaben über das ganze Reich heraustrompetet, dem Riesen Urgan diesen Tribut zu entgelten, und es kamen Lehnsmänner, Kaufleute und Kätner, Burgleute und Bauern, jeder seinem Vermögen entsprechend, und sie treiben nun das Vieh dem Riesen entgegen, und es war höchst erstaunlich, wie viel das war, und sie erhoben großen Lärm und Gejammer, wie sie das Vieh dem Riesen entgegentreiben.
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Da fragte Tristram, woher der große Lärm käme und wem das Vieh gehörte oder wer es bekommen sollte. Aber der Herzog sagte ihm sofort, was es damit auf sich hatte und wie er dem Riesen den Tribut zugesagt hatte, und den ganzen Vorgang und den Vertrag, der zwischen ihm und dem Riesen geschlossen worden war. Da sprach Tristram zum Herzog: „Wenn ich Euch von dieser Knechtschaft befreie, sodaß Ihr hinfort dem Riesen diesen Tribut nicht mehr zu entgelten braucht, was wollt Ihr mir als Lohn geben?“ Der Herzog sprach: „Das, was dir gefällt und du dir erwählst; mir ist kein Besitz so teuer, daß ich ihn dir nicht zum Lohn geben wollte, wenn du diese Bedrängnis von uns nimmst!“ „Wenn du mir diese Bitte gewährst“, sagte Tristram, „dann werde ich dich und dein Reich befreien und dich von diesem Riesen und deine Männer vom Tribut erlösen und das ganze Land frei machen, sodaß es niemals wieder in Bedrängnis sein wird!“ Da sagte der Herzog: „Gerne gewähre ich deine Bitte und vor dem ganzen Gefolge, das hier zugegen ist, will ich dir diese Übereinkunft geloben!“ Tristram machte sich nun eilig bereit, wappnete sich und stieg auf sein Pferd und sprach zum Herzog: „Laß einen Mann mich auf den Weg begleiten, auf dem der Riese kommen wird, und ich werde Euch und Euer Reich von diesem Riesen befreien. Aber wenn ich Euch nicht an ihm rächen kann, dann fordere ich keine Belohnung von Euch.“ „Gott danke es Euch!“, sagte der Herzog und ließ ihn da von einem seiner Männer bis zu der Brücke begleiten, über die der Riese kam, um das Vieh zu treiben. Und als Tristram zur Brücke gekommen war, da hielt er das Vieh auf, damit es nicht über die Brücke gehe. Als der Riese sah, daß das Vieh stehen blieb, da schwang er seine Eisenstange und lief herbei, so schnell er konnte, und er sah da Tristram gewappnet auf seinem Pferd sitzen, und er rief ihn mit furchterregender Stimme an: „Wer bist du, Tölpel“, sagte er, „der mein Vieh am Weitergehen hindert? Ich schwöre dir bei meinem Haupt, daß du das teuer bezahlen wirst, es sei denn, du bittest mich um Gnade!“ Da wurde Tristram zornig und antwortet ihm: „Niemals werde ich einem derartigen verfluchten Troll, wie du einer bist, meinen Namen verhehlen. Das Gefolge nennt mich Tristram. Ich fürchte mich nicht vor dir noch vor deiner Eisenkeule. Zu Unrecht bekamst du dieses Vieh, und deshalb sollst du es unter keinen Umständen behalten! Wie sonst ist dir dieser große Tribut zugekommen, als daß du die Leute durch Furcht dazu gebracht hast, dir diese Steuer zu entrichten?“ Da sagte der Riese Urgan: „Tristram“, sagte er, „gewaltige Anmaßung zeigst du mir gegenüber, indem du mich hinderst, mein Vieh wegzutreiben. Verschwinde nun schnellstens von mir und von dem Weg und gib den Weg für das Vieh frei, auf dem ich zu gehen pflege! Ich bin nicht Morhold, den du in deinem Übermut tötetest, und ich bin nicht jener Ire, dem du Isönd wegnahmst, und nun glaubst du, genauso gegen mich vorzugehen. Aber du sollst genau wissen, daß du teuer dafür bezahlen wirst, daß du mir den Übergang über die Brücke verwehrst!“
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Und damit schwang er die Eisenstange und schleuderte sie mit aller Kraft und großem Zorn, aberTristram wich dem Hieb aus. Die Eisenstange traf das Pferd an der Brust, und es wird vollständig zu Schanden geschlagen und seine Knochen brachen und das Pferd stürzte unter ihm. Als Tristram auf die Füße kam, da stürzte der Riese schleunigst auf ihn los, um ihm einen Hieb zu versetzen, wo er ihn am besten erwischen und ihn mit seinen Händen erreichen konnte. Als der Riese sich niederbeugte, um die Eisenstange aufzunehmen, da wollte Tristram nicht länger warten und sprang auf ihn zu und hieb ihm die rechte Hand ab, mit der er die Keule aufnehmen wollte, und da lag die Hand im Gras. Aber als der Riese seine Hand auf der Erde liegen sah, griff er mit der linken Hand nach seiner Stange und wollte sich an Tristram rächen, und als er nach ihm schlug, da hielt Tristram den Schild dem Schlag entgegen, und der Schild wurde der Länge nach in zwei Teile gespalten, und der Hieb war so gewaltig, daß Tristram in die Knie ging, und da sah er, daß, wenn er einen zweiten Hieb abwartete, jener ihn töten würde. Er zog sich zurück. Da sah er, daß der Riese sehr verwundet und wütend war und stark blutete, und nun will er darauf warten, daß der Blutverlust ihn ermüdete und seine Kraft etwas schwächte. Da hob der Riese seine Hand auf und ließ sein ganzes Vieh stehen und begab sich zurück in sein Kastell, aber Tristram blieb zurück, gesund und glücklich in großer Freude, denn nun ist alles Vieh frei und wiedergewonnen, und nun weiß er sicher, daß er bekommen wird, was er gefordert hat, es sei denn, der Herzog breche sein ihm gegebenes Wort, und nun kommt ihm der Gedanke, daß er noch nicht zurückkehren könne, denn er hat nichts, was er dem Herzog zeigen könne, damit dieser überzeugt werden könnte, daß er es mit dem Riesen aufgenommen habe, außer daß er das Vieh zurücktriebe, und er macht sich nun so schnell er konnte auf den Weg, der durch das Blut aus seinen Wunden markiert war, und er kam dann in das Kastell des Riesen, und als er hineinkam, sah er dort nichts außer der Hand, und er eilte schleunigst zur Brücke zurück, und in dem Augenblick kam der Riese zum Kastell zurück, denn er war weggegangen, um sich mit Heilsalbe zu verbinden, und meinte, hier seine Hand zu finden. Als er die Kräuter niedergelegt hatte, sah er, daß seine Hand weggebracht worden war. Da eilte er Tristram nach. Da blickte sich Tristram um und sah, daß er sich ihm näherte, und er kam mit großem Getöse hinter ihm her und hatte die Eisenstange auf seiner Schulter, und Tristram bekam Angst vor dem Riesen, sodaß er nicht wagte, sich ihm entgegenzustellen. Da griff der Riese als erster an und schleuderte mit großem Zorn und ganzer Kraft die Eisenstange nach ihm, und er sprang zur Seite, sodaß der Hieb ihn nicht traf. Dann eilte Tristram hinzu und wollte ihn auf der linken Seite treffen, und als er sah, daß der Riese dem Hieb auswich, da versetzte er ihm einen Schlag von vorne, und der war für ihn so schwer, daß er ihm die ganze Achsel abhieb, und er stürzte ihn von der Brücke herab, und alle seine Knochen zerkrachten. Danach kehrte Tristram zurück und nahm die Hand und brachte sie dem Herzog. Aber der war im Wald und hatte ihren Kampf gesehen, und als er
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Tristram sah, ritt er ihm entgegen und fragte, wie es gegangen sei. Er zeigte ihm, was er soeben vollführt hatte, das Vieh befreit und den Riesen erschlagen. Da sprach er zum Herzog: „Nun fordere ich meine Belohnung!“ Da antwortet der Herzog: „Das ist recht!“, sagte er, „Ich will sie dir nicht vorenthalten. Sage nun, was du am liebsten haben willst.“ „Großen Dank sage ich Euch. Ich tötete Urgan“, sagte er, „aber nun bitte ich Euch, daß du mir diesen deinen schönen Hund gibst, denn es verlangt mich sehr, ihn zu besitzen, da ich niemals einen schöneren Hund gesehen habe.“ Da sagt der Herzog: „Bei meiner Treu! Du tötetest unseren größten Feind, und deshalb will ich dir mein halbes Reich geben und dir meine Schwester mit Ehren vermählen, wenn du um sie anhalten willst. Aber wenn dir mein Hund besser dünkt, dann sollst du ihn gerne haben!“ Da sagt Tristram: „Gott danke dir, mein Herr! Es gibt keinen Schatz auf dieser Welt, der mir gleich lieb ist wie dieser Hund, sodaß ich ihn niemals eintauschen würde,was auch immer mir dafür geboten würde!“ Da sprach der Herzog: „Gehe nun hin und nimm ihn dir und tue damit, was du willst!“
Kapitel 63 (Gottfried 16263–16492) Als er den Hund entgegengenommen hatte, da ließ er nicht von ihm, auch wenn ihm alles Geld geboten würde, das es in der Welt gäbe, und er rief dann einen Fiedler zu sich, den gebildetsten Mann, den man im ganzen Herzogtum finden konnte, und er sagte ihm unter vier Augen, was er tun und wohin er sich begeben und auf welche Weise er den Hund der Königin Isönd nach Tintajolburg bringen sollte, und der Fiedler begab sich dorthin und traf Bringvet, die Dienerin der Königin, und übergab ihr den Hund und bat sie, ihn der Königin von Tristram zu geben, und sie nahm ihn mit vieler Freude und großem Dank entgegen, denn ein schöneres Geschöpf konnte es niemals geben. Für ihn wurde mit großer Geschicklichkeit eine Hütte aus gebranntem Gold gemacht und wohl verschlossen, und Isönd liebte dieses Geschenk mehr als alles andere und Isönd gab dem Boten Tristrams eine reiche Gabe zur Belohnung und sandte ihm die Botschaft, daß der König ihm geneigt sei und er sicher zurückkommen könne, denn jeder Verdacht, den die Leute gehegt hatten, sei nun in Versöhnung und Einvernehmen gewandelt. Als Tristram dies erfährt, fuhr er mit großer Freude an den Hof von König Markis. Auf diese Weise war der Hund erlangt und erworben. Ich will nun, daß Ihr wissen sollt, daß Tristrams Hund nicht lange am Hof von König Markis war. Dann gewöhnte er sich an die Wälder, Wildschwein und Rotwild zu jagen, damals als die beiden dort waren, Tristram und Isönd. Dieser Hund fing jedes Tier, so daß ihm niemals eines entwischte, und war sich der Spuren so sicher, daß er alle Straßen und Fahrwege aufspürte.
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Kapitel 64 (Gottfried 16493–17274) Und als Tristram mit Freude und Fröhlichkeit an den Hof von König Markis gekommen war, war er dort nicht lange, bevor der König erneut ihre Liebe zueineinander bemerkte,Tristrams und der Königin, genauso wie früher; darüber wurde der König sehr verdrossen und betrübt und wollte ihnen das nicht länger durchgehen lassen und schickt nun die beiden in die Verbannung, und das schien ihnen ein gutes Los, und sie zogen dann in eine große Wildnis hinaus und machten sich nur wenig Gedanken, wer ihnen Wein und Speise verschaffen sollte, denn Gott würde ihnen schon Nahrung zukommen lassen, wo sie auch waren, und es gefiel ihnen gut, zu zweit allein zu sein, und sie begehrten nicht mehr, als sie jetzt besaßen von allem, was es auf der Welt gab, denn nun haben sie, was ihrem Herzen behagt, wenn sie auf diese Weise immer ohne Vorwürfe zusammen sein und ihre Liebe mit Wonne genießen könnten. Und wie ihnen nun dieses freie Leben im Wald gefiel, so fanden sie einen verborgenen Platz an einem Wasser und in einem Felsen, den Heiden einst mit großer Geschicklichkeit und schöner Kunst hatten aushauen und zurichten lassen, und es war dieser ganz gewölbt und der Eingang tief in der Erde ausgehauen, und ein geheimer Pfad war weit unterhalb; viel Erde lag auf dieser Behausung, und darauf stand ein sehr schöner Baum auf dem Felsen, und der Schatten des Baumes erstreckte sich weithin und schützte vor der Hitze und Glut der Sonne. Dort bei dem Haus war eine Quelle mit heilsamem Wasser, aber um die Quelle herum wuchsendie süßesten Kräuter mit schöner Blüte, die man sich nur wünschen könnte, und der Fluß strömte von der Quelle nach Osten. Wenn die Sonne auf die Kräuter schien, dann duftete es mit dem süßesten Duft, und dann war das ganze Wasser wie mit Honig gemischt von der Süßigkeit der Kräuter. Wenn es aber regnete und sehr kalt war, dann blieben sie in der Behausung unter dem Felsen; aber wenn draußen gutes Wetter war, gingen sie zur Quelle, sich dort zu vergnügen, und dorthin in den Wald, wo es am ebensten und schönsten war, zu spazieren und Wild zu ihrer Speise zu jagen, denn Tristram hatte dort seinen Hund bei sich, der ihm so außerordentlich lieb war. Ihn gewöhnte er zuerst daran, Rotwild zu fassen, und dann erjagte er, soviel er wollte, und da war immer große Kurzweil und Freude, denn sie hatten Nacht und Tag Vergnügen und Trost.
Kapitel 65 (Gottfried 17275–17483) Danach trug sich das eines Tages zu, daß der König, wie er es gewohnt war, mit großem Gefolge von Jägern dorthin in den Wald kam, und sie ließen die
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Spürhunde los und legten Hinterhalte und bliesen ihre Hörner und hetzten ihre Hunde und liefen nach allen Richtungen in den Wald, bis sie ein großes Rudel Wild fanden, von dem sie die größeren Tiere trennten, und da begannen die Tiere, verschiedene Richtungen einzuschlagen, einige die Berge hinauf, andere ins Tal hinab, wo sie wußten, daß ihre Spuren nur schwer zu finden waren, und so entfernten sich die Tiere von den Hunden, aber die Jäger sprengten ihnen auf ihren Pferden nach und bliesen ihr Horn. Der König entfernte sich vom Gefolge und folgte seinen zwei besten Hunden, und ihm folgten einige Jäger, die auf seine Spürhunde achtgeben, und scheuchten dann einen großen Hirsch auf und brachten ihn auf die Flucht und hetzten ihn heftig, aber er floh, so schnell er konnte, mal hierhin, mal dorthin und nahm die Richtung auf den Fluß zu, und als er zum Ufer kam, blieb er stehen und lauschte und hörte, wie die Hunde ihn verfolgten, aber doch noch in einiger Entfernung waren, und da wußte er, daß der Angriff der Jäger bevorstand, da sie direkt hinter ihm her kamen. Dann suchte er sich wieder einen anderen Weg, damit die Hunde ihn nicht wittern sollten, und er sprang mit einem gewaltigen Sprung über einen Bach und von dort sofort in den Fluß und dann aus dem Strom wieder heraus, und deshalb verloren die Hunde seine Spur und wußten nicht, wohin er geraten war, und dies verdroß ihn (den König) sehr. Kanves hieß der Oberjäger des Königs, der mal aufwärts, mal abwärts ritt, um die Hunde auf den Weg zu führen, aber die Hunde suchten weit herum und fanden den Weg nicht, und dann blieb Kanves stehen und sah den Felsen hinauf. Da sah er einen Pfad an der Quelle, da Tristram und Isönd dort früh am Morgen hingegangen waren, sich zu vergnügen. Als Kanves diesen Pfad sah, kam ihm der Gedanke, daß der Hirsch sich dorthin begeben haben oder dort stehen geblieben sein könnte, sich auszuruhen, und dann stieg er von seinem Pferd, um zu erkunden, was es dort gäbe, und er begab sich auf den Pfad, der auf den Felsen hinaufführte, bis er zur Tür an dem Felsen kam. Er sah hinein und erblickte den schlafenden Tristram und auf der anderen Seite der Herberge Isönd, und sie hatten sich niedergelegt, um auszuruhen, denn die Hitze war groß, und sie schliefen deshalb so entfernt von einander, weil sie sich schon vorher draußen vergnügt hatten. Als er sie erblickte, erschrak er so, daß er über und über zitterte, denn ein großes Schwert lag zwischen ihnen, und er eilte zum König und sprach zu ihm: „Herr“, sagte er, „ich habe die Tiere nicht gefunden“, und er erzählte dem König alles, was er in der Felsenherberge gesehen hatte, er sagte, er wisse nicht, ob dies ein himmlisches oder irdisches Geschöpf sei oder zum Elfengeschlecht gehöre.
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Kapitel 66 (Gottfried 17484–17691) Nun geht der König dorthin und sieht Tristram und erkannte Isönd und das Schwert, das ihm selbst gehört hatte. Es gab kein schneidenschärferes Schwert auf der Welt als das, welches zwischen diesen beiden Liebenden lag, und da sah der König, daß die beiden getrennt voneinander lagen, und da kam ihm der Gedanke, wenn es eine sündige Liebe zwischen ihnen gäbe, dann würden sie sich mit Sicherheit nicht so entfernt von einander hinlegen, sondern sie würden ein gemeinsames Bett haben, und sie schien ihm über die Maßen schön, und er sah Isönds Gesicht, und sie schien ihm da so schön, daß er meinte, niemals derartiges gesehen zu haben, da sie ermattet eingeschlafen war und Röte auf ihren Wangen war, aber durch eine Öffnung, die im Hause war, schien ihr ein Sonnenstrahl auf die Wange, und es kam ihn schwer an, daß ihr die Sonne ins Gesicht schien, und er ging äußerst vorsichtig zu ihr hin und legt ihr seinen Handschuh auf die Wange, sie vor der Sonne zu schützen, und dann ging er fort und empfahl sie Gott und stieg unfroh vom Felsen herab, und die Jäger forderten die Gehilfen auf, die Hunde rasch zusammenzutreiben, da der König von der Jagd heimkehren wollte, und er ritt da alleine, traurig und bekümmert, und niemand begleitete ihn zu seinem Zelt. Als Isönd erwachte, bemerkte sie den Handschuh, und sie wunderte sich, wie der Handschuh dorthin gekommen war, und auch Tristram dünkte dies eigenartig, und sie wissen nicht, was sie tun sollen, da der König nun wußte, wo sie waren. Aber dennoch fanden sie große Freude und Trost darin, daß er sie angetroffen hatte, wie es der Fall war, und er konnte ihnen keine Vorwürfe machen, und König Markis will nun unter keinen Umständen an Sünde oder Schande bei Tristram und Isönd glauben, und er sandte dann nach allen seinen Lehnsmännern und legte ihnen Grund und Ursache dar, daß falsch und unsinnig sei, was gegen Tristram vorgebracht und ihm zur Last gelegt worden sei, und das käme niemandem zu, sich daran zu halten oder es zu glauben oder für wahr zu halten, und als sie seine Begründung und Beweise hörten, da schien es ihnen, als ob er Isönd wieder zu sich nehmen wollte, und sie rieten ihm, wie es sie am besten dünkte und ihnen behagte und wohin sich sein Begehren am meisten neigte, und er schickte dann nach den beiden, daß sie in Frieden und Freuden zurückkommen sollten, da er seinen Zorn von ihnen genommen habe.
Kapitel 67 (Gottfried 17692–18358; Thomas 1–52) Tristram ist es völlig unmöglich, von seinem Verlangen und Begehren abzulassen, und deshalb benutzte er jede Gelegenheit, die er ergreifen konnte. Und das trug
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sich eines Tages zu, daß beide in einem Obstgarten saßen, und Tristram hielt Isönd in seinen Armen, und als sie glaubten, dort außer Gefahr zu sein, traf sie das unvorhergesehene Ereignis, daß der König dort gegangen kam und jener böse Zwerg mit ihm, und er glaubte, sie beide in der Sünde zu ertappen. Aber beide schliefen. Als der König sie sah, da sprach er zum Zwerg: „Warte auf mich, während ich ins Kastell gehe, und ich will meine angesehensten Männer hierher bringen, damit sie sehen, in welcher Lage wir die beiden hier angetroffen haben, und ich werde sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen, wenn sie beieinander angetroffen werden!“ Als der König dieses sagte, erwachte Tristram und ließ sich nichts anmerken, stand schnell auf und sprach: „Übel steht es nun, Isönd, meine Geliebte! Wache auf, denn hinterhältige Pläne sind gegen uns gemacht und um uns gesponnen! König Markis ist nun hier gewesen und hat gesehen, was wir getan haben, und er ist nun nach seinen Leuten in die Halle gegangen, und wenn er uns beide hier zusammen findet, dann wird er uns zu kalten Kohlen40 verbrennen lassen. Aber nun, meine schönste Geliebte, will ich mich fortbegeben, aber du brauchst nicht um dein Leben zu fürchten, denn man wird dir keine begründeten Vorwürfe machen können, wenn hier kein anderer ist als du allein. Doch ich will in ein anderes Reich ziehen, und deinetwegen werde ich all meine Tage Kummer und Schmerz tragen. Nun ist mein Leid über unsere Trennung so groß, daß ich niemals in diesem Leben Trost erlangen kann. Süßeste Geliebte! Ich bitte dich, daß du mich niemals vergißt, bin ich auch weit weg. Liebe mich ebenso sehr, wenn ich fern bin, wie du mich geliebt hast, als ich da war! Wisse, ich kann hier nicht länger bleiben, denn die uns hassen, kommen bald. Nun küsse mich zum Abschied, und möge Gott uns behüten und beschützen!“ Isönd zögerte längere Zeit. Als sie die Worte Tristrams vernahm und sein Leid sah, da flossen ihre Tränen, und sie seufzte aus ganzem Herzen und antwortet ihm mit kummervollen Worten: „Mein teuerster Geliebter“, sagte sie, „es steht dir gut an, diesen Tag in Erinnerung zu halten, an dem wir uns so traurig trennen. Über unsere Trennung empfinde ich so große Qual, daß ich niemals zuvor so genau wußte, was Kummer und Schmerz war, Leid und Unruhe! Ich werde keinen Trost finden, weder Frieden noch Freude, und nie in meinem Leben war ich so in Angst wie nun bei unserem Abschied. Davon abgesehen sollst du diesen Ring entgegennehmen, und bewahre ihn wohl um meinetwillen. Er soll Brief und Siegel, Zeugnis und Trost für das Eingedenken an unsere Liebe und an diese Trennung sein!“ Und sie schieden mit großem Kummer und süßen Küssen voneinander.
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Im Altisländischen mehrfach belegter Ausdruck: brenna at köldum kolum – „vollständig zu Asche verbrennen“.
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Kapitel 68 (Gottfried 18359–18685) Nun zieht Tristram seines Weges, doch Isönd blieb weinend und von großem Kummer bedrückt zurück. Auch Tristram ging stark weinend davon und setzte über den Zaun. Dann kam der König und machte ihr Vorwürfe und mit ihm seine Lehnsmänner, und sie fanden da niemand außer ihr, und deswegen konnten sie ihr nichts vorwerfen, und sie hatte nichts Verwerfliches getan, und da gab der König seinen Zorn auf sie auf. Bekümmert ging Tristram zu seiner Herberge und machte sich schnell zur Abreise fertig und alle seine Gefährten. Sie ritten dann hinab zum Strand und besteigen ein Schiff und segeln aus diesem Reich fort und landen danach in der Normandie und blieben dort nicht lange, und Tristram zog von einem Land ins nächste, um nach Abenteuern zu suchen, die er ausführen konnte. Er ertrug viel Elend und Ungemach, ehe ihm Ehre und Ansehen, Ruhm und Behagen zuteil wurden. Danach diente er dem Fürsten und Kaiser von Rom und blieb lange in seinem Reich. Dann begab er sich nach Spanien und von dort nach Bretland zu den Erben Roalds, seines Ziehvaters, und sie nahmen ihn mit großer Freude auf, schätzten und ehrten ihn und gaben ihm ein großes Reich und viele Kastelle direkt in seine Gewalt, liebten ihn mit treuer Zuneigung und halfen ihm in allen Nöten und machten ihn mit fremden Menschen bekannt und begleiteten ihn zu Turnieren und rühmten seine ritterliche Kunst und Tapferkeit.
Kapitel 69 (Gottfried 18686 – Ende; Thomas 53–420) In jenen Tagen herrschte über dieses Reich ein alter Herzog, und seine Nachbarn erzeigten ihm große Feindschaft und harte Angriffe. Sie waren alle sehr mächtig und gewaltig und bedrängten ihn sehr und hatten es auf sein Kastell abgesehen, in dem er residierte. Dieser Herzog hatte drei Söhne, tapfere Männer; der älteste hieß Kardin. Er war ein schöner Mann und von vornehmer Lebensart und Tristrams bester Gefährte, und wegen seiner Tapferkeit übergaben sie ihm ein mächtiges Kastell, damit er von dort aus ihre Feinde vertreiben sollte, und er richtete so viel aus, daß er viele ihrer Männer gefangen nahm und ihnen ihre Kastelle abzwang und ihre Burgen verwüstete, und mit der Unterstützung Kardins setzte er den Krieg so lange fort, daß ihnen nichts anderes übrig blieb, als um Gnade zu bitten und sich zu ergeben. Kardin hatte eine schöne, feingesittete und höfisch gebildete Schwester, verständiger als alle Frauen, die in diesem Reich waren, und Tristram wurde mit ihr bekannt und machte ihr Liebesgaben, und wegen Isönds, über die er Kum-
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mer trug, sprach er mit ihr über die Liebe und sie mit ihm, und er machte da mit schöner Dichtkunst und gewandter Wortstellung viele Liebeslieder, zum Saitenspiel gesungene Weisen aller Art, und in diesen Liedern erwähnte er oft Isönd. Tristram sang seine Lieder vor seinen Rittern und Lehnsmännern in den Hallen und Schlafgemächern, wo ihm viele zuhörten, Isodd und ihre Verwandten, und alle glaubten, die Lieder seien auf sie gedichtet und er liebe keine andere als diese Isodd, und alle ihre Verwandten freuten sich darüber und am allermeisten Kardin und seine Brüder, da er glaubte, daß Tristram Isodd, seine Schwester, liebte und wegen dieser Liebe dort bleiben wollte, denn sie hatten ihn als so guten Ritter kennengelernt, daß sie ihn lieben und ihm dienen wollten, und sie legten all ihr Sinnen und Trachten darauf, seine Freundschaft zu ihrer Schwester zu befestigen, und sie führten ihn in die Wohnung des Mädchens, damit er sich mit ihm vergnüge und sich mit ihm unterhalte, denn aus Scherz und Unterhaltung entsteht liebevolles Verhalten, und oft ändert sich die Gesinnung der Menschen. Und nun ist Tristram in großem Zweifel darüber, welchen Entschluß er fassen soll, und er vermag keine andere Entscheidung zu treffen, als zu versuchen, ob er irgendeine Freude als Gegengewicht zu der Liebe erreichen könne, die er so lange mit Kummer und Unruhe, Harm und Leid gehegt hatte. Deshalb will er versuchen, ob neue Liebe und Freude ihn Isönd vergessen machen könnte, denn er glaubt, sie habe ihn aufgegeben, oder er wollte zu seinem Vorteil und seiner Freude eine Frau nehmen. Damit ihm Isodd nichts vorwerfe, wollte er sie wegen ihres Namens, Ansehens und feinen Auftretens heiraten, und deshalb hält er um Isodd, die Schwester des Herzogs, an, verlobt sich mit ihr und erhält sie nach dem Rat und Willen ihrer Verwandten, und alle Bewohner des Landes waren erfreut.
Kapitel 70 (Thomas 421–700) Nun ist der Zeitpunkt für die Hochzeit festgesetzt, und Tristram kam dann mit seinen Freunden. Der Herzog war mit seinem Gefolge da, einverstanden mit allen ihren Abmachungen, und der Kaplan des Herzogs sang die Messe und weihte ihren Bund nach festgelegtem Brauch. Tristram nahm Jungfrau Isodd zur Frau. Danach, als der Gottesdienst zu Ende war, gingen sie zu Tisch und zu einer reichen Mahlzeit. Als sie satt waren, ging man, sich zu enchantieren, einige zum Turnier, andere Schilde zu zerbrechen, jene mit Speeren zu werfen, diese zu fechten oder sich auf andere Weise zu vergnügen, wie es die Sitte der Gefolgsleute in anderen Ländern bei solchen Festen ist. Doch wie der Tag verging und die Nacht kam, da wurde das Mädchen zu einem prächtigen Bett geleitet, und danach kam Tristram und legte das kostbare Oberkleid ab, in das er gekleidet war, und es steht ihm der Rock gut. Als sie ihm
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den Rock auszogen, blieb sein Ring im Ärmel hängen, derselbe, den ihm Isönd geschenkt hatte, als sie sich zuletzt im Apfelgarten getrennt hatten, wo sie ihn beschwor, seine Liebe zu ihr nicht zu verraten. Als Tristram den Ring erblickte, da fiel er erneut ins Nachdenken, so daß er nicht wußte, wie er sich verhalten sollte, und er überdachte seine Lage gründlich, sodaß er seinen Entschluß bereute, und was er getan hat, widerstreitet ihm nun, sodaß er es ungeschehen machen möchte, und er überlegt nun, was er machen soll. Da sagte er zu sich selbst: „Diese Nacht muß ich hier wie bei meiner Ehefrau schlafen. Ich kann mich nicht von ihr scheiden, da ich sie mir vor den Ohren vieler Zeugen verbunden habe, und doch kann ich nicht mit ihr zusammenleben, außer ich verrate meine Treue und schände meine Menschlichkeit. Nichtsdestoweniger muß kommen, was bestimmt ist.“ Nun ist Tristram ins Bett gekommen, und Isodd umarmt ihn, küßt ihn, er aber schmiegte sich an sie und seufzte aus ganzem Herzen, da er mit ihr schlafen will und es doch nicht vermag. Sein Bewußtsein behindert seine Lust auf Isodd, und er sprach: „Meine schöne Geliebte! Zürne mir nicht. Ich will dir ein Geheimnis sagen, aber ich bitte Euch, daß niemand etwas davon zu wissen bekommt außer dir und mir, denn dies erzähle ich niemandem! Ich habe ein Übel unter meiner rechten Seite, das mich schon lange plagt und dieses Übel hat mich heute Abend wieder bezwungen; wegen der vielen Strapazen und schlaflosen Nächte, die ich durchgemacht habe, da bringt es mir alle meine Glieder durcheinander, und deshalb wage ich es kaum, bei dir zu liegen, und jedes Mal, wenn es mich befällt, macht es mich ohnmächtig, und ich bin lange danach krank. Nun bitte ich, zürne mir dieses Mal nicht, denn wir werden noch reichlich Gelegenheit finden, wenn ich unbeschwerter und williger bin.“ Da antwortet das Mädchen: „Ich habe größere Sorgen um deine Krankheit als um alles andere, was es in der Welt gibt. Was Ihr sagtet, daß ich jenes bei mir behalten soll, so kann ich mich gut enthalten, das weiterzuerzählen, und ich will es auch gerne tun!“ Tristram fehlte nichts anderes als die andere, Königin Isönd.
Kapitel 71 (Thomas 701–832) Als Isönd, die Gemahlin von König Markis, einmal in ihrem Schlafgemach war, da klagte und seufzte sie so sehr um Tristram, den sie mehr als alle Männer liebte, daß sie darüber grübelte, was ihr Begehren stillen und ihren Kummer lindern könnte, und fand, daß dies nur durch die Liebe zu Tristram möglich sei. Aber sie erfuhr nun nichts über ihn, in welchem Land er sein kann und ob er tot oder am Leben ist.
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Nun war da ein dicker Riese41 , groß und hochfahrend, der aus Afrika gekommen war, um gegen Könige und Fürsten zu kämpfen. Er zog durch viele Länder, um sie aufzusuchen, erschlug und entehrte viele und zog von allen Fürsten, die er erschlagen hatte, den Bart mitsamt der Haut ab und verfertigte daraus einen so großen und lang herabhängenden Pelz, daß er ihn auf der Erde nach sich schleifte. Dieser Riese hatte erfahren, daß König Artus in seinem Reich so berühmt war, daß es in jenen Tagen an Heldenmut und Tapferkeit nicht seinesgleichen gab, und er hatte oft gegen Fürsten gekämpft und Sieg und Ehre errungen. Als der Riese von seinem Heldenmut und Mannhaftigkeit erfuhr, schickte er einen seiner Männer mit der Nachricht zu ihm, daß er sich aus den Bärten von Königen, Herzögen, Jarlen und Lehnsmännern einen so lang herabhängenden Pelz verfertigt habe, daß er ihn hinter sich her schleife und daß er durch viele Länder gezogen sei, sie zu finden, und sie besiegt und im Zweikampf und Streit getötet habe, und da Artus an Land und Ehren der mächtigste von allen sei, von denen er gehört habe, da sende er ihm aus lauter Freundschaft die Aufforderung, er solle sich den Bart abziehen lassen und ihn ihm aus Hochachtung zuschicken, und er würde seinen Bart so hoch ehren, daß er ihn am höchsten über alle Königsbärte anbringen wolle, da er der berühmteste sei, von dem er erfahren habe. Als König Artus dies hört, da ergrimmt er durch und durch und ließ dem Riesen die Nachricht überbringen, daß er eher gegen ihn antreten denn wie eine Memme seinen Bart lassen wolle. Als der Riese dies erfuhr, daß der König gegen ihn antreten wolle, da eilte er sofort in großem Zorn an die Grenze des Reiches von König Artus, um gegen ihn zu kämpfen. Der Riese zeigte ihm den Pelz, den er aus den Königsbärten verfertigt hatte. Dann gingen sie mit gewaltigen Hieben und harten Attacken den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abend aufeinander los, und schließlich siegte der König über ihn und nahm ihm Kopf und Pelz ab. So hatte ihn der König tapfer angegriffen und die Reiche der Könige und Jarle von ihm erlöst und ihn für seinen Hochmut und seine Bösartigkeit bestraft. Obwohl dies nun nicht zur Geschichte gehört, will ich es doch mitteilen, denn der Riese, den Tristram getötet hatte, war der Schwestersohn dieses Riesen, der die Bärte einforderte, und Tristram diente damals dem Spanienkönig, und der Spanienkönig wurde sehr ängstlich, als der Riese seinen Bart einforderte, und der König trug dies seinen Freunden und Verwandten und allen Rittern vor, und er fand keinen, der gegen den Riesen zu kämpfen wagte. Aber als Tristram hörte, daß es niemand wagte, die Ehre des Königs zu verteidigen, da nahm er den Zweikampf auf sich, den König zu ehren, und es enstand dann von beiden 41
Eine vergleichbare Episode findet sich auch in den Breta sögur, cap. 37 (die auf Geoffrey of Monmouth’ Historia Bretonum zurückgehen, vgl. Würth) und auch ähnlich in der Örvar-Odds saga (vgl. Isländische Vorzeitsagas I).
