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German Pages 545 [548] Year 2013
Bausteine zur Geschichte der Edition Herausgegeben von Rüdiger Nutt-Kofoth und Bodo Plachta
Band 4
Geschichte der Edition in Skandinavien
Herausgegeben von Paula Henrikson und Christian Janss
De Gruyter
ISBN e-ISBN ISSN
978-3-11-031740-4 978-3-11-031757-2 1860-1820
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH Co. KG, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt
Paula Henrikson, Christian Janss Skandinavische Editionsgeschichten: Bausteine aus verschiedenen Häusern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Gesamtperspektiven Odd Einar Haugen Editionen westnordischer Mittelaltertexte in Skandinavien – ein historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Jon Gunnar Jørgensen Editionen von altnordischen Texten im Norden: Nordische HeimskringlaAusgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Britta Olrik Frederiksen Herausgabe ostnordischer Mittelaltertexte – eine historische Übersicht . . . . 65 Olav Solberg Editionen von Balladen und Volksliedern im Norden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Petra Söderlund Die skandinavischen Literaturgesellschaften. Finanzielle und institutionelle Bedingungen für textkritische Ausgaben in Skandinavien . . 125 Mats Dahlström, Espen S. Ore Elektronisches Edieren in Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Hans Walter Gabler Wittgensteins Nachlass: The Bergen Electronic Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
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Inhalt
II. Dänische Editionsgeschichte Flemming Lundgreen-Nielsen Dänische Textedition 1495–1799 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Per Dahl Dänische Textedition im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Johnny Kondrup Die Edition dänischer Literatur zwischen 1900 und 2011 . . . . . . . . . . . . . . . 231 Per Dahl Hans Christian Andersens Briefe und Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Ståle Dingstad Søren Kierkegaards Schriften (SKS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
III. Norwegische Editionsgeschichte Jon Haarberg Die Edition norwegischer Literatur im 18. und 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . 289 Christian Janss Textkritische Ausgaben norwegischer Literatur im 20. Jahrhundert . . . . . . . 315 Hanne Lauvstad Ein norwegischer Pionier. Andreas Emil Erichsens Edition der Gesammelten Werke von Petter Dass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Finn Gredal Jensen Henrik Ibsens Schriften. Die norwegische Neuausgabe von Ibsens Gesamtwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
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Inhalt
IV.
Schwedische Editionsgeschichte in Schweden und Finnland
Lars Wollin Schwedische Editionen des 17. und 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Paula Henrikson Geschichte der Edition in Schweden im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Johan Svedjedal Editionsideologie in Verhandlung. Über schwedische Textedition im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Pia Forssell Editionsgeschichte in Finnland – eine mehrsprachige Herausforderung . . . 461 Gunilla Hermansson Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs 1933–2005 . . . . . . . . 489 Mats Malm C. J. L. Almqvist: Gesammelte Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 Jon Viklund August Strindbergs Gesammelte Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Über die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533
Paula Henrikson, Christian Janss
Skandinavische Editionsgeschichten: Bausteine aus verschiedenen Häusern?
1.
Skandinavien und der Norden – Grenzbestimmungen aus editionsphilologischer Sicht
Von außen betrachtet, kann der Norden als Einheit erscheinen, und auf mancherlei Weise ist dieser Teil der Welt durch Verbindungen und Gemeinsamkeiten der Sprache, Geschichte, Religion und Politik in der Tat dicht verflochten. Doch es bestehen gleichzeitig bedeutende Unterschiede. Ein Teil skandinavischer und nordischer Kultur, ob nach Art und Ausprägung gemeinsam oder verschieden, drückt sich auch in unserer Editionsgeschichte aus, auf einem Gebiet also, das bisher noch wenig beschrieben und auf jeden Fall nicht in der Zusammenschau dargestellt worden ist. Dies zu tun, hat sich der vorliegende Band zum Ziel gesetzt. Schon die erste Überschrift führt uns in ein terminologisches Problemfeld. Die Bezeichnungen nordisch, skandinavisch, ‚norrön‘, west- und ostnordisch wirken allesamt etwas unbestimmt. Der Terminus ‚norrön‘, wie er im ersten Abschnitt des Bandes aktuell wird, benennt gewöhnlich „die gemeinsame Sprache, Kultur und Literatur Norwegens und Islands, die sie von der Landnahme Islands Ende des 9. Jahrhunderts bis zum Ende des Kontaktes im 15. Jahrhundert miteinander teilten“.1 Jedoch gibt es auch andere, teils anderssprachige Benennungen, wie die einfache und präzise Aufteilung in ‚Altwestnordisch‘ (Norwegen und Island mit den mittelalterlichen Kolonien) und ‚Altostnordisch‘ (Schweden und Dänemark). Odd Einar Haugen erinnert des Weiteren daran, dass der Norden eine geografische Bezeichnung ist (unter die aus heutiger Sicht Island, Grönland, die Färöer, Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Åland fallen), während Skandinavien die Länder des Nordens Norwegen, Schweden und Dänemark zusammenfasst. Im vorliegenden Band wird ‚skandinavisch‘ hauptsächlich auf die gleiche Weise abgegrenzt. (Skandinavien wird sonst oft synonym zum Norden verwendet,2 und zur weiteren ____________ 1 2
Haugen 2007, S. 24 f. Siehe auch Haugens Beitrag im vorliegenden Band. Vgl. z. B. Glauser 2006, der finnische, samische und grönländische Literatur in seine Skandinavische Literaturgeschichte mit aufnimmt.
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Verwirrung trägt bei, dass die ‚nordischen Sprachen‘ nicht gleichzusetzen sind mit allen Sprachen, die im Norden gesprochen werden, denn die Bezeichnung schließt sprachgenetisch gesehen nicht-germanische Sprachen wie Grönländisch, Finnisch und Samisch aus.)3 Die nordischen Sprachen stehen einander sehr nahe, so dass Sprecher des Dänischen, Norwegischen und Schwedischen je bei ihrer eigenen Sprache bleiben können, wenn sie mit den Nachbarn reden. Auch sind die Sprachunterschiede noch verhältnismäßig jung: Erst in der frühen Wikingerzeit bildeten sich die Besonderheiten aus, aufgrund derer wir heute eine ostnordische und eine westnordische Sprache unterscheiden können, und erst aus mittelalterlicher Zeit rühren die Sprachunterschiede her, die wir mit dem Dänischen und dem Schwedischen verbinden (beides ostnordische Sprachen). Die zwei norwegischen Schriftsprachen, nynorsk und bokmål, nahmen erst im 19. Jahrhundert Gestalt an, und in Finnland lebt seit dem Mittelalter eine schwedischsprachige Minderheit, die spricht, was heute als Finnlandschwedisch bezeichnet wird. Grundlage für die sprachliche Nähe ist eine kulturelle Nähe: Die Geschichte der skandinavischen Länder ist politisch, kulturell und historisch eng verflochten. Norwegen, das kulturell früh Island nahe gestanden hatte, ging 1380 eine Union mit Dänemark ein, welche bis 1814 Bestand haben sollte. Im Mittelalter dominierte ansonsten die sogenannte Kalmarunion (1397–1523), in der sich Dänemark, Norwegen und Schweden unter einem König zusammenschlossen, unter anderem, um den deutschen Einfluss auf die Region einzugrenzen. Der Auflösung der Kalmarunion im Jahre 1523 folgten politische und militärische Konflikte zwischen Schweden und Dänemark, beides zur Großmacht strebende Länder, vor allem während des 17. Jahrhunderts. Diese Großmachtgelüste fielen in Skandinavien mit der Renaissance zusammen, die Dänemark und Schweden spät erreichte und dort national eigengeartete Züge annahm, geprägt vom nordischen sogenannten Gotizismus. Was in dessen Vorstellungswelt wiederbelebt wurde, waren nicht so sehr griechische und lateinische Autoren als die Idee einer ehrenvollen nordischen Vergangenheit. Dass diese national geprägte Renaissance grundlegende Bedeutung für die skandinavische Editionsgeschichte erlangte, ist nur natürlich. Für die dänische und schwedische Editionsgeschichte ist das 17. Jahrhundert ein goldenes Zeitalter, auch wenn die Editionen selten heutigen Vorstellungen von wissenschaftlichen Ausgaben gerecht werden. ____________ 3
Haugen 2007, S. 25.
Skandinavische Editionsgeschichten
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Im 18. Jahrhundert kehrte eine größere Nüchternheit im Wissenschaftlichen ein, und zugleich war es eine Periode nachlassender Konflikte zwischen den skandinavischen Ländern. Die Waffen wurden eher nach außen gerichtet, und sowohl Schweden als auch Dänemark verloren ihre Stellung als militärische Großmächte. Dänemarks Teilnahme an den napoleonischen Kriegen führte zum Verlust Norwegens, das 1814 statt dessen in eine Union mit Schweden genötigt wurde. Sie sollte erst 1905 aufgelöst werden, als somit die Grenzen der heutigen Landkarte gezogen wurden, mit drei selbstständigen skandinavischen Ländern. Im 19. Jahrhundert entstand auch die starke Bewegung eines kulturellen und politischen Skandinavismus, deren Ziel es war, die politische Vereinigung Dänemarks, Norwegens und Schwedens zu erreichen. Finnland wurde früh als vollwertiger Teil dem schwedischen Reich eingegliedert; es hat stets einen kulturellen Austausch über den bottnischen Meerbusen gegeben. Finnland 1809 an Russland zu verlieren war für Schweden eine nationale Tragödie, aber für Finnland bedeutete es die Erlangung einer relativen Eigenständigkeit als russisches Großfürstentum. Dies brachte mit sich, dass das Land auf den meisten Gebieten schon verhältnismäßig autonom agieren konnte bis schließlich hin zur auch formalen Selbstständigkeit im Jahre 1917. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die finnische Sprache dem Schwedischen gleichgestellt; die lange Geltung des Schwedischen als Verwaltungssprache freilich hat es mit sich gebracht, dass Schwedisch kulturell noch immer eine starke Stellung im Lande hat. In der Editionsphilologie trägt üblicherweise jedes Land für die eigenen Autoren Sorge.4 Die Disziplin ist in ihrer herausgeberischen Tätigkeit daher eng an nationale Faktoren geknüpft. Dass etwa der große Komödiendichter und Wissenschaftler Ludvig Holberg (1684–1754), obgleich gebürtiger Norweger, vornehmlich als Däne angesehen wird, ist dem Umstand geschuldet, dass er den überwiegenden Teil seines Lebens in Dänemark wirkte. Für einen Dänen gehalten wird er möglicherweise aber auch aufgrund der monumentalen Ausgabe des dänischen Herausgebers Carl S. Petersen wie auch anderer Ausgaben, die Holberg einen unbestrittenen Platz im dänischen Kanon zuwiesen. Nationalismus ist in die Wissenschaftsgeschichte also mit eingebaut; davon darf man nicht absehen, und es wird hier bandübergreifend auch in vielen Beiträgen thematisiert, wie groß die ansonsten dargestellten Unterschiede zwischen unseren Ländern auch sein mögen. Norwegen zum Beispiel bekam als letztes Land in Europa eigene Druckereien und erst 1811 eine eigene Universi____________ 4
Ausnahmen von dieser Praxis lassen sich insbesondere hinsichtlich der dänisch-norwegischen Gemeinschaftsliteratur und der Landschaftsgesetze umstrittener südskandinavischer Gebiete nachweisen.
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tät, mit potentiell an Editionen interessierten Wissenschaftlern. Ein editionsphilologisches Bauen an nationaler Identität hängt oftmals mit der Etablierung von Nationalstaaten zusammen, der auch kulturelle Institutionen, wie große Ausgaben sie darstellen, zentral gedient haben.
2.
Ziele und Abgrenzungen des Bandes
2.1.
Die wissenschaftliche Editorik
Die vorliegende Aufsatzsammlung möchte die Entfaltung der wissenschaftlichen Editorik in Skandinavien beleuchten. Ein solches Vorhaben setzt voraus, dass der Begriff ‚wissenschaftliche Edition‘ auch unter Gesichtspunkten seiner zeitbedingten Veränderung aufgefasst wird. Das heutige Verständnis von Wissenschaftlichkeit wäre im literarischen Milieu des 17. Jahrhunderts anachronistisch, wie gleichermaßen die antiquarisch ausgerichtete Forschung des 18. Jahrhunderts von jenen Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit überholt wurde, aus denen der Ausgabentyp historisch-kritischer Prägung des 19. Jahrhunderts entsprang. Wenn es auch möglich ist, aus unserer Spätsicht heraus gewisse Kriterien zur Bestimmung dessen aufzustellen, was wissenschaftliche Ausgaben seien, so haben wir uns dazu entschlossen, in Maßen eine Flexibilität des Begriffs zuzulassen. Aus praktischen Gründen kann man allerdings doch einige wegweisende Kriterien für wissenschaftliche Ausgaben aufstellen. Welche Mindestforderungen lassen sich also an eine wissenschaftliche Ansprüche erhebende Ausgabe stellen? Zunächst ist wissenschaftliche Textherausgabe kaum ohne eine sorgfältige, auf einen Grundtext bezogene Kollationierung denkbar. Zu erwarten ist außerdem eine Untersuchung und Darstellung der Manuskript- und Druckgeschichte, in der Regel in einer Einleitung oder einem Nachwort, wo auch die philologischen Entscheidungen der Ausgabe begründet werden. Zu einer wissenschaftlichen Edition gehört zudem ein kritischer Apparat, der die Eingriffe des Herausgebers sowie die Textvarianten in Handschriften und Druck nachweist. Wort- und Sachkommentare gehören nicht der eigentlichen historisch-kritischen Ausgabe an; diese hat üblicherweise nicht Fragen des Verständnisses, sondern den Text und seine Geschichte in kritischer Rezension zum Gegenstand. Kommentare finden sich jedoch gerade in skandinavischen Ausgaben vielfach, desgleichen literaturhistorische Einleitungen, wenngleich diese eher in Schul- und Studienausgaben
Skandinavische Editionsgeschichten
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zu finden sind.5 Die wenigsten textkritischen Ausgaben freilich entsprechen sämtlichen aufgestellten Kriterien. Die meisten der Ausgaben jedoch, die im Folgenden behandelt werden, erfüllen zumindest einige der genannten Anforderungen. Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf der wissenschaftlichen Herausgabe von in erster Linie literarischen Werken und Texten aus dem Zeitraum seit etwa 1600 bis heute. ‚Literarisch‘, und dementsprechend Literatur, sei hier recht umfassend verstanden: z. B. nehmen Briefausgaben in der nordischen Editionsphilologie einen relativ breiten Raum ein und dürfen nicht übergangen werden. Sonstige nicht im engeren Sinne literarische Gattungen sind einbezogen worden, wo dies vertretbar erschien. Auch ist skandinavische Editionsphilologie nicht zu denken ohne ihre Voraussetzungen in der editorischen Erschließung altskandinavischer Texte von west- und ostnordischer Art. Gattungsbezogen lassen sich Abgrenzungen notorisch schlecht treffen, doch theoretisch wie methodisch steht jeder Herausgeber vor den gleichen grundlegenden Fragen, und daher lässt sich die Editionsphilologie in den nordischen Sprachen insgesamt als ein Fach ansehen, dessen Löwenanteil auf Literaturausgaben entfällt. Unserem Verständnis nach meint der Terminus Editionsgeschichte einerseits die Geschichte, Prämissen und Ergebnisse einzelner Ausgaben, andererseits bezeichnet er aber auch einen jeweils größeren wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhang. Während allerdings unter den Wissenschaftstraditionen anderer Länder sich Umfang und Reichweite einer Editionsgeschichte an der Spannweite etwa von Goethe- oder Shakespeare-Editionen ablesen lässt, sind wir genötigt, anders vorzugehen. In unseren Ländern gibt es vom Werk zentraler Autoren nicht selten nur eine größere Ausgabe, und zuweilen noch nicht einmal das. Die Zielsetzungen beim Vorhaben, die nordische Editionsgeschichte zu untersuchen, haben daher dazu geführt, dass wir in weitem Ausmaß den Blick auf die Vielfalt von Aspekten editorischer Tätigkeit gerichtet haben, um die Tendenzen, Beweggründe und Ergebnisse wissenschaftlicher Editorik im Norden herauszuarbeiten. Der Band ist in erster Linie wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet. Dies bedeutet, dass im Brennpunkt editorisches Wirken mit seinen Zielsetzungen, Methoden, Theorien, seinem Textverständnis, seinen Kriterien der Textwahl und seinen Ergebnissen steht. Zentral Handelnde sind also die Editoren – nicht ____________ 5
Wir danken Forschungsbibliothekarin Tone Modalsli, Nasjonalbiblioteket (Oslo), für die bereitwillige Überlassung ihres Vortragsmanuskripts vom Gründungsseminar des nordischen Editoren-Netzwerkes NNE, in dessen Einleitung ideale Kriterien für wissenschaftliche Ausgaben formuliert sind (Modalsli 1995).
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die herausgegebenen Autoren. Die philologischen Debatten um Ziele und Methoden und die institutionellen und ideologischen Rahmenbedingungen editorischer Tätigkeit sind ebenfalls Teil der Wissenschaftsgeschichte, welche der Band erhellen möchte. Gemeinsam sind die Beiträge bestrebt, die je zeitbedingten Voraussetzungen der Editionswissenschaft und deren schrittweise Entwicklung, Professionalisierung und Spezialisierung aufzudecken. Die Beiträger haben stets versucht, Fragen nach den historischen, einschließlich der wirtschaftlichen und organisatorischen Bedingungen jeweiliger Ausgaben, ebenso nach deren Textsituation, Methodik und dem ihnen zugrundeliegenden Wissenschaftsverständnis sowie nicht zuletzt deren werk- und autorspezifischer und schließlich editionswissenschaftlicher Bedeutung zu stellen und zu beantworten. Aus wissenschaftshistorischer Sicht wird auch deutlich, in welch hohem Maße die skandinavische Editionsgeschichte von den Editionsgesellschaften geprägt wurde, die im 19. und 20. Jahrhundert zur Wahrnehmung diverser Bereiche der je nationalen Editorik gegründet wurden. Unter diesen wären beispielsweise zu erwähnen: Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (Die Dänische Sprach- und Literaturgesellschaft), Det norske språk- og litteraturselskap (Die Norwegische Sprach- und Literaturgesellschaft), Svenska Vitterhetssamfundet (Der Schwedische Literaturverein), Svenska litteratursällskapet i Finland (Die Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland), UniversitetsJubilæets danske Samfund (Dänische Gesellschaft des Universitäts-Jubiläums, UJDS), Kungl. Samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens historia (Die [schwedische] Königliche Vereinigung zur Herausgabe von Handschriften, die Geschichte Skandinaviens betreffend), Det kongelige danske Selskab for Fædrelandets Historie (Die königlich-dänische Gesellschaft zur Geschichte des Vaterlandes) und Svenska fornskriftsällskapet (Die Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur). Neben den Editionsgesellschaften gibt es langfristige Institutionen etwa zur Urkundenedition, wie Kjeldeskriftavdelingen ved Riksarkivet i Norge (Die Quellenschriften-Abteilung am Reichsarchiv in Norwegen) und Svenskt diplomatarium vid svenska Riksarkivet (Das Schwedische Diplomatarium am schwedischen Reichsarchiv) und ebenso natürlich das gesamte universitätsgebundene Editionswesen. Finanzierung und Verwaltungsorganisation der Gesellschaften und Institutionen, die ihre Tätigkeit ganz oder teilweise der wissenschaftlichen Textherausgabe widmen, gestalten sich sehr unterschiedlich. Ihnen gemeinsam ist dennoch, dass sie nicht nur für eine lange Reihe wichtiger Ausgaben zentraler Texte verantwortlich zeichnen, sondern dass sie auch Kompetenzzentren darstellen, denen Kontinui-
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tät in der Vielfalt des wissenschaftlichen Editionswesens in Skandinavien zu verdanken ist. Eine übergeordnete Funktion zur Kompetenzoptimierung kommt mittlerweile Nordisk Netværk for Editionsfilologer (Nordisches Netzwerk für Editionsphilologen – NNE) zu, einem skandinavisch übernationalen Verband, 1995 gegründet zur Förderung der Zusammenarbeit in der Editionsphilologie und textkritischen Forschung in den nordischen Ländern. Zielsetzung des Netzwerks ist es, Raum für Reflexion editionswissenschafticher Fragen zu schaffen, wissenschaftlichen Austausch zu befördern und die Stellung der Editionswissenschaft im Norden zu stärken. Der Verband zählt derzeit etwa 250 Mitglieder, die meisten arbeiten an Material aus der Zeit nach der Erfindung des Buchdrucks, doch auch Mittelalterphilologen und klassische Philologen gehören dem Netzwerk an. Die Mitgliedschaft ist individuell und bezieht sowohl Mitarbeiter an großen Editionsprojekten wie unabhängig tätige Herausgeber und sonstige Interessenten ein. Ein Dutzend Konferenzen des Netzwerks zu einer weiten Streuung von Themen sind bisher abgehalten worden, unter anderem zu Grundtextwahl, Variantenverzeichnung, Kommentierung, digitalem Edieren, Kanonbildung durch Edition, Editionsgeschichte. Darüber hinaus sind zwei auf die Tätigkeit des Netzwerks bezogen eher praktisch ausgerichtete Workshops abgehalten worden. Neun Sammelbände sind bisher in der Schriftenreihe des Netzwerks erschienen. Ein wichtiges Ziel des NNE ist es auch, das Interesse an editionsphilologischen Fragen bei jüngeren Forschern anzuregen. Mit Unterstützung von NordForsk (Unterstützungsfonds für nordische Forschungszusammenarbeit) hat das Netzwerk drei Doktorandenkurse durchgeführt. Die Arbeit des Netzwerks wird von einem Planungsausschuss koordiniert, dessen acht Mitglieder vier Länder vertreten: Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland. Sprachen des Netzwerks sind Dänisch, Norwegisch und Schwedisch. In diesen drei Sprachen ist, auch wenn sich jedes Mitglied in seiner Landessprache äußert, gegenseitige Verständigung möglich. Insgesamt hat in jüngerer Zeit das Netzwerk für die Entwicklung der Editionswissenschaft im Norden große Bedeutung erlangt. 2.2.
Abgrenzungen
Den Gegenstandsbereich dieses Bandes haben wir grundsätzlich auf skandinavische Autoren beschränkt. Unter die Bezeichnung skandinavische Editionsgeschichte fällt also die Edition altwestnordischer und altostnordischer Texte sowie in nordischen Sprachen verfasste Texte, die in den Ländern Finnland, Schweden, Dänemark und Norwegen herausgegeben wurden. Die Rede ist also
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in der Regel nicht von Ausgaben auf grönländisch, finnisch oder samisch, aber auch nicht von Texten in modernem Isländisch. Eine Ausnahme bildet jedoch eine digitale Wittgenstein-Edition, die von grundsätzlicher und theoretischer Bedeutung für die neuere skandinavische Editionsphilologie ist. Wir haben des Weiteren jene Bereiche der skandinavischen Editionsgeschichte ausgeschlossen, die Texten auf Griechisch, Latein und in anderen Sprachen gelten. Ausblicke darauf haben wir aber natürlich nicht unterbunden. Aufgrund der unterschiedlichen Perspektivierungen der Beiträger ist ein gewisses Ausmaß an Überschneidungen erforderlich gewesen. Jemand also, der an Editionsgesellschaften interessiert ist, mag mit Gewinn, und mit Blick etwa auf Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, sowohl Petra Söderlunds und Johnny Kondrups Kapitel lesen wollen; entsprechend erörtern Petra Söderlund und Christian Janss beide Det norske språk- og litteraturselskap; Petra Söderlund und Pia Forssell besprechen beide Svenska litteratursällskapet i Finland, und Svenska Vitterhetssamfundet gilt sowohl Johan Svedjedals als auch wiederum Petra Söderlunds Aufmerksamkeit. Die Gemeinschaftsunternehmungen zwischen Schweden und Finnland Dänemark und Norwegen bringen es gleichfalls mit sich, dass gewisse Ausgaben und Herausgeber im Rahmen verschiedener Kontexte und aus mehrfachen Blickwinkeln wiederholt betrachtet werden. Die nationalitätsübergreifenden Beiträge zu Themen, die Bedeutung für ganz Skandinavien haben, bilden die erste Abteilung des Bandes („Gesamtperspektiven“). In der zweiten, dritten und vierten Abteilung finden sich dann die nationalitätsspezifischen Beiträge zur dänischen, norwegischen und schwedischen Editionsgeschichte. Ein gesondertes Kapitel in der schwedischen Sektion behandelt schwedischsprachige Ausgaben in Finnland. In allen Abteilungen gehen ‚Fallstudien‘ näher auf repräsentative und besonders wichtige Ausgaben ein, hauptsächlich solche aus jüngerer Zeit. In der ersten Abteilung stehen Aufsätze, welche die Herausgabe der altnordischen Literatur und Balladen durch alle Perioden hindurch darstellen. Die nationenspezifischen Übersichtsartikel behandeln jedoch die editorische Tätigkeit in Skandinavien auf die jeweils relevanten Jahrhunderte bezogen, so dass sowohl jüngere als auch ältere Texte dort erörtert werden. In den Kapiteln der einleitenden Abteilung unterscheidet sich mithin also die Herangehensweise etwas. Gerade aber im Hinblick auf das editorische Wirken an den frühsprachlichen Texten, denen gegenüber die nationale Verankerung schwächer ist, erschien es uns am geeignetsten, die Erörterung an einem Ort zu bündeln. Gleiches gilt für die übrigen nicht-nationalen Beiträge zu Editionsgesellschaften und digitalem Edieren. –
Skandinavische Editionsgeschichten
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Für die Belege aus den erörterten Materialien gilt für alle Abteilungen des Bandes, dass Zitate grundsätzlich in deutscher Übersetzung gegeben werden. Die Herausgeber der Bausteine zur Geschichte der Edition, Rüdiger NuttKofoth und Bodo Plachta, haben sich zuversichtlich geäußert, dass hinsichtlich der germanistischen editorischen Entwicklung „durch die theoretischen Diskussionen und die Ausgabenpraxis, aber auch das Bemühen um die Entwicklung von Standards eine kompakte wissenschaftliche Leistung vorliegt, aufgrund deren sich die Editionsphilologie zu Recht einen legitimen Ort im ‚Kernbereich‘ der Literaturwissenschaft erarbeitet hat“.6 Ein solcher Schluss ist mit Blick auf die skandinavische Editionsphilologie nicht selbstverständlich. In gleicher Weise ist die Frage schwer zu beantworten, welchen Wert die erarbeiteten Ausgaben für die Rezeption der Autoren oder für das Verhältnis der Verlage zur Historizität der Texte besitzen. Für Norwegen etwa gilt jedoch zweifellos (und ganz abgesehen einmal von Ibsen), dass die Rezeption einzelner Werke zahlreicher Autoren ohne entsprechende Ausgaben ausgeblieben wäre. Dies trifft insbesondere für Briefausgaben zu sowie für solche Texte, die anderenfalls nur antiquarisch zu erwerben wären; gerade aber auch in den Fällen, in denen eine Edition große Anforderungen an Datierung, Organisation und Kommentierung stellt, hat die textkritische Leistung zur Ausbreitung der Literatur beigetragen. Wir hoffen, dass der mit dieser Aufsatzsammlung nun vorgelegte Band der Bausteine-Reihe davon wird überzeugen können, dass auch wir uns auf gutem Weg befinden, unsererseits einen legitimen Ort im ‚Kernbereich‘ der Literaturwissenschaft zu gewinnen, und dass die hier gesammelten Aufsätze, indem sie den zwar breit gestreuten, jedoch insgesamt großen Einsatz in der Disziplin aufgezeigt haben, zu weiteren gleichartigen Vorstößen anspornen mögen.
3.
Der Band als Forschungsprojekt
Die Initiative zu diesem Band ging von Bodo Plachta und Rüdiger Nutt-Kofoth aus, die Paula Henrikson und Christian Janss überzeugen konnten, das Projekt ins Werk zu setzen. Es schloss neben den Herausgebern nach und nach 21 Beiträger und sechs Übersetzer ein. Schon beim ersten Mitarbeitertreffen in Uppsala im September 2007 wurde deutlich, dass die Erarbeitung des Bandes sich mehr zu einem Forschungsprojekt denn zu einer einfachen Aufsatzsammlung entwickeln würde. Tatsächlich ist viel Neuland erforscht, sind Archive aufgesucht und Quellen konsultiert worden, die bisher noch unerschlossen ____________ 6
Nutt-Kofoth/Plachta 2005, S. VIII.
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waren. Zu unserer Freude können wir eine in ihren großen Zügen bislang noch nicht erzählte Geschichte darstellen. Die Beiträge des Bandes wurden alle original in der jeweiligen Muttersprache ihrer Autoren verfasst und zur Veröffentlichung ins Deutsche übersetzt. Den Beiträgern gebührt ein warmer Dank nicht nur für ihre Geduld während des ganzen Arbeitsprozesses, sondern auch für ihr Einverständnis, dass ihre Beiträge justiert, erweitert, verkürzt wurden, um die Ganzheit zu ermöglichen, die wir meinen, schließlich erreicht zu haben. Großen Dank verdienen die Herausgeber der Reihe für ihr geduldig langes Warten und für ihre wertvollen Anmerkungen zu den Beiträgen. In Dankbarkeit seien gleichfalls Odd Einar Haugen und Johnny Kondrup genannt, die wesentlich zur Planung des Projekts beitrugen. Ein ganz besonderer Dank geht an Hans Walter Gabler, der früh Interesse an dem Projekt fand und neben seinem eigenen Beitrag nicht nur zwei Aufsätze des Bandes übersetzte, sondern sich großzügig erbot, die Übersetzungen aller Beiträge fachsprachlich durchzusehen. Wie sich leicht denken lässt, erwies sich dies als eine große Arbeit weit über ein Korrekturlesen hinaus. Auch den anonymen Gutachtern des Norwegischen Forschungsrats sowie den Übersetzerinnen danken wir für ihr gründliches Lesen und ihre konstruktiven Stellungnahmen. Ohne finanzielle Unterstützung hätte sich das Projekt nicht verwirklichen lassen, und wir nennen dankbar die folgenden Förderer: Helge Ax:son Johnsons fond (Schweden) Institusjonen Fritt Ord (Norwegen) Letterstedtska föreningen (Schweden) Norges forskningsråd (Norwegen) Universitetet i Oslo (Norwegen) Vetenskapsrådet (Schweden)
Uppsala und Oslo im Mai 2012
Paula Henrikson, Christian Janss
Literaturverzeichnis Glauser, Jürg: Skandinavische Literaturgeschichte. Stuttgart 2006. Haugen, Odd Einar: Einleitung. In: Altnordische Philologie: Norwegen und Island. Hrsg. von Odd Einar Haugen. Übers. von Astrid van Nahl. Berlin 2007. Nationalencyklopedien, digitale Ausgabe: www.ne.se Nutt-Kofoth, Rüdiger und Bodo Plachta: Editionen zu deutschsprachigen Autoren als Spiegel der Editionsgeschichte. Tübingen 2005 (Bausteine zur Geschichte der Edition. 2).
I. Gesamtperspektiven
Odd Einar Haugen
Editionen westnordischer Mittelaltertexte in Skandinavien – ein historischer Überblick
1.
Texte im Westen und im Osten
Lässt sich für den gesamten Zeitraum von den ersten Runeninschriften rund 200 n. Chr. bis etwa zum Jahr 1000 n. Chr. eine gemeinsame nordische Sprache nachweisen, so verstärkten sich im Lauf der Wikingerzeit (800–1050) indessen die sprachlichen Unterschiede im Norden, und ab Mitte des 11. Jahrhunderts – mit der Einführung des lateinischen Alphabets in den nordischen Ländern – unterscheidet man im Allgemeinen einen westnordischen und einen ostnordischen Zweig der Sprache und Literatur. Der westnordische Zweig zeichnet sich durch die Überlieferung der ältesten Texte aus – die frühesten erhaltenen Handschriftenfragmente Norwegens und Islands stammen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. In Schweden und Dänemark ist die Überlieferung etwas jünger; hier geht die älteste erhaltene Literatur in lateinischer Schrift auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück. Das westnordische Material weist darüber hinaus einen weitaus höheren Anteil eigenständiger Literatur auf, sei es als Eddadichtung, Skaldendichtung, Königssagas oder Isländersagas. Für Schweden und Dänemark lässt sich außerdem ein recht hoher Anteil an Übersetzungen nachweisen. Hier wurde zudem in weitaus höherem Grad Literatur auf Lateinisch verfasst, etwa Birgittas Revelationes in Schweden und Saxos Gesta Danorum in Dänemark. Unter diesen Gesichtspunkten folgt der vorliegende Beitrag der für die Mittelalterliteratur etablierten Unterscheidung des Westnordischen und Ostnordischen; dieser Beitrag wird die Edition westnordischer Texte erörtern, während Britta Olrik Fredriksen die Ausgaben ostnordischer Texte behandelt (siehe S. 65–96).
2.
Schreiber und Herausgeber
Heute ist die Rolle des Herausgebers von der Rolle des Verfassers, des Verlegers oder Druckers klar unterschieden. Dem war jedoch nicht immer so. Aus der klassischen Philologie seien Namen wie Vater und Sohn Stephanus aus Paris, Robert Estienne (1503–1559) und Henri Estienne (1528–1598) genannt,
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aus der volkssprachlichen Philologie etwa William Caxton aus England (gest. 1492) – sie alle waren Übersetzer, Herausgeber und Drucker in Personalunion. Mit Beginn der Editionen westnordischer Texte ab Mitte des 17. Jahrhunderts schien sich eine deutlichere Arbeitsteilung durchzusetzen: So verzeichnet die erste Ausgabe westnordischer Texte, die beiden Sagas Gautreks saga und Hrólfs saga Gautrekssonar (Uppsala 1664), auf dem Titelblatt Olof Verelius (1618–1682) als Herausgeber sowie Henricus Curio (gest. 1691) als Drucker – „excudit“ – des Buches (Abb. 1 am Beitragsende). Dabei ist nicht zu verkennen, dass sowohl Drucker als auch Verleger aktiv in die Korrekturtätigkeit einbezogen sein konnten; dies vermutlich jedoch eher bei zeitgenössischen Texten als bei solchen, mit deren Sprachformen sie nicht vertraut waren. Textedition wird gemeinhin als eine Praxis angesehen, die mit dem Buchdruck aufkam; einer Technologie, die bewirkte, dass Texte allgemein zugänglich und zu relativ niedrigen Kosten verbreitet werden konnten. Es gibt indessen gute Gründe anzunehmen, dass die Editionsgeschichte zeitlich weiter zurückreicht: insofern nämlich, als Schreiber alter Handschriften im Norden und andernorts auch als Herausgeber fungieren konnten. Die handschriftliche Textüberlieferung in Norwegen und Island verlief sehr dynamisch. Texte wurden während des Kopierens mehrfach verändert, sodass unterschiedliche Bearbeitungen oder mehrere Versionen des gleichen Textes entstanden. Zudem sammelte man Texte in Büchern und Kodizes, nicht unähnlich der Arbeitsweise eines modernen Herausgebers bei der Erstellung von Anthologien älterer Literatur. Drei Beispiele sollen hier genannt werden: zunächst die kleine Handschrift GKS 2365 4°, oft Codex Regius genannt, die, in die zwei Hauptgruppen Göttergedichte und Heldengedichte unterteilt, nahezu alle bekannten Eddalieder enthält. Zweifellos ist für diese Handschrift eine strukturierte Anordnung der Lieder nachzuweisen – nicht allein aufgrund der bereits erwähnten Zweiteilung, sondern auch insofern, als das visionäre Lied Vǫluspá die Sammlung eröffnet, ein Lied, das die Ursprünge im Ginnungagap bis zur Endzeit der Ragnarǫk umspannt. Zwischen mehreren Liedern sind durch den Redaktor außerdem erklärende Übergänge in Prosa hinzugefügt. Ein zweites Beispiel ist Hauksbók, heute auf die drei Handschriften AM 371 4°, AM 544 4° und AM 675 4° in Reykjavik und Kopenhagen verteilt. Dieses Buch, von dem Isländer Haukr Erlendsson (gest. 1334) kurz nach 1300 in Bergen zusammengestellt, kann als Anthologie sowohl historischer als auch wissenschaftlicher Literatur charakterisiert werden. Es beinhaltet mit der Übersetzung Algoritmus u. a. die erste mathematische Abhandlung des Nordens. Teile der Handschrift sind darüber hinaus von Haukr selbst als Herausgeber und Verleger in Personalunion verfasst. Das dritte Werk bildet die monumentale Zusammenstellung
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der norwegischen Königssagas in der Handschrift GKS 1005 fol, Flateyjarbók, geschrieben von den beiden isländischen Priestern Jón Þórðarson und Magnús Þorhallsson in den Jahren 1387–1394. Dabei handelt es sich um eine großangelegte Zusammenstellung älterer Texte, die die Heimskringla-Überlieferung mit anderen Königssagatexten zusammenführt, Texte über Grönland, die Orkney- und Färöer Inseln und schließlich sich überschneidende Textabschnitte der Isländersagas, etwa der Fóstbrǿðra saga. Wir wissen nicht wirklich, wie diese Herausgeber über die Texte dachten, die sie edierten und vermittelten, aber wir dürfen mit gutem Grund annehmen, dass sie in der Regel pragmatisch vorgingen. Dass eine Abschrift bis ins letzte orthografische Detail dem Maßstab der Präzision genügte, erwartete man zu dieser Zeit nicht. Erst mit den sogenannten ‚Akademischen Abschriften‘ (wie Jon Gunnar Jørgensen diese 2007, S. 70, bezeichnet) begegnen wir einem solchen Anspruch, zum Beispiel in der streng diplomatischen Abschrift der Jöfraskinna, erstellt von Bischof Jens Nilssøn (1538–1600) im Jahr 1567 (Abb. 2). Dabei handelt es sich um eine vollwertige diplomatische Edition eines Mannes, der den Text nicht in Gänze verstand, diesen aber Zeichen für Zeichen exakt abschrieb. Isländische Schreiber wie Jón Eggertsson (1643–1689) und Ásgeir Jónsson (ca. 1657–1707) verfügten über ein weit höheres Textverständnis und gingen daher, ähnlich wie die mittelalterlichen Schreiber, bei der orthografischen Wiedergabe mitunter weniger präzise vor. Der entscheidende Unterschied zwischen einer Edition handschriftlicher Tradition – will man diesen Terminus verwenden – und solchen Editionen, wie sie aus neuerer Zeit bekannt sind, liegt darin, dass eine moderne Edition in weitaus höherem Grad die Konstitution des Textes in den Blick nimmt. Ohne Einleitung ist eine heutige Ausgabe nicht zu denken; wünschenswert sind zudem ein kritischer Apparat, Register und Kommentare. In vielen Fällen ist die Einleitung länger, der Variantenapparat umfangreicher als der Primärtext. Mittelalterliche Texte bleiben in der Regel anonym und oft titellos; der Text wird vorgelegt, jedoch nicht erklärt.
3.
Die beiden Alphabete
Das Runenalphabet war im Norden seit den ersten Jahrhunderten n. Chr. in Gebrauch. Die älteste westnordische Inschrift ist vermutlich jene, die auf einer Lanzenspitze von Øvre Stabu in Toten in Ostnorwegen gefunden wurde, auf archäologischer und stilgeschichtlicher Grundlage auf 180 n. Chr. datiert (vgl. Seim 2007, S. 154). Die Inschrift besteht aus lediglich einem Wort, translite-
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riert „raunijaR,“ ‚probierend,‘ das auf sprachhistorischer Grundlage kaum präziser als auf die ersten 500 Jahre n. Chr. datiert werden kann. Später steigt die Anzahl der Runeninschriften im westnordischen Gebiet sowohl hinsichtlich der Gattungen (Gedenkinschriften, Bekanntmachungen, Briefe, Eigentumsmarken) als auch der Sprache (überwiegend Nordisch, mitunter auch Latein) bedeutend. Die Runenschrift war bis weit ins 15. Jahrhundert, mehrere Jahrhunderte nach der Einführung des lateinischen Alphabets, in allgemeinem Gebrauch. Das neue Alphabet sollte die Runenorthografie in vielfacher Hinsicht beeinflussen; ein Indiz dafür, dass oft beide Alphabete beherrscht wurden: das Runenalphabet für kurze und alltägliche Inschriften auf Holz, Knochen u. ä., wo ein Messer verfügbar war; das lateinische Alphabet für längere Inschriften auf Pergament und später auf Papier. Einige Runeninschriften waren darüber hinaus in lateinischem Alphabet geschrieben, etwa jene, die mit einer deutlich vom lateinischen Alphabet beeinflussten Orthografie auf einem Marmorquader den Bauherren der Tingvoll-Kirche nennt (Abb. 3). Die Runeninschriften sind im Allgemeinen kurz und wenig transportabel. Die längste Inschrift im Norden ist die rund 170 Wörter umfassende, im 9. Jahrhundert geritzte Rök-Inschrift aus Östergötland in Schweden. Für Handschriften im Runenalphabet lassen sich zwei Beispiele benennen, v. a. der Codex Runicus (AM 28 8º) von ca. 1300, doch muss dies als sekundärer und untypischer Gebrauch angesehen werden. Längere Texte sind sonst ausschließlich im lateinischen Alphabet überliefert. Dieses wurde in Norwegen und Island in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts eingeführt; die ältesten erhaltenen Fragmente stammen indessen aus der Mitte des 12. Jahrhunderts bzw. von kurz zuvor. Ab ca. 1200 sind ganze Bücher erhalten, wie etwa das alte norwegische Homiliebok (AM 619 4º aus dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts; Abb. 4). Die Textausgaben in den jeweiligen Alphabeten folgen unterschiedlichen Traditionen. Inschriften im Runenalphabet werden zumeist in größeren Korpusausgaben herausgegeben, die umfassende Informationen zu den Fundumständen liefern und archäologische, stilhistorische und historische Daten heranziehen, um die Inschrift zu kontextualisieren und die Datierung zu vereinfachen. Modell für diese Editionen sind epigrafische Ausgaben von Inschriften in anderen Sprachen. Die Ausgaben enthalten in der Regel eine Fotografie der Inschrift, bei schwer entzifferbaren Fotografien ergänzt um eine Zeichnung (von einem Teil verloren gegangener Inschriften liegen lediglich Zeichnungen vor), eine Transkription ins Runenalphabet, eine Transliteration ins lateinische Alphabet, bei Mittelalterhandschriften zudem eine Normalisierung in Normalorthografie sowie häufig eine Übersetzung (vgl. Abb. 3). Es
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liegt auf der Hand, dass solche spezialisierten Ausgaben eher Forschungsausgaben als Leseausgaben darstellen. Texteditionen im lateinischen Alphabet erfordern vergleichsweise weniger Kontextualisierung und beschränken sich in ihrer einfachsten Form auf eine zeilengetreue Wiedergabe des Textes aus der Primärquelle ohne umfangreiches zusätzliches Material. Doch bereits die frühesten gedruckten Ausgaben des 17. Jahrhunderts konnten sehr umfassend sein. Zusätzlich zur Wiedergabe des Originaltextes findet sich oft eine Übersetzung in eine moderne nordische Sprache – Dänisch oder Schwedisch – sowie ins Lateinische. Auch Einleitung, kritischer Apparat und Kommentar waren mitunter in lateinischer Sprache verfasst – eine naheliegende Vorgehensweise für Herausgeber, die die Texte auch außerhalb der nordischen Länder zugänglich machen wollten. Zahlreiche Ausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts sind wahre Prachtwerke, wie etwa Johan Peringskiölds zweibändige Ausgabe der Heimskringla (Stockholm 1697) (Abb. 5), oder die sogenannte Sorøe-Ausgabe der Konungs skuggsjá (1768).
4.
Methodische Entwicklung
Neben der offenkundigen Differenz im Textumfang liegt der größte Unterschied zwischen Editionen von Runeninschriften und Texten im lateinischen Alphabet darin, dass Letztere häufig in mehr als einer Handschrift überliefert sind und dass die jeweiligen Textüberlieferungen zahlreiche Varianten aufweisen. Folglich muss hier der Fokus in höherem Grad auf der Erschließung des Materials mithilfe des seit Karl Lachmann (1793–1851) als Rezension (recensio) von Handschriften bezeichneten Verfahrens liegen. Dabei war dies keineswegs ein neuer Anspruch, finden sich doch bereits in den ältesten Ausgaben gründliche Erörterungen des Handschriftenmaterials; jedoch wurden stringente Analysen erst ab Anfang des 19. Jahrhunderts mithilfe der genealogischen Methode durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine Methode, die die Beziehung verschiedener Abschriften innerhalb einer Texttradition aufgrund der Distribution von Fehlern feststellt; gemeinsame Fehler verschiedener Textträger sind Hinweis auf eine gemeinsame Abstammung. Dank dem klassischen Philologen Johan Nicolai Madvig (1804–1886), u. a. als Cicero-Herausgeber bekannt und einer der ersten, der ein vollwertiges Stemma für einen Text erstellte (Madvig 1833), wurde diese textkritische Methodik den nordischen Editoren volkssprachlicher Texte vermittelt; als Professor an der Universität Kopenhagen in den Jahren 1829–1880 (mit Unterbrechungen) inspirierte Madvig mehrere Studentengenerationen klassischer und nordischer Philologie. Da-
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von zeugen – sowohl hinsichtlich der systematischen Analyse des Handschriftenmaterials, des Gebrauchs der genealogischen Methode bei der Erstellung von Handschriftenstemmata wie auch der Textkonstitution auf der Grundlage von mehr als einer Primärquelle – zahlreiche Ausgaben des 19. Jahrhunderts. In der Praxis erwies sich die Methode jedoch als schwierig, u. a. da ein Großteil des volkssprachlichen Handschriftenmaterials mangelhaft überliefert ist und einige Abschriften auf mehr als einer Vorlage basieren können; jener Umstand mithin, der als kontaminierte Textüberlieferung bezeichnet wird. Die genealogische Methode in der Lachmann’schen Tradition weist große Schwierigkeiten bei der Analyse kontaminierter Überlieferungen auf, wie auch Paul Maas in seinem Handbuch für Textkritik festhält: „Gegen die Kontamination ist kein Kraut gewachsen“ (1960, S. 30). Bekanntester Gegner der Methode Lachmanns (die eher die genealogische Methode genannt werden sollte) war Joseph Bédier (1864–1938). Nach jahrzehntelanger Arbeit an einer Ausgabe des Lai de l’Ombre warf er in einem viel beachteten Artikel in der Zeitschrift Romania (1928) das Handtuch und wählte schließlich die beste Handschrift, den codex optimus. Wohl aus gutem Grund lässt sich um 1840 mit der zunehmenden Durchsetzung der genealogischen Methode eine Zäsur in der Edition westnordischer Texte markieren. Das heißt nicht, dass sämtliche Editionen nach diesem Zeitpunkt im engsten Sinn als Lachmann’sche Ausgaben zu bezeichnen wären, sondern vielmehr, dass die von Johan Nicolai Madvig und zeitgenössischen Altertumsphilologen vermittelten Impulse im Editionsmilieu Gehör fanden. In der westnordischen Herausgebertradition herrschte seit Mitte des 19. Jahrhunderts weithin Einigkeit, dass das Handschriftenmaterial zu analysieren und, wenn möglich, ein Stemma aufzustellen sei. In Hinblick auf die eigentliche Textkonstitution zog man jedoch seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Regel vor, die beste Handschrift mit Varianten einer Auswahl weiterer Handschriften wiederzugeben, ohne dass diese die Lesarten der gewählten Handschrift beeinträchtigten. In der westnordischen Philologie wacht gleichsam Lachmanns Geist über die Einleitungen, während Bédiers Methodik den edierten Text bestimmt (vgl. Haugen 2010, S. 45). In der Textauswahl steht der Editor vor grundsätzlichen Entscheidungen. Soll er versuchen, einen Text zu erstellen, der Varianten mehrerer Handschriften versammelt und der somit nicht identisch mit einer einzelnen Manifestation des Werkes ist? Mit anderen Worten, soll er einen eklektischen Text erstellen, wie es die Tradition der klassischen Philologie vorgab? Die Alternative ist, einer oder mehreren Handschriften zu folgen, ohne Eingriffe in den Text vorzunehmen. Dies kann über die hier sogenannte monotypische Ausgabe erfol-
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gen, die auf einer Handschrift basiert (für Werke, die in nur einer Handschrift überliefert sind, die einzige Lösung), oder durch eine synoptische Ausgabe, die Texte von zwei oder mehr Handschriften auf derselben Seite oder auf gegenüberliegenden Seiten anordnet. Lachmann sah die Lösung in der eklektischen Ausgabe, während Bédier sich für die monotypische Ausgabe entschied, oft als Ausgabe nach der ‚besten Handschrift‘ (‚best-manuscript edition‘) bezeichnet. Abb. 6 zeigt, wie sich eine solche Typologie entlang zweier Achsen darstellen lässt, wobei die horizontale Achse den Grad der Rekonstruktion repräsentiert und die vertikale die Komplexität des Materials. Die westnordische Edition des 19. Jahrhunderts verortete sich im eklektischen Teil des Areals, während sich im 20. Jahrhundert eine Verschiebung zum nicht-rekonstruierenden Teil vollzog. Für zahlreiche Editionsphilologen ist nach wie vor von großer Bedeutung, die Handschriftenbeziehung durch eine systematische Rezension abzuklären, ehe mit der Edition begonnen wird, selbst wenn die Textkonstitution dieses Wissen nicht voll ausschöpft. Mit der sogenannten neuen Philologie, der ‚New Philology‘ vom Ende des 20. Jahrhunderts, scheint auch die Rezension verworfen und der Fokus sich gänzlich auf das monotypische Areal zu richten, hin zur individuellen Primärquelle im engsten Sinn, unabhängig von der Textgeschichte.
5.
Das 17. Jahrhundert: Vergangenheitsbegeisterung in Schweden und Kanonbildung in Dänemark
Die erste Ausgabe eines westnordischen Textes in Originalsprache besorgte Ole Worm (1588–1655) mit dem Werk Danica literatura antiquissima (1636). Hier präsentierte er die beiden Gedichte Hǫfuðlausn und Krákumál von Egill Skallagrímsson in Runen (wobei die Handschriften im lateinischen Alphabet abgefasst sind) und übersetzte sie ins Lateinische. Ein Werk mit weitaus mehr Auszügen westnordischer Texte ist Antiquitates Danicae (1689) von Thomas Bartholin (1659–1690). Verantwortlich für den Großteil der Texte dieses Werkes zeichnete der junge Isländer Árni Magnússon (1663–1730), der später die größte Sammlung westnordischer Texte überhaupt zusammentragen sollte, die in den letzten Jahrzehnten auf die beiden arnamagnäanischen Schwesterinstitute in Kopenhagen und Reykjavik verteilt wurde. Während Ole Worm als erster ein Stück westnordischen Textes herausgab, war Olof Verelius (1618–1682) derjenige, der den ersten vollständigen Text veröffentlichte. Dabei handelte es sich um die oben genannte Ausgabe der beiden Sagas Gautreks saga und Hrólfs saga Gautrekssonar unter dem Titel Go-
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thrici et Rolfi Westrogothiae regum historia lingua antiqua Gothica conscripta, erschienen 1664 in Uppsala (Abb. 1). Verelius’ Assistent bei dieser Arbeit war der Isländer Jón Jónsson aus Rúgsstaðir (1636–1679), auch Jonas Rugmann genannt. Verelius’ Edition war der Beginn einer ganzen Reihe von Ausgaben in Schweden, bei der Texte aus der stolzen Vergangenheit des Landes gleichsam wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht erschienen. Die schwedische Editionstradition im 17. und 18. Jahrhundert wird von Lars Wollin behandelt (siehe S. 375–404) und muss daher hier nicht im Detail erläutert werden. Wir beschränken uns also auf die Erwähnung der bedeutendsten Ausgaben, die in der aktivsten Periode, der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, erschienen. Verelius setzte seine Arbeit mit den Editionen der Bósa saga ok Herrauðs (1666) und Hervarar saga ok Heiðreks konungs (1672) fort und verfasste das erste Lexikon der isländischen (und altnordischen) Sprache, den Index linguae veteris Scytho-Scandicae sive Gothicae, 1691 von Olof Rudbeck (1630–1702) herausgegeben. Der Reichsarchivar Jacob Reenhielm (1644–1691) führte die Arbeit fort und veröffentlichte 1680 Þorsteins saga Víkingssonar über den Vater von Fridtjof dem Kühnen sowie Óláfs saga Tryggvasonar (1691), während Petter Salan (1670–1697), Guðmundur Ólafsson (1652–1695) und der oben genannte Olof Rudbeck in den 1690er Jahren mehrere weitere Sagas herausgaben, die heute als Isländersagas und als Fornaldarsagas klassifiziert werden (siehe Wawn 2005 zu näheren Ausführungen). Auch die norwegischen Königssagas, vor allem die große Sammlung Heimskringla, die Snorri Sturluson zugeschrieben wird, waren Gegenstand von Forschung und Edition. Mit Norlandz Chrönika och Beskriffning (1670) lieferte Jonas Rugmann eine Übersetzung der Heimskringla ins Schwedische. Ihre Krönung fand die Arbeit an den westnordischen Königssagas mit der monumentalen Edition Johan Peringskiölds (1654–1720) und des bereits erwähnten Guðmundur Ólafsson, die die Heimskringla in ihrem originalen Text sowie in schwedischer und lateinischer Übersetzung vermittelt (Abb. 5). Diese Ausgabe, 1697–1700 in zwei Foliobänden in Stockholm erschienen, stellt einen Höhepunkt früher schwedischer Editionstätigkeit dar. Über die Auszüge bei Ole Worm und Thomas Bartholin hinaus konnte Dänemark in diesem Zeitraum nur wenige Editionen verzeichnen, dafür jedoch Editionen von Texten, die sich in der gesamten Folgezeit im westnordischen Kanon halten sollten. 1665 erschien zunächst Edda Islandorum, die sogenannte Jüngere Edda oder Snorra-Edda, herausgegeben von Peder Resen (1625–1688), der im gleichen Jahr auch die beiden Eddalieder Vǫluspá und Hávamál unter dem Titel Philosophia antiqvissima Norvego-Danica dicta Woluspa und Ethica Odini pars Sæmundi vocata Haavamaal herausgab; zu jener
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Zeit ging man davon aus, dass die anonymen Eddalieder das Werk des gelehrten Isländers Sæmundr Sigfússon inn fróði (1056–1133) waren. Auch in Dänemark wurden die Gelehrten von den Isländern unterstützt; auf der Grundlage einer Arbeit von Guðmundur Andrésson (gest. 1654) konnte Resen 1683 ein isländisch-lateinisches Wörterbuch, das Lexicon Islandicum herausgeben. Zusammen mit der Grammatik Grammaticæ Islandicæ rudimenta (1651) des Isländers Runólfur Jónsson (ca. 1620–1654) war nun bewiesen, dass nicht nur Isländer Texte sinnvoll interpretieren und herausgeben konnten. Die Entwicklung des Norwegischen, Schwedischen und vor allem des Dänischen hatte sich so rasch vollzogen, dass Isländisch – und die altnordische Sprache – in Skandinavien nicht länger verständlich waren. In Island etablierte sich die erste Druckerei in den 1530er Jahren in Hrappsey. Hier erschienen u. a. 1540 das Neue Testament auf Isländisch sowie im Jahre 1584 die gesamte Bibel, die Guðbrandsbíblia. Von alten isländischen Texten gab es jedoch nur wenige Ausgaben, mit Ausnahme der von Bischof Þórður Þorláksson (1637–1694) besorgten Landnámabók, der Kristnisaga und der Íslendingabók (1688), sämtlich zentrale Quellen für die älteste Geschichte Islands; darüber hinaus die große Óláfs saga Tryggvasonar (1689). Dies bedeutet nicht, dass die Isländer an den frühen Editionen keinen Anteil hatten, sondern dass sie mit dänischen oder schwedischen Philologen in Kopenhagen, Uppsala und Stockholm zusammenarbeiteten.
6.
Das 18. Jahrhundert: Die arnamagnäanische Kommission etabliert einen neuen Standard
In Dänemark war es nach Resen und Bartholin ruhig geworden, dafür hatte eine intensive Sammeltätigkeit eingesetzt. Ihren Anfang nahm diese zunächst mit Bischof Brynjólfur Sveinsson (1605–1675), der im Auftrag von König Frederik III. (1648–1670) isländische Handschriften sammelte und danach zusammen mit Árni Magnússon (1663–1730) die größte Sammlung isländischer Handschriften überhaupt systematisch aufbaute. Árni Magnússon tat dies mit einem scharfen Blick für den Wert auch der vielen unvollständigen und fragmentarischen Handschriften. Die Kommission, 1772 gegründet, um die Handschriften nach Árni Magnússon zu verwalten, begann rasch mit der Veröffentlichung der mittelalterlichen Texte aus Island und Norwegen. Von dieser Zeit an war Dänemark und in der Praxis Kopenhagen der zentrale Erscheinungsort westnordischer Texte. Eine Rolle spielte hierbei, dass Kopenhagen bis 1814 Hauptstadt Norwegens war; erst 1834 erschien in Norwegen die Aus-
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gabe eines westnordischen Textes, die kleine ursprünglich norwegische Königssaga Ágrip, herausgegeben von Peter Andreas Munch (für einen historischen Überblick über Editionen in Norwegen, siehe Haugen 1994). Auch zahlreiche Isländer hatten Texte in Kopenhagen herausgegeben, doch existierte seit dem frühen 19. Jahrhundert zusätzlich eine kontinuierliche Herausgebertradition in Island. In dieser Zeit erschien das Hauptwerk der altnorwegischen Literatur, der in den 1250er Jahren unter Hákon IV. Hákonarson (Regierungszeit 1217–1263) verfasste Fürstenspiegel Konungs skuggsjá, zum ersten Mal. Die Edition wurde durch den Norweger Gerhard Schøning (1722–1780) in Trondheim begonnen und von den Isländern Hálfdan Einarsson (1732–1785) und Jón Eiríksson (1728–1787) in Sorøe in Dänemark übernommen und zu Ende geführt (1768). Wie Peringskiölds Ausgabe legt die Sorøe-Ausgabe den mittelalterlichen Text mit dem Original samt Übersetzungen ins Dänische und Lateinische in drei Sprachformen vor. Für den originalen Text wurde die Antiqua verwendet, gleichsam als Pendant zur antiken römischen Literatur, die ebenfalls in dieser Type gedruckt war. Die arnamagnäanischen Ausgaben begnügten sich mit zwei Sprachen – dem westnordischen Originaltext auf der linken Seite und der Übersetzung ins Lateinische auf der rechten Seite. Hier erschienen nacheinander Njáls saga (1772), Kristni saga (1773), Gunnlaugs saga Ormstungu (1775), Hungrvaka und Páls saga biskups (1778), Hervarar saga ok Heiðreks (1785), Viga-Glúms saga (1786), Eyrbyggja saga (1787) und die Eddalieder (in drei Bänden, 1787–1828). In diese umfassende Reihe von Texteditionen gehört auch die große, 1777–1783 von Gerhard Schøning u. a. herausgegebene HeimskringlaAusgabe in drei Bänden. Viele der im 18. Jahrhundert publizierten Editionen erschienen in großzügigem Format; durch die parallele Übersetzung ins Lateinische wandten sie sich an ein akademisches Publikum auch außerhalb der Grenzen der nordischen Länder. Erst im 19. Jahrhundert erschienen Ausgaben für ein breiteres Publikum.
7.
Das 19. Jahrhundert: Die Entstehung der norwegischen Nation in Christiania
Die norwegischen Editionen, in den 1820er Jahren zögerlich begonnen, nahmen ihren Anfang mit der großen Ausgabe der alten norwegischen Gesetze, Norges Gamle Love, deren erste drei Bände in den 1840er Jahren erschienen. Hinter dieser Arbeit standen Rudolf Keyser (1817–1864), Gründer der west-
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nordischen, ‚oldnorske‘ Philologie in Norwegen, und der Historiker Peter Andreas Munch (1810–1863). Später kam auch Carl Richard Unger (1817–1897) hinzu, der der umtriebigste von allen werden sollte. Die drei Wissenschaftler zeichneten für die Edition der Konungs skuggsjá (1848) verantwortlich, während Keyser und Unger bei der Edition anderer zentraler Werke der norwegischen Literatur zusammenarbeiteten, u. a. Strengleikar (1850) und Barlaams ok Josaphats saga (1851). Nach dem Tod von Munch und Keyser Anfang der 1860er Jahre übernahm Unger die Arbeit allein und lieferte eine Reihe großer kompilatorischer Ausgaben des Typus Maríu saga (1871), Postola sögur (1874) und Heilagra manna sögur (in 2 Bänden, 1877). Zur langen Liste von Ungers Editionen muss auch die Bibelübersetzung und -bearbeitung Stjórn gerechnet werden, die 1862 erschien. Die große Mehrheit der Christiania-Editionen hatte norwegische, nicht isländische Texte zum Gegenstand oder auch Texte, die von norwegischen Verhältnissen handelten, wie etwa die zahlreichen Königssagas. Munchs Ausgabe der kleinen Saga Ágrip im Jahre 1834 kündigte die systematische Herausgabe norwegischer Königssagas an, die durch Munch und Unger mit den Editionen der Fagrskinna (1847) und der legendarischen Óláfs saga ins helga (1849) umgesetzt wurden. Nach Munch und Keysers Tod setzte Unger mit anderen Königssagas die Arbeit fort, nun jedoch auf Grundlage isländischer Handschriften. Zunächst erschien eine Neuausgabe der Heimskringla (in 4 Bänden, 1864–1868), zusätzlich zu mehreren einzelnen Königssagahandschriften, Morkinskinna (1867), Fríssbók, zusammen mit Axel Charlot Drolsum (1871) und Eirspennill (1873) sowie die gesamte Flateyjarbók (in 3 Bänden, 1860, 1862, 1868) gemeinsam mit Gudbrandr Vigfusson. Ungers herausragende Leistungen hinsichtlich der Edition von Handschriftenmaterialien wurden von keinem anderen Editor westnordischer Texte übertroffen. Ein ebensolches Verdienst erbrachte er mit der Edition der alten norwegischen Briefe, die in der Reihe Diplomatarium Norvegicum ab 1847 erschienen. Hier teilte Unger die Arbeit an sämtlichen der im 19. Jahrhundert verlegten 15 Bände zunächst mit Christian Lange (1810–1861) sowie anschließend mit Henrik Jørgen Huitfeldt-Kaas (1834–1905). Innerhalb der einzelnen Bände folgen die Briefe einer chronologischen Anordnung; der Umstand, dass jeder Band von Neuem ansetzt, erschwert jedoch die Orientierung. Die in den 1990er Jahren erschienene digitale Version des Diplomatarium Norvegicum ermöglicht die Suche im gesamten Briefmaterial und ersetzt insoweit ein übergreifendes Register. Mit dem Ordbog over det gamle norske Sprog lieferte Johan Fritzner (1812–1893) einen herausragenden lexikografischen Beitrag zum Westnordi-
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schen, d. h. zur alten isländischen und norwegischen Sprache. Fritzner nützte die von Keyser, Munch und Unger herausgegebenen norwegischen Quellentexte voll aus, machte aber auch umfassenden Gebrauch von den seinerzeit zugänglichen isländischen Quellentexten. Die erste Ausgabe des Wörterbuches erschien 1867. Eine neue, erweiterte Ausgabe in drei Bänden folgte 1883– 1896; der dritte Band wurde unter Ungers Leitung abgeschlossen. Fritzners Wörterbuch stellt nach wie vor das größte Wörterbuch der westnordischen, ‚norröne‘ Sprache dar, und obgleich das in Arbeit befindliche Arnamagnäanische Wörterbuch Ordbog over det norrøne prosasprog (1989 ff.) eine noch größere Zahl an Lemmata aufweist, kann von einem bedeutenden Zuwachs nicht gesprochen werden. Anders formuliert waren so große Teile der westnordischen Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen, dass eine hochwertige lexikografische Erfassung möglich war. Fritzners Wörterbuch enthält darüber hinaus zahlreiche und ausführliche Quellenzitate und stellt somit ein Zeugnis der westnordischen Sprache dar, das die Ausgaben des 19. Jahrhunderts widerspiegelt. Ein Ergänzungsband, 1972 unter der Redaktion von Finn Hødnebø erschienen, ergänzt Fritzner vor allem mit jüngeren Wörtern. Sophus Bugge (1833–1907) gab 1867 die Eddalieder unter dem Titel Norræn fornkvæði heraus, nachdem er im Vorjahr zum ersten Professor für westnordische, ‚oldnorske‘ Philologie an der Universität von Christiania berufen worden war. Diese Ausgabe stellt, neben der späteren Ausgabe von Gustav Neckel und Hans Kuhn (5. Auflage 1983), noch heute ein Standardwerk dar. Bugges Interesse galt auch den alten Runeninschriften. Die Edition norwegischer Inschriften im älteren Runenalphabet begann er mit der großen Korpusausgabe Norges Indskrifter med de ældre Runer (NIæR), deren erster Band 1891 erschien. Diese Ausgabe war nach den einzelnen norwegischen Distrikten (damals Amt genannt) angeordnet; dem gleichen Prinzip folgte auch das umfassende Namenwerk von Oluf Rygh (1833–1899), Norske Gaardnavne (Norwegische Gehöftnamen, 19 Bde., 1897–1936). Bugge zeichnete für den ersten Band der NIæR allein verantwortlich, erhielt mit dem zweiten Band jedoch Unterstützung durch den Philologen, der später sein Nachfolger werden sollte, Magnus Olsen (1878–1963), der die Edition mit dem vierten und letzten Band im Jahre 1924 vollendete. Ende des 19. Jahrhunderts konnten die norwegischen Philologen auf eine umfangreiche Publikation norwegischer Gesetzestexte, historischer Literatur, religiöser Literatur und allgemeiner Übersetzungsliteratur zurückblicken, zusätzlich zu den selbstständig verfassten Werken wie Konungs skuggsjá. Gekrönt wurde dieses Werk mit den Übersetzungen der Heimskringla unter dem
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Titel Kongesagaer in der Übersetzung von Gustav Storm (1845–1903) in Riksmål (heute: Bokmål) 1899 und Kongesogur in der Übersetzung in Landsmål (heute: Nynorsk) durch Steinar Schjøtt (1844–1920) im Jahr 1900. Beide Werke enthielten Illustrationen der bekannten Künstler Christian Krohg, Gerhard Munthe, Erik Werenskiold und anderer. Wenige Jahre darauf, 1905, beendete Norwegen die Union mit Schweden und verstand sich nun als freie und selbstständige Nation mit einer stolzen Vergangenheit, einem altnordischen Klassizismus auf gleicher Linie mit der Antike. Die Rolle, die die Editoren in diesem Prozess des nationalen Aufbaus spielten, darf nicht unterschätzt werden, denn durch die Texte und die Sprache, die sie überlieferten, konnte sich die Nation definieren. In Dänemark setzte die arnamagnäanische Kommission während des 19. Jahrhunderts die Arbeit an ihren stattlichen Ausgaben fort, u. a. der Egils saga Skalla-Grímssonar (1809), Magnúss lagabǿtis landslǫg (1817), Laxdǿla saga (1826), Grágás (1829), Kormáks saga (1832), Járnsiða (1847) und SnorraEdda (3 Bde., 1848, 1852, 1880–1887). Dabei handelte es sich abgesehen von der unerlässlichen Snorra-Edda um Isländersagas wie auch um Gesetzestexte, sämtlich innerhalb des etablierten Kanons. Die Kommission publizierte ihre Ausgaben bis 1938, jedoch mit nachlassendem Tempo, und neue, konkurrierende Reihen kamen hinzu. Der herausragende Sprachforscher Rasmus Rask (1787–1832) gründete 1815/16 Hið íslenzka bókmenntafélag in Kopenhagen und Reykjavik, wo vor allem unter der Leitung des Philologen und Politikers Jón Sigurðsson (1811– 1879) in den 1850er Jahren und den folgenden Jahrzehnten in dieser Reihe zahlreiche Editionen erschienen. Die Gesellschaft ist noch heute aktiv, jedoch lediglich in Reykjavik. Rask hatte 1818 die Eddalieder und Snorra-Edda selbst herausgegeben. Wenige Jahre später, 1825, wurde die ‚Kongelige nordiske Oldskriftselskab‘ u. a. von Carl Christian Rafn (1795–1864) und Sveinbjörn Egilsson (1791–1852) in Kopenhagen gegründet. Innerhalb kurzer Zeit gab diese Gesellschaft zahlreiche Editionen heraus, zunächst Fornmanna sögur in 12 Bänden (1825–1837), eine Sammlung von Königssagas, und Fornaldar sögur Nordrlanda in 3 Bänden (1829/30), die dem von Olof Verelius und den ältesten schwedischen Herausgebern in der Editionsgeschichte etablierten Genre folgten. Die Gesellschaft ist noch heute tätig, ohne sich jedoch nach den 1930er Jahren bei der Textausgabe aktiv engagiert zu haben. In Island gab der oben genannte Sveinbjörn Egilsson ein Wörterbuch zur Skaldensprache, das Lexicon Poeticum (Fertigstellung des Druckes 1860), heraus, das Finnur Jónsson (1858–1934) 1931 in neuer Aufmachung publizierte. Dabei handelt es sich um das nach wie vor beste Wörterbuch der speziellen
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Sprache der Edda- und Skaldendichtung. Sveinbjörn Egilssons Schüler Konráð Gíslason (1818–1891) erwies sich als sehr versierter Editor, zunächst mit einer Edition der Hrafnkels saga Freysgóða (1839) in Zusammenarbeit mit Peder Goth Thorsen (1811–1883), sowie anschließend der Droplaugarsona saga (1847), beiden Versionen der Gísla saga Súrssonar (1849), der Fóstbrǿðra saga (1852) sowie gemeinsam mit Eiríkur Jónsson (1822–1899) der Njáls saga (1875). Wie viele seiner Landsmänner aus der Zeit Árni Magnússons war Konráð Gíslason in Kopenhagen als Universitätsprofessor tätig. Sein Schüler Björn Magnús Ólsen (1850–1919), Professor an der Universität in Reykjavik, trug mit vielen wichtigen Beiträgen zur westnordischen Philologie bei. Als Editor weniger bekannt, muss er indessen zusammen mit dem oben genannten Finnur Jónsson und dem Dänen Verner Dahlerup (1859–1938) als Herausgeber der sogenannten ‚Grammatischen Traktate‘ (1884–1881) erwähnt werden. Kristian Kålund (1844–1919) ist vermutlich zuvorderst für seine Handschriftenkataloge bekannt. Er gab indessen auch mehrere altisländische Texte heraus, u. a. die Laxdǿla saga (1889–1891) und die Sturlunga saga (1906– 1911). Mehrere dieser Editionen, nicht zuletzt seine kritische (und eklektische) Ausgabe der Laxdǿla saga, zeigen, dass Kålund in der Tradition Lachmanns arbeitete. Finnur Jónsson, nach Unger der produktivste Editor der westnordischen Philologie, zeichnete auch für die erste kritische Ausgabe der Heimskringla (1893–1901) verantwortlich.
8.
Das 20. Jahrhundert: Reykjavik und Kopenhagen teilen sich das arnamagnäanische Erbe
Nach dem herausragenden Einsatz im 19. Jahrhundert erschienen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichsweise wenige Ausgaben. Die wichtigsten Texte waren bereits ediert, doch nun kam ein ganz neuer Editionstypus auf, die Faksimileausgabe. Faksimiles einzelner Handschriftenblätter als Kupferstich oder Lithografie waren bereits seit Langem erstellt worden; eine Innovation bedeuteten indessen die fotolithografischen Drucke ganzer Handschriften. Das erste große Faksimile einer westnordischen Handschrift produzierte der in Christiania ansässige dänische Fotograf Peter Petersen (1835–1894). Im Auftrag der Universität fotografierte er im Jahr 1864 den gesamten Codex Frisianus (AM 45 fol) ab und stattete die Faksimile-Buchausgabe mit handkolorierten Initialen aus. In den Folgejahren erschienen ein Faksimile des Elucidarius in Kopenhagen (1869) sowie Borgartings eldre kristenrett in Christiania (1886). Bedeutenden Aufschwung erhielt das Editionswesen 1930, als der Ver-
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leger Ejnar Munksgaard in Kopenhagen mit der monumentalen Ausgabe der Flateyjarbók eine neue Faksimilereihe, das Corpus codicum Islandicorum Medii Aevi, initiierte, die 1956 zum Abschluss kam. Im gleichen Jahrzehnt erschienen darüberhinaus mit dem Corpus codicum Norvegicorum medii aevi (Oslo 1950 ff.), der Íslenzk handrit (Reykjavik 1956 ff.) und den Early Icelandic Manuscripts in Facsimile (Kopenhagen 1958 ff.) weitere Faksimilereihen. Dabei handelte es sich um große, reich ausgestattete Ausgaben, die in der Folge auch in Farbe erschienen, deren Produktion sich jedoch zunehmend verteuerte. Zum Jahrhundertwechsel waren diese Reihen entweder abgeschlossen oder mit der Arbeit an den letzten Beiträgen befasst. Die Übergangsreihe Manuscripta Nordica (Kopenhagen 2000 ff.), die die Einleitung in gedruckter Form und die Faksimiles auf CD publiziert, hat bis heute drei Bände vorgelegt. Es ist zu vermuten, dass diese Reihen mit wenigen Ausnahmen ausschließlich im Internet, mithin leicht zugänglich für alle und – vorläufig – kostenlos für den Benutzer, publiziert werden. Die große Reihe Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur (Gesellschaft zur Herausgabe alter nordischer Literatur, STUAGNL), 1879 in Kopenhagen gegründet, legte bis zu den 1930er Jahren ein hohes Publikationstempo vor, ehe sie 1956 mit Band 66 abschloss. Hier erschienen zahlreiche zentrale Editionen von Herausgebern wie Finnur Jónsson, Kristian Kålund sowie in der Folge dem jungen Jón Helgason (1899–1986). In den 1930er Jahren vollzog sich, nicht nur in Zusammenhang mit dem Auftakt der oben erwähnten Faksimilereihe Ejnar Munksgaards, eine bedeutende Wende im Editionswesen. In Island wurde die Reihe Íslenzk fornrit etabliert, die 1933 mit dem ersten Band, Egils saga Skalla-Grímssonar von Sigurður Nordal (1886–1974), herauskam. In dieser Reihe, als Pendant zur deutschen Reihe Altnordische SagaBibliothek (1892–1929) gedacht, wurden in der Folge Isländersagas, ältere isländische Historienliteratur, Königssagas und Bischofssagas veröffentlicht. Bis heute erschienen in der Reihe fast 30 Bände, weitere befinden sich in Planung, so u. a. die Eddalieder und die Snorra-Edda. Zu den produktivsten Editoren in der Íslenzk fornrit zählen Guðni Jónsson (1901–1974) und Einar Ólafur Sveinsson (1899–1984). Erwähnenswert ist zudem die von Bjarni Aðalbjarnarson besorgte Heimskringla-Ausgabe in drei Bänden (1941, 1945 und 1951), gegenwärtig die meistverwendete Ausgabe dieses Werkes. Die in Normalorthografie gehaltenen Editionen von Íslenzk fornrit haben sich breit durchgesetzt – sie werden sowohl von der Allgemeinheit in Island gelesen als auch in der Forschung, vor allem der Literatur- und Geschichtswissenschaft, verwendet und zitiert. Mit diesen Ausgaben ist man einem ‚textus receptus‘ in der westnordischen Editionsphilologie am nächsten gekommen.
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Bei der Arnamagnäanischen Sammlung in Kopenhagen gründete der Lyriker und Philologe Jón Helgason die Reihe Editiones Arnamagnæanæ sowie die dazugehörige Reihe Bibliotheca Arnamagnæana. In der Reihe Editiones erschien 1938 der erste Band, Jón Helgasons eigene Ausgabe von Byskupa sögur Bd. 1, sowie 1958, nach längerer Zeit, Ólafur Halldórssons Ausgabe von Óláfs saga Tryggvasonar, ebenfalls Bd. 1; der dritte Band kam im Jahr 2000 heraus. Später erschienen mit zum Teil sehr umfassenden Einleitungen nahezu 50 Bände in der A- und B-Reihe. Verglichen mit den Bänden von Íslenzk fornrit handelt es sich bei den Editiones Arnamagnæanæ um eine streng wissenschaftliche Reihe, deren Leserschaft die verlässlichsten Auskünfte zur Handschriftengrundlage für den edierten Text und dessen Etablierung in einer den Handschriften am nächsten kommenden Orthografie einfordert. Nach der 1971 begonnenen und 1997 abgeschlossenen Aufteilung der großen Sammlung arnamagnäanischer Handschriften zwischen Dänemark und Island publizierte das entsprechende isländische Institut, heute Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum, zahlreiche Ausgaben in seiner Reihe Rit Stofnunar Árna Magnússonar. In dieser Reihe, die Editionen, Monografien und Artikelsammlungen (Gripla) umfasst, sind bis heute 82 Bände erschienen, von denen fast 30 Bände Editionen isländischer Texte vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit enthalten. In den letzten drei bis vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verzeichneten die beiden arnamagnäanischen Institute eine herausragende Editionstätigkeit, und es ist zu vermuten, dass die Produktionsvielfalt auch zukünftig ihr Niveau hält. Der Aufteilung des Handschriftenmaterials auf die zwei Länder wurde vielerorts mit Skepsis begegnet, angesichts der an beiden Instituten hervorgebrachten Editionen muss jedoch von einer Erfolgsgeschichte gesprochen werden. Dass die Editionen in Zukunft die gleiche hohe Erscheinungsrate beibehalten werden, ist insbesondere nach der Reduzierung des Fachbereichs in Kopenhagen wie auch in Reykjavik zu bezweifeln. Auf norwegischer Seite besorgte die Quellenschriftenkommission im 20. Jahrhundert eine kleinere Reihe von Ausgaben auf zumeist diplomatischer Basis, die eher für die Sprachgeschichte, weniger für die allgemeine Geschichtswissenschaft und Literaturforschung geeignet war. Im Jahr 1945 wurde mit den Gammelnorske tekster (Altnorwegische Texte) eine neue Reihe begründet, deren ersten Band die diplomatische Ausgabe der Konungs skuggsjá von Ludvig Holm-Olsen bildete. In dieser Reihe, deren Titel in der Folge in Norrøne Tekster (Altnordische Texte) geändert wurde, sind vorläufig acht Bände mit leicht variierendem Standard erschienen, die hauptsächlich altnorwegische Literatur enthalten. Die Arbeit der Quellenschriftenkommission wird
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an der Quellenschriftenabteilung des norwegischen Reichsarchivs weitergeführt, das auch das Diplomatarium Norvegicum verantwortet.
9.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts: digitale Philologie und textliche Integration
Magnus Rindals Ausgabe von Barlaams ok Jospahats saga in der Reihe Norrøne tekster (1981) stellt die erste größere gedruckte Ausgabe auf digitaler Grundlage dar. Um 1990 waren sämtliche Editionsreihen zu digitaler Vorarbeit übergegangen, doch sahen die gedruckten Ausgaben den im Bleisatz gedruckten Vorgängern zum Verwechseln ähnlich. Am Anfang stand somit eine ‚Revolution hinter den Kulissen‘, ohne Konsequenzen für Textkonstituierung oder Publikation. Seit den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts zeichnen sich die Konturen einer neuen, digitalen Editionspolitik ab, in der die Textgrundlage erweitert ist und die Ausgaben auch über das Internet abgerufen werden können. So wird das Netz als paralleler Vermittlungskanal zu den gedruckten Ausgaben genutzt, in anderen Fällen mit ergänzenden Funktionen versehen (z. B. Suche, Konkordanzerstellung oder Zugang zu mehreren Repräsentationsebenen) oder auch als ausschließliche Vermittlungsform eingesetzt. Bis zum Durchbruch des Internets in den 1990er Jahren blieb die Verbreitung digitaler Textausgaben wie auch die Kodierung von Spezialzeichen problematisch, sodass diese Ausgaben erfolglos blieben. Eine gegen Ende der 1980er Jahre an der Kopenhagener Universität errichtete Datenbank wurde Anfang der 1990er Jahren aufgrund mangelnden Interesses und Schwierigkeiten bei der technischen Instandhaltung wieder eingestellt. Das Internet hat es jedoch ermöglicht, Texte (und Faksimiles von Handschriften) Benutzern in aller Welt ohne Zwischenglied und mit hoher Flexibilität im Umfang der Textwiedergaben direkt zugänglich zu machen. Seit die Medieval Unicode Font Initiative (www.mufi.info) im Jahr 2008 einer Reihe altnordischer Spezialzeichen im Unicode-Standard (Version 5.1) zum Durchbruch verhalf, ist es möglich, altnordische Texte auf hohem diplomatischem Niveau und mit hoher Stabilität in der Wiedergabe zu vermitteln. Das 2001 gegründete Medieval Nordic Text Archive (www.menota.org) begann nach einem zögerlichen Start, digitale Versionen altnordischer Handschriften basierend auf einem offenen XMLStandard im Internet bereitzustellen. Es ist davon auszugehen, dass gedruckte Editionen sich auch zukünftig noch lange bewähren werden, dass jedoch zugleich mit einer zunehmend engen Wechselwirkung zwischen gedruckter und digitaler Vermittlung zu rechnen ist. Auf einem Gebiet zeichnen sich bereits
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die Konturen einer Integration von digitaler Edition und lexikografischen Ressourcen ab, zum einen durch das Wörterbuchmaterial im Gammelnorsk Ordboksverk, konvertiert im Rahmen des Dokumentationsprojekts in den 1990er Jahren, zum anderen durch die Lemmatisierung in der Regie von Medieval Nordic Text Archive (vgl. Ekker und Ore 2008). Die Edition jüngerer Runeninschriften folgte dem Muster der Reihe Norges innskrifter med de yngre runer (NIyR). Nach dem ersten Band im Jahre 1941 erschienen weitere fünf Bände, in der Folge redigiert von Magnus Olsen, Aslak Liestøl und James Knirk. Die Schriften aus Trondheim befinden sich als Band 7 in Bearbeitung, während die Funde von Bergen, Tønsberg und Oslo erst in kommenden Bänden erscheinen werden. Allein von Bryggen in Bergen liegen heute mehr Inschriften vor als von jedem anderen Ort, sodass diese allein zwei Bände zu füllen vermögen. Bei Abschluss der NIyR wird man so weit sein, die Frage nach einer Revision der Arbeiten von Sophus Bugge und Magnus Olsen mit den älteren Runeninschriften in Buchform oder in digitaler Form erörtern zu können. Die älteren Runeninschriften mögen sich für eine digitale Vermittlung als besser geeignet erweisen als die Prosatexte in lateinischem Alphabet, nicht nur im Hinblick auf die hohen Produktionskosten gedruckter Korpusausgaben, sondern auch, da die kurze Form und die zahlreichen Vermittlungsaspekte (Fotografie, Transkription, Transliteration, Normalisierung, Übersetzung, Kommentar) zu einer parallelen, fensterbasierten Annäherung einladen. Die vergleichsweise wenigen Runeninschriften aus Island wurden von Anders Bæksted (1942) herausgegeben, während Michael Barnes (1994) die Inschriften von den Orkneyinseln veröffentlichte.
10.
Die großen Linien
Eine übergeordnete Perspektive, die sich auf die Editionsgeschichte anwenden lässt, ist vom Verhältnis zwischen den drei Aspekten Inhalt, Werk und Dokument ableitbar. Wenn Handschriften vom Typ Hauksbók und Flateyjarbók zu Recht als Editionen aufgefasst werden, lässt sich sagen, dass hier der Inhalt die Textauswahl dieser Handschriften bestimmte – der Redaktor sammelte thematisch zusammengehörenden Stoff aus verschiedenen Quellen. Im Falle der Flateyjarbók, die Königssagas und relevantes Material zusammenführt, ist die Motivation leicht zu durchschauen, während der Zusammenhang im Falle der Hauksbók eher als privat und idiosynkratisch zu bezeichnen ist, gesteuert vom Interesse des Editors selbst. Auch in der Geschichte von gedruckten Editionen
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finden sich zahlreiche Beispiele für inhaltsorientierte Ausgaben. Die Ausgabe der Gautreks saga und Hrólfs saga Gautrekssonar von Olof Verelius (1664) sowie die Sammelausgabe der Landnámabók, Kristnisaga und Íslendingabók von Þórður Þorláksson (1688) sind frühe Beispiele solcher Ausgaben. Dies gilt auch für die große Ausgabe der norwegischen Königssagas in sechs Bänden (1777–1826) von Gerhard Schøning und Mitarbeitern, bei der die drei ersten Bände die Heimskringla sowie die drei folgenden die Sverris saga, die Bǫglunga sǫgur und die Hákonar saga Hákonarsonar umfassen. In diesen Zusammenhang gehören auch die drei großen Sammelausgaben von Carl Richard Unger, Mariu saga (1871), Postola sögur (1874) und Heilagra manna sögur (2 Bde., 1877). Hugo Gerings Edition der exempla und anderer Kurzprosa in Islendzk æventyri (2 Bde., 1882/83) bildet ein weiteres Beispiel, nicht zuletzt auch Finnur Jónssons Edition der Skaldengedichte in Den norsk-islandske skjaldedigtning (2 + 2 Bde., 1912–1915). Diese Ausgabe ist nach wie vor ein Standardwerk, wird vermutlich jedoch von einer neuen Ausgabe in der Regie eines internationalen Kooperationsprojekts, der Skaldic Poetry of the Scandinavian Middle Ages, abgelöst werden. Andere Ausgaben orientieren sich am Werk, dem Text, der sich metaphorisch gesprochen aus dem Handschriftenmaterial herausheben lässt. Den vielleicht bekanntesten Vertreter dieses Typus bildet die bereits erwähnte Reihe Íslenzk fornrit, in der die literarischen Werke – wie wir sie kennengelernt haben – in jeweils eigenen Bänden erschienen, wie etwa die Brennu-Njáls saga, die Egils saga Skalla-Grímssonar und die Laxdǿla saga, oder auch die unter geografischen Gesichtspunkten angelegten Sammlungen von Isländersagas mit Titeln wie Borgfirðinga sögur, Vestfirðinga sögur o. ä. Hinsichtlich der Editionsinteressen der Íslenzk fornrit lässt sich ein Zusammenhang zur sogenannten Buchprosalehre herstellen, die, als die Reihe in den 1930er Jahren etabliert wurde, im isländischen Forschungsbetrieb sehr populär wurde. Diese Buchprosalehre legte eine Rückorientierung zum individuell geschaffenen Werk nahe. In einigen Fällen resultierte diese Werkorientierung darin, dass Sagas, die wie die Hrafnkels saga Freysgoða vorrangig in jüngeren Abschriften überliefert waren, in der Orthografie des 13. Jahrhunderts wiedergegeben wurden, also in der sprachlichen Form, die die Texte einmal gehabt haben konnten. Dies stimmt überein mit der für Lachmann und seine Nachfolger kennzeichnenden Ursprungssuche, stellt jedoch keineswegs eine originär Lachmann’sche Konstruktion dar. Schließlich gibt es Ausgaben, die sich am einzelnen Dokument, mithin an der Handschrift und deren Kontext orientieren, ohne dass die Ausgabe den Versuch einer Rekonstruktion der Textgeschichte oder einer Abgrenzung des
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Werkes unternimmt. Dies stellte ein Merkmal der sogenannten Neuen oder Materiellen Philologie dar, der seit Beginn der 1990er Jahre auch seitens der westnordischen Editionsphilologie große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Einige Philologen betrachteten die Fokusverschiebung in der Materiellen Philologie als Befreiung von der Suche nach der Urheberschaft in der diachron orientierten Philologie (siehe für unterschiedliche Positionen hierzu Sverrir Tómasson 2002 sowie Driscoll 2010). In der Folge konnte sich der Blick auf das Nachleben der Handschriften richten, auf deren Rezeption mehr als auf ihr Vorleben. Üblicherweise wird auf Bernard Cerquiglini (1989) und Stephen G. Nichols (1990 und 1997) als Inspiratoren dieser Richtung verwiesen. Ohne dass ein direkter Zusammenhang besteht, sieht es so aus, dass die im Aufbau befindlichen digitalen Textarchive wie etwa Medieval Nordic Text Archive diese Richtung bestärken könnten. Solche Archive neigen dazu, die Primärquellen zu favorisieren, also die einzelnen Handschriften oder Handschriftenfragmente, seien diese komplett oder auch nur in Teilen vorhanden. Beispielhaft hierfür liegt etwa die Barlaams ok Josaphats saga im Internet in einer diplomatischen Transkription der norwegischen Haupthandschrift Holm perg 6 fol vor und setzt folglich in medias res mit „mællte ekki fleirum orðom“ ein, entsprechend Kapitel 10 des Werkes, wie es Keyser und Unger in ihrer Ausgabe von 1851 angeordnet hatten. Notwendig ist eine solche Anordnung dort, wo der Anfang des Textes einer Haupthandschrift fehlt, und hier liegen so auch die Grenzen der materiellen, dokumentorientierten Editionsphilologie. Die Entwicklung wird unter Umständen zeigen, dass die digitalen Textarchive die Werke wieder re-etablieren, dann jedoch auf der Grundlage eines weit größeren und in vielen Fällen vollständigen Überblicks über die zugänglichen Textzeugen. Zwischen der alten, werkorientierten Editionsphilologie und der neuen, materiellen und dokumentorientierten Philologie kann ein Widerspruch liegen. Aufgefasst als Parallele zum Gegensatz zwischen der synchronen und der diachronen Linguistik, lässt sich formulieren, dass die werkorientierte Philologie einer diachronen Perspektive auf die Texte entspricht, während die dokumentorientierte Philologie die Textüberlieferung gänzlich synchron betrachtet, verankert in einer bestimmten Textstufe. Ohne ein adäquates Verständnis der einzelnen synchronen Schichten der Überlieferung lässt sich die Diachronie jedoch weder in der Editionsphilologie noch in der Linguistik rekonstruieren. So gesehen bildet die Synchronie eine Voraussetzung für die Diachronie; zu ihrem vollen Recht gelangt sie indessen erst durch die Diachronie. Ein Werk konstituiert sich aus einem oder mehreren Dokumenten und kann nur aufgrund einer Analyse der einzelnen Dokumente verstanden werden; doch erst im dia-
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chronen Kontext erhalten die einzelnen Dokumente ihre volle Bedeutung (vgl. Haugen 2009, S. 32 f.). Geht man in der Editionsgeschichte etwas weiter zurück, erweist sich der Gegensatz zwischen Werk- und Dokumentorientierung als alter Wein in neuen Schläuchen. Der große Komplex Königssagas bietet hierfür ein gutes Beispiel. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die beiden Kompilationen Heimskringla und Flateyjarbók herausgekommen (die Heimskringla, wie gezeigt, mehrfach). Nach seinen Studien in westnordischer Geschichtsschreibung erkannte Gustav Storm deutlichen Bedarf an Ausgaben der einzelnen Königssagahandschriften und erhielt die Unterstützung der Quellenschriftenkommission für eine dokumentorientierte Editionsreihe zentraler Handschriften wie Kringla, Jöfraskinna, Eirspennill, Hulda, Skálholtsbók yngsta und anderer. Die Bewilligung von Mitteln für dieses Projekt blieb jedoch aus, sodass Gustav Storms offenkundiges Herausgebertalent (dokumentiert u. a. in Monumenta Historica Norvegiæ 1880) ungenutzt blieb. Andere Editoren verfolgten den Plan indessen weiter: Albert Kjær (1852–1941) begann 1910 mit der Ausgabe von Skálholtsbók yngsta, die u. a. die Sverris saga und Hákonar saga Hákonarsonar enthielt, und Finnur Jónsson gab 1916 Eirspennill heraus. Gustav Indrebø (1889–1942) folgte 1920 mit einer Ausgabe von Sverris saga, zwei Jahre später gab Oscar Albert Johnsen (1876–1954) erneut die legendarische Óláfs saga ins helga heraus (1922). Nach einer Unterbrechung erschien die 1941 fertiggestellte Ausgabe der großen Saga über Olaf den Heiligen, herausgegeben von Jón Helgason und Oscar Albert Johnsen. Kjærs Edition der Skálholtsbók yngsta verzögerte sich und kam erst zum Abschluss, als Ludvig Holm-Olsen, 76 Jahre nach dem ersten Heft, 1984 die Einleitung herausgab. Die Edition der Heimskringla-Handschriften wurde in Oslo weitergeführt. Abschriften der wichtigen, aber verloren gegangenen Kringla-Handschrift in Ásgeir Jónssons Abschriften aus dem 18. Jahrhundert liegen nun in digitaler Form vor, besorgt von Jon Gunnar Jørgensen, Kjartan Ottosson und Kollegen (AM 35 fol, AM 63 fol und AM 38 fol). Eine Edition der Hulda von Jonna Louis-Jensen ist ebenfalls weit fortgeschritten. Dabei handelt es sich um reine Materialphilologie, indessen mit dem ‚altphilologischen‘ Anspruch, ein höheres Verständnis der Königssagas und ihrer internen textlichen Beziehungen zu erreichen. Die Egils saga Skalla-Grímssonar, eine der bekanntesten Isländersagas, soll als letztes Beispiel für die Gegenüberstellung werk- und dokumentorientierter Edition dienen. Sigurður Nordals Ausgabe von 1933 in der Reihe Íslenzk fornrit hat dieses Werk, das nach allgemeiner Auffassung in drei Hauptredaktionen vorliegt, praktisch definiert. Die beiden jüngeren Redaktionen sind unvollstän-
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dig, weisen jedoch zum Teil bessere Lesarten auf als die älteste Redaktion und überliefern als einzige die beiden Gedichte Sonatorrek und Hǫfuðlausn. Gegenwärtig in Arbeit sind die drei Hauptredaktionen in der Reihe Editiones Arnamagnæanæ, Bd. 19 (2001), Bd. 20 (in Bearbeitung) und Bd. 21 (2006). Nach Fertigstellung der dreibändigen Ausgabe der Egils saga Skalla-Grímssonar wird diese sich zweifellos in einem breiteren und historisch korrekteren Rahmen präsentieren als in der geglätteten, eklektischen Ausgabe Sigurður Nordals. Es bleibt jedoch abzuwarten, welche Akzeptanz den Editionen, zumal außerhalb des akademischen Milieus, beschieden sein wird. Die nordische Editionsphilologie steht im Übergang eines gedruckten zu einem digitalen Paradigma den gleichen Herausforderungen wie andere philologische Disziplinen gegenüber. Die vorliegende Untersuchung hat versucht zu zeigen, dass eine weit zurückreichende Editionsgeschichte viele jener gegenwärtig im Rahmen eines scheinbar grenzenlosen digitalen Universums erprobten Lösungen vorweggenommen hat und dass die Rolle des Editors sich in geringerem Maße geändert zu haben scheint, als die Jahrhunderte es nahelegen – selbst wenn sich der Blick bis zu jenen zurückrichtet, die mittelalterliche Handschriften selbst redigierten und abschrieben. Der Überblick mag außerdem gezeigt haben, dass sich von keinem Text eine definitive Ausgabe finden lässt; die großen Texte sind immer wieder neu herausgegeben worden, und wo zwischen verschiedenen Ausgaben weniger zentraler Texte ein großer Zeitraum liegt, so ist dies eher dem Zugang zu Ressourcen denn der Erfordernis neuer Ausgaben zuzuschreiben. Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
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Abb. 1: Titelblatt zur Gautreks Saga und Hrólfs saga Gautrekssonar in der Ausgabe Olof Verelius’ (1664).
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Abb. 2: Ausschnitt aus der akademischen Abschrift der Jöfraskinna von Jens Nilssøn (1567) mit diplomatischer Transkription. Kopenhagen, Die Arnamagnäanische Handschriftensammlung, AM 37 fol, Bl. 150r, Z. 8–14. In der Transkription wird die Kursive zur Kennzeichnung aufgelöster Abbreviaturen verwendet.
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Abb. 3: Marmorquader der Kirche in Tingvoll (ca. 1200) mit Transkription, Transliteration, Normalisierung und Übersetzung. Aus: Seim 2007, S. 204.
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Abb. 4: Ausschnitt aus dem alten norwegischen Homilienbuch (Kopenhagen, Die Arnamagnäanische Handschriftensammlung, AM 619 4°, Bl. 47r, Z. 16–26) mit diplomatischer Transkription und normalisierter Wiedergabe.
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Abb. 5: Aus Peringskiölds Ausgabe der Heimskringla (1697). Norröner Text im Original in der linken Spalte, schwedische Übersetzung in der rechten Spalte, darunter die lateinische Übersetzung.
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Abb. 6: Ausgabentypologie. Monotypische und synoptische Ausgaben geben singuläre Handschriften wieder, während eklektische (oder kritische) Ausgaben den Text auf Grundlage mehrerer Textzeugen konstituieren, ohne dass dieser mit einzelnen Textzeugen identisch sein muss.
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Abstract This chapter provides a condensed overview of editions in the Nordic countries of Old West Nordic texts, i. e., of Old Norse (Old Norwegian and Old Icelandic) texts. The chapter argues that the history of these editions can be traced back to the production during the High Middle Ages of manuscripts such as the Book of Haukr (Hauksbók) and the Flatey Book (Flateyjarbók). Our focus in this chapter, however, is on print editions, from the publication of the earliest complete editions in the 1660s up to the present day. The epicentre of the publication of these texts has shifted over time: Sweden was the most prominent environment during the second half of the 17th century, but was overtaken by Denmark during the 18th century. During the 20th century, Norway joined in at full force, as after a while did Iceland. For the period until around 1800, the overview provided in this chapter is almost complete. Thereafter, however, the rate of production becomes so high that it is only possible to seek to identify key editorial trends. We argue that the editorial traditions during the 19th century were dominated by the Lachmannian paradigm. Twentiethcentury editions, however, tended to pay heed to Bédier’s criticism of this paradigm and to be based on single manuscripts. This does not hinder the continued pursuit found in major scholarly series, particularly the Arnamagnæan series, of an ideal text based on a complete recension of manuscript materials. In our conclusion, we distinguish between content-driven, document-driven and work-driven editions. We argue that while the new digital text archives appear to support document-driven editorial practices, this may turn out to have been an intermediate step on the way towards a re-establishment of work-driven editions. The chapter also looks briefly at editions of Old West Nordic texts in the runic alphabet, as well as at the development of facsimile editions.
Literaturverzeichnis Editionen [Ágrip.] Brudstykke af en gammel norsk Kongesaga. Hrsg. von Peter Andreas Munch. In: Samlinger til det norske Folks Sprog og Historie 2. Christiania 1834, S. 273–335. [Antiquitates Danicae.] Antiquitatum danicarum de causis contemptae a Danis adhuc gentilibus mortis libri tres. Hrsg. von Thomas Bartholin. Kopenhagen 1689. [Barlaams saga ok Josaphats.] Barlaams ok Josaphats saga. En religiøs romantisk Fortælling om Barlaam og Josaphat. Hrsg. von Rudolf Keyser und Carl Richard Unger. Christiania 1851. [Barlaams saga ok Josaphats.] Barlaams ok Josaphats saga. Hrsg. von Magnus Rindal. Oslo 1981 (Norsk Historisk Kjeldeskrift-Institutt, Norrøne tekster 4).
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Editionen westnordischer Mittelaltertexte
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[Fóstbrǿðra saga.] Fóstbræðra Saga. Hrsg. von Konráð Gíslason. Kopenhagen 1849 (Nordiske Oldskrifter 15). [Fríssbók.] Codex Frisianus. En Samling af norske Konge-sagaer. Hrsg. von Axel Charlot Drolsum und Carl Richard Unger. Christiania 1871. [Gautreks saga.] Gothrici et Rolfi Westrogothiae regum historia lingua antiqua Gothica conscripta. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1664. [Gísla saga Súrssonar.] Tvær Sögur af Gísla Súrssyni. Hrsg. von Konráð Gíslason. Kopenhagen 1849. [Grágás.] Hin forna lögbók Íslendínga sem nefnist Grágás. Codex juris Islandorum antiqvissimus, qvi nominatur Grágás. Hrsg. von Þórður Sveinbjörnsson. Kopenhagen 1829. [Grammatische Abhandlungen.] Islands grammatiske litteratur i middelalderen. Bd. 1 (Den første og anden grammatiske afhandling i Snorres Edda). Hrsg. von Verner Dahlerup og Finnur Jonsson. Bd. 2 (Den tredje og fjærde grammatiske afhandling i Snorres Edda). Hrsg. von Bjørn Magnusson Olsen. Kopenhagen 1884–1886 (Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur 12, 16). [Gunnlaugs saga Ormstungu.] Sagan af Gunnlaugi ormstungu ok Skalld-Rafni, sive Gunnlaugi vermilingvis & Rafnis poetæ vita. Hrsg. von John Erichsen [Jón Eiríkson]. Kopenhagen 1775. [Heilagra manna sǫgur.] Heilagra manna sögur. Fortællinger og Legender om hellige Mænd og Kvinder. 2 Bde. Hrsg. von Carl Richard Unger. Christiania 1877. [Heimskringla.] Heims Kringla, Eller Snorre Sturlusons Nordländske Konunga Sagor. Sive Historiae Regum Septentrionalium a Snorrone Sturlonide, Ante secula quinque, patrio sermone antiquo Conscriptae. Hrsg. von Johan F. Peringskiöld. 2 Bde. Stockholm 1697. [Heimskringla.] Heimskringla edr Noregs konungasögor af Snorra Sturlusyni. Hrsg. von Gerhard Schöning et al. 6 Bde. Kopenhagen 1777, 1778, 1783, 1813–18, 1826. [Bd. 1–3 umfassen Heimskringla, Bd. 4–6 Sverris saga, Bǫglunga sǫgur und Hákonar saga Hákonarsonar.] [Heimskringla.] Heimskringla eller Norges Kongesagaer af Snorre Sturlasøn. Hrsg. von Carl Richard Unger. Christiania 1864–1868 (Det norske Oldskriftselskabs Samlinger 4, 7, 9, 10). [Heimskringla.] Heimskringla. Nóregs konunga sǫgur. Hrsg. von Finnur Jónsson. 4 Bde. Kopenhagen 1893–1901 (Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur 23). [Heimskringla.] Snorre Sturlason. Kongesagaer. Übers. von Gustav Storm. Kristiania 1899. [Heimskringla.] Snorre Sturlason. Kongesogur. Übers. von Steinar Schjøtt. Kristiania 1900. [Heimskringla.] Heimskringla. Hrsg. von Bjarni Aðalbjarnarson. 3 Bde. Reykjavik 1941, 1945, 1951 (Íslenzk fornrit 26, 27, 28). [Hervarar saga ok Heiðreks konungs.] Hervarar saga. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1672. [Hervarar saga ok Heiðreks konungs.] Hervarar saga ok Heidrekskongs. Hrsg. von Stefán Björnsson. Kopenhagen 1785. [Hrafnkels saga Freysgoða.] Sagan af Hrafnkeli Freysgoða. Hrsg. von Peder Goth Thorsen und Konráð Gíslason. Kopenhagen 1839. Hrafnkels saga Freysgoða. Hrsg. von Jón Jóhannesson. In: Austfirðinga sögur. Reykjavik 1950, S. 95–133 (Íslenzk fornrit 11). [Hrólfs saga Gautrekssonar.] Gothrici et Rolfi Westrogothiae regum historia lingua antiqua Gothica conscripta. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1664. [Hungrvaka.] Hungurvaka, sive Historia primorum quinque Skalholtensium in Islandia Episcoporum, Páls Biskups Saga, sive Historia Pauli Episcopi et Þáttr af Thorvalldi vidförla, sive Narratio de Thorvalldo Peregrinatore. Hrsg. von Jón Ólafsson, Hannes Finnsson et al. Kopenhagen 1778. [Íslendingabók.] Schedæ Ara Prests Froda um Island. Hrsg. von Þórður Þorláksson [Theod. Thorlacius]. Skálholt 1688. Islendzk æventyri. Isländischen Legenden, Novellen und Märchen. 2 Bde. Hrsg. von Hugo Gering. Halle an der Saale 1882/83. [Járnsiða.] Hin forna lögbók Íslendínga sem nefnist Járnsida eðr Hákonarbók. Codex juris Islandorum antiqvus, qvi nominatur Jarnsida seu Liber Haconis. Hrsg. von Þórður Sveinbjörnsson. Kopenhagen 1847. Jónsson, Finnur: Den norsk-islandske skjaldedigtning. 2 + 2 Bde. Kopenhagen 1912–1915. – Nachdruck, Kopenhagen 1967–1973. [Konungs skuggsjá.] Kongs-skugg-sio: utlögd a daunsku og latinu. Hrsg. von Halfdan Einersen [und John Erichsen]. Sorøe 1768.
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Odd Einar Haugen
[Konungs skuggsjá.] Speculum regale. Konungs-skuggsjá. Konge-Speilet. Et philosophiskdidaktisk Skrift, forfattet i Norge mod Slutningen af det tolfte Aarhundrede. Tilligemed et samtidigt Skrift om den norske Kirkes Stilling til Staten. Hrsg. von Rudolf Keyser, Peter Andreas Munch und Carl Richard Unger. Universitetsprogram. Christiania 1848. [Konungs skuggsjá.] Konungs skuggsiá. Hrsg. von Ludvig Holm-Olsen. Oslo 1945 (Norsk Historisk Kjeldeskrift-Institutt, Gammelnorske tekster 1). [Kormáks saga.] Kormaks saga sive Kormaki Œgmundi filii vita. Hrsg. von Þorgeir Guðmundsson. Kopenhagen 1832. [Kristni saga.] Christendoms Saga hliodande um þad hvornenn Christen trú kom fyrst a Island, at forlage þess haloflega Herra, Olafs Tryggvasonar Noregs Kongs. Hrsg. von Þórður Þorláksson [Theod. Thorlacius]. Skálholt 1688. [Kristni saga.] Kristni saga, sive Historia Religionis Christianæ in Islandiam introductæ; nec non Þattr af Isleifi biskupi, sive Narratio de Isleifo Episcopo. Hrsg. von Hannes Finsson. Kopenhagen 1773. [Landnámabók.] Sagan Landnama um fyrstu bygging Islands af Nordmönnum. Hrsg. von Þórður Þorláksson [Theod. Thorlacius]. Skálholt 1688. [Laxdǿla saga.] Laxdæla-Saga, sive historia de rebus gestis Laxdölensium. Hrsg. von Gunnlaugur Oddsson, Hans Wium et al. Kopenhagen 1826. [Laxdǿla saga.] Laxdœla saga. Hrsg. von Kristian Kålund. Kopenhagen 1889–1891 (Samfund til Udgivelse af Gammel Nordisk Litteratur 19). [Laxdǿla saga.] Laxdœla saga. Hrsg. von Einar Ól. Sveinsson. Reykjavik 1934 (Íslenzk fornrit 5). Madvig, Johan Nicolai. 1833. Siehe [Cicero, Marcus Tullius]. [Magnúss lagabǿtis landslǫg.] Magnus konongs laga-bætis Gula-Things Laug. Regis Magni legum reformatoris Leges Gula-Thingensis, sive jus commune Norvegicum. Hrsg. von Grímur Thorkelin. Kopenhagen 1817. [Maríu saga.] Mariu saga. Legender om Jomfru Maria og hendes Jertegn. Hrsg. von Carl Richard Unger. Christiania 1871 (Det norske Oldskriftselskabs Samlinger 11, 12, 14, 16). Monumenta Historica Norvegiæ. Latinske kildeskrifter til Norges Historie i middelalderen. Hrsg. von Gustav Storm. Kristiania 1880. Morkinskinna: Pergamentsbog fra første Halvdel af det trettende Aarhundrede. Hrsg. von Carl Richard Unger. Universitetsprogram. Christiania 1867. [Njáls saga.] Sagan af Niáli Þorgeirssyni ok Sonvm Hans &c. útgefin efter gavmlum Skinnbókvm. Hrsg. von Ólafus Olavius. Kopenhagen 1772. [Njáls saga.] Njála: á kostnað hins Konunglega norræna fornfræðafjelags. Hrsg. von Konráð Gíslason und Eiríkur Jónsson. Kopenhagen 1875. Norges Gamle Love indtil 1387. 3 Bde. Hrsg. von Rudolf Keyser und Peter Andreas Munch. Christiania 1846, 1848, 1849. Norges Indskrifter med de ældre Runer. Hrsg. für Det norske historiske Kildeskriftfond von Sophus Bugge und Magnus Olsen. Einleitung + 3 Bde. Christiania 1891–1924. Norges innskrifter med de yngre runer. Hrsg. für Kjeldeskriftfondet von Magnus Olsen, Aslak Liestøl und James Knirk. Oslo 1941 ff. Norlandz chrönika och beskriffning: hwaruthinnan förmähles the äldste historier om Swea och Götha rijken, sampt Norrie, och eendeels om Danmarck, och om theres wilkår och tilstånd. Hrsg. von Jonas Rugman. Visingö [Wijsingzborg] 1670. [Óláfs saga ins helga (Die legendarische Saga).] Olafs saga hins helga. Hrsg. von Rudolf Keyser und Carl Richard Unger. Christiania 1849. [Óláfs saga ins helga (Die legendarische Saga).] Olafs saga hins helga. Efter pergamenthaandskrift i Uppsala Universitetsbibliotek, Delagardieske samling nr. 8II. Hrsg. für Den norske historiske Kildeskriftkommission von Oscar Albert Johnsen. Kristiania 1922. [Óláfs saga ins helga.] Saga Óláfs konungs hins helga. Den store saga om Olav den hellige efter pergamenthåndskrift i Kungliga Biblioteket i Stockholm nr. 2 4to med varianter fra andre håndskrifter. 2 Bde. Hrsg. für Kjeldeskriftfondet von Oscar Albert Johnsen und Jón Helgason. Oslo 1930–1941. [Óláfs saga Tryggvasonar.] Saga om k. Oloff Tryggwaszon i Norrege först sammanskrefwen på gammal swenska eller gothiska af Odde Munck; nu på nya swenskan, sampt det latiniske språket öfwersatt. Hrsg. von Jacob Reenhielm. Uppsala 1691.
Editionen westnordischer Mittelaltertexte
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[Óláfs saga Tryggvasonar.] Saga þess haloflega Herra Olafs Tryggvasonar Noregs Kongs. Hrsg. von Þórður Þorláksson [Theod. Thorlacius]. Skálholt 1689. [Óláfs saga Tryggvasonar.] Óláfs saga Tryggvasonar en mesta. Hrsg. von Ólafur Halldórsson. Kopenhagen 1958, 1961, 2000 (Editiones Arnamagnæanæ, Series A, 1–3). [Páls saga biskups.] Hungurvaka, sive Historia primorum quinque Skalholtensium in Islandia Episcoporum, Páls Biskups Saga, sive Historia Pauli Episcopi et Þáttr af Thorvalldi vidförla, sive Narratio de Thorvalldo Peregrinatore. Hrsg. von Jón Ólafsson, Hannes Finnsson et al. Kopenhagen 1778. [Postola sǫgur.] Postola sögur. Legendariske Fortællinger om Apostlernes Liv, deres Kamp for Kristendommens Udbredelse samt deres Martyrdød. Hrsg. von Carl Richard Unger. Universitetsprogram. Christiania 1874. Rit Stofnunar Árna Magnússonar á Íslandi. Hrsg. von Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum. Reykjavik 1972 ff. Rygh, Oluf: Norske Gaardnavne. Einleitung + 19 Bde. Kristiania, Oslo 1897–1936. [Skálholtsbók yngsta.] Det Arnamagnæanske Haandskrift 81 a Fol. Hrsg. für Den norske historiske Kildeskriftkommission von Albert Kjær und Ludvig Holm-Olsen. Einleitung + 4 Bde. Christiania, Oslo 1910, 1911, 1926, 1947, 1984. [Snorra-Edda.] Edda. Islandorum an. Chr. M. CC. XV islandice conscripta per Snorronem Sturlæ Islandiæ. Hrsg. von Peder Hansen Resen. Kopenhagen 1665. [Snorra-Edda.] Snorra-Edda ásamt skáldu og þarmeð fylgjandi ritgjörðum. Hrsg. von Rasmus Rask. Stockholm 1818. [Snorra-Edda.] Edda Snorra Sturlusonar. Edda Snorronis Sturlæi. Hrsg. von Jón Sigurðsson og Finnur Jónsson. 3 Bde. Kopenhagen 1848, 1852, 1880–1887. [Stjórn.] Stjórn: Gammelnorsk Bibelhistorie fra Verdens Skabelse til det babylonske Fangenskab. Hrsg. von Carl Richard Unger. Christiania 1862. [Strengleikar.] Strengleikar eða Lioðabók. En Samling af romantiske Fortællinger efter bretoniske Folkesange (Lais). Hrsg. von Rudolf Keyser und Carl Richard Unger. Christiania 1850. Sverris saga etter Cod. AM 327 4°. Hrsg. für Den norske historiske Kildeskriftkommission von Gustav Indrebø. Kristiania 1920. [Þorsteins saga Víkingssonar.] Thorstens Viikings-sons saga på gammal göthska af ett åldrigt manuscripto afskrefwen och uthsatt på wårt nu wanlige språk sampt medh några nödige anteckningar förbettrad. Hrsg. von Jacob Reenhielm. Uppsala 1680. [Þorvalds þáttr viðförla.] Hungurvaka, sive Historia primorum quinque Skalholtensium in Islandia Episcoporum, Páls Biskups Saga, sive Historia Pauli Episcopi et Þáttr af Thorvalldi vidförla, sive Narratio de Thorvalldo Peregrinatore. Hrsg. von Jón Ólafsson, Hannes Finnsson et al. Kopenhagen 1778. [Viga-Glúms saga.] Viga-Glums Saga, sive Vita Viga-Glumi. Hrsg. von Guðmundur Pétursson. Kopenhagen 1786.
Wörterbücher und Grammatiken Andrésson, Guðmundur: [Lexicon Islandicum.] Lexicon Islandicum s. Gothicæ Runæ vel lingvæ septentrionalis dictionarium. Hrsg. von Peder Hansen Resen. Kopenhagen 1683. Egilsson, Sveinbjörn: Lexicon poeticum antiquae linguae septentrionalis. 2 Bde. Kopenhagen 1860. Egilsson, Sveinbjörn: Lexicon poeticum antiquae linguae septentrionalis. 2. Aufl. von Finnur Jónsson. Kopenhagen 1931. Fritzner, Johan: Ordbog over det gamle norske Sprog. Kristiania 1867. Fritzner, Johan: Ordbog over det gamle norske Sprog. 2. Aufl. 3 Bde. Kristiania 1886–1896. Hødnebø, Finn: Ordbog over det gamle norske Sprog af Dr. Johan Fritzner. Rettelser og tillegg. Oslo 1972. Jónsson, Runólfur: [Grammaticæ Islandicæ rudimenta.] Recentissima anitiquissimæ lingvæa Septentrionalis incunabula id est grammaticæ Islandicæ rudimenta. Kopenhagen 1651.
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Odd Einar Haugen
Ordbog over det norrøne prosasprog. Kopenhagen 1989 ff. Verelius, Olof: [Index lingvae veteris scythoscandicæ sive gothicæ.] Olai Vereli Index lingvae veteris scythoscandicæ sive gothicæ, ex vetusti ævi monumentis, maximam partem manuscriptis, collectus. Hrsg. von Olof Rudbeck. Uppsala 1691.
Faksimile-Ausgaben [Borgarþings kristinréttr.] Borgarthings ældre Kristenret i fotolithografisk Gjengivelse efter Tønsbergs Lovbog fra c. 1320. Hrsg. für Det norske historiske Kildeskriftfond. Christiania 1886. Corpus codicum Islandicorum medii aevi. 20 Bde. Kopenhagen 1930–1956. Corpus codicum Norvegicorum medii aevi. Oslo 1950 ff. Early Icelandic Manuscripts in Facsimile. Kopenhagen 1958 ff. [Elucidarius.] Det Arnamagnæanske Haandskrift Nr. 674 A, 4to, indeholdende det ældste Brudstykke af Elucidarius paa Islandsk, udgivet i fotolitografisk Aftryk. Faksimileausgabe. Kopenhagen 1869 (Kommissionen for det Arnamagnæanske Legat). Íslenzk handrit. Series in folio, Series in quarto, Series in octavo. Reykjavik 1956 ff. Manuscripta Nordica. Early Nordic manuscripts in digital facsimile. Kopenhagen 2000 ff. Petersen, Peter (Hrsg.): Codex membranaceus Arnamagnæanus nr. 45 in folio ex nomine quondam possessoris Ottonis Frisii dictus Codex Frisianus lingua antiqua norwegica exeunte reculo decimo tertio scriptuscontinens historiam regum norwegicorum a Snorrone Sturlæo conscriptorum vulgo Heimskringla appellatum etc. Photographice expressit P. Petersen. Christiania 1864.
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Jon Gunnar Jørgensen
Editionen von altnordischen Texten im Norden: Nordische Heimskringla-Ausgaben
1.
Einleitung
Kaum ein Werk der altnordischen Literatur ist im Laufe der Zeit mit so vielen Editionen bedacht worden wie die Heimskringla. Das Interesse verteilte sich auf alle drei skandinavischen Länder sowie Island und erstreckt sich vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Ausgaben spiegeln mit aller Deutlichkeit die fachliche Entwicklung in der Philologie, aber auch die wechselnden ideologischen Triebkräfte wider. Der gemeinsame Nenner der Ausgaben ist die Hochschätzung der Heimskringla im Norden. Hervorragende Forscher hatten für die Editionen reichliche Mittel zur Verfügung, und die Ausgaben verliehen hohes Prestige. Einige der Ausgaben ragen buchgeschichtlich heraus und repräsentieren das Vorzüglichste innerhalb nordischer Buchkunst, sowohl was Herausgeberschaft als auch was Ausstattung angeht. Dennoch ist nie eine Edition vorgelegt worden, die auf strenger Manuskriptgrundlage textkritisch erarbeitet worden wäre. Dies wird auch in diesem Beitrag nicht gefordert. Denn allem Anschein nach würde eine strenge Quellenanalyse wohl, im Widerspruch zur Vorannahme traditioneller Textkritik, aufdecken, dass die erhaltenen Handschriften nicht auf einen gemeinsamen Archetyp der einheitlichen Grundfassung zurückgehen, die das Werk, das wir heute die Heimskringla nennen, darstellen würde.
2.
Heimskringla
Die Königssagas sind eine Gruppe altnordischer Sagas, die einen König und seine Funktion als Staatsgründer oder Staatsoberhaupt zum Hauptthema haben. Diese können in zwei Haupttypen eingeteilt werden – Sagas über einzelne Könige und Sagas, die sich mehreren Königen widmen. Die Heimskringla gehört zur zweiten Kategorie. In ihr können wir dem Königsgeschlecht aus ältester Zeit (dem Ynglingsgeschlecht) bis zu Magnus Erlingsson und der Schlacht bei Re im Jahre 1177 folgen. Dass die Handlung im Jahr 1177 endet, hängt vermutlich mit dem Umstand zusammen, dass eine ältere Königssaga, die Sverres
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Jon Gunnar Jørgensen
saga, genau an diesem Punkt beginnt. Auf jeden Fall ist diese Zeit bis zum Tod König Håkon Håkonssons im Jahr 1263 durch jüngere Sagen abgedeckt. Die Königssagas handeln mit wenigen Ausnahmen von norwegischen Königen. Die wichtigste Ausnahme bildet die Knytlinga saga über die dänische Königsfolge. Die Orknøyingenes saga (Die Saga über die Orkneyer) handelt von den Jarls (Herzögen) auf den Orkneyinseln und kann gut zu den Königssagas gerechnet werden. Selbst wenn die norwegischen Könige das Rückgrat der Heimskringla bilden, wird auch den schwedischen und dänischen Königen viel Aufmerksamkeit gewidmet. Darum hat das Werk in ganz Skandinavien Interesse geweckt. Ebenso wenig erstaunt es, dass man dem Werk auch in Island mit viel Interesse begegnete, da es, wie die meisten anderen Königssagas, dort seinen Ursprung hat. Die große Aufmerksamkeit, die der Heimskringla zuteil wurde, beruht wahrscheinlich auf einem Zusammenspiel von Thema und hoher literarischer Qualität einerseits sowie auf Zufällen und der selbstverstärkenden Wirkung der prestigeträchtigen Editionen andererseits. Dass die Heimskringla, die eines von mehreren interessanten Sagawerken ist, einen solch zentralen Platz unter den ersten nachreformatorischen Arbeiten einnehmen sollte, kann teilweise auf dem Zufall beruhen, dass gute Handschriften vorlagen, als die Renaissancehumanisten in Bergen zur Zeit der Reformation Interesse für die Quellen entwickelten. Die Stellung des Werkes wurde durch seine hohe Qualität und einheitliche Gestaltung selbstverständlich noch gestärkt. Es war von größter Bedeutung, dass Peder Claussøn die Heimskringla als Basis für seine Übersetzungsarbeit benutzte. Obwohl er sich auch auf andere Quellen stützte und außerdem die Arbeit mit Sagen über spätere Könige fortsetzte, wurde sein Werk mit Snorre – d. h. Heimskringla – identifiziert.
3.
Überlieferung
Eine Reihe von Handschriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert enthält die ganze Heimskringla oder Teile davon. Die Anzahl hängt davon ab, was wir tatsächlich als Heimskringla-Text einstufen. Die beiden wichtigsten heißen Kringla und Jöfraskinna, zwei Pergamentbände, die leider dem Stadtbrand in Kopenhagen im Jahre 1728 zum Opfer fielen. Beide Texte sind jedoch in Abschriften aus dem 17. Jahrhundert ziemlich zuverlässig überliefert.1 Andere
____________ 1
Siehe Jørgensen 2007.
Nordische Heimskringla-Ausgaben
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Manuskripte sind der Codex Frisianus (AM 45 fol),2 Eirspennill (AM 47fol), AM 39 fol (fragmentarisch), Gullinskinna,3 U,4 und Peder Claussøns Vorlage.5 Mit Ausnahme von Claussøns Übersetzung basieren praktisch alle Textausgaben primär auf der Kringla-Handschrift.
4.