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Seiten der härteste Zweikampf, wobei Tristram viele und große Wunden erhielt, so daß alle Angst bekamen, daß er weder Leben noch Gesundheit davontragen möchte. Aber dennoch tötete er den Riesen. Von den Wunden, die er dort empfing, erfuhr Königin Isönd nichts und auch nichts über ihn, denn seine Neider waren davor, und das ist die Art jener, die andere mißgünstig betrachten, daß sie über das Gute schweigen und den Ruhm und die Vorzüglichkeit der Taten derer verbergen, die besser ausgerüstet sind als sie, und den Schuldlosen Schuld zuweisen und ihre eigenen Fehler durch Schmähungen anderer verdecken. Deshalb sagte ein verständiger Mann und lehrte seinen Sohn: „Besser ist es allein ohne Gefährten zu hausen als mit solchen, die einen beneiden.“ Aber Tristram hat dort, wo er jetzt ist, genügend Gefährten, die ihm dienen und ihn ehren. Aber seine Gefährten, die am Hof von König Markis waren, sind eher seine Feinde als seine Freunde, sie schmähten und verleumdeten ihn, und das Gute, was sie über ihn hörten, behielten sie für sich wegen der Königin, da sie wußten, daß sie ihn liebte.
Kapitel 72 (Thomas 833–940) Eines Tages saß die Königin in ihrem Gemach und machte eine Weise zum Saitenspiel über unglückliche Liebe. In dem Augenblick kam Mariadokk zu ihr, ein reicher Mann, Jarl über große Kastelle und mächtige Burgen in England, und er war an den Hof von König Markis gekommen, um der Königin Gunst zu erbitten, ihr zu dienen. Aber Isönd antwortet ihm, daß er durch solche Worte seine Torheit beweise und einem trügerischen Schein aufsitze, und er hatte schon oft um die Liebe der Königin gebeten und niemals eine solche Kleinigkeit bekommen können, daß sie auch nur eines Handschuhs wert gewesen wäre, denn sie band ihn in keiner Weise an sich, weder durch Versprechen noch Schmeicheleien. Aber er hielt sich lange am Hof des Königs auf, um zu versuchen, ob er das Gemüt der Königin nicht doch erweichen könne, seiner Liebe nachzugeben. Er war ein schöner Ritter, aber andererseits auch grimmig und hochmütig. Er war nicht wegen seiner Tapferkeit berühmt, sondern weithin bekannt als Weiberheld, er verhöhnte und verspottete die anderen Ritter. Als er einmal daherkam, sprach er zur Königin: „Herrin!“, sagte er, „wenn die Menschen eine Eule rufen hören, dann soll man an seinen Tod denken, denn der Eulenruf bezeichnet den Tod, und da mir dies nun ein Lied von Klage und Kummer zu sein scheint, müssen wohl einige ihr Leben gelassen haben.“ „Ja“, sagte Isönd, „Du hast recht, gewiß will ich, daß diese Weise den Tod bezeichne. Die ist in Wahrheit die böse Eule, die einen anderen mit eigenem Kummer quälen will. Aber dir steht es gut an, deinen Tod zu fürchten, da du durch mein Singen erschrickst. Die Eule flieht immer vor schlechtem Wetter, aber du kommst immer mit schlechten Nachrichten. Du bist in Wahrheit eine
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umherfliegende Eule, die immer böse Botschaften bringen und Spott und Hohn äußern will. Ich weiß genau, daß du nicht hierher gekommen wärest, wenn du mir frohe Botschaften zu sagen hättest!“ Mariadokk sagte: „Zornig bist du jetzt, Königin! Aber ich weiß nicht, wie töricht der sein muß, der sich vor deinen Worten fürchtet. Ich mag eine Eule sein, aber dann bist du die Magd. Wie es auch nun um meinen Tod bestellt sein mag, so bringe ich dir eine traurige Nachricht: du hast nun Tristram, deinen Geliebten, verloren; er hat sich in einem anderen Land eine Frau genommen, und nun magst du dich darum bemühen, dir einen Geliebten zu finden, denn er hat dich betrogen und deine Liebe verraten und sich mit einer schöneren Frau von hohem Ansehen, der Tochter des Herzogs von Bretland, vermählt!“ Da sagte Isönd: „Mit Spott und Hohn bist du immer Wolf und Eule gewesen und hast Übles über Tristram gesagt. Gott möge es mir niemals gut gehen lassen, wenn ich deinem Begehren und Gefasel nachgebe. Auch wenn du mir Übles über Tristram erzählst, werde ich dich niemals lieben noch dein Freund sein, solange ich lebe, und lieber will ich mich selber töten als mich deiner Liebe zu unterwerfen.“ Und sie wurde recht erzürnt über diese Nachricht. Als Mariadokk dies bemerkte, wollte er sie nicht länger quälen und ging gänzlich verstörten Sinnes fort, daß die Königin ihm eine so schändliche Antwort hatte geben wollen. Wie nun die Königin sich in dieser bekümmerten, gekränkten und zornigen Stimmung befand, da erkundigte sie sich, was in Bezug auf Tristram wahr war, und als sie die Wahrheit erfuhr, da wurde sie von großem Kummer und kummervollem Leid betrübt, und ihr ganzes Gemüt war voll Schmerz und Sorgen, wobei sie mit diesen Worten jammerte: „Niemand kann mehr einem Manne trauen! Niemals mehr soll man an die Liebe eines anderen glauben! Jetzt ist er zu einem neuen Betrüger geworden, da er eine Frau in einem anderen Land geheiratet hat!“ So gab sie ihrem Kummer über ihre Trennung Ausdruck.
Kapitel 73 Tristram sitzt nun in seinem Kummer, tat aber heiter und vergnügt und ließ sich niemals anmerken, daß ihm etwas zu Leid oder Kummer wäre, und er verbarg seinen Kummer dadurch, daß er und der Herzog selbst und alle seine so reichen Freunde zu ihrer Unterhaltung auf die Jagd gingen. Bei ihnen waren auch Kardin, der Sohn des Herzogs, und zwei andere außergewöhnlich schöne Söhne von ihm. Dort waren auch seine mächtigsten Lehnsmänner, und sie hatten den Hunden und Jägern zu folgen, ritten aber einen anderen Waldweg hinab zum Meer und sahen sich dort um, was an der Grenze ihrer Länder vorgefallen war, denn dort war die Landesgrenze, und dort hatten sie oft harte Kämpfe und harte Gefechte ausgetragen.
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An dieser Landesgrenze wohnte ein Riese, unglaublich groß und äußerst tapfer; der hieß Moldagóg, er war verständig und verschlagen. Und als sie in das Grenzgebiet gekommen waren, da sprach der Herzog: „Tristram“, sagte er, „mein bester Freund! Hier ist nun die Grenze unseres Reiches, und unser Reich erstreckt sich nicht weiter in diesen Wald hinein. Die andere Seite gehört einem Riesen, und er haust in einem Felsen, und ich will dir kundtun, daß dieser Riese mir viel Unfrieden bereitet hat, so daß er mich aus meinem Reich vertrieb. Aber dann schlossen wir Frieden miteinander unter der Bedingung und mit der Abmachung, daß er nicht hierher in mein Reich kommen soll und ich nicht ohne Not über den Fluß in sein Reich. Nun will ich diese Abmachung einhalten, solange ich kann, denn wenn ich von dieser Vereinbarung abweiche, dann hat er die Macht, in unserem Reich zu rauben und zu brennen und alles Üble zu tun, was er kann, und wenn er meine Männer in seinem Reich antrifft, dann hat er die Macht, sie zu töten. Diese Abmachung haben alle meine mächtigsten Männer beschworen. Aber wenn Tiere und unsere Hunde dorthin laufen, dann sollen wir sie auslösen, sodaß niemand sie zurückholen oder einen bei sich festhalten darf. Ich verbiete auch dir, Tristram, den Fluß zu überqueren, denn sofort wirst du verletzt, geschändet und getötet!“ Tristram sagte: „Bei Gott, Herr“, sagte er, „ich habe kein Verlangen, mich dorthin zu begeben. Ich weiß nicht, was ich dort sollte. Meinetwegen mag er das mein ganzes Leben lang in Frieden haben, ich will keinen Streit mit ihm, mir fehlt es nicht an Wald, solange ich lebe!“ Trotzdem sah er fernhin in den Wald, und er sah, daß er die schönsten Bäume enthielt, hoch und gerade und dick und von jeglicher Art, die er gesehen oder erwähnen gehört hatte. An diesen Wald grenzte an der einen Seite das Meer, von der anderen Seite konnte man nur über den Fluß in ihn gelangen, der mit gewaltiger Strömung dahinstürzt, über den sie eine Abmachung getroffen hatten, der Herzog und der Riese, daß niemand den Fluß überqueren sollte. Und dann kehrte der Herzog um und nahm Tristram an der Hand, und sie ritten zusammen, denn er war dem Herzog außerordentlich teuer, und danach kamen sie ins Kastell zurück und wuschen sich und setzten sich zu Tisch, und dann kamen die Jäger mit reichlicher Jagdbeute zurück.
Kapitel 74 Kardin und Tristram waren die besten Gefährten. Sie führten viel Krieg und lieferten ihren Feinden, die in ihrem Reich waren, harte Kämpfe und nahmen ihnen große Burgen und starke Kastelle weg, denn sie waren die wackersten Ritter, deren gleichen es nicht gab, und es unterwarfen sich ihnen mächtige Fürsten, Lehnsmänner und Ritter, und sie hatten große Macht in ihrem Reich
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und eroberten Namtersburg42 und besetzten, tüchtige Ritter, die sie waren, alle Kastelle dort in der Gegend, sodaß die mächtigsten Männer mit ihnen Verträge schlossen und ihnen Eide schworen und ihnen Geiseln und Treuepfänder für einen sicheren Frieden übergaben. Aber währenddessen war Tristram in großer Sorge und Unruhe wegen seiner Liebe zu Isönd, und mit aller Scharfsicht überlegte er nun dies eine Unternehmen, das er durchführen will und zu dem er genügend Zeit zu haben glaubt, denn Herz und Hirn waren vollständig von seiner Liebe zu Isönd erfüllt und von all dem, was er ihr zu Ehren zu tun vermochte.
Kapitel 75 Eines Tages wappnete sich Tristram und sagte, er wolle auf die Jagd in den Wald gehen, und er schickte seine Gefährten zusammen mit den Jägern fort. Er verbarg sein Pferd in einem Tal und nahm dann sein Horn, stieg auf seinen Zelter und ritt, so schnell er konnte, dorthin, wo sein Kriegspferd war und seine Waffen, und als er sich gerüstet hatte, so gut er nur konnte, stieg er auf sein Kriegspferd und ritt eiligst allein einher und kam dann zu der Furt, die die Grenze zwischen dem Reich des Herzogs und dem Land des Riesen bildete, und da sah er, daß die Furt gefährlich war und der Fluß mit gewaltiger Strömung floß und sehr tief war, und es waren hohe Ufer auf beiden Seiten, und er traf dann eine harte Entscheidung, ob er nun mit dem Leben davonkäme oder nicht. Er trieb sein Pferd mit den Sporen an und sprengte mit ihm in den Fluß, aber das Wasser schlug über ihnen beiden zusammen, und er schlug so hart auf, daß er nicht glaubte, jemals mit dem Leben davonzukommen. Aber er versuchte es, so gut er konnte, und als er schließlich auf der anderen Seite des Flusses hochgekommen war, stieg er von seinem Pferd und ruhte sich eine Weile aus und nahm den Sattel ab und schüttelte das Wasser von ihm und von sich selbst ab, und als er gut ausgeruht war, stieg er auf sein Pferd und ritt in den Wald und setzte das Horn an den Mund und blies, wie er nur konnte, und so lange, daß er Riese das Horn hörte. Der wunderte sich, was das sein könnte, und als er es hörte, eilte er sofort hinzu und hatte einen großen Stab aus härtestem Christdorn in der Hand. Als er Tristram gewappnet auf dem Pferd sah, fragte er in großem Zorn: „Herr Tölpel!“, sagte er, „was bist du für ein Kerl, daß du hier gewappnet auf dem Pferd sitzt? Von woher bist du und wohin willst du und was hast du in meinem Wald zu suchen?“ Da antwortet Tristram: „Ich heiße Tristram und ich bin der Schwager des Herzogs von Bretland. Ich sah diesen schönen Wald und fand, daß er gut verborgen und wohl für ein Haus geeignet ist, das ich errichten lassen will, denn 42
Nantes.
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ich sehe hier die schönsten Bäume aller Art, und ich will die größten Bäume, achtundvierzig an der Zahl, im kommenden halben Monat fällen lassen.“
Kapitel 76 Als der Riese seine Worte hörte und verstand, da wurde er zornig und antwortete: „Gott schütze mich“, sagte er, „wäre es nicht wegen der Freundschaft zum Herzog, ich erschlüge dich mit diesem Stab, denn du bist toll vor Hochmut; verschwinde schnellstens aus diesem Wald, und du kannst froh sein, daß ich dich so abziehen lasse.“ Da sagte Tristram: „Pfui über den, der an Deiner Nachsicht Freude findet! Ich will hier so viele Bäume fällen, wie es mir gefällt, und derjenige, der den Sieg über den anderen davonträgt, soll verfügen!“ Da sagte der Riese mit großem Zorn: „Du bist ein törichter Tölpel und von Hochmut aufgeschwollen! So leicht wirst du nicht davonkommen. Du sollst mir deinen Kopf als Pfand geben. Du glaubst, ich sei der Riese Urgan, den du getötet hast; nein, das ist nicht so. Er war mein Vaterbruder, aber auch der ist ein Verwandter von mir, den du in Spanien getötet hast. Doch nun bist du nach Bretland gekommen, mich meines Waldes zu berauben, aber zuvor sollst du mit mir kämpfen. Wenn du nicht viel aushältst, dann wird dein Schild dich schützen, wenn ich dich treffe!“ und er erhob seinen Stab und schleuderte ihn mit großer Kraft und Zorn auf ihn, aber Tristram wich aus und stürzte auf ihn zu, ihn niederzuhauen, aber der Riese bemühte sich, zu seinem Stab zu gelangen, und es kam zu einem großen Gerangel zwischen ihnen, und Tristram sprang vorwärts zwischen Riese und Stab und wollte ihn ins Haupt hauen, aber als der Riese dem Hieb auswich, traf ihn das Schwert mit solcher Wucht am Schenkel, daß das Bein weit weg von ihm flog, und sofort wollte er ihm einen zweiten Hieb in das Haupt versetzen. Aber da rief der Riese mit lauter Stimme: „Herr“, sagte er, „schone mein Leben! Ich will dir treu und ergeben und dienstbar sein und alle meine Säcke mit Schätzen will ich dir geben, mein ganzes Land und das Gold, das ich besitze, soll dir zu Gebot und Verfügung stehen. Ich will nichts davon haben, als nur mein Leben, und bring mich, wohin du willst und es dir beliebt, und mach’ mit mir, was du willst!“ Als Tristram sah, daß er um Gnade bat, nahm er seine Unterwerfung, seine Zusagen und Versprechungen und sicheren Handschlag an, und Tristram verfertigte ihm ein Holzbein und band es ihm unter das Knie, und er sollte ihm nun folgen.
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Kapitel 77 Der Riese zeigte Tristram seinen Schatz, und er machte sich sehr wenig daraus, denn sein Sinn stand ihm in jener Zeit nicht nach Schatzerwerb, und er sprach da zum Riesen, daß er von seinem Schatz nicht mehr haben wolle, als er bedürfe. Da der Riese sich durch Eid verpflichtet hatte, da ließ Tristram ihn seinen Schatz behalten und ihn in seinem Kastell aufbewahren, und sie trafen eine neue Vereinbarung, daß der Riese alles tun soll, worum Tristram ihn bittet, und sie wurden darüber einig, und es solle Tristram über den Wald verfügen und daraus machen lassen, was er will, und er versprach ihm, daß er niemandem davon erzählen werde, und der Riese ging mit ihm zum Fluß und sagt ihm, an welcher Stelle er hinüberreiten solle, und nahm dann Abschied von ihm, und Tristram ging dann seines Weges und tat so, als wisse er nicht, was los sei, und ritt durch die Furt bei dem Berg und gelangte so auf die andere Seite, daß Kardin ihn nicht bemerkte, und er ritt eiligst zum Gefolge und erzählt, daß er den ganzen Tag im Wald umhergeirrt sei und einen großen Wildeber gejagt habe, ihn aber doch nicht habe erlegen können, und er habe nun große Schmerzen im Gebein, da er den Tag über nicht zum Ausruhen gekommen sei, und er sagt, er bedürfe dringend der Ruhe. Als er satt war, legte er sich zu seiner Frau schlafen, und es kam ihm da manches in den Sinn, und er lag wach da, und es wunderte Isodd sehr, was mit ihm los sei oder weshalb er so aus ganzem Herzen seufze, und sie fragt ihn, ob er krank sei, da er nicht schlafen kann. Sie bat ihn lange mit süßen und schönen Worten, daß er es ihr sagen solle. Tristram sagte: „Dieses Übel hat auf mir gelegen, seit ich heute Morgen in den Wald ritt, und dort traf ich auf einen mächtigen Wildeber, und ich brachte ihm mit meinem Schwert zwei Wunden bei, und dennoch entkam er, und das betrübt mich sehr, und ich bin immer noch zornig und verdrießlich. Ich ritt ihm nach, und er wollte nicht stehenbleiben, und als ich getan hatte, was ich tun konnte, da veschwand er am Abend vor mir in den Wald. Nun bitte ich dich, süße Geliebte, daß du niemandem davon erzählst, damit mich keiner der Gefährten oder aus dem Gefolge schmäht oder höhnt. Mir ist das ein großes Ärgernis, und sobald es Tag wird, will ich in den Wald reiten und den ganzen Wald durchsuchen. Ich weiß bei meiner Tapferkeit, daß ich nicht eher aufgebe, bevor ich ihn erlegt habe.“ „Weiß Gott, Liebster“, sagte sie, „ich werde dies wohl bei mir bewahren. Hüte du dich vor den anderen!“ und für dieses Mal sprachen sie nicht mehr darüber.
Kapitel 78 Nun erhob sich Tristram, sobald es tagte, und ritt heimlich alleine davon und gelangte gut über den Fluß und dann zum Kastell des Riesen, und der hielt ihre
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Verabredung ein und verschaffte ihm Schmiedegeräte und alle Werkzeuge und machte alles so, wie Tristram es angeordnet hatte. Dort, wo der Wald am dichtesten war, befand sich ein kreisrunder und innen vollständig gewölbter Felsen, ausgehauen und mit der größten Geschicklichkeit hergerichtet, und es stand ein Steinbogen mitten unter dem Gewölbe, geziert mit Blättern, Vögeln und Tieren, und unter den beiden Enden des Bogens waren so fremde Schnitzereien, daß niemand, der damals lebte, derartiges machen konnte. Das Gewölbe war rundherum so gewölbt, daß man nirgend hinein oder aus dem Hause herausgelangen konnte, außer wenn die See zu fallen begann, dann konnte man trockenen Fußes dorthin gelangen. Ein Riese war aus Afrika gekommen, dieses Gewölbe zu bauen, und er hauste dort lange und überfiel die, die in Bretland waren. Er verheerte fast alles bewohnte Land bis hinauf zum Michaelisberg43 , der am Meeresstrand steht. Aber als Artus mit seinem Heer nach Rom gegen Kaiser Iron zog, der zu Unrecht Tribut an England erhob, und da, als König Artus in der Normandie landete, da erfuhr er, wie es sich mit dem Riesen verhielt und daß er den Menschen viel Schaden anrichtete, da er fast das ganze Land verheert hatte, sodaß der König noch nie derartig Seltsames gehört hatte. Er hatte auch die Tochter des Herzogs Orsl geraubt und sie mit Gewalt hinweggeführt und mit sich fortgeschleppt, und sie hieß Elena. Er hielt sie bei sich in der Höhle. Da sie eine außerordentlich schöne Frau war, da gierte er nach der Lust ihres Leibes. Aber da er nicht erreichen konnte, was er wollte, wegen seiner Größe und seines Gewichts, da erstickte sie unter ihm und zerbarst. Danach kam Herzog Orsl zu König Artus und klagte vor ihm über seinen Verlust und seine Unannehmlichkeiten; aber der König war voll guten Willens, und er beklagte seinen Schaden und sein Unglück. Und als es Abend wurde, da wappnete sich der König heimlich und hatte zwei seiner Ritter bei sich, und sie machten sich auf, den Riesen zu suchen, und fanden ihn schließlich, doch der König kämpfte allein gegen den Riesen, und der König hatte einen äußerst harten Kampf mit schweren Hieben zu bestehen, bevor er endlich den Riesen fällen konnte. Aber was den Riesen angeht, den der König tötete, da gehört er nicht in diese Geschichte, außer insofern, daß er dieses schöne Gewölbehaus gemacht hatte, das Tristram so sehr behagte, wie er es sich nur hätte wünschen können.
Kapitel 79 Tristram nutzte nun seine angesehene Stellung, um das Gewölbe mit großer Geschicklichkeit und allerart Schnitzereien zu verzieren, und er tat dies so listig im Geheimen, daß niemand wußte, wo er war oder womit er sich beschäftigte. 43
Mont St. Michel.
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Er kam immer frühzeitig dorthin und spät zurück, und er verwendet viel Arbeit und Nachdenken darauf, das zu vollenden, was er vorhatte, und er ließ das Gewölbehaus innen ganz mit dem besten Holz verkleiden, so dicht es nur ging, er ließ alle Schnitzereien mit großer Geschicklichkeit bemalen und vergolden, aber draußen vor der Tür ließ er eine außerordentlich schöne Halle aus gutem Holz errichten, an dem es nicht fehlte. Um die Halle herum ließ er einen sicheren Zaun bauen. In dieser Halle schmiedeten seine Goldschmiede, und sie war überall goldverziert und von innen ebenso hell wie von außen. Da gab es Künstler jeder Art, aber keiner von denen, die da waren, kannten alle Absichten Tristrams, warum er das Haus herrichten ließ, wofür so vielerlei Handwerker fleißig sind. Tristram hielt seinen Plan so geheim, daß keiner von ihnen wußte, was er beabsichtigte oder wollte, außer was er dem Riesen zeigte, der ihm Gold und Silber verschaffte.
Kapitel 80 Nun läßt Tristram die handwerklichen Arbeiten beschleunigen, so gut es geht, und es gefällt ihm dort unterhalb des Berges gut. Es arbeiten die Zimmerleute und Goldschmiede, und alles war nun verteilt und zur Zusammenfügung fertig. Tristram gestattete da den Handwerkern heimzukehren, und er begleitete sie, bis sie die Insel verlassen hatten und zurück in ihre Heimat zogen. Nun hat Tristram keinen Gefährten bei sich außer dem Riesen, und sie trugen nun alle handwerklichen Arbeitenherbei und setzten das Gewölbehaus zusammen, so wie das Material vorher von den Handwerkern hergerichtet worden war, über und über bemalt und vergoldet mit der größten Geschicklichkeit, und man konnte da deutlich vollendete Handwerkskunst sehen, wie man es sich nicht besser wünschen könnte. Unter der Gewölbemitte errichteten sie eine Figur, die Gestalt des Körpers und das Gesicht waren so geschickt gefertigt, daß keiner, der dies sah, etwas anderes glauben konnte, als daß sie in allen Gliedern lebendig wäre, und so schön und gut gemacht, daß man in der ganzen Welt keine schönere Gestalt finden konnte, und aus dem Mund strömte ein so guter Duft, daß das ganze Haus davon erfüllt wurde, als ob die teuersten Kräuter jeder Art dort drinnen seien. Aber dieser gute Duft kam durch den Kunstgriff aus der Figur, daß Tristram unterhalb der Brustwarze in der Gegend des Herzens ein Loch an der Brust angebracht und dort eine Büchse voll der süßesten, goldvermischten Kräuter, die es in der ganzen Welt gab, hineingesetzt hatte. Aus dieser Büchse ragten zwei Röhrchen aus gebranntem Gold, und das eine ließ den Duft vom Nacken heraus, am Haaransatz, das andere führte zum Mund. Diese Figur war in Gestalt, Schönheit und Größe der Königin Isönd so ähnlich, als stünde sie selbst dort und so leibhaft, als wäre sie lebendig. Diese Figur war so geschickt gefertigt und so würdevoll gewandet, wie es der würdigsten Königin wohl anstand. Auf dem Haupt hatte sie eine Krone aus gebranntem Gold, mit
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aller denkbaren Geschicklichkeit gemacht und mit teuersten Edelsteinen und allen Farben besetzt. Aber auf dem Blatt, das vorne an der Stirn angebracht war, befand sich ein so großer Smaragd, daß kein König und keine Königin jemals einen ebenso guten getragen hat. In der rechten Hand der Figur befand sich ein Stab oder Szepter, am oberen Ende mit kunstvollst gemachten Blumen gefertigt, der Griff des Stabes war ganz mit Gold überzogen und mit Ringsteinen besetzt. Die Goldblätter waren von bestem arabischen Gold. Auf der Verzierung oben am Stab war ein Vogel mit Federn in allen Farben geschnitzt und mit flatternden Flügeln gefertigt, als wäre er munter und lebendig. Diese Figur war in den besten Purpur mit weißem Pelzbesatz gekleidet, aber deshalb war sie in Purpurpelz gekleidet, weil der Purpur Kummer, Trauer, Mühsal und Elend bezeichnet, die Isönd wegen ihrer Liebe zu Tristram erduldete. In der rechten Hand hielt sie ihren Ring, und darauf waren die Worte geschrieben, die Königin Isönd bei ihrem Abschied gesprochen hatte: „Tristram“, hatte sie gesagt, „nimm diesen Ring zur Erinnerung an unsere Liebe und vergiß nicht unseren Kummer, Mühsal und Elend, die du um meinet- und deinetwillen erduldet hast!“ Unter ihren Füßen befand sich ein aus Kupfer gegossenes Fußgestell in der Gestalt jenes bösen Zwerges, der sie vor dem König verleumdet und geschmäht hatte. Die Figur stand auf seiner Brust, ganz so, als träte sie ihn unter ihre Füße und er auf dem Rücken unter ihren Füßen läge, ganz so, als weinte er. Neben der Figur lag ein kleines Spielwerk aus gebranntem Gold, ihr Hund, der den Kopf schüttelte und mit seiner Schelle klingelte, gefertigt mit großer Geschicklichkeit; aber auf der anderen Seite des Zwerges stand eine kleine Figur, nach Bringvet, der Zofe der Königin gebildet. Sie war entsprechend ihrer Schönheit wohl geschaffen und mit den besten Kleidern geschmückt und hielt ein Gefäß mit Deckel in der Hand, das sie Königin Isönd mit freundlicher Miene darbot. Um das Gefäß herum waren die Worte eingeschrieben, die sie gesprochen hatte: „Königin Isönd, nimm diesen Trank, der in Irland für König Markis gemacht wurde“! Auf der anderen Seite des Gemaches, dort, wo man hineingeht, hatte er eine große Figur in Gestalt des Riesen verfertigt so, als stünde er selbst einbeinig da und schwinge seinen Eisenstab mit beiden Händen über die Schulter, um die andere Figur zu beschützen. Er war in ein großes und zotteliges Bocksfell gekleidet, und der Rock reichte ihm nicht weit herab und er war nackt vom Nabel abwärts und er knirschte mit den Zähnen, blickte grimmig aus den Augen, als wolle er alle erschlagen, die hereinkamen. Auf der anderen Seite der Tür stand ein großer Löwe, aus Kupfer gegossen und so geschickt gefertigt, daß keiner, der ihnsah, glaubte, er sei nicht lebendig. Er stand auf vier Füßen und schlug seinen Schwanz um eine Figur, die nach jenem Ratgeber gemacht war, der Tristram vor König Markis verleumdet und geschmäht hatte. Niemand kann die Kunstfertigkeit schildern noch erzählen, die sich an den Figuren fand, die Tristram dort im Gewölbe machen ließ, und nun hat er all das vollendet, was er dieses Mal machen will, und gibt es in die
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Obhut des Riesen und gebot ihm als seinem Sklaven und Diener, hierauf gut aufzupassen, daß kein Wesen dort in die Nähe käme. Er selbst trug den Schlüssel zum Gewölbehaus und zu den Figuren bei sich. Aber der Riese behält seinen ganzen übrigen Schatz für sich, und es gefiel Tristram gut, daß er dies auf den Weg gebracht hatte.
Kapitel 81 (Thomas 941–1134) Als Tristram sein Werk beendet hatte, ritt er zu seinem Kastell zurück, wie er es gewohnt war, ißt und trinkt und schläft bei Isodd, seiner Frau, und war herzlich zu seinen Gefährten, aber es stand ihm nicht der Sinn nach leiblicher Lust auf seine Frau, doch hielt er dies geheim, so daß niemand seinen Plan noch sein Verhalten herausfinden konnte, denn alle glaubten, daß er ehelich mit ihr zusammenlebte, wie es sich gehörte, aber Isodd war auch so gesinnt, daß sie es so konsequent vor jedermann geheim hielt, daß sie es weder ihren Verwandten noch Freunden offenbarte. Aber als er fort war und diese Figuren machte, da erschien es ihr sehr seltsam, wo er war und was er tat. Er ritt nach Hause und von zu Hause weg auf einem heimlichen Pfad, so daß ihn niemand gewahr wurde, und kam dann zum Gewölbehaus, und jedesmal, wenn er zur Figur Isönds kam, küßte er sie regelmäßig und umarmte sie und legte seine Hände um ihren Hals, als wäre sie lebendig, und sprach zu ihr mit vielen liebevollen Worten über ihre Liebe und ihren Kummer. Ebenso machte er es mit der Figur der Bringvet und erinnerte sich an all die Worte, die er gewohnt war, zu ihnen zu sprechen. Er erinnerte sich auch all des Trostes, der Lust, der Freude und Wonne, die er bei Isönd genossen hatte, und jedesmal, wenn er an ihre gegenseitigen Tröstungen dachte, küßte er die Figur. Er war traurig und zornig, wenn er an ihren Kummer, ihr Elend und ihre Mühsal dachte, die er wegen denen erduldete, die sie verleumdet hatten, und das ließ er die Figur des bösen Ratgebers spüren.
Kapitel 82 (Thomas 1135–1196) Nun, als Tristram in sein Kastell zurückgekehrt war, da trug sich dort in dem Lande zu, daß Herr Tristram mit seinen Gefährten und Kardin zu einer heiligen Stätte ziehen wollte, um dort zu beten, und Tristram gestattete es Isodd, seiner Frau, mitzuziehen. Nun ritt Kardin ihr zur rechten Seite und hielt ihr den Zaum, und sie unterhielten sich mit allerlei Freude und Fröhlichkeit, und als sie die Zügel der Pferde locker ließen, da liefen sie, wohin sie wollten, und die Pferde trennten sich.
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Isodd ergriff da ihren Zaum und trieb ihr Pferd mit den Sporen an. Als sie den Fuß von der Seite des Pferdes hob, da öffneten sich ihre Schenkel, aber das Pferd glitt in einem Wasser aus, dabei spritzt Wasser hinauf ihr zwischen die Schenkel, und sie schrie auf und lachte, so laut sie nur konnte, und sagte dennoch nichts, und so lange lachte sie, daß sie fast eine halbe Viertelmeile lachend einherritt und dabei kaum auf sich selbst achtgab. Als Kardin sie in dieser Weise lachen sah, da glaubte er, daß sie über ihn lache und daß sie etwas Törichtes oder Boshaftes über ihn erfahren habe, denn er war der beste Ritter, freigebig und höfisch, beliebt und von vornehmer Lebensart, und deshalb fürchtete er, daß seine Schwester über irgendeine Torheit von ihm lachen würde. Ihr Lachen dünkte ihn schmachvoll, und er begann sie da zu fragen: „Was hat das zu bedeuten“, sagte er, „daß du vorhin aus vollem Herzen gelacht hast? Ich weiß nicht, ob du selbst oder ich dich lachen machte. Wenn du mir nicht die Wahrheit sagst, dann sollst du wissen, daß ich dir von nun an kein Vertrauen mehr schenken werde. Du kannst mich anlügen, wenn du willst, aber wenn ich die Wahrheit nicht erfahre, dann werde ich dich nicht mehr als Schwester lieben!“ Isodd begriff, was er sagte, und sie weiß, wenn sie es ihm verhehlt, daß sie Haß und Feindschaft von ihm zu gewärtigen hat, und sie sprach da: „Bruder“, sagte sie, „ich lachte über meine Torheit und meine Gedanken und einen sonderbaren Zufall, der mir geschah, daß mein Pferd stürmisch ins Wasser lief, aber ich hatte nicht aufgepaßt, und das Wasser spritzte mir zwischen die Beine, höher als jemals eines Mannes Hand gelangte, und niemals hat Tristram darum gebeten, daß seine Hand dorthin gelangen dürfe. Nun habe ich Euch gesagt, was mich lachen machte!“ Kardin antwortet mit raschen Worten: „Isodd“, sagte er, „was sagst du da? Schlaft ihr, Tristram und du, nicht zusammen in einem Bett wie ein getrautes Ehepaar. Lebt er wie ein Mönch und du wie eine Nonne? Unhöfisch benimmt er sich gegenüber dir, wenn seine Hand dir nackt im Bette niemals nahekommt, außer wenn er das Liebesspiel mit dir treibt!“ Isodd sprach: „Niemals trieb er das Liebesspiel mit mir, außer daß er mich küßt, und auch das selten, außer wenn wir zu Bett gehen. Ich habe niemals vom Umgang mit einem Mann mehr erfahren als das Mädchen, das das reinste Leben gelebt hat.“ Da sprach der Herzog: „Ich glaube, eine andere Wollust gefällt ihm mehr als deine Jungfräulichkeit, so daß er sich nach einer anderen sehnt. Hätte ich das gewußt, wäre er niemals in dein Bett gelangt!“ Da sagte Isodd: „Niemand soll ihm deswegen Vorwürfe machen. Ich vermute“, sagte sie, „er hat einen anderen Grund, und da er nun so lebt, will ich nicht, daß Ihr ihn deswegen tadelt!“
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Kapitel 83 Als der Herzog dies erfahren hatte, daß seine Schwester noch Jungfrau war, da wurde er sehr bekümmert und dachte darüber nach, und er meinte, dies würde für ihn und seine ganze Familie eine Schande sein, daß Tristram keinen Erben aus ihrem Geschlecht haben wollte. Er ritt da in seiner Traurigkeit weiter und sprach für dieses Mal nicht mehr darüber wegen denen, die ihnen folgten, und dann kommen sie zu der heiligen Stätte, um dort zu beten. Als sie dies so getan hatten, wie es ihnen gut schien, da kehrten sie zu ihren Pferden zurück und ritten miteinander scherzend nach Hause. Kardin war gegenüber Tristram, seinem Gefährten, in übler Stimmung, und doch wollte er mit ihm nicht darüber reden, und Tristram wunderte sich, was der Grund dafür sei, daß er ihm gegenüber so große Traurigkeit zeige, und er hat doch alles mit ihm vorher und nachher besprochen, und da bekümmerte sich Tristram tief in seinem Gemüt und überlegte, wie er darüber Gewißheit erlangen könnte und was er ihm vorwerfe. Und eines Tages sprach Tristram zu ihm: „Freund“, sagte er, „was ist los? Habe ich Euch irgendeine Ungerechtigkeit getan? Ich merke Euren großen Zorn auf mich, und sagt mir offen, was wahr ist, sodaß beseitigt werde, was ungerecht ist. Ich sehe nun, daß Ihr mich in meiner Abwesenheit und in meiner Anwesenheit tadelt. Aber es ist weder ein Zeichen von Mut noch Mannhaftigkeit, mich ohne mein Zutun zu hassen und zu schmähen.“ Aber der zornige Kardin antwortet ihm höflich: „Das sage ich dir“, sagte er, „wenn ich dich hasse, dann steht es niemandem zu, mich und meine Verwandten und Freunde zu tadeln, da alle deine Feinde werden sollen, außer du willst dafür Genugtuung gewähren, denn das gereicht uns zur Schande am Hof wie außerhalb, diese schmähliche Sünde, die du mir angetan hast, indem du die Jungfräulichkeit meiner Schwester verschmähst, und das geht alle an, die ihre Verwandten und Freunde sind, denn sie ist so höfisch, daß es keinem vornehmen und wohlgeborenen Mann ansteht, sie zu verschmähen. Deshalb wäre es weder Schande noch Schmach für dich, liebtest du sie wie deine rechte Frau und lebtest ehelich mit ihr. Aber nun wissen wir alle, daß du keinen rechtmäßigen Erben aus unserem Geschlecht haben willst, und wenn unsere Freundschaft nicht so sicher und gefestigt wäre, dann würdest du diese Schmach teuer erkaufen müssen, die du meiner liebsten Verwandten angetan hast. In meinem ganzen Reich hat sie nicht ihresgleichen an Schönheit und Höfischkeit und allerhand Eigenschaften, die einer Frau wohl anstehen. Warum wurdest du so kühn, daß du es wagtest, sie zu heiraten, wo du doch mit ihr nicht ehelich zusammenleben wolltest, wie der Mann mit seiner Frau soll?“
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Kapitel 84 Als Tristram gehört hatte, daß er ihm Vorwürfe machte, da antwortet er ihm mit zornigen und harten Worten: „Ich habe nichts getan, was zu tun mir nicht geziemt. Du sprichst viel von ihrer Schönheit und ihrem gesittetem Benehmen und edlen Geburt und allerlei guten Eigenschaften. Aber nun sollst du sicher wissen“, sagt er, „daß ich eine so schöne und würdevolle und höfische, reiche und rühmliche Liebste habe, daß sie in ihrem Dienst eine so schöne und feingesittete, vornehme und reiche und in jeder Hinsicht vorzügliche Magd hat, daß es dieser besser anstünde, Königin des vorzüglichsten Königs zu sein als Isodd, deiner Schwester, Herrin über ein Kastell, und daran kannst du sehen, daß die Frau, die eine solche Zofe hat, vornehm und würdevoll ist, doch sage ich dies nicht dir noch deiner Schwester zur Schmähung, denn ich nenne deine Schwester schön und feingesittet, edelgeboren und reich an Besitz, und doch kann sie jener nicht an die Seite gestellt werden, die alle übertrifft, die jetzt leben. Mein ganzes Begehren ist einzig auf sie gerichtet, so daß ich diese hier nicht zu lieben vermag!“ Da sagt Kardin: „Deine Listen und Lügen werden dir nicht helfen, außer du zeigst mir dieses Mädchen, das du so sehr lobst; aber wenn es nicht so schön ist, wie du behauptest, dann sollst du mir das entgelten, so Gott will, sonst werde ich dir den Tod bereiten. Aber wenn sie so ist, wie du sagst und sie so sehr lobst, dann sollst du von mir und meinen Verwandten unbehelligt bleiben.“ Tristram verstand seine Drohung und seinen Zorn und dachte nach und wußte nicht, was er tun sollte, denn er liebte Kardin mehr als irgend einen anderen seiner Freunde und deshalb wollte er ihn unter keinen Umständen noch mehr bekümmern und fürchtete dennoch, daß er, wenn er es ihm sage, es seiner Schwester erzählen würde, aber wenn er es ihm nicht sagt, dann ist er verloren und vernichtet, voller Schimpf und Schande, sei es zu Recht oder Unrecht, denn mit Sicherheit wird er ihm mit irgendeiner Hinterlist den Tod bereiten, und er sagt dann: „Kardin“, sagte er, „mein bester Freund! Du hast mir dieses Reich bekannt gemacht, und durch deinen Rat habe ich viel Ehre erfahren. Wenn ich aber schlecht an dir gehandelt habe, dann möge mir Schaden von dir zugefügt werden, wenn du das beabsichtigst. Aber nach meinem Wunsch und Wollen soll zwischen uns keine Verstimmung oder Störung durch irgendeine Tat aufkommen, auf die ich einwirken kann, auch dann, wenn es mir sehr gegen meinen Willen geht! Da du nun aber meinen Plan, meine Liebe und mein Geheimnis wissen willst, was niemand anderer als nur ich allein weiß, und wenn du das schöne Mädchen sehen und ihr Reden und ihre Pracht, ihre Ausstrahlung und ihr Aussehen kennenlernen willst, dann ist das meine Bitte an deine Freundschaft, daß du dieses Geheimnis und unser Zwiegespräch weder deiner Schwester noch irgendeinem anderen offenbarst, denn ich möchte unter keinen Umständen, daß sie oder ein anderer davon erfährt!“
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Da antwortet Kardin: „Sieh hier mein Versprechen und Wort, daß ich niemals offenbaren werde, was du geheim halten willst, und niemand soll es von mir erfahren, außer du gibt deine Zustimmung dazu, und erzähle mir nun davon!“ Nun bekräftigen sie einander durch treue Eide, daß er alles geheim halten wird, was Tristram ihm erzählen will.
Kapitel 85 Eines Morgens sehr früh, da machten sie sich heimlich auf, doch alle, die in der Burg zurückblieben, wunderten sich, wohin sie sich wohl begeben wollten, doch Tristram und Kardin zogen ihres Weges, als es tagte, und ritten durch Wälder und Ödnisse und kamen zur Furt, und Tristram tat, als wolle er über den Fluß reiten, und als er in die Furt gekommen war, rief Kardin mit lauter Stimme: „Tristram“, sagte er, „was hast du im Sinn?“ Tristram antwortet: „Ich will über den Fluß reiten und dir zeigen, was ich dir versprochen habe!“ Da wurde Kardin zornig und sprach: „Du willst mich hintergehen und mich in die Gewalt des Riesen geben, des größten Hauptfeindes, der jeden tötet, der dorthin kommt. Du tust dies, damit du das Versprechen nicht halten mußt, das du mir gegeben hast. Wenn wir den Fluß überqueren, kämen wir nie lebendig zurück!“ Als Tristram hörte, daß jener sich fürchtete, blies er, so laut er konnte, viermal in sein Horn. Auf diese Weise gab er dem Riesen ein Zeichen, dorthin zu kommen, und dann kam der Riese auf der anderen Seite des Berges so wütend heran, als wäre er toll, und er schwang seine Eisenstange und rief Tristram mit gräßlichem Gebrüll an und sprach: „Was willst du von mir, daß du so gewaltig nach mir rufst?“ Tristram antwortet: „Ich bitte dich, daß du diesem Ritter gestattest, mich zu begleiten, wohin ich will, und wirf deine Eisenstange weg!“ Er tat dies sogleich. Da begann Kardin sich zu beruhigen und ritt über den Fluß zu Tristram, und Tristram erzählt ihm von ihrer Auseinandersetzung, wie sie miteinander gekämpft hatten und er dem Riesen das Bein abgehauen hatte. Dann ritten sie ihres Weges und kamen auf den Berg hinauf und stiegen von ihren Pferden und gingen zu dem Gebäude. Da schloß Tristram das Haus auf, und es kam ihnen sofort der süße Duft von Balsam und all jenen süßesten Kräutern entgegen, die da waren. Als Kardin die Figur des Riesen direkt an der Tür sah, da wurde er so ängstlich, daß er fast den Verstand verloren hätte, denn er glaubte, Tristram hätte ihn hintergangen und daß der Riese ihn mit seiner erhobenen Stange erschlagen würde. Aber von diesem Schrecken und dem Duft, der das Haus erfüllte, wurde ihm so sonderbar im Gemüt, daß er in Ohnmacht fiel. Doch Tristram hob ihn auf und sprach zu ihm: „Laß uns hierher gehen!“, sagte er, „hier ist das Mädchen, das jener vornehmen Frau dient, von der ich Dir erzählt habe, daß ich sie über die Maßen liebe!“
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Aber Kardin war gänzlich in Furcht und Schrecken und war wie von Sinnen und seines Verstandes beraubt. Er sah da die Figur und meinte, sie sei lebendig. Aber er hatte so große Angst vor dem Riesen, und sein Blick wandte sich sehr oft dorthin, und deshalb konnte er nichts anderes bemerken, als daß die Figur lebendig wäre. Aber Tristram ging zu der Figur Isönds, umarmte und küßte sie und sprach leise und flüsterte ihr in die Ohren und seufzte wie ein richtig Verliebter. Dann sprach Tristram zu der Figur: „Meine schönste Geliebteste“, sagte er, „die Liebe zu dir macht mich krank, Tag und Nacht, denn all mein Verlangen und all mein Begehren fallen mit deinem Wunsch und Begehren zusammen!“ Mal war er sehr traurig und übel gestimmt in seiner Rede, mal schien er heiterer Stimmung zu sein.
Kapitel 86 (Thomas 1201–1264, von hielten auf England zu ab) Dies beeindruckte Kardin sehr und er sprach: „Tristram! Es stünde mir zu, hier auch etwas zu bekommen, wo es so schöne Frauen gibt. Ich sehe“, sagte er, „daß du die schönste Geliebte hast. Mache mich zum Teilhaber deiner Freude, indem ich der Geliebte der Zofe der Königin werde. Wenn du mir das Versprechen nicht hältst, das du mir gabst, als wir von zuhause aufbrachen, dann sollst du Schimpf davon ernten!“ Darauf nahm Tristram ihn an der Hand und führte ihn zu der Figur der Bringvet und sprach: „Ist nicht diese Jungfrau schöner als Isodd, deine Schwester? Und wenn es so kommt, daß darüber gesprochen wird, dann sollst du bezeugen, was du hier zu sehen bekommst!“ Da antwortet Kardin: „Das sehe ich“, sagte er, „daß diese Frauen über die Maßen schön sind, und deshalb geziemt es dir, ihre Schönheit mit mir zu teilen. Da wir so lange Gefährten gewesen sind, geziemt es uns, daß wir auch Teilhaber an diesen beiden sind!“ „Ja!“ sagte Tristram, „ich wähle die Königin, nimm du die Zofe, ich gebe sie dir!“ Da antwortet Kardin: „Gott danke es dir! du bist so gut zu mir. Das ist ein Zeichen von Freundschaft und Kameradschaft!“ Er sah das Goldgefäß in ihrer Hand und glaubte, es sei voller Wein, und wollte es ihr abnehmen, aber das Gefäß war ihr so meisterlich an die Hand befestigt und angeleimt, daß er es auf keine Weise wegnehmen konnte, und er betrachtete sie da genau und sah da, daß die beiden Figuren waren, und sprach zu Tristram: „Klug bist du“, sagte er, „und listenreich, daß du mich, deinen treuen Freund und lieben Gefährten, so hintergangen und getäuscht hast! Aber wenn du mir die nicht zeigst, nach denen sie gefertigt sind, dann hast du mich in unserer ganzen Abmachung belogen, doch wenn du mir diese Geschöpfe zeigst, die an Aussehen und Schönheit diesen Figuren gleichen, dann bist du von aufrichtiger
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Gesinnung, und ich kann deinen Worten trauen, und ich möchte, daß du mir dieses Mädchen gibst, wie du mir die Figur gabst!“ Da sagte Tristram: „Das soll so sein, wenn auch du dein Wort mir gegenüber halten willst!“, und da gelobten sie einander das mit neuem Treueschwur und verläßlicher Ritterlichkeit. Da zeigte Tristram ihm alles, was da gemalt und geschnitzt, vergoldet und eingelegt war mit vielerlei Geschicklichkeit, daß die Augen eines Menschen niemals dergleichen gesehen hatten, und Kardin wunderte sich, auf welche Weise Tristram all dies auf den Weg gebracht hatte. Danach schloß Tristram das Haus wieder zu, und sie kehrten dann wieder zurück. Als sie einige Tage zu Hause ausgeruht hatten, da machten sich beide auf, heilige Stätten aufzusuchen; da nahmen sie ihre Pilgerstäbe und Beutel, und sie hatten niemanden bei sich, außer zwei ihrer Verwandten, schöne Männer, wacker und wehrhaft und höfisch in ihrem ganzen Benehmen. Sie hatten ihre ganze Rüstung bei sich und sagen ihren Hofleuten und dem ganzen Volk, daß sie deshalb alle ihre Waffen mit sich nähmen, weil sie Friedlosigkeit und böse Menschen in unbekanntem Land fürchteten. Danach nahmen sie Abschied von ihren Freunden und ziehen ihres Weges und hielten auf England zu, und jeden zog es zu seiner Geliebten, Tristram Isönd zu sehen und Kardin Bringvet.
Kapitel 87 (Thomas 1201–1264, bis ihm entgegenreiten) Als Tristram und Kardin auf ihrer Reise so weit gekommen waren, daß sie zu der Burg gelangten, in der König Markis diese Nacht zubringen wollte, und weil Tristram sich dort genau auskannte, ritten sie beide dem Gefolge des Königs entgegen, und doch nicht auf demselben Weg, sondern auf geheimen Pfaden, und danach sahen sie das Gefolge des Königs, eine große Schar, ihnen entgegenreiten. Als der König vorbeigeritten war, da sahen sie das Gefolge der Königin, und sie stiegen neben dem Weg von ihren Pferden und übergaben die Pferde ihren Knappen zur Bewachung. Die beiden gingen zum Wagen, in dem Isönd und ihre Zofe Bringvet saßen, und kamen so nahe an den Wagen heran, daß sie die Königin höflich begrüßen konnten und ihre Zofe, und sofort erkannte Isönd Tristram und wurde traurig und gedachte ihrer großen Liebe, die sie so lange gehegt hatte, aber Bringvet blickte mit großer Liebe auf Kardin. Aber wegen des ritterlichen Gefolges, das den Wagen der Königin begleitete, fürchtete sie, daß Tristram von den Männern des Königs erkannt würde, wenn sie dort verweilten, und deshalb nahm sie sofort denselben Ring, der immer durch Boten zwischen ihnen hin- und hergewandert war, und warf ihn Tristram zu, indem sie sagt: „Reite hinfort, du unbekannter Ritter!“, sagte sie, „und suche dir eine Herberge und halte unsere Fahrt nicht auf!“ Aber als Tristram den Ring sah, erkannte er ihn und verstand die Worte der Königin, und er und Kardin kehrten zu ihren Knappen zurück, und sie reiten
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nun vom Gefolge des Königs und der Königin fort und haben doch Kenntnis von deren weiterem Weg, bis der König zu dem Kastell kam, wo er zur Nacht blieb, und als der König und die Königin nach höfischer Weise gespeist und getrunken hatten, da geht die Königin zuerst zu dem Gemach, in dem sie ruhig die Nacht über schlafen wollte und auch ihre Zofe Bringvet und die Magd, die ihnen diente; aber der König schlief mit seinen Vertrauten in einem anderen Haus. Als nun der König schlafen gegangen war und auch seine ganze Schar, da hielt sich Tristram in einem dunklen Wald nahe beim Kastell auf. Jene sagen ihren Dienern, daß sie dort warten und auf ihre Pferde und Waffen aufpassen sollten, bis sie zurückkämen. Aber sie gehen verkleidet zum Kastell und finden heraus, wo das Gemach der Königin war, und gehen heimlich hinein und klopfen an die Tür. Königin Isönd schickt ihr Dienstmädchen hinaus, um zu sehen, ob da ein armer Mann gekommen wäre, Almosen zu erbitten, und als das Mädchen die Tür aufschloß, verbeugte sich Tristram vor ihr und grüßte sie mit freundlichen Worten und zog sogleich den Ring hervor, den Isönd ihm gegeben hatte, und bat sie, ihn ihr zu bringen. Sie aber seufzte und erkannte ihn sofort, und Tristram führte Kardin in das Gemach, und Tristram nahm Isönd sogleich in die Arme und küßte sie mit großer Zärtlichkeit und Freude. Kardin ging dann zu Bringvet und umarmte sie und küßte sie liebevoll. Nachdem sie lange Zeit so verbracht hatten, wurden ihnen Getränke und allerlei Leckerbissen vorgesetzt. Dann gingen sie schlafen, und in dieser Nacht schloß Kardin seine geliebteste Bringvet mit großer Liebe in seine Arme. Sie nimmt ein mit wunderbarer Geschicklichkeit und Kunst gefertigtes Seidenkissen44 und legte es ihm unter das Haupt, und sofort schläft er ein und wacht in dieser Nacht nicht mehr auf. So schliefen die beiden, Kardin und Bringvet, die Nacht über zusammen. Kardin erwacht erst am Morgen und sieht sich um und wußte nicht, wohin er gekommen war. Aber als Kardin gewahr wurde, daß Bringvet aufgestanden war, da sah er ein, daß er getäuscht war, da er erst so spät erwachte. Isönd begann da, ihren Scherz und Spott mit ihm zu treiben, aber er wurde Bringvets wegen sehr zornig und ließ sich dennoch wenig anmerken, und sie waren den ganzen Tag in großer Heiterkeit zusammen. Am Abend gehen sie schlafen, und Bringvet schläferte ihn auf dieselbe Weise wie füher ein. Als es zu tagen begann, erwachte er in derselben Weise. Die dritte Nacht wollte Isönd Kardin zuliebe nicht, daß er weiterhin getäuscht würde, und ihre Vereinigung vollzog sich unter großer Freude. So lange waren sie da alle in großer Wonne zusammen, daß ihre Neider ihr Tun bemerkten, und doch wurde ihnen rechtzeitig davon berichtet, und sie sahen sich vor, und die beiden entfernten sich heimlich und konnten aber nicht zu ihren Waffen und Pferden gelangen. 44
Kölbing verweist auf eine Parallelstelle der Gesta Romanorum. Sein Verweis auf die Clárus saga scheint indes weit hergeholt.
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Kapitel 88 Der Ratgeber Mariadokk wurde zuerst ihre Pferde gewahr. Aber die Knappen Tristrams, die auf die Pferde aufpaßten, sie merken, was los ist, machten sich sogleich fort und führten die Schilde und Rüstungen mit und hörten hinter sich das Rufen und Lärmen derer, die ihnen nachsetzten. Mariadokk, der ihnen am nächsten war, sah die Knappen davonfliehen und glaubte, es seien Tristram und Kardin, und rief sie mit lauter Stimme an und sprach: „Um keinen Preis sollt ihr entwischen, denn heute sollt ihr euer Leben lassen und euren Leichnam als Geisel hinterlassen. Schande über solche Ritter“, sagte er, „die vor uns fliehen! Es ziemt den Rittern des Königs nicht zu fliehen, weder aus Schrecken noch aus Angst vor dem Tod. Kommt ihr nicht von euren Liebsten? Wahrhaftig“, sagte er, „ihr macht ihnen große Schande!“ Solche Worte sprach der Ratgeber, aber die Knappen ließen die Pferde laufen, wie sie nur konnten. Doch als jene sie nicht länger verfolgen wollten, kehrten sie um, um sich die Königin und Bringvet, ihre Zofe, vorzunehmen, und nachdem sie sie lange mit ihren Reden wegen Tristram und Kardin geschmäht hatten, da begann Mariadokk Bringvet zu verspotten, indem er sagte: „Heute Nacht war der feigste und zaghafteste Ritter, der je auf der Welt war, in deinem Bett. Schön steht es dir an, einen solchen Liebsten zu lieben, der vor den Rittern flieht wie der Hase vor den Hunden! Ich rief ihn viele Male mit vielen Worten und mit lauter Stimme an, er möge auf mich warten und mit mir kämpfen, und er wagte es nicht einmal, sich umzusehen. Schändlich ist deine Liebe, wenn du einem solchen Schuft zu Willen bist, und dann hast du deine Zuneigung einem zaghaften Ritter zugewandt und die ganze Zeit warst du betrogen und in die Irre geleitet, und niemals konnte ich dir meine Liebe und mein Wohlwollen zeigen!“
Kapitel 89 (Thomas 1265–1336) Nachdem Bringvet so viele höhnische Worte gehört hatte, sprach sie in großem Zorn: „Ob er nun mutig oder unmutig ist, da will ich lieber ihn zum Liebsten haben als deine scheele Schönheit. Gebe Gott, daß er niemals Gewalt über irgendeinen habe, wenn er noch zaghafter ist als du. Gewiß zeigte er Zaghaftigkeit, als er vor dir floh, und das brauchst du ihm nicht vorzuwerfen. Viele finden an dir mehr auszusetzen. Aber was du gegen ihn wegen seiner Flucht vorbringst, da mag es so kommen, wenn Gott will, daß du noch erfahren wirst, ob er vor dir fliehen will oder nicht. Gott weiß, ich kann nicht glauben, daß er vor dir fliehe noch daß du es wagst, ihm mit zornigem Sinn oder bösem Willen ins Gesicht zu sehen. Kardin ist ein so wackerer und starker Mann und so guter Ritter, daß
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er ebensowenig vor dir flieht wie ein Jagdhund vor dem Hasen oder ein Löwe vor dem Bock!“ Da antwortet Mariadok: „Beide flohen wie Feiglinge.Woher stammt übrigens dieser Kardin? Er hatte einen über und über frischvergoldeten und mit Blattornament verzierten Schild, und sein Pferd war apfelgrau, und wenn ich ihn wiedersehe, dann erkenne ich Lanze und Banner!“ Bringvet sah, daß er seine Lanze und sein Banner, sein Ross und seine Rüstung kannte, und sie wurde bekümmert und ging zornig von ihm weg und suchte danach Königin Isönd, ihre Herrin, auf, die um Tristram Sorge trug, und sprach zu ihr in Leid und Zorn: „Herrin“, sagte sie, „ich sterbe vor Kummer und Sorge. Unheilvoll war der Tag, als ich dich und Tristram, deinen Liebsten, kennenlernte, und wegen ihm und dir Verwandte und Freunde, mein Vaterland und meine Jungfräulichkeit aufgrund deiner Torheit aufgab! Gott weiß, daß ich es deiner Ehre zuliebe getan habe und nicht zu meinem eigenen Vergnügen! Aber Tristram, dieser üble Eidbrecher, über den Gott an diesem Tag Schande bringen möge, sodaß er sein Leben verliere, denn seinetwegen wurde ich zuerst entehrt. Erinnerst du dich nicht, daß du mich im Wald wie einen Dieb töten lassen wolltest? Es geschah nicht auf deine Veranlassung, daß die Sklaven mich verschonten. Ich hatte mehr von ihrem Haß als von deiner Freundschaft und töricht war ich, daß ich dir von jener Zeit an weiterhin vertraut und dir eine gewisse Zuneigung entgegengebracht habe!“ Sie machte da der Königin mit vielen Worten und schweren Anklagen Vorwürfe und zählte ihr die Streitigkeiten zwischen ihnen auf und klagte ihr alles vor, was ihr von den beiden angetan worden war.
Kapitel 90 (Thomas 1337–1806) Nachdem Königin Isönd ihren Kummer und Zorn gehört hatte und daß sie ihr die Freundschaft aufsagt, der sie auf dieser Welt so zugetan war und der sie so vertraute und die mehr als alle Lebenden ihre Ehre beschützte, da war ihre Freude in Kummer und Sorge verwandelt, alle ihre Lust war geschwunden. Jene beschimpft sie sehr und schmäht sie und reizte sie in so beleidigender Weise, daß Isönd sehr traurig wurde aus zweifachem Kummer, daß sie ihn in keiner Weise von sich abschütteln konnte, was auch immer sie unternahm, und sie seufzte schwer und sprach im Verdruß ihrer Sorgen: „Elend bin ich“, sagte sie, „und beklagenswerter als jedes andere Wesen. Warum habe ich so lange leben müssen, um so viel Kummer in fremdem Land zu ertragen!“ und mit harten Worten klagt sie Tristram nun an und gibt ihm die Schuld an all ihrem Unglück und ihrem ganzen Kummer und all ihren Sorgen, die sie bislang ertragen hat, und dafür, daß Bringvet so furchterregend zornig auf sie geworden ist und ihr die
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Freundschaft aufgesagt hat. Aber dennoch wollte Bringvet sie wegen Tristram nicht vor dem König verleumden, und das ging so eine Weile. Als Tristram und Kardin zusammen im Wald waren, da dachte Tristram darüber nach, wie er mit voller Sicherheit erfahren könnte, wie es um Königin Isönd und Bringvet stand, und er schwor, er wolle nicht eher zurückkommen, bevor er wisse, wie es um Isönd stehe, und er wünschte Kardin, seinem Gefährten, einen guten Tag, und er kehrte auf demselben Weg zurück, auf dem sie hergeritten waren, und er nahm ein Kraut und aß es, und er schwoll im Gesicht so an, als sei er krank; Hände und Füße wurden schwarz, und seine Stimme wurde heiser, als wäre er aussätzig, und deshalb wurde er unkenntlich. Da nahm er einen Becher, den Königin Isönd ihm im ersten Winter gegeben hatte, als er sie liebte, und ging zum Hof des Königs und stand am Tor und lauschte auf das, was das Gefolge sich an Neuigkeiten erzählte, und bat um Almosen.
Kapitel 91 (Thomas 1807–1886) Als ein Festtag herangekommen war, ging der König zur Hauptkirche, und die Königin ging hinter ihm. Als Tristram dies sah, da eilte er sogleich mit seinem Becher hinzu und schüttelte ihn lebhaft und bittet um Almosen und folgt ihr, so dicht er nur kann. Vornehme Männer, die der Königin folgten, wunderten sich sehr über ihn, schubsten ihn und drohten ihm, weil er so nahe bei ihr ging und so hartnäckig bettelte. Aber wenn er seine Kraft hätte gebrauchen wollen, dann hätte er sich rasch rächen können. So schubsten sie ihn aus ihrer Schar heraus und drohten, ihn zu verprügeln. Er aber bettelte um so mehr, und er will nicht umkehren, nicht wegen ihrer Schläge noch ihrer Drohungen. Hartnäckig rief er die Königin an, aber sie war voller Kummer und Leid. Danach sah sie sich mit zornigen Augen nach ihm um, und sie wollte gerne wissen, was für ein Mann das war, und als sie den Becher erkannte und Tristram sieht, da schlug ihre Stimmung sofort um, und sie streifte sich einen Fingerring ab und wußte nicht, wie sie ihn ihm geben sollte, und warf den Goldring in den Becher. Doch Bringvet stand dabei und erkannte ihn am Wuchs und sprach, als sei sie zornig, zu ihm: „Du bist ein Narr“, sagte sie, „und ein einfältiger Tölpel und ungesittet, da du dich so nahe an die Lehnsmänner des Königs drängst und sein Gefolge nicht achtest!“ Und dann sprach sie zu Isönd: „Was ist gerade über dich gekommen, daß du solchen Menschen so außerordentlich große Sachen schenkst, aber vornehmen manches abschlägst, doch diesem Mann schenkst du einen Ring? Höre auf meinen Rat: gib ihm nichts, denn er ist ein Schwindler und Betrüger!“ Danach sprach sie zu seinen Feinden, sie sollten ihn von der Kirche wegjagen, und sie schubsten ihn schonungslos weg, aber dennoch ließ er sich das gefallen.
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Tristram wußte nun, daß Bringvet auf ihn zornig war und auch Königin Isönd, und er wurde weiterhin schmählich behandelt. Am Hof des Königs war eine vor Alter und Nachlässigkeit verfallene Steinhalle. Unter den Stufen dieser Halle verbirgt sich Tristram und klagt über sein Leid und wurde so bedrückt von seiner Bedrängnis und seiner Mühsal, und er wollte lieber sterben als noch länger leben, denn niemand wollte ihm nun helfen. Königin Isönd dachte über vieles nach und verwünschte die Zeit, wo es ihr bestimmt war, einen Mann so sehr zu lieben.
Kapitel 92 (Thomas 1887–1932) Nachdem sie die Messe gehört hatten, der König und die Königin, gingen sie zu Tisch und speisten, und der König hatte an diesem Tag viel Vergnügen und Freude. Isönd saß traurig und bekümmert da. Danach geschah es, daß der, der den Hof des Königs und alle Tore bewachte, lange in der Nacht wach blieb, und es herrschte draußen großer Frost, und es war ihm sehr kalt, und er sprach zu seiner Frau, sie möge Feuer machen, sich zu wärmen. Da ging sie nach trockenem Brennholz, und sie kam dorthin, wo Tristram unterhalb der Mauer saß, vom Frost gepeinigt, und wie sie Holz suchte, faßte sie an seinen Umhang, der vor Frost ganz feucht war. Sie erschrak und glaubte, es sei etwas Böses, denn sie wußte, daß sich dort noch nie ein Mensch aufgehalten hat. Da fragte sie, woher er gekommen sei und wer er wäre. Er sagte es ihr und vertraute ihr seinen Namen an und woher er war und was er vorhatte. Ihr Mann liebte ihn sehr, denn Tristram hatte ihm viel Gutes getan, als er in England war. Als der Wächter sich vergewissert hatte, daß Tristram hierher gekommen war, da ging er sofort zu ihm und nahm ihn mit sich nach Hause und machte Feuer für ihn und richtete ihm ein Bett und was er sonst noch benötigte.
Kapitel 93 (Thomas 1933–2106) Königin Isönd rief Bringvet zu sich und sprach mit liebevollen Worten zu ihr: „Ich bitte dich um Gnade für Tristram, daß du zu ihm gehen und ihn ein wenig in seinem Kummer trösten mögest, denn er wird sterben, wenn er keine Hilfe erhält, denn ich werde ihn ewig lieben!“ Bringvet sagte: „Das werde ich nie und nimmer tun, daß ich ihn in seinem Kummer tröste, lieber will ich seinen Tod, und ich will mit Euren Sünden nicht länger einverstanden sein. Schmählich hat er mich hintergangen!“ Isönd antwortet: „Es ziemt dir nicht, mir zu widersprechen noch mit mir zu streiten und mir Vorwürfe zu machen! Gott weiß, ich habe stets bereut, was ich
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gegen dich getan habe, und daher bitte ich dich, daß du ihm ein wenig hilfst, dort, wo er liegt!“ Sie bat sie so lange mit schönen und guten Worten, daß sie es ihr nicht abschlagen konnte. Sie stand dann auf und ging dorthin, wo sie sie hinwies, und als sie dorthin kam, war er traurig und unglücklich über das, was aus vielen Gründen geschehen war, und er fragt sie, warum sie ihm zürne. Sie nannte ihm viele und wahre Gründe. Er sagt ihr, daß Kardin, sein Gefährte, bald komme, zum Beweis, daß er keinen Vorwurf verdiene. Sie glaubte seinen Worten und beruhigte sich vollständig, und sie gingen in gegenseitigem Vertrauen zusammen zum Gemach der Königin, und sie begrüßten einander mit großer Freude und Liebe. Da verbrachte er die Nacht sehr heiter. Am Morgen erhielt Tristram die Erlaubnis von der Königin zur Abreise, und sie schieden in großer Traurigkeit. Als Tristram zu Kardin, seinem Gefährten, kam, da bittet Tristram ihn, daß sie für einige Zeit an den Hof des Königs gingen und sähen, ob sich dort irgendetwas zutrüge, und sie verkleiden sich, so gut sie können. Dann hielt der König ein Fest, und viele Leute waren dorthin gekommen, vornehme wie einfache Männer. Als die Leute satt waren und die Tafel aufgehoben, da widmete sich das ganze Gefolge der Unterhaltung und veranstaltete allerlei Spiele. Dann sprangen sie den Springtanz, den sie Valeys45 nennen, dann schossen sie mit ihren Wurfspeeren und trieben Spiele, wie sie es verstanden. Tristram übertraf da alles mit seiner Kühnheit und Geschicklichkeit. Nach ihm lobte man Kardin am meisten. Es war dort ein Gefährte Tristrams, der ihn in diesem Spiel erkannte, und er gab ihm sofort zwei Kriegspferde, die von allen Königspferden die besten waren, und in ganz England gab es keine schnelleren Pferde, und sie waren oft im Kampf erprobt, und er fürchtete, daß sie, würden sie erkannt, verraten würden, und dann nahmen sie am Turnier teil. Tristram und Kardin waren waffengewohnt und spielten den anderen gehörig mit und stießen viele von ihren Pferden und setzten selber viel aufs Spiel, denn sie töteten die zwei Gewalttätigsten, die es im Lande gab. Da fiel Mariadokk durch Kardin, und er rächte sich dafür an ihm, daß er über ihn die Lüge verbreitet hatte, er sei vor ihm geflohen. Danach weichen sie schnell von dannen, und die beiden Gefährten reiten recht schnell hinab zum Meeresstrand. Aber die Kornbreten waren da zur Abreise bereit, und weil sie vom Weg abgewichen waren, entkamen sie denen, die ihnen nachritten, und dann kehrten sie um, ihnen entgegen, und töteten viele. Dann wollten sie ihnen nicht länger nachreiten. Tristram und Kardin besteigen dann das Schiff und setzten Segel und segelten aufs Meer hinaus und waren vergnügt und heiter, daß sie sich so trefflich gerächt hatten.
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vgl. Thomas 2073/74: „einen walisischen Sprung, den sie ‘waveleis’ nennen“ (uns sanz waleis E uns qu’apelent ‘waveleis’ ).