Ausgaben
Für eine summarische Übersicht über die Editionsgeschichte können wir die Ausgaben chronologisch in vier Gruppen einteilen. In der ältesten Gruppe finden wir zwei Übersetzungen ins Dänische, die 15946 und 16337 erschienen. Beide basieren auf Übersetzungen, die in Norwegen im Geiste des Renaissance-Humanismus gemacht wurden. Die erste ist sehr verkürzt, die zweite vollständiger, aber beide sind paraphrasierend und verhältnismäßig wenig an den Grundtext gebunden. Die zweite Gruppe besteht aus zwei großen dreisprachigen Ausgaben: der schwedischen Peringskiöld-Ausgabe von 1697–1700 und der dänischen „Kopenhagener Ausgabe“ von 1777–1783. Dies sind die ersten eigentlichen Quellenausgaben, da sie den Text in der Originalsprache wiedergeben und sich eng an die bekannten Handschriften halten. Im 19. Jahrhundert sind die Ausgaben von der Romantik und im Weiteren von der Entwicklung der wissenschaftlichen Textkritik geprägt. In diesem Jahrhundert dominieren die Norweger, die vom norwegischen Nationalgedanken inspiriert sind. Es erscheinen mehrere Übersetzungen, aber auch Ungers Quellenausgaben (1868 und 1871) und zuletzt eine große dänische kritische Ausgabe von Finnur Jónsson. Im 20. Jahrhundert wird das Werk als isländische Literatur geltend gemacht, zuerst mit einer wichtigen Leseausgabe von Íslenzk Fornrit ____________ 2
3 4
5
6 7
Die Signatur „AM“ verweist auf die Arnamagnæanske håndskriftsamling (Die arnamagnäanische Handschriftensammlung). Diese war ursprünglich in Kopenhagen, d. h. in der Universität Kopenhagen, zu Hause, aber Teile davon wurden ab 1970 nach Island überführt, wo eine Schwesterinstitution etabliert wurde, die nun den Namen „Stofnun Árna Magnússonar í íslenskum fræðum“ trägt. In der Hauptsache sind dorthin keine Handschriften mit Königssagas gelangt. Die hier besprochenen Manuskripte befinden sich immer noch in Kopenhagen. Gullinskinna erlitt das gleiche Schicksal wie Kringla und Jöfraskinna. Auch davon sind Abschriften erhalten. U gehörte der Universitätsbibliothek Uppsala und ging im Stadtbrand 1702 verloren. Der Text ist teilweise in Abschriften und in Übersetzung überliefert (Norlandz chrönika och beskriffning, 1670 erschienen. Über diese Ausgabe siehe Lars Wollin, S. 390. Es herrscht große Unsicherheit über Peder Claussøns Textgrundlage. Diese war ziemlich sicher kompiliert. Bis hin zu einigen Fragmenten von der Håkon Håkonsons saga (die nicht Teil der Heimskringla ist) sind alle Vorlagen verschollen. Norske Kongers Krønicke oc bedrifft, Kopenhagen 1594, oft „Jens Mortensens krønike“ genannt. Norske Kongers Chronica, Kopenhagen 1633, gerne „Peder Claussøns Sagenübersetzung“ genannt.
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(1941–1951) und später mit einer gut ausgestatteten Ausgabe auf Neuisländisch im Verlag Mál og Menning (1991). 4.1.
Jens Mortensens Chronik
Das Interesse für Mittelalterquellen und nordische Geschichte erwachte zuerst bei den Renaissancehumanisten unmittelbar vor der Reformation. Den altnordischen Sagahandschriften wurde nach dem Erscheinen von Saxos Gesta danorum (1514) erneute Aufmerksamkeit zuteil. Mehrere Übersetzungen und Auszüge stammen aus dem Humanistenmilieu in Bergen Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine dieser Sagaübersetzungen hatte der Jurist [‚lagmaðr‘ (lagmann)] Mattis Størssøn (gest. 1569) in den 1540er Jahren besorgt.8 Diese ist in einer Anzahl Handschriften überliefert,9 zusätzlich zu einer Handschrift, die der Ausgabe Norske Kongers Krønicke oc bedrifft (Chronik und Taten norwegischer Könige, Kopenhagen 1594) zu Grunde liegt. Diese Übersetzung ist die erste gedruckte Ausgabe eines altnordischen Sagatexts. Die Edition besorgte der Pfarrer Jens Mortensen (gest. 1595) auf Initiative des Historikers und Reichskanzlers Arild Huitfeldt (1546–1609). Aus der Edition geht nicht hervor, dass die Übersetzung von Mattis Størssøn aus dem Bergenmilieu stammt. Der Herausgeber schreibt auch nichts über den Ursprung des Textes, gibt jedoch folgende Auskunft wieder: „Oc er den samlit oc vddragen aff Biskop Iszleffs Skrift, oc andre Norske Krønicker aff huem veed mand icke“. („Auch ist er in Auszügen zusammengefasst aus Bischof Iszleffs Schriften und anderen norwegischen Chroniken, von wem weiß man nicht“). Der erste Teil, die Ynglinga Saga, ist mehr oder weniger in Gänze wiedergegeben; ansonsten ist der Text eher eine kurze Zusammenfassung als eine Übersetzung. Für die Ausgabe war es von größter Bedeutung, dass sie die erste war und dass die Gelehrten im Norden durch dieses Buch mit den Quellentexten bekannt wurden. Die ausführliche Übersetzung der Ynglinga Saga machte das Buch für schwedische Historiker besonders interessant und hat stark dazu beigetragen, deren Aufmerksamkeit auf die altnordischen Quellen zu lenken. 4.2.
Peder Claussøns Übersetzung
Kurz nachdem Jens Mortensens Ausgabe erschienen war, führte der Pfarrer von Agder, Peder Claussøn Friis, eine umfassende Übersetzungsarbeit durch. Seine Übersetzung der Heimskringla entstand gegen Ende der 1590er Jahre, ____________ 8 9
Siehe Jørgensen 1994, S. 171 f., 186 f. Siehe Sørlie 1962, S. XIV–XXIII.
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und diejenigen der Sagas über die nachfolgenden Könige unmittelbar danach. Die gesamte Übersetzung wurde 1633 von Professor Ole Worm in Kopenhagen herausgegeben (PCl 1633). Die ältesten Sagaausgaben enthalten keine Auskünfte über die Quellengrundlage des Textes. Sowohl Mattis Størssøns als auch Peder Claussøns Texte dürften auf mehreren Quellenschriften basieren, aber sie sind ohne herausgeberische Erläuterungen kompiliert und zusammengeflochten. Wie Jens Mortensens Ausgabe knüpft diese Arbeit an die frühe humanistische Gelehrtentradition an. Das Ziel war die Vermittlung von historischen Erkenntnissen aus alten Quellen, aber die Übersetzer haben sich zu diesem Zweck keine wissenschaftlichen Methoden angeeignet. Peders Text ist ein zusammengesetzter Geschichtsbericht, der in seinem Aufbau an die Sagakompilationen des Mittelalters erinnert. Trotzdem ist ein gewisses Bewusstsein betreffend Unterscheidung von Sekundärtext und Quellentext zu spüren. Das war vor der Zeit von Fußnoten, doch Peders eigene Erklärungen und Kommentare stehen in der Regel in Klammern. Weder Worms Druckmanuskript noch andere Manuskripte von Peders Übersetzung, die Worms zur Verfügung hatte, sind erhalten. Man kann daher nicht mit Sicherheit sagen, was der gedruckten Ausgabe von Ole Worms redaktioneller Hand zugefügt wurde. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass er den Prolog (nach Laurents Hanssøns älterer Übersetzung) hinzugefügt und die Geschichte ab 1263 bis 1387 weitergeführt sowie den Text am Ende außerdem mit einigen Tabellen ergänzt hat. Ansonsten schreibt er selbst, dass er den Text genau wiedergegeben habe. Mit seiner Einleitung – und wahrscheinlich seiner redaktionellen Bearbeitung – hat Ole Worm das wissenschaftliche Niveau des Werks wesentlich angehoben. Das Problem war sicherlich, dass er über keine anderen Quelleninformationen verfügte als diejenigen, die Peder selbst gegeben hatte. Mit Worms Ausgabe von 1633 wurden die norwegischen Königssagas als zentrales Werk neben den Gesta danorum in der nordischen Historiografie etabliert. Mit dieser Edition wurde auch der Autorname bekannt, und als Gegenstück zu „Saxo“ wurde das Buch, nach der Tradition lateinischer Historienwerke, allgemein „Snorre“ genannt. Die Ausgabe war für ganz Skandinavien von großer Bedeutung. Auch in seinem Heimatland, Island, stieß es auf Interesse. Es gibt einige Beispiele dafür, dass isländische Schreiber den Text von PCl 1633 ins Isländische zurückübersetzt haben, um eine entsprechende isländische Sagafassung wiederherzustellen. Aber nicht zuletzt, weil das Ynglingsgeschlecht – das norwegische Königsgeschlecht – seinen Ursprung in Uppsala hatte, wurde der Ausgabe auch in Schweden große Aufmerksamkeit zuteil.
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4.3.
Peringskiöld
Im Lauf des 17. Jahrhunderts fand innerhalb der wissenschaftlichen Editorik eine bedeutende methodische Entwicklung statt. Das spiegelt die nächste Ausgabe wider, die zu besprechen ist. Ab 1660 wuchs in Uppsala eine starke Organisation für historische Dokumentation heran, die später nach Stockholm verlegt wurde.10 Eine bedeutende Quellensammlung wurde durch Kauf von Manuskriptbeständen, das Sammeln von Handschriften in Island und mit Abschriften von Quellen in dänischen Sammlungen aufgebaut. Eine Heimskringla-Ausgabe stand ganz oben auf der Prioritätenliste des Antiquitätenkollegiums, und Johan Peringskiöld (d. Ä.) war für das Projekt verantwortlich. Er bekam kundige Hilfe von dem Isländer Gudmundur Ólafsson, der ab 1679 im Dienste des ‚Antiquitätenkollegiums‘ stand. Das Resultat war eine gut ausgestattete Ausgabe in zwei Bänden, der erste erschien 1697, der zweite etwa drei Jahre später. Die Heimskringla wurde zum ersten Mal in der Originalsprache gedruckt, und damit erhielten wir eine wissenschaftliche Quellenausgabe in einem ganz anderen Sinn als bei den Vorgängereditionen. Zusätzlich zu dem altisländischen Text enthält Peringskiölds Ausgabe Übersetzungen, und zwar nicht nur ins Schwedische, sondern auch ins Lateinische. Diese Ausgabe normierte die Bezeichnung „Heimskringla“ als Name des Werks. Dieser Name war früher als Bezeichnung für die Handschrift „Kringla“ (oder „Kringla heimsins“) verwendet worden. Auch Peringskiöld präsentiert einen eklektischen Text. Als Grundtext hatte er eine Abschrift der Handschrift Kringla erhalten, die hauptsächlich von dem Isländer Jón Eggetsson in Kopenhagen hergestellt war.11 Dies wird in der Einleitung jedoch nicht erwähnt. Spätere textkritische Forschung hat gezeigt, dass diese Textwahl glücklich war, und die Kringla wurde auch praktisch allen späteren kritischen Ausgaben des Werkes zu Grunde gelegt. Peringskiöld kollationierte den Kringla-Text gegen andere zugängliche Quellen, und auf dieser Grundlage ergänzte er ihn, offensichtlich nach dem Prinzip ‚alles muss mit‘. Einzelne Zusätze, die er nur in Peder Claussøns Übersetzung gefunden hatte, sind in der Übersetzung enthalten und im Text typografisch markiert. Eine wichtige Nebenhandschrift war das sogenannte Húsafellsbók (Holm papp. 22 fol), eine isländische Königssagakompilation aus dem 17. Jahrhundert. Peringskiöld wusste nicht, dass Teile dieses Textes aus PC1 1633 übersetzt waren. Somit kam Text von Peder Claussøn als Zusatz auch in den isländischen Text ____________ 10 11
Antikvitetskollegiet/arkivet. Siehe mehr darüber in Nilsson 1954 und in Lars Wollins Artikel im vorliegenden Band, S. 386. Die Abschrift befindet sich in der Sammlung der königlichen Bibliothek in Stockholm mit der Signatur Holm papp 18 fol. Siehe Jørgensen 2007, besonders S. 137 f.
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hinein – hier nicht typografisch markiert. Peringskiöld bringt keinen kritischen Apparat und auch keine detaillierte Dokumentation der Texterstellung, aber in der Einleitung legt er in gewisser Weise seine Quellengrundlage dar, und er gibt den Quellentext recht gewissenhaft wieder. Diese Edition ist also die erste quellennahe Ausgabe und die erste Ausgabe, die den Text in der Quellensprache wiedergibt. 4.4.
Neue Ausgabe 1757 mit Peder Claussøns Namen
Im Jahre 1757 erschien eine neue Ausgabe von Peder Claussøns Übersetzung. Jedenfalls sieht es vom Titelblatt her so aus. Schaut man sich den Text allerdings genauer an, wird deutlich, dass es sich hier um eine vollständig überarbeitete Version handelt. Hier findet auch eine editionstechnische Neuerung Verwendung – nämlich Fußnoten. Der Text ist zudem stilistisch völlig umgearbeitet und in Vielem wesentlich verbessert. Am wichtigsten ist, dass die Skaldenstrophen, die 1633 meist ausgelassen waren, nun in Paraphrasen miteinbezogen und in Fußnoten platziert wurden. Verwunderlich ist, dass der Name des Herausgebers, der hier eine bedeutende Leistung erbracht hat, überhaupt nicht vorkommt. Alle Ehre wird dem großen Peder Claussøn zugeschrieben. Die Textkonstitution dieser Ausgabe wurde noch nicht gründlich untersucht. Der Herausgeber dürfte kaum auf die Handschriften zurückgegriffen haben, aber er hatte selbstverständlich Peringskiölds Ausgabe von 1697 zur Verfügung. Die Strophenparaphrasen basieren vermutlich auf Peringskiöld. Es bleibt jedoch noch zu untersuchen, ob der Prosatext aus anderen Quellen als der 1633er-Ausgabe ergänzt wurde. Hinter der Ausgabe steht vermutlich derselbe Sejer Schousbølle, der wenige Jahre zuvor (1752) Saxo übersetzt hatte und im gleichen Verlag (A. H. Godiche) hatte erscheinen lassen können. 4.5.
Die Kopenhagener Ausgabe
Das große Interesse für die nordische Historiografie, das Dänemark und Schweden im 17. Jahrhundert zeigten, stand offenbar in einem Zusammenhang mit den Großmachtambitionen der Reiche und ihrer Rivalität untereinander um die Führung im Norden. Der kühle Empfang, der Peringskiölds Ausgabe in Dänemark zuteil wurde, kann vor diesem Hintergrund verstanden werden. Die imposante Ausgabe muss für die Dänen eine große Herausforderung gewesen sein – eine Herausforderung, die sie lange nicht beantworten konnten. Im Jahre 1777 erschien jedoch der erste Band der sogenannten Kopenhagener Ausgabe. Diese folgt dem Muster der Peringskiöld-Edition, dreisprachig (isländisch, lateinisch, dänisch), und ist imponierend, nur noch größer und kostbarer als die
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schwedische Ausgabe. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde sie auch um die Sagas über die nachfolgenden Könige erweitert. Als sie 1826 endlich zum Abschluss gebracht wurde, zählte sie sechs große Foliobände. Was Typografie und Ausstattung angeht, ist die Kopenhagener Ausgabe gewiss ein beeindruckendes Werk. Sie enthält auch Verbesserungen in der kritischen Behandlung des Textes, aber aus moderner fachhistorischer Sicht haben nicht alle editorischen Eingriffe zum Fortschritt beigetragen. Dass die Herausgeber keine vollständige Kringla-Abschrift als Grundtext für den Heimskringla-Teil gefunden hatten, war besonders unglücklich. Die beiden ersten Drittel basierten auf einer guten Kringla-Abschrift (AM 35 und 36 fol), während der letzte Teil dieser Abschrift (AM 63 fol) verschollen war. Deswegen legten die Herausgeber dem letzten Drittel eine andere mittelalterliche Handschrift (Eirspennill, AM 47 fol) zu Grunde. Obwohl dieser dritte Band erst 1783 erschien, hat man ihm keine Auskünfte über den Grundtext beigegeben. In gleicher Weise wie die schwedische Ausgabe wurde auch die dänische mit Plustexten aus anderen Quellen gespickt. Auch der Plustext von Peder Claussøn via Húsafellsbók und Peringskiöld wurde gewissenhaft hineinredigiert. Der bedeutendste Fortschritt dieser Ausgabe liegt darin, dass die substantielle Textvarianz des Materials in einem umfassenden Variantenapparat ordentlich dokumentiert ist. 4.6.
Übersetzungen aus der Zeit der Romantik Grundtvig, Aall und Munch
Mit der Romantik trat ein Umbruch in der Editionsgeschichte mit neuen Ideen und Strömungen ein. Während die älteren Ausgaben von panegyrischen Königshuldigungen getragen wurden, standen nun das Volk und dessen Geschichte und Schaffenskraft im Vordergrund. 1818 erschien N. F. S Grundtvigs imponierende Doppelleistung, die Übersetzungen der Heimskringla und der Gesta danorum. Die beiden Übersetzungen sollten im Zusammenhang gesehen werden als Beitrag des großen Skandinavisten zur Geschichte der Zwillingsreiche. Die Heimskringla-Übersetzung wurde von Det Kongelige Selskap for Norges Vel (Der königlichen Gesellschaft für Norwegens Entwicklung) initiiert und als dänisch-norwegische Zusammenarbeit geplant. Im Kielwasser der Unionsauflösung 1814 veränderte sich das Arbeitsklima, und Grundtvig beendete das Projekt allein. In der Einleitung gibt er seiner Verbitterung über den norwegischen Patriotismus deutlich Ausdruck. In der Übersetzung legt Grundtvig einen neuen Stil an, einen volksnahen Erzählstil, der an den späteren Märchenstil erinnern kann, und für die Gedichte
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machte er von seinem Dichtergenius Gebrauch und ließ sich von den Volksliedern inspirieren. Das fasste man in Norwegen als eine ‚Verdänischung‘ des Sagastils auf, was dazu beitrug, dass die Übersetzung beim norwegischen Publikum nicht gut ankam. Die Kritik, die der Ausgabe in Norwegen entgegengebracht wurde, galt in erster Linie dem Stil und war nicht sehr substantiell.12 Die Ausgabe war dänisch und die Kritik war wahrscheinlich mit dieser Tatsache verbunden. Da die Heimskringla nun als wichtiges Werkzeug für den Aufbau der norwegischen Nation in Anspruch genommen wurde, war eine volkstümliche Ausgabe auf Dänisch nicht hinreichend. Das Projekt musste norwegisch sein, obwohl die Schriftsprache in Norwegen immer noch Dänisch war. Das 19. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert Norwegens auf dem Gebiet der Heimskringla-Studien, was sowohl Übersetzungen als auch textkritische Studien und wissenschaftliche Ausgaben angeht. Bereits in den 1830er Jahren wurden zwei neue Übersetzungen geplant, eine von Jacob Aall (publiziert 1837–1839) und eine andere von P. A. Munch. Letztere wurde zurückgestellt und erschien erst 1859. Die Ausgaben zielten offenbar auf ein allgemeines Publikum. In beiden Einleitungen wird unterstrichen, dass die Bücher für den gewöhnlichen Bürger gedacht waren. Aalls gut ausgestatte Ausgabe hat einen Platz als Monumentalwerk zwischen PCl von 1633 und Storms Übersetzung von 1899 mit der folgenden ‚Nationalausgabe‘ (1900), trägt aber eigentlich nicht weiter zur Textentwicklung bei. Mit den gründlichen topografischen Kommentaren von Gerhard Munthe ist die Ausgabe vom Volksaufklärungsgeist geprägt. Die Textgrundlage selbst stammt wahrscheinlich aus der Kopenhagener Ausgabe. Munch kannte die verschiedenen Quellentexte und schreibt, dass er der Übersetzung eine Reihe Handschriften zugrunde gelegt habe, aber auch er geht nicht weiter darauf ein, welche das waren oder wie er sie verwendet hat. 4.7.
Ungers Ausgaben
Im Laufe des 19. Jahrhunderts fand in der wissenschaftlichen Textkritik eine bedeutsame methodische Entwicklung statt, und schon bald konnten moderne wissenschaftliche Forderungen an die Ausgaben gestellt werden. Die intensive wissenschaftliche Herausgabe von historischen Quellentexten im 19. Jahrhundert in Norwegen kam auch der Heimskringla zugute, unter anderem durch die beiden Ausgaben von R. C. Unger: Heimskringla 1868 und Codex Frisianus ____________ 12
Sowohl Munch wie Aall äußern sich hierzu knapp; Munch in Verbindung mit der Subskriptionsausschreibung und Aall in der Einleitung der Ausgabe. Siehe Jørgensen 2007, S. 62–65.
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1871. Die erste basierte auf Abschriften der verloren gegangenen Kringla, kritisch ergänzt aus anderen Handschriften. Das war wahrscheinlich eine bewusste Wahl, da die Kringla als gute Handschrift bekannt war, aber eine Neuerung war es nicht. Das Neue und Moderne an Ungers Ausgabe war, dass er einen reineren Kringla-Text präsentierte als die Vorgänger. Auch Ungers Text war nicht ganz ohne Plustexte, aber seine Absicht war, einen Text zu erstellen, der die Heimskringla in ihrer möglichst ursprünglichen Gestalt repräsentierte. 1871 gab Unger eine neue Textausgabe heraus, dieses Mal eine rein diplomatische Edition der Handschrift Cod. Frisianus (AM 45 fol). Unger hatte zusammen mit seinen Kollegen R. Keyser und P. A. Munch für diesen Typ Ausgabe eine hervorragende methodische Sicherheit entwickelt. Da die Editionsprinzipien einfach sind, werden die Ausgaben nicht von der Entwicklung innerhalb der Textkritik überholt. Ungers Ausgaben aus dem 19. Jahrhundert sind sehr genau und von so hoher Qualität, dass sie immer noch aktuell sind. 4.8.
Gustav Storms Studien
Kurz nach Ungers 1868er-Ausgabe begann Gustav Storm seine textkritischen Heimskringla-Studien, die in die Abhandlung Snorre Sturlassöns historieskrivning (Snorre Sturlassöns Geschichtsschreibung) mündeten.13 Die Abhandlung war die Antwort auf ein Preisausschreiben von Det Kongelige Danske Videnskaps Selskab (Die Königlich Dänische Wissenschaftsgesellschaft) im Frühjahr 1870. Sie wurde zu einer bahnbrechenden Pionierarbeit für die moderne Heimskringla-Forschung und für die Sagaforschung allgemein. Auch wenn einige Ergebnisse neuerdings bezweifelt und zum Teil verworfen wurden, kommt kein Königssagaforscher um diese Abhandlung herum. Storm legt hier die wichtigsten Argumente dafür dar, dass Snorri wirklich der Verfasser der Heimskringla war, und er bestätigt und untermauert die Auffassung, dass Kringla die ‚beste‘ Heimskringla-Handschrift war. 4.9.
Finnur Jónsson
Gustav Storm hatte engen Kontakt zu dem Isländer Finnur Jónsson, dem Primas der Nordistikforschung an der arnamagnäanischen Handschriftensammlung in Kopenhagen. Unter Finnur Jónssons vielen Editionsprojekten standen die Königssagas im Mittelpunkt, und in den 1890er Jahren arbeitete er vor allem an der Heimskringla. Hier konnte er sich auf Storms Studien stützen, und er nahm sich vor, einen auf der Kringla basierten Text zu etablieren, den er mit ____________ 13
Storm 1873.
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anderen relevanten Quellen noch abstützte. Die Ausgabe erschien in drei Bänden 1893–1900. Weiter erschien 1901 ein Zusatzband mit Deutungen der Skaldenstrophen. Jónsson überprüfte genau alle zugänglichen Quellen und beschrieb das Quellenmaterial gründlicher und auf breiterer Basis als je jemand zuvor, selbst wenn er sich keine Zeit für die Systematik und Genauigkeit nahm, die für ein optimales Resultat erforderlich gewesen wären. Als Grundtext wählte er die genaueste Abschrift der Handschrift Kringla. Er verzeichnete Varianten aus anderen Handschriften, doch genügt dies modernen Ansprüchen nicht. Die Auswahl scheint nach persönlichem Ermessen vorgenommen zu sein und ist nicht konsistent. Obwohl Finnur Jónsson ein Stemma präsentierte, das er in der Einleitung erläuterte, scheint es, dass dieses für die Textetablierung nicht von Bedeutung war. In einem Artikel in Arkiv14 kritisierte Storm Finnur Jónsson, weil dieser den Text an Stellen, wo der Variantenapparat ganz klar andere Lesarten unterstützt, nicht emendiert hatte. Finnur Jónsson hat die Kritik anscheinend ernst genommen, denn als er den Text 1911 aufs Neue in einer einbändigen Leseausgabe ohne Variantenapparat herausgab, hatte er sie berücksichtigt, jedoch ohne dies in der Einleitung zu erklären. Finnur Jónssons vierbändige Edition ist noch immer eine wissenschaftliche Standardausgabe. Sie wurde als wissenschaftliche Ausgabe in einer Zeit erarbeitet, als die textkritische Methode gut entwickelt war. Das hat die Ausgabe jedoch nicht in dem Maße geprägt, wie zu erwarten wäre. Wenn das Ergebnis trotzdem vollkommen brauchbar geworden ist, ist das der hohen Qualität der Haupthandschrift und dem sicheren Ermessen des Herausgebers zu verdanken. 4.10. Die Nationalausgabe 1900 Ende des 19. Jahrhunderts bekam Gustav Storm die Aufgabe, die Heimskringla für eine repräsentative, illustrierte Volksausgabe für den neu gegründeten Verlag J. M. Stenersen zu übersetzen. Das Ergebnis war eine Maßstab setzende Ausgabe, die 1899 in gediegenem Quartformat, voll illustriert und in speziell gestaltetem Buchdesign erschien. Mit staatlicher Unterstützung wurde im Jahr darauf der gleiche Text mit mehr oder weniger den gleichen Illustrationen in einer Auflage von ganzen 70.000 Exemplaren in Oktavformat herausgebracht, nämlich die sogenannte ‚Nationalausgabe‘. Zusätzlich erschienen in der gleichen Aufmachung 30.000 Exemplare in der Übersetzung von Steinar Schjøtt ins Neunorwegische. Obwohl Finnur Jónssons große kritische Ausgabe noch nicht veröffentlicht war, als Storm an seiner Übersetzung arbeitete, war ____________ 14
Storm 1903.
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ihm Finnur Jónssons Manuskript zugänglich. Stenersens Konzept mit den bekannten Illustrationen bildete die Grundlage für Neuübersetzungen und Neuausgaben der Heimskringla in vielen Ländern. 4.11. Neues Interesse in Island Das starke Interesse an Königssagas und besonders an der Heimskringla, das sich im 19. Jahrhundert in Norwegen entwickelte, griff auf das Heimatland Island über. Damit schloss sich der Kreis. In einer Leseausgabe vom Verlag Helgafell (1944), die Illustrationen und Stenersens Konzept der illustrierten Ausgabe von 1899 entlehnt, ist die Inspiration aus Norwegen deutlich. 1937 erhielt der Isländer Bjarni Aðalbjarnarson den Doktorgrad an der Universität Oslo für seine Abhandlung Om de norske kongers sagaer (Über die Sagas der norwegischen Könige). Neben seiner Stelle als Mittelschullehrer in Hafnarfjördur in Island begann er mit der Arbeit an einer Heimskringla-Ausgabe für die Reihe Íslenzk Fornrit (ÍF). Sie erschien in drei Bänden in den Jahren 1941–1951. Íslenzk Fornrit ist ein echtes Kind der ‚isländischen Schule‘, einer einflussreichen Richtung innerhalb der Sagaforschung mit Björn M. Ólsen, Sigurður Nordal und Einar Ólafur Sveinsson als Pionieren. Man vertritt dort die Meinung, dass die Sagas die geistigen Schöpfungen eines bekannten oder unbekannten (isländischen) Verfassers sind und dass der Herausgeber sich bemühen soll, einen Text zu erarbeiten, der dem ursprünglichen am nächsten kommt. Der Herausgeber muss sich eine Übersicht über alle Textzeugen schaffen, ein Stemma aufstellen und auf dessen Grundlage Textentscheidungen treffen und Emendation vornehmen. Zwar hatte Finnur Jónsson wertvolle Vorarbeit geleistet, doch hatte er nie eine eingehende textkritische Analyse durchgeführt. Er hatte wohl die Hauptstruktur im Textmaterial erfasst, aber ein eigentliches methodisch basiertes Stemma bekommen wir erst mit Bjarni Aðalbjarnarsons Arbeit. Hier werden die Textzeugen in zwei Hauptzweige geteilt, die X-Klasse und die Y-Klasse, mit Kringla (X) und Jöfraskinna (Y) als den wichtigsten Repräsentanten der beiden Klassen. Dies ergibt auch die Richtschnur für die Textkonstitution. Unter der stillschweigenden und lange undiskutierten Annahme, dass die Heimskringla tatsächlich das einheitliche Werk eines Verfassers ist, hat die Ausgabe von Íslenzk Fornrit einen festen Platz als gute und zuverlässige Textrestitution. Der Text in Finnur Jónssons 1911erAusgabe unterscheidet sich jedoch nur wenig von dem der Íslenzk FornritAusgabe. Die letzte Neufassung der Heimskringla ist ebenfalls ein isländisches Projekt des Verlags Mál og Menning. Diese Ausgabe basiert gleichfalls auf Bjarni
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Aðalbjarnarsons Stemma, aber die Herausgeber haben für die Lakunenfüllungen im ersten Teil einen anderen Grundtext gewählt. Wie gewöhnlich wurde die Kringla als Grundtext verwendet, aber dort, wo frühere Herausgeber die Lakunen aus der Jöfraskinna gefüllt haben, fiel die Wahl der isländischen Editoren auf den Codex Frisianus. Vom Stemma her ist dies eine logische Wahl, denn Frisianus gehört zur gleichen Handschriftenklasse wie die Kringla, zur X-Klasse, während die Jöfraskinna zur Y-Klasse gehört. Das Auffälligste an der Ausgabe ist jedoch, dass sie ein neuisländisches Sprachgewand erhalten hat.
5.
Eine moderne textkritische Edition?
Der Bedarf an einem ‚letztgültigen Heimskringla-Text‘ war nicht ganz gestillt, auch wenn Finnur Jónsson und Bjarni Aðalbjarnarson gute wissenschaftliche Textausgaben erarbeitet hatten. In einem strengen kritischen Licht gesehen, hat auch die Ausgabe von Íslenzk Fornrit ihre Mängel, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie in den Kriegsjahren entstand, als der Herausgeber zumeist keinen Zugang zu den Handschriften hatte und sich in hohem Grad auf ältere Ausgaben und Faksimiles stützen musste. Das war der Hintergrund für das sogenannte Heimskringla-Projekt, das im Jahre 1988 an der Universität Oslo seinen Anfang nahm. Das Ziel war eine neue textkritische Ausgabe, in der alle Textzeugen berücksichtigt werden sollten. Der Plan für das Heimskringla-Projekt wurde nie verwirklicht. Einer der Gründe war, dass die neuere Forschung die Grundlage für eine solche Ausgabe anzweifelte. In ihrer Dissertation von 1977, Kongesagastudier, untersuchte Jonna Louis-Jensen das Verhältnis zwischen einer Königssagaredaktion, überliefert in zwei Mittelalterhandschriften, ‚Hulda‘ und ‚Hrokkinskinna‘, und deren Quellentexten. Hierbei diskutierte sie auch die Genealogie der Heimskringla und trug dazu bei, Bjarni Aðalbjarnarsons Ergebnisse in einigen Punkten zu nuancieren und weiterzuführen. Sie kam schnell zu der Einsicht, dass die genealogischen Verhältnisse widersprüchlich sein konnten, das galt selbst für Teile der Heimskringla, die im gleichen Kodex überliefert waren. Die Lösung war, jedes Drittel des Werkes für sich zu betrachten. Dieses Verfahren führte sie in einem Artikel von 1997 weiter, in dem sie in Bezug auf die Textgeschichte aufsehenerregende Schlüsse zog. Sie brach mit dem ungeschriebenen Gesetz, wonach die Heimskringla ursprünglich als einheitliches Werk geschrieben worden war, und argumentierte, dass die drei Hauptteile nach Snorris Zeit zusammengefügt wurden, vielleicht gerade durch die Handschrift
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Kringla oder deren Vorlage. Wenn Louis-Jensen recht hat, gibt es also keine Grundlage für die Annahme eines gemeinsamen Archetyps für die überlieferten Textzeugen zu den verschiedenen Teilen des Werkes, das seit 1697 die Heimskringla genannt wird. Damit entfällt auch die Grundlage für eine solche Ausgabe, wie sie im Heimskringla-Projekt vorgesehen war.
6.
Was uns die Editionsgeschichte lehrt
Die Editionsgeschichte der Heimskringla ist aus verschiedener Sicht interessant. Sie zeigt, wie sich die editionsphilologischen Instrumente von einer Ausgabe zur nächsten Schritt für Schritt entwickeln. Zu den ersten Ausgaben gibt es kaum Informationen über die Quellentexte. Dies zeigt unter anderem, dass die Textausgaben ein Werk nicht nur vermitteln und dokumentieren, sondern auch ein Werk schaffen können. Die Heimskringla ist in der Tat durch eine lange und reichhaltige Folge von Ausgaben als Werk von Snorri Sturluson etabliert und konsolidiert worden. Die Heimskringla-Ausgaben erstrecken sich über eine lange Zeitspanne. Sie zeigen daher deutlich, wie dasselbe Werk für verschiedene Zwecke instrumentalisiert und als Träger verschiedener Ideen zu verschiedenen Zeiten verwendet werden konnte. Einleitungen und Vorworte können zugleich interessante Signale aussenden über die ideologischen Motive, die hinter den Ausgaben stehen und wechselnde Zeiten und Strömungen widerspiegeln. Die ersten Ausgaben, sowohl die dänischen wie die schwedische, werden eng mit der Königsmacht und dem Prestige des Reiches verbunden. In der allerersten Ausgabe (1594) wird auf moralische Motive großen Wert gelegt, d. h. dass Könige und Fürsten von der Geschichte lernen können, denn die Welt ist und bleibt die gleiche und die Geschichte wiederholt sich. Gott unterstützt gute Herrscher, schickt aber seine Strafe über schlecht regierte Reiche. Die beiden großen dreisprachigen Ausgaben Peringskiöld (1697) und die Kopenhagener Ausgabe (1777–1783) sind öffentliche Verlautbarungen, in denen der König in panegyrischen Wendungen gelobt wird, mit der offensichtlichen Absicht, die Position und das Prestige des Reiches in Europa zu stärken. Mit der Romantik verschiebt sich der Fokus vom König auf die Nation – auf das Volk. Grundtvig macht die Heimskringla zum Buch des Volkes. Mit den norwegischen Ausgaben im 19. Jahrhundert hat das Werk eine deutliche nationale Aufgabe bekommen. Es wurde zum Werkzeug, um dem Volk seine alte Geschichte bewusst zu machen und damit die norwegische Unabhängigkeit zu legitimieren. Im letzten Akt schließt sich der Kreis. Die Heimskringla kehrt heim nach Island und wird als
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Prachtstück der reichen Mittelalterliteratur des Landes herausgegeben. Die ‚isländische Schule‘ richtet ihr Licht auf die Texte des Mittelalters als Literatur, sodass deren ästhetische Qualitäten nicht von Diskussionen über ihren historischen Quellenwert überschattet werden. Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
Abstract This article traces editions of a central Old Norse work, Heimskringla, from the first print edition in 1594 up until the present day. Heimskringla was written in Iceland during the 13th century and contains a continuous account of Norway’s history. The historical narrative is linked to Norwegian kings from the most ancient times until 1177. Ever since its first appearance, the work has aroused great interest in Denmark, Norway and Sweden, as well as in its home country of Iceland. A chronological review of the different editions clearly illuminates the historical development of textual criticism in the Nordic countries. We see how editors’ textual awareness has evolved, evidenced by the move from communicating content in paraphrased form towards the documentation and reproduction of texts. At the same time we can trace developments in philological methods. Editors’ approach to textual criticism becomes gradually more methodical, requirements for documentation and accuracy become more stringent, and there is the emergence of a critical apparatus with footnotes and comments, eventually joined by lists of variants etc. We also see clear shifts in the ideologies driving the production of different editions: early editions were intended as government propaganda, while later editions reflected a democratic nation-building movement, more recently taken over by a desire to build a national literary heritage. An interesting point concerning Heimskringla in particular is that it appears unlikely, on the basis of modern textual analysis, that the various versions of the text derive from a common archetype. Accordingly it is unlikely that Heimskringla, as we know it from the various existing editions, dates from the time of Storre Sturlasson, as has generally been believed. In this case, different editions have not only communicated and documented a work, but in fact have also established it.
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Jon Gunnar Jørgensen
Literaturverzeichnis Editionen [Fríssbók.] Codex Frisianus: En Samling af norske Konge-sagaer. Hrsg. von Axel Charlot Drolsum und Carl Richard Unger. Christiania 1871. [Heimskringla.] Heims kringla, Eller Snorre Sturlusons Nordländske konunga sagor. Sive Historiæ regum septentrionalium a Snorrone Sturlonide, ante secula quinque, patrio sermone antiquo conscriptæ. Hrsg. von Johan F. Peringskiöld. 2 Bde. Stockholm 1697–1700. [Heimskringla.] Heimskringla edr Noregs konungasögor af Snorra Sturlusyni. Hrsg. von Gerhard Schöning et al. 6 Bde. Kopenhagen 1777, 1778, 1783, 1813–18, 1826. [Bd. 1–3 umfassen Heimskringla, Bd. 4–6 Sverris saga, Bǫglunga sǫgur og Hákonar saga Hákonarsonar.] [Heimskringla.] Heimskringla eller Norges Kongesagaer af Snorre Sturlasøn. Hrsg. von Carl Richard Unger. Christiania 1864–1868 (Det norske Oldskriftselskabs Samlinger 4, 7, 9, 10). [Heimskringla.] Heimskringla. Hrsg. von Bjarni Aðalbjarnarson. 3 Bde. Reykjavik 1941, 1945, 1951 (Íslenzk fornrit 26, 27, 28). [Heimskringla.] Heimskringla: Nóregs konunga sǫgur. Hrsg. von Finnur Jónsson. 4 Bde. Kopenhagen 1893–1901 (Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur 23). [Heimskringla.] Heimskringla. Hrsg. von Bergljót Kristjánsdóttir et al. Reykjavik 1991. [Heimskringla.] Heimskringla: Noregs konunga sogur. Hrsg. von Finnur Jónsson. Kopenhagen 1911. [Heimskringla.] Norske Kongers Krønicke oc bedrifft: indtil unge Kong Haagens tid, som døde Anno Domini 1263 / udset aff gammel Norske paa Danske. Hrsg. von Jens Mortensen. Kopenhagen 1594. [Heimskringla.] Norges Konge-Krønike af Snorro Sturlesøn. Übers. von N. F. S. Grundtvig. Kopenhagen 1818. [Heimskringla.] Norges Konge-Sagaer: fra de ældste Tider indtil anden Halvdeel af det 13de Aarhundrede efter Christi Fødsel / forfattede af Snorre Sturlassøn. Übers. von P. A. Munch. Kristiania 1859 [Heimskringla.] Snorre Sturlason. Kongesagaer. Übers. von Gustav Storm. Kristiania 1899 (4°). 2. Ausg. (8°) 1900. [Heimskringla.] Snorre Sturlason. Kongesogur. Übers. von Steinar Schjøtt. Kristiania 1900. [Heimskringla.] Snorre Sturlesens Norske Kongers Krønike / oversat paa dansk af Peder Clausen; og nu paa nye oplagt og formeret […]. [Hrsg. von Sejer Schousbølle.] Kopenhagen 1757. [Heimskringla.] Snorre Sturlesons norske Kongers Sagaer. Übers. von Jacob Aall. 2 Bde. Kristiania 1838/39. [Heimskringla.] Snorre Sturlesøns Norske Kongers Chronica / udsat paa Danske aff Peder Claussøn […]; nu nyligen menige Mand til Gaffn, igiennemseet, continuerit oc til Trycken forferdiget. Hrsg. von Ole Worm. Kopenhagen 1633.
Sonstige Literatur Jørgensen, Jon Gunnar: Sagaoversettelser i Norge på 1500-tallet. In: Collegium Medievale 6, 1993, H. 2 [1994], S. 169–198. Jørgensen, Jon Gunnar: The lost vellum Kringla. Kopenhagen 2007 (Bibliotheca Arnamagnæana 45). Louis-Jensen, Jonna: Kongesagastudier. Kompilationen Hulda-Hrokkinskinna. Kopenhagen 1977 (Bibliotheca Arnamagnæana 32). Louis-Jensen, Jonna: Heimskringla – Et værk af Snorri Sturluson? In: Nordica Bergensia 14, 1997, S. 230–245. Nilsson, Gun: Den isländska litteraturen i stormaktstidens Sverige. In: Scripta Islandica 5, 1954, S. 19–41. Storm, Gustav: Textkritiske Bemærkninger til Ynglingatal. In: Arkiv för nordisk filologi 19, 1903, S. 252–257.
Britta Olrik Frederiksen
Herausgabe ostnordischer Mittelaltertexte – eine historische Übersicht
1.
Einige Definitionen
Der historische Rückblick, der im Folgenden vorgenommen werden soll, umfasst Ausgaben schwedisch- und dänischsprachiger mittelalterlicher Texte etwa ab dem Jahr 1600 bis heute. Aufgrund des Umfangs des gesammelten Materials beschränkt sich der Blickwinkel jedoch auf denjenigen Typ von Ausgaben und diejenigen Typen von Texten, denen im übergeordneten Zusammenhang dieses Buches das größte Interesse zukommen dürfte.1 Die Texte können positiv definiert werden als Gesetzestexte und literarische Texte, negativ als nicht-kamerale Texte (d. h. Texte, die keine Rechnungs-, Stadt-, Gedenkbücher, Urkunden o. ä. sind);2 ferner müssen sie auf Pergament oder Papier überliefert sein, nicht als Inschriften. Dass sie dem Mittelalter zugerechnet werden, bedeutet, dass sie der altschwedischen Periode (ca. 1225– 1526) bzw. der altdänischen (ca. 1100–1515) angehören.3 Der Ausgabentyp ist der antiquarische oder gelehrte. Hierunter wird verstanden, dass der Herausgeber von historischem Interesse motiviert wird und der edierte Text der Quelle entnommen ist. Auch sollte der Text mit einem Apparat ausgestattet sein: Einleitung, Variantenverzeichnung, Glossierung, Kommentierung o. ä.4 Die Zeitgrenze nach hinten ergibt sich von selbst, da so gut wie keine Ausgabe aus der Zeit bis etwa 1600 die obengenannten Bedingungen erfüllt. Die Regel ist, dass schwedische Texte in Schweden und dänische in Dänemark herausgegeben werden, wobei Skånske lov die spektakulärste Ausnahme bildet. Das Schicksal der Provinz Schonen als langjähriger Spielball zwischen ____________ 1 2
3
4
Dieser Beitrag wurde 2008 fertiggestellt. Am zweckmäßigsten hat es sich erwiesen, soweit möglich die Grenze vor Texte der Typen II 7, 8 und III in der Altschwedischen Bibliografie (Fornsvensk bibliografi) zu legen, vgl. Geete 1903, S. V. Aus praktischen Gründen wird die alte gotländische Sprache, Altgutnisch, hier mit zum Altschwedischen gerechnet, obwohl sie als ein nordischer Hauptdialekt auf gleicher Linie mit Ostnordisch (hierunter Schwedisch und Dänisch) und Westnordisch angesehen wird; vgl. z. B. Wessén 1959. Vgl. Greethams Definition des Begriffs ‚scholarly editing‘ 1995, S. 1.
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Dänemark und Schweden brachte es mit sich, dass Ausgaben ihres alten Gesetzes in beiden Ländern veranstaltet wurden. Die 400 Jahre ab ca. 1600 bis heute können grob in zwei Perioden eingeteilt werden, deren Grenze etwa bei 1825/1850 liegt: eine ältere vorwissenschaftliche und eine jüngere wissenschaftliche. Hier soll die Aufmerksamkeit hauptsächlich letzterer gelten, da erstere im Wesentlichen unten (S. 375–404) im Beitrag von Lars Wollin behandelt wird.5
2.
Die vorwissenschaftliche Periode
Sowohl Textauswahl als auch Herausgebererklärungen lassen das Urteil zu, dass die blühende schwedische Editionstätigkeit zwischen 1607 und 1721 fast ausschließlich dem Patriotismus und Götizismus diente.6 Mehrere der Herausgeber waren auch bekannte Götizisten,7 und zwei, Messenius und Johannes Bureus, standen im Vordergrund des laufenden Wettstreits zwischen Schweden und Dänemark um den Rang der ältesten und vornehmsten Nation Skandinaviens.8 Die Textauswahl umfasste hauptsächlich die alten Gesetze und die historische Literatur des Landes. 1607 erschienen Upplandslagen und Östgötalagen, 1608 Kristoffers landslag, 1609 Hälsingelagen und 1617 Magnus Erikssons stadslag. Den letzten Text edierte mit Sicherheit, die übrigen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Diplomat und Archivar Jonas Bure (1575–1655).9 Die königliche Bestätigung des Landrechts zeigt, dass die drei Regionalgesetze (in der Praxis wohl auch der Rest) als Auftakt eines groß angelegten Projekts gelten können, das die Herausgabe sämtlicher alter schwedischer Gesetze nach alten Handschriften umfasste.10 Es wurde nach knapp 50-jähriger Pause wiederaufgenommen: Der Dichter und Beamte Georg Stiernhielm (1598–1672) edierte im Jahr 1663 ____________ 5 6 7
8 9 10
Zu den dänischen Ausgaben vor 1825/1850 näher Frederiksen 2001, S. 119–126, 2005, S. 112 f. Zur götischen Ideologie siehe z. B. Lindroth 1961, Malm 1996, S. 12–16 und Wollin unten, S. 378 ff. Vgl. Lindroth 1975b, S. 238 ff., 250, 268 ff. Johan Fredrik Peringskiölds götisches Engagement dürfte dem seines Vaters und nahen Kollegen Johan Peringskiöld entsprochen haben (vgl. Lindroth 1975b, S. 331 f.). Vgl. u. a. Lindroth 1975b, S. 240 f., 250. Vgl. vor allem Ståhle 1954, S. 95–98. Vgl. Karls IX. Bestätigung des Landrechts 1608 (SGL 12 1869, S. 4). In Johan Hadorphs Widmung zu Dalalagen, 1676, an Karl XI., Versoseite des Titelblattes, wird die königlich initiierte Herausgabe der Mittelaltergesetze im 17. Jahrhundert als ein einziges Gesamtprojekt dargestellt, trotz der praktischen (Neben-)Funktion einiger dieser Gesetze (vgl. z. B. Frederiksen 2003, S. 25 f.). Das Editionsverfahren scheint auch nicht nach der Funktion zu variieren.
Herausgabe ostnordischer Mittelaltertexte
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Västgötalagen, der Jurist Clas Åkerman (o. J.) gab 1666 Södermannalagen und Västmannalagen heraus, und Johan Hadorph (1630–1693) – nicht offiziell, aber faktisch Reichsantiquar – beendete die Reihe mit Dalalagen und Skånske lov, 1676, sowie Gutalagen und Bjärköarätten, 1687. 1615/16 begann der Historiker Johannes Messenius (ca. 1579–1635) mit der Herausgabe der schwedischen Mittelalterchroniken (Prosaiska krönikan, Lilla rimkrönikan und Stora rimkrönikan) „dem Vaterland zum Lob“.11 Sein jäh abgebrochenes Unternehmen wurde von 1674 bis 1676 durch Hadorph vollendet, der gleichzeitig den versifizierten schwedischen Auszug der großen Óláfs saga helga (Historia Sancti Olai, 1675) herausgab. Zwei Wegbereiter innerhalb der kritischen Schule der Geschichtswissenschaft, der Historiker Clas Arrhenius (Örnhielm, 1627–1695) und der Bibliothekar Erik Benzelius d. J. (1675–1743),12 widmeten sich wichtigen Quellen der schwedischen Kirchengeschichte (der Übersetzung von Rimberts Vita Anskarii, 1677, verschiedenen Monumenta historica vetera ecclesiæ Sveogothicæ, 1709–1713, u. a. m.). Bis 1721 erschienen, soweit der Verfasserin bekannt, nur drei Altschwedisch-Ausgaben ohne juristisches oder historisches Thema, alle vermutlich – trotz ihrer lateinischen Wurzeln – als Bausteine zur Mustersammlung patriotischer Texte. Der Altertumsforscher Johannes Bureus (1568–1652) publizierte 1634 auf königliches Geheiß den Fürstenspiegel Konungastyrelsen als altes schwedisches Werk und als erwünschte Ablösung für die lateinischen Klassiker im Pensum der Schulen.13 Hadorph gab 1672 den übersetzten Versroman Konung Alexander heraus – dessen Hauptperson dem Fürstenideal in Konungastyrelsen (und dem Heldenkönig Gustav II. Adolf) ähneln könnte –,14 um eine inhaltlich und sprachlich wertvolle Alternative zur zeitgenössischen Trivialliteratur anzubieten.15 Schließlich veröffentlichte der Reichsantiquar Johan Fredrik Peringskiöld (1689–1725) im Jahr 1721 einige Andachtstexte aus der Zeit des verachteten Papismus, die dies wahrscheinlich dem Titeltext Fragmentum runico-papisticum verdankten, einem mit Runen geschriebenen Fragment der Marienklage (Mariaklagen). Peringskiöld sah darin ein Überbleibsel ____________ 11 12
13 14 15
Messenius auf dem Titelblatt von Prosaiska krönikan 1615. Vgl. Wretö 1991, S. 10. Vgl. Lindroth 1975b, S. 327 f., S. 344 ff. Zu der von Frankreich ausgehenden historischen Schule siehe z. B. Jørgensen 1931, S. 165. Anm. der Verf. zu „Historiker“ etc.: In historischen Nachschlagewerken finden sich für etliche der hier aufgeführten Gelehrten unterschiedliche Berufs- und Stellungsbezeichnungen, gemäß der Vielfalt der von ihnen tatsächlich gleichzeitig oder nacheinander ausgeübten Tätigkeiten. Hier ist jeweils eine heute noch vertraute Benennung gewählt, die dem erörterten Aspekt ihres Wirkens auch am ehesten entspricht. Vgl. Bureus’ Widmung (1634) und Vorrede (1630) in Konungastyrelsen 1634, S. A ij r, A iiij r ff. Vgl. Hadorphs Widmung an den Reichstruchsess [Per Brahe] in Konung Alexander 1672, S. ii r–v, Wollin 1995, S. 121. Vgl. Hadorphs Widmung in Konung Alexander 1672, S. [iv] r.
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einer heimischen Runenliteratur, die Olof Skötkonung im 10. Jahrhundert mit Fackel und Brand auszurotten versucht hatte.16 Das dänische Gegenstück zur Produktivität in Schweden bis 1721 beläuft sich alles in allem auf sechs kurze Texte. Johannes Bureus’ Antagonist im schwedisch-dänischen Wettstreit um den Ursprung der Runenschrift, der Arzt und Antiquar Ole Worm (1588–1654), publizierte drei kleine historische Texte der Runenhandschrift des Skånske lov in Regum Daniæ Series duplex 1642; der Rechtshistoriker Peder Hansen Resen (1625–1688) veröffentlichte 1673 die älteste dänische Rechtsquelle, Vederloven, sowie 1683 Københavns stadsret und Ribe stadsret. Dass der dänische Beitrag nicht größer war, mag drei Gründe haben. Erstens war Dänemark im Gegensatz zu Schweden keine frisch aufgestiegene Großmacht (um nicht zu sagen: überhaupt keine). Zweitens repräsentierten noch bis 1683 die Regionalgesetze geltendes Recht. Und drittens besaß das Land mit Saxos Gesta Danorum und Anders Sørensen Vedels SaxoÜbersetzung ein Quellenwerk, das für Laien und Gelehrte gleichermaßen zugänglich war und die denkbar prächtigsten Taten dänischer Vorzeit darstellte.17 In der zweiten Hälfte der Periode zogen die schwedischen und dänischen Editoren insofern am gleichen Strang, als die Hauptinspiration für beide die Textkritik der klassischen Philologie und die Quellenkritik der französischen Historikerschule war. Letztere wurde vom Historiker Hans Gram (1685–1748) nach Dänemark gebracht. Die meisten späteren Herausgeber, schwedische wie dänische, waren seine Schüler. Charakteristisch für die ostnordische Publikationstätigkeit zwischen 1721 und 1825/1850 sind zum einen die Textproben aus verschiedenen Genres, die, gern mit sprachlichem Interesse als Motivation, in dem damaligen Gewimmel von Zeitschriften und Sammlungen (z. B. Dänische Bibliothec 1738–1747, Danske Magazin 1745–1752 und Samling af åtskilliga handlingar och påminnelser [1749]–1758) präsentiert wurden, und zum anderen die großen Korpusausgaben – oder Versuche dazu –, welche traditionell edierten Texten vorbehalten waren: historischen und juristischen. Die historischen wurden in zwei Scriptores-Reihen behandelt, die über denselben Leisten geschlagen waren wie entsprechende in anderen europäischen Ländern und die beide erst tief in der nächsten Periode abgeschlossen wurden. In Dänemark entsprangen Scriptores rerum Danicarum 1–9, 1772–1878, der ____________ 16
17
Vgl. Peringskiöld in der Vorrede „an den geneigten Leser“ (Lectori Benivolo) in Mariaklagen, 1721, S. 9 f. Zu dem im 16. und 17. Jahrhundert in patriotischen schwedischen Kreisen kursierenden Gerücht von einer frühen schwedischen Runenliteratur siehe Lindroth 1975a, S. 16. Vgl. Petersen 1929, S. 803, wo allerdings die altnordische, nicht die altdänische Textherausgabe behandelt wird. – Saxos lateinischer Text wurde mehrmals im 16. Jahrhundert und erneut 1644 (nach)gedruckt, Vedels Übersetzung 1575 und 1610.
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Initiative des Historikers Jacob Langebek (1710–1775); abgesehen von Urkunden enthalten sie jedoch fast nur lateinische Texte. In Schweden erschienen Scriptores rerum Svecicarum 1–3, 1818–1876, Band 1 abgeschlossen von dem Theologen Eric Michael Fant (1754–1817) nach Vorarbeiten des Historikers und Politikers Carl Gustaf Nordin (1749–1812). Den juristischen Texten widmete man sich nur in Dänemark. Hier edierten der Rechtshistoriker und Montesquieu-Schüler Peder Kofod Ancher (1710– 1788) im Jahr 1769 Valdemars lov, 1776 einige kleinere Texte und 1783 Jyske lov, der Archivar Grímur Jónsson Thorkelin (1752–1829) im Jahr 1781 Samling af Danske Kirke-Love. Auf der Schwelle zur nächsten Periode verwirklichte Anchers jüngerer Kollege Janus Lauritz Andreas Kolderup-Rosenvinge (1792–1850) seinen Traum von einem ganzen Gesetzeskorpus mit Samling af gamle danske Love 1–5, 1821–1846. Das Prädikat ‚vorwissenschaftlich‘ für die Zeit bis zum zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts ergibt sich daraus, dass die editorische Vorgehensweise generell von Willkür und mangelnder Genauigkeit geprägt ist, wenn auch in gemeinhin abnehmendem Ausmaß. Die Hauptregel ist eine Art ‚Älteste und beste Handschrift‘-Ausgabe ohne zwingende Berücksichtigung der vollständigen Überlieferung; größere Ausschweifungen in eklektischer Richtung haben sich wohl nur Messenius und Stiernhielm erlaubt.18 Varianten werden bereits seit 1607 verzeichnet, mit der Zeit in steigendem Umfang; ihre Auswahl bleibt jedoch selbst bei den am bedachtesten vorgehenden Editoren (wie z. B. Kofod Ancher) nur Ermessenssache.19 Die Textwiedergabe ist in den Ausgaben des 17. Jahrhunderts, jedenfalls den meisten schwedischen, von einer gewissen Modernisierung geprägt, hauptsächlich jedoch auf orthografischem u. ä. Niveau;20 in der gesamten Periode ist das Verfahren der Editoren durch Missverständnisse gekennzeichnet, die ein fast vollständiger Mangel an sprachwissenschaftlichen Hilfsmitteln und dito Ausbildung unweigerlich mit sich geführt hat. Erschließende Texte in Form von Kommentaren (von wechselnder Relevanz), Wortlisten o. Ä. gibt es in dieser Periode oft reichlich und von relativ hoher Qualität.21 Abgesehen von den Scriptores-Editoren versuchen nur wenige, darunter Örnhielm und Benzelius sowie die Runen-Editoren Peringskiöld und Worm, das internationale Publikum durch den Gebrauch von Latein oder – im 18. Jahrhundert – ausnahmsweise Deutsch als Herausgebersprache zu errei____________ 18 19 20 21
Vgl. SGL 1 1827, S. LV, Geete 1903, S. 119, SGL 1 1827, S. XLVI f. Vgl. u. a. Frederiksen 2003, S. 25–30. Vgl. Ståhle 1954, S. 98–114, Wollin 1995, S. 148 f., Vilhelmsdotter 1999, S. 199 ff. Vgl. z. B. SGL 1 1827, S. XLVII.
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chen. Hinter der überwiegenden Verwendung der Muttersprache liegt sicherlich ein gewisses Maß bewusster Sprachpolitik.22
3.
Die wissenschaftliche Periode
Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts wird die alte Willkür und mangelnde Genauigkeit allmählich von Systematik und Präzision in der editorischen Praxis abgelöst, was im Folgenden etwas näher dargelegt werden soll. Zunächst jedoch sollen die wichtigsten Editoren und Ausgaben der Periode vorgestellt werden. 3.1.
Editoren und Ausgaben
Rasmus Rasks (1787–1832) sprachwissenschaftliche Entdeckungen in den 1810er Jahren hatten einem völlig neuen Forschungsfeld die Tür geöffnet: nordischer Sprachgeschichte. Das engere fachliche Interesse hierfür in Verbindung mit der nationalromantischen und skandinavistischen Begeisterung für die nordische Vergangenheit und die alten nordischen Sprachen führte bald zur Gründung von Editionsgesellschaften und zur Errichtung von Lehrstühlen, von denen aus zukünftige Editoren rekrutiert werden sollten. 1845 erhielt Kopenhagen eine Professur für nordische Sprachen, die mit Rasks altem Freund Niels Mathias Petersen (1791–1862) besetzt wurde. Professuren sowohl in Uppsala als auch in Lund folgten 1859, besetzt mit Carl Säve (1812–1876) bzw. Carl August Hagberg (1810–1864). Noch bevor das editorische Wirken institutionell eingebunden und die Herausgebertätigkeit professionalisiert war, erblickten jedoch einige (Fast-)EinMann-Projekte von mehr oder weniger modernem Zuschnitt das Licht der Welt. Das eine war die Reihe von Altdänisch-Ausgaben, die der Historiker und Linguist Christian Molbech (1783–1857) von 1825 bis 1836 herausbrachte. Schon die Werktitel künden Neues: Den danske Rimkrønike 1825, Henrik Harpestrengs lægebog 1826, Den gammeldanske Bibeloversættelse 1828 und Hr. Michael 1836 gehören nicht in die historischen und juristischen Gattungen, welche zuvor als einzige über selbstständige Ausgaben verfügt hatten – zwar enthält die Reimchronik durchaus dänischen historischen Stoff, doch ihre ausgesprochen fiktionale Prägung dürfte sie gegen das Interesse der kritischen Historikerschule immunisiert haben. Molbech stand in engem Kontakt zu den ____________ 22
Vgl. Frederiksen 2003, S. 30.
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Dichtern der dänischen Romantik und strebte in ihrem Geist danach, das Interesse für ältere dänische Literatur zu wecken. Da er jedoch meinte, dass die nationale Literatur eigentlich erst ca. 1520 begonnen habe,23 sind die Ausgaben wohl am ehesten als Beilagen zu seiner sprachgeschichtlichen Forschung zu sehen, die teilweise von Rasmus Rask beeinflusst war.24 Die Worte, mit denen Molbech der Verurteilung von Den danske Rimkrønike durch seinen älteren, ästhetisch orientierten Kritikerkollegen Knud Lyne Rahbek (1760– 1830) entgegentritt, erscheinen mit Variationen in den Vorworten zu allen vier Ausgaben: Man finde in der Reimchronik „wenngleich wenig vom ureigenen Geist und Charakter der Poesie, so doch überaus viel von dem der Sprache“.25 Das andere Projekt war das Großunternehmen Samling af Sweriges gamla lagar (SGL), 1–12, 1827–1869 (1877 nachfolgend ein Wörterbuchband). Es begann als Paarlauf zwischen den beiden jungen juristischen Doktoren Hans Samuel Collin (1791–1833) und Carl Johan Schlyter (1795–1888), wurde aufgrund von Collins frühem Tod jedoch zu Schlyters lagar.26 Collin und Schlyter waren Schüler des damaligen Erneuerers der Rechtswissenschaft in Schweden, Johan Holmbergson. Dieser setzte sich für den romantischen Gedanken ein, dass das Recht aus den Rechtstraditionen des Volkes heraus entwickelt werden solle, und er hatte nachgewiesen, dass die bisherigen Ausgaben keine zuverlässige Grundlage für das Studium schwedischer Rechtstradition darstellten.27 Die Widmungen an verschiedene schwedische Regenten in SGL 1, 6 und 10 beweisen, dass die altschwedische Gesetzedition noch im 19. Jahrhundert als patriotische oder – in der neuen Terminologie der Zeit – vaterländische („fosterländsk“) Handlung zu betrachten war.28 Zugleich beweist die Widmung in Band 1, dass das Werk nicht nur für das Studium von Rechtstraditionen, sondern wie sein obenerwähnter dänischer Namensvetter auch für das Sprachstudium gedacht war.29 Die älteste der Herausgebergesellschaften, Svenska fornskriftsällskapet (Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur), wurde im Dezember 1843 gegründet, um – grob gesagt – denjenigen Teil der relevanten Literatur auf Altschwedisch zu berücksichtigen, den Collin und Schlyter nicht behandelten.30 ____________ 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. Conrad 1996, u. a. S. 116. Vgl. Glahder 1937, S. 37. Molbech in: Den danske Rimkrønike, 1825, S. XV. Dies war z. B. der Titel einer Gedenkausstellung über Schlyter und SGL in Lund, 1979. Vgl. Modéer 1979b, S. 6. Vgl. u. a. Modéer 1979a, S. 2, 4. Vgl. SGL 1 1827, Widmung S. 3, 6 1844, Widmung S. 3, 10 1862, Widmung S. 3. SGL 1 1827, Widmung S. 3. Vgl. Kolderup-Rosenvinge in Samling af gamle danske Love 2 1821, S. V. Vgl. Collijn 1944, S. 32.
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Längst hatte die romantische Bewegung in Schweden das Interesse für diese Literatur geweckt. Manifestiert hatte es sich u. a. 1822–1824 in der Herausgabe des (größten Teils des) Eufemialiedes31 Hertig Fredrik durch den Schriftsteller Gustaf Wilhelm Gumælius (1789–1877). Das Lied erschien in der Zeitschrift Iduna, die das Organ für eine der beiden tonangebenden literarischen Gruppierungen jener Zeit war, den neugötizistischen „Götischen Bund“. Die Motive, welche die Gründungsväter der Gesellschaft für ihr Vorhaben angaben, das sie sogar „in hohem Grad vaterländisch“32 fanden, klingen wie ein fernes Echo von Gumælius’ Einleitung der Hertig Fredrik-Ausgabe und lassen sich teilweise auch von Molbechs sowie Collins und Schlyters Projekten her wiedererkennen. Zum einen sollte die Liebe zur altschwedischen (schönen) Literatur geweckt werden, welche die Literaten der vorigen Generation unschön gefunden hatten (in dem allerdings begrenzten Umfang ihrer Kenntnis derselben); zum anderen wollte man wichtige kultur- und vor allem sprachgeschichtliche Quellen zugänglich machen und damit ein klares Verständnis der ehrwürdigen alten Traditionen des Volkes ermöglichen.33 Der eigentliche Initiator der Gesellschaft war vermutlich der eingewanderte englische Volkskundler und Linguist George Stephens (1813–1895).34 Svenska fornskriftsällskapet ist insofern ein unbedingter Erfolg geworden, als sie seit ihrer Gründung für fast alle Altschwedisch-Ausgaben von antiquarischem Zuschnitt verantwortlich gewesen ist. Überdies gelang es der Gesellschaft, den Grundstock der altschwedischen Literatur (mit Ausnahme der Gesetze) schon bis 1920 herauszugeben. Die Ehre hierfür gebührt im Wesentlichen zwei anscheinend unermüdlichen Bibliothekaren der Königlichen Bibliothek, Gustaf Edvard Klemming (1823–1893) und Robert Geete (1849–1928). Von den ca. 50 relevanten Textbänden aus der Zeit vor 1920 edierte Klemming knapp die Hälfte, mit dem Eufemialied Flores och Blanzeflor, 1844, an der Spitze. Der 20-jährige Student hatte den Gesellschaftsgründern im Februar 1844 eine Transkription des Liedes zur Verfügung gestellt, und trotz gewisser Bedenken hatten sie diese als erste Veröffentlichung angenommen, vielleicht ____________ 31 32
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34
Zu den drei höfischen Versepen, die früh ins Schwedische übersetzt wurden und als Eufemiavisorna bekannt sind, vgl. z. B. Weber 1989. Diese Formulierung gebrauchte der Vorsitzende Adolf Ivar Arwidsson (1791–1858) in seiner Rede auf der ersten Jahrestagung der Gesellschaft, hier nach Collijn 1944, S. 43. Der Sekretär Fredrik August Dahlgren (1816–1895) fand bei demselben Anlass ähnliche Worte; vgl. Collijn 1944, S. 45. Vgl. die in Anm. 32 erwähnten Reden Arwidssons und Dahlgrens, zitiert bei Collijn 1944, S. 43–45, sowie Gumælius in Hertig Fredrik 1822, S. 4–9. Ebenso wie Molbech gegen Rahbek argumentierte (vgl. oben S. 70 f.), fühlte Gumælius (Hertig Fredrik 1822, S. 5 f.) sich veranlasst, gegen Rahbeks nahen Kollegen Rasmus Nyerup (1759–1829) zu argumentieren, der bezüglich der Hertig Fredrik-Erzählung den Ausdruck „ohne Geschmack“ benutzt hatte. Vgl. Collijn 1944, S. 7–12.
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unter dem Eindruck einer warmen Empfehlung des Textes durch Gumælius rund zwanzig Jahre zuvor.35 Die wenigen Ausgaben des Zeitraums 1844–1893, die nicht auf Klemming zurückgehen, stammen aus dem Gründerkreis der Gesellschaft und/oder aus dem Mitarbeiterstab der Königlichen Bibliothek. Beispielsweise fungierte Stephens als Haupt- oder Mitherausgeber des Eufemialiedes Herr Ivan, 1849, und des Fornsvenska legendariet, 1847–1874, während Gunnar Olof Hyltén-Cavallius (1818–1889) für die Didrikskrönikan, 1850– 1854, verantwortlich zeichnete. Geete veröffentlichte nur knapp halb so viele Bände wie Klemming, war aber auch nur von 1895 bis 1915 als Altschwedisch-Herausgeber tätig und widmete sich überwiegend dem religiösen Bereich, vor allem dem birgittinischen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekam er Gesellschaft von Herausgebern eines Typs, der nach 1920 alleinbestimmend wurde: den professionellen (nordischen) Philologen, u. a. Otto von Friesen (1870–1942) und Emil Olson (1876–1937). Zusammen mit dem Historiker Karl Henrik Karlsson (1856– 1909) starteten die beiden eine kleine Ausgabensammlung, mit der die Gesellschaft Textzeugen publizierte, die nicht von der Sammlung SGL berücksichtigt worden waren. Die Zeit nach 1920 ist im Großen und Ganzen die Zeit der Wiederveröffentlichung in Neuausgaben, wenn man Ausgaben von Texten, die früher in SGL erschienen waren, mitrechnet. Erstmals herausgegeben wurden lediglich einige Bände der Reihe Svenska medeltids-postillor (MP) durch Bertil Ejder (1916– 2005) im Jahr 1974 sowie die in der Mischreihe Smärre texter och undersökningar (1993 ff.) publizierten Kleintexte. Was den Rest betrifft, so fing man buchstäblich wieder von vorn an. Die erste Neuausgabe der Gesellschaft (abgesehen von den obenerwähnten Gesetzen) war folglich ihrem Flaggschiff von 1844 gewidmet, Flores och Blanzeflor, nun besorgt durch Emil Olson im Jahr 1921. Gleichzeitig oder in den Jahren danach folgten andere der in der editorischen Frühphase herausgegebenen Texte, darunter wichtige aus der sogenannten Folkungezeit (ca. 1250–1390). Außer diesen frühen Schriften galt die Neuausgabe bis 1990 hauptsächlich spätmittelalterlicher Prosaepik sowie einigen Texten, die zuvor in SGL nach anderen Handschriften oder in anderer Version veröffentlicht worden waren. Die birgittinische Literatur, die der Unionszeit angehört (ca. 1390–1520), glänzt durch Abwesenheit, mit Ausnahme einiger weniger Publikationen. Nach 1990 wird dafür allein birgittinische Literatur berücksichtigt. 1991 bzw. 2000 edierten Bridget Morris und Inger Lindell etliche Bücher aus Birgittas uppenbarelser nach Ups. C 61, während das Jahr ____________ 35
Vgl. Collijn 1944, S. 49 f., Gumælius in Hertig Fredrik 1822, S. 6.
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2006 zwei Neuausgaben brachte: eine von MP 1 (Sermones sacri Svecice) durch Roger Andersson sowie eine der in der Handschrift Sth. A 3 (Wars Herra Pino bok) gesammelten Erbauungsliteratur durch Jonas Carlquist (welche dabei auch viele bis dahin unedierte Passagen enthielt). Lars Wollin zufolge zeigt der hohe Stellenwert der früh-altschwedischen Literatur im 20. Jahrhundert an, dass der nationalromantische Mythos eines mittelalterlichen goldenen Zeitalters in Schweden – der Folkungezeit –, gefolgt von einer entsprechenden Verfallsperiode – der Unionszeit –, zählebig gewesen ist.36 Nur gut drei Jahre nach Svenska fornskriftsällskapet, im Januar 1847, wurde die älteste der insgesamt vier Gesellschaften gegründet, die den größten Teil der Altdänisch-Ausgaben bewerkstelligt haben: Det nordiske LiteraturSamfund. In Übereinstimmung mit dem Zeitgeist zielte das Programm auf billige Handausgaben älterer nordischer Literatur – besonders westnordischer, jedoch auch gern altdänischer – sowie auf Hilfsmittel zu ihrem Verständnis. Die übergeordnete Absicht war hierbei, dass das Volk sich seiner Zugehörigkeit zu Skandinavien bewusst werden und dadurch seine Nationalität wahren solle, für die man damals eine besondere Bedrohung von Süden her spürte. Die Idee zu einer solchen Gesellschaft ging zuallererst von N. M. Petersen aus. Unter den übrigen Gründern befanden sich einige führende dänische Politiker der 1840er Jahre vom nationalliberalen und skandinavistischen Flügel, z. B. der Theologe Henrik Nicolai Clausen (1793–1877) und der Botaniker Joachim Frederik Schouw (1789–1852), die gemeinsam den Entwurf zur ersten freien Verfassung Dänemarks von 1849 schrieben.37 Die Gesellschaft startete äußerst erfolgreich und publizierte zwischen 1849 und 1853 fünf Altdänisch-Ausgaben. Vier davon galten den ältesten einheimischen Texten, den Regionalgesetzen. Jyske lov wurde 1850 von N. M. Petersen besorgt, die drei übrigen 1852/53 von Peder Goth Thorsen (1811–1883). Dieser ist am ehesten als Runologe bekannt, war jedoch ausgebildeter Theologe, ebenso wie Carl Joakim Brandt (1817–1889), der 1849 Lucidarius herausgab. Brandts Einleitung erklärt, warum dieser spät überlieferte, gesamteuropäische Text das Publikum der Gesellschaft ansprechen konnte: er war – nach Brandts Ermessen – in zeitlicher Nähe der Regionalgesetze auf Dänisch bearbeitet worden und wies u. a. einen Zug auf, „der gewissermaßen die Volksnatur widerspiegelt“, sowie einen Keim des freien Vortrags in der Prosa, den Molbech in der dänischen Literatur des Mittelalters gesucht hatte.38 ____________ 36 37 38
Vgl. vor allem Wollin 1991, S. 239–241, 253–257. Die Geschichte der Gesellschaftsgründung wird detailliert dargestellt von Frederiksen (Ms. in Arbeit). Vgl. Brandt in Lucidarius 1849, S. XXII–XXVII, XXVII f., XXX; das Zitat auf S. XXVII.
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Es war wohl kaum ohne Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Skandinavismus und der nationalliberalen Politik, dass Det nordiske LiteraturSamfund in den 1860er und 1870er Jahren dahinsiechte. 1879, im Jubiläumsjahr der Kopenhagener Universität, feierte die Gesellschaft jedoch ihre Wiedererstehung als Samfundet til udgivelse af gammel nordisk litteratur (STUAGNL) und bekam zudem sofort einen Zwilling oder Gegenpol in Form der Universitets-Jubilæets danske Samfund (UJDS). Die erste der beiden Gesellschaften wollte, gleich ihrer Vorgängerin, „nordische literarische Denkmäler aus älterer Zeit finden und herausgeben“ (1882 geändert zu „[…] herausgeben und erläutern“)39 und behielt während ihres ganzen knapp hundertjährigen Bestehens (bis 1976) den prunklosen Ausgabenstil ihrer Vorgängerin bei; ein (neues) übergeordnetes Ziel scheint sie dagegen nicht proklamiert zu haben. Vorsitzender wurde Svend Grundtvig (1824–1883), Volkskundler und Veteran des Ersten Schleswig’schen Krieges (1848–1850). Die Konkurrenzgesellschaft, die noch immer existiert, hatte eine zugleich enger und weiter gesteckte Absicht. Enger, weil ihr Interesse nur der dänischen Sprache galt, und weiter, weil dieses sowohl die ältere als auch die neuere Schriftsprache samt Dialekten und Namen umfasste und auch auf andere Weise als durch die Edition (und Erläuterung) älterer Texte gefördert werden sollte; 1895 wurden zusätzlich Literatur und Volkskunde ins Programm aufgenommen.40 Dahinter stand ein Kreis von 14 Männern und zwei Frauen – beide glühende Patriotinnen –, nach dessen Meinung die Erforschung der Muttersprache vernachlässigt worden war zugunsten des Westnordischen (in der Tradition von Rask und Petersen). Die treibende Kraft war ein weiteres Mal der Enthusiast – und Anti-Raskianer – George Stephens, der 1851 an die Kopenhagener Universität berufen worden war.41 Ohne deutliche Aufteilungen untereinander haben beide Gesellschaften seit der Gründung dazu beigetragen, die spärliche altdänische Literatur mit Ausgaben (zumeist als wissenschaftliche Erstausgaben, nur in Einzelfällen als verbesserte Neuausgaben) abzudecken. Alle wurden von Wissenschaftlern der Nordischen Philologie besorgt. Unter den wenigen STUAGNL-Veröffentlichungen befanden sich Mandevilles rejse, 1882, ediert von Markus Lorenzen (1847–1928), sowie En klosterbog (AM 76 8vo), 1928–1933, ediert von Mari____________ 39 40 41
Samfundet til udgivelse af gammel nordisk litteratur. Første årsberetning 1880, S. 2, Tredje årsberetning 1882, S. 2. Vgl. Blandinger udgivne af Universitets-Jubilæets danske Samfund 1 1881–1887, S. IV, 2 1896–1916, S. XXVIII. Vgl. u. a. Bjerrum u. a. 1979, S. 8–11. Zu der einen der beiden Gründerinnen, Pauline Worm, siehe Busk-Jensen 2001, S. 610. Die andere, „Fräulein M. Meinert“, ist vermutlich Marie Meinert (1820–1909[?]).
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us Kristensen (1869–1941). Die etwas zahlreicheren UJDS-Publikationen umfassten u. a. Marius Kristensens Harpestræng, 1908–1920 – eine Sammlung von Kräuter-, Stein- und Kochbüchern, betitelt nach dem vermuteten Verfasser der Kräuterbücher, Henrik Harpestreng (gestorben 1244) –, Paul Diderichsens (1905–1964) Ausgabe von Fragmenter af gammeldanske Haandskrifter, 1931–1937, und Poul Lindegård Hjorths (1927–1998) Ausgabe von Karl Magnus’ Krønike, 1960. Der Gedanke, die Zwillingsunternehmen zusammenzulegen, wurde von der 29-jährigen habilitierten Philologin Lis Jacobsen (1882–1961) im März 1911 in einem Vortrag erwogen, welcher sich als Auslöser eines gewaltigen Auftriebs für die dänische Philologie erweisen sollte. Sie erläuterte, die Quellen müssten in zeitgemäßen Ausgaben (d. h. durch professionelle Philologen) zugänglich gemacht werden, wenn sie das Projekt vollenden solle, dessen erster Teil ihre Dissertation von 1910 gewesen war: eine Gesamtdarstellung der Geschichte der dänischen Schriftsprache. Das Projekt hatte ihr Lehrer Ludvig F. A. Wimmer (1839–1920) schon 1868 skizziert, unter deutlichem Eindruck des für die Nation katastrophalen Verlustes von Schleswig vier Jahre zuvor.42 Statt zu einer Fusion der existierenden Gesellschaften führte der Vortrag einen Monat später zur Bildung einer neuen, Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (DSL). Dank Lis Jacobsens fantastischer Energie, ihrem Organisationstalent und ihrem Flair für Fundraising verwandelte DSL sich im Laufe einiger Jahre von einer rein privaten Herausgebergesellschaft, wie die bisherigen es waren, zu einer größeren Institution mit teilweise staatlich finanzierten Stellen und einem weitreichenden Programm.43 Zur primären Aufgabe von DSL wurde naturgemäß die Verwirklichung der großen anspruchsvollen Korpuseditionen. Eine vollständige Ausgabe der Regionalgesetze wurde sofort bei der Gründung der Gesellschaft im Jahr 1911 in Gang gesetzt44 und erschien im Zeitraum 1933–1961 als Danmarks gamle Landskabslove med Kirkelovene (DgL) 1–8, wobei der Titel nach demjenigen von Svend Grundtvigs klassischem Werk Danmarks gamle Folkeviser (1853– 1976) modelliert war. Die zentralen altdänischen Gesetzestexte wurden redigiert von zwei führenden Forschern der dänischen Sprachgeschichte im 20. Jahrhundert, Johs. Brøndum-Nielsen (1881–1977) und Peter Skautrup (1896– 1982), sowie von Erik Kroman (1892–1982). Letzterer edierte auch Danmarks gamle købstadlovgivning 1–5, 1951–1961, und den ersten Band von Den dan____________ 42 43 44
Vgl. Jacobsen 1951, S. 19 f., Nielsen 1965, S. 28. Der nationale Einschlag bei Wimmer zeigt sich z. B. in seinem Artikel von 1868, S. 303, 312. Zu DSL näher Kondrup unten, S. 239 ff. Vgl. Jacobsen 1951, S. 22 f., Brøndum-Nielsen 1965, S. 17 f.
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ske Rigslovgivning, 1971, fortgesetzt durch Aage Andersen (1989, 1991). Das zweite große Altdänisch-Engagement von DSL – neben den Gesetz- (und Urkunden-)Ausgaben – sind Middelalderens danske Bønnebøger 1–5, 1946– 1982, durch Karl Martin Nielsen (1907–1987). Hinzu kommen insbesondere einige Einzelausgaben (z. B. Gammeldansk Passionstraktat, 1968), mit denen die Gesellschaft die letzten Lücken im bisherigen Ausgabenbestand zu schließen versuchte; alle wurden, in anspruchsloser Ausstattung, zum Gebrauch in Gammeldansk Ordbog (in Ausarbeitung unter DSL-Regie) hergestellt. Den Übergang zum digitalen Zeitalter markiert das Projekt Studér Middelalder på Nettet (begonnen 2003); es umfasst die – besonders leserfreundliche – Netzpublikation von Zeugen einer Reihe zentraler und repräsentativer altdänischer Texte von Skånske kirkelov bis zum Sommerteil von Christiern Pedersens Jærtegns-Postil. Die Basis sind Transkriptionen, die für Gammeldansk Ordbog vorgenommen wurden, und die Zukunftsperspektive ist die Verknüpfung teils mit den Artikeln dieses Wörterbuches, teils mit den übrigen Wörterbuchwerken und Quellenausgaben von DSL.45 Editionen des Ostnordischen quer zu den Grenzen der Gesellschaften oder auch außerhalb von ihnen sind, jedenfalls noch bis vor kurzem, eine Seltenheit gewesen, was das Altschwedische angeht. Vielleicht ist es kein Zufall, dass zwei der wenigen älteren Ausgaben Gutalagen (mit angrenzenden Texten) betreffen, das ja strenggenommen weder altschwedisch noch ostnordisch ist. Herausgegeben wurde Gutalagen teils selbstständig (1859 durch Carl Säve) und teils für STUAGNL (1905–1907 durch Hugo Pipping [1864–1944]). Keinesfalls aber zufällig ist es, dass Oskar Fredrik Hultman (1862–1929) im Jahr 1895 die vermutlich einzige vollständige altschwedische Handschrift aus Finnland, Jöns Buddes bok (Sth. A 58), für Svenska litteratursällskapet i Finland herausgab. Diese Gesellschaft war zehn Jahre zuvor gegründet worden, um – ausdrücklich im finnischen nationalen Geist – das intellektuelle Leben der schwedischen Bevölkerungsgruppe aufrechtzuerhalten und zu stärken.46 Sie publizierte außerdem im Jahr 1919 Äldre Västgötalagen (durch Bruno Sjöros [1880–1927]). In den letzten Jahren führte das erneuerte Interesse an altschwedischer Literatur zur Neuherausgabe einer Reihe kürzerer Texte – z. B. von Skemptan durch Per-Axel Wiktorsson und Lars Wollin, 1997 – in Verbindung mit verschiedenen Spezialuntersuchungen. Im Zuge des großen stiftungsfinanzierten Projektes Vadstenaklostret som text- och handskriftsproducerande miljö überführte Maria Arvidsson im Jahr 2008 Legenden om Barlaam och ____________ 45 46
Vgl. die Homepage des Projektes (http://smn.dsl.dk). Vgl. Steinby 1985, S. 18–20. Zur Gesellschaft näher Forssell unten, S. 472 ff.
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Josaphat sowie die Handschriften Sth. A 10 und D 4 in das elektronische Medieval Nordic Text Archive (Menota).47 Beim Altdänischen waren die Aktivitäten außerhalb der zentralen Gesellschaften umfangreicher. 1853 edierte Thorsen Jyske lov in derselben Aufmachung wie seine übrigen Gesetzausgaben, doch im Gegensatz zu diesen nicht bei Det nordiske Literatur-Samfund, wo N. M. Petersens Jyske lov von 1850 einer neuen (und weniger wunderlichen) Ausgabe dieses Textes im Wege gestanden haben muss (vgl. unten). In den 1860ern und 1870ern war C. J. Brandt rege damit beschäftigt, diverse altdänische Übersetzungsliteratur zu veröffentlichen, die er in unterschiedlichen Kontexten – abhängig vom Inhalt – herausgab (z. B. Dansk Klosterlæsning, 1865; Romantisk Digtning 1–3, 1869–1877). Das 20. Jahrhundert brachte z. B. eine Ausgabe des Arzneibuches in Thott 249 8vo (En middelalderlig dansk Lægebog, 1927) durch den Pharmaziehistoriker Poul Hauberg (1887–1959) sowie eine Ausgabe von AM 76 8vo, 1993–2008, nun mit dem Titel A Danish Teacher’s Manual of the Mid-Fifteenth Century, durch eine fächerübergreifende Gruppe mit dem lundensischen Theologen Sigurd Kroon (1915–2001) an der Spitze. Einen ganz speziellen Anlass hat Brøndum-Nielsens Neuausgabe von J. F. Peringskiölds Runenfragment (Mariaklagen, 1929, publiziert zusammen mit Aage Rohmann [1895–1982]) sowie eines anderen religiösen Fragments, das früher in Schweden herausgegeben worden war. Die beiden Fragmente waren Eroberungen, die Brøndum-Nielsen für Dänemark getätigt hatte, indem er die Sprachform von jüngerem Altschwedisch zu älterem Altdänisch umgedeutet hatte. Eine kleine Textgruppe schließlich wurde in den Faksimile-Reihen Corpus codicum Suecicorum medii aevi 1–20, 1943–1967, und Corpus codicum Danicorum medii aevi 1–10, 1960–1973, des Munksgaard-Verlags veröffentlicht, mit Elias Wessén (1889–1981) und Johs. Brøndum-Nielsen als Hauptherausgebern. Die kostbare Aufmachung signalisiert, dass die ausgewählten Texte den Status von Nationalkleinoden haben. Tatsächlich umfassen sie alte Gesetze, einheimische historische Literatur und Texte, die mit Birgitta und ihrem Kloster in Vadstena zusammenhängen. Der einzige Abweichler ist der dänische Sjælens Trøst, der aus dem Deutschen ins Schwedische und aus diesem ins Dänische übersetzt wurde. Seine Aufnahme in die Sammlung verdankt er möglicherweise der Tatsache, dass er zu Brøndum-Nielsens Entdeckungen aus Schweden gehört und ein entscheidendes Element in dem chronologischen Gerüst hinter dessen sprachgeschichtlichem Hauptwerk Gammeldansk Grammatik 1–8 (1928–1973) darstellt. – Diesen modernen Faksimileausgaben vo____________ 47
Zu diesem Archiv u. a. Haugen oben, S. 29 und Dahlström/Ore unten, S. 160 f.
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rausgegangen sind einzelne fotolithografische aus dem 19. Jahrhundert von besonders kostbaren Schätzen, z. B. der Äldre västgötalag-Handschrift, 1889, und der Runenhandschrift von Skånske lov, 1877. 3.2.
Methode
Die Präzision und Systematik in der Editionsmethode, die sich seit etwa 1825 in Ostnordisch-Ausgaben widerspiegeln kann, ist besonders auf zwei wissenschaftliche Errungenschaften zurückzuführen: die Gründung der vergleichenden historischen Sprachwissenschaft um 1820 (durch Rask u. a., vgl. oben S. 70 ff.) und das Ausreifen der genealogischen oder stemmatischen Methode der Textkritik um 1830. Letztere hat hauptsächlich Bedeutung für die Textauswahl in Werkausgaben (was die weitaus meisten Ausgaben sind), erstere für die Textwiedergabe.48 Im Folgenden wird sich die Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, wie die Ostnordisch-Herausgeber diese beiden zentralen Aufgaben gelöst haben. Wenn ein Werk in mehrfachen Exemplaren überliefert ist, von denen keines das Original ist (und so verhält es sich zumeist bei mittelalterlichen Werken), steht der Herausgeber normalerweise vor einem Dilemma. Hier lockt die stemmatische Methode mit einem Angebot, das nicht zuletzt an die Originalitätsverehrer der Romantik appelliert haben muss: systematischer Zugang durch eine Hypothese über den Überlieferungsverlauf – d. h. eine Hypothese darüber, welche der gesamten Textzeugen von welchen abstammen (grafisch dargestellt in Form eines Stammbaums, stemma) – zu einem so ursprünglichen Wortlaut, wie ihn die Überlieferung überhaupt durch Rückschließen zu erreichen gestattet, dem Archetypus. In der Praxis pflegen Herausgeber nordischer mittelalterlicher Werke ihren Lesern den Archetypus auf eine von zwei Vorgehensweisen zugänglich zu machen. Die eine ist die eklektische; hier wird der Wortlaut in dem als Druckgrundlage ausgewählten Textzeugen – meist dem ältesten vollständigen – überall dort, wo er als nicht ursprünglich (sekundär) vermutet wird, durch vermutet ursprünglichen (primären) Wortlaut anderer Textzeugen ersetzt und der vermutet sekundäre Wortlaut in den Variantenapparat verwiesen. Die Alternative ist die ‚Beste-Handschrift‘-Methode; hier bleibt der Wortlaut unrestituiert nach dem am besten geeigneten Textzeugen – meist dem ältesten vollständigen –, und abweichender Wortlaut anderer Zeugen wird im Apparat angeführt. In diesem Fall muss der Leser selber das Stemma benutzen, um zwischen eventuell primärem und eventuell sekundärem Wortlaut in Text ____________ 48
Zu ‚Werk‘ in der in diesem Zusammenhang verwendeten Bedeutung z. B. Haugen 2004, S. 82 f.
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und Apparat zu unterscheiden; dafür bleibt die Authentizität stets bewahrt, anders als beim eklektischen Verfahren.49 Wie von Gösta Holm nachgewiesen, findet sich das älteste überhaupt bekannte Stemma in Collins und Schlyters Ausgabe von Västgötalagen (SGL 1), die 1827 in Stockholm erschien.50 In Kopenhagen feierte die Stemmatik in den 1830ern und 1850ern frühe Triumphe innerhalb der klassischen bzw. altnordischen Philologie.51 Nichtsdestoweniger beginnen die stemmatischen Ostnordisch-Ausgaben erst im 20. Jahrhundert richtig zu florieren, ironischerweise gerade zu der Zeit, als die Methode einem nie ganz verwundenen Angriff (1913 und mit erneuerter Kraft 1928) seitens des französischen Romanisten Joseph Bédier (1864–1938) ausgesetzt war.52 Aus dem 19. Jahrhundert existieren aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein einziges grafisch skizziertes Stemma, das von SGL 1, und eine einzige glücklich durchgeführte stemmatische Ostnordisch-Ausgabe, Mandevilles rejse durch Markus Lorenzen.53 Letztere gibt zwar kein Stemma grafisch wieder, doch die Verwandtschaft der Textzeugen ist vollständig dargelegt und der nach der A-Handschrift vorgelegte Text überall dort restituiert, wo der Wortlaut von A als sekundär im Verhältnis zu dem der übrigen Handschriften befunden wurde.54 Vielleicht aufgrund des Erfolgs mit der anscheinend dankbaren MandevilleÜberlieferung wurde Markus Lorenzen als philologischer Ratgeber für den Juristen Vilhelm Adolf Secher (1851–1918) angeheuert, der Ende der 1880er Jahre ein aktualisiertes dänisches Pendant zu SGL vorbereitete. Sechers und Lorenzens Projekt scheiterte jedoch, weil sie weder „das Chaos der Handschriften durchblicken“ noch ihr „Material in Klassen oder ein StemmaSystem“ eingruppieren konnten.55 Die Ursache war wahrscheinlich die gleiche ____________ 49 50
51 52 53
54 55
Näheres zu der gut beschriebenen Methode z. B. bei Haugen 2004, S. 105 ff. mit Hinweisen. Vgl. Holm 1972, S. 76 ff. Näheres zum 1827-Stemma Froger 1978, Frederiksen 2009, S. 131 ff. Zu dessen möglichem wissenschaftsgeschichtlichem Hintergrund Frederiksen 2009, S. 137 ff. Vgl. u. a. Frederiksen 2005, S. 115 f. Vgl. Speer 1995, S. 394–398. Zu Kristen Jensen Lyngbys (1829–1871) leicht rätselhaftem Jyske-lov-Stemma von 1863 außerhalb des Editionszusammenhangs Frederiksen 2005, S. 118–120. Es zeigt sich, dass es noch ein Stemma aus dem 19. Jahrhundert gibt, publiziert in fast ebenso überraschendem Zusammenhang wie Lyngbys: in der Zeitschrift Blandinger udgivne af Universitets-Jubilæets danske Samfund 1, 1881–1887, S. 147. Dieses Stemma stellt die Überlieferung des kurzen dänischen Textes Erik glippings almindelige byret dar und ist völlig professionell. Dass sein Urheber der unten erwähnte V. A. Secher ist, ist zweifellos kein Zufall. – Natürlich darf man nicht ausschließen, dass sich andere Stemmata in ähnlichem atypischen Zusammenhang verbergen. Vgl. Frederiksen 2005, S. 121. Beide Zitate aus Brøndum-Nielsen 1965, S. 19. Im DSL-Archiv liegen nähere Informationen über das gescheiterte Projekt.
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wie die, mit der vorzugsweise erklärt wird, warum das SGL-1-Stemma nicht die ganze Wahrheit über die Västgötalag-Überlieferung sagt und warum in SGL 2–12 weder Stemmata noch Versuche zur Durchstemmatisierung der verschiedenen Gesetzüberlieferungen, sondern nur vereinzelte stemmatische Überlegungen zu finden sind: Kontamination, das heißt, der einzelne Schreiber hat nicht nur von einer einzelnen Handschrift abgeschrieben, sondern gleichfalls aus anderen Quellen geschöpft. 56 Dadurch wird es schwierig oder unmöglich, ein Stemma aufzustellen und den Archetypus zu gewinnen. Trotz fehlender Durchstemmatisierungen restituiert SGL gelegentlich den Wortlaut der Texthandschriften in Richtung Archetypus (und Original?).57 Abgesehen hiervon wird die Textauswahl in SGL, deren Editionsprinzipien in den 1820er Jahren festgelegt wurden, ebenso wie in einer heutigen wissenschaftlichen Ausgabe gehandhabt.58 Nur der Skånske-lov-Band vermittelt das Gefühl, dass die Texthandschrift vielleicht eher in einem Anfall von neu aufloderndem Götizismus als aufgrund einer unparteiischen wissenschaftlichen Betrachtung ausgewählt wurde.59 Die sonstigen Herausgeber des 19. Jahrhunderts trafen die Textauswahl auf traditionelle vorwissenschaftliche Weise, was natürlich nicht ausschließt, dass bei einigen eine Kenntnis des stemmatischen Denkens und womöglich auch seiner Bedeutung durchschimmern konnte.60 Eklektizismus in größerem Stil praktizierte nur N.M. Petersen. Da er das Altdänische ja hinaus ins Volk bringen wollte und daher nichts von umfangreichen Apparaten hielt, bastelte er einen Jyske lov-Text aus guten Lesarten zusammen, die er aus 10–20 der (heute bekannten) knapp 250 Handschriften des Gesetzes entnommen hatte, augenscheinlich ohne sich von irgendetwas anderem leiten zu lassen als von dem, was er als den „Sinn“ ansah, „so wie er in allen Handschriften zusammen und in der Sache selbst vorliegt“.61 Eine andere Form von politisch motiviertem Eklektizismus praktizierte Klemming in seiner Ausgabe von Birgittas uppenbarelser aus den Jahren 1857–1884, die noch keinen Nachfolger gefunden hat. Der Text ist gedruckt nach der Handschrift Sth. A 33, so weit sie reicht (3. Buch inkl.), der Rest dagegen nach Sth. A 5 a, die nicht nur als älter gilt, ____________ 56 57 58
59 60 61
Vgl. Froger 1978, S. 187; Holm 1972, S. 59 f. (gegenüber Modéer 2000–2002, S. 559, wo der Eindruck einer Durchstemmatisierung der gesamten SGL entstehen könnte). Vgl. Holm 1972, S. 61–64, 78 zu Schlyters überwiegend auf stemmatischem Denken basierten Restitutionen. Ein Beispiel für weitergehende Restitution führt SGL 9 1859, S. 87, Anm. 9, an. Vgl. näher Holm 1972, u. a. S. 48 f. (zur Ermittlung möglichst aller Textzeugen), S. 69 (zur Elimination von Abschriften erhaltener Handschriften), S. 60, S. 66 ff. (zur Auswahl von Textgrundlage bzw. Varianten). Vgl. SGL 9 1859, S. IX ff.; Henrikson 2007, S. 117 ff. Vgl. z. B. Hertig Fredrik 1853, S. 227 (wo Klemming einen stemmatischen Blickwinkel anlegt), Frederiksen 2005, S. 123 (zu Brandt). Jyske lov 1850, S. 8. Vgl. Frederiksen 2005, S. 117.
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sondern auch sämtliche acht Bücher enthält. Gegenüber dem verwunderten Leser hatte er die Argumente parat: Der Anfang von A 5 a leide „an einem Haufen Danismen“,62 die Leser sollten unterschiedliche Abschriften kennen lernen, und zudem habe der Anfang von A 5 a den Makel, dass drei Kapitel des schwedischen Textes durch den entsprechenden lateinischen ersetzt seien.63 Ein Beweis dafür, dass die ostnordischen Philologen um 1910/20 die Stemmatik ganz selbstverständlich übernommen hatten, ist Marius Kristensens Harpestræng, dessen Stemma 1908 fertig vorgelegen haben muss; der hier edierte Kräuterbuchtext auf der Basis von K 48 ist die zweite und letzte stemmatische Altdänisch-Ausgabe eklektischen Typs.64 Die übrigen relevanten Altdänisch-Ausgaben, die drei Gesetzesreihen von DSL, sind alle ‚BesteHandschrift‘-Ausgaben. Die älteste und größte, DgL 1–8 (begonnen 1911), die als einzige bei dieser Gelegenheit genauer untersucht wurde, ist dies aus guten Gründen.65 Das Vorwort zu Band 1, 1933, Skånske lov, charakterisiert die vorliegende Ausgabe als Gegensatz zur Vorgängerin, SGL 9, 1859: Dort habe Schlyter, so der Verfasser des Vorworts, „keinen Versuch zur Gruppierung der Handschriften [nach Verwandtschaft]“ unternommen.66 Entspricht dies auch nicht ganz der Wahrheit (vgl. oben), so stimmt es doch, dass DgL anders als SGL konsequent versucht, Handschriftengruppierungen durchzuführen, und normalerweise auch die Resultate in Stemmaform präsentiert. Dass die Archetypen sich in der Ferne verlieren, kann jedoch für die dänischen Gesetze ebenso wenig bezweifelt werden wie für die schwedischen, und wie erwähnt ist der Grund zweifellos Kontamination von mehr oder weniger schwerem Grade. Dies scheint u. a. deutlich durch Skautrups Worte hindurch, warum er die Gruppierungen der Jyske-lov-Handschriften, die er ansonsten tapfer vorzunehmen versuchte, nicht gründlicher darlegen wolle: Dies „würde nur neue unlösbare Fragen zu Abhängigkeit und Verwandtschaftsverhältnis hervorbringen“.67 Unter diesen Umständen ist die einzige Möglichkeit eine ‚BesteHandschrift‘-Ausgabe mit unrestituiertem Text und vollem Variantenapparat. Nicht nur wegen des Umfangs der Überlieferung wurden die Variantenapparate reichlich gefüllt, sondern auch, weil die Herausgeber weitgehend mit ihnen die wichtige sprachliche Aufgabe zu lösen versuchten, die ihnen aufgetragen ____________ 62 63 64 65
66 67
Birgittas uppenbarelser 1857–1884 5, S. 147. Vgl. Birgittas uppenbarelser 1857–1884 5, S. 146 f. Vgl. Frederiksen 2005, S. 123 f. Zur besonderen Einrichtung der Ausgaben der Stadt- und Reichsgesetzgebung mit einem Siglierungssystem statt eines grafischen Stemmas siehe u. a. Frederiksen 2005, S. 125 mit Hinweisen. DgL 1 1933, S. II. DgL 2 1933, S. LIV.
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worden war (vgl. oben). Schlyter hatte schon 1865 sein gnadenloses Urteil (mit eingeflochtenem Ovid-Zitat) gerade über derartige Unternehmen gefällt: „konnte man damit nichts anderes zustandebringen, so würde man zumindest eine solche rudis indigestaque moles von Anmerkungen produzieren, die das ganze Werk unbrauchbar für seinen eigentlichen Zweck machte“.68 Die stemmatischen Altschwedisch-Ausgaben des 20. Jahrhunderts resultieren fast alle aus dem New Deal, den Svenska fornskriftsällskapet um 1920 ins Werk setzte und den ein Wechsel in den Untertiteln von „Nach alten Handschriften herausgegeben“ o. ä. zu „Kritische Ausgabe“ o. ä. widerspiegelt. Insgesamt gibt es fünf größere reguläre stemmatische Ausgaben: Flores och Blanzeflor, 1921, durch Emil Olson; Erikskrönikan, 1921, durch Rolf Pipping (1889–1963); Hertig Fredrik, 1927, und Herr Ivan, 1931, durch Erik Noreen (1890–1946); sowie Namnlös och Valentin, 1934, durch Werner Wolf (1906– 1967); die letztgenannte ist methodisch zweifelhaft.69 Olson und Noreen sind Eklektiker, obwohl die Flores- und Herr Ivan-Überlieferungen beide kontaminiert zu sein scheinen und daher nicht auf ganz sichere Stemmata gegründet werden können. Pipping dagegen ist ‚Beste-Handschrift‘-Editor, obwohl er ein Stemma ohne Kontamination aufstellt (und es mit knapper Not in die Zweitausgabe von 1963 rettet). Diesen fünf Ausgaben schließen sich u. a. einige an, die frühere Ausgaben der betreffenden Werke ergänzen (nicht ersetzen) und durch Stemmatisierung den Weg zu den Archetypen weisen: Upplandslagen, 1934 und 1967, durch Sam. Henning (1888–1968) sowie Karl Magnus, 1957, durch David Kornhall (zusammen mit Klemmings Ausgabe in Prosadikter från Sveriges medeltid, 1887–1889). Einzelne dänische Werkausgaben, die herausgekommen sind, nachdem sich die stemmatische Methode in der ostnordischen Philologie allgemein durchgesetzt hatte, sind nicht stemmatisch orientiert. Wenn die Leser von Middelalderens danske Bønnebøger 1–5 keinen Wegweiser zu den Archetypen für die einzelnen Gebete (nummeriert 1–1182) der Ausgabe erhalten, so dürfte dies damit zusammenhängen, dass Karl Martin Nielsen zwei Editionsaufgaben in einer Ausgabe zu lösen versucht, jedenfalls im Hauptstamm der Ausgabe (Band 1–3). Nach dem Titel zu urteilen, ist das eigentliche Projekt die Herausgabe größerer Einheiten: einer Reihe altdänischer Gebet-Anthologien, die in ihrer Eigenschaft als Anthologien normalerweise nur in einer einzelnen Handschrift überliefert sind. Als Zugabe werden jedoch auch kleinere Einheiten herausgegeben: die einzelnen Gebete, aus de____________ 68 69
SGL 11 1865, S. CI. Zum Variantenapparat in DgL und zur Diskussion hierüber zuletzt Frederiksen 1991. Zur letzten näher Kornhall 1959, S. 46–58.
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nen die Anthologien bestehen und die häufig in mehr als einer Handschrift überliefert sind. Für sie wird der Text der herausgegebenen Anthologiehandschrift zwangsläufig zum Haupttext, ungeachtet seiner Eignung, und die übrige Überlieferung des Gebets wird in einem Apparat ohne Stemmabegleitung präsentiert. Eine Stemmatisierung der dänischen Gebetsüberlieferungen ist wohlgemerkt auch nicht einfach, u. a. weil sie die Ermittlung der fremden Quellen voraussetzt, aus denen die Mehrzahl der 1182 Gebete vermutlich stammt. Hinter Poul Lindegård Hjorths stemmaloser synoptischer Ausgabe der drei Textzeugen von Karl Magnus’ Krønike liegt keinesfalls eine unklare Planung, sondern im Gegenteil selbstgewählter Agnostizismus gegenüber dem Archetypus (welchem abzusagen ja bereits Bédier beschlossen hatte). Dies darf man aus Hjorths redaktioneller Anleitung für die Leser schließen, die nur zwei übergeordnete Auskünfte gibt: dass die Herausgeberkorrekturen aufs Minimale beschränkt sind, weil „die drei Texte weitgehend einander korrigieren“, und dass der textlich interessierte Leser seinen Bedarf voll durch den Zeugen mit der Bezeichnung 1534 befriedigt sehen kann.70 Es zeigt sich, dass dieser zu einem Typ gehört, der bei stemmatischem Vorgehen sofort eliminiert worden wäre, da er von einem anderen bewahrten Zeugen abhängig und somit ohne Beweiskraft im Hinblick auf den Archetypus ist. Hjorth verrät nicht direkt, warum er sämtliche Zeugen vorlegt, obwohl er dem Leser mit einem einzelnen dienen zu können glaubt; aber zweifellos liegt dies daran, dass die Überlieferung für ihn primär sprachliches Quellenmaterial ist.71 In gleicher Weise dürfte die synoptische DSL-Ausgabe der Textzeugen von Gammeldansk Passionstraktat zu verstehen sein. Tatsächlich ist es ein Merkmal der neueren ostnordischen Editionstradition – im Unterschied z. B. zur altnordischen –, dass, sobald die Herausgeber zur Textwiedergabe gelangen, ihre Objekte in der Regel den Charakter sprachlichen Quellenmaterials annehmen. Bereits die Herausgeber des 17. Jahrhunderts hatten sich für die mittelalterliche Sprache interessiert, und bei Editoren des 18. Jahrhunderts wie z. B. Langebek und Kofod Ancher führte das Sprachinteresse sichtlich zu Bestrebungen um dokumentengetreue Textwiedergabe (Diplomatisierung).72 Mit dem sprachwissenschaftlichen Pioniereinsatz von Rasmus Rask und seinen Kollegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Mittelaltermaterial jedoch plötzlich zum Hauptfundament einer Wissenschaft, ____________ 70 71 72
Karl Magnus’ Krønike 1960, S. LX. Vgl. Hjorth 1968, S. 9. Zu Langebek und Kofod Ancher siehe Frederiksen 2001, S. 124 f., 2005, S. 112 f. Dass es das sprachliche Interesse im 17. Jahrhundert gab, ist z. B. ersichtlich aus Konungastyrelsen 1634, S. A iiij r f., Södermannalagen 1666, S. ij r–v, Skånske lov 1676, [Vorwort] „Till läsaren“ („An den Leser“), Versoseite des Titelblattes.
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der mit Recht eine strahlende Zukunft prophezeit wurde: der Sprachgeschichte. Fortan sahen es die allermeisten Ostnordisch-Editoren anscheinend als ihre simple Pflicht an, die Texte diplomatisch präzise wiederzugeben; kraft des Fortschritts der Sprachwissenschaft waren sie auch bedeutend besser als früher imstande, sie genau zu lesen. Der Programmerklärung von Svenska fornskriftsällskapet zufolge hatte der Vorstand der Gesellschaft buchstäblich als „strengsten Grundsatz“ festgelegt, dass die alten Handschriften „mit der sorgfältigsten Genauigkeit“ abzudrucken seien, weil man den kommenden Ausgaben einen „nicht zu ermessenden Einfluss“ auf die schwedische Sprachforschung zutraute.73 Die momentane Blindheit, die sich bei ansonsten Scharfäugigen wie Klemming und Geete einstellte, wenn sie lateinischen Autoritätszitaten in den Postillen gegenüberstanden, unterstreicht, dass die Gesellschaft die schwedische Sprachforschung (mit Betonung auf sowohl schwedisch als auch Sprach-) als ihren Hauptinteressenten betrachtete.74 Die Hauptregeln für die Textwiedergabe, die der größte Teil der Ostnordisch-Editoren in der wissenschaftlichen Periode befolgt hat, lassen sich wie folgt spezifizieren: 1) Man transkribiert buchstabengetreu, was in der Regel rein pragmatisch bedeutet, dass man den nächstliegenden Druckbuchstaben verwendet. Einige Editoren, besonders unter den späteren, transkribieren auch zeilengetreu (aus rein praktischen Gründen evtl. außerdem seitengetreu). 2) Man pflegt Abkürzungen aufzulösen und (jedoch normalerweise nicht in lateinischen Einschüben) das Aufgelöste grafisch – in der Regel kursiv – auszuzeichnen. Collin und Schlyter waren warme Fürsprecher einer Auszeichnung aufgelöster Abkürzungen und forderten andere auf, ihrem Beispiel zu folgen;75 der einzige Unterlassungssünder ist wohl der editorische Nestor, Molbech. 3) Banale Schreib-/Druckfehler berichtigt man meist und vermerkt in diesem Fall die Korrektur. Allerdings hat der Begriff „banale Schreib-/Druckfehler“ im Zusammenhang damit, dass die ostnordische Mittelaltersprache besser bekannt wurde (u. a. durch die aus den Ausgaben hervorgegangenen Wörterbücher und sprachgeschichtlichen Werke), erhebliche Einschränkungen erfahren.76 ____________ 73 74
75 76
Arwidsson in der in Anm. 32 erwähnten Rede, hier nach Collijn 1944, S. 43 f. Vgl. MP 1 1879, S. 364; MP 3 1893, [Nachwort]; MP 4 1905/06, S. 287; MP 5 1909/10, S. 249. Vgl. oben S. 81 f. zu Klemmings Argumentation für den Vorlagenwechsel in der Birgitta-Ausgabe. Vgl. SGL 1 1827, S. LXVI. Beispiele für die Umdeutung vermuteter Schreibfehler in reguläre Sprachformen gibt es u. a. bei Hugo Pipping in Gutalagen 1905–1907, S. LI, und Dahlerup 1909, S. 40 ff.
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Bei der Interpunktion der Quellen, dem Gebrauch von Groß- und Kleinbuchstaben und der Aufteilung des Textstrangs in Wörter gab es besonders in älterer Zeit die Tendenz, moderne Regeln anzuwenden. Typischerweise ist die Diplomatisierung in den diplomatischen Ausgaben nur dann ganz suspendiert worden, wenn der Herausgeber sich aus Rücksicht auf den Text gezwungen sah, Lesarten aus anderen Handschriften zu entlehnen. Solche Lesarten – in der Regel grafisch als Rekonstruktionen markiert – wurden in älterer Zeit mitunter der Sprachform ihrer neuen Umgebung angeglichen.77 Aufgrund seiner eigentümlichen Textauswahl war N. M. Petersen naturgemäß daran gehindert, dem oben skizzierten Muster zu folgen. Sein Jyske lov von 1850 war jedoch auch nicht als sprachgeschichtliche Quellenausgabe, sondern eher als Lesevergnügen für Sprachinteressierte gedacht, und diese sollten seiner Meinung nach den Text in einer so archaischen Form wie nur möglich genießen. Deshalb wurde seine Textwiedergabe ebenso wie die Auswahl zur Kompilationsarbeit: In qualvoller Wahl entnahm er seinem zufälligen Handschriftenmaterial die vermutet ältesten Sprachformen, die er dann lediglich einer leichten orthografischen Uniformierung unterzog (welche in einigen Punkten auffällig an Rasks und Petersens eigenen kontroversen Vorschlag zur zeitgenössischen dänischen Rechtschreibung erinnert).78 Ohne in irgendeiner Weise in dasselbe Extrem wie Petersen zu verfallen, was schon die abweichende Natur des Materials verbot, schlug sein jüngerer Freund Carl Säve in seiner Ausgabe von Gutalagen etc., 1859, einen normalisierenden Kurs ein, und als Christine Peel 140 Jahre später dem internationalen Publikum den interessanten epischen Anhang zu Gutalagen, Guta saga, präsentierte, erschien endlich die dritte und wahrscheinlich letzte normalisierte Primärausgabe, in diesem Fall jedoch nur mit leichter orthografischer Normalisierung.79 Generell muss auch gesagt werden, dass die ostnordischen und insbesondere die dänischen Quellen im Gegensatz zu den westnordischen zur Normalisierung wenig geeignet sind, da die sprachliche Variation der Handschriften – eine Folge der besonders in Dänemark galoppierenden Sprachentwicklung – den Abstand zwischen einer beliebigen Norm und der dahinterliegenden Handschriftenwirklichkeit unverhältnismäßig groß werden lässt; diese Tatsache trägt zweifellos ____________ 77 78 79
Vgl. Holm 1972, S. 69 und Frederiksen 2005, S. 121 f., S. 124 über diese Praxis bei Schlyter, Markus Lorenzen und Marius Kristensen. Vgl. u. a. Frederiksen 1997, S. 24 f.; 2001, S. 127. Vgl. Gutalagen 1859, S. V, XIII, 59 ff., Guta saga 1999, S. lx. Normalisierte Sekundärausgaben gibt es einige, z. B. Bruno Sjöros’ Paralleltext zu dem diplomatisch wiedergegebenen Text in Äldre Västgötalagen, 1919, und (am Ende des 20. Jahrhunderts) Sven-Bertil Janssons gelungene Glättungen einiger schwedischer Reimchroniken.
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dazu bei, dass die ostnordische Editionstradition so einseitig in eine diplomatische oder regelrecht in eine faksimilierende Richtung geht. Abweichungen von den Hauptregeln in letztgenannter Weise – zu Gunsten des Interesses an der materiellen Ausformung von Handschriften – existieren außer in den regulären Faksimileausgaben in einer Reihe früher Ausgaben, die zwischen gewissen Typen von Allographen unterscheiden (z. B. bei HylténCavallius und älteren UJDS-Herausgebern), in einzelnen neueren Ausgaben, die Seiten- und evtl. Spaltenaufstellung reproduzieren (z. B. Wars Herra Pino bok) sowie in den drei in Faksimile wiedergegebenen Menota-Texten.80 Der Apparatteil in Ostnordisch-Ausgaben der wissenschaftlichen Periode zeichnet sich dadurch aus, dass er – anders als in der vorangegangenen Periode – in der Regel kommentarlos ist; im Takt mit dem Wachsen der Wörterbuchliteratur werden Glossare selten. Die Herausgebersprache ist normalerweise Schwedisch oder Dänisch, abgesehen von den beiden Außenpunkten der Periode: In der heutigen Zeit breitet sich allmählich Englisch aus, jedenfalls in Ausgaben von Texten mit fremden Wurzeln, und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte(n) (Collin und) Schlyter SGL mit größter Selbstverständlichkeit der internationalen Gelehrtenrepublik zugänglich, indem sie/er den meisten Paratext (bis einschließlich Band 6, 1844) sowohl auf Latein als auch auf Schwedisch veröffentlichte(n). SGLs professioneller Standard zeigt sich im Übrigen auch in den Handschriftenbeschreibungen, die ein viel höheres Niveau haben als diejenigen der 100 Jahre jüngeren DgL; dass Letztere äußerst dürftig sind, liegt jedoch wahrscheinlich daran, dass ein geplanter zusätzlicher Band mit ausführlicheren Beschreibungen aufgegeben wurde.81
4.
Ausblick
Wie ersichtlich war, wird die (nicht-kamerale) ostnordische Schriftüberlieferung aus dem Mittelalter seit 400 Jahren kontinuierlich ediert, und es darf vermutet werden, dass dieser Zustand noch eine geraume Zeit andauern wird. Jedenfalls ist noch ein langer Weg zurückzulegen, bis die Interessen, die bislang dem Material entgegengebracht wurden und von denen jedes einzelne Interesse für sich legitim ist, befriedigt sind. Das erste Interesse, dasjenige an den Werken im abstrakten Sinn, wurde am weitaus häufigsten berücksichtigt. Dennoch gibt es immer noch einzelne Wer____________ 80 81
Vgl. Frederiksen 2001, S. 132 f. zu den älteren UJDS-Ausgaben. Zu Faksimiledruck Haugen 1995, S. 72 ff. Der Band wird erwähnt in einem Editionsplan von 1928 im DSL-Archiv.
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ke, die auf ihre erste wissenschaftliche Ausgabe warten, z. B. das altdänische Knittelgedicht über die 15 Zeichen vor dem Jüngsten Tag.82 Auf kritische (evtl. stemmatische) Behandlung warten auch immer noch zahlreiche andere Werke, darunter insbesondere große Teile der birgittinischen Literatur. Beispielsweise sind Bridget Morris’ und Inger Lindells Ausgaben verschiedener Bücher der Offenbarungen Birgittas nach Ups. C 61 nur Vorläufer einer ersten kritischen Ausgabe dieses Hauptwerkes der nordischen Mittelalterliteratur,83 und mit Roger Anderssons Neuausgabe von MP 1 einschließlich des Fünftels, das lateinisch verfasst ist und deshalb von Klemming weggelassen worden war,84 hat die Editionsphilologie lediglich eine erste Rate ihrer Schuld gegenüber der Postillenforschung abgetragen. Das zweite Interesse ist dasjenige an den konkreten Textzeugen, vor allem als Zeugen der Sprachgeschichte sowie der Zeiten, Orte oder Milieus, in denen der Text nachgeschaffen wurde. Insbesondere der französische Linguist Bernard Cerquiglini hat bei den Philologen den Sinn für den letztgenannten Aspekt geweckt, u. a. durch sein berühmtes Diktum, dass die mittelalterliche Schriftkultur nicht Varianten hervorbringt, sondern Variation ist.85 Da die übliche Strategie gegenüber größeren Textüberlieferungen (z. B. denen der Gesetze) ja darin bestand, einen einzelnen Zeugen abzudrucken und das übrige Material bloß sporadisch im Variantenapparat zu verwerten, ist diesem Interesse bislang nur in recht bescheidenem Umfang Rechnung getragen worden (abgesehen davon, dass die DgL-Herausgeber den Apparat in zweifelhafter Weise für sprachliche Zwecke nutzten). Zwar haben Svenska fornskriftsällskapet, die DgL-Herausgeber u. a. m. einzelne Zeugen zusätzlich zu den Haupttexten der Werkausgaben gedruckt wiedergegeben, doch handelt es sich bei den bisher Berücksichtigten zum einen nur um eine kleinere Auswahl und zum anderen fast ausschließlich um ehrwürdige alte Zeugen, besonders von Gesetzestexten. Dagegen hat man z. B. noch nie die drei jungen Handschriften Q, R und S von Erikskrönikan ediert, die unstreitig in weiter Entfernung vom Archetypus liegen, sich dafür aber dadurch auszeichnen, dass sie den impliziten 3.-PersonErzähler gegen einen Erzähler in der 1. Person ausgewechselt haben und somit eine völlig andere Redaktion als der Haupttext repräsentieren.86 Das dritte Interesse gilt den einzelnen Handschriften in ihrer Gänze als Artefakten. Ernsthaft ins Blickfeld gerückt hat sie so erst die moderne Materialphilologie oder New Philology, die u. a. die ursprüngliche Funktion und Um____________ 82 83 84 85 86
Vgl. Odenius 1977, col. 138. Vgl. Birgittas uppenbarelser 1991, S. 3 (Anm. 8). Vgl. Sermones sacri Svecice 2006, S. 11 f. Vgl. Cerquiglini 1989, S. 111. Vgl. Jansson 1992, S. 123.
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gebung von Handschriften durch Untersuchung von Textzusammenstellungen, Handschriftengrafik, Paratexten etc. zu bestimmen versucht.87 Abgesehen von Handschriften, die zufälligerweise ausschließlich ein und denselben Text enthalten, und Anthologiehandschriften mit gleichartigen kleineren Texten (z. B. Gebeten und Legenden) ist nur eine winzige Anzahl gesamter Handschriften ediert worden, und die wenigsten sind in der Reproduktion so präzise an das Artefakt angenähert, wie es wünschenswert wäre. Dass es genug aufzugreifen gibt, geht aus Jonas Carlquists Monografie von 2002 über eine Reihe schwedischer Sammelhandschriften hervor. Wie seinem visionären Artikel von 2004 zu entnehmen ist, sollte dies am besten durch digitale Ausgaben geschehen, da sie über bisher ungekannte Möglichkeiten verfügen, die in dem mittelalterlichen Buchmaterial verborgenen Botschaften zu ihrem Recht kommen zu lassen. Aus dem Dänischen von Christine Todsen
Abstract This chapter presents a retrospective view of the editorial work done on East Nordic (i. e., Swedish and Danish) medieval texts in the course of the last four centuries. Attention is paid exclusively to scholarly editions of law texts and literary texts (in a broad sense of the word ‘literary’) transmitted on parchment or paper. The four centuries have been split up into a pre-scientific period and a scientific one, with the division running approximately around 1825/1850. The pre-scientific period is treated in summary fashion because Lars Wollin’s chapter pays detailed attention to the Swedish editions of that period. The interest of the pre-scientific editors was in both Sweden and Denmark concentrated on historical texts and law texts but while Gothicism and patriotism provided a breeding ground for a flourishing editorial activity in Sweden until the end of the period when Sweden was a Great Power (1721), there was at the same time a practical standstill in editorial activity in the non-Great Power Denmark. In the final century of the period editors in both countries lay under the influence of the French school of historical criticism. The designation pre-scientific reflects the haphazard approach to the selection of the basic text for publication and the low standards of accuracy shown in the reproduction of these texts. ____________ 87
Vgl. z. B. Carlquist 2004.
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The establishment of historical linguistics as a field of study and the Romantic enthusiasm for Old Nordic literature and the Nordic medieval languages led to the creation of chairs in Nordic languages and the foundation of societies dedicated to the promotion of medieval literature in the decades around 1850. Since that time the vast majority of the surviving East Nordic texts, irrespective of their genre, has been published, (mainly) by professional philologists, (mainly) working within institutional frameworks. Throughout this period editors have in general had a scientific method – the so-called genealogical or stemmatic method – to aid them in the selection of texts to be published. Apart, however, from sporadically in the Samling af Sweriges gamla lagar (Corpus of Old Swedish Laws), the first volume of which distinguishes itself by publishing the oldest known example of a stemma (1827), the stemmatic method would only seem to have made any lasting impression after 1900, as far as East Nordic texts are concerned. The East Nordic manuscript material has on the whole proved too intractable for the method to be considered a complete success. Text reproduction in the scientific period would seem to be characterised by their editors treating the objects of their research as a linguistic-historical source material and they have therefore imposed upon themselves a rule of maximum fidelity to the manuscripts, at all events from the level of the orthography and upwards.