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Kapitel 94 (Thomas 2107–2288) Danach landeten sie in Bretland und dort trafen sie ihre Freunde und ihre Gefolgschaft, und sie freuten sich darüber. Nachdem sie zurückgekommen waren, gingen sie oft auf die Jagd und zu Turnieren. Überall erlangten sie Sieg und Ruhm über alle, die damals in Bretland waren, wegen ihrer Tapferkeit, Ritterlichkeit und vielseitiger Tüchtigkeit. Oft begaben sie sich dorthin, wo die Figuren waren, um sich zu erfreuen, und um derer willen, die sie so liebten. Als sie einmal zurückreiten und aus dem Wald gekommen waren, sahen sie einen Ritter eilig auf einem Falben daherreiten. Sie wunderten sich, wohin er wollte, da er so rasch einherritt. Er war prächtig gewappnet und über und über vornehm gekleidet. Seine Rüstung war vollständig vergoldet und mit großer Geschicklichkeit gefertigt. Er war groß und gut gewachsen und über die Maßen schön. Tristram und Kardin warteten auf ihn und wollten wissen, wer er wäre. Dann kam er zu ihnen. Da begrüßte er sie mit schönen und gewandten Worten. Aber sie beantworteten seinen Gruß sogleich achtungsvoll und ritterlich. Dann fragten sie, wer er wäre und woher er gekommen sei und was er vorhatte, da er so eilig einherritt. Da sagte der Ritter: „Es verlangt mich außerordentlich, den Mann zu treffen, der Tristram heißt!“ Da antwortet Tristram: „Was willst du von ihm, da du so nach ihm fragst? Du bist ihm schon sehr nahe gekommen. Wenn du bei ihm Herberge nehmen willst, dannbegleite uns nach Hause, wenn du dir mit uns die Zeit vertreiben willst!“ Er antwortet: „Das will ich gewiß! Ich bin ein Ritter, der hier an der Landesgrenze zu Bretland wohnt, und ich werde Tristram der Zwerg genannt, mit unpassendem Namen, denn ich bin ein sehr tüchtiger Mann und gebot über ein Kastell, und ich hatte eine schöne und reiche Frau, und sehr liebte ich sie, aber gestern abend verlor ich sie, und deswegen bin ich betrübt und zornig. Doch nun weiß ich nicht, was ich machen soll, wenn mir niemand hilft. Aber nun bin ich hierher zu dir gekommen, denn du bist der berühmteste und wackerste Mann, weise und beliebt bei den Freunden, aber hart zu deinen Feinden, und ich bedarf dessen, daß du mir einen guten Rat gibst und mir in dieser so großen Not hilfst, daß du meine Frau wiedergewinnen könntest. Aber ich will dir treu und ergeben sein und dir einen Eid darauf schwören!“ Tristram antwortet: „Ich will dir gerne helfen. Du sollst mit uns nach Hause kommen, und bleibe dort die kommende Nacht, aber morgen werde ich gewiß mit dir ziehen!“
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Kapitel 95 (Thomas 2289–2339) Als der Tag kam, da machten sich Tristram und seine Gefährten bereit und zogen ihres Weges, und jener Ritter reitet voran, der unbekannte, und sie hielten nicht eher an, als bis sie dorthin kamen, wo jener böse und hochfahrende Mensch in dem Kastell saß. Er hatte sieben Brüder, alle grimmige und bösartige Ritter. Nahe beim Schloß stiegen Tristram und seine Gefährten von den Pferden und harren der Dinge. Am Nachmittag ritten zwei der Brüder heraus, und sie hatten festgestellt, daß jene dorthin gekommen waren, und sie ritten sofort mächtig mit Eifer und Bösartigkeit auf jene zu, und sie fochten ihren Kampf aus, und ihre Auseinandersetzung endete so, daß Tristram und seine Gefährten die beiden Brüder töteten. Da wurde einer der übrigen dies gewahr und erhob sofort das Kriegsgeschrei. Die im Kastell waren, hörten es, waffneten sich, so schnell sie konnten, und reiten hinaus auf sie zu. Die, die da waren, wehrten sich mutig und mannhaft und fochten einen harten Kampf aus. Tristram und seine Gefährten töteten da die sieben Brüder und ihre Spießgesellen, die da gekommen waren, mehr als hundert. In diesem Kampf fiel Tristram der Zwerg, aber Tristram war durch ein vergiftetes Schwert schwer verwundet worden, doch ließ er ihn, der ihn verwundet hatte, das teuer bezahlen und tötete ihn. Diese Wunde war so gefährlich, daß er sich kaum zurück zu seinem Kastell schleppen konnte, und da wurde nach allen Ärzten geschickt, die es im Lande gab, aber diese wußten keine Heilung, denn sie verstanden sich nicht auf vergiftete Wunden und konnten das Gift nicht herausziehen, wie es notwendig war.
Kapitel 96 (Thomas 2340–2812) Tristram wurde kränker von Tag zu Tag, denn es gab dort keinen, der ihm helfen konnte. Das Gift verteilte sich über den ganzen Körper und alle Glieder, und dadurch wurde er vollständig zugrunde gerichtet und er klagte nun, daß er, wenn ihm nicht rasche Hilfe zuteil würde, schnell sterben werde. Nun denkt er daran, daß kein anderer ihm Heilung bringen könne als Königin Isönd, seine Geliebte, wenn sie kommen könnte. Aber er konnte sich nicht zu ihr hinbringen lassen. Da ließ er Kardin bitten, er möge allein zu ihm kommen. Isodd, Tristrams Frau, wunderte sich sehr, was das für eine Angelegenheit sein möchte, ob er Kanoniker oder Mönch oder Kleriker werden wolle, und sie will wissen, worüber sie sich beraten, und sie stand draußen an der Wand nahe der Stelle, wo Tristram in seinem Bett lag, um ihr Gespräch zu hören, und stellte Leute auf, um aufzupassen, daß es niemand gewahr würde.
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Da richtete er sich in seinem Kissen auf, Kardin saß bei ihm, und sie jammerten über ihr Unglück und sprachen viel über ihre Liebe und Freundschaft, die sie lange verbunden hatten, und über ihre große Tapferkeit und die Taten, die sie ausgeführt hatten, und nun sehen sie beide, daß ihr Abschied bald bevorsteht, und sie weinten da miteinander, besonders über ihren Abschied, und da sagte Tristram: „Wäre ich in meiner Heimat, dann würde mir dort von irgendjemand Hilfe zuteil, aber hier in diesem Land versteht sich keiner darauf; deshalb werde ich sterben, ohne daß ich Hilfe erfahren habe. Ich kenne keinen lebenden Menschen, der mich heilen oder mir helfen könnte außer Königin Isönd von England, und wenn sie davon wüßte, dann würde sie einen Rat wissen, denn sie hat den besten Willen dazu und die besten Kenntnisse darüber. Aber nun weiß ich nicht, wie sie davon Nachricht erhalten kann. Wenn sie davon wüßte, würde sie sicher kommen und mir Erleichterung verschaffen. Kein Mensch in dieser Welt versteht sich so gut auf die Arzneikunst und alle höfischen Fähigkeiten, die einer Frau gut anstehen. Nun will ich dich, Kardin, meinen Gefährten, um unserer Liebe willen bitten, daß du dich zu ihr begibst, und sage ihr, was vorgefallen ist, denn es gibt niemanden, dem ich so wie dir vertraue, und keine liebe ich so wie sie, und keine hat so viel für mich getan wie sie, und das hast du mir mit einem geschworenen Eide gelobt, als Königin Isönd dir auf meine Bitte Bringvet gab. Tue nun, worum ich dich bitte, wie ich es erwarte! Aber ich werde, wenn ich am Leben bleibe, dich belohnen, wie ich es kann und wie es sich geziemt!“ Nun sieht Kardin, daß er sehr bekümmert war, und das alles bedrückte ihn sehr, und er sprach zu ihm: „Ich will gerne zu ihr reisen und deinen Willen ganz erfüllen, wenn Gott will, daß ich es zustande bringe!“ Tristram dankte ihm und sagte, daß er sein Schiff nehmen und sich Kaufmann nennen sollte, wenn er dorthin käme: „Meinen Ring sollst du zum Wahrzeichen tragen, und zeig ihn ihr sogleich, und dann weiß sie, woher du gekommen bist, und sie wird mit dir unter vier Augen sprechen wollen, und sage ihr, was mir zugestoßen ist und was ich erlebt habe und daß sie einen guten und schnellen Ausweg finden muß, wenn sie mir irgendwie helfen will!“ Nun rüstet sich Kardin rasch und sorgfältig zur Reise, mit so vielen Männer, wie er wollte. Tristram bat ihn mit langer Rede, bevor sie voneinander schieden, daß er sich nach allen Kräften beeile und der Königin Isönd Gottes Gruß und den seinigen vielmals überbringe. Dann küßten sie einander, und Kardin bekommt einen guten Fahrtwind und segelt aufs Meer hinaus. Nun glaubte Isodd, die Frau Tristrams, zu wissen, daß er eine andere mehr liebe als sie, da sie nun das Gespräch der beiden gehört hatte, aber sie tat, als wisse sie nichts davon. Nun segelt Kardin über das Meer und landet dort in England, wo er es beabsichtigt hatte, und sie nennen sich Kaufleute und tätigten Kauf und Verkauf, sie hatten Habichte und anderes bei sich. Kardin setzte sich einen Gänsehabicht auf die Hand und den prachtvollsten Kleiderstoff und ging dann zum Hof des
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Königs. Kardin war ein gewandter und gebildeter Mann und fein gesittet, und er grüßte den König höfisch mit freundlichen Worten und sprach: „Wir Gefährten sind Kaufleute, und wir wollen Euch um Landeerlaubnis und guten Frieden bitten, solange wir hier im Lande sind!“ Der König versprach ihm dies sogleich und sagt, sie seien willkommen und hätten guten Frieden. Dann übergab er dem König drei Geschenke. Danach ging er zur Königin und grüßte sie fein und höfisch und übergab ihr eine goldene Gewandnadel, so schön, wie es nur überhaupt sein konnte. Danach nahm er zwei Ringe und zeigt sie ihr und bat sie, einen davon zu wählen. Aber sie sah die Ringe und erkennt sofort Tristrams Ring und zitterte sofort über und über, und ihr Herz verkehrte sich, sie wechselte die Farbe und seufzte sehr schwer, denn sie glaubte zu wissen, daß sie etwas zu hören bekommen werde, was ihr nicht zum Trost gereichte. Aber wegen deren, die da dabei waren, sagte sie, sie wolle etwas kaufen und nichts geschenkt bekommen. Danach sprachen sie und Kardin unter vier Augen. Er überbringt ihr Tristrams Gruß mit schönen Worten und großer Herzlichkeit und sagt, daß sein Leben und Sterben in ihrer Gewalt liege: „Er ist in jeder Hinsicht Euer treuer Geliebter!“ Er erzählt in wenigen Worten, was ihm zugestoßen war, und von seiner Lage und Krankheit, und daß ihn nichts anderes erwarte als der Tod, wenn sie nicht zu ihm käme, so schnell es nur möglich sein könnte. Als Isönd dies gehört hatte, die Qual und den Kummer der beiden, da war sie voller Sorge und Verwirrung. Danach rief sie Bringvet zu sich und sagte ihr, daß sie über Tristram erfahren habe, wie er an tödlichen Wunden darniederliege und daß es niemanden in dem Lande gab, der ihn heilen könne, und fragte sie, was man tun solle. Sie sagte, daß sie sich so schnell wie möglich aufmachen sollte, wenn es Abend werde, und mit Kardin abreisen und mitnehmen sollte, was sie benötigte. Und als die Nacht gekommen war und das ganze Gefolge im Schlafe lag, da gingen die beiden durch eine Geheimtür, die sie kannten, hinaus, und dort trafen sie Kardin, und sie gingen rasch zum Meer hinab und auf das Schiff und zogen die Segel auf und segelten mit dem günstigsten Wind, den sie sich wünschen konnten von England weg und waren alle froh und heiter und dachten sich die Sache anders, als es dann kam.
Kapitel 97 (Thomas 2813–2966) Nun muß sich die Geschichte Tristram zuwenden, weil er nun sehr krank wurde, sowohl vom Schmerz der Wunden wie vom Kummer, den er um Königin Isönd trug, da sie nicht kam, und niemand konnte ihm in diesem Land Hilfe gewähren. Er schickte seine Männer oft hinab zum Meer, um herauszufinden, ob sich etwas dem Lande näherte. Manchmal ließ er sich zum Meeresstrand tragen, wenn er anderen nicht recht traute. Nichts begehrte er in dieser Welt so, weder Speise
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noch Trank noch irgendetwas anderes, außer Königin Isönd zu sehen und mit ihr zu sprechen, und nun mußte er von dem bedrängenden Vorfall hören, daß, als Isönd und Kardin sich dem Lande genähert hatten, ein gewaltiger Sturm aufkam und sie wieder vom Land weg hinaus auf das Meer trieb, und da draußen ging es ihnen viele Tage so schlecht, daß sie kaum mehr hofften, das Leben zu behalten. Da klagte Königin Isönd ihren Schmerz und sprach: „Nun will Gott nicht, daß ich Tristram noch lebend sehe noch seinen Kummer trösten konnte, so wie ich wollte. O weh, mein süßer Freund und Liebster! Wenn ich auf dieser Reise zugrunde gehe, dann gibt es keinen Lebenden in dieser Welt, der dich von deiner Wunde heilen oder dich vom Tod retten könnte. Nun wollte ich, daß Gott wollte wie ich, und stürbe ich hier, dann vereinigte uns der Tod wieder!“ Derartiges und vieles andere klagte Isönd, aber ihre Schiffsleute waren wegen des Sturmes sehr ängstlich, daß sie umkommen würden.
Kapitel 98 (Thomas 2967–3005) Isönd klagte nun viel mehr um Tristram als um sich selbst. Zehn Tage wurden sie in diesem gewaltigen Sturm umhergeworfen. Danach legte sich der Sturm, und es wurde schönes Wetter, und es erhob sich ein guter Fahrtwind. Da zogen sie ihre Segel auf und segelten am nächsten Tag wie zuvor auf das Land zu, und da flaute der Wind ab, und das Schiff wurde am Land hin und her getrieben, und sie hatten kein Beiboot, denn das war ihnen zerbrochen, und nun wachsen wieder ihre Verwirrung und ihr Kummer, da sie nicht an Land kommen konnten. Dies kam Isönd so hart an, daß sie fast ihren Verstand verlor. Aber die, die an Land waren, sahen das Schiff nicht und sehnten sich doch sehr nach denen, die weggereist waren.
Kapitel 99 (Thomas 3006–3042) So groß ist nun Tristrams Kummer und Traurigkeit, daß er schon vor Seufzen ganz kraftlos ist und manchmal wegen Königin Isönd das Bewußtsein verlor, von der er gerne wollte, daß sie käme. Da kam Isodd, seine Frau, zu ihm, die über eine böse List nachdachte und sagte: „Liebster“, sagte sie, „jetzt ist Kardin gekommen! Ich habe schon sein Schiff gesehen, und er hat wenig Wind. Gott lasse es gute Botschaft dir zum Trost bringen!“ Als Tristram hörte, was sie sagte, da richtete er sich sogleich auf, als wäre er gesund, und sprach zu ihr: „Liebste“, sagte er, „bist du ganz sicher, daß es sein Schiff ist? Sage mir wahrheitsgemäß, mit welchem Segel er segelt!“
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Aber sie antwortet: „Ich erkenne es genau, und sie segeln mit einem schwarzen Segel und haben keinen Wind, sondern treiben vor dem Land hin und her!“ Aber sie log ihn an, denn Kardin segelte mit aufgezogenen weißen und blauen, schimmernden, gestreiften Segeln, denn Tristram hatte ihn darum als Wahrzeichen gebeten, wenn Isönd mit ihm käme. Aber wenn Isönd nicht mit ihm käme, dann sollte er mit schwarzen Segeln segeln. Doch Isodd, Tristrams Frau, hatte all dies gehört, als sie heimlich an der Bretterwand stand. Als Tristram dies hörte, da wurde sein Schmerz so groß, wie er nie zuvor einen solchen Kummer erduldet hatte, und er kehrte sich sogleich zur Wand und sprach da mit kummervoller Stimme: „Nun, Isönd, haßt du mich, aber es schmerzt mich, daß du nicht zu mir kommen willst; deinetwegen sterbe ich, da du mit meiner Krankheit kein Mitleid haben wolltest! Meine Krankheit schmerzt mich, und ich trage Kummer, weil du nicht zu mir kommen wolltest, mich zu trösten!“ Dreimal ruft er Isönd, seine Liebste, und nannte sie beim Namen; aber das vierte Mal gab er mit seinem Leben seinen Geist auf.
Kapitel 100 (Thomas 3043–3079) Die Ritter und Knappen, die dabei waren, beklagten dies alle sehr, und alle Burgbewohner beweinten ihn mit großer Trauer. Dann nahmen sie ihn aus seinem Bett und legten eine kostbare Decke über ihn. Da frischte der Wind für die, die auf dem Meer waren, auf, und sie hielten auf einen Hafen zu. Als Isönd vom Schiff herabgegangen war, da hörte sie alle Leute mit großer Trauer weinen, während alle Glocken läuteten. Sie fragte da, weshalb die Leute sich so betrübt zeigten oder welche Nachricht sie erhalten hätten. Ein alter Mann antwortet ihr: „Herrin“, sagte er, „wir haben einen so großen Kummer, wie wir ihn niemals zuvor erlebt haben: Tristram, der wackere und feingesittete, liegt nun tot in seinem Bett! Noch nie gab es einen derartigen Kummer in diesem Land!“ Als Isönd dies hörte, wurde ihr Schmerz so groß, daß sie nicht sprechen konnte, und sie warf ihren Umhang von sich. Aber die Breten wunderten sich sehr, woher diese schöne Frau gekommen war und aus welchem Land sie stammen möchte.
Kapitel 101 (Thomas 3080–3144) Königin Isönd ging nun dorthin, wo die Leiche auf dem Boden lag und kehrte sich nach Osten und sprach ihr Gebet mit diesen Worten: „Ich bitte dich, all-
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mächtiger Gott, sei diesem Manne und mir gnädig, so wahr ich glaube, daß du von der Jungfrau Maria in diese Welt hineingeboren wurdest, dem ganzen Menschengeschlecht zur Erlösung, und so wahr du Maria Magdalena halfst und den Tod für uns sündige Menschen erduldetest und daß du dich ans Kreuz nageln und mit dem Speer in deine rechte Seite stechen ließest und zur Hölle fuhrst und alle die deinen von dort aus in die ewige Freude führtest. Du bist unser Schöpfer, ewiger, allmächtiger Gott. Sei unseren Sünden gnädig, so wie ich an all dies glauben will, und ich will all dies glauben, und ich will dich gerne loben und ehren, und gewähre mir, worum ich dich bitte, mein Schöpfer, daß du mir meine Sünden vergibst, einziger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist! Amen! Tristram“, sagt sie, „ich habe dich sehr geliebt; aber nun, wo ich dich tot sehe, ziemt es sich für mich nicht weiterzuleben, da ich sehe, daß du meinetwegen gestorben bist, und deshalb will ich nicht nach dir leben!“ Sie sprach da viele Worte über ihre Liebe und ihr Zusammensein und ihr kummervolles Scheiden, und danach legte sie sich auf den Boden und küßte ihn und legte ihm ihre Hände um den Hals, und damit ließ sie ihr Leben. Tristram war deshalb so rasch gestorben, weil er glaubte, Königin Isönd hätte ihn vergessen, aber Isönd starb deshalb so rasch, weil sie zu spät zu ihm gekommen war. Dann wurden sie begraben, und es wird erzählt, daß Isodd, Tristrams Frau, Tristram und Isönd an den gegenüberliegenden Seiten der Kirche habe begraben lassen, damit sie auch nach dem Tod einander nicht nahe sein sollten. Aber es geschah, daß eine Eiche oder ein anderer Baum aus jedem der beiden Gräber emporwuchs, so hoch, daß sich das Astwerk über der Kirchenspitze verflocht, und daran kann man sehen, wie groß ihre Liebe war. Und so endet diese Saga.
2. Das Geißblatt Der Stoff von Tristan und Isolde war beliebt, und kurz nach der norwegischen Übersetzung tritt uns ein weiteres Zeugnis für seine Popularität entgegen: die Erzählung vom Geißblatt. Dieses kleine Prosastück, das eine Episode aus dem Tristan-Stoff erzählt, entstammt der Sammlung, die seit der ersten Ausgabe durch Unger und Keyser (1850) unter dem Namen Strengleikar bekannt ist. Im Vorwort der Handschrift wird sie indes als ljóðabók (= Liederbuch) bezeichnet. Allerdings läßt sich die neuere Bezeichnung durchaus rechtfertigen: Strengleikr kommt in der doppelten Bedeutung von Saiteninstrument und Weise, die von einem Saiteninstrument begleitet wird nicht nur mehrfach in dieser Sammlung vor (so auch am Beginn und am Ende des Geißblattes, wo es lai übersetzt), sondern auch in der Tristrams Saga (Tristram weiß nicht nur, das Instrument vorzüglich zu schlagen, er versteht sich auch auf das Verfassen entsprechender Weisen). Um ein Liederbuch im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei in der norrönen Version jedoch nicht, allerdings sind seine Vorlagen kleinere französische Verserzählungen, die sog. lais, die im Nordischen in Prosa übertragen wurden, wie dies ja für alle nordischen Übersetzungen typisch ist. Diese Sammlung enthält 21 aus dem Altfranzösischen übersetzte lais, von denen es an die fünf Dutzend gegeben haben dürfte. Es sind dies kurze epische Gedichte, deren Stoff häufig dem Kreis um König Artus entstammt, viele spielen in einer keltischen Welt, aber es sind keine keltischen Vorlagen oder Originale bekannt. Die norrönen strengleikar, wie sie in der nicht mehr vollständigen Handschrift De la Gardie 4–7 der Universitätsbibliothek Uppsala überliefert sind (Bruchstücke aus der letzten Lage finden sich noch in der Handschrift AM 666 4to), enthalten insgesamt 21 Erzählungen, davon werden die Vorlagen für 11 von ihnen der Marie de France zugeschrieben, von der man allerdings nicht viel weiß. Möglicherweise kann sie in Verbindung mit dem englischen Hof Heinrichs II. und seiner Frau Eleanore von Aquitanien gebracht werden, gelegentlich wird auch vermutet, sie sei die Tochter der Eleanore aus ihrer ersten Ehe und daher mit Marie de Champagne identisch. Ihre 12 lais werden so um 1165 entstanden sein (das 12. ist nicht in die nordische Sammlung eingegangen). Die Handschrift birgt neben einem Fragment eines Dialoges des Mutes und der Angst die Pamphilus saga, eine Übersetzung eines lateinischen Liebesgedichtes Pamphilus de amore,weiterhin die Elis saga, die die Chanson de geste Elie de St. Gille übersetzt, und schließlich die Strengleikar. Die Handschrift stammt von ca. 1270 und dürfte in Bergen oder in der Gegend von Bergen geschrieben sein, wobei es auch ostnorwegische Sprachspuren zu geben scheint. Man rechnet nicht mehr mit einem einzigen Übersetzer, sondern nimmt mehrere an, da es unterschiedliche Übersetzungsstrategien gibt.
2. Das Geißblatt
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Das Vorwort weist aus, daß „der ehrwürdige König Hákon das Buch aus der welschen [i.e. französischen] Sprache hat norrönisieren lassen“ (dieses Verb zur Bezeichnung der Übersetzung kommt noch öfter in dieser Sammlung vor); übrigens hat auch eine französische Handschrift, die 12 lais der Marie de France enthält, von denen 11 in die Strengleikar übersetzt sind (British Museum, Harley 978), im Prolog die Bemerkung, daß diese Erzählungen für einen König geschrieben seien. In ihm sieht man wohl zu Recht Heinrich II. (1154–1189). Es besteht Einstimmigkeit darüber, daß es sich bei dem „ehrwürdigen König Hákon“ um König Hákon Hákonarson (geb. 1204, König 1217–1263) handelt (wohl nicht um seinen Enkel Hákon Magnússon [1280–1299]), der – wie oben gesagt – sein ganzes Streben darauf richtete, europäische, insbesondere französische Literatur an seinen Hof zu bringen.Die Sammlung der Strengleikar stellt sich ganz in sein politisches Programm, den norwegischen Hof nach kontinentalem Vorbild zu organisieren und zu modernisieren. Der Zeitpunkt der Übersetzung wird häufig „nicht vor 1230“ angesetzt. Die kleine Erzählung vom Geißblatt berichtet eine hübsche Episode von Tristrams unablässigen Versuchen, sich der Geliebten zu nähern. Eine direkte Parallele in der Tristrams saga hat sie nicht. Die Nachricht, die Tristram Isönd zukommen läßt, enthält die Essenz der großen Liebe: Nicht mehr von einem Zaubertrank ist die Rede, sondern das Gleichnis von der Hasel und dem Geißblatt, die nur zusammen leben können und, werden sie getrennt, absterben, deutet die Liebe als naturhaft, als natürlich, als etwas, was jenseits gesellschaftlicher Konventionen steht. Die Vorlage ist der lai Chievrefoil [= Chievrefeuille] der Marie de France, die diesen Stoff der Estoire entnommen haben mag, aber das die Erzählung tragende Bild von den Pflanzen, die nicht ohne einander existieren können, dürfte ihre eigene Erfindung sein. Ob von hier wohl jenes Bild der Tristrams Saga ausgeht, das erzählt, wie zwei Bäume aus den Gräbern der Liebenden emporwachsen und sich über dem Kirchendach vereinigen? Die Übersetzung hält sich recht genau an ihre Vorlage. Rudolf Meißner hat der norwegischen Version eine eingehende Untersuchung ihres Stiles gewidmet. Es zeigen sich dabei signifikante Unterschiede zum französischen Original, nicht im Inhalt, sondern in der sprachlichen Gestaltung, und dabei tritt der Stilwille des Übersetzers (wie auch der ganzen Sammlung) deutlich ins Licht. Er bevorzugt (ganz wie die norwegische Tristrams saga) als sprachlichen Schmuck die Alliteration und die Zwillingsformel, wie sie dem Französischen fremd sind: sætt ok samræðe (Versöhnung und Vergleich), segia ok sanna (berichten und bezeugen), af þeim fagnaði er hann fec (Freude : : : erfahren), liva ok bera lauf (leben und tragen Laub), skorta skemtan (Vergnügungen fehlen), vilia sin ok fyst (Begehren und Verlangen), holl ok trygg (ergeben und treu), hirðliði sinu ok hofðingium (Gefolge und Fürsten), allir lendir menn ok hafðingiar (Lehnsmänner und Fürsten). Letzteres Beispiel ist übrigens die Übersetzung des französischen Titels Baron (li barun), der sich in Norwegen erst Ende des 13. Jahrhunderts
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durchsetzt. Bis dahin mußte man also mit einheimischem Wortmaterial auskommen. * * * Die Breten nennen dies „Gotulæf“ [Geißblatt], aber wir nennen es „Geitarlauf“46 [Geißblatt]. Es gefällt mit sehr und gerne will ich euch den Lai darbieten, der im Welschen „chevrefeuille“, im Norrönen „Geitarlauf“ [Geißblatt] heißt, wo dieser Lai verfertigt und vorgetragen wurde und auf welche Weise dies geschah. Ich habe das in einem Buch gelesen, was viele über Tristram47 und die Königin48 berichten und bezeugen und über ihre außerordentlich treue Liebe, die ihnen manch kummervollen Harm brachte, und schließlich starben beide an ein und demselben Tag. König Marhæs49 war wütend auf seinen Neffen Tristram. Er verwies ihn aus seinem Königreich, weil er die Königin liebte, und er begab sich in sein Heimatland Suðvales, wo er geboren war, und er war dort volle zwölf Monate, da ihm nicht erlaubt war zurückzukehren. Dann setzte er sein Leben aufs Spiel. Laßt euch das nichr verwunderlich erscheinen, denn wer treu liebt, ist ganz voller Harm, wenn er sein Begehren und Verlangen nicht stillen kann. Tristram war sehr traurig und deshalb verließ er sein Heimatland und hielt auf Kornbretaland zu, wo sich auch die Königin aufhielt, und versteckte sich ganz allein in einem Wald. Doch als es Abend wurde, da kam er heraus und nahm Obdach und fragte nach Neuigkeiten über den König. Sie erzählten ihm, was sie erfahren hatten, daß alle Lehnsmänner und Fürsten in Tintaiol zusammenkommen sollten, da der König dort ein Fest geben und sein ganzes Gefolge und die Fürsten bewirten will. Zu Pfingsten sollen sie alle dort sein, und es werde nicht an Vergnügungen fehlen und reichlicher Bewirtung, und dann wird auch die Königin da sein. Als Tristram dies gehört hatte, da freute er sich sehr, denn sie würde nicht solchen Weges einherziehen, daß er sie nicht sieht. An dem Tag nun, an dem – wie er wußte – der König sich dorthin begeben würde, ging Tristram in den Wald an eine Stelle nahe des Weges, von dem er wußte, daß die Königin da einherritte. Da schnitt er einen Haselzweig ab und schnitzte ihn mit seinem Messer vierkantig und ritzte seinen Namen auf diesen Stecken. Wenn es möglich ist, daß die Königin diesen Stecken sieht, dann wird sie an ihren Liebsten denken, denn dies hatte sich schon einmal zugetragen. 46
47
48 49
Geitarlauf ist eine direkte Übersetzung von frz. Chievrefoil. Der nordische Name ist viðvindill, und der wird später im Text auch verwendet. Neben dieser einmal belegten Form kommen auch die Formen Tristam (einmal) und Tistram (sechsmal) vor. Ebensowenig wie in der Vorlage wird auch hier ihr Name (Isönd) genannt. Entspricht der frz. Vorlage Mars.
2. Das Geißblatt
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Nun war auf dem Stecken eingeritzt, daß Tristram lange dort auf sie gewartet und gelauscht hatte, um ihr Kommen zu bemerken und herauszufinden, auf welche Weise er sie zu sehen bekäme, denn er kann unter keinen Umständen ohne sie leben. „Es geht mit uns“, sagte er, „wie mit dem Geißblatt, das sich an die Hasel schmiegt. Solange diese beiden Bäume zusammen sind, leben sie und tragen Laub. Aber wenn diese Bäume von einander getrennt werden, dann stirbt die Hasel und danach das Geißblatt, und keines trägt mehr Laub, sondern Dornen, und beide werden zugrundegehen. Meine schöne Geliebte, genauso ist es mit uns: ich kann nicht ohne dich leben und du nicht ohne mich.“ Die Königin kam dahergeritten und sah den Stecken, der auf dem Weg stand, und ergriff ihn und las, was darauf geritzt war. Die Ritter, die sie geleiteten, ließ sie haltmachen und gebot ihnen, auf sie zu warten. Sie sagte, sie wolle absitzen und eine Weile ausruhen, und sie taten, wie sie gesagt hatte. Aber sie entfernte sich von ihrem Gefolge und rief ihre Dienerin herbei, die Brengveinn50 hieß, die ihr immer ergeben und treu war. Und dann ging sie vom Weg ab, damit sie den fand, den sie vor allen Lebenden liebte, und an ihrem Zusammentreffen hatten beide große Freude, und sie erzählt ihm in aller Ruhe all das, was ihr gefiel, und er ihr. Dann sagte sie ihm, wie er von ihrem Herren, dem König, Versöhnung und Vergleich erreichen kann, und daß der König sehr bereute, daß er ihn weggeschickt und dem falschen Rat böser Männer geglaubt hat. Danach schied sie von ihrem Liebsten. Doch als es ans Scheiden kam, da weinten beide. Tristram weilte in Vales, bis der König, sein Mutterbruder, nach ihm schickte und seinen Zorn aufgab. Wegen der Freude, die er durch die Tröstung der Königin im Wald erfahren hatte, und wegen ihres Anblickes und ihres Zusammenseins und um die Worte zu bewahren, die sie gesprochen hatte, verfertigte Tristram, der in allen Arten Lais, die für Harfe gemacht werden, vollkommen ausgebildet war, dann einen neuen Lai. Die Breten nennen ihn „Gotulæf“ [Geißblatt], die Welschen „Chævrefuill“ [Geißblatt], aber wir können ihn „Geitarlauf“ [Geißblatt] nennen. Nun habe ich erzählt, was ich als wahr über diese Unterhaltung weiß. Hier endet das „Geißblatt“.
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Entspricht der frz. Vorlage Brenguein.
3. Die isländische Saga von Tristram und Isodd Der Tristan-Stoff war gut bekannt im Norden, und er blieb nicht ohne Einfluß. Man hat sogar vermutet (B. Einarsson), daß eine Isländersaga, die Kormáks saga, über diesem sujet gemodelt sei. Vielleicht hat die Liebesthematik auch einige Bedeutung gehabt für die romantischen Elemente der Laxdæla saga,der Gunnlaugs saga und der Friðþjófs saga. Deutlich sind die Spuren im letzten Teil der Grettis saga, dem Spésar þáttr, in dem der falsche, doppeldeutige Eid eine große Rolle spielt. Vier Frauen tragen in der Þiðreks saga den Namen der Heldin, ohne daß allerdings dabei eine Verbindung zu ihrer Geschichte deutlich wird. Viele spätere Märchensagas werden das eine oder andere Motiv der Tristrams saga entnommen haben. Doch die Problematik der Tristan-Liebe war in ihrer Schicksalsmächtigkeit für die nachfolgenden Zeiten zu gewaltig. Zwar hatte auch die Isländersaga die Unausweichlichkeit des Schicksals häufig zum Thema gemacht, aber diese Gattung war nach ca. 1300 nicht mehr produktiv. Für den Tristan-Stoff bedeutet dies, daß es zu Reaktionen auf die (norwegische) Tristrams saga kam. Die Haralds saga hringsbana, die zwar verloren ist, aber durch die auf ihrer Grundlage gedichteten rímur gut erkennbar ist, schildert einen durchaus ähnlichen Konflikt, führt aber dann zu einem sogenannten guten Ende, und hierin kann man eine Parallele zur Entwicklung in Deutschland sehen. Vielleicht ist auch die Jarlmans saga ok Hermans eine Art von Anti-Tristan. Noch deutlicher ist die Reaktion bei der neu geschaffenen isländischen Saga von Tristram und Isodd. Sie ist in einer Handschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (AM 489 4to) und vier Handschriften aus dem Ende des 18. und aus dem 19. Jahrhundert erhalten. War man häufig geneigt, in ihr eine stümperhafte Nacherzählung der älteren Saga zu sehen, hat sich (mit P. Schach) die Ansicht Bahn gebrochen, daß es sich hierbei um eine Replik, vielleicht sogar um eine Parodie der norwegischen Tristrams saga handelt. M. Kalinke hat die Ansicht von P. Schach durch eine genaue Analyse der Saga entscheidend bestärkt. Einige Beispiele mögen dies beleuchten: Während Robert mit einer ausladenden prachtvollen Schilderung von Kanelangres anhebt, geht die isländische Version nach dem Muster der einheimischen Isländersaga vor, indem sie die Geschichte mit den Eltern Tristrams beginnen läßt und schon recht bald die weiteren Personen einführt. Hierbei wird der Akzent vom Vater Kanelangres auf die Mutter Blenzibly verlagert, die hier eine wesentlich bedeutendere und aktivere Rolle spielt. Daß sich beider Liebesspiel ohne Unterlaß über drei Jahre hinweg erstreckt, ist ebenso unhöfisch wie parodistisch. König Morodd (wie hier König Markis heißt) wirkt eher als ein gutgläubiger Tropf, und Tristram nimmt es mit der Unvermeidbarkeit einer schicksalhaften Liebe keineswegs so ernst wie sein französisch-norwegischer Vorgänger. Er heiratet ohne weitere Bemerkungen des Erzählers Isodd die Schwarze
3. Die isländische Saga von Tristram und Isodd
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(die Benennungen Isodd die Schöne und Isodd die Schwarze gehen auf seine Rechnung, sie fehlen in der norwegischen Version ), sie ist schließlich eine gute Partie und eine angemessene Belohnung für seinen Sieg gegen den König von Spanien. Sie haben auch einen Sohn, den sie nach seinem Großvater Kalegras nennen, und mit einem kurzen Ausblick auf seine glückliche Zukunft und seine Kinder ist die Wendung zu einem guten Ende vollzogen, von tragischer Liebe keine Rede mehr. Die Anregung für das happy ending mag sich die jüngere Saga aus den Ritter- und Märchensagas geholt haben, von denen keine eine tragische Stimmung aufkommen läßt. Es ist auch bemerkenswert, daß die isländische Saga radikal auf alle die stilistischen und rhetorischen Mittel verzichtet, derer sich Bruder Robert in so reichem Maße bediente. * * *
1. Als sich diese Geschichte zutrug51 , herrscht ein König Filippus über England. Er war weise und friedliebend. Seine Königin ist Filippia genannt. Sie machte viel von sich her. Sie hatten zwei Kinder; ihr Sohn hieß Morodd, Blenzibly ihre Tochter. Sie waren vielversprechend und äußerst tüchtige Menschen und über die Maßen beliebtin ihrer Jugend. Das wird erzählt, daß der König seine Tochter so liebte, daß er ihr nichts abschlagen mochte. Der König hatte einen Ritter namens Plegrus. In allen Wettkämpfen war er dem König Brust und Brünne. Der König schätzte ihn mehr als jeden anderen im Land, abgesehen von seinem Sohn und seiner Tochter. Heri hieß ein Mann; er wurde Heri der Besonnene geheißen, und deshalb wurde er so genannt, weil er der klügste der Männer war. Auch er wurde vom König hoch geschätzt. Pollornis hieß der Page der Königstochter. Sie brachte ihm große Hochschätzung entgegen, und er war ihr zugeneigt und treu und diente ihr geziemend und höfisch. Lange hatte so das Reich in hohem Ansehen und Würde gestanden, bis König Filippus krank wurde und starb. Sein Leichnam wurde wohl und würdig hergerichtet, wie er es wert war. Dies bedrückte die Bevölkerung sehr; es war dies auch ein großer Verlust, denn er war ein hervorragender König.
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Der Beginn der Saga ist traditionell nach dem Muster der Isländersaga gestaltet: Rückgriff auf die Familiengeschichte und nur wenig konkrete Personenbeschreibung.
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2. Morodd wird König über England Danach berief Morodd eine Versammlung ein, und er wurde zum König über ganz England gemacht, und keiner sprach dagegen, denn er war sehr beliebt. Blenzibly gefiel dies äußerst schlecht, denn sie meinte, sie habe um keinen Deut geringeren Anspruch auf die Herrschaft als er. Sie ergreift nun die Maßnahme, daß sie sich eine Schar zusammensammelt und sich ohne Erlaubnis von König Morodd in Skarðaborg52 niederläßt. Da war der Ritter Plegrus in größter Liebe zur Königstochter entbrannt, und er herrscht zusammen mit ihr über die Mannschaft. Blenzibly und er sammeln ihre Schar und ziehen Tag und Nacht gegen den König. König Morodd berät sich nun mit seinen Männern. Heri stand auf und sprach lange und klug, sagte, es sei unköniglich, hierüber lange zu beratschlagen: „Dies ist mein und unser aller Vorschlag, daß Ihr den Kriegspfeil über Euer ganzes Reich schickt und gegen Ritter Plegrus zieht, und entweder tötet Ihr ihn und du nimmst deine Schwester wieder zu dir oder er unterwirft sich das Land.“ Diesen Rat nimmt der König an, läßt sich eine Schar versammeln und bekommt ein großes Heer zusammen. König Morodd läßt das Heer von Blenzibly auskundschaften. Die Kundschafter sagen dem König, daß die anderen ihre Kriegszelte nicht weit entfernt auf einem Felde aufgeschlagen hätten. Da begab sich der König mit seinem Heer dorthin, wo er ihre Schar sieht. Er läßt seine Kriegszelte auf der anderen Seite des Waldes aufschlagen. Der König glaubt nun zu sehen, daß er eine sehr viel kleinere Schar zur Verfügung hat, und er sieht keine guten Voraussetzungen für den Kampf. Man beschließt nun, daß der König zu Ritter Plegrus schicken und ihn zu einem Turnier herausfordern läßt und daß derjenige Vorteil und Sieg davontragen solle, dem Gott es gewähre. Ritter Plegrus ist mit dieser Aufforderung des Königs einverstanden und sagt, er freue sich, mit dem König ein Spielchen zu machen. Nun schlafen sie die Nacht hindurch. Als es hell wurde, da gebot König Morodd seiner Schar, aufzustehen und die Waffenkleider anzulegen, und die Männer wappneten sich gründlich und schnell. Auch der König ist in Waffenkleidern und steigt auf das beste Pferd seines ganzen Heeres. Und als er auf den Kampfplatz kam, da waren schon Blenzibly und Ritter Plegrus mit ihrem Heer da, und wie sie einander sehen, reiten sie aufeinander los. Der König stößt die Turnierstange so heftig in den Schild von Ritter Plegrus, daß er entzwei ging; aber da dieser ein guter Ritter war, gelang es ihm, im Sattel zu bleiben; die Lanze von Ritter Plegrus dagegen blieb nicht im Schild des Königs stecken und glitt an Schild und Pferd entlang, und er wäre beinahe vom Pferd gestürzt, konnte sich jedoch im Sattel halten. Nun reiten sie erneut aufeinander los, und in großem Zorn treibt jeder sein Pferd mit den Sporen an. Da hält König Morodd mit seiner Lanze so kräftig und gewaltig auf den vorderen Sattelbogen von Ritter 52
Scarborough
3. Die isländische Saga von Tristram und Isodd
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Plegrus zu, daß beide Sattelgurte entzwei gingen, und er ihn in weitem Bogen vom Pferd stieß. Nun sehen die Männer von Ritter Plegrus das Mißgeschick ihres Herren. König Morodd fragte sie, ob sie mit ihm kämpfen oder sich ihm unterwerfen wollten, und sie zogen es vor, sich mit dem König zu versöhnen. Nun treten die Freunde beider Parteien vermittelnd dazwischen, und dann versöhnten sich die Geschwister. König Morodd nimmt seine Schwester Blenzibly und den Ritter Plegrus mit nachhause. Kurz darauf lädt König Morodd alle Fürsten nördlich des Meeres zu sich zu einem Turnier ein. Er selber war ein außerordentlich guter Ritter und hatte viel Spaß an derlei Unterhaltung.
3. Von König Hlödvir Hlödvir hieß ein König; er war weithin berühmt und ein guter Ritter. Er herrschte über Spanien. Er kam zu diesem Turnier mit großem und prächtigem Gefolge guter Ritter und wackerer Männer. Bei ihm war ein vorzüglicher Ritter, und er war schon in die Jahre gekommen. Er hieß Patrokles, war von vornehmer Familie und äußerst tüchtig. Viele mächtige Fürsten und gute Ritter waren auch dorthin gekommen. Der Ritter Patrokles hatte einen Sohn, der Kalegras hieß. Er war noch jung, aber dennoch hatte ihn sein Vater für Turniere vorbereitet, und es entwickelte sich so, daß Patrokles sich gegen Kalegras, seinen Sohn, nicht im Sattel halten konnte. Biring hieß der Ziehvater von Kalegras. Er war angesehen und hielt sich bei König Hlödvir auf. Das wird erzählt, daß eines Tages, als das Wetter gut geworden ist und die Sonne von einem wolkenlosen Himmel scheint – es war dort eine unermeßliche Zahl von Rittern erschienen, die aus verschiedenen Ländern und allen umliegenden Gegenden dorthin gekommen waren –, daß an diesem Tag Ritter Plegrus auf dem Turnierplatz herumprahlte und sich darauf freute, wenn irgendeiner gegen ihn anritte. Dies sieht Kalegras und bittet seinen Vater, ihn gegen jenen anreiten zu lassen, aber der findet das nicht ratsam, sagte, jener sei ein guter Ritter – „aber du bist noch ein Kind an Jahren.“ Dies gefällt Kalegras übel, und er sagt es seinem Ziehvater. Dann geht er zu Patrokles und bittet ihn, ihn ins Turnier ziehen zu lassen, und aufgrund der Bitte von Biring gestattet er seinem Sohn den Kampf. Nun stattet Biring seinen Zögling für das Turnier aus. Er steckt ihn in eine sichere Brünne und setzt ihm einen vergoldeten Helm auf den Kopf. Dann hängte er ihm ein Schwert an die Seite. Er gab ihm einen guten Schild, und auf dem war ein [Löwe]53 gemalt. Danach stieg er auf ein gutes Pferd und nahm eine gewaltige Turnierstange in die Hand. Nun kann man weithin sehen, wie 53
Fehlt in der Handschrift.
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glänzend seine Waffen strahlen, denn die Sonne schien klar und schön. Ritter Plegrus richtet ebenfalls seine Waffen und sein Pferd her. Und als sie gerüstet sind, reiten sie aufeinander los, und wie sie aufeinander treffen, da ging der Schild von Ritter Plegrus entzwei, und der Bogen wurde vom Sattel getrennt. Er stützte sich auf die Stange und mußte nicht vom Pferd herab. Da reiten sie ein zweites Mal auf einander los, und Kalegras zielt mit seiner Lanze auf den Schild von Ritter Plegrus, und von dort fuhr sie über den Nasenschutz auf dessen Helm, so daß der Helm am Kopf und auch die Kopfhaut platzte, und dadurch fiel Ritter Plegrus vor Kalegras vom Pferd. Dann geht er davon und sucht die Königstochter auf und erzählt ihr von seinem Mißgeschick. Sie verbindet seine Wunden, und nach kurzer Zeit war er wieder genesen, denn sie war die beste Ärztin. Die Königstochter gab ihm einen riesigen Goldring für einen weiteren Kampf. Dann ritten sie zum dritten Mal gegeneinander. Wer da nahebei stünde und ihren Angriff sähe, könnte gewaltiges Lärmen vom Galoppieren der Pferde und großes Waffengetöse hören, als sie mit vergoldeten Sporen ihre Pferde mächtig antrieben. Da stieß die Turnierstange des Kalegras auf die Stirn von Ritter Plegrus, sodaß sie in das Gehirn eindrang. Kalegras ritt dann zurück zu seinen Männern. Biring freute sich über seinen Zögling und auch alle seine Landsleute. Die Königstochter Blenzibly hatte ganz oben im Turm der Burg gestanden und dem Kampf zugesehen. Die Tapferkeit und Höfischkeit des Kalegras gefiel ihr sehr, denn er war der stattlichste aller Männer und herausragend auf all den Gebieten, die einen wackeren Mann zieren. Dann rief die Königstochter ihren Pagen Pollornis zu sich: „Ich habe heute“, sagte sie, „einen Mann gesehen, wie ich seinesgleichen noch nie erblickt habe, und, um dir die Wahrheit zu sagen, empfinde ich eine so große Liebe zu ihm, daß ich jetzt unter keinen Umständen etwas anderes will als dich sofort zu Kalegras zu schicken, und bitte ihn, zu mir zu kommen, und sage ihm, daß ich seine Liebe begehre.“ Pollornis antwortet: „Herrin, du mußt betrunken sein, daß Ihr solche Narreteien aussprecht, wo er Euch einen so großen Schaden zugefügt hat, indem er Ritter Plegrus, Euren Freund, erschlagen hat, den Ihr noch vor kurzem zum Anführer Eures Heeres gemacht habt. Es erscheint mir ratsamer, daß ich hingehe und ihn erschlage und Euch seinen Kopf bringe. Dann ist unser Mann anständig gerächt.“ Sie antwortet: „Wenn du nicht tust, wie ich will, dann sollst du am höchsten Galgen baumeln, sobald die Sonne am Morgen die Bäume rot färbt, oder sonst den schlimmsten Tod erleiden, den es in ganz England gibt.“ Nun bemerkt er, daß ihr dies tief in der Brust sitzt, sodaß er glaubt, daß Hexerei im Spiel sei. Er sagte: „Da ich nun Euren Willen kenne, will ich gerne überall hingehen, wohin Ihr mich schicken wollt.“ Sie sagte, er tue gut daran – „Und dann sollst du meine Huld haben, wenn du es zuwege bringst, daß Kalegras zu mir kommt, den ich mehr als irgend einen anderen Mann liebe, den ich gesehen oder von dem ich gehört habe, und darum
3. Die isländische Saga von Tristram und Isodd
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flehe ich“, sagte sie, „helfe mir Gott, daß mich lieber ein schneller Tod treffe als daß unsere Liebe entzweigeht.“ Nun macht sich Pollornis auf den Weg und ließ keine Verzögerung eintreten. Er traf Kalegras und überbrachte ihm die Botschaft der Königstochter. Er stellt ihm ihre Höfischkeit und Schönheit vor Augen. Das gefiel Kalegras gut, und er macht sich mit Pollornis auf den Weg. Sie begeben sich zur Kemenate der Königstochter Blenzibly. Sie war gerade drinnen. Aber wie sie Kalegras sah, stand sie auf und legte beide Arme um seinen Hals und küßte ihn. Dann gingen sie ins Bett und schliefen dort die Nacht. Und wenn auch der Tag kam, da ließen sie doch nicht in ihrer Liebe und Freundschaft nach, vielmehr ist wahrheitsgemäß zu vermelden, daß jeder soviel Liebe und Zärtlichkeit zum anderen gefaßt hatte, daß keiner auf etwas anderes achtgab als einander festzuhalten. Und obwohl Leute zu ihnen kamen, brachten sie kein Wort aus ihnen heraus. Nun dünkt es den Patrokles, daß sein Sohn lange ausgeblieben war, und er schickt Männer, um ihn aufzusuchen, und bittet ihn, schnell zurückzukommen, sagte, König Hlödvir sei zur Heimreise bereit. Nun finden sie Kalegras und überbringen ihm die Botschaft seines Vaters. Und obwohl ihm der Vater eine Aufforderung geschickt hatte, verhielt er sich derart zögerlich, daß sie nicht einmal Antwort von ihm bekamen. So mußten sie unverrichteter Dinge zurückkehren und erzählen nun dem Patrokles, daß Kalegras verzaubert ist – „Und er ist so von Blenzibly eingenommen, daß er uns nicht antworten wollte.“ Dies gefällt dem Patrokles schlecht, und er erzählt Biring, was sich zugetragen hat. Er antwortet: „Ich will meinen Zögling aufsuchen“, sagt er, „es wird um seine Sache besser bestellt sein als Euch berichtet wurde.“ Er begibt sich nun zur Kemenate der Königstochter Blenzibly. Dort war Kalegras in solchen Liebesspielen, wie es vorhin berichtet wurde, daß er auf nichts anders achtgab als sie zu umarmen, und sie erwies ihm denselben Dienst, und das kann man mit Recht sagen, daß sie einander mehr liebten als die, deren Liebe sich nach kurzer Zeit in Feindschaft verkehrt. Nun will Biring Kalegras ansprechen, und der benahm sich seinem Ziehvater gegenüber insofern besser als gegenüber anderen, daß er ihn anblickte, aber mehr bekam er auch nicht. Er mußte umkehren und sagt dem Patrokles, daß er von Kalegras keine Antwort bekommt: „Ich schlage vor, daß sie ihren Willen haben sollen. Er wird über sein Verhalten selber entscheiden wollen.“ Jetzt reitet König Hlödvir mit seiner ganzen Schar weg, aber Kalegras blieb zurück, und so ist erzählt worden, daß die beiden drei Jahre in der Kemenate verbrachten und sie die ganze Zeit nicht verließen.
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4.54 Dies ereignete sich, als König Hlödvir abwesend war, daß König Elemmie von Holmgard55 und sein Bruder Seran sich Spanien unterworfen hatten; beide waren gewaltige Krieger. Es kostete sie nicht viel, dieses Land anzugreifen, da König Hlödvir nicht zu Hause war und alle seine Kämpen mit ihm gezogen waren. Da es keinen Anführer gab, war die Verteidigung gering. Dann wird immer wenig gekämpft, wenn alle gleichviel zu sagen haben, auch wenn das Gefolge groß ist. Dies erfährt König Hlödvir. Daraufhin zieht er durch das ganze Land und bekam eine kleinere Schar zusammen als die Brüder. Er ruft zur Schlacht gegen sie auf. Er sagte, entweder würde er sein Reich zurückgewinnen oder er würde fallen. Nun treffen die Heere aufeinander, und sofort beginnt ein äußerst harter Kampf. Beide gehen mächtig voran. König Hlödvir ging tapfer vorwärts und hatte weder Helm noch Brünne. Er ging durch die Schlachtreihen der Brüder. Da konnte man ihn gewaltige Hiebe austeilen und manchen Kopf da vom Rumpf fliegen sehen, als er mit seinem scharfschneidigen Schwert dreinschlug, und das war am besten damit zu vergleichen, als ob ein Wolf in eine Schafsherde oder ein Wildeber in eine Schweineherde eingefallen sei. Und wenn er auch beherzt vorging, so konnte er doch nichts gegen seinen Tod ausrichten. Da treffen König Hlödvir und König Elemmie aufeinander. Sie kämpfen lange miteinander. Jeder von ihnen konnte sich mit seinem Schild gut zur Wehr setzen und mit dem Schwert dreinschlagen. Dennoch endete ihre Auseinandersetzung damit, daß König Hlödvir gegen König Elemmie fiel, nicht weil er der schlechtere Ritter gewesen wäre, sondern vielmehr, weil Gott, der himmlische Vater, ihm nicht länger zu leben gestattete. Nun sahen die, die ihm gefolgt waren, den Fall König Hlödvirs. Aber sie nahmen nicht jene zum Vorbild, die fliehen, sobald ihnen der Rückhalt wegbricht, und die in die Felder oder Wälder rennen, so ängstlich, wie die Ziege vor dem Schaf davonrennt oder das Reh vor dem Hund oder der kleine Spatz vor dem schnellen Falken oder die Maus vor der Katze oder der mutlose Feigling vor dem tapferen Ritter oder dem tüchtigen Knappen, sondern sie entschieden sich schnell und ehrenhaft nach dem Fall ihres Anführers. Patrokles wurde zum Anführer ihres Heeres, als König Hlödvir gefallen war. Er ließ das Banner vor sich hertragen, das König Hlödvir zueigen gewesen war. Nun beginnen sie den Kampf erneut. Diese Schlacht ist ebenso heftig, wenn nicht heftiger als beim ersten Mal, und König Elemmie konnte nichts anderes feststellen, als daß sie frisch ausgeruht wären. Das wird auch erzählt, daß König Elemmie sich gut und ehrenvoll schlug und auch sein Bruder Seran und alle ihre 54 55
Eine frühere Kapitelüberschrift ist heute unleserlich. Nowgorod.
3. Die isländische Saga von Tristram und Isodd
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Männer. Weiter wird erzählt, daß dieser Kampf lange und hart war, „und das vermute ich“, sagt der, der diese Saga zusammensetzte56 , „von den Feiglingen und Memmen, daß sie, wenn sie in Erwartung eines Hiebes dastünden, lieber – so glaube ich – in der Meerestiefe oder in einem schlimmen Moor versänken, und übrigens glaube ich auch“, sagte er, „daß sie jeden anderen Tod, auch wenn er schändlich wäre, vorzögen und sich lieber am höchsten Baum aufhingen“. Aber Ritter Patrokles wollte lieber in Ehren fallen als in Schmach und Schande weiterleben, und so würde er nach seiner Meinung leben, wenn er König Hlödvir nicht rächte. Und so ist es häufig, daß der, der sich der Gefahr aussetzt, nicht mehr dem Tod verfallen ist als der, der in völliger Schmach und Schande stirbt. Nun stürmt Ritter Patrokles wacker voran, und er beraubte manchen Körper des Kopfes, und manche Jungfrau verlor seinetwegen ihren Liebsten. Er haut mit beiden Händen drein, und er traf auf keinen Kühnling, der nicht fallen oder vor ihm fliehen mußte. Es endet schließlich so, daß er auf König Elemmie trifft, und sie kämpfen lange. Da schlägt Patrokles als erster auf König Elemmie ein, und dieser Hieb traf zuerst auf den Helm und spaltete den Helm und den Kopf und den Rumpf und die Brünne bis zum Gürtel. Als König Elemmie gefallen war, begann dessen Schar zu fliehen. Danach verfolgte Patrokles die Fliehenden, und seine Leute erschlugen jeden, den sie ergreifen konnten. Unter den Fliehenden war auch Seran, der Bruder von König Elemmie. Mit einigen Leuten gelangte er auf ein Schiff, und sie bekamen ihn dieses Mal nicht zu fassen. Von Ritter Patrokles ist zu berichten, daß er mit so großer Mannhaftigkeit gekämpft hatte, daß er an den Kampfesmühen starb und mit dieser Tapferkeit und großem Ruhm verschied. Aber als es soweit gekommen war, hatten sie den größten Schaden zu gewärtigen, und es ist leicht zu verstehen, daß sie keinen anderen Anführer bekommen würden, der ihm an jeglichem Ruhm und an Tatkraft glich, außer daß Gott, der Allgewaltige, ihnen einen ihm vergleichbaren Anführer beschere, und es war zu hoffen, daß er ihnen das gewähre. Diese Neuigkeiten verbreiteten sich weithin über das Land und erreichten auch Kalegras, daß sein Vater und König Hlödvir tot sind. Und obschon er vom Tod seines Vaters erfuhr, konnte man ihm nicht anmerken, ob ihn dies gut oder schlecht dünkte, aber er verhielt sich doch so, daß man sehen konnte, daß ihm dies sehr nahe ging, denn er ging aus der Kemenate. Da verschaffte Blenzibly ihm ein Schiff und Männer, sodaß er für die Reise gut ausgestattet war
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der, der diese Saga zusammensetzte: diese Phrase findet sich auch noch in Kap. 6, 10,14,15, wo sie immer ironisch gebraucht wird. Derartige Formulierungen kommen in Ritter- und Märchensagas häufiger vor (vgl. van Nahl 1981, S. 191 und Anm. 184).
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5.57 Nun war er mit der kleinen Schar unterwegs, bis er nach Spanien kommt. Und sobald er seine Verwandten und die Freunde seines Vaters trifft, da freuen sie sich und überbringen ihm die Neuigkeit, daß Seran zurückgekommen ist und sein Bruder Desixtus. Sie bitten ihn, ihr Anführer zu werden, sagen, sie seien bereit, ihm nach seinem Willen zu folgen – „ob du die Brüder nun erschlagen oder sie aus dem Lande verjagen willst.“ Kalegras ließ sich nicht lange bitten. Dann ließ er eine Schar aufstellen, und das war ein leichtes, denn jeder, der von ihm hörte, kam zu ihm. Jeder meinte, es sei besser, wenn man mit mehr als mit nur wenigen Leuten zu ihm käme. Seran und Desixtus erfahren davon, verschaffen sich eine Schar, die kleiner als die des Kalegras ist, und wie sie aufeinander treffen, da entbrennt der Kampf, und rasch fallen die Männer auf Seiten der Brüder; es gab von ihrer Seite keinen Widerstand. Kalegras ließ nicht eher nach, bis beide Brüder gefallen waren und der größte Teil ihrer Schar, und die, die nicht gefallen waren, ergaben sich Kalegras, aber er selbst war auf den Tod verwundet. Valtari hieß ein Mann. Das war ein Ritter, und er war mit Kalegras in England geblieben, als König Hlödvir zurück nach Spanien gefahren war und Ritter Patrokles mit ihm, wie vorher erzählt war. Dann sandte Kalegras ihn nach England, um Blenzibly zu holen. Nun macht sich Valtari auf den Weg. Er hatte ein gutes Schiff und die beste Mannschaft. Er hielt nicht eher an, bevor er zur Königstochter Blenzibly kam und ihr seinen Auftrag ausrichtete. Aber sobald sie die Botschaft von Kalegras hörte, da zögert sie keinen Augenblick, und es dauert nicht lange, bis sie sich mit Valtari aufs Schiff begibt. Und wie sie fertig sind und günstiger Fahrtwind aufkommt, werden die Segel gesetzt. Die Reise verlief gut, bis sie nach Spanien kamen, und die Begegnung von Kalegras und der Königstochter Blenzibly ist sehr freudig. Dann untersucht sie seine Wunden, und es deucht sie, daß man sie nicht mehr zu verbinden braucht. Ihre Ahnung bewahrheitete sich auch, denn, nachdem sie zu ihm gekommen war, lebte er nicht länger als drei Nächte, bevor er starb. Und ein wie großer Schaden den Leuten auch der Fall von König Hlödvir oder Ritter Patrokles dünkte, da erschien ihnen doch der Fall von Kalegras ein um so größerer Schaden, denn er war freundlich und außerordentlich freigebig, umgänglich und nachgiebig gegenüber seinen Männern in jeder Hinsicht, und dies war für beide Seiten eine große Ehre. Da wurde die Leiche von Kalegras in eine Steinkiste gelegt, und es gab keinen tapferen Ritter, der am Grabe stand, der die Tränen zurückhalten konnte. Und im Frühling, bevor Blenzibly von England wegfuhr, hatte sie ein Kind zur Welt gebracht; der Knabe wurde getauft und Tristram genannt. Er war mit seiner Mutter nach Spanien gekommen. Blenzibly ging der Tod Kalegras so nahe, 57
Eine frühere Kapitelüberschrift ist heute unleserlich.
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daß sie nur wenige Nächte lebte, bevor sie aus Kummer verschied. Dann wurde sie in die Steinkiste zu Kalegras gelegt. Dies geschah auf seltsame Weise, aber doch endete es so. Danach nahm Biring den Knaben Tristram zu sich und zog ihn auf. Er war frühzeitig groß an Wuchs und schön von Aussehen. Biring liebte Tristram sehr. Auch er liebte seinen Ziehvater so sehr, daß er immer bei ihm sein wollte. Als Tristram die Kraft und den Verstand dazu hatte, sammelte er junge Leute um sich, die ihm an Alter und Kraft passend erschienen. Tagsüber war er mit seinen Gefährten im Wald. Sie üben sich dort in mancherlei Geschicklichkeiten, Schießen und Schwimmen, Fechten und Reiten und manch anderen Künsten, die zu können einem jungen Mann gut anstehen, mit Kunstfertigkeit und Höfischkeit; Tristram war in jeder dieser Übungen besser als die beiden anderen, die am besten waren, aber er behandelte die gut, die weniger vermochten. Er stattete seine Leute gut mit Waffen und Kleidern aus, und alles, was er bekam, gab er mit beiden Händen. Alle liebten ihn von Herzen und erwarteten etwas Gutes davon, daß sie einen so guten Ersatz für ihre Anführer bekommen hatten, von denen früher die Rede war. So geht das, bis Tristram neun Jahre alt war. In ganz Spanien gab es nicht seinesgleichen; Biring regiert über das Land, und damit ist jeder zufrieden, denn er war umgänglich und friedfertig gegenüber jedermann.
6. Von König Turnes Turnes hieß ein König. Er herrschte über Blakamannavellir58 . Er war ein sehr tüchtiger König und ein außerordentlicher Räuber. Er sammelt eine große Schar. Dann fährt er nach Spanien und überzieht das Land mit Krieg, brennt alles nieder, wohin er kommt, und verwüstet die Gegend. Biring sammelt eine Schar und bekommt wenig Leute zusammen, denn die Bevölkerung war teils erschlagen oder verbrannt, teils in andere Länder geflohen. Danach trafen sie aufeinander; sofort entbrennt der Kampf. Und obwohl Biring alt war, hatte er doch nicht vergessen, gut und tapfer zu kämpfen. Aber weil er nur eine kleine Streitmacht hatte und die anderen scharf angriffen und äußerst tapfer waren, dauerte der Kampf nur kurz, bevor Biring und die seinen flohen; schwer verwundet kam er in einen Wald, aber König Turnes erschlug jeden, der ihm keine Treueeide schwören wollte. Danach unterwirft sich König Turnes das ganze Land. Eines Tages, als der König und seine Mannen im Land heerten, kamen sie dorthin, wo die jungen Leute in einer Lichtung ihre Geschicklichkeit erprobten. Sie ergriffen sie und nahmen sie mit sich auf ihre Schiffe. Als aber die mächtigen Fürsten erfuhren, daß ihre Söhne gefangengenommen waren, waren sie darüber sehr mißvergnügt. Dann begaben sie sich zu König Turnes und forderten die 58
Die „Ebenen der schwarzen Männer“ = Afrika. In anderen Texten wird häufig Bláland = „Schwarzland“, Afrika, verwendet.
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Rückgabe der Söhne, aber der wollte dies nicht so recht, es sei denn, sie gäben ihm so viel Geld, wie er fordert. Das Spielchen endete so, daß sie ihre Söhne mit so viel Geld auslösten, wie der König verlangt hatte, aber für Tristram boten sie nicht so viel Geld, daß der König ihn loslassen wollte, denn er glaubte zu wissen, daß Tristram aus vornehmer Familie stammte und daß er ein Anwachsen seines Ruhmes erhoffen dürfe, wenn er nichts im Schilde führte. Der König fragte ihn nach seinem Namen oder aus welcher Familie er stamme, aber Tristram schwieg, und der König bekam kein Wort aus ihm heraus. Da wollte der König, daß er ihm dienen sollte, aber das ließ sich mit Tristram nicht machen. Nun fragt der König seine Leute, was man mit ihm tun sollte. Da ergriff der Ratgeber des Königs das Wort: „Hier weiß ich einen guten Rat“, sagt er. „Du solltest ihn einem Bösewicht zur Versklavung verkaufen.“ Der König sagte, das sei ein sehr kluger Rat – „und das soll geschehen.“ Als der König einen Schurken fand, den er als den übelsten ansah, da bot er Tristram feil – „und er eignet sich“, sagte der König, „vorzüglich zum Sklaven.“ Nun kaufen die Räuber Tristram gegen soviel Geld, daß die Leute kein Beispiel dafür kannten, daß soviel Geld jemals für einen Mann bezahlt worden ist. Danach fragten sie ihn nach seinem Namen oder aus welcher Familie er stammte, aber obschon sie ihn für viel Geld gekauft hatten, bekamen sie ebensowenig wie der König ein Wort aus ihm heraus. Nun ergreift sie eine große Erregung, daß sie einen kleinen Kerl nicht knechten können. Sie versuchen einiges an ihm: mal schlagen sie ihn mit Fäusten oder Reisern, mal mit Stangen, aber dennoch erreichen sie nicht so viel, daß es auch nur einen Pfennig wert wäre. Dann schnitten sie ihm die Haare ab und verpaßten ihm eine Glatze; danach schmierten sie ihm den Kopf mit Teer ein. Aber er ließ sich davon nicht beeindrucken, wurde dadurch nur noch verstockter. EinesTages, als sie mit gutem Fahrtwind in die Nähe Englands gesegelt kamen, ergriff einer das Wort und sagte: „Warum sollen wir diesen Teufel an Bord behalten, von dem wir nur Schlimmes zu erwarten haben? Dies ist mein Rat“, sagte er, „daß wir ihn über Bord werfen und ihm so seinen Eigensinn heimzahlen.“ Da ergriff ein anderer das Wort: „Das ist“, sagte er, „der schlimmste Rat, den Knaben zu ermorden, und ich habe einen anderen Rat: wir sollten uns allerdings von ihm trennen. Ich sehe“, sagte er, „eine große Schäre, und es scheint mir ratsamer, ihn dort auszusetzen, damit bereiten wir ihm keinen direkten Tod.“ Nun tragen sie das ihrem Anführer vor. Er entscheidet, daß sie ihn auf diese Schäre bringen, und so wurde es auch gemacht. Die war soweit vom Land entfernt, daß wenige so gut schwimmen konnten, daß sie in einem Zug dorthin zu schwimmen vermochten, selbst wenn sie ein Schiff zur Seite gehabt hätten. Und da er glaubte, dem Tod verfallen zu sein, wenn er auf der Schäre bliebe, warf er sich in die Wellen und schwamm in einem Zug auf das Land zu59 , ohne daß 59
Dieser Zug findet sich nicht in der norwegischen Saga. Die isländische Literatur kennt mehrere Beispiele von kühnen Schwimmern, z. B. Grettir (s. Grettis saga, 1998, Kap. 38, S. 104, und Kap. 75,
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er dabei einhielt. Danach wringt er seine nassen Kleider aus. „Aber ich meine“, sagt der, der diese Saga zusammensetzte, „daß die Räuber ihm so mitgespielt haben, daß er nur geringe Mühe hatte, sein Haar auszuwringen, denn das hatte er nicht mehr.“ Dann ging Tristram in den Wald, bis er den Hirtenknaben von König Morodd trifft. Tristram fragt ihn nach seinem Namen oder wohin er gekommen sei oder wer über dieses Land herrsche. Und der nannte ihm seinen Namen – „du bist nach England gekommen; unser König heißt Morodd.“ Sie unterhalten sich eine Weile, bis der Hirtenknabe aufbrechen mußte und sich von Tristram trennte.
7. Dann begab sich Tristram zur Halle, und als er in die Halle kam, trat er vor König Morodd hin und begrüßte ihn außerordentlich kunstreich und höfisch. Morodd sah ihn an und seine Gesichtsfarbe änderte sich, da er an ihm Züge seiner Schwester Blenzibly wiederzuerkennen glaubte. Doch später sagte König Morodd, daß er sich deswegen Tristram nicht zu erkennen gab, weil er so erbärmlich aussah. König Morodd fragte ihn nach seinem Namen oder wessen Sohn er sei. „Ich heiße Tristram“, sagte er, „der Sohn von Kalegras, und Blenzibly hieß meine Mutter“, sagte er, „und das ist mir erzählt worden, Herr, daß sie Eure Schwester sei.“ Aber als König Morodd das hörte, stand er vor ihm auf und küßte ihn. Dann setzte König Morodd Tristram neben sich in den Hochsitz. Dann fragte König Morodd, wie es ihm auf seiner Reise ergangen war – „oder unter welchen Umständen kamst du hierher in dieses Land?“ Da erzählte Tristram dem König alles über seine Reise. König Morodd und viele andere, die Freunde seiner Mutter waren, bedauerten ihn sehr. Da ließ König Morodd ihn baden und ihm kostbare Kleider bringen. Der König liebte Tristram so sehr, daß er ihn nicht besser hätte behandeln können, auch wenn es sein eigener Sohn gewesen wäre. Tristram hatte dieselben Gewohnheiten wie früher. Er sammelte junge Leute um sich, die ihm ebenbürtig waren. Sie waren tagsüber im Wald und übten sich in Geschicklichkeiten: Schießen, Schwimmen, Reiten und allerlei Geschicklichkeiten, die mächtige Fürsten zieren. Und obwohl Tristram lange Zeit Schmerzen und Schwierigkeiten ertragen hatte, da hatte er dennoch nicht die Künste und Höfischkeit vergessen, die er von seinem Ziehvater Biring gelernt hatte. Es ist nun wie früher, daß er nicht zwei Gleichaltrige hat, die sich mit ihm in irgendeiner Geschicklichkeit messen können.
S. 187) oder Kjartan (Laxdoela saga, 1997, Kap. 40, S. 102). Aber auch Odd (aus der Saga von Örvar Odd, cap. 21 = Isländische Vorzeitsagas I, 1997, S. 236) ist ein tüchtiger Wassersportler.