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Wilhelm Liffman und George Stephens. Stockholm 1849 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 5). [Herr Ivan.] Herr Ivan. Kritisk upplaga. Hrsg. von Erik Noreen. Uppsala 1931 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 50). [Hertig Fredrik.] Hertig Fredrik af Normandie. Ett Qwäde från Medeltiden. Hrsg. von Gustaf Wilhelm Gumælius. In: Iduna. En skrift för den nordiska fornålderns älskare 9 (1822), S. 119–188 [ebenfalls in Stockholm 1822 als Sonderdruck erschienen; Seitenzahlen im vorliegenden Beitrag verweisen darauf], 10 (1824), S. 99–178. [Hertig Fredrik.] Hertig Fredrik af Normandie. En medeltids-roman. Efter gamla handskrifter på svenska och danska. [Hrsg. von Gustaf Edvard Klemming; auf dem Titelblatt: J. [=Johan] A. [= August] Ahlstrand.] Stockholm 1853 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 11). [Hertig Fredrik.] Hertig Fredrik av Normandie. Kritisk upplaga på grundval av Codex Verelianus. Hrsg. von Erik Noreen. Uppsala 1927 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 49). [Historia Sancti Olai.] Sanct Olaffs saga på swenske rim. Fordom öffwer 200 år sedan uthdragin af then gambla och widlyftige norske sagan och här korteligare författat […] item några norske föreningar medh Swerige […] Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1675. [Hr. Michael.] Præsten i Odense Herr Michaels tre danske Riimværker fra A. 1496: Om Jomfru Mariæ Rosenkrands, Om Skabelsen, og Om det menneskelige Levnet. Hrsg. von Christian Molbech. Kopenhagen 1836. [Hälsingelagen.] Hälsinge laghen, som öfwer alle Norlanden […] fordom brukades […] Efter then stormächtige höghborne furstes och herres, Her Carls then Nijondes, Swerikes […] Konungs, nådige befalning, af trycket vthgångin. [Hrsg. von Jonas Bure ?] Stockholm 1609. [Jyske lov.] Lex Cimbrica antiqva lingva Danica / Den Jydske Lovbog paa gammel Dansk. Hrsg. von Peder Kofod Ancher. Kopenhagen 1783. [Jyske lov.] Kong Valdemar den andens Jyske Lov. Hrsg. von Niels Mathias Petersen. Kopenhagen 1850 (Det nordiske Literatur-Samfund 9). [Jyske lov.] Valdemar den Andens Jydske Lov – efter den Flensborgske Codex – tilligemed den 1590 foranstaltede ny Udgave af Loven og den af Ekenberger 1593 besörgede plattydske Oversættelse af samme. Hrsg. von Peder Goth Thorsen. Kopenhagen 1853. Jöns Buddes bok. En handskrift från Nådendals kloster. Hrsg. von Oskar Fredrik Hultman. Helsinki 1895 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 31). [Karl Magnus.] Karl Magnus enligt Codex Verelianus och Fru Elins Bok. Hrsg. von David Kornhall. Lund 1957 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 63). Karl Magnus’ Krønike. Hrsg. von Poul Lindegård Hjorth. Kopenhagen 1960. [Karlskrönikan], siehe [Stora rimkrönikan]. [En klosterbog.] En klosterbog fra middelalderens slutning (AM 76, 8o). Hrsg. von Marius Kristensen. Kopenhagen 1928–1933 (Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur 54). [Konung Alexander.] Alexandri Magni historia på swenska rijm aff latinen in på wårt språåk wänd och bekostat genom […] Hr: Boo Jonszon, fordom Sweriges rijkes drotzet […]. Hrsg. von Johan Hadorph. Visingö 1672. [Konungastyrelsen.] En nyttigh bok, om konnunga styrilse och höfdinga, fordom för någre hundrade åhr, af en förståndigh swensk man skrifvin […] och vtaf […] den stormechtigeste högborne förste och herre, H. Gvstaf Adolf den Andre och Store […] först öfwerläsin, och efter H. K. M:tz nådige befalning […] nu publicerat. [Hrsg. von Johannes Bureus.] [Uppsala] 1634. [Kristoffers landslag.] Swerikes rijkes landzlagh, som af Rijksens rådh blef öfwersedd och förbätrat: och af K. Christofer […] 1442. stadfäst […] [Hrsg. von Jonas Bure?] Stockholm 1608. [Københavns stadsret.] Kiøbenhafns Stads-Ret, gifven Aar 1443. Kopenhagisches Stadt-Recht. Ao. 1443. ertheilet. In: Nonnulla antiqva jura civitatum Daniæ sc. civitat. Hafniensis & civitat. Ripensis […] Hrsg. von Peder Hansen Resen. Kopenhagen 1683, S. 2–86. [Lilla rimkrönikan.] Then gamble och minsta swenske rijmkrönikan. In: Twå små gamble Sweriges och Göthes chrönikor […]. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1615, S. 82–102. [Lucidarius.] Lucidarius, en Folkebog fra Middelalderen. Hrsg. von Carl Joakim Brandt. Kopenhagen 1849 (Det nordiske Literatur-Samfund 7).
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[Magnus Erikssons stadslag.] Swerikes rijkes Stadz lagh, effter den stormechtige, höghborne furstes och herres, Herr Gustaf Adolffs, Sweriges […] Konungz […] befalning, vthgångin aff trycket. [Hrsg. von Jonas Bure.] Stockholm 1617. [Mandevilles rejse.] Mandevilles rejse i gammeldansk oversættelse tillige med En vejleder for pilgrimme. Hrsg. von Markus Lorenzen. Kopenhagen 1882 (Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur 5). [Mariaklagen.] Fragmentum runico-papisticum, seu Soliloqvium Deiparæ Virginis qverulum, circa passionem Domini, anonymo auctore, lingva et runis Gothorum, in membrana conscriptum […] Hrsg. von Johan Fredrik Peringskiöld. Stockholm 1721. [Mariaklagen.] Mariaklagen. Efter et runeskrevet Haandskrift-Fragment i Stockholms kgl. Bibliotek. Hrsg. von Johs. Brøndum-Nielsen und Aage Rohmann. Kopenhagen 1929. Middelalderens danske Bønnebøger. 5 Bde. Hrsg. von Karl Martin Nielsen. Kopenhagen 1946–1982. En middelalderlig dansk Lægebog. Hrsg. von Poul Hauberg. Kopenhagen 1927. Monumenta historica vetera ecclesiæ Sveogothicæ. 5 Bde. Hrsg. von Erik Benzelius. Uppsala 1709–1713. [MP], siehe Svenska medeltids-postillor. [Namnlös och Valentin.] Namnlös och Valentin. Kritische Ausgabe mit nebenstehender mittelniederdeutscher Vorlage. Hrsg. von Werner Wolf. Uppsala 1934 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 52). Prosadikter från Sveriges medeltid. Hrsg. von Gustaf Edvard Klemming. Stockholm 1887–1889 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 28). [Prosaiska krönikan.] Then gamble swenske crönika. In: Twå små gamble Sweriges och Göthes chrönkor. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1615, S. 1–81. [Regum Daniæ Series duplex.] Regum Daniæ Series duplex et Limitum inter Daniam et Sveciam Descriptio, ex vetustissimo Legum Scanicarum literis runicis in membrana exarato codice eruta. Hrsg. von Ole Worm. Kopenhagen 1642. [Ribe stadsret.] K. Ericks den VI. Ribe Stads-Ret Aar 1269. paa gammel Dansk. In: Nonnulla antiqva jura civitatum Daniæ sc. civitat. Hafniensis et civitat. Ripensis […] Hrsg. von Peder Hansen Resen. Kopenhagen 1683, S. 261–307. [Romantisk Digtning.] Romantisk Digtning fra Middelalderen. 3 Bde. Hrsg. von Carl Joakim Brandt. Kopenhagen 1869–1877. Samling af Danske Kirke-Love. Hrsg. von Grímur Jónsson Thorkelin. Kopenhagen 1781. Samling af gamle danske Love. 5 Bde. Hrsg. von Janus Lauritz Andreas Kolderup-Rosenvinge. Kopenhagen 1821–1846. [Samling af Sweriges gamla lagar.] Corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui / Samling af Sweriges gamla lagar. Bd. 1–2. Hrsg. von Hans Samuel Collin und Carl Johan Schlyter. Stockholm 1827–1830; Bd. 3. Hrsg. von Carl Johan Schlyter. Stockholm 1834; Bd. 4–13. Hrsg. von Carl Johan Schlyter. Lund 1838–1877. Samling af åtskilliga handlingar och påminnelser, som förmodeligen kunna gifwa lius i swänska historien. 3 Bde. Hrsg. von Sven Bring. Lund [1749]–1758. [Scriptores rerum Danicarum.] Scriptores rerum Danicarum medii aevi, partim hactenus inediti, partim emendatius editi. 9 Bde. Hrsg. von Jacob Langebek et al. Kopenhagen 1772–1878. [Scriptores rerum Svecicarum.] Scriptores rerum Svecicarum medii aevi. 3 Bde. Hrsg. von Eric Michael Fant et al. Uppsala 1818–1876. Sermones sacri Svecice. The Sermon Collection in Cod. AM 787 4o. Hrsg. von Roger Andersson. Uppsala 2006 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 86). [SGL], siehe Samling af Sweriges gamla lagar. [Skemptan.] Hær sigx aff abotum allum skemptan mykla. Hrsg. von Per-Axel Wiktorsson und Lars Wollin. In: Master Golyas and Sweden. The Transformation of a Clerical Satire. Hrsg. von Olle Ferm and Bridget Morris. Stockholm 1997, S. 219–231 (Runica et Medævalia. Scripta minora 3). [Skånske lov.] Then gambla Skåne lagh, som i forna tijder hafwer brukat warit […] med flijt vthskrifwin […] sampt medh Hans Kongl. May:tz bekostnat uplagd. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1676. [Skånske lov.] Det Arnamagnæanske Haandskrift No. 28, 8vo, Codex Runicus udgivet i fotolitografisk Aftryk. Hrsg. von Peder Goth Thorsen. Kopenhagen 1877.
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Britta Olrik Frederiksen
Smärre texter och undersökningar. Bd. 1. Lund 1993. Bd. 2 ff. Uppsala 1998 ff. (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 3). [Stora rimkrönikan.] Then gamble rijmkrönikes första deel. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1616. [Stora rimkrönikan.] Tiugu twå konungars lefwerne och bedriffter. In: Twå gambla swenske rijmkrönikor. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1674, S. 17–594. [Sturekrönikan], siehe [Stora rimkrönikan]. Svenska medeltids-postillor. Efter gamla handskrifter. Bd. 1–3. Hrsg. von Gustaf Edvard Klemming. Stockholm 1879–1893. Efter gamla handskrifter. Bd. 4–5. Hrsg. von Robert Geete. Stockholm 1905–1910. Bd. 6–7. Hrsg. von Bertil Ejder. Uppsala 1974. Bd. 8. Hrsg. von Bertil Ejder. Lund 1983 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 23). [Södermannalagen.] Sudhermanna laghen, effter dhen stormechtigste, höghborne furstes och herres, Herr Carl then Ellofftes Sweriges […] Konungs […] Befalning […] medh flijt affskrifwin […] Hrsg. von Clas Åkerman. Stockholm 1666. [Upplandslagen.] Uplandz laghen, sum af Byrgher Magnusa son Swea ok Giötha kununge […] 1295. förbätradhes. [Hrsg. von Jonas Bure?] Stockholm 1607. [Upplandslagen.] Upplandslagen enligt Codes Esplunda. Hrsg. von Sam. Henning. Uppsala 1934 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 51). [Upplandslagen]. Upplandslagen enligt Cod. Holm. B 199 och 1607 års utgåva. Hrsg. von Sam. Henning. Uppsala 1967 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 70). [Valdemars lov.] Kong Waldemar den Førstes Siellandske Lov. In: En Dansk Lov-Historie fra Kong Harald Blaatands Tid til Kong Christian den Femtes 1. Hrsg. von Peder Kofod Ancher. Kopenhagen 1769, S. 527–598. [Vederloven.] Jus aulicum antiqvum Norvagicum lingva antiqva Norvagica Hird-Skraa vocatum […] huic Juri aulico Norvagico adjungitur Jus aulicum antiqvum Danicum Witherlags Rætt dictum […]. Hrsg. von Peder Hansen Resen. Kopenhagen 1673. [Vita Anskarii.] S. Anscharii, primi Hamburgensium archiepiscopi et in Scandiana vicinarumque gentium regna […] legati, vita gemina […] nec non [Rimberti] vitæ versio vetus Svecica […]. Hrsg. von Clas Arrhenius (Örnhielm). Stockholm 1677. [Västgötalagen.] Wästgötha laghbook, vppå den stormechtigste, höghborne furstes och herres, Herr Carl then Ellofftes, Sweriges […] Konungs befalning […] medh flijt vthskrifwin […]. Hrsg. von Georg Stiernhielm. Stockholm 1663. [Västmannalagen.] Wästmanna laghbook, efter den stormechtigste, höghborne furstes och herres, Herr Carl then Ellofftes Sweriges […] Konungs […] Befalning […] medh flijt affskrifwin […]. Hrsg. von Clas Åkerman. Stockholm 1666. Wars Herra Pino bok. Vadstenasystrarnas bordsläsningar enligt Cod. Holm. A 3. Hrsg. von Jonas Carlquist. Uppsala 2006 (Samlingar utgivna av Svenska fornskriftsällskapet. Serie 1. Svenska skrifter 87). [Äldre västgötalagen.] Vestgöta lagbok [Fotolitografischer Nachdruck vom ältesten Teil des SKB B 59]. Hrsg. von Algernon Börtzell und Harald Wieselgren. Stockholm 1889. [Äldre västgötalagen.] Äldre västgötalagen i diplomatariskt avtryck och normaliserad text […]. Hrsg. von Bruno Sjöros. Helsinki 1919 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 144). [Östgötalagen.] Östgötha laghen, thän af forna Swea ok Götha kunungar ok regänter, ok särdeles kunung Knuth Erik hin Heligas son ok Birger Jarl, stadgadh ok förbätradh är […] 1168. ok 1260. [Hrsg. von Jonas Bure?] Stockholm 1607.
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Olav Solberg
Editionen von Balladen und Volksliedern im Norden
1.
Einleitung
1855 schrieb der junge norwegische Student Sophus Bugge (1833–1907) in seinem ersten Brief an den etwas älteren dänischen Heimatkundler und Balladeneditor Svend Grundtvig (1824–1883): Herr Leutnant Svend Grundtvig! Ihre Ausgabe der alten dänischen Volkslieder habe ich mit Eifer und Freude durchgelesen; meine Lust, nordische Volkslieder näher kennen zu lernen, hat sich damit noch erhöht […] ich würde mir wünschen, Ihnen im Gegenzug Auskünfte zu norwegischen Volksliedern geben zu können; vielleicht wird es mir irgendwann vergönnt 1 sein […].
Es kam, wie Bugge erhofft hatte: Er eignete sich umfangreiches Wissen über norwegische und nordische Volkslieder an, betrieb selbst Sammlungs- und Herausgeberarbeit – und sandte mehrere seiner Abschriften an Grundtvig. Einige dieser Abschriften wurden, wie etwa der H-Text der Ritterballade Skjøn Anna,2 in den Band Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder) aufgenommen. Die Zusammenarbeit zwischen Bugge und Grundtvig veranschaulicht die Wirkungskraft der nordischen Balladen, Forscher über die Landesgrenzen hinaus zu inspirieren – u. a., da die Balladen oft selbst diese Grenzen überschritten hatten. Die beiden Termini Ballade und Folkevise werden oft parallel gebraucht, eine Unterscheidung kann jedoch hilfreich sein. Mit Ballade ist das alte mittelalterliche Lied gemeint, „eine Gattung mündlich überlieferter Lieder, definiert durch ihre Form (manchmal gereimte Verspaare mit einem oder zwei Kehrreimen, manchmal Vierzeiler mit einem Kehrreim), durch ihre Erzählinhalte und durch ihre objektivierende Stilhaltung, für die ihrerseits häufige formelhafte Wendungen und sogenannte ‚commonplaces‘ charakteristisch sind.“3 Traditionsgemäß werden die Balladen inhaltsbezogen in sechs Gruppen einge____________ 1 2 3
Sophus Bugges Briefe, Bd. 1, S. 1. Danmarks gamle Folkeviser, Bd. 5, S. 34–36. Jonsson, Solheim, Danielson 1978, S. 14.
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teilt: naturmythische Lieder, Legenden- oder Heiligenlieder, historische Lieder, Ritterballaden, Helden- und Trollballaden sowie Scherzlieder. Volkslieder – eine Bezeichnung, die in der Romantik ihren Ursprung hat – umfassen im Prinzip alle traditionellen Lieder ungeachtet der Form und des Inhalts; der Begriff wird jedoch auch in der Bedeutung von Ballade verwendet. Auf den Färöer Inseln ist Kvæði die gebräuchlichste Bezeichnung; die Isländer nennen die Balladen Fornkvæði. Im Folgenden werde ich mich vor allem mit der Sammlung und der Veröffentlichung von Balladen beschäftigen. Eine solche Vorgehensweise liegt insofern nahe, als diese Liedkategorie mit größtem Prestige verbunden war – groß genug, um in den nordischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert viel Zeit und Kraft darauf zu verwenden, diese alten Lieder in wissenschaftlichen Ausgaben zu veröffentlichen. Ein unentbehrlicher Schlüssel zum nordischen Balladenstoff ist The Types of the Medieval Scandinavian Ballad (1978), der so genannte ‚TSB-Katalog‘. Die Veröffentlichung von Balladen und Liedern beginnt früh. Schon im Jahr 1591 gab der dänische Historiker Anders Sørensen Vedel (1542–1616) It Hundrede vduaalde Danske Viser (Einhundert ausgewählte dänische Lieder) heraus. Rund 100 Jahre später erschien mit Tohundrevisebok (Buch der zweihundert Lieder, 1695) des Sprachforschers Peder Syvs (1631–1702) der Folgeband. In seiner Widmung an Königin Sophia, die ihn zur Herausgabe des Buches ermutigt hatte, schrieb Vedel in Anlehnung an Horaz: „Immer noch werden diese unsere dänischen poetischen Gedichte gelesen und gesungen, nicht nur aus Lust oder zum Zeitvertreib, sondern weil sie von Nutzen und Vorteil für uns sind“.4 Für Vedel war die Eigenschaft der Lieder von Bedeutung, historisch wichtige Ereignisse festzuhalten, die sonst in Vergessenheit geraten wären, und er verweist auf das Vorkommen schöner, wohlklingender Worte und Ausdrücke in dem alten Überlieferungsstoff. Indirekt zeugt Vedels Liederbuch von einer einfachen, aber wichtigen Tatsache – Balladen und andere mündliche Überlieferungen werden zu Papier gebracht, wenn die Gesellschaft darin einen wie immer gearteten Nutzen sieht. In Dänemark schuf dieses Interesse in Adelskreisen früh den Nährboden für handgeschriebene Poesiebücher unterschiedlichen Inhalts, nicht nur für Balladen, sondern auch für lyrische Lieder, zeitgenössische Lieder, Scherzlieder/Bänkellieder, Psalmen und deutsche Renaissancelieder.5 So gesehen ist die Sammelarbeit im 16. und 17. Jahrhundert Wegbereiter für die Sammelarbeit in der Romantik. Mit gutem Grund lassen sich die nordischen Balladen zu einer Grenzen überschreitenden Gattung rechnen: In verschiedenen, mitunter auch in allen ____________ 4 5
Anders Sørensen Vedels Folkevisebog 1926, Bd. I, S. 13. Ruus 1999, S. 13.
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nordischen Ländern finden sich zahlreiche Lieder gleichen oder annähernd gleichen Inhalts. Die separaten länderspezifischen Ausgaben der Balladen liegen in den nationalen und romantischen Strömungen Ende des 18. und bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts begründet; diese schufen ein verstärktes Interesse für das Besondere, das Nationale, das Folkloristische und Lokale. An ihrem Anfang stand die Ossian-Dichtung James MacPhersons (1736–1796). Diese Lieder, 1760 als Fragments of Ancient Poetry6 in Buchform veröffentlicht, gaben sich als echte Volksüberlieferung aus den schottischen Berggebieten aus und stießen in der zeitgenössischen Gegenwart auf große Beliebtheit. Das romantische Interesse für volkstümliche und nationale Lieder verbreitete sich auch in Deutschland. Johann Gottfried von Herder (1744–1803) gab in den 1770er Jahren seine Volkslieder in zwei Bänden heraus; die Bezeichnung ‚Volkslied‘ geht auf ihn zurück. Zusätzlich zu den romantischen Impulsen, die das Interesse für das Nationale schürten, waren es indessen auch politische und praktische Umstände, die eine gemeinsame nordische Balladenausgabe nicht zuletzt angesichts der großen Materialmenge und den mit der Planung und Durchführung eines solchen Projekts verbundenen Schwierigkeiten unrealistisch erscheinen ließen. In welchem Land hatte die nordische Ballade ihren Ursprung? Aufgrund der hohen Anzahl dänischer Lieder, aber auch, da das Land im Editionswesen Pionierarbeit geleistet hatte, ging man lange von Dänemark als Entstehungsland aus. Dennoch stellt sich die Frage, ob der Ursprung der nordischen Ballade nicht in Norwegen lag. Bengt R. Jonsson, Vertreter dieser Theorie, sieht die nordische Ballade als Teil der französisch-höfischen Literatur, die Norwegen etwa Mitte des 13. Jahrhunderts mit der Übersetzung zahlreicher französischer Ritterromane ins Altnordische erreichte. Jonsson zufolge entstand die Ballade am norwegischen Hof kurz vor Beginn des 14. Jahrhunderts, womit vom Norwegischen als Balladensprache auszugehen wäre. Die Ballade verbreitete sich, nicht zuletzt in Form von Tanzliedern, rasch sowohl geografisch als auch gesellschaftlich. Ihren Ausgangspunkt nimmt Jonssons Argumentation u. a. in den so genannten Eufemiavisene (Eufemialieder), die am norwegischen Hof auf Geheiß der Königin Eufemia übersetzt wurden. In diesen drei Versromanen – Herr Ivan Lejonriddaren (Herr Ivan der Löwenritter, 1303), Hertig Fredrik av Normandie (Herzog Fredrik aus der Normandie, 1308) und Flores och Blanzeflor (1312) finden sich mehrere typische Balladenformeln; erstmals lagen die Balladen nun auch in schriftlicher Form vor. Die große Anzahl dänischer Balladen verdankt sich dem Umstand, dass in die dänische Renaissance____________ 6
Moe 1927, Bd. III, S. 8 f.
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überlieferung viele Lieder sowohl in handschriftlichen Poesiebüchern als auch in gedruckten Schriften aus dem übrigen Norden gelangten. Darüber hinaus dichtete der dänische Renaissanceadel zahlreiche neue Lieder und Balladen im alten Stil.7 Vedels und Syvs volkstümliche Liederbücher und Flugblattdrucke, die auf diesen Ausgaben basierten, beeinflussten die mündliche Balladenüberlieferung sowohl in Dänemark als auch in den anderen nordischen Ländern. Als Jørgen Moe (1813–1882) in den 1840er Jahren mit der Sammlung norwegischer Volkslieder der Telemark begann, ging er zunächst davon aus, dass die Volksliedüberlieferung „aus nichts anderem bestand als aus Übersetzungen oder höchstens Änderungen und Umdichtungen“.8 Moe spricht also von Übersetzungen und Umdichtungen; die letztgenannte Technik wurde auf Island verwendet, um entlehnten dänischen oder norwegischen Balladen eine isländische Form zu geben. Der ausländische Stoff wurde, anders als man bei verschriftlichter Dichtung vorgegangen wäre, nicht übersetzt. Stattdessen wurden die einzelnen Balladen umgedichtet und neukomponiert auf eine Weise, bei der Wörter und Sätze unverändert stehen blieben – die besondere Balladensprache „nahm eine leicht poetische Stilhaltung vermutlich aufgrund der Verknüpfung mit exotischen Stoffen an.“9 Der dänischsprachige Einfluss auf Balladen anderer Länder lässt sich wie erwähnt auf die Liederbücher und Flugblätter Vedels und Syvs zurückführen; dabei handelt es sich mithin um die Frage, inwieweit die Schrift die mündliche Überlieferung seit dem 17. Jahrhundert beeinflusst. Es finden sich jedoch auch Beispiele für andere Formen der Einwirkung. So existieren etwa mehrere dänische Liedertexte, in denen sich Spuren anderer Sprachen hinter und unter dem Oberflächentext finden. Hier manifestiert sich vermutlich nicht ein schriftlicher Einfluss auf die mündliche Überlieferung, sondern ‚mündliche‘ Übersetzungsanleihen aus dem Färöischen oder Norwegischen zu einem frühen Zeitpunkt in der Geschichte der Balladengattung. Ernst von der Recke (1848– 1933) kommentiert auf dieser Grundlage u. a. das Heldenlied Ulv van Jern; er zitiert die Eröffnungsstrophe in der gängigen dänischen Form: Det var ungen Ulv van Jern, Han ganger for Kongen at stande: „Herre I laaner mig af eders Mænd Min Faders Død at hevne!“ ____________ 7 8 9
Jonsson 1989, S. 111–113. Moe 1964, S. 53. Ólason 1982, S. 98.
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Recke richtet sein Augenmerk vor allem auf die Reimwörter; zu Recht verweist er auf ihren besonderen Charakter, selbst wenn man es mit den Reimwörtern in den Volksliedern oft nicht so genau nimmt: „dass eine Eröffnungsstrophe in der originalen Dichtung ohne Reim sein sollte, kann man sich nicht vorstellen: denn gerade deren Reim und Rhythmus wurden mit Sorgfalt gewählt“.10 Der Grund für die weniger stimmigen Reimwörter (stande/hevne) in der dänischen Eröffnungsstrophe liegt auf der Hand – das Lied ist ursprünglich färöischer (oder norwegischer) Sprache. Bei der Überführung ins Dänische ließ sich kein Vollreim finden, was für das Verständnis auch nicht erforderlich war. In der färöischen Liedform lautet der Reim hingegen stimmig: Ulfrán gongur for Tídrik kong, góður er drongur til evna: „Frændi min, læna mær nakrar menn! Eg vil min faðir hevna!“
Diese kurze Erörterung zeigt ein charakteristisches Merkmal der nordischen Balladen auf: die Liederwanderung quer durch die nordischen Länder mit schriftlicher und mündlicher Überlieferung in gegenseitiger Brechung. Für die genuin am Volkslied Interessierten zeichnete sich zunehmend der Anspruch ab, die mündliche Überlieferung nicht nur zu Papier zu bringen, sondern auch zuverlässige wissenschaftliche Ausgaben zu schaffen, die dem Forscherinteresse genügten. Seinen Anfang nahm dieser Prozess in Dänemark.
2.
Dänemark
Im Laufe des 18. Jahrhunderts erschien Peder Syvs Tohundrevisebok (Buch der zweihundert Lieder) in mehreren Auflagen, erwies sich jedoch u. a. aufgrund der Kommentare zunehmend als unmodern. Eine neue und zeitgemäße dänische Liederausgabe war gefordert. Sie erschien mit W. F. Abrahamsons (1744–1812), R. Nyerups (1759–1829) und K. L. Rahbeks (1760–1830) fünfbändigem Werk Udvalgte danske Viser fra Middelalderen (Ausgewählte dänische Lieder des Mittelalters, 1812–1814). Das Werk erschien im gleichen Jahr wie die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm; die dänischen und deutschen Editoren von Volksdichtung, vor allem Nyerup und Wilhelm Grimm, standen in regem Kontakt. 1811 veröffentlichte Wilhelm Grimm (1786–1859) mit Unterstützung Nyerups sein erstes Buch, die Altdänischen Heldenlieder, bei denen es sich um Übersetzungen nach Syvs Liederbuch han____________ 10
Recke 1907, S. 82.
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delte.11 Die Liedersammlung Abrahamsons, Nyerups und Rahbeks ist keine textkritische Edition im modernen Sinn. In ihrem Vorwort verweisen die Herausgeber darauf, dass sie Vedels und Syvs Spuren folgen, deren Arbeit indessen verbessern und erweitern. Darüber hinaus korrigierten sie offensichtliche Schreibfehler und stellten Strophen, wo dies nötig schien, um. Die Orthografie „ist nach bestem Ermessen eingerichtet; an vielen Stellen wird die Bedeutung entweder mit Hilfe von Codices oder aus kritischen Gründen verbessert“.12 Die erste textkritische Balladenausgabe Dänemarks und der nordischen Länder insgesamt, Svend Grundtvigs Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder; DgF), erschien rund 40 Jahre später (1853). In den 1840er Jahren begann Grundtvig, u. a. inspiriert durch seinen Vater, sich für Lieder und Balladen zu interessieren. In dieser Periode übersetzte er englische und schottische Volkslieder ins Dänische. In mehreren Artikeln befasste er sich mit der Frage, wie eine neue dänische Liederausgabe seiner Meinung nach aussehen sollte – eine Ausgabe, die langfristig diejenige Abrahamsons, Nyerups und Rahbeks ersetzen sollte, welche, so Grundtvig, etliche Mängel aufwies. Vor allem hätten die Editoren Änderungen im Text vorgenommen; außerdem sei das vorgelegte Material nicht umfassend genug: Von gedruckten und ungedruckten Quellen sei lediglich das einbezogen, was man selbst als qualitativ wertvoll angesehen habe. Dabei habe man mehrere alte Liedermanuskripte unberücksichtigt gelassen, ohne die Wichtigkeit einer Einbeziehung der Lieder zeitgenössischer mündlicher Überlieferung zu erkennen.13 Im Gegensatz zu früheren Balladen- und Liederausgaben suchte Grundtvig in einer neuen Ausgabe das gesamte Material zu präsentieren, wie er 1847 im Zuge der Arbeitsvorbereitungen formulierte.14 In der Subskriptionseinladung zum ersten Band der DgF (1851) geht er ausführlicher auf die Verfahrensweise ein: Von diesen Volksliedern ist der Allgemeinheit bis jetzt nicht einmal ganz ein Fünftel zugänglich: Nur die Hälfte der erhaltenen Lieder ist bis jetzt veröffentlicht, und das – mit wenigen Ausnahmen – in jeweils nur einer Abschrift, obgleich man durchschnittlich über drei Abschriften von jedem Lied verfügt. Und das, was solcherart herausgegeben ist, zeigt sich meist in willkürlich zurechtgestutzter oder ausgeschmückter Gestalt […]. Und hier liegt das Ziel der angekündigten neuen Ausgabe. Diese wird daher sämtliche Abschriften aller dänischen Volkslieder […] enthalten und jedes für sich in seiner Ganzheit zeigen, in Treue und Sorfalt und mit sämtlichen 15 Angaben, die der Herausgeber zur Verfügung stellen kann (DgF I, S. V f.). ____________ 11 12 13 14 15
Dal 1956, S. 46. Udvalgte danske Viser fra Middelalderen 1812, Bd. I, S. XII. Piø 1968–1970, S. 192–195. Dal 1956, S. 67 f. Danmarks gamle Folkeviser, Bd. 1, S. V f.
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Grundtvigs Volksliederausgabe beruht auf einer modernen, kritischen Grundanschauung. Dies bedeutet u. a., das gesamte Liedermaterial, nicht lediglich Teile daraus vorzulegen. Darüber hinaus werden weder sprachliche noch textliche Eingriffe vorgenommen, und Varianten ein und desselben Liedes werden nicht verknüpft, um längere und vielleicht vollständigere Texte zu erhalten. Die Kommentare zu den einzelnen Liedern erreichen zudem ein Niveau, das frühere Editoren in den Schatten stellt. Historische und politische Umstände schufen außerdem eine Situation, in der insbesondere der erste Band der DgF zum Ausdruck für das Dänischnationale, das echt Dänische geriet. Im Vorwort polemisiert Grundtvig gegen die Einwanderungshypothese der sogenannten norwegischen historischen Schule Rudolf Keysers (1803–1864) und P. A. Munchs (1810–1863). Diese hatten eine Theorie zur Einwanderung der Skandinavier aus einem Gebiet in Zentralasien in den Norden entwickelt. Ein Zweig des nordgermanischen Stammes habe den Weg nördlich der Ostsee und weiter über das Weiße Meer genommen, um dann weiter südlich nach Norwegen zu ziehen. Keyser und Munch zufolge handelt es sich hier um das norrøne (altnordische) Volksgeschlecht; die Dänen und die meisten Schweden waren hingegen vom Süden her in den Norden eingewandert; sie waren ein „zusammengesetztes germanisches Volk – ein wenig gotisch und ein wenig nordgermanisch“.16 Mit der Einwanderungstheorie der norwegischen historischen Schule fand sich Grundtvig nur ungern ab; er formulierte, man habe in Norwegen eine These aufgestellt […], dass Dänemark und das dänische Volk keinen Anteil an der altnordischen Entwicklung für sich beanspruchen könnten, und man hat weiter dort eine Völkerwanderungshypothese aufgestellt, wonach unsere, die dänischen, Vorväter nicht aus echtem nordischen Geschlecht stammen, sondern zum Teil einem südgermanischen, deutschen Geschlecht angehören sollten. Diese Rede klingt nicht 17 gut für manche dänische Ohren.
Dass Grundtvig empfindlich darauf reagierte, Dänen als Deutsche zu rubrizieren, ist nachvollziehbar. Als Leutnant hatte er selbst am dreijährigen Krieg gegen Deutschland (1848–1850) teilgenommen; für seinen Einsatz bei der Schlacht bei Isted wurde er mit dem Ritterkreuz geehrt. Es liegt somit auf der Hand, dass der erste Band von Danmarks gamle Folkeviser in einer wichtigen und politisch kritischen Zeit für Dänmark erschien. Der traditionellen Auffassung darüber folgend, welche Lieder ältesten Ursprungs seien und im höchsten Grad dem typisch Nordischen Ausdruck gäben, ____________ 16 17
Sørensen 2001, S. 176 f. Danmarks gamle Folkeviser, Bd. 1, S. X.
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druckte Grundtvig die Heldenballaden in DgF I. An den Anfang stellte er Tord af Havsgaard (Tord von Havsgaard), das Lied über den altnordischen Gott Tor. Die Wahl war nicht zufällig; es handelt sich um das einzige Eddagedicht Trymskvida, das mehr oder weniger vollständig in die Balladenform überführt wurde und das außerdem nahezu im gesamten Norden verbreitet war. Grundtvigs Editionsprinzip unterscheidet sich maßgeblich von den Prinzipien früherer Lieder-Herausgeber. Zu Beginn steht eine kenntnisreiche Einleitung, die u. a. die Namen der in den Liedern genannten Personen kommentiert. Er diskutiert sodann Vedels Quellengrundlage für die Form des Liedes Tord av Havsgaard, das dieser in It Hundrede vduaalde Danske Viser (Einhundert ausgewählte dänische Volkslieder) drucken ließ, erwähnt dänische Flugblätter und verhandelt kurz die norwegischen und schwedischen Liederformen. In dänischer Sprache liegt das Lied in zwei Liederhandschriften aus dem 16. Jahrhundert (Svaning (a) und Rentzel (b)) vor. Grundtvig führt die Form nach Svaning als A-Text an und kommentiert die Unterschiede zwischen a und b in einem eigenen Abschnitt. Er kommentiert zudem kurz Vedels Text, bei dem er u. a. davon ausgeht, dieser habe vermutlich selbst einige Strophen gedichtet, wie er es mitunter tat, wo er es für richtig befand. Trotz der erklärten Absicht Grundtvigs, alles vorzulegen, was sich über Tord af Havsgaard sagen ließ, waren ergänzende Angaben sowie z. T. Worterläuterungen, Zusätze und Berichtigungen notwendig. Diese sind in einem späteren Band der DgF enthalten. Wie bereits erwähnt, stellte Grundtvig die Heldenballaden an den Anfang seiner Ausgaben; die übrigen Liedergruppen wurden später nacheinander in neuen Textbänden veröffentlicht. Die Scherzlieder (skjemtevisene) waren bis auf wenigen Ausnahmen in der DgF jedoch nicht enthalten. Begründet liegt dies wohl im Umstand, dass diese Volkslieder lange als minderwertig und von geringerem Interesse angesehen, zudem jünger datiert wurden als die übrigen Balladen.18 In dieser Einschätzung drückt sich indessen ein für die Romantik und die Liederausgaben im 19. Jahrhundert und darüber hinaus charakteristisches Vorurteil aus. Was interessant und wertvoll ist, hängt vor allem davon ab, welche Fragen man an den Stoff stellt; und der Stoff der Scherzlieder ist ebenso bunt wie spannend. Es gibt im Übrigen keinen Grund anzunehmen, diese Balladen seien jünger als die anderen; als Lebenseinstellung sind Humor und Komik nicht jüngeren Datums als Ernst und Tragödie.19 So stehen denn auch in den ältesten Handschriften die Scherzlieder Seite an Seite mit anderen Volksweisen. ____________ 18 19
Dal 1956, S. 225. Solberg 1993, S. 23.
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Die dänischen Scherzlieder wurden gleichwohl von anderer Hand herausgegeben. H. Grüner-Nielsen (1881–1953) publizierte die ältesten Lieder, nämlich Lieder aus Handschriften und Flugblättern (1927/28). Seine Ausgabe enthielt neben Scherzliedern im Balladenstil auch andere komische Lieder. Dänische Scherzlieder der jüngeren bäuerlichen Überlieferung wurden 1903 mit Evald Tang Kristensens (1843–1929) Et hundrede gamle danske skjæmteviser efter nutidssang (Hundert alte dänische Scherzlieder nach heutigem Gesang) veröffentlicht. Dabei ließ er große Teile des Stoffes, die ihm als zu derb erschienen, aus: „Ich habe mir vergebens den Kopf zerbrochen, wie ich mich verhalten sollte, um solche Lieder vollständig zu veröffentlichen, ohne dass diese allzu viel Anstoß erregen würden. Es war nichts anderes zu tun, als das meiste auszulassen.“20 Es herrscht kein Zweifel darüber, dass von den nordischen Lieder- und Balladeneditionen vor allem Svend Grundtvigs Danmarks gamle Folkeviser zukunftsweisend war. Die dänische Balladenausgabe lieferte das Vorbild für kritische Balladenausgaben vieler anderer Länder, nicht zuletzt für Francis James Childs (1825–1896) Balladenausgabe The English and Scottish Popular Ballads (1882–1898).
3.
Schweden
Aus dem 14. und 15. Jahrhundert sind mehrere schwedische Liederabschriften erhalten. Im 16. Jahrhundert21 wurden handschriftliche Liederbücher zusammengestellt, darunter das erste größere Buch Harald Oluffsons visbok (1572– 1581). Während sich in Dänemark vor allem der Adel für Balladen interessierte und diese niederschrieb, stellte sich die Situation in Schweden etwas anders dar – hier verfasste man die Lieder auch in „der Welt der Kirche und der Schule“.22 Weder Einzelabschriften noch Liederbücher wurden zu dieser Zeit herausgegeben; so waren es denn auch nicht diese Lieder, die der Geschichtsschreiber Johannes Messenius (1579–1636) in seiner eigenen – etwas späteren – Ausgabe zu Beginn des 17. Jahrhunderts veröffentlichte. Messenius, Juraprofessor in Uppsala und später Direktor des Reichsarchivs in Stockholm, wurde nach der Anklage als Papist nach Nord-Finnland deportiert, wo er nahezu sein gesamtes Leben im Gefängnis verbrachte. Es war vermutlich Vedels dänisches Liederbuch, das Messenius inspiriert hatte; seine geplanten Liederbücher ____________ 20 21 22
Et hundrede gamle danske skjæmteviser 1901, S. 3. Hildeman 1958, S. 52–59. Jonsson 1967, S. 33 f.
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Kempewysor (Heldenlieder) und Elskogh wysor (Liebeslieder) zu verwirklichen, war ihm nicht vergönnt.23 Messenius war indessen nicht der Einzige, der sich für Volkslieder und Balladen interessierte. In den politischen Kreisen erkannten viele, dass im Zuge des Aufbaus Schwedens als Großmacht dieser alte Stoff nützlich und mit seinen Schilderungen der Vorväter und ihrer Taten der Gegenwart als Inspiration dienen könnte. Johan Hadorph (1630–1693), als treibende Kraft Mitbegründer des Antikvitetskollegiet (Kolleg für Altertümer) 1666, sandte einige Jahre später im Namen des Königs eine Verordnung an weltliche und kirchliche Lager im gesamten Land, interessantes antiquarisches Material aufzuspüren; zu diesem Material gehörten Volkslieder und Balladen. In welchem Maße Messenius selbst Balladen sammelte, ist nicht bekannt; seiner Initiative ist es jedoch zu verdanken, dass etliche der Balladen aus dem Repertoire der Bäuerin Ingierd Gunnarsdotter (1601/02–1686) in Westgotland um 1670 niedergeschrieben wurden. Sie ist die erste namentlich bekannte schwedische Balladensängerin aus dem Volk. Die Romantik führte zur ersten schwedischen Balladenausgabe. Erik Gustaf Geijers (1783–1847) und Arvid Afzelius’ (1785–1871) Svenska folk-visor från forntiden (Schwedische Volkslieder aus dem Altertum) sind 1814–1818 in drei Bänden und etwa zeitgleich mit Abrahamsons, Nyerups und Rahbeks dänischer Balladenedition erschienen. Geijer, Geschichtsprofessor und romantischer Dichter, sowie Afzelius, Pfarrer und Balladensammler, waren Mitglieder des Götiska förbundet (Gotischer Bund) in Stockholm, in dem insbesondere Geijer, u. a. als Redakteur der Zeitschrift Iduna, aktiv war. Deren Titel verweist auf die Interessengebiete der Verbandsmitglieder: nordische Mythologie, Mittelalter, Wikingerzeit – in ihnen war das Gedächtnis der Nation enthalten. Dieses Gedächtnis kam in der Tradition, der volkstümlichen Überlieferung, zum Ausdruck, die für die Herausbildung und Stärkung des nationalen Charakters, des Volkscharakters, eine so entscheidende Rolle spielte.24 Es war Geijer, der für die Einleitung zur Liedersammlung verantwortlich zeichnete. Im Gegensatz zur altklugen, biedermännisch vernünftigen Einleitung zu Abrahamsons, Nyerups und Rabeks Balladenausgabe weist Geijers Text einen romantischen Zug auf: Die Lieder sind hier Poesie.25 Zunächst stellt er die zentrale Funktion der Poesie heraus, die insbesondere das Fragmentarische in der menschlichen Existenz zu einem Ganzen machen solle. Geijer führt frühere Volksdichtungsausgaben im Norden und in Europa an, ____________ 23 24 25
Jonsson 1967, S. 41–43. Lönnroth 1988, S. 269. Henrikson 2002, S. 47–49.
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kommentiert einzelne Lieder und Liederbücher und schließt mit der Mahnung, mündliche Dichtung werde qua Verschriftlichung zu Literatur, mithin zu etwas ganz anderem, als sie ursprünglich war. Dem romantischen Dichter und Liedherausgeber wird es zur schmerzvollen Erfahrung, die Lieder gedruckt zu sehen: Ihr Element ist nicht das Papier, sondern frische Luft, die Wälder und die nordische Natur. Jahrhunderte lang haben sie nur auf den melodischen Wogen des Gesangs gelebt: Generation auf Generation hat in ihren einfachen Tönen Ausdruck für ihre Gefühle gefunden; und ihre öffentliche Zurschaustellung vor die Nasen der Kunstken26 ner bedeutet eigentlich eine Strandung auf dem Trockenen.
Beim ersten Liedtext der Svenska folk-visor handelt es sich mit Den bergtagna (Der Berggebannte) um eine bekannte naturmythische Ballade, ein in mehreren nordischen Ländern verbreitetes so genanntes Verzauberungslied. Ihr Text in der Ausgabe Geijers und Afzelius’ wirkte auf die norwegische Liedtradition ein: Der Kehrreim ist in Margjit Hjukse enthalten. Die Präsentation der Ballade kennzeichnet sie fälschlicherweise als „Romanze“ (kurzes lyrisches und stimmungsvolles Gedicht); die Romantiker nahmen es indessen mit der Terminologie nicht immer genau. Gemäß der gängigen Editionspraxis ist der Liedtext sprachlich standardisiert. Die nächste schwedische Liederausgabe erschien mit den Svenska Fornsånger, 3 Bde. (1834–1842), des Schriftstellers und Historikers Adolf Ivar Arwidssons (1791–1858). In diese Ausgabe gingen auch Bänkellieder und Stoffe älterer Liederbücher ein. Svenska Fornsånger ist seiner Zeit voraus – so weit voraus, dass Grundtvig das Vorwort Arwidssons als Hauptargument und Modell für seine eigenen Editionsrichtlinien anführen konnte.27 Weitere schwedischsprachige Balladenüberlieferungen enthaltende Liederausgaben sind Finlands svenska folkdiktning (Finnlands schwedische Volksdichtung) mit dem Balladenband Den äldre folkvisan (Das ältere Volkslied, 1934), redigiert von Otto Andersson (1879–1969) und Alfhild Forslin, sowie P. A. Säves’ (1811–1887) Gotländska visor (Gotländische Lieder, 1949–1955), die dieser Mitte des 19. Jahrhunderts zusammengetragen hatte.28 In seinem Beitrag Nordisk folkeviseforskning siden 1800 (Nordische Volksliederforschung seit 1800) formuliert Erik Dal: „Noch im Mai 1951 wurde eine […] Institution gegründet, die vielleicht die verstreute schwedische Balladenkultur zusammenführen könnte: das Schwedische Balladenarchiv (Svenskt ____________ 26 27 28
Svenska folk-visor från forntiden, Bd. 1, 1846, S. XXXII. Dal 1956, S. 152. Sveriges Medeltida Ballader, Bd. 1, S. 166.
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visarkiv) in Stockholm“.29 Die Hoffnung wurde verwirklicht. In den Jahren 1983–2001 gab das Schwedische Balladenarchiv die bislang jüngste, wissenschaftlich redigierte Balladenedition, die Sveriges Medeltida Ballader (Schwedische Mittelalter-Balladen; SMB) in 7 Bänden heraus. Redaktionelles Hauptprinzip ist der Abdruck sämtlicher (maximal 25) Varianten eines Balladentyps. Für Texte, die nicht berücksichtigt sind, werden Quellenhinweise gegeben. Ein anderes zentrales Prinzip bei der Auswahl der Texte ist, dass die Edition die gesamte schwedische Überlieferungszeit so weit wie möglich, nämlich ab Ende des 16. Jahrhunderts bis hinein ins 20. Jahrhundert, umfassen sollte. Die geringste Anzahl an Varianten ist aus der Zeit vor 1810 registriert, und, schon aus gattungs- und sprachhistorischen Gründen, sind sie alle in SMB abgedruckt, doch auch die jüngere Überlieferung ist reichhaltig repräsentiert. Ein weiteres wichtiges Editionsprinzip besteht darin, dass Texte und Melodien verschiedene geografische Verbreitungsgebiete abdecken sollten. Geografie spielt in der Balladenüberlieferung eine wichtige Rolle; so scheinen die Balladen in bestimmten Gebieten, zumindest im 19. Jahrhundert, besonders verbreitet zu sein. Zentrale ‚Balladengebiete‘ Schwedens sind Västergötland, Östergötland und Uppland. Ein viertes bedeutendes Prinzip gilt der Qualität – die besten und reichhaltigsten Texte erhalten den Vorrang. Dies bedeutet jedoch nicht, dass lange und scheinbar vollständige Texte sogleich gute Texte sind. Texte können in der Überlieferung erweitert und verwässert werden, indem, was in einer oder zwei Strophen seinen prägnanten Ausdruck findet, vielstrophig, und mit zweifelhaftem ästhetischen Gewinn ausgeweitet wird. Solchermaßen verwässerte Varianten werden in SMB in der Regel nicht gedruckt. Schließlich stellt sich die Frage zum Verhältnis zwischen Text und Melodie. Bei SMB handelt es sich um die einzige Balladenausgabe, die Text- und Melodiewiedergabe kombiniert. Wie sollte hier in der Praxis also am besten verfahren werden? In der ältesten Balladenüberlieferung existieren in der Regel keine Melodien; deren Aufzeichnung setzte erst mit der Romantik ein. Im 19. und 20. Jahrhundert erweist sich das Verhältnis zwischen Text und Melodie aus anderen Gründen als kompliziert, folgen doch guten Texten nicht zwingend auch gute Melodien. Die Editoren der SMB gründen ihre Variantenauswahl auf den Texten; die Ausgabe trägt mithin textlich repräsentativen Charakter, was jedoch nur in geringerem Grad auch hinsichtlich der Melodien gilt. Die Problematik des Melodienbestands wird in einem Kommentarband ver____________ 29
Dal 1956, S. 166.
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handelt werden. Die Editoren sind jedoch bestrebt, sowohl gute Texte als auch gute Melodien zu präsentieren: Eine Melodie von vergleichsweise großem Interesse kann mit einem Text vereint sein, der fragmentarisch oder unvollständig aufgezeichnet wurde. Umgekehrt kann ein Text von ungewöhnlicher epischer Qualität zu einer zersungenen oder unvollständig aufgezeichneten Melodie auftreten oder ganz ohne Melodie sein. Dies bedeutet, dass die Rücksicht auf den Text in einigen Fällen darüber entscheidet, eine Melodie zu drucken oder nicht, und umgekehrt, dass die Rücksicht auf die Melodie 30 mitunter bestimmt, ob ein Text wiedergegeben wird oder nicht.
4.
Norwegen
Mit Jørgen Moes Sange, Folkeviser og Stev i norske Almuedialekter (Gesänge, Volkslieder und Kehrreime in norwegischen Landdialekten, 1840) erschien die erste norwegische Balladen- und Volksliedersammlung. Dabei handelt es sich um ein im Umfang bescheidenes Buch, das nur wenige Balladen oder Volkslieder im eigentlichen Sinn enthält; einige der Lieder – in Mundart und von lokaler Prägung – sind vielmehr als Dorflieder zu bezeichnen. In seiner Einleitung benennt Moe den Hauptgrund, warum es jetzt an der Zeit sei, die norwegische Volksdichtung zu sammeln und zu veröffentlichen. Die Problematik liege in der mangelnden Verbindung von Kunstpoesie und Volksdichtung, einem Konflikt, der sich, so Moe, insbesondere in Norwegen zeige: Wie künstlich und verfeinert die Literatur eines Landes auch sein mag, hat sie doch, wenn sie wahr ist, immer einen Grundton der Volkspoesie bewahrt; – bei uns klingt jede mit ihrem Ton, und dort, wo die Klänge vermischt wurden, führte dies oft zu Missklang.31
Moe meint hier offenbar, die Trennung von Kunstpoesie und Mundartdichtung stelle nicht nur eine Spaltung von schriftlicher Literatur in standardisierte Sprache und mundartliche Traditionsdichtung dar, sondern auch eine Abgrenzung hinsichtlich der Nationalsprache. Mit dem Dänischen als Schriftsprache in Norwegen war die gesamte Kunstdichtung in dieser Sprache verfasst, während die mündliche Volksdichtung in norwegischer Mundart zum Ausdruck kam. Diese Situation prägte Norwegen seit dem 16. Jahrhundert, als sich im Zuge der Reformation das Dänische als norwegische Schriftsprache durchsetzte. Mit der Romantik kam die Frage nach Nationalität und Sprache auf die Tagesordnung; in der Folge sollte die Sprache im Zusammenhang mit der Balla____________ 30 31
Sveriges Medeltida Ballader, Bd. 1, S. 8. Moe 1988, S. V f.
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denausgabe in Norwegen eine entscheidende Rolle spielen, wie auch auf den Färöer Inseln, die ebenfalls über keine eigene Schriftsprache verfügten und Norwegen im Spätmittelalter in die Union mit Dänemark folgten. Dennoch existieren vereinzelt weiter zurückliegende norwegische Balladenund Liederabschriften. Der älteste Balladentext geht bis auf ca. 1500 zurück; dabei handelt es sich um ein Balladenfragment von sieben Strophen des Ridderen i hjorteham (Der Ritter im Hirschpelz). Da diese Strophen das älteste aller nordischen Balladenfragmente darstellen und da die „dänische Prägung des Textes über jeden Zweifel erhaben ist“,32 ließ Grundtvig das Fragment in DgF II (S. 219 f.) in besonders großer Schrift drucken. Dabei ist von grundlegender Bedeutung, dass zu diesem Zeitpunkt keine norwegische Schriftsprache existierte, deren man sich hätte bedienen können. Die altnordische Schriftsprache war für jedermann, mit Ausnahme weniger Spezialisten, unverständlich und unbrauchbar; für den norwegischen Schöffen und Telemarks-Bauern, der die Balladenstrophen niederschrieb, bestand mithin zum Dänischen keine Alternative (worüber er vermutlich auch gar nicht weiter nachdachte). Er hieß Mattis Nilsson und ist in Urkunden als Schöffe in Skien von 1481–1516 erwähnt.33 Die bedeutendste norwegische Balladen- und Liederausgabe des 19. Jahrhunderts erschien 1853 mit Magnus B. Landstads (1802–1880) Norske Folkeviser (Norwegische Volkslieder). Das rund 900 Seiten starke Buch enthält nicht nur Balladen, sondern auch neuere Lieder, Kehrreime, Tanzlieder und Kinderlieder und ist bis heute die umfangreichste norwegische Balladenausgabe. Landstad war Pfarrer und somit kein professioneller Sprachforscher oder Volkskundler, verfügte jedoch über weitreichende Kenntnisse des Volkes, der Kultur und der Sprache der westlichen Telemark als dem Gebiet, in dem nahezu alle norwegischen Balladen niedergeschrieben wurden. Er begann in den 1830er Jahren mit der Sammlung von Liedern und schrieb diese zunächst lautgetreu nach der Aussprache des Dialektes nieder. In Norske Folkeviser ist die Sprache indessen eine gänzlich andere – hier ist die Schreibweise etymologisch. In seinem Vorwort zu den Norske Folkeviser begründet er: Ich wollte den Sprachdialekt der Oberen Telemark getreu wiedergeben und nahm zunächst an, hierzu sei es am besten, die Wörter nach Aussprache niederzuschreiben. Nach wiederholten Versuchen musste ich diesen Plan jedoch aufgeben. Bei der hiesigen, runden und weichen Aussprache werden Vokale zusammengezogen, Konsonanten verschwinden oder es werden harte in weiche verwandelt […] das Gesamt34 bild bekäme ein unschönes, um nicht zu sagen barbarisches Aussehen. ____________ 32 33 34
Lindegård Hjorth 1976, S. 29. Jonsson 1989, S. 82–85. Norske Folkeviser 1968, S. VIII f.
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Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, dass Landstad in den 1830er Jahren über keine Alternative zur lautgetreuen Wiedergabe verfügte; erst im Vorfeld der Ausgabe von 1853 erhielt er Kenntnis von der „zeitgenössischen Arbeit des Pfarrerkollegen Hammershaimb (1819–1909), dessen erster Entwurf einer Schriftnorm des Färöischen 1846 vorlag“.35 Einen Eindruck von der etymologischen Balladensprache Landstads vermittelt die folgende Strophe des Draumkvedet (Traumgedicht), einer der meistdiskutierten norwegischen Balladen: Eg la’ meg neð um joleftan Sterkan svevnen fékk, vaknað ki för um trettandagin folkið at kyrkja gékk 36 Fér mánen skine, og veginne felle sá viðe.
Auffallend sind vor allem das altnordische Sprachzeichen ð sowie die Akzente über den Vokalen. Das mögen wohl kaum besonders gravierenden Maßnahmen sein, verleihen dem Text aber dennoch eine archaische Prägung (‚norrøn light‘), die zwar den Eindruck feierlicher Stimmung erzeugte, dem Gebrauch und der Verbreitung der Norske Folkeviser jedoch kaum zuträglich war. Gewichtiger indessen wurde Landstad vorgeworfen, Balladentexte auf willkürliche und zum Teil inakzeptable Weise vorgelegt zu haben. Die schärfste Kritik übten Grundtvig und Bugge. Erst 1923 entdeckte man Landstads Originalabschriften, die zeigten, dass er, getreu der Überlieferung, keine größeren Änderungen vorgenommen hatte als gemeinhin bei der Edition von Balladen üblich.37 Landstad war sich bewusst, dass er mit Norske Folkeviser als Pionier arbeitete, um die Reste norwegischer Balladenüberlieferung zu bergen. In den Bergdörfern herrsche eine Übergangszeit, schreibt er, das Alte sei dort zum größten Teil bereits „in die höchsten Gebirgsklüfte verdrängt“ worden.38 In seinem Vorwort erwähnt Landstad darüber hinaus „eine Dame, die lebhaft an der Sache interessiert ist.“ Dabei handelt es sich um die Pfarrerstochter Olea Crøger, die schon früh mit der Sammlung von Volksliedern und anderen volkstümlichen Telemark-Überlieferungen begonnen hatte, der aber als Frau Misstrauen entgegengebracht wurde. Eine von ihr zur Edition geplante Liederhandschrift nahmen andere in Besitz. Dennoch leistete sie bedeutende Beiträge ____________ 35 36 37 38
Torp 2003, S. 81. Norske Folkeviser 1968, S. 71. Espeland 2003, S. 9–19. Norske Folkeviser 1968, S. IV.
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zur Ausgabe der Norske Folkeviser. Die Niederschriften Olea Crøgers erschienen 2004 in Buchform mit Lilja bære blomster i enge: Folkeminneoppskrifter frå Telemark i 1840–50-åra (Die Lilie blüht auf der Wiese: Folkloristische Aufzeichnungen aus dem Telemark der 1840er und 1850er Jahre). Wenige Jahre nach Erscheinen der Norske Folkeviser Landstads begann Sophus Bugge mit dem Sammeln von Liedern der West-Telemark und stellte das Resultat in den Gamle norske Folkeviser (1858) vor. Bei diesem Werk handelt es sich um eine wissenschaftliche Ausgabe, worauf der Editor – in indirekter Kritik an den Editionsprinzipien Landstads – dezidiert hinweist. In seinem Vorwort verweist Bugge zudem auf Grundtvig und DgF, die offenkundig das Modell für sein eigenes Werk lieferten, wie sich in der Darbietung der Lieder, aber auch im Ausmaß seiner Kommentierung der Unterschiede der Aund B-Abschriften eines Liedes zeigt. Zur Gänze konnte DgF indessen nicht als Muster dienen; Bugge veröffentlichte keine Renaissanceabschriften, sondern lebendige Bauerntradition. Als ausgebildeter Philologe löste er das Problem der Überführung von Gesang in die schriftliche Form auf herausragende Weise, indem er die Texte lautgetreu wiedergab. Der Gebrauch von Akzentzeichen schien ihm indessen dort notwendig, wo die Vokalqualität herausgestellt werden sollte, wie etwa bei der folgenden Strophe aus der Riesenballade Ivar Elison: Ívar blei í skulen sette aa sille han lære í bók; far hass blei paa vognó vegjen, dæ baus inkji fyr en bót.39
Ein traditioneller und unkritischer Balladenherausgeber würde hier – das erforderliche Wissen vorausgesetzt – den Ausdruck „paa vognó vegjen zu mæ vaapnó vegjen“, d. h. „getötet mit der Waffe“, verbessern. Bugge respektiert jedoch die Liedform des Sängers und gibt den Ausdruck so wieder, wie er gelautet hat, um ihn in den Anmerkungen zu kommentieren. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen verschiedene norwegische Volkslieder- und Balladenausgaben restituierter und standardisierter Texte. Von diesen ist Moltke Moes (1859–1930) und Knut Liestøls (1881–1952) Ausgabe Norske folkevisor fraa millomalderen (Norwegische Volkslieder aus dem Mittelalter; 1919) die umfangreichste. An Plänen für eine wissenschaftliche Ausgabe hat es nicht gefehlt; sie gehen bis zu Zeiten Moltke Moes und Knut Liestøls zurück. Am ehesten löst diesen Anspruch Ådel Gjøstein Bloms ____________ 39
Gamle norske Folkeviser 1971, S. 16.
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1982 erschienene, Legendenballaden enthaltende Ausgabe Norske mellomalderballadar (Norwegische Mittelalterballaden) ein, die jedoch nach dem ersten Band eingestellt wurde. Der Großteil des norwegischen Balladenmaterials ist inzwischen elektronisch im sogenannten ‚Balladenarchiv‘ im Rahmen des Dokumentationsprojekts der Universität Oslo zugänglich.40 Unvollständig ist diese Datenbank insofern, als die Texte nicht korrekturgelesen und der Melodienfundus noch nicht enthalten ist.41 Norsk Visearkiv (Das norwegische Volksweisenarchiv) arbeitet derzeit am Aufbau einer neuen, qualitätsgesicherten Datenbank, die korrekturgelesene Texte bereitstellt, die wiederum Basis der geplanten Edition Norske mellomalderballadar. Tekstar. Vitskapleg utgåve bildet.42 Ein Teil der bisher behandelten Texte wurde in digitalisierter Form publiziert.43
5.
Färöer Inseln
Die färöische Ballade unterscheidet sich von jenen anderer nordischer Regionen insofern, als sie nicht lediglich Gesang (Text und Melodie), sondern auch eine ungebrochene mittelalterliche Tanztradition repräsentiert; in der Regel vergleichsweise lang, nehmen die Helden- und Trollballaden einen großen Platz ein. Die färöischen Balladen knüpfen an die norwegischen und isländischen Balladen in einem westnordischen (altnordischen) Kulturgebiet an: „Das Meer, das das Gebiet geografisch spaltet, wurde zumeist zu einem Binnenmeer, das vereinte. Bergen war der zentrale Ort des altnordischen Gebietes“.44 Mehrere Balladen weisen eine besondere Beziehung zu Bergen auf, so u. a. das Lied über die sogenannte ‚falsche‘ Margrete, Tochter von König Eirik Magnusson (1268–1299), eine Ballade, die in der ersten Phase der nordischen Balladengeschichte entstand. Die ältesten von den Färöer Inseln bekannten Liederabschriften gehen auf das Jahr 1639 zurück. Der Sprachforscher Ole Worm (1588–1655) erstellte verschiedene Abschriften, die, zu Peder Syvs Zeit bekannt, später verloren gingen.45 Der färöische Student Jens Christian Svabo (1746–1824) schrieb um 1780 etwa 50 Balladen nieder, die indessen ungedruckt blieben. Als erste Ausgabe färöischer Balladen gilt mithin Hans Christian Lyngbyes Færøiske ____________ 40 41 42 43 44 45
www.dokpro.uio.no/ballader/lister/arkiv_gml.html [gesehen 1. 8. 2012]. Solberg 1996, S. 133–137. In Arbeit ist allerdings eine vierbändige Ausgabe der Melodien, siehe Ressem 2011. www.visearkivet.no/sider/ballader_i_norge.html [gesehen 1. 8. 2012]. www.bokselskap.no/boker/parisogelena/tittelside [gesehen 1. 8. 2012]. Liestøl 1941, S. 154. Færøsk Anthologi 1891, Bd. I, S. LI.
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Qvæder om Sigurd Fofnersbane og hans Æt (Färöische Gedichte über Sigurd Fofnersbane und sein Geschlecht, 1822). Lyngbye (1782–1837), dänischer Pfarrer und aktiver Botaniker, wurde auf einer Reise zu den Färöer Inseln, wo er Seetang sammelte, mit der färöischen Gesang- und Tanztradition bekannt. Unterstützung erhielt er, u. a. bei der schwierigen Wahl der Sprachform, von Seiten Svabos: Da die Färinger die dänische Sprache als Schrift- und Buchsprache verwenden, gibt es keine Beständigkeit oder Einheit in der Orthografie des färöischen Dialekts, sondern verschiedene Schreiber schreiben auf unterschiedliche Weise und vor allem gemäß der Aussprache […]. Da es nur weniges gibt, das in dieser Mundart [färöisch] gedruckt ist und das Wenige nach Svaboes Orthografie gedruckt ist, so bin ich dieser 46 gefolgt.
Lyngbye kommentiert einzelne Sprachphänomene im Färöischen, so u. a. den Diphthong eâ – „ein schleppender Laut, ein Zwischenlaut zwischen e und a “.47 Um das Buch lesefreundlich zu gestalten, liefert er eine, wie er schreibt, möglichst originalgetreue Übersetzung der Liedtexte ins Dänische und druckt den färöischen und den dänischen Text einander gegenüber ab. Zwischen Lyngbyes Færøiske Qvæder und einer anderen zentralen Balladenausgabe der Färöer Inseln besteht ein direkter Zusammenhang. Nachdem man Lyngbye geraten hatte, für die Niederschrift weiterer Balladen Hilfe hinzuzuziehen, wurden einige schreibkundige Bauern für dieses Projekt engagiert. Unter diesen von zentraler Bedeutung war Johannes Klemensen, auch Jóannes í Króki genannt (1794–1869), der im Laufe der 1820er Jahre die große, später unter dem Titel Sandoyarbók bekannte Liedersammlung fertigstellte. Zu ihrem Inhalt äußert Klemensen: Viele [Gedichte] hatte ich früher selbst schon gelernt, und die übrigen habe ich von vielen älteren Männern im ganzen Kirchspiel [Sandoy] gesammelt, bis die Anzahl 48 hundert überstieg, mit über zehntausend Versen.
Wie andere färöische Balladensammler gab Klemensen die Balladen in Mundart wieder. Svabos Orthografie unterscheidet sich dabei von der Klemensens, indem er die Sprechweise Vágars, Klemensen hingegen die Sprache Sandoys zum Ausgangspunkt nimmt.49 Wie bereits erwähnt, war die Sprachsituation auf den Färöer Inseln und in Norwegen zu Anfang des 19. Jahrhunderts in etwa die gleiche. Aufgrund der ____________ 46 47 48 49
Lyngbye 1980, S. XII. Lyngbye 1880, S. XIII. Sandoyarbók 1968, Bd. 1, S. VIII. Sandoyarbók 1968, Bd. 1, S. IX.
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Sprachentwicklung im Spätmittelalter fungierte die altnordische Sprache nicht länger als Schriftsprache; sie wurde vom Dänischen abgelöst. Mit der Romantik und der Nationenbildung im 19. Jahrhundert entstand indessen die Forderung nach einer nationalen, in der jeweils eigenen Sprache der Nationen verwurzelten Schriftsprache. In Norwegen wurde diese Herausforderung auf zwei Arten gelöst. Die dänische Schriftsprache wurde dem Norwegischen hinsichtlich Wortschatz, Syntax und Rechtschreibung angeglichen; zudem erarbeitete der autodidaktische Sprachforscher Ivar Aasen (1813–1896), basierend auf norwegischen Mundarten und mit einem gewissen Seitenblick auf das Altnorwegische, eine neue norwegische Schriftsprache. Als dritte Lösung hätte sich rein theoretisch Landstads etymologische Schreibweise der Norske Folkeviser erweisen können. Der färöische Pfarrer Venceslaus Ulricus Hammershaimb wählte bei der Grundlegung der färöischen Schriftsprache Mitte des 19. Jahrhunderts eine zumindest ähnliche Vorgehensweise. Hammershaimb schreibt: Ich wählte die etymologisierende Schreibweise, da ich meinte, dass diese für die Sprache die größten Vorteile bot, wenn diese eine Zukunft haben sollte: nicht nur weil die Mitteilungen auf färöisch dadurch für Fremde leichter zu lesen waren und feiner aussahen, sondern auch, damit die Färinger den verwandten Sprachen Islän50 disch und Dänisch näher kamen. Hammershaimb stellte 1854 in Færøisk Sproglære (Färöische Sprachlehre) die Grundlagen der neuen Sprache vor; im Durchgang durch die färöischen Dialekte erklärt er Lautübergänge, erstellt Paradigmen für Substantive und Verben und kommentiert andere Wortklassen. Es ist schlüssig, dass das altnordische Erbe, die färöischen Tanzlieder, zu einer tragenden Säule des Sprachprojekts Hammershaimbs wurde. Das Projekt war von Erfolg gekrönt. In seinem zweibändigen Werk Færøsk Anthologi (1891) präsentiert Hammershaimb mehrere färöische Tanzweisen in der neuen Schriftsprache; um sämtliche Färöer Balladen herauszugeben, mangelte es jedoch an Zeit und Gelegenheit. Dabei handelte es sich um ein besonders umfangreiches Material; von den älteren Abschriften sei das Fugloyarbók (Vogelinselbuch) erwähnt, das rund 100 Lieder enthielt, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem Bauern Hanus Hanusson niedergeschrieben worden waren.51 Mit seinem Schwager Jørgen Bloch (1839–1910) als Mitarbeiter übernahm Svend Grundtvig 1871 das Projekt. Die färöischen Lieder bis zur Herausgabe fertigzustellen gelang jedoch keinem von beiden; dies erfolgte erst mit Chr. Matras’ und N. Djurhuus’ Føroya kvæði (1941–1972), bestehend aus sechs ____________ 50 51
Færøsk Anthologi 1891, Bd. I, S. LV. Føroya kvæði 1996, Bd. VII, S. 57 f.
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Textbänden sowie einem Registerband von Michael Chesnutt und Kaj Larsen (1966) mit einer Übersicht u. a. über die Editionsgeschichte und die Liederhandschriften. Dass die färöische Balladenausgabe keine Melodien enthält, ist vor dem Hintergund heutiger Anforderungen ein Schwachpunkt. Klar ist auch, dass die standardisierten Texte insofern ein Problem darstellen, als diese Art der Wiedergabe mit gültigen philologisch-kritischen Forderungen bricht. Der Vorteil ist, dass die Standardisierung die Texte für den der färöischen Sprache nicht gründlich Kundigen lesbarer macht. Aus der Sicht Hammershaimbs, bei der die Konstituierung der färöischen Nation eine wichtige Rolle spielte, gab es gute Gründe, die Balladensprache zu standardisieren. Damit wurde die klassische färöische Literatur in einer Sprachform zugänglich, die auf einer Ebene über dem Dialektniveau lag – einer Sprachform, die modern genug war, um als Gebrauchssprache zu dienen, und die außerdem einen Zusammenhang mit der altnordischen Sprache aufwies. Für die philologische Arbeit mit den färöischen Balladen bedarf die Ausgabe Færøya kvæði der Ergänzung; hier ist hinter das Werk zurück zu den Handschriften zu gehen, die der Ausgabe als Grundlage dienten. Hierfür ist der Registerband unentbehrliches Hilfsmittel.
6.
Island
Während des gesamten Mittelalters galten die Isländer, u. a. als Skalden und Sagenschreiber, im Norden als ‚literarische Spezialisten‘. Die isländische Mittelalterliteratur nimmt hinsichtlich Qualität und Quantität einen besonderen Platz ein. Von hier ließe sich auf eine entsprechend reiche Balladen- und Liederdichtung Islands schließen; doch dies war nicht der Fall. Alte Sagen aus dem 12. Jahrhundert zitieren zwar Teile von Liedern und kehrreimartige Fragmente,52 doch mit der Ballade als Gattung haben diese nichts gemein. Insofern stellt sich die Situation auf Island ebenso dar wie in den übrigen nordischen Ländern – wir wissen nicht viel über die älteste Geschichte der Ballade, d. h. der Zeit vor den ersten Abschriften. Die ersten Liedersammlungen auf Island erschienen im 17. Jahrhundert: das Gedichtbuch, das der Pfarrer Gissur Sveinsson von Álptamyri 1665 fertig gestellt hatte […] und Gísli Ívarssons Gedichtbuch […], das die vom Bauern Magnús 53 Jónsson in Vigur erstellte Sammlung aus dem 17. Jhdt. als Vorlage hatte. ____________ 52 53
Kristjánsson 1997, S. 371 f. Liestøl 1931, S. 84.
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Man hätte erwarten können, dass der isländischen Balladendichtung – wie häufig auch jener der Färöer Inseln und Norwegens – die Sagadichtung, insbesondere die Fornaldarsagas (Wikingersagas) und die Rittersagas, als Grundlage gedient hätte, doch es verhielt sich anders. Derartige Stoffe fanden ihre Weiterführung vielmehr in der Rimur-Dichtung, die, so scheint es, die Balladendichtung ablöste. Die Entstehung der Rimur-Dichtung ist ungewiß. Eine Theorie lautet, die Balladengattung habe die Isländer dazu angeregt, ihre eigene originale Versdichtung zu schaffen; viele der Rimurformen erinnern entsprechend an die vierzeiligen Balladenstrophen. Wie Vésteinn Ólason gezeigt hat,54 liegt der Rimurdichtung indessen nicht notwendigerweise die Ballade zugrunde, sondern andere Gattungen und Strophenformen sowohl in lateinischer Sprache als auch in der Volkssprache. Wie erwähnt, war der Pfarrer Gissur Sveinsson der erste Balladensammler auf Island, vermutlich inspiriert durch Anders Sørensen Vedels Liederbuch (1591). Dem Manuskript Sveinssons lag eine verlorene Schrift zugrunde, die wahrscheinlich nicht viel älter war; die Handschrift hatte u. a. nach Vedels Buch übersetzte Lieder enthalten: Das Vorhandensein der übersetzten Lieder ist als Beweis dafür anzusehen, dass Vedels Liederbuch der Grund war, mit der Niederschrift der isländischen Lieder zu beginnen. Die hohe Wertschätzung, die Vedel in seinem Vorwort den Liedern zuteil werden lässt […], hat auf Island dazu geführt, dass man sich für die heimischen Lie55 der interessierte, die man früher als der Aufzeichnung nicht wert angesehen hatte.
Gissur Sveinssons Liedermanuskript enthält 44 Balladen sowie die erwähnten übersetzten dänischen Lieder. Bei einer der Balladen, der bekannten Erzählung über Ólafur liljurós, handelt es sich um eine naturmythische Ballade, die man in allen nordischen Sprachen findet; der Beiname der Hauptperson lautet in der Regel „liljukrans“ auf Norwegisch und „riddararós“ auf Färöisch. Diese Tatsache sowie der Handlungsablauf deuten auf eine enge Verwandtschaft der isländischen mit der färöischen und norwegischen Balladenform. Die isländische Liedersammlung aus dem 17. Jahrhundert enthält mit 74 Balladen einen zentralen Teil des insgesamt 110 verschiedene Balladenarten umfassenden isländischen Balladenmaterials. Es scheint, dass die isländische Balladenüberlieferung im 18. Jahrhundert verfiel; entsprechend kommentiert zumindest Snæbjörn Pálsson die Balladensammlung seines Schwiegervaters Magnús Jónsson aus Vigur: ____________ 54 55
Kristjánsson 1997, S. 379. Íslenzk fornkvæðí 1962, Bd. I, S. XXXVII.
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I do not think that the ballad-book is as rich in ballads as I have known the hearts and minds of eighty year old women to be when I was a child, but most of them 56 have now been buried in the earth with their knowledge.
Der bekannte Handschriftensammler Árni Magnússon (1663–1730), Professor an der Universität Kopenhagen, sammelte in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auch Balladen. Mitte des 19. Jahrhunderts begann unter Leitung der dänischen ‚Oldskriftselskabet‘ in Kopenhagen die systematische Sammlung von Balladen und anderem folkloristischen Material. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Balladentradition auf Island, wie auch in den übrigen nordischen Ländern, stark im Rückgang.57 Svend Grundtvig war, wie gezeigt, im Rahmen der Grundlagenerstellung für die Føroya kvæði von zentraler Bedeutung. Gemeinsam mit Jón Sigurdsson (1811–1879) war er zudem an der Ausgabe der isländischen Balladen Íslenzk fornkvæði, 2 Bde. (1854–1885), beteiligt. Jón Helgason gab später die isländischen Balladen auf Grundlage der Quellen neu heraus (1962–1981). Helgasons ausgezeichnete Ausgabe unterscheidet sich von den übrigen wissenschaftlichen Balladenausgaben in einem wesentlichen Punkt: In DgF, SMB und Føroya kvædi sind die verschiedenen Formen (Abschriften) jedes Liedertyps gesammelt als A-, B-, C-Formen etc. wiedergegeben. Für den Leser lässt sich somit leicht erschließen, wie viele Formen von jedem Liedertyp existieren und welche Ähnlichkeiten und Unterschiede diese auszeichnen. Helgasons Íslenzk fornkvæði liegt indessen ein anderes Editionsprinzip zugrunde; hier werden die verschiedenen Liedmanuskripte (Liederbücher und Liedersammlungen) direkt nach ihren Quellen wiedergegeben. Entsprechend enthält etwa der erste Band der Íslenzk fornkvæði Liedertexte aus drei älteren Handschriften: Texte aus der Sammlung nach Gissur Sveinsson (G), Texte aus einer weiteren, älteren Handschriftensammlung aus dem geografischen Gebiet der Sammlung Sveinssons, zurückgehend auf den Pfarrer Jón Arason (B), sowie Texte aus einer Handschrift nach Mafnús Jónsson aus Vigur (V). Man kann sagen, dass Helgason nach einer grundlegenden philologischen Methode arbeitet, bei der Themen wie die Erörterung von Handschriften, ihre Provenienz (Besitzer- und Handschriftengeschichte), Schreibweisen und unter Umständen verschiedene Schreiber im Mittelpunkt stehen. Wenig deutet in Helgasons Einleitung darauf hin, dass er im Begriff ist, eine Balladen-Ausgabe vorzulegen; vielmehr ist generell von älteren Texten die Rede:
____________ 56 57
Ólason 1982, S. 18. Vgl. Ólason 1982, S. 20.
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In diesem Band werden Volksliedertexte aus folgenden Handschriften gedruckt: 1. AM 147 8vo, G. 2. Add. 11177 in British Museum, B. 3. Ein Liederbuch, das in den Jahren 1699–1700 auf der Insel Vigur geschrieben wurde, V. Diese Handschrift ist verloren, doch ist ihr Inhalt aus zwei Abschriften bekannt, Ny kgl.sml. 1141 fol, V und IS4054to, V. G und B sowie der erste Teil von V repräsentieren ein einzelnes verlorenes Liederbuch, das aus ihnen rekonstruiert werden kann, wenngleich unsicher hinsichtlich zahlreicher Ein58 zelheiten.
Die obigen Ausführungen zeigen, dass für eine Übersicht über die Formen in Kvæði af Ólafi liljurós das Inhaltsverzeichnis sämtlicher Bände der Íslenzk fornkvæði herangezogen werden muss. Das sicherste Vorgehen ist dabei, Vésteinn Ólasons eingehende Präsentation der isländischen Balladen einschließlich der Hinweise auf Helgasons Ausgabe zugrunde zu legen. An und für sich ist es ganz natürlich, dass die starke isländische schriftliterarische Überlieferung auch in einer Balladenausgabe durchschlägt, obgleich die Balladen immer mündliche Dichtung waren. Wie Vésteinn Ólason formuliert, liegt der Vorteil des Prinzips Helgasons darin, dass es „die Überlieferung selbst anstelle eines auferzwungenen wissenschaftlichen Konzepts in den Blick nimmt.“59 Andererseits ist dieses Prinzip weniger lesefreundlich. Nichtsdestoweniger stellt die isländische Balladenausgabe den Stoff selbstverständlich auf eine sehr gute Art und Weise dar. Keine der nordischen Balladenausgaben – DgF, SMB, Føroya kvæði oder Íslenzk fornkvæði – präsentieren das Balladenmaterial nach dem genau gleichen Prinzip. Jede Ausgabe hat ihre starken Seiten. Nicht zuletzt ist es den Herausgebern in Dänemark, Schweden, auf den Färöer Inseln und auf Island gelungen, die alten Mittelalterlieder in wissenschaftlichen Buchausgaben für Balladeninteressierte verschiedenster Ausrichtung zugänglich zu machen. Und vor allem darauf kommt es an.
7.
Zusammenfassung
Zu Recht sprechen wir von ‚der nordischen Ballade‘; oft finden sich die gleichen Balladen und Lieder in allen oder mehreren nordischen Ländern. Seit dem 19. Jahrhundert bis heute kennzeichnet die Balladenedition und -forschung eine entsprechend gute Zusammenarbeit. ____________ 58 59
Íslenzk fornkvæðí 1962, Bd. I, S. IX. Ólason 1982, S. 16.
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In den nordischen Ländern nahm die Ausgabe von Balladen und Liedern mit Anders Sörensen Vedel (1591) ihren Anfang. Die erste wissenschaftlich erarbeitete Balladenausgabe erschien im 19. Jahrhundert mit Svend Grundtvigs Danmarks gamle Folkeviser (1853). Bis zur Edition der schwedischen Balladen sollte viel Zeit vergehen, doch die Ausgabe, als kombinierte Text- und Melodienausgabe, wurde in Rekordzeit herausgegeben (1983–2001). In Norwegen ist Magnus B. Landstads Norske Folkeviser (1853) nach wie vor die umfangreichste Balladenausgabe. Sophus Bugges Gamle Folkeviser (1858) ist wissenschaftlich erstellt, jedoch in ihrem Umfang eher bescheiden. Die färöischen Balladen liegen in der von Chr. Matras und N. Djurhus herausgegebenen, großen sechsbändigen Ausgabe Føroya kvædði (1941–1972) vor, zu der Svend Grundtvig und Jørgen Bloch 1871 den Auftakt lieferten. Der färöische Balladenstoff wurde in die etymologisch basierte, neue färöische Schriftsprache V. Hammershaimbs überführt. Jón Helgason gab mit Íslenzk fornkvæði (1962–1981) die isländischen Balladen heraus. In diesem achtbändigen Werk werden die verschiedenen Liedermanuskripte direkt nach den Quellen wiedergegeben, d. h. die Varianten eines Liedertyps werden nicht gesammelt aufgeführt. Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
Abstract There is good reason why we speak of ‘the Nordic ballad’, as we often find the same ballads and folk songs in all, or at least several, of the Nordic countries. There has also been a good deal of cross-border cooperation in ballad-related publishing and research from the 19th century until the present day. The first edition of Nordic ballads and folk songs, edited by Anders Sørensen Vedel, appeared in 1591. The first scholarly edition of Nordic ballads appeared in the 19th century, with Svend Grundtvig’s Danmarks gamle Folkeviser (Old Folk Songs of Denmark, 1853). We had to wait longer for an edition of Swedish ballads, although when it finally appeared the edition – which reproduced both texts and melodies – was prepared in record time (1983–2001). As far as Norway is concerned, Magnus B. Landstad’s Norske Folkeviser (Norwegian Folk Songs, 1853) is still the most comprehensive edition of ballads. Sophus Bugge’s Gamle norske Folkeviser (Old Norwegian Folk Songs, 1858) is scholarly in approach, but more modest in size. Ballads from the Faroe Islands are included in the major six-volume edition of Føroya kvæði (Faroese
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Poems), published between 1941 and 1972 and edited by Christian Matras and N. Djurhuus. Work on this material was started by Svend Grundtvig and Jørgen Bloch in 1871. Source materials for the Faroese ballads were transcribed into the standard modern Faroese written language, with its etymologizing orthography, introduced by V. Hammershaimb. The Icelandic ballads were published between 1962 and 1981 in Íslenzk fornkvæði (Icelandic Songs), edited by Jón Helgason. This eight-volume work reproduces the various manuscript materials directly from the various sources. As a result the different variants of each type of song appear separately in different parts of the edition.
Literaturverzeichnis Editionen Anders Sørensen Vedels Folkevisebog. Hrsg. von Paul W. Rubow. Bd. I. Kopenhagen 1926. Bugge, Sophus: Sophus Bugges brev. Hrsg. von Kristoffer Kruken. 3 Bde. Øvre Ervik 2004. Danmarks gamle Folkeviser. Hrsg. von Svend Grundtvig, Axel Olrik, H. Grüner-Nielsen, KarlIvar Hildeman, Erik Dal, Iørn Piø, Thorkild Knudsen, Svend Nielsen, Nils Schiørring, Svend H. Rossel, Rikard Hornby und Erik Sønderholm. 12 Bde. Kopenhagen 1853–1976 (Bd. I–V: Samfundet til den danske Litteraturs Fremme; Bd. X: Universitets-Jubilæets danske Samfund; Bd. XI–XII: Universitets-Jubilæets danske Samfund). Et hundrede gamle danske skjæmteviser efter nutidssang Hrsg. von Evald Tang Kristensen. Århus 1901. Et hundrede udvalde danske viser om allehaande merkelige krigsbedrivt og anden selsom eventyr som sig her udi riget ved gamle kemper / navnkundige konger og ellers fornemme personer begivet haver af Arilds tid til denne nærværende dag. Forøgede med det andet hundrede viser om danske konger kæmper og andre samt hosføjede antegnelser til lyst og lærdom. Hrsg. von Peder Syv. Kopenhagen 1695 [= Tohundreviseboka]. Færøiske Qvæder om Sigurd Fofnersbane og hans Æt. Hrsg. von Hans Christian Lyngbye. Tórshavn [1822] 1980. Føroya kvæði. Hrsg. von Christian Matras und Napoleon Djurhuus. 6 Bde. Kopenhagen 1941– 1972. Føroya kvæði. Hrsg. von Michael Chesnutt und Kaj Larsen. Bd. 7 (History, manuscripts, indexes). Kopenhagen 1996. Færøsk Anthologi. Hrsg. von Venceslaus Ulricus Hammershaimb. 2 Bde. Kopenhagen 1891 (Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur 15). Gamle norske Folkeviser. Hrsg. von Sophus Bugge. Oslo [1858] 1971 (Norsk folkeminnelags skrifter 106). Íslenzk fornkvæði. Hrsg. von Jón Helgason. 8 Bde. Kopenhagen 1962–1981 (Editiones Arnamagnæanæ. Series B). Lilja bære blomster i enge. Folkeminneoppskrifter frå Telemark i 1840–50-åra. Hrsg. von Brynjulf Alver, Reimund Kvideland und Astrid Nora Ressem. 2 Bde. Oslo 2004 (Norsk folkeminnelags skrifter 112). Norske Folkeviser. Hrsg. von Magnus Brostrup Landstad. Oslo 1968. Norske middelalderballader. Melodier. Hrsg. von Astrid Nora Ressem. 4 Bde. Oslo 2011 ff. Norske mellomalderballadar 1. Legendeviser. Hrsg. von Ådel Gjøstein Blom. Oslo 1982 (Institutt for sammenlignende kulturforskning. Serie B, Skrifter 66). Sandoyarbók. Hrsg. von Johannes Klemensen und Rikard Long. 2 Bde. Tórshavn 1968–1982. Sange, Folkeviser og Stev i norske Almuedialekter. Hrsg. von Jørgen Moe. Oslo [1840] 1988 (Norsk folkeminnelags skrifter 132).
122
Olav Solberg
Svenska folk-visor från forntiden. Hrsg. von Erik Gustaf Geijer und Arvid Augus Afzelius. 3 Bde. Stockholm 1814–1816. Svenska fornsånger. Hrsg. von Adolf Iwar Arwidsson. 3 Bde. Stockholm 1834–1842. Sveriges Medeltida Ballader. Hrsg. von Bengt R. Jonsson, Margareta Jersild und Sven-Bertil Jansson. 5 Bde. Stockholm 1983–2001 [= SMB]. Udvalgte danske Viser fra Middelalderen. Hrsg. von Werner Abrahamson, Rasmus Nyerup und Knud Lyne Rahbek. 5 Bde. Kopenhagen 1812–1814.
Sonstige Literatur Aasen, Ivar: Norsk Ordbog med dansk Forklaring. Kristiania [1871–1873] 1918. Dal, Erik: Nordisk folkeviseforskning siden 1800. Omrids af text- og melodistudiets historie og problemer især i Danmark. Kopenhagen 1956 (Universitets-jubilæets danske samfunds skriftserie 376). Espeland, Velle: „Ukyndighed, uforstand og vandalisme“. Kritikken mot Norske Folkeviser. In: Tekst og tradisjon. M. B. Landstad 1802–2002. Hrsg. von Olav Solberg, Herleik Baklid und Peter Fjågesund. Porsgrunn 2003 (HiT skrift 2003, 4), S. 9–19. Grüner-Nielsen, Hakon: Danske skæmteviser. Folkeviser og litterær efterklang. Efter visehaandskrifter fra 16.–18. aarh. og flyveblade. 2 Bde. Kopenhagen 1927–1928. Henrikson, Paula: Kampen om litteraturhistorien. Romantikerna som filologer. In: Text och tradition. Om textedering och kanonbildning. Hrsg. von Lars Burman und Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 2002 (Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 4), S. 42–58. Hildeman, Karl-Ivar: Medeltid på vers. Litteraturhistoriska studier. Stockholm 1958 (Skrifter. Utgivna av Svenskt visarkiv 1). Jonsson, Bengt R.: Arvid August Afzelius. In: Arv. Nordic Yearbook of Folklore. Stockholm 1969–1970, S. 81–87. Jonsson, Bengt R.: Bråvalla och Lena. Kring balladen SMB 56. In: Sumlen. Årsbok för vis- och folkmusikforskning 1989, S. 49–166. Jonsson, Bengt R.: Svensk balladtradition I. Balladkällor och balladtyper. Diss. Uppsala. Stockholm 1967 (Svenskt visarkivs handlingar 1). Jonsson, Bengt R., Svale Solheim und Eva Danielson (Hrsg.). The Types of the Medieval Scandinavian Ballad. A descriptive catalogue. Oslo 1978 (Instituttet for sammenlignende kulturforskning. Serie B, Skrifter 59). Kristjánsson, Jónas: Eddas and Sagas. Iceland’s medieval literature. Übers. von Peter Foote. Reykjavik [1988] 1997. Liestøl, Knut: Det norrøne folkeviseumrådet. In: Saga og folkeminne 1941, S. 143–155. Liestøl, Knut: Islendske folkevisor. In: Nordisk kultur IX A, 1931, S. 84–89. Lindegård Hjorth, Poul: Linköping-håndskriftet og „Ridderen i hjorteham“. In: Danske studier 1976, S. 5–35. Lönnroth, Lars: Brages harpa – Geijer och den götiska renässansen. In: Den svenska litteraturen. Hrsg. von Lars Lönnroth und Sven Delblanc. Bd. 2 (Upplysning och romantik: 1718–1830). Stockholm 1988, S. 261–282. Moe, Jørgen: Indberetning fra Cand. theol. Jørgen Moe om en af ham i Maanederne Juli og August 1847 med offentligt Stipendium foretagen Reise gjennem Thelemarken og Sætersdalen, for at Samle Folkedigtninger. In: Tradisjonsinnsamling på 1800-talet. Stipendmeldingar. Oslo 1964, S. 47–88. Moe, Moltke: Det nationale gjennembrud og dets mænd. In: Samlede skrifter. Bd. 3. Hrsg. von Knut Liestøl. Oslo 1927, S. 44–196. Ólason, Vésteinn: The Traditional Ballads of Iceland. Historical Studies. Diss. Reykjavik 1982 (Rit. Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 22). Piø, Iørn: Svend Grundtvig. In: Arv. Nordic Yearbook of Folklore. Stockholm 1969–1970, S. 189– 224. Recke, Ernst von der: Folkevisestudier. Vestnordisk indflydelse i dansk. In: Danske studier 1907, S. 79–120. Ruus, Hanne: Dansk Folkevisekultur 1550–1700. In: Svøbt i mår. Dansk Folkevisekultur 1550– 1700. Bd. I (Adelskultur og visebøger). Kopenhagen 1999, S. 11–20.
Editionen von Balladen und Volksliedern im Norden
123
Solberg, Olav: Den omsnudde verda. Ein studie i dei norske skjemteballadane. Oslo 1993. Solberg, Olav: Treng vi ei vitskapleg utgåve av norske mellomalderballadar? In: Maal og Minne 1996, H. 2, S. 129–138. Sørensen, Øystein: Kampen om Norges sjel. Bd. 3 von Norsk idéhistorie. Hrsg. von Trond Berg Eriksen. Oslo 2001. Torp, Arne: „Fér mánen skine og veginne felle sá viðe“: Om språkforma i Norske Folkeviser. In: Tekst og tradisjon. M. B. Landstad 1802–2002. Hrsg. von Olav Solberg, Herleik Baklid und Peter Fjågesund. Porsgrunn 2003 (HiT skrift 2003, 4), S. 77–95. Torp, Arne und Lars Vikør: Hovuddrag i norsk språkhistorie. Oslo 1988. Vandvik, Eirik: Blant gudar på Olymp. Gresk mytologi illustrert med sitat frå gresk litteratur og bilete av gresk kunst. Oslo [1956] 1963.
Petra Söderlund
Die skandinavischen Literaturgesellschaften Finanzielle und institutionelle Bedingungen für textkritische Ausgaben in Skandinavien
1.
Einleitung
Vor fast 90 Jahren schrieb der Direktor der schwedischen Königlichen Bibliothek, Reichsbibliothekar Oscar Wieselgren (1886–1971), in einem Artikel in Stockholms Dagblad, dass, um das Interesse der Allgemeinheit für das schriftstellerische Werk älterer Autoren lebendig zu erhalten, deren Literatur in zuverlässigen textkritischen Ausgaben zugänglich sein müsse.1 Es ist durchaus nicht unangebracht zu behaupten, dass der Zugang zu textkritischen Ausgaben die moderne Erforschung dieser Werke fördert, oder anders ausgedrückt: Die Forschung benötigt das Vorhandensein textkritischer Ausgaben, um ihre eigene Arbeit zu erleichtern oder sogar zu ermöglichen. Es gibt viele Beispiele dafür, wie ein Editionsprojekt die Forschung zu einem schriftstellerischen Werk erneut angeregt hat. Das mir am nächsten liegende Beispiel ist die in Schweden derzeit veranstaltete Ausgabe der Gesammelten Werke von Carl Jonas Love Almqvist, wo es kaum ein Zufall ist, dass die Almqvist-Forschung einen Aufschwung erlebte, als das Projekt anlief. Auch wenn der Zugang zu textkritischen Ausgaben eine wichtige Rolle für die Forschung spielt, ist es keineswegs selbstverständlich, dass textkritisches Edieren im Anschluss an diejenigen Institute praktiziert wird, an denen man literaturwissenschaftliche Forschung betreibt. Wenn aber Universitätsinstitute – außer in der Theorie sowie im Rahmen der Forschung über ein gewisses schriftstellerisches Werk – die textkritische Edition nicht stützen, wer dann? Der vorliegende Artikel beschäftigt sich vorwiegend mit den derzeit tätigen skandinavischen Editionsgesellschaften für kritische Ausgaben hauptsächlich moderner Belletristik, und zwar unter mehrfacher Perspektive: der vergleichenden, der soziologischen und der finanziellen. Zeitbegrenzte Editionsprojekte werden deshalb – außer im Vergleich – hier nicht angeführt. In meiner Untersuchung fokussiere ich auf die dauerhaft eigenständigen Literaturgesellschaften, die sich in erster Linie mit Belletristik beschäftigen. Die besonderen ____________ 1
Wieselgren 1919.
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Petra Söderlund
Schwerpunkte lege ich auf deren moderne Steuerung, organisatorische Zusammensetzung, Verwaltung, Finanzierung und eventuelle Verbindung mit Universitätsinstituten sowie ferner darauf, wie und von welchen Personen Beschlüsse über neue Editionsprojekte gefasst werden und wie Lagerhaltung und Vertrieb fungieren. Nicht behandelt werden Verlage, die einzelne textkritische Editionsprojekte finanziert haben, oder Institute und Forschungszentren, die mit gewissen zeitbegrenzten Editionsprojekten verknüpft sind, wie z. B. das Senter for Ibsen-studier (Zentrum für Ibsen-Studien) in Norwegen, Søren Kierkegaard Forskningscenteret (Søren-Kierkegaard-Forschungszentrum) in Dänemark oder das Strindberg-Projekt in Schweden. Darüber hinaus freilich gibt es auch einzelne dauerhafte Editionsgesellschaften, die ich aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls nicht behandle. Die Schwedische Akademie etwa ist sicherlich nicht als eine Editionsgesellschaft anzusehen, und dennoch zählt die Herausgabe einer Klassikerreihe zu ihren Tätigkeiten. Über 20 Titel diverser schwedischer Schriftsteller sind in dieser Reihe erschienen; darunter sind die Heilige Birgitta, Erik Gustaf Geijer und Eyvind Johnson. Die Editionen sind jedoch nicht im strengen Sinne textkritisch, insofern sie keine Varianten verzeichnen und zudem sprachlich modernisiert sind. Immerhin aber bietet die Klassikerreihe Wort- und Sacherklärungen, Inhaltskommentare sowie Darstellungen der Textsituation und der Editionsrichtlinien.2 Das Forschungszentrum The Wittgenstein Archives an der norwegischen Universität Bergen, mit Anknüpfung an den österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein, steht außerhalb des skandinavischen Rahmens. Die theoretisch und methodisch bahnbrechende digitalisierte Ausgabe von Wittgensteins Nachlass wird an anderer Stelle im vorliegenden Band behandelt.3 Die Begrenzung auf die Edition neusprachlicher Literatur bringt es mit sich, dass eine Gesellschaft wie Svenska Fornskriftsällskapet (Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur) in diesem Beitrag nicht vorgestellt wird. Die Gesellschaft wurde 1843 mit dem Ziel gegründet, „Schwedens Buch-Schatz“ aus der Zeit vor dem 17. Jahrhundert herauszugeben sowie die Herausgabe von historischen, philologischen, literaturhistorischen und bibliografischen Studien zu diesem Buch-Schatz zu fördern. Dies bedingt zwar, dass die Gesellschaft auch literarische Werke herausgibt, diese sind aber nicht neusprachlich. Beispiele ____________ 2
3
Zur Klassikerreihe der Schwedischen Akademie siehe www.svenskaakademien.se [gesehen 19. 6. 2012] und Allén 2002 sowie zur Definition einer kritischen Ausgabe Greetham 1994 [1992], S. 351–372. In einigen Fällen haben die textkritischen Editionen des Svenska Vitterhetssamfundet (dem Schwedischen Literaturverein; siehe die Erörterung unten) die Textgrundlage bereitgestellt, welche sodann für die Klassikerreihe der Schwedischen Akademie sprachlich modernisiert worden ist. Dies trifft beispielsweise für Hedvig Charlotta Nordenflychts Schriften und Johan Ludvig Runebergs Dichtungen zu. Hinweis zur Webseite: http://wab.aksis.uib.no/index.page [gesehen 19. 6. 2012].
Die skandinavischen Literaturgesellschaften
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solcher Editionen sind Svenska medeltidens rim-krönikor (Reimchroniken des schwedischen Mittelalters) und Flores und Blanzeflor (erstmals 1844, Neudruck mit Ergänzungen 1956). Die Gesellschaft hat seit ihrer Gründung gut 100 Schriften herausgegeben; sie beschäftigt weder Personal auf Gehaltbasis, noch zahlt sie Honorare an die Editoren – Verhältnisse ähnlich wie bei mehreren der Gesellschaften, auf die im Weiteren eingegangen werden soll.4 Auch die beiden dänischen Gesellschaften, Det Arnamagnæanska Institut (Das Arnamagnäanische Institut) und Det Kongelige Nordiske Oldskriftselskab (Die Königlich Nordische Gesellschaft für frühes Schrifttum), behandelt dieser Beitrag nicht, da sie keine neusprachliche Literatur herausgeben. Diese beiden Gesellschaften werden jedoch an anderer Stelle im vorliegendem Band gewürdigt. Die Beschränkung auf Belletristik hat schließlich ebenfalls zur Folge, dass z. B. textkritische Editionen historischer Quellentexte des norwegischen Reichsarchivs ausgegrenzt sind. Die Literaturgesellschaften werden in chronologischer Reihenfolge, nach ihrem jeweiligen Gründungsjahr, vorgestellt.
2.
Svenska litteratursällskapet i Finland (SLSiF)
Die Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland (im folgenden SLSiF, um eine Verwechslung mit der Schwedischen Literaturgesellschaft, SLS, zu vermeiden) wurde 1885 gegründet. Die Initiativträger waren Carl Gustaf Estlander (1834–1910, Professor für Ästhetik und moderne Literatur in Helsinki), Axel Lille (1848–1921, Dr. jur.) und Axel Olof Freudenthal (1836–1911, Professor für Schwedische Sprache und Literatur in Helsinki). Der Zweck war, die schwedische Sprache und Kultur in Finnland zu fördern sowie die literarische Tätigkeit in schwedischer Sprache durch Preise und finanzielle Unterstützung zu stärken. Die Geldbeiträge der zweihundert ‚stiftenden Mitglieder‘ von mindestens je 200 Finnmark bildeten den Grundstock für einen Fonds zugunsten des Wirkens der Gesellschaft. Weitere Mittel kamen auch von ständigen sowie jährlich eingeschriebenen Mitgliedern.5 Zwei Jahre nach der Gründung kam der Gesellschaft das gesamte testamentarisch vermachte Vermögen Victor Höckerts zugute, was die vorhandenen Mittel auf einen Schlag verdoppelte. Ab 1896 flossen auch Gelder in Form von staatlicher Unterstützung. Lange Zeit waren die Mitgliedsbeiträge, der staatli____________ 4
5
Angaben zur Svenska Fornskriftsällskapet bezogen aus Wisén 1908, Sp. 881; www.svenska fornskriftsallskapet.se [gesehen 19. 6. 2012], sowie telefonisch vom Sekretär der Gesellschaft, Per-Axel Wiktorsson, am 24. 9. 2007. Siehe auch Westlund 2010. Steinby 1985, S. 13–20.
128
Petra Söderlund
che Zuschuss sowie sonstige staatliche Unterstützung für einzelne Publikationen drei wichtige regelmäßige Einnahmequellen.6 Auch neue Schenkungen bewirkten eine Erhöhung der Zinserträge.7 Zur größten Einnahmequelle der Gesellschaft wurden allmählich die gestifteten Fonds zur Unterstützung ihrer Tätigkeit.8 Ab den 1930er Jahren änderte man die Verwaltung des Vermögens dahingehend, dass die Gelder in sogenannten ‚Realwerten‘ angelegt wurden, nicht zuletzt in Immobilien.9 Auf diese Weise basierten allmählich die meisten Einnahmen nicht auf Mitgliedsbeiträgen und staatlicher Unterstützung, sondern auf Aktiengewinnen, Zinsen und Mieten.10 Auch die Geschäftsorganisation wurde mit der Zeit revidiert, so dass die ökonomische Verwaltung sowie Geldtransaktionen von professionellen Ökonomen im sogenannten Finanzrat (mit dem Schatzmeister des Vorstands als Vorsitzendem) und nicht direkt vom Vorstand gehandhabt wurden. Dieser brauchte sich nun weniger um finanzielle Fragen zu kümmern.11 Der Vorstand besteht aus zwölf Mitgliedern der Gesellschaft, die von der Jahresversammlung auf drei Jahre gewählt werden.12 Die Beziehung zur Universität war von Anfang an eng, indem ein Großteil der Vorstandsmitglieder aus Professoren bestand. Wer kein Professor war, hatte jedenfalls in den meisten Fällen promoviert.13 Die Jahresfeier der Gesellschaft (5. Februar) findet gewöhnlich im Festsaal, dem Solennitetssal, der Universität Helsinki statt.14 Die Gesellschaft ist jedoch institutionell nicht an die Universität geknüpft. Ihren geografischen Sitz hat die SLSiF seit 1998 hauptsächlich in einem eigenen Gebäude in der Riddaregatan im Stadtzentrum von Helsinki. Die Veröffentlichungen von SLSiF besorgt der Verlag der Gesellschaft, der sich aber keineswegs mit ausschließlich editionsphilologischen Projekten beschäftigt, die nur einen Teil der beabsichtigten Funktionen der Gesellschaft ausmachen. Lars Huldén berechnete Anfang der 1990er Jahre, dass ungefähr jede fünfte Publikation von SLSif eine ‚Textausgabe‘ ist, obgleich nicht immer von der Art, die erforderlich ist, um als textkritische oder wissenschaftliche Edition gelten zu können.15 Erst im Jahr 1998 wurde für textkritische Ausga____________ 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Steinby 1985, S. 284–291. Steinby 1985, S. 290. Steinby 1985, S. 314. Ein chronologisches bzw. alphabetisches Verzeichnis über die Fonds findet sich in Pettersson 1989, S. 155–205. Mustelin 1986, S. 325 f. Mustelin 1986, S. 339. Steinby 1985, S. 325–336; Mustelin 1986, S. 17, 75 ff. und 325. Pettersson 1989, S. 254. Pettersson 1989, S. 14 f. Mustelin 1986, S. 70. Huldén 1991, S. 90–98.
Die skandinavischen Literaturgesellschaften
129
ben ein besoldeter Redakteur angestellt.16 Ein vor kurzem abgeschlossenes größeres editionsphilologisches Projekt, dessen erster Band 1933 erschien, sind J. L. Runebergs Samlade skrifter (Gesammelte Schriften). Diese Ausgabe war das Resultat einer Zusammenarbeit mit Svenska Vitterhetssamfundet (dem Schwedischen Literaturverein), siehe unten.17 Weitere editionsphilologische Ausgaben in Regie der SLSiF sind die schwedische Volksdichtung Finnlands sowie die vor kurzem begonnene Arbeit an den Schriften von Zacharias Topelius.18 Für die Veröffentlichungen verantwortlich ist der vom Vorstand ausersehene vierköpfige Publikationsausschuss. Dieser Ausschuss erstellt die allgemeinen Richtlinien für die Ausgabe und schlägt dem Vorstand das jährliche Editionsprogramm einschließlich eines Budgets vor. Individuelle Editionsalternativen werden vom Publikationsausschuss auf der Basis von Beurteilungen externer Gutachter erörtert, worauf der Ausschuss den Beschluss für eine eventuelle Veröffentlichung fasst. Nur fertige Manuskripte werden geprüft. Gewisse Umarbeitungen sind manchmal notwendig, wenn ein/mehrere Gutachter auf Fehler hinweisen oder Verbesserungsvorschläge machen. Die praktische Verlagsarbeit wird dann von Verlagsmitarbeitern geleistet, die aus fünf Vollzeitangestellten sowie stundenweise entlohnten Redaktionsassistenten zusammensetzen.19 Erstmals im Jahr 2000 wurde ein eigentlicher Verlagsredakteur als Redaktionsleiter angestellt. Erst ab diesem Zeitpunkt kann die Publikationstätigkeit der SLSiF als ein modern funktionierender Verlag bezeichnet werden.20 Oft sind angestellte Personen die Herausgeber der Editionen der Gesellschaft, sie sind daher im Rahmen ihrer bezahlten Arbeitszeit tätig; andere Mitarbeiter sind zwecks Arbeit an einer Ausgabe nur vorübergehend angestellt.21 Die Bücher werden im finnischen Buchhandel verkauft, während sie früher nur von Mitgliedern erworben werden konnten. Die SLSiF arbeitet mit dem Buchverlag Atlantis in Stockholm zusammen (der seit einigen Jahren teilweise im Besitz der Gesellschaft ist), was die Verbreitung der Literatur in Schweden erleichtert.22 Für eine unbegrenzte Lagerhaltung ist die SLSiF verantwortlich.
____________ 16 17 18 19 20 21 22
E-Mail vom 11. 12. 2007 von Pia Forssell, leitende Editionsredakteurin für Zacharias Topelius’ Skrifter (ZTS), an Petra Söderlund. Über diese Zusammenarbeit siehe Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 27–34. Mustelin 1986, S. 138–146, sowie www.topelius.fi [gesehen 19. 6. 2012]. Svenska litteratursällskapet i Finland. Förlagshandbok, Helsinki 2007 [im folgenden Förlagshandbok], S. 6 f. und 11 f. Beilage zur E-Mail vom 2. 6. 2008 von Pia Forssell (a. a. O.) an Petra Söderlund. E-Mail vom 18. 2. 2008 von Pia Forssell (a. a. O.) an Petra Söderlund. Förlagshandbok, S. 6, sowie E-Mail vom 11. 12. 2007 von Pia Forssell an Petra Söderlund.
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3.
Petra Söderlund
Svenska Vitterhetssamfundet (SVS)
Svenska Vitterhetssamfundet (Der Schwedische Literaturverein) wurde 1907 gegründet. Der ursprüngliche Initiativträger war Dr. habil. Ruben G:son Berg (1876–1948), Sprach- und Literaturforscher an der Stockholmer Hochschule (nunmehr Universität Stockholm). Bei der Jahresversammlung 1905 der Svenska Litteratursällskapet (Schwedische Literaturgesellschaft in Uppsala; nicht zu verwechseln mit der SLSiF) schlug er der Gesellschaft vor, größeres Gewicht auf textkritische Editionen zu legen, was diese aber als zu große Belastung empfand. Stattdessen bildete man eine besondere Organisation für umfangreiche textkritische Projekte, die sich mit Literatur nach der Reformationszeit beschäftigen sollte. Das Startkapital stellten ‚ständige Mitglieder‘ zur Verfügung, die gemeinsam 14.400 SEK beitrugen. Der Verlag Bonnier stützte zu Beginn die Tätigkeit, indem er Satz und Druck der ersten Bände übernahm. Gegen Vergütung kümmerte sich der Verlag bis in die 1950er Jahre um Satz, Druck und Vermarktung. Seitdem Bonnier sich zurückgezogen hat, fungiert die SVS selbst als Verlag. Finanzielle Unterstützung wurde schon früh von der Schwedischen Akademie gewährt, die seither weiterhin gefördert hat, nicht nur durch Geldzuweisungen, sondern insbesondere durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten. Ebenfalls hilfreich war, dass der Sekretär der Gesellschaft zugleich als Bibliothekar an der Bibliothek der Akademie – der Nobel-Bibliothek – wirkte und über lange Zeit seine Aufgaben als Sekretär im Rahmen seiner Bibliotheksstelle verrichten konnte. In den Jahren 1912 bis 2005 bewilligte auch der Staat Zuschüsse. Danach behielt Statens kulturråd (Staatlicher Kulturrat) diese ein. Staatliche Mittel können jedoch genehmigt werden, indem die SVS, genau wie andere Verlage, Zuschüsse für Produktions- und Vermarktungskosten sowie Lagerhaltung beantragt. Ausschlaggebend für die Finanzierung der Editionen der Gesellschaft war während der letzten Jahre Stiftelsen Riksbankens Jubileumsfond (Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbankstiftung).23 Der Vorstand besteht aus zwölf Personen, hauptsächlich Sprach- und Literaturspezialisten. Jedes Vorstandsmitglied wird auf drei Jahre gewählt und ist danach wieder wählbar.24 Zu den Universitäten besteht keine formalisierte oder institutionelle Bindung, auch wenn aufgrund der Institutszugehörigkeit von Vorstandsmitgliedern eine informelle Beziehung vorliegt. Seit ihrer Gründung und bis heute (2012) hat die SVS ca. 170 Bände mit textkritischen Ausgaben von 37 verschiedenen Autoren veröffentlicht, dazu ____________ 23 24
Söderlund 2006. Zur Gründung der Gesellschaft, siehe auch Wretö 1991, S. 79–89. Stadgar för Svenska Vitterhetssamfundet (Statuten der SVS), S. 329 (§ 5).
Die skandinavischen Literaturgesellschaften
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literarische Kalender in Faksimile, Anthologien schwedischer Literatur, Tagungspublikationen sowie die Vorträge der Jahresversammlungen.25 Unter den textkritischen Ausgaben finden sich die Gesammelten Schriften von Johan Henric Kellgren, Carl Gustaf af Leopold und Anna Maria Lenngren. Die Gesammelten Schriften von Runeberg erschienen, wie bereits erwähnt, in Zusammenarbeit mit Svenska litteratursällskapet i Finland (siehe oben). Eines der neueren Editionsprojekte sind die Gesammelten Werke von C. J. L. Almqvist sowie Romane von Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. Die SVS publiziert nur Texte, die nach der Reformationszeit entstanden sind. Beschlüsse über Veröffentlichungen fasst der leitende Ausschuß aufgrund der Projektpläne, die dem fünfköpfigen Redaktionsausschuss vom Initiator/von den Initiatoren eines Editionsprojektes eingereicht werden. Ehe der Vorschlag dem Leitungsausschuss unterbreitet wird, beurteilt der Redaktionsausschuss die Durchführbarkeit des Projekts und die Eignung des Herausgebers. Die redaktionelle Arbeit einschließlich der Kontrollarbeit leistet ein in Teilzeit angestellter Hauptredakteur mit Hilfe eines ebenfalls in Teilzeit assistierenden Hauptredakteurs. Diese beiden Redakteure teilen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwa eine Ganztagsstelle. Darin sind allerdings auch die Aufgaben des Sekretärs und Kassenwarts enthalten. Die Herausgeber erhalten nach Ablieferung eines druckfertigen Manuskripts ein Honorar per Druckbogen, was besagt, dass die Redaktionstätigkeit aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung hauptsächlich außerhalb der normalen Arbeitszeit der Herausgeber geschieht. Die Mitgliedschaft in der SVS steht jeder Person offen; der Jahresbeitrag beläuft sich auf 300 SEK. Die Mitgliederzahl liegt derzeit über 300. Diese erhalten jährlich die Bücher aus den Jahresveröffentlichungen in den Reihen Svenska författare (Schwedische Schriftsteller), die bei Svenska Vitterhetssamfundet erscheinen, sowie Svenska författare. Ny Serie (Schwedische Schriftsteller. Neue Folge), gewöhnlich zwei bis drei Bände. Ältere Titel sind zu Vorzugspreisen (d. h. zum Verlagsnetto) käuflich. Die SVS hält alle eigenen Bücher auf Lager und nimmt auch Bestellungen entgegen. Der Versand neuer Titel an die Mitglieder geschieht allerdings direkt durch die Druckerei. Die Bücher werden auch in Buchhandlungen verkauft, die Mitglieder der SVS sind, darunter einige Internet-Buchhandlungen.26 Die SVS mietet ihre Räum____________ 25 26
Ståhle Sjönell 2007, S. 7–19. Die Bemerkungen zur Handhabung der praktischen Aufgaben stammen von der Verfasserin des vorliegenden Artikels, die durch ihre Tätigkeit als Hauptredakteurin der Gesellschaft guten Einblick in deren Arbeit besitzt.
132
Petra Söderlund
lichkeiten in einem Anwesen an Mariatorget in Stockholm, das der Schwedischen Akademie gehört.
4.
Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (DSL)
Die Dänische Sprach- und Literaturgesellschaft wurde 1911 gegründet, nachdem die Sprachwissenschaftlerin Lis Jacobsen (1882–1961) einen Vortrag gehalten hatte, in dem sie zu Zielsetzungen und Bereitstellung von Mitteln für dänische Sprachforschung aufrief. Um den Vorschlag in die Wirklichkeit umsetzen zu können, errichtete man hauptsächlich mit Hilfe von Industriellen, Großhändlern und Fabrikanten einen Basisfonds. Der Chemiker und Fabrikant Gustaf Adolf Hagemann (1842–1916) stellte eine bedeutende Summe zur Verfügung, um eine Tycho-Brahe-Ausgabe sicherzustellen. Der Carlsbergfonds war ebenfalls ein wichtiger früher Finanzier.27 Neben diesem Fonds, der weiterhin Unterstützung gewährt, stellt auch das dänische Kulturministerium Mittel zur Verfügung.28 Die Statuten der Gesellschaft schreiben deshalb vor, dass sowohl der Carlsbergfonds als auch das Kulturministerium Gehälter, Pensionen, jährliche Geschäftsberichte und Budgets sowie die Anstellung von Verwaltungspersonal genehmigen müssen.29 In der Praxis besteht jedoch keiner der beiden Finanziers auf Einsichtnahme in diese Angelegenheiten.30 Die oberste Leitung der Gesellschaft wird vom Vorstand ausgeübt, der aus einem Vorsitzenden und fünf weiteren Mitgliedern der DSL besteht; diese Stellung bekleiden sie normalerweise nicht länger als zwei Fünfjahresperioden.31 Der Vorstand erarbeitet Vorschläge zu neuen Ausgaben und verteilt die Arbeitsaufgaben unter den Mitgliedern der Gesellschaft (oder anderen Personen). Die Jahresversammlung fasst dann den formalen Beschluss bezüglich der Veröffentlichung einer Schrift.32 In der Praxis kommt es allerdings vor, dass der Vorstand einem offiziellen Entscheid vorgreift und dem Beginn der Arbeit an einer Edition bereits früher zustimmt.33 Die textkritische Editionstätigkeit erstreckt sich von Texten aus dem Mittelalter bis in die Moderne und umfasst sowohl literaturhistorische Klassiker als auch historische Quellenschriften sowie digitale Ausgaben mit potenziellen Klassikern des 20. Jahrhunderts. Die DLS publiziert außerdem sprachhistori____________ 27 28 29 30 31 32 33
Jacobsen 1951, S. 17–32. http://dsl.dk/om-dsl [gesehen 19. 6. 2012]. Love for det danske Sprog- og Litteraturselskab, §§ 12 und 15. E-Mail vom 3. 3. 2008 von Jesper G. Nielsen, Redakteur bei der DSL, an Petra Söderlund. Bøger – planer – mennesker, S. 56 f.; Love for det danske Sprog- og Litteraturselskab, § 9. Love for det danske Sprog- og Litteraturselskab, §§ 6 und 11. Brief vom 16. 8. 2007 von Jesper G. Nielsen an Petra Söderlund.
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sche Schriften, Wörterbücher und Bibliografien.34 Beispiele von textkritischen Ausgaben der DSL sind die Gesammelten Schriften von Tycho Brahe und J. P. Jacobsen, in letzter Zeit die Werke H. C. Andersens sowie die Romane, Erzählungen und Novellen von Herman Bang.35 Die Mitglieder der DSL werden gewählt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht die Gesellschaft aus etwa 80 Mitgliedern; es sind dies Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt in Dänischer Sprache, Literatur und Geschichte wie auch in klassischer Philologie und Lexikografie. Diese Mitglieder begutachten die Ausgaben und konstituieren die oberste Leitung der Gesellschaft. Daneben kümmern sich angestellte Mitarbeiter um die großen Editionsprojekte sowie die Verwaltungsangelegenheiten.36 Das administrative Personal besteht derzeit aus vier Personen. Die Gesellschaft verfügt auch über eine informationstechnologische Abteilung mit drei Angestellten.37 Im Normalfall erhalten die Editoren weder Gehalt noch Honorar. Eine Ausnahme bildet jedoch die Reihe Danske Klassikere (Dänische Klassiker), wo die Herausgeber je nach Umfang des Werkes honoriert werden. Eine weitere Ausnahme sind solche Fälle, in denen die Edition von einem oder mehreren der fest angestellten Redakteure erarbeitet wird, wie z. B. die Werke H. C. Andersens.38 Nach Einreichung eines Manuskripts wird dieses von dem-/denjenigen Mitglied(ern) geprüft, die bei der Jahresversammlung, auf der man eine Edition beschloss, als Gutachter ausersehen worden waren. Die Herausgabe geschieht manchmal in Zusammenarbeit mit einem Verlag, in letzter Zeit vor allem den beiden Verlagen C. A. Reitzel sowie Borgen.39 In Fällen, in denen Schriften in Regie der DSL bei einem Verlag erscheinen, werden Vermarktung, Auslieferung, Verkauf und Lagerhaltung vom Verlag besorgt. Der Verlag und Buchhandel C. A. Reitzel hat als der Hauptkommissionär der Gesellschaft gedient und Vermarktung, Lieferung und Verkauf in Gegenleistung für einen Teil der Verkaufseinnahmen übernommen. Reitzel hatte früher auch die Lagerhaltung inne, um die sich nunmehr die DSL selbst, in
____________ 34 35 36
37 38 39
http://dsl.dk [gesehen 19. 6. 2012]. http://dsl.dk/om-dsl und http://dsl.dk/udgivelser/katalog-over-dsls-udgivelser.html [gesehen 19. 6. 2012]. E-Mail vom 3. 3. 2008 von Jesper G. Nielsen an Petra Söderlund, sowie Årsberetning 2006/2007, S. 60–71 (http://dsl.dk/om-dsl/arsberetninger [19. 6. 2012 fehlen Jahresberichte vor 2007]). http://dsl.dk/om-dsl/kontakt [gesehen 19. 6. 2012]. E-Mail vom 4. 9. 2007 von Jesper G. Nielsen an Petra Söderlund. http://dsl.dk/tekstudgivelser/andersen-2005 [Hyperlink entfernt 19. 6. 2012] und http://dsl.dk/litteratur/verker/danske-klassikere [19. 6. 2012 neuer Hyperlink, wo Auskunft über den Verlag fehlt].
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Petra Söderlund
eigenen oder gemieteten Lokalen, kümmert.40 Die DSL liegt an der Christians Brygge in Kopenhagen, in Räumen, die Det Kongelige Bibliotek (die Königliche Bibliothek) vermietet.41
5.
Det norske språk- og litteraturselskap (NSL)
Die Norwegische Sprach- und Literaturgesellschaft wurde 1953 gebildet. Der Initiativträger war Ragnvald Iversen (1882–1960), Professor für Norwegisch in Trondheim. Zielsetzung war die Herausgabe von als wertvoll erachteter norwegischer Literatur, womit die Edition von Literatur ab dem Mittelalter bis in die neuere Zeit gemeint ist. Gemeinsam mit den Professoren für Literaturbzw. Sprachwissenschaft Francis Bull (1887–1974) und Didrik Arup Seip (1884–1963) beantragte Iversen Mittel beim norwegischen Almennvitenskapelige Forskningsråd, NAVF (Allgemeinwissenschaftlicher Forschungsrat), um die Editionsgesellschaft zu gründen. Dieser Forschungsrat stellte Startkapital zur Verfügung, um die ersten Ausgaben in Angriff nehmen zu können. Entgegen der Hoffnung der Gründer wollte der NAVF allerdings keine feste jährliche Summe übernehmen, wohl aber finanzielle Mittel im Takt mit der Fertigstellung fortlaufender Bände zur Verfügung stellen. Diese Praxis setzte sich bis 1991 fort. Danach geschah eine Umorganisation der norwegischen Forschungsfonds, in deren Zug die bisherige finanzielle Unterstützung der Gesellschaft aufgegeben wurde. Mittel aus Letterstedtska Föreningen (Letterstedtischer Verein), der die Tätigkeit seit Anfang der 1960er Jahre unterstützt hat, haben sich jedoch im Laufe der Zeit allmählich erhöht, und ab den 1990er Jahren sind großzügige Beiträge geflossen, nicht zuletzt von Anders Jahres humanitære stiftelse (Anders Jahres humanitäre Stiftung), und von Institusjonen Fritt Ord (Institution Freies Wort).42 Der Schwerpunkt der Editionen lag auf Belletristik und in nur geringerem Ausmaß auf der Sprachwissenschaft, auch wenn die Gesellschaft von zwei Sprachwissenschaftlern und einem Literaturhistoriker gegründet wurde. Dies ist damit erklärt worden, dass der Bedarf an Neuausgaben literarischer Werke so groß gewesen sei.43 Beispiele textkritischer Ausgaben in Regie der Gesellschaft sind Bjørnstjerne Bjørnsons Brevveksling med danske 1854–1874 (Briefwechsel mit Dänen 1854–1874), in Zusammenarbeit mit der DSL, sowie ____________ 40 41 42 43
Brief vom 16. 8. 2007 von Jesper G. Nielsen an Petra Söderlund. C. A. Reitzels Verlag ging 2008 in Konkurs und hat sich nicht wieder neu gründen lassen. E-Mail vom 4. 9. 2007 von Jesper G. Nielsen an Petra Söderlund. Lundeby 2003, S. 5–14, 36 ff.; Lundeby 2005, S. 4 ff. Lundeby 2003, S. 34.