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König Morodd hatte viel Spaß an Turnieren, wie früher erzählt worden ist. Er hatte das häufig zuseiner Unterhaltung, daß seine Ritter diese Geschicklichkeiten ausübten, aber doch gab es keinen in seiner Halle noch in ganz England, der sich gegen König Morodd im Sattel halten konnte. Tristram Kalegras’ Sohn wächst nun heran mit großer Ehre und Ansehen, die ihm zuerst von seiten des Königs selbst und aller Vornehmen und dann auch von der ganzen übrigen Bevölkerung zuteil werden. Jetzt hat Tristram bei den Spielen keinen Gegner unter seinen jungen Leuten. Da versucht er, gegen die Ritter des Königs zu reiten, zuerst gegen die, die am freundlichsten waren, und das endete schließlich so, daß es keinen Ritter in der Halle von König Morodd gab, der sich gegen ihn halten konnte. Und obwohl er ihnen in jeder Beziehung überlegen war, trat bei ihnen kein Neid auf, sondern alle freuten sich über sein Glück, denn er gab ihnen Gold und Geschenke. An einem schönen Tag zog König Morodd Tristram ins Gespräch: „Jetzt will ich sehen, Neffe“, sagte er, „ob du ein so guter Ritter bist, wie die Leute nachdrücklich versichern oder ob das mehr mit Prahlerei vergoldet ist als Wirklichkeit ist. Ich halte das für wahr“, sagte der König, „daß du, wenn du mich rasch aus dem Sattel hebst, unüberwindlich sein wirst, wo du auch mit den besten Männern zusammenkommst.“ „Herr“, sagte Tristram, „das ist ungerecht, da du der beste Ritter bist, der in ganz England nicht seinesgleichen hat und auch nicht, wenn man noch weiter sucht. Da ich aber, Herr, deine gute Gesinnung mir gegenüber kenne, hoffe ich, daß Ihr mir lieber Geschicklichkeiten beibringen wollt als mich zu verspotten, obschon es Euch ein Spaß ist, einen solchen Tropf, wie ich es bin, aus dem Sattel zu heben, weil Ihr wißt, daß ich ein Kind an Jahren bin, und ich habe noch keine Erfahrungen gesammelt, die von Bedeutung sind. Und obwohl Eure Ritter gegen mich gekämpft haben, wußte ich, daß sie mit mir so verfahren sind, wie sie wollten. Und wenn sie Euch auch gesagt haben, Herr, daß ich sie gefällt habe, dann taten sie es, weil sie wollten, daß Ihr sie um so lieber hättet.“ Dann ließ König Morodd sein Pferd herrichten und auch Tristram und, um keinen Unterschied bestehen zu lassen, gab er ihm kein schlechteres Pferd noch eine andere Rüstung als sich selbst. Als sie vollständig gerüstet waren, stieg jeder auf sein Pferd, und es wurden ihnen starke Turnierstangen gegeben. Die trugen Eisenspitzen, so daß sie in den Schilden stecken bleiben konnten. Nun reiten sie aufeinander los. Da sah man große Behendigkeit, die sie den ganzen Tag auf ihren Pferden zeigen, aber keiner glitt aus dem Sattel. Aber alle konnten sehen, daß Tristram alle Möglichkeiten hatte, den König aus dem Sattel zu stoßen, aber das ließ Tristram sich nicht anmerken; er empfand es als seine Ehre, daß alles das beste sei, was dem König zugehöre.
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Dies wird von Tristram Kalegras’ Sohn erzählt, daß er groß an Wuchs60 war, breitschultrig, schmal in der Taille, stämmig, von breiter Brust, mit gewaltigen Unterarmen und kräftigen Oberarmmuskeln bis zu den Schultern, aber schlank bis zu den Handgelenken und auch von glatter Haut, mit schönen und nicht zu kleinen Händen, kräftigen und harten Schenkeln, hinab bis zum Knie, mit ungewöhnlich kräftiger Wade und außerordentlich schönem Fuß. Es wird erzählt, daß Tristram seine Kahlköpfigkeit dreingegeben und sie für etwas Besseres eingetauscht hatte, denn jetzt hatte er volles Haar. Das war so schön, als ob man Gold sähe, und so lang, wie es sich sehr gut ziemte. Er war scharfäugig, und seine Brauen waren von derselben Farbe wie das Haar, sein Gesicht von der rechten Länge. Sein Antlitz war weiß wie eine Lilje, die Röte seiner Wangen wie eine Rose. Er war fröhlich und nachgiebig gegenüber allen seinen Leuten, aber streng gegen Diebe und Bösewichter. Er war großzügig und sehr freigebig und ließ es nicht an Geschenken für jederman fehlen. Er hatte alle Geschicklichkeiten gelernt, von denen er gehört hatte, daß die Berühmtesten im ganzen Erdenrund sie kannten. Nun ist noch rasch von seiner Kunst und Höfischkeit und jeglicher Fähigkeit zu berichten, daß es auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen gab und daß es keinen noch so weisen Mann geben würde, der sich in irgendeiner Beziehung Tristram überlegen fühlen könnte. Zu dieser Zeit kam Biring als Bettler nach England. Tristram freute sich über sein Kommen, denn er glaubte, daß er aus der Hölle gekommen sei, und dies meinte Biring auch von Tristram. Tristram gab Biring schöne Kleider und reiche Schätze und stattete ihn wie sich selbst aus. Er war Tristram der vorzüglichste Ratgeber, denn er war äußerst weise.
8. Zu diesem Zeitpunkt hatte der König die Macht über Irland, der Engres hieß. Seine Mutter hieß Flurent, seine Schwester Isodd die Schöne. Sie war schöner als jede andere Frau; sie war so schön, daß die Männer keinen Fehler an ihr erblickten, und wenn man es sagen dürfte, dann glaubten die Leute, Strahlen schienen von Augen und Antlitz. Ihr Haar war so mächtig, daß sie sich darin einhüllen konnte, wenn sie es aus den goldenen Bändern löste, und ihr Haar war um so viel schöner als Gold, wie Gold schöner als Eisen ist. Sie war weise und beliebt, großzügig und sehr freigebig. Sie beherrschte die Kunst, daß sie eine bessere Ärztin als jede andere Frau war, von denen die Leute in jener Zeit gehört hatten. Ein Mann war beim König, der Kæi der Höfische hieß. Er war dem König lieb, aber oft gab er einen Rat, der den meisten schlecht dünkte, und dennoch 60
Die folgenden Beschreibungen entsprechen weitaus mehr denen der isländischen Helden, wie z. B. Gunnlaugr, als den Schilderungen der Ritter- und Märchensagas.
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entschied er ziemlich viel, denn der König schätzte ihn sehr, auch wenn es mal schlecht gelaufen war. König Engres war ein Räuber und ein sehr beherzter Mann. Er plünderte in England, und sein Heer war unüberwindlich. Beim Heer hielten sich seine Mutter Flurent und Isodd die Schöne auf. Davon hörte König Morodd. Er sagte Tristram, in welche Bedrängnis er gekommen war. Tristram antwortet: „Herr, ich werde gegen König Engres ziehen, denn dabei glaube ich erfahren zu können, ob ich mit dem Schwert umgehen und mich mit dem Schild schützen und herausfinden kann, ob ich meine und deine Feinde mit der Lanze zu verwunden vermag.“ Dann ließ Tristram zu den Waffen rufen, und er bekommt ein großes Heer zusammen. König Engres verheert das ganze Land, brennt alles nieder und brandschatzt, wohin er auch kommt, bis er und Tristram aufeinander treffen. Nun ordnen sie ihr Heer zur Schlacht, und König Engres verfügt über ein viel größeres Heer. Tristram treibt nun seine Leute an, bittet sie, sich zu bewähren, sagt, es solle an Geld nicht fehlen, wenn sie siegreich wären. „Und wenn wir fallen,“ sagte er, „dann ist es besser, daß man uns nachsagt, daß wir wacker gewesen sind.“ Nun stoßen die Schlachtreihen aufeinander, und es erhebt sich eine äußerst scharfe Schlacht. König Engres folgte tapfer seinem Banner, und er wird von äußerster Angrifflust getrieben, denn er war der größte Haudegen und ehrgeizig in allen Mutproben. Das ist von Tristram zu erzählen, daß er durch die Schlachtreihe von König Engres ritt und dessen Männer auf beiden Seiten erschlug, und niemand konnte weder an ihm noch an seinem Pferd eine Farbe erkennen, denn es war, als ob beide in Blut gebadet seien. Sie kämpfen den ganzen Tag, doch am Abend vereinbaren sie Waffenstillstand, und die Wunden der Männer werden verbunden. Tristram ist sehr mitgenommen, und das mißfällt ihm über die Maßen. Als es am Morgen hell genug zum Kämpfen ist, da rüsteten sich beide wieder, und die Schlacht tobte heftiger als am Tag zuvor. Es mangelte nicht an gewaltigen Hieben und heftigem und andauerndem Pfeilregen. Da konnte man große Wurfgeschosse und scharfe Lanzen und wundenschneidende Wurfwaffen fliegen sehen. König Engres ging tapfer und wacker in die Schlacht, als hätte er mehrere Leben, und Tristram verursacht so großen Schaden, daß er jeden fällt, den seine Lanze trifft. Und wie Tristram mit vergoldetem Helm, verziertem Schild, scharfem Schwert, mit harter Gesinnung und männlichem Herz auf seinem guten Pferd sitzt, sieht er, wie seine Leute fallen, und das mißfällt ihm. Er wendet sich mit seinem Pferd dorthin, wo er König Engres seine Leute fällen sieht, als ob er in einen Wald gekommen sei und dort jeden Baum umhieb, der ihm im Wege stand. In großem Zorn reitet Tristram drauflos. Er trifft auf den Bannerträger des Königs und zielt mit dem Speer auf ihn an und durchbohrt ihn. Dann schleudert er den Toten von seiner Speerspitze und haut das Banner nieder. Dann reitet
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Tristram zu König Engres. Tristram zielt mit dem Speer auf ihn, und der traf auf den Schild und glitt vom Schild ab und landete neben dem König, aber der König verfehlte Tristram. Darauf reiten sie zum zweiten Mal gegen einander, und Tristram zielt erneut auf ihn und traf den Schild, und der Speer rutschte vom Schild ab und in die Brust und in die Bauchhöhle und unter dem Schulterblatt wieder heraus, aber der Speer des Königs glitt am Schild Tristrams ab, und er wurde nicht verletzt. Da ging die Spitze des Speeres ab. Dann reiten sie zum dritten Mal gegeneinander, und König Engres zielt auf Tristram und spaltete den Helm, und Tristram wurde stark am Kopf verletzt, und aus dem Schwert des Königs brach ein Stück heraus, und das, was herausgebrochen war, blieb in Tristrams Kopf stecken, und das ist klar, daß das nicht von dort wegkommt, außer daß der allmächtige Gott ihm den besten Arzt auf der ganzen Welt schickt. Tristram hieb seinerseits auf den König los, und der Hieb traf die rechte Schulter und schnitt den Arm ab und die ganze Seite auf, so daß er in der Hüfte stecken blieb, und der König fiel tot vom Pferd. Da stießen die Männer Tristrams den Siegesruf aus, und das Heer von König Engres ergriff die Flucht. Tristram und seine Männer nahmen die Verfolgung so hartnäckig auf , daß sie jedes Menschenkind erschlugen, das sie zu fassen bekamen. Danach kehren sie zurück. König Morodd war über Tristram sehr erfreut. Seine Wunde wurde schlimmer, und das kam wahrscheinlich daher, daß das Eisen in seinem Kopf steckte, denn es gab keinen Arzt, der es herausholen konnte. Tristram wurde sehr schwach und war dem Tode nahe, und er schien nun allen dem Tode verfallen zu sein. Dann bittet Tristram König Morodd um ein Schiff und eine Mannschaft. Der König fragt, was er wolle. „Ich will,“ sagte er, „wegfahren und ein gutes Schiff und sechzig Männer haben. Es soll so bestellt sein, daß einige Brüder oder Ziehbrüder oder Verwandte sein sollen, aber alle sollen in verwandtschaftlichen Bindungen miteinander stehen.“ Der König gewährt dies sofort, und Schiff und Männer wurden bereitgestellt, so wie es Tristram erbeten hatte. Und als er fertig war, begaben er und seine Männer sich zum Schiff. Sie hissen das Segel und segeln auf das Meer hinaus. Sie hatten guten Fahrtwind, bis sie nahe an Irland herankamen. Da ruft Tristram einen seiner Gefährten zu sich und sagte zu ihm: „Du sollst wissen“, sagte er, „daß es hier auf dem Schiff einen Mann gibt, der dir Böses will.“ Er fragt, wer das sei. Tristram nennt einen Mann, der ihm verdächtig vorkam. „Ich bin mir sicher“, sagte Tristram, „daß er deinen Tod will, und ich sage dir, daß er es eher verdient als du, Böses zu erleiden, und ich gebe dir den Rat, daß du dir keine Verunglimpfung von ihm gefallen läßt und ihn tötest.“ Nun glaubte er, daß er nicht bezweifeln könne, daß es so sei, wie Tristram ihm sagte; er sucht nach einer Möglichkeit, und als ihm die Gelegenheit günstig escheint, da haut er auf den ein, den Tristram ihm bezeichnet hatte, und spaltet
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ihn bis auf die Schultern herab. Dies sieht dessen Ziehbruder und will seinen Kumpanen rächen. Dann stehen sie gegeneinander auf, und es kommt dazu, daß ein Kampf entsteht, und es fällt jedes Menschenkind, außer Tristram; aber die, die noch am Leben waren, auf die ging er zu und erschlug alle, so daß er allein am Leben blieb. Aber weil ihm noch eine längere Lebenszeit beschert war und weil der Wind zum Land wehte, da landete sein Schiff, und das war nicht weit davon entfernt, wo Königin Flurent ihren Sitz hatte.
9. Ein Mann hielt sich bei der Königin auf, der Kollur hieß; er tat das, wozu er geboren war, und er kannte keinen aus seiner Familie, der eine andere Arbeit verrichtet hatte: Er hütete die Schweine und war ein unfreier Sklave; der Schweinestall lag am Meer. Die Königin Flurent hatte Kollur aufgetragen, ihr sofort zu berichten, wenn er etwas Neues sähe. So geschah es an dem Morgen, als Tristram in der Nacht nach Irland gekommen war, daß Kollur zum Meer ging; er sah, daß ein Schiff an Land gekommen war. Dies schien ihm berichtenswert, denn es gab dort keinen Hafen, und das Schiff war mit der Breitseite angetrieben. Er sah kein Zelt an Land und keine Männer auf dem Schiff. Es kommt dazu, daß er dorthin geht, wo das Schiff gelandet war. Er ruft zum Schiff und fragt, ob jemand an Bord sei; er erhielt keine Antwort. Dann geht er auf das Schiff. Dort sieht er Leichen auf dem ganzen Schiff. Aber wie er das sieht, ergreift er die Flucht, und der Fuß schien ihm wertvoller zu sein, der zuerst davoneilte. Er hielt nicht eher inne, bevor er zur Königin Flurent kam; er sagte ihr, was er gesehen habe. Sie bittet ihn, sich ein Zugpferd zu beschaffen und Decken in den Wagen zu legen. Er tut, wie sie gebot. Dann setzt sie sich und Isodd die Schöne, ihre Tochter, in den Wagen. Kollur führt das Pferd dorthin, wo das Schiff lag. Dann steigen sie aus dem Wagen und auf das Schiff. Die Königin fragte, ob auf dem Schiff jemand am Leben sei, der ihr Antwort geben könne. Tristram antwortet: „Kaum.“ Sie fragt ihn nach seinem Namen, und er erzählte ihr, was ihm passend erschien. Sie fragt ihn, ob seine Wunden heilbar seien. Er sagte, das glaube er bestimmt. Sie bittet Isodd die Schöne, ihnzu heilen. Dann tragen sie ihn in den Wagen, und er wird zur Kemenate Isodds der Schönen gefahren. Danach badet sie ihn und untersucht seine Wunden. Sie findet ein Stück Eisen in seinem Haupt. Das zog sie heraus und ging zu ihrer Truhe. Sie nahm das Schwert, das König Engres besessen hatte, als er durch Tistram fiel. Dann hält sie das Eisenstück an die Scharte, die im Schwert war. Nun erkennt sie durch ihre Klugheit, daß die beiden zusammengehören, das Stück Eisen, das sie aus Tristrams Haupt gezogen hatte, und die Scharte im Schwert. Sie wurde über die Maßen zornig und zog das Schwert und wollte ihren Bruder rächen, obwohl sie doch eher Frau als Mann war. Und in dem Augenblick,
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als sie das Schwert schwang, da ergriff Königin Flurent alles zusammen, Isodds Hände und den Knauf des Schwertes, und hielt so den Hieb auf. Königin Flurent bat sie, Tristram zu heilen, ihm aber keinen Schaden zuzufügen, und durch ihre Bitten besänftigte sie ihren Zorn. Sie reinigt dann die Wunde und schnitt totes Fleisch heraus. Sodann trug sie Salbe und und Heilkraut auf. Sofort schien ihm das Brennen in der Wunde aufzuhören. Sie richtete ihm eine angenehmen Lagerstatt her. Danach schläft er ein. Nun heilt die Wunde rasch. Sie fragte Tristram, wie es ihm auf seiner Fahrt ergangen war, und er erzählte ihr genau davon, seit er von zu Hause weggefahren war, bis er nach Irland kam. Sie sagt: „Du hast König Morodd, deinem Onkel, großen Schaden angerichtet, als du es zuließt, daß seine Männer erschlagen würden, aber einige hast du selbst getötet, und du wurdest doch halbtot.“ „Nein, Herrin,“ sagte er, „alle waren so ausgewählt, daß kein Schaden entstehen sollte, wenn keiner zurückkäme.“ Damit beenden sie ihr Gespräch für dieses Mal. Sie heilt ihn, sodaß er wieder ganz gesund wurde. Sie mochte seine Schönheit und seine Tüchtigkeit sehr, und obwohl er ihren Bruder getötet und ihr weiteres großes Leid zugefügt hatte, da wollte sie doch lieber Tristram haben als irgend einen anderen, von dem sie bislang gehört hatte.
10. Vom Drachen Das wird erzählt, daß ein großer Drache auf dem Berg Sukstia in Irland hauste; er war ein überaus großer Unheilstifter, für Menschen und Tiere eine Gefahr. König Engres hatte ein Gelübde abgelegt, daß er dem Manne Isodd die Schöne, seine Schwester, zur Frau geben wolle, der diesen Unheilstifter erledigen könne. Königin Flurent sprach die Warnung aus, daß keiner so kühn sein solle, Tristram von dem Drachen zu erzählen, denn es schien ihr nicht unwahrscheinlich, da Tristram ehrgeizig in Mutproben war, daß er versuchen werde, den Drachen zu erledigen. Tristram bemerkte, daß das Vieh jeden Abend hereingeholt wurde. Ein Mann namens Disus war bei der Herde; er war der Hirte der Königin Flurent. Eines Tages, als Tristram und Disus draußen waren, fragte Tristram, wie das käme, daß das Vieh hereingeholt werde, sobald der Tag sich neige. „Ich weiß auch, „sagte er, „daß die Männer sich hüten, draußen zu sein, sobald es Abend wird.“ Disus antwortet: „Es ist uns nicht erlaubt, dir zu sagen, was der Grund dafür ist.“ „Wer hat dieses Verbot ausgesprochen?“, sagte Tristram. Disus antwortet: „Königin Flurent.“ Tristram bat ihn, ihm davon zu erzählen. Disus tat dies, daß er Tristram vom Drachen erzählte. Aber in eben dieser Nacht stand Tristram auf und verschaffte sich ein Pferd. Er setzte sich einen Helm auf das Haupt und gürtete sich mit einem Schwert, einen Schild hängte er sich an die Seite und eine Lanze nahm er in die Hand. Dann reitet er dorthin, wo Disus ihm gesagt hatte, daß der Drache in einer Höhle
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hause. Tristram wartet unterhalb der Höhle, bis der Drache herauskommt, um zu trinken; da stieg er vom Pferd. Er plazierte das Pferd zwischen sich und der Höhle. Aber in dem Augenblick, als der Wurm anhebt, aus der Höhle zu fliegen, da stößt Tristram ihm mit der Lanze in die Schulterseite, sodaß er im Herzen stecken blieb. Und wie er den Stoß erhielt, fiel er in die Schlucht, die vor der Höhle war, doch das Pferd Tristrams kam unter ihn zu liegen. Und wenn er auf dem Rücken des Pferdes gesessen hätte, dann hätte er die Sonne nie wieder zu sehen bekommen, und das ist wahrscheinlich, daß er nicht entkommen wäre. Da krepierte der Drache, weil die Lanze in der Wunde steckte. Der Lindwurm hatte seine Klauen so fest in das Pferd gekrallt, daß sie zwischen die Rippen drangen. Da schneidet Tristram dem Lindwurm die Zunge heraus und legte sie in seinen Beutel. Danach begibt er sich zur Halle zurück und legt sich zum Schlafe nieder und tat, als ob nichts geschehen sei. Er schlief die Nacht hindurch, doch am Morgen, als er erwachte, da war Gift aus dem Beutel gedrungen und ihm auf den Schenkel. Kæi der Höfische war gewahr geworden, daß Tristram den Drachen erledigt hatte. Er begab sich zu dem Lindwurm und schnitt ein Stück von der Zunge ab. Dann begab er sich zurück und sagte, er habe den Lindwurm getötet. Königin Flurent sagte, das sei gelogen. Sie sah, daß Tristram bleich war und wenig trank. Da fragte sie, was ihm fehle. Aber da war es soweit gekommen, daß er nicht mehr länger an sich halten konnte. Da sagte Tristram ihr, was sich zugetragen hatte. Sie ging sofort, Isodd aufzusuchen, und bat sie, Tristram zu heilen. Das tat sie, und all das mußte überall dort herausgeschnitten werden, wo das Gift hingekommen war. Sie ließ nicht eher nach, bis Tristram zum andern Mal geheilt war. Flurent befahl, Kæi den Höfischen zu packen und ihn am höchsten Baum aufzuhängen. Tristram antwortet: „Nein, Herrin,“ sagte er, „das gehört sich nicht, denn er hat Euch lange gedient. Laßt ihn lieber von Irland wegziehen, und niemals soll er wieder zurückkehren, solange ihr über das Land herrscht.“ Flurent nimmt diesen Rat an. Kæi begab sich hinfort und kam nicht wieder zurück, solange die Königin das Sagen hatte. Königin Flurent bot Tristram wegen seiner kühnen Tat, daß er den Lindwurm getötet hatte, die Hand von Isodd. Tristram antwortet: „Das will ich nicht,“, sagte er, „denn ich kenne einen Mann, der ihr angemessen ist; dieses ist zu gering für sie.“ Sie fragte, wer das sei. Tristram antwortet: „König Morodd, mein Onkel“, sagte er. Die Königin antwortet: „Meine Tochter braucht keinen Besseren als dich,“ sagte sie. Aber die Königin bekam in dieser Sache nichts anderes zu hören. Da bat Tristram Königin Flurent um ein Schiff und Männer – „und ich will zurück nach England fahren, um König Morodd, meinen Onkel, aufzusuchen.“ Sie gewährt alles, worum Tristram bat; sie verschafft ihm sechzig Männer; sie alle waren mit Waffen und Kleidern gut ausgestattet; das Schiff war auch gut, und das ganze Schiffszubehör war über die Maßen erlesen. Königin Flurent gab Tristram viele Schätze, Gold und Silber und viele vorzügliche Kostbar-
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keiten, die der kühnen Tat angemessen waren, daß er den Lindwurm getötet hatte. Als Tristram bereit ist, stachen sie in See, und sie hatten einen guten Fahrtwind, bis sie nach England kommen. Aber als König Morodd von der Ankunft seines Neffen Tristram erfuhr, da ließ er ihnen Wagen entgegenschicken. Der König selbst setzte sich auf einen Wagen und ließ sich zum Strand fahren. Aber wie sie sich begegnen, Onkel und Neffe, wurde Morodd so erfreut, daß er das Augenwasser nicht zurückhalten konnte, und meinte, Tristram zum anderen Male aus der Hölle geholt zu haben. Dann ließ König Morodd ein prächtiges Fest ausrichten und bereitete seinem Neffen Tristram einen guten Empfang. König Morodd fragte Tristram, wo er gewesen sei. Tristram erzählt ihm alles von seiner Fahrt und auch, wo er gewesen war, und dazu, wer ihn geheilt hatte. „Und ich habe, Herr,“ sagte er, „den Lindwurm getötet, wofür mir Königin Flurent die Hand ihrer Tochter Isodd der Schönen versprochen hat, aber ich werde, Herr, zurückfahren und um sie für Euch werben.“ König Morodd gefiel dies sehr gut. Danach ließ König Morodd Tristram die Reise vorbereiten. Er hatte drei Schiffe, und alle waren sie vorzüglich ausgerüstet, und eine gute Mannschaft. Der König selbst und viele andere vornehme Männer begleiten Tristram zum Schiff. Sie nehmen nun mit der größten Zuneigung voneinander Abschied. Dann fährt Tristram ab, sobald sie guten Fahrtwind bekommen. Ihre Reise verlief auf das beste, bis er nach Irland kommt. Und als Königin Flurent dies gewahr wird, da schickt sie ihm Boten entgegen und lädt ihn mit seinem ganzen Gefolge zu einem Fest ein. Dies läßt sich Tristram gerne gefallen, mit der Hälfte seiner Mannschaft begibt er sich zur Halle, aber die andere Hälfte läßt er die Schiffe bewachen. Als er zur Halle kam, begrüßte ihn Königin Flurent mit beiden Händen und setzte ihn in den Hochsitz. Aber als er dort drei Nächte gewesen war, da trug er Mutter und Tochter sein Anliegen vor. Dies ging Tristram leicht von den Lippen, denn sie überließen es seiner Entscheidung, doch fügte Isodd hinzu, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß es ihr gefalle, wenn er für sich selbst um sie werbe. Aber das wollte er genauso wenig wie früher. Es kam dazu, daß die Frau dem König versprochen wurde, und Tristram sollte sie mit sich zurück nach England bringen. Bringven hieß die Ziehmutter Isodds; sie war die Tochter von Jarl Kusen. Sie reiste mit ihr nach England. Flurent übergab Bringven ein Trinkhorn und bat sie, es König Morodd und Isodd der Schönen zu geben, wenn sie das gemeinsame Bett bestiegen. Aber als sie guten Fahrtwind bekamen, segeln sie aufs Meer. Als sie an einem schönen Tag dahinsegeln, bat Isodd Bringven, ihr etwas zu trinken zu geben. Sie nahm das Horn, das Flurent ihr früher gegeben hatte, bevor sie von Irland wegsegelten. Sie trank aus dem Horn, dann gab sie es Tristram; der trank es aus. Doch als sie getrunken hatten, da verlangsamte sich ihre Fahrt, denn eine so große Liebe befiel die beiden zueinander, daß sie kaum mehr auf ihre Fahrt achtgaben. Nun wurde ihre Reise verzögert, weil sie lange Zeit in ein und demselben Hafen
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verbrachten. So wird erzählt, daß sie drei Monate auf ihrer Reise gewesen waren, bis sie nach England kamen Als sie an Land kamen, bat Tristram, König Morodd nichts von dieser Reise zu erzählen. Sie sagten, so solle es sein. Als König Morodd von der Ankunft Tristrams erfuhr, befahl er, viele Pferde zu satteln; das wurde getan. König Morodd begrüßt Tristram und Isodd die Schöne geziemend. Allen gefiel ihre Schönheit sehr, denn sie war die schönste Frau, die jemals geboren worden war. König Morodd bot Tristram die Hand Isodds an und sagte, wegen seines Alters sei das glückversprechender – „ich gönne dir diese Frau und das Reich aus ganzem Herzen.“ Tristram antwortet: „Nein, Herr,“ sagte er, „ich will nicht König sein, solange Euch dies möglich ist.“ „Aber ich schwöre“, sagt der, der die Saga zusammensetzte, „daß ich lieber Isodd als alles Gold der Welt genommen hätte.“
11. Nicht viel später ließ der König zu einem prachtvollen Fest rüsten. Er ordnete an, daß niemand ungebeten käme. Aber als die Zeit herangekommen war, daß sie ein gemeinsames Bett besteigen wollten, König Morodd und Isodd die Schöne, da ersinnt sie gegen den König eine List, da sie den König nur mit wenig anständiger Gesinnung würde ertragen können. Sie trifft den Entschluß, daß Bringven, ihre Ziehmutter, sich drei Nächte beim König bette, aber sie und Tristram ein Bett besteigen sollten. Obwohl der König klug war, bemerkte er diesen Betrug nicht. Als das Fest vorbei war, machte der König jedem großartige Geschenke. Auch Tristram machte wertvolle Geschenke. Dann fahren die Leute zu sich nach Hause und dankten dem König für das pächtige Fest und die ehrenvollen Geschenke. Doch sofort nach dem Fest sprach Isodd zu zwei Knechten: „Ihr sollt Bringven in den Wald bringen; dann soll ihr sie auf einem Holzstoß verbrennen.“ Sie taten so, begaben sich mit Bringven in den Wald; dann entzündeten sie den Holzstoß. Aber bevor sie sie auf den Holzstoß warfen, fragten sie sie, was sie sich habe zuschulden kommen lassen, daß Isodd ihr einen so harten Tod bestimmt hatte. Sie antwortet: „Sie hätte das nicht getan, wenn ich ihr keinen Grund dazu gegeben hätte. Aber das ist wahrscheinlich der Grund, daß ich, als wir in dieses Land kamen, ein reines Hemd hatte, aber ihres war beschmutzt.“ Die Knechte antworten: „Das ist ein geringer Grund für eine so schwere Strafe, aber nichtsdestoweniger muß dies getan werden, auch wenn es eine äußerst schlimme Tat ist.“ Aber als sie sie ins Feuer werfen wollten, da trat Isodd im Wald hervor und bat sie, diese äußerst schlimme Tat nicht zu tun. Darüber wurden sie froh. Königin Isodd hatte dies getan, um in Erfahrung zu bringen, ob Bringven ihr treu wäre, so wie sie vermutete, aber sie hatte nicht beabsichtigt, ihr einen größeren Schaden als sich selbst zuzufügen.
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Sie lagen in einer Kemenate, König Morodd und Königin Isodd und Tristram. Der König liebte Königin Isodd sehr, und die Leute konnten nichts anderes feststellen, als daß auch sie den König sehr liebte. Das war einmal, daß Heri der Besonnene mit König Morodd ins Gespräch kam und sagt ihm, daß Tristram sich des Nachts in das Bett der Königin Isodd begibt. „Und das sollt Ihr wissen, Herr,“ sagt er, „daß Isodd ihn in jeder Beziehung mehr liebt als Euch.“ „Nein,“ sagte der König, „dafür gibt es keinen Beweis, und sie tun das alles aus Liebe zu mir, doch sind sie nicht zu etwas Schlimmem bereit.“ Heri antwortet. „Herr,“ sagte er, „Ihr solltet sie auf die Probe stellen.“ „Welche?“, sagte er. Heri antwortet: „Ich werde Weizenmehl über den ganzen Kammerboden streuen, und dann wird man seine Spuren sehen können, wenn er zu ihrem Bett geht.“ Der König bat, es so zu machen. Der König Morodd war ein gläubiger Mann; jeden Abend ging er in die Kirche und betete zu Gott. Nun machte Heri diese Probe, daß er Weizenmehl auf den Boden zwischen die Betten streute. Aber am Morgen bat Heri den König nachzusehen, ob er etwas Falsches vorgebracht hätte. Der König ging herzu und sah Tristrams Spuren im Weizenmehl. Da sprach der König: „Ich glaube, er tut nichts Schlimmes, wenn er zu ihrem Bett geht, sondern er wird sie unterhalten61 wollen,“, sagte der König, „wenn ich nicht da bin.“ Aber dennoch ließ der König Tristram in einer anderen Kammer schlafen. Die Kammern waren so gelegen, daß die Fenster einander gegenüber lagen. Da brachte Tristram ein Seil zwischen seiner und der Kammer an, in der der König und die Königin schliefen. Dann hangelte sich Tristram des Nachts an dem Seil entlang, und kam so in das Bett der Königin Isodd. Das geht nun so eine Weile, bis Heri dem König davon erzählt. Der König sagt, da sei nichts dran. Das geschah eines Nachts, daß der König zur Kirche ging, da stürzte Tristram auf den Bettpfosten und stützte sich mit der Hand ab und begann zu bluten. Königin Isodd stach sich mit der Stoffschere in die Hand. Dann mischte sie ihr Blut, damit der König nicht sehen konnte, daß es Männerblut war. Doch am Morgen fragte der König, warum da Blut sei. „Deshalb, Herr,“ sagte sie, „weil ich mich heute nacht mit der Stoffschere verletzt habe, als ich aus dem Bett stieg.“ Heri antwortet: „Ja, Herrin, das ist gewiß Euer Blut; aber es ist mit dem Blut eines Mannes gemischt.“ Der König sagte, dem sei nicht so. Und obwohl er dies verneinte, wußte er es doch besser. Das geschah eines Tages, daß die Königin Isodd mit ihrem Leinen in einen Hain gegangen war. Tristram war bei ihr. Da war ein schöner Brunnen, in dem sie
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Das hier verwendete Verbum skemta hat mitunter, wie an dieser Stelle, durchaus sexuelle Konnotationen.
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das Leinen waschen wollte. Sie sehen einen Schatten im Brunnen. Sie bemerken, daß König Morodd über ihnen in den Zweigen saß. Da sprach Tristram: „Dem müssen wir gram sein, der uns bei König Morodd, meinem Onkel, verleumdet.“ Sie antwortet. „Ich wundere mich, daß du diesen Schurken nicht erschlägst, der uns bei einem so guten Mann verleumdet.“ „Nein,“ sagte er, „bei Gott will ich ihn meinem Onkel zuliebe schonen.“ So waren ihre Reden und ihnen dienlich. Der König gibt sich nicht zu erkennen. Nach wie vor hegt der König große Liebe zu Tristram, seinem Neffen. Das geschah eines Nachts, als der König aus der Kirche kam, daß er Tristram im Bett der Königin Isodd fand. Nun scheint der König kaum mehr die Augen davor verschließen zu können, daß die Sache nicht so unschuldig ist. Dann läßt der König sie in eine Felshöhle bringen. Da sprach die Königin Isodd: „Was können wir anderes tun, als uns in dieser Höhle zu lieben?“ „Nein,“, sagte Tristram, „wir sollten uns jeder an eine Seite der Höhle begeben.“ Das taten sie. König Morodd war vor der Höhle, und er wollte in Erfahrung bringen, worüber sie sich unterhielten. Da sprach Tristram: „Herrin, seid Ihr wach?“, sagte er. „Ich hatte geschlafen,“ sagte sie, „aber jetzt bin ich wach.“ Er fragt: „Wie beurteilt Ihr jetzt die Lage?“ „Gut“, sagte sie, „denn mir scheint es gut, für eine falsche Sache zu sterben.“ Tristram antwortet: „Gut scheint es mir zu sterben, aber das finde ich schlecht, daß König Morodd, mein Onkel, sich so irrt, daß er uns beschuldigt. Aber wenn wir hier beide sterben sollen, dann bitte ich den allmächtigen Gott, daß er es sich gefallen läßt, mit seiner Milde und seiner Gnade, ihm zu vergeben, so wie ich ihm um Gottes willen vergebe, weil er dies mehr wegen der Verleumdungen böser Menschen tut als aus dem Wunsch, daß wir den Tod verdienten.“ Es wird erzählt, daß sie eine Woche ohne Nahrung in der Höhle waren. Dann ging König Morodd in die Höhle und fand sie schlafend, jeder an seinem Platz, und da stellte der König fest, daß er belogen worden war. Der König hieß sie mit ihm zurück zur Halle zu kommen. Er behandelte sie wieder gut.