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Johan Sebastian Welhavens Samlede verker (Gesammelte Werke) und Sophus Bugges Briefe.44 Die Mitglieder der Gesellschaft – Literatur- und Sprachforscher – werden auf der Jahresversammlung gewählt, nachdem beim Vorstand Namensvorschläge eingereicht wurden. Es begann mit achtzehn Mitgliedern, doch ist die Anzahl im Lauf der Jahre gestiegen und liegt nun bei 70 Personen. Den Vorstand bilden vier Mitglieder, nämlich der Vorsitzende und drei Beisitzer. Diese werden für die Dauer von zwei Jahren gewählt und sind danach wieder wählbar.45 Beschlüsse über Veröffentlichungen, gewöhnlich auf Vorschlag eines Mitglieds, werden auf der Jahresversammlung gefasst, nachdem der Vorstand die Projekte zwecks einer Begutachtung bereits eingesehen hat. Aufgrund dieses Verfahrens ist die Editionstätigkeit abhängig von den Interessengebieten der Mitglieder geworden, was vielfach dazu führt, dass die Editionsarbeit außerhalb der normalen Arbeit oder im Rahmen von allenfalls vorhandener Zeit für Forschung geschehen muss. Für die Anstellung von Herausgebern stehen keine finanziellen Mittel zur Verfügung.46 Für jede Edition wird ein Gutachter unter den Mitgliedern der NSL bestimmt. Dieser trägt die Verantwortung dafür, dass die Ausgabe moderne editionsphilologische Kriterien laut den Richtlinien, die die Gesellschaft bei ihrer Jahresversammlung im Jahre 2000 aufstellte, erfüllt. Der Gutachter steht dem Editor mit textkritischen Ratschlägen zur Seite; auch hat er den Vorstand davon zu unterrichten, wann das Manuskript voraussichtlich druckreif sein wird. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Gutachter und Editor bezüglich der Ausgabe wird das Problem dem Vorstand unterbreitet, der die Entscheidung fällt. Weder Herausgeber noch Gutachter werden – außer in Ausnahmefällen – honoriert.47 Die NSL hat keinen angestellten Redakteur. Verwaltungsangelegenheiten erledigt ein Sekretär nur einmal zweiwöchentlich. Es ist auch kein festes Arbeitszimmer vorhanden. Das Senter for Ibsen-studier (Zentrum für IbsenStudien) in der Observatoriegaten in Oslo hatte der NSL vorübergehend lediglich ein Bücherregal zur Verfügung gestellt, doch derzeit hat die Gesellschaft keine feste Bleibe. Geplant ist allerdings eine Arbeitsstelle an der Nationalbibliothek in Oslo. Aufgrund dieser geringen Möglichkeiten zur Erledigung administrativer Aufgaben kann die NSL ihre gedruckten Schriften nicht selbst verwalten. Dies wird jeweils von dem Verlag besorgt, der sich des Druckes ____________ 44 45 46 47
Lundeby 2003, S. 36 ff. Lundeby 2003, S. 7 ff., und www.nslnorge.no/styret.html#plan [gesehen 19. 6. 2012]. Lundeby 2003, S. 36; Lundeby 2005, S. 5. Presentasjon og retningslinjer, S. 1 und 11. Siehe auch www.nslnorge.no/finansiering.html [gesehen 19. 6. 2012].
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und der Vermarktung der Edition annimmt. Die NSL erhält eine gewisse Anzahl kostenloser Exemplare, während der Verlag den Verkauf übernimmt und den eventuellen Gewinn behält. Die Lagerhaltung der Publikationen ist problematisch, da die Verlage nicht immer willens sind, die Bücher auf längere Zeit hinaus vorrätig zu halten. So manches Mal war die NSL zum Eingreifen gezwungen, um wenigstens einige Exemplare von Ausgaben zu retten, die sonst der Makulatur zum Opfer gefallen wären.48 Die Gesellschaft besitzt keine regelrechten Lagermöglichkeiten. Man war genötigt, den von der Universität Oslo früher zur Verfügung gestellten Lagerraum zu verlassen und lagert nun die Bücher auf einem Hof, der 50 km von Oslo entfernt ist.49
6.
Zusammenfassung und Ausblick
Keine der dauerhaft eigenständigen Editionsgesellschaften neusprachlicher Literatur in Dänemark, Norwegen und Schweden ist formell und institutionell mit dem Universitäts- oder Hochschulwesen verknüpft. Dasselbe gilt für die Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland, SLSiF, die den schwedischsprachigen Bevölkerungsanteil Finnlands, eine Minderheit von knapp 6 Prozent, bedient. Dieser Zustand herrscht, obwohl die hauptsächliche Zielgruppe für die textkritischen Ausgaben Wissenschaftler und Studenten an Universitäten und Hochschulen sein dürften. Die Norwegische Literaturgesellschaft (NSL) hatte lange Zeit als Bleibe nichts als ein Bücherregal am Senter for Ibsen-studier, das seinerseits der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Oslo unterstellt ist,50 von der Universität aber keine finanzielle Unterstützung erfährt. Ähnliches gilt für die Dänische Literaturgesellschaft (DSL), die in Räumlichkeiten der Königlichen Bibliothek (Universitätsbibliothek Kopenhagens und zugleich Nationalbibliothek) untergebracht ist.51 Maßgeblich für die Tätigkeit der DLS ist allerdings die staatliche Förderung, da sich das Kulturministerium mit einer finanziellen Zuwendung engagiert (gemeinsam mit anderen, nichtstaatlichen Zuschussgebern). Weder die NSL noch die DSL sind ein formeller Teil des Universitäts- oder Bibliotheksbetriebs. ____________ 48
49 50 51
Lundeby 2003, S. 14 f.; www.nslnorge.no [gesehen 19. 6. 2012], sowie E-Mail vom 15. 12. 2007 von Maria Alnæs, damaliger Sekretärin bei der NSL, an Petra Söderlund. Seit Herbst 2010 sind die Ausgaben der NSL digital über www.bokselskap.no verfügbar. E-Mail vom 15. 12. 2007 von Maria Alnæs an Petra Söderlund. www.hf.uio.no [gesehen 19. 6. 2012]. Die Universitätsbibliothek und die Nationalbibliothek sind einem Direktor mit übergreifender Verantwortung für die Tätigkeit unterstellt. Siehe www.kb.dk/da/kb/organisation [gesehen 19. 6. 2012].
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Der Schwedische Literaturverein (SVS) ist institutionell noch schwächer mit dem Universitätswesen verknüpft. Keine Universität stellt Räume oder finanzielle Mittel zur Verfügung. Es gehen keine regelmäßigen Beiträge ein, auch wenn die SVS zwecks literarischer Produktion – und damit Vermarktung – staatliche Unterstützung beantragen kann, und zwar für Schriften, die innerhalb des gegebenen Rahmens in solche Kategorien fallen, die Unterstützung erhalten können. Diese Fördermittel werden aber erst im Nachhinein gewährt, weshalb Unterstützung für ein Editionsprojekt nicht selbstverständlich zu erwarten ist.52 Stärkere Anknüpfung hat die SVS an die Schwedische Akademie, die unabhängig von staatlichen und anderen Behörden wirkt und die ihrerseits ebenfalls keine staatliche oder sonstige Unterstützung erfährt.53 Auch die Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland (SLSiF) ist institutionell nicht an das Universitätswesen gebunden oder finanziell von diesem abhängig, erhält aber gewisse staatliche Beiträge für ihre Tätigkeit. So unterstützt z. B. das finnische Unterrichtsministerium teilweise die Ausgabe der Schriften von Zacharias Topelius.54 Im Übrigen genießt vor allem die archivalische Tätigkeit der SLSiF staatliche Unterstützung.55 Von den hier besprochenen skandinavischen Editionsgesellschaften hat die SLSiF die stärkste Stellung, und zwar sowohl im Hinblick auf die Finanzen als auch in ihrer Eigenschaft als selbstständiges Institut. Aufgrund der soliden Finanzgrundlage ist die Gesellschaft für die Durchführung von Editionsprojekten unabhängig von externer Finanzierung – auch wenn nicht erwartet wird, dass ein geplantes Projekt Gewinn abwirft. An einer Institution wie der NSL, der keine Mittel zur Anstellung entlohnter Redakteure und Herausgeber zur Verfügung stehen, entwickeln sich textkritische Ausgaben zwangsläufig oft zu zeitlich sehr ausgedehnten Projekten, die vielleicht nicht einmal von demjenigen Herausgeber abgeschlossen werden können, der eine Edition begonnen hat.56 Dasselbe gilt auch für die SVS, die erst ab 1993 einen Hauptredakteur auf Teilzeitbasis einstellen konnte (die Teilzeitbeschäftigung als Sekretär wurde im Jahr zuvor eingerichtet). 2001 konnte die Redaktion um eine weitere Teilzeitanstellung erweitert werden. ____________ 52 53 54
55 56
Angaben zur staatlichen Unterstützung von Literatur sind unter www.kulturradet.se [gesehen 19. 6. 2012] ersichtlich. „Svenska Akademien“ in der digitalen Auflage der Nationalenzyklopädie, www.ne.se [gesehen 19. 6. 2012]. Die Unterstützung ist gedacht als „spezielle Beihilfe zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der digitalen Arbeitsmethoden des Projektes sowie für Material zur digitalen Publikation während der Periode 2006–2007“. Siehe www.topelius.fi/index.php? docid=10 [gesehen 19. 6. 2012]. Siehe die Jahresbilanz der Gesellschaft für die Jahre 2005 und 2006, www.sls.fi/doc.php? category=1&docid=6 [gesehen 19. 6. 2012]. Zu ersehen aus dem Bericht über verschiedene Editionsprojekte in Lundeby 2003, S. 16–34.
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Wissenschaftliche Editionsprojekte wurden oft während der Freizeit des jeweiligen Herausgebers betrieben – oder ab dessen Eintritt ins Pensionsalter. Ein beredtes Beispiel ist die Tatsache, dass von den 28 Bänden mit kritischen Ausgaben, die die SVS in den Jahren 2000–2006 veröffentlichte (ausgenommen die Samlade skrifter von Runeberg, die ja in Zusammenarbeit mit der SLSiF erschienen, sowie zwei Neudrucke älterer Ausgaben), zehn von Herausgebern betreut wurden, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung das Pensionsalter bereits überschritten hatten.57 Im Hinblick darauf, dass ein wissenschaftliches Editionsprojekt gewöhnlich sehr zeitraubend ist und dass solche Projekte von den skandinavischen Editionsgesellschaften oft außerhalb normaler Anstellungsverhältnisse betrieben werden müssen, ist es nur natürlich, dass die erforderliche Zeit für die Arbeit vor der Pensionierung oft nicht zur Verfügung steht. Auch wenn keine der genannten Editionsgesellschaften formal an das Universitätswesen angeschlossen ist, sind doch die informellen und praktischen Bande stark. Es ist auch vorgekommen, dass die Gesellschaften in Zusammenarbeit mit einem oder mehreren Universitätsinstituten Kurse durchgeführt haben. So wurde beispielsweise 1998 in Stockholm und Uppsala ein Seminar zur Textkritik in Form einer Zusammenarbeit zwischen den Universitäten in Stockholm bzw. Uppsala und der SVS durchgeführt. Fast die Hälfte der Teilnehmer hat sich später an verschiedenen Editionsprojekten beteiligt.58 Desgleichen hielt die SLSiF im Jahr 2002 einen Basiskurs in Textkritik ab, der einem fünfwöchigen Vollzeitstudium entsprach. Der Kurs wurde in seiner Gänze von der SLSiF finanziert und in deren Regie betrieben, und die Universitätsinstitute, denen die Kursteilnehmer angehörten, waren damit einverstanden, dass der Kurs dem jeweiligen Studienprogramm der Studenten angerechnet wurde.59 Ein Kontrast zum Mangel an formaler und institutioneller Bindung der Editionsgesellschaften an die Universitäten ist die oft starke universitäre Anknüpfung der zeitlich begrenzten Projekte: Das Ibsen-Projekt in Norwegen, die Kierkegaard-Edition in Dänemark und das Strindberg-Projekt in Schweden sind gute Beispiele.60 Außerdem hat der Staat zu diesen immer noch laufenden ____________ 57
58 59 60
Einer der Bände, Samlade dikter II von Israel Holmström, hatte allerdings einen jüngeren Mitherausgeber, der zur Fertigstellung des Bandes im Rahmen einer zeitbegrenzten Anstellung innerhalb der SVS beitrug. Von einem anderen Band, dem 17. Heft der Briefe Leopolds (hier als ein Band gerechnet) ist zu vermelden, dass die meisten Herausgeber bereits vor der Veröffentlichung verstarben; das Heft musste vom Hauptredakteur der SVS bzw. dem assistierenden Hauptredakteur fertiggestellt werden. Ståhle Sjönell 2007, S. 16. E-Mail vom 13. 12. 2007 von Pia Forssell an Petra Söderlund. Das Ibsen-Projekt ist an die Universität Oslo und andere norwegische Universitäten geknüpft. Die Ausgabe von Kierkegaards Schriften ist dem Søren-Kierkegaard-Forschungszentrum der
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Projekten finanziell in weitaus höherem Grad beigetragen als im Fall der dauerhaft eigenständigen Institutionen. Das Ibsen-Projekt wird von öffentlicher Hand finanziert – wozu ich auch die das Projekt stützenden Universitäten rechne –, und die Kierkegaard-Ausgabe sowie das Strindberg-Projekt werden nunmehr zur Gänze aus staatlichen Mitteln bestritten.61 Die Konsequenz all dessen ist jedoch das große Risiko, dass das theoretische und praktische Wissen sowie die Kompetenz – beides erforderlich für textkritische Editionen und zu erwerben im Rahmen temporärer Projekte – einem eigenständigen Institut nicht zugute kommen. Folglich erhält textkritisches Edieren in Hinblick auf die Laufbahn des einzelnen Wissenschaftlers einen unsicheren Stellenwert, wird vielleicht sogar nur ein Nebengleis, das in der Konkurrenz um akademische Stellen keine ausreichende Qualifikation bietet. Auch wenn die Professionalisierung der textkritischen Edition in den nordischen Ländern teilweise auf unsicherem Grund zu ruhen scheint, stehen andere Wege für die Weitervermittlung des Wissens über textkritische Theorie und Methodik und deren Entwicklung offen. Die skandinavischen Editionsgesellschaften (einschließlich der Literaturgesellschaft für den schwedischsprachigen Bevölkerungsanteil Finnlands) pflegen gegenseitige Kontakte, nicht zuletzt dank des Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer, NNE (Nordisches Netzwerk für Editionsphilologen), das 1995 gegründet wurde.62 Ursprünglich war das Netzwerk als ein wissenschaftlicher Sammelpunkt für die nationalen Editionsprojekte einzelner schriftstellerischer Werke gedacht: Henrik Ibsen, Søren Kierkegaard und August Strindberg. Es war schwierig, für diese neuen Projekte qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren, da die nordischen Universitäten keinen oder nur wenig Unterricht in editionsphilologischer Theorie und Methodik erteilten. Es gab kaum noch Seminare, wohin man die Mitarbeiter für eine Ausbildung in diesem Bereich hätte senden können. So wurde das NNE geschaffen, um diesem Mangel abzuhelfen, woraufhin die nationalen Editionsgesellschaften (SVS, DSL, NSL und später SLSiF) schnell Eingang in das Netzwerk fanden. Zur Zeit hat das NNE ungefähr 240 Mitglieder. Die Organisation zielt darauf, Möglichkeiten zum Erfahrungsaus__________
61 62
Universität Kopenhagen unterstellt, das Strindberg-Projekt der Universität Stockholm. Siehe www.sk.ku.dk/SKS.asp bzw. www.strind.su.se/present.htm [gesehen 19. 6. 2012]. Unterstützer des Ibsen-Projekts: www.ibsen.uio.no/forside.xhtml [gesehen 19. 6. 2012]. http://nnedit.org/nneliste.htm [gesehen 19. 6. 2012]. Für weitere Information über das NNE einschließlich der Themen der abgehaltenen Tagungen und eines Verzeichnisses über die Veröffentlichungen der Schriftenreihe, Mitteilungen sowie einer Beschreibung der abgehaltenen Forscherkurse siehe deren Webseite: http://nnedit.org. Auskünfte über das NNE stammen auch aus der Beilage (Nr. 1) zu einem Projektgesuch für die Seminare, die das Netzwerk während der Sommer 2002–2004 veranstaltete. Den Antrag verfassten Johnny Kondrup, Barbro Ståhle Sjönell und Vigdis Ystad. Zur Bedeutung des NNE für die Entwicklung der Editionsphilologie als Wissenschaftsbereich in den nordischen Ländern siehe auch Lundeby 2005, S. 11.
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tausch innerhalb des textkritischen Edierens zu schaffen und auch die Editionsphilologie als wissenschaftliche Disziplin zu stärken. Diese Absichten sind bisher gefördert worden durch Kongresse, durch Buchveröffentlichungen über Editionsphilologie (in der Schriftenreihe des Netzwerks sind bisher neun Sammelbände als Resultate der Tagungen erschienen) sowie durch Seminare, die in den Sommern 2002–2004 während jeweils einer knappen Woche abgehalten wurden. Die Konferenzen und die Seminare haben als wichtiges Glied in der Ausbildung nordischer Editionsphilologen innerhalb dieses Wissenschaftszweiges gedient, oft auf Doktorandenniveau und als notwendige Ergänzung für Editoren, die bereits promoviert waren. Das NNE verfügt über eine Arbeitsgruppe, bestehend aus acht Personen aus Finnland, Dänemark, Norwegen und Schweden (je zwei aus jedem Land), die zur Aufgabe hat, die Tätigkeit des Netzwerks, einschließlich der jedes zweite Jahr stattfindenden Tagung, zu planen. Ein Mitteilungsblatt erscheint zweimal jährlich, und die Verantwortung für die redaktionelle Arbeit wechselt zwischen den vier in der Arbeitsgruppe repräsentierten Ländern.63 Unter den Mitgliedern des NNE befinden sich viele (relativ) junge Forscher, deren Dissertationen in mehreren Fällen editionsphilologischen Bezug hatten. Dies deutet darauf hin, dass die Editionsphilologie in Skandinavien trotz unsicherer finanzieller Bedingungen ein Wissenschaftszweig mit positiven Zukunftsaussichten zu sein scheint. Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract The essay deals with presently active Scandinavian societies involved with critical editions of mainly belles-lettres viewed from a comparative, sociological and financial perspective: Svenska litteratursällskapet i Finland (Society for Swedish Literature in Finland, founded in 1885), Svenska Vitterhetssamfundet (The Swedish Society for Belles Lettres, founded in 1907), Det Danske Sprogog Litteraturselskab (Society for Danish Language and Literature, founded in 1911) and Det norske språk- og litteraturselskap (The Norwegian Literature and Language Association, founded in 1953). Societies based on a singular time limited project are not considered. ____________ 63
http://nnedit.org/nneori.htm [gesehen 19. 6. 2012].
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The four societies are united by the lack of institutionalized ties to the universities in each country, even though informal bonds are strong, but also by the fact that the government only to some extent finances the work. The research is mainly sponsored by means from private foundations. Only the Society for Swedish Literature in Finland can manage without external financial support. Textual criticism is therefore primarily practiced outside a permanent service (mostly at universities) or after retirement, to a remuneration not equivalent to the effort. The effect is that textual scholarship easily becomes an uncertain career or a sidetrack to an academic career. Although textual scholarship as an academic discipline is feeble in the Nordic countries, there are other ways to guarantee that important knowledge is passed-on and to further discuss and develop theories and methods. The Scandinavian (including Swedish speaking Finland) societies for critical editions are associated in Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer (NNE; Nordic Network for Textual Critics), that was founded in 1995. NNE gathers approximately 240 members and an aim of the network is to strengthen textual criticism as an academic discipline. The network has arranged conferences and courses for graduate students, lasting one week in the summers of 2002–2004, and has published books on subjects within the field of textual criticism.
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Web-Adressen [Zugriff am 19. 6. 2012] Det Danske Sprog- og Litteraturselskab Det Kongelige Bibliotek, Danmark, Organisation Det norske språk- og litteraturselskap Henrik Ibsens skrifter Kulturrådet, Sverige Nationalencyklopedien Nationalupplagan av August Strindbergs Samlade Verk Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer Universitetet i Oslo, Det humanistiske fakultet Svenska Akademien Svenska Fornskriftsällskapet Svenska litteratursällskapet i Finland Svenska Vitterhetssamfundet Søren Kierkegaards Skrifter The Wittgenstein Archive at the University of Bergen Zacharias Topelius Skrifter
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Mats Dahlström, Espen S. Ore
Elektronisches Edieren in Skandinavien
Die Editionsphilologie betreibt nach englischer Terminologie scholarly editing, nach deutschem Sprachgebrauch wissenschaftliches Edieren. Die im Englischen allein verfügbare Vokabel ‚editing‘ lässt sich dabei auf Deutsch sowohl als ‚herausgeben‘ wie als ‚edieren‘ fassen. Dies verdeutlicht, dass beim wissenschaftlichen Edieren ein Text nicht einfach für die Allgemeinheit ‚herausgegeben‘ wird, sondern dass einer solchen Ausgabe etliche Arbeitsphasen des Aufbereitens und Analysierens vorangehen. Heutzutage dürfte sich kaum ein wissenschaftliches Editionsprojekt finden, das sich nicht zumindest phasenweise digitaler Werkzeuge bedient. Für einen Übersichtsartikel über elektronisches Edieren stellt sich damit das Problem, dass sich diese Form des Edierens nur schwer von anderen abgrenzen lässt. Entsprechend schwierig ist es auch, sogenannte ‚elektronische‘ Editionen, oder besser: ‚digitale‘ Editionen, von anderen wissenschaftlichen Ausgaben zu trennen. Traditionell unterscheiden wir eine Reihe von Ausgabentypen, wie etwa Faksimileausgaben, historisch-kritische Ausgaben, synoptische Ausgaben oder Variorumausgaben. Digitale Ausgaben allerdings lassen sich nicht einfach als gleichrangiger neuer Typus in diese Reihe einfügen. Vielmehr können sie all diese bekannten Editionstypen simulieren. Da außerdem aus einem einzigen digitalen Archiv verschiedene traditionelle Ausgabentypen parallel zueinander hervorgehen können, schließen wir hier in die Kategorie der wissenschaftlichen Editionen auch Faksimileausgaben und andere ‚nicht-kritische‘ Ausgaben ein. Der Gegenstandsbereich ließe sich einengen, indem man sich auf die mediale Gestalt des editorischen Endprodukts konzentrierte und nur vollständig digitale Ausgaben bespräche, d. h. Editionen, die nicht in gedruckter Fassung vorliegen. Denn dank des allmählichen Vorrückens digitaler Medien lässt sich mittlerweile der gesamte Produktions- und Publikationszyklus einer Edition elektronisch verwalten. Allerdings gibt es in Skandinavien bislang noch kaum Editionsprojekte dieser Art, während sie international schon größere Bedeutung erlangt haben (z. B. The William Blake Archive). Deshalb wird dieser Artikel weder nur rein digitale Ausgaben vorstellen, noch auf alle Editionsprojekte Skandinaviens eingehen, in denen elektronische Werkzeuge zum Einsatz kommen. Im ersteren Fall nämlich gäbe es im Grunde gar nichts zu erörtern, im zweiten mehr oder weniger sämtliche neueren Editi-
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Mats Dahlström, Espen S. Ore
onen. Stattdessen haben wir uns dafür entschieden, einige Werkzeuge, Arbeitsmethoden und Tendenzen des digitalen Herausgebens von Texten genauer unter die Lupe zu nehmen und hieran anschließend aktuelle Beispiele aus der skandinavischen Editionspraxis vorzustellen.
1.
Frühes computergestütztes Edieren und Textverarbeitung
Im Laufe der 1960er und 1970er Jahre verbreitete sich die computergestützte Textverarbeitung immer weiter, womit eine wichtige Voraussetzung für die spätere Arbeit mit digitalen wissenschaftlichen Ausgaben geschaffen wurde. 1972 richtete Norwegens allgemeinwissenschaftlicher Forschungsrat (Norges Almennvitenskapelige Forskningsråd, NAVF) sein EDV-Zentrum für humanistische Forschung ein, das an die Universität Bergen angebunden wurde, jedoch nationale Aufgaben verfolgte. Das Zentrum baute u. a. Textarchive und Textkorpora auf und entwickelte Software, um diese Daten zu verarbeiten. So bestand das Ziel eines seiner frühen Projekte (1978) darin, eine Sammelkonkordanz zum Werk Henrik Ibsens (1828–1906) zu erstellen.1 Der Text der sogenannten Säkularausgabe wurde Korrektur gelesen und in die Konkordanz einkodiert.2 Da einige Jahre später die Arbeiten an einer neuen Ausgabe von Henrik Ibsens Schriften (HIS) begannen, übernahm dieses Editionsprojekt das Bergener Material und bearbeitete die vorliegenden Texte intensiv, um deren noch zu Ibsens Lebenszeit fallende Varianten und Fassungen zu erschließen. Dieses Beispiel zeigt, wie Daten eines vor über 30 Jahren angelaufenen Projektes auch in einem heutigen Editionsprojekt noch Verwendung finden können. Man erkannte in Norwegen auch in der geisteswissenschaftlichen Forschung das Potential einer solchen computerunterstützten Textverarbeitung. Nur nebenbei sei hier auf das Kuriosum hingewiesen, dass am Philosophischen Institut der Universität Oslo bereits 1981‒1983 ein Print-on-DemandVerfahren praktiziert wurde.3 Wichtiger für die heutige Editionspraxis wurde jedoch die Arbeit an Ludwig Wittgensteins (1889‒1951) Nachlass, zu dem 1980 ein Projekt anlief. Zwar wurde dieses Projekt bereits 1988 abgeschlossen,4 doch organisierte sein damaliger Leiter 1990 ein neues Wittgensteinpro____________ 1 2 3 4
Henrik Ibsens ordskatt (1987) bzw. Konkordans over Henrik Ibsens dramaer og dikt (1993). Ibsen, Samlede verker. Der praktische Anteil der Verfahrens lag in den Händen von Espen S. Ore, damals noch Student an der Universität Oslo. Huitfeldt/Rossvær 1989.
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jekt, aus dem wiederum das nach wie vor in Arbeit befindliche Wittgensteinarchiv der Universität Bergen (WAB) hervorging. Entsprechend sind auch in Schweden bedeutende Entwicklungen in der Computer- und Corpuslinguistik zu beobachten. Ein vielbeachtetes Textcorpus ist beispielsweise das Stockholm-Umeå-Corpus, in dem Wortarten und morphologische Formen linguistisch kodiert und die Corpustexte nach den Richtlinien der Text Encoding Initiative eingerichtet worden sind (mehr zu TEI im Abschnitt 4.1). Besonders wichtig für die schwedische Editionsphilologie jedoch sind die Großprojekte Språkdata und Språkbanken (Die Sprachbank), die Ende der 1960er Jahre an der Universität Göteborg ihren Anfang nahmen und sich seitdem damit beschäftigen, Volltexte, Corpora und Datenbanken verschiedener Genres zu sammeln, zu verarbeiten, zu kodieren, über Konkordanzen zu erschließen und bereitzustellen. Dank ihrer Kompetenzen u. a. im Lemmatisieren und im Erstellen von Konkordanzen auch zu belletristischen Texten hat sich Språkbanken allmählich zu einem wichtigen Kooperationspartner z. B. für die digitale Ausgabe der Gesammelten Werke Carl Jonas Love Almqvists (1793‒1866) entwickelt, ebenso für das schwedische Projekt Litteraturbanken (Die Literaturbank), auf das noch zurückzukommen sein wird. In Dänemark arbeitete man überwiegend mit traditionellen Druckausgaben. Die editionsphilologischen Prinzipien der Ausgabe von Søren Kierkegaards Schriften beispielsweise entsprechen jenen, die auch im norwegischen Projekt Henrik Ibsens Schriften angewandt wurden (nähere Informationen zu beiden Projekten in den folgenden Abschnitten).
2.
Akteure und Kooperationsformen
Schon lange vor dem Siegeszug des Internets war es also gängige Praxis, wissenschaftlich bearbeitete Texte digital zugänglich zu machen: Das Oxford Text Archive bildet dafür ein internationales Beispiel, Språkdata an der Universität Göteborg und Tekstarkivet an der Universität Bergen zwei skandinavische Pendants. Seit dem Durchbruch des Internets Anfang der 1990er Jahre haben jedoch etliche neue Akteure die Editionsarena betreten. Seitdem steigt die Anzahl der Netzausgaben stetig an, von flüchtig gescannten und rasch durch die Texterkennung gejagten Werken ohne erkennbare Korrekturen bis hin zu qualitativ hochwertigen, wissenschaftlich konstituierten Texten mit hochauflösenden digitalen Faksimiles. Seit den 1990er Jahren werden außerdem immer mehr Texte zugänglich gemacht, die sich nach Erlöschen der Urheberrechte frei verbreiten ließen. Teilweise angeregt durch das internationale Projekt Gu-
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tenberg5 lief 1992 an der Universität Linköping das Projekt Runeberg (PR) der Computergesellschaft Lysator an.6 PR digitalisiert zahlreiche Fach- und vor allem fiktionale Texte aus ganz Nordeuropa, macht sie öffentlich zugänglich und informiert die Nutzer in der Regel auch über die jeweils als Vorlage verwendete Druckausgabe. Nach wie vor wird PR auf freiwilliger Basis betrieben und bringt auf seine Weise ein erhebliches Engagement in die Editionsarbeit ein, wenn auch ohne die textkritische Kompetenz und entsprechende Textkonstitution, die wissenschaftliche Editionen auszeichnen. Die Stärke dieses Amateurprojektes jedoch besteht darin, dass es (überwiegend in HTML) ansehnliche Textsammlungen aufbaut und dabei einigermaßen Rechenschaft über seine Quellen ablegt, oft einschließlich der Scanvorlagen für den digitalen Text. Die Ausbeute derartiger Text- und Bildersammlungen kann daher auch anderen Projekten als Rohmaterial dienen. Projekte wie dieses machen solches Material oft wesentlich schneller zugänglich als viele wissenschaftliche Editionsprojekte, die ihre Texte und die zugehörige Dokumentation oft erst auffallend spät online stellen. Das Zentrum für Ibsenstudien an der Universität Oslo hat in Zusammenarbeit mit mehreren anderen Institutionen eine im Netz verfügbare virtuelle Sammlung von Henrik Ibsens Manuskripten und Briefen zusammengestellt – Dokumente, deren Originale auf verschiedene Institutionen in mehreren Ländern verstreut sind. Auch Bibliotheken und Archive arbeiten in mehreren skandinavischen Ländern zusammen, um gemeinsam virtuelle Sammlungen aufzubauen. Ein schlagendes Beispiel für eine solche Kooperation zwischen Herausgebern, Bibliotheken und anderen Kompetenzzentren ist das schwedische Projekt Litteraturbanken (LB),7 das seit 2006 als ideelle Vereinigung von Svenska Vitterhetssamfundet (SVS; Schwedischer Literaturverein), der Königlichen Bibliothek (KB), der Schwedischen Akademie (SA), Språkbanken, der Schwedischen Literaturgesellschaft in Finnland und der Königlichen Akademie der Wissenschaften gefördert wird. LB ist eine Internetplattform, auf der einerseits ältere oder parallel zur Netzausgabe gedruckte, kritisch konstituierte Texte digital publiziert werden und auf der sich zum anderen Texte in digitaler Umgebung anspruchsvoll bearbeiten und edieren lassen.8 LB verwendet dafür drei Präsentationsformen: ____________ 5 6 7 8
www.gutenberg.org/wiki/Gutenberg:About [gesehen 17. 11. 2010]. http://runeberg.org/ [gesehen 17. 11. 2010]. http://litteraturbanken.se [gesehen 17. 11. 2010]. Angaben auch laut persönlicher Auskunft der Mitarbeiter von LB, vor allem ihres Leiters Mats Malm. Die Entwicklung von Software, die die textkritische Arbeit unterstützt, z. B. die Kollation der Texte oder ihre TEI-Kodierung, dürfte in den kommenden Jahren an Fahrt gewinnen (vgl. Jannidis 2005). Zur älteren Software mit besonderen Anwendungsgebieten zählen etwa Collate, TUSTEP und verschiedene SGML-Editor-Programme. Aktuelle Softwarelösungen bieten z. B.
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• digitale Faksimiles (für welche die KB digitale Bilddateien in hoher Qualität bereitstellt), • PDF-Versionen gedruckter wissenschaftlicher Ausgaben (z. B. aus dem SVS und der SA), • XML-kodierte, TEI-kompatible E-Texte (weitere Informationen zu TEI und zum Kodieren von Texten in Abschnitt 4).9 Bislang gilt grundsätzlich immer noch die gedruckte Vorlage als entscheidend; textkritisches Grundprinzip der LB ist es dabei, den Erstdruck eines Werkes als Basistext zu verwenden und die Texte in der Regel nicht zu modernisieren. Zielgruppe sind vor allem Forscher und Studenten, wobei ausdrücklich angestrebt ist, dass die Anwender mit dem Textmaterial selbst arbeiten können. LB entwickelt sich damit immer mehr zu einem Kanal für Onlinepublikationen älterer wie neuer wissenschaftlicher Ausgaben schwedischer Texte. So hat LB nicht nur die Klassikerreihe der Schwedischen Akademie und ältere Editionen des SVS eingescannt, sondern erhält vom SVS auch PDF-Vorlagen seiner jüngeren wissenschaftlichen Ausgaben; eine ähnliche Zusammenarbeit besteht auch zwischen LB und der Edition der gesammelten Werke August Strindbergs (1849‒1912). Diese Kooperation ließe sich natürlich noch weiterentwickeln, so dass das von LB zusammengestellte digitale Material einen signifikanten Mehrwert gegenüber den (früher oder parallel zur digitalen Edition) gedruckten Ausgaben erhielte. Darüber hinaus böte sich LB jedoch auch als Domizil für rein digitale wissenschaftliche Editionsprojekte an.10 Aktuelle Pläne, LB mit der Ausgabe der gesammelten Werke Selma Lagerlöfs (1858‒1940) zu koordinieren, deuten eine solche Entwicklung an. Eine Inspirationsquelle für LB ist das dänische Arkiv for Dansk Litteratur (ADL).11 Darin sind urheberrechtsfreie Werke versammelt, basierend hauptsächlich auf Ausgaben der Dänischen Gesellschaft für Sprache und Literatur (Det Danske Sprog- och Litteraturselskab). Die Intention dieses Projektes besteht vor allem darin, ein gut erreichbares Archiv kritisch konstituierter Texte aufzubauen – teils in schlichtem ASCII-Format, teils in HTML, teils in Gestalt einfacher Faksimilebilder – häufig eher Scans textkritischer Ausgaben als von Originaldrucken.12 Wie LB ist auch das ADL ein Beispiel für die erfolgreiche __________
9 10 11 12
Juxta, Collex und verschiedene XML-Editor-Programme (mit oder ohne direkte TEIUnterstützung). Die XML-Basis der E-Texte erleichtert auch das Konvertieren in verschiedene Darbietungsformate – so bietet LB seit kurzem z. B. auch Texte im E-Book-Format ePub an. Svedjedal 2003, S. 8. http://adl.dk [gesehen 17. 11. 2010]. Svedjedal 2003, S. 26.
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Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure, in diesem Fall zwischen der herausgebenden Gesellschaft, Literaturwissenschaftlern, Kulturinstitutionen und der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen. Daneben wird es immer selbstverständlicher, dass Institutionen wie Archive und Bibliotheken Dokumente aus ihren eigenen Sammlungen digitalisieren und selbst herausgeben. Das Engagement der Königlichen Bibliothek in Stockholm beim Digitalisieren von Sondersammlungen und ihre Zusammenarbeit mit schwedischen Editionsprojekten wurde bereits erwähnt. Ähnlich steht es mit der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen, die digitale Faksimiles ausgewählter Manuskripte von ca. 600 n. Chr. bis zum 20. Jahrhundert online publiziert hat, ebenso Manuskripte, Tagebücher und andere Dokumente Hans Christian Andersens (1805‒1875)13 sowie – als Ergebnis einer Kooperation mit der Universität Oslo – Faksimiles der Manuskripte Henrik Ibsens. Auch die norwegische Nationalbibliothek betreut mehrere Editionsprojekte mit Material aus ihren eigenen Sammlungen, nicht zuletzt auch aus der Handschriftensammlung. So wurde etwa 2008 zum 200. Geburtstag des Dichters Henrik Wergeland (1808‒1845) eine digitale Sammlung einiger seiner Karikaturen und Texte ins Netz gestellt,14 die Faksimiles, Transkriptionen und Kommentare umfasst.15 Auch unterhalb der Ebene der Nationalbibliotheken betreiben heute die meisten größeren Universitätsbibliotheken (ebenso wie mehrere andere Universitätsinstitute) Digitalisierungsprojekte, die für die Editionsphilologie von unterschiedlichem Interesse sind. Ein schwedisches Beispiel hierfür ist etwa die Universitätsbibliothek Lund (LUB), die ihre große Sammlung der Briefe von Esaias Tegnér (1782‒1846) digitalisiert hat,16 von denen die meisten in den älteren wissenschaftlichen Ausgaben der Briefe Tegnérs nicht abgedruckt sind. Interessant ist an der LUB außerdem die St. Laurentius digital manuscript library,17 zum einen, weil hier eine Sammlung mittelalterlicher Handschriften (ca. 70 Bände) in ihrer Gesamtheit digitalisiert wurde, was in diesem Zusammenhang äußerst ungewöhnlich ist, zum anderen auch, weil die Digitalisierungsarbeit in diesem Fall nicht nur die digitale Faksimilierung, sondern auch das Kodieren und die Beschreibung des Textes mit TEI umfasst. Etliche ähnliche Projekte finden sich auch an den anderen Universitäts- und Nationalbibliotheken in ganz Skandinavien. ____________ 13 14 15 16 17
www.kb.dk/da/nb/tema/hca/index.html [gesehen 17. 11. 2010]. www.nb.no/vademecum/index.php [gesehen 17. 11. 2010]. www.nb.no/wergeland [gesehen 17. 11. 2010]. www.ub.lu.se/o.o.i.s/19498 [gesehen 17. 11. 2010]. http://laurentius.lub.lu.se [gesehen 17. 11. 2010].
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Normalerweise sind Faksimilebilder das Endprodukt derartiger Projekte einzelner Institutionen, selbst wenn die zugehörigen Texte in einigen Fällen auch transkribiert und kodiert werden. Damit liegt hier zwar einerseits eine flachere Form der Edierens vor als z. B. im Falle von Litteraturbanken, doch wird dafür andererseits handschriftliches Material, das noch nie zuvor publiziert worden ist, identifiziert, erfasst und erschlossen; außerdem vereinen solche Projekte nicht selten ein breites Kompetenzspektrum: Textforscher, (Editions-)Philologen, Herausgeber, Bibliothekare, Buchhistoriker, Konservatoren, Projektleiter und Programmierer.
3.
Faksimilierung
Digitale Medien haben dem Faksimilieren durch digitale Fotografien und Scans radikal neue Wege eröffnet. Nicht selten wird ein Fotofaksimile durch eine maschinenlesbare Transkription des dargestellten Textes ergänzt, was die Suche im Text und seine weitere Bearbeitung deutlich erleichtert. Faksimiles können zweierlei Zwecken dienen: entweder dazu, den Text als Graph wiederzugeben (in diesem Fall beschränkt sich eine Faksimileedition ausschließlich auf die Teile und Aspekte eines Dokumentes, die als textrelevant anzusehen sind), oder dazu, das Dokument, also den materiellen Textträger, insgesamt als Graph zu reproduzieren (in diesem Fall können auch jene Teile eines Dokumentes relevant sein, die für den Text eine geringere Bedeutung haben oder frei von Text sind). Während das erste dieser beiden Ziele ein textkritisches ist, ließe sich das zweite, für das z. B. eklektische Faksimiles erstellt oder mehrere Quellendokumente dreidimensional gescannt werden, einer Art materieller ‚Dokumentenkritik‘ zuordnen. Bis in die 1990er Jahre hinein unterlagen Faksimileausgaben den Einschränkungen der herkömmlichen Kodexform gedruckter Bücher, teilweise mit Mikrofiches (in den 1990er Jahren allmählich durch CD-ROMs verdrängt), die als Beilagen oder als alternative Publikationsform dienten. Meistens wurden nur ausgewählte Partien eines Quellendokuments faksimiliert, um einer Edition eine begrenzte Anzahl von Abbildungen und Anhängen beizugeben.18 Seit Ende der 1990er Jahre hat sich die Situation jedoch völlig gewandelt. Fast alle anspruchsvollen wissenschaftlichen Ausgaben arbeiten heute mit Bilderfassung und anschließender Zeichenerkennung ‒ selbst dann, wenn am Ende der editorischen Arbeit eine gedruckte Transkription stehen soll. Dieses Vor____________ 18
Umfassendere historische Überblicke über skandinavische Faksimileausgaben finden sich bei Hansen 2005 bzw. Pichler/Haugen 2005.
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gehen hat praktische Gründe: Irgendwie muss die Textsequenz des Originaldokumentes erfasst werden, um sie zu verarbeiten, zu redigieren und sie in die wissenschaftliche Ausgabe zu übertragen. Dank der Technik lassen sich einzelne Seiten rasch als Bilddateien erfassen, so dass eine Software die Textsequenz anschließend erkennen und in maschinenlesbarer Form aufbereiten kann. Digitale Faksimiles der vollständigen Originale werden im Rahmen von wissenschaftlichen Ausgaben auf begleitenden externen Speichermedien oder online zugänglich gemacht – oder ersetzen sogar vollständig eine gedruckte Edition. Solche digitalen Faksimileausgaben haben auch die editionsphilologische Theoriebildung beeinflusst, die zunehmend auch die Dokumente in ihrer historischen Materialität berücksichtigt. Faksimileeditionen lenken unsere Aufmerksamkeit außerdem auf die artifizielle Grenze zwischen kritischen Textausgaben und vermeintlich nicht-kritischen Faksimiles (auch in diplomatische Transkriptionen, typografische Faksimiles und Bildfaksimiles gehen ja praktisch immer kritische, selektierende und deutende Momente ein). Editoren neigen deshalb immer häufiger dazu, das digitale Medium und seine Kapazitäten zur Datenverwaltung dazu zu nutzen, um Fassungsunterscheidungen zu verdeutlichen. Wird dem Nutzer mehr als eine Volltextfassung eines Werkes dargeboten, erhält er dadurch größere Eigenbefugnisse. So werden die selektierenden Eingriffe des Herausgebers gedämpft, während sich die Ausgabe zugleich der Form eines dokumentarischen Archivs annähert. Die Möglichkeit, auf dem Bildschirm zahlreiche Fenster gleichzeitig geöffnet zu halten, lässt sich außerdem dazu verwenden, dem Nutzer nicht nur parallele Fassungen gleichgeordnet anzubieten, sondern ihm auch umgekehrt verschiedene Zugänge zu einem Werk und seinem Text zu ermöglichen, den Text sozusagen in seinen verschiedenen Ansichten zu spiegeln. Dabei liegt außerdem die Option vor, in wissenschaftliche Digitalausgaben erheblich mehr paratextuelles Material aufzunehmen, als normalerweise in einer gedruckten Ausgabe Platz findet, z. B. Rezensionen, Briefwechsel, Vorlagen sowie Bild- und Tonmaterial. Besonders interessant ist diese Chance zur textuellen und medialen Erweiterung natürlich für die Edition von Texten, deren Verfasser sich parallel mehrerer medialer, künstlerischer und gestaltender Ausdrucksformen bedienten, so z. B. in Schweden Carl Jonas Love Almqvist und Carl Michael Bellman (1740‒1795), in Norwegen Henrik Wergeland und in Dänemark Hans Christian Andersen. Zwar wird nach wie vor relativ scharf zwischen kritischen Text- und nichtkritischen Faksimilieeditionen unterschieden. So deklariert der SVS etwa in seinen Richtlinien, dass im Mittelpunkt seiner Editionen der Basistext in seiner
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Sprachlichkeit steht, nicht das grafische und materielle Dokument.19 Dokumentspezifische grafische Eigenschaften fallen deshalb größtenteils aus dem Rahmen der Editionspraxis des SVS. Zugleich jedoch lässt sich feststellen, dass digitale Faksimileeditionen zunehmend als selbstverständliches Element moderner skandinavischer Editionsprojekte betrachtet werden. Wir haben erwähnt, dass Faksimiles dazu verwendet werden können, Fassungsvergleiche zu unterstützen. Für mehrere Projekte bildet die Arbeit an Faksimiles sogar das materielle Fundament, auf dem Transkription, editorische Aufbereitung, Textkodierung und Publikation fußen. Die Faksimiles bilden in diesen Fällen also einen wichtigen Baustein bis in die Endphase des Edierens hinein. So war z. B. schon seit Beginn der Arbeit an der Edition Wittgenstein’s Nachlass festgelegt, dass sowohl Transkriptionen als auch Faksimiles publiziert werden sollten. Darüber hinaus existieren aber auch reine Faksimileprojekte oder Projekte, die ursprünglich nur auf eine Faksimileausgabe angelegt waren, später jedoch mit anderen Ausgabenformen verbunden worden sind. Dem Zentrum für IbsenStudien an der Universität Oslo wurden 1998‒2000 Drittmittel bewilligt, um Ibsens Manuskripte zu digitalisieren. Diese Arbeit wurde u. a. in Kontakt mit der Ibsen-Ausgabe HIS durchgeführt und hatte zum Ziel, digitale Faksimiles aller bekannten Handschriften Henrik Ibsens zu erstellen. Seitdem bilden diese Faksimiles einen zentralen Baustein für die Transkriptionsarbeiten von HIS. Während der Projektlaufzeit wurden ca. 19.600 Seiten digitalisiert und im Rahmen des Dokumentasjonsprosjekt zugänglich gemacht,20 das unter Leitung der Universität Oslo 1991‒1997 zahlreiche fiktionale und Fachtexte transkribiert hat (über 48.000 Druckseiten sind online zugänglich und teilweise auch durchsuchbar).21 Editionen, die auf der Transkription einer zuvor bereits gedruckten Version basieren, sind eigentlich keine Faksimiles im engeren Sinne. Für diesen immer häufigeren Editionstyp gibt es bislang jedoch noch keine genaue Bezeichnung. In diesem Zusammenhang ist noch eine andere Funktion von Faksimileausgaben für das wissenschaftliche Edieren in Skandinavien zu erwähnen: Auch Faksimiles älterer Druckausgaben lassen sich digital publizieren. In der Regel werden dabei PDF-Dateien ins Netz gestellt, die entweder aus Scans der Druckausgaben generiert werden oder aus der Umwandlung einer digitalen Vorlage in eine solche Druckausgabe hervorgehen. So gestattet etwa die Schwedische Akademie den Zugriff auf PDF-Versionen älterer Klassikerediti____________ 19 20 21
Henrikson 2007, S. 53, 63. Vgl. www.dokpro.uio.no/litteratur/ibsen/ms [gesehen 17. 11. 2010]. Fra skuff til skjerm (1998) sowie Sluttrapport 1992–1997. Dokumentasjonsprosjektet (1998). Vgl. auch www.dokpro.uio.no/litteratur [gesehen 17. 11. 2010].
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onen,22 und der SVS arbeitet, wie bereits erwähnt, mit LB zusammen, um dort digitale Fassungen seiner textkritischen Ausgaben zu publizieren; ähnliches gilt für das ADL in Dänemark. Darüber hinaus haben Faksimileausgaben auch eine zentrale Rolle für die Digitalisierungsarbeit skandinavischer Bibliotheken und Archive gewonnen, auch in jenen Fällen, in denen diese Institutionen mit Text- und Dokumentenspezialisten verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten. Wie bereits oben festgestellt, gibt es in Skandinavien etliche solche Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren im Bereich der Editionswissenschaft.
4.
Textkodierung
Wichtige Schwerpunkte der wissenschaftlichen Editionsarbeit liegen auf dem Konstituieren, Transkribieren und Kodieren der zu edierenden Texte. SGML, XML und TEI sind Techniken für eine solche Kodierung. Konkret meint das Kodieren von Texten das Einbetten maschinenlesbarer Auszeichnungen (Etiketten [Tags] und Anweisungen) in einen vorhandenen maschinenlesbaren Text. Schon früh hatte die Textkodierung dabei zwei Funktionen: zum einen das Formatieren des Outputs auf dem Bildschirm oder im Druck, zum anderen das Aufbereiten des Textes für das Finden und Auswerten bestimmter Texteinheiten, basierend z. B. auf Wortklassen oder grammatischen Formen. Eine andere Einteilung unterscheidet zwischen prozeduralen und deskriptiven Codes.23 So lässt sich ein Textzeichenstrang mit der Anweisung versehen, ihn in der Schrifttype Arial 16 pt fett zu setzen (prozedurales Kodieren) oder aber mit der Information, dass er eine Überschrift auf übergeordneter Ebene repräsentiert, der sich je nach Bedarf verschiedene grafische Formate zuordnen lassen (deskriptives Kodieren). Lange Zeit wurden Texte mit sogenannten ‚proprietären Systemen‘ kodiert. Die entstandenen Dateien ließen sich nur mit spezieller Software öffnen und lesen, wobei sich ihr Code nur sehr selten voraussagen bzw. validieren ließ. Deshalb bestand der größte Nachteil dieses Verfahrens darin, dass ein Austausch von Dateien zwischen den verschiedenen Systemen größtenteils unmöglich war: Die Texte waren fest an jeweils eine bestimmte Technik gekoppelt. Gerade in Forschung und Lehre wuchs jedoch das Bedürfnis danach, kodierte Texte zwischen verschiedenen technischen Plattformen auszutauschen, ____________ 22
23
Die Texte werden als digitale Faksimiles der gedruckten Ausgaben publiziert, genauer gesagt als PDF-Dateien mit Hyperlinks zu u. a. begleitenden Kommentaren. Vgl. hierzu die Website: www.svenskaakademien.se/publikationer/svenska_klassiker [gesehen 15. 6. 2012]. Renear 2004.
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um sie flexibler öffnen und bearbeiten zu können. Außerdem vermischten viele Kodierungssprachen prozedurale und deskriptive Codes, ohne zwischen Codes für Inhalt und Struktur eines Textes einerseits und Codes für seine grafische Darstellung andererseits deutlich zu unterscheiden, worunter die Flexibilität der kodierten Texte merklich litt. Als Reaktion auf dieses Problem wurde 1986 die Standard Generalized Markup Language (SGML) eingeführt, die man frühzeitig als Basis für TEI wählte (dazu mehr in Abschnitt 4.1). Die Arbeiten an der digitalen Ausgabe Wittgenstein’s Nachlass waren angelaufen, bevor ein Standard wie TEI ausgereift war (allerdings während sich TEI bereits in der Entwicklung befand). In den Texten finden sich mehrere einander überlappende Phänomene ‒ wie etwa in folgendem hypothetischen Beispiel: Hier sehen Sie einen durchgestrichenen und nachträglich noch unterstrichenen Text.
TEI wurde ursprünglich auf der Basis von SGML entwickelt und basiert inzwischen auf der eXtensible Markup Language (XML). Beides sind streng hierarchische Kodierungssysteme. Obwohl sie durchaus Möglichkeiten bieten, einander überlappende Phänomene der eben vorgestellten Art wiederzugeben, boten die zu Projektbeginn verfügbaren Werkzeuge noch keine befriedigenden Lösungen für das Publizieren der endgültigen Ausgabe. Stattdessen bediente man sich des vom Projektleiter Claus Huitfeldt entwickelten Multi Element Code Systems (MECS). In Dänemark zielte die Edition der gesammelten Schriften Søren Kierkegaards (1813‒1855; SKS) zwar primär auf eine Druckausgabe, entwickelte für ihr digitales Archiv jedoch ebenfalls ein eigenes, XML-basiertes Kodierungsschema, das jetzt das Fundament einer digitalen Edition bilden kann.24 Das Editionsprojekt HIS hat, wie bereits erwähnt, eine große Menge an Material von der Universität Bergen übernommen. Zunächst verwendete das Projekt TEI P3 (SGML), ging aber schon frühzeitig zu TEI P4 über (XML). Während das Wittgensteinprojekt von vornherein auf eine digitale Ausgabe ausgerichtet war, strebte das Ibsenprojekt eine Kombination aus digitaler und Druckausgabe an. Obwohl der Papierfassung bislang größeres Gewicht zukommt, wurde parallel zu ihr ein komplett kodiertes Archiv für künftige digitale Editionen aufgebaut. Die digitale Edition soll Ende 2012 abgeschlossen sein; bereits im September 2011 wurde sie in einer ersten Version freigeschaltet. Benutzer erhalten damit nicht nur die Möglichkeit, die Texte auf dem Bildschirm zu lesen, sondern sie auch als Lesetexte im PDF- und e-book-Format ____________ 24
Vgl. Teknisk vejledning http://sks.dk/vejl/xml_d.xml [gesehen 17. 11. 2010] und http://sks.dk/red/forord-d.asp [gesehen 17. 11. 2010].
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herunterzuladen. Alle Primärtexte stehen darüber hinaus zu individueller digitaler Weiterarbeit auch als XML-Dateien zur Verfügung. Seit Ende der 1980er Jahre wird häufig der Hypertext als Darbietungsform gewählt. Am damaligen Humanistischen Computerzentrum der Universität Bergen ging man von einer transkribierten und kodierten Version von Ibsens Peer Gynt aus (die im Rahmen des in Abschnitt 1 vorgestellten Konkordanzprojektes erstellt worden war) und schuf daraus die Pilotversion HyperPeer.25 Hypertext-Werkzeuge wurden zunächst als separate Spezialsysteme entwickelt. 1987 lancierte Apple das Autorensystem HyperCard (HC) für seine Macintosh-Familie. Dieses Programm wurde einige Jahre lang standardmäßig mit Macintosh-Rechnern ausgeliefert und wurde deshalb sehr beliebt: Etliche kommerzielle Hypertext-Programme basieren auf HC, das schließlich auch beim HyperPeer zum Einsatz kam. Nach 1993/94 jedoch entwickelte sich das Internet zum bevorzugten Medium, wenn es auch noch lange nicht als vollwertiger und potenter Hypertext gelten kann. Durch die hierfür standardisierte HyperText Markup Language (HTML) ergaben sich jedoch bestimmte Formatierungsmöglichkeiten über das Einfügen von Hyperlinks hinaus, und in den folgenden Jahren wuchs die Anzahl von Parallelpublikationen auf Papier und im WWW. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in den anderen skandinavischen Ländern beobachten. Kurz nach dem Durchbruch des Internets setzten etwa die Herausgeber von Almqvists Gesammelten Werken in Kooperation mit Språkbanken darauf, die Texte digital zu publizieren, wofür sie HTML und seine hypertextuellen Möglichkeiten zur Darstellung von ediertem Text, Kommentaren und textkritischen Varianten praktisch erschöpfend ausnutzten.26 Das Projekt experimentierte auch damit, den Lesern die Texte über eine OnlineSchnittstelle auf verschiedenen textkritischen Niveaus anzubieten, z. B. mit bzw. ohne Markierung von Wortvarianten oder Varianten der Schreib- und Druckweise. Später entschieden sich die Herausgeber jedoch stattdessen für Litteraturbanken als digitales Publikationsforum für ihr Material, so dass andere Formate, Schemata und Navigationsbedingungen zu berücksichtigen waren. Es ist geplant, die edierten digitalen Texte allmählich um digitale Faksimiles der Originaldokumente zu ergänzen und beide untereinander zu verlinken.27 Dadurch ist die Almqvistedition in der Entwicklung digitaler Publikationen in eine neue Phase eingetreten und bildet mithin ein Beispiel für ein Projekt, an ____________ 25 26 27
Morland/Ore 1993. Svedjedal 2000, Kap. 5, beschreibt diese HTML-Phase der Arbeit genauer. Svedjedal 2003, S. 23.
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dessen langer Geschichte sich mehrere Stadien des elektronischen Edierens nachvollziehen lassen. Auch ein anderes langjähriges Projekt (The Linnæan Correspondence), das sich der Ausgabe der Korrespondenz Carl von Linnés (1707‒1778) widmet, setzte Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre zunächst auf HTML und die Möglichkeiten des Hypertextes, ging aber später dazu über, vorzugsweise mit relationalen Datenbanken und digitalen Faksimiles zu arbeiten.28 Die Entwicklung in Skandinavien gleicht damit den entsprechenden internationalen Entwicklungen: in den 1990er Jahren zunächst große Begeisterung für das damals hoch bejubelte HTML-Format und seine Hypertextualität, danach ein Abflauen des anfänglichen Enthusiasmus wegen der mit HTML verbundenen Einschränkungen in Semantik, Textkodierung und Metadaten. Als dominierendes Internetformat bleibt HTML jedoch ein interessantes Bereitstellungsformat, wenn auch ein Großteil der Editionsarbeiten heute mit potenteren Kodierungswerkzeugen durchgeführt wird. Ein zunehmend wichtiges solcher Werkzeuge ist das Kodierungsschema TEI. 4.1.
TEI
Seit 2001 ist TEI eine XML-Anwendung, die derzeit in der Version 5 vorliegt (P5). TEI hat sich allmählich zum De-facto-Standard für das Kodieren literarischer und historisch wichtiger Texte im wissenschaftlichen Editionswesen entwickelt. Auch in der skandinavischen Editionsphilologie verwenden immer mehr große Projekte TEI zumindest für Teile ihrer Kodierungsarbeit. Abgesehen von der bereits genannten Anwendung von TEI im Rahmen der Ibsenausgabe (HIS) gilt dies u. a. auch für Werkausgaben von Autoren wie August Strindberg (Nationalupplagan) bzw. Selma Lagerlöf in Schweden, Edvard Munch (1863‒1944) in Norwegen (eMunch) und Zacharias Topelius (1818‒1898) in Finnland (ZTS). Während die Ibsen- und Strindbergausgabe an anderer Stelle in diesem Sammelband ausführlicher präsentiert werden, seien die anderen Beispiele hier zumindest kurz vorgestellt. Vor kurzem sind beim SVS die Arbeiten für die Edition der gesammelten Werke Selma Lagerlöfs angelaufen, aus denen sowohl gedruckte als auch digitale Ausgaben hervorgehen sollen. Charakteristisch für dieses Editionsprojekt ist die enge Zusammenarbeit u. a. zwischen den Herausgebern, anderen Literaturwissenschaftlern und Bibliotheken, die z. B. in der ehrgeizigen bibliografischen Inventarisierung und Beschreibung des zugänglichen Textmaterials zum Ausdruck kommt – ein Arbeitsmodell, von dem hoffentlich auch andere Editi____________ 28
Die Website des Projekts: http://linnaeus.c18.net [gesehen 17. 11. 2010].
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onsprojekte profitieren werden. Das Projekt ist darauf angelegt, digitale Archive aufzubauen, aus denen etwa digitale Ausgaben einzelner Werke hervorgehen können. Die Texte werden dafür TEI-kompatibel kodiert. Mittels digitaler Faksimiles wird die Edition auch mit Variantennachweisen und Versionsvergleichen arbeiten.29 Zwei weitere schwedische Projekte, die TEI verwenden – wenn auch mit unterschiedlichen Ansatzpunkten – sind die vom Reichsarchiv betreute digitale Ausgabe der Briefe Axel Oxenstiernas (1583‒1654)30 sowie der neue Katalog, den die Akademie der Wissenschaften mit TEI P5 für ihr Swedenborg-Archiv erstellen lässt.31 Die Ergebnisse sollen sowohl in gedruckter Form als auch online publiziert werden (mit XSL aus TEI konvertiert).32 In Dänemark hat das Arnamagnäanische Institut beim Kodieren mittelalterlicher Texte eine wichtige Rolle gespielt. Das Institut war sowohl an den Entwicklungen im Rahmen des Menota-Verbundes (siehe unten) als auch am sogenannten MASTER-Projekt beteiligt, das Kodierungsschemata zur Beschreibung mittelalterlicher Manuskripte entwickelt hat – eine Arbeit, deren Erträge später in TEI P5 einflossen. Ein langfristig angelegtes dänisches Projekt (auf der Basis von TEI P5) ist die kritische Ausgabe der gedruckten Werke Nikolai Frederik Severin Grundtvigs (1783–1872). Die Arbeiten an dieser Edition sind 2010 angelaufen, und 2012 wurde mit einer Grundtvig-Werkauswahl die Version 1.0 freigeschaltet. Für die Darstellung bietet dieses Projekt (wie auch eHIS) parallele Spalten oder Fenster, deren Anzahl vom Benutzer wählbar ist. Diese Lösung wurde, nach Absprache, von der digitalen Topeliusausgabe in Finnland übernommen. Es gibt unter skandinavischen Editionsprojekten etliche Beispiele solchen Austauschs. Der Geist der Zusammenarbeit, der sich darin ausdrückt, prägt auch die mittlerweile regelmäßig alle zwei Jahre stattfindenden Konferenzen des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen – ein Netzwerk, das auch spezielle Arbeitsgruppen-Treffen für auf die digitale Edition ausgerichtete Projekte anbietet: das erste fand 2010, das zweite 2012 in Göteborg statt.33 Der norwegische Künstler Edward Munch hat etwa 13.000 Handschriftenblätter hinterlassen. Aus diesem Quellenbestand möchte das Projekt eMunch ____________ 29 30 31 32
33
Diese Angaben stammen vom Redaktionsrat des Editionsprojektes, dem einer der Verfasser dieses Artikels angehört. Vgl. www.riksarkivet.se/default.aspx?id=10079&refid=4095 [gesehen 22. 11. 2010]. Emanuel Swedenborg (1688‒1772). Vgl. www.center.kva.se/engelska/swedenborg_project. htm [gesehen 17. 11. 2010]. Angaben auch laut persönlicher Auskunft von Maria Berggren. XSL (eXtensible Stylesheet Language) hat großes Potential als Werkzeug für das wissenschaftliche Edieren von Texten, das es dem Anwender unter anderem ermöglicht, XML-Text von einem Format in ein anderes umzuwandeln, vordefinierte Dateisegmente zu neuen Kombinationen zusammenzufügen und Teile der bislang vom Herausgeber manuell ausgeführten Arbeit zu automatisieren. www.grundtvigsvaerker.dk [gesehen 3. 2. 2012].
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(Digitales Archiv des schriftlichen Nachlassmaterials von Edvard Munch, 2007‒2010) ein diplomatisches Volltext- und Faksimilearchiv in digitaler Form aufbauen.34 Sowohl der transkribierte Text als auch die zugehörigen Kommentare werden hierfür direkt mit den entsprechenden Bereichen der Faksimiles verlinkt, wobei sich auf den einzelnen Seiten oft auch Zeichnungen finden. Die Texte werden in TEI P5 kodiert. Damit weist dieses Projekt einerseits Parallelen zur Bergener Wittgensteinausgabe auf, während es sich andererseits der editionsphilologischen und Kodierungskompetenzen der Ibsenausgabe HIS bedient (siehe oben). In einem norwegisch-dänischen Kooperationsprojekt soll eine neue textkritische Ausgabe der Schriften des norwegisch-dänischen Autors Ludvig Holberg (1684‒1754) entstehen. Die Texte werden hierfür in TEI P5 kodiert, und das Projekt kombiniert verschiedene Werkzeuge zum Vergleich bzw. zur Darstellung von Fassungen, um damit mehr oder weniger automatisch Onlinedarstellungen der jeweils zuletzt aktualisierten XML-Version der Texte zu generieren. Das Projekt ist 2009 richtig angelaufen und strebt an, die Edition der wichtigsten Werke Holbergs bis 2014 abzuschließen.35 2010 wurde bokselskap.no ins Leben gerufen – ein Projekt, dessen Zustandekommen, Struktur und Ziele jenen von Litteraturbanken in Schweden entsprechen.36 Das Projekt wurzelt in der norwegischen Gesellschaft für Sprache und Literatur (Det norske språk- og litteraturselskap, NSL) und stellt eine Kooperation dar zwischen der NSL und u. a. der Universität Oslo, der Ibsenausgabe (HIS) und der norwegischen Nationalbibliothek. Die NSL gibt Texte in der Regel nicht gedruckt, sondern ausschließlich digital heraus. Auf der Website www.bokselskap.no finden sich sowohl neue als auch digitalisierte ältere Editionen der NSL sowie Texte, die von den Kooperationspartnern zur Verfügung gestellt wurden. Die Texte wurden überwiegend in TEI gespeichert; sie lassen sich als HTML-Dateien direkt im Webbrowser lesen, aber auch als PDFs auf die Festplatte herunterladen, ebenso als ePub-Dateien für TabletPCs, Mobiltelefone und ähnliche Plattformen. In Finnland sind unlängst die Arbeiten an der historisch-kritischen Edition der Schriften eines schwedischsprachigen Autors, Zacharias Topelius, angelaufen (ZTS). Wie im Fall der Lagerlöf- und der Ibsenausgabe werden auch hier die Ergebnisse sowohl gedruckt als auch digital veröffentlicht (eTopelius). Dabei wird die digitale Fassung jedoch einen gewissen Mehrwert erhalten, da z. B. die Varianten nur hier vollständig verzeichnet werden sollen und außer____________ 34 35 36
http://emunch.no [gesehen 17. 11. 2010]. http://holbergsskrifter.no; http://holbergsskrifter.dk [gesehen 3. 2. 2012]. www.bokselskap.no [gesehen 18. 11. 2010].
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dem in die digitale mehr Texte aufgenommen werden sollen als in die Druckausgabe.37 eTopelius arbeitet sowohl bild- als auch textorientiert. Zum einen nämlich erstellt das Projekt hochauflösende TIFF-Bilder, aus denen für die Webpublikation Bereitstellungsdateien im JPEG-Format generiert werden. Zum anderen arbeitet eTopelius mit einer modifizierten Fassung von TEI P5, um letztlich sowohl die TEI-Quelldateien als auch schlankere Bereitstellungsdateien wie z. B. PDFs online zugänglich zu machen. Methodisch interessant ist auf finnischer Seite schließlich auch das Projekt EDITH (2005 von der Finnischen Literaturgesellschaft initiiert), das kritische Ausgaben zentraler Werke der finnischen Literatur erstellen soll. Wie ZTS strebt auch EDITH eine parallele Publikation von gedruckten und digitalen Ausgaben an, sowohl mit digitalen Faksimiles als auch mit TEI-P5-kodierten diplomatisch transkribierten Texten.38 Hierbei fungiert die Ibsenausgabe HIS als Vorbild. Weil EDITH sich mehreren Autoren, Werken, Genres und Materialtypen aus unterschiedlichen Epochen widmen soll, steht dieses Projekt in den kommenden Jahren vor technisch wie methodisch interessanten Herausforderungen. Digitale Editionsprojekte, die mitunter jahrzehntelang laufen, sind mit einem bekannten Problem konfrontiert: Nicht selten machen sie sich von einer Technik abhängig, die im Laufe der Zeit veraltet und damit das bearbeitete Material in einer Darbietungsform isoliert, die zwar noch für einige, aber längst nicht mehr für alle Anwender nutzbar ist. Mit XML, XSL und TEI lässt sich dieses Risiko zumindest verringern. XML und TEI trennen scharf zwischen Beschreibungen von Textinhalt und Textstruktur einerseits und Anweisungen zur Darbietung des Textes im Ausdruck oder auf dem Bildschirm andererseits. Daher kann der Herausgeber diese Aufgaben auf unterschiedliche Dateien verteilen, so dass in einer Datei Transkriptionen und andere Quelldaten abgelegt werden, in anderen Dateien Metadaten, in wiederum anderen Anweisungen zur Darstellung, zur Strukturierung und zu Schnittstellen, so dass sich diese Dateitypen je nach den Wünschen des Anwenders und den jeweiligen Erfordernissen in verschiedenen Kombinationen zusammenstellen lassen. Auch für die Arbeit mit sogenannten Archiv- bzw. Bereitstellungsdateien lässt sich dies nutzen. Der Herausgeber konstruiert dafür eine Archivdatei mit hoher Informationsdichte, die das Originalobjekt repräsentiert (z. B. hochauflösende Bilder oder einen tief kodierten Text in einer relationalen Datenbank oder in ____________ 37 38
Angaben laut persönlicher Auskunft von Pia Forssell bzw. Kim Björklund. Website der Ausgabe: www.topelius.fi [gesehen 17. 11. 2010]. Website des Projekts: www.edith.fi/english [gesehen 17. 11. 2010]. Angaben laut persönlicher Auskunft von Sakari Katajamäki.
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XML, mit Metadaten in einem TEI-Header innerhalb der Textquelldatei oder getrennt von ihr). Mittels XSL lassen sich aus diesen informationsgesättigten Archivdateien viele verschiedene Typen von Bereitstellungsdateien mit geringerer Informationsdichte generieren. So erhalten wir aus einem TIFF die ‚schlankeren‘ Bildformate JPG oder GIF, aus einer Archivdatei in XML-TEI Textdateien in HTML oder PDF. Eine Archivdatei in XML-TEI lässt sich auch als Vorlage für die Herstellung eines gedruckten Buches verwenden. Für einige Editionen ist ein solches Arbeitsverfahren auch schon genutzt worden, so in Schweden von der Strindberg-Nationalausgabe, während etwa LB und die Selma-Lagerlöf-Ausgabe ihre Arbeit in ähnlicher Weise planen. Vermutlich am deutlichsten hat sich, wie oben gesehen, die finnische Topeliusausgabe einem solchen Verfahren verschrieben. Noch ein weiterer konkreter Vorteil dieser Arbeitsweise lässt sich anführen. Während ein Editionsprojekt herkömmlich dazu gezwungen ist, sich auf Kosten anderer Optionen für ein Transkriptionsniveau zu entscheiden (z. B. für eine diplomatische statt einer normalisierten oder modernisierten Textwiedergabe), kann eine digitale Ausgabe prinzipiell alle diese Möglichkeiten in ein und derselben Datei bündeln. Mit Hilfe von XSL(T)-Sheets oder anderen Lösungen können die Anwender dann selbst bestimmen, auf welchem Transkriptionsniveau sie den Text lesen möchten39 – ein Verfahren, das in Skandinavien u. a. von den Herausgebern von Wittgenstein’s Nachlass erprobt wurde. Editionsprojekte neigen zunehmend dazu, mehrere verschiedene Publikationsmedien zu nutzen; wie gleich noch zu erörtern sein wird, hat sich dieses Prinzip als besonders fruchtbar erwiesen: Man erstellt eine Quelldatei und verwendet sie für mehrere unterschiedliche Zielprodukte, gedruckte ebenso wie digitale. Ein solches Vorgehen kommt auch einem anderen oft als Ideal postulierten, jedoch weit seltener entsprochenen Bedürfnis entgegen, nämlich dem Wunsch, wissenschaftliche Ausgaben und ihre Texte wiederzuverwerten. Statt die Anwender nur mit informationsarmen Bereitstellungsformaten wie PDF oder HTML zu konfrontieren, können die Herausgeber ihnen auch Archivdateien samt der zugehörigen Maschinenbefehle zur Verfügung stellen, so dass die Anwender den Originalen näher kommen. Außerdem öffnen die Herausgeber damit einen größeren Teil ihres Laboratoriums für weiterführende Forschungen und Editionsarbeiten.40 Diesen Gedanken werden wir am Ende des Artikels noch einmal aufgreifen. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass in gewisser Weise jedes Kodierungsschema das edierte Material in eine einheitliche Schablone presst, d. h. den ____________ 39 40
Pichler/Haugen 2005, S. 194. Bodard/Garcés 2009.
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Text in hohem Grade dem verwendeten Werkzeug anpasst statt umgekehrt. So müssen jene Aspekte und Eigenschaften des Textes und seines Trägerdokuments, die sich im Rahmen von XML nicht ausdrücken lassen, normalerweise übergangen werden. Schwer handhaben lassen sich mit TEI z. B. überlappende Hierarchien, seien es strukturell-inhaltliche, typografische oder mediale Schichten, die einander wechselseitig überlagern oder in anderer Weise kollidieren. Damit bilden Techniken wie TEI und XSL letztlich eine lange Startrampe des Lernens und der Kompetenzentwicklung, was wohl einer der Gründe dafür ist, warum sie in kleineren skandinavischen Editionsprojekten kaum zur Anwendung kommen. 4.2.
Kodierung älterer Texte
Schließlich sei auch noch auf Kodierungsverfahren in Zusammenhang mit Editionen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Texte eingegangen. Über einen Zeitraum von etwa 1000 Jahren wurden Texte in den skandinavischen Sprachen überwiegend in Runen niedergeschrieben. Die Gemeinnordische Runentext-Datenbank (Samnordisk runtextdatabas)41 der Universität Uppsala macht ca. 6000 dieser Runeninschriften zugänglich. Das Projekt läuft seit 1993 und ist nach wie vor aktiv. Was aber ist in diesem Fall eigentlich die Ausgabe? Wer die Website des Projekts besucht, hat zwei Optionen: Herunterladen kann man sich dort entweder einen Dateiordner mit einem zugehörigen Programm (wobei dieses Programm ursprünglich für das Betriebssystem MS-DOS entwickelt wurde) oder Textfassungen der entsprechenden Dateien. Der Grund dafür, weshalb man als Anwender gleich mit einer ganzen Sammlung von Dateien konfrontiert wird, ist, dass die Texte in mehreren Versionen vorliegen. Nicht nur stammen nämlich die Runentexte in der Datenbank aus einem Zeitraum von mehreren hundert Jahren, sie liegen auch noch in verschiedenen Varianten älterer nordwestgermanischer Sprachstufen vor. Damit sich die Datenbank sinnvoll durchsuchen lässt, ist in ihr jeder Text in mehreren Fassungen abgespeichert: als Transliteration der Runeninschrift, in normalisiertem Standard-Altnordisch, in einer an das jeweilige Sprachgebiet angepassten normalisierten Fassung (z. B. in standardisiertem Runenschwedisch) sowie in einer englischen Übersetzung. Außerdem erhält man Angaben zu vorhandenen wissenschaftlichen Ausgaben der Texte. Menota (Medieval Nordic Text Archive) ist ein Netzwerk nordischer Archive, Bibliotheken und Forschungsinstitutionen, die sich schwerpunktmäßig mittelalterlichen lateinischen und volkssprachlichen Texten der nordischen Länder ____________ 41
Vgl. www.nordiska.uu.se/forskn/samnord.htm [gesehen 17. 11. 2010].
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widmen.42 Anliegen dieses Verbundes ist es, Texte zu bewahren, zu bearbeiten und sowohl als Faksimiles als auch in kodierten Transkriptionen zu edieren. Wegen der Besonderheiten dieses Textmaterials in Notation und Orthografie hat Menota viel Arbeit u. a. in die Entwicklung einer Unicode-Zeichendarstellung investiert und für das Kodieren von Texten ein eigenes Handbuch entwickelt, ursprünglich basierend auf TEI P4/XML, seit 2011 auf TEI P5. Dabei unterscheidet das Modell von Menota drei Textfassungen: Faksimile, diplomatische und normalisierte Version. Das Projekt bereitet derzeit auch Richtlinien für das Lemmatisieren und für ein grammatisches Tagging vor, was gute Bedingungen für den Einsatz von Suchwerkzeugen und für die maschinelle Datenverarbeitung schaffen wird.
5.
Auf dem Weg zum digitalen Archiv
Wie bereits festgestellt, gibt es einen Trend hin zu intensiveren Formen der Zusammenarbeit und zur Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Arten von Akteuren, so dass Editionsprojekte nicht mehr ausschließlich von textkritisch orientierten Philologen und Editoren getragen werden. Eines dürfte klar sein: Die editionstheoretisch fundiertesten Projekte, die besonders umfassend am Kodieren von Texten arbeiten und digitale Editionsversionen erstellen, sind eben jene Großprojekte, die auf der Kooperation mehrerer Akteure basieren. Unter Einzelprojekten dagegen, in denen nur ein Forscher tätig ist, finden sich kaum nennenswerte Beispiele für Textkodierung und digitales Edieren. Allerdings lässt sich auch noch von einem anderen Trend zur verstärkten Arbeitsteilung sprechen, nämlich jener zwischen verschiedenen Medien und Darbietungsformen. Es scheint ein historisches Charakteristikum der skandinavischen Editionsphilologie zu sein, dass digitale Werkzeuge und Formen vor allem auf frühen Stufen der editorischen Arbeit zum Einsatz kommen, also beim Kollationieren, beim Erstellen von Konkordanzen, bei der Korpusanalyse und beim Aufbau von Datenbanken. Manche Projekte kodieren ihre Texte zwar z. B. in XML, jedoch nur, um damit letztlich eine Druckausgabe zu erstellen. Der gedruckte Text bleibt in diesem Zusammenhang also der vorrangige, während der kodierte digitale Text nur sekundären Status erhält. Andere Projekte publizieren digitale und Print-Ausgaben parallel zueinander (siehe unten). Wiederum andere stellen nach Erscheinen der Druckausgabe digitales Material als eine Art Anhang oder als Hilfsmittel für die Volltextsuche bereit. ____________ 42
Auf der Website von Menota, www.menota.org [gesehen 15. 6. 2012], finden sich Links zum Handbuch, zum Textarchiv und zur Suchmaske.
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Als primäres Publikationsmedium fungieren digitale Medien und Werkzeuge bislang eher selten; sie dienen in Skandinavien immer noch vorrangig als Hilfsmittel beim Erstellen von Druckausgaben. Die Projekte, die ihrer Zielgruppe dennoch schon frühzeitig digitale Endprodukte zur Verfügung stellten, gestalteten diese digitalen Versionen deshalb mehr oder weniger als Imitationen der Buchform, so dass sie dem gedruckten Primärprodukt sowohl in ihrer Struktur als auch hinsichtlich ihres Layouts ziemlich ähneln.43 Neben der Durchsuchbarkeit des Textes besteht der Hauptzweck digitaler Endprodukte bei aktuellen Editionen offenbar vor allem darin, einerseits Lesetexte in Formaten wie PDF, HTML oder ePub bereitzustellen, andererseits auch jene Varianten und Paratexte, die sich in der entsprechenden Druckausgabe aus Platzgründen oder anderer Ursachen wegen nicht unterbringen ließen. Praktisch jedes derzeit laufende wissenschaftliche Editionsprojekt in Skandinavien strebt anscheinend sowohl gedruckte als auch digitale Endprodukte an, häufig mit jeweils etwas unterschiedlichen Funktionen und Zielgruppen. Damit lässt sich in Skandinavien wie auch in internationalem Zusammenhang eine Tendenz zu Parallelpublikationen in digitaler und Printform beobachten, die sich als eine Art von Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Medien beschreiben ließe und damit auch als ein Verfahren, die jeweiligen Endprodukte auf verschiedene Empfängerkreise und Anwendungsgebiete auszurichten. Vielleicht sind dies Anzeichen dafür, dass die neuen Distributionsformen dabei sind, die Medienlandschaft tiefgreifend umzugestalten. Allerdings ist die Anzahl rein digitaler wissenschaftlicher Ausgaben in Skandinavien immer noch recht bescheiden. Obwohl manche Editionsprojekte sich elektronischer Publikationswege bedienen, um die Türen zu ihren textkritischen Werkstätten zu öffnen, nutzen nur wenige die Eigenarten und das Potential des digitalen Mediums intensiv aus,44 und noch wenigere sind auf rein digitale Editionen hin ausgerichtet (d. h. mit sekundärer oder völlig ohne Druckausgabe). Bemerkenswerte Ausnahmen bilden hierbei die Ausgabe von Wittgenstein’s Nachlass, die erste komplett digitale große Ausgabe in Skandinavien, und das eMunch-Projekt. Zu den ‚digitalen Archiven‘ jedoch, wie wir ____________ 43
44
Dahlström 2000 und Jannidis 2005. Johnny Kondrup (2011) sah sich jedoch bereits zu einer dreigeteilten Kategorisierung von Editionsunternehmungen veranlasst: solche, die ursprünglich auf das gedruckte Buch zielten, während der Herausgabe sich jedoch neu orientierten und daher die bereits gedruckten Bände ‚retro-digitalisierten‘ (z. B. August Strindbergs bzw. C. J. L. Almqvists Gesammelte Werke), dann solche, die bereits von Beginn an ihre Bände parallel digital und gedruckt veröffentlichen (z. B. Søren Kierkegaards bzw. Henrik Ibsens Schriften), und schließlich solche, deren primäres Ziel die Veröffentlichung im digitalen Medium ist (z. B. Zacharias Topelius’ Schriften und das Selma Lagerlöf-Archiv oder Ludwig Wittgensteins Nachlass. Karlsson/Malm 2004.
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sie aus der angelsächsischen Forschung kennen (z. B. The William Blake Archive, The Rossetti Archive oder Gravers und Tetreaults digitale Ausgabe der Lyrical Ballads Wordsworths und Coleridges), gibt es in den skandinavischen Ländern eigentlich keine Entsprechung. Zu beachten ist hierbei die Bezeichnung ‚Archiv‘. Da sich hier erheblich größere Mengen an modularen Daten in separaten Kommunikationsformen speichern und darstellen lassen als in traditionellen Ausgaben, entwickeln sich solche Projekte immer mehr zu relationalen Datenbanken und Archiven, die in hohem Maße die Speicherkapazität und die nicht-sequentiellen Eigenschaften dieses Mediums ausnutzen. Ihr referentieller und inklusiver Charakter erhöht sich damit deutlich.45 Eine Ausgabe in diesem Kontext ließe sich in technischem Sinne am ehesten als Gelegenheitsprodukt, als kriteriengeleiteter Ausschnitt aus einem Archivspeicher charakterisieren.46 Diese Entwicklung hin zu stärkerer Zusammenarbeit verschiedener Akteure und Institutionen einerseits und zu zunehmend archivähnlichen Projektergebnissen andererseits könnte zu modularen und distribuierten Ausgaben führen, bei denen der einzelne Herausgeber einen immer kleineren Anteil der Edition entwickelt und kontrolliert als bisher. Ein positiver Effekt solcher Formen bestünde darin, dass die Ausgaben flexibler werden und dadurch neue Forschungen und Entwicklungen in höherem Maße unterstützen. Wenn sich Texte, Dateien und Software, die in verschiedenen Zusammenhängen entstanden sind, in immer neuer Weise miteinander kombinieren lassen, erhöht dies die Wiederverwertbarkeit editionswissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Es gibt mehrere Methoden, um sich einem solchen Ideal weiter zu nähern. Eine dieser Methoden könnte so aussehen, dass die Herausgeber und ihre Kooperationspartner der Öffentlichkeit ihre Editionen und zugehörigen Archive bis hin zur verwendeten Software als Open-source-Fundus zugänglich machen. Eine andere bestünde darin, in höherem Maße mit sogenanntem Stand-off-Markup zu arbeiten. Beim Kodieren z. B. in TEI nämlich ist der Bearbeiter eines Textes dazu gezwungen zu deuten, was ein Autor (oder Drucker) einer Textvorlage mit dieser oder jener typografischen Auszeichnung gemeint haben könnte (während sich eine präsentationelle Kodierungsstrategie damit begnügen kann, die Typografie wiederzugeben, ohne dabei Stellung zu ihrer inhaltlichen Funktion ____________ 45
46
Oft ist dies bei den oben erwähnten Digitalisierungsarbeiten in Bibliotheken und Archiven der Fall. Auch für wissenschaftliche Editionsprojekte werden natürlich häufig eine oder mehrere Datenbanken erstellt. Die Datenbank ist dann eine jener Komponenten, aus denen unterhalb der Benutzerschnittstelle ein oder mehrere sichtbare Texte erzeugt werden. Solche Ausgaben zeigen damit schon deutliche Tendenzen zum digitalen Archiv. Gleichzeitig existiert jedoch auch eine Gegenbewegung gegen diesen Trend zu heterarchischen Archiven; vgl. etwa Robinson 2002.
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zu nehmen). Es kann Nachteile mit sich bringen, wenn man solche und andere Interpretationen in den transkribierten Text einbettet, insbesondere dann, wenn Bedeutung und Textvarianten in Zweifel stehen. Eine Alternative bestünde darin, deutenden Code nicht in die Transkription einzubetten, sondern ihn in separate Dateien auszulagern, als sogenanntes Stand-off-Markup (oder externe Kodierung). Ein und derselben Transkription lassen sich damit verschiedene Kodierungen zuweisen. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass sich damit überlappende Hierarchien einfacher handhaben lassen. Außerdem ließe sich damit womöglich auch die schwierige urheberrechtliche Verwaltung digitalisierter und kodierter Texte vereinfachen: Obwohl die Kodierung eines Textes als intellektuelle Leistung billigerweise urheberrechtlichen Schutz genießt, könnten bei einem solchen Verfahren die jeweils kodierten Transkriptionen ohne größere Einschränkungen verbreitet werden, z. B. über größere gemeinsame Textdatenbanken (vorausgesetzt, dass beim Transkribieren Konsens hinsichtlich der Textkonstitution besteht, was natürlich nicht immer der Fall ist). Damit nähern wir uns Diskussionen über die Zugänglichkeit von Texten, über Distributionsstrategien und urheberrechtliche Zusammenhänge, die als Zukunftsfragen besser in anderem Kontext als in einem Übersichtsartikel behandelt werden sollten. Nur eine letzte Beobachtung sei noch gestattet: Bislang dienten digitale Ausgaben vor allem als À-la-carte-Menüs mit im Vorfeld fixierten Kombinationen fertig zubereiteter Gerichte. Es ließe sich mit dem Gedanken spielen, dass uns in Zukunft immer häufiger offene Büffets begegnen werden, bei denen der Anwender sich qualitativ hochwertige Texte und Bilder nach eigenem Gusto zusammenstellen kann, oder Mitbringpartys, zu denen jeder im besten Stil des Web 2.0 eigenes Material beisteuert, womöglich sogar Markthallen, in denen sich der Anwender feinste Zutaten von höchster Qualität besorgt, um dieses Rohmaterial als Forscher, Autor und Herausgeber zu redigieren und weiterzuverwerten, oder Küchen, in die die Benutzer mit Zutaten, Rezepten und Ideen kommen und dort Herde und das Personal samt einem geschickten und hilfsbereiten Küchenmeister vorfindet. Doch der Weg dahin ist noch weit. Aus dem Schwedischen von Cornelia Remi
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Abstract This paper looks at the development and application of digital tools and computer assisted publishing within Scandinavian scholarly text editing. Tracing its early roots in the text archives and concordance projects within computational linguistics in the 1960’s, the development of modern scholarly digital text editing is presented up until projects currently being launched. While hybrid (paper and electronic) and primarily digital editions are increasingly common, only one Scandinavian edition can be characterized as all-electronic including the publication phase. A major focus in the presentation is on the development of digital facsimiles and text encoding, where the principles and specific encoding schemes for some of the larger projects are identified. In Scandinavia digital text editing and publishing have mainly been performed as parts of larger collaborative projects. Some initiatives have been interScandinavian such as Samnordisk runtextdatabas or generally international such as the Menota (Medieval Nordic Text Archive). Large national text editing projects have largely been devoted to individual authors of national importance (with the electronic edition of Wittgenstein’s Nachlass at the University of Bergen as an exception). Among these projects are the editions of Almqvist in Sweden, Kierkegaard in Denmark, Ibsen in Norway, and Topelius in Finland. Although these projects are nationally based, a significant degree of contact and interconnection exists between some of them. In parallel with these scholarly editions, work is being done with various facsimile editions of literature from the national canons. Such facsimiles may be both image digitizations of printed books and transcribed text published as PDF or HTML files. A discernible trend within Scandinavian digital text editing is towards new and intensified collaboration patterns, e. g. between editors and libraries, as well as an increased labour division between both people and various media outputs of the editing projects.
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Hans Walter Gabler
Wittgensteins Nachlass: The Bergen Electronic Edition
1.
Voraussetzungen
Nachlässe bestehen aus unveröffentlichten Materialien. Als solche sind sie zumeist nach vielfältigen Differenzierungskriterien gruppierbar und gliederbar. Da jedoch die Veröffentlichung ausblieb, kommt keinem Teilbereich eines Nachlasses Werk-Status zu. Andererseits gehört ein Nachlass in seiner Gesamtheit zum Werk, zum Œuvre, eines Autors. Das begründet den Anspruch der Wissenschaft, ihn editorisch zu erschließen. Doch für Nachlässe gibt es keine editorischen Orthodoxien. Zumeist macht der Nachlass lediglich einen Teil- und Randbereich des in Dokumenten und Schrift hinterlassenen Werks eines Autors aus. Bei Ludwig Wittgenstein (1889–1951) jedoch liegen die Dinge anders. Die Aufzeichnungen seines Denkens sind überwiegend überhaupt nur als Nachlass auf uns gekommen. Wittgenstein verfügte testamentarisch: „I intend and desire that Mr Rhees, Miss Anscombe, and Professor von Wright shall publish as many of my unpublished writings as they think fit“.1 Der Autor spricht seinen Willen aus und räumt seinen Nachlassverwaltern zu dessen Erfüllung einen Entscheidungsfreiraum ein. Der Herausgabe der Inhalte der Nachlassdokumente widmeten sie sich als Bewahrer und Vermittler des im Material des Nachlasses verbürgten Erbes. Die Erfüllung der ihm übertragenen Aufgabe enthebt den Herausgeber allerdings nicht der Notwendigkeit, Unterscheidungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die vom verstorbenen Urheber selbst nicht gefällt wurden. „[They] shall publish as many of my unpublished writings as they think fit“, formuliert Wittgenstein. Der Reflex herkömmlicher Editorik ist, „writings“ als ‚Werke‘ zu verstehen und folglich solche unter identifikatorischen Titeln aus dem Nachlassmaterial herauszuschälen. Die Nachlassverwalter haben eben dies getan und Ludwig Wittgenstein damit öffentlich gemacht in einem weit über seine Selbst-Veröffentlichung zu Lebzeiten hinausgehenden ____________ 1
Huitfeldt/Rossvær 1989, S. 1.
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Hans Walter Gabler
Ausmaß.2 Ihre editorische Leistung hat sich im Allgemeinen behauptet, auch wenn gelegentlich geltend gemacht worden ist, dass die HerausgeberSelektionen Wittgensteins Ansichten auch verstellt hätten.3 Grundsätzlicher ist dagegen bisher noch wenig abgewogen worden, dass aus dem als Œuvre des Autors aufzufassenden Gesamtnachlass ‚Werke‘ zu generieren einer Autorwie Werk-Auffassung entspringt, die sich für Ludwig Wittgenstein erst als gültig bestätigen müsste. Das Hauptindiz gegen ihre Gültigkeit ist, dass Wittgenstein aus dem umfangreichen Manuskriptbestand, den er schließlich hinterließ – es sind alles in allem um die 20.000 handschriftliche und maschinenschriftliche Seiten – selbst kaum oder gar nicht ‚Werke‘ formte und veröffentlichte. Wilhelm Vossenkuhl umreißt konzis Wittgensteins Arbeitsweise: 1931 arbeitet Wittgenstein an Bemerkungen, die später den Titel Philosophische Grammatik erhalten. […] [Er] füllt zuerst Notizbücher mit Bemerkungen. In einem zweiten Arbeitsgang bringt er diese Bemerkungen in einem großen Manuskriptband in eine andere Ordnung. Aus einem solchen Manuskriptband trifft Wittgenstein dann eine Auswahl von Bemerkungen, die er für ein Typoskript diktiert. Das Typoskript dient dann der weiteren Auswahl. Textteile werden ausgeschnitten, neu arrangiert. Der Prozeß kann von neuem beginnen. Wittgenstein hat diesen Arbeitsstil mehr als zwanzig Jahre geübt, ohne daß er damit zu einer ihn wirklich befriedigenden Anord4 nung von Texten gekommen wäre.
Die rückblickende Beschreibung erhellt die Implikationen von Wittgensteins eigener Betrachtung seines Denkens und Arbeitens, wie er sie im Vorwort zu den von ihm nahe an die Veröffentlichung herangeführten Philosophischen Untersuchungen darlegt: Ich habe diese Gedanken alle als Bemerkungen, kurze Absätze, niedergeschrieben. Manchmal in längeren Ketten, über den gleichen Gegenstand, manchmal in raschem Wechsel von einem Gebiet zum andern überspringend. – Meine Absicht war es von Anfang, alles dies einmal in einem Buche zusammenzufassen, von dessen Form ich mir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Vorstellungen machte. Wesentlich aber ____________ 2
3
4
Vossenkuhl 2003 gibt im Kapitel III Die Werkentwicklung (S. 59–78) eine Übersicht auch über die Veröffentlichungsgeschichte. Der Teil Wittgensteins Werke (S. 356–358 im Literaturverzeichnis) listet alle in Buchform erschienenen Ausgaben auf. Vgl. Hughes 1992. Den Hinweis verdanke ich anregenden Gesprächen zu diesem Beitrag mit Daniella Jancsó. Ihre Monografie (Jancsó 2007) nutzt das Erschließungspotential der Bergener digitalen Edition des Wittgenstein-Nachlasses zur kritisch-interpretatorischen Entfaltung ihres Gegenstandes. Vossenkuhl 2003, S. 67; und weiter heißt es: „Aus den Notizbüchern, Manuskriptbänden und Typoskripten stellten die Nachlassverwalter […] ihnen sinnvoll erscheinende Texte zusammen und gaben ihnen selbst Titel: die Philosophische Grammatik, die Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, Vermischte Bemerkungen, Zettel, Über Gewissheit, Über Farben.“
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erschien es mir, daß darin die Gedanken von einem Gegenstand zum andern in einer natürlichen und lückenlosen Folge fortschreiten sollten. Nach manchen mißglückten Versuchen […] sah ich ein, daß mir dies nie gelingen würde […] daß meine Gedanken bald erlahmten, wenn ich versuchte, sie, gegen ihre natürliche Neigung, in einer Richtung weiterzuzwingen. – Und dies hing freilich mit der Natur der Untersuchung selbst zusammen. Sie nämlich zwingt uns, ein 5 weites Gedankengebiet, kreuz und quer, nach allen Richtungen hin zu durchreisen.
Wittgenstein rechtfertigt hier und empfindet scheinbar doch als eigenes Versagen, was in umfassenderer Sicht als Merkmal denkerischer und sprachlicher Kreativität in der klassischen europäischen Moderne ausgemacht werden kann, zu deren Zeit Wittgenstein wirkte. In ihr gewinnt eine Kunst des asyndetischen Segmentierens Raum, die erst im Mitdenken und der Empathie ihre Sinnpotentiale entfaltet. Mag in Wittgensteins Vorstellung vom ‚Buch‘ noch ein Festhalten-Wollen an der kulturell assimilierten Konvention beschlossen liegen – seine Einsicht, dass seine Gedanken erlahmen und ihren natürlichen Fluss verlieren würden, falls er sie tatsächlich in eine vom Buch geforderte Konsequenz umsetzte, erweist ihn als intuitiv vom Geist seiner Gegenwart durchdrungen. Den stärkeren kulturellen Beharrungswillen zeigten die Nachlassverwalter, indem sie, „as they saw fit“, Wittgensteins Nachlass als Abhandlungen in Buchform aufbereiteten. Doch die dynamische Polyvalenz seines Denkens lässt sich kaum zwischen Buchdeckeln ruhig stellen. Dem stehen letztlich und zutiefst gerade Wittgensteins eigene Einsichten in die Polysemie und Bewegung am Wurzelgrund seines Denkens: der Sprache selbst, entgegen. Was Wittgenstein also hinterlassen hat, ist eine Gesamtmasse an Dokumenten. Die Wissenschaft sieht sich heute erneut auf deren schiere Materialität zurückgeworfen. Ganz bewusst treten die Forscher aus der Folgegeneration der ersten Treuhänder wieder einen Schritt zurück und bemühen sich, den umfassenden Bestand des nachgelassenen Materials noch einmal unvermittelt zu lesen. Zu dessen erneuter Vermittlung stehen ihnen dann grundsätzlich zwei Vorgehensweisen zu Gebote: Sie können die Dokumente im Original oder im Bild vor Augen führen; und sie können eine Umschrift, eine Transkription zum Lesen verfertigen. Beides: Die Bild-Darbietung als Faksimile und die TextDarbietung als Transkription, sind gängige editorische (Teil-)Verfahren. Neu ist es, diese Verfahren in Verbindung und gegenseitiger Verknüpfung aus dem Einsatz der Datenverarbeitung heraus zu entwickeln. Die WittgensteinArbeitsstelle in Bergen hat sich ein solches Fortschreiten in die Zukunft der wissenschaftlichen Herausgabe früh und konsequent zur Aufgabe gemacht. ____________ 5
Wittgenstein 2001, Vorwort (ohne Seitenangabe).
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Die originalen Dokumente des Wittgenstein-Nachlasses befinden sich in Archiven und in Privatbesitz verstreut über Europa und Kanada. Ihren Hauptbestand verwahrt die Trinity College Library in Cambridge, England. Das Bergener Wittgenstein-Archiv hat den gesamten Nachlass an einem Ort in Kopien zur allgemeinen Benutzung zusammengeführt. Die wissenschaftliche Leistung, die Claus Huitfeldt an der Spitze einer Mitarbeitergruppe darauf aufbaute, war die Transkription, die Ab- und Umschrift aller Handschriften und Typoskripte. Bedeutsam war hierzu von vornherein eine Vorurteilslosigkeit gegenüber den Dokument-Inhalten. Diese wurden nicht, vorgeschaltet, nach Inhaltskriterien in Teil-Werke oder Werk-Teile eingeteilt. Allein die Dokumente als Dokumente wurden übernommen, wie sie überliefert sind, und sodann lediglich nach Autographen und Typoskripten aufgeteilt.6 Seite für Seite wurden sie gemäß ihrer Blatt- und Beschriftungsfolge transkribiert dargeboten. Dies geschah seinerseits nicht wieder auf Papier, sondern im digitalen Medium. Wittgensteins Nachlass wurde in Bergen umfassend digital zugänglich gemacht.7 Die Natur der Nachlassmaterialien, überwiegend Notiz-, Entwurfs- und Revisionspapiere, hat die Verfahren ihrer Transkription bestimmt und die Ausdifferenzierung der dazu benötigten Auszeichnungen geleitet. Die Zielsetzung für die Veranschaulichung des in und auf den Papieren Wahrnehmbaren war umfassend. Zur Darstellung kommen sollten nicht allein die geschriebenen Texte, sondern gleichfalls die Schreibvorgänge, aus denen sie resultierten: also grundsätzlich alle Streichungen, Streichungen mit Ersetzungen, Hinzufügungen, Umstellungen; sowie auch die vielfältigen sonstigen Schreibspuren auf dem Papier, etwa die rasche Selbstkorrektur oder der stehengebliebene Schreibfehler. Das geschrieben Wahrnehmbare, insoweit insgesamt im Konventionsrahmen der allgemeingültigen alphanumerischen Zeichen gehalten, weist in den Nachlasspapieren dabei zuweilen die individuelle Variante der Wittgenstein’schen Geheimschrift auf – einer verschleiernden Umkodierung der Buchstaben und Zahlen, die Wittgenstein verblüffenderweise ebenso flüssig von der Hand ging wie das unverschlüsselte Schreiben. Auch für die Geheimschrift galt als Darstellungsziel die absolute Zeichen-für-Zeichen-Treue. In größtmöglichem Ausmaß sollte diese schließlich gleichfalls für alle nicht alphanumerischen Elemente in den Dokumentbeschriftungen (etwa Symbole, Zeichnungen, Tabellen) umgesetzt werden. ____________ 6 7
Maßgebend blieb die Nachlassaufstellung bei von Wright (von Wright 1982). Implikationen des Medienwechsels für die Editorik erörtere ich in Gabler 2007a und im parallelen Artikel Gabler 2007b auf Englisch, mit Beispielen aus dem Netz.
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Der Sinn solcher Akribie bei der Umsetzung und Darstellung alles in der Beschriftung der originalen Dokumente Wahrgenommenen liegt darin, in der Zueinanderstellung das Bild des Originals und die dazu gebotene Transkription zu naher Deckung zu bringen. Dahinter steht ein Verständnis vom autographen Charakter eines Originals, dessen semantisches Potential über die Sinnhaftigkeit des Textes, der von ihm abgeschrieben wird, allein nicht ausgeschöpft werden kann. Die im Bergen-Projekt angestrebte Erschließung des Nachlasses steht damit unter der Prämisse, dass nur die größtmögliche Material-, Dokumenten- und Aufzeichnungsnähe so eng an Wittgensteins Denken und Gedankenführung in ihrer Wechselwirkung, ihrem dynamischen Ineinander, heranführt, wie es die Spuren, die diese Wechselwirkung im Schreiben gesetzt haben, überhaupt zulassen. Hier kehrt ein Grundproblem wieder, das bei Handschrifteneditionen im Medium Papier und Buch nicht zu lösen war. Mit einem hoch differenzierten System von Metazeichen sollten im Druck die komplexen Verhältnisse in Entwürfen: die Wechsel von Schreibstoffen (Tinte, Bleistift, Farbstift), die stets unvorhersehbar variable Topografie und, daraus ableitbar, die Chronologien des Schreibens, wiedergegeben und, in der Umkehrung, aus der Darstellung rekonstruierbar gemacht werden.8 Dies verlangte eine hohe Abstraktionsleistung bei der Erstellung aufgrund der Dokumente und deren Potenzierung bei der Rekonstruktion zur imaginären Anschauung in absentia. Die Konstitution des Metazeichen-Systems gelang dank des Umstands, dass die Herausgeber die Handschriften stets vor Augen haben konnten. An der Rekonstitution des Handschriftenbildes jedoch mussten die Benutzer letztlich scheitern. Denn die medialen Grenzen konterkarierten das editorische Bemühen. Wohl war die zweidimensionale Buchseite geeignet als Trägermedium für linear lesbaren und also gleichfalls zweidimensionalen Text. Prinzipiell musste sie jedoch versagen gegenüber Ansprüchen, die Raumanordnung der Handschrift – will heißen, ihre manifeste Dreidimensionalität – und die daraus ableitbare zeitliche Abfolge ihrer Niederschrift – will heißen, ihre implizite vierte Dimension – ohne simultane Anschauung des Originals darzustellen. Für eine editorische Aufbereitung von handschriftlichen und maschinenschriftlichen Originalmaterialien wie denen des Wittgenstein-Nachlasses erschien daher der Wechsel ins digitale Medium zwingend. Dadurch ließ sich, auf das Original bezogen, die Zueinanderstellung der Anschauung (medienbedingt nun geboten als digitales Bild) und der Umschrift gewährleisten. Das ____________ 8
Das Flaggschiff aus der Ära der germanistischen Handschrifteneditionen in Buchform sind die Lyrikbände der historisch-kritischen Conrad-Ferdinand-Meyer-Ausgabe (Hrsg. Zeller 1963– 1996).
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brachte ganz entscheidende Erleichterungen und Verdeutlichungen auf der Nutzerseite. Die Anforderungen allerdings an die Erstellung der Transkription minderte das keineswegs. Im Gegenteil: Die Verzeichnung zur Textdarstellung sah sich ganz neuen Hürden gegenüber. Ganz elementar gehörte dazu, dass zur maschinellen Verarbeitung alles expliziert werden muss, was die menschliche Intelligenz im Umgang mit natürlicher Sprache und Schrift noch immer aus Beobachtung, Gedächtnis und analogem Folgern wahrzunehmen und zu begreifen imstande ist. In der Transkription zur Speicherung im digitalen Medium hingegen galt es, jedes zur Bewahrung und zum Wiederfinden, zum Ansteuern und schließlich zur Darstellung vorgesehene Merkmal der Dokumentenbeschriftung eindeutig zu definieren und auszuzeichnen. Hierzu gab es um 1990, zu der Zeit, als das Bergener Wittgenstein-Projekt seine Arbeit aufnahm, noch wenig an Anleitung und Vorbildern. Die Bergener haben sich mit ihrem Projekt daher zugleich auch ihr eigenes Instrument zu dessen Bewältigung geschaffen. Auf der Grundlage einer eigenständigen Kodierungssyntax Multi Element Code System (MECS) und der dazu entwickelten Auszeichnungskonventionen MECS-WIT gelang es einer im Durchschnitt drei- bis vierköpfigen Arbeitsgruppe in zehnjährigem Einsatz, den Wittgenstein’schen Nachlass in seiner Gesamtheit in digital aufgezeichnete und durchsuchbare Gestalt zu überführen.
2.
Die Ausgabe und ihre Nutzung
Im Jahre 2000 veröffentlichte die Oxford University Press Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition auf CD-ROM, die einzeln privat erworben oder an öffentlichen Bibliotheken unter Lizenzbedingungen genutzt werden kann. Diese digitale Edition ist eine Ausgabe grundsätzlich neuen Typs. Wie jede wissenschaftliche Ausgabe ist sie vornehmlich auf die Benutzung angelegt, nicht aufs kursorische Lesen. Es ist ein Missverständnis, wissenschaftliche Ausgaben als edierte Texte mit bei- oder nachgeordneten ‚Paratexten‘ (Einleitungen, Apparaten, Kommentaren) als sekundärem Beiwerk anzusehen. Eine Edition ist im Gegenteil stets ein integrales Diskursgeflecht. Ihre vermeintlichen ‚Paratexte‘ sind Diskursstränge eines editorischen Gesamtkonstrukts und korrelieren als solche systematisch (ja, systemisch) gleichberechtigt mit dem edierten Text. Dieser gibt zwar überwiegend die Referenzorientierung zur Verknüpfung der editorischen Diskurse ab, ist aber doch selbst jeweils nur einer unter ihnen.
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Eine solche Präzisierung der logischen Struktur einer wissenschaftlichen Edition wird bedeutsam in der neu anbrechenden Ära in der Editorik, in der es möglich wird, Editionsgegenstand und editorische Darstellung medial zu trennen. Die Editionsgegenstände und ihre Überlieferung sind und bleiben papiergebunden, doch die wissenschaftliche Edition wird nunmehr im digitalen Medium generiert, dargestellt und genutzt – sei es, dass sie im veröffentlichten Ergebnis eine rein digitale Ausgabe ist oder als solche auch eine BuchKomponente integriert.9 Einem Materialkonvolut als Editionsgegenstand wie dem Nachlass von Ludwig Wittgenstein ist das digitale Medium von vornherein am ehesten gemäß. Es lässt sich grundsätzlich nicht adäquat nach herkömmlichen Verfahren wiederum auf Papier editorisch abbilden. Allein der Medienwechsel bietet die angemessene Voraussetzung, seine textlich heterogene Materialität ins System eines editorischen Diskursgeflechts zu wissenschaftlicher Analyse und Darstellung zu überführen. Der Benutzer der Bergener digitalen Ausgabe des Wittgenstein’schen Nachlasses sollte nun darauf gefasst sein, dass sie sich nicht wie ein Buch und recht eigentlich auch nicht als ein fortlaufender Text lesen lässt. Ein Verständnis von der gerade erörterten logischen Struktur wissenschaftlicher Ausgaben wird ihm helfen, sich darauf einzulassen, dass der Orientierungsdiskurs der Bergener digitalen Edition nicht der Text ist. Ihren Leitfaden spinnt sie vielmehr aus den editorisch gesetzten relationalen Verknüpfungen zwischen allen erfassten Textelementen und Textinhalten. Es wurde schon betont, welche analytische Formalisierungsleistung erforderlich war zur Auszeichnung all dessen, was auf den Dokumenten des Nachlasses verzeichnet steht. Die Funktion der hohen Auszeichnungsformalisierung erweist sich nun aus der Nutzung der Ausgabe. Denn die Nutzung selbst, und erst ihre Nutzung, vermag es, die Inhalte der Dokumente und aus deren Bezugsetzung zueinander die Inhalte der Ausgabe zu generieren. Nur dadurch, dass der Einstieg in die Ausgabe hoch differenziert über Befragungen zu Wörtern, Wortradikalen, Begriffen und Sprachkollokationen, kurz: insgesamt über vielfältige Suchverfahren und Suchmöglichkeiten gelenkt wird und gewährleistet ist, erschließt sich die Ausgabe inhaltlich. Sie erschließt sich in stets zunehmendem und komplex erweiterndem Maße textlich, als Mosaik und Folge von Textsegmenten und endlich als ein sich ständig erweiternder Text. ____________ 9
Digitale Editionen mit Buchkomponente werden gern als ‚Hybrideditionen‘ bezeichnet. Als ein frühes Beispiel mag hier genannt sein Der junge Goethe in seiner Zeit (Hrsg. Eibl 1998). Søren Kierkegaards Skrifter hat sich jüngst zur Hybridedition ausgeweitet mit dem Webauftritt der bisher in Buchform publizierten Bände: siehe www.sk.ku.dk.
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In Ludwig Wittgensteins 20.000 Seiten umfassendem Nachlassmaterial lassen sich die immer wieder neuen, neu formulierenden, die Gedanken und Gedankenfolgen umschichtenden, verwerfenden, ergänzenden Pfade nachverfolgen und nachzeichnen, die er im denkenden Schreiben ausgelegt hat. Die Spuren, die sie auf Papier hinterlassen haben, nachdurchdenkend zu durchmessen verheißt allerdings erst dann Erfolg, wenn die Erforschung eben nicht vornehmlich auf dem Wege konsekutiver Lektüre von aufgeschriebenem Text verläuft, sondern wenn den relationalen Querbezügen der Bemerkungssegmente nachgegangen werden kann. Die virtuelle Dynamik des digitalen Mediums kann dazu in den Dienst genommen werden, die Dynamik des originalen Denkens in der Bemerkungskunst Wittgensteins zu rekonstituieren. Hierin liegen Berechtigung und Sinn der Edition im digitalen Medium. Wittgensteins Schreiben selbst bietet die Ausgabe in dreifacher Anschauung. Da ist, von der Oberfläche zur Tiefe fortschreitend, einmal die ‚normalisierte Version‘, das als Text lesbare Produkt also des Wittgenstein’schen Schreibens in seinen nachgelassenen Papieren. Editorisch stellt die ‚normalisierte Version‘ eine Extrapolation aus der ‚diplomatischen Version‘ dar, zu der der Benutzer sich dementsprechend aus der ‚normalisierten Version‘ zurückklicken kann. Die ‚diplomatische Version‘ berücksichtigt Worte und Zeichen, Streichungen, Ersetzungen und Hinzufügungen, die Raumanordnung des Schreibens auf dem Original sowie auch extratextuelle Schreibspuren wie Randbemerkungen und dergleichen mehr. Die ‚diplomatische Version‘ ist, mit anderen Worten, die möglichst zeichengetreue Transkription der Seiten der Originaldokumente. Sie ist demnach umfassend sinnvoll erst in Verknüpfung mit der digitalen Bildwiedergabe jeder Dokumentenseite selber. Bildmodus, diplomatischer Modus und normalisierter Modus fügen sich zusammen zu einem sich gegenseitig bedingenden Verweissystem zur Erschließung des Wittgenstein’schen Schreibens als Schreiben und als Text. Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition bietet sich so dem Benutzer als Instrument zur Forschung an. In konzisen Begleittexten zudem situiert und erklärt sie sich selbst. Sie listet ihre Inhalte auf und führt in die Benutzung ihrer Suchmechanismen ein. Bedingt ist die Nutzung dadurch, dass sie in ein proprietäres Erschließungsprogramm eingebettet ist. Aus mittlerweile zehnjährigem Abstand wird man hinzufügen müssen, dass sie durch diese Programmumgebung auch teilweise eingeschränkt ist. Innerhalb ihrer wohlverstandenen Grenzen ist die Bergen Electronic Edition gleichwohl ein hoch innovatives Forschungsinstrument.
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3.
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Von der Edition zur Forschungsplattform
Heute schreitet am Bergener Wittgensteinarchiv die Arbeit über die Bergen Electronic Edition hinaus fort.10 Die digital-mediale Erforschung und editorische Aufbereitung des Nachlasses ist dort im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in neue Phasen eingetreten. Gegenwärtig werden neue Wege insbesondere der Erschließung der Nachlass-Inhalte beschritten. In einer Sequenz EUgeförderter Vorhaben hat das Bergener Wittgenstein-Forschungszentrum zudem auch immer wieder auf dem Gebiet digitaler Technologien die Entwicklungen von open-source- und open-access- sowie in der Zielrichtung interaktiver Forschungsplattformen in den Geisteswissenschaften angeführt. Solche Plattformen bieten, wo sie dokumentgegründet sind, den Bildzugang zum Dokument und die daran geknüpfte transkriptorische Erschließung – und das heißt im Weiteren konsequent: eine vom Material und Dokument her gebaute Handschriftenausgabe im innovativen Modus der digitalen, und letztlich interaktiv gedachten Edition. Das digitale Medium erlaubt ein weites Spektrum der Fortführung unter editorischen Prämissen, doch ebenso in analytisch-interpretatorischer Durchdringung, des auf Dokumentanschauung und Text fußenden Kernmaterials der jeweiligen Plattform. Das innovative Potential der Wittgenstein-Plattform weist so über sie selbst hinaus. Nunmehr und künftig werden vom Wittgenstein-Archiv im norwegischen Bergen aus, dank der grundständig dort bereits geleisteten digitalen Erschließung des WittgensteinNachlasses, bedeutsame Impulse für eine Integration der Grundlagenarbeit wissenschaftlichen Edierens in die Praxis, ja selbst in die Theoretisierung der Geisteswissenschaften als Digital Humanities ausgehen können.
Abstract Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition (CD-ROM Oxford University Press, 2000) is a novel type of scholarly edition. The materials it edits exist in writing on paper. The medium of the edition, by contrast, is the digital medium. Its materials, moreover, are comprehensively their author’s philosophical papers never published in his lifetime. Whereas his literary executors at Wittgenstein’s behest published editions of their own, not Wittgenstein’s, devising, the Bergen Electronic Edition’s achievement consists in making public every page (a total of some 20,000) of Wittgenstein’s ‘Nachlass’ straight, page-by-page, in digital images and in two modes of transcription (a ____________ 10
Hierüber orientiert es im Netz: http://wab.aksis.uib.no.
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‘diplomatic’ and a ‘normalized’ version). Advanced proprietary software supports access to, and sophisticated searches through, the material. The edition’s qualities are surveyed in this contribution, as are the conditions under which it came into being, as well as the future of digital Wittgenstein research under non-proprietary premises, for which achievements of the Bergen centre beyond the Bergen Electronic Edition over the first decade of the 21st century have laid the foundations.
Literaturverzeichnis Der junge Goethe in seiner Zeit. In zwei Bänden und einer CD-ROM. Hrsg. von Karl Eibl, Fotis Jannidis und Marianne Willems. Frankfurt 1998. Gabler, Hans Walter: Das wissenschaftliche Edieren als Funktion der Dokumente. In: Jahrbuch für Computerphilologie 8, 2007, S. 55–62 [= Gabler 2007a]. Gabler, Hans Walter: The Primacy of the Document in Editing. In: Ecdotica 4, 2007, S. 197–207 [= Gabler 2007b]. Huitfeldt, Claus und Viggo Rossvær: The Norwegian Wittgenstein Project Report 1988. Bergen 1989 (Report series published by The Norwegian Computing Centre for the Humanities 44). Hughes, Peter: Performing Theory. Wittgenstein and the Trouble with Shakespeare. In: Comparative Criticism 14, 1992, S. 71–86. Jancsó, Daniella: Excitements of Reason. The Presentation of Thought in Shakespeare’s Plays and Wittgenstein’s Philosophy. Heidelberg 2007. Meyer, Conrad Ferdinand: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. von Hans Zeller und Alfred Zäch. 15 Bde. Bern 1958–1996. Pichler, Alois und Gjermund Lanestedt: Humanistisk forskning og publisering i en digital kontekst. Europeiske filosofimiljøer trekker veksler på semantisk metadata-tagging. In: Human IT 9.2, 2007, S. 29–51. Vossenkuhl, Wilhelm: Ludwig Wittgenstein. München [1995] 2003. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen / Philosophical Investigations. Oxford [1953] 2001. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Hrsg. von The Wittgenstein Archives Bergen. Oxford 1998‒2000 (CD-ROM) [= WAB]. von Wright, Georg Henrik: Wittgenstein. Oxford 1982.
II. Dänische Editionsgeschichte
Flemming Lundgreen-Nielsen
Dänische Textedition 1495–1799
1.
Die Ausgangssituation
Die Muttersprachenphilologie entwickelte sich in Dänemark später als die lateinische, griechische und hebräische Textphilologie, sodass es vor 1800 in modernem (anachronistischem) Sinn wenige textkritische Ausgaben dänischer Dichtung gab. Das Vorhandene zu charakterisieren wird dadurch erleichtert, dass Verdrängungen und Verluste die zurückliegende Zeit einfacher und überschaubarer machen, als sie war; jedoch wird es wieder erschwert dadurch, dass wir uns gleichwohl nicht in alles hineinversetzen können, wovon die Herausgeber beeinflusst waren, bewusst oder unbewusst. Das älteste in Dänemark auf Dänisch gedruckte Buch ist die Reimchronik (Rimkrøniken) von 1495, die einen anonymen älteren Text wiedergibt und damit zugleich zur ersten Publikation eines dänischen literarischen Werkes wird. Um 1500 litten die wenigen Buchdrucker des Landes stark unter einem Mangel an neu geschriebenen Texten und griffen daher auf die vorangehenden Jahrhunderte zurück. Zwei spätere Ereignisse machen es jedoch schwer, mit einiger Sicherheit zu beurteilen, welche Möglichkeiten sie dabei hatten. Das eine ist die lutherische Reformation im Jahr 1536, in deren Folge eifrige Protestanten die Literatur vom Katholizismus reinigten, u. a. durch die Vernichtung klösterlicher Archive und Handschriftensammlungen. Das andere ist der Kopenhagener Brand von 1728, bei dem die Universitätsbibliothek und die Privatbibliotheken in den Wohnungen der Professoren gravierende Schäden erlitten. Das Hauptproblem für die Herausgabe dänischsprachiger Literatur zwischen 1495 und 1799 scheint zu sein, dass die Entwicklung der Literatur vor dem romantischen Durchbruch (1802) stets die älteren Texte hinter sich zurückließ. Die Aufklärer hätten mit ihrer ästhetisch geprägten Philologie und historischen Quellenkritik eine breit akzeptierte Editionstradition begründen können, doch für ihren Geschmack waren die mittelalterlichen Gattungen, deren künstlerische Formenwelt das ganze 16. Jahrhundert hindurch in Reimchroniken, Schulkomödien und Volksliedern beibehalten wurde, zu primitiv und die Renaissance- und Barockdichtung des 17. Jahrhunderts zu gekünstelt.
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Erst der historische Relativismus der Romantik erlaubte die Aufnahme und Fortführung älterer Literatur. 1.1.
Der Begriff Autorschaft
Vor 1700 gab es in Dänemark keine Vorstellung davon, dass die individuelle Persönlichkeit eines Schriftstellers, ihre Entwicklung und ihr Wachstum sich im Begriff einer Autorschaft ausdrücken lässt. Die Schriftsteller schrieben auf Bestellung, meist im Rahmen ihrer Amtsführung im königlichen oder kirchlichen Dienst, wobei die Druckkosten vom Arbeitgeber getragen wurden. Der Historiker Anders Sørensen Vedel (1542–1616) wurde als vom König geförderter Forscher 1595 verabschiedet, 53 Jahre alt. Doch obwohl er noch 21 Jahre lebte und fast bis zuletzt arbeitsfähig war, strebte er nicht danach, etwas in Eigeninitiative zu publizieren. Thomas Kingo (1634–1703), anerkannter Kirchenlieddichter ab 1674, ließ nie seine weltlichen Jugendgedichte aus den 1660er Jahren drucken. Entscheidend für die Durchführung einer Ausgabe war die Themenwahl, während der Schriftsteller nur das notwendige Werkzeug war und sich höchstens durch sprachliches und stilistisches Können auszeichnen konnte. Das älteste dänische Verfasserlexikon, C. C. Lyschanders unfertiges lateinisches Manuskript Scriptores Danici, ca. 1610 (gedruckt 1743 und 1868, nie übersetzt), nennt überwiegend Geistliche, Professoren und andere Beamte mit Schriften auf Latein.1 Spät erst zeigte es einen Epochenwechsel an, als der gebürtige Norweger Ludvig Holberg (1684–1754) sich 1721 als Schriftsteller der Aufklärung darangab, seine eigene unausschöpfliche Person und Persönlichkeit zu beobachten: „Es bliebe, ging’ allein mir selbst ich auf den Grund, / Für andres Schreiben mir wohl keine einz’ge Stund“.2 1.2.
Der literarische Kanon
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stellten Staatskirche und Königsgewalt einen literarischen Kanon auf, dessen Inhalt bis in die 1710er Jahre unangetastet blieb. Die Autoren waren meist bürgerlicher Herkunft, Lehrer und Geistliche, deren Wohnungen kleine Kulturzentren ringsum im Land bildeten. Dass dänisches Geistesleben in Kopenhagen konzentriert war und von dort ausging, wurde erst 1716 zur Realität, als Holberg sich in der Hauptstadt niederließ. Mit Hans Thomissøns autorisiertem dänischen Gesangbuch (Psalmebog), 1569, wurde ein von der Reformation geprägter literarischer Kanon be____________ 1 2
Rørdam 1868, S. 181–309. V. 610 f. von Democritus og Heraclitus. Satyra (I); Ludvig Holbergs Samlede Skrifter 1914, Bd. I, S. 443.
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gründet. Eine Säkularisierung folgte 1591 mit Vedels Anthologie dänischer Volkslieder, dem Hundredvisebogen (Hundertliederbuch), von der Königinwitwe bestellt und ihr gewidmet, für Hof und Adel bestimmt. Die Sammlung wurde 1695 mit 100 neuen Nummern verdoppelt, nun mit dem Bürgertum als Zielgruppe, da Hof und Kirche den Geschmack gewechselt hatten. In den 1620er Jahren begann eine radikale Formenerneuerung mit renaissance- und barockgeprägter Lyrik in europäischem Stil. Erstmals im Druck erschien sie in Form von Zitaten aus Handschriften, mit denen nun in Abhandlungen zur Metrik und Grammatik korrekte Schreibkunst illustriert werden sollte. Der Hofphilologe Peder Syv (1631–1702) teilte 1663 die nationale Literatur in drei Perioden ein: die älteste (altnordische), die mittlere (mittelalterliche) und die neueste (Renaissance und Barock) – mit ausgesprochener Vorliebe für die letztgenannte.3 Das Ideal der Zeit war Anders Bording (1619–1677), in dessen Lyrik sich regelmäßiger Vers mit leichtem und elegantem Stil vereint. Kingo fand mittelalterliche Poesie barbarisch regellos, sodass für ihn dänische Dichtung mit dem Epos Hexaëmeron, 1661, von Anders Arrebo (1587–1637) begann. Um 1700 waren Arrebo, Bording und Kingo die anerkannten Vorbilder für aufstrebende Dichter.4 Der Kanon, den sie personifizierten, wurde von Holberg beseitigt, der sich in keiner Weise der dänischen Dichtung vor seiner eigenen Zeit verpflichtet fühlte. Im Zuge der Weckung literarischer und kultureller Interessen beim Bürgerstand wurde er zum ersten dänischen Neuklassiker. 1.3.