12. Fulsus hieß ein König; der überzog England mit Krieg. Er hatte ein großes Heer und war heidnisch wie ein Hund. König Morodd ließ ein großes Heer zusammenrufen. Dann zieht Tristram gegen König Fulsus. Und als sie aufeinander treffen, entbrennt der Kampf. Es beginnt eine äußerst scharfe Schlacht. Sie kämpfen den ganzen Tag bis in die Nacht. Da war der größte Teil von Tristrams Mannschaft gefallen. Da scheint ihm die Lage hoffnungslos zu sein. Da entschließt er sich, Gott für den Sieg zu geloben, daß er dem unerlaubten
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Verhältnis zu Königin Isodd entsagen werde. Aber am Morgen danach, als es hell genug zum Kampf war, nahmen sie den Kampf wieder auf, und da geht Tristram wacker und tapfer drauf los. Er schlägt die Heiden zu beiden Seiten nieder, und es ähnelt dem sehr, wenn ein starker Mann in einen dichten Wald kommt und jeden Baum niederhaut, der sich ihm in den Weg stellt. Da sagten die Heiden: „Das ist ein Teufel und kein Mensch, der uns soviel Schaden zufügt, und der heilige Maumet62 möge sich über ihn erzürnen und seinen Übermut dämpfen, und bei Makon,“ sagen sie, „er haut viel kräftiger drein als irgendeiner von denen, gegen die wir bislang gekämpft haben.“ Da hört Tristram, was sie sagten, und antwortet: „Ja, ja,“ sagt er, „das tue ich alles wegen dieser Frau.“ Und solche Worte heizten sein Vordringen noch mehr an, so daß er keinen noch so Kühnen traf, daß nicht der eine nach dem anderen fiel. Da brüllte König Fulsus mit lauter Stimme: „So helfe mir Makon,“sagte er, „daß ich diesen Teufel stracks erschlage, sobald ich ihn erwische, und ich werde ihn tot auf meiner Lanzenspitze63 zu Euch tragen.“ Das hört Tristram und will kein Feigheitsmal sehen lassen, sondern reitet mit großem Ungestüm einher, bis er auf König Fulsus trifft. Da hauen sie aufeinander los, und das Schwert des Königs trifft quer auf Tristrams Schild, und der Hieb fruchtete nichts. Da hieb Tristram dagegen und traf auf den Helm, und das mit so großer Kraft, daß er seinen Leib bis zum Sattel spaltete, obschon er zwei Brünnen anhatte und dazu eine äußerst starke Spangenbrünne. Da glitt der Leib des König Fulsus auf beiden Seiten des Pferdes herab, aber die Seele fuhr in die Hölle. Nun sahen die Heiden den Fall ihres Anführers. Da bricht im Heer die Flucht aus. Tristram machte sich sieben Tage lang an die Verfolgung, und er läßt nicht eher nach, bis jedes Menschenkind getötet war. Und als Tristram zurückkehrt, dankt König Morodd ihm dafür, und hierdurch wird er über die Maßen berühmt. Danach bat König Morodd Königin Isodd, sich durch ein Gottesurteil von der Beschuldigung zu reinigen; sie sagte, das liege ganz in seiner Macht – „aber doch möchte ich vorher noch Tristram sehen.“ „Nein,“ sagte der König, „das soll nicht sein, damit ihr keine List ausheckt.“ Aber dies geschah, daß sie einander auf einer Straße begegneten, bevor die beiden zum Gottesurteil kamen. Hildifonsus hieß der Bischof von Valland, der das Gottesurteil durchführte. Aber als sie eines Tages dahinritten, lag vor ihnen ein großer Morast, und das Pferd der Königin Isodd blieb im Morast stecken. Da kam ein Bettler herbei und zog sie auf die Böschung, und dies geschah so, daß sie über ihn stieg. Und als sie nach Valland64 kam, da suchen die beiden den Bischof auf, und sie verlangte, unschuldig erklärt zu werden, da außer ihrem 62 63
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Inbild heidnischer Götter und Götzen, wie dies auch in der Amlóða saga vorkommt. An derartigen Vorstellungen hatten die Märchen- und Rittersagas ihren Spaß, wie dies auch die Amlóða saga belegt. Das „Welschland“, meistens als „Frankreich“ belegt.
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Mann nur dieser Bettler ihr nahe gekommen sei, der sie aus dem Morast gezogen hatte. Und nach dieser Rede legte ihr der Bischof das Gottesurteil auf, und sie wurde gereinigt. Danach fuhr König Morodd nach Hause. Nun rüstet sich Tristram zur Reise von England nach Spanien. Dort hatte sich ein König an die Macht gebracht, der Benidsus hieß, und zwei Jarle, deren einer Sigurdr, deren anderer Hringr hieß. Sie stellten ein Heer gegen Tristram auf. Er focht einen Kampf gegen sie, und das war eine äußerst scharfe Schlacht, und es dauerte nicht lange, bis König Benidsus fiel, aber die Jarle übergaben Tristram das Land und boten ihm die Hand ihrer Schwester. Sie hieß Isodd die Schwarze65 und schien die beste Partie im ganzen Spanienland zu sein. Da ließ Tristram ein prachtvolles Fest vorbereiten und lädt alle Vornehmen des Landes dazu ein. Da verheiratete sich Tristram, und es wurde ihm der Königstitel über das ganze Spanienland verliehen. Aber als das Fest zu Ende war, da machte König Tristram allen Leuten große Geschenke, ihrem Ansehen entsprechend. Dann begibt sich jeder nach Hause, und sie meinen, sie hätten einen guten Anführer bekommen. So wird erzählt, daß Tristram immer noch an Isodd die Schöne denkt, und Isodd die Schwarze scheint seine Liebe nicht erringen zu können. Das war einmal, daß sie zu einem Fest bei einem vornehmen Mann eingeladen waren. Und als sie wegfuhren, regnete es stark, und Isodd die Schwarze sagte, daß der Regen nicht weniger neugierig war als ihr Mann. Aber als sie drei Jahre zusammen gelebt hatten, brachte Isodd die Schwarze einen Knaben zur Welt. Der wurde mit Wasser getauft, und der Knabe wurde Kalegras genannt. Er war frühzeitig von großem Wuchs und schönem Aussehen und seinem Vater gleich.
13. Der Kaiser herrschte über Saxland66 , der Donisus hieß; er war ein mächtiger und berühmter Fürst. Der König bekriegte ihn, der Amilias hieß. Da schickte der Kaiser Männer nach Spanien und bat Tristram um Hilfe. Der nahm die Botschaft wohlwollend auf und begab sich mit einer großen Mannschaft zum Kaiser. Tristram schlägt dem Kaiser vor, daß er alleine mit seiner Mannschaft gegen König Amilias zieht. Dies nahm er dankbar an. Dann zog Tristram gegen den König. Und als sie aufeinander treffen, hat Tristram eine viel kleinere Mannschaft. Da fordert er ihn zum Holmgang67 auf – „und der möge Vorteil und Sieg davontragen, dem Gott es gewähre.“ „Das will ich gerne,“ sagte der König, „aber das vermute ich, daß du dann, wenn wir uns trennen, wünschst, du hättest dies niemals vorgeschlagen, und richte dich nicht nach deinen Träumen.“ 65 66 67
Dieser Beiname ist wohl Erfindung des Sagamannes. Deutschland. Das ehemals strenge Ritual des Zweikampfes ist hier nurmehr ein literarisches Motiv.
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„Du tust wohl daran,“ sagte Tristram, „wenn du nicht an deine Träume glaubst, und erst dann magst du dich brüsten, wenn wir geschieden sind.“ Nun begeben sie sich auf den Holm, und Tristram sagt die Holmgangsgesetze auf. Nun ist es an König Amilias, als erster den Streich zu führen, weil er der Herausgeforderte war; König Amilias legt auf Tristram an, und der Streich kam von oben in den Schild, und er spaltete den Schild auf der einen Seite des Schildriemens, und das Schwert landete im Boden. Tristram legte es nun darauf an, daß der König nicht noch einen Streich gegen ihn führen sollte, und das gelang ihm auch. Da legte Tristram auf den König an, und der Hieb traf auf den Helm und rutschte am Ohr entlang auf die Schulter und spaltete ihn auf der linken Seite, so daß er in der Hüfte stecken blieb. Nun kann Tristram sich wie üblich seines Sieges rühmen. Doch als die Männer des Königs seinen Fall sehen, fliehen sie in Feld und Wald. Tristram verfolgt sie eine Weile und erschlägt viele Leute. Dann begibt er sich zum Kaiser und erzählte ihm, was vorgefallen war. Er dankt Tristram für seine Tapferkeit und seine äußerst mutige Tat, die er seinetwegen vollbracht hatte. Aber bevor Tristram aus Saxland wegfährt, macht ihm Kaiser Donísus stattliche Geschenke, wie es angemessen war. Danach begab sich Tristram mit großem Ansehen zurück nach Spanien. Nun hält sich Tristram in gutem Ansehen und mit großem Ruhm eine Weile in Spanien auf. Es war ihm ein regelmäßiges Vergnügen, in den Wald zu reiten und Tiere und Vögel zu jagen, denn er war ein sehr guter Bogenschütze, und jede Fertigkeit hatte er gelernt, von der er meinte, es sei besser, sie zu beherrschen als ohne sie auskommen zu müssen. Das geschah eines Tages, als Tristram auf die Jagd ging und mit Schwert und Helm, Schild und Lanze bewaffnet war, daß er im Wald einem Mann begegnet; der nannte sich Tristram. Da fragte König Tristram: „Woher kommst du?“, sagte er. Der fremde Tristram antwortet: „Ich komme aus Jakobsland,“ sagte er, „und ich bin gekommen, um Euch zu treffen,“ sagte er, „da wir viel von Eurem Ruhm erfahren haben, und ich glaube, daß ich Eurer Unterstützung sehr bedarf, denn sieben Brüder haben mich aus meinem Reich vertrieben; einer heißt Ayad, der zweite Albad, der dritte Dormadat. Sie sind alle sehr tapfere Männer, so daß es kaum im ganzen Reich ihresgleichen gibt, und mir schien deine Hilfe sehr von Nutzen, wenn du gegen drei kämpftest, aber ich gegen vier.“ Da wurde König Tristram zornig und sagte, er sei ihm nicht unterlegen. „Und das weiß Gott,“ sagte er, „daß es mir besser ansteht, gegen fünf zu kämpfen, und du gegen zwei.“ Der fremde Tristram will, daß sie sich sofort auf den Weg machen.
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14. Nun reiten die Namensvettern von Spanien weg, und sie lassen nicht eher nach, bis sie nach Jakobsland68 kommen und zu jener Burg, die die Brüder als Residenz hatten. Da stachelt Tristram sie an, aus der Burg herauszukommen – „und wir zwei werden gegen euch sieben kämpfen.Und wenn ihr auch nur ein bißchen tüchtig seid, dann kommt aus der Burg heraus.“ Aber als sie das hörten, rüsteten sie sich sofort und behend. Dann reiten sie aus der Burg, und wie sie aufeinander treffen, mangelt es nicht an gewaltigen Hieben, die sie einander zufügen. König Tristram kämpft gegen fünf, sein Namensvetter gegen zwei. Es war ein langer Kampf, denn beide Seiten waren aufgrund ihrer Tapferkeit äußerst vorzügliche Männer. König Tristram fügt den Brüdern gewaltige Hiebe zu, und ebensolche bekommt er von ihnen. Doch das ist vom Ausgang zu erzählen, daß König Tristram die fünf erschlägt, gegen die er gekämpft hat, doch sein Kamerad hatte einen von ihnen, mit denen er es zu tun hatte, getötet. Da erschlug König Tristram den, der übrig geblieben war, „und es ist zu befürchten“, sagt der, der die Saga zusammengesetzt hat, „daß er zum letzten Mal einen Mann erschlagen hat“, und es zeigte sich69 , daß er tödlich verwundet war. Der fremde Tristram dankt ihm für den großen Sieg, den er ihm errungen hat. Er bot Tristram das Land an und alles, was seiner Macht unterstand. Tristram antwortet: „Bald wird man nicht wissen, wer über die Länder zu herrschen hat.“ Da läßt Tristram nach seiner Frau und seinen Verwandten schicken. Seine Wunden verschlimmerten sich, und es kamen alle Ärzte herbei, die die besten im Lande waren, aber durch jeden Besuch wurde es nur noch schlimmer. Nun ließen seine Kräfte nach. Dann ließ er die Jarle, seine Schwäger, zu sich rufen und sprach: „Ich bitte euch um eine Reise in meinem Auftrag.“ „Wohin?“, sagen sie. „Ihr sollt nach England fahren und Königin Isodd bitten, hierher zu kommen und mich gesund zu machen, denn sie kenne ich als den besten Arzt, und sagt ihr, daß ich von meinen Wunden nicht genese, wenn sie nicht kommt. Und damit man von hier aus eure Fahrt sehen kann, wenn ihr auf dem Heimweg seid, da sollt ihr das zum Zeichen haben, daß ihr ein schwarzes Segel auf dem Schiff setzt, wenn sie nicht dabei ist, und sonst sollt ihr ein weißes Segel setzen.“ Sie rüsten nun rasch zu ihrer Reise; und als sie bereit sind, fahren sie ihres Weges, bis sie nach England kommen. Und sobald König Morodd dies erfährt und auch Königin Isodd, begeben sie sich zu ihnen und laden sie ein. Die Jarle danken ihnen dafür – „aber etwas anderes ist angemessen als zu verweilen.“ Dann tragen sie ihre Botschaft vor. Und als die Königin dies vernahm, da bereitet sie sich mit großer Eile vor, war bei dieser Nachricht jedoch still geworden. Nun 68 69
Galizien im nordwestlichen Spanien, benannt nach Jacobus de Compostella. Hier befindet sich eine kleine unbedeutende Lücke im Text.
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verzögern sie ihre Reise nicht, bis sie nach Jakobsland kommen. Dann geht Isodd die Schwarze in die Kammer, in der Tristram lag, und sagt ihm, daß man die Ankunft der Jarle sehen könne. Er fragte, ob die Schiffe weiße oder schwarze Segel trügen. „Schwarze sind aufgezogen,“ sagte sie. „Das hätte ich nicht erwartet,“ sagte er, „daß König Morodd sie nicht fahren ließ, obwohl mein Leben daran gelegen ist; und nicht weiß ich,“ sagte er, „was das zu bedeuten hat.“ Als nun die Jarle kamen, war Tristram gestorben. Das schien allen ein so großer Schaden, daß weder Frau noch Mann das Augenwasser zurückhalten konnten. Und obschon es allen sehr naheging, bewegte es Isodd die Schöne doch am meisten, sodaß sie nur noch drei Nächte zu leben hatte; dann zersprang sie vor Kummer. Beide wurden zur größten Hauptkirche des Landes gebracht und dort begraben, und die Menschen standen wegen des beklagenswerten Lebensendes, das sie erleiden mußten, sehr traurig an ihrem Grab; er wurde auf der nördlichen Seite begraben, sie auf der südlichen. Da wuchs ein Baum mit prächtigster Frucht aus jedem Grab, und dazu wuchsen die Bäume, bis sie über dem Kirchendach zusammenkamen. Da verschlangen sich die Äste, und so hoch wuchsen die Zweige hinauf, daß man kaum jemals einen höheren Baum gesehen hatte, und diese Bäume stehen da immer noch, zum Beweis dafür, nicht daß Tristram Isodd die Schöne aus Schlechtigkeit gegenüber König Morodd, seinem Onkel, verführt hatte, sondern dafür, daß Gott selbst die beiden willentlich zusammengeführt hatte. Aber Tristram bekam Isodd die Schöne deshalb nicht von König Morodd, weil er ihm die beste Partie gewünscht hatte, und dennoch konnte er in keiner Weise gegen das Schicksal ankommen. „Da sie nun einander im Leben nicht lieben konnten“, sagte der, der die Saga zusammensetzte, „wollen wir Gott selbst darum bitten, daß sie jetzt mit Liebe und Zuneigung Freude aneinander haben mögen, und es bleibt zu hoffen“, sagte er, „daß es so sei, denn es kommt auf die Barmherzigkeit an.“
15. Nun begeben sich die Jarle in größter Trauer zurück nach Spanien und auch ihre Schwester, Isodd die Schwarze, und sie hatten viele Trauerbotschaften zu überbringen. Und als König Morodd dies erfuhr, wurde er betrübt, und dies schien ihm die größte Trauer, aber dennoch ertrug er dies wie alles andere mit außerordentlicher Tapferkeit. Dann schickte er Männer nach Spanien, um Kalegras, Tristrams Sohn, holen zu lassen. Und als der nach England kam, beruft König Morodd eine Versammlung ein und auf dieser Versammlung übergab König Morodd Kalegras, Tristrams Sohn, England und die Königsherrschaft, aber König Morodd begab sich nach Jerusalem und setzte sich in eine Klause
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und wartete heiter darauf, daß Gott, der Allmächtige, es sich gefallen ließ, ihn aus dem Elend dieser Welt zu sich zu rufen. Kalegras, Tristrams Sohn, wurde der beste Ritter und ein in jeder Hinsicht äußerst tüchtiger Mann. Er war freundlich und freigebig, alle großen Männer im Reich machte er sich geneigt und bestrafte Raub und Untaten, wie es sich für einen König gehört. Aber als Kalegras eine Weile König über ganz England gewesen war, begab er sich nach Saxland und hält um die Hand der Tochter des Kaisers an; sie hieß Lilja. Sie war die schönste der Frauen, nachdem Isodd die Schöne gestorben war. Der verheiratete sie ihm mit größter Ehre und Würde, und er führte sie mit sich nach Hause nach England. Und als sie eine Zeit lang zusammen gewesen waren, bekamen sie Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Patrokles hieß der eine Sohn, Morodd der andere, die Tochter hieß Mollína. Sie waren alle sehr geschickt. Die Söhne von Kalegras wurden außerordentlich tüchtig, und man weiß viel von ihnen zu erzählen. Nun herrscht Kalegras über England, solange es Gott gefällt, er, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt und regiert. Amen.
4. Die Balladen Die große, tragisch endende Liebe findet sich noch einmal gestaltet, und zwar in der isländischen Ballade Tristrams kvæði. Die Balladen des Nordens, dort als folkeviser oder (isländisch) fornkvæði, im Deutschen oft als Volkslied oder Volksballade bezeichnet, sind keine originär nordische Literaturform. Die kommt dem Norden aus Frankreich zu, und dies möglichweise schon im 13. Jahrhundert. Vom 13. bis wenigstens in das 15. Jahrundert ist die Ballade eine gemeineuropäische Literaturgattung, im Norden freilich ist sie noch länger produktiv. Sie bedeutet für den Norden einen Bruch mit der traditionellen einheimischen Dichtung, der Skaldendichtung. Die Balladen sind episch-dramatische endgereimte Gedichte mit einem oder zwei Kehrreimen meistens lyrischer Art. Ihr Dialog und die Situationen sind stilisiert, die Akteure sind eher Handlungsträger als individuell gestaltete Personen, mit festen, wiederkehrenden Epitheta charakterisiert, wie auch die Situationen häufig stereotyp sind. Sie sind ursprünglich eine mündliche Gattung, häufig, wenn auch nicht ausschließlich, zum Tanz, der ein Kettentanz oder ein Reigentanz war, gesungen. Hierfür sprechen nicht nur die Kehrreime, die teilweise direkt auf den Tanz verweisen, sondern auch dänische Kalkmalereien. Im 16. Jahrhundert gelangt die Mode, Liederbücher anzufertigen, aus Deutschland in die nordischen Adelskreise, und hier beginnen nun Frauen wie Männer, lyrische Poesiealben anzulegen, in die auch manche Balladen Eingang finden. Das berühmteste und originellste dieser Liederbücher, dänisch visebøger, ist wohl das Herzbuch (Hjertebogen), das, wenn man es öffnet, die Form eines Herzen hat. Der Prozeß der Sammlung und der Verschriftlichung ist nicht mehr aufzuhalten, er geht in den einzelnen Ländern unterschiedlich rasch vonstatten, bis im 19. Jahrhundert unter dem Zeichen nationalistischer Identifikationskonstruktionen die großen wissenschaftlichen Ausgaben angelegt werden, um den vermeintlich nationalen Schatz zu heben. An die Stelle einer internationalen Gattung ist eine national beschränkte Sammlertätigkeit getreten. Dabei darf indes nicht folgendes übersehen werden: Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Schweden im 16. Jahrhundert hatte Hans Svaning, der Schwiegervater von Anders Sørensen Vedel, „viser“ gesammelt, die er, wie Saxo Grammaticus vor ihm Heldenlieder zu seiner Darstellung der dänischen Geschichte verwendet hatte, für die Fortsetzung der Gesta Danorum verwenden wollte. Dazu kam es nicht, Svaning starb 1585 (zuvor hatte Vedel als Auftragsarbeit des Reichskanzlers Johan Friis Saxos Werk in dänischer Übersetzung herausgebracht). Das Archiv von Anders Vedel enthielt 253 viser in 289 Versionen (unter Einschluß der Handschriften von Hans Svaning), aus diesem reichen Schatz veröffentlichte Vedel 1591 hundert Beispiele Et Hundrede udvalgte danske Viser. Das hundrevisebogen war die erste Volksliedsammlung Nordeuropas (wie Europas überhaupt) –
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die Schweden hatten nichs dergleichen. Bemerkenswert an dieser Sammlung ist, daß Vedel einen Unterschied macht zwischen der menigmands-Überlieferung (Bauern, Bürger) – sie bewahrt hauptsächlich kæmpeviser und skiemteviser – und der adeligen-Tradition, der, wie die handschriftliche Überlieferung beweist, die Tristan-Balladen zuzurechnen sind (Iørn Pio). Seit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Volksballaden hat man sich auch um Einteilungen des Materials bemüht, und ist zu etwa folgenden Gruppierungen gelangt: Heldenballaden (kæmpeviser), die weitgehend heroische Stoffe aus germanischer und nordischer Tradition enthalten, Zauberballaden (trylleviser), die von Dämonen, Trollen, Unholden, von Runenmagie und heidnischen Naturmythen handeln, historische Lieder (historiske viser), die eine geschichtliche Episode darstellen, Legendenballaden ( schwed. legendvisor, norweg. heilagvisor), die christlich-religiösen Stoff behandeln, Ritterballaden (ridderviser), die im höfischen Milieu spielen, Scherzballaden (skæmteviser), deren drastischste Vertreter aus viktorianischer Prüderie allerdings nicht in die großen Sammlungen aufgenommen worden sind (auch die Adligen des 16. Jahrhunderts haben sie nicht berücksichtigt), und Romanballaden (romanviser), eposähnliche Gebilde nach literarischen Vorlagen. Hierher gehören die nordischen Tristrams-Balladen. Diese Einteilung ist, wie gesagt, neuzeitlich, sie geht auf Svend Grundtvig zurück, sie entspricht aber nicht der lebendigen Tradition. Diese Gliederung berücksichtigt nicht das Repertoire einzelner Traditionsträger. Repertoireuntersuchungen lassen sich nur an der Ausgabe der isländischen Volksballaden durch Jón Helgason machen, die dänischen und färöischen Sammlungen stellen jeweils die einzelnen Lieder in unterschiedlichen Fassungen zusammen. Fragen, die die Volksballadenforschung immer wieder stellen muß, kreisen darum, ob es für jede Ballade eine ursprüngliche Version gibt, zu der dann spätere Varianten entstehen, und ob es eine kollektive Schöpfung gibt oder ob man nicht doch mit einzelnen Verfassern rechnen muß. Weiterhin muß gefragt werden, wer die Balladen (vor dem 19. Jahrhundert) aufschrieb, wie alt sie in jedem einzelnen Fall sind, wie das Verhältnis der Fassungen zueinander ist, und schließlich, in welchem Milieu sie gelebt haben. Es soll ein knapper Blick auf die Zeugnisse geworfen werden, die die nordischen Balladen darbieten. Die Volksballaden sind auf Island nicht so dominierend wie im übrigen Norden, wo sie außerordentlich gut belegt sind. Dies mag mit einheimischen literarischen Gegebenheiten zu tun haben. Als die Gattung in den Norden kommt, gibt es auf Island bereits sowohl lyrische wie narrative Formen: auf das Gefühl abzielende Tanzlieder und epische Langgedichte, die rímur. Die Gattung kommt wohl erst im 15. Jahrhundert nach Island, von Norwegen und den Färöern aus. Was importiert wird, sind vorwiegend Zauberballaden, Legendenballaden, Ritterballadenund Scherzballaden, und diese Gattungen weist man gewöhnlich als typisch dem ostnordischen (also dem schwedischen und dänischen) Bereich zu. Das, was als typisch norwegisch angesehen wird, die Heldenballaden, sind nicht nach Island transportiert worden, Helden hatten die Isländer selber in ausrei-
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chender Zahl, und sie haben sie in ihren rímur besungen. So gibt es im Corpus der isländisch überlieferten Balladen von 110 Typen nur wenige, wahrscheinlich nur ein gutes Dutzend, eigenständiger Beiträge, der Rest besteht aus Übersetzungen und fremden Stoffen. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Färöer, die ebenfalls eine TristanBearbeitung kennen. Die ältere Literatur der Färöer ist nicht besonders reich an schriftlichen Zeugnissen, dafür gibt es aber einen ungewöhnlich reichhaltigen Schatz an sogenannter Volksliteratur, unter der die Volksballaden, die kvæði, einen herausragenden Platz einnehmen – in der maßgeblichen Ausgabe (CCF) sind weit über 200 verschiedene Balladen in unterschiedlichen Versionen zusammengestellt, was in Anbetracht der geringen Bevölkerungszahl doch eine enorme Menge darstellt. Das weitaus größere Dänemark bringt es auf über 500. Die ältesten Balladen dürften um 1300 entstanden sein, sie sind dann durch Jahrhunderte mündlich tradiert worden, bis sie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gesammelt und aufgezeichnet wurden. Ihre Überlieferung war und ist immer noch eng mit dem färöischem Kettentanz verbunden, der sich von Frankreich ausgehend über ganz Europa verbreitet hat und auf den Färöern heute noch im Gebrauch ist. Auch dänische und isländische Balladen wurden ursprünglich zum Kettentanz gesungen, man kann es teilweise den Kehrreimen noch ansehen. Den Stoff entnehmen diese kvæði zum größten Teil der nordischen Literatur des Mittelalters, sowohl den einheimischen Quellen wie auch denen, die sich in den übersetzten Sagas finden. Das berühmte Sjurðar kvæði bezieht seine Handlung aus dem Nibelungenkreis und verbindet sie mit Zügen aus der Þiðrekssaga, das Karlamagnus kvæði holt sich seinen Gegenstand aus der Saga von Karlamagnus, die isländische „Familiensaga“, die isländischen Vorzeitgeschichten, die fornaldarsögur, sowie Märchen und Volkssagen liefern das Material für viele Balladen.Es muß dabei nicht die gesamte Geschichte nachgedichtet werden, häufig werden nur einzelne Episoden gestaltet. Dies muß jedoch nicht unbedingt nahelegen, daß man die ganze Saga mittradierte, sie kann verloren gegangen sein, die jeweilige Episode ist Stoff genug für die Ballade. Gelegentlich werden auch unterschiedliche Stoffe miteinander gemischt, wie etwa im Snjólvs kvæði, das Elemente aus der Þiðrekssaga, der Ásmundar saga kappabana und Märchenmotive ineinander verwebt. Andere, meist jüngere Balladen haben die dänischen folkeviser zum Vorbild, produktiv war die Gattung bis in das 18. Jahrhundert hinein, so kennt man durchaus einige ihrer Verfasser aus jenem Jahrhundert. Einen großen Teil der Stoffe und Motive teilen die färöischen Balladen mit denen Islands und Norwegens, doch ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, in welcher Beziehung sie zu den Balladen der Nachbarländer stehen. Der Prozeß der mündlichen Überlieferung bedeutet immer auch, daß es im Laufe der Zeit zu Veränderungen des ursprünglichen Textes gekommen ist, so daß es nicht immer leicht ist, Älteres von Jüngerem zu scheiden, auch dann nicht, wenn man eine beispielsweise nordische schriftliche Vorlage einer Saga zur Verfügung hat. Wenn etwas in der
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Tradition verlorenging, mußte dies nicht zwangsläufig zu einer Verminderung der Strophenzahl führen, das Gegenteil scheint der Fall zu sein, die Anzahl der Strophen konnte bis auf mehrere hundert anschwellen, sie sind von stereotypen Wendungen und Wiederholungen geprägt. Im folgenden werden die Texte der Tristrams-Balladen wiedergegeben. Die kurzen Bemerkungen zu den einzelnen Balladen sollen nicht Bezug nehmen auf die Abhängigkeiten von und auf das Verhältnis zu den Prosaversionen, das gilt sowieso nur für die isländische und die färöische Ballade, für die dänische Überlieferung – und sie macht ja den größten Teil aus – müßten da andere Traditionen bemüht werden, es wäre hier der Frage nachzugehen, wieweit diese ihren Stoff aus dem Volksbuch bezogen haben. So gibt es etwa den deutschen Prosaroman Tristrant und Isalde vom 15. Jahrhundert (und später mehrere Versionen), das die Quelle für Hans Sachsens Tragedia mit 23 Personen, von der strengen lieb herr Tristrant mit der schönen königin Isalden von 1553 (gedruckt 1561) war, es gibt das deutsche Volksbuch Herr Tristant von 1570, und es gibt das dänische Volksbuch Tistrand og Indiana von 1775, dessen ältester Druck aus Christiania stammt. Es ist ein Nebenprodukt der TristanÜberlieferung und wahrscheinlich aus dem Deutschen übersetzt, doch hat sich die deutsche Vorlage nicht finden lassen.
Die isländische Tristrams-Ballade Das isländische Tristrams kvæði (ÍF 27) hat man oft für die innigste Version innerhalb der nordischen Überlieferung gehalten. Die Ballade, die den Schluß der Geschichte hauptsächlich nach der norwegischen Fassung erzählt, ist gut belegt, sie ist ab ca.1670 überliefert. Man darf mit vier Versionen rechnen, die indes inhaltlich nicht voneinander abweichen, nur in kleineren Details unterscheiden sie sich. Sie ist (in ihren vier Fassungen) zweimal ediert worden, von Svend Grundtvig und Jón Helgason, die unterschiedliche Editionsverfahren verfolgen: Grundtvig druckt die Versionen zusammen ab, was den Vergleich erleichtert, Jón Helgason gibt den Abdruck vollständiger Handschriften von Liederbüchern, was einen guten Einblick in das Repertoire und somit in das literarische Leben erlaubt, es ließe sich wohl etwas über die Intention und den literarischen Geschmack der Sammlugen sagen (allerdings tut sich hier in der Forschung noch eine Lücke auf ). Mit seiner achtbändigen Ausgabe hat er in der Balladenforschung einen Weg eingeschlagen, dem andere bislang nicht gefolgt sind. Indes ist auch Jón Helgason nicht ganz konsequent seinen Weg gegangen; so läßt er in der Edition der Hs. AM 153 8vo II, die 18 Nummern enthält, die letzten beiden aus: „im Versmaß unterscheiden sich die beiden letzten von den üblichen Balladen : : :“ („de to sidste adskiller seg i versemålet fra almindelige folkeviser : : :“, Bd. III, S. X). Die hier gedruckte Übersetzung stammt von Friedrich Ranke, der die Version A (= AM 151a, 8vo von ca. 1730) aus Grundtvigs Sammlung isländischer
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Balladen zugrunde legt (S. 188–194; = Helgason, Bd. 4, S. 221–226, der noch eine Strophe 33 gibt, die bei Grundtvig fehlt). Grundtvigs Version B mit 22 Strophen (S. 194–197; = AM 153, 8vo II von ca. 1670) entspricht Helgason Bd. 3, S. 198–201 (sie hat den hübschen Kehrreim og er sá sæll sem sofnar nær hjá henni – der ist glücklich, der bei ihr schläft), Grundtvigs Version C mit 30 Strophen (S. 201–203; = BM Add. 11.177 und Ny kgl. Sml. 1141, die Abschriften eines verlorenen Originals von ca. 1700 sind) entspricht Helgason Bd. 1, S. 137–143, Grundtvigs Version D mit 22 Strophen (S. 203–206; = Ms Bor 130 Bodleian Library Oxford von ca. 1800) entspricht Helgason Bd. 5, S. 22–25). Die Handschriften im einzelnen (nach Jón Helgason): AM 147 8vo: geschrieben 1665 von Gissur Sveinsson (1604–83), Pfarrer zu Álftamýri, Bruder des Bischofs Brynjólfur Sveinsson. Diese Handschrift ist die älteste erhaltene isländische folkevise-Handschrift. Diese Handschrift hat eine Lakune an der Stelle, an der die anderen Handschriften das Tristrams kvæði haben (Faksimile-Druck Kopenhagen 1960: Kvæðabók séra Gissurar Sveinssonar. A: Ljósprentaður texti. B: Inngangur eftir Jón Helgason). BM Add 11.179: Wie die vorige Handschrift stammt auch dieses Manuskript mit seinen 74 viser aus den West-Fjorden, der Schreiber war vermutlich Oddur Jónsson (1648–1711), der Bruder des Magnus Jónsson í Vigur, geschrieben wohl um 1670. Ny kgl. sml. 1141 fol.: Ende des 18. Jahrhunderts, ein großzügig angelegter Folioband mit 606 Seiten. Diese drei Handschriften repräsentieren ein verlorenes visebog, das durch eben diese drei Handschriften rekonstruiert werden kann. Es dürfte um 1650–1660 geschrieben worden sein, wahrscheinlich von Gissur Sveinsson und wohl für Magnús Jónsson í Vigur, der durchaus literarische Interessen hatte (vgl. zu Magnús digri: Kvæðabók úr Vigur AM 148, 8vo, B: Inngangur efter Jón Helgason. Kopenhagen 1955). Es enthielt viser aus der Sammlung von Vedel, zumeist jedoch viser aus der isländischen Tradition. Dabei kann das hundrevisebogen von Vedel durchaus den Anstoß zur Sammlung gegeben haben. Diese isländische Sammlung enthielt wahrscheinlich 61 viser, davon 12 aus der Sammlung von Vedel. JS 405 4to: geschrieben um 1800 AM 151a 8vo: geschrieben von Magnús Einarsson (c.1688–1752), der in Árni Magnússons Diensten stand, als dieser sich in Island befand (vgl.A.M.: Levned og skrifter II, 233–34; Private Brevveksling, S.176). Magnús kam 1715 nach Kopenhagen, wo er zwei Jahre für Árni Magnússon arbeitete (Levned og skrifter I, S. 645). Nach seiner Rückkehr ließ sich Magnús in
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Jöfri í Haukadal í Dalarsýsla nieder, heiratete 1725 Helga, die Tochter von Jón Hákonarson á Vatnshorn, der der Bruder von Guðrún Hákonardóttir war – und die hatte einige viser für Árni Magnússon aufgeschrieben (Helgason, Bd. IV, S. XLI ff.). Diese Handschrift, die 23 viser enthält, erhielt Árni Magnússon im Jahre 1725. Drei viser (darunter auch das Tristrams kvæði) finden sich auch in Ny kgl. sml. 1894 4to, geschrieben von Markús Magnússon in Kopenhagen zwischen 1771 und 1779. Markús war in den Westfjorden aufgewachsen. MS Bor 130 (Bodleian Library Oxford): geschrieben wohl nach 1750. Sie kam 1828 in den Besitz von Finn Magnussen und wurde bald darauf von Francisque Michel ediert (Tristan I–II, London 1835, Bd. II, S. 321–23). Nach dieser Vorlage wurde das Gedicht auch von Friedrich von der Hagen abgedruckt (Minnesinger IV, 1838, S.605–6: „die merkwürdige Altnordische Ballade“), dann wurde sie von Franz Dietrich in sein Altnordisches Lesebuch. Aus der skandinavischen Poesie und Prosa bis zum XIV. Jahrhundert zusammengestellt. 1843, S.195–96 aufgenommen, wo sie als „norwegisch“ bezeichnet und dem 14.Jahrhundert zugeschlagen wird. Michels Text lag übrigens auch der Ausgabe von Svend Grundtvig zugrunde. Die wohlgeformte Ballade findet sich nicht außerhalb Islands, die dänische und die färöische Fassungen stehen weit ab, auch wenn sie die gleiche Geschichte erzählen; sie darf als eine genuine Schöpfung Islands betrachtet werden. Die Frage nach ihrem Alter ist schwer zu beantworten. Sie bezieht ihren Stoff aus der Saga, fraglich ist nur aus welcher, aus der norwegischen oder aus der isländischen Version. Hier spielt das Verhältnis zur jüngeren Saga eine Rolle, das zu beurteilen schwierig ist. Zweifelsfrei gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch Abweichungen. Es spricht einiges dafür, wie Vésteinn Ólason wahrscheinlich gemacht hat, daß das Tristrams kvæði zum ältesten Bestand isländischer Balladendichtung gehört, mit einigen Fragezeichen darf man sie vielleicht in das 15. Jahrhundert datieren. Das Tristrams kvæði ist oft als die beste Version bezeichnet, häufig ist das Abhängigkeitsverhältnis zu den vorgängigen Sagas untersucht worden (z. B. P. Schach et al.). Alle Versionen haben zwei Züge, die nicht in der norwegischen Tristram saga vorkommen (Cook 1999), nämlich die Farbe der Segel und bestimmte Namen: in der Ballade heißen beide Frauen Isodd, die weiße bzw. die schwarze, so auch in der isländischen Saga, in der norwegischen Saga heißen die beiden Isönd (= die Geliebte) und Isodd (= die Gemahlin). Die isländische Version hat aus dem „ursprünglichen“ Stoff noch beibehalten, daß Tristan nur von Isot geheilt werden kann, daß Isot die Gemahlin des Königs ist, daß Tristan ein Verwandter des Königs ist; weiterhin die falsche Angabe der Farbe der Segel durch die schwarze Isot. Daß die weiße Isot an der Leiche des toten Tristan stirbt, kommt überraschend, denn bis dahin erfährt man von der gegenseitigen Liebe nichts: Tristan will sich nur von Isot heilen lassen, Isot
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läßt sich von ihrem königlichen Gemahl die Erlaubnis geben wegzufahren, um seinen kranken Verwandten zu heilen. Am Ziel erblickt sie den toten Tristram, dessen Herz zersprang, als er von der schwarzen Isot falsch unterrichtet wurde. Erzällogisch liegt hier ein Bruch vor. Darf man sich vorstellen, daß die Ballade „funktioniert“ hat, weil man den Stoff kannte? Dafür spricht auch der Kehrreim in drei Versionen: þeim var eckj skapad nema ad skilia (Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden), in dem das traurige Ende ja vorweg genommen wird. Eine Version hat dagegen den Kehrreim: og er sä sæll sem sofna näer hiä hennj (der ist glücklich, der bei ihr schläft). Daß der Stoff bekannt war, muß man auch für einige dänische Versionen annehmen, die nicht die ganze Geschichte erwähnen, hier muß damit gerechnet werden, daß die Zuhörer mit dem plot vertraut waren (z. B. DgF 471, Ab, Hs. von Kirsten Basse 1635; s.u. zu DgF 471) * * * 1. Tristram stellte sich zum Kampf dem Heidenhund70 : da ward ihm geschlagen in ihrem Streit manch blutige Wund’. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 2. Man trug ihn heim auf seinem Schild, den jungen Mann: Manche Ärzte boten sich ihn zu heilen an. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 3. Keine Heilung will er empfahn, er tat den Schwur: „Von Isodd71 laß ich, der lichten Frau, mich heilen nur!“ 70
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Stereotype Wendung. In norwegischen und färöischen Balladen wurde öfter der Kampf Rolands gegen die Heiden erwähnt. Aber auch in vielen Märchensagas spielen die Heiden eine immer wiederkehrende Rolle. In der isländischen Tristrams saga besteht Tristram seinen letzten Kampf an der Seite von Tristram dem Zwerg in „Jakobsland“, die norwegische Saga nennt hier keinen Ort. – Die Zweihebigkeit der zweiten und vierten Zeile kommt in isländischen Balladen häufiger vor, sie dürfte typisch isländisch sein. Beide Isolden tragen in der jüngeren Saga den Namen Isodd, versehen mit den Eptheta „die schöne“ und „die schwarze“, während in der norwegischen Saga zwischen Isönd (die lichte) und Isodd (die schwarze) geschieden wird. Mitunter werden jedoch die Namen vertauscht.
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Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 4. Tristran sandte ihr Boten zu und der Scheite72 drei: „Saget der lichten Isodd an, daß wund ich sei!“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 5. Tristran sandte ihr Boten zu und der Scheite fünfe: „Saget der lichten Isodd, sie komme mir zu Hülfe!“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 6. „Rüsten soll man ihre Fahrt, wie ich es sage: blau73 sei das Segel auf dem Schiff, das her sie trage!“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 7. Die Boten traten vor sie hin: „Herrin, vernehmt: Tristran der junge begehrt sie so sehr, daß ihr zu ihm kämt!“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 8. Isodd hin vor den König74 trat, in die Halle hinein: „Willst du Tristran nicht heilen lassen, den Neffen dein?“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 72 73
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So übersetzt (auch in Str. 5) Ranke skeið – „Langschiff, Kriegsschiff“. Auch in Str. 14,19: Alle Fassungen der Ballade beschreiben die Segel als ‘blau’ und ‘schwarz’. Dies findet sich nicht in der jüngeren Saga, die norwegische hingegen spricht von weißen und blauen und andererseits von schwarzen Segeln. In keiner Sagafassung kommt diese Szene (Str.8-12) vor, in der Isodd vor den König tritt.
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9. Der König nahm das Wort und sprach, in Zorn hub er an: „Keiner Heilung bedarf er mehr, der verlorene Mann.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 10. Die lichte Isodd verstand sich gut auf Rede und Rat: beide Arme um Königs Hals sie schmeichelnd tat. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 11. „Gern wollt ich Tristran heilen lassen von seiner Wunde: Wüßt ich, daß du mir wiederkämst heil und gesund.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 12. „Gott soll“, so sprach die Frau, „der Heimkehr walten: Wie sollte ich auf dieser Fahrt nicht Treue halten?“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 13. Sie schwang um sich ihren Zobelpelz mit Gram und Graus: dann ging die stolze Königin auf die Brücke hinaus. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 14. „Rüsten soll man meine Fahrt, wie ich es sage: blau sei das Segel auf dem Schiff, das hin mich trage.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden.
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15. Hißt das Segel den Mast empor, wie die Frau gebot! Besuchen will sie den jungen Tristran in seiner Not. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 16. Achtzehn Tage und Nächte währte die Fahrt: Immer wehte guter Wind75 dem Schiffe nach. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 17. Die schwarze Isodd hub an und sprach, als sie ging hinein: „Schwarz ist das Segel auf dem Schiff, das hier lenkt ein.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 18. Die schwarze Isodd hub an und sprach zum andern Mal: „Schwarz ist das Segel auf dem Schiff, das herwärts naht.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 19. Die schwarze Isodd hub an und sprach: „Ich seh es genau: Schwarz ist das Segel auf dem Schiff und ist nicht blau.“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 75
Ganz anders berichtet die norwegische Saga, die hier unnötig dramatisiert (oder vereinfacht die Ballade?): „ : : : ein gewaltiger Sturm aufkam und sie wieder vom Land weg hinaus auf das Meer trieb, und da draußen ging es ihnen viele Tage so schlecht, daß sie kaum mehr hofften, das Leben zu behalten.“ (Kap. 97).
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20. Tristran wandte sich zur Wand76 , mit dem Tod er rang: Drei Meilen hört man ins Land, sein Herz ihm sprang. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 21. Landein lenkten sie das Schiff zum schwarzen Strand: Die lichte Isodd trugen sie zuerst an Land. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 22. Lang war der Weg und die Straße breit: Allweil hörte sie auf ihrem Gange Glockengeläut77 . Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 23. Lang war der Weg und die Straße enge: Allweil hörte sie Glockengeläut und schöne Gesänge. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 24. Die lichte Isodd hub an und sprach, weiß wie ein Stein: „Mußte denn Tristran sterben jetzt, da ich komm heim?“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 25. Isodd hin zur Kirche ging mit hundert Mann: 76 77
So heißt es auch in der norwegischen Saga: „er kehrte sich sogleich zur Wand.“ Dies findet eine Parallele in der norwegischen Saga, nicht jedoch in der isländischen.
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Priester stimmten die Sterbegesänge dem Toten an. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 26. Isodd auf die Leiche niedersah, wie die Rose rot: Priester standen mit brennenden Kerzen im hohen Dom. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 27. Isodd auf die Leiche niedersah zum andern Mal: Priester standen mit brennenden Kerzen, fünf an der Zahl. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 28. Mancher lebt in der Märchenwelt mit minderer Not: Isodd auf die Leiche niedersah und lag da tot. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 29. Das machte ihr, der schwarzen Isodd, Jammer und Graus: Zwei Leichen trugen sie zur Kirche hinaus. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 30. Die schwarze Isod hub an und sprach, sie tat den Schwur: „Noch im Tode sollt ihr euch haben nicht, vermag ichs nur!“ Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden.
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31. Hoch schüttete man die Erde und schwer wohl auf ihr Grab: auf einer Seite vom Kirchenhaus ein jedes lag. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. 32. Aus ihren Gräbern sprangen78 der Bäume zween: über der Kirche die Zweige zusammengehn. Scheiden war vom Schicksal ihnen beschieden. (Übersetzung: Friedrich Ranke)
Die dänische Ballade Tristram und Isold Auch in der dänischen Balladen-Tradition sind zwei Versionen des Tristan-Stoffes überliefert (DgF 470 in neun Fassungen aus dem 17. Jahrhundert und DgF 471 in fünf Versionen mit insgesamt vierzehn Fassungen, schriftlich belegt seit dem 16. Jahrhundert). Der hier gegebenen Übersetzung von DgF 470 liegt die Fassung a von ca. 1620 zugrunde. Diese Fassung ist insofern bemerkenswert, als sie sich nicht auf das tragische Ende konzentriert, sondern die Listen und Verstellungen der Liebenden, um ungestört zueinander kommen zu können, kennt und von einer treuen Dienerin weiß, die Isold vor dem Mißtrauen ihres Gatten rettet. Einzelne Motive aus dem Tristan-Stoff sind sicher anderen dänischen Balladen zugeflossen (vgl. Olrik/Grüner-Nielsen). Eine direkte Anbindung an die norwegische Saga läßt sich nicht feststellen, sie kombiniert eher verschiedene Szenen. Die Form Isal oder Isald legt nahe, daß dieser Name nicht aus der nordischen Tradition abzuleiten ist, sondern eher der kontinentalen entstammt. Besondere Verbreitung 78
Die Fassung A lautet im Isländischen uxu upp (wuchsen empor), und dies entspricht der norwegischen Saga vóx upp (wuchs empor). Zwei Varianten der Ballade haben den Ausdruck runnu upp (liefen empor) wie dies auch in der isländischen Saga lautet: rann upp (lief empor). Auch wenn man A die Priorität einräumt, so darf nicht übersehen werden, daß es eine Verbindung zur isländischen Saga gibt. Ist nun das poetische renna upp in der Saga oder in der Ballade ursprünglich? Es spricht einiges dafür, daß es der Ballade zugehört und von dort in die Saga gekommen ist, und das müßte bedeuten, daß die Ballade älter als die (isländische) Saga ist.- Das Motiv der aus den Gräbern emporwachsenden Bäume findet sich in beiden Sagas und auch in der norwegischen Ballade Bendik og Årolilja, wohin es von der Tristrams saga gelangt sein mag. Die dänische und die färöische Fassung verzichten auf dieses Motiv.
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hatte diese Ballade im 17. Jahrhundert, aus dem die allermeisten Aufzeichnungen stammen. Dänische Handschriften zu DgF 470: a: Sofie Sandbergs Hskr. Nr. 78,ca. 1620 b: Anna Basses Hskr. Nr.95,ca. 1615 c: Kristense Juels Hskr. Nr. 26, 1614–15 d: Langebeks Foliohskr. Nr.93, ca. 1600 e und f: Magd. Barnwitz Hskr. 133 und 169, 1670 g: Det større stokholmske Hskr.Nr.14, ca. 1620–25 h: Det mindre stokholmske Hskr. 23, 1641 i: Grev Holsteins Hskr. 51, 1725–30 DgF 471 muß wohl aus dem Kreis relevanter Tristan-Bearbeitungen ausscheiden, diese Ballade weiß von der Geschichte nicht viel mehr als lediglich die Namen Tistram und Isolt; sie erzählt von heimlicher Liebe, die eine feindliche Umgebung verhindern will. Da ist so manches aus anderen Stoffen eingeflossen, wie z. B. die böse Königin Kremold, die als Kriemhilt aus dem Nibelungen-Kreis bekannt ist (Weiteres haben die Herausgeber A. Olrik und H. Grüner-Nielsen in ihrer Edition zusammengestellt). S. A. J. Bradley (in: J. Hill: The Tristan Legend, S. 144–155) hingegen möchte einen engeren Zusammenhang von DgF 471 und dem Tristan-Stoff herstellen, als bisher postuliert, und gibt daher die englische Übersetzung aller fünf Versionen. Betrachtet man die Überlieferung dieser Ballade, so zeigt sich, daß sie älter ist als DgF 470, sie findet ihre erste Aufzeichnung in der Mitte des 16.Jahrhunderts, während DgF 470 erst ab 1600 aufgeschrieben wird. Version Da (immerhin die älteste Version) und Eb lassen die Geschichte tragisch enden und stehen somit in der europäischen Tradition. Von ihr weichen jedoch alle Fassungen erheblich ab. Die Fassung A läßt die Geschichte glücklich enden, die beiden Liebenden werden mit einander vereint, indem sie vom Hofe fliehen, nachdem Isold vomSchloß abgeseilt worden ist und Tristan sein Schiff seeklar gemacht hat. Eine Version, Ab von Kirsten Basse von 1635, enthält nur die Strophen 6, 10–16, 18–21, wodurch sich eine sehr karge Handlung ergibt, die aber von den Zuhörern wohl ausgefüllt werden konnte. Die Fassung B führt die böse Frau Krimholdt ein (eine ähnliche Figur wie im färöischen Lied), die die Liebenden vergiften will, jedoch von Tristan gezwungen wird, den Gifttrank selber zu trinken. Aus dem Minnetrank ist ein Gifttrank geworden. Und auch hier werden die Liebenden glücklich vereint. Die Fassung C enthält ebenfalls die Gifttrank-Szene und endet mit Gremoldts Vergiftung. Die Fassung D weist gegenüber den anderen Fassungen einige Besonderheiten auf: so sind Tristan und Isolde Geschwister. Es wird geweissagt, daß sie einander bekommen werden, und um dies zu verhindern, wird die Tochter zum „Kaiser“ fortgeschickt. Doch es kommt, wie es kommen muß: Da Tristan an den Kaiserhof zieht, treffen sie einander und verlieben sich, obschon ihnen eröffnet wird, daß
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sie Geschwister sind. Die in einem Turm sitzende Isolde zieht – wie Rapunzel – Tristan an zusammengebundenen Laken zu sich, und hier werden sie durch einen giftigen Trank getötet. Durch den Vorspann entsteht hier fast eine Tragödie antiken Ausmaßes, das Lied handelt von der Unausweichlichkeit des Schicksals, allerdings liegt der Akzent hier nicht auf der Macht der Liebe. Auffallend ist hier, daß bei der unterschiedlichen Gestaltung in D und B die Fassung D ganz ähnliche Strophen wie B verwendet. Die Fassung E steht mit ihrem tragischen Ende ganz nahe bei Fasung D. Indes hat Kirsten Basse in ihrem Manuskript (Eb) von 1635 den tragischen Schluß (Strophe 29–33) weggelassen und ihn durch den glücklichen Schluß von A ersetzt. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß in keiner Fassung Isolde die Gemahlin eines anderen ist, man kann das auch so ausdrücken, daß hier eine Komplexitätsreduktion stattgefunden hat. Die handschriftliche Überlieferung: A.
a: b:
B:
Svanings Hskr., ca. 1550–160 Kirsten Basses Hskr., 1635 Sten Billes Hskr., ca. 1550 (in Jens Billes visebog)
C:
a: b: c: d: e/f: g:
Anne Urops Hskr., 1610 Det større stokholmske Hskr., ca. 1620–25 Dor. Thotts Hskr., ca.1670–1680 Tegnérs Hskr., 1699 Reenbergs Hskr. og Thotts Foliohskr., ca. 1700 Thotts kvarthskr., 1745–50
D:
a: b:
Karen Brahes foliohskr. ca. 1550 (= Margarethe Langes samling af gamle Danske viser) Grundtvigs Kvarthskr., 1656
a: b:
Sofia Sandbergs Hskr., ca. 1620 Kirsten Basses Hskr., 1635
E:
* * *
1. Es war ein Herr namens Thisterum, Reichtümer besaß der Ritter so viel; er hatte Frau Isall im Herzen so lieb, sie zu täuschen war niemals sein Ziel. Jungfrau, gebt uns die Treue.
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Texte
2. Dann rief er den kleinen Knappen zu sich und sandte ihn zu ihr: „Bitte Frau Isall, mir die Treue zu halten und heute abend zu kommen zu mir!“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 3. Dann ritt da der kleine Knappe weg und ihm wars im Kopf so flau: wie könnte er Gelegenheit finden, zu reden mit dieser Frau. Jungfrau, gebt uns die Treue. 4. Der kleine Knappe geht in die Junggfernkammer und sprach zu ihr so klüglich: „Herr Thisterum ist im Rosen-Hain, er will Euch treffen heimlich.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 5. Dies antwortete da die Frau Isaltt, die edle Rosen-Blume: „Bitte Herrn Thisterum, seine Treue zu halten, heute abend werde ich kommen.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 6. Frau Isall zu ihrer Jungfrau spricht: „Heute abend wollen wir reiten eine kleine Weile in den grünen Hain, Gott bewahre uns wohl vor Leiden! Jungfrau, gebt uns die Treue. 7. Geht Ihr zurück in die Jungfern-Kammer, das Schachbrett holt hervor; ich werde gehen in den Stall gesattelt steht unser Roß dann am Tor.“ Jungfrau, gebt uns die Treue.
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8. Fort ritt die stolze Frau Isall mit ihrer Jungfrau allein und traf den Herren Thisterom unter grüner Linde im Hain. Jungfrau, gebt uns die Treue. 9. Sie setzten sich auf die Erde nieder und hielten einander im Arm, und was sie sprachen und was sie sagten, das war ohne jeglichen Harm. Jungfrau, gebt uns die Treue. 10. Dieser Ritter und diese Frau, die liebten einander so sehr, und das will ich als Wahrheit sagen, sie waren voller Zucht und Ehr’. Jungfrau, gebt uns die Treue. 11. Sie waren zusammen eine kleine Weile und nicht besonders lange; die stolze Jungfrau sagte da: „Nun weilen wir allzu lange.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 12. Dies dann sagte Frau Isall an der grünen Weiden: „Herr Thisterom, wir müssen uns wieder trennen das dünkt mir ein großes Leiden.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 13. Herr Thisterom und Frau Isall, wünschten einander gut’ Nacht: „Oh Herr Gott-Vater im Himmel droben, daß wir uns bald treffen, steht in Deiner Macht!“ Jungfrau, gebt uns die Treue.
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14. Zurück ritt die stolze Frau Isall mit ihrer Jungfrau von hinnen; und draußen stand der edle Herr unter der hohen Zinnen. Jungfrau, gebt uns die Treue. 15. „Willkommen, stolze Frau Isall, mein allerliebstes Verlangen; wo wart Ihr im Rosen-Hain ? Warum sind bleich Euch die Wangen?“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 16. Zornig war da der edle Herr, die Worte er schroff da sprach: „Das ist nicht Art der Königin, zu reiten so spät in der Nacht.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 17. Ihre eigene Jungfrau war es dann, die Worte sie schroff da sprach: „Wir waren bei einer schönen Frau, sie gebar einen Sohn heute nacht.“ Jungfrau, gebt uns die Treue. 18. Sie schenkte ihr Kittel und Mantel aus Scharlach hinab bis zum Grund, dazu einen Schapel und Rosenkranz, weil sie diese Antwort fand. Jungfrau, gebt uns die Treue.
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(Hs. d in der Abschrift e und f fügen noch eine Abschlußstrophe hinzu:) 19. Und es war ihr edler Herr, er schenkt’ ihren Worten Vertrauen; so wird mancher Mann betrogen – auch heute noch lügen die Frauen).
Die färöische Tistrams-Ballade Der färöische Tistrams táttur (CCF 110) wurde 1848 nach Mitteilung der 77jährigen Anna Hansdatter aufgezeichnet, daneben gibt es keine weiteren Fassungen. Hier ist zwar noch die Rede von unverbrüchlicher Liebe und Treue, aber wie haben sich doch die Akzente verlagert! Die böse Mutter will die Liebenden auseinanderbringen, wofür kein Grund angegeben wird, und schickt den Sohn ins Frankenland, um des Königs Tochter zu freien. Seine Weigerung, das Mädchen zu heiraten, führt zu seinem Tod, den seine geliebte Isin am Frankenkönig rächt. Daß sie den König mit seiner Familie in seiner Halle verbrennt, erinnert stark an Guðrún, die nach der eddischen Atlakviða und der Völsungasaga die Rache an Atli vollzieht, indem sie die Halle in Brand setzt. Mit der ursprünglichen Tristan-Geschichte der norwegischen Saga hat diese Ballade eigentlich nur noch die Namen gemein, das Spezifische ist geschwunden, die große Liebe ist auch in den Volksballaden ein beliebtes Thema, man nehme nur die klassisch gewordenen Balladen von Hagbard og Signe aus Dänemark oder von Bendik og Årolilja aus Norwegen; letztere entnimmt der Tristrams saga übrigens das schöne Motiv der beiden aus den Gräbern aufwachsenden Bäume. Es zeigt sich an der färöischen Ballade sehr deutlich, welche Transformationen ein Stoff im Laufe der 650 Jahre, die zwischen der Abfassung der norwegischen Saga und der Aufzeichnung des Tistram táttur liegen, durchmachen kann. Vieles, was den Tristan-Stoff ausmacht, ist nur noch schwach sichtbar oder ganz getilgt: die stellvertretende Werbung (die allerdings in der Haralds saga hringsbana vorkommt), die schicksalhafte Macht des Liebestrankes, das unbeschwerte Leben im Wald, der Betrug am König [Marke], das Motiv der untergeschobenen Braut (das allerdings im Volksmärchen und in der Haralds saga hringsbana auftaucht), die falschen Eide. An deren Stelle tritt die Liebe zwischen den beiden Protagonisten, die mal erfüllt wird (DgF 470; zwölf Versionen von DgF 471), mal tragisch endet (Tristrams kvæði, Tistrams táttur, zwei Versionen von DgF 471). Es müssen für die Entstehung der Balladen nicht unbedingt die norwegische oder isländische Prosa-Fassung oder die deutschen Volksbücher zugrundegelegt werden. Man darf wohl davon ausgehen, daß der Stoff ganz allgemein bekannt und verbreitet war, wofür etwa auch der Beleg aus der Amlóða saga oder
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zwei isländische Volksmärchen sprechen. Diese verleihen zwar den Protagonisten die Namen Tistram und Isol (wobei anzumerken ist, daß die Namensform Isol nicht der nordischen Überlieferung zu entnehmen war), bewahren aber ansonsten nur im Motiv der untergeschobenen Braut eine schattenhafte Erinnerung an den Tristan-Stoff(abgedruckt bei Jón Árnason (Hrg).: Íslenzkar Þjóðsögur og Æfintýri, Leipzig 1864, Bd. II, S.315–326, deutsche Übersetzung in: A. Rittershaus: Neuisländische Volksmärchen, Nr. 27). * * *
1. Das war einst in alter Zeit, zwei liebten einander treu, Tistram und Frau Isin sprang vor Leid das Herz entzwei. Fort muß ich nun reiten. Was taugt mir besser? Der Falbe oder der Braune, der Braune oder der Rote? Fort muß ich nun reiten. 2. So hatten sie einander lieb, so stand nun ihr Sinnen: der eine mocht’ nicht draußen sein, solange der andre drinnen. 3. So hatten sie einander lieb, so hab’ ich sagen hören: zwischen diesen beiden konnte nichts ihre Liebe stören. 4. Der Vater und die Mutter sein dies unter sich besprechen, welcher Rat sich finden ließe, ihre Liebe zu zerbrechen.
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5. Da sagte Tistrams Mutter, die böse List erfand: „Es wird ein Brief nun aufgesetzt, versandt in alle Land. 6. Es wird ein Brief nun aufgesetzt, versandt in alle Land: ein Töchterlein hat Frankreichs König, er werb’ um ihre Hand. 7. Will er nicht mit seiner Tochter eh’lich sich vermählen, bleibt ihm keine andre Wahl als den Tod zu wählen.“ 8. Sie gingen in den Blumengarten in großem Liebesbrand, süße Küsse gab er ihr, legt um den Hals die Hand. 9. „Habe du nur guten Mut, ich werde wiederkommen, dann habe du keinen anderen Mann, wie auch ich mir kein Weib genommen. 10. Habe du nur guten Mut, ich komme gewiß zurück, drum suche bei keinem anderen Mann wie ich bei keinem Weibe das Glück.“ 11. Tistram hielt mit seinen Mannen die Segel am Mast gespannt, sie fahren noch am selben Tag nach Osten ins Frankenland.
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12. Sie ziehen seidene Segel auf mit goldgewebtem Band, sie holen sie nicht eher ein als vor dem Frankenland. 13. Sie werfen ihre Anker nun auf so weißen Sand, als erster setzt Herr Tistram seinen Fuß aufs Land. 14. Draußen mitten im Blumengarten legt seinen Pelz er an, und so gerüstet tritt er ein in die hohe Halle alsdann. 15. Und so gerüstet tritt er ein in die hohe Halle alsdann, wo Frankreichs König zu Tische saß mit fünfmal hundert Mann. 16. Die teuren Briefe gab er ihm, zog Perlen von der Hand: „Herr, es sind diese Briefe hier Euch von Vater und Mutter gesandt.“ 17. Der König tritt vor seine Tochter, berät mit ihr geschwind: „Es kam ein junger Mann hierher, seinesgleichen man nirgend findt. 18. Es kam ein junger Mann zu uns, seinesgleichen man nirgend findt. So frage ich, ob du ihn haben willst, nun dich, mein liebes Kind?“
4. Die Balladen
19. Sie war so froh, vor lauter Glück sprang sie sogleich empor, sie kam her zu jenem Tische, dem saß Herr Tistram vor. 20. Sie kam her zu jenem Tische, an den man Tistram gebracht. Niemand sah, daß sie weinte, ein jeder, wie sie lacht. 21. „Willst du unsre Tochter nicht eh’lich dir vermählen, lasse ich dir keine Wahl als den Tod zu wählen.“ 22. „Das erfährt Frau Isin nicht östlich in ihrem Land, daß ich mich deiner Tochter vermählte, von dir nähm’ ihre Hand.“ 23. Herrn Tistram legten sie in Bande nach hartem Widerstreben, das ist wahr, wie es mir gesagt, für Frau Isin ließ er sein Leben. 24. Tistrams Mannen segeln heim so langsam und so zage, helle Feuer und brauner Rauch lodern um Wanten und Stage. 25. Sie werfen ihre Anker nun auf so weißen Sand. Es war Frau Isin selbst gekommen hinab zum Meeresstrand.
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26. Es war Frau Isin selbst gekommen hinab zum Meeresstrand: „Wo ist denn Herr Tistram, warum kommt er nicht an Land?“ 27. Da antwortet einer aus ihrer Schar mit schwerem Widerstreben: „Herr Tistram hat im Frankenland für dich gelassen sein Leben!“ 28. Frau Isin hielt mit ihren Mannen die Segel am Mast gespannt, sie kamen noch am selben Tag nach Osten ins Frankenland. 29. Sie werfen ihre Anker auf so weißen Sand; als erste setzt’ Frau Isin nun ihren Fuß aufs Land. 30. So heimlich ging sie vom Strand hinauf, niemand hat ihre Ankunft vernommen; im Hause verbrannte sie Weib und Kind, als sie zum Hofe gekommen. 31. Da sprach der König des Frankenlands, so hoch sind die Flammen entfacht: „Was trage ich für eine Schuld, was verbrennt man mich heute nacht?“ 32. Darauf antwortet die Frau Isin mit schwerem Widerstreben: „Du schiedest meinen Herrn Tistram so rasch von seinem Leben.“
4. Die Balladen
33. Da sprach der König des Frankenlands, die Flamme erfaßt seinen Leib: „Glücklich ist in dieser Welt, wer da hat ein gutes Weib.“ 34. Dieses aber gab Frau Isin ihm zur Antwort an: „Glücklich ist in dieser Welt, wer da hat einen guten Mann.“ 35. Darauf aber Frau Isin vor zum Feuer ging, da kam sie zu dem Galgen hin, an dem Herr Tistram hing. 36. Sie nimmt nun ihren Herrn Tistram, legt ihn auf den grünen Grund; das ist wahr, wie mir gesagt, kein Wort kam aus ihrem Mund. 37. Aus Kummer sprang der Frau das Herz, die edle litt so sehr; ich schwöre es, bei meiner Treu, das geschieht nun niemandem mehr. Fort muß ich nun reiten. Was taugt mir besser? Der Falbe oder der Braune, der Braune oder der Rote? Fort muß ich nun reiten.
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Nachwort Der Abstand der färöischen und der isländischen Ballade zu den Prosaversionen ist zu groß, als daß man eine direkte Abhängigkeit wird postulieren dürfen. Die beiden Prosaversionen sind ja nur dürftig überliefert: Für die isländische Version gibt es nur fünf schriftliche Fassungen mit einem großen Sprung von 1450 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, und ähnlich schlecht ist die Lage bei der norwegischen Version: drei Fassungen aus dem späten 15. Jahrhundert und sechs aus der Zeit von 1688 bis 1800, woraus man eventuell den Schluß ziehen kann, daß dieser Stoff (und zwar in der „ursprünglicheren“ Version) ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts populärer wird, wie ja auch die Aufzeichnung der isländischen Balladen zeigt. Kann man daraus eine Veränderung des literarischen Geschmacks in Island ablesen? Kann man von einer „Sentimentalisierung“ sprechen? Der Stoff ist vorzüglich einem der Generalthemen der folkeviser angepaßt: die Liebe (wofür ja auch schon die äußere Form des Hjertebogen spricht). Legt man die von Anders Sørensen Vedel getroffene Unterscheidung in „volkstümliche“ und „adelige“ Tradition zu grunde (wie sie von Iørn Pio nochmals dargelegt wurde), findet dieser Unterschied in der dänischen Überlieferung eine Stütze. Die wesentlichen Überlieferungsträger der Tristan-Balladen sind die Lieder-Sammlungen des Adels von etwa 1550 ab. Läßt sich Vergleichbares auch für Island sagen? Nach dänischem Vorbild wurden Liedersammlungen angelegt. Die für den Tristan-Stoff relevanten Handschriften verweisen auf eine bestimmte Gegend Islands, die Westfjorde, und allem Anschein nach auf „upper class“-Familien, die das dänische Vorbild kopierten und sich so kulturell gleichstellen wollten (für frühere Zeiten vgl. Glauser, z. B. S. 72,S.75, S.78). Entscheidender, als die Abhängigkeit der Lieder zu den Prosaversionen zu betrachten, ist die Beschreibung der einzelnen viser, ihres literarischen Verfahrens und ihres sozialen Umfeldes (vgl. Glauser). Man braucht die Prosaversionen nicht zu bemühen, der Stoff, der plot, dürfte auch ohne die beiden Sagas bekannt gewesen sein. Der Tristan-Isolde-Stoff ist in die literarische Konvention der folkeviser perfekt eingepaßt, auf eine Auflistung der stilistischen Spezifika kann hier verzichtet werden. Hiermit ist der Endpunkt der nordischen Tradition erreicht, einer Tradition, die mit der norwegischen Saga 1226 beginnt und die über die isländische Fassung aus dem 15. Jahrhundert und die isländische Ballade aus etwa derselben Zeit und die dänischen Balladen aus dem 17. Jahrhundert hin zur abgebleichten färöischen Fassung und den isländischen Märchen aus dem 19. Jahrhundert führt.
Bibliographie Aus der überbordenden Literatur ist hier nur das aufgeführt, was grundlegend erscheint; lediglich für die nordischen Versionen werden etwas ausführlichere, wenn auch nicht vollständige bibliographische Hinweise gegeben.
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c) E. Hoepffner (Ed.): La Folie Tristan d’Oxford. 2. Aufl. Paris 1943 d) Béroul: U. Mölk (Hg.): Berol: Tristan und Isolde. München 1962 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 1) e) Eilhart: F. Lichtenstein (Ed.): Eilhart von Oberge. Strassburg 1877 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker XIX), Reprint Hildesheim 1973 f ) Gottfried: Tristan. Hg. v. K. Marold. Berlin 1969 G. Weber/W. Hoffmann: Gottfried von Straßburg. 5.Aufl. Stuttgart 1981 (Sammlung Metzler 15) g) Sonstiges: T. Kerth (Ed.): Ulrich von Türheim: Tristan. Tübingen 1979 (Altdeutsche Textbibliothek 89) Bernt (Ed.): Heinrich von Freiberg. 2 Bde. Halle 1906, Reprint 1978 B.C. Bushey(Ed.): Tristan als Mönch. Göppingen 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 119) U. Bamborschke (Ed.): Das alttschechische Tristan-Epos, unter Beifügung der mittelhochdeutschen Paralleltexte. 2 Bde. Wiesbaden 1968/69 (Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts der FU Berlin 35/I–II) D. Rieger/R. Kroll: Marie de France: Die Lais. München 1980 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 19) J.L. Weston/J. Bédier: „Tristan ménestrel“, in: Romania 35, 1906, S. 497–530 F.-L. Polidori: La Tavola Ritonda o l’Istoria di Tristano. 2 Bde. Bologna 1864/65 G. de Smet-M. Gysseling (Edd.): „Die niederfränkischen Tristan-Bruchstücke“, in: Studia Germanica Gandensia 9, 1967, S. 197–234 Brandstetter (Ed.): Tristrant und Isalde. Prosaroman. Tübingen 1966 E. Sobel (Ed.): The Tristan Romance in the Meisterlieder of Hans Sachs. Berkeley 1963 (University of California Publications in Modern Philology 40) A. von Keller (Ed.): Hans Sachs: Tragediae : : :, in: Werke, Bd. XII, Nachdruck Hildesheim 1964 E. Kölbing (Ed.): Sir Tristrem [mit deutscher Übersetzung]. Heilbronn 1882
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