Der Büchermarkt
Der erste wirkliche Verlag in Dänemark wurde 1770 von Søren Gyldendal gegründet. Zuvor hatten Buchdrucker und Buchhändler ihre Initiativen auf rein kommerzieller Basis ergriffen. Gediegene Schriftsteller kamen nicht ohne finanzkräftige Mäzene oder Patrone aus. Mangelnde gesetzliche Regelung des Rechts an gedruckten Texten machte eine Existenz als selbstständiger Autor unmöglich. Publikumserfolge wurden von gerissenen Geschäftsleuten nachgedruckt und in Raubdrucken verkauft. Der Markt für seriöse Bücher in dänischer Sprache war klein. Büchersammlungen sowie Bibliotheks- und Auktionskatalogen ab ca. 1650 zufolge las das gebildete Publikum ausländische Bücher vorzugsweise in der Originalsprache, in erster Linie Französisch, danach Englisch und Niederländisch. Das Deutsche hatte noch keine größeren Dichtungen von Wert hervorgebracht, sondern ____________ 3 4
Danske Grammatikere 1915, Bd. I, S. 174–209. Vgl. Conrad 1997, S. 507–525.
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ahmte französische und englische nach. Originale dänische Dichtung konnte jahrzehntelang ungedruckt liegen bleiben (Arrebo, Søren Terkelsen, Bording, Tøger Reenberg), und kurze Texte wurden oft nur dadurch gerettet, dass sie abgeschrieben und in große Sammelhandschriften aufgenommen wurden.5 C. B. Tullin nannte um 1760 vier Gründe für das schlechte Buchklima in Dänemark: Unkenntnis der dänischen Sprache im Ausland, Armut bei dänischen Studenten, Nichtvorhandensein von Buchliebhabern und Mangel an Verlagen.6 1.3.1. Zensur Ein entscheidendes äußeres Moment war die gegenüber gedruckter Literatur geübte Zensur. Friedrich II. verfügte 1562, dass alle dänischen Bücher in Kopenhagen zu drucken und von den Gelehrten der Universität durchzusehen und zu genehmigen seien. Im Ausland (z. B. Lübeck oder Rostock) auf Dänisch gedruckte Bücher durften nicht importiert werden, eine Regel, die Christian IV. 1607, 1608 und 1617 bekräftigte und 1643 in seinen Store Reces (Großen Rezess) aufnahm. Christian des V. Danske Lov (Dänisches Gesetz, 1683) und Norske Lov (Norwegisches Gesetz, 1687), legten für die Übertretung der Druckrestriktionen außerordentlich strenge Strafen fest.7 Insbesondere theologische sowie zeitgenössische politische Schriften waren im Visier. Nach der Einführung des Absolutismus (1660) florierten private Abschriften der Barockautoren. Das Drucken kirchen- und absolutismuskritischer Satiren konnte ein Gerichtsverfahren und das Todesurteil oder die Verbannung zur Folge haben. 1.4.
Dänische Sprache
Die Lateinherrschaft unter Katholizismus, lutherischer Orthodoxie und gemeineuropäischer Wissenschaftlichkeit hielt noch bis 1700 die Gelehrten und Begabten davon ab, sich auf Dänisch zu äußern und so die Muttersprache zu entwickeln. Deren Prestige war daher gering. Nur Kirchenlieder und Andachtsliteratur erschienen in dänischer Sprache, doch die durch sie vermittelte Religiosität war verordnet, von allen offiziellen Instanzen des Königreichs einheitlich definiert und für Abweichlertum grundsätzlich unempfänglich. Der Verlust der östlich des Öresunds gelegenen Provinzen Schonen, Halland und Blekinge an Schweden (1660) verkleinerte das dänische Sprachgebiet kraft einer vertragswidrigen und sehr hart durchgeführten Schwedisierung, u. a. ____________ 5 6 7
Petersen 1929, S. 464–469. Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1976, Bd. III, S. 106–111. Danske Lov 1683, Anden Bog (Zweites Buch), Cap. XXI.
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durch die Gründung der Universität Lund im Jahr 1666. Das Aussterben des altdänischen Adels unter dem Absolutismus schwächte zwar das Lateinische, aber der neue Hof- und Rangadel führte an seiner Stelle die Modesprache Französisch ein (und war im Übrigen deutschsprechend und deutsch gesinnt). 1760 nannte der Geistliche N. R. With das Fehlen eines „hinreichenden Dänischen Wörterbuches“ mit „allen guten alten sowie neueren dänischen Wörtern“ als Grund dafür, dass Dänisch in Schönheit und Vollkommenheit hinter anderen europäischen Sprachen zurückstehe.8 Der Beamte Matthias Moth (1649–1719) hatte 1680 ein großes Wörterbuch der Nationalsprache begründet, an dem er bis zu seinem Tod arbeitete; es ging 1753 in Form von 60 handgeschriebenen Folianten in königlichen Besitz über und wird seit 1784 in der Königlichen Bibliothek aufbewahrt. Obwohl das Werk von allen späteren Lexikografen sowohl im Original als auch in Abschriften fleißig genutzt wurde, wurde es nie gedruckt.9 1.5.
Das Bildungssystem
Trotz zweier wichtiger literarischer Monumente in dänischer Sprache, Christian III’s Bibel (Bibel Christian des III., 1550), und Psalmebog (Gesangbuch, 1569), war es in den Reformationsjahren immer noch schlecht um eine neue muttersprachliche Dichtung bestellt. In der seit 1537 evangelischen Kopenhagener Universität wurde weder dänische Literatur noch dänische Sprache gelehrt, geschweige denn Dänisch als Unterrichtssprache benutzt. Christian IV. errichtete 1623 in Sorø eine Ritterakademie für Adelssöhne, die ab 1625 eine eigene Druckerei und 1643 den Titel Universität erhielt, aber 1665 aus Geldmangel geschlossen wurde. Auch hier fehlte das Fach Dänisch. Als die Akademie 1747 dank der Finanzierung durch Holberg ihre Tätigkeit wieder aufnahm, stand sie weiterhin nur Adeligen offen; die Muttersprache wurde parallel mit Fremdsprachen (Latein, Deutsch, Französisch) unterrichtet, dänische Dichtung dagegen nicht. Die Einrichtung hatte ab 1793 keine Studenten mehr und schloss 1813 nach einem Brand endgültig. Direkt nach dem Sturz des aus Deutschland stammenden Geheimministers J. F. Struensee im Jahr 1772 setzte die neue Regierung eine Politik zur Förderung des Dänentums in Gang. 1775 fand das Fach Dänisch Eingang in die Lateinschule. Der Pädagoge Jacob Baden (1735–1804) betrachtete muttersprachliche Literatur als ein die Seele erhebendes und bewegendes Werkzeug in der patriotischen Volkserziehung und legte Wert auf die Bedeutung der Sprache ____________ 8 9
With 1777, S. 179. Hjorth 1983, S. 24–29.
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für die Entwicklung guten Geschmacks. Er war von 1780 bis 1804 Professor für lateinische Beredsamkeit an der Kopenhagener Universität, hielt jedoch 1782/83 auf Dänisch Vorlesungen über die dänische Sprache mit Beispielen aus neuerer dänischer Dichtung (ab den 1620er Jahren). 1785 veröffentlichte er eine Resonneret dansk Grammatik (Räsonnierte dänische Grammatik) u. a. mit einer Verslehre im Umfang von nicht weniger als 54 Seiten. Ältere Schriftsteller wie Arrebo, Bording, Peder Syv und Kingo wurden hier zeitgenössischen Dichtern wie C. B. Tullin, Johannes Ewald, J. H. Wessel und Edvard Storm in Beispielen gegenübergestellt. Außer Baden wirkte der Theater- und Literaturkritiker, Zeitschriftenredakteur und Schöngeist Knud Lyne Rahbek (1760– 1830) von 1790 bis 1799 als Professor für Ästhetik an der Universität. Sein bevorzugter Kooperationspartner, der Bibliothekar Rasmus Nyerup, wurde 1796 zum außerordentlichen Professor für Literaturgeschichte ernannt, und gemeinsam hielten die beiden Vorlesungen über dänische Literatur. Ein Bedarf an textkritischen Ausgaben dänischer Autoren entstand somit erst am Ende des Jahrhunderts. Der Druck älterer Literatur und Dichtung im Zeitraum 1495–1799 zerfällt in zwei Kategorien. Die eine umfasst eigentliche textkritische Ausgaben in angestrebter authentischer Form mit gelehrtem Apparat, für Studenten und Forscher bestimmt, die andere kommerziell begründete Neuauflagen älterer Literatur.
2.
Wissenschaftliche Ausgaben
Wissenschaftliche Ausgaben muttersprachlicher Literatur nahmen sich zum Vorbild, wie der europäische Humanismus antike Klassiker gedruckt darbot. Dies bedeutet im Guten wie im Schlechten eine sorgfältige, aber auch etwas verstaubte und fast klinische Annäherung an den Gegenstand. 1506 und erneut 1508 brachte der Niederländer Gottfried von Ghemen (gest. 1510) in seiner Kopenhagener Druckerei Petrus Laale, ein zum praktischen Schulgebrauch bestimmtes Buch mit Sprichwörtern heraus, alphabetisch geordnet nach dem Anfangswort in einer gereimten lateinischen Hexameterwiedergabe. Da das Buch für den Lateinunterricht gedacht ist, steht die dänische Version immer nach der lateinischen, auch wenn offenkundig ein dänisches Sprichwort zugrunde liegt. Gottfrieds Vorwort erwähnt die Redaktionshilfe durch ungenannte Gelehrte („doctos viros“) der Kopenhagener Universität sowie deren Sorgfalt („diligenter correctus“).10 Unter Umgehung dieses Druckes gab der Humanist Christiern Pedersen (ca. 1480–1554) im Jahr 1515 ____________ 10
Peder Låle 1979, Bd. I,1, S. 24.
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in einer Pariser Druckerei Petri Laglandici Parabolæ in vornehmer Aufmachung heraus, mit Glossen nach einer unbekannten Handschrift. Pedersen behandelt den Text als ein nationales Denkmal und ein sprachliches Gegenstück zu seiner großartigen lateinischen Saxo-Ausgabe von 1514.11 Saxo wurde von Vedel ins Dänische übersetzt und erschien 1575 in einem stattlichen Band mit beigefügten Marginalien, von denen einige die Handlung zusammenfassen und andere über sie moralisieren, Letzteres oft in Sprichwörtern (aus der Laale-Tradition) und sprichwortähnlichen Wendungen.12 Zur gleichen Zeit wurden zwei originale dänischsprachige Schul-Dramen – mit biblischen Themen – von den Autoren selbst zum Druck befördert, 1578 Susanna von Peder Jensen Hegelund und 1585 Kong Salomons Hylding von H. Justesen Ranch, beide mit einem gelehrten Apparat als Verständnishilfe. Das drucktechnische Vorbild für die Einrichtung zeitgenössischer Literatur mit Widmung, Prolog, Argumentum (Vorausreferat), zahlreichen Marginalien und Epilog kann übrigens Herman Weigeres dänische Übersetzung einer niederdeutschen Version des mittelalterlichen Reineke-Fuchs-Romans gewesen sein, En Ræffue Bog, 1555 in Lübeck gedruckt und Christian III. gewidmet.13 C. C. Lyschander (1558–1624), seit 1616 königlich dänischer Geschichtsschreiber, gibt in seinem genealogischen Werk Danske Kongers Slectebog, 1622, eine kurze ältere Dichtung in dänischer Sprache wieder, den GullandReim. Er entstammte der Gullandskrønike (Umbra Saxonis) des Geistlichen Niels Pedersen, wahrscheinlich ca. 1573 zusammengestellt. Obwohl erst 1695 gedruckt, war das Werk handschriftlich in engeren Kreisen lange vorher bekannt gewesen. Eine durch Vedel finanzierte Abschrift ist mit dessen eigenhändigen skeptischen Randnotizen in lateinischer Sprache versehen.14 Nach Lyschanders Meinung wurde der Reim lange vor Saxo gedichtet.15 Unkommentiert lässt Lyschander die in modernen Augen sehr wenig überzeugende „altdänische“ Sprache mit 62 auf „-um“ endenden Wörtern verschiedener Klassen, die über die 42 Verszeilen verteilt sind. Der Text muss als neukonstruierte Fälschung in einem nationalhistorischen Kampf um Gotlands Dänentum gelten.16 Aus Editionstechnik war Außenpolitik geworden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kamen in einer Fehde mit schwedischen Forschern die ältesten dänischen Texte überhaupt, die Runeninschriften, in ____________ 11 12 13 14 15 16
Peder Låle 1979, S. 757–759. Grüner-Nielsen 1931, S. 97–117. En Ræffue Bog 1923, S. 282–284. Vedel GkS 2414, 4°. Lyschander 1622, S. 263. Rørdam 1867, S. 129–134, Lyschander 1989, I, S. 39 f., Rørdam 1868, S. 41–43, Andersen 2008 und 2012.
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Mode. Es begann mit zwei Runenalphabeten in Reichskanzler Arild Huitfeldts Danmarckis Rigis Krønnicke, 1603.17 Der Hauptakteur war Ole Worm (1588– 1654), Professor, Universitätsrektor, Arzt und eifriger Erforscher nordischer Altertümer. Er stand hinter einem königlichen Schreiben von 1622 an alle dänischen und norwegischen Bischöfe, das die Registrierung von Denkmälern der Vorzeit in jedem Bistum anordnete. 1625 erhielt er den Auftrag, das ganze Reich zu bereisen, um Runenmonumente in Augenschein zu nehmen. Aufgrund seiner vielen anderen Pflichten wurden die meisten davon jedoch durch ein paar Mitarbeiter aufgesucht. Eine Reihe einleitender Studien auf Latein (1626 ff.) führte 1636 zu Worms grundlegender Abhandlung Runer seu Danica litteratura antiquissima, in welcher er die Runenschrift als ein ausschließlich dänisches Phänomen bestimmte. Nach einigen Probeheften konnte er 1643 ein großes Werk über dänische Runentexte veröffentlichen, Danicorum Monumentorum libri sex, das alle damals bekannten 144 Inschriften, 94 dänische und 50 norwegische, mit zahlreichen Illustrationen umfasste. Auf der damaligen Entwicklungsstufe der Philologie konnte diese aufsehenerregende runologische Pionierarbeit auf lange Sicht nicht viel Stichhaltiges in den Textauslegungen ausrichten. Einige der Abbildungen stellen heute verloren gegangene Monumente dar, leiden jedoch unter ‚Verbesserungen‘ durch Stecher, die nicht mit dem Zeichner vor Ort gewesen waren.18 Ein Ergänzungsband, Additamenta ad Monumenta Danica, erhöhte 1651 die Zahl der Inschriften auf 165.19 Worms Runenforschung wurde ausschließlich auf Latein geschrieben und nie übersetzt. Stephanus Stephanius (1599–1650), Professor an der Ritterakademie in Sorø und königlicher Geschichtsschreiber, war der präziseste und gelehrteste Herausgeber seiner Zeit. Seine Arbeiten sowie sein Briefwechsel, u. a. mit Ole Worm und dem Isländer Brynjulf Sveinsson auf Skálholt, liegen ebenfalls nur auf Latein vor und sind unübersetzt. Der Kommentarband Notæ Uberiores, 1645, zu seiner Saxo-Textausgabe vom Vorjahr enthält ganz wenige, Sprichwörtern und mittelalterlichen Regionalgesetzen entnommene dänische Wörter und Ausdrücke, zu denen sich Etymologien zweifelhafter Qualität gesellen.20 Etwas längere dänische Texte sind eine fantasievolle Transkription der Inschrift auf dem Tryggevælde-Runenstein, 15 Zeilen über Egill Skallagrimssons Verfluchung König Eriks, der Gulland-Reim (42 Zeilen) und schließlich die Inschriften der beiden Jellingesteine (8 Zeilen).21 ____________ 17 18 19 20 21
Danmarckis Rigis Krønnicke 1603, S. b iij v–r. Moltke 1956–1958. Vgl. Lundgreen–Nielsen 2002, S. 357–360. Stephanius 1645, S. 68, 114, 118, 161; 119 f., 148; 134, 154, 189 und 193. Stephanius 1645, S. 97, 116, 181 f. und 204.
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Anders Arrebo gab als erster dänischer Dichter Verse mit regelmäßig alternierendem Metrum gemäß zeitgenössischer Renaissanceästhetik (in Nordeuropa Martin Opitz mit dem Buch von der deutschen Poeterey, 1624) in Druck. Klar markiert wurde der Übergang in seiner Übersetzung des Kong Davids Psalter von einer 1623er zu einer 1627er Ausgabe. Zwei Buchhändlernachdrucke 1650 und 1664 bevorzugten jedoch den 1623er Text, wohl weil er mit seiner noch leicht schlingernden Metrik natürlicher wirkte. Arrebos Hauptwerk ist das Schöpfungsepos Hexaëmeron RhythmicoDanicum, 1661 vom Sohn Christen herausgegeben. Auf 339 Druckseiten verteilt finden sich insgesamt 1166 Marginalien: zusammenfassende Stichwörter und Untertitel, Bibelzitate und Fachliteraturhinweise oder belehrende Anschlussüberlegungen. Das königliche Genehmigungsschreiben der Ausgabe befiehlt eine Durchsicht und Approbation des Textes durch Professoren der Kopenhagener Universität; anschließend sei größter Fleiß auf korrektes Drucken zu verwenden. Bescheiden erläutert das Vorwort des Herausgebers den Unterschied zwischen einem Baumeister und jemandem, der bloß ein vorhandenes Gebäude ausschmückt.22 Poesiesachverständige werden gebeten, über Stil- und Reimfehler hinwegzusehen, da der Dichter durch den Tod daran gehindert worden sei, den Text fertig zu stellen und zu polieren. Das Gedruckte sei ein „erster Entwurf“, doch „der Kern der Seitenränder“ (die Marginalien) würde „alles leicht und wohlverständlich“ machen.23 Ein unvollendeter und jetzt verloren gegangener Entwurf zum Hexaëmeron wurde an einige Metriker jener Zeit ausgeliehen. Beispielsweise wird das Werk in Hans Mikkelsen Ravns Rhythmologia Danica, 1649, zitiert.24 Der Wortlaut weicht hier in etlichen Einzelheiten vom 1661er Druck ab; jedoch lässt sich nicht sagen, ob die in Ravns Version auftretenden Hiate (Vokalzusammenstöße) im Entwurf standen und vom Herausgeber Christen erst für den Druck berichtigt wurden oder ob sie auf Ravns freier Wiedergabe beruhen. Auch die Textkorrekturen des Sohnes lassen sich nicht eindeutig aufzeigen. Randbemerkungen, die auf nach 1637 gedruckte Literatur verweisen, stammen selbstredend von ihm, die restlichen möglicherweise vom Vater.25 Hexaëmeron wurde zum ersten gedruckten dänischen Klassiker, doch seine Zeitgenossen lobten und respektierten das Werk mehr, als dass sie es lasen und zum Vorbild nahmen. Vollständig nachgedruckt wurde der Text erst 1965.26 ____________ 22 23 24 25 26
Anders Arrebo Samlede Skrifter 1965, Bd. I, S. 3, 10 (vgl. 2. Makk 2, 30–32). Anders Arrebo Samlede Skrifter 1965, Bd. I, S. 15. Danske Metrikere 1953, Bd. I, S. 298 f. Anders Arrebo Samlede Skrifter 1984, Bd. V, S. 40 und 60. Anders Arrebo Samlede Skrifter, Bd. I, 1965.
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Ludvig Holberg schrieb Unterhaltungsliteratur auf europäischem Niveau, jedoch nach wie vor unter Hinzufügung belehrender und moralisierender Reflexionen. Sein parodistisches Heldenepos Peder Paars in 4 Teilen, 1719/20, wurde mit einem fingierten Herausgeberapparat versehen. Der 1719er Teil ist angeblich von einem privilegierten Brauer namens Hans Michelsen besorgt, einem sowohl materialistischen als auch naiven Schriftsteller mit eingeschränktem Horizont, dessen primäres Publikum die Bevölkerung des Kopenhagener Viertels Nyboder ist (die feste Besatzung der dänischen Flotte mit Familien). Der Kommentator des Textes ist ein ebenso fiktiver Just Justesen, der in seiner Einleitung Boileau-Anhänger ist, in seinen Anmerkungen ein gelehrter Pedant. So wie Paars inhaltlich eine komische Version der Odyssee und der Aeneis ist, sind Michelsen und Justesen eine Satire auf sich wichtig nehmende Klassikerherausgeber. Michelsens bunt gemischte Liste seiner Quellen im 3. Buch des Epos dürfte eine säuerliche Anspielung auf Holbergs Universitätskollegen sein, den humorlosen Quellenkritiker Hans Gram, der eine Klage an den König über Holbergs Karikatur der Inselbewohner von Anholt unterstützt hatte. Auch Holbergs Fire Skiemte-Digte, 1722, Comedier, 3 Bde., 1723–1725, und die Gedichtsammlung Metamorphosis eller Forvandlinger, 1726, erschienen unter Michelsens und Justesens Namen. In der langen französischen und danach europäischen Literatenfehde zwischen den Bewunderern der Antike und den Modernen positionierte Holberg sich durch diese metaliterarische Technik vorsichtig und diskret auf der Seite der Letzteren. Den Nachdruck seiner gefragtesten Titel organisierte Holberg für den Rest seines Lebens selbst. Eine gesammelte Klassikerausgabe seiner Werke gab es im 18. Jahrhundert nicht. Anders Bording (1619–1677) war wohl der erste dänische Dichter, der, ohne ein Amt zu bekleiden, von seiner Schriftstellerei zu leben versuchte. Seine gesammelten Schriften erschienen 58 Jahre nach seinem Tod als wissenschaftliche Ausgabe auf der Grundlage systematisch zusammengestellten Materials und einer Bearbeitung nach einheitlichen Editionskriterien. Bordings hervorragende Verskunst hatte bei seinem Tod zu Vorschlägen geführt, seine zahlreichen handschriftlichen oder nur als Sonderdrucke erschienenen Gelegenheitsgedichte in einer gedruckten Ausgabe herauszubringen sowie sein Monatsblatt Den Danske Mercurius, 1666–1677 (eine gereimte Hofzeitung in Alexandrinerversen), nachzudrucken. Magister Peder Terpager (1654–1738) kündigte 1679 das Projekt an und rief gleichzeitig das Publikum auf, Texte einzureichen. Der ehrgeizige Plan scheiterte, vermutlich aus finanziellen Gründen, woraufhin der königliche Beamte Frederik Rostgaard (1671– 1745) um 1700 das Material und die Initiative übernahm. 1703 und 1706 gab
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er gedruckte Verzeichnisse von Bordings dänischen Versen heraus in der Hoffnung, noch weitere hervorzulocken; sein Unternehmen kam dann jedoch zum Stillstand. 1729 landete die Sache bei Hans Gram (1685–1748), der die dänische Geschichtsforschung erneuert hatte, indem er generell die textkritischen Methoden der klassischen Philologie auf die alten schriftlichen Quellen übertrug. Gram hatte als nüchterner Philologe kaum ein besonderes poetisches oder ästhetisches Interesse, musste jedoch im Auftrag Manuskripte druckfertig machen und Korrektur lesen. Einem adeligen Gönner schrieb er in einem Brief von 1734, er sei kein „Editor oder Meister für dieses Unternehmen, sondern allein ein Vicarius und Bevollmächtigter“ für Terpager und Rostgaard. Am liebsten hätte Gram eine vernünftige Auswahl der Gelegenheitsgedichte vorgenommen, da Bording wohl selber „zwischen dem Singen gelehrter Leute und ihrem Schnarchen“ unterschieden hätte. Doch in Parallele zur philologischen Behandlung antiker Poesie und fortschrittlicher ausländischer Renaissancedichtung beharrten Grams Auftraggeber darauf, „dass Catuls und Martials Editoren sowie diejenigen, die les Œuvres de Malherbe etc herausgegeben haben, keine solche Ausmusterung vorgenommen, sondern alles dem Leser überlassen haben“.27 Das Kriterium der Vollständigkeit galt also zwingend. Zuletzt schrieb Gram ein 32-seitiges Vorwort zu Poëtiske Skrifter J Tvende Parter, 2 Bde., 1735 (insgesamt 862 Seiten in Quartformat, darunter 20 Seiten dänischer und lateinischer Gedichte zu Ehren des verstorbenen Dichters). Jedoch hatte die literarische Entwicklung den Inhalt der Ausgabe überholt. Es war schwierig, über 100 Subskribenten hinauszukommen, und weder im Aufklärungsjahrhundert noch später konnten die beiden Bände auf die Entwicklung dänischer Lyrik Einfluss nehmen. Ein paar Prachtausgaben neudänischer Klassiker zeugen davon, dass ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine geänderte Auffassung muttersprachlicher Literatur vorherrschte. Landgerichtsrat Tøger Reenberg (1656–1742) ließ seine Gedichte nicht selbst drucken, doch einzelne wurden in Lyrikanthologien aufgenommen, während andere in Abschriften kursierten. 1769 besorgte der Enkel Tøger Reenberg Teilmann eine imposante Ausgabe, Poetiske Skrifter, 2 Bde., mit einem Vorwort des angesehenen Juristen P. Kofod Ancher. Eine Biografie und Anmerkungen arbeitete der wählerische Lateindichter B. W. Luxdorph aus; seine soliden, aber auch weitschweifigen Erläuterungen enthiel____________ 27
Sønderholm 1986, S. 49–77. Malherbes Schüler und sowohl materieller als auch geistiger Erbe, François Arbaud, edierte dessen Œuvres 1630 in Paris mit neuen Auflagen 1631 und 1638; 1666 wurden Malherbes Poésies. Avec les observations de Mr. Menage herausgegeben, nachgedruckt 1723.
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ten u. a. ausführliche Hinweise auf berühmte Hexenfälle wie die „Besessenheit in Thisted“ und das „Hauskreuz von Køge“. 28 Die nicht ganz kurzen Zitate auf Latein, Französisch und Englisch in Luxdorphs Anmerkungen wurden nicht übersetzt; ein Runenalphabet wurde von Ole Worm entliehen. Eines der Gedichte, die lange, bereits 1725 separat gedruckte versifizierte Poetik Forsamling paa Parnasso, zeigt, dass Reenberg in Bording das Ideal dänischer Verskunst sah, ansonsten jedoch ein Bewunderer der Antike war, wodurch sich die Mitarbeit bedeutender Akademiker an dem Werk erklärt. 1772 gab der gelehrte Privatforscher Laurids Schow (1733–1789) Holbergs Peder Paars im Quartformat heraus. Die Ausgabe hat eine gute Einleitung und eine verlässliche Textwiedergabe, informiert über Quellen sowie verschiedene Drucke und bringt textkritische Anmerkungen. Neue Illustrationen von J. Wiedewelt (1731–1802) repräsentierten das beste Niveau des Jahrzehnts, passten jedoch mit ihrer neoklassizistisch schönen Veredlung und einem gedämpften Humor nicht besonders gut zu Holbergs handfesten Parodien. Luxdorph war der Mann hinter dem Projekt, das wesentlich für die Entwicklung einer würdigen dänischen Buchkunst wurde. Ein Nachdruck folgte 1794. Nach Holbergs Tod 1754 galt der Norweger C. B. Tullin (1728–1765) als bester Dichter der Doppelmonarchie. Als er mit 37 Jahren starb, brachte seine Witwe bei dem Hofbuchdrucker Nicolai Møller in Kopenhagen Raadmand Christian Braunmann Tullins samtlige Skrifter, 3 Bde., 1770–1773, heraus. Den ersten Band redigierte Christian Teilmann (1743–1821), Pfarrer in Modum, Norwegen; die Redakteure der anderen sind unbekannt. Band I enthält private Lyrik und Gelegenheitsgedichte, die der Dichter nicht selber einem Publikum zugänglich gemacht hatte. Zwei Preisdichtungen in Alexandrinern über den Nutzen der Seefahrt (1761) bzw. den Aufbau des Weltalls (1764) sind Nachdrucke originaler Handschriften; sie entsprechen den Erstdrucken in der Schriftenreihe der Gesellschaft zur Förderung der schönen und nützlichen Wissenschaften (wegen ihres häufigen Gebrauchs des Wortes „smag“ [Geschmack] humorvoll „Det smagende Selskab“ – „Die schmeckende Gesellschaft“ – genannt). Gelegenheitsgedichte wie En Maji-Dag (1758) sind „in einer anständigeren Gestalt geliefert als vormals. Wir haben sie genau nach originalen Handschriften durchgesehen und sind den darin gemachten letzten Korrekturen gefolgt.“ Die meisten Jugendarbeiten wurden weggelassen, weil sich nach Meinung des Herausgebers sehr wenige Leser für „eines poetischen Genies Zuwachs in allen seinen Graden“ interessieren. Das Kriterium war erstens, das zu drucken, was „richtige Züge von Charakteren, gut getroffene Ge____________ 28
Per Stig Møller 1972 druckte in Tøger Reenberg Ars Poetica die Anmerkungen von 1769 nach.
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müts-Bilder“ und „Nachbildungen der Natur“ enthielt, und zweitens, auch das aufzunehmen, was Beifall in engeren Kreisen gefunden hatte, ohne dass ursprünglich eine größere Ausbreitung beabsichtigt war.29 Die Bände II und III bringen Prosaentwürfe, die dem Vorwort der Witwe zufolge das Bild des Dichters als eines Mannes mit Herz für seine Umwelt stärken können. Diese „Abgebrochenen Gedanken“, also unzusammenhängenden kleinen Stücke, zeigen einen gelehrten, vernünftigen und nützlichen Bürger. Aufgrund von Tullins frühem Tod sind sie weder vollständig noch wurde ihre Zuverlässigkeit überprüft; ihrem Stil mangelt es an Reinheit und Eleganz; einiges ist fremdes Gedankengut ohne Quellenangabe, anderes bloße Übersetzung. Der Nachlass ist somit „eine Sammlung von Kalk und Gestein für ein Gebäude, zu dem noch nicht einmal der Grund gelegt worden ist“. Dennoch soll der Leser ihn sich als ein Produkt des reifen Verfassers aneignen, „alles in seinen besten Jahren geschrieben“ und nun in simpler alphabetischer Reihenfolge geordnet. Die unbekannten Herausgeber müssen viel Arbeit in das Organisieren der Texte investiert haben.30 Jedoch enthält das Werk weder Anmerkungen noch Varianten. Der Tullin-Ausgabe folgten sogleich Sneedorffs samtlige Skrivter, 9 Bde., 1775–1777. Verleger Søren Gyldendals Vorwort in Band I bezeichnet das Werk als „ein heiliges Ehrenmal bei den Nachfahren“ für den zu früh verstorbenen J. S. Sneedorff (1724–1764). Er beteuert, dass es sowohl durch moralischen und patriotischen Inhalt als auch durch heitere und klare Form wertvoll sei; es sei für Leser bestimmt, welche das gesamte Œuvre auf ihren eigenen Regalen stehen haben wollen (Band IX bringt eine Liste über die knapp 800 Subskribenten der Ausgabe). „Etliche Druckfehler, die sich durch die Abwesenheit des Verfassers beim Druck eingeschlichen hatten“, wurden beim Nachdruck der Schriften korrigiert. Die Zeitschrift Den patriotiske Tilskuer (1761–1763) füllt Band I–VI, wobei jeder Band ein Inhaltsverzeichnis über die relevanten Nummern aufweist; Band VI enthält außerdem ein kumuliertes alphabetisches Themenregister (26 Seiten). Die einzelnen Nummern der Zeitschrift beginnen nicht oben auf einer neuen Seite, sondern werden fortlaufend gesetzt, mit Nummerzahlen in Kolumnentiteln zur Orientierung. Anmerkungen oder einen weitergehenden Apparat gibt es nicht.
____________ 29 30
Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1972, Bd. I, S. 22. Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1976, Bd. II, S. 16 f.
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Kommerzielle Publikationen
Die Reimchronik, then danskæ Krønnickæ, wurde 1495 in Kopenhagen von dem niederländischen Drucker Gottfried von Ghemen veröffentlicht. Ein gedruckter Überschussbogen in Duodez (das Aalborg-Fragment) kann hierzu sogar ein verworfenes Vorstadium sein, vielleicht von 1492.31 Das anonym geschriebene Buch, das die Geschichte Dänemarks in fiktive Königs- und Königinnenmonologe in Knittelversen fasst, ist die einzige Inkunabel in einer nordischen Sprache. Der Satz ist gut mit nur wenigen Druckfehlern, doch ohne feste Sprachnorm und aus einer Periode mit morphologischen Verschiebungen, Einführung des Zehnersystems und umfassendem Wortsterben. Eine handschriftliche Druckvorlage fehlt, sodass der Erstdruck die editio princeps ist. Die fünf erhaltenen Handschriftenfragmente (ca. 1450 ff.) und das AalborgFragment erlauben kaum eine Überprüfung von Berichtigungen und Verbesserungen. Ein längeres, in einer niederdeutschen Version überliefertes gereimtes Vorwort legt Wert auf das Dänische in Sprache und Stil. Ein Mönch, Bruder Nigels (Niels) in Sorø, habe mit großer Arbeit „na dichteres sede“ (V. 15) über das Königsgeschlecht geschrieben, sich dabei jedoch mit der von seinen Eltern erlernten Sprache begnügen müssen (V. 52–57), statt von Franken- oder Rheinwein zu trinken, also französische und deutsche Ritterdichtung nachzuahmen.32 Nachgedruckt wurde die Ausgabe 1501 und 1504 (beide verloren) sowie 1508. Danach wurde pausiert bis zu einem Druck von 1533, dem eine lange Reimrede über König Hans (gestorben 1513) hinzugefügt ist. Weitere Nachdrucke 1534, 1555, 1573 und 1613 sind sprachlich modernisierend, jedoch nicht von eigenständigem Wert. Seinem Stoff nach hatte Arild Huitfeldts zehnbändiges Werk zur Geschichte Dänemarks (1595–1604) den Text überholt. Dichterisch passten seine geschmeidigen – oder losen – mittelalterlichen Verszeilen schlecht zu der streng alternierenden Metrik, die sich in Dänemark ab der Mitte der 1620er Jahre durchsetzte, und 1663 betrachtete Peder Syv ihn als ein zurückgelegtes Stadium dänischer Belletristik.33 Auf Bestellung des Reichshofmeisters Christoffer Valkendorf publizierte der Historiker Anders Sørensen Vedel 1571 eine spätkatholische Dichtung, ursprünglich 1514 von Poul Ræff gedruckt: Hr. Michael: Vita hominis. Vnderuisning Om Menniskens leffned, fra hans Fødsels time, indtil opstandelsen og dommedag. Eine neue, leicht veränderte Auflage erschien 1576. Vedel hatte ____________ 31 32 33
Christensen 2007, S. 15–24. Den danske Rimkrønike 1959, Bd. III, S. 2 f. Danske Grammatikere 1915, Bd. I, S. 182–191.
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teils die Sprache modernisiert, sodass nur zwei der 94 sechszeiligen Strophen wortgetreu seinen stilistischen Filter passierten, teils Spuren von Papismus entfernt (die Jungfrau Maria, Fegefeuer, Werkgerechtigkeit, die Funktion des Priesters als Vermittler zwischen dem Menschen und Gott). Beabsichtigt war aktuelle Verkündigung, nicht literaturgeschichtliche Philologie.34 Hans Hansen Skonning (1579–1651), Glöckner am Dom zu Århus, war ein unternehmender Herausgeber. 1626 druckte er Chr. Pedersens Laale (1515) nach unter dem Titel Liber Petri Laglandici. Peder Lollis Boog. Trotz des Doppeltitels handelt es sich um eine Sprichwortsammlung für das Volk, welche die lateinischen Versionen streicht und „brauchbar und bequem in allerhand Weltlicher Hantierung, Plauderei, Rede, Spaß und Ernst“ sein soll. Einzelne Sprichwörter wurden jedoch aufgrund ihrer Unsittlichkeit weggelassen oder erfuhren Korrekturen, z. B. wurde der „artss“ (Arsch) einer Frau zu „Laar“ (Oberschenkel).35 1633 brachte Skonning zwei Texte von Hieronymus Justesen Ranch (1539–1607) heraus. Ein im Jahr 1599 geschriebenes biblisches Singspiel, Samsons Fængsel, wurde nach einer älteren, jedoch nachlässigen, orthografisch missglückten und von mangelndem Textverständnis des Abschreibers zeugenden Abschrift wiedergegeben, die vermutlich der Lateinschule in Randers als Repertoirebuch diente.36 Ranch hatte den Text wohl nicht ganz fertig gestellt, sodass vielleicht Skonning selber dann und wann die Dialoge ausweitete sowie – im Fall von weniger gebräuchlichen Wörtern – auch Umschreibungen vornahm. Nachdrucke von 1646 und 1702 machten den Text bekannt und populär. Ranchs bestes Werk, Karrig Niding, ist möglicherweise die ungenannte Komödie, der das Konsistorium der Universität am 17. Oktober 1598 die Approbation verweigerte.37 Skonnings Druck von 1633 ist verloren gegangen; die älteste bekannte Ausgabe wurde 1664 in Kopenhagen auf schlechtem Papier als billiges Volksbuch hergestellt, mit neuen Auflagen 1709 und Ende der 1770er Jahre („gedruckt in diesem Jahr“). 1722 edierte der Buchdrucker, Verleger und Zeitungsherausgeber Jochum Wielandt (1690–1730) Birgitte Bille: Hr. Jens Billes Slegt-Register Paa Danske Riim, auf der Grundlage von Manuskripten der Jahre 1597–1602. Die Sprache wurde jedoch modernisiert. Kryptische Formulierungen glättete der Herausgeber in trockenem Stil, ohne den archaisierenden Reimchronikton des Originals zu respektieren. Der Bestand an Namen weist mitunter Missverständnisse auf, und etliche Auslassungen und Zusätze scheinen willkürlich. ____________ 34 35 36 37
Nielsen 2004, S. 46; 1997, S. 181–203, besonders S. 195. Peder Låle 1979, S. 367, 370, 372. Randershåndskriftet 2001. Hieronymus Justesen Ranch’s Danske Skuespil og Fuglevise 1876 f., S. LXXII, XVIII–XXI.
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Die Zuschreibung an die Edelfrau Birgitte Bille ist spät und nicht verlässlich, aber älter als der 1722er Druck; als Verfasser steht seit 1868 C. C. Lyschander fest.38 Der Barockdichter Poul Pedersen (Daten unbekannt) mit dem Pseudonym Philedor starb vor der Fertigstellung des Manuskriptes zu einem galanten Versroman, den Wielandt im Winter 1724/25 mehrteilig nach einer unsorgfältigen Abschrift druckte, ohne einen Verfassernamen anzugeben. Sein voller Titel lautet: Kierligheds Endrings og Undrings Speil forestillet udi Den spanske Herremand Don Pedro af Granada, hans Lif og Levnets Historie. Aus der Nennung lebender Personen in einem ungedruckten Vorwort lässt sich die Entstehung des Textes auf 1690–1698 datieren. Hans Gram hat mitgeteilt, dass in seiner Studienzeit (1703–1708) eine anonyme Handschrift aus einem fünischen Pfarrhaus in Studentenabschriften kursierte. Die Ausgabe ist ohne Apparat, bescheiden gesetzt, voller Fehler und in konfuser Rechtschreibung; ein Nachdruck erfolgte 1756. Der elegante Stil, die starke Poesie und wohl vor allem die pikante Erotik machten das Buch zu einem Verkaufsschlager. Eine fragmentarische Handschrift, die älter sein muss als der Druck, hat 87 Verszeilen weniger, streicht überflüssige Wiederholungen und ist weniger barock; möglicherweise handelt es sich bei ihr um den abgebrochenen Versuch des Autors, seinen Text zu polieren.39 Ein handschriftliches, aber kaum eigenhändiges Vorwort mit gelehrten Originalanmerkungen auf Latein und einigen späteren Hinzufügungen von fremder Hand, vermutlich der Hans Grams, druckte Rasmus Nyerup in Auszügen in der Zeitschrift Minerva im August-Heft 1785.40 Leider fehlen dem Vorwort gerade diejenigen 8 Seiten, auf denen der Dichter für eine Veröffentlichung seines Werkes plädierte. Nach 1720 kam eine Reihe von gesammelten Werken zeitgenössischer Dichter auf den Markt, z. B. von Laurids Thura 1721, Jakob Knudsen Schandrup (gest. 1720) 1728, Vilhelm Helt (gest. 1724) 1732, Thomas Clitau 1738, Jørgen Friis (gest. 1740) 1752, Christen Lassen Tychonius (gest. 1740) 1770–1772 und 1776. Die Texte sind in zunehmendem Maß weltlich, doch der Inhalt ist meist monoton, nichtssagend und selbstgefällig; vielerorts finden sich Fremdwörter, flache Wortspiele und fade Titel. Anspruchsvoller waren Verlags- und Druckereianthologien dänischsprachiger Gelegenheitsdichtung höheren Stils aus dem späten 17. und dem frühen 18. Jahrhundert, z. B. die Wielandt’sche Sammlung in 14 Heften, 1725/26, die Johan Høpffner’sche Sammlung in 5 Heften, 1728, und die B. W. Luxdorph’sche Sammlung (bei der es ____________ 38 39 40
Rørdam 1868, S. 104–107, 31–33. Dahlerup–Petersen 1952, S. 20–38. GkS 3016, 4°, vgl. Don Pedro af Granada 1937, S. IV–VI und 5–26.
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sich um die in geänderter Form nachgedruckte Wielandt’sche handelt) in 10 Heften, 1742.41 70 erbauliche Arien des Kirchenlieddichters H. A. Brorson (1694–1764) aus seinen letzten Jahren gab sein Sohn Broder (1728–1773) unter dem Titel Svane-Sang 1765 postum heraus, um den Umlauf fehlerhafter Abschriften mit Änderungen „in Wort und Bedeutung“ zu stoppen.42 Der bohèmehafte fünische Lyriker Ambrosius Stub (1705–1758) ließ zu seinen Lebzeiten nur zwei Gedichte drucken und machte sich nicht viel aus seinen eigenhändigen Manuskripten. Seine kurzen Texte wurden in Abschriften verbreitet und gaben ihm einen sonderbaren Untergrundruhm, bis sie schließlich – sogar in Antiqua-Satz – in Arier og andre Poetiske Stykker des Geistlichen T. S. Heiberg, 1771, erschienen. Eine erweiterte Ausgabe in Fraktur wurde 1780 durch den Sohn Christian herausgegeben, dessen Vorwort neben berichtigten Druckfehlern und leicht modernisierten Schreibweisen auch den neuen Satz erwähnt: Er sei passender für dänischsprachigen Stoff und für jeden Laien lesbar.43 Darüber hinaus wurden einige Einzelgedichte in Arier og Sange, 2 Bde., 1773–1777, des Verlegers H. J. Graae publiziert, ebenfalls durch Heiberg. Stubs Œuvre blieb auf diese Weise mit Mühe erhalten, jedoch ohne Anmerkungen oder geschichtliche Einstufung – er wurde wohl als Gegenwartsfigur empfunden. Der Kopenhagener Norweger Johan Herman Wessel (1742–1785) war ein weiterer nichtbürgerlicher Poet, der jung starb. Sein spärliches Gesamtwerk wurde in Kopenhagen durch Jens Baggesen, P. J. Monrad und C. H. Pram als Johan Herman Wessels samtlige Skrivter, 2 Bde., 1787, herausgebracht. Nicht weniger als 1238 Subskribenten sicherten das Projekt. Besonders der Landsmann Pram wollte den völlig unambitiösen Wessel verschönen und heroisieren, indem er dessen bewusst saloppe Darstellungsform in der Korrektur durch Hinzufügung glättender Wörter änderte, ungeachtet der Erklärung des Vorworts, dass die Texte eigenhändigen Manuskripten entnommen worden seien. Pram leugnete Wessels Autorschaft an der utopischen Komödie Anno 7603, 1785 – zu Unrecht, denn Anzeigen zufolge wurde sie ursprünglich von dessen Wohnsitz aus verkauft.44 Die Restauflage dieser Wessel-Ausgabe ging 1795 im Kopenhagener Brand zugrunde. Der Text Grevens og Friherrens Komedie, der aus der Zeit Christians V. (1670–1699) stammt und sie behandelt, muss nach der Einführung von Privi____________ 41 42 43 44
Paludan 1887, S. 226, Anm. 1. Hans Adolph Brorsons Samlede Skrifter 1956, Bd. III, S. 29. Ambrosius Stubs Digte 1972, Bd. I, S. 54. J. H. Wessels Samlede Digte 1895, S. 327.
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legien für Grafen und Freiherren am 25. Mai 1671, aber vor der ältesten erhaltenen Abschrift von 1680 entstanden sein, am wahrscheinlichsten 1679/80. Er ist ein Beispiel für neoklassizistische Dramatik in Dänemark ein halbes Jahrhundert vor Holberg. Eine unbeweisbare Tradition macht den Edelmann Mogens Skeel (1650–1694) zum Verfasser, eine andere Möglichkeit ist Jacob Worm (1642–ca. 1692).45 Dieses Lesedrama hat sich mit seiner scharfen Kritik am herrschenden Neuadel damit begnügen müssen, in Handschriften zu kursieren (von denen 19 überliefert sind). Der 1680er Text enthält zahlreiche Flüchtigkeitsfehler (Fehlschreibungen, Missverständnisse, Versehen) und Entstellungen (in hinzugefügten Partien des Abschreibers, eines Knud Henriksen in Viborg). Erst 1793 veröffentlichte Rasmus Nyerup eine Version (aus jüngeren Abschriften) in P. F. Suhms Nye Samlinger til den danske Historie, Bd. II, mit einigen Einleitungszeilen über acht damals bekannte Handschriften, jedoch keinen Anmerkungen. 1796 gab K. L. Rahbek den dichterischen Nachlass seines nahen Freundes O. J. Samsøe, Efterladte digteriske Skrifter, 2 Bde., heraus, mit einem 71seitigen, überwiegend biografischen Porträt als Einleitung, aber ohne Auskunft über die Textgrundlage.
4.
Johannes Ewalds Selbstedition
Einen Grenzfall bilden Johannes Ewalds Samtlige Skrifter, 4 Bde., 1780–1791. Dem Dichter war es vor seinem frühen Tod am 17. März 1781 noch gelungen, Band I, 1780, selbst herauszubringen, während der Rest 1782, 1787 und 1791 postum folgte (alles wurde 1814–1816 gesammelt nachgedruckt). Band I ist Christian VII. gewidmet und enthält eine lange und wertvolle Vorrede an den Leser, datiert auf den 14. Februar 1780.46 Es handelt sich in erster Linie um eine autobiografische Darstellung, die psychologisches Unvermögen entschuldigt, jedoch an poetischem Sinn und dichterischer Fähigkeit als etwas Einzigartigem und Charakteristischem festhält. Die Jugendabhandlung über „die Notwendigkeit eines göttlichen Erlösers für das menschliche Geschlecht“ von 1764 hat Ewald nicht mit aufgenommen, da er „dieser wichtigen Materie nicht gewachsen genug“ gewesen sei, auch wenn die Abhandlung „ansonsten leidlich geschrieben sein mag“.47 Also rechnet er seine Autorschaft ab der allegorischen Novelle Lykkens Tempel (gedruckt im selben Jahr) und der persönli____________ 45 46 47
Sønderholm 1978, S. 193–215. Johannes Ewalds Samlede Skrifter 1916, Bd. III, S. 232–253. Johannes Ewalds Samlede Skrifter 1916, Bd. III, S. 242.
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chen Bekanntschaft mit J. S. Sneedorff, A. G. Carstens und F. G. Klopstock. Dass Ewald die Ausgabe seiner Schriften selbst besorgte, hatte zwei konkrete Gründe. Erstens wollte er vermeiden, dass ihm Arbeiten zugeschrieben würden, an denen er nicht den „geringsten Anteil“ hatte oder zu haben wünschte. Zweitens sollten Verse und Ideen, die zum Zeitvertreib oder als Schreibübungen dienten und nur für einen kleinen Freundeskreis bestimmt waren, nicht dem Publikum aufgenötigt werden, geschweige denn der Nachwelt. Er verbot, dass jemand – womöglich aus Eigennutz – nach seinem Tod Derartiges druckte, und verwarf deshalb im Schlussabschnitt alle Texte, die er nicht selbst in die Ausgabe aufgenommen hatte, „mit dem gleichen Recht wie dem, mit welchem ein Vater das Kind enterben kann, das ihm missfällt“.48 Auf diese Weise verzichtete Ewald auf literaturgeschichtliche Vollständigkeit im Druck zugunsten des Repräsentativen in seinen Ambitionen und errichtete sich das bleibende Monument, von dem in der Antike seinerseits schon Horaz gefabelt hatte (Carm. III.xxx.1). Der Herausgabeprozess wurde zur bewussten Mit- und Umdichtung der Autorschaft.
5.
Abschließender Überblick
Die Aufklärungsschriftsteller betonten das Nützliche und hielten die Gegenwart für besser als frühere Perioden der Geschichte. Für Holberg waren in seinen letzten Jahren Ausgaben antiker Klassiker meist voll von unbrauchbaren Textvarianten und weitschweifigen Anmerkungen zu Unwichtigem, von denen man nicht viel lernen konnte, und er bevorzugte gesunde Überlegungen zu Chronologie, Geschichte und Moral.49 Sein Schüler und Nachfolger, J. S. Sneedorff, schätzte Autoren seiner eigenen Zeit hoch – von Swift bis Voltaire – und war alles andere als ein antiquarischer Philologe. 1760 sagt er über die Vergötterung veralteter Vorbilder durch solche Wissenschaftler: „Die Namen dieser toten Männer, von denen einige in Anbetracht der Zeiten und anderer Verdienste stets mit Hochachtung genannt werden müssen, benutzen sie als Gespenster, um mit ihnen alle zu verschrecken, die sich unterstehen, weiter zu gehen.“50 Speziell die Bildersprache des Barock liege zu niedrig, um ernst genommen werden zu können – mit ihren „sonderbaren Ausmalungen, die um der Wohlanständigkeit willen lieber unter der Decke aus Staub und Motten versteckt werden sollten, die schon lange über ihnen gelegen hat“.51 Es sei „ein ____________ 48 49 50 51
Johannes Ewalds Samlede Skrifter 1916, Bd. III, S. 252 f. Holbergs Epistel 119 und 220, 1750. Sneedorffs samtlige Skrivter 1777, Bd. IX, S. 159. Sneedorffs samtlige Skrivter 1777, Bd. IX, S. 168.
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überladener Stil, der durch Wörtermenge, lange Perioden, weitläufige Verknüpfungen und fortwährende Wiederholungen“ den Leser ermüde und den Autor dazu bringe, sich selbst zu widersprechen; die Syntax der Gespräche Henriks und Pernilles in Holbergs Komödien sei zur Freude der Jetztzeit „viel natürlicher“ als Arild Huitfeldts Chronikstil um 1600.52 Sneedorffs Altersgenosse, C. B. Tullin, ging in seiner nachgelassenen Enzyklopädie ebenfalls auf Abstand zur snobistischen Bevorzugung der Antike. Seiner Meinung nach ist Homer weit davon entfernt, moralisches und politisches Vorbild für menschliches Handeln sein zu können. Zu Unrecht sei Latein beim Auswendiglernen von Ciceros Sentenzen für Weisheit gehalten worden.53 Die Alten aus Hochachtung in jedem Detail nachzuahmen, z. B. in ihrer Schäferdichtung, sei lächerlich, und neue Poeten sollten keine „moosbewachsenen alten Vokabeln“ anwenden, von denen jede „notwendigerweise von einer halben Seite gelehrter Zitate und Anmerkungen zu ihrem Alter, Ursprung, Schicksal in der Welt usw. unterstützt werden muss, bevor man sie versteht“.54 Man könne die antiken Poeten als große Regenten respektieren, ohne ihr Untertan sein zu wollen.55 Im Kapitel „Viinflasken [II]“ aus der Selbstschilderung Levnet og Meeninger, geschrieben Mitte der 1770er Jahre, aber erst 1855 in Band VIII von F. L. Liebenbergs Ewald-Ausgabe komplett gedruckt, scherzt Ewald darüber, wie er sich in tausend Jahren vom heute lebenden Verfasser zum verstorbenen „Autor classicus“ der dänischen Sprache gewandelt haben würde: „habt die Güte, Erläuterungen zu mir zu schreiben, und unter anderem bei diesem Kapitel alles anzuführen, was ich vermutlich gemeint habe und gesagt haben sollte – falls ich mich selbst verstanden hätte!“56 Holbergs gereizte Distanzierung von textkritischer Pedanterie und weitschweifiger Kommentierung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist bei Ewald ironisierender Sympathie gewichen. Mit dem Interesse an der individuellen Dichterpersönlichkeit nehmen Ausgaben dänischer Klassiker als Gattung ihren Platz im dänischen literarischen Universum ein. Aus dem Dänischen von Christine Todsen
____________ 52 53 54 55 56
Sneedorffs samtlige Skrivter 1777, Bd. IX, S. 201 und 205. Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1976, Bd. II, S. 230, 241 f. Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1976, Bd. III, S. 72–75, 69. Christian Braunmann Tullins samtlige skrifter 1976, Bd. III, S. 77. Johannes Ewalds Samlede Skrifter 1919, Bd. IV, S. 267.
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Abstract In Denmark critical editions with scholarly postscripts and annotations are rather late to appear. Several reasons may be listed: lack of a concept of œuvre, lack of a canonized body of national literature, lack of book buyers as well as of publishing firms, lack of prestige of the vernacular as compared to Latin, French and even German, lack of inclusion of Danish language texts in the schools and at the University and finally the statutory censurship relating to all printed matters. Most of these deficiencies are remedied in the 18th century, especially after 1750. Unfortunately modern research on the subject is scant and accidental. However an interest for printing texts from earlier periods of national literature dates back to the first printed matters in the Danish language around 1500. Editions issued 1495–1799 are considered and treated chronologically in two categories, the first encompassing systematically and methodically established renditions of poetry and fiction, the second being centered around prints mainly facilitating readers to make themselves acquainted with unknown, rare or outdated material. In most cases there are no manuscripts to include and hardly any other informations available than given in original prefaces and accidentally preserved official and private correspondences. Two posthumously published editions are particularly important in establishing a regular Danish practice, Arrebo’s epic Hexaëmeron, 1661, and Bording’s Collected Poems, 1735, though other works published both before and after also did contribute to the building of an editorial culture in Denmark. Two principles may be discerned in the course of development, one being an attempt to edit the complete works of a writer, another a consent to allow a writer to exclude and suppress parts of his works whose publication he may have personal arguments against. Thus academic editors do not yet possess the scholarly authority attributed to them in the 19th century.
Literaturverzeichnis Editionen Arrebo, Anders: Samlede Skrifter. Hrsg. von Vagn Lundgaard Simonsen et al. 5 Bde. in 6. Kopenhagen 1965–1984. Brorson, Hans Adolph: Samlede Skrifter. Hrsg. von L. J. Koch et al. 3 Bde. Kopenhagen 1951– 1956. Danske Metrikere. Hrsg. von Arthur Arnholtz, Erik Dal und Aage Kabell. Bd. I. Kopenhagen 1953.
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Flemming Lundgreen-Nielsen
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Per Dahl
Dänische Textedition im 19. Jahrhundert
Auf der Basis der in hohem Umfang praktizierten Editorentätigkeit wird im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten im 19. Jahrhundert erschienenen Ausgaben dänischer Literatur und die Grundlage dieser Ausgaben versucht. Darüber hinaus wird so weit wie möglich die Geschichte der Herausgebergesellschaften skizziert. Die Darstellung ist ein Versuch, die methodischen Verhältnisse und Probleme, die sich in dieser Periode zeigten, herauszuarbeiten. Es finden sich indessen nur wenige grundsätzliche und theoretische Abhandlungen aus dem 19. Jahrhundert über Editorik, Textkritik und Kommentierung. Die methodischen Standpunkte der Editoren sind daher am ehesten aus den kurzen Anweisungen und Bemerkungen abzuleiten, die sie den Ausgaben in Form von Vorworten, Nachworten und Ähnlichem beifügten. Auch hinsichtlich der Tätigkeit, den wirtschaftlichen Verhältnissen und der Mitgliederschaft der Herausgebergesellschaften sind die verfügbaren Auskünfte rar und weit verstreut; ein Überblick über die institutionellen Rahmenbedingungen dänischer Texteditionen im 19. Jahrhundert ist bislang nicht versucht worden. Somit liegen weder eine Übersicht noch systematisch erarbeitete Informationen zum dänischen Editionswesen der neueren dänischen Literatur im 19. Jahrhundert vor; die vorliegende Darstellung ist daher als ein erster Versuch zu betrachten.
1.
Ausgangssituation und Überblick
Die Editoren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bauten vornehmlich auf der Ende des vorangehenden Jahrhunderts etablierten Tradition auf. Dies gilt zweifelsohne in erster Linie für Ausgaben von Autoren des 18. Jahrhunderts. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden nacheinander insbesondere die Werke Ludvig Holbergs (1684–1754) und Johan Herman Wessels (1742–1785), aber auch Ambrosius Stubs (1705–1758) wieder und wieder herausgegeben. Im Gegensatz zu früheren Zeiten erfolgte dies nun in gewissem Umfang in Anbindung an eigentliche Herausgebergesellschaften. Dies brachte größere Kontinuität und Systematik in der Arbeit mit sich. Das Sammeln von Handschriften und bislang übersehenen Drucken erfolgte gründlicher und sorgfältiger, das
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Per Dahl
Bewusstsein im Umgang mit bestimmten textlichen Gegebenheiten wie Varianten und Orthografie wuchs, während sich zugleich eine beträchtliche Entwicklung der Kommentierungsarbeit vollzog. Mit einer niedrigeren Publikationsfrequenz kamen diese Entwicklungen bei den Ausgaben der Werke Johannes Ewalds (1743–1781), Jens Baggesens (1764–1826) und A. W. Schack von Staffeldts (1769–1826) zum Tragen. Was hingegen die eigentlichen Autoren des 19. Jahrhunderts anbelangt, so dominierten die anonym redigierten Ausgaben der kommerziellen Verlage vom Typus ‚Gesammelte Werke‘ und Ähnlichem mit wenigen Ausnahmen den Markt, nicht zuletzt nach ca. 1850, als diese sogenannte ‚Literatur des Goldenen Zeitalters‘ zusammengetragen wurde. Begründet lag dies vermutlich nicht im mangelnden Bestreben potentieller Editoren, sich der Aufgaben anzunehmen, sondern vielmehr in einer Kombination aus der starken Stellung der Verlage einerseits und dem Respekt gegenüber der Ausgaben letzter Hand der jeweiligen Autoren andererseits. Eine Ausnahme bildete hierbei ab ca. 1860 ff. eine Reihe von Briefausgaben. Hier erhielten professionelle Editoren allmählich die Befugnis, die Nachkommen der Autoren als Herausgeber abzulösen.1 1.1.
Holberg-Ausgaben
Innerhalb der Belletristik waren es vor allem zwei Editoren, die in entscheidender Weise das 18. und 19. Jahrhundert miteinander verbinden sollten: der Bibliothekar Rasmus Nyerup (1759–1829) und der Literat K. L. Rahbek (1760–1830), der zeitweise auch als Ästhetik-Professor an der Universität Kopenhagen fungierte. Mit der Königlichen Bibliothek Kopenhagen als natürlichem Ausgangspunkt wurde ihre Arbeit vom späteren Leiter der Bibliothek, E. C. Werlauff (1781–1871), und seinem engsten Mitarbeiter, Christian Molbech (1783–1857), fortgeführt. Sieht man von den frühen Ausgaben dänischer Volksweisen ab, so war es Christian Molbech, der als erster die dänische Literatur des Mittelalters herausgab. Außerhalb der Bibliothek wurde die literarische Herausgebertätigkeit von Amtmann A. E. Boye (1784–1851) fortgeführt, der ab ca. 1810 K. L. Rahbek assistiert hatte, zunächst mit den letzten Bänden einer großen Holbergausgabe, später bei einer Ausgabe von dessen Komödien. ____________ 1
Die Situation bezüglich des Autoren- bzw. Urheberrechts im 19. Jahrhundert wird hier nicht aufgegriffen; es liegen auch keine ausführlicheren Untersuchungen vor, auf die man sich stützen könnte. Erst 1857 wurde ein Urheberschaftsgesetz verabschiedet, welches eine Verordnung aus dem Jahr 1741 ablöste, die vor allem Buchdrucker und Verleger schützte. Nachdem 1902 ein kombiniertes Gesetz zum Verfasser- und Künstlerrecht verabschiedet wurde, trat Dänemark 1903 der Berner Konvention von 1886 bei. Vgl. Peter Schønning 2003, Einleitung, und Sven Møller Kristensen 1965.
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Darüber hinaus gab er selbstständig J. H. Wessels Gedichte heraus, die zwischen 1832 und 1877 vier Auflagen erreichten. Gemeinsam mit W. H. F. Abrahamson (1744–1812) veröffentlichten K. L. Rahbek und Rasmus Nyerup 1812–1815 die erste neuere Volksweisenausgabe (siehe oben, S. 101 ff.). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Rahbek selber mehrere zeitgenössische Autoren herausgegeben (siehe Verzeichnis der Ausgaben), zumeist in postumen Ausgaben und mit Einleitungen der Art, welche in Abschnitt 3 näher behandelt wird. Rahbeks Hauptwerk als Editor sind indessen Holbergs Udvalgte Skrifter (Ausgewählte Schriften) in 21 Bänden (1804– 1814). In den sechs ersten, die Komödien enthaltenden Bänden druckte er in jedem Band vor den Texten Dokumente der Rezeptionsgeschichte ab und gab nach den Texten einen kurzen „historisch-kritischen Ausblick“; die versprochenen „Notizen“ oder Kommentare wurden nie realisiert. 1824–1827 gab Rahbek eine sechsbändige Leseausgabe der Komödien heraus, nach Rahbeks Tod 1830 im Jahr 1832 durch A. E. Boye ergänzt um einen siebten Band. Der Text dieser Ausgabe war zuverlässiger ediert; er basierte auf der Ausgabe von 1731–1754, zog jedoch einen Vergleich der unterschiedlichen Ausgaben in Betracht. Auch diese Ausgabe enthielt jedoch keine Kommentare. In der Zwischenzeit hatte indessen eine Reihe weiterer und umfassenderer Werke Rahbeks, Boyes und Werlauffs über die Situation des Theaters zu Holbergs Zeit den Hintergrund für eine eigentliche Kommentierung der Komödien geschaffen, während zugleich A. E. Boye ein besseres Editionsmodell konzipiert hatte: Zunächst mit seiner Ausgabe von Holbergs Peder Paars 1823, basierend auf einer kritischen Durchsicht von Holbergs letzter Ausgabe 1720, anschließend mit der genannten Ausgabe von J. H. Wessels Samlede Digte (Gesammelte Gedichte, 1832), ergänzt um eine Einleitung von 50 Seiten über Wessels Leben und Werk und einen Nachspann von 14 Seiten mit „Anmerkungen“ in Form von Auskünften zu Hintergrund und Druckbedingungen sowie mit der Identifikation von Personen- und Textreferenzen. 1843 konnte Boye dann sämtliche Komödien Holbergs in einer großen, zweispaltigen einbändigen Ausgabe herausgeben. Die Auflage war mit 5000 Exemplaren außergewöhnlich hoch, doch bereits 1852 erschien die 2. Auflage. Die Textgrundlage, identisch mit der früheren Ausgabe Rahbeks, war nun – mit Erwähnung in den Anmerkungen – fehlerberichtigt und in Einzelwörtern aus anderen Ausgaben emendiert. Anmerkungen und Erläuterungen wurden teils nach jedem Stück, teils in einem Anhang beigegeben. In seinen Ausgaben bot Boye somit die früheste Lemmatisierung der dänischen Editionsgeschichte, typografisch perfektioniert in der Komödienausgabe von 1843, wo jedes Lemma in neuer, eingerückter Zeile steht. Das Lemma, versehen mit Seitenre-
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ferenz, ist halbfett gesetzt, der Kommentar z. T. begleitet von einer (summarischen) Quellenangabe, etwa: S. 80. Du løb bort ved Wismar. Den Beleiring af Wismar, hvorfra Jacob Skomager antages at have deserteret, maa vel være den i 1716. (Werlauff).
In den Jahren bis zum Erscheinen der Edition Boyes hatte Christian Molbech eine noch umfassender edierte Ausgabe geplant – „eine Ausgabe, die zumindest so weit wie möglich klassisch sein würde (oder, was die Engländer als beständig bezeichnen, Standard)“. Die Ausgabe sollte u. a. ausführliche und linguistisch, kritisch und historisch-ästhetisch differenzierte Kommentare enthalten, wie aus dem Titel hervorgeht: Ludvig Holbergs Comedier. Udgivne, med Anmærkninger under Texten, Indledninger og Oplysninger til ethvert Lystspil, for det Holbergske Samfund (Ludvig Holbergs Komödien. Herausgegeben, mit Anmerkungen unter dem Text, Einleitungen und Erläuterungen zu jedem Lustspiel, für die Holberg-Gesellschaft). In der Einleitung (S. XXXIII) wird das Wort „Commentar“ zum ersten Mal auf Dänisch und in seiner modernen Bedeutung verwendet. Hinter dem Unternehmen stand Det Holbergske Samfund (Holberg-Gesellschaft, 1841–1855); aufgrund interner Schwierigkeiten wurde jedoch nur der erste Band der durchdachten und schön gestalteten Ausgabe realisiert. Ein wiederkehrendes Problem in den Editionen des 19. Jahrhunderts war die Neigung der Editoren, die wechselhafte und sehr zeitgebundene Orthografie und Interpunktion älterer Autoren nach einer konsequenten und leicht modernisierenden, akademischen Norm auszurichten. Die Orthografie in den Texten Holbergs und anderer Autoren des 18. Jahrhunderts war so zufällig und inkonsequent, dass die Editoren – aus Rücksicht auf die Leser – meinten, die vereinheitlichenden und in aller Regel stillschweigende Eingriffe in den Wortlaut der Texte nicht unterlassen zu können. Im Lauf des 19. Jahrhunderts nahm die Toleranz gegenüber orthografischen Normalisierungen jedoch ab. In steigendem Maß setzte der Wunsch nach einem authentischen Text das akademische Prinzip unter Druck. Mit der Kollation der Varianten der verschiedenen Ausgaben und mit seinen Anfängen einer Lemmatisierung hatte A. E. Boye eine anspruchsvollere Praxis als sein Lehrmeister Rahbek eingeleitet. Doch auch seinen Nachfolgern gegenüber verhielt er sich in diesem Punkt kritisch. Als F. L. Liebenberg (1810– 1894), der die nächste Editoren-Generation repräsentierte, 1843 mit Staffeldts Samlede Digte (Gesammelte Gedichte) seine erste große Edition veröffentlichte, kritisierte Boye gerade dessen Textnormalisierung als zu weitgehend: Liebenberg hatte nicht allein die ‚unregelmäßige‘ Interpunktion und Orthografie
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nach der Praxis und sogenannten ‚Winken‘ in Staffeldts spätesten Texten eingerichtet, sondern auch das grammatische Wortgeschlecht reguliert.2 Wohl hatte Liebenberg in seiner „Vorrede“ summarisch auf die Normalisierung aufmerksam gemacht, und in der Einleitung zu den „Anmerkungen“ der Ausgabe (Bd. 1, S. 489–500) hatte er in 17 Punkten die Typen seiner Änderungen erläutert; doch von eigentlichen Varianten zu jeder einzelnen Textstelle war die Rede gerade nicht.3 Nach dem Scheitern der Holberg-Ausgabe Molbechs übertrug die HolbergGesellschaft die Aufgabe an F. L. Liebenberg. Die acht Bände Comedier (Komödien), erschienen 1847–1854, bildeten die Grundlage für die weitaus meisten späteren Ausgaben. Die Ausgabe gibt nur wenigen Kommentaren in Form sprachlicher und sachbezogener Angaben Raum. Dafür löste man das Variantenproblem, für das A. E. Boye die Aufmerksamkeit geschärft hatte, indem man jedem einzelnen Band am Ende eine vierspaltige synoptische Übersicht der „Abweichenden Lesarten“, wie man den Variantenapparat nannte, beigab. Im Vorwort zum abschließenden Band 8 fasste Liebenberg seine Arbeit zusammen. Er unterschied hier zwischen Wortlaut und Orthografie; Ersterem folge man, während Letztere durchweg nach der Norm des späten Holberg reguliert werde: Die Textausgabe der Komödien Holbergs, die mit dem jetzigen Band zum Abschluss kommt, ist bemüht, eine in allen Einzelheiten historisch verlässliche und kritisch wahrhaftige Kopie der Hauptausgaben des Komödiendichters von 1731 (1753, 1754) vorzulegen, begleitet von einer gründlichst sorgsamen Verzeichnung aller ihrer (nicht rein orthografischen) Abweichungen von dieser Hauptausgabe wie auch von den früheren Ausgaben von 1723–25 (1745, 46). Während diese Textrezension – im Gegensatz zu allen vorigen – sich streng jeder auch noch so geringen Willkür enthält, namentlich all solcher Veränderungen, die zum Ziel haben, entweder den Ausdruck dem Sprachgebrauch unserer Zeit anzupassen oder eine künstliche Konformität in der Sprachform zu schaffen: [so] wurde bei den rein orthografischen Entscheidungen eine scheinbar entgegengesetzte Vorgangsweise gewählt, indem hier die Schreibweise der Originalausgaben, soweit sie gegen die für die späteren Holberg’schen Schriften charakteristische Orthografie zu verstoßen schien, durchgängig kleinen Umformungen unterzogen wurde gemäß jenen Regeln, die ich in meinen ____________ 2 3
In A. E. Boyes Ausgabe von J. H. Wessel: Samlede Digte, 2. Ausg. 1845, „Forerindring“ bis zum 2. Teil. In der überarbeiteten Staffeldt-Ausgabe von 1882 nahm Liebenberg in seinem Nachwort einen kritischen Standpunkt gegenüber seiner eigenen früheren Arbeit ein: „Es war die erste Arbeit des jetzigen Herausgebers ihrer Art, ausgeführt mit viel Fleiß und Liebe, wohl auch mit einer recht guten Gabe zur Textkritik, jedoch in mehr als einer Hinsicht verfehlt. […] Noch unglücklicher war der Herausgeber mit seiner den beiden Bänden beigefügten überwältigenden Masse von Anmerkungen, welche er selbst nun, mild formuliert, als höchst unreif empfindet.“ (S. 219).
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„Gedanken zur Holberg’schen Orthografie“ (Kopenhagen 1845) erstellt und begründet habe. (S. V)
Im direkten Verweis auf das Vorwort in Molbechs groß angelegtem Projekt konnte Liebenberg im Vorwort zugleich schreiben, die nun realisierte Ausgabe sei, wenn auch wohl nicht „klassisch (oder, was die Engländer als beständig bezeichnen, Standard)“ geworden, so „doch [eine] treue und verlässliche Ausgabe, welche die letzte Vollendung leicht machen wird“ (S. VI). Der von Liebenberg gewählte Kompromiss zwischen Genauigkeit hinsichtlich des Wortlauts einerseits und der Normalisierung der Orthografie andererseits erwies sich trotz späterer Kritik als haltbar. Die Ausgabe erschien 1869/70 als dreibändige und 1876 als einbändige Ausgabe, und Liebenbergs ‚Rezension‘, wie er sie selbst bezeichnete, ist bei weitem die einflussreichste und meistbenutzte Ausgabe der Komödien Holbergs. Selbst mit den genannten Mängeln und Divergenzen war somit eine Verfeinerung der Editionspraxis des 18. Jahrhunderts erreicht: hinsichtlich großer Sorgfalt zwecks vollständigen Sammelns des Textmaterials, hinsichtlich eines wachsenden Bewusstseins für die Probleme orthografischer Vereinheitlichung und deren Benennung und schließlich hinsichtlich einer lemmatisierten Kommentierung, wobei die Scheidung der verschiedenen Arten der Erläuterung sich indessen noch nicht ganz durchgesetzt hatte. 1.2.
Von der Lebensbeschreibung zur literarischen Charakteristik
Um 1800 leitete man eine größere oder gesammelte Ausgabe der Werke eines verstorbenen Dichters in der Regel mit einer Lebensbeschreibung ein, oft in Kombination mit einer Charakteristik der Werke, wie man es von einer Reihe der Ausgaben K. L. Rahbeks kennt. Doch gegen und vor allem nach 1850 fielen die biografischen Einleitungen im Rahmen der Arbeitsteilung zunehmend fort. Die Einleitungen wurden, u. a. im Zuge von Nachdrucken, von den Ausgaben abgetrennt und stattdessen zunehmend als eigenständige Biografien gestaltet. Zugleich stellten sich die nationalen Literaturgeschichten, die ab ca. 1860 in großem Umfang herauszukommen begannen, auf den unterschiedlichen Ausbildungsniveaus zur Verfügung und lieferten in nachschlagfreundlicher Form jenen biografischen und literaturhistorischen Hintergrund, der für die meisten Leser von Nutzen war.4 Während die größeren Ausgaben solchermaßen von den Lebensbeschreibungen entlastet wurden, entwickelte man bei der Erarbeitung von Ausgaben älterer Literatur zugleich einen nachgeordneten ____________ 4
Vgl. die Arbeiten Flemming Conrads im Literaturverzeichnis.
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Stellenkommentar in Form textkritischer Anmerkungen sowie sprachlicher und sachlicher Erläuterungen zu den Werken, wie z. B. bei Holberg und Wessel. In den vergleichsweise wenigen Fällen nach ca. 1860, in denen einleitende Lebensbeschreibungen beibehalten wurden, entwickelten sich diese zu literarischer Kritik. Im dänischen Kontext ist der Kritiker und Literaturhistoriker Georg Brandes (1842–1927) deutlichstes Beispiel. Seine modernen Charakteristiken Emil Aarestrups (1800–1856) von 1877 und A. W. Schack von Staffeldts von 1882 erschienen als Einleitungen zu kritischen Ausgaben der Gedichte der beiden Autoren. Sie können als späte Reminiszenzen des Typus ‚Leben und Werk‘ gelesen werden, beinhalten jedoch eine tiefergehende Analyse und ein gründlicheres Verständnis des Zusammenspiels zwischen Autor und Werk. Georg Brandes lieferte eine „Charakteristik“ (Genrebezeichnung der Titelblätter) des Autors und seiner Texte, war jedoch nicht selbst herausgebender Philologe. Er war Literaturkritiker, und seine Beiträge ließen sich ohne Weiteres aus den Ausgaben herauslösen und anschließend in den unter seinem Namen erschienenen Essaysammlungen publizieren.5 Brandes war weder an der Zusammenstellung gedruckter und ungedruckter Texte, die der Editor F. L. Liebenberg vornahm, noch an der anschließenden Kommentierungsarbeit beteiligt. Im hier präsentierten Material ist der letzte Werkbegleiter dieses traditionellen, vom Ende des 18. Jahrhunderts herrührenden Typs Herman Schwanenflügels Lebensschilderung von Carl Bernhard (1798–1865) in Band 12 (1897) der genannten Ausgabe mit dem charakteristischen Untertitel „Hans Liv og Forfattervirksomhed“ („Sein Leben und sein schriftstellerisches Wirken“). Eine Sonderform stellt die literarische Autobiografie dar, wo ein noch lebender Autor selbst Licht auf den Zusammenhang zwischen Leben und Werk wirft. Vorbild war hier J. W. von Goethes Dichtung und Wahrheit, 1811–1814 von Goethe selbst verfasst und publiziert. Entsprechend wurde Adam Oehlenschlægers Selbstbiografie in ihrer ersten Form 1829 als Teil einer deutschen Ausgabe seiner Werke veröffentlicht; erst im Jahr darauf kam sie in dänischer Sprache unter dem Titel Levnet (Leben) heraus. Nach dem Tod des Schriftstellers 1850 erschienen die detaillierteren Erindringer (Erinnerungen) in vier Bänden, doch keine der Autobiografien sollte in die späteren, größeren Ausgaben der Werke des Verfassers eingehen. Auch die Autobiografie H. C. Andersens, Mit Livs Eventyr (Das Märchen meines Lebens), war ursprünglich als Anhang zur deutschen Ausgabe seiner Werke von 1847 verfasst worden und ging erst anschließend, 1855, als Band 21 ____________ 5
Die Aarestrup-Charakteristik wurde erstmals nachgedruckt in Kritiker og Portræter, 2. Ausg., 1885, die Staffeldt-Charakteristik in Mennesker og Værker, 1883.
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und 22 in die entsprechende dänische Ausgabe Samlede Skrifter (Gesammelte Schriften) ein. Vermutlich aufgrund seines eigenständigen literarischen Wertes wurde Mit Livs Eventyr auch in Andersens Udvalgte Skrifter (Ausgewählte Schriften, 1898–1901) aufgenommen. 1.3.
Ausgaben neuerer Autoren
Einzelne der größeren und kritisch angelegten Ausgaben des 19. Jahrhunderts versammelten Œuvres, deren Verfasser zu Lebzeiten keine allgemeine Reputation, jedoch oft hohe Anerkennung in kundigen Fachkreisen erzielen konnten. Hier galt es in erster Linie, Texte und Manuskripte sicherzustellen, um sie vor dem Verlust zu bewahren und anschließend in möglichst zuverlässiger Form zu veröffentlichen. Handschriften, ungedruckte Gedichte und verstreute Drucke wurden somit gesammelt, geordnet und herausgegeben in einem neuen und zusammenhängenden Verständnis von Autorschaft. Bei drei Fällen, in denen F. L. Liebenberg als Editor verantwortlich zeichnete, betrifft es Autoren, die später für das Selbstverständnis der dänischen Moderne wichtig wurden. Dabei handelt es sich um A. W. Schack von Staffeldt (herausgegeben 1843 und 1882), Johannes Ewald (herausgegeben 1850–1855) und Emil Aarestrup (herausgegeben 1863 und 1877). Dass die drei Autoren seither – nach neuen Manuskriptfunden und nach den Normen einer späteren Zeit – 2001 bzw. 1914– 1924 bzw. 1922–1925 von Det danske Sprog- og Litteraturselskab (Dänische Sprach- und Literaturgesellschaft, DSL) erneut herausgegeben wurden, bestätigt ihre fortgesetzte oder wachsende Bedeutung und mindert nicht die grundlegende Leistung F. L. Liebenbergs, die in vielfacher Hinsicht repräsentativ für die Editionsphilologie des 19. Jahrhunderts ist. Für die erste Ausgabe, Schack von Staffeldts Samlede Digte (Gesammelte Gedichte), unternahm Liebenberg selbst eine sehr umfassende Such-Arbeit. In seiner Vorrede verwies er auf Boye, der mit Bezug auf Wessel zum Ausdruck gebracht hatte, eine Sammelausgabe solle alles aufnehmen. Liebenberg befand nun, dass es zwar keine Texte Staffeldts gab, die etwa aus moralischen Gründen ausgelassen werden sollten. Demgegenüber ließ er 14 frühe Texte aus ästhetischen Gründen aus. Bezüglich der Kommentare gab Liebenberg zunächst jene Anmerkungen wieder, die Staffeldt selbst erstellt hatte. Mit einer klaren Vorstellung von deren unterschiedlichem Charakter fügte er im Anschluss seine eigenen Anmerkungen an, nämlich: 1) literaturgeschichtliche Anmerkungen, 2) sprachwissenschaftliche Anmerkungen, 3) Erläuterungen zu sprachlich schwierigen Konstruktionen und 4) Erläuterungen zu mythologischen Aspekten.
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Auch die Ewald-Ausgabe fußte auf einer beträchtlichen Menge an Manuskripten und Vorarbeiten, die von anderen zusammengetragen worden waren. Hier entschied sich Liebenberg in seinen „Anmerkungen“, die Varianten auf zwei Ebenen zu differenzieren, zum einen solche zwischen den verschiedenen vorliegenden Drucken, zum anderen solche zwischen Drucken und Handschriften; er standardisierte jedoch Ewalds Zeichensetzung ähnlich wie er Holbergs Orthografie standardisiert hatte. Ganz abgesehen davon, dass der Editor die Manuskripte nicht immer ganz zuverlässig las, befand sich die Edition mit ihrer Akribie auf der Wortebene und der Standardisierung von Interpunktion und Orthografie im gleichen Dilemma wie die Holberg-Ausgabe. Endgültig gelöst wurde dies erst mit der Ausgabe der DSL 1914–1924.
2. 2.1.
Ältere Herausgebergesellschaften: Samfundet til den danske Literaturs Fremme (Gesellschaft zur Förderung der dänischen Literatur)
Eine Reihe von bereits im 18. Jahrhundert gegründeten Gesellschaften betrieb als Teil ihrer Aktivitäten die Herausgabe oder Vermittlung verschiedener Formen von Literatur. Dies gilt u. a. für Det kgl. Danske Selskab for Fædrelandets Historie (Königlich dänische Gesellschaft für die Geschichte des Vaterlands, gegründet 1745) und Det kongelige danske Landhusholdningsselskab (Königlich dänische Landhaushaltungsgesellschaft, gegründet 1769), deren Schriftkommission 1807 ein Fortegnelse over Skrifter passende for den dansk-norske Almue (Verzeichnis von Schriften für die dänisch-norwegische Landbevölkerung) sowie 1864 ein Fortegnelse over Skrifter passende for Sognebibliotheker 1844–1862 (Verzeichnis von Schriften für Gemeindebibliotheken 1844–1862) erstellte. 1814 wurde nach englischem Vorbild Det danske Bibelselskab (Dänische Bibelgesellschaft) für Ausgaben dänischer Bibelübersetzungen u. a. m. gegründet sowie 1849 Selskabet for Danmarks Kirkehistorie (Gesellschaft für die Kirchengeschichte Dänemarks). Alle diese Gesellschaften gaben im Lauf des 19. Jahrhunderts Texte historischen, religiösen und mehr oder minder literarischen Charakters heraus, doch entstand in dieser Zeit auch eine Reihe besonderer Herausgebergesellschaften, die die Edition neuerer dänischer Literatur zum Hauptziel hatte. Die Samfundet til den danske Literaturs Fremme (Gesellschaft zur Förderung der dänischen Literatur, SDLF) wurde zum Geburtstag Frederiks VI. am
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28. 1. 1827 in Kopenhagen gegründet; Initiatoren waren N. C. Øst (1779–1842), Frederik Thaarup (1766–1845) und Rasmus Nyerup, die gemeinsam einen „Planungsentwurf für eine Gesellschaft zur Förderung und Verschönerung der dänischen Literatur und Unterstützung dänischer Wissenschaftler“ verfasst hatten.6 Bereits im Folgejahr konnte die Gesellschaft mit Rasmus Nyerups Ausgabe der Sprichwörter Peder Låles ihre erste Publikation herausbringen. Im Lauf der Jahre variierte die Mitgliederzahl stark; zum Gründungszeitpunkt betrug sie ca. 75 Mitglieder, in den besten Zeiten etwa 1300. Die Mitglieder entrichteten einen vergleichsweise hohen Jahresbeitrag und erhielten dafür im Gegenzug die fortlaufend erscheinenden Bände. Sowohl Verfasser eigenständiger Abhandlungen als auch Editoren wurden von der SDLF für ihre Arbeit honoriert. Ein durchgängiges Merkmal der Tätigkeit der SDLF war ein festes System von ‚Schriftkommissionen‘, später offenbar auch ‚Gesellschaftsrat‘ genannt, die die Arbeit der einzelnen Editoren überprüften und ständig mit ihnen zusammenarbeiteten. Eine ähnliche kollegiale Qualitätskontrolle findet sich später im 20. Jahrhundert in Form der ‚Zensoren‘ des Dansklærerforeningen (Verband der Dänischlehrer) sowie des ‚Kuratoriums‘ von Det danske Sprog- og Litteraturselskab (Dänische Sprach- und Literaturgesellschaft). Die SDLF war dauerhaft beeinträchtigt durch große organisatorische Schwierigkeiten und daraus folgende Umstrukturierungen und Rekonstruktionen, u. a. im Jahr 1840 durch den Archäologen P. O. Brøndsted (1780–1842). Geschichte und Aktivitäten der Gesellschaft liegen nur teilweise dokumentiert vor, doch gelang ihr die Veröffentlichung von gut 60 Bänden, bis sie, in den 1860er Jahren geschwächt, 1886 aufgelöst wurde. Aufgrund der Qualität ihrer Ausgaben blieb sie im 19. Jahrhundert die bedeutendste dänische Herausgebergesellschaft für neuere dänische Literatur. Über Ausgaben älterer Literatur hinaus, darunter u. a. Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder, DgF, siehe oben, S. 102 ff.) und H. Justesen Ranch, repräsentieren das 18. Jahrhundert Ausgaben von Ludvig Holberg, Chr. Falster, Ambrosius Stub und Johannes Ewald; doch auch Biografien nehmen einen vorderen Platz ein, oft als Einführung oder Teil einer Werk- oder Briefausgabe, so etwa Christian Molbech zu Schack von Staffeldt, 1851, H. F. Rørdam zu Anders Arrebo, 1857, Chr. Bruun zu Fr. Rostgaard, 1871, und J. L. Ussing zu N. L. Høyen, 1872. Wie aus den vorangegangenen Darlegungen und auch aus der Liste ausgewählter Ausgaben ersichtlich, wurde F. L. Liebenberg zu einem der produktivsten und gründlichsten Editoren der Gesellschaft und mit seinen großen ____________ 6
Vgl. Chr. Bruun 1877.
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Ausgaben Staffeldts, Ewalds sowie von Holbergs verschiedenen kleineren Schriften auch einer ihrer zentralen. Wie schon erwähnt, gab Liebenberg seine Edition der Komödien Holbergs im Auftrag von Det Holbergske Samfund (Holbergsche Gesellschaft) heraus, welche nur kurzen Bestand hatte. Von ähnlich kurzer Dauer war die Selskabet til Udgivelse af Oehlenschlægers Skrifter (Gesellschaft für die Ausgabe der Schriften Oehlenschlægers). Nach dem Tod des Autors 1850 erschien zunächst eine anonyme Verlagsausgabe in 24 Bänden, kurz darauf jedoch erfolgte die Gründung der Gesellschaft, und der Auftrag für eine neue Ausgabe wurde in die Hände F. L. Liebenbergs gelegt. Dieser gab in den Jahren 1857–1862 mit Adam Oehlenschlægers Poetiske Skrifter (Poetische Schriften) in 32 Bänden die umfangreichste kritische Ausgabe des Jahrhunderts heraus. Verglichen mit den vielen sonstigen Projekten, in die Liebenberg involviert war, bestand die Herausforderung hier darin, sich den zahlreichen Korrekturen und ‚Verbesserungen‘ zu stellen, die der Autor im Laufe der Zeit in seinen eigenen Schriften von Ausgabe zu Ausgabe vorgenommen hatte. Liebenberg suchte sich bei seiner Ausgabe an die Erstveröffentlichungen zu halten und nicht – wie es bei neueren Autoren üblich war – an die letzte Version des Textes. Dass dies kein leichtes Unterfangen war, geht aus der von ihm im gleichen Jahr veröffentlichten Abhandlung hervor, die – abgesehen von den Diskussionen um die Edition der Volksweisen (vgl. oben, S. 102 ff.) – eine der äußerst wenigen editionsphilologischen Schriften des Jahrhunderts war: Einige Bemerkungen zur Textkritik in Oehlenschlägers Schriften. Einerseits betonte Liebenberg hier die moderne Perspektive des Primats der Erstausgabe: Schwankung und Willkür lassen sich nur umgehen, indem der zugrunde gelegte Text durchgängig derart in Ehren gehalten wird, dass von ihm nicht ohne entschiedene Notwendigkeit abgewichen wird. Die Vorgehensweise ist solchermaßen ganz die gängige, wenn erst festgestellt ist, dass die älteste Ausgabe zum Grundtext erhoben wird, während es der Kritik ansonsten natürlich erscheint, die letzte Ausgabe eines Autors als authentischen Grundtext anzusehen. (S. 200)
Andererseits gestattete er die Konstitution eines kontaminierten Textes mit der Formulierung, „dass der wahre Text wohl eigentlich der erste und ursprüngliche ist, jedoch nicht anders, als dass nicht auch einzelne gute Lesarten aus den verschiedenen späteren Redaktionen übernommen werden müssen“. Trotz seines Schwankens und seiner gelegentlichen Neigung zu Oehlenschlægers späteren ‚Verbesserungen‘ bereitete der Artikel grundlegend den Weg zur Berücksichtigung der Erstausgaben als natürlicher Textgrundlage für
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eine kritische Ausgabe, ein Standpunkt, der sich in der dänischen Editionsgeschichte ansonsten erst im 20. Jahrhundert durchsetzte. Die Einleitung zu den „Anmerkungen“ der Ausgabe hebt als deren Ziel hervor, Oehlenschlægers Werke vollständig in ihrer ursprünglichen Gestalt vorzulegen (Bd. 1, S. 365). Die Anmerkungen ermöglichen es, den verschiedenen Varianten zu folgen, indem zu jedem Text einleitend eine Übersicht über die zu Lebzeiten des Autors vorliegenden Ausgaben vorgelegt wird, sigliert mit A, B, C usw. und in Antiqua gehalten in einem ansonsten in Fraktur gesetzten Text. Nach einem Abschnitt mit sprachlichen und sachbezogenen Erläuterungen folgt, unter Angabe der Quelle der Abweichung, eine Übersicht über die Abweichungen der Edition vom Erstdruck. Im Rahmen der Edition neuerer dänischer Literatur werden hier vermutlich zum ersten Mal Siglen als Element eines Variantenapparats verwendet. Die zahlreichen Texte der Ausgabe waren nach Gattungen in insgesamt sechs Gruppen auf die Bände verteilt. Dies brachte mit sich, dass die epochemachende Debüt-Gedichtsammlung des Autors, Digte 1803 (Gedichte 1803), über mehrere Bände verteilt wurde; denn Oehlenschlæger hatte hier – als guter Dichter der Romantik – sowohl lyrische Dichtung als auch Romanzen und dramatische Texte mit aufgenommen. Konnte Liebenberg als Ausgangspunkt prinzipiell die Erstausgaben heranziehen, erwies sich die Durchführung des Prinzips in der praktischen Behandlung des einzelnen Textes als schwierig. Zum Verständnis eines Werkes als künstlerischer Einheit stellte sich die akademische Gattungssystematik quer und löste diese Einheit auf. 2.2.
Neuere Herausgebergesellschaften: Universitets-Jubilæets danske Samfund (Dänische Gesellschaft des UniversitätsJubiläums)
Anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Kopenhagener Universität im Jahr 1879 wurden zwei Herausgebergesellschaften gegründet: Zum einen Samfundet til udgivelse af gammel nordisk litteratur (Gesellschaft zur Herausgabe alter nordischer Literatur) mit Svend Grundtvig (1824–1883) als Initiator, tatsächlich eine Weiterführung von Det nordiske Literatur-Samfund (Nordische Literaturgesellschaft), die mit N. M. Petersen (1791–1862) als zentraler Figur in den Jahren 1847–1870 22 Werke nordischer Literatur des Mittelalters veröffentlicht hatte (siehe oben, S. 74). Nach der orange-roten Farbe der Buchumschläge bezeichnete man sie auch als ‚Die rote Gesellschaft‘, um sie von der Samfundet til den danske Literaturs Fremme (Gesellschaft zur Förderung der dänischen Literatur) zu unterscheiden, deren Umschläge in der Regel gelb, vereinzelt auch grün waren (so etwa die Staffeldt-Ausgabe).
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Bei der zweiten Gesellschaft handelt es sich um die Universitets-Jubilæets danske Samfund (Dänische Gesellschaft des Universitäts-Jubiläums, UJDS) mit dem Anglisten George Stephens (1813–1895) als treibender Kraft und mit dem Ziel, die Muttersprache und ihre Dialekte zu stärken. Zu ihren größten Projekten gehörten die Ausgabe des Wörterbuchs O. Kalkars zur älteren dänischen Sprache (1881–1907) und H. F. Feilbergs jütländisches Wörterbuch (1885–1914). Nach der Auflösung der Samfundet til den danske Literaturs Fremme (Gesellschaft zur Förderung der dänischen Literatur) 1886 überführte man den Großteil ihrer Mittel an die UJDS, und in den Folgejahren erarbeitete der Volkskundeforscher Axel Olrik (1864–1917) einen Plan zur Weiterführung der Edition Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder, siehe oben, S. 102 ff. und unten, S. 237). Etwa zur gleichen Zeit, als der Plan 1895 angenommen wurde, wurden Literatur und Volkskunde in der Satzung der UJDS der dänischen Sprache gleichberechtigt zur Seite gestellt. Die umfassende Arbeit an der großen Volksweisenausgabe wurde dadurch in ihrer Fortsetzung gesichert, wenngleich die Ausgabe erst 1976 mit Band 12 zum Abschluss kam. Vom Profil der SDLF unterschied sich das Profil der UJDS insofern, als sie sich in erster Linie auf ältere dänische Texte, Wörterbücher u. a. m. konzentrierte und dabei eine Zusammenarbeit mit Philologen und Bibliothekaren wie etwa Ludvig F. A. Wimmer (1839–1920) und Sophus Birket-Smith (1838– 1919) einging. Dies bedeutete, dass ältere Texte erst dann herausgegeben wurden, wenn sie von philologischem Interesse waren, während die neuere Literatur gänzlich außerhalb des Aufgabenportfolios lag. Keine der beiden neuen Herausgebergesellschaften konnte somit den Fokus der SDLF auf die neuere dänische Literatur ersetzen. 2.3.
Verband der Dänisch-Lehrer
Im Zuge einer Reform im Jahr 1883 richtete man Teile der akademischen Ausbildung in Dänemark nun in höherem Grad direkt auf die Gymnasien aus. Die Kandidaten wurden in einem Haupt- und zwei Nebenfächern ausgebildet (cand. mag., cand. scient. usw.). Dies brachte eine Stärkung der Ausbildung in den Einzelfächern und die Gründung einer Reihe fachlicher Vereinigungen mit sich. Die Dansklærerforeningen (Verband der Dänisch-Lehrer), gegründet 1885 u. a. durch Axel Sørensen (1851–1920), gab ab 1890 Schulausgaben dänischer literarischer Texte heraus. Die ersten kleinen Ausgaben ergänzten die Texte nicht immer um Erläuterungen. Es handelte sich dabei jeweils meist um eine bereits existierende, zuverlässige Ausgabe, oft eine kritische, falls eine solche vorlag, wobei man jedoch einen eventuell vorhandenen textkritischen
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Apparat nicht berücksichtigte. Stattdessen nahmen literatur- und kulturhistorische Einleitungen und Anmerkungen vor allem nach ca. 1910 mehr und mehr einen beträchtlichen Platz ein. Die ersten kleinen Hefte „Mit Erläuterungen herausgegeben vom Verband der Dänisch-Lehrer“ kamen 1890 im C. A. Reitzel Verlag heraus. Charakteristisch ist hier, dass diese zugleich in eine Reihe mit dem Titel Volksausgabe dänischer Autoren einging. Diese ersten Ausgaben waren in der Regel versehen mit einer Einleitung, kurzen Anmerkungen am Fuß der Seiten sowie einem Nachwort.7
3.
Verlagsausgaben
Bis hierher hat sich dieser Beitrag mit denjenigen Autoren des 18. Jahrhunderts beschäftigt, für die auch die Verleger, Herausgeber und Kritiker des 19. Jahrhunderts es als notwendig erachteten, sie auf unterschiedliche Weise neu herauszugeben und zu restaurieren. Dabei handelte es sich insbesondere um Ludvig Holberg, Johan Herman Wessel und Johannes Ewald. Doch wie stand es um die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts? Bis zu deren Lebensende oder kurz nach ihrem Tod wurden die wichtigsten Autoren in größeren und anonym redigierten Verlagsausgaben herausgebracht, unter denen Liebenbergs Oehlenschlæger-Ausgabe als Ausnahme hervorstach. Die Editoren gaben die Texte in der Regel in der letzten Redaktion des Autors wieder (‚Ausgabe letzter Hand‘), nach Gattungen geordnet und zumeist ohne Texterläuterungen oder Kommentare. Zwischen ca. 1825 und ca. 1885 erschienen untenstehende Ausgaben, die meisten von ihnen im C. A. Reitzel Verlag in Kopenhagen, wo der Großteil der wichtigsten Autoren der Zeit publizierte. In zahlreichen Fällen sind die Editoren postumer Ausgaben nicht bekannt. Eine Auswahl der wichtigsten Ausgaben, chronologisch geordnet nach dem Zeitpunkt des Erscheinens und mit den Namen der Editoren in Klammern, findet sich nachstehend: Jens Baggesen: Danske Værker (Dänische Werke), 12 Bde., 1827–1832 (C. Baggesen, A. Baggesen und C. J. Boye); 2. Ausg. (A. Baggesen), 12 Bde., 1845–1847. Poul Martin Møller: Efterladte Skrifter (Nachgelassene Schriften), 3 Bde., 1839– 1843 (Chr. Winther, F. C. Olsen und Chr. Thaarup); 2. Ausg., 6 Bde., 1848–1850 (L. V. Petersen ergänzender Herausgeber); 3. Ausg., 1855–1856. ____________ 7
Die ersten Bände bzw. kleinen Hefte von 1890 umfassten: L. Holberg: Det lykkelige Skibbrud (von C. Dorph), Th. Gyllembourg: Ekstremerne (von Axel Sørensen), J. L. Heiberg: Recensenten og Dyret (von F. Christensen), Chr. Winther: Hjortens Flugt (von V. Dahlerup) und St. St. Blicher: Brudstykker af en Landsbydegns Dagbog (von G. W. Hornemann).
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Adam Oehlenschläger: Digterværker og prosaiske Skrifter (Dichtungen und Prosaschriften), 24 Bde., 1851/52. H.C. Andersen: Samlede Skrifter (Gesammelte Schriften), 33 Bde., 1854–1879; 2. Ausg., 15 Bde., 1876–1880. Adam Oehlenschläger: Poetiske Skrifter (Poetische Schriften), 32 Bde., 1857–1862 (F. L. Liebenberg). Christian Winther: Samlede Digtninger (Gesammelte Dichtungen), 11 Bde., 1860– 1872 (Chr. Winther und F. L. Liebenberg). N. F. S. Grundtvig: Poetiske Skrifter (Poetische Schriften), 9 Bde., hiervon Bd. 1–5 (Svend Grundtvig), 1880–1883, Bd. 6–7 (C. J. Brandt), 1885/89, Bd. 8–9 (Georg Christensen), 1929/30. St. St. Blicher: Samlede Noveller og Skizzer. Ordnede efter Tidsfølgen (Gesammelte Novellen und Skizzen. Chronologisch geordnet), 4 Bde., 1882 (Hans Hansen).
Über die hier genannten Ausgaben hinaus erschienen entsprechende Ausgaben von Autoren wie B. S. Ingemann (1843–1865), J.L. Heiberg (1848/49 und 1861/62), Thomasine Gyllembourg (1849–1851, 1866/67 und 1884), H. C. Ørsted (1851/52), Henrik Hertz (1854–1873), Carl Bernhard (1856/57 und 1869–1871), Carl Bagger (1866/67), Carsten Hauch (1873/74) und Frederik Paludan-Müller (1878/79). Die Grundtvig-Ausgabe hob sich ab, indem sie sich auf Grundtvigs weltliche Lyrik konzentrierte und von den zahlreichen, andernorts erschienenen Kirchenliedern und Ähnlichem absah.8 Die Ausgabe folgte einer streng chronologischen Ordnung nach dem Entstehungs- und nicht dem Erscheinungszeitpunkt der Texte. Gedruckte und ungedruckte Texte standen somit nebeneinander, die Komposition der ursprünglichen Lyriksammlungen war aufgelöst worden. Die Rechtschreibung war entsprechend der zum jeweiligen Erscheinungszeitpunkt gültigen modernisiert. 1896 wurde der C. A. Reitzel Verlag, bei dem die meisten der zahlreichen Ausgaben erschienen waren, im Zuge eines erbitterten Wettbewerbs mit dem Erfolgsverleger und Leiter des Nordisk Forlag Ernst Bojesen (1849–1925) vom Verlag Gyldendal aufgekauft. Unter Leitung Peter Nansens (1861–1918) brachte Gyldendal erneut eine Reihe der großen Autoren des 19. Jahrhunderts in präsentablen Ausgaben heraus. In Übereinstimmung mit früherer Praxis wa____________ 8
N. F. S. Grundtvig: Sang-Værk til den danske Kirke, 5 Bde., 1837–1881; die ersten Bände vom Verfasser, die folgenden von J. Kr. Madsen herausgegeben. Der Stoff folgt nicht chronologischer, sondern theologischer Ordnung und wird unterstützt durch Quellenangaben, Variantenapparat und Register. Neue Ausgabe, 8 Bde. (Uffe Hansen u. a.), 1944–1964.
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ren die Ausgaben in der Regel auf Grundlage der letzten Revision eines Autors konstituiert, nahezu ausnahmslos ausgestattet lediglich mit spärlichen oder gänzlich ohne Texterläuterungen und ohne Anmerkungen oder Kommentare.9 Wie aus untenstehender Liste ersichtlich, war nun nicht länger die Rede von ‚gesammelten‘ Schriften, sondern zumeist von ‚ausgewählten‘ Schriften. Zugleich ersetzte man den alten Fraktursatz in den meisten Fällen durch die Antiqua. Auf diese Weise erschien in den Jahren 1895–1905 noch einmal eine Reihe von Ausgaben der bekannten Autoren des 19. Jahrhunderts. In jenen Jahren, als die sogenannten ‚Autoren des goldenen Zeitalters‘ solchermaßen in einer Werkausgabe nach der anderen vorgelegt wurden, gab man auch die dänischen Autoren, die nach 1870 auf den Plan getreten waren und der Moderne zum Durchbruch verholfen hatten, in bandstarken Reihen zumeist unmittelbar nach ihrem Tod heraus. Dies erfolgte, kaum überraschend, auf die gleiche Weise, d. h. auf Basis der letzten Textrevision des Autors und nach Gattungen geordnet (nicht chronologisch) und ohne Texterläuterungen, Einleitungen oder Kommentare. Hier seien nur einige wenige Beispiele aufgeführt:10 Georg Brandes: Samlede Skrifter (Gesammelte Schriften), 12 Bde., 1899–1902; Bd. 13–18, 1903–1910 (hrsg. von Georg Brandes). Sophus Schandorph: Fortællinger (Erzählungen), 2 Bde., 1901; Romaner, 6 Bde., 1904/05. Holger Drachmann: Samlede poetiske Skrifter (Gesammelte poetische Schriften), 12 Bde., 1906–1909 (hrsg. von Peter Nansen und Otto Borchsenius). Herman Bang: Værker i Mindeudgave (Werke, Gedenkausgabe), 6 Bde., 1912 (hrsg. von Johan Knudsen und Peter Nansen).
Betrachtet man die zahlreichen Verlagsausgaben, so fällt auf, dass die Textkritik und Kommentierung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts den Autoren des vorausgegangenen Jahrhunderts allmählich zuteil geworden war, für die Autoren des eigenen Jahrhunderts nicht weitergeführt wurde. Die zwischen ca. 1840 und 1900 erschienenen Ausgaben gesammelter und ausgewählter Werke waren in der Regel durch die Autoren selbst oder deren Kinder sowie ____________ 9
10
Als Beispiel für den Respekt vor dem letztgültigen Autorwillen des Verfassers sei die kurze Notiz am Ende des ersten Bandes von Fr. Paludan-Müllers Poetiske Skrifter, 1878, angeführt: „In der jetzigen Ausgabe erscheinen die einzelnen Arbeiten in jener Gestalt, die sie zuletzt durch die Hand des Dichters empfangen haben und die seinem Wunsch gemäß die endgültige und unveränderliche bleiben sollte.“ Hier wird von vollständigen Ausgaben der norwegischen Autoren Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson, Jonas Lie, Alexander Kielland und Amalie Skram abgesehen, obwohl auch diese sämtlich bei Kopenhagener Verlagen erschienen. (Vgl. dazu den Beitrag Textkritische Ausgaben norwegischer Literatur im 20. Jahrhundert im vorliegenden Band.)
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durch anonyme Verlagsredakteure eingerichtet. Die in die Ausgaben eingehenden Texte waren in aller Regel bereits zuvor gedruckt worden. Es existierten keine bzw. lediglich wenige Manuskripte und ungedruckte Texte, auf die man sich hätte beziehen müssen, und da das Prinzip der Ausgabe letzter Hand festgeschrieben war, so lagen auch – mit den erwähnten Ausnahmen – keine erkennbaren Varianzprobleme oder andere textkritische Schwierigkeiten vor, zu denen hätte Stellung genommen werden müssen. Die Schriftsprachennorm war annähernd stabil, und die Verständnisschwierigkeiten seitens des gebildeten Publikums, an das die Editionen sich richteten, waren so gering, dass eine Kommentierung nicht erforderlich war oder zumindest nicht als erforderlich angesehen wurde. Hier soll die Problematik zuletzt an einem einzelnen Beispiel gezeigt werden. In den Jahren 1889–1903 gab August Arlaud (1828–1914) Jens Baggesens Poetiske Skrifter (Poetische Schriften) in fünf Bänden heraus; diese ließen sich mithin in die obenstehenden Liste einordnen. Die Ausgabe besaß indessen einen grundlegend anderen Charakter; sie war nach Gattungsgesichtspunkten angeordnet und mit noch mehr Bänden geplant, die jedoch aufgrund sinkender Verkaufszahlen aufgegeben werden mussten. In einer Reihe charakteristischer Punkte unterschied sich Arlauds Arbeit von den zahlreichen Verlagsausgaben und weist insofern bereits in Richtung des 20. Jahrhunderts, denn sie war eine bewusst textkritische Ausgabe, die Handschriftenmaterial heranzog und – wie auch die Ausgabe von Grundtvigs Poetiske Skrifter – chronologisch rein nach dem Entstehungszeitpunkt aufgebaut war, „sodass der Leser durch die Ordnung der Gedichte soweit wie möglich befähigt wird, dem Autor in seinen wechselnden Stimmungen und seiner fortschreitenden Entwicklung sowohl als Mensch wie auch als Dichter zu folgen“. Arlaud war sich vollständig darüber im Klaren, dass die chronologische Ordnung in direktem Widerspruch zum anderen Prinzip stand, das er befolgte, nämlich die letzte Redaktion des Autors anstelle der ersten zu respektieren. Die romantische, genetische Perspektive, die mit der Konsequenz, mit welcher Arlaud sie hier vorbringt, auch zu einer modernen Perspektive wird, steht im Kontrast zur letzten Version des Verfassers als autoritativem Text. Dabei handelte es sich um einen Konflikt, der, wie gezeigt, zuvor bereits F. L. Liebenberg große Schwierigkeiten bereitet hatte und der in verschiedenen Spielarten das gesamte 19. Jahrhundert hindurch auftrat. Insbesondere August Arlauds eingehende Kommentierung kann insofern als bemerkenswert gelten, als sie sowohl sämtliche Textvarianten als auch einen reichhaltigen Sachkommentar enthielt. Letzteres erklärte der Editor mit der historischen Distanz, in der die Texte nun standen:
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[…] leider liegt das schriftstellerische Wirken des Dichters unserer Zeit schon so hinreichend fern, dass es mir […] trotz aller aufgewandten Mühe an vielen Stellen zumindest bis jetzt nicht möglich war, die wünschenswerte Erläuterung zu beschaffen. Ich habe es mir zur Regel gemacht, keine Fragen zurückzuhalten, die ich solchermaßen habe unbeantwortet lassen müssen, sondern ich habe mich ganz im Gegenteil bemüht, überall in den Anmerkungen die Aufmerksamkeit hierauf zu richten; desto eher, wage ich zu hoffen, wird sich die Möglichkeit ergeben, die Lakunen mit dem wohlwollenden Beistand kundigerer Leser aufzufüllen. (S. VI)
Erst zum Ende des Jahrhunderts wurde die historische Distanz zu den Autoren als hermeneutisches Problem reflektiert.
4.
Brief-Editionen des 19. Jahrhunderts
In den 1790er Jahren war eine kleinere Anzahl Briefsammlungen, fachkundig herausgegeben u. a. von Rasmus Nyerup, erschienen; in der Folge verschwanden Briefausgaben indessen für mehr als 50 Jahre vollständig vom dänischen Buchmarkt und tauchten erst ab ca. 1860 wieder auf, als die großen Autoren des 19. Jahrhunderts nach und nach verstarben. Einzige Ausnahmen vor 1860 waren Johannes Ewalds und Schack von Staffeldts Briefe, die in die Ausgaben F. L. Liebenbergs von 1855 und 1843 eingingen. Als Briefausgaben wieder auf den Markt kamen, konnten sie oft als eine Art biografischer Nachlese zu den zahlreichen, in jenen Jahren von den Verlagen publizierten Werkausgaben verkauft werden, aus denen gerade die biografischen Einleitungen zunehmend verschwunden waren. Die Brief-Editionen wurden in der Regel nicht von den existierenden Herausgebergesellschaften besorgt, sondern von Angehörigen oder engen Freunden, wie aus der folgenden chronologischen Übersicht ersichtlich wird (Herausgeber und evtl. Herausgebergesellschaft in Klammern): Breve til og fra Johan Ludvig Heiberg (Briefe an und von Johan Ludvig Heiberg), 1862 (C. G. Andræ und A. F. Krieger). Breve til og fra F. C. Sibbern (Briefe an und von F. C. Sibbern), 2 Bde., 1866 (C. L. N. Mynster). Breve fra og til Hans Christian Ørsted (Briefe von und an Hans Christian Ørsted), 2 Bde., 1870 (Mathilde Ørsted). Breve til Hans Christian Andersen (Briefe an Hans Christian Andersen), 1877 (C. St. A. Bille und Nikolaj Bøgh). Breve fra Hans Christian Andersen (Briefe von Hans Christian Andersen), 2 Bde., 1878 (C. St. A. Bille und Nikolaj Bøgh).
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Breve til og fra Bernh. Sev. Ingemann (Briefe van und von Bernh. Sev. Ingemann), 1879 (Victor Heise). Mindeblade om Oehlenschläger og hans Kreds hjemme og ude: i Breve til og fra ham (Erinnerungsblätter zu Oehlenschläger und seinem Kreis daheim und auswärts: Briefe an und von Oehlenschläger), 1879 (C. L. N. Mynster). Breve fra og til Chr. Winther (Briefe von und an Chr. Winther), 1880 (F. L. Liebenberg). Om Karen Margrethe Rahbeks Brevvexling og hendes Correspondenter. Meddelelser af efterladte Breve (Über Karen Margrethe Rahbeks Briefwechsel und ihre Briefpartner. Mitteilungen aus nachgelassenen Briefen), 1881 (P. H. Boye). Grundtvig og Ingemann. Brevvexling 1821–59 (Grundtvig und Ingemann. Briefwechsel 1821–59), 1882 (Svend Grundtvig, SDLF). Peter Andreas Heiberg og Thomasine Gyllembourg. En Beretning støttet paa efterladte Breve (Peter Andreas Heiberg und Thomasine Gyllembourg. Ein auf nachgelassene Briefe gestützter Bericht). 2 Bde., 1882 (Johanne Luise Heiberg). Breve fra Peter Andreas Heiberg (Briefe von Peter Andreas Heiberg), 1883 (J. L. Heiberg). Til Belysning af literære Personer og Forhold i Slutningen af det 18de og Begyndelsen af det 19de Aarhundrede (Zur Beleuchtung literarischer Personen und Verhältnisse am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts), 1884 (S. BirketSmith). Efterladte Papirer fra den Reventlowske Familiekreds i Tidsrummet 1770–1827. Meddelelser af Arkiverne paa Pederstrup og Brahe-Trolleborg (Nachgelassene Dokumente des Reventlow’schen Familienkreises im Zeitraum 1770–1827. Mitteilungen der Archive Pederstrup und Brahe-Trolleborg), 10 Bde., 1895–1931 (Louis Bobé). Breve fra og til Henrik Hertz (Briefe von und an Henrik Hertz), 1895 (Poul Hertz). Breve fra og til C. Hostrup (Briefe von und an C. Hostrup), 1897 (Elisabeth Hostrup). Breve fra J. P. Jacobsen (Briefe von J.P. Jacobsen), 1899 (Edvard Brandes).
Publiziert wurden die Briefe als charakteristischer und lebendiger Ausdruck der verstorbenen Person oder weil sie Einblicke in bestimmte Künstlerkreise oder ein kulturelles Milieu gaben. 1870 schrieb Mathilde Ørsted auf zeittypische Weise über die Publikation der Briefe ihres Vaters:
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Diese Briefe werden nun veröffentlicht in der Hoffnung, dass sie bei den vielen Freunden und Schülern H. C. Ørsteds ein lebendiges Bild von ihm hervorrufen mögen, und dass sie bei diesen sowie bei anderen, die ihm ferner standen, den stärkenden und veredelnden Eindruck schaffen, den man immer dann empfängt, wenn man von einem wahren und edlen Charakter beeinflusst wird, von einem Geist, der stetig nach dem Höchsten strebt, und der durchdrungen ist von einem warmen Gefühl für Wahrheit und Recht und von der Liebe zu Gott und den Menschen. (S. [II])
27 Jahre später, 1897, begründete Elisabeth Hostrup entsprechend die Ausgabe der Briefe ihres Vaters damit, dass sie „Hostrups Charakter, Ausrichtung und Entwicklung so klar zeichneten“. Bei der Edition habe sie sich „nicht von literaturhistorischen Rücksichten leiten lassen […], sondern nur von dem Wunsch, eine wahre Schilderung Hostrups durch seine eigenen Worte zu geben, wie sie frei von Bedenken aus seinem Inneren mit der Frische des Augenblicks strömen“ (S. 639 f.). Bei den Ausgaben handelt es sich somit ganz überwiegend um private Korrespondenzen, eventuell Reisebriefe. Nur äußerst selten haben sie verlegerische Geschäftssachen und ausgabenbezogene Einzelheiten in Verbindung mit dem Œuvre oder auch Fragen zum Verständnis der Werke eines Autors zum Gegenstand. Die zahlreichen Briefausgaben wurden in der Regel eingeleitet durch 1) ein kurzes, persönlich gehaltenes Vorwort, und 2) ein knappes Verzeichnis der Briefempfänger (evtl. auch der Briefabsender); hierauf folgten 3) die Briefe in chronologischer Reihenfolge, u. U. begleitet von einigen wenigen Fußnoten. Im Gegensatz zur einheitlichen Einrichtung, die über mehr als ein halbes Jahrhundert die Werkausgaben der Verlage geprägt hatte, lässt sich innerhalb der Briefausgaben ein Bestreben erkennen, die Ausgaben zu entwickeln. Überraschenderweise leiten diese damit in weit höherem Grad als die zeitgenössischen Werkausgaben hin zur wissenschaftlichen Edition des 20. Jahrhunderts. Die Argumente, welche auftauchten, wurzeln in der Romantik und handelten vom Verständnis einer Autorpersönlichkeit in ihrer präzise festgelegten historischen Entwicklung und ihrem jeweils erläuterten Kontexts. Es war diese Art von Anschauung, die sich – ausnahmsweise und in sich widersprüchlich – nach 1880 in den Werkausgaben Svend Grundtvigs und August Arlauds Bahn brach. In seiner Ausgabe der Briefe B. S. Ingemanns von 1879 plädierte Victor Heise (1825–1890) für eine feste chronologische Ordnung der Briefe, um dadurch ein „organisches Ganzes“ zu sichern sowie auch die Widerspiegelung „einer Persönlichkeit, wie sie sich unter dem fortschreitenden Zeitgeist und den wechselnden Gesellschafts- und Privatverhältnissen entwickelt. Nach ihrem Ideal muss eine Briefsammlung ein lebendiges Wachstum abbilden“
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(S. IV). Eben um die Briefe in dem literarischen und kulturellen Kontext festzuhalten, der zu ihrer Bedeutung beiträgt, müssten ihnen außerdem solche Kommentare beigegeben werden, die die Werkausgaben nicht als notwendig erachteten. Heises Ausgabe beinhaltete außerdem erstmals 1) ein vollständiges Personenregister, 2) ein Register über die in den Briefen erwähnten Werke Ingemanns und schließlich 3) ein Register über die in der Ausgabe nicht enthaltenen Absender, von denen sich nicht edierte Briefe in Ingemanns Archiv befinden. Drei Jahre später, 1882, gab Svend Grundtvig (1824–1883) den Briefwechsel seines Vaters mit B. S. Ingemann heraus nach dem Prinzip „alles, was vorhanden ist, und alles, wie es vorhanden ist“ (Vorwort, S. LX); ausgenommen von diesem Editionskonzept, das auch von Svend Grundtvigs Konzeption der Ausgabe Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder) bekannt ist, waren einzig Rechtschreibung und Zeichensetzung, wo der Editor – wie auch in der Ausgabe der Poetiske Skrifter (Poetische Schriften) Grundtvigs – seinen eigenen Prinzipien folgte. Auch hier finden sich laufende Kommentare in Form von Fußnoten, jedoch keine Register. Die sehr lange Einleitung gab eine nüchterne und chronologisch aufgebaute Charakteristik des Verhältnisses zwischen den beiden Briefpartnern und zitierte außerdem eine Reihe erläuternder Dokumente in Form von Widmungen, Artikeln und Reden. Diese Übersicht deutet an, auf welche Weise Fachleute, nämlich Philologen und Archivare wie Svend Grundtvig, Sophus Birket-Smith (1838–1919) und Louis Bobé (1867–1951), allmählich als Editoren von Briefen des 19. Jahrhunderts auf den Plan traten. Sie kamen nicht aus jenen literaturhistorischen Fachgebieten neuphilologischer Prägung, wie wir sie heute kennen, sondern waren in der Edition mittelalterlicher Literatur geschulte Historiker mit Verankerung in fachspezifischen Institutionen wie der UJDS und der Königlichen Bibliothek. Ihre fachliche und professionelle Einstellung in Form einer modernen, quellenkritischen Haltung und Schulung wies auf die editorische Arbeit mit neuerer dänischer Literatur im folgenden Jahrhundert voraus. Der Historiker Kristian Erslev (1852–1930) hatte gemeinsam mit anderen Historikern seiner Generation 1877 die Selskabet for Udgivelse af Kilder til dansk Historie (Gesellschaft zur Edition von Quellen der dänischen Geschichte, ‚Quellenschriftgesellschaft‘) gegründet, die im Wesentlichen ältere historische Quellen der Zeit vor 1800 herausgab. Die Editionen der Gesellschaft wurzelten in der systematischen und methodischen Schulung in quellenkritischer Arbeit, die ab ca. 1890 Teil des Geschichtslehrplans an der Kopenhagener Universität war. Um den Jahrhundertwechsel muss dies ein wesentlicher Grund für den gesteigerten Respekt der Philologen für Erstausgaben (anstelle
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von ‚Ausgaben letzter Hand‘) gewesen sein, für die eigene Orthografie eines Autors (anstelle einer akademischen Norm) sowie für eine chronologische Ordnung der Texte (anstelle einer gattungsbezogenen) – mit anderen Worten, für eine zunehmend kritische Haltung gegenüber den zahlreichen Verlagsausgaben, die in so großem Umfang den Buchmarkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts dominiert hatten. Diese bildeten somit einen Hintergrund für die Wiederaufnahme der systematischen Editionsarbeit, für die die SDLF bis zu ihrer Auflösung 1886 gestanden hatte, nun jedoch auf einer modernen Grundlage. Aus dem Dänischen von Sibylle Söring
Abstract This article provides an overview of 19th-century editions of modern Danish literature. We describe the most important editors and publishing societies (in particular the Society for the Promotion of Danish Literature (Samfundet til den danske Literaturs Fremme) 1827–1886 and UJDS (Universitets-Jubilæets danske Samfund) 1879 ff. Editions during this period centred partly on 18thcentury literature (Ludvig Holberg, J. H. Wessel and Johannes Ewald), and partly on authors active at the turn of the 18th and 19th centuries (Jens Baggesen and A. W. Schack von Staffeldt). Until approximately 1860, editors’ introductions tended to consist of biographical information or combined descriptions of the author’s life and work. In some cases, of which Georg Brandes is the clearest example, these introductions evolved around 1875 to include descriptions of actual textual characteristics, although philological work was delegated to textual editors. Here the question of variants played a modest role, as academic norms legitimised unidirectional emendations, often based on authors’ final editions, while commentaries keyed to the lemma became ever more refined, albeit with no real distinction between comments on verbal and non-verbal issues. Debates on philological questions in textual criticism played only a minor role throughout the century. Conceptual, theoretical treatises were extremely limited in number and we have to seek editors’ methodological standpoints in the brief comments and guidelines contained in introductions and afterwords. From around 1880, in particular in the case of editions of letters, there was a noticeable move towards greater professionalism, as philologists and archivists trained in historical and textual criticism took over the work of preparing such
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editions from family members. The influence of this scholarly approach led to wider respect for first editions, for the author’s own orthography and for chronological (rather than genre-based) arrangements of the actual text, leading gradually to the production of critical editions in the years shortly before and after 1900. Literary works produced in the 19th century (ranging from Adam Oehlenschläger via H. C. Andersen to J. P. Jacobsen and Herman Bang) were published almost exclusively in non-critical editions, generally as Ausgaben letzter Hand (a definitive edition of collected works supervised by the author) and edited according to a genre-based scheme.
Literaturverzeichnis Editionen Aarestrup, Emil: Efterladte Digte. Hrsg. von F. L. Liebenberg und Chr. Winther. Kopenhagen 1863 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Aarestrup, Emil: Samlede Digte. Med en Charakteristik af Digteren ved Georg Brandes. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1877. Andersen, H. C.: Samlede Skrifter. 33 Bde. Kopenhagen 1854–1879. 2. Aufl.: 15 Bde. 1876–1880. Andersen, H. C.: Breve til Hans Christian Andersen. Hrsg. von C. St. A. Bille und Nikolaj Bøgh. Kopenhagen 1877. Andersen, H. C.: Breve fra Hans Christian Andersen. Hrsg. von C. St. A. Bille und Nikolaj Bøgh. 2 Bde. Kopenhagen 1878. Andersen, H. C.: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von Vilh. Andersen. 12 Bde. Kopenhagen 1898–1901. Arreboe, Anders: Anders Christensen Arrebos Levnet og Skrifter. Hrsg. von H. F. Rørdam. 2 Bde. Kopenhagen 1857 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Bagger, Carl: Samlede Værker. Hrsg. von Vilh. Møller. 2 Bde. Kopenhagen 1866–1867. Baggesen, Jens: Danske Værker. Hrsg. von C. Baggesen, A. Baggesen und C. J. Boye. 12 Bde. Kopenhagen 1827–1832. 2. Aufl.: Hrsg. von A. Baggesen. 12 Bde. 1845–1847. Baggesen, Jens: Værker. 8 Bde. Kopenhagen 1882. Bang, Herman: Værker i Mindeudgave. Hrsg. von Johan Knudsen und Peter Nansen. 6 Bde. Kopenhagen 1912. Bernhard, Carl: Samlede Noveller og Fortællinger. 14 Bde. Kopenhagen 1856/57 und 1869–1871. Bernhard, Carl: Udvalgte Skrifter (mit einer Lebensschilderung von H. Schwanenflügel). 12 Bde. Kopenhagen 1895–1897. [Bibelen.] Den ældste danske Bibeloversættelse, eller det Gamles Testamentes otte første Bøger, fordanskede efter Vulgata. Hrsg. von Chr. Molbech. Kopenhagen 1828. Blicher, St. St.: Samlede Noveller og Skizzer. Ordnede efter Tidsfølgen. Hrsg. von Hans Hansen. 4 Bde. Kopenhagen 1882. Brandes, Georg: Samlede Skrifter. Hrsg. von Georg Brandes. 12 Bde. 1899–1902. Bd. 13–18. Kopenhagen 1903–1910. Bredahl, C.: Dramatiske Scener. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 6 Bde.. Zweite, gekürzte Ausg. Kopenhagen 1855 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Drachmann, Holger: Samlede poetiske Skrifter. Hrsg. von Peter Nansen und O. Borchsenius. 12 Bde. Kopenhagen 1906–1909. Ewald, Johannes: Samtlige Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 8 Bde. Kopenhagen 1850–1855 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Ewald, Johannes: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1855.
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Christian Falster: Satirer. Med en Afhandling om Digterens Levnet og Skrifter udgivet og ved Anmærkninger oplyste. Hrsg. von Christen Thaarup. Kopenhagen 1840 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). [Folkeviser.] Udvalgte Danske Viser fra Middelalderen. Hrsg. von K. L. Rahbek, W. Abrahamson und R. Nyerup. 5 Bde. Kopenhagen 1812–1814. Goldschmidt, M. A.: Poetiske Skrifter. Hrsg. von Adolph Goldschmidt. 8 Bde. Kopenhagen 1896– 1898. Grundtvig, N. F. S.: Poetiske Skrifter. 9 Bde, davon 1–5 hrsg. von Svend Grundtvig Kopenhagen 1880–1883. 6 und 7 hrsg. von C.J. Brandt 1885–1889. 8 und 9 hrsg. von Georg Christensen 1929/30. Grundtvig, N.F.S.: Grundtvig og Ingemann. Brevvexling. Hrsg. von Svend Grundtvig. Kopenhagen 1821–1859, 1882 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Gyllembourg, Thomasine: Skrifter. 12 Bde. 1849–1851 und 1866–1867. Samlede Skrifter 12 Bde. Kopenhagen 1884 Hansen, F. J.: Poetiske Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 2 Bde. Kopenhagen 1857. Harpestreng, Henrik: Henrik Harpestrengs Danske Læsebog fra det 13. Aarhundrede, første Gang udgivet efter et Pergamentshaandskrift i Det store kongelige Bibliothek, med Indledning, Anmærkninger og Glossarium. Hrsg. von Chr. Molbech. Kopenhagen 1826. Hauch, Carsten: Samlede Romaner og Fortællinger. Hrsg. von A. G. Ø. Hauch. 7 Bde. Kopenhagen 1873/74. Hauch, Carsten: Samlede Digte. Hrsg. von A.G.Ø. Hauch. 2 Bde. Kopenhagen 1891. Hauch, Carsten: Samlede Romaner og Fortællinger. 7 Bde. Kopenhagen 1903–1905. Heiberg, J. L.: Poetiske Skrifter. 8 Bde. Kopenhagen 1848–1849. 2. Aufl.: 11 Bde. 1861/62; Prosaiske Skrifter. 11 Bde. 1861/62. Heiberg, J. L.: Breve til og fra Johan Ludvig Heiberg. Hrsg. von C. G. Andræ und A. F. Krieger. Kopenhagen 1862. Heiberg, P. A.: Samlede Skuespil. Hrsg. von K. L. Rahbek. 3 Bde. Kopenhagen 1806, 1819. Heiberg, P. A.: Peter Andreas Heiberg og Thomasine Gyllembourg. En Beretning støttet paa efterladte Breve. Hrsg. von Johanne Luise Heiberg. 2 Bde. Kopenhagen 1882. Heiberg, P. A.: Breve fra Peter Andreas Heiberg. Hrsg. von J.L. Heiberg. Kopenhagen 1883. Hertz, Henrik: Dramatiske Værker. 18 Bde. Kopenhagen 1854–1873. Hertz, Henrik: Breve fra og til Henrik Hertz. Hrsg. von Poul Hertz. Kopenhagen 1895. Hertz, Henrik: Udvalgte dramatiske Værker. Hrsg. von Poul Hertz. 8 Bde. Kopenhagen 1897. Holberg, Ludvig: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von K. L. Rahbek. 21 Bde. Kopenhagen 1804–1814. Holberg, Ludvig: Peder Paars. Efter Forfatterens sidste udgave, med de øvrige Udgavers afvigende Læsemaader og med dertil føjede Anmærkninger udgivet. Hrsg. von A.E. Boye. 1823. 5. Aufl.: Kopenhagen 1865. Holberg, Ludvig: Comoedier. Hrsg. von K.L. Rahbek und A.E. Boye. 7 Bde. Kopenhagen 1824– 1832. Holberg, Ludvig: Fabler. Paany udgivne med en Fortale. Hrsg. von A. E. Boye. Kopenhagen 1832. Holberg, Ludvig: Den danske Skueplads eller Ludvig Holbergs samtlige Comoedier i ét Bind. Udgivne med Anmærkninger, og et Tillæg, indeholdende adskillige Oplysninger m.m. Hrsg. von A. E. Boye. Kopenhagen 1843. 2. Aufl.: 1852. Holberg, Ludvig: Comoedier. Udgivne, med Anmærkninger under Texten, Indledninger og Oplysninger til ethvert Lystspil. Hrsg. von Chr. Molbech. Bd. 1. Kopenhagen 1843 [unabgeschlossen]. (Det holbergske Samfund). Holberg, Ludvig: Comedier. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 8 Bde. Kopenhagen 1847–1854 (Det holbergske Samfund). Holberg, Ludvig: Peder Paars. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1856. 4. Aufl.: 1885 (Det holbergske Samfund). Holberg, Ludvig: Heltehistorier. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 2 Bde. Kopenhagen 1864–1865 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Holberg, Ludvig: Epistler, udgivne med oplysende Anmærkninger. Hrsg. von Chr. Bruun. 5 Bde. Kopenhagen 1865–1875 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Holberg, Ludvig: Mindre poetiske Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1866 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme).
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Holberg, Ludvig: Kirkehistorie. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 2 Bde. Kopenhagen 1867–1868 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Hostrup, C.: Breve fra og til C. Hostrup. Hrsg. von Elisabeth Hostrup. Kopenhagen 1897. Ingemann, B. S.: Samlede Skrifter. 41 Bde. Kopenhagen 1843–1865. [Einige Bde. erschienen in 2., 3. und 4. Ausgabe.] Ingemann, B.S.: Breve til og fra Bernh. Sev. Ingemann. Hrsg. von Victor Heise. Kopenhagen 1879. Jacobsen, J. P.: Breve fra J. P. Jacobsen. Hrsg. von Edvard Brandes. Kopenhagen 1899. Kingo, Thomas: Psalmer og aandelige Sange. Hrsg. von P. A. Fenger. Kopenhagen 1827. 2. Aufl.: 1850. Laale, Peter: Peder Lolles Samling af danske og latinske Ordsprog, optrykt efter den ældste Udgave af Aar 1506 og med Anmærkninger oplyst. Hrsg. von Rasmus Nyerup. Kopenhagen 1828 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Møller, Poul Martin: Efterladte Skrifter. Hrsg. von Chr. Winther, F. C. Olsen und Chr. Thaarup. 3 Bde. Kopenhagen 1839–1843. 2. Aufl.: 6 Bde. (L. V. Petersen Mitherausgeber). 1848–1850. 3. Aufl.: 1855–1856. Møller, Poul Martin: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von Vilh. Andersen. 2 Bde. Kopenhagen 1895. Oehlenschläger, Adam: Digterværker og prosaiske Skrifter. 24 Bde. Kopenhagen 1851–1852. Oehlenschläger, Adam: Poetiske Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg (Selskabet til Udgivelse af Oehlenschlägers Skrifter). 32 Bde. Kopenhagen 1857–1862. Oehlenschläger, Adam: Mindeblade om Oehlenschläger og hans Kreds hjemme og ude: i Breve til og fra ham. Hrsg. von C. L. N. Mynster. Kopenhagen 1879. Oehlenschläger, Adam: Poetiske Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg und A. Boysen. 15 Bde. Kopenhagen 1895–1897. Paludan-Müller, Frederik: Poetiske Skrifter. 8 Bde. Kopenhagen 1878/79. Paludan-Müller, Frederik: Poetiske Skrifter i Udvalg. 8 Bde. Kopenhagen 1901/02. Pram, C.: Udvalgte digteriske Arbeider. Hrsg. von K. L. Rahbek 6 Bde. Kopenhagen 1824–1829. Rahbek, K. M.: Om Karen Margrethe Rahbeks Brevvexling og hendes Correspondenter. Meddelelser af efterladte Breve. Hrsg. von P. H. Boye. Kopenhagen 1881. [Reventlow] Efterladte Papirer fra den Reventlowske Familiekreds i Tidsrummet 1770–1827. Meddelelser af Arkiverne paa Pederstrup og Brahe-Trolleborg. Hrsg. von Louis Bobé. 10 Bde. Kopenhagen 1895–1931. [Rimkrøniken] Den danske Riimkrønike, trykt paany, med afvigende Læsemaader i sildigere Udgaver og Ordforklaringer. Hrsg. von Chr. Molbech. Kopenhagen 1825. Rostgaard, Frederik: Aktstykker og Breve til Oplysning om Frederik Rostgaard og hans Samtid. Hrsg. von Chr. Bruun. Kopenhagen 1871 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Samsøe, O. J.: Efterladte digteriske Skrifter. Hrsg. von K. L. Rahbek. 2 Bde. Kopenhagen 1796. Schandorph, Sophus: Fortællinger. 2 Bde. Kopenhagen 1901. Schandorph, Sophus: Romaner. 6 Bde. Kopenhagen 1904–1905. Sibbern, F. C.: Breve til og fra F. C. Sibbern. Hrsg. von C. L. N. Mynster. 2 Bde. Kopenhagen 1866. Staffeldt, A. Schack von: Samlede Digte. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 2 Bde. Kopenhagen 1843 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Staffeldt, A. Schack von: Samlinger til Schack Staffeldts Levnet, fornemmelig af Digterens efterladte Haandskrifter (umfasst Chr. Molbechs Staffeldt-Biografi). Hrsg. von F. L. Liebenberg. 2 Bde. Kopenhagen 1847–1851 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Staffeldt, A. W. Schack von: Digte. Med en Charakteristik af Digteren ved Georg Brandes. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1882. Stub, Ambrosius: Samlede Digte. Hrsg. von Fr. Barfod. Als 3. Aufl. 1848–1852 bezeichnet. 5. Aufl.: 1879 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Thaarup, Th.: Efterladte poetiske Skrifter. Hrsg. von K. L. Rahbek. Kopenhagen 1822. Tullin, C. B.: Udvalgte Digte. Med en Fortale. Hrsg. von K. L. Rahbek. Kopenhagen 1799. Wessel, J. H.: Samtlige Skrivter. Hrsg. von K. L. Rahbek. 2 Bde. Kopenhagen 1800. Wessel, J. H.: Kjærlighed uden Strømper. Hrsg. von A. E. Boye. Kopenhagen 1826. Wessel, J. H.: Samlede Digte. Med et Tillæg, indeholdende Forfatterens tildeels hidtil utrykte Leiligheds-Vers. Hrsg. von A. E. Boye. Kopenhagen 1832. 4. Aufl.: 1877. Wessel, J. H.: Samlede Digte. Hrsg. von Israel Levin. Kopenhagen 1862. 4. Aufl.: 1901.
228
Per Dahl
Winther, Christian: Samlede Digtninger. Hrsg. von Chr. Winther und F. L. Liebenberg. 11 Bde. Kopenhagen 1860–1872. Winther, Christian: Breve fra og til Chr. Winther. Hrsg. von F. L. Liebenberg. Kopenhagen 1880. Winther, Christian: Samlede Digtninger. 11 Bde. Kopenhagen 1905. Ørsted, H. C.: Samlede og efterladte Skrifter. 9 Bde. Kopenhagen 1851–1852. Ørsted, H. C.: Breve fra og til Hans Christian Ørsted. Hrsg. von Mathilde Ørsted. 2 Bde. Kopenhagen 1870.
Sonstige Literatur Andersen, Dines: Universitets-Jubilæets danske Samfund 1879–1929. Kopenhagen 1929 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Andersson, Henrik et al.: Udgivelse af danske litterære tekster efter 1800. En redegørelse for behov, problemer og perspektiver. Kopenhagen 1996 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Bjerrum, Marie, Poul Andersen und Jørgen Larsen: Universitets-Jubilæets danske Samfund 100 år. Kopenhagen 1979 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Blicher, Henrik: Efterskrift. In: Schack Staffeldt: Samlede digte. Bd. 3. Kopenhagen 2001, S. 421– 425 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Borup, Morten: Christian Molbech. Kopenhagen 1954. Boye, A. E.: Holbergiana. Smaa-Skrivter af og om Ludvig Holberg. 3 Bde. Kopenhagen 1832– 1835. Brevvexling mellem N. M. Petersen og Carl Säve. Et bidrag til skandinavismens og den nordiske filologis historie. Hrsg. von Carl S. Petersen. Kopenhagen 1908. Bruun, Chr.: Samfundet til den danske Literaturs Fremme i Tidsrummet 1827–1877. Kopenhagen 1877 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Conrad, Flemming: Smagen og det nationale. Studier i dansk litteraturhistorieskrivning 1800– 1861. Kopenhagen 1996. Conrad, Flemming: For læg og lærd. Studier i dansk litteraturhistorieskrivning 1862 – ca. 1920. Kopenhagen 2006. Dahl, Per: Det kritiske tekstvalg. Problemer og perspektiver. In: I tekstens tegn. Hrsg. von J. Hunosøe und Esther Kielberg. Kopenhagen 1994 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab), S. 96–124. Dahl, Per: Kommenteringens historie i Danmark. In: Megen viden i forskellige hoveder. Om kommentering af nordiske klassikere. Hrsg. von Johnny Kondrup und Karsten Kynde. Kopenhagen 2000 (Nordisk Netværk for Editionsfilologer. Skrifter 2), S. 55–137. Dahl, Per: Betænkning over Holberg-udgaver og deres historie. In: Ind i Holbergs fjerde århundrede. Hrsg. von Peter Christensen Teilmann und Gunnar Sivertsen. Kopenhagen 2004, S. 89– 111. Danske klassikere, en selektiv bibliografi. Hrsg. von Niels Chr. Lindtner. Kopenhagen 1976. Erslev, Kristian: Grundsætninger for den historiske Kildekritik. Kopenhagen 1892. Erslev, Kristian: Historisk Teknik. Den historiske Undersøgelse fremstillet i sine Grundlinier. Kopenhagen 1911. Erslev, Kristian: Selskabet for Udgivelse af Kilder til dansk Historie i dets første 50 Aar. Kopenhagen 1927. Frøland, Aleks.: Dansk boghandels historie 1482 til 1945. Kopenhagen 1974. Heiberg, Johan Ludvig: Fortale til Eet Hundrede Lyriske Digte af den danske Litteratur (1842). In: Prosaiske Skrifter. Bd. 4. Kopenhagen 1861, S. 405–415. Kristensen, Sven Møller: Digteren og samfundet i Danmark i det 19. århundrede. 2 Bde. Kopenhagen [1942] 1965. Kroman, Erik: Indledning. In: Ambrosius Stub: Digte. 2 Bde. Kopenhagen 1972 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab) [Bd. 1, S. 58 zu Fr. Barfods Ausgabe]. Liebenberg, F. L.: Betænkning over den holbergske Orthographie. Kopenhagen 1845 (Det holbergske Samfund). Liebenberg, F. L.: Nogle Bemærkninger om Textcritiken i Oehlenschlägers Skrifter. In: Nordisk Universitets-Tidskrift. Bd. 3, 1857, H. 1, S. 191–218. Liebenberg, F. L.: Nogle Optegnelser af mit Levned. Kopenhagen 1894.
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Rahbek, K. L.: Om Holberg som Lystspildigter. 3 Bde. Kopenhagen 1815–1817. Rubow, Paul V.: Den kritiske Kunst. En Afhandling om filologisk Litteraturforskning. Kopenhagen 1938. Rubow, Paul V.: Oehlenschlägers Arvtagere. Kopenhagen 1947 [S. 62–92 zu F.L. Liebenberg]. Schmidt, Povl: Litteratur for menigmand. Odense 1979. Schønning, Peter: Ophavsretsloven med kommentarer. 3. Aufl. Kopenhagen 2003. Ussing, J. L.: Niels Laurits Høyens Levned, med Bilag af Breve. Kopenhagen 1872 (Samfundet til den danske Literaturs Fremme). Werlauff, E. C.: Historiske Antegnelser til Ludvig Holbergs atten første Lystspil. Kopenhagen 1838. 2. Ausgabe: Kopenhagen 1858.
Johnny Kondrup
Die Edition dänischer Literatur zwischen 1900 und 2011
1. Einleitung Um das Jahr 1900 war die Situation auf dem Gebiet der neueren dänischen Literatur die, dass die kommerziellen Verlage in Dänemark infolge eines intensiven Wettbewerbs den Markt mit großen Gesamtausgaben der Autoren des 19. Jahrhunderts gesättigt hatten. Die Reihe gesammelter oder ausgewählter Werke deckte das ganze Jahrhundert ab und erstreckte sich von dem frühen Romantiker Adam Oehlenschläger (Debüt 1799) bis zu dem späten Naturalisten und Impressionisten Herman Bang (Debüt 1878). Ebenfalls umfasste sie die sogenannten vier großen Norweger Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson, Alexander Kielland und Jonas Lie, die weitgehend auf Dänisch geschrieben hatten und deren Werke in Kopenhagen erschienen waren. Nach der Gewohnheit der Zeit fußten die Ausgaben in der Regel auf der letzten Textrevision des Autors.1 In Bezug auf die Zugänglichkeit der Werke dürfte es weder vorher noch nachher je eine günstigere Situation gegeben haben. Hinsichtlich der Qualität der Ausgaben blieb jedoch einiges zu wünschen übrig. Die meisten dieser Ausgaben waren entweder nicht kritisch oder kennzeichneten ihre Herausgebereingriffe unzureichend; auch verzeichneten sie normalerweise keine Varianten und enthielten keine Kommentare.2 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kann das beginnende 20. Jahrhundert als die Periode der Verwissenschaftlichung dänischer Editionstätigkeit charakterisiert werden. Teils werden von diesem Zeitpunkt an eine Reihe richtungweisender wissenschaftlicher Ausgaben veranstaltet – oft mit Unterstützung privater Stiftungen –, teils wird die Editionstätigkeit fortan in steigendem Maß von wissenschaftlichen Herausgebergesellschaften geprägt, besonders von der ____________ 1 2
Die Situation ist beschrieben in Dahl 2000, S. 77–79, und in Per Dahls Beitrag im vorliegenden Band: Dänische Textedition im 19. Jahrhundert, Abschnitt 3. Eine markante Ausnahme ist F. L. Liebenbergs Ausgabe von Adam Oehlenschläger: Poetiske Skrifter, 32 Bde., 1857–1862; vgl. Per Dahls Erläuterung im vorliegenden Band: Dänische Textedition im 19. Jahrhundert, Abschnitt 2.1. Auch A. B. Drachmanns, J. L. Heibergs und H. O. Langes Ausgabe von Søren Kierkegaard: Samlede Værker, 14 Bde., 1901–1906, stellt eine Ausnahme dar; vgl. unten Abschnitt 2.1.
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Gesellschaft für Dänische Sprache und Literatur (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab [DSL], gegründet 1911). In diesem Übersichtsartikel will ich einleitend zwei frühe, richtungweisende Ausgaben vorstellen, die in einem kommerziellen Verlag (Gyldendal) mit Unterstützung durch die Carlsberg-Stiftung erschienen. Danach konzentriere ich mich auf die Editionen (insbesondere von neusprachlichen dänischen Autoren), die von den wissenschaftlichen Herausgebergesellschaften veranstaltet wurden. Ein abschließender Abschnitt widmet sich zwei dänischen Klassikerbibliotheken, in denen Einzelwerke im Grenzbereich zwischen Lese- und Studienausgaben herausgegeben wurden. Aus Platzgründen muss eine Reihe wissenschaftlicher Ausgaben, die außerhalb der Herausgebergesellschaften erschienen sind, leider unberücksichtigt bleiben.3 Ebenfalls nicht behandelt werden die von professionellen Literaten redigierten kommerziellen Verlagsausgaben, die Züge wissenschaftlicher Ausgaben (besonders Kommentare), jedoch nur geringe textkritische Ambitionen haben und die Rechtschreibung der Texte mitunter modernisieren.4 Auch von Klassikerbibliotheken in Form von Schulausgaben muss hier abgesehen werden.5
2.
Richtungweisende Ausgaben außerhalb der Herausgebergesellschaften
2.1. Søren Kierkegaards Papirer Dem Philosophen Søren Kierkegaard (1813–1855) galt eine intensive Editionstätigkeit am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts. Sein Nach____________ 3
4
5
Dies gilt z. B. für Adam Oehlenschläger: Hakon Jarl hin Rige, hrsg. von C. M. Rosenberg. Kopenhagen 1928; Ludvig Holberg: Epistler, 8 Bde., hrsg. von F. J. Billeskov Jansen, Kopenhagen 1944–1954; Grundtvigs Sang-Værk, 6 Bde., hrsg. von Th. Balslev et al., Kopenhagen 1944–1964; Breve fra og til Meïr Goldschmidt, 3 Bde.; Meïr Goldschmidts Breve til hans Familie, 2 Bde.; Meïr Goldschmidt: Livs Erindringer og Resultater, 2 Bde., alle hrsg. von Morten Borup, Kopenhagen 1963–1965; Adam Oehlenschlägers Werke, 12 Bde., hrsg. von Povl Ingerslev-Jensen et al., Kopenhagen 1972–1987; Kætterbreve. Martin A. Hansens korrespondance med kredsen omkring Heretica, 3 Bde., hrsg. von Anders Thyrring Andersen, Kopenhagen 2004; Johannes V. Jensen: Samlede Digte, 2 Bde., hrsg. von Anders Thyrring Andersen et al., Kopenhagen 2006. Beispiele: Ludvig Holberg: Værker i tolv Bind. Digteren, Historikeren, Juristen, Vismanden, hrsg. mit Einleitung und Erläuterungen von F. J. Billeskov Jansen, [Kopenhagen] 1969–1971; Jens Peter Jacobsen: Samlede Værker. Romaner, Noveller, Digte, Breve [6 Bde.], hrsg. mit Einleitung und Erläuterungen von Frederik Nielsen, [Kopenhagen] 1972–1974. Auf diesem Feld dominiert der Dänischlehrerverband, der seit 1890 eine vielbändige Reihe kommentierter Klassikerausgaben zum Unterrichtsgebrauch in den obersten Klassen der Volksschule und im Gymnasium herausgebracht hat. Die Reihe hat im Großen und Ganzen keine kritischen Ambitionen, doch die Kommentierung ist oft umfangreich. Verwiesen wird auf Denman 1997 und Steinfeld 2005.
Die Edition dänischer Literatur zwischen 1900 und 2011
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lass wurde zum Teil in den Jahren 1869–1881 herausgegeben: Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer (Aus Søren Kierkegaards nachgelassenen Papieren), 9 Bde., hrsg. von H. P. Barfod und H. Gottsched. 1901–1906 publizierten A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange seine Samlede Værker (Gesammelte Werke) in 14 Bänden. 1909 wurde eine neue Nachlass-Ausgabe begonnen: Søren Kierkegaards Papirer, herausgegeben von P. A. Heiberg und Victor Kuhr. Diese Ausgabe erschien in 20 Bänden (nummeriert I–XI,3) bis 1948, ab 1926 mit Einer Torsting als Mitherausgeber. Schließlich kam 1920– 1936 eine zweite, revidierte Ausgabe der gesammelten Werke auf den Markt. Hier soll nur die letzte Nachlass-Ausgabe behandelt werden, doch dass sie eine Verwissenschaftlichung des Kierkegaardstudiums repräsentiert, zeigt sich am besten bei einem Vergleich mit der Vorgängerin. Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer war eine unter einem biografischen Gesichtspunkt getroffene Auswahl, die – besonders hinsichtlich der ersten Bände mit den wichtigen Jugendschriften – auf mangelhaftem editionsphilologischen Können basierte.6 Im Unterschied hierzu waren Søren Kierkegaards Papirer als ein wissenschaftliches „Søren-Kierkegaard-Diplomatarium“ angelegt, das alles von Kierkegaard Geschriebene sowie alle Dokumente, die ihn und seine Familie betrafen, enthalten sollte. Der Plan wurde nicht vollständig realisiert, da viele Exzerpte und Vorlesungsnotizen aus Kierkegaards jungen Jahren nur referiert oder registriert wurden, während Briefe und Dokumente weggelassen wurden. Diesem Mangel half der Theologe Niels Thulstrup in gewissem Maße ab, teils durch die Edition von Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard (Briefe und Akten betreffend Søren Kierkegaard), 2 Bde. (1953/54) und teils dadurch, dass er Søren Kierkegaards Papirer um zwei Bände Jugendaufzeichnungen (nummeriert XII und XIII, 1969/70) ergänzte, als die Ausgabe fotografisch nachgedruckt wurde (1967–1969). Die solcherart vergrößerte Ausgabe wurde außerdem mit einem umfassenden Index versehen (Bd. XIV–XVI, 1975–1978). Der Kierkegaard’sche Nachlass ist in Papirer (wie die Ausgabe normalerweise genannt wird) systematisch in drei Gruppen geordnet: A enthält die eigentlichen Tagebuchaufzeichnungen, B Entwürfe zu gedruckten oder ungedruckten Werken, C Exzerpte aus Lektüre und Vorlesungsnotizen. Gruppe C ist wieder aufgeteilt in die Untergruppen Theologica, Philosophica und Ästhetica. Hervorzuheben ist, dass Gruppe B als Variantenapparat zu Søren Kierkegaards Samlede Værker dient, die auf diese Weise historisch-kritischen Charakter erhalten. Die Entwürfe sind mit Seiten- und Zeilenverweisen zur Werk____________ 6
Siehe hierzu Cappelørn/Garff/Kondrup 1996.
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ausgabe versehen; teilweise sind sie sogar nur in Kombination mit den Bänden der Werkausgabe lesbar, weil die Herausgeber aus Platzgründen nicht das gesamte große Manuskriptmaterial bringen konnten, sondern nur diejenigen Partien, die substantiell vom Text der gedruckten Werke abwichen. Diese von den Begrenzungen des Buchmediums diktierte Vorgehensweise ist nicht nur deshalb von Nachteil, weil die Entwürfe an Übersichtlichkeit verlieren, sondern auch deswegen, weil einige Verbindungsfäden in Kierkegaards Nachlass durchschnitten werden. Aufzeichnungen, die in Journalen und Papieren dicht beieinanderstehen, werden durch die systematische Sortierung getrennt, sodass sich der innere Zusammenhang in Kierkegaards Gedankenwelt verflüchtigt. Das steigende Verständnis für den Entstehungsprozess des einzelnen Werkes geht einher mit einem verminderten Verständnis des gesamten Nachlasses als eines Schreiblaboratoriums mit kreuz und quer verlaufenden Inspirationen. Papirer weist auch die internen Varianten der Manuskripte nach, d. h. die Änderungen des Verfassers während des Schreibprozesses. Dies geschieht teils integral durch Klammern, teils lemmatisiert im textkritischen Apparat. Der Apparat enthält außerdem die Korrekturen der Herausgeber und eine sehr konzentrierte Manuskriptbeschreibung. Papirer ist mit ultrakurzen Stellenkommentaren versehen. Für Forscher bestimmt, bestehen sie hauptsächlich aus bibliografischen Verweisen zu der von Kierkegaard benutzten Literatur sowie aus Querverweisen zu anderen Teilen des Nachlasses. Die Ausgabe Søren Kierkegaards Papirer hat sich einige Kritik zugezogen wegen ihrer Unübersichtlichkeit, ihrer Gruppenaufteilung, die willkürlich erscheinen mag, und wegen der stillschweigend lenkenden Deutungen der Zusammenhänge in Kierkegaards Leben und Werk.7 Weder die Kritik noch der Umstand, dass die Ausgabe gegenwärtig im Begriff ist, von einer anderen (Søren Kierkegaards Skrifter) abgelöst zu werden, ändert jedoch etwas daran, dass sie eine der besten dänischen Editionsleistungen ist. Sie setzte früh einen Standard für die Nachlassedition, der im 20. Jahrhundert in Dänemark nicht übertroffen wurde. 2.2. Ludvig Holbergs Samlede Skrifter Der Literaturhistoriker Carl S. Petersen (1873–1958), der fast sein ganzes Arbeitsleben an der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen angestellt war – ab ____________ 7
Siehe insbesondere Fenger 1976, S. 46–56, außerdem für ein konkretes Beispiel Kondrup 2007, S. 94–102.
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1924 als ihr Leiter –, war einer der tonangebenden Editoren des 20. Jahrhunderts. Er edierte u. a. Frederik Paludan-Müllers Poetiske Skrifter i Udvalg (Ausgewählte Poetische Schriften Paludan-Müllers), 3 Bde. (1909) sowie Johan Ludvig Heiberg: Poetiske Skrifter (Johan Ludvig Heiberg: Poetische Schriften), 3 Bde. (1931/32) und war im Jahr 1911 Mitbegründer der DSL. Seine ausschlaggebende Leistung waren jedoch Ludvig Holbergs Samlede Skrifter (Ludvig Holbergs Gesammelte Schriften), 18 Bde. (1913–1963), die außerhalb der DSL erschienen. Die 17 Bände, welche die Texte enthalten (1913–1942), und ein wesentlicher Teil von Bd. 18, der Textkritik und Variantenapparat umfasst, wurden noch von Petersen selbst fertiggestellt, der Rest von Aage Hansen, F. J. Billeskov Jansen u. a. Samlede Skrifter ist die erste historisch-kritische Ausgabe eines neueren dänischen Œuvres; sie enthält keine Kommentare.8 Dass sie richtungweisend wurde, hat mehrere Gründe. Erstens gibt sie einem Vorwort Raum, das mit Sorgfalt und Autorität die Aufgaben eines Herausgebers erwägt und seine editionskritischen Prinzipien begründet, und zweitens ist sie fortschrittlich, was die Wahl des Grundtextes betrifft. Die Überlieferungssituation für Holbergs Œuvre schließt eine manuskriptbasierte Ausgabe von vornherein aus, umgekehrt aber erschien der größte Teil von Holbergs Werken zu seinen Lebzeiten in mehreren autorisierten Ausgaben, oft nach umfassenden Revisionen. Es wäre also möglich – und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Prinzipien der damaligen Zeit –, die letzten Ausgaben aus der Lebenszeit des Autors als Grundtexte zu wählen. Carl S. Petersen jedoch wählt die Erstdrucke.9 Das geschieht primär aus der Begründung heraus, eine wissenschaftliche Ausgabe habe „historischen Charakter“,10 was als eine Äußerung des Respekts vor der historischen Authentizität der Erstdrucke verstanden werden darf. Dies ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Carl S. Petersen wenige Jahre zuvor in seiner Paludan-Müller-Ausgabe die letzten Drucke gewählt hatte und dabei explizit als Vollstrecker des letzten Willens des Dichters auftrat.11 Die Grundtextwahl der Holberg-Ausgabe ist zweifellos richtungweisend für die DSL gewesen, die ebenfalls von Anfang an die Erstdrucke bevorzugt hat. ____________ 8 9
10 11
Eine eingehendere Beschreibung und Bewertung der Ausgabe findet sich in Kondrup 2004. Vom Erstdruckprinzip abgewichen wird jedoch in besonderen Fällen, in denen ein Werk nicht in einem autorisierten Druck aus Holbergs Lebenszeit vorliegt oder in denen es erst viele Jahre nach seiner Entstehung gedruckt wurde und vorher in Abschriften kursierte. In solchen Fällen wird ein Manuskript oder eine Abschrift als Grundtext gewählt. Petersen 1913, S. XIV. Vgl. Petersen 1909, S. VII: „So bestimmt hat der Dichter selber in seinen Nachschriften immer wieder verlangt, zukünftige Herausgeber sollten die letzte Fassung, die er jedem einzelnen Gedicht gegeben hatte, respektieren, dass man sich seinem energisch ausgesprochenen Willen zu beugen hat.“
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Der Variantenapparat von Samlede Skrifter ist überraschend ausführlich. Er vermerkt Varianten aus den bekannten Manuskripten Holbergs (mit Ausnahme des Fragments von Epistel 447, dem sogenannten vierten Lebensbrief) und aus mehreren Abschriften. An Druckvarianten listet der Apparat nicht nur diejenigen auf, die sich in Holbergs eigenen späteren Ausgaben seiner Werke finden, sondern auch solche in den von Buchhändlern im Einverständnis mit dem Autor besorgten Neuauflagen, in Doppeldrucken und in reinen Nachdrucken (Raubdrucken). Unsicher ist, warum Carl S. Petersen Varianten aus den unautorisierten Drucken berücksichtigte; vielleicht nur deshalb, weil er im Schatten der großen deutschen historisch-kritischen Ausgaben vom Ende des 19. Jahrhunderts lebte. Diese verzeichneten oft Varianten aus Drucken, die lange nach dem Tod des Verfassers entstanden waren – in einer Art Gewohnheitsvorstellung, man habe es mit Textgeschichte in klassisch-philologischem Sinn zu tun. Eine andere Erklärungsmöglichkeit ist die, dass Doppeldrucke, Nachdrucke und Buchhandel-Neudrucke nachweisbare Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte der Holberg’schen Werke hatten. Von Peder Paars ist bekannt, dass die Doppeldrucke der ersten drei Bücher teilweise als Originale aufgefasst wurden, bis gerade Carl S. Petersen im Jahr 1914 das Verhältnis der ältesten Ausgaben des Werkes zueinander entwirrte.12 Außerdem wurden die Doppelund Nachdrucke mitunter als Textgrundlagen für spätere Ausgaben verwendet, weil man keine Exemplare der Originaldrucke beschaffen konnte. Entsprechendes kann auch bei anderen Holberg-Werken der Fall gewesen sein. Als dritte Möglichkeit kann Carl S. Petersens Interesse für Buchgeschichte mitgespielt haben. In seiner Forschungsarbeit interessierte er sich nicht zuletzt für solche Werke, die von fremden Händen geprägt waren, und das Resultat war ein historisch und sozialhistorisch geprägter Begriff von Werk und Autor, der auffallend modern wirkt. Carl S. Petersens Ausgabe war also auf mehrfache Weise zukunftsorientiert, doch in zweierlei Hinsicht war sie prädestiniert zu veralten. Erstens benutzte sie eine imitierende Typografie und wurde mit einer Kombination aus Fraktur und Schwabacher gedruckt; zweitens wurde sie als bibliophile Ausgabe in nur 430 Exemplaren herausgebracht. Sollte man seitdem erwogen haben, die Anzahl durch fotografischen Nachdruck zu vergrößern, so hat die Typografie dies verhindert.13 ____________ 12 13
Vgl. Petersen 1914. Eine neue, kommentierte Ausgabe von Holbergs gesammelten Werken in elektronischer Form und teilweise in Buchform ist jetzt – in Zusammenarbeit zwischen der DSL und der Universität Bergen (Norwegen) – in Vorbereitung.
Die Edition dänischer Literatur zwischen 1900 und 2011
3.
Herausgebergesellschaften
3.1.
Universitets-Jubilæets danske Samfund (UJDS)14
237
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die UJDS schon 20 Jahre und hatte sich besonders auf zwei große Wörterbuchprojekte konzentriert, welche sie seit ihrer Gründung im Jahr 1879 betrieb: Ordbog til det ældre danske Sprog (Wörterbuch der älteren dänischen Sprache, 1881–1907) und Ordbog over jyske Almuesmål (Wörterbuch der jütischen Umgangssprachen, 1885–1914).15 Erst als diese Arbeiten fast abgeschlossen waren, wurden die Publikationen der Gesellschaft abwechslungsreicher. Zusätzlich zu ihren Wörterbuchprojekten besorgte die UJDS die – sozusagen ererbte – Ausgabe von Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder), die Svend Grundtvig 1853 begonnen hatte und von der knapp fünf Bände erschienen waren, als die bisherige Herausgebergesellschaft, Samfundet til den danske Litteraturs Fremme (Gesellschaft zur Förderung der dänischen Literatur), sich Ende der 1880er Jahre auflöste. Fertiggestellt wurde die Ausgabe erst 1976. Die UJDS hat es sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, die Kenntnis der dänischen Sprache zu verbreiten und zu pflegen. Dieses Interesse hat ihr Veröffentlichungsprogramm geprägt, sodass Wörterbücher, Dialektologie und Namenforschung dominieren. Obwohl man 1895 einen Passus in die Statuten einfügte, der die Gleichstellung dänischer Literatur und Volkskunde mit dänischer Sprache beinhaltete,16 hat man sich im Wesentlichen auf die ältere Literatur von philologischem Interesse beschränkt.17 Die literarischen Editionsprojekte der UJDS konzentrieren sich besonders auf das 16.–17. Jahrhundert, die Reformationszeit und das Zeitalter der Orthodoxie. Eine frühe Arbeit auf diesem Gebiet war Peder Palladius’ Danske Skrifter (Die dänischen Schriften Peder Palladius’), 5 Bde., hrsg. von Lis Jacobsen (1911–1926). Die Ausgabe ist wahrscheinlich das einzige Beispiel einer imitierenden Typografie bei der UJDS; während Einleitungen und Anmerkungsapparat in Antiqua gesetzt sind, werden die Texte des Reformationsbischofs Palladius in Schwabacher wiedergegeben, mit Reproduktionen originaler Holzschnitte und Titelblätter. Ein buchgeschichtliches Interesse zeigt sich ____________ 14
15 16 17
Diese „Dänische Gemeinschaft des Universitätsjubiläums“ wurde zum Gedenken an das 400jährige Jubiläum der Universität Kopenhagen im Jahr 1879 gegründet. Die Geschichte und die Veröffentlichungen der Gemeinschaft werden in folgenden Jubiläumspublikationen beschrieben: Andersen 1929; Andersen 1961; Bjerrum/Andersen/Larsen 1979. Vgl. Andersen 1929, S. 9–15. Vgl. Bjerrum/Andersen/Larsen 1979, S. 17. Vgl. Bjerrum/Andersen/Larsen 1979, S. 40.
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u. a. in einer Reihe von Faksimileausgaben mit Einleitungen und Kommentaren: Gesangbücher der Reformationszeit, dänische Vokabularien (Wörterbücher) des 16. Jahrhunderts und sechs kleinere Schriften aus der Druckerei des eingewanderten deutschen Buchdruckers Hans Vingaard (Hans Weingarthner) in Viborg. Zum Ende der jüngeren Literaturgeschichte sind die UJDS-Veröffentlichungen klein und spärlich. Die Autobiografie der Dramatikerin Charlotta Dorothea Biehl Mit ubetydelige Levnets Løb (Mein unbedeutender Lebenslauf, 1787) wurde nach dem Manuskript herausgegeben durch Marianne Alenius (1986), und N. F. S. Grundtvigs bisher ungedruckte Abhandlung Blik paa Poesiens Historie og Bernhard Severin Ingemann (Blick auf die Geschichte der Poesie und Bernhard Severin Ingemann, 1822) wurde von Flemming Lundgreen-Nielsen ediert (1985). Einige Briefe von Ingeborg Stuckenberg (der Muse der 1890er-Lyriker) – herausgegeben von John Kousgaard Sørensen (1986) – sowie des Romanautors Jacob Paludan (1896–1975) – ediert von Niels Stengaard (1999) – sind die einzigen Briefausgaben der UJDS. Die prächtigste Einzelausgabe der Gesellschaft gilt jedoch einem Werk aus der Zeit um 1700: der Übersetzung der Metamorphosen des Ovid durch den Beamten und Philologen Matthias Moth, Forvandlingerne (Metamorphosen), ediert nach der Handschrift (allerdings in Auswahl) durch Poul Lindegård Hjorth. Die Übersetzung wurde in den 1690er Jahren gefertigt, erschien aus zufälligen Gründen aber nie. Dass sie als Prachtausgabe geplant war, wird daraus ersichtlich, dass Moth für sie von dem Niederländer G. L. Valck Kupferstiche nach Zeichnungen des Geschichtsmalers Philip Tildemann anfertigen ließ. Nur sieben der 16 Stiche sind erhalten; sie sind in der Ausgabe wiedergegeben und durften deren Format bestimmen (36 x 21,5 cm.). Der Text ist pompös in 15 Punkt Garamond gesetzt, und die internen Varianten der Handschrift werden am Fuß der Seite mitgeteilt. Ein gründlicher Kommentar (gesetzt in 11 Punkt und in zwei Spalten) begleitet den Text. Die Ausgabe markierte würdig das eigene hundertjährige Jubiläum der UJDS im Jahr 1979.
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3.2.
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Det Danske Sprog- og Litteraturselskab (Die Dänische Sprachund Literaturgesellschaft, DSL)18
3.2.1. Gründung und Finanzierung Als die 30-jährige Philologin Lis Jacobsen 1911 die Initiative zu einer Herausgebergesellschaft ergriff, welche die Quellen zur Geschichte der dänischen Sprache zugänglich machen sollte, plante sie, diese durch einen Zusammenschluss der UJDS und einer anderen existierenden Gesellschaft, der westnordisch eingestellten Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur (Vereinigung zur Herausgabe alter nordischer Literatur, ebenfalls 1879 gegründet), zu institutionalisieren. Doch der damalige Rektor der Universität Kopenhagen, der Historiker Kristian Erslev – Mitglied der Direktion der Carlsberg-Stiftung –, riet ihr zur Gründung einer ganz neuen Gesellschaft. „Wenn Sie Arbeitskraft beschaffen können, werde ich schon Geld beschaffen“, fügte er hinzu.19 Damit konnte die DSL schnell starten. Lis Jacobsen verbündete sich mit Carl S. Petersen, und der Wirkungskreis der neuen Gesellschaft wurde auf „ältere und neuere dänische Literatur“ ausgeweitet.20 Der DSL konnte ein Eigenkapital in Höhe von 10.000 dänischen Kronen gesichert werden, indem man sich an eine Reihe von Handels- und Industriemagnaten, Bankleuten, adeligen Großgrundbesitzern u. a. wandte. Von den Letztgenannten wünschte jedoch keiner etwas beizusteuern;21 dies lag vermutlich daran, dass Lis Jacobsen durch ihre Familie dem jüdischen Bürgertum angehörte, das enge Verbindungen zu dem kulturradikalen Georg Brandes pflegte. Zur Finanzierung der Publikationen selbst trug die Carlsberg-Stiftung von Anfang an großzügig bei und blieb bis heute einer der zwei oder drei wesentlichsten Stifter. Die anderen waren bzw. sind das Unterrichtsministerium (später das Kulturministerium) und das staatliche Forschungsbeiratssystem.22
____________ 18
19 20 21 22
Die Geschichte und die Veröffentlichungen der Gesellschaft werden in folgenden Jubiläumspublikationen beschrieben: Femten Aars Virksomhed 1926; Tredive Aars Virksomhed 1941; Fyrretyve års virksomhed 1951; Det danske Sprog- og Litteraturselskab 1961; Skrifter udgivet af Det danske Sprog- og Litteraturselskab 1971; Bøger, Planer, Mennesker 1986. Vgl. Jacobsen 1951, S. 22. Die Formulierung stammt aus dem „vorläufigen Gründungsbrief“ der DSL, vom 8. April 1911, wiedergegeben als Faksimile in Fyrretyve års virksomhed 1951, zwischen S. 32 und 33. Vgl. Jacobsen 1951, S. 29. Statens almindelige Videnskabsfond (Allgemeiner staatlicher Wissenschaftsfonds) wurde 1952 errichtet und 1968 durch fünf fachliche Forschungsbeiräte abgelöst. Der „Videnskabsfond“ hatte einen Vorläufer in dem (1919 gegründeten) staatlichen Rask-Ørsted Fond zur Unterstützung zwischenstaatlicher Forschung. Der Rask-Ørsted Fond bezuschusste die DSLVeröffentlichungen internationaler Art.
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3.2.2. Wörterbücher und Ausgaben lateinischer Texte, fremder Werke in Übersetzung sowie anonymer früher Literatur Die DSL kann ihren Statuten zufolge Quellen zu dänischer Sprache und Literatur sowie Wörterbücher und Bibliografien herausgeben. Aus Platzgründen muss ich mich darauf beschränken, die literarischen Publikationen zu erwähnen – und von diesen sogar nur den Teil, der neuere Literatur in der Nationalsprache betrifft –, doch der Vollständigkeit halber werde ich kurz die Themen berühren, die ansonsten außer Betracht gelassen werden. Die Wörterbucharbeiten umfassen in erster Linie Ordbog over det danske Sprog (Wörterbuch der dänischen Sprache), herausgegeben in 28 Bänden (1919–1956) und seitdem durch 5 Bände ergänzt (1993–2005). Das Thema des gesamten Wörterbuches ist die dänische Standardsprache („Reichssprache“) von ca. 1700 bis ca. 1955. Eine Fortsetzung liegt vor mit Den Danske Ordbog, (Das Dänische Wörterbuch, 6 Bde., 2003–2005), das sich der Standardsprache in der Zeit von 1950 bis 1990 widmet. In die entgegengesetzte Richtung geht Gammeldansk Ordbog (Altdänisches Wörterbuch), das seit den 1950er Jahren in Vorbereitung ist und die dänische Sprache ungefähr für den Zeitraum 1100– 1515 abdecken soll. Abgesehen von den Runeninschriften gibt es vor dem 13. Jahrhundert keine schriftliche Überlieferung auf Dänisch. Umso größere Bedeutung haben die lateinischsprachigen Handschriften für das Verständnis dänischer Literatur und Sprache (Fachausdrücke, Namensbestände) im Mittelalter. Dies spiegelt sich in den DSL-Veröffentlichungen wider, die viele lateinische Texte zählen. Am umfassendsten ist das Diplomatarium Danicum (1938 ff., bisher 40 Bände), das Diplome – d. h. Briefe von rechtsstiftendem Charakter – von ca. 800 bis 1412 enthält. Eine andere Reihe ist Corpus Philosophorum Danicorum Medii Aevi (1955 ff., bisher 18 Bände) mit den dänischen Beiträgen zur Scholastik. Das Latein der Renaissance ist primär repräsentiert durch die Werke des Astronomen Tycho Brahe, Tychonis Brahe Dani Opera Omnia (15 Bde., 1913– 1929). Die DSL hat auch ältere dänische Übersetzungen von Werken herausgegeben, die auf Latein oder in anderen Fremdsprachen abgefasst waren. Dies gilt z. B. für Herman Weigeres Nachdichtung von Reinke de Vos, En Ræffue Bog, das Hauptwerk weltlicher dänischer Dichtung der Reformationszeit (2 Bde., 1915–1923). Die früheste dänischsprachige Literatur bestand aus den anonymen mittelalterlichen Volksliedern, von denen es jedoch erst ab dem 16. Jahrhundert schriftliche Überlieferungen gibt. Von Danmarks gamle Folkeviser (Alte dänische Volkslieder) hatte die Herausgabe schon begonnen, als die DSL gegründet
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wurde (vgl. Abschnitt 3.1), doch die Gesellschaft konnte die Sammlung ergänzen mit einer Ausgabe von Danske Viser fra Adelsvisebøger og Flyveblade 1530–1630 (Dänische Volkslieder aus Liedersammlungen Adeliger und aus Flugblättern, 7 Bde., 1912–1930). Die sogenannten Volksbücher – die epische Entsprechung zu den Volksliedern – erschienen in Danske Folkebøger fra 16. og 17. Aarhundrede (Dänische Volksbücher des 16. und 17. Jahrhunderts, 14 Bde., 1915–1936). Die anonymen Sprichwörter werden u. a. in der Ausgabe Danmarks gamle Ordsprog (Alte Sprichwörter Dänemarks, 1977 ff., bisher 8 Bände) herausgebracht, die alle dänischen Sprichwörtersammlungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert enthalten soll. 3.2.3. Werkausgaben Eine zentrale Stellung in der Arbeit der DSL für dänische Literatur nimmt die Reihe gesammelter Werke dänischer Autoren ein. In literaturgeschichtlicher Reihenfolge decken sie die Zeit vom Ende des Reformationsjahrhunderts (ca. 1575) bis zum Ende des Naturalismus (ca. 1890) ab. Hans Christensen Sthens Skrifter, 3 Bde., hrsg. von Jens Lyster (1994 ff., Bd. 3 fehlt). Anders Arrebo: Samlede Skrifter, 6 Bde., hrsg. von Vagn Lundgaard Simonsen et al. (1965–1983). Anders Bording: Samlede skrifter, 4 Bde., hrsg. von Erik Sønderholm und Paul Ries (1984 ff., Bd. 4 fehlt). Thomas Kingo: Samlede Skrifter, 8 Bde., hrsg. von Hans Brix, Paul Diderichsen, F. J. Billeskov Jansen et al. (1939–1975). Jacob Worms Skrifter, 4 Bde., hrsg. von Erik Sønderholm et al. (1966–1994). Hans Adolf Brorson: Samlede Skrifter, 3 Bde., hrsg. von L. J. Koch et al. (1951– 1956). Ambrosius Stubs Digte, 2 Bde., hrsg. von Erik Kroman (1972). Johannes Ewalds Samlede Skrifter efter Tryk og Haandskrifter, 6 Bde., hrsg. von Victor Kuhr, Svend Aage Pallis und Niels Møller (1914–1924). Schack Staffeldt: Samlede digte, 3 Bde., hrsg. von Henrik Blicher (2001). Steen Steensen Blichers Samlede Skrifter, 33 Bde., hrsg. von Jeppe Aakjær et al. (1920–1934).
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Andersen. H.C. Andersens samlede værker, 18 Bde., hrsg. von Klaus P. Mortensen et al. (2003–2007). Emil Aarestrups Samlede Skrifter med Noter, 5 Bde., hrsg. von Hans Brix und Palle Raunkjær (1922–1925). Frederik Dreier: Samlede Skrifter, 5 Bde., hrsg. von Hanne Nørregaard Posselt et al. 23 (2003). Jens Peter Jacobsen: Samlede Værker, 5 Bde., hrsg. von Morten Borup et al. (1924– 1929).
Hierzu kommen einige Teilausgaben von Gesamtwerken, die sich auf eine dominierende Gattung beschränken, z. B.: C. C. Lyschander: Digtning 1579–1623, 2 Bde., hrsg. von Flemming LundgreenNielsen und Erik Petersen (1989). H. C. Andersen: Romaner og Rejseskildringer, 7 Bde., hrsg. von H. Topsøe-Jensen et al. (1943–1944). H. C. Andersens Eventyr, 7 Bde., hrsg. von Erik Dal et al. (1963–1990). Herman Bang: Vekslende Themaer [Zeitungsfeuilletons], 4 Bde., hrsg. von Sten Rasmussen (2006). Herman Bang: Romaner og noveller, 10 Bde., hrsg. von Jesper Gehlert Nielsen et al. (2008–2010). Sophus Claussens Lyrik, 10 Bde., hrsg. von Jørgen Hunosøe et al. (1982–1984).
Etliche dieser Ausgaben versammeln zum ersten Mal ein Œuvre aus oft zahlreichen Drucken und gegebenenfalls Manuskripten (Sthen, Arrebo, Kingo, Worm, Brorson, Blicher, Bangs Zeitungsfeuilletons, z. T. Stub). Andere Ausgaben sichern und präsentieren ein reiches und in wesentlichem Umfang bisher unbenutztes Manuskriptmaterial (Ewald, Aarestrup, Dreier, Jacobsen, Claussen). Ist man mit dänischer Literaturgeschichte vertraut, wird klar, dass die Liste eine Reihe bedeutender Autoren vermissen lässt. Allein aus dem 19. Jahrhundert könnte man nennen: Jens Baggesen, Adam Oehlenschläger, N. F. S. Grundtvig, B.S. Ingemann, Carsten Hauch, Johan Ludvig Heiberg, Poul Martin Møller,24 Christian Winther, Frederik Paludan-Müller, M. A. Goldschmidt, ____________ 23 24
Frederik Dreier war kein belletristischer Autor, sondern ein Sozialphilosoph und Literaturkritiker. Poul Martin Møllers gesammelte Schriften sind seit 1998 in Arbeit für die DSL, doch noch ist kein Band erschienen.
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Georg Brandes, Holger Drachmann, Amalie Skram, Henrik Pontoppidan,25 Johannes Jørgensen, Viggo Stuckenberg, Ludvig Holstein und Helge Rode. Obwohl Teile der Œuvres dieser Autoren außerhalb der DSL in mehr oder weniger zufriedenstellenden Ausgaben erschienen sind (oder innerhalb der DSL als Einzelbände in der Reihe Danske Klassikere, vgl. Abschnitt 4.2.), liegen sie nicht in Ausgaben vor, die zugleich ausreichend umfassend sind und wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Weiterhin sind also im Bereich der Edition dänischer literarischer Werke dringende Aufgaben zu lösen.26 Einige der genannten Ausgaben sind historisch-kritisch in dem strengen Sinn, dass sie Varianten aus allen bekannten Manuskripten und Drucken zu Lebzeiten des Dichters aufnehmen und dadurch dem, der sich die Mühe machen will, einen vollständigen Überblick über die Genese der Werke ermöglichen (Brorson, Stub, Ewald, Blicher, Aarestrup).27 Die meisten der genannten Ausgaben sind begrenzt historisch, da sie jeweils nur eine bestimmte Auswahl an Varianten verzeichnen. Einige beschränken sich prinzipiell auf Druckvarianten und übernehmen alle aus der Lebenszeit des Autors (Andersens Märchen), während andere nur ausgewählte Druckvarianten präsentieren (Andersens gesammelte Werke, Bangs Zeitungsfeuilletons). Einige Ausgaben verzeichnen Varianten sowohl aus Manuskripten als auch aus Drucken, die jedoch entweder nach einem Wesentlichkeits- oder einem Repräsentativitätskriterium ausgewählt sind (Kingo, Worm, Bording, Staffeldt, Jacobsen, Claussen).28 Einzelne Ausgaben lassen Varianten ganz außer Acht (Andersens Romaner og Rejseskildringer, Dreier). ____________ 25
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27
28
Ein geplantes Projekt mit historisch-kritischen Einzelausgaben von Pontoppidans größten Romanen (mit komplettem, synoptischem Variantenapparat auf CD-ROM) resultierte in lediglich einer Ausgabe, Det forjættede Land (1997). Der Roman Lykke-Per liegt im Archiv auf CDROM vor, ist jedoch nicht veröffentlicht. Ein Unterausschuss der DSL führte 1994–1996 eine Bestandsaufnahme der existierenden Ausgaben und des Bedarfs an neuen, größeren Gesamtausgaben hinsichtlich der Periode nach 1800 durch. Das Resultat liegt vor in Andersson/Conrad/Dahl/Hunosøe 1996. Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass es unmittelbaren Bedarf gab an Gesamtausgaben der Werke von Poul Martin Møller (jetzt in Arbeit), Christian Winther, Paludan-Müller, Amalie Skram und Herman Bang (dessen Romane und Novellen jetzt in einer Teilausgabe erschienen sind). Hierzu kam eine elektronische Ausgabe von Oehlenschlägers dichterischem Werk samt Teilausgaben in Buchform aus elf anderen Œuvres (wovon dasjenige H. C. Andersens seither vollständig herausgegeben worden ist). Vgl. insbesondere dort, S. 130 f. Keine dieser Ausgaben verzeichnet jedoch Varianten der Orthografie und Interpunktion. Auch Arrebos Samlede Skrifter und Lyschanders Digtning sind streng genommen historisch-kritische Ausgaben, disponieren aber nur über Variantenmaterial zu jeweils einem einzigen Werk, K[ong] Davids Psalter bzw. der Chronik des Adelsgeschlechts Bille. Eine Sonderstellung nehmen Sthens Skrifter ein, die sich notgedrungen auf Druckvarianten – oft aus der Zeit nach dem Tod des Autors – beschränken müssen, weil alle Manuskripte und eine Reihe früher Drucke verloren sind. Die Sortierung der Druckvarianten erfolgt nach Kriterien, die von Werk zu Werk variieren.
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Zwei Ausgaben sind völlig unkommentiert (Ewald und Aarestrup). Eine hat nur Stellenkommentare (Blicher), während die übrigen sowohl übergreifende Kommentare in der einen oder anderen Form als auch Stellenkommentare enthalten. Einige verfügen außerdem über Melodiekommentare (Arrebo, Kingo, Brorson), gründliche bibliografische Beschreibungen und Stemmata (Sthen) oder Abhandlungen zur Rezeption und Buchgeschichte (Andersens Märchen). Eine einzelne Ausgabe liefert eine Monografie über das Gesamtwerk als Teil des Kommentars, im Stil des 18. und 19. Jahrhunderts, als gern die Biografie des Autors in die Ausgabe seiner Werke integriert wurde (Worm, dessen Bd. 3 die Habilitationsschrift des Herausgebers ist: Jacob Worm. En politisk satiriker i det 17. århundrede; Jacob Worm. Ein politischer Satiriker im 17. Jahrhundert). Eine generelle Aussage zu den Gesamtausgaben ist vor allem hinsichtlich ihrer Wahl des Grundtextes möglich. Bei bereits zuvor gedruckten Werken wird in den meisten Fällen der Erstdruck gewählt.29 Es ist niemals prinzipiell für diese Entscheidung argumentiert worden, doch Dokumente aus der Gründungszeit der Gesellschaft deuten an, dass die historische Authentizität entscheidend gewesen ist. Im ersten Antrag, den die DSL an die CarlsbergStiftung richtete, heißt es (bezogen nicht nur auf Ausgaben dänischer Dichter, sondern auf alle geplanten Ausgaben, auch die Volksbücher und En Ræffue Bog): Als gemeinsame Regel für die durch uns besorgten Ausgaben gilt Folgendes: Zur Grundlage für den Text der einzelnen Ausgabe wird in jedem einzelnen Fall derjenige handschriftliche bzw. gedruckte Textzeuge gewählt, der als am authentischsten angesehen werden muss. Dem gewählten Dokument wird überall und ausnahmslos wort- und buchstabengetreu gefolgt. In keinem Fall wird eine Normalisie30 rung der Orthografie vorgenommen […].
____________ 29
30
Ausnahmen: Bordings Samlede skrifter, die soweit möglich Manuskripte wählen, obwohl es keine Reinschriften, sondern Kladden sind: Die Begründung ist, dass eigenhändige Manuskripte aus dem 17. Jahrhundert selten sind; Brorsons Samlede Skrifter, wo Troens Rare Klenodie, das zwei der drei Bände umfasst, nach der vierten gesammelten Ausgabe gedruckt wird; Stubs Digte, die soweit möglich Manuskripte wählen; Andersens Romaner og Rejseskildringer, wo ohne Begründung „Ausgaben letzter Hand“ gewählt werden: Die letztgenannte Ausgabe wurde jedoch korrigiert, zuerst in Danske Klassikere (vgl. Abschnitt 4.2.), wo alle Romane und Reiseschilderungen Andersens nach den Erstdrucken herausgegeben sind, später in Andersens gesammelten Werken. Gesuch an die Direktion der Carlsberg-Stiftung vom 2. November 1911, gedruckt in Fyrretyve års virksomhed 1951, S. 121–125, hier S. 122. Die angeführten Regeln stimmen im Wortlaut überein mit „Allgemeine Regeln für die Ausgaben der Gesellschaft“, gedruckt in der Publikation Nr. 1 der DSL: Det danske Sprog- og Litteraturselskab (stiftet 29. April 1911) 1911, S. 12– 14.
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In einer diesem Antrag beigefügten Anlage, dem Plan einer Ausgabe der Schriften Johannes Ewalds, wird die bisherige Ausgabe (durch F. L. Liebenberg, 1850–1855) verworfen, u. a. wegen ihrer eklektischen Kombination von Varianten aus unterschiedlichen Textquellen: „Ihr Text […] hat also in dieser Form keine historische Grundlage.“31 Die neue Ausgabe will überall die Erstdrucke zugrunde legen, ist sich jedoch gleichzeitig bewusst, dass dieses Prinzip „von der allgemeinen Herausgeberpraxis“ abweicht.32 Hinter dem Respekt vor der historischen Authentizität des Textes ahnt man den Vater der Quellenkritik in der dänischen Geschichtswissenschaft, Kristian Erslev. Er war nicht nur – als Mitglied der Direktion der Carlsberg-Stiftung – der Adressat des betreffenden Gesuchs, sondern auch (in seiner Eigenschaft als Professor an der Universität 1883–1916) Lehrmeister der Studentenjahrgänge, denen die Gründungsmitglieder der DSL angehörten.33 3.2.4. Briefe und Tagebücher Neben den Werken der Autoren nehmen ihre Briefe und Tagebücher eine dominierende Position im Herausgabeprogramm der DSL ein. Ursprünglich hatten sie jedoch keine hohe Priorität, und die Gesellschaft begann erst 1933, nach bereits 22-jähriger Tätigkeit, mit ihrer Veröffentlichung. In literaturgeschichtlicher Abfolge sieht die Reihe der Briefausgaben so aus: Hans Adolf Brorson, Visitatsberetninger og breve, hrsg. von L. J. Koch (1960). Breve fra og til Adam Oehlenschläger 1798–1850, 15 Bde., hrsg. von H. A. Paludan, Daniel Preisz et al. (1945–1996). Poul Møller og hans Familie i Breve, 3 Bde., hrsg. von Morten Borup (1976). Breve fra og til Christian Winther, 4 Bde., hrsg. von Morten Borup (1974). Breve og Aktstykker vedrørende Johan Ludvig Heiberg, 5 Bde., hrsg. von Morten Borup (1946–1950). ____________ 31 32 33
Anlage 1 zum obengenannten Antrag, gedruckt in Fyrretyve års virksomhed 1951, S. 126–130, hier S. 126. Fyrretyve års virksomhed 1951, S. 128. Der Einfluss Erslevs zeigt sich auch darin, dass in den gemeinsamen Editionsprinzipien auf „die in der ‚Gesellschaft zur Herausgabe von Quellen zur dänischen Geschichte‘ (‚Selskabet for Udgivelse af Kilder til dansk Historie‘) angewandten Prinzipien“ verwiesen wird (Fyrretyve års virksomhed 1951, S. 123; vgl. „Allgemeine Regeln für die Ausgaben der Gesellschaft“ in: Det danske Sprog- og Litteraturselskab, stiftet 29. April 1911, 1911, S. 14). Erslev war 1877 Mitbegründer der Historiker-Herausgebergesellschaft gewesen und 50 Jahre lang ihr leitendes Mitglied.
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Christian Molbechs Brevveksling med svenske Forfattere og Videnskabsmænd, 3 Bde., hrsg. von Morten Borup (1956). H. C. Andersens Brevveksling med Jonas Collin den ældre og andre Medlemmer af det Collinske Hus, 3 Bde., hrsg. von H. Topsøe-Jensen et al. (1945–1948). H. C. Andersens Brevveksling med Edvard og Henriette Collin, 6 Bde., hrsg. von Carl Behrend und H. Topsøe-Jensen (1933–1937). Bjørnstjerne Bjørnsons Brevveksling med Danske 1854–1910, 6 Bde., hrsg. von Øyvind Anker, Francis Bull und Torben Nielsen (1954–1974). Georg Brandes: Breve til Forældrene 1859–1904, 6 Bde., hrsg. von Morten Borup und Torben Nielsen (1978–1994). Georg og Edv. Brandes: Brevvekling med nordiske Forfattere og Videnskabsmænd, 8 Bde., hrsg. von Morten Borup et al. (1939–1942). Correspondance de Georg Brandes, 4 Bde., hrsg. von Paul Krüger (1952–1966). Breve fra og til Holger Drachmann, 4 Bde., hrsg. von Morten Borup (1968–1970). Elskede Amalie. Brevvekslingen mellom Amalie og Erik Skram, 3 Bde., hrsg. von Janet Garton (2002) sowie Amalie Skram: Brevveksling med andre nordiske forfat34 tere, hrsg. von Janet Garton (2005) Breve fra og til Hans Vodskov, 2 Bde., hrsg. von Erik Reitzel-Nielsen (1972). Breve fra Martin Andersen Nexø, 3 Bde., hrsg. von Børge Houmann (1969–1972).
In die Liste mit einbezogen sind Korrespondenzen der Literaturhistoriker und -kritiker Christian Molbech, Georg und Edvard Brandes sowie Hans Vodskov u. a. deswegen, weil viele ihrer Briefpartner Dichter waren. Zu erwähnen wären außerdem die beiden Ausgaben von Briefwechseln zwischen Literaturhistorikern, Niels Møller, Valdemar Vedel: Brevveksling 1885–1915, hrsg. von Knud Bøgh (1959), und Vilh. Andersen, Vald. Vedel: Brevveksling 1894–1939, hrsg. von Per Dahl (1987). An der Grenze des literaturgeschichtlichen Gebietes liegen Breve fra og til Ole Worm, 3 Bde., übersetzt aus dem Lateinischen (1965–1968), Niels Stensens korrespondance i dansk oversættelse (Die Korrespondenz Niels Stensens in dänischer Übersetzung), 2 Bde. (1987), Breve fra og til Rasmus Rask, 3 Bde., (1941–1968), C. E. F. Weyse: Breve, 2 Bde. (1964), ____________ 34
Sowohl die Briefwechsel der Amalie Skram als auch die ersten drei Bände von Bjørnsons Briefwechsel mit Dänen (Zeitraum 1854–1874) wurden in Zusammenarbeit zwischen der DSL und der Norwegischen Sprach- und Literaturgesellschaft (Det norske språk- og litteraturselskap, NSL) herausgegeben. Dies ist auch für die unten genannten Tagebücher des Probstes Frederik Schmidt der Fall.
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August Bournonville: Breve til Barndomshjemmet (August Bournonville: Briefe an das Kindheitshaus), 3 Bde. (1969–1978), D. G. Monrad: Breve (1969) und die Sammlung Højskolens Ungdomstid i Breve (Die Frühe Zeit der Hochschule in Briefen), 2 Bde. (1960). Die DSL-Tagebuchausgaben dänischer Dichter umfassen nur vier oder fünf: N. F. S. Grundtvig, Dag- og Udtogsbøger, 2 Bde., hrsg. von Gustav Albeck (1979).
35
H. C. Andersens Dagbøger 1825–1875, 12 Bde., hrsg. von Kåre Olsen, H. TopsøeJensen et al. (1971–1977). H. C. Andersens Almanakker 1833–1873, hrsg. von Helga Vang Lauridsen und Kirsten Weber (1990). M. A. Goldschmidts Dagbøger, 2 Bde., hrsg. von Kenneth H. Ober et al. (1987). Martin A. Hansen: Dagbøger, 3 Bde., hrsg. von Anders Thyrring Andersen, Jørgen Jørgensen et al. (1999).
Im literaturgeschichtlichen Grenzbereich liegen Olai Borrichii Itinerarium 1660–1665 / The Journal of the Danish Polyhistor Ole Borch, 4 Bde. (1983), Provst Frederik Schmidts Dagbøger (Die Tagebücher des Probstes Frederik Schmidt, 3 Bde., 1966–1985) und J. P. Mynsters Visitatsdagbøger 1835–53 (J. P. Mynsters Visitationsprotokolle 1835–53, 2 Bde., 1937). Wenn man bedenkt, wie viele Gesamtausgaben noch immer fehlen, kann einem die Anzahl besonders von Briefausgaben recht groß erscheinen. Auffallend ist, dass die DSL längst Oehlenschlägers, Christian Winthers, Poul Møllers, J. L. Heibergs, Georg Brandes’ und Holger Drachmanns Briefe, aber noch nicht ihre gesammelten Werke herausgegeben hat. Dieser Umstand erklärt sich in gewissem Grad aus der ungleichen Zugänglichkeit des Materials: Während die Werke auch vor der kritischen Edition schon in gedruckter Form existierten, hatte die Publikation von Briefen und Tagebüchern, die bisher in den Archiven gelegen hatten, einen reellen Neuigkeitswert. Hinzu kommt, dass das Brief- und Tagebuchmaterial in der Regel nur wenige textkritische Probleme aufwirft. Die Kommentierung kann zwar umfassend sein, doch die Grundtextwahl ergibt sich meistens von selbst, und externe Varianten, die eine Kollation verlangen, sind selten. Eine dritte, ergänzende Erklärung lässt sich in der Einrichtung des Bewilligungssystems suchen, da der staatliche Forschungsbeirat
____________ 35
Die DSL hat außerdem zusammen mit der Grundtvig-Gesellschaft (Grundtvig-Selskabet) herausgegeben: Registrant over N. F. S. Grundtvigs papirer, 30 Bde. (vervielfältigt, 1957–1964).
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Brief- und Tagebuchausgaben gern unterstützt hat, Werkausgaben dagegen nicht.36 In textkritischer Hinsicht sind die meisten der Ausgaben bescheiden. Sie informieren nicht oder nur wenig über Emendationsprinzipien; die meisten Korrekturen werden stillschweigend vorgenommen, und interne Varianten werden nicht berücksichtigt. (Dies gilt für fast alle Ausgaben Morten Borups – die Briefe Møllers, Winthers, Heibergs, Molbechs, der Brandes-Brüder und Drachmanns – und außerdem Brorsons Visitationsbücher und Briefe, Andersens Almanache, Goldschmidts Tagebücher, Bjørnsons Briefe, Georg Brandes’ Korrespondenz, Nexøs Briefe). Einige Ausgaben markieren ihre eigenen Eingriffe mit eckigen Klammern (Vodskovs Briefe, Amalie Skrams Briefe, Martin A. Hansens Tagebücher) oder teilen gewisse Korrekturen in den Stellenkommentaren mit (Oehlenschlägers Briefe, Georg Brandes’ Briefe an die Eltern). Ambitionierter sind die Briefwechsel Andersens mit der Familie Collin sowie seine Tagebücher, welche Herausgebereingriffe und interne Varianten in einem lemmatisierten Apparat wiedergeben. Die Ausgabe der Tagebücher Grundtvigs gibt als einzige die internen Varianten integral im Text wieder. Was die Kommentierung betrifft, sind die Ausgaben der DSL generell durch eine nüchterne und funktionelle Ausstattung gekennzeichnet, in der Regel mit folgenden Teilen: übergreifender Kommentar von literatur- (oder kultur-) und personengeschichtlichem Charakter, Stellenkommentare und Personenregister. Oft findet man außerdem ein oder mehrere Register: Werk-, Sach-, Orts- und Korrespondentenregister. Seltener treten Illustrationen, Karten, Stamm- und Zeittafeln hinzu. Somit ist es teilweise ungerecht, dass eine der Ausgaben der Gesellschaft, Breve fra og til Adam Oehlenschläger (Briefe von und an Adam Oehlenschläger), als abschreckendes Beispiel übermäßiger Kommentierung bekannt wurde. Der Hauptherausgeber Daniel Preisz war sehr gründlich und legte alles, was er aufspürte, in die Stellenkommentare. Heraus kam eine Goldgrube von Wissen, das jedoch nur durch die Lemmatisierung des einzelnen Briefes zugänglich ist. Es wird gesagt, dass die beste Darstellung der Seeschlacht in der Køge-Bucht (eines der entscheidenden Gefechte der dänischen Kriegsgeschichte) in einem Stellenkommentar zu Oehlenschlägers Briefen zu finden ist, aber niemand sie auffinden könne.37 Die Überkommen____________ 36
37
Dies wird auch im Bericht der DSL angeführt (Andersson/Conrad/Dahl/Hunosøe 1996), S. 134 f. Der Bericht empfahl eine Verhandlung mit dem Forschungsbeirat zwecks Beschaffung von finanzieller Unterstützung für die wissenschaftliche Edition belletristischer Werke; stattdessen jedoch beschloss der Beirat ab 2007 den Wegfall der Unterstützung für alle Ausgaben, welche nicht aus Forschungsprojekten resultieren, die von vornherein vom Beirat finanziert werden. Die Stellenkommentare der Ausgabe wurden Gegenstand einer Persiflage durch Hans Hertel in der Tageszeitung Information, am 19. Mai 1969, nachgedruckt in Hertel 1990. Mit größerem
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tierung hatte fatale Konsequenzen für die Ausgabe selbst: Während die erste Abteilung, welche die Jugendbriefe 1798–1809 umfasst, innerhalb von fünf Jahren erschien (Bd. 1–5, 1945–1950), dauerte es 28 Jahre, bis die zweite Abteilung mit den im Mannesalter 1809–1829 geschriebenen Briefen fertiggestellt war (Bd. 6–11, 1953–1981). Dies lag an den Stellenkommentaren, und nach der Herausgabe des dritten und letzten Textbandes in der dritten Abteilung, den Altersbriefen 1829–1850 (1990), starb Daniel Preisz. Niemand traute sich, die Fertigstellung der Kommentare zu übernehmen; stattdessen wurde ein „kommentierender Registerband“ für die ganze Ausgabe veranstaltet, die also ein Torso geblieben ist.38 3.2.5. Literarische Zeitschriften in Faksimileausgaben Die DSL hat wie die UJDS etliche Faksimileausgaben publiziert. Meistens ist das Faksimile von einem Kommentar begleitet und gegebenenfalls in den Apparat einer größeren Ausgabe integriert, wie bei Danmarks gamle Ordsprog (Alte dänische Sprichwörter). Ein Faksimileprojekt von größeren Dimensionen wurde 1979 begonnen, als die Gesellschaft zur Subskription von Ausgaben literarischer Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert einlud.39 Um zu einer Rekontextualisierung der nach wie vor gelesenen und neu herausgegebenen Hauptwerke beizutragen – über das hinaus, was in einem Kommentar möglich ist –, plante die Gesellschaft die Neuedition von 14 literarischen Zeitschriften, die sozusagen einen Teil der Kontinuität des Geisteslebens im 19. Jahrhundert ausmachten. Das Projekt hatte einen Frühstart hingelegt mit einer Faksimileausgabe der von M. A. Goldschmidt redigierten Jahrgänge der Zeitschrift Corsaren (1840–1846), die durch ihre Witzkampagne gegen Søren Kierkegaard weltbekannt geworden ist. Corsaren erschien in 7 Bänden 1977–1981, und der abschließende Band enthielt neben einem übergreifenden Kommentar von Uffe Andreasen eine Reihe von Registern zu Personennamen, Autoren, Werken (einschließlich anonym verfassten), Periodika und Musik. Jedoch fanden die Pläne nicht den erhofften Anklang. Die Subskriptionen erlaubten nur drei weitere Faksimileausgaben: __________
38
39
Sinn für die Verwendbarkeit der Kommentare werden sie in Lundgreen-Nielsen 1981, S. 13 f., besprochen. Der Registerband wurde von Jens Keld nach denselben Prinzipien wie H. Topsøe-Jensens Registerband zu H. C. Andersens Dagbøger erarbeitet und enthält ein Register der Briefschreiber, ein Register zu Oehlenschlägers Werken, ein Register der Werke anderer Verfasser, ein Personenregister, eine Zeittafel und eine Ahnentafel, außerdem ein chronologisches Briefverzeichnis und Regesten für den Zeitraum 1829–1850. Vgl. Litterære tidsskrifter fra det nittende århundrede 1979.
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Kjøbenhavns flyvende Post, redigiert von Johan Ludvig Heiberg, 4 Bde. (urspr. 1827–1837), hrsg. von Uffe Andreasen et al. (1980–1984). Taarnet, redigiert von Johannes Jørgensen (urspr. 1893/94), hrsg. von F. J. Billeskov Jansen (1982). Vagten, redigiert von L. Mylius-Erichsen (urspr. 1899/1900), hrsg. von Gustav Albeck (1982).
3.2.6. Die Buchausstattung der DSL40 Es ist angemessen, die Buchausstattung der DSL übergreifend zu besprechen, hat doch die Gesellschaft während ihres ganzen Bestehens dieser Seite ihrer Ausgaben fast ausnahmslos besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Von ihren beiden Gründern war in jedem Fall Carl S. Petersen stark an Buchgeschichte und Buchkunde interessiert, und mit Lis Jacobsen teilte er offenbar den Geschmack für große Formate, solide Einbände und wuchtige Typografie. Zu sehen ist dies an seiner Holberg-Ausgabe, die außerhalb der Regie der DSL erschien, und in Tychonis Brahe Dani Opera Omnia – letztere in großem Quartformat und pompös gedruckt in Plantin, einer der Modeschriften der damaligen Zeit. Dass der Schriftschnitt gleichzeitig in Johannes Ewalds Samlede Skrifter (Gesammelte Schriften Johannes Ewalds) Anwendung fand, lässt sich wohl nur als persönliche Liebhaberei erklären. Der Schnitt passt schlecht zum empfindsamen, präromantischen Charakter des Œuvre.41 Wenn man ältere Werke neu ediert, ist es naheliegend, historisierenden Neigungen nachzugeben. In den ersten Jahrzehnten der DSL, bis etwa 1933, veranlassten diese die Gesellschaft zum Gebrauch von gebrochenen Schriften – Schwabacher und Fraktur – in einer Reihe von Ausgaben. Hier ist nicht die Rede von Faksimileausgaben, sondern von neu gesetzten Ausgaben wie Danske Viser fra Adelsvisebøger og Flyveblade und Danske Folkebøger fra 16. og 17. Aarhundrede, die beide mit einer halbfetten Schwabacher gesetzt wurden (obwohl die erhalten gebliebenen Originale in Fraktur sind). En Ræffue Bog wurde mit einer eleganteren Schwabacher gesetzt und mit Holzschnitten aus dem Grundtext, Lübeck 1555, illustriert. Außerdem ist die gesamte Ausgabe ____________ 40 41
Dieser Abschnitt beruht in allem Wesentlichen auf Dal 1987. Das Monumentale oder Wuchtige in den frühen Publikationen der DSL entsprach auch dem Stil, der das dänische Buchhandwerk in den Jahrzehnten um 1900 prägte und insbesondere auf den Xylografen Frederik Hendriksen (1847–1938) zurückging. Dieser hatte u. a. die Initiative zum Verein für Buchhandwerk und zu Dänemarks erster Fachschule für die grafischen Fächer ergriffen. Der Stil war von englischen Kunsthandwerkern wie William Morris und Edward Burne-Jones beeinflusst.
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Steen Steensen Blichers Samlede Skrifter (1920–1934) in Fraktur gesetzt, was ihre Verwendbarkeit für spätere Generationen vermindert hat. Zeitgleich mit dem Ende des Gebrauchs von Schwabacher und Fraktur beginnt die zweite Periode der DSL in ausstattungsmäßiger Hinsicht. Geprägt ist sie durch den Literaturhistoriker Richard Paulli (1890–1975), welcher der Gesellschaft viele Jahre hindurch als Berater auf Honorarbasis angehörte. Auch in dieser Periode gibt es historisierende Neigungen, doch jetzt führen sie nicht weiter als bis zu einer typografischen Allusion (‚allusive typography‘), d. h. einem Bestreben, dem Leser der Ausgabe mit modernen Mitteln Assoziationen zu Büchern aus der Zeit der Originale zu geben. Die Tycho-Brahe-Ausgabe ist hierfür ein frühes Beispiel. An den Buchdruck der Reformationszeit soll die Publikation Skrifter af Paulus Helie, 7 Bde. (1932–1948) erinnern, gesetzt aus dem Antiquaschnitt Caslon in 12 Punkt kompress, d. h. ohne Durchschuss, und mit Kolumnentiteln in großer Kursivschrift. Wie ein Echo des Barock wirkt das Satzbild in Thomas Kingo: Samlede Skrifter (1939–1975), für die man Monotype Plantin verwendet hat und in der die Titel der nach Handschriften wiedergegebenen Gedichte in Zeilenfall und einer reichen Variation an Schriftgraden diskret, aber unverkennbar, barock wirken. (Die Titelblätter der gedruckten Schriften sind in der Regel als Faksimiles wiedergegeben.) Ganz andere Assoziationen weckt die Ausgabe J. P. Mynsters Visitatsdagbøger (1937), die den Klassizismus des „Goldenen Zeitalters Dänemarks“ reflektiert. Hier verwendete man einen neuklassizistischen Schriftschnitt, Didot, in einem Grad, der etwa 9 Punkt ist, aber zu 14 Punkt durchschossen wurde. Das Resultat ist luftig und kühl, aber ein wenig steif, wie das Empire es war. Mit der Anstellung des Buchhistorikers Erik Dal (1922–2006) als Verwalter beginnt im Jahr 1974 eine dritte markante Periode in der Buchausstattung der DSL. Der Wechsel fällt fast zusammen mit dem Übergang von Blei- zu Fotosatz, in dessen Folge einige der früher verwendeten Schriftschnitte (u. a. Didot und Englische Antiqua) wegfielen, weil ihre Anschaffung als Fotosatz zu teuer war. Doch auch ansonsten zeigt sich von da an ein größeres Bestreben, die Veröffentlichungen der Gesellschaft der modernen industriellen Buchproduktion anzupassen. Einfache, leicht zu lesende, aber zum Teil anonyme Schriften wie Aldus, Janson und Bembo breiten sich aus, die Variation an Schriftgraden verringert sich, und das beschnittene, fadengeheftete Paperback wird in Gebrauch genommen (u. a. für Sophus Claussens lyrik). Die historisierende Typografie tritt weniger stark hervor, ist jedoch z. B. in der Publikation Anders Bording: Samlede skrifter zu sehen, deren erster Textband ein breites Quartformat aufweist, angelegt nach der ersten Sammelausgabe der Gedichte Bordings (1735). Hier können die Alexandrinergedichte sich entfalten, während
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andere, schmalere Gedichte in den sogenannten Bordingversen zweispaltig gesetzt werden. Die Typografie ist Garamond 10 Punkt auf 12, aber mit Gebrauch von 11 Punkt zur Hervorhebung einzelner Wörter; auch dies ein alludierender Zug. Der Satz der Gedichttitel erinnert an denjenigen der KingoAusgabe, ist jedoch weniger expressiv. Geliefert werden die meisten DSL-Ausgaben ungebunden oder mit einfachen Verlagseinbänden, am häufigsten in Ganzleinen. Es wird so verdeutlicht, dass es sich um Gebrauchsbücher handelt; ab und zu werden jedoch Ausnahmen gemacht. So wurde eine Faksimileausgabe der dänischen Bibelübersetzung Christians III. (1928, urspr. 1550) in einem imitierten RenaissanceEinband in Ganzleder geliefert. Eine entsprechende Einbandimitation findet sich bei der Faksimileausgabe des Gesangbuches von Hans Thomissøn (1933, urspr. 1569). Es sind Einbände mit reichen, dunkel eingefärbten Prägungen des Rahmenwerks und dekorativen oder illustrativen Mittelfeldern sowohl auf den vorderen als auch auf den hinteren Einbanddeckeln sowie (bei dem Gesangbuch) mit eingefügten Leinenbändern zum Schließen des Buches. Die Ausgabe Danske Bibelarbejder fra Reformationstiden (Dänische Bibelarbeiten der Reformationszeit), 3 Bde. (1950, urspr. 1524–1541) musste sich mit Pergamentrücken und papierüberzogenen Einbanddeckeln bescheiden.42 Die Finanzlage späterer Zeiten erlaubte Derartiges nicht, doch dass die Idee nicht ganz aufgegeben ist, zeigen die vorderen und hinteren Einbanddeckel der 10 Textbände von H. C. Andersens Dagbøger. Ihr marmoriertes Überzugspapier entspricht der Mode der jeweiligen Periode, aus welcher der Inhalt des einzelnen Bandes datiert. Die Rücken sind in uniformem schwarzen Leinen mit Papieretiketten gehalten, doch zieht man die Bände aus dem Regal, wird einem unmittelbar und farbenprächtig veranschaulicht, wie sich der Geschmack von 1825 bis 1875 gewandelt hat.
4.
Klassikerbibliotheken
4.1.
Danmarks Nationallitteratur
1904 schlug ein leitendes UJDS-Mitglied vor, die Gesellschaft solle eine Buchreihe kommentierter Klassikerausgaben ins Leben rufen.43 Daraus wurde nichts, aber die Idee ist seitdem mehrmals aufgegriffen und in anderen Zusammenhängen realisiert worden. Dem 20. Jahrhundert entstammen in jedem ____________ 42 43
Die genannten Einbände waren durch eine besondere Bewilligung der Ny-Carlsberg-Stiftung ermöglicht worden, vgl. Fyrretyve års virksomhed 1951, S. 9. Vgl. Bjerrum/Andersen/Larsen 1979, S. 21.
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Fall sieben dänische Klassikerreihen, von denen hier nur die beiden wissenschaftlichsten besprochen werden sollen.44 Die Holberggesellschaft vom 23. September, gegründet 1922, publizierte trotz ihres Namens keine von Ludvig Holberg verfassten oder ihn behandelnden Bücher. Stattdessen brachte sie in den Jahren 1926–1932 die Klassikerbibliothek Danmarks Nationallitteratur heraus, unter der Redaktion von Poul Tuxen und mit einer Leitungsgruppe, die aus Carl S. Petersen, Hans Brix (1870– 1961, Professor für dänische Literatur) und Sophus Michaëlis (1865–1932, Vorsitzender des Dänischen Autorenverbandes) bestand. Im Laufe von nur sieben Jahren erschienen 22 Bände, verteilt auf zehn Autoren. Neun davon stammten aus der Zeit zwischen 1800 und 1860 – von Adam Oehlenschläger bis Hans Egede Schack. Insofern war die Klassikerbibliothek der Holberggesellschaft ein Versuch, die textkritisch unzulänglichen, unkommentierten Verlagsausgaben von Autoren des 19. Jahrhunderts, die um die Jahrhundertwende erschienen waren, zu ersetzen.45 Außerhalb dieses Horizonts fiel nur eine Neuausgabe von Anders Sørensen Vedels It hundede vduaalde Danske Viser (1591), jetzt Folkevisebog (Volksliederbuch) genannt. Die Textgrundlagen der Ausgaben waren zumeist die Erstausgaben der Werke.46 Jeder Band enthält eine Einleitung und eine abschließende Sektion mit „Bemerkungen“, die über Textgrundlagen und -eingriffe informieren sowie knappe lemmatisierte, werkorientierte Stellenkommentare geben.47 Biografisch-entstehungsgeschichtliche Kommentare werden nach Möglichkeit vermieden, wohingegen intertextuelle Referenzen verifiziert werden. Die Ausgaben haben keinen Variantenapparat. Die Klassikerausgaben der Holberggesellschaft erschienen anfangs im gesellschaftseigenen Verlag, gingen jedoch 1929 an den Verlag G. E. C. Gad ____________ 44
45 46
47
Die übrigen sind: Mindesmærker af Danmarks Nationallitteratur [3 Bde.], hrsg. von Vilh. Andersen et al., Kopenhagen und Kristiania [= Oslo] 1908–1910; Dansk Bogsamling [20 Bde.], hrsg. von Vilh. Andersen / Johannes Brøndum-Nielsen, Kopenhagen 1925–1927; Gyldendals Bibliotek. Hovedværker af Verdenslitteraturen, 52 Bde., hrsg. von Vilh. Andersen et al., Kopenhagen 1928–1930 [von diesen Hauptwerken der Weltliteratur 10 Bde. dänische Literatur]; Danske Klassikere [13 Bde.], hrsg. von Aage Marcus, Kopenhagen 1948–1958; Gyldendals Bibliotek. Dansk litteratur, 50 Bde., hrsg. von Erling Nielsen in Konsultation mit der Dänischen Akademie (Det danske Akademi), Kopenhagen 1964 f. Vgl. Dahl 2000, S. 121. Ausnahmen sind die Ausgabe von F. C. Sibbern: Gabrielis’ Breve (1927, urspr. 1826–1850), welche die Zweitausgaben von 1851 benutzt, sowie die Ausgabe von Emil Aarestrup: Digte (1930), welche die Manuskripte verwendet. Die Ausgabe von Poul Martin Møller: Skrifter i Udvalg, 2 Bde. (1930) benutzt teils Drucke, teils Manuskripte. Die Ausnahme ist Vedels Volksliederbuch, das statt Stellenkommentaren ein alphabetisches Wörterverzeichnis am Ende von Band 2 bringt. Im Übrigen bietet diese Ausgabe als einzige der Reihe eine imitierende Typografie (Fraktur). In der Ausgabe von Aarestrups Gedichten werden keine Texteingriffe mitgeteilt.
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über. Die Bücher waren auf gutem Papier gedruckt und wurden sowohl geheftet herausgebracht als auch in einfachen Ganzleineneinbänden, die eine Strapazierfähigkeit signalisieren, welche sich auch in inhaltlicher Hinsicht erwiesen hat. Noch heute wirken die Ausgaben modern und funktionell. Ein Teil der Erklärung hierfür kann sein, dass die zweite hier behandelte Bibliothek, die Reihe Danske Klassikere – die lebensfähigste der Klassikerbibliotheken des 20. Jahrhunderts –, das Konzept von Danmarks Nationallitteratur in großem Umfang übernommen oder weitergeführt hat. 4.2.
Danske Klassikere
1986 begann die Reihe Danske Klassikere zu erscheinen, herausgegeben von der DSL in Zusammenarbeit mit der Herausgebergesellschaft der Volksbibliotheken, Nyt Dansk Litteraturselskab (Neue Dänische Literaturgesellschaft), die ansonsten insbesondere nicht-kritische Ausgaben für Sehbehinderte veranstaltete. Im Herausgebergremium saß außerdem ein Repräsentant des Dänischen Autorenverbandes.48 Publiziert wurden die Bücher vom Verlag Borgen, der sich verpflichtete, sie 15 Jahre lang auf Lager zu halten, und keinen wirtschaftlichen Gewinn aus der Zusammenarbeit ziehen sollte.49 Die finanzielle Grundlage hatte das Kulturministerium bereitgestellt, zunächst für drei Jahre (1986– 1988); seitdem ist die Unterstützung jedoch laufend erneuert worden. Im Juli 2011 umfasst die Reihe Danske Klassikere ca. 123 Titel (Novellen- und Gedichtanthologien sind als jeweils ein Titel gezählt), die sich auf 86 Bände verteilen. Angestrebt wird die Herausgabe von mindestens 100 Bänden.50 Die Bände der Reihe sind unnummeriert, aber uniform in Format und Ausstattung. Die fadengehefteten Paperbacks waren in den ersten Jahren mit einem diskret typografischen Kartonumschlag versehen, der signalisierte, dass der Text im Zentrum stand. 1997 wurde der Umschlag gegen einen farbigeren ausgewechselt, der um ein Porträt des Autors herum aufgebaut war, mit einer Manuskriptseite als Hintergrund. 2010 ging die Reihe vom Verlag Borgen an Gyldendal über, womit ein Wechsel der Ausstattung verbunden war. Seitdem ist jeder Band einfarbig pappgebunden, jedoch mit einem Schutzumschlag, der zu einem Plakat ausgefaltet werden kann und das Porträt des Autors zeigt. Jeder Band besteht aus einem neu gesetzten und zumeist neu konstituierten Text. ____________ 48 49 50
Nyt Dansk Litteraturselskab und der Dänische Autorenverband traten 2005 in Verbindung mit einer Umstrukturierung des Herausgebergremiums aus diesem aus. Vgl. Hunosøe 2002, S. 102. Vgl. Hunosøe 2002, S. 101. – Am Ende jedes Bandes befindet sich eine Liste bislang herausgegebener Titel, jedoch nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens, sondern in literaturgeschichtlicher Abfolge.
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In manchen Fällen hat man den Text von einer der DSL-Gesamtausgaben übernehmen können, jedoch mit Stichprobenkontrolle und oft mit Revision der Textkorrekturen. Die Texte sind nicht modernisiert und basieren fast immer auf den Erstdrucken. Dem Text folgt eine „Nachschrift“, in der Regel auf weniger als 25 Seiten begrenzt. Sie ist meistens, wenn auch nicht immer, von demjenigen geschrieben, der für Textkritik und Kommentierung verantwortlich gewesen ist. Für die Abfassung der Nachschrift gibt es keine ganz feste Disposition, doch eine Ausformung in essayistischer, aktualisierender Richtung ist nicht erwünscht. Das Regulativ zählt folgende Punkte auf, die nicht fehlen sollten:51 – Begründung für die Aufnahme des Werkes in die Reihe – Hintergrund von Werk und Autor – Eventuelle historische Kontexte, die im Werk beschrieben sind – Entstehungsgeschichte des Werkes – Analyse und Deutung, Platzierung im Œuvre und in der Literaturgeschichte – Rezeptionsgeschichte, zeitgenössisch und später – Textsituation, hierunter Manuskripte, spätere Ausgaben und Textkorrekturen – Literaturhinweise Als letztes Glied der Ausgabe folgen lemmatisierte Stellenkommentare; sie liefern realhistorische Informationen, sprachliche Erklärungen und intertextuelle Verweise. Sie sind knapp gehalten und darauf ausgerichtet, dem Leser über augenblickliche Verständnisschwierigkeiten hinwegzuhelfen. In manchen Fällen werden die Stellenkommentare durch alphabetische Wörterlisten, Landkarten oder eine generelle Darstellung von Sachverhalten entlastet. Die Bände der Reihe bringen normalerweise keine Varianten, doch in Einzelfällen haben Herausgeber sich entschlossen, Teile des Manuskriptmaterials als Anhang zu veröffentlichen. Zum Beispiel enthält Henrik Schovsbos Ausgabe von Ernesto Dalgas’ Roman Lidelsens Vej (Der Weg des Leidens, 1993, urspr. postum 1903 erschienen) einen unfertigen Abschnitt, der beim Druck der Originalausgabe weggelassen werden musste, was jedoch Unklarheiten der Komposition zur Folge hatte. Dan Ringgaard geht in seiner Ausgabe von Emil Aarestrup: Udvalgte digte (Ausgewählte Gedichte, 1998) noch einen Schritt weiter und publiziert als Ausdruck seines poetologischen Interesses eine Auswahl der losen Aufzeichnungen, die der Dichter als Speicher für Wörter und Einfälle benutzte. Eigentliche Variantenapparate waren dagegen bis vor kur____________ 51
Regulativ for Danske Klassikere 2007, Punkt 2.2.1.
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zem in den Bänden der Reihe nicht zu finden, doch mit Janet Gartons Ausgabe von Amalie Skrams Roman Constance Ring (2007, urspr. 1885) ist auch diese Möglichkeit eröffnet worden. Die Ausgabe bringt systematisch Varianten aus dem noch erhaltenen Druckmanuskript. Jeder Band in Danske Klassikere wird in einer Auflage von 1500 Exemplaren gedruckt, und wenn er vor Ablauf von 15 Jahren vergriffen ist, erwägt man seine Neuauflage.52 Verschiedene Bände sind bereits neu herausgebracht worden, stets nach einer Revision, und besonders bei solchen Gelegenheiten zeigt sich, dass die fachlichen Ambitionen der Reihe im Laufe der Jahre gestiegen sind. Waren einige der frühesten Bände von einem kavaliermäßigen Verhältnis zu Texteingriffen geprägt, so ist die Politik heute stramm konservativ.53 Die stillschweigenden Berichtigungen, für die es in Dänemark eine Tradition gegeben hat, kamen nach 2000 unter Druck, u. a. aus textsoziologischen und buchkundlichen Überlegungen heraus, und verschwanden 2007 aus dem Regulativ der Reihe. Außerdem hat man damit begonnen, mit dem Vorkommen interner Varianz zwischen den einzelnen Exemplaren des gedruckten Grundtextes zu rechnen und eine interne Kollation zum Zweck ihrer Entdeckung vorzunehmen.54 Schließlich sind die Stellenkommentare generell umfassender und konsequenter geworden.55 Wer und was wird in Danske Klassikere herausgegeben? Literaturgeschichtlich reicht die Reihe von ca. 1700 bis ca. 1940, doch mit einer Vorliebe für die Zeit nach 1850. Aus dem 17. Jahrhundert enthält sie nur einen einzigen Band, Thomas Kingos Digtning i udvalg (Ausgewählte Dichtung, 1995, urspr. 1668– 1698). Das 18. Jahrhundert ist spärlich repräsentiert mit Komödien und Essays von Ludvig Holberg, Kirchenliedern und Gedichten von Hans Adolf Brorson, Gedichten und Prosa von Johannes Ewald sowie einer Anthologie von Moralske fortællinger (Moralische Erzählungen) 1761–1805. Mit 21 Bänden, darunter sieben mit Hans Christian Andersens Romanen und Reiseschilderungen, ist die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten, während die zweite Hälfte mit 33 Bänden (davon fünf mit Andersens Romanen und Reiseschilderungen) den Spitzenplatz einnimmt. Die ersten 40 Jahre des 20. Jahrhunderts sind mit 23 Bänden repräsentiert. ____________ 52 53 54 55
Vgl. Hunosøe 2002, S. 102. Vgl. beispielsweise Nielsen 2007. Vgl. Yde 2003, wo von der Herausgeberarbeit mit Martin Andersen Nexøs Roman Pelle Erobreren (2002, urspr. 1906–1910) berichtet wird. Außerdem Nielsen 2007, S. 109. Ein konkretes, vielleicht besonders markantes Beispiel: Als Jørn Vosmar 1986 Jens Peter Jacobsens Niels Lyhne herausgab, füllten die Stellenkommentare 7,5 Seiten; als Klaus Nielsen sie 2007 erneuerte, füllten sie 13 Seiten. – Dahl 2000 konstatierte eine Vergrößerung des Apparates (Nachschrift, Kommentare und Korrekturlisten) von ca. 22,5 % des Textumfangs bei den ersten 15 Bänden auf ca. 25 % bei den letzten 12 Bänden; Dahl 2000, S. 128.
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Man könnte den Schnitt durch das 19. Jahrhundert auch anders legen und sehen, dass der Schwerpunkt nach 1825 liegt. Aus der Zeit vor 1825 stammen insgesamt ca. neun Bände, aus der Zeit danach ca. 77 Bände. Um 1825 erlebte die Prosa in Dänemark ihren Durchbruch, und 1835 ist als ‚das große Romanjahr‘ bekannt. Dies bedeutet auch, dass es in Danske Klassikere genremäßig ein klares Übergewicht von Prosa und Romanen gibt. Andersens Romane und Reiseschilderungen nehmen mit 12 Bänden einen beträchtlichen Raum ein; ansonsten jedoch wird die Reihe insbesondere geprägt von Romanautoren des Naturalismus wie Holger Drachmann (3 Bände), Jens Peter Jacobsen (3 Bände), Henrik Pontoppidan (2 Bände, aber 11 Titel) und Herman Bang (4 Bände) sowie solchen des neonaturalistischen Durchbruchs nach 1900. Das Hauptgewicht der Reihe liegt auf der Belletristik, obwohl auch Reiseschilderungen in gewissem Umfang dazugehören. Äußerst selten sind philosophische Werke (drei Titel von Søren Kierkegaard) und Literaturkritik (zwei Titel von Herman Bang). Lebenserinnerungen (Martin Andersen Nexø) und Tagebücher (Søren Kierkegaard) gehören ebenfalls zu den Ausnahmen, während Briefe nicht repräsentiert sind. Im Verhältnis zum Titel der Reihe (Dänische Klassiker) ist es bemerkenswert, dass das Regulativ von Anfang an mit vier Kategorien operiert hat: 1. bekannte Werke von bekannten Autoren (z. B. Herman Bang: Tine) 2. bekannte Werke von weniger bekannten Autoren (z. B. Hans Egede Schack: Phantasterne) 3. weniger bekannte Werke von bekannten Autoren (z. B. Hans Christian Andersen: Skyggebilleder (Schattenbilder)) 4. zu Unrecht unbekannte Werke von weniger bekannten Autoren (z. B. Ernesto Dalgas: Lidelsens Vej).56 Aus einem traditionell kanonischen (und kommerziellen) Blickwinkel heraus würde man sich auf Kategorie 1 und 2 konzentrieren, während die Kategorien 3 und 4 keine Aufnahme fänden. Obwohl die Redaktion der Reihe die beiden letzten Kategorien „mit Zweifel“ herausgibt,57 versucht sie also, sich frei zum literarischen Kanon zu verhalten und nach Kräften dessen Grenzen auszuweiten. In der Praxis sind die Alternativen von Danske Klassikere zum etablierten Kanon jedoch hauptsächlich in Kategorie 3 zu finden. Man versucht, die Diversität in den „kanonischen“ Œuvres zu präsentieren oder „im Schutz be____________ 56 57
Vgl. Regulativ 2007, Pkt. 1.1 sowie Hunosøe 2002, S. 103. Die Reihenfolge hier folgt Hunosøes Artikel; im Regulativ ist sie: 1 - 3 - 2 - 4. Hunosøe 2002, S. 103.
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kannter Autorennamen unbekannte Werke hereinzuschmuggeln.“58 Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Werke in Kategorie 4 nur mit Mühe verkauft werden können.59 Aus dem Dänischen von Christine Todsen
Abstract This article designates the 20th century as a period when scholarly ambitions in Danish publishing came to fruition. This was partly due to the publication during this period of a number of prototypical scholarly editions, and partly due to the rising influence of scholarly publishers. The chapter describes two of these prototypical editions: the Nachlass edition of Søren Kierkegaard’s papers (Søren Kierkegaards Papirer, 1909–1948, 2nd ed. 1967–1978) and Ludvig Holberg’s collected writings (Ludvig Holbergs Samlede Skrifter, 1913– 1963). The article then provides an overview of editions produced by two societies ‘Universitets-Jubilæets danske Samfund’ (UJDS, 1879 ff.) and ‘Det Danske Sprog- og Litteraturselskab’ (DSL, 1911 ff.). The focus is on collected works and anthologies drawn from modern Danish literature, especially fiction, and on editions of fiction writers’ letters and diaries. While both these types of publication are peripheral to the output of UJDS, they are central to DSL’s output. As a result, DSL’s publications dominate our presentation. We also discuss a number of facsimile editions, including facsimiles of literary journals, before giving examples of DSL’s thoughtful approach to the physical features (binding, presswork, paper etc.) of its books. Finally we discuss two major series of classic works: the Holbergselskabet’s series ‘Denmark’s National Literature’ (‘Danmarks Nationallitteratur’, 1926–1932); and DSL’s series ‘Classics of Danish Literature’ (‘Danske Klassikere’, 1986 ff.).
Literaturverzeichnis Editionen Aarestrup, Emil: Samlede Skrifter med Noter. Hrsg. von Hans Brix und Palle Raunkjær. 5 Bde. Kopenhagen 1922–1925 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). 2. Aufl. in 6 Bänden: 1976. Aarestrup, Emil: Digte. Hrsg. von Hans Brix. Kopenhagen 1930 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). ____________ 58 59
Hunosøe 2002, S. 110. Vgl. Hunosøe, S. 107.
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Aarestrup, Emil: Udvalgte digte. Hrsg. von Dan Ringgaard. Kopenhagen 1998 (Det Danske Sprogog Litteraturselskab: Danske Klassikere). Andersen, H. C.: Brevveksling med Edvard og Henriette Collin. Hrsg. von Carl Behrend und H. Topsøe-Jensen. 6 Bde. Kopenhagen 1933–1937 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Brevveksling med Jonas Collin den ældre og andre Medlemmer af det Collinske Hus. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen et al. 3 Bde. Kopenhagen 1945–1948 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Romaner og Rejseskildringer. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen, Morten Borup, Knud Bøgh, Ole Jacobsen und H.A. Paludan. 7 Bde. Kopenhagen 1943/44 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Eventyr. Hrsg. von Erik Dal, Erling Nielsen und Flemming Hovmann. 7 Bde. Kopenhagen 1963–1990 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Dagbøger 1825–1875. Hrsg. von Kåre Olsen, H. Topsøe Jensen, Helga Vang Lauridsen, Tue Gad und Kirsten Weber. 12 Bde. Kopenhagen 1971–1977 (Det danske Sprogog Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Skyggebilleder. Hrsg. von Johan de Mylius. Kopenhagen 1986 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Andersen, H. C.: Almanakker 1833–1873. Hrsg. von Helga Vang Lauridsen und Kirsten Weber. Kopenhagen 1990 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: Andersen. H. C. Andersens samlede værker. Hrsg. von Klaus P. Mortensen, Laurids Kristian Fahl, Esther Kielberg, Jesper Gehlert Nielsen et al. 18 Bde. Kopenhagen 2003– 2007 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, Vilhelm und Valdemar Vedel: Brevveksling 1894–1939. Hrsg. von Per Dahl. Kopenhagen 1987 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Arrebo, Anders: Samlede Skrifter. Hrsg. von Vagn Lundgaard Simonsen et al. 6 Bde. (I–V). Kopenhagen 1965–1983 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Bang, Herman: Tine. Hrsg. von Marie Hvidt und Villy Sørensen. Kopenhagen 1986 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Bang, Herman: Ludvigsbakke. Hrsg. von Flemming Conrad und Mette Winge. Kopenhagen 1986 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Bang, Herman: Stuk. Hrsg. von Paul Nørreslet. Kopenhagen 1987 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Bang, Herman: Realisme og Realister [&] Kritiske Studier og Udkast. Hrsg. von Sten Rasmussen. Kopenhagen 2001 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Bang, Herman: Vekslende Themaer. Hrsg. von Sten Rasmussen. 4 Bde. Kopenhagen 2006 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Bang, Herman: Romaner og Noveller. Hrsg. von Jesper Gehlert Nielsen et al. 10 Bde. Kopenhagen 2008–2010 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Biblia, Det er den gantske Hellige Schrifft, udsæt paa Danske (1550). Faksimileausgabe. Kopenhagen 1928 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Biehl, Charlotta Dorothea: Mit ubetydelige Levnets Løb. Hrsg. von Marianne Alenius. Kopenhagen 1986 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). 2. Aufl.: 1999. Bjørnson, Bjørnstjerne: Brevveksling med Danske 1875–1910. Hrsg. von Øyvind Anker, Francis Bull und Torben Nielsen. 3 Bde. Kopenhagen, Oslo 1953 (Fondet for Dansk-Norsk Samarbejde und Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Bjørnson, Bjørnstjerne: Brevveksling med Danske 1854–1874. Hrsg. von Øyvind Anker, Francis Bull und Torben Nielsen. 3 Bde. Kopenhagen, Oslo 1970–1974 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab und Det norske språk- og litteraturselskap). Blicher, Steen Steensen: Samlede Skrifter. Hrsg. von Jeppe Aakjær, Georg Christensen, Johs. Nørvig et al. 33 Bde. Kopenhagen 1920–1934 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Borch, Ole: Olai Borrichii Itinerarium 1660–1665. The Journal of the Danish Polyhistor Ole Borch. Hrsg. von H. D. Schepelern. 4 Bde. Kopenhagen, London 1983 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Bording, Anders: Samlede skrifter. Hrsg. von Erik Sønderholm und Paul Ries. Bisher 3 Bde. Kopenhagen 1984 ff. (Det danske Sprog- og Litteraturselskab).
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Johnny Kondrup
Bournonville, August: Breve til Barndomshjemmet / Lettres à la maison de son enfance. Hrsg. von Nils Schiørring und Svend Kragh-Jacobsen. 3 Bde. Kopenhagen 1969–1978 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brahe, Tycho: Tychonis Brahe Dani Opera Omnia. Hrsg. von I. L. E. Dreyer, Hans Ræder und Eiler Nystrøm. 15 Bde. Kopenhagen 1913–1929 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). 2. Aufl.: 1972. Brandes, Georg: Correspondance de Georg Brandes. Hrsg. von Paul Krüger. 4 Bde. Kopenhagen 1952–1966 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brandes, Georg: Breve til Forældrene 1859–71. Hrsg. von Morten Borup. 3 Bde. Kopenhagen 1978 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brandes, Georg: Breve til Forældrene 1872–1904. Hrsg. von Torben Nielsen. 3 Bde. Kopenhagen 1994 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brandes, Georg und Edvard: Brevveksling med nordiske Forfattere og Videnskabsmænd. Hrsg. von Morten Borup et al. 8 Bde. Kopenhagen 1939–1942 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brorson, Hans Adolf: Samlede Skrifter. Hrsg. von L. J. Koch et al. 3 Bde. Kopenhagen 1951–1956 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brorson, Hans Adolf: Visitatsberetninger og breve. Hrsg. von L. J. Koch. Kopenhagen 1960 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Brorson, H.A.: Udvalgte salmer og digte. Hrsg. von Steffen Arndal. Kopenhagen 1994 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Claussen, Sophus: Lyrik. Hrsg. von Jørgen Hunosøe et al. 10 Bde. (1–9,2). Kopenhagen 1982– 1984 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Corpus Philosophorum Danicorum Medii Aevi. Hrsg. von Alfred Otto, Heinrich Roos, Jan Pinborg, Sten Ebbesen et al. Bisher 18 Bde. (I,1–XIV). Kopenhagen 1955 ff. (Det danske Sprogog Litteraturselskab). Corsaren. M.A. Goldschmidts årgange 1840–1846. Hrsg. von Uffe Andreasen et al. 7 Bde. Kopenhagen 1977–1981 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Dalgas, Ernesto: Lidelsens Vej. Hrsg. von Henrik Schovsbo. Kopenhagen 1993 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Danmarks gamle Folkeviser. Hrsg. von Svend Grundtvig, Axel Olrik, H. Grüner-Nielsen, KarlIvar Hildeman, Erik Dal, Iørn Piø, Thorkild Knudsen, Svend Nielsen, Nils Schiørring, Svend H. Rossel, Rikard Hornby und Erik Sønderholm. 12 Bde. Kopenhagen 1853–1976 (Bd. I–V: Samfundet til den danske Litteraturs Fremme; Bd. VI–VIII: Otto Wroblewski; Bd. VIII–IX: Gyldendal; Bd. X–XII: Universitets-Jubilæets danske Samfund). 2. Aufl.: Bd. I–X. 1966–1967. Danmarks gamle Ordsprog. Hrsg. von Iver Kjær, John Kousgaard Sørensen, Erik Petersen und Niels Werner Frederiksen. Bisher 8 Bde. (I,1–VII,2). Kopenhagen 1977 ff. (Det danske Sprogog Litteraturselskab). Danske Bibelarbejder fra Reformationstiden. Hrsg. von Bertil Molde und Volmer Rosenkilde. 3 Bde. Kopenhagen 1950 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Danske Folkebøger fra 16. og 17. Aarhundrede. Hrsg. von J.P. Jacobsen, J. Olrik und R. Paulli. 14 Bde. Kopenhagen 1915–1936 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Danske Viser fra Adelsvisebøger og Flyveblade 1530–1630. Hrsg. von H. Grüner-Nielsen und Marius Christensen. 7 Bde. Kopenhagen 1912–1930 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). 2. Aufl.: 1978–1979. Dietz, Ludwig: Ludwig Dietz’ Salmebog 1536. Hrsg. von Niels Knud Andersen. Kopenhagen 1972 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Diplomatarium Danicum. Hrsg. von Lauritz Weibull, Franz Blatt, C. A. Christensen, Herluf Nielsen et al. 35 Bde. + 5 Bde. Kopenhagen 1938 ff. (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). (http://diplomatarium.dk). Drachmann, Holger: Breve fra og til Holger Drachmann. Hrsg. von Morten Borup. 4 Bde. Kopenhagen 1968–1970 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Drachmann, Holger: En Overkomplet. Hrsg. von Aage Schiøttz-Christensen. Kopenhagen 1987 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Drachmann, Holger: Forskrevet. Hrsg. von Lars Peter Rømhild. 2 Bde. Kopenhagen 2000 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere).
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Dreier, Frederik: Samlede Skrifter. Hrsg. von Hanne Nørregaard Posselt, Niels Finn Christiansen, Pernille Stenner und Morten Thing. 5 Bde. Kopenhagen 2003 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). En Ræffue Bog. Herman Weigeres Oversættelse af Reineke de Vos. Hrsg. von Niels Møller und Kr. Sandfeld. 2 Bde. Kopenhagen 1915–1923 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Ewald, Johannes: Samlede Skrifter efter Tryk og Haandskrifter. Hrsg. von Victor Kuhr, Svend Aage Pallis und Niels Møller. 6 Bde. Kopenhagen 1914–1924 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). 2. Aufl.: 1969. Ewald, Johannes: Herr Panthakaks Historie [&] Levnet og Meeninger. Hrsg. von Johnny Kondrup. Kopenhagen 1988 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). 2. Aufl.: 2004. Ewald, Johannes: Udvalgte digte. Hrsg. von Esther Kielberg und Kim Ravn. Kopenhagen 1998 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Fem Reformationsskrifter trykt af Hans Vingaard i Viborg 1528–1530. Hrsg. von Peter BalslevClausen, Erik Dal und Allan Karker. Kopenhagen 1987 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Goldschmidt, Meïr: Breve fra og til Meïr Goldschmidt. Hrsg. von Morten Borup. 3 Bde. Kopenhagen 1963. Goldschmidt, Meïr: Breve til hans Familie. Hrsg. von Morten Borup. 2 Bde. Kopenhagen 1964. Goldschmidt, Meïr: Livs Erindringer og Resultater. Hrsg. von Morten Borup. 2 Bde. Kopenhagen 1965. Goldschmidt, Meïr: Dagbøger. Hrsg. von Kenneth H. Ober et al. 2 Bde. Kopenhagen 1987 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Grundtvig, N. F. S.: Sang-Værk. Samlet Udgave. Hrsg. von Th. Balslev, Ernst J. Borup, Uffe Hansen, Ejnar Skovrup und Magnus Stevns. 6 Bde. Kopenhagen 1944–1964. Grundtvig, N. F. S.: Registrant over N.F.S. Grundtvigs papirer. Hrsg. von Gustav Albeck, K. E. Bugge, Uffe Hansen, Steen Johansen, Niels Kofoed, William Michelsen, Kaj Thaning und Helge Toldberg. 30 Bde. Kopenhagen 1957–1964 (Grundtvig-Selskabet af 8. September 1947 und Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Grundtvig, N. F. S.: Dag- og Udtogsbøger. Hrsg. von Gustav Albeck. 2 Bde. Kopenhagen 1979 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Grundtvig, N. F. S.: Blik paa Poesiens Historie og Bernhard Severin Ingemann. Hrsg. von Flemming Lundgreen-Nielsen. Kopenhagen 1985 (Universitets-Jubilæets danske Samfund: Studier 3). Hansen, Martin A.: Dagbøger. Hrsg. von Anders Thyrring Andersen, Jørgen Jørgensen et al. 3 Bde. Kopenhagen 1999 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Hansen, Martin A.: Kætterbreve. Martin A. Hansens korrespondance med kredsen omkring Heretica. Hrsg. von Anders Thyrring Andersen. 3 Bde. Kopenhagen 2004. Heiberg, Johan Ludvig: Poetiske Skrifter. Hrsg. von Carl S. Petersen. 3 Bde. Kopenhagen 1931/32 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). Heiberg, Johan Ludvig: Breve og Aktstykker vedrørende Johan Ludvig Heiberg. Hrsg. von Morten Borup. 5 Bde. Kopenhagen 1946–1950 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Helie, Paulus: Skrifter af Paulus Helie. Hrsg. von P. Severinsen, Marius Kristensen, Hans Ræder et al. 7 Bde. Kopenhagen 1932–1948 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Holberg, Ludvig: Samlede Skrifter. Hrsg. von Carl S. Petersen et al. 18 Bde. Kopenhagen 1913– 1963. Holberg, Ludvig: Epistler. Hrsg. von F. J. Billeskov Jansen. 8 Bde. Kopenhagen 1944–1954. Holberg, Ludvig: Værker i tolv Bind. Digteren, Historikeren, Juristen, Vismanden. Hrsg. mit Einleitungen und Erläuterungen von F. J. Billeskov Jansen. 12 Bde. [Kopenhagen] 1969–1971. Holberg, Ludvig: Moralske Tanker. Hrsg. von F. J. Billeskov Jansen und Jørgen Hunosøe. Kopenhagen 1992 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Holberg, Ludvig: Seks komedier. Hrsg. von Jens Kr. Andersen. Kopenhagen 1994 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). 2. Aufl.: 1999. Højskolens Ungdomstid i Breve. Hrsg. von Roar Skovmand et al. 2 Bde. Kopenhagen 1960 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Jacobsen, J. P.: Samlede Værker. Hrsg. von Morten Borup et al. 5 Bde. Kopenhagen 1924–1929 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab).
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Johnny Kondrup
Jacobsen, J. P.: Samlede Værker. Romaner, Noveller, Digte, Breve. Hrsg. mit Einleitungen und Erläuterungen von Frederik Nielsen. 6 Bde. [Kopenhagen] 1972–1974. Jacobsen, J. P.: Niels Lyhne. Hrsg. von Jørn Vosmar. Kopenhagen 1986 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). 2. Aufl. durch Klaus Nielsen: 2007. Jacobsen, J. P.: Fru Marie Grubbe. Hrsg. von Jørn Erslev Andersen. Kopenhagen 1993 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Jacobsen, J. P.: Lyrik og prosa. Hrsg. von Jørn Erslev Andersen und Esther Kielberg. Kopenhagen 1993 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Jensen, Johannes V.: Samlede Digte. Hrsg. von Anders Thyrring Andersen, Erik M. Christensen, Per Dahl und Aage Jørgensen. 2 Bde. Kopenhagen 2006. Kierkegaard, Søren: Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer. Hrsg. von H. P. Barfod und H. Gottsched. 9 Bde. Kopenhagen 1869–1881. Kierkegaard, Søren: Samlede Værker. Hrsg. von A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange. 14 Bde. Kopenhagen 1901–1906. 2. Aufl.: 15 Bde. 1920–1936. Kierkegaard, Søren: Papirer. Hrsg. von P.A. Heiberg, V. Kuhr und E. Torsting. 20 Bde. (I–XI,3). Kopenhagen 1909–1948. 2. Aufl. durch Niels Thulstrup und N.J. Cappelørn: 25 Bde. (I–XVI. 1967–1978. Kierkegaard, Søren: Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard. Hrsg. von Niels Thulstrup und Carl Weltzer. 2 Bde. Kopenhagen 1953/54. Kierkegaard, Søren: Frygt og Bæven [&] Sygdommen til Døden [&] Taler. Hrsg. von Lars Petersen und Merete Jørgensen. Kopenhagen 1989 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Kierkegaard, Søren: Dagbøger i udvalg 1834–1846. Hrsg. von Jørgen Dehs und Niels Jørgen Cappelørn. Kopenhagen 1992 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Kierkegaard, Søren: Søren Kierkegaards Skrifter. Hrsg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Johnny Kondrup et al. 55 Bde. Kopenhagen 1997–2013 (Søren Kierkegaard Forskningscenteret). (www.sks.dk). Kingo, Thomas: Samlede Skrifter. Hrsg. von Hans Brix, Paul Diderichsen, F. J. Billeskov Jansen et al. 8 Bde. (: I–VII). Kopenhagen 1939–1975 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). 2. Aufl. (Bd. I–V + VII): 1975. Kingo, Thomas: Digtning i udvalg. Hrsg. von Marita Akhøj Nielsen. Kopenhagen 1995 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Kjøbenhavns flyvende Post [1827–1837]. Hrsg. von Uffe Andreasen et al. 4 Bde. Kopenhagen 1980–1984 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Lyschander, C. C.: Digtning 1579–1623. Hrsg. von Flemming Lundgreen-Nielsen und Erik Petersen. 2 Bde. Kopenhagen 1989 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Molbech, Christian: Brevveksling med svenske Forfattere og Videnskabsmænd. Hrsg. von Morten Borup. 3 Bde. Kopenhagen, Lund 1956 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Monrad, D. G.: Breve. Hrsg. von Svend Hauge. Kopenhagen 1969 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Moralske fortællinger 1761–1805. Hrsg. von Anne-Marie Mai und Esther Kielberg. Kopenhagen 1994 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Moth, Matthias: Forvandlingerne. Uddrag af Matthias Moths oversættelse af Ovids Metamorphoses. Hrsg. von Poul Lindegård Hjorth. Kopenhagen 1979 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Mynster, J. P.: Visitatsdagbøger 1835–53. Hrsg. von Bjørn Kornerup. 2 Bde. Kopenhagen 1937 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab und Selskabet for Danmarks Kirkehistorie). Møller, Niels und Valdemar Vedel: Brevveksling 1885–1915. Hrsg. von Knud Bøgh. Kopenhagen 1959 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Møller, Poul Martin: Skrifter i Udvalg. Hrsg. von Vilh. Andersen. 2 Bde. Kopenhagen 1930 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). Møller, Poul Martin: Poul Møller og hans Familie i Breve. Hrsg. von Morten Borup. 3 Bde. Kopenhagen 1976 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Nexø, Martin Andersen: Breve fra Martin Andersen Nexø. Hrsg. von Børge Houmann. 3 Bde. Kopenhagen 1969–1972 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Nexø, Martin Andersen: Erindringer. Hrsg. von Henrik Yde und Peter Gornitzka. 2 Bde. Kopenhagen 1999 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere).
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Nexø, Martin Andersen: Pelle Erobreren. Hrsg. von Henrik Yde. 3 Bde. Kopenhagen 2002 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). [Nielsen, Poul:] Vocabularium variorum expositio (Kopenhagen 1576). Hrsg. von Jørgen Larsen. Kopenhagen 1995 (Universitets-Jubilæets danske Samfund: Det 16. århundredes danske vokabularier 5). Oehlenschläger, Adam: Poetiske Skrifter. Hrsg. von F. L. Liebenberg. 32 Bde. Kopenhagen 1857– 1862 (Selskabet til Udgivelse af Oehlenschlägers Skrifter). Oehlenschläger, Adam: Hakon Jarl hin Rige. Textkritisk Paralleludgave. Hrsg. von C. M. Rosenberg. Kopenhagen 1928. Oehlenschläger, Adam: Poetiske Skrifter. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen. 5 Bde. Kopenhagen 1926– 1930 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). Oehlenschläger, Adam: Breve fra og til Adam Oehlenschläger. [1. Reihe:] Januar 1798 – November 1809. Hrsg. von H. A. Paludan, Morten Borup, Daniel Preisz et al. 5 Bde. Kopenhagen 1945–1950 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Oehlenschläger, Adam: Breve fra og til Adam Oehlenschläger. 2.–3. Reihe (1809–1850). Hrsg. von Daniel Preisz. 9 Bde. Kopenhagen 1953–1996 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Oehlenschläger, Adam: Breve fra og til Adam Oehlenschläger. Registre 1809–1850. Hrsg. von Jens Keld. Kopenhagen 1996 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Oehlenschläger, Adam: [Værker]. Hrsg. von Povl Ingerslev-Jensen, Jens Kr. Andersen, F. J. Billeskov Jansen, Poul Linneballe, Flemming Lundgreen-Nielsen, Henrik Lundgren, Mogens Løj und Torben Nielsen. 12 Bde. Kopenhagen 1972–1987 (Oehlenschläger Selskabet). Palladius, Peder: Danske Skrifter. Hrsg. von Lis Jacobsen. 5 Bde. Kopenhagen 1911–1926 (Universitets-Jubilæets Danske Samfund). Paludan, Jacob: Breve fra Jacob Paludan til Thorvald Petersen. Hrsg. von Niels Stengaard. Kopenhagen 1999 (Universitets-Jubilæets danske Samfund: Studier 11). Paludan-Müller, Frederik: Paludan-Müllers Poetiske Skrifter i Udvalg. Hrsg. von Carl S. Petersen. 3 Bde. Kopenhagen 1909. Pedersen, Christiern: Vocabularium ad usum dacorum (Paris 1510). Hrsg. von Inger Bom und Niels Haastrup. Kopenhagen 1973 (Universitets-Jubilæets danske Samfund: Det 16. århundredes danske vokabularier 1). Peerszøn, Jens: En merckelig grundfest Disputatz (1531). Hrsg. von Poul Andersen. Kopenhagen 1952 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Pontoppidan, Henrik: Det forjættede Land. Muld (1891), Det forjættede Land (1892), Dommens Dag (1895). Hrsg. von Esther Kielberg, Lars Peter Rømhild und Karsten Kynde. 2 Bde. + CDROM. Kopenhagen 1997 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Pontoppidan, Henrik: Smaa Romaner 1885–1890. Hrsg. von Flemming Behrendt. Kopenhagen 1999 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Pontoppidan, Henrik: Smaa Romaner 1893–1900. Hrsg. von Flemming Behrendt. Kopenhagen 2004 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). Pors, Mads: De nomenclaturis Romanis (Frankfurt 1594). Hrsg. von Jørgen Larsen. Kopenhagen 1995 (Universitets-Jubilæets danske Samfund: Det 16. århundredes danske vokabularier 6). Rask, Rasmus: Breve fra og til Rasmus Rask. Hrsg. von Louis Hjelmslev und Marie Bjerrum. 3 Bde. Kopenhagen 1941–1968 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab). Schack, Hans Egede: Phantasterne. Hrsg. von Carl Roos. Kopenhagen 1925 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). Schack, Hans Egede: Phantasterne. Hrsg. von Jens Kr. Andersen. Kopenhagen 1986 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab: Danske Klassikere). 2. Aufl.: 1993. Schmidt, Frederik: Provst Frederik Schmidts Dagbøger. Hrsg. von Ole Jacobsen, Johanne BrandtNielsen et al. 3 Bde. Kopenhagen 1966–1985 (Det danske Sprog- og Litteraturselskab und Det norske språk- og litteraturselskap). Sibbern, F.C.: Gabrielis’ Breve. Hrsg. von Poul Tuxen. Kopenhagen 1927 (Holbergselskabet af 23. September: Danmarks Nationallitteratur). Sjælens og Kroppens Trætte og Ars Moriendi. Hrsg. von Poul Lindegård Hjorth. Kopenhagen 1971 (Universitets-Jubilæets danske Samfund). Skram, Amalie und Erik Skram: Elskede Amalie. Brevvekslingen mellom Amalie og Erik Skram. Hrsg. von Janet Garton. 3 Bde. Oslo 2002 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab und Det norske språk- og litteraturselskap).
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Johnny Kondrup
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Die Edition dänischer Literatur zwischen 1900 und 2011
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Johnny Kondrup
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Per Dahl
Hans Christian Andersens Briefe und Tagebücher
1. Der Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805–1875) war auch einer der größten dänischen Briefschreiber. Nicht nur die meisten seiner Briefe, sondern auch alle seine Tagebücher sind ediert worden. Die Reihe der Briefausgaben wurde eingeleitet durch drei Bände mit Briefen an ihn und von ihm, die C. St. A. Bille und Nikolaj Bøgh in den Jahren 1877 und 1878 veröffentlichten. Wie zu jener Zeit üblich, waren die darin enthaltenen Angaben zu den Briefschreibern und -empfängern äußerst dürftig. 1882 erschien vom Freund Edvard Collin das Buch H. C. Andersen og det Collinske Huus (H. C. A. und das Collinsche Haus), das als Ergänzung zur Autobiografie des Schriftstellers gedacht war und Auszüge aus gut hundert Briefen Andersens enthielt. Der deutsche Markt wurde 1887 einbezogen, als Emil Jonas H. C. Andersens Briefwechsel mit dem Grossherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach und anderen Zeitgenossen herausbrachte. Zum großen professionellen Editor von Hans Christian Andersens Briefwechseln wurde Helge Topsøe-Jensen (1896–1976). Er erwarb 1920 an der Kopenhagener Universität den dänischen Magister-Grad in Allgemeiner Literaturwissenschaft und promovierte 1940 mit der Dissertation Mit eget Eventyr uden Digtning. En Studie over H. C. Andersen som Selvbiograf (Mein eigenes Märchen ohne Dichtung. Eine Studie über H. C. A. als Autobiograf). Ab 1920 war er bei der Staatsbibliothek in Aarhus und ab 1927 bei der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen angestellt. Von 1947 bis 1965 leitete er die 1. Abteilung der Universitätsbibliothek. Der im Jahr 1911 gegründeten Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft gehörte er ab 1931 an, von 1948 bis 1971 als ihr Vorsitzender, sodass er auch organisatorisch einen wesentlichen Einfluss auf die dänische Editionsphilologie hatte. Er verfasste mehrere Werke über Andersens Autobiografien und brachte 1951 Mit Livs Eventyr (Das Märchen meines Lebens ohne Dichtung) als zweibändige kommentierte Ausgabe heraus. Die Festschrift H.C. Andersen og andre Studier (H. C. A. und andere Studien), 1966, enthält eine Bibliografie. Von 1950 bis 1976 war H. Topsøe-Jensen Mitredakteur des Jahrbuches Anderseniana.
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Per Dahl
2. Um 1900 hatten Historiker wie Aage Friis (1870–1949) und P. Munch (1870– 1948) mit der Edition von Briefen über Literatur und Kultur begonnen, u. a. von denjenigen der Schauspielerin J. L. Heiberg: Johanne Luise Heiberg og Andreas Frederik Krieger. En Samling Breve 1860–89 (J. L. H. und A. F. K. Eine Sammlung Briefe 1860–89). In dieser zweibändigen, 1914/15 erschienenen Sammlung waren die Briefe noch nicht nummeriert; Einschübe zwischen ihnen dienten als fortlaufende Leseanleitung und die Stellenkommentare befanden sich am Ende von Band 2. Das Register der Ausgabe bestand aus einem etwas chaotischen „Namenverzeichnis“, das sowohl Personennamen als auch Titel und Rollen der in den Briefen genannten Schauspiele enthielt. Dies spiegelt auf charakteristische Art die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts wider. Erst in den 1930er Jahren und in erster Linie unter der Regie der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft entwickelte sich für die Edition von Briefsammlungen eine festere Form. Es setzte sich eine klare Gliederung nach funktionsbestimmten Teilen durch, jeweils mit Einleitung, Text, Kommentar und Registern. So zu gliedern birgt freilich das Risiko einer übertriebenen Differenzierung jedes einzelnen Teils, wodurch eine Ausgabe aufgebläht werden kann oder schlimmstenfalls als groß angelegter Torso endet. Es ist H. Topsøe-Jensens Verdienst, die Reihe der großen Ausgaben Andersen’scher Briefwechsel unter seiner Hauptherausgeberschaft so konzipiert und durchgeführt zu haben, dass die einzelnen Projekte zum einen innerhalb weniger Jahre realisiert wurden und zum anderen eine durchdachte Gliederung und zweckmäßige Differenzierung aufwiesen. Diese machten den Stoff für den Leser transparent und gaben vielen unterschiedlichen Nutzergruppen eine maximale Informationsfülle.
3. Die erste dieser Ausgaben, H. C. Andersens Brevveksling med Edvard og Henriette Collin (H. C. A.s Briefwechsel mit E. und H. C.), erschien zwischen 1933 und 1937 in sechs großen Bänden, verlegt von der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft. Dies war der umfangreichste und längste Briefwechsel des Dichters, denn er erstreckte sich von 1829 bis 1875. Die ersten vier Bände druckten Andersens Briefe ohne Auslassungen und Kürzungen, während die Briefe der Collins ab und zu gekürzt wurden, besonders bei Familiennachrich-
Hans Christian Andersens Briefe und Tagebücher
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ten, die kein Licht auf Andersens Biografie warfen. Auf die datierten folgten undatierte Briefe sowie Konzepte; insgesamt enthält die Ausgabe 825 Briefe. So weit wie irgend möglich wurden die Briefe in der sehr inkonsequenten Rechtschreibung und Zeichensetzung der Originale wiedergegeben. Zur Leseerleichterung wurden fehlende Zeichen in eckige Klammern gesetzt, während Textkorrekturen (einschließlich derjenigen des Briefschreibers selbst) in einem Variantenapparat am Fuß der Seiten mitgeteilt wurden. Der fast 500 Seiten starke Band 5 umfasste – zum ersten Mal in einer dänischen Briefausgabe – einen eigenständigen Apparat mit lemmatisierten Stellenkommentaren nach Seiten- und Zeilenreferenz der Textbände. Die Kommentare bezweckten zweierlei: Zum einen gaben sie natürlich eine Reihe sachbezogener Informationen zu den Erwähnungen in den Briefen. Dadurch wurde die übergeordnete Absicht verfolgt, die auch Jonas Collin im Jahr 1882 gehabt hatte: Es sollte ein Begleitwerk zur Biografie des Dichters geschaffen werden. Die Briefe an Edvard und Henriette Collin hatte Andersen hauptsächlich auf seinen zahlreichen Reisen geschrieben, und ihre Veröffentlichung ermöglichte es, seinen Reiserouten und Aufenthaltsorten aus nächster Nähe zu folgen. Zum anderen bezogen die Kommentare in bedeutendem Umfang Andersens damals ungedruckte Tagebücher und Almanache mit ein, u. a., um „den Stimmungshintergrund (zu) markieren, auf welchem sie [die Briefe] geschrieben oder empfangen wurden“. Darüber hinaus legte der Kommentar besonderen Wert darauf, diejenigen Tagebuchaufzeichnungen mitzuteilen, welche die in den Briefen erwähnten eigenen Werke Andersens betrafen. Band 6 (ca. 150 Seiten) bestand aus einer Einleitung mit einer Beschreibung der Korrespondenz, unter Erörterung auch der Provenienz der Briefe, und einer Charakteristik der Briefpartner, einschließlich deren Familienverhältnissen. Zur Beschreibung der Korrespondenz gehörten Listen über 83 fehlende Briefe mit Angaben, um welche Briefe es sich handelte, woher sie bekannt waren und wo sie eventuell erwähnt wurden. Schließlich folgten ein Verzeichnis über die Illustrationen der Ausgabe sowie ein Anhang mit Berichtigungen und Zusätzen zu den Textbänden. Den Schluss von Band 6 bildeten die Register: eines zu Andersens eigenen Werken – spezifiziert nach Genres, Sammlungen und Einzeltexten –, ein Sach-, ein Orts- und schließlich ein Personenregister, das Geburts- und Todesjahr, Beruf und Nationalität aller genannten Personen angab. Eine kleine Einführung zum Personenregister erläuterte dessen Aufbau und Abgrenzung. Natürlich befand sich am Schluss dieses letzten Bandes auch ein Abkürzungsverzeichnis für das ganze Werk.
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Die Ausgabe aus den Jahren 1933–1937 zeigte, dass die 114 Briefe des Dichters, die Edvard Collin 1882 veröffentlicht hatte, lediglich einen Bruchteil der Gesamtmasse ausmachten. Ferner wurde deutlich, dass Collin aus Pietät gegenüber anderen manchmal recht kräftige Eingriffe in die Briefe vorgenommen hatte, in Form von Auslassungen und Umschreibungen. Auch erwies es sich als notwendig, etliche Fehldatierungen zu berichtigen. Die Gliederung dieses Briefwechsels und ihre sorgfältige Realisierung dienten fortan als Vorbild und wiederholten sich in der Ausgabe (1945–1948) des Briefwechsels mit dem älteren Jonas Collin und in anderen Briefausgaben der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft aus demselben Zeitraum. Nach und nach wurden ihre Ausgaben auch mit Zeittafeln und Registern über Werke anderer Verfasser ergänzt. Ein Register, das H. Topsøe-Jensen seiner Ausgabe (1959/60) des Briefwechsels mit Henriette Wulff beifügte, war differenziert nach den von Andersen gelesenen Büchern, den von ihm gesehenen Bildern und der von ihm gehörten Musik.
4. Nach mehreren Jahren der Vorbereitung und in Zusammenarbeit mit der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft begann die Königliche Bibliothek in Kopenhagen 1971 eine vollständige Ausgabe von Andersens Tagebüchern, H. C. Andersens dagbøger 1825–1875. Die 10 Textbände entstanden unter der Leitung von Kåre Olsen und H. Topsøe-Jensen und wurden von den Forschungsbibliothekaren Tue Gad, Helga Vang Lauridsen und Kirsten Weber herausgegeben. Den Abschluss der Ausgabe bildeten H. Topsøe-Jensens „Personenregister“ in Band 11 (1977) und ein „Werk-, Sach- und Ortsregister“ in Band 12 (1976).1 Das Personenregister war die letzte Arbeit des damals fast 80-jährigen H. Topsøe-Jensen als Herausgeber und wurde mit dem kleinen Essay En Register-Arbejder siger Farvel og Tak (zu Deutsch etwa: Ein Register-Arbeiter verabschiedet sich mit Dank) eingeleitet, der zuerst für seine Essaysammlung Vintergrønt (Wintergrün), 1976, geschrieben worden war. Allein schon der Umfang des Registers – ca. 10.000 Namen – sowie Andersens zentrale Stellung in der Epoche machen es zu einem überaus nützlichen Nachschlagewerk für jeden, der sich eingehend mit der Literatur des 19. Jahrhunderts beschäftigt. ____________ 1
Die Edition der Tagebücher wurde 1990 durch eine Edition der sogenannten ‚Almanache‘, die Andersen zeitweilig führte, ergänzt.
Hans Christian Andersens Briefe und Tagebücher
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Bei der Planung war die Ausarbeitung eines nachgestellten Kommentars zu den Tagebüchern diskutiert worden, doch aufgrund des Arbeitsumfangs nahm man schließlich davon Abstand, wollte man die Ausgabe doch in zumutbarer Zeit fertigstellen. Parallel zur Texterstellung mussten die beiden Registerbände ausgearbeitet werden, u. a. weil sie beim Lesen der schwer zu entziffernden Tagebuchmanuskripte ein wesentliches Mittel zur Identifikation von Personen, Werken und Orten waren. Daher wurde beschlossen, dass die Registerbände als Ersatz für einen vollständigen Kommentar dienen sollten. Aus diesem Grund wurden dem Personenregister u. a. mehrere Ahnentafeln beigefügt, und letztlich erwies es sich als zweckmäßig, es durch drei kleinere Register über Werke, Orte und Sachen zu ergänzen. In seinem Register-Essay beleuchtet H. Topsøe-Jensen anhand von zwei Beispielen die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass die Kommentarfunktion von den Registern übernommen wird: Als Andersen am 24. 4. 1872 in der Dresdner Oper war, notierte er in seinem Tagebuch, dass er „die Musik interessant“ fand. Er spezifizierte jedoch nicht, welchen Komponisten oder welche Oper er meinte. Eine andere Quelle (sein Mitreisender William Bloch) verdeutlicht, dass es sich um Richard Wagners Fliegenden Holländer handelte. Nachzuschlagen ist dies im Werkregister von Band 12, das Auskunft darüber gibt, welche Wagner-Opern in Andersens Tagebüchern erwähnt werden. Merkwürdigerweise kann der Leser bei dem betreffenden Tagebucheintrag nun nicht – wie es mit Hilfe eines Kommentars zu der Stelle möglich gewesen wäre – vom Text oder vom Tagebuch aus zum Register gehen, sondern muss sozusagen das Umgekehrte tun, nämlich durch Nachschlagen in den Registern diejenige Stelle im Tagebuch finden, wo Wagners Oper erwähnt wird. Am 19. 12. 1865 notierte Andersen, dass eine Tageszeitung ein Gedicht, signiert ‚H‘, zum Gedenken an den verstorbenen Kritiker P. L. Møller enthielt. Andersen vermutete, dass das ‚H‘ für den Dichter H. P. Holst stand, und schrieb diesem am 20. 12. 1865, um ihm für das Gedicht zu danken. Aus dem Werkregister geht jedoch hervor, dass der Verfasser nicht H. P. Holst war, sondern der junge Holger Drachmann. Auch hier hätte ein direkter Kommentar zu der Stelle dem Leser unmittelbar helfen können. Wie die beiden Beispiele zeigen, war es nötig, noch ein weiteres Register zu entwickeln, nämlich das gesonderte Personenregister in Band 12. Es umfasst die Namen, die – wie Wagner und Drachmann – in den Werk- und Sachregistern des Bandes, nicht aber im Text der Tagebücher selbst vorkommen. Auch sind z. B. die Fotografen, die Andersen fotografierten und ebenfalls nicht not-
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wendigerweise im Personenregister zu den Tagebüchern selbst stehen, hier verzeichnet. Es handelt sich m. a. W. um ein Register zu den Registern. Schließlich ist zu bemerken, dass die Ausgabe der Tagebücher in jedem Band eine ausführliche, vierspaltige Zeittafel zu der von dem betreffenden Band abgedeckten Periode enthält.2 Spalte 1 gibt an, aus welchem Zeitraum Aufzeichnungen vorliegen und wo im Band diese zu finden sind. Erst ab 1860 führte Andersen ein zusammenhängendes Tagebuch, während seine früheren Aufzeichnungen hauptsächlich von Reisen stammten. Spalte 2 nennt Andersens Adressen und die Zimmerwirtinnen, bei denen er zur Miete wohnte. Spalte 3 listet die Werke des Schriftstellers auf, während Spalte 4 seine 30 Auslandsreisen sowie deren Zielländer registriert. Insgesamt verbrachte der Dichter fast neun Jahre außerhalb Dänemarks. Aus dem Dänischen von Christine Todsen
Abstract As the editor-in-chief of nine major editions of Hans Christian Andersen’s letters and diaries, published between 1932–1976, Helge Topsøe-Jensen (1896– 1976) set an enduring mark on the history of Danish textual criticism. TopsøeJensen was employed as an academic librarian in Aarhus and Copenhagen from 1920 to 1965, and was also chairman of Det Danske Sprog- og Litteraturselskab from 1948–1971. Topsøe-Jensen divided each edition of letters into sections along clearly functional lines, with an introduction, text, commentary and indices. The introductions described and characterised the published correspondence, while the indices gradually evolved to include indices of persons, places, topics and works. The works indices covered mentions of H. C. Andersen’s own works, as well as those of other authors. The commentary in each edition of letters was supplemented by a timeline. The edition of Andersen’s diaries (published between 1971 and 1977) contains a highly developed fourcolumn timeline, which, together with the highly differentiated indices, stands in place of a commentary, which could not be realised within the constraints of the edition.
____________ 2
Johan de Mylius hat später eine etwas ausführlichere Zeittafel zu Andersen ausgearbeitet; vgl. das Literaturverzeichnis.
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Literaturverzeichnis Editionen Andersen, H. C.: Breve til Therese og Martin R. Henriques 1860–75. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen. Einleitung von Paul V. Rubow. Kopenhagen 1932. Andersen, H. C.: Brevveksling med Edvard og Henriette Collin. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen und C. Behrend. 6 Bde. Kopenhagen 1933–1937 (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Andersen, H. C.: H. C. Andersen paa Holsteinborg. Blade af et Venskabs Historie. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen. 2 Bde. Kopenhagen 1938 (Anderseniana V und VI). Andersen, H. C.: Brevveksling med Jonas Collin den Ældre og andre Medlemmer af det Collinske Hus. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen, Kaj Bom und Knud Bøgh. 3 Bde. Kopenhagen 1945–1948. Andersen, H. C.: Romerske Dagbøger. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen und Paul V. Rubow. Kopenhagen 1947. 2. Aufl.: 1980. Andersen, H. C.: Riborgs Broder. H. C. Andersens Brevveksling med Christian Voigt. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen und Th.A. Müller. In: Anderseniana, II,1, 2, 1948, S. 77–167. Andersen, H. C.: H. C. Andersen og Henriette Wulff. En brevveksling. Hrsg. von H. TopsøeJensen. 3 Bde. Kopenhagen 1959/60. Andersen, H. C.: Breve til Carl B. Lorck. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen. Kopenhagen 1969. Andersen, H. C.: Breve til Robert Watt 1865–1874. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen. In: Fund og Forskning i Det kongelige Biblioteks Samlinger 18. 1971, S. 111–155 und 19, 1972, S. 89– 128. Andersen, H. C.: Dagbøger 1825–1875. Hrsg. von H. Topsøe-Jensen, Kaare Olsen et al. 12 Bde. Kopenhagen 1971–1977 (Neue Auflage 1995/96, Det Danske Sprog- og Litteraturselskab).
Sonstige Literatur Bille, C. St. A. und Nikolaj Bøgh: Breve til H. C. Andersen. Kopenhagen 1877. Bille, C. St. A. und Nikolaj Bøgh: Breve fra H. C. Andersen. 2 Bde. Kopenhagen 1878. Neuausgabe 2000. Collin, Edvard: H. C. Andersen og det Collinske Huus. Kopenhagen 1882. 2. verkürzte Ausg. 1929. Brøndsted, Mogens: H. Topsøe-Jensen. In: Dansk biografisk leksikon, 3. Ausg. Bd. 14. Kopenhagen 1983, S. 639 f. Dal, Erik: H. Topsøe-Jensen. 15. december 1896 – 19. december 1976. Tale i Videnskabernes Selskabs Møde den 13. oktober 1977. In: Det Kongelige Danske Videnskabernes Selskab. Oversigt over Selskabets Virksomhed Juni 1977 – Maj 1978. Kopenhagen 1978, S. 77–88. H. C. Andersens Almanakker 1833–73. Hrsg. von Helga Vang Lauridsen und Kirsten Weber. Kopenhagen 1990. H. C. Andersens Briefwechsel mit dem Grossherzog Carl Alexander von Sachsen-WeimarEisenach und anderen Zeitgenossen. Hrsg. von Emil Jonas. Leipzig 1887. Jørgensen, Aage: H. C. Andersen-litteraturen 1875–1968. En bibliografi. Århus 1970. Jørgensen, Aage: H. C. Andersen-litteraturen 1969–1994. En bibliografi. Odense 1995. Jørgensen, Aage: H. C. Andersen-litteraturen 1995–2006. En bibliografi. Odense 2007. Mylius, Johan de: H. C. Andersen. Liv og værk. En tidstavle 1805–1875. Kopenhagen 1993. Mylius, Johan de: H. C. Andersens liv, dag for dag. Kopenhagen 1998. Nielsen, Torben: Helge Topsøe-Jensen. In: Nordisk tidskrift för bok- och biblioteksväsen, 64, 1977, S. 91 f. Oxenvad, Niels: H. Topsøe-Jensen. In: Anderseniana, III,2, 1977, S. 366–370.
Ståle Dingstad
Søren Kierkegaards Schriften (SKS)
Das Søren-Kierkegaard-Forschungszentrum in Kopenhagen erarbeitet seit 1993 eine neue, historisch-kritische und kommentierte Ausgabe von Kierkegaards Schriften. Sie erscheint sowohl elektronisch als auch im Druck. In beiden Medien ist sie noch unabgeschlossen, doch die Druckausgabe soll bis Ende 2013 fertig gestellt sein, während die elektronische angesichts des Mediums wohl unabschließbar bleiben wird. Sie ist im Internet in ständig neuen Versionen zugänglich. Die Adresse lautet http://sks.dk/forside/indhold.asp.1 Diesem Beitrag liegt die Druckausgabe zu Grunde. Hier werden Kierkegaards Schriften in vier Gruppen eingeteilt: 1) Veröffentlichte Schriften; 2) Nichtveröffentlichte Schriften; 3) Journale (inkl. Tagebücher, Notizbücher, Exzerpte und lose Blätter); 4) Briefe und biografische Dokumente (vgl. SKS K1, S. 13). Schriften, die Manuskripte als Textgrundlage haben, erscheinen in einem etwas größeren Format und sind außerdem mit einem gelben Feld auf dem Buchrücken gekennzeichnet, das sie von den übrigen veröffentlichten Schriften unterscheidet. Die Druckedition besteht durchgängig aus Doppelbänden, deren erster Kierkegaards Schriften und deren zweiter die erforderlichen Apparate und Kommentare enthält. Die Druckedition wird 55 Bände umfassen, während die elektronische im Prinzip unendlich ist. Dies ist mit anderen Worten also eine sehr umfängliche Edition und zweifellos eines der größten Editionsprojekte in Skandinavien überhaupt.
1.
Kierkegaards Schriften
Kierkegaards Gesamtwerk zeugt von einer Vertrautheit mit allen Phasen der Produktion und Rezeption von Büchern. Er schreibt über Verfasser, Herausgeber, Buchbinder, Leser, Kritiker und Interpreten. Und er schreibt als Verfasser, Buchbinder, Leser, Kritiker und Interpret. In ihm steckt noch ganz die Faszination der Romantik für die Kontexte der Produktion und Rezeption eines Textes, unter anderem in Gestalt eines genuinen Interesses für Paratexte und deren ____________ 1
Nähere Angaben zur elektronischen Ausgabe finden sich im Beitrag von Dahlström/Ore im vorliegenden Band.
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Bedeutung. Und gegen das Systemdenken der Zeit kann er polemisch ganze Bücher schreiben, die als Paratexte klassifiziert werden können. So lässt er Nicolaus Notabene ein Buch schreiben, das nur aus Vorworten besteht, wie Nietzsche, der ebenfalls fünf Vorworte zu ungeschriebenen Büchern schrieb. Und er lässt Johannes Climacus ein Nachwort zu einem früher verfassten Buch schreiben, wobei ihm die Nachschrift mehr als doppelt so lang gerät wie der eigentliche Text, dessen Nachschrift sie ist. Kierkegaard selbst faszinieren genuin seine Titel, Mottos, Vorworte, Einleitungen, Inhaltsverzeichnisse, Notizen, Nachschriften, Rezensionen und alles Derartige mehr, und seine Leser fasziniert er gleichfalls damit. Durchgehend erörtert er auch seine eigenen Texte, und das mit großer Regelmäßigkeit. Er ist sein eigener Leser und Interpret, nicht anderen überlegen, aber im höchsten Grad zu Ansichten berechtigt und nicht selten ein besserer Interpret als seine Nachfolger. Er ist der erste und beste Leser seiner eigenen Texte, könnte man sagen, mit dem Vorbehalt, dass er sich oft mittels einer Reihe von Pseudonymen verlautbart, dass er sich über die gleichen Schriften unterschiedlich äußert und schließlich, dass er auch gegensätzliche und miteinander unvereinbare Aussagen zur gleichen Sache treffen kann. In gewisser Weise hat Kierkegaard allen späteren Herausgebern mit seinen Reflexionen vorgegriffen, wenn er Schriften indiziert, systematisiert, kommentiert und veröffentlicht, wie dies Victor Eremita und Hilarius Bogbinder tun. Aus gutem Grund wird man sich daher vergegenwärtigen, dass die Edition von Kierkegaards Schriften mit dazugehörenden Einleitungen, Inhaltsverzeichnissen, Erklärungen, Kommentaren und Anmerkungen kein unschuldiges Unterfangen ist. Selbst wenn man die historische Authentizität des Grundtextes gebührend gewichtet, so fügt man mit einer Neuausgabe den früheren Ausgaben ein neues Glied hinzu und gibt ihnen damit eine neue Bedeutung. Und das gilt für jede neue Ausgabe von Kierkegaards Schriften, SKS eingeschlossen. Anders darf es auch nicht sein, wenn man sichtbar zu machen wünscht, was man mit dem Text gemacht hat. Das ist unbedingt ein Vorteil – und in wissenschaftlichem Zusammenhang ein Erfordernis.
2.
Die Editionsgeschichte
Die Edition von Kierkegaards Schriften, sowohl seiner eigenen Buchveröffentlichungen als auch seines Nachlasses, hat mittlerweile eine lange und interessante Geschichte. Sie wird in der Einleitung zum ersten Kommentarband in kurzen Zügen dargestellt und von Bemerkungen, Grundsätzen, Methoden und
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Resultaten früherer Editoren begleitet. Die Darstellung zielt nicht zuletzt darauf ab, eine Neuausgabe zu begründen, die auf anderen Prinzipien basiert, was frühere Editoren in ein weniger vorteilhaftes Licht rückt. Dass die neuen Editoren den alten tatsächlich verpflichtet sind, wird nur ausnahmsweise hervorgehoben. Die erste Ausgabe von Kierkegaards gesammelten Werken wurde in den Jahren 1901 bis 1906 von A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange erstellt und umfasste 14 Bände (SV 1). Die zweite Ausgabe, 15 Bände, erschien in den Jahren 1920 bis 1936 unter der Ägide der gleichen Editoren, war aber zusätzlich mit einem „Sach- und Autorenregister“ von A. Ibsen und einem „Begriffsregister“ von J. Himmelstrup versehen (SV 2). Die dritte Ausgabe von 1962 bis 1964 besorgte Peter P. Rohde. Sie umfasste 20 Bände und wurde seither mehrfach fotomechanisch nachgedruckt (SV 3). Was Kierkegaards Nachlass betrifft, so erschien daraus eine Auswahl in neun Bänden in den Jahren 1869–1881, besorgt von H. P. Barford und H. Gottsched, unter dem Titel Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer (Aus Søren Kierkegaards nachgelassenen Papieren). Eine spätere, neu herausgegebene Nachlassedition erschien in den Jahren 1909–1948, besorgt von P. A. Heiberg, V. Kuhr und ab 1926 E. Torsting. Die Ausgabe umfasste 20 Bände (nummeriert I–XI,3). Sie wurde 1953/54 durch Niels Thulstrups selbstständige Ausgabe in 2 Bänden von Breve og Aktstykker vedrørende Søren Kierkegaard (Briefe und Akten betreffend Søren Kierkegaard) ergänzt. 1967–1969 erschien diese kombinierte Ausgabe in fotomechanischem Nachdruck noch einmal und wurde 1969/70 um die Bände XII und XIII erweitert. Schließlich wurde auch diese Ausgabe in den Jahren 1975–1978 mit einem dreibändigen Index (Bände XIV–XVI) von N. J. Cappelørn versehen. Den entscheidenden Anstoß zu einer neuen großen Kierkegaard-Edition ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass die Ausgaben, die wissenschaftlich gesehen akzeptabel waren, nicht mehr zugänglich waren und dass die Ausgabe, die zugänglich war, nicht länger akzeptabel war. In der Einleitung formulieren die Editoren das Ziel ihrer eigenen Edition. Sie soll eine komplette Neuausgabe der gesamten Überlieferung Søren Kierkegaards darstellen und soll umfassen: Werke, die er selbst drucken ließ; Werke, die er zum Druck fertigstellte, die aber erst nach seinem Tode erschienen, und Werke, die unvollendet blieben. Dazu alle Vorarbeiten zu den genannten Werken, des Weiteren auch Journale, Notizbücher und übrige Papiere sowie schließlich Briefe und biografische Dokumente (SKS K1, S. 7).
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3.
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Textkritische Richtlinien – gedruckte Texte
Der Editor eines solch umfänglichen Materials wie Kierkegaards Schriften sieht sich mit einer ganzen Reihe Herausforderungen konfrontiert und muss vor der Edition alle großen Fragen sowie kleine Details in Erwägung ziehen. Das haben die Mitarbeiter von SKS gemacht, und zwar gründlich. Davon zeugen die Einleitung zum ersten Band und die textkritischen Richtlinien. Über die Ausgabe generell und deren wissenschaftstheoretischen Standpunkt heißt es in der Einleitung: SKS entstand nicht zuletzt aus Bedarf an einer neuphilologischen Ausgabe, das heißt einer Ausgabe, deren Forderung war, dass die Originale des Verfassers erhalten blieben, und dazu einer Reihe Vorarbeiten, die interessanter sind als eventuelle Zweitausgaben. SKS markiert den textkritischen Standpunkt dadurch, dass Kierkegaards Erstausgaben die Basis bilden und dass man mit Emendationen im Grundtext äußerst vorsichtig umgeht. Dementsprechend repräsentiert SKS eine moderne Hermeneutik, die auf die Authentizität und deren mögliche Wirkungsgeschichte großen Wert legt. Rein praktisch unterscheidet sich SKS dadurch von ihren wissenschaftlichen Vorgängern, die den textkritischen Apparat in einen „Anhang“ verwiesen, dass sie den Apparat in unmittelbare Verbindung mit dem Text bringt, nämlich an den Fuß der Seiten (SKS K1, S. 8).
Die Prinzipien sind auch in den textkritischen Richtlinien verankert, die für die gedruckten Texte maßgebend sind (SKS K1, S. 15–49). Diese wurden unmittelbar vor der Edition als eine Art Plan für die Erkundung eines noch unerschlossenen Terrains ausgearbeitet. Das ist ein Vorteil, somit brauchen Leser und Benutzer der Ausgabe nicht den letzten Band abzuwarten, um herauszufinden, was die Absicht der Editoren war und was sie tatsächlich gemacht haben. Nachteilig ist, dass man dabei das Risiko eingeht, sich für Prinzipien und Richtlinien zu entscheiden, die dem Material späterer Bände nicht entsprechen, und dass sich die Arbeit in der Praxis anders entwickelt, als die Richtlinien voraussetzen. In den textkritischen Richtlinien wird ausführlich für den Erstdruck als Grundtext plädiert. Kierkegaard arbeitete kontinuierlich bis zur Buchausgabe, und mit dem Druck war die Arbeit beendet. Seine Bücher erschienen zu seinen Lebzeiten nur ausnahmsweise in neuen Ausgaben, wie Enten-Eller (EntwederOder) 1849. Mit dieser Darlegung wünscht SKS die eigene Edition als prinzipiell konsequenter und andersartig gegenüber früheren wissenschaftlichen Ausgaben zu profilieren, die auf dem Prinzip ‚Ausgabe letzter Hand‘ basierten. Das heißt jedoch, die Prinzipien stärker als begründbar zu gewichten. Die Argumentation verdeckt die Tatsache, dass man sowohl in SV 1 und SV 2 mit dem gleichen Material gearbeitet hat und dass mit einigen Ausnahmen die
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gleichen Quellen als Grundtexte gewählt wurden. Das bedeutet, dass man in der Praxis wiederholt, was frühere Editoren getan haben. Das Verfahren zu diskutieren wäre interessant, wenn das Material ein anderes wäre, zum Beispiel mehrere Ausgaben von ein und demselben Werk zu Lebzeiten des Verfassers mit den dazugehörigen Änderungen, Tilgungen und Hinzufügungen, teilweise vom Verfasser selbst, teilweise von anderen Involvierten, wie das bei einer Reihe sonstiger Klassiker der Fall ist. Bei Kierkegaard ist die Lage jedoch anders, und das Prinzip, die bereits gedruckten Texte als Grundtexte zu wählen, ist einleuchtend. Ob man die Wahl mit dem einen oder dem anderen Prinzip verbindet, ist gleichgültig, wenn das Material das Gleiche ist. Was man mit den Grundtexten auf dem Weg zur Erstellung eines edierten Textes gemacht hat, ist interessanter. Hier drücken die Editoren den Texten ihren eigenen Stempel auf. Für SKS ist die historische Authentizität des Grundtextes am wichtigsten. Es wird eingehend diskutiert, was man als Fehler betrachtet, und man unterstreicht, dass man bei Textkorrekturen äußerste Vorsicht walten lässt. Emendationen werden in der Regel durch Fußnoten unten auf der Seite angezeigt. Quellen für Verbesserungen werden angegeben, und wenn eine Konjektur vorliegt, wird dies mit einem „SKS“ in der Anmerkung markiert. All dies ist sehr nüchtern und sorgfältig ausgeführt. In den textkritischen Richtlinien werden auch andere für die Edition wichtige Elemente erklärt, zum Beispiel die Typografie. Hier legt man Wert auf eine einheitlichere Typografie im Vergleich zu den sehr verschiedenen Erstdrucken, jedoch so, dass man die typografischen Signale Kierkegaards beibehält. Weiter heißt es, dass ein eigentlicher Variantenapparat in der gedruckten Ausgabe ausgespart und der elektronischen Ausgabe überlassen wird. Dies ist verständlich und wird damit begründet, dass ein solcher Apparat elektronisch leichter zu handhaben ist. Die elektronische Ausgabe hat mehr Möglichkeiten, einen Apparat benutzerfreundlich zu gestalten oder Varianz synoptisch darzustellen. Die Editoren sind, wie bereits erwähnt, mit Emendationen insgesamt vorsichtig umgegangen und sind bei den einzelnen Textstellen sehr umsichtig vorgegangen. Aus den textkritischen Richtlinien geht dennoch hervor, dass einige Verbesserungen stillschweigend vorgenommen wurden. Dies wird in einem besonderen Abschnitt erwähnt, jedoch summarisch in Form von Beispielen. Außerdem nehmen die Editoren Veränderungen in der Zeichensetzung auf dem Titelblatt, im Zwischentitel und in den Rubriken vor und begründen dies damit, dass es sich bei Auslassungen um konventionelle Zeichen handle „in Übereinstimmung mit moderner Praxis“ (SKS K1, S. 31). Da heißt es, dass den meisten Zeilen auf dem Titelblatt und dem Zwischentitel ein konventioneller Punkt folgt und dass dies nur übernommen wird, wenn ein Motto abge-
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schlossen wird oder wenn der Punkt als Abkürzungszeichen funktioniert. Ein Punkt auf einem Titelblatt aber ist nicht lediglich eine Konvention, die man in Übereinstimmung mit moderner Praxis unberücksichtigt lassen kann. Er ist ein sprachliches Zeichen. Es war nicht nur die Druckerei, die die Praxis hatte, das Zeichen an den Schluss der Zeile zu setzen, sondern auch Kierkegaard. Das ersieht man aus den handgeschriebenen Titelblättern. Außerdem können die Zeichen für die Interpretation eines Titels von Bedeutung sein. Um sicher zu sein, wie der Text zum ersten Mal als gedruckter Text erschienen ist, muss das Original noch immer konsultiert werden. Die Richtlinien sind übersichtlich und benutzerfreundlich. Sie geben eine gute Einführung, wie zum Beispiel die textkritischen Anmerkungen gelesen werden sollen, und weiter eine Übersicht über die Arbeitsweise der Editoren. Sie sind das Resultat genauer theoretischer und praktischer Erwägungen und können für andere Editoren, die entsprechenden Herausforderungen gegenüberstehen, eine große Hilfe sein. Die derart detaillierten Richtlinien, die so deutlich im Gegensatz zu Richtlinien früherer Kierkegaard-Herausgeber stehen, laden auch zu kritischen Bemerkungen und Widerspruch ein. SKS distanziert sich auf prinzipieller Grundlage von früheren Editoren, legt aber nur in geringem Maß den empirischen Beleg für diese Distanzierung offen. Die Polemik ist jedoch deutlich, sie richtet sich teilweise gegen andere Editionsprinzipien, teilweise gegen die Praxis früherer Ausgaben von Kierkegaards Schriften und teilweise gegen die großen Hermeneutiker Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey.
4.
Textkritische Richtlinien – Journale, Notizbücher und Schriftstücke
Entsprechende textkritische Richtlinien wurden auch für die Edition handschriftlich überlieferter Texte ausgearbeitet. Sie finden sich in Band 17, S. 301–343 und behandeln die Edition von Kierkegaards Journalen, Notizbüchern und Schriften. Die Geschichte hinter den Journalen, Notizbüchern und Schriften ist übrigens faszinierend. Sie wird in einem eigenen Buch, mit dem Titel Skriftbilleder. Søren Kierkegaards journaler, notesbøger, hæfter, ark, lapper og strimler mit reichlichen Illustrationen vorbildlich dargestellt. Drei der SKS-Editoren waren dafür verantwortlich: N.J. Cappelørn, J. Garff und J. Kondrup. Hier, in Band 17, wird etwas systematischer beschrieben, wie man früher Manuskripte ediert hat und wie das Material als Folge davon zum Teil beschädigt wurde. Kurzgefasst laufen die Richtlinien für SKS darauf hinaus,
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drei miteinander verknüpften Prinzipien zu folgen. Das erste ist das archivalische Prinzip, das fordert, dass jeder Überlieferungsträger, zum Beispiel ein Journal als Ganzes, herausgegeben wird. Hier hat man sich H. P. Barfods Verzeichnis über Kierkegaards Schriften zunutze gemacht, das er 1865 vor der Aufteilung des Nachlasses ausgearbeitet hatte. Das zweite Prinzip ist das entstehungschronologische, indem man Texte in der Reihenfolge druckt, in der sie geschrieben wurden. Dann gibt es das dritte, das systematische Prinzip, das teilweise mit Kierkegaards eigener Systematisierung seiner Journale und Notizbücher in Zusammenhang steht. Weiter muss erwähnt werden, dass das Material in zwei Spalten angeordnet ist, die veranschaulichen, dass die Texte Teile einer Schreibwerkstatt sind. Kierkegaards interne Varianten werden weiter in einem Fußnotenapparat wiedergegeben. Das besagt, dass der laufende Text den annähernd fertigen Text darstellt. Schließlich werden Varianten aufgrund der Genese und nicht der Position bestimmt. Ziemlich viele kleinere Regeln betreffen die Wiedergabe von Manuskripten und eventueller Korrekturen. Die Hauptregel ist auch hier, bei Korrekturen Vorsicht walten zu lassen. Da es sich dabei um Texte handelt, die primär nicht für die Veröffentlichung vorgesehen waren, lässt man vielfach Nachlässigkeiten stehen, die man bei bereits gedruckten Schriften korrigieren würde. Hier zitiert man Paul V. Rubows Worte aus Den kritiske Kunst 1938: „I Dagbøker der trykkes plejer man med megen Grund at tage hele Stilens og Tankens Negligé med“ („In Tagbüchern, die gedruckt werden, pflegt man mit gutem Grund das Negligé des Stils und Gedankens insgesamt mitzunehmen“) (SKS 17, S. 325). Entschließt man sich jedoch zu verbessern, verbessert man, ohne textkritische Bemerkungen, seien es Hinzufügungen, markiert mit Herausgeberklammern, banale Falschschreibungen oder Dittografien. Bei den Manuskripten hat man, verglichen mit den gedruckten Texten, noch größere Arbeit geleistet, was Richtlinien, die einzelnen Ausgaben und die bedeutsame Interpretationsarbeit betrifft.
5.
Textkritische Darlegungen
Zu jedem Text in der Ausgabe wurde eine textkritische Erläuterung ausgearbeitet, mit Auskünften über bibliografische Daten, Manuskripte und Ausgaben, Entstehungsgeschichte und Art der Edition. Zu einigen Schriften gibt es auch Anhänge, zum Beispiel eine biografische Ergänzung zu Kierkegaards Rezension von H. C. Andersens Roman Kun en Spillemand (SKS K1, S. 74–76) und
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im selben Band ein separater Abschnitt zum Gutachtergremium für Kierkegaards Magister-Abhandlung (SKS K1, S. 129–145). Der buchgeschichtliche Bericht über das letztgenannte Werk ist einer der interessanteren. Die Erstausgabe erschien nämlich teilweise als Disputationsauflage für den akademischen Gebrauch und teilweise als Buchhandelsauflage. Was die anderen gedruckten Schriften betrifft, hat sich SKS viel Arbeit gemacht, um eventuelle Presskorrekturen innerhalb der gleichen Auflage aufzudecken. Hier wurde man selten fündig, und die große Mehrarbeit hat geringen Wert für die Kierkegaard-Forschung und die dänische Druckereigeschichte. In Verbindung mit Kierkegaards Abhandlung verhält es sich jedoch anders: Was das Titelblatt betrifft, können die Abweichungen der Buchhandelsauflage im Verhältnis zur Disputationsauflage in den wiedergegebenen Faksimiles eingesehen werden. Am wichtigsten ist, dass der bürgerliche Titel des Verfassers: ‚theologisk Candidat‘ durch ein griechisches Motto aus Platons Der Staat, 5. Buch, 453d ersetzt wurde. (SKS K1, S. 120)
Da die Textgrundlage für die Abhandlung die Disputationsauflage ist und der Leser nur das Faksimile der Titelblätter sehen kann, nicht aber die anderen Seiten, die sich unterscheiden, hätte man explizit informieren müssen, dass das Zitat aus Der Staat hermeneutisch gesehen nicht an Stelle von Kierkegaards akademischem Titel steht, sondern für die 13 Thesen, die Kierkegaard nach der Einlieferung der Abhandlung ausgearbeitet hatte, damit diese angenommen wurde. In den Buchhandlungen, das heißt auf dem freien Markt, waren die Texte nicht von Thesen begleitet, die es zu verteidigen galt. Dort war das Buch von Platons Zitat begleitet, dass man schwimmen müsse, egal ob man in ein kleines Schwimmbecken falle oder ins große Meer. Diese Erklärungen sind nützlicher Hintergrundstoff und wichtig für das Verständnis der Schriften. Große Teile dieser Dokumente, die andere in Verbindung mit der Disputation geschrieben haben, werden hier zitiert oder referiert, und das ist von unschätzbarer Bedeutung für einen Forscher, der keinen leichten Zugang zum Archiv hat. Dasselbe gilt für andere Schriften, wie zum Beispiel Gjentagelsen (Die Wiederholung). Das Buch lässt sich biografisch mit Kierkegaards zweiter Reise nach Berlin verknüpfen, aber die Datierungen im Buch stimmen nicht ganz mit den biografischen Angaben überein, die wir kennen. Auf recht exemplarische Weise wird erläutert, welche Möglichkeiten sich für Interpretationen eröffnen, wenn eine solche Diskrepanz vorliegt (SKS K1, S. 50).
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6.
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Kommentare
Für die Edition wurde eine Einführung zu den Einzelstellenkommentaren erarbeitet. Das Regulativ findet man in Kierkegaard Studies. Yearbook 1996, S. 486–504. Das Hauptprinzip wird jedoch in der Ausgabe beschrieben und wie folgt formuliert: „Die Kommentare haben die Aufgabe, den Leser auf die historische Ebene des Textes zu versetzten, nicht den Text auf die gegenwärtige Ebene des Lesers; letztere Aufgabe ist die des Lesers und nicht des Kommentators“ (SKS K4, S. 12–28). Weiter heißt es, dass die Kommentare keine interpretierende Ganzheitsperspektive beabsichtigen. Die Kommentare sollen neuen Interpretationen nicht im Wege stehen, sondern dazu anregen. Sie sollen nüchtern sein und sich nicht in Auslegungsversuche früherer Zeiten verirren, und sie sollen eine strikte Ökonomie anstreben, auch was biografische und personengeschichtliche Verhältnisse angeht. Relativ dichte Kommentierung ist jedoch wichtig. Der Grund dafür ist eine neue Generation von Lesern und ein steigender Anteil nicht-dänischer Leser, die Kierkegaards Texten mit anderen Voraussetzungen gegenübertreten und mit dem älteren Dänisch, den zentralen Referenztexten oder Sachbezügen, die für das Verständnis wichtig sind, nicht vertraut sind. Zu viele Kommentare sind besser als zu wenige. Das hat zur Folge, dass das Kommentarmaterial ab der sogenannten dritten Ausgabe verzehnfacht ist (SV 3). Die Kommentare wurden in Wort- und Sacherklärungen unterteilt. Die Worterklärungen umfassen fremdsprachliche Wörter, Wendungen und Sätze sowie dänische Ausdrücke, die veraltet sind oder sonst fremd wirken. Die Sacherklärungen wurden nach der Hauptregel ausgearbeitet, dass Textstellen kommentiert werden, wenn in Kierkegaards Texten eine historische Person auftritt, wenn direkte oder indirekte Hinweise auf Kierkegaards eigene Schriften, auf andere Schriften, auf zeitgenössische Diskussionen, auf geschichtliche und topografische Verhältnisse, auf die Bibel, Mythen, Sagen und anekdotischen Stoff sowie Sprichwörter und Redewendungen vorliegen; weiterhin bei Hinweisen auf Gemälde, Kupferstiche und anderes bildkünstlerisches Material. Kierkegaard versucht ständig seine Gedanken zu veranschaulichen, wie etwa wenn er die Ironie bei Sokrates darstellen will und die Tatsache hervorhebt, dass zum Beispiel Xenophon diese nicht erfasst. Kierkegaard vergleicht die Ironie mit einem Bild, das Napoleons Grab darstellt, und das wird zum Lemma im Text: „Stykket, som forestiller Napoleons Grav“ (SKS 1, S. 80). Kierkegaard spielt auf ein Vexierbild an, das das Grab zeigt und ein Bild von Na-
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poleon über dem Grab. Der Kommentar verweist weiter auf die Illustration auf der nächsten Seite, die wiederum das Vexierbild zeigt, welches Kierkegaard beschreibt. Kierkegaards Pointe wird hier mit größter Deutlichkeit illustriert. Hat man Napoleons Bild zwischen den Bäumen erst erblickt, kann man nicht umhin, ihn zu sehen. Das ist veranschaulichend für einen Leser, der sich sonst leicht in all den Hinweisen, sprachlichen Illustrationen und den Bildern Kierkegaards verlieren kann. Aber zuvor schon hatte Kierkegaard zu veranschaulichen versucht, mit welchen Schwierigkeiten eine Darstellung von Sokrates überhaupt verbunden wäre, und fasst dies in folgendes Bild: „ein Wicht mit Hut, der ihn unsichtbar macht“ (SKS 1, S. 74). Es ist schwierig zu sagen, ob sich die Kommentatoren hier einen Scherz erlaubt haben, oder ob sich hier ein Anflug von Unfreiwilligkeit hinter den Kulissen versteckt, wenn sie schreiben: „ein solcher Wicht konnte nicht ausfindig gemacht werden“ (SKS 1, S. 164). Dass man wirklich einen solchen Wicht gesucht haben soll, dessen Hut ihn unsichtbar macht, hätte den Meister amüsiert. Anscheinend ist das Kommentarmaterial zu den ersten Bänden der Ausgabe von einer Reihe Forschern ausgearbeitet und später von einem oder mehreren Redaktoren redigiert und angepasst worden. Das hat sich als zeitraubend und umständlich erwiesen. Darum hat man für die späteren Bände offenbar eine Person gewählt, die sich der ganzen Kommentararbeit angenommen hat. Vorund Nachteile gibt es bei beiden Verfahren.
7.
Ansporn zu erneutem Studium
Die geplanten 55 gedruckten Bände und der elektronische Teil der Ausgabe, der in ständig neuen Versionen zugänglich gemacht wird, ist dank tüchtiger Mitarbeiter entstanden, die sich durch Jahre hinweg eine solide Kompetenz betreffend Texteinrichtung, Kommentierung, Codierung und elektronischer Einrichtung des gesamten Materials erarbeitet haben. Das hatte seinen Preis. In den letzten Jahren lagen die Kosten bei gut sieben Millionen dänischen Kronen jährlich. In nordischem Kontext ist das recht viel, wenn man betrachtet, welche Summe für andere Projekte innerhalb der Geisteswissenschaften bewilligt wird. Und summiert man die Kosten bis zur Beendigung 2010 kommt man auf annähernd 90 Millionen dänische Kronen.2 ____________ 2
Johnny Kondrup hat Informationen über die Finanzierung des Projektes gegeben. Er schätzt, dass die Ausgabe in der ersten Fünfjahresperiode die Hälfte der Bewilligung des Grunnforskningsfondets verbrauchte, d. h., dass sie in diesem Zeitraum gut 2,5 Millionen DK jährlich kostete. In der zweiten Fünfjahresperiode verschlang sie etwas mehr als die Hälfte der Bewilligung, ungefähr 6 Millionen DK pro Jahr. In den folgenden zwei Dreijahresperioden brauchte
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Das sind Kosten, die bewilligende Fonds und Behörden bei Gesuchen um Finanzierung ähnlicher Projekte eher nachdenklich stimmen werden. Fachlich gesehen herrscht kein Zweifel, dass mehrere andere Autorœuvres mit Gewinn Gegenstand für eine wissenschaftliche Edition in einem entsprechenden Umfang wie SKS werden können: H. C. Andersen zum Beispiel, Karen Blixen und natürlich Georg Brandes, um nur drei zu nennen. Es ist jedoch eine offene Frage, ob man bei neuen Projekten nach den gleichen Prioritäten arbeiten sollte wie SKS. Ein schwacher Punkt bei SKS ist die bedeutende Mehrarbeit, derer es bedarf, um einen eher minimalen Unterschied zwischen Erstdruck und ediertem Text zu etablieren. Der Unterschied ist minimal, aber groß genug, dass Forscher in einigen Fällen, wo es keine Erklärungen für Unterschiede gibt, trotzdem den Erstdruck oder dessen Faksimile konsultieren müssen. Für diejenigen mit Interesse und Blick für Unterschiede ist es wichtiger, dass alles Quellenmaterial zugänglich gemacht wird, als dass ein neuer Text erstellt wird. SKS wünscht eine Aura des Erstdruckes, fügt sich aber ein in eine Reihe von Editionen, indem man der Geschichte ein neues Glied anfügt. Für spätere, breit angelegte Ausgaben werden daher Faksimiles von Erstdrucken sowie diplomatische Wiedergaben sämtlicher Textquellen elektronisch bereitgestellt, das wird eine einfachere und günstigere Alternative zu der sehr viel Ressourcen beanspruchenden Arbeit sein, die SKS als Standard verlangt. Unter den wissenschaftlichen Editionen von Kierkegaards Schriften wird SKS zweifellos die von kommenden Generationen bevorzugte sein. Wenn sie nun vorliegt, hat sie ein Referenz-Milieu für Textausgaben geschaffen. Das ist wahrscheinlich ebenso wichtig wie die Edition selbst. Man hat eine neue Generation Forscher geschult und andere ähnliche Projekte angestoßen. Aber man hat mit der Institution Søren Kierkegaard Forschungszentrum auch eine weitaus bessere Grundlage für die Kierkegaard-Forschung geschaffen. Ob die Edition kommende Generationen zu weiteren Studien und neuen Forschungen anspornt, wird die Zukunft zeigen. Für die Editoren wäre das natürlich das beste Zeugnis, das sie bekommen und auf das sie mit Recht stolz sein könnten. Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
__________ man 7,5 Millionen DK pro Jahr. Das ergibt eine Summe von 87,5 Millionen Dänische Kronen (12,5 + 30 + 22,5 + 22,5).
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Abstract Since 1993, the Søren Kierkegaard Research Centre in Copenhagen has been working on the publication of Kierkegaard’s writings in a new, historicalcritical edition with commentary. The edition will be published in an electronic as well as a conventional version. Both versions are still in preparation, but the conventional edition is planned to be completed by the end of 2013. Meanwhile, we are continually seeing new versions of the electronic edition (http://sks.dk/forside/indhold.asp). Among the available scholarly editions, The Writings of Søren Kierkegaard will undoubtedly constitute the preferred version for generations to come. In its current form, its initial impact has been the creation of a whole research environment within textual criticism in the Nordic countries. Not only has this resulted in the training of a whole new generation of researchers, but Kierkegaard research now also rests on far firmer foundations. Whether the edition will encourage future generations to undertake further study and new research, only time will tell. In any event, the edition will stand as the best possible testimonial for the editors, and one that they have every reason to be proud of.
Literaturverzeichnis Editionen Kierkegaard, Søren: Skrifter. Hrsg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Johnny Kondrup et al. 55 Bde. Kopenhagen 1997–2013 (Søren Kierkegaard Forskningscenteret) [= SKS]. Hier wird auf Band 1, K1, K4 und 17 nebst der elektronischen Ausgabe verwiesen: http://sks.dk/forside/indhold.asp [gesehen 20. 2. 2008]. Kierkegaard, Søren: Samlede Værker. Hrsg. von A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange. 14 Bde. Kopenhagen 1901–1906 [= SV 1]. Kierkegaard, Søren: Samlede Værker. Hrsg. von A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange. 15 Bde. Kopenhagen 1920–1936 [= SV 2]. Kierkegaard, Søren: Samlede værker. Hrsg. von A. B. Drachmann, J. L. Heiberg und H. O. Lange durch Peter P. Rohde. 20 Bde. Kopenhagen 1962–1964 [= SV 3]. Kierkegaard, Søren: Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer. Hrsg. von H. P. Barfod und H. Gottsched. 9 Bde. Kopenhagen 1869–1881. Kierkegaard, Søren: Papirer. Hrsg. von P. A. Heiberg, V. Kuhr und E. Torsting. 20 Bde. (I–XI,3). Kopenhagen 1909–1948. Später um 2 Bde. ergänzt durch Niels Thulstrup (nummeriert XII und XIII, 1969/70) und einen Index durch N. J. Cappelørn (XIV–XVI, 1975–1978).
Sonstige Literatur Cappelørn, Niels Jørgen; Joakim Garff und Johnny Kondrup: Skriftbilleder. Søren Kierkegaards journaler, notesbøger, hæfter, ark, lapper og strimler. Kopenhagen 1996.
III. Norwegische Editionsgeschichte
Jon Haarberg
Die Edition norwegischer Literatur im 18. und 19. Jahrhundert
1.
Die Voraussetzungen
Die Geschichte der Edition norwegischer Literatur im 18. und 19. Jahrhundert ist nie geschrieben worden. Sie weist ja auch mit keinen aufsehenerregenden editionstheoretischen Leistungen auf. Grundlegende Erörterungen der Aufgaben, denen die Editoren der neuen norwegischen Literatur gegenüberstanden, sind zu jener Zeit kaum zu finden. Die Geschichte der Edition norwegischer Literatur stößt jedoch weit über den Kreis der Fachhistoriker hinaus auf Interesse, denn aus editionshistorischer Perspektive treten unterbelichtete Seiten der Entstehung und Entwicklung der Literatur als Institution deutlicher hervor. Die Etablierung einer norwegischen Nationalliteratur und eines norwegischen Kanons ist nicht zuletzt den ersten Editoren zu verdanken.1 Wir befinden uns in einer Periode der norwegischen Geschichte, in der die Nation noch im Aufbau ist und die Vorstellung von einer spezifisch norwegischen Literatur noch nicht bestand. Diese Vorstellung bildet sich im Laufe des 19. Jahrhunderts erst langsam heraus. Nicht vor Ende des Jahrhunderts scheint ein allgemein akzeptierter norwegischer literarischer Kanon Gestalt zu gewinnen.2 Das Richtfest des Nationenbaus wird 1900 mit der Edition der sogenannten Nationalausgabe von Snorres Königssagas gefeiert. Diese wurde auf Staatskosten produziert und in insgesamt 100.000 Exemplaren auf den Markt gebracht.3 Der norwegische Staat wurde mit der Verfassung von 1814 als „freies, selbstständiges, unteilbares und unveräußerliches Reich“ etabliert, aber von der vollständigen Unterordnung unter Dänemark (bis 1814) bis zur vollen konstitutionellen Selbstständigkeit (ab 1905) ging der Weg des Königreichs trotzdem über eine Personalunion mit Schweden. Diese Unionszeit stand im Zeichen des Institutions- und Nationenbaus. Die Literatur sollte dazu beitragen, die in der Vorstellung von der Nation vorausgesetzte Gemeinschaft zu schaffen. Nichtsdestoweniger war die Literatursprache immer noch Dänisch und der Büchermarkt weitgehend gemeinsam dänisch-norwegisch. ____________ 1 2 3
Zur kanonisierenden Kraft der Editionsphilologie siehe Kondrup 2002. Siehe Steinfeld 1994, S. 20, 26. Jørgensen 2000, S. 72–75.
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Jon Haarberg
Solange sich die Editionsphilologie als Disziplin innerhalb des Studiums der klassischen Literatur entfaltete, d. h. der griechischen und der lateinischen, rivalisierten die drei großen europäischen Gelehrtennationen um die Editionshegemonie. Aber in dem Augenblick, in dem die Literatur in europäischen Volkssprachen der gleichen philologischen Erforschung unterworfen wird, wird die Disziplin unwillkürlich nationalisiert. Deutsche Literatur wird in Deutschland herausgegeben, dänische in Dänemark – und norwegische in Norwegen. Die Neuphilologie wuchs unter der Nationalromantik heran, als sich die Muttersprachenfächer in der ganzen westlichen Welt eigenständig institutionalisierten. Auf diese Weise werden Fachgeschichte und literaturpolitischer Nationenbau unlöslich miteinander verknüpft. Die Nation sah mit großer Erwartung symbolträchtigen Ausgaben ihrer wertvollsten Dichtung und Darstellungen der Geschichte ihrer Literatur entgegen, sowohl was ältere als auch was neuere Zeit anging, zur Legitimierung der geistigen Kraft der Nation und zur Vertiefung ihrer Eigenart. Das erste Kapitel der Geschichte der norwegischen Editionsphilologie ist somit mehr von nationalistischer Ideologie als von fachlicher Selbstreflexion geprägt. Eine nationale Editionsphilologie baut auf jeden Fall auf vier Voraussetzungen auf. Erstens muss eine Literatur von einem gewissen Alter vorhanden sein, zweitens eine nationale Literatursprache, drittens braucht die Philologie eine materielle Verankerung in akademischen Institutionen, um Editoren bezahlen und schulen zu können, und viertens bedarf es einer heimischen Buchproduktion. Betrachten wir im Folgenden die einzelnen Voraussetzungen aus norwegischer Sicht.
2.
Die Entwicklung der norwegischen Literatur
Die erste norwegische Literaturgeschichte, geschrieben von dem 19-jährigen Hans Olaf Hansen im Jahre 1862, legt die Entstehung der modernen norwegischen Literatur zeitlich auf den 14. Januar 1814 fest, als die Loslösung von der 400 Jahre langen dänischen Herrschaft eine Tatsache wurde. Der Verfasser macht jedoch keinen Hehl daraus, dass der Staatenbildung grundlegende materielle Voraussetzungen fehlten, sodass viele Jahre vergehen sollten, bevor „eine frische und gesunde nationale Literatur“ Entwicklungsmöglichkeiten bekommen sollte. In der Literatur gab es jedoch auch schon vor der Loslösung Spuren nationaler Tendenzen. Das Problem war jedoch, dass die norwegischen Initiatoren dieser Literatur zumeist in Kopenhagen studiert hatten und dass somit ihre norwegische Nationalität durch die ‚alte‘, dänische Dichtung sozu-
Die Edition norwegischer Literatur im 18. und 19. Jahrhundert
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sagen verunreinigt wurde.4 Für Lorentz Dietrichson, der das Erbe Hansens antrat, war das Jahr 1814 in seiner Arbeit von 1866 nicht weniger wichtig, er machte jedoch einen beherzten Versuch aufzuspüren, wie Nationalität schon in den Jahrhunderten zuvor literarisch zum Ausdruck gekommen war, vor allem in der Volksdichtung, aber auch in der ‚Kunstpoesie‘ der letzten Generationen vor der Loslösung. „Der norwegische Beitrag zur gemeinsamen norwegischdänischen literarischen Kultur“ besteht Dietrichson zufolge „in einer durch das norwegische Ferment“ im Dänischen hervorgebrachten Kunstpoesie.5 Für beide Pioniere besteht die Nationalität also aus einer äußeren politischhistorischen und einer inneren ästhetisch-natürlichen Komponente, wobei man ohne weiteres sagen kann, dass die erste der zweiten förderlich war. Die Rolle als erster Literaturhistoriker der Nation war jedoch weder Hansen noch Dietrichson zugedacht. Der junge Dichter Johan Sebastian Welhaven (1807–1873) positionierte sich schon 1837 als die führende Kapazität auf diesem Gebiet. Die Bürger Christianias wurden zu literaturgeschichtlichen Vorlesungen in ein Hotel eingeladen.6 Mit dieser öffentlichen Vorlesungstätigkeit fuhr Welhaven fort, auch als er wenige Jahre darauf zuerst eine Stelle als Dozent und danach als Philosophieprofessor an der Universität bekam. Aber schon im Jahre 1847 beantragte er beim König eine zeitweilige Beurlaubung. Er wollte nach Kopenhagen reisen, um dort eine „vollständige und durchgehende Darstellung der Geschichte der dänisch-norwegischen Literatur bis zur Trennung der Reiche“ zu schreiben.7 Welhavens Projekt hatte zum Ziel, die entscheidende Bedeutung des norwegischen Beitrags für die sogenannte Gemeinschaftsliteratur aufzuzeigen, aber das Buch wurde nie verwirklicht.8 Stattdessen erschienen mehrere kleinere Arbeiten über die ‚Vorväter‘ der neuen norwegischen Literatur, unter ihnen die beiden dichtenden Pfarrer Petter Dass (1647–1707) und Claus Frimann (1746–1829), Letzterer Welhaven zufolge ein norwegischer Robert Burns, der „die Dinge mit dem Geist des Volkes und das Poetische in dessen Sehweise erfasst“.9 1851 gab er eine verhältnismäßig reichhaltige Auswahl von Frimanns Gedichten heraus, in der Hoffnung, dass der Dichter von da an „in der Erinnerung seines Volkes weiterleben würde“.10 Mit den ersten literaturhistorischen Versuchen erschienen gleichzeitig auch die ersten Anthologien. Hans Olaf Hansen registrierte eine gewisse Erwartung, ____________ 4 5 6 7 8 9 10
Hansen 1862, S. 3. Dietrichson 1866, S. 116. Welhaven 1991, Bd. 3, S. 272. Welhaven 1992, Bd. 5, S. 261. Vgl. Seip 2007, S. 330–337. Frimann 1851, S. VII. Frimann 1851, S. III.
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dass auch er mit einer Anthologie zu dieser Entwicklung beitragen sollte, er lehnte dies jedoch dankend ab und verwies auf die beiden bereits vorliegenden.11 Die erste mit dem Titel Norsk Anthologi erschien 1847, herausgegeben von Oberlehrer H. J. Thue. Das Buch enthält ausschließlich Gedichte, keine Prosa. Insgesamt sind 22 Verfasser repräsentiert, der älteste (Lyder Sagen) 1777 geboren, der jüngste (Hans Ørn Blom) 1817. Die Anthologie kann dem Herausgeber zufolge als „Anlage zu einer norwegischen Literaturgeschichte“ und als Offerte an „das dänische Brudervolk“ betrachtet werden, das somit die Gelegenheit bekäme, mit der neuen norwegischen Literatur bekannt zu werden.12 Von einer nationalen Konsolidierung war also nicht die Rede. Die Thematik in den ausgewählten Gedichten ist jedoch in hohem Grade national: Lyder Sagens Nordmandssang schlägt den Ton an. Die zweite Anthologie, Album af nyere norske Digtere (Album neuerer norwegischer Dichter), kam zwölf Jahre später (1859) auf Initiative des nationalistischen Verlegers Chr. Tønsberg in Christiania heraus. Von den zwölf anthologisierten Verfassern fanden sich elf auch bei Thue. Das Format ist größer, und jeder Verfasser hat sein persönliches Porträt bekommen, aber ein Philologe war an der Edition offensichtlich nicht beteiligt gewesen. 1847 war das Jahr, in dem dies alles geschah. Da wurde die ‚norwegische Literatur‘ zum ersten Mal zwischen zwei Buchdeckeln gesammelt. In editionshistorischer Perspektive ist zu vermerken, dass P. A. Munch im selben Jahr seine epochemachende Ausgabe der Sammlung Den eldre Edda vorlegen konnte. Die neue und die alte norwegische Literatur traten somit fast gleichzeitig an die Öffentlichkeit. 2.1. Norwegische Nationalität und dänische Sprache Die Romantiker betrachteten die Sprache als einen naturgegebenen Bestandteil der Nationalität und nicht in erster Linie als deren Werkzeug. Die politische Konsequenz daraus zog dann das norwegische Parlament im Herbst 1814, als es beschloss, dass Norwegisch die Gesetzessprache des Staates sein sollte, obwohl eine solche Schriftsprache noch gar nicht existierte. Politisch konnte man dies also trotzdem bestimmen. Dieses konstitutionelle Manöver war nicht nur der Ausdruck einer romantischen Ideologie, sondern wurde auch in der Absicht vorgenommen, nach der Auflösung der Union eventuellen schwedischen Integrationsbestrebungen vorzubeugen. Der Beschluss löste verständlicherweise sowohl in Norwegen als auch in Dänemark Reaktionen aus. Die Vorstel____________ 11 12
Hansen 1862, S. VII f. Thue in Norwegische Anthologie 1847, S. 6.
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lung von einer spezifisch norwegischen Sprache wurde mit der Zeit aber trotzdem zu einer Selbstverständlichkeit. Das politische Sprachgesetz des Parlaments konnte jedoch das kulturpolitische Dilemma der jungen Nation nicht aufheben: Solange ‚die Kultur‘ – die Sprache und die Literatur – dänisch war, ließ sie sich nur widerstrebend in die nationale Identität einordnen. Dieser Konflikt ist noch während des ganzen Jahrhunderts und darüber hinaus spürbar: Das Norwegische und das Vulgäre (oder Bäuerische) wurden als zwei Seiten der gleichen Medaille aufgefasst. Den Ausweg aus dem Dilemma suchte man mit Hilfe von zwei prinzipiell verschiedenen sprachpolitischen Strategien: durch stufenweise Annäherung der dänischen Schriftsprache an das gesprochene Norwegisch und durch einen radikalen Bruch, Konstruktion einer ganz neuen Schriftnorm auf Grundlage der Volkssprache. Ivar Aasen schuf die Basis mit seiner Grammatik Det norske Folkesprogs Grammatikk 1848 (Grammatik der norwegischen Volkssprache), und A. O. Vinje setzte die radikale Strategie mit seiner epochalen Wochenzeitung Dølen von 1858 bis 1870 in die Praxis um. 1885 beschloss das Parlament die Gleichberechtigung der beiden Schriftspracheformen in jedem öffentlichen Sprachgebrauch – die ‚Volkssprache‘, die später Neunorwegisch genannt wurde und ‚die allgemeine Buchsprache‘. Spezifisch norwegische Rechtschreibnormen wurden erst 1901 (Landsmål/Nynorsk) und 1907 (Riksmål/Bokmål) festgesetzt. Nach der Marginalisierung von Latein als Kultur- und Literatursprache, eine Entwicklung, die im Laufe der letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts weitgehend beendet war, verging in Norwegen mit anderen Worten viel Zeit, bis die Sprache zu einem unangefochtenen Teil der Nation wurde. Somit musste auch die Nationalliteratur sich lange abmühen, bis sie zu etwas mehr als ‚Gemeinschaftsliteratur‘ wurde. Der Autor Arne Garborg behauptet noch in den 1870er Jahren, dass Norwegen als Nation nicht realisiert sei, da ihr ganz einfach die Sprache fehle.13 Im Streit darüber, ob die Literatur in Dänemark oder in Norwegen herausgegeben werden sollte, kommt das Problem deutlich zum Ausdruck. 2.2.
Die Entwicklung einer norwegischen Buchproduktion
Der Buchdruck kam spät nach Norwegen, unter anderem weil die Obrigkeiten aus Zensurgründen dafür sorgten, die Buchproduktion der beiden Reiche auf Kopenhagens Stadtkern zu konzentrieren. Norwegische Provinzdruckereien wurden somit erst in den Jahren 1643 in Christiania, 1721 in Bergen und 1739 ____________ 13
Venås 1996, S. 424 f.
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in Trondheim gegründet. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl auf vier, nachdem Kristiansand ebenfalls eine Druckerei bekommen hatte.14 Die Ausübung nationaler Selbstständigkeit hatte auf diesem Gebiet folglich keine guten Voraussetzungen. Aber bereits Mitte des Jahrhunderts konnte der Universitätsbibliothekar Martinus Nissen zufrieden konstatieren, dass die Branche trotz allem eine rasante Entwicklung durchgemacht hatte. 1849 gab es 53 Buchdruckereien auf 30 Städte verteilt.15 Nissens Statistik ist direkt und indirekt der Ausdruck für eine nationale Mobilisierung im Namen der Literatur. In seiner Einleitung schreibt der Herausgeber (Christian C. A. Lange), dass eine selbstständige norwegische Literatur „unmöglich bestehen kann ohne eine Liebe beim Volk nicht nur zur Lektüre, sondern auch zum Kauf von Büchern“.16 Die Statistik zeigt, dass aus 49 norwegischproduzierten Büchern im Jahre 1814 144 im Jahre 1847 geworden sind. Theologie war die größte Einzelgruppe. ‚Schöne Wissenschaften und Künste‘ war die zweitgrößte Gruppe; insgesamt 441 Bücher dieses Typs wurden in der betrachteten Zeitspanne herausgegeben, d. h. im Durchschnitt ca. 13 Bücher pro Jahr.17 In den ersten Jahrzehnten nach der Staatsbildung war die junge Nation folglich von den dänischen Buchdruckern vollständig abhängig. Die Frage, ob die Nationalliteratur in Wirklichkeit von der Herausgabe in Norwegen abhing, stand erst 1861 auf der Tagesordnung, als der bedeutendste junge Dichter der Nation, Bjørnstjerne Bjørnson, mit seinem Schauspiel Kong Sverre den Wechsel zum führenden Gyldendalske Boghandels Forlag in Kopenhagen bekannt gab. Der Kritiker des Christiania-Posten fragte daher provokatorisch, was ein Werk wie dieses ‚norwegisch‘ mache. Solange Sprache und Verlag dänisch seien, bleibe nur noch das Kriterium des Geburtsorts des Verfassers, was der Kritiker unzulänglich findet: Könne man vielleicht Heinrich Heines französische Werke als deutsche Literatur bezeichnen? Die Enttäuschung über Bjørnson kommt ohne modale Hilfsverben zum Ausdruck.18 Besser wurde es nicht, als Ibsen mit den Werken Brand (1866) und besonders Peer Gynt (1867) ebenfalls zu Gyldendal ging. Die große Debatte über norwegische Literatur in dänischen Verlagen kam jedoch erst 1879 auf, vier Jahre nach der Gründung des norwegischen Verlagsvereins. Anlass war die neue Ausgabe von P. Chr. Asbjørnsens Norske Folke- og Huldre-Eventyr (Norwegische Volks- und Waldgeist-Märchen). Der anonyme Kritiker in der Zeitschrift Ny Illustreret Tidende, der, wie sich später ____________ 14 15 16 17 18
Jacobsen 1983, S. 87, Tveterås 1950, Bd. 1, S. 135. Nissen 1849, S. 203. Nissen 1849, S. 177. Nissen 1849, S. 180 f.; vgl. Dansk Bogfortegnelse 1861. Tveterås 1964, Bd. 2, S. 384 f.
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herausstellte, K. A. Winter-Hjelm, der Herausgeber der Zeitschrift war, meint, „es hat peinliches Aufsehen erregt, dass auch ein Nationalwerk wie die Märchensammlung zur Veröffentlichung nach Dänemark geschickt wurde.“19 Verständlicherweise wurden die Reaktionen nun noch stärker, da es sich in diesem Fall wirklich um „etwas vom Nationalsten, das wir besitzen, dem Märchenschatz, handelt“. Winter-Hjelm findet es unerträglich, dass dieser „Schatz“ hinfort „unter dänischer Flagge segeln sollte“.20 Unter Berufung auf seine Rechte als ‚Verfasser‘ antwortete Asbjørnsen einen Monat später im Morgenbladet schroff: „Ich behalte mir […] vor, in voller Freiheit über mein Eigentum, einschließlich ‚unseres Märchenschatzes‘ zu verfügen“.21 Der Grund, warum er so „verfügen“ wollte, war offensichtlich finanzieller Art. Eine Herausgabe in Dänemark erhöhte seine Einkunftsmöglichkeiten beträchtlich. Es deutet nichts darauf hin, dass in Norwegen hergestellte Bücher in dieser Periode in größerem Ausmaß nach Dänemark eingeführt wurden. Die Frage der nationalen Autonomie der norwegischen Buchproduktion sollte bis weit ins nächste Jahrhundert aktuell bleiben. Kaum eine Branche bekam eine solche Symbolfunktion wie das Verlagswesen. Der sogenannte Heimkauf der ‚Großen Vier‘ (Ibsen, Bjørnson, Kielland, Lie) im Jahre 1925, als Gyldendals norwegische Abteilung als eigene Aktiengesellschaft ohne formelles Band zum Mutterverlag in Kopenhagen etabliert wurde, war der letzte Akt im großen Drama der Freiheit und Selbstständigkeit der nationalen Literatur.22 2.3.
Institutionalisierung der Philologie
Wenn schon die Buchdruckerkunst erst spät in der nördlichen dänischen Provinz Norwegen anlangte, so sollte noch mehr Zeit vergehen, bis es gelang, eine eigene norwegische Universität zu gründen. Im Umkreis der Königlichen Norwegischen Wissenschaftler-Gesellschaft in Trondheim nahm der Gedanke in den 1760er Jahren erstmals Form an. Ein eigentlicher Durchbruch erfolgte jedoch erst 1811, als Frederik VI. der norwegischen Initiative schließlich seine Zustimmung gab.23 Die Tätigkeit begann 1813 mit sechs Lehrenden, darunter ein (klassischer) Philologe. Hundert Jahre später war die Zahl fest angestellter Philologen auf 19 gestiegen (d. h. 15 Professoren und vier Dozenten). Von die____________ 19 20 21 22 23
Die Debatte, die nach dieser Kritik entstand, wurde im folgenden Jahr gesammelt und in Buchform herausgegeben; siehe Striden 1880, S. 5; vgl. Tveterås 1964, Bd. 2, S. 390–419. Striden 1880, S. 6. Striden 1880, S. 8. Siehe Jacobsen 2000, S. 131–203. Siehe Collett 1999, Kap. 1.
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sen hatten nur zwei Professoren und ein Dozent Stellen, von denen man erwarten konnte, dass auch textkritische Arbeit mit moderner Literatur und Volksdichtung geleistet wurde. Auch die Zahl der Studenten stieg nur langsam. Erst Mitte des Jahrhunderts erreichte man 30 Philologiestudenten.24 Die altnordische Philologie kam 1845 zu ihrem entscheidenden Durchbruch, als ein neues Universitätsgesetz den Kandidaten des „philologischen Beamten- oder Schullehrer-Examens“ den Weg öffnete, das obligatorische Studium in Hebräisch mit einem neuen Studium in „Altnorwegisch im Verein mit der muttersprachlichen Literatur“ zu ersetzen.25 Kompetenz in Altnordisch hatte man schon seit 1828, als der Historiker Rudolf Keyser mit der besonderen Auflage eingestellt wurde, in „Fædrelandets Oldsprog“ zu dozieren. Ihm gesellten sich später seine Schüler P. A. Munch (1837) und C. R. Unger (1841) hinzu. Gemeinsam initiierten sie die Hochblüte der altnordischen Philologie in Norwegen.26 In Sachen muttersprachlicher Literatur stand es jedoch gar nicht gut, und aus diesem Grund erhielt der neue Philosophieprofessor, Johan Sebastian Welhaven, der ein größerer Dichter als Philosoph war, den Auftrag, sich der Sache anzunehmen.27 Die erste Stelle für moderne nordische Literatur, eine Stipendiatenstelle, wurde erst 1856 ausgeschrieben. Eingestellt wurde der 34-jährige Cathrinus Bang, der später (1867) auf Vorschlag eines gespaltenen Berufungskomitees zum ersten Professor des Faches ernannt wurde. Bang behielt seine Stelle bis kurz vor seinem Tod im Jahre 1898. Doch im Laufe der 30 Jahre als Hochschullehrer veröffentlichte er keine einzige Zeile. Er trug weder zur allgemeinen Aufklärung der Nation noch zur Erforschung der nordischen Literaturgeschichte bei.28 An seiner Seite hatte er eine Zeit lang (1877–1892) Olaf Skavlan, Professor für europäische Literaturgeschichte. Auch er interessierte sich für das Nordische oder Norwegische – besonders für Holberg und Wergeland – jedoch ohne ein Interesse für Textedition an den Tag zu legen.29 Vor diesem Hintergrund sieht man, dass die Institutionalisierung der modernen Philologe, die sich zur Mitte des Jahrhunderts an der Universität in Christiania etabliert hatte, paradoxerweise wenig für das Schreiben der nationalen Literaturgeschichte und noch weniger für die Herausgabe von Literatur bedeutete. Die editionsphilologische Wirksamkeit, die tatsächlich existierte, wurde nicht von staatsangestellten Professoren betrieben, sondern von enthusi____________ 24 25 26 27 28 29
Olsen 1911, S. 379 und 299. Olsen 1911, S. 310 f. Siehe Odd Einar Haugens Darstellung dieser Epoche im vorliegenden Band, S. 23 ff. Morgenstierne 1911, S. 183–185; Olsen 1911, S. 311. Bugge 1911, S. 286. Bugge 1911, S. 288.
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astischen Nationalisten und fleißigen Freischaffenden. Als Fachhistoriker konstatiert Magnus Olsen 1911, dass viele große Aufgaben nach hundert Jahren noch immer ungelöst seien. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch, als der Staat aus der Union mit Schweden austrat und die Literatur sich von der kulturellen Gemeinschaft mit Dänemark loslöste, zeichneten sich der norwegische literarische Kanon und mit ihm die editionsphilologischen Aufgaben deutlicher ab.30
3.
Die ersten Editionen norwegischer Literatur (1763–1814)
‚Felleslitteratur‘ (‚Gemeinschaftsliteratur‘) wurde oft als Bezeichnung für die dänisch-norwegische Literatur verwendet, die vor – und teilweise nach 1814 – herausgegeben wurde, d. h. die Bezeichnung hatte sich bei den norwegischen Literaturhistorikern eingebürgert. Die Dänen waren wahrscheinlich am Norwegischen weniger interessiert als die Norweger am Dänischen.31 Nichtsdestoweniger erlangte die Unterscheidung von dänischer und norwegischer Literatur schon früh fundamentale Bedeutung. Diese Unterscheidung basierte seit 1814 in der Praxis auf fünf Kriterien: (1) Geburtsort des Verfassers, (2) Wohnort des Verfassers, (3) Erscheinungsort, (4) Nationalität des Herausgebers und (5) ‚das Nationale‘, verstanden als eine textliche Qualität, vor allem inhaltlich, aber auch formal. Ludvig Holberg (1684–1754), der norwegische Verfasser mit dem unbestritten größtem Renommee im 18. Jahrhundert, war auch ‚der Vater der dänischen Literatur‘. Er wurde in Bergen geboren, lebte aber als Erwachsener sein Leben lang in Kopenhagen oder war auf Reisen in Europa. Nach dem Kriterium des Erscheinungsorts war er in geringem Maße norwegisch; editionsgeschichtlich gehört er zu Dänemark. Seine Schriften räumten dem Nationalen nie besonderen Wert ein, trotzdem haben Literaturhistoriker in seiner Sprache eifrig Norwegismen registriert und das typisch Norwegische in seinen Haltungen gesucht. Diese Funde genügten zusammen mit dem Geburtsort für eine vollwertige Eingliederung in die norwegische Literaturgeschichte. Die Grenze zwischen dänischer und norwegischer Literatur kann mit anderen Worten unterschiedlich gezogen werden, je nachdem welchem Kriterium die größte Bedeutung beigemessen wird. Das Nationalitätenkriterium hat heutzutage verständlicherweise nicht mehr seine frühere große Bedeutung. Die ersten norwegischen Literaturhistoriker ____________ 30 31
Bugge 1911, S. 288. Das Wort ‚Felleslitteratur‘ existiert im Ordbog over det danske Sprog nicht; vgl. Steinfeld 1994, S. 27.
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suchten jedoch eifrig nach nationalen Charakteristiken in der Gemeinschaftsliteratur. Dietrichson machte mit Nachdruck geltend, dass das norwegische Volk auch während der „Dänenherrschaft“ im Besitze „einer seltenen, nationalen Energie“ war, d. h. einer Nationalität, die sich im Verhältnis zur Nationalität anderer Völker besonders auszeichnete.32 Hartvig Lassen, der 1856 u. a. mit Dietrichson und Cathrinus Bang um die Stipendiatenstelle in nordischer Literatur konkurriert hatte, argumentierte wenige Jahre später historisch dahingehend, dass sich das Nationalgefühl in der Literatur seit ungefähr 1770 bemerkbar gemacht habe, Hand in Hand mit der Expansion der Bürgerklasse, wobei zugleich die Gesamtbevölkerungszahl Norwegens dieselbe Höhe erreicht hatte wie in Dänemark.33 Der Gesichtspunkt harmonierte mit der Tatsache, dass Norwegen 1763 seine erste Zeitung, Norske Intelligenz-Sedler, in Christiania bekam. 3.1.
Albert Chr. Dass’ Edition der Nordlands Trompete
Im Jahre 1763 erschien auch die erste kommentierte Ausgabe von Petter Dass’ Nordlands Trompete. Der Dichter und Pfarrer Dass (1647–1707) schrieb in erster Linie Andachtsliteratur, religiöse Gedichte und Gesänge, die im 18. Jahrhundert sehr populär waren; das topografische Gedicht Nordlands Trompete erschien hingegen nur wenige Male. Die Kopenhagener Ausgabe von 1763 hebt sich durch den ausführlichen Herausgebertext ab. Die Titelseite gibt an, dass Albert Christian Dass, der also den Nachnamen des Dichters trägt, hinter der neuen Ausgabe inklusive der fortlaufenden Anmerkungen im Text steht. Dieser Dass, der examinierter Theologe und Jurist war, präsentierte sich selbst als Enkel des Dichters. Die Ausgabe begründet er auf zweifache Weise. Einleitend hebt er die Größe des Dichters hervor; er muss als „einer unserer größten Norwegischen Poeten“ angesehen werden.34 Eine neue Ausgabe sollte dazu beitragen, die „Historia Literaria“ des Landes zu heben. Norwegische Verfasser hätten es, dem Herausgeber zufolge, nicht leicht, die Anerkennung zu erreichen, die sie tatsächlich verdienen.35 Die erste editionsphilologische Edition eines norwegischen literarischen Werkes scheint somit zu einem Teil national motiviert gewesen zu sein. Der Herausgeber verweist jedoch auch auf die Verpflichtung, die er als Nachkomme des Dichters habe. Diese Verpflichtung entspringe nicht nur der Familienehre, sondern auch der Tatsache, dass er im Besitz einer Ab____________ 32 33 34 35
Dietrichson 1866, S. 2. Lassen 1877, S. 211 f. Dass 1763, S. 3. Dass 1763, S. 4.
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schrift des Werkes aus der Zeit des Dichters sei, die mit Worterklärungen des Sohnes (Vater des Herausgebers) versehen sei. Diese Handschrift verwendet er, um Fehler zu berichtigen und seine eigenen, verhältnismäßig ausführlichen Kommentare zum Text anzufertigen. Die Korrekturen (die nebenbei bemerkt keineswegs alle Überlieferungsprobleme lösen) werden stillschweigend vorgenommen; die Kommentare sind als Fußnoten angebracht, mit den Lemmata des Gedichttextes in halbfetter Schrift. Die Einleitung enthält auch die Biografie des Dichters (ungefähr fünf Seiten), eine knappe Vita, die offensichtlich mehrere Ungenauigkeiten oder direkt falsche Aussagen enthält, die jedoch trotzdem als die erste norwegische Dichterbiografie angesehen werden muss. Zusätzlich zu Albert Christian Dass kommt jedoch auch ein Kopenhagener Mittelsmann, Hans Morten Sommer, zu Wort. Der 27-jährige Sommer inszenierte sich selbst als Philologe; er war ein Urenkel des Dichters und Neffe des Herausgebers, von Beruf war er Jurist. Er protzt mit lateinischen Zitaten und gelehrten Referenzen, ja sogar mit einem Wort in griechischer Schrift. Sommer legt nicht die gleiche Begeisterung an den Tag wie sein Onkel, betont jedoch immerhin die Verdienste des Werkes als sachliche Information über den nördlichsten Teil des Landes und das Interesse, das es bei den Philologen, d. h. bei den „Liebhabern der Sprache“, hervorrufen werde.36 Somit wird die Fremdheit der Dichtung – der Abstand in Zeit und Raum – faktisch zur Empfehlung des Werkes. Die Kommentare von Albert Christian Dass findet er „so gut, dass sie allein es verdienten, gelesen zu werden“.37 So schreibt ein Philologe. 3.2.
Verwandte und Bekannte geben Tullin und Wessel heraus
Ehe die Literatur unlösbar an das Buchmedium geknüpft wurde, geschah es oft, dass der Verfasser sein eigener Herausgeber war, d. h. Gedichte und Prosa aus früheren Periodika publizierte oder sie mündlich bei Lesungen darbot. Vor 1814 ist zu beobachten, dass Edvard Storm, Jonas Rein und Frederik Schmidt in den Jahren 1785, 1802 beziehungsweise 1811 ihre Samlede Digte von Kopenhagen aus versandten. Die erste Ausgabe der gesammelten Werke eines norwegischen Dichters ereignete sich jedoch postum. Harald Noreng schreibt, dass die Edition von Tullins Samtlige Skrifter in drei Bänden (1770–1773) als solche etwas Neues in der dänisch-norwegischen Buchgeschichte war,38 vorausgesetzt, man rechnet Den berømte og velfortiente M. Anders Bordings Po____________ 36 37 38
Dass 1763, S. 12. Dass 1763, S. 14. Tullin 1972, Bd. 1, S. 11.
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etiske Skrifter i tvende Parter (Des berühmten und hochverdienten M. Anders Bordings Poetische Schriften in zwei Teilen), die 1735 von Frederich Rostgaard und Peder Terpager herausgegeben wurden, nicht mit. Christian Braunmann Tullin (1728–1765) profilierte sich Mitte des 18. Jahrhunderts als größte poetische Begabung in Dänemark-Norwegen, ungeachtet dessen, dass er in Christiania lebte. Die Ausgabe seiner Samtlige Skrifter erschien fünf Jahre nach seinem frühen Tod. In der Subskriptionseinladung verweist die Witwe des Verfassers auf den echten Patriotismus des Ehemanns und auf den verlässlichen „Geschmack und die Urteilskraft“ der Freunde als wichtige Voraussetzungen für das dreibändige Werk, dessen Verlegerin sie selbst war: „ich und seine Kinder sind es, die nun einen bedeutenden Teil unseres Wohlergehens wagen, um ihm diese Ehre zu erweisen“.39 Mit einem klaren Einfühlungsvermögen für die Wichtigkeit der Ausgabe widmete sie diese dem König selbst, da er nicht nur „der beste Kenner geistiger Arbeiten“ („Vittighedens Arbeider“) sei, sondern auch in Gnaden anzusehen pflege, was aus dem „kalten Norwegen“ komme.40 Die Einleitung erörtert besonders die Auswahl: „Sämtliche“ Schriften (lat. omnia) soll als Versammlung aller Schriften, mit Ausnahme der weniger guten, verstanden werden. Einer der Kritiker meint mit Nachdruck, dass die Herausgeber in dieser Hinsicht versagt hätten. Tullins Jugendarbeiten beweisen angeblich nichts anderes, als dass auch „der Geschmack eines Genies“ Zeit zu reifen brauche.41 Wer diese Herausgeber ohne Geschmack wirklich waren, wissen wir nicht mit Sicherheit, nur dass sie in einem freundschaftlichen Verhältnis zum Autor standen.42 Die ihnen zur Verfügung stehende Textgrundlage variierte. Tullins Gedichte und Essays hatten sie entweder als Drucke oder Handschriften oder beides vorliegen, aber die Herausgeber kommentieren dieses Problem nicht weiter, nur dass sie Handschrift gegen Druck kollationiert hätten, wenn beides vorgelegen habe. Die Handschriften hatten offensichtlich den Vorrang, da die gedruckten Gedichte auf dieser Grundlage berichtigt wurden. An einigen Stellen haben die Herausgeber den Text auch mit erklärenden Fußnoten versehen. Was die Edition im Übrigen angeht, so erklärt man, dass im Hinblick auf ____________ 39
40 41 42
Die Subskriptionseinladung wurde 1770 in Kopenhagen veröffentlicht (Kiøbenhavns kongelige allene privilegerede Adresse-Contoirs Efterretninger 5, 1770), nicht in Christiania, obwohl auch die größten norwegischen Städte zu diesem Zeitpunkt schon Adresszeitungen hatten. Sie ist datiert „Christiania den 6ten November 1769“ und unterzeichnet „Mette Kuchow, Witwe von Tullin“. Tullin 1770, Bd. 1, „Til Kongen“. Kiøbenhavnske Kongl. Privil. Adressecontoirs Kritiske Journal 40, 1770. Wahrscheinlich war der 27-jährige norwegische Theologiestudent Christian Theilmann, der in der Subskriptionseinladung explizit genannt wird, für die Ausgabe des ersten Bandes verantwortlich. Wer später übernommen hat, ist unklar; siehe Norengs Kommentar in Tullin 1976, Bd. 2, S. 8.
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„Druck, Papier und Korrektur“ an nichts gespart wurde. Es ist auch zu beachten, dass die Einleitung zum dritten Band eine neunseitige Biografie des Verfassers enthält, die aber, wie die Herausgeber bemerken, nicht von Tullin selbst besorgt wurde und daher nicht anders als „sehr mager und unvollständig“43 sein kann. Der zweite große gebürtige Norweger der Periode hieß Johan Hermann Wessel (1742–1785). Wie Tullin starb auch er jung. Aber im Gegensatz zu Tullin entfaltete er sein Talent in Dänemark und nicht in Norwegen. Nach und nach wurde er zu einer zentralen Gestalt in der Norwegischen Gesellschaft. Schon zwei Jahre nach seinem Tod lagen Samtlige Skrifter in zwei Bänden vor. Hier gibt es keine königliche Widmung, aber aus der Subskriptionsliste geht hervor, dass die Königsfamilie insgesamt 50 Exemplare der zweibändigen Ausgabe zeichnete.44 In der Einleitung erörtern die Herausgeber die gleichen Fragen, die 17 Jahre früher auf der Tagesordnung standen, als Tullins Edition veröffentlicht wurden: die Textauswahl, die Gliederung der Edition und die Biografie des Autors. Was die Textauswahl betrifft, so liegt es den Herausgebern sehr daran, zwischen privater und öffentlicher Sphäre zu unterscheiden. Als Vollstrecker des letzten Willens des Verfassers, seiner postumen Intention, sehen sie es als ihre Pflicht an, zu trennen zwischen dem, was von Seiten des Autors zur Veröffentlichung bestimmt war und was nicht. Weiter seien Originalität und Qualität zu berücksichtigen. Dort wo die Tullin-Herausgeber ihren „Fleiß“ hervorheben, unterstreichen die Wessel-Herausgeber ihre „Genauigkeit“.45 Hier erklärt man, wenn auch nicht im Detail, die zugrunde gelegte Systematik der Ausgabe. Für die gedruckten Werke wählen die Herausgeber die Ausgabe letzter Hand. Bei den Stücken aus dem Satireblatt wird der Text auf der Grundlage des Autographs emendiert, und bei ungedruckten Texten zieht man zu Recht autoreigene Fassungen Abschriften vor. Die Biografie wird mit den gleichen rhetorischen Vorbehalten wie in Tullins Fall präsentiert. Sie besteht aus sechs kleinen Seiten. Diesmal sind die Namen der Herausgeber bekannt. Es handelt sich um Peter Johan Monrad, Jens Baggesen und Christen Pram. Sie berufen sich auf die Freundschaft mit dem Dichter und auf die Erlaubnis der Witwe. Die drei waren jedoch bedeutend jünger als Wessel, der blutjunge hochstrebende Dichter ____________ 43 44 45
Tullin 1773, Forerindring. Die Subskriptionseinladung wurde als Zusatz zur „Vorrede“ der Herausgeber in Bd. 1 gedruckt. Wessel 1787, Vorrede.
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Baggesen war ganze 22 Jahre jünger. Monrad und Pram waren gebürtige Norweger, aber der Edition fehlt eine norwegisch-nationale Motivierung völlig. Hier strebt man „[d]as Fortschreiten der dänischen schönen Literatur“ an.46 Das Ziel ist Kanonisierung. Wessel verdient, der Subskriptionseinladung zufolge, „für alle Zeiten geachtet und hochgeschätzt zu werden“. Hier wird deutlich, dass der norwegische Charakter von Wessels Werk keineswegs selbstverständlich war. Diese Frage hat späteren Literaturhistorikern große Mühe bereitet. Editionsgeschichtlich sollte Wessel nahezu Däne werden.47 Tullin, Dass und Wessel: Die drei ersten norwegischen Autoren, deren Werke nicht nur postum herausgegeben wurden, sondern die durch die Ausgaben auch in der Literatur verankert und in sie eingeschrieben wurden, haben auf jeden Fall eines gemeinsam: Sie hatten Freunde und Verwandte, die die Herausgeberverantwortung auf sich nahmen.48 Die Edition wurde aus der literarischen Bedeutung motiviert, aber die Verantwortung dafür wurde privat, nicht fachlich verwaltet. Noch immer war die Philologie nicht institutionalisiert, und es gab auch keine norwegische Nationalliteratur.
4.
Die erste Periode der Nationalliteratur (1814–1852)
1814 lag plötzlich ein neues literarisches Feld offen: Die junge Nation bot sich ambitionierten Dichtern und anderen literarischen Akteuren sozusagen an. Der erste, der sich in Stellung brachte, war der 21-jährige Jurastudent Conrad Nicolai Schwach (1793–1860). Nach einem gewissen Erfolg mit dem nationalallegorischen Gedicht Dana til Nor im Sommer 1814 strebte er danach, sich als Dichter einen Namen zu machen. Als Teil der Strategie plante er eine breit angelegte, nationale Anthologie. Er schrieb norwegische Dichter an, etablierte und unbekannte, und bat um Beiträge für eine „Neujahrsgabe“ nach dänischem und schwedischem Vorbild. Ein Jahr danach wurde dann Nor. En Samling av Smaadigte ved norske Forfattere mit Poesie (und etwas Prosa) von insgesamt 13 Autoren in Christiania veröffentlicht. Weitaus am besten war der Herausge____________ 46 47
48
Wessel 1787, Vorrede. Kaum ein dänisch-norwegischer Klassiker wurde so häufig herausgegeben wie Wessel, aber fast alle Ausgaben entstanden auf dänische Initiative. Die editionsphilologisch ambitionierteste ist Israel Levins aus dem Jahr 1862, die zur Grundlage vieler späteren Ausgaben wurde. Von früheren Sammelausgaben, die von Verwandten besorgt wurden, soll auch Johan Nordahl Bruns Mindre Digte erwähnt werden, die von seinem Sohn, dem Pfarrer Christen Brun 1818 herausgegeben wurden. Der Dichter hatte selbst bereits 1791 in Kopenhagen eine Sammlung veröffentlicht. Die stark erweiterte Ausgabe ist jedoch die erste in ihrer Art, die in Norwegen (Christiania) erschien. Auch diese ist mit einer königlichen Widmung versehen, wenngleich der „geliebte König“ 1818 Schwede war.
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ber selbst vertreten, der zusammen mit zwei anderen Beiträgern, den Freunden Henrik Anker Bjerregaard und Maurits Hansen, den ersten Jahrzehnten der norwegischen literarischen Selbstständigkeit den Stempel aufdrücken sollte.49 4.1.
C. N. Schwach und Lyder Sagen
Zwei Herausgeber, die sich als Dichter profiliert hatten, standen in der ersten Periode der Nationalliteratur im Mittelpunkt: der Jurist Conrad Nicolai Schwach und der Philologe Lyder Sagen. Im Falle von Schwach ist sozusagen sein ganzes Autorleben von der Tätigkeit als Editor umrahmt. Die väterliche Aufmunterung, die ihm 1814 von dem Dichter Jens Zetlitz zuteil wurde, konnte er nach dessen Tod vergelten, als er zwei Bänden mit Gedichten, die meisten aus Zetlitz’ Zeit in der Norwegischen Gesellschaft in Kopenhagen, im Heimatland eine neue Chance gab. Gegen Ende seines Lebens erfüllte er seine brüderliche Pflicht seinen verstorbenen Dichterfreunden gegenüber, als er 1848 H. A. Bjerregaards Digtninger (Gedichte und Schauspiele) und 1855–1858 Maurits Hansens Noveller og Fortællinger herausgab. In einer vierten Ausgabe, die er 1846 zusammen mit Nils Dahl zustande brachte, nahm er auch die Dichtung des ersten der „Söhne“ auf: Ein Jahr nach dem Tod Henrik Wergelands, dem skandalumwitterten und himmelstürmenden Dichter, veröffentlichen sie eine Anthologie mit seinen lyrischen Gedichten, d. h. „de Digte vi ansaae fortrinlige“ („die Gedichte, die wir als hervorragend ansahen“).50 Die vier Editionen von Schwach zeugen nicht von philologischem Können. In den acht Bänden mit Hansens Erzählungen hat er keine anderen Spuren hinterlassen als den Namen des Herausgebers auf der Titelseite; als die ZetlitzAusgabe erschien, hatte er nicht einmal Korrektur gelesen. Nach seinen eigenen Erinnerungen zu urteilen, war es die ökonomische Seite – geizige Verleger und hohe Portoausgaben –, die ihn am meisten beschäftigte, zusätzlich zu dem strategischen Vorteil, den er auf dem literarischen Feld gewann: Er meinte, die zwei Zetlitz-Bände zeugten mehr von der „literarischen Existenz“ des Herausgebers als des Autors.51 Den größten Beitrag hat er wahrscheinlich mit der elfseitigen Biografie geleistet, die er der Ausgabe beifügte. In den Wergeland- und Bjerregaard-Ausgaben bedauert er – mit respektlosem Hinweis auf den Verleger –, dass die Biografien leider fehlten. Als Schwach 1860 starb, gehörte er schon der literarischen Vergangenheit an. Seine eigenen Samlede ____________ 49 50 51
Vgl. die Erinnerungen des Verfassers, Schwach 1992, S. 111, und Stubhaug 2002, S. 113 f., 122. Wergeland 1846, Forerindring. Schwach 1997, S. 229.
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Digte von 1837 und 1846 hatte er 1855 jedoch mit einem Nachtrag von 445 Seiten versehen.52 Lyder Sagen (1777–1850), der der zweiten Generation von Patrioten in der Norwegischen Gesellschaft angehörte, hatte schon in seiner Studienzeit mit seinem Lehrer, Knud Lyhne Rahbek, Professor für Ästhetik und Herausgeber mehrerer dänischer Werke, enge Freundschaft geschlossen.53 Von 1805 bis zu seinem Tod im Jahre 1850 arbeitete Sagen als Lehrer an der Kathedralschule in Bergen, ab 1814 als Oberlehrer. Seine unorthodoxe, sokratische Pädagogik und sein Lesewerk in „Modersmaalet“ sicherten ihm einen besonderen Platz in der norwegischen Schulgeschichte. 1837 betreute er die Ausgabe von Udvalg av Claus Fastings Skrifter (Auswahl von Claus Fastings Schriften), gedruckt in Bergen, der Geburtsstadt des Verfassers und des Herausgebers. Claus Fasting gehörte zu den Gründern der Norwegischen Gesellschaft, aber das Interesse des Herausgebers an ihm kann kaum dem Studentenmilieu in Kopenhagen zugeschrieben werden. Fasting war Sagens Pate. Selbst wenn die Ausgabe seiner Schriften fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod realisiert wurde, lag immer noch ihre unausgesprochene Begründung in der nahen, persönlichen Beziehung. Editionsphilologisch unterscheidet sich die Ausgabe nicht besonders von den übrigen zeitgenössischen. Ihr großer Vorzug ist die 96 Seiten lange biografische Einleitung. Sagens sehr sympathisches Porträt von Fasting basiert auf Primärquellen; in der Einleitung wird seine Arbeit als Kritiker sowie die Rezeption seines Provinsialbladet besprochen. Mit dieser Einleitung setzte Sagen einen neuen Standard für norwegische Dichterbiografien. 4.2.
Volksmärchen und Volkssagen: Faye, Asbjørnsen und Moe
Trotz Fastings Patriotismus hatte Sagens Ausgabe seiner Schriften zur ‚nationalen‘ Literatur, die sich jetzt entwickelte, wenig beizutragen. Vier Jahre zuvor, 1833, war in der kleinen Provinzstadt Arendal ein sehr vielversprechendes Buch erschienen. Norske Sagn, gesammelt und herausgegeben von Andreas Faye (1802–1869), Pfarrer und Vorsteher der Real- und Mittelschule der Stadt, ein Buch, das den Anstoß zu einer völlig neuen Herausgeberarbeit und einer ganz anderen Philologie als der Sagens gab. In den Volksmärchen und Sagen hatte man Stoff, der auf unmittelbares Interesse stieß und von Nutzen für die Nation war. Faye betrachtete seine Sagensammlung als „eine Art Handbuch“ für jeden, der ein echter Volksdichter werden wollte. Es konnte nämlich kein ____________ 52 53
Vgl. Stubhaug 2002, S. 266 f., 281, 311 f. Rahbeks Ausgaben umfassen u. a. Holberg 1804–1814 und Wessel 1800.
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Zweifel herrschen, dass „ein Gedicht, das auf einer Sage oder einem Faktum basiert, fast immer besser gelingt, als wenn auch der Stoff erdichtet ist“. Auf diese Weise kann er dazu beitragen, „eine Lücke in unserer Literatur und in dem nordeuropäischen Sagenkreis zu schließen“.54 Die Vorstellung einer solchen Lücke entstand unter und mit der Nationalromantik und aufgrund der Kinder- und Haus-Märchen der Brüder Grimm, die 1812/13 erstmals veröffentlicht wurden. Dänemark hatte seine Sagensammlung 1818–1823 erhalten, als der junge Just Mathias Thiele seine Sommerferien dazu benutzte, zuerst Seeland und später Jütland nach geeignetem Material zu durchkämmen. Bei seiner weiteren Arbeit bekam Faye bald Hilfe von zwei jungen Enthusiasten, dem Theologiestudenten Jørgen Moe (1813–1882) und dem Hauslehrer Peter Christen Asbjørnsen (1812–1885). Als Letzterer ihm 1835 zwei Sagen sandte, bedankte sich der begeisterte Faye, indem er ihn zum „Außerordentlichen Sagen-Ambassadeur“ ernannte.55 Damit war die literarische Stafette gewissermaßen übergeben. Asbjørnsen und Moes Leistungen als Volkskundler ab Ende der 1830er Jahre und (was Asbjørnsen betrifft) über beinahe 40 Jahre hinweg, kann nicht hoch genug bewertet werden. Sie sammelten nicht nur, sondern schufen die norwegische Märchentradition, die von Jacob Grimm in einem Brief an Jørgen Moe, als die „Beste“, sowohl in Form als auch in Inhalt, ausgerufen wurde.56 Anfänglich wurden die Märchen in Zeitschriften als Beispiele volkstümlicher Erzählkunst gedruckt. 1841 wurde das erste von vier kleinen separat herausgegebenen Heften nach mühseliger Subskription publiziert. Die große Ausgabe, Norske Folkeeventyr samlede og fortalt af P. Chr. Asbjørnsen og Jørgen Moe (Norwegische Volksmärchen, gesammelt und erzählt von P. Chr. Asbjørnsen und Jørgen Moe), die beinahe 600 Seiten umfasst, wurde im Dezember 1851 (die Titelseite gibt 1852 an) in Christiana publiziert. Für eine neue Sammlung im Jahre 1871 zeichnete Asbjørnsen allein verantwortlich. Die Sagen, oder Waldgeist-Märchen, wie sie auch genannt wurden, gab Asbjørnsen 1845/48 ebenfalls allein heraus; später folgten neue Ausgaben in den Jahren 1859/66 und 1870. Die gewaltige Arbeit, die Asbjørnsen und Moe leisteten, hat man unbedenklich der Folkloristik zugerechnet. Nichtsdestoweniger gehört sie auch in die Editionsphilologie. Die disziplinären Grenzen an der Universität in Christiania waren außerdem nur wenig sichtbar und kaum praktisch ausgeprägt: Ein Mann wie Sophus Bugge, ab 1866 Professor für „vergleichende Sprachwissen____________ 54 55 56
Norske Sagn 1833, S. VIII. Zitiert nach Gjefsen 2001, S. 101. Zitiert nach Krogvig 1916, S. 180.
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schaft“, begann als Sammler und Herausgeber von Volksliedern und arbeitete als Herausgeber der Edda-Dichtung und von Runeninschriften weiter, ja, er veranlasste sogar die Edition einer Komödie des Plautus. Die Freiberufler Asbjørnsen und Moe hatten anfänglich wenig Grund, sich über ihre eigene fachliche Zugehörigkeit Gedanken zu machen. Es ist jedoch interessant, wie sie, nicht nur auf den Titelseiten, sondern auch sonst, verschiedene Rollenbezeichnungen verwendeten: Sie sind Nacherzähler, Erzähler, Verfasser, Bearbeiter, Sammler und Herausgeber von Sagen und Märchen. Mit den Jahren nahmen die fachliche Selbstreflexion und die wissenschaftlichen Ambitionen zu, aber philologische Methodenfragen haben ihre Arbeit nie dominiert. Die ersten Hefte mit Märchen wurden ziemlich schlicht als Leseausgabe ohne wissenschaftlichen Apparat veröffentlicht. Wie die klassischen Philologen der Renaissance, wünschten sie vor allem, ihre Funde zu zeigen und nicht deren Präsentation zu komplizieren. Die dringendste Methodenfrage galt der Sprachform. Die erhaltenen Niederschriften verraten, dass weder Asbjørnsen noch Moe sich dieser mit besonderer Konsequenz angenommen haben. Keiner der beiden verwendete je den Dialekt der Informanten, sie schrieben jedoch auch kein Schuldänisch. Spezifisch norwegische Wörter und dialektale Syntax wurden notiert und bewahrt, wenn der Text seine endliche Form bekam. Ohne eine klare Strategie, wie die Texte sprachlich gestaltet werden sollten, tasteten sie sich mehr oder weniger zum Resultat vor, was prinzipiell gesehen weitgehend der deutschen Verfahrensweise der Brüder Grimm entsprach. Aus heutiger Perspektive war das eine außerordentliche Leistung. Mit charakteristischen Dialektwörtern, durchgehender Parataxe und sogenannten doppelten Bestimmungen der Substantive trugen Asbjørnsen und Moes Märchen und Sagen effektiv dazu bei, der dänischen Schriftsprache einen norwegischen Ton zu verleihen.57Asbjørnsen unternimmt auch ein radikales literarisches Manöver, wenn er, nach dem Vorbild des Iren Thomas Crofton Croker, sich selbst als Feldforscher inszeniert und eine Gruppe Sagen in eine Rahmenerzählung einbettet.58 Im Unterschied zu den ersten Heften hat die 1852er Ausgabe der Märchen offensichtlich wissenschaftliche Ansprüche; alle Texte sind kommentiert. Die Ausgabe enthält insgesamt 53 Texte, 25 von Asbjørnsen und 28 von Moe. Jeder Text ist mit dem Namen des Gebietes versehen, aus dem die Niederschrift stammte; verschiedene Versionen werden ebenfalls genannt. Aber wer die Informanten waren und welcher sozialen Schicht sie angehörten, lag vorläufig außerhalb des Interesses der Herausgeber. Motivische Verbindungen zu Mär____________ 57 58
Gjefsen 2001, S. 122–125 erläutert die Grundzüge der Arbeitsweise von Asbjørnsen und Moe. Gjefsen 2001, S. 162 f.
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chen aus anderen Ländern werden in den Kommentaren ebenfalls gewürdigt. In Moes langer Einleitung werden die Märchen, mit häufigen Hinweisen auf die Brüder Grimm, als folkloristische Kulturleistung erklärt. Dies ist immer noch die ambitionierteste und informationsreichste Ausgabe der norwegischen Volksmärchen. Neue Ausgaben waren populär, illustriert und sprachlich modernisiert, ganz im Sinne von Asbjørnsens eigener Revisionspraxis.
5.
Die zweite Periode der Nationalliteratur (1852–1898)
Die zweite Periode der Nationalliteratur erstreckte sich aus editionsgeschichtlicher Perspektive von 1852 bis 1898, d. h. seit der Ausgabe der Volksmärchen und Wergelands Samlede Skrifter bis zu Ibsens Samlede værker. Die Märchenund Sageneditionen von Asbjørnsen und Moe und die Balladenausgabe von Landstad, die ein Jahr später (1853) herauskam, hatten der Nation genau das zugeführt, was sie brauchte: eine nationalliterarische ‚Tradition‘, die das moderne Norwegen mit der alten, altnordischen Dichtung verband, sowie eine echt norwegische Literatursprache, die nicht ohne weiteres als Dänisch betrachtet werden konnte. Der Nationalismus entwickelte sich in Norwegen zu einer progressiven und modernen Bewegung, die das Neue im ‚Volkstümlichen‘ zu legitimieren versuchte. Die Herausforderung bestand nicht in erster Linie darin, eine norwegischen Nationalität zu konstruieren, sondern vielmehr diese zu rekonstruieren. Die Volksdichtung sicherte die Verbindung zwischen dem alten und dem neuen Norwegen. 5.1.
Hartvig Lassen und A. E. Erichsen
Der erste sichtbare Beweis, dass Norwegen seinen ersten wirklichen nationalen Dichter bekommen hatte, kam mit Hartvig Lassens Ausgabe von Henrik Wergelands Samlede Skrifter in neun Bänden (1852–1857), verlegt bei Christian Tønsberg. Lassen war auch für die postume Ausgabe von Wergelands sogenannter Selbstbiografie, Hassel-Nødder (Haselnüsse), verantwortlich. Gleichzeitig mit der großen Wergelandausgabe veröffentlichte er auch den ersten Band von P. A. Munchs Det norske Folks Historie (Die Geschichte des norwegischen Volkes). Mit der Wergeland-Edition veranschaulichte er die Modernität des Dichters, indem er sie zur ersten Literaturausgabe machte, die in Antiqua und nicht in der gewöhnlichen, deutschen Fraktur gesetzt war. Der Herausgeber und Schriftsteller Hartvig Lassen (1824–1897) hatte den Editionsauftrag von der norwegischen Studentenverbindung erhalten, die es nach eingehender Diskussion als ihre Pflicht ansah, für Wergelands Nachruhm
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zu sorgen.59 Der Ausgabe liegt eine umfassende Sammeltätigkeit zugrunde, denn Wergeland publizierte vielerorts, ohne die Übersicht zu behalten. Lassen musste folglich alle aktuellen Zeitschriften und Zeitungen der Periode 1826– 1845 durchforsten.60 Die Textkonstitution wurde jedoch höchst pragmatisch vorgenommen. Lassens Umgang mit verschiedenen Fassungen desselben Textes ist unklar und inkonsequent. Von den Gedichten sortiert er einige in einen eigenen „Anhang“ zu Band 2 aus, weil er diese als zu zeitgebunden oder „unbedeutend“ ansah.61 Wergelands schwankende Orthografie korrigierte er nach Bedarf „aus einer Art ästhetischer Rücksicht“,62 und in den Fällen, wo er fand, der Text könnte eventuell namentlich genannte Personen verletzen, entfernte er das Anstößige und markierte den Eingriff mit einem Sternchen. In den Kommentaren war er ebenso diskret. Das Vorwort zum 1. Band erläutert, dass Erläuterungen in verhältnismäßig engen Rahmen gehalten sind, da der Kommentator angeblich kein Recht habe, mehr als notwendig von seinen eigenen Gedanken hineinzubringen.63 Er hatte jedoch keine Vorbehalte, wenn es darum ging, textliche Varianten und inhaltliche, ab und zu auch sprachliche Aspekte ungeordnet zu kommentieren; einen eigenen kritischen Apparat gibt es nicht. Der am meisten ins Auge fallende Mangel der Ausgabe besteht jedoch darin, dass sie keine konsequente Begründung für den Ursprung des edierten Textes gibt. Lassens große Ausgabe enthält keine Autorbiografie. Diese ließ er 1866 (überarbeitet 1877) separat veröffentlichen. 1867 konnte er auch eine Edition von Wergelands Briefen präsentieren, die erste ihrer Art in Norwegen. Damit war der Grund für vergleichbare Editionen gelegt.64 In seinem Nekrolog auf den Herausgeber ist Carl Nærup nicht kleinlich: „Es gibt wohl kaum ein Beispiel in der Geschichte der Weltliteratur, wo ein Kritiker in solcher Weise den größten Dichter seines Volkes nach dessen Tod ‚kreiert‘ hat. Darum wird Hartvig Lassens Namen immer unauflöslich mit Henrik Wergelands Andenken verbunden sein.“65 Ein anderes dichterisches Werk, das neben dem Wergelands um die Mitte des Jahrhunderts förmlich nach einer Edition verlangte, war das von Petter Dass. In einer kleinen Abhandlung aus dem Jahre 1856 hob Welhaven den ____________ 59 60 61 62 63 64
65
Zu dieser Diskussion siehe Aarnes 1991, S. 73–81. Vgl. Wergeland 1857, Bd. 9, S. 459. Wergeland 1852, Bd. 1, S. V. Wergeland 1852, Bd. 1, S. VI. Wergeland 1852, Bd. 1, S. VI. Der erwähnten neunbändigen Ausgabe folgte 1859 eine populäre einbändige Ausgabe, eine revidierte sechsbändige Ausgabe wurde 1882 in Dänemark gedruckt, gefolgt von einer langen Reihe von Ausgaben von Einzelwerken und ausgewählten Schriften. Zitat nach Aarnes 1991, S. 24.
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Dichterpfarrer als die norwegische Antwort auf den Homer der Griechen und den Ennius der Römer hervor,66 unternahm aber nichts in Richtung einer Ausgabe. Eine solche Arbeit konnte sicher abschreckend wirken; Dass’ dichterisches Werk leistet einem Herausgeber im Prinzip den gleichen Widerstand wie das Werk Shakespeares: Es gibt keine autographen Handschriften, nur vereinzelte Abschriften und eine Flut von postumen widersprüchlichen Drucken. Einer, der sich jedoch nicht abschrecken ließ, war Andreas Emil Erichsen (1841–1913), ein Lehrer an der Aars-und-Voss-Schule in Kristiania, der 1874– 1877 Samlede Skrifter in drei Bänden vorlegte; die einleitende Biografie, in sich schon ein epochemachendes Stück Arbeit, umfasst 75 Seiten. Erichsens Ausgabe, die von Gerhard Gran 1913 als „die vorzüglichste, um nicht zu sagen die einzige wissenschaftliche, kritische Ausgabe, die wir von eines norwegischen Dichters gesammelter Produktion besitzen“,67 charakterisiert wird, wird an anderer Stelle separat behandelt (siehe unten, S. 345–355). 5.2.
M. J. Monrad, H. A. Halvorsen und Vetle Vislie
Außer den Editionen von Lassen und Erichsen finden sich wenig große und ambitionierte Editionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.68 Welhaven und Jørgen Moe betreuten selbst die Ausgaben ihrer Samlede Skrifter in den Jahren 1867/68 und 1877, Welhaven krank und passiv, mit seinem Verleger in Kopenhagen,69 Moe in Kristiania, widerstrebend, ermuntert und unterstützt von K. A. Winter-Hjelm. Andreas Munchs Werke wurden zum Gegenstand einer Ausgabe in fünf Bänden, betreut von dem Philosophie-Professor M. J. Monrad, in Zusammenarbeit mit Hartvig Lassen, jedoch ohne dass dieser Kanonisierungsakt besonders folgenreich wurde. Der Nationalromantiker Andreas Munch (1811–1884), der in den 1850er Jahren sehr populär war und vom Parlament im Jahre 1860 mit der ersten Dichterrente des Landes geehrt wurde, wurde seither nie mehr ediert. Weitaus größere Bedeutung erlangte die erste große Ausgabe eines schriftstellerischen Werkes in norwegischer Volkssprache. Als A. O. Vinje, Journalist ____________ 66 67 68
69
Welhaven 1992, Bd. 4, S. 379, 388. Gran 1919, S. 136. Weniger bedeutend für die literarische Institution, jedoch von editionsphilologischem Interesse sind die ersten Ausgaben der norwegischen Humanisten im 16. Jahrhundert. Besonders der Historiker Gustav Storm leistete eine bedeutende und höchst konsequente Arbeit mit seinen Ausgaben von Peder Claussøn Friis’ Samlede Skrifter (1881) und zwei Werken von Absalon Pedersøn Beyer (1895); sein Kollege Yngvar Nielsen folgte 1885 mit einer Ausgabe von Jens Nielssønns Visitasbüchern und Reisebeschreibungen. Der Antiquar Nicolaysen hatte schon 1860 Absalon Pederssøns Dagbog und A. E. Erichsen hatte 1870 Hallvard Gunnarssons lateinischen Acrostichis herausgegeben, bevor er sich ernsthaft mit Dass befasste. Vgl. Seip 2007, S. 455.
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und Lyriker, der seit 1858 alle kulturellen, sprachlichen und politischen Hierarchien mit seiner Wochenzeitung Dølen auf den Kopf gestellt hatte, 1870 starb, hatte er das Verlagsrecht für sein Werk dem Norske Samlaget testamentarisch vermacht. Zwei Jahre zuvor hatte er selbst diesen Verlag zur Förderung der Herausgabe von Büchern, die in der neuen Schriftsprache geschrieben waren, mitbegründet. Sechs Bände mit Vinjes Skrifter i Utvalg (Schriften in Auswahl) kamen im Zeitraum 1883–1890 auf den Markt. Herausgeber waren der Parlamentsstenograf Halfdan Halvorsen (Bd. 1–4) und der Lehrer und Autor Vetle Vislie (Bd. 5 und 6). Vislie schrieb gleichzeitig die erste umfassende Biografie über Vinje (1890). Halvorsen und Vislies Ausgabe hat aus editionsphilologischer Sicht nur wenig starke Seiten: Die Textgrundlage ist zufällig und inkonsequent, die Herausgeber korrigieren stillschweigend, die Texte sind unsystematisch angeordnet, der Ausgabe mangelt es insgesamt an notwendigen Kommentaren und der Teil von Vinjes schriftstellerischem Werk, der vor der dem Sprachwechsel im Jahre 1858 lag, ist ganz einfach weggelassen. Trotzdem förderte der Verlag mit dieser Ausgabe die ‚Neunorwegischbewegung‘ auf effektive Weise. Nachdem zwei der sechs Bände erschienen waren, fasste das Parlament 1885 den berühmten Gleichberechtigungsbeschluss, der die Volkssprache zur offiziellen Sprachform auf der gleichen Ebene wie ‚Riksmål‘ (Buchsprache) machte. Vetle Vislie betreute 1896 auch die erste Ausgabe von Ivar Aasens Udvalgte Skrifter, in Zusammenarbeit mit dem Autor, der im Jahr darauf starb. Der Verlag (Samlaget) hat diese Herausforderung nicht angenommen, und somit kam dieser einzelne Band in Aasens altem Verlag (P. T. Mallings) heraus, versehen mit Vislies in der allgemein üblichen ‚Buchsprache‘ geschriebenen zwölfseitigen biografischen Einleitung.70
6.
Literarische Editionstätigkeit und nationalliterarische Autorität
Die etwa 150 Jahre, die wir hier zu überblicken versucht haben, entsprechen der Periode der Etablierung der norwegischen Nationalliteratur. Die Ecksteine des nationalliterarischen Gebäudes bestehen zusätzlich zu der Volksdichtung aus den gesammelten Werken der bedeutendsten Autoren. Literatur nach ihrer Verfasserschaft zu organisieren, war etwas, das mit der Buchdruckerkunst aufkam; es ist eine nach-gutenbergsche Erfindung, die oft mit dem Bedarf an ‚zu____________ 70
Vgl. Tveterås 1986, Bd. 3, S. 231 f.
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verlässigen‘ Werkausgaben von besonderer Autorität begründet wurde.71 Gleichzeitig wurde die Editionsphilologie als Disziplin legitimiert. Betrachten wir die Angelegenheit jedoch aus buchgeschichtlicher Sicht, werden andere Seiten des Phänomens ‚Gesammelte Werke‘ bedeutsamer. Als materielle Kulturprodukte leisten solche Ausgaben einen besonderen Beitrag zur Kanonbildung; mit ihrer Hilfe wird die Nationalliteratur, ideell gesehen, ein für allemal konstituiert. Ebenso wichtig wie gesammelte Werke als mehr oder weniger zuverlässig einzustufen, wird es daher, diese als nationale Symbole zu betrachten. Die norwegische Nationalliteratur besteht, gemessen an der Anzahl Ausgaben gesammelter Werke, bis 1898 aus den Werken von sechs Autoren, alle männlich: Tullin, Wessel, Zetlitz, Munch, Wergeland und Dass. Dazu kommen die zwei, die nicht von anderen ediert wurden, sondern die die editorische Bühne selbst betraten: Welhaven und Jørgen Moe. A. O. Vinje muss als Grenzfall betrachtet werden. Seine Schriften wurden in „Auswahl“ und nicht als gesammelte Werke herausgegeben. Ihre Anzahl an Bänden (sechs) ist jedoch so groß, dass der nationalliterarische Anspruch nicht ignoriert werden kann. Drei der sechs Autoren gehören jedoch nicht mehr zum Kanon. Kaum einer von hundert Norwegern verbindet irgend etwas mit den Dichternamen Tullin, Zetlitz und Munch. Aber man sollte beachten, dass die Unterscheidung zwischen kanonischen und nicht-kanonischen Autoren mit wenigen Ausnahmen dem differenten Erscheinungsort entspricht. Tullin, Zetlitz, Wessel und Munch wurden in Kopenhagen veröffentlicht, Wergeland und Dass in Christiania. Wessels fortwährende Zugehörigkeit zum norwegischen Kanon ist wahrscheinlich zum Teil auf seine unbestrittene Zugehörigkeit zum dänischen Kanon zurückzuführen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass nicht in erster Linie das Streben nach Zuverlässigkeit Grund für die Ausgaben war, war die Profession der Autors. Bis zu Erichsen im Jahre 1874 waren die Herausgeber die Vertrauten des Verfassers oder dessen Familie. Als Historiker nahm der Dass-Herausgeber A. E. Erichsen eine Sonderstellung ein, selbst wenn die beachtliche editionsphilologische Arbeit, die er geleistet hat, als Freizeitbeschäftigung betrachtet werden kann. Somit versteht man ohne Weiteres, dass Gesamtausgaben in Norwegen erst gegen Ende dieser Periode textkritischen Prinzipien unterlagen. Lassen unternahm einige unsystematische Versuche; Erichsen gelang es viel besser. Der wichtigste Beitrag der Herausgeber lag in der Auswahl und in der biografischen Einleitung. Die nationalen Merkmale der norwegischen Literatur, die ____________ 71
Vgl. Cahn 2004.
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die ersten Literaturhistoriker suchten und die Asbjørnsen und Moe mit den Märchen und Sagen etabliert hatten, dominierten freilich nicht die Herausgabe Gesammelter Werke der frühesten Dichter. In den Einleitungen wurden eher die Berühmtheit der Autoren und der literarische Wert des Werkes hervorgehoben. Vermutlich bezeugten die Ausgaben in sich selbst das nationale Moment gut genug. Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
Abstract Having shaken itself free of the Danish supreme rule and passed the Constitution of 1814, the young nation was faced with the challenging task of creating a specific Norwegian identity, including the creation of a national literature. The critical factors were basically four: (1) New literary works of canonical quality were hard to find, and the existing literature, written by Norwegians under foreign rule, was not easily redeemed from its Danishness. A slim anthology of poetry published in 1847 may be regarded as the starting-point of modern Norwegian literature. (2) A truly national literature required a national language, only the young nation still had to rely on Danish. (3) The domestic book production was also highly dependent on Danish printers and publishers. (4) And the nation needed an academic institution in order to manage and promote its cultural heritage, including the editing and publishing of modern canonical literature. Before 1814 the editorial efforts made by Norwegian critics were scarce: Albert Christian Dass provided a critical edition of his great grandfather Petter Dass’ Nordlands Trompet in 1763; family and friends honoured the deceased poets Christian Braunmann Tullin (1770–1773) and Johan Herman Wessel (1787) with prestigious editions of their collected works. After 1814 the independent nation celebrated its most venerable authors with editions of a similar scope and ambition: Jens Zetlitz, Claus Fasting, Henrik Wergeland, Maurits Hansen, H. A. Bjerregaard, Petter Dass, A. O. Vinje, Andreas Munch, and Ivar Aasen all had considerable portions of their literary output edited and published posthumously. In addition, and perhaps more importantly, a number of folklorists collected, edited and published fairytales, myths and ballads from oral sources. Among all these pioneers of textual criticism, there was hardly anyone enjoying a university tenure. The driving force of their undertakings was neither their editorial skills nor academic ideals but rather a
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proclaimed will to build the nation. Thus they contributed essentially to the formation of a national literary canon.
Literaturverzeichnis Editionen Aasen, Ivar: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von Vetle Vislie. Kristiania 1896. Album af nyere norske Digtere. Christiania 1859. Bjerregaard, H. A.: Digtninger. [Hrsg. von C. N. Schwach.] Christiania 1848. Brun, Johan Nordahl: Mindre Digte. Hrsg. von C. Brun. Christiania 1818. Dass, Petter: Beskrivelse over Nordlands Amt i Tronhiems Stift: Først udgivet under Titel Nordlands Trompet. Hrsg. von Albert Christian Dass. Kopenhagen 1763. Dass, Petter: Samlede Skrifter. Hrsg. von A. E. Eriksen. 3 Bde. Kristiania 1874–1877. Fasting, Claus: Udvalg af Claus Fastings forhen trykte og utrykte Skrifter med Bidrag til hans Biographie. Hrsg. von L. Sagen. Bergen 1837. Frimann, Claus: Udvalg af Claus Frimanns Digte. Hrsg. von J. S. Welhaven. Christiania 1851. Hansen, Maurits: Noveller og Fortællinger. Hrsg. von C. N. Schwach. 8 Bde. Christiania 1855– 1858. Holberg, Ludvig: Udvalgte Skrifter. Hrsg. von K. L. Rahbek. 21 Bde. Kopenhagen 1804–1814. Moe, Jørgen: Samlede Skrifter. [Hrsg. von dem Autor im Zusammenarbeit mit K. A. WinterHjelm.] 2 Bde. Kristiania 1877. Munch, Andreas: Samlede Skrifter. Hrsg. von M. J. Monrad und Hartvig Lassen. 5 Bde. Kopenhagen 1887–1890. Norsk Anthologi. Hrsg. von H. J. Thue. Kopenhagen 1847. Norske Folkeeventyr samlede og fortalte af P. Chr. Asbjørnsen og Jørgen Moe. Christiania 1852. Norske Folke-Eventyr, fortalte af P. Chr. Asbjørnsen. Christiania 1871. Norske Huldreeventyr og Folkesagn, fortalte af P. Chr. Asbjørnsen. Første Samling. Christiania 1845. Norske Huldre-Eventyr og Folkesagn fortalte af P. Chr. Asbjørnsen. Tredje Udgave. Christiania 1870. Norske huldreeventyr og folkesagn fortalt av P. Chr. Asbjørnsen. Første samling. [Hrsg. von Knut Liestøl.] Oslo 1949. Norske Sagn. Hrsg. von Andreas Faye. Arendal 1833. Schwach, Conrad Nicolai: Erindringer af mit liv. Hrsg. von Arild Stubhaug. Arendal 1992. Tullin, Christian Braunmann: Samtlige Skrifter. [Hrsg. von Chr. Teilmann et al.] 3 Bde. Kopenhagen 1770–1773. Tullin, Christian Braunmann: Samtlige skrifter. Hrsg. von Harald Noreng. 3 Bde. Oslo 1972–1976. Vinje, A. O.: Skrifter i Utval. [Hrsg. von H. A. Halvorsen und Vetle Vislie.] 6 Bde. Kristiania 1883–1890. Welhaven J. S.: Samlede skrifter. 8 Bde. Kopenhagen 1867/68. Welhaven, J. S.: Samlede verker. Hrsg. von Ingard Hauge. 5 Bde. Oslo 1990–1992. Wergeland, Henrik: Udvalgte lyriske Digte. [Hrsg. von N. Dahl und C. N. Schwach.] Christiania 1846. Wergeland, Henrik: Samlede Skrifter. Efter det norske Studentersamfunds Foranstaltning. Hrsg. von Hartvig Lassen. 9 Bde. Christiania 1852–1857. Wergeland, Henrik: Breve. Hrsg. von H. Lassen. Christiania 1867. Wergeland, Henrik: Digterværker og prosaiske Skrifter. Hrsg. von H. Lassen. 6 Bde. Kopenhagen 1882. Wessel, Johan Herman: Samtlige Skrivter. [Hrsg. von P. J. Monrad, J. Baggesen und C. Pram.] 2 Bde. Kopenhagen 1787. Wessel, Johan Herman: Samtlige Skrivter. Hrsg. von K. L. Rahbek. 2 Bde. 1800.
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Jon Haarberg
Wessel, Johan Herman: Samlede Digte. Hrsg. von I. Levin. Kopenhagen 1862. Zetlitz, Jens: Samlede Digte. Hrsg. von C. N. Schwach. 2 Bde. Christiania 1825.
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Christian Janss
Textkritische Ausgaben norwegischer Literatur im 20. Jahrhundert
1.
Einleitung: Kritische Ausgaben des 20. Jahrhunderts
Nur selten ist die norwegische Editionsgeschichte des 20. Jahrhunderts Gegenstand öffentlicher Diskussion; nachzugehen ist ihr in den im Vergleich mit den Nachbarländern Schweden, Finnland und Dänemark nur spärlichen wissenschaftlichen Ausgaben dieser Zeit. Eine einheitliche Editionspraxis lässt sich für diesen Abschnitt der Geschichte des Faches zudem nicht nachweisen. Hinsichtlich der modernen norwegischen Literatur konnte die Editionsphilologie nicht auf ein übergreifendes Fachmilieu zurückgreifen, sondern war abhängig von Beiträgen einzelner Wissenschaftler. Zwar steigt die Zahl wissenschaftlich ausgerichteter Textausgaben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts leicht an, doch schlägt sich dies kaum in einer Theorie- oder Methodendiskussion nieder. Auch in den folgenden 50 Jahren bis zur Gründung des Nordisk nettverk for editionsfilologer (NNE, Nordisches Netzwerk für Editionsphilologen) bleibt die Diskussion begrenzt; vgl. Johnny Kondrups Beitrag im vorliegenden Band.1 Vermutlich liegt hier der Grund, weshalb der klassische Philologe, Papyrologe und bedeutende Editor norwegischer Literatur des 19. Jahrhunderts, Leiv Amundsen (1898–1987), in seiner 1961 verfassten Darstellung philologischen Wirkens an der Universität Oslo ab 1911 der Editionstätigkeit nur wenige Zeilen widmet.2 Nur beiläufig erwähnt werden die vom Wissenschaftler selbst erarbeiteten Ausgaben. War das Material Amundsens auch spärlich, so scheint man außerdem die Praxis der Textausgabe als selbstverständlichen und womöglich nicht unwichtigen Teil der philologischen Pflicht – jedoch im Grunde als ebenso (un)interessant wie ein gutes Register oder einen guten Korrektor – anzusehen. Eine etwas ausführlichere Darstellung und Beurteilung textkritischer Ausgaben liefert der Beitrag Magnus Olsens (1878–1963, Professor des Altnordischen sowie der isländischen Sprache und Literatur) zu den philologi____________ 1
2
Eine wichtige Ausnahme bildet Odd Einar Haugens Diskussion der Wissenschaftlichkeit von Textkritik in einem Artikel von 1988, zwar mit der Philologie des Altnorwegischen als Ausgangspunkt, jedoch auch von allgemeiner Gültigkeit. Siehe Haugen 1988 und 1990, eine Sammlung von die Diskussion fortsetzenden Beiträgen. Amundsen 1961.
316
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schen Fächern vor 1911, wobei es sich allerdings um vor der Jahrhundertwende erschienene Ausgaben handelt.3 Die Editionsgeschichte norwegischer Literatur, wie sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts darstellt, besteht aus einer Reihe von Einzelunternehmungen unterschiedlichen Grads wissenschaftlicher Sorgfalt und Akribie. Norwegen unterscheidet sich hier deutlich von Schweden und Dänemark, wo mit dem 20. Jahrhundert eine stärkere Akademisierung und Professionalisierung der Editionsphilologie einhergeht. In Norwegen ist diese weiterhin dem Einsatz einzelner Professoren und Universitätsbibliothekare für einzelne Autoren überlassen und entspringt verdienstvoll einer Nebentätigkeit neben dem eigentlichen Beruf. Selbst bei in gewissem Grad textkritischen Ausgaben finden sich nur selten Überlegungen zu textkritischen Entscheidungen oder Fragestellungen. Ein Umstand, der auf ein mögliches Wachstum editionstheoretischer Reflexion in Norwegen wohl hemmend gewirkt hat, ist – zumindest hinsichtlich der neusprachlichen Fächer – die Marginalisierung der Textkritik im Verhältnis zur Literaturwissenschaft, auf die Jon Haarberg aufmerksam gemacht hat; eine Tendenz, die im Rahmen der theoretischen Grundlegung der literarischen Fächer nach dem Zweiten Weltkrieg zunahm. Man betrachtete die Textkritik als positivistische Filigranarbeit ohne eigentliches, eigenständiges und fachliches Interesse.4 Dies bedeutet jedoch, wie wir sehen werden, nicht, dass in Norwegen keine zuverlässigen und guten Ausgaben vorlägen. Betrachtet man die kritischen Ausgaben der Periode zusammenhängend, so erweist sich die Etablierung eines literarischen Kanons nicht als gemeinsames Ziel. Per Dahl zufolge können historisch-kritische Ausgaben selbst nicht kanonbildend sein, da sie der allgemeinen Begründung der Kanonisierung von Literatur, nämlich der Zeitlosigkeit, entgegenwirken. Historisch-kritische Werke böten eher „einen Arbeitsraum für das Festhalten an und die Reflexion über den historischen Zusammenhang“, der den Text seiner Singularität enthebt und ihn sowohl zum internen Kontext des Werkes als auch zu historischen Zusammenhängen in Relation setzt.5 Häufig geht die Kanonisierung außerdem der Entscheidung für eine umfassende, wissenschaftliche Ausgabe der Werke eines Autors voraus. Umfassende Editionsprojekte werden ungern in Gang gesetzt, solange keine generelle Einigkeit hinsichtlich der Bedeutung eines Autors besteht; textkritische Ausgaben erscheinen daher selten vor Ablauf des jeweiligen Lebensjahrhunderts eines Autors. Gegen Dahl lässt sich ____________ 3 4 5
Olsen 1911. Haarberg 1998. Dahl 2002, S. 95 f.
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317
indessen die kanonbildende Funktion der Präsentation der Werke eines Autors in einer groß angelegten, historisch-kritischen Ausgabe anführen. Mit gutem Grund lässt sich zumindest die Aufrechterhaltung des Kanons in gewissem Grade als eines der leitenden Prinzipien der norwegischen Editionsgeschichte des 20. Jahrhunderts konstatieren, etwa, indem man bereits vorliegende Werkausgaben durch Brief- und Tagebucheditionen ergänzte und somit die bedeutende Stellung eines Autors aus der Auffassung heraus verstärkte, nur ein wichtiger Autor verdiene die Edition auch (teilweise) privater Dokumente. Die Register der Briefausgaben dieser Zeit umfassen neben Personen häufig auch erwähnte Werke, ein Hinweis darauf, dass die Absicht solcher Briefausgaben der vertiefte Einblick in die Literatur war, nicht aber das Herausstellen von Briefen als eigener Gattung. Weniger umfangreiche und ambitionierte kritische Ausgaben können die Funktion haben, ein Werk im Kanon zu platzieren, wenngleich derartige Ausgaben in Norwegen so wenig verbreitet sind, dass sie, verglichen mit den Kanonisierungsprozessen der breiten Medienöffentlichkeit, nahezu ein Schattendasein fristen. Anders stellt sich die Situation in Dänemark dar. Die KlassikerReihe der Danske Sprog- og Litteraturselskab (Dänische Sprach- und Literaturgesellschaft; vgl. den Beitrag Petra Söderlunds im vorliegenden Band) dient Gymnasiums- und Hochschullehrern zur Beschaffung von Semesterliteratur – weshalb Johnny Kondrup den Einfluss textkritischer Prinzipien und Entscheidungen auf das Gelesene und somit auch auf die Kanonbildung konstatieren kann.6 In Norwegen haben Dozenten auf dem Gebiet der modernen Literatur nur selten ein Verhältnis zu Texten als historischen Quellen und den daraus erwachsenden philologischen Verpflichtungen. Die Textkritik erscheint daher weiten Kreisen nicht nur als unverständlich, sondern auch als irrelevant. Trotz einiger weniger textkritischer Ausgaben zentraler Werke bleibt der editionsphilologische Beitrag zum Kanon in Norwegen verhältnismäßig gering. Die wenigsten textkritischen Ausgaben Norwegens erfüllen sämtliche der in der Einleitung genannten Mindestforderungen an eine wissenschaftliche Edition. Die meisten der im folgenden behandelten Ausgaben werden jedoch zumindest einigen davon gerecht. Ehe wir zu den Ausgaben selbst kommen, ist es unumgänglich, jene Institution in den Blick zu nehmen, die in der Editionsgeschichte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle einnahm.
____________ 6
Kondrup 2002.
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2.
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Det norske språk- og litteraturselskap (Die Norwegische Sprach- und Literaturgesellschaft)
Det norske språk- og litteraturselskap (NSL, Die Norwegische Sprach- und Literaturgesellschaft) wurde 1953 von den Professoren Francis Bull (1887– 1974, Professor für Literaturgeschichte), Didrik Arup Seip (1884–1963, Profesor für nordische Sprachwissenschaft) und Ragnvald Iversen (1882–1960, Professor für Nordistik) gegründet. Die Universitäten hatten sich des Altnordischen sowie der klassischen Philologie angenommen, jedoch nicht der Texte der neueren Zeit; der Großteil der textkritischen Ausgaben erschien nun bei der NSL. Die Entstehung der NSL geht u. a. auf die bekannten Namen Bulls und Seips zurück. Wie Einar Lundeby (1914–2011, Professor für Nordistik) ausführt, handelte es sich um „die zum damaligen Zeitpunkt angesehensten Wissenschaftler ihres jeweiligen Fachbereichs, und schließlich: Beide besaßen aufgrund ihres Einsatzes während des Krieges besonders hohe Autorität in der norwegischen Gesellschaft.“7 D. A. Seip war 1937 Rektor der Universität Oslo geworden, wurde jedoch 1941 abgesetzt. 1942 nach Sachsenhausen deportiert, wurde er 1943–1945 zivilinterniert; während des Krieges galt er als „ein Symbol für den Widerstandsgeist der Universität“.8 Auch Francis Bull wurde als Mitglied des Direktoriums des Nationaltheaters und anlässlich eines Streiks der Schauspieler gegen nationalsozialistische Einflüsse 1941 verhaftet. 1941– 1944 verbrachte er in Gefangenschaft im „Polizeihäftlingslager“ Grini bei Oslo. Als einer der größten internierten Vorleser und Geistespersönlichkeiten der Geschichte rezitierte er für seine Mithäftlinge regelmäßig aus einem enormen literarischen und historischen Wissensfundus. Diese Prominenz in der Leitung sicherte die finanzielle Grundlage für eine hochambitionierte Vereinigung, und der allgemeinwissenschaftliche Forschungsrat Norwegens (Norges almenvitenskapelige forskningsråd) wurde zum verlässlichen Sponsor.9 Ziel der NSL war die Vorlage wissenschaftlicher Ausgaben solcher Werke, denen man für die norwegische Literatur- und Sprachforschung zentrale Bedeutung zuschrieb. Mit dieser neuen Herausgebergesellschaft trat die norwegische Editionsgeschichte in eine neue Phase ein, die geprägt war von einer wissenschaftlichen Annäherung an die praktischen, wenngleich auch nicht die theoretischen Aspekte der Editionsphilologie. Theoretische Diskussionen ent____________ 7 8 9
Lundeby 2003, S. 5. Amundsen 1961, Bd. 1, S. 435. Vgl. auch Seip 1946. Im Zuge der Überführung des Norges almenvitenskapelige forskningsråd in den Norges forskningsråd 1993 verlor die NSL die gesamte finanzielle Unterstützung dieser zentralen Finanzierungsquelle.
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319
wickelten sich indessen zwischen dem jeweiligen Editor und seinem ‚Mentor‘ – einem in der Regel konstruktiv-kritischen Kollegen unter den NSLMitgliedern. Kaum eine dieser Erörterungen liegt jedoch in schriftlicher Form vor. Die norwegische Zeitungskritik, aber auch die wissenschaftliche Kritik, publiziert u. a. in der Zeitschrift Edda, zeigt wenig Interesse für editionsphilologische Fragestellungen im Rahmen neuer Ausgaben, sondern richtet den Fokus vielmehr auf Qualität und Bedeutung des jeweiligen edierten Autors. Die Interessen der einzelnen Mitglieder prägten in hohem Maße das Editionsprogramm, das im Jahr 2003 beim 50-jährigen Jubiläum 37 Titel zählte. Literarische Titel dominieren deutlich über sprachwissenschaftliche, ungeachtet des Namens der Gesellschaft, ungeachtet aber auch des gleich hohen Anteils von Sprach- und Literaturwissenschaftlern unter den Stiftungsmitgliedern. Eine übergreifende Einschätzung des Bedarfs wie auch der Mängel liegt nicht vor. Häufig, so Einar Lundeby, lagen zufällige Prinzipien zugrunde.10 In der Jubiläumsschrift bedauert er dieses Vorgehen: „Stattdessen hätte man eine sachkundige Gruppe ins Leben rufen sollen, die über grundlegende Kenntnis der literarischen Schätze Norwegens verfügt; eine solche Gruppe hätte beurteilen müssen, welche dieser Schätze zuerst zugänglich gemacht werden sollen.“11 Lundeby fügt indessen an, der Fachkenntnis der Mitglieder sei es zu verdanken, dass die Zufälligkeit „nicht zur Willkürlichkeit geführt hat“.12 Ein anderer, hier zu beachtender Umstand ist, dass für die Ausgabe literarischer Werke nach textkritischen Methoden in der Regel Sprachwissenschaftler und nicht Literaturhistoriker verantwortlich zeichnen. Angesichts der zentralen Rolle, die der neunorwegischen Literatur (d. h. Literatur im ‚nynorsk‘, der zweiten der beiden offiziellen norwegischen Sprachformen) für die norwegische Schriftkultur insgesamt sowie auch für das Nationalverständnis zukommt, stellt dies ein eklatantes Versäumnis in der Geschichte der NSL dar. Eine wichtige Ausnahme bildet hier die Textsammlung Kjell Venås’ aus der Zeit der Union mit Dänemark (siehe unten). Bislang nicht ediertes Material ist offensichtlich auf größeres Interesse gestoßen, als bereits bekannte Texte in zuverlässiger, wissenschaftlicher Form zu präsentieren. Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass ältere Dialektbeschreibungen, unzugängliche religiöse und andere Schriften des Barock ebenso wie Mittelalterhandschriften neben den Briefsammlungen einen zentralen Platz einnehmen. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann die NSL mit der Ausgabe solcher Werke, die bis dahin lediglich in mangelhaften oder unzu____________ 10 11 12
Lundeby 2003, S. 36. Lundeby 2005, S. 6. Lundeby 2003, S. 36.
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gänglichen Ausgaben vorgelegen hatten. Die erste große Ausgabe dieser Art ist die Welhaven-Ausgabe von 1991 (siehe unten), die zuvorderst bekanntes, doch nun erstmals wissenschaftlich ediertes Material enthält. Sie bildet sowohl im Umfang als auch in finanzieller Hinsicht die bis dato größte Unternehmung der NSL.13 Einzelne Ausgaben der NSL sind offenkundig Teil des Projekts des nationalen Aufbaus; sie präsentieren vergessene Literatur, die für norwegische Verhältnisse auf irgendeine Weise als bedeutsam erachtet wird: Tagebücher, Erinnerungen und Briefmaterial bedeutender Männer und/oder Werke, die die Zeit um 1814, dem Geburtsjahr der norwegischen Verfassung, oder das Jahr der Unionsauflösung 1905 beleuchten. Beispielhaft hierfür stehen die Erinnerungen des Juristen und Schriftstellers C. N. Schwach (1793–1860), bei denen es sich um einzigartige und unverschleierte Gegenwartsschilderungen sowie um eine wichtige historische Quelle von recht hohem Unterhaltungswert handelt. Sie brachten es zu ganzen drei Ausgaben, von denen die NSL für die erste verantwortlich zeichnete; keine der Ausgaben hatte indessen größere textkritische Ambitionen.14 Die Geschichte der NSL – und die norwegische Editionsgeschichte insgesamt – ist auch eine Geschichte nie begonnener, unvollendeter oder solcher Projekte, die erst nach langen Jahren zum Abschluss gebracht wurden. Die Edition der Briefe Jonas Lies ist ein solches Beispiel. Als erster nahm sich der Universitätsbibliothekar Øyvind Anker (1904–1989) des Materials an; die Ausgabe war bereits Gegenstand des ersten Finanzierungsantrags der NSL. Anker sammelte und ermittelte in den 1950er Jahren eine Vielzahl von Briefen, doch die veranschlagten hohen Druckkosten führten 1964 zum Abbruch der geplanten Ausgabe. In den Folgejahren war das Projekt ausgesetzt, wurde jedoch nach Ankers Tod 1980 von seiner Kollegin, der Universitätsbibliothekarin Anne Grete Holm-Olsen übernommen. Etliche Briefe kamen hinzu, und erst 2009 wurde die Ausgabe veröffentlicht. Das Beispiel verdeutlicht die Bedingungen, denen editionsphilologisch fundierte Ausgaben unterliegen. Die editorische Arbeit muss oft in der Freizeit erbracht werden, die Finanzierung stellt eine konstante Herausforderung dar. Für die anfängliche Arbeit der NSL war u. a. Solveig Tunold (1900–1994), Leiterin der Handschriftensammlung der damaligen Universitätsbibliothek Oslo (heute Nationalbibliothek), von zentraler Bedeutung.15 Tunold stand offi____________ 13 14 15
Lundeby 2003, S. 27. Schwach 1977, 1992 und 2008. Zu Schwachs eigener Herausgebertätigkeit vgl. den Beitrag Jon Haarbergs im vorliegenden Band. Bis zur Übernahme der norwegischen Abteilung sowie des Gebäudes durch die neue Nationalbibliothek im Jahr 1999 fungierte die Osloer Universitätsbibliothek als Nationalbibliothek.
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ziell mehreren Projekten vor und zeichnete als Editorin für die nach wie vor als Standard geltende Ausgabe der Werke Sigbjørn Obstfelders verantwortlich. 1950 und somit vor Gründung der NSL erschienen, bildet die Ausgabe einen zentralen Teil der Vorgeschichte der Gesellschaft und lieferte das Modell für spätere Ausgaben. Die Einleitung erläutert Entscheidungen, Prinzipien und Textgrundlagen sowie auch Überlegungen zum zentralen editionsphilologischen Problem, dem Nachweis von Varianten, auf die Tunold aus Platzgründen und mit Rücksicht auf den Leser verzichtete: Diese erforderten „einen unübersichtlichen und umständlichen textkritischen Apparat“, der aufgrund der Menge an nachgelassenen Manuskripten allein zehn Bände hätte füllen können.16 Auch Tunold ist ideologisch dem Literaturverständnis ihrer Zeit verhaftet, wenn sie die Begründung der Auswahl erläutert: „Stücke, die entweder selbst ihren Platz verteidigen oder auf irgendeine Weise einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Persönlichkeit Obstfelders leisten“. Vom Objektivitäts- und Vollständigkeitsanspruch historisch-kritischer Ausgaben ist man hier also noch ein Stück entfernt. Von Beginn an gab die NSL Richtlinien für die Einzeleditoren aus. Sie waren auf keine methodische Gleichmachung, sondern im Gegenteil als Argumentationsgrundlage dafür angelegt, dass, abhängig vom Textmaterial, unterschiedliche Methoden ihre Berechtigung haben, sodass für die Grundtextbestimmung die Copy-text-Theorie ebenso richtig sein kann wie die Wahl der editio princeps oder Faksimileausgaben ebenso zweckdienlich seien wie die historisch-kritische Ausgabe. Etwas strenger sind die Richtlinien hinsichtlich der konkreten Textarbeit: Originaldokumente sollen konsultiert, Entscheidungen und Prinzipien erläutert, die Textgrundlage und andere gedruckte und ungedruckte Quellen beschrieben, Varianten – auch im Falle des NichtAbdrucks – erfasst, sämtliche Textfassungen möglichst zweifach kollationiert werden, und schließlich ist die Ausgabe mit Informationen zu Kontext und Rezeptionsgeschichte auszustatten. Liefert die Ausgabe einen kritischen Apparat, soll dieser Emendationen und Varianten beinhalten.17
____________ 16 17
Obstfelder 1950, S. X. Det norske språk- og litteraturselskap 2000. Laut einer E-Mail Jon Haarbergs bestand das auf der Grundlage entsprechender Richtlinien für The Modern Language Association of America arbeitende Revisionskomitee neben ihm selbst aus dem Altnorwegisch-Philologen Jon Gunnar Jørgensen und dem Historiker Knut Sprauten.
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Die größten Editionen
Zwei Autoren bilden Ausgangspunkt und Kern der größten editorischen Leistungen im Norwegen des 20. Jahrhunderts: der Dichter Henrik Wergeland (1808–1845) und der Dramatiker Henrik Ibsen (1828–1906). 3.1.
Henrik Wergelands Samlede skrifter (Gesammelte Schriften, 1918–1940)
Die Edition von Henrik Wergelands umfassendem Schrifttum nahm ihren Anfang mit der Edition Hartvig Lassens 1852–1857 (siehe dazu den Beitrag Jon Haarbergs im vorliegenden Band). Im 20. Jahrhundert erschien die große, 23bändige Ausgabe Samlede skrifter. Trykt og utrykt, 1918–1940 (Gesammelte Schriften, gedruckte und ungedruckte) herausgegeben durch den Literaturwissenschaftler und Dozenten Herman Jæger (1886–1938) sowie Didrik Arup Seip, einige Bände außerdem von dem Historiker und Politiker Halvdan Koht (1873–1965) sowie dem Dozenten, Historiker (und Widerstandskämpfer) Einar Høigård (1907–1943). Erste Pläne lagen 1912 vor, fanden jedoch keine öffentliche Unterstützung; der Erste Weltkrieg setzte einen vorläufigen Schlusspunkt, ehe die Ausgabe dank der Risikobereitschaft des Steenske forlag publiziert werden konnte, geknüpft an die Verpflichtung der Editoren, für die 500 Exemplare umfassende Auflage eine ausreichende Anzahl an Subskribenten zu gewinnen.18 Insbesondere das Sammeln des Materials erwies sich als aufwändig, wenngleich große Teile der Handschriften in der Osloer Nationalbibliothek vorlagen. Mit einem unvermutet umfangreichen Nachlass konfrontiert, gingen die Editoren bei Abschluss des Projekts 1940 nicht davon aus, den letzten Band vorgelegt zu haben.19 Entsprechend erschienen später Supplementbände. Die Ausgabe ist in sechs Abteilungen/Hauptbände unterteilt. Grundsätzlich nach Gattung angeordnet, ist sie aufgrund der aufwändigen, zusätzliche Texte erschließenden Inventurarbeit geprägt von dem Umstand, dass neue Funde nicht im ordnungsgemäßen Zusammenhang platziert werden konnten, sondern als Zusatz eingefügt wurden (vor allem Bd. VI,2). Die umfassenden Register mindern die Unübersichtlichkeit. Die Varianten sind sowohl in Apparatform als auch als vollständige Texte, jedoch ohne nähere Erläuterung der Prinzipien und Auswahlkriterien sowie übergreifende textkritische Erläuterungen wiedergegeben. Seips „Efterskrift“ (Bd. VI,2, S. 585 f.) enthält keine erhellenden ____________ 18 19
Tveterås 1996, Bd. 4, S. 230. Vgl. „Efterskrift“ in Bd. VI,2, S. 585.
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Punkte, jedoch eine interessante Erkenntnis: „Die Ausgabe hat mehr Zeit in Anspruch genommen als das Werk.“ Der erste der Supplementbände zu den Samlede skrifter, herausgegeben 1956, umfasst hauptsächlich Briefe an Wergeland. Das Manuskript für eine diesbezügliche Sammelausgabe hatte, so die Editoren Amundsen und Seip, bereits 1939/40 vorgelegen, doch der Krieg setzte der abschließenden Arbeit einen vorläufigen Schlusspunkt.20 In den Nachkriegsjahren kamen neue Texte hinzu, insbesondere seitens des Sammlers Jonas Skougaard sowie des Iudiska Intressets Archivs in Stockholm, das den Großteil der Korrespondenz Wergelands mit schwedischen Juden archiviert.21 Auch der zweite Supplementband des Jahres 1974, die Briefe Wergelands an seine Frau Amalie enthaltend, verdankt sich zu großen Teilen dem Wohlwollen des Sammlers Skougaard und seiner jahrelangen Suche nach Wergeland-Manuskripten. Skabelsen, Mennesket og Messias (Die Schöpfung, der Mensch und Messias), Wergelands sowohl in der Vision als auch im Umfang große kosmologische Dichtung, ist in Bd. II,2 (1920) der Samlede skrifter wiedergegeben. Erstmals 1830 erschienen, überarbeitete Wergeland sie während seines Krankenlagers 1844 unter dem Titel Mennesket (Der Mensch, Bd. II,6). 1921 gab Herman Jæger das Werk in einer auf der Erstausgabe basierenden kritischen Sonderausgabe heraus.22 Wie Hilde Bøe zeigt, lag Jægers Motivation für die Ausgabe in der Absicht, eine Einleitung zum Studium seines Werkes bereitzustellen, und die Ausgabe Jægers wie auch seine Auffassung vom Wergeland’schen Œuvre haben vermutlich dazu beigetragen, den Part „Skabelsen“ in den Status eines eigenständigen Werkes zu heben.23 Dass Jægers Ausgabe als Sonderausgabe außerhalb der großen historisch-kritischen Ausgabe erschien, mag zusätzlich dafür gesorgt haben, dem Gedicht zu neuem Leben und einer breiteren Leserschaft zu verhelfen. Der Leser der Samlede skrifter mag literaturhistorische Einleitungen und vor allem Sachkommentare vermissen; diese finden sich indessen in der 1958– 1962 von D. A. Seip und Leiv Amundsen herausgegebenen Folkeutgaven (Volksausgabe). Zwischen dieser und der großen historisch-kritischen Ausgabe wäre eine Arbeitsteilung denkbar. Aufgrund ihres Mangels an Erläuterungen zur Auswahl und Behandlung der Texte ist die Folkeutgaven nicht in einen textkritischen Zusammenhang einzuordnen; von Interesse ist sie jedoch inso____________ 20 21
22 23
Amundsen 1956, S. 479. In Norwegen ist Wergeland auch für seine ausdauernde Arbeit für die Aufhebung jenes Abschnitts im § 2 des Grundgesetzes bekannt, der bis zum Jahr 1851 Juden und Jesuiten den Zugang zum Reich verweigerte. Wergeland 1921. Für eine ausführlichere Erörterung der Ausgabe siehe Bøe 1997. Bøe 1997.
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fern, als sie das Werk in einer für norwegische Verhältnisse ungewöhnlichen Weise anordnet, nämlich chronologisch und nicht, wie üblich, nach Gattung. Dem Leser ermöglicht dies einen guten Überblick über die gesamte publizistische Tätigkeit Wergelands in den Jahren, die die einzelnen Bände abdecken. Darüber hinaus muss die Folkeutgaven in Zusammenhang mit dem letzten Band Erwähnung finden; hier haben die Editoren die Gelegenheit genutzt, Änderungen und neue Informationen zu den Samlede skrifter zu versammeln. Dieser Band dient somit in gewissem Grade als Supplement zu den Samlede skrifter, wenn auch nicht in gleichem Umfang wie die tatsächlichen Supplementbände Leiv Amundsens. Einige allgemeingehaltene Zeitungsbesprechungen ausgenommen, ist dieser großen und bedeutenden Ausgabe wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden, und die einzigen kritischen Einwände beschränken sich auf die Erratalisten der Editoren selbst.24 3.2.
Henrik Ibsen – Efterladte skrifter (Nachgelassene Schriften, 1909) und die „Hundreårsutgaven“ („Säkularausgabe“, 1928–1957)
Der Autor, dem man in Norwegen den größten editionsphilologischen Einsatz widmete, ist Henrik Ibsen. Bereits zu Ibsens Lebzeiten waren die Enstehungsgeschichte seiner Dramen sowie seine Manuskripte Gegenstand großen Interesses. Die Druckmanuskripte der in Kopenhagen herausgegebenen Dramen wurden in Absprache mit Ibsen dem dänischen Verwaltungsbeamten und Sammler Edvard Collin (1808–1886), später dessen Sohn, dem Zoologen und Sammler Jonas Collin (1840–1905), übergeben, der diese, als Teil der Collin’schen Sammlung, sämtlich der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen stiftete, die auch Arbeitsmanuskripte und Briefe Ibsens archiviert. Der größte Teil der Arbeitsmanuskripte und Briefe ist inzwischen Eigentum der Osloer Nationalbibliothek. Ibsen selbst trug zum Interesse an seinen Manuskripten bei, indem er mehrfach konstatiert haben soll, diese seien „das Wichtigste von allem.“25 Auch mit der Übereignung von Manuskripten als Widmungsgaben an Freunde leistete er dem Interesse an der textlichen Entstehungsgeschichte seiner Werke Vorschub. Nach der viel diskutierten Ausgabe des epischen Entwurfs zu Ibsens Drama Brand 26 publizierte der Gyldendal Verlag 1909 auch die dreibändigen Efterla____________ 24 25 26
Siehe hierzu allerdings Berulfsen 1967, der druckgeschichtliche und textkritische Änderungen zu zwei Kommentaren der Gedichte liefert. Ibsen 1909a, Bd. 1, S. VI. Ibsen 1907. Für eine Übersicht zur komplexen Genese und Editionsgeschichte des Werkes siehe Ibsen 2005–2011, Bd. 5, S. 37–80.
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dte skrifter (Nachgelassene Schriften, im Folgenden ES). Die Ausgabe enthält neben Manuskripten auch gedruckte Texte, die bis dahin nicht in Sammelausgaben erschienen waren. Der hohe textkritische Anspruch wurde durch die Editoren Halvdan Koht und den deutschen, dänischkundigen Literatur- und Kunsthistoriker Julius Elias (1861–1927) ins Werk gesetzt. Elias hatte bereits früher gemeinsam mit Georg Brandes und Paul Schlenther die deutsche Ausgabe der gesammelten Werke Ibsens herausgegeben, bei der dieser selbst beratend an der Textauswahl mitwirkte, und verantwortete als Mitherausgeber der „2. Reihe“ dieser Ausgabe die Nachgelassenen Schriften, eine deutsche Übersetzung der ES.27 Die ES sollten „das Verständnis seines Lebenswerks und seiner dichterischen Entwicklung erweitern und vertiefen“ (Ibsen 1909a, Bd. 1, S. V). Aus Platzgründen konnten die Arbeitsmanuskripte mit einer exemplarischen Ausnahme, dem Arbeitsmanuskript zu Et dukkehjem (Nora oder Ein Puppenheim, NBO Ms.4 1113 f.), nicht vollständig wiedergegeben werden. Die komplette Wiedergabe sämtlicher Handschriften Ibsens erwarteten die Editoren erst von einer zukünftigen historisch-kritischen Ausgabe (die mit der digitalen Version der Ausgabe Henrik Ibsens skrifter rund 100 Jahre später realisiert werden wird; vgl. dazu näher den Beitrag Finn Gredal Jensens im vorliegenden Band). Dennoch enthält die ES zentrale Teile des Quellenmaterials und stellt in der norwegischen Editionsgeschichte ein Unikum dar: Nie zuvor war so umfangreiches Handschriftenmaterial eines neusprachlichen Autors veröffentlicht worden. In dieser Größenordnung handelte es sich dabei um einen im 20. Jahrhundert einmaligen Vorgang. Textpassagen mit größeren Abweichungen sind als zusammenhängender Text abgedruckt; weniger abweichender Text wird als Variante im Kommentarteil wiedergegeben, der darüber hinaus gute Manuskriptbeschreibungen enthält. Ihre Gründlichkeit und die klare Behandlung komplizierter genetischer Verhältnisse, wie sie in der ES vorliegen, sichern der Ausgabe einen bleibenden Platz unter den besten textkritischen Arbeiten Norwegens. Ihre Stärke hat die Textwiedergabe in der ES vor allem im ersten Darstellungsmodell; der in der Nutzung etwas aufwendige Variantenapparat ist hingegen ohne die (nicht textkritische) Folkeutgaven oder die Mindeutgaven (siehe dazu weiter unten)28 als Vergleichsgrundlage nicht lesbar. Auf diesen Umstand machen auch die Editoren aufmerksam und verweisen in den Marginalspalten auf beide Ausgaben. Insgesamt kann die Wiedergabe nicht als diplomatisch bezeichnet werden, doch zeichnet sie sich durch Leserfreundlichkeit aus. Der Literaturhistoriker Fredrik Paasche (1886–1943) verortet die Bedeutung der ES für das Verständnis des Werkes Ibsens in einem ____________ 27 28
Ibsen 1898–1905 und 1909b. Ibsen 1898–1902 und Ibsen 1906/07.
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Beitrag zum Drama Kejser og Galilæer darin, dass sie „auf vielfache Weise den Rang des großen Werkes klar macht und heraushebt, wie sehr Ibsen während der Arbeit gewachsen ist.“29 Die ES stellt die einzige größere textkritische Bemühung des 20. Jahrhunderts dar, die nicht die gleiche Intention verfolgt wie der Autor zu Lebzeiten – nämlich einen lesbaren, fertigen und autorisierten Text vorzulegen –, sondern die den Versuch unternimmt, den Prozess der Werke durch die Vorlage zentraler Textquellen als fortlaufenden Text ans Licht zu bringen. 1928, hundert Jahre nach der Geburt Ibsens, wurde mit der großen Säkularausgabe, den Samlede verker (21 Bde. in 22) begonnen.30 Mitarbeiter waren neben Halvdan Koht, Editor der ES, auch Francis Bull und D. A. Seip. Keine andere norwegische Edition ist so eng an zentrale universitäre und gesellschaftliche Akteure geknüpft wie diese. Gewiss verfügten die drei Hauptredakteure über Assistenten, doch beträchtliche Teile der Arbeit führten sie selbst aus. Die Arbeit an der Ausgabe fiel z. T. in eine schwierige Zeit: Halvdan Koht, 1940 Außenminister, ging mit der Regierung ins englische Exil; D. A. Seip und Francis Bull wurden, wie oben ausgeführt, interniert. Die Subskriptionseinladung des Verlags vom 20. Januar 1928, zwei Monate vor Erscheinen des ersten Bandes zum 100. Geburtstag des Autors, bezeichnet die Ausgabe als „monumental“ und als „beständigste Frucht des Jubiläums“. Die Presse nahm die Ausgabe gut auf; die Besprechung im Dagbladet mag exemplarisch dafür stehen, dass der Rezensent eine solche „Kolossalausgabe“ und ihre Akribie gemeinhin nicht akzeptiert hätte, die als „in ihrem Apparat ziemlich überflüssig für den allgemeinen nichtwissenschaftlichen Bücherfreund“ sei, die jedoch im Falle Ibsens ihre Berechtigung habe: „Eben weil er so grundehrlich arbeitete, hart und unerbittlich mit seiner Form im Kampf für die geniale Befreiung, ist es ebenso spannend wie lehrreich für jeden literarisch Interessierten, ihm durch die verschiedenen Stadien bis zur Meisterschaft zu folgen.“31 Die größte Leistung der Editoren besteht in der Vorlage umfangreichen, nach Gattungen geordneten Materials sowie einem Zusatzband mit neu entdeckten Texten (Bd. XIX). Als Referenztext bleibt die Ausgabe, wenn auch weniger im Vergleich mit anderen norwegischen Editionen, unzureichend; angesichts der Bedeutung Ibsens und des damit verbundenen Anspruchs eines hohen wissenschaftlichen Niveaus zeigen sich Mängel. So fehlen etwa Erläuterungen der Editoren zu den textkritischen Richtlinien. Berichtigungen und Ergänzungen erfolgen stillschweigend, die Varianten werden in z. T. unübersicht____________ 29 30 31
Paasche 1909, S. 521. Ibsen 1928–1957. Zur Verlagsgeschichte siehe Jacobsen 2000, S. 170 f. Anon. [G. L.]: Den monumentale Ibsenutgave. In: Dagbladet 15. 3. 1928.
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lichen Listen und in Auswahl verzeichnet. Auch die Wahl des Grundtextes erscheint fragwürdig, obgleich sie sich durchaus hätte begründen lassen. Für die Dramen bietet zumeist der mit den Druckmanuskripten abgeglichene Erstdruck den Grundtext. Ibsen war berühmt für seine sauberen Druckmanuskripte, aber auch bekannt für seine sehr sparsame Kommasetzung; im Haupttext der „Hundreårsutgaven“ (im Folgenden HU) resultiert dies in einer korrekten norwegisch-dänischen Orthografie parallel zur nicht-grammatikalischen Kommasetzung Ibsens. Der Leser sieht sich damit mit mehreren ahistorischen Texten konfrontiert. Im Falle beträchtlicher Unterschiede erhält gemäß der Richtlinien Ibsens letzte, grundlegende Überarbeitung den Vorzug gegenüber dem Erstdruck. Das Prinzip des Erstdrucks ist somit auf eine (mutmaßliche) Verfasserintention hin justiert. „Durchgängig wird nach dem Haupttext eine sorgfältige Erläuterung sämtlicher Textänderungen gegeben“, heißt es weiter in der Einladung zur Subskription. Dies bleibt unausgeführt; Änderungen seitens der Editoren werden nur summarisch erläutert (etwa, es sei die Zeichensetzung der Druckmanuskripte wiedergegeben), Ibsens eigene Änderungen lediglich auszugsweise dokumentiert. Demgegenüber liefern die Einleitungen gründliche Erörterungen des Kontextes sowie des Konfliktstoffes der Dramen, ihrer Entstehung und Rezeption. Kommentiert ist die HU nur spärlich; zu Dramen und Lyrik finden sich keine, zu Briefen und Sachprosa nur wenige Kommentare; ein Umstand, der sich indessen mit dem damaligen Stand der Ibsen-Forschung sowie der wissenschaftlichen Erschließung seiner Zeit und seiner Sprache erklären ließe.32 Die Handschriften werden erwähnt, gerne mit Verweis auf die ausführlicheren Beschreibungen in der ES. Über die Textgrundlage der Briefe wird nur partiell und sehr ungleichmäßig Auskunft gegeben. Die Eklektik der Grundtextwahl dürfte von einer Auffassung der Autorintention als leitendem Prinzip bestimmt worden sein. Darin drückt sich kaum ein ahistorischer Standpunkt aus – Koht war Professor der Geschichtswissenschaft –, sondern vielmehr eine sich von heutiger Perspektive unterscheidende Auffassung von der eigenen Tätigkeit. Koht und seine Kollegen nahmen für den Autor, so steht zu vermuten, die Rolle des Sprachrohrs ein, insofern sie – und dies mit Recht – argumentierten, niemand anderes besitze so gründliche Kenntnis des Werks und der Manuskripte wie sie. Koht hatte Ibsens Briefe bereits zu dessen Lebzeiten ediert, war Editor der ES und Verfasser der wegweisenden Ibsen-Biografie. Darüber hinaus unterhielt er guten Kontakt mit Ibsens Sohn Sigurd und der Schwiegertochter Bergliot, die den Nachlass des Dichters verwalteten. Der Status des Wissenschaftlers als Beauftragten und ____________ 32
Vgl. Ystad 1997.
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dessen Recht und Pflicht, das nationale Erbe zu verwalten, muss wohl mit berücksichtigt werden, will man die Editionstätigkeit in früheren Jahrhunderten beurteilen. Heutige Philologen stehen für eine andere Aufassung gegenüber dem Material. In Teilen der Manuskripte Ibsens finden sich (Bleistift-)Notizen früherer Editoren, ein Umstand, der von einem weit weniger musealen Verhältnis zu den Manuskripten und einem anderen Werkbegriff zeugt. Die Handschriften zu Et Dukkehjem wurden 2001 in The Memory of the World Register of UNESCO aufgenommen; für die Editoren der HU stellten das Werk und die zugehörigen Quellen vermutlich in weit höherem Maße ein Geisteswerk dar als materielle Denkmäler. Die Folge dessen, was sich als Grundauffassung erahnen lässt, ist somit die Eklektik der in der HU vorgelegten Texte, mit Episk Brand (HU Bd. 5) als beredtem Beispiel: Entwurf und Reinschriften sind hier zu einem fertigen Werk zusammengesetzt, welches von Ibsens eigener Hand nie so geschaffen wurde. Aus verständlicheren Gründen zeigen die Briefbände der Ausgabe (Bd. 16– 19) Mängel. Rund 1000 neue Briefe kamen durch Øyvind Ankers große Arbeit in den 1970er Jahren hinzu, welche auch Erläuterungen der Textgrundlagen sowie solide Kommentare liefert.33 Die Textgattung ‚Brief‘ definiert Anker indessen recht weit; viele der Texte wie Gästebucheinträge, kurze Widmungen u. ä. würden in vergleichbaren Ausgaben als Varia klassifiziert. Auch sind weitere Briefe (sowie einige wenige kleinere Manuskripte) seither gefunden und in der Regel in die Handschriftensammlung der Nationalbibliothek eingegliedert worden. (Ibsen hinterließ rund 20.000 Manuskriptseiten.) Die Ibsen-Rezeption kann vermutlich als weitgehend unabhängig von den textkritischen Ausgaben angesehen werden. Sein internationaler Ruf gründet rein auf dem Inhalt, und dies vorwiegend in englischer und deutscher Sprachform. Wie Tore Rem konstatiert hat, ist Ibsen vielerorts ein englischer Autor, der außerhalb Skandinaviens auf den Lehrplänen englischer Literaturgeschichte zu finden ist.34 3.3.
J.S. Welhaven – Samlede verker (Gesammelte Schriften, 1990–1992)
Johan Sebastian Cammermeyer Welhaven (1807–1873) war Henrik Wergelands literarischer Konkurrent; Letzterer ein romantisches Genie, der Erstgenannte ein Meister der klassischen Bildung. Welhaven selbst soll an der 1867/68 erschienenen Ausgabe der gesammelten Werke, die nur wenige neue ____________ 33 34
Ibsen 1979–1981. Rem 2006.
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Texte bot, mitgewirkt haben; der Großteil war bereits früher erschienen.35 (Für eine Besprechung dieser Ausgabe siehe den Beitrag Jon Haarbergs im vorliegenden Band.) Ingard Hauge (1915–2001, Professor für nordische Literatur) begann 1964 mit der sich über 28 Jahre erstreckenden Arbeit. Laut Einar Lundeby machten die textkritischen und die übrigen Kommentare den zeitaufwändigsten Teil der Arbeit aus.36 Die Ausgabe legt außerdem unbekannte Texte vor, darunter vor allem Briefe, eine Gattung, die in der älteren Ausgabe gänzlich fehlte.37 Neu bei Hauge ist zudem die wissenschaftliche Methodik und die für norwegische Verhältnisse ungewöhnliche Erläuterung zur Textgrundlage. Als übergeordnetes Prinzip suchte Hauge die Texte in der historischen Form zu dokumentieren und definierte den Erstdruck als Grundtext. Die ältere Ausgabe war demgegenüber in Orthografie, Zeichensetzung und Abschnittseinteilung überarbeitet und vereinheitlicht worden. Im nordischen Kontext stellt die editio princeps bei neusprachlichen Ausgaben keine bevorzugte Wahl dar; Carl S. Petersens große Holberg-Ausgabe bildete eine frühe Ausnahme (vgl. den Beitrag Johnny Kondrups im vorliegenden Band). Trotz ihrer Mängel38 kann Hauges Ausgabe als mustergültiges Flaggschiff der NSL und der norwegischen Editionsphilologie, die sich nur wenige große historisch-kritische Werkausgaben leisten kann, angesehen werden. Die Berechtigung der Ausgabe liegt zudem in den Wort- und Sachkommentaren, die gründlich erarbeitet und in einem gut abgestimmten Format gehalten sind. Mit Hauges Ausgabe erreichte die norwegische Editionsphilologie ein Niveau, auf dem die Begründung editorischer Entscheidungen selbstverständlich sind, Fragestellungen der Textgrundlage erörtert werden und die Arbeit an der Ausgabe erläutert wird. 3.4.
Kleinere Editionen
3.4.1. Standardausgaben der ‚Großen Vier‘ In der neueren norwegischen Literaturgeschichte ist üblicherweise von den ‚Großen Vier‘, nämlich Henrik Ibsen, Bjørnstjerne Bjørnson, Alexander Kielland und Jonas Lie die Rede. Wenngleich Begriff und Anzahl diskutabel sind, waren es diese vier Autoren, denen sogenannte Standardausgaben für ein breiteres Publikum in der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg zuteil wurden. Dass sich semitextkritische Ausgaben an eine größere Leserschaft verkau____________ 35 36 37 38
Ingard Hauge, in: Welhaven 1990–1992, Bd. 1, S. 14. Lundeby 2005, S. 7. Welhaven 1990–1992. Eine kritische Erörterung der Prinzipien Hauges liefert Alnæs 2002.
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fen ließen, stellt ein interessantes Phänomen in der norwegischen Buchhandelsgeschichte dar. Die von D. A. Seip herausgegebene Standardausgabe der Werke Ibsens, erschienen 1918, wählt als Grundtext die Erstdrucke, wobei Seip hinsichtlich der Werke vor 1869 den von Ibsen selbst überarbeiteten Fassungen folgt (die die von der skandinavischen Sprachkonferenz in Stockholm 1869, mit Ibsen als Delegiertem, empfohlene Orthografie erhielten). So ist etwa Ibsens DebütSchauspiel Catilina (1850) in der Form wiedergegeben, die es 25 Jahre später erhielt. Band 7 enthält Varianten und Erläuterungen sowie sämtliche von Ibsen selbst zu den überarbeiteten Fassungen der frühen Dramen verfassten Vorworte. Im Jahr 1921 benennt Seip als Hauptziel der Ausgabe, „einen zuverlässigen Ibsen-Text mit Erläuterung der von Ibsen selbst vorgenommenen Textänderungen zu liefern sowie insgesamt Erläuterungen zu Ibsens eigener Auffassung über die Herausgabe seiner Werke.“ Darüber hinaus suchte Seip die zahlreichen Fehler zu tilgen, die in den verschiedenen früheren Ausgaben hinzugekommen waren. Lobend erwähnt er die Einleitungen Francis Bulls in dessen Bjørnson-Ausgabe, merkt jedoch zugleich an: „Einleitungen sind nur notwendig bei einer Literatur, die einen literaturhistorischen Hintergrund erfordert, nicht bei der gänzlich lebendigen Literatur.“39 Dies mag ein Grund sein, dass seine eigene Ibsen-Ausgabe keine derartigen Einleitungen enthält, welche im Übrigen auch nicht seinem unmittelbaren Fachgebiet, der Sprachwissenschaft, entsprochen hätten. Seip endet mit der Formulierung jenes Desiderats, das später als Hundreårsutgaven (Säkularausgabe) eingelöst werden sollte. Seine Ausgabe von 1918 löste die Mindeutgave von 1906/07 (Gedenkausgabe) des Sprachprofessors Johan Storm ab (1863–1920, Professor für romanische und englische Philologie), der nach Ibsens Tod im Jahr 1906 durch den dänischen Gyldendal Verlag (Gyldendal dansk forlag) und Ibsens Sohn Sigurd mit dieser Ausgabe beauftragt worden war. Storm nahm tiefgreifende Änderungen an Ibsens Sprache vor. Er behauptet, nur sehr vorsichtig korrigiert und ausschließlich dort eingegriffen zu haben, wo Ibsen seiner Ansicht nach selbst korrigiert haben würde, wäre er noch am Leben. Aus dieser Strategie resultierten zahlreiche Harmonisierungen und Besserungen; Storms Ausgabe zählt somit zu den am wenigsten zuverlässigen Ibsen-Ausgaben. Zusätzlich anachronistisch gerät das Ergebnis dort, wo Storm die Chronologie als Ordnungsprinzip für die Lyrik, zugleich jedoch auch für die älteren Gedichte, die von Ibsen ab 1869 verwendete Rechtschreibung einführt. Die Stärke der Ausgabe liegt indessen in ____________ 39
Seip 1921, S. 440.
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den ausführlichen, systematisierten Erläuterungen zu Ibsens Sprache (vgl. auch Seip 1928). Die Werke des Prosaisten Alexander L. Kielland erschienen als Standardausgabe 1919, herausgegeben von dem Universitätsdozenten P. L. Stavnem und A. H. Winsnes (1889–1972, Professor für deutsche Literaturgeschichte sowie später für Ideengeschichte). In der Ausgabe fehlen, wie Seip angemerkt hat,40 mehrere Texte; sie enthält zudem keine Erläuterungen zu Manuskriptquellen, lediglich zu Drucken. Dem stehen Erläuterungen zur Wahl des Grundtextes und zu Emendationen gegenüber; verzeichnet werden einige wenige Varianten sowie eine große Anzahl an Sachkommentaren, die Seip zu kritischem Abstand veranlassen: „Der Kommentar hätte auf den Text beleuchtende Anmerkungen beschränkt werden müssen.“41 Bemerkenswert indessen ist die Begründung Winsnes’ für die Wahl der editio princeps als Grundtext in Vorwegnahme der Renaissance dieser Denkweise in der norwegischen Editionsphilologie 50 Jahre später: „Dass seine Werke nun ohne diese [d. h. Kiellands spätere] Änderungen herausgegeben werden, ist nicht einem Mangel an Respekt vor den Änderungen des Dichters geschuldet, sondern der Hochachtung gegenüber jener Form, die er zuallererst seiner Idee gab, und zugleich gegenüber einer Auffassung von Kielland als polemischem Dichter, von dessen Zeitprägung nichts verloren gegeben werden darf.“42 Francis Bull gab in der nächsten Standardausgabe 1919/20 die Werke Bjønstjerne Bjørnsons heraus. Sie ist vollständiger als die Kielland-Ausgabe; die Auswahl ist begründet, die Texte sind ebenso wie in der späteren Volksausgabe Wergelands (siehe oben) nach dem chronologischen Prinzip quer durch sämtliche Textgattungen angeordnet, mit Ausnahme der separat zusammengestellten Lyrik. Dies ist eine funktionelle Lösung für ein Werk, das stark zwischen den Gattungen springt. Bulls Ausgabe unterscheidet sich von früheren Sammelausgaben durch die (prinzipielle) Wahl des Erstdrucks als Grundtext; eine nicht ganz einfache Wahl, da Bjørnson bei späteren Drucken zahlreiche Änderungen vorgenommen hatte. Die Standardausgabe Bjørnsons unternimmt keine Standardisierung der Orthografie; da jedoch der Variantenapparat keine orthografischen Änderungen enthält, muss, wer „die Wechsel in der Orthografie der Werke Bjørnsons studieren möchte, […] weiterhin auf die Einzelausgaben zurückgreifen“, wie D. A. Seip anmerkt.43 Ein höchst umfangreiches Textmaterial, nämlich die rund 30.000 bekannten Briefe Bjørnsons sowie ____________ 40 41 42 43
Seip 1921, S. 441. Seip 1921, S. 442. Winsnes in Kielland 1919, Bd. 5, S. 351 f. Seip 1921, S. 236.
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zahlreiche Reden und Artikel in verstreuten Publikationen, findet in die Standardausgabe Bulls keinen Eingang. (Die Briefe haben inzwischen ihre eigene Editionsgeschichte; siehe unten.) Die Werke des vierten der ‚Großen Vier‘, des Prosaisten Jonas Lie, erschienen als Standardausgabe 1920/21, herausgegeben von Paula Bergh und Valborg Erichsen. Die Ausgabe folgt im Aufbau dem Muster ihrer drei Vorgänger. Seip kritisiert die Ausgabe hinsichtlich der mangelnden bibliografischen Angaben sowie in Bezug auf die Wahl des Grundtextes (der nicht aus dem Erstdruck, sondern aus einer hastig gesetzten Sammelausgabe besteht): „sie kann getrost von Literaturgeschichtlern verwendet, jedoch anders als z. B. die Ibsenund Bjørnsonausgabe nicht in einem literarischen Wörterbuch zitiert werden, das den Blick auf die Wortgeschichte richtet.“44 Die nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Ausgaben der ‚Großen Vier‘ – und anderer norwegischer Klassiker – erhoben selten den Anspruch, Textgrundlage und Geschichte zu dokumentieren; dem Anschein nach sind die Verlage der Auffassung, diese Arbeit sei ein für allemal getan. Hinsichtlich jener Autoren, für die diese Arbeit noch aussteht, fehlt es an der Bereitschaft zur Ressourcenverwendung, aber auch an treibenden Kräften und Autoritäten wie Halvdan Koht und Francis Bull. 3.4.2. Kristen Valkner und Dorothe Engelbretsdatter Einer der herausragendsten neusprachlichen Editionsphilologen des 20. Jahrhunderts war der Theologe Kristen Valkner (1903–1972, Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Oslo). Hinsichtlich der publizierten Textmenge nicht mit den Arbeiten Kohts, Bulls oder Seips vergleichbar, lässt er sich mit diesen indessen messen in Bezug auf seine Genauigkeit, Umsicht und das Bestreben, den Leser über zentrale textliche Umstände zu orientieren. Valkner zeichnete für die erste Ausgabe der NSL, Dorothe Engelbretsdatters (1634– 1716) sämtliche Schriften in zwei Bänden, verantwortlich. Vom hohen Ansehen, das sie in literarischen und später auch weiteren Kreisen genoss, zeugen die zahlreichen, insgesamt 24 Ausgaben des 17., 18. und 19. Jahrhunderts.45 Dabei enthält der erste Teil der Ausgabe die zunächst von Engelbretsdatter selbst herausgegebene Sammlung Sjælens Sang-Offer (Gesang-Opfer der Seele, 1678). Bei dem zweiten Teil, Taare-Offer (Tränen-Opfer, 1685), handelt es sich um eine dichterische Bearbeitung der Thränen- und Trostquelle des Rostocker Theologen Heinrich Müller von 1675, die Engelbretsdatter in der ____________ 44 45
Seip 1921, S. 443. Einleitung Kristen Valkners in Engelbretsdatter 1955/56, S. 12.
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norwegischen Übersetzung des Pfarrers Peder Møller von 1677 gelesen hatte. Darüber hinaus finden sich hier sämtliche erhaltenen auf Engelbretsdatter zurückgehende Lieder und Gelegenheitsdichtungen. Valkner dokumentiert die Handschriften- und Druckgeschichte, vermutlich verlorene Gelegenheitsdichtungen sowie die Textgrundlage, die mit dem frühesten zuverlässigen Druck mit großer Sorgfalt gewählt ist und die über kleinere Emendationen hinaus auch nicht weiter bearbeitet ist. Ein Anmerkungsapparat präsentiert Varianten von Handschriften und Ausgaben bis einschließlich 1714. Sachkommentare und Worterklärungen folgen in knappem Umfang auf die Varianten. Das Werk wurde 1999 in einer einbändigen Ausgabe neu aufgelegt und mit einem neuen Nachwort von Laila Akslen und Inger Vederhus versehen, das das Œuvre in literarischem und historischem Zusammenhang verortet. Die Leistung Valkners für die norwegische Editionsphilologie bestand vornehmlich im Kontext religiöser Schriften, doch hat seine Arbeit solide Spuren auch in der literarischen Editionsphilologie hinterlassen. 3.4.3. Kritische Ausgaben neunorwegischer Schriften Den beiden Pionieren der zweiten Hauptsprache des Landes – Ivar Asen (1813–1896) und Aasmund Olavson Vinje (1818–1870) – wurden ebenfalls einige wenige, aber gute und z. T. exemplarische Ausgaben zuteil. 1916–1921 hatte der Professor für Dichtung und Sprachgebrauch des Neunorwegischen, Olav Midttun (1883–1972) eine beträchtliche Leistung mit der Edition der Schriften A. O. Vinjes in einer kommentierten fünfbändigen Edition erbracht. Ein für die Einleitungsgattung unübliches Bekenntnis (Bd. 1, S. 5) zeugt von Midttuns Bewusstsein für die sich dem Editor einer Auswahledition stellenden Schwierigkeiten: „ich fühlte mich oft mutlos und zwiegespalten, denn ich weiß, dass es nicht so gut ausgeführt ist, wie es der Fall sein sollte.“46 Middtun zeichnete außerdem für eine zuverlässige Ausgabe der Briefe Vinjes verantwortlich.47 Reidar Djupedals (1921–1989, Professor für nordische Sprachen) Ausgabe der Briefe und Tagebücher Aasens ist auch hervorzuheben.48 Mit ihren philologischen Entscheidungen und den diesbezüglichen Erläuterungen, in der Wiedergabe von Varianten und der Erläuterung und Beschreibung von Textquellen erfüllt sie größtenteils wissenschaftliche Anforderungen. Allein der Umstand, dass der Editor die Internvariation der Manuskripte systematisch dokumentiert ____________ 46 47 48
Vinje 1916–1921; in der Neuausgabe 1993 ergänzt um einen sechsten Band von Jon Haarberg. Vinje 1969. Aasen 1957–1960.
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und erläutert, macht die Ausgabe zu einem wichtigen Ereignis in der norwegischen Editionsgeschichte. Djupedal stand außerdem hinter einer Faksimileausgabe von Vinjes Wochenzeitung Dølen, die vor allem aufgrund ihrer guten Einleitungen und Register zu erwähnen ist.49 Kjell Venås (*1927, Professor für nordische Sprachen) gab 1990 mit Den fyrste morgonblånen (Die erste Morgenbläue, NSL) eine Sammlung norwegischer Mundartdichtung von 1525 bis 1814 heraus, der Zeit der norwegischen Union mit Dänemark und des Dänischen als offizieller Schriftsprache. Die Texte bilden wichtige Dokumente für das Verständnis der Mundart dieser Epoche, die sich von den älteren, altnorwegischen Schriftnormen unterscheidet. Dabei handelt es sich um eine aufwändige Arbeit sowohl hinsichtlich der Sammlung des bis dahin unbekannten Materials als auch hinsichtlich dessen Kommentierung. Laut Venås sind die Texte sorgfältig kollationiert und weitgehend diplomatisch wiedergegeben.50 Trotz hoher Sorgfalt in der Textwiedergabe fehlen Auskünfte, ob die handschriftenbasierten Texte Varianten aufweisen; hiervon abgesehen stellt die Ausgabe einen der herausragendsten Beiträge der NSL zur norwegischen Editionsgeschichte dar. 3.4.4. Briefausgaben Briefausgaben bilden einen bedeutenden Teil des norwegischen Editionswesens. Es finden sich zahlreichere gute textkritische Briefausgaben als Ausgaben literarischer Werke, zugleich jedoch auch viele halbherzige Briefausgaben, deren konstituierte Texte auf schwankendem Grund stehen, die wichtige Briefe auslassen usw. Selbst die Bibliothek der NSL weist solche lediglich teilweise kritischen Ausgaben auf, wie etwa eine Ausgabe des zentralen SymbolismusDichters Sigbjørn Obstfelder; hier fehlen zahlreiche wichtige Briefe (von denen einige zuvor schon, jedoch zum Teil unbefriedigend ediert worden waren), und wie der Editor mit dem Text verfahren ist, ist gänzlich ungewiss.51 In anderen Fällen ist die Leistung indessen umfassend. Den zahlreichen Briefausgaben des 20. Jahrhunderts können unterschiedliche Motive zugrunde liegen: – Neuheitswert: Die Edition neuer Schriften wichtiger Autoren beinhaltet in der Regel die Briefe. Die textkritische Ausgabe eines bekannten Texts hat bei den Verlagen und der Leserschaft in Norwegen nicht den gleichen Neuheits____________ 49 50 51
Vinje 1970–1973. Den fyrste morgonblånen 1990, S. 33 f. Obstfelder 1966.
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wert (vgl. den Beitrag Johnny Kondrups im vorliegenden Band, Abschn. 3.2.4). – Philologisch sind Briefe einfacher zu behandeln, da sie in der Regel keine internen Varianten oder schwierige genetische Fragestellungen aufweisen. – Quellenperspektive: Briefe können wichtige Quellen zum Verständnis des Werkes wie auch historischer Zusammenhänge vor allem nationaler Art darstellen. – Interesse an den privaten Texten berühmter Männer und Frauen. Als Beispiel einer möglicherweise durch alle diese Faktoren motivierten Briefausgabe lässt sich die fünfbändige Ausgabe der Briefe und Tagebücher der Schriftstellerin Camilla Collett (1813–1895) und des Politikers und Rechtsprofessors Peter Jonas Collett (1813–1851) anführen, herausgegeben von Leiv und Inger Asmundsen. Der hohe schriftstellerische Rang Camilla Colletts prägt auch ihre Briefe und Tagebücher; Peter Jonas Colletts Schriften in dieser Gattung sind von weit geringerem literarischen Rang. Das Paar selbst genoss hohe öffentliche Aufmerksamkeit: Camilla war die Schwester Henrik Wergelands, verliebt in Welhaven, heiratete jedoch schließlich Welhavens Freund Collett. Für ihre Zeit ist die Ausgabe zudem durch ihre Anmerkungen zu Textgrundlage und Eingriffen sowie ihre Kommentare verdienstvoll. Auch die Briefe des norwegischen Nationalhelden Fridtjof Nansen sind in einer solchen soliden Ausgabe nahezu vollständig erschienen; sie enthält Anmerkungen zur Textgrundlage wie auch Sachkommentare und bietet die Texte weitgehend diplomatisch.52 Zuverlässig sind Bodil Aurstads und Kim Ravns Ausgabe des Tagebuchs Nansens aus dem Jahr 190553 sowie Gunnhild Wiggens Ausgabe seiner Reden und Artikel des gleichen Jahres,54 als der Polarforscher und Humanist eine wichtige Rolle in der Diskussion um die Unionsauflösung spielte. Beide Ausgaben sind im besten Sinne historisch-kritisch und liefern außerdem gute Einleitungen zum historischen Hintergrund der Texte. Keinem norwegischen Autor wurden so viele – auch textkritische – Briefausgaben zuteil wie Bjørnstjerne Bjørnson; noch heute sind jedoch Teile der sehr umfangreichen Korrespondenz noch unveröffentlicht. Dass so zahlreiche Briefausgaben Bjørnsons vorliegen, hat vermutlich auch nationale Beweggründe, doch sind – neben dem persönlichen Interesse des Editors Øyvind Ankers für den Schriftsteller – in diesem Fall wohl ebenso Bjørnson und sein Werk als Säulen norwegischer Geschichte das Motiv. Kohts Bjørnson-Briefe ____________ 52 53 54
Nansen 1961–1978. Nansen 2005. Nansen 2006.
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liegen in drei Ausgaben vor. In der Einleitung zur ersten Sammlung mit dem Titel Gro-tid 1857–1870 (Zeit des Wachstums 1857–1870) erläutert er seine Eingriffe und den Umstand, es „als Pflicht erachtet zu haben, in der Ausgabe keine [einzelnen] Mitteilungen zu seinem intimen Seelenleben mitzuführen“ und ebensowenig sich gegen andere Personen richtende Ausführungen wiederzugeben, sofern diese keine Personen des öffentlichen Lebens wie etwa A. O. Vinje, Camilla Collett oder Henrik Ibsens seien. Die Ausgabe enthält Auskünfte zur Ermittlung von Briefen und deren Zugänglichkeit sowie zur Textgrundlage. Koht berichtigt ausschließlich offenbare Schreibfehler, korrigiert jedoch Personennamen zu ihrer richtigen Form und vereinheitlicht einzelne „nichtorthografische Kleinigkeiten“. Die Ausgabe ist ausgestattet mit einer langen Einleitung, einer kurzen Liste knappgehaltener Biografien sowie Kommentaren, Personen- und Werkregister. Nach gleichem Muster sind auch die Sammlungen Brytnings-år und Kampliv (Jahre des Umbruchs, 1921, und Kampfleben, 1932) aufgebaut, die zusammen die Jahre bis 1884 abdecken. Wenngleich zahlreiche Briefe Bjørnsons nach 1884 in den Briefwechsel-Ausgaben vorliegen, von denen die umfangreichsten hier genannt sind, steht ein Großteil der Komplettierungsarbeit noch aus. Bjørnsons Briefwechsel der Jahre 1854–1874 mit dänischen Adressaten erschien 1970–1974 als Kooperation der DSL und NSL, herausgegeben von Øyvind Anker, Francis Bull und Torben Nielsen (1918–1985). Die Auswahl wird im Vorwort gut begründet. Zwar waren die Briefe vor 1875 größtenteils bereits von Koht ediert, doch war zwischenzeitlich viel hinzugekommen. Textauslassungen wurden, so das Vorwort, nicht im gleichen Umfang wie in der noch zu Lebzeiten einzelner Adressaten erschienenen Ausgabe Kohts notwendig. Darüber hinaus handelt es sich bei der neuen Ausgabe um eine Korrespondenz-Ausgabe, während die Ausgabe Kohts sich auf eine Seite beschränkt. Die Absicht der Ausgabe liegt darin, „das Verhältnis BjørnsonDänemark und/oder Bjørnsons Verhältnis zu Theater, Literatur, religiösen und politischen Strömungen seiner Zeit“ zu beleuchten.55 Bezüglich der Editionsrichtlinien wird auf die „2. Reihe (1953)“ verwiesen, Bjørnsons Briefe an dänische Adressaten aus den Jahren 1875–1910, die mithin einige Jahre vor den Briefen 1854–1874 erschienen, jedoch vom gleichen Herausgeber ediert worden waren. Diese Ausgabe umfasst Angaben zur Textgrundlage, Sachkommentare, eine ausführliche Einleitung Francis Bulls und gute Register, jedoch nur wenig textkritisches Material. Wie schon bei früheren Ausgaben sind zahl____________ 55
Bjørnson 1970–1974, Bd. 1, S. VIII.
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reiche bereits andernorts erschienene Briefe ausgelassen. Auch bei dieser Ausgabe handelt es sich um eine Zusammenarbeit von NSL und DSL. Bjørnsons Briefwechsel mit schwedischen Briefpartnern der Jahre 1858– 1909 erschien 1960/61 in einer dreibändigen Ausgabe Øyvind Ankers, Francis Bulls und des schwedischen Literaturhistorikers Örjan Lindberger (1912– 2005). Die Editoren erläutern ihre Textauswahl; die Briefe sind dort gekürzt, wo sie „streng privaten Charakter“ (Bd. 1, S. VIII) haben oder uninteressante Abschnitte enthalten, doch werden die ausgelassene Textmenge und ihr Inhalt angegeben. Darüber hinaus erläutern die Editoren die Ermittlung, liefern eine umfassende Einleitung Francis Bulls, dokumentieren die Textgrundlage, geben Sachkommentare und gute Register, halten jedoch Auskünfte zur textkritischen Situation sehr knapp. Genannt werden muss außerdem die von dem Schweizer Arno Keel herausgegebene kommentierte Ausgabe des deutschen Briefwechsels Bjørnsons.56 Wenngleich im engen Sinne nicht zur norwegischen Wissenschaftsgeschichte zu zählen, so ist sie als Vergleichsgrundlage von Interesse. Der Editor rubriziert die Ausgabe als „kommentierte Studienausgabe“. Keel erläutert die Textgrundlage, eigene Eingriffe gemäß des Ausgabetypus (stillschweigende Berichtigung trivialer Fehler, Erläuterung der Abkürzungen und einheitliche Wiedergabe von Ort, Adresse und Datum in den Briefköpfen). Die internen Varianten fehlen, doch allein die Angabe dieses Umstands stellt in norwegischem Kontext eine Seltenheit dar. Die Briefe Alexander Kiellands gab Johannes Lunde (1903–1986) heraus. Er besorgte das Sammeln, die Transkription und die textkritische Bewertung von rund 1900 Briefen (davon 1100 bis dato unpubliziert) und versah sie mit Einleitungen und Kommentaren. Im Gegensatz etwa zur zeitweise rein geschäftlich geprägten Korrespondenz Ibsens stellen Kiellands Briefe gleichsam stilistische ‚belles lettres‘ dar; in der Absicht, sie selbst herauszugeben, hatte er einige der Briefpartner um Ausleihe der Briefe zur Abschrift gebeten.57 In seiner Einleitung gibt Lunde einen guten Einblick in Kiellands Pläne und Schwierigkeiten, seine eigenen Briefe herauszugeben; aus philologischer Perspektive von Interesse sind – sonst selten verfügbare – Auskünfte zur Bearbeitung des Textes durch den Verfasser sowie zu einem nicht unwesentlichen Detail der Kopierarbeit: Für Kiellands eigene Ausgabe wurde diese von einem Feldwebel ausgeführt, der laut Kielland nichts von dem verstand, was er abschrieb. Lund zeigt an einem Beispiel, wie tiefgreifend die Unterschiede zwischen dem Original und jenen gedruckten Briefen sein konnten, die, herausgegeben von Kiel____________ 56 57
Bjørnson 1986/87. Lunde in Kielland 1978, S. XI.
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lands Sohn, im Jahr nach seinem Tod erschienen. Die aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts bekannte Vorsicht findet sich überraschend auch hier wieder: Abschnitte „vertraulicher Natur sind ausgelassen, markiert mit […]“.58 Dass man von einer Veröffentlichung verklausulierter Briefe absah, liegt auf der Hand, doch die Zensur älterer Briefe im späten 20. Jahrhundert ist ein überraschendes Charakteristikum dieser Ausgabe, ist doch der Begriff der Zensur im Norwegen des 20. Jahrhunderts – abgesehen von den fünf Okkupationsjahren 1940–1945 – kaum von Bedeutung. Allerdings wird auch allgemein vermutet, dass einige Wergeland-Briefe zu privaten Familienverhältnissen von Forschern noch in jüngerer Zeit unterdrückt wurden, doch bewiesen werden kann dies nicht. Ebenso wichtig wie diese Einzelfälle ist eine Form der konsensbasierten, nationalen Zensur bei bewilligenden Behörden und – überraschenderweise – die mangelnde Bereitschaft seitens der Akademiker, das Quellenmaterial der Archive zugänglich zu machen, wie Bodo Plachta den Umstand beschreibt, „daß Wissenschaftler auch im 20. Jahrhundert noch Quellen in das arcanum eines Archivs verbannen wollen und auf diese Weise eine lange ZensurTradition des Verbergens fortsetzen.“59
4.
Zusammenfassung und Ausblick
Insofern die Editionsphilologie auch ein Kampf um das nationale Erbe des Landes sein kann, sind die Editionen weder auf Widerstand noch auf Entgegenkommen gestoßen, haben weder Rezensionen oder Debatten noch konkurrierende Ausgabenprojekte auf den Plan gerufen. Beamtete Professoren konnten ihre Autoren fördern, ohne dass man Alternativen untersucht hätte. Unter anderem aus diesem Grund findet sich – noch – keine wissenschaftliche Ausgabe des kontroversen, jedoch international rezipierten Autors Knut Hamsun.60 Seine Briefe sind indessen in einer soliden Ausgabe erschienen,61 ein weiteres Beispiel für das große Interesse an bekannten und bedeutenden Personen in der norwegischen Editionsphilologie des 20. Jahrhunderts. In jüngerer Zeit hat der norwegische Gyldendal Verlag zwei moderne Klassiker nach textkritischen Untersuchungen neu verlegt. Hanne Lillebo gab 1999 ____________ 58 59 60
61
Lunde in Kielland 1978, S. VIII. Plachta 1998, S. 333. Bei der jüngsten, 27-bändigen Ausgabe Lars Frode Larsens beim Gyldendal norsk forlag (2007–2009) handelt es sich um eine sprachlich modernisierte und normalisierte Verlagsausgabe, jedoch mit einem die Entstehungsgeschichte der Werke behandelnden Nachwort. Textgrundlage sind die Samlede verker von 1934. Die oft komplizierte Textsituation würde eine editionsphilologische Arbeit auch für dieses Œuvre rechtfertigen. Vgl. Dingstad 1998. Hamsun 1994–2001.
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die gesammelte Lyrik des Poeten Rolf Jacobsens heraus.62 Ihre Ausgabe stellt eine erstdruckbasierte Sammelausgabe der 12 einzelnen Lyrikbände dar, eine historisch-kritische Alternative zu den von Jacobsen betreuten Ausgaben, insbesondere seiner Ausgabe letzter Hand von 1990 (Alle mine dikt, Alle meine Gedichte), die einen großen Leserkreis hat. In sämtlichen früheren Sammlungen ist eine mehr oder minder große Anzahl Gedichte ausgelassen oder von Jacobsen überarbeitet; darüber hinaus entstanden zunehmend Fehler in wesentlichen Satz-Details (etwa in Strophentrennungen u. Ä.). Lillebo erläutert Varianten der vorausgehenden Sammelausgaben sowie eigene Eingriffe. Der letzte der Romane der Alberte-Trilogie Cora Sandels, Bare Alberte (Nur Alberte, 1939), wurde in der Ausgabe von 1941 durch Gyldendals Selbstzensur von kritisierten Inhalten gereinigt. Damit verschwanden längere Passagen, die seitdem nie wieder eingefügt wurden. Diese Auslassungssünde wie auch eine Reihe akkumulierter Fehler wies Nina M. Evensen im Jahr 1995 nach; sie folgte dabei dem Hinweis eines schwedischen Übersetzers auf die weit höhere Zuverlässigkeit und Vollständigkeit der Texte der schwedischen Roman-Übersetzungen gegenüber den im norwegischen Handel erhältlichen Ausgaben. Im Jahr 2002 gab Evensen den Text im originalen Zustand heraus.63 Verlage bewerten derartige Ausgaben in der Regel als Risikoprojekt, da die originäre Orthografie fremd wirken und Lesern widerstreben kann; insgesamt neun Rechtschreibreformen (neunorwegisch und riksmål/bokmål) in Norwegen im Laufe des 20. Jahrhunderts lassen entsprechende Vorbehalte zumindest hinsichtlich reiner Verlagsausgaben verständlich erscheinen. Die norwegische Editionsphilologie hat zur Jahrtausendwende weiterhin Bedarf an einer deutlich institutionalisierten Verankerung; durch den unermüdlichen Einsatz einzelner Wissenschaftler erweist sie sich indessen mit zunehmender Deutlichkeit als wissenschaftlich fundiert und bildet einen wachsenden Rückhalt in der Vermittlung von Texten, denen für gewöhnlich sonst ein stilles Archivdasein beschieden ist. Aus dem Norwegischen von Sibylle Söring
Abstract This chapter provides an overview of critical editions of 20th-century Norwegian literature. As well as providing a history of independent projects, it also ____________ 62 63
Jacobsen 1999. Sandel 2002.
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describes a lack of theoretical-methodical debate. In this respect, Norway sets itself apart from both Sweden and Denmark, as a more rigorously scholarly and professional approach has been adopted in both the latter countries to textual criticism during the 20th century. It is true that institutional interest is dawning in Norway, but the past century has been problematic, both with regard to financing and also because of a lack of understanding of the importance of the subject. The chapter also discusses how the canonisation of certain authors manifests itself in this situation, and finds that an important role has been played by a relatively large number of editions of authors’ letters. In general, the authors concerned are those who could be considered important for the formation of a national identity. There is also an identifiable tendency to prioritise the publication of previously unpublished material over the production of sound critical editions of well-known works and texts. The chapter reviews the most important critical editions, with an emphasis on two major editions of the works of Henrik Wergeland and Henrik Ibsen respectively. Both these editions encompass fine ambitions and solutions, some of which were ahead of their time. Not all editions dating from the period discussed in this chapter display such a reasoned consideration of textual problems, or such a thorough explanation of the editor’s work on the text.
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Hanne Lauvstad
Ein norwegischer Pionier Andreas Emil Erichsens Edition der Gesammelten Werke von Petter Dass
1.
Einleitung – die Edition
Andreas Emil Erichsens (1841–1913) Ausgabe Petter Dass’s Samlede Skrifter stellt die erste norwegische textkritische Edition eines neusprachlichen dichterischen Gesamtwerks dar.1 Geboren 1841 in Christiania (heute Oslo), absolvierte der Pädagoge, Literaturhistoriker und Editionsphilologe Andreas Emil Erichsen sein akademisches Staatsexamen im Jahre 1865. Seine Karriere als Pädagoge gipfelte 1877 in der Berufung als Rektor an die öffentliche Schule für höhere Allgemeinbildung in Tromsø und später an die Kongsgaard Schule in Stavanger. Zusätzlich zu seiner Lehrtätigkeit war er Verfasser verschiedener Lehrbücher zu Geschichte und Literaturgeschichte. Gegen Ende seiner Berufslaufbahn befasste er sich vor allem mit Schul- und Lokalgeschichte. Als Editor interessierte sich Erichsen für die norwegische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. Bereits 1870 veröffentlichte er das Werk Achrostichis des Osloer Humanisten Hallvard Gunnarssøn (ca. 1550–1608) sowie dessen Biografie. Darüber hinaus verfasste er mehrere Artikel über diese Periode, u. a. über Jens Nilssøn (1538–1600), einen weiteren Osloer Humanisten, sowie zu dem anonymen Werk Hamarkrøniken (Die Hamarchronik) aus dem 16. Jahrhundert. Unter Erichsens textkritischen Ausgaben stellen Petter Dass’s Samlede Skrifter indessen zweifellos das Hauptwerk dar. Petter Dass (1647–1707) ist einer der sehr wenigen norwegischen Dichter des 17. Jahrhunderts und wird als einer der bedeutendsten Autoren älterer norwegischer Literatur angesehen. Seine Dichtung und nicht zuletzt das religiöse Werk erlangten bereits im 18. Jahrhundert Bekanntheit und Popularität. Davon zeugen u. a. die zahlreichen Abschriften seiner literarischen Werke. Im 19. Jahrhundert wurde er als einer der ersten großen Autoren im belletristischen Kanon etabliert. Erichsens Ausgabe Petter Dass’s Samlede Skrifter fes____________ 1
Zur Editionsgeschichte norwegischer Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts siehe den Beitrag von Jon Haarberg, S. 289–314 im vorliegenden Band.
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tigte diese Position und machte die gesamte Produktion des Dichters einem breiteren Publikum zugänglich. Petter Dass’s Samlede Skrifter erschien 1874–18772 in drei Bänden. Der erste Band enthält Nordlands Trompet (Nordlands Trompete) und Viser og Rim (Lieder und Reime), der zweite Band Aandelig Tidsfordriv eller Bibelske Visebog (Geistlicher Zeitvertreib oder Biblisches Liederbuch) und KatekismusSange (Katechismuslieder), der dritte Band schließlich Trende bibelske Bøger (Drei biblische Bücher) und Evangelie-Sange (Evangelienlieder). Diese Ausgabe ergänzte Erichsen 1891 mit Dassiana,3 in der er neue Gelegenheitsdichtungen Petter Dass’ vorlegte, die auf ihm erst nach der ersten Ausgabe bekannt gewordenen Handschriften basierten. Auf der Grundlage neu aufgefundener Handschriften lieferte er in dieser Ausgabe außerdem Lesarten zu Nordlands Trompet, das 1892 in neuer Ausgabe erschien,4 sowie zu Viser og Rim. Im Folgenden werden diese Ausgaben vergleichend zu der Ausgabe Samlede Skrifter erwähnt, die hier im Mittelpunkt steht. Erichsens Ausgaben der literarischen Produktion Petter Dass’ fand textkritische Nachfolger in Didrik Arup Seips Ausgaben von Nordlands Trompet,5 Viser og Rim6 und den Evangelie-Sange.7 Diese werden im Folgenden im Zuge der Behandlung der Ausgabe Erichsens zum Vergleich herangezogen.
2.
Erichsens Editionsprinzipien
Die Textsituation des Gesamtwerks von Peter Dass ist generell kompliziert. Zu Lebzeiten des Autors wurde einzig Den norske Dale-Vise8 (Das norwegische Tälerlied) gedruckt; es existieren kaum zeitgenössische und noch weniger autographe Handschriften. Hinzu kommt, dass viele Handschriftenversionen fragmentarisch sind, insofern sie nur Teile dessen enthalten, was man heute als vollständige Werke ansieht. Bei den Handschriftenversionen handelt es sich mitunter um Abschriften von gedruckten Fassungen. Es ist A. E. Erichsens philologisches Ziel, basierend auf sämtlichen zur Verfügung stehenden Textzeugen den nach seiner Ansicht bestmöglichen, mithin einen restituierten Text zu etablieren. Aus diesem Grunde wählt er auch Lesarten frei aus verschiedenen Textzeugen aus. Um dieses Ziel zu erreichen, greift ____________ 2 3 4 5 6 7 8
Dass 1874–1877. Dass 1891. Dass 1892. Dass 1927, 1947 und 1958. Dass 1934 und 1950. Dass 1960. Der Titel ist hier nach Erichsens Ausgabe (Dass 1874–1877) wiedergegeben.
Ein norwegischer Pionier
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er in einigen Fällen auch zu Konjekturen. Die editionsphilologische Praxis beruht auf der Lachmann’schen Methode, die bekanntlich die Restitution eines Archetyps anstrebt. Im Unterschied zu Teilen der Mittelalterphilologie kann Erichsen in der Dass-Ausgabe mit Texten eines bekannten Verfassers arbeiten. Im Zentrum seines Interesses steht daher, wo immer möglich, den Text des Autors aufzufinden; gelingt das nicht, präsentiert er ihn in einer Form, die der Autorintention nahe kommt. In Erichsens neusprachlichem Projekt ist die Autorintention somit ein wichtiger Faktor bei der Bestimmung und Erschließung des Archetyps: „Die Veränderungen, die ich dennoch vorgenommen habe, erfolgen sämtlich in der Absicht, diejenige Form zu restituieren, die, wie ich annehme, der Verfasser selbst verwendet hat“.9 Dass ein Einfluss der Lachmann’schen Methode anzunehmen ist, zeigt sich vor allem in Erichsens Rezension der Handschriften und seiner auf der Stemmatik basierenden Gruppeneinteilung der Handschriften und der gedruckten Texte (er selbst erstellt gleichwohl keine Stemmata). Aufgrund der Überlieferungssituation von Petter Dass’ Werken rezensiert Erichsen Textzeugen sowohl als gedruckte Ausgaben als auch als Handschriften. Um einen einheitlichen Text zu schaffen, standardisiert Erichsen die Orthografie und Interpunktion der Textzeugen entsprechend seiner eigenen zeitgenössischen Rechtschreibpraxis mit der Begründung, die Abschriften gäben nicht die Orthografie des Verfassers wieder. Er betont jedoch, dass er die hörbaren Sprachformen der zugrundegelegten Textzeugen wiedergebe. Hier zeigt sich erneut, wie Erichsen den Autor stärker gewichtet als die Wiedergabe eines historischen Textes. Erichsens Orthografiepraxis wurde später von Seip kritisiert, der das Anachronistische in einer solch restituierten und standardisierten Orthografie aufzeigte.10 Mehrere der von Erichsen verwendeten Textzeugen sind verschwunden; einige Gelegenheitsdichtungen des Petter Dass sind heute daher nur noch in Erichsens Fassung bekannt. Vermutlich unter dem Einfluß der Leithandschriftenmethode der Mittelalterphilologie wählte Erichsen in einigen Fällen einen einzelnen Grundtext; aber auch hier ist die Restitution eines Archetyps das Ziel. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass es sich bei Erichsens Forschungsarbeit, darunter der Editionstätigkeit, um eine Arbeit außerhalb seiner Arbeitszeit handelte und dass er zu den einzelnen Handschriftensammlungen wie etwa in Trondheim und Kopenhagen oft weite Wege zurücklegen musste. Seine beeindruckende editionsphilologische Leistung schmälert dies nicht. Die modernen Möglichkeiten des Abfotografierens oder ____________ 9 10
Erichsen 1874, S. 350. Seip 1974 [1958], S. 128.
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Hanne Lauvstad
Kopierens der Handschriften standen Erichsen nicht zur Verfügung; mitunter hatte er keinen Zugang zu den einzelnen Textzeugen oder war darauf angewiesen, Abschriften von Handschriften durch andere vornehmen zu lassen. Im Folgenden wird Erichsens Behandlung der einzelnen literarischen Werke von Petter Dass genauer in den Blick genommen. Dabei wird Nordlands Trompet den größten Raum einnehmen, zum einen aufgrund seiner besonders komplizierten Textsituation, zum anderen, da ich in diesem Fall Gelegenheit hatte, selbst Stichprobenkollationen vorzunehmen.
3.
Werkbehandlung
3.1.
Band I: Nordlands Trompet und Viser og Rim
Zu Petter Dass’ Lebzeiten blieb Nordlands Trompet ungedruckt; im 18. Jahrhundert erschienen indessen drei verschiedene Ausgaben – Bergen 1739 (im Folgenden a), Kopenhagen 1739 (im Folgenden b) und Kopenhagen 1763 (im Folgenden c) –, auf denen alle späteren Ausgaben basieren. Vom nichtgedruckten Material sind 20 verschiedene Handschriftenfassungen, verteilt auf 18 zum Teil zusammengesetzte Handschriften erhalten. Von den handschriftlichen Fassungen ist nur eine vollständig und keine eigenhändig. Unter der Prämisse des von ihm verfolgten editionsphilologischen Standards ist Erichsens Ausgabe gründlich und wohldurchdacht. Erichsen hat c als Grundtext gewählt, berücksichtigt jedoch auch Varianten aus b sowie aus den Handschriften (a war ihm nicht bekannt). In der Annahme, die Handschriften stammten aus der gleichen Werkfassung, erachtet er es als unnötig, die Handschriftenvarianten durch Siglen zu unterscheiden, und gibt sie gesammelt an. Die Ähnlichkeit zwischen den Handschriften liefert auch die Begründung dafür, weshalb er keine Varianten anderer Handschriften einbezieht, die ihm zwar bekannt waren, zu denen er aber während der Editionsarbeit keinen Zugang hatte.11 Später veröffentlichte Erichsen, wie bereits erwähnt, eine neue Ausgabe von Nordlands Trompet.12 In der Zwischenzeit hatte er eine noch positivere Haltung zu b eingenommen und verwendete mehrere Varianten dieser Ausgabe.13 Die Wahl des Grundtextes begründete er damit, dass c (seines Erachtens) dem Manuskript Petter Dass’ am nächsten stünde und somit die Autorintention wahre, obgleich c später als b erschienen war. Für Erichsen legitimiert sich die cVersion durch die Herausgeberschaft der Nachkommen, des Enkels Albert ____________ 11 12 13
Erichsen 1874, S. 357. Dass 1892. Erichsen 1892, S. 228.
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Christian Dass sowie des Urenkels Hans Morten Sommer, die als Grundlage ein nichtautographes Manuskript zu Lebzeiten des Autors angaben, das mit Kommentaren von Anders Dass, dem Sohn von Petter Dass, versehen war.14 Erichsen folgt außerdem einem traditionellen Prinzip innerhalb der Philologie, nämlich dem, einen Text aufgrund der zur Verfügung stehenden Textzeugen unter Berücksichtigung des genealogischen Verhältnisses zwischen ihnen zu restituieren. Sein Text repräsentiert den Archetyp der Textzeugen, eine Konstruktion. Zu verweisen ist hier auf den Umstand, dass die Ausgaben Erichsens15 den Titel Nordlands Trompet/ eller/ Beskrivelse over Nordlands Amt (Nordlands Trompete/ oder/ Beschreibung des Nordlandgebiets) tragen; auch dies ist eine restituierte Form der Titel in b und c. Seip hingegen kombiniert in seiner Ausgabe von Nordlands Trompet a und b als Grundtext – sein Grundtext ist somit eklektisch.16 Wo er eine Berechtigung sieht, emendiert er mit Hilfe der Varianten aus c und den Manuskripten. Seine Emendationen sind im laufenden Text nicht vermerkt, jedoch im Variantenapparat am Schluss des Buches aufgeführt. Sowohl Erichsen als auch Seip war daran gelegen, ihren Editionen den vollständigsten der ihnen verfügbaren Texte zugrunde zu legen. Dies ist insofern verständlich, als die meisten Handschriften mitten in jenem Lied abbrechen, das später den Titel Helgelands Beskrivelse (Beschreibung Helgelands) mit dem Vers „Her flyve de tusind’ i Skokke“ („Hier fliegen die Tausend in Scharen“) erhielt.17 Der Grund hierfür ist vermutlich, dass Petter Dass mit der Arbeit an Nordlands Trompet nicht weiter fortgeschritten war, als diese Abschriften zirkulierten.18 Da vergleichsweise wenige Informationen zur Genese des Werkes vorliegen, wäre eine alternative Textwahl schwerlich zu treffen, wenn das vollständige Werk dargeboten werden soll. Dass Erichsen und Seip dennoch verschiedenen Textzeugen den Vorrang geben, ist darauf zurückzuführen, dass sie diese z. T. unterschiedlich datieren. Erichsen glaubt, dass b auf einem jüngeren Manuskript basiert als c und begründet dies mit der Form der Widmung; in b (und a) zeigt die Anrede an Ditlev Vibe, dass diese nach Petter Dass’ Tod geschrieben sein musste. Darüber hinaus stützt sich Erichsen auf die Aussage Albert Christian Dass’, der Text in Ausgabe a (welche Erichsen vermutlich für b hielt) sei verderbt.19 Seip hält dagegen, die Dedikation in a und b ____________ 14 15 16 17 18 19
Die Editionsprinzipien dieser Ausgabe werden in Lauvstad 2003, S. 224–236 und Lauvstad 2006, S. 43–62 näher behandelt. Dass 1874–1877, Dass 1892 und die Volksausgabe Dass 1907, die den Text der 1892er Ausgabe wiedergibt, jedoch ohne Variantenapparat. Dass 1974 [1958]. c, S. 126. Seip 1974 [1958], S. 122 f. Seip 1974 [1958], S. 130.
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könne später geändert worden sein, der Rest des Textes könne dennoch eine Form gehabt haben, die derjenigen Petter Dass’ nahekam. Erst 1935 erhielt Seip Kenntnis von dem vollständigen Manuskript Q,20 aus dem er für seine beiden späteren Editionen (1947 und 1958) Wörter und Wortformen entnahm. Was Viser og Rim, mithin Petter Dass’ weltliche Einzelgedichte einschließlich der Gelegenheitsdichtungen betrifft, so ist die Textsituation von Gedicht zu Gedicht unterschiedlich und Erichsens Editionspraxis entsprechend variabel. In einigen Fällen gibt er deutlich an, welchen Grundtext er gewählt hat; an anderen Stellen bleibt dieser unklar. Betrachten wir einige Beispiele: Erichsens Fassung von Den norske Dale-Vise ist eklektisch und basiert auf drei verschiedenen Ausgaben: A = Kopenhagen 1713 (2. Ausgabe; die erste Ausgabe von 1696, heute in Fragmenten bekannt, war Erichsen unbekannt), B = ohne Ort und Jahr, ein Fragment, angeblich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gedruckt, in dem Erichsen verschiedentlich bessere Lesarten als in A gefunden hatte, und schließlich C = Eegsæt 1850, ein späterer, mit B verwandter Druck, der aber eine längere Überlieferung durchlaufen hat. Der Variantenapparat gibt Varianten aus A und B wieder sowie von C solche, die Textänderungen zur Folge hatten. Vise om Iver Skonseng (Lied über Iver Skonseng) basiert auf der einzigen bekannten Abschrift, einer Handschrift aus Erichsens Besitz. Der Editor hat Konjekturen vorgenommen. Als Seips Veröffentlichung seiner Ausgaben der weltlichen Einzelgedichte bevorstand, war das Manuskript verschwunden, und der Editor musste sich auf Erichsens Ausgabe als einzige bekannte Version des Textes stützen. Als Quelle zu Erichsens editionsphilologischer Praxis21 dienten ihm außerdem die Dassiana.22 Gudinden Justitiæ Klage (Die Klage der Göttin Justitia) basiert auf einem Manuskript der Königlichen Bibliothek Kopenhagen,23 mithilfe einer Niederschrift nach mündlicher Überlieferung aus Nordland emendiert und besorgt durch den bekannten Volkskundler Ole Tobias Olsen. Die Emendationen sind im Variantenapparat aufgeführt. Auffällig ist hier, dass einer modernen, auf mündlicher Überlieferung basierenden Niederschrift ein ähnlicher Status zugeschrieben wird wie einer älteren Abschrift. Die Verfahrensweise erinnert an diejenige, die bei Ausgaben von Balladen, Sagen und Märchen Anwendung fand, und zeigt Erichsens Verbindung auch zu diesem Zweig der Editionsphilologie. ____________ 20 21 22 23
Nationalbibliothek, Oslo, 1084 fol. Seip 1934, S. 147. Dass 1891. Neue kgl. Samml. 4o 822d.
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Einen interessanten Fall der Auslassung von Text aus moralischen Gründen findet sich in dem Gedicht Confect efter Maaltid (Konfekt nach der Mahlzeit) – im Übrigen auch dies eine eklektische Fassung bei Erichsen –, das auf vier verschiedenen Manuskriptversionen beruht. In zwei dieser Versionen fehlen einige Textteile, die in den beiden anderen enthalten sind. Alle sich unterscheidenden Lesarten sind im Variantenapparat enthalten. Der Editor emendiert nach verschieden Textzeugen von Stelle zu Stelle. Bei dem Gedicht handelt es sich um ein anlässlich einer Kindstaufe geschriebenes Gelegenheitsgedicht. Auffällig für Erichsens Editionspraxis in diesem Fall ist der Umstand, dass er die Notwendigkeit sah, zunächst 12 Zeilen aus den Handschriften,24 später nochmals 1625 und schließlich weitere vier26 zu zensieren. Der Eingriff gilt Details in der Beschreibung der Geburt des Täuflings, die der Editor in einer Veröffentlichung im Jahre 1874 offensichtlich als unpassend ansah. Eine solche Praxis ist aus moderner editionsphilologischer Sicht zweifellos unhaltbar. Seip hat die fehlenden Textabschnitte ergänzt.27 3.2.
Band II: Aandelig Tidsfordriv eller bibelske Vise-Bog und Katechismus-Sange
Dem biblischen Liederbuch (Geistlicher Zeitvertreib…) und den Katechismusliedern legte Erichsen die älteste zugängliche Ausgabe zugrunde.28 Ihm zufolge soll auch eine Ausgabe von 1714 existiert haben, die er aber nicht ausfindig gemacht hatte.29 Manuskriptversionen für diese beiden Werke waren ihm unbekannt; eine spätere, nichtautographe Abschrift der Katechismuslieder von 1698, also zu Lebzeiten des Verfassers entstanden, wurde vor einigen Jahren gefunden.30 Hätte man auf die orthografischen Änderungen verzichtet – Erichsen verweist hier auf die Darlegung der Editionsprinzipien in Band I –, wäre die Präsentation der beiden Werke in Band II diplomatisch erfolgt. ____________ 24 25 26 27 28
29
30
Dass 1874–1877, S. 268. Dass 1874–1877, S. 269. Dass 1874–1877, S. 269. Dass 1934, S. 18–28. Für Aandelig Tidsfordriv, die erste 1711 in Kopenhagen gedruckte Ausgabe, für die Katechismuslieder eine Ausgabe, die 1715 in Kopenhagen gedruckt wurde (die von Erichsen nicht angegeben Druckorte der Ausgaben wurden von mir nach Ehrencron-Müller 1925, S. 330 eingesetzt). Es ist unklar, auf welches „Literatur-Lexicon“ Erichsen in diesem Zusammenhang verweist; Dass 1891, S. 133 spezifiziert jedoch, Erichsen habe Nyerup und Kraft 1818 gemeint, auf das er auch in Band III (Dass 1877, S. 407) verweist. 1892 erfährt Erichsen, dass die Ausgabe von 1714 bereits bei Worm 1777 auf S. 247 Erwähnung findet, meint jedoch, dieser habe das Jahr der Druckgenehmigung, 1714, in der Ausgabe von 1715 missverstanden. Dieser Auffassung ist auch Ehrencron-Müller 1925, S. 330. Haarberg 2003, S. 22–28.
352 3.3.
Hanne Lauvstad
Band III: Trende bibelske Bøger und Evangelie-Sange
Erichsen hatte lediglich ein Exemplar der ersten Druckausgabe der Trende bibelske Bøger (Kopenhagen 1723) ermittelt. Von den drei ihm bekannten Manuskripten fand er zwei, die aus Nordland stammten. Das eine der beiden im Besitz der damaligen Universitätsbibliothek (jetzt Nationalbibliothek, Abteilung Oslo) befindliche Manuskript datiert Erichsen auf 1704, also zu Lebzeiten des Verfassers, und merkt an, es stamme aus Alstahaug, wo es im Besitz von Verwandten des Verfassers gewesen sei.31 Aus diesem Grunde misst Erichsen diesem Manuskript nahezu die gleiche Bedeutung zu wie einem autorisierten Manuskript. Wie auch an anderer Stelle vermerkt der Editor nicht explizit den gewählten Grundtext. Die Emendationen nach dem Manuskript von 1704, die im Variantenapparat wiedergegeben sind, deuten darauf hin, dass vornehmlich die Erstausgabe den Grundtext bildete. In seinem textkritischen Kommentar zu den Evangelie-Sange äußert Erichsen, der Ausgabe sei ein Manuskript von 1700 zugrunde gelegt worden, dieses bilde also den Grundtext; da jedoch der Variantenapparat seinen Ausgangspunkt in der ältesten Druckausgabe von 1723 hat und Lesarten aus besagtem Manuskript einschließt, wirkt auch dieser Text eklektisch. Seip hingegen basiert seine Ausgabe auf dem Manuskript; sie ist nicht eklektisch. Er verweist ferner auf den Umstand, er und Erichsen hätten verschiedene 1723 in Kopenhagen gedruckte Ausgaben verwendet. Darüber hinaus war Seip, anders als Erichsen, eine undatierte Ausgabe bekannt, die er ebenfalls auf das Jahr 1723 datierte; Pettersen32 und Ehrencron-Müller33 datierten diese Ausgabe indessen auf das Jahr 1722. Erichsens Kommentare stehen als Fußnoten im laufenden Text der Ausgabe. Er gibt sowohl Wort- als auch Sachkommentare, die den Text auf eine nüchterne lexikalische Art in seinem historischen Kontext platzieren. Dass Erichsen der Autorintention große Bedeutung beimaß, zeigt sich einmal mehr in seiner Edition der Katechismuslieder, die ihm zufolge von Petter Dass selbst verfasste Kommentare aus der Druckausgabe von 1715 einbezieht, wohingegen er die seiner Auffassung nach auf den Verleger zurückgehenden Wortkommentare auslässt. In seiner Ausgabe von Nordlands Trompet bringt Erichsen zusätzlich zu seinen eigenen Kommentaren auch diejenigen von Christian Albert Dass aus der Kopenhagener Ausgabe von 1763 (c). Durch die Markierung mit den Initialien „A. D.“ werden sie von den Kommentaren Erichsens deutlich unterschieden. ____________ 31 32 33
Erichsen 1877, S. 407. Pettersen 1972 [1899–1908], S. 390. Ehrencron-Müller 1925, S. 331.
353
Ein norwegischer Pionier
4.
Zusammenfassung
Andreas Emil Erichsen war somit in Norwegen der erste, der die gesamte literarische Produktion eines Verfassers nach textkritischen Prinzipien herausgab. So wurde er zu einem Pionier in der norwegischen neusprachlichen Editionsphilologie. Zugleich trug seine Ausgabe Petter Dass’s Samlede Skrifter dazu bei, dessen Position im norwegischen literarischen Bewusstsein zu stärken und dem gesamten Werk des Dichters einen Platz im norwegischen literarischen Kanon zu sichern. Als Editor war Erichsen ein Kind seiner Zeit. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, einen Archetyp zu restituieren, der die ursprüngliche Autorintention widerspiegelte. Handschriftenrezension nach der stemmatischen Methode und Emendationen wie Konjekturen waren wichtige Hilfsmittel. Selbst wenn Erichsens editionsphilologische Prinzipien heute in weiten Teilen überholt sind und seine Vorgehensweise aus moderner wissenschaftlicher Sicht kritisiert werden kann, bleiben sein Fleiß und die Gründlichkeit in der Arbeit mit dem Material beeindruckend – nicht zuletzt angesichts der praktischen Voraussetzungen, unter denen er seine Pionierarbeit mit einem besonders herausfordernden neusprachlichen editionsphilologischen Material leistete. Denn die DassAusgaben sind aufgrund der Textsituation – Überlieferung durch gedruckte Ausgaben – zur neusprachlichen Editionsphilologie zu rechnen, auch wenn eine parallele Überlieferungstradition durch Abschriften auf die Textsituation für klassische Literatur und Mittelaltertexte zurückverweist. Erichsens Ausgabe ist nach wie vor ein Pionierwerk in der norwegischen neusprachlichen Editionsphilologie und darüber hinaus eine der äußerst seltenen textkritischen Werkausgaben Norwegens. Zu bedenken ist außerdem der Umstand, dass, auch wenn Seip in der Folge neue textkritische Editionen von Nordlands Trompet, Viser og Rim (abzüglich der lateinischen Gelegenheitsdichtungen) und Evangelie-Sange edieren sollte, der übrige Teil der literarischen Produktion Petter Dass’ bis heute nur in der textkritischen Ausgabe Andreas Emil Erichsens vorliegt.34 Aus dem Norwegischen von Charlotte Oldani
____________ 34
Eine textkritische Ausgabe der Katechismuslieder erarbeitet derzeit Jon Haarberg.
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Hanne Lauvstad
Abstract Andreas Emil Erichsen’s edition of Petter Dass’s Collected Writings (Petter Dass’s Samlede Skrifter, published 1874–1877) was the first Norwegian scholarly edition undertaken along modern lines. The edition was based on Lachmannian principles. Erichsen’s goal was to reconstitute the text as closely as possible to the author’s intentions with assistance from a recension of textual witnesses. Erichsen used both manuscripts and printed editions as sources for his work. When establishing the text, Erichsen applied emendation as well as conjecture. The sources for the works included in Erichsen’s edition varied enormously, meaning that there was a corresponding variation in the methods he used to establish his critical text. In some cases Erichsen based his work on the Leithandschrift principle, while in other cases the texts were contaminated. Although Erichsen’s critical methods are now outdated, his edition of Petter Dass’s complete literary works – an extraordinarily demanding task given the available source material – was a pioneering achievement in modern Norwegian editorial philology. The edition has also contributed to strengthening Petter Dass’s position in the Norwegian literary canon, and as such is also of great significance in the context of literary history.
Literaturverzeichnis Ungedruckte Literatur Nasjonalbiblioteket, Oslo, 1084 fol. Det kongelige Bibliotek, Kopenhagen, Ny kgl. Saml. 4o 822d.
Editionen a = Dass, Petter: Nordlands: Beskrivelse/: Som er: Helgelands/ Saltens/ Lofodens: Westeraalens/ Senniens og Tromsens Fogderier/ med dets Beliggende/ oc hvorudi enhvers Næring og Brug bestaar.: saa og: Hvad slags Fugle i Luften og svemmende Dyr i Havet sig der opholder.: Samt om dets: Horizont/ Elementer og Veyrlig/: item: Om Finderne og Lapperne.: Forfattet af: Hr: Peder Dass: Sogne-Præst til Alstahaug i Helgelands Fogderie. [„Trykt og tilkiøbs i Kongl: Majests privil: Bogtryckerie i Bergen 1739.“] Bergen 1739. [Faksimile-Ausgaben 1958 („Faksimila topographica: Vol. X“) und 1997 (hrsg. von Universitetsbiblioteket i Oslo, Petter Dassmuseet på Alstahaug, Petter Dass-foreningen und Petter Dass-dagene 1997).] b = Dass, Petter: Nordlands Trompet: Forfattet: af: Herr PEDER DASS: Sogne-Præst til Alstahaug: Udi: Nordlandene. Kopenhagen 1739. [„Til Trøkken befodret Af Friderich Jacobsen Bruun, Kongl. Majests. priviligerde Boghandler og Bogbinder udi Christiania, og findes hos hannem tilkiøbs.“] c = Dass, Petter: Beskrivelse: over: Nordlands Amt: i: Tronhiems Stift: Først udgivet under Titel: Nordlands Trompet,: i Vers forfattet: af: Peter Dass,: Fordum Sogne-Præst til Alstahoug Menigheder i Nordlandene./ Oplagt paa nye,:/og med Anmerkninger: oplyset og forøget: af: Albert Christian Dass. [„Trykt og bekostet af Andreas Hartvig Godiche, som første Forlegger, og findes hos hannem tilkiøbs.“] Kopenhagen 1763.
Ein norwegischer Pionier
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Dass, Petter: Samlede Skrifter. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. 3 Bde. Kristiania 1874–1877. Dass, Petter: Dassiana. Viser og Rim, med nye Oplysninger om hans Levnet og Skrifter. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Kristiania 1891. Dass, Petter: Nordlands Trompet eller Beskrivelse over Nordlands Amt. Med illustrationer af Th. Holmboe. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Kristiania 1892. Dass, Petter: Nordlands Trompet eller beskrivelse over Nordlands. Med illustrationer af Th. Holmboe. Volksausgabe. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Kristiania 1907. Dass, Petter: Nordlands Trompet. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1927. [1. Ausg.] Dass, Petter: Viser og Rim. Første Samling. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1934. Dass, Petter: Nordlands Trompet. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1947. [2. Ausg.] Dass, Petter: Viser og rim. Annen samling. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1950. Dass, Petter: Nordlands Trompet. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1958. [3. Ausg.] Dass, Petter: Alle Evangelia Sangviis forfattet. Under sine føjelige Toner. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1960. Dass, Petter: Nordlands Trompet. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1974 [1958]. [„Femte utgave“, eigentlich Nachdruck der 3. Ausg.]
Sonstige Literatur Ehrencron-Müller, H.: Forfatterlexicon. Omfattende Danmark, Norge og Island indtil 1814. Bd. II (Br–E). Kopenhagen 1925. Erichsen, Andreas Emil: Textkritiske Anmerkninger. In: Petter Dass’s Samlede Skrifter. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Bd. 1. Kristiania 1874, S. 347–382. Erichsen, Andreas Emil: Textkritiske Anmerkninger. In: Petter Dass’s Samlede Skrifter. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Bd. 3. Kristiania 1877, S. 407–412. Erichsen, Andreas Emil: Om Textens Behandling. In: Petter Dass’s Nordlands Trompet eller Beskrivelse over Nordlands Amt. Med illustrationer af Th. Holmboe. Hrsg. von Andreas Emil Erichsen. Kristiania 1892, S. 228–232. Haarberg, Jon: „Jeg fant dem der jeg minst ventet det.“ Petter Dass’ Catechismus-Sange i Drammen. In: Bøygen 1, 2003, S. 22–28. Lauvstad, Hanne: Tekstvalgets implikasjoner – belyst med eksempler fra Nordlands Trompet. In: Edda 3, 2003, S. 224–235. Lauvstad, Hanne: Helicons Bierge og Helgelands schiær. Nordlands Trompets tekst, repertoar og retorikk. Oslo 2006. Nyerup, R. und J. E. Kraft: Almindeligt Litteraturlexicon for Danmark, Norge, og Island. Kopenhagen 1818. Pettersen, Hjalmar: Bibliotheca Norvegica. Bd. I (Norsk boglexicon 1643–1813. Beskrivende katalog over bøger trykt i Norge i tidsrummet fra bogtrykkerkunstens indførelse til adskillelsen fra Danmark). Kopenhagen 1972. [Fotografischer Nachdruck der 1. Ausg., Christiania 1908.] Seip, Didrik Arup: Om teksten. In: Petter Dass: Viser og Rim. Første Samling. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1934. Seip, Didrik Arup: Om teksten. In: Petter Dass: Nordlands Trompet. Hrsg. von Didrik Arup Seip. Oslo 1974 [1958]. [„Femte utgave“, eigentlich Nachdruck der 3. Ausg.] Worm, Jens: Forsøg til et Lexicon over danske, norske og islandske lærde Mænd, som ved trykte Skrifter have giort sig bekiendte, saavelsom andre Ustuderede, som noget have skrevet […]. Bd. 1. Helsingøer 1777.
Finn Gredal Jensen
Henrik Ibsens Schriften Die norwegische Neuausgabe von Ibsens Gesamtwerk1
Die neue historisch-kritische, kommentierte Edition Henrik Ibsens Schriften (Henrik Ibsens skrifter), im Folgenden abgekürzt HIS, erscheint seit 2005 und umfasst 16 Doppelbände mit Texten, Einleitungen und Kommentaren sowie einen Band Richtlinien, insgesamt 33 Bände.2 Eine internetbasierte digitale Version wird darüber hinaus Transkriptionen sämtlicher Manuskripte und Drucke zu Ibsens Lebzeiten sowie eine Reihe weiterer Hilfsmittel, darunter Faksimile-Wiedergaben, enthalten.3 HIS ist die bis jetzt gründlichste wissenschaftliche Ausgabe des Gesamtwerks Ibsens inklusive seiner Briefe, Artikel und Reden und damit unabdingbares Standard- und Referenzwerk für die gegenwärtige und zukünftige Ibsen-Forschung. Dies vorangestellt, möchte ich im Folgenden anhand einiger Aspekte problematisieren, dass HIS, wie Hans Walter Gabler in einer norwegischen Rezension der Ausgabe formuliert, „sich so gründlich als Monument eines Autors etabliert, der selbst als Monument über dem literarischen und kulturellen Erbe seines Landes steht.“4 Ohne Zweifel ist diese Aussage eine unbestreitbare Tatsache, doch lässt sich von hier aus nicht notwendigerweise auf die Edition als ein ‚monumentum aere perennius‘ schließen.
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Dieser Beitrag, fertiggestellt im Februar 2008, wurde nach Abschluss der Buchausgabe von HIS und der Veröffentlichung der textkritischen Richtlinien im Januar 2011 leicht umgearbeitet. Am 12. 1. 2006 wurden die ersten vier Bände veröffentlicht: Bd. 1 und 1K mit den frühesten vier Dramen und dazugehörigem Einleitungs- und Kommentarband sowie Bd. 12 und 12K mit Ibsens frühesten Briefen. Zuvor war bereits im Jahr 2000 ein Probeband mit Catilina nach Ibsens Handschrift vom Winter 1848/49 (NBO, Ms. 4° 936) erschienen. Seit Anfang 2011 liegen sämtliche Bände der Buchausgabe vor. Ein Prototyp der Online-Ausgabe HISe war seit Januar 2011 unter http://gandalf.aksis.uib.no /HISe/arkiv/index.html zugänglich. Er enthielt die Gedichte sowie die Dramen Nora oder Ein Puppenheim, Gespenster und Ein Volksfeind. Die Beta-Version wurde zum Osloer Universitätsjubiläum im September 2011 fertiggestellt (www.ibsen.uio.no/forside.xhtml). Bis Ende 2012 soll das komplette Material zugänglich gemacht sein. Gabler 2007, S. 351. Im englisch geschriebenen Original veröffentlicht als: Henrik Ibsens Skrifter in Progress. In: Editionen in der Kritik 3, 2009, S. 292–311, und gleichfalls zugänglich über http://lmu-munich.academia.edu/HansWalterGabler.
358
1.
Finn Gredal Jensen
Frühere Ausgaben der gesammelten Werke Ibsens
Als Standardausgabe löst HIS die sogenannte Säkularedition (Hundreårsutgave) ab, im Folgenden abgekürzt HU, die, ediert von Francis Bull, Halvdan Koht und Didrik Arup Seip, in den Jahren 1928–1957 in 21 Bänden erschien. Mit dieser Ausgabe, deren Publikation 100 Jahre nach Ibsens Geburt ihren Anfang nahm, lag erstmals eine wissenschaftliche, historisch-kritische Ausgabe der Werke Ibsens vor. Gewählte Textgrundlage der HU ist nicht zwingend der Erstdruck, sondern was man im jeweiligen Einzelfall für den zur Repräsentation des Werkes am besten geeigneten Textzeugen angesehen hat. Ein Vergleich der neuen Ausgabe HIS, ihrer Ziele und Mittel, mit der HU ist geboten und wird im Folgenden anhand einiger Beispiele durchgeführt. Da aus Platzgründen hier keine detaillierte Behandlung der fünf in der Originalsprache vor der HU erschienenen Ausgaben der gesammelten Werke Ibsens möglich ist, soll der Blick in diesem Abschnitt auf die erste Ausgabe des Gesamtwerks gerichtet werden, die insofern von Interesse ist, als sie von Ibsen autorisiert wurde und die den Ausgangspunkt für die folgenden vier Editionen vor der HU bildet.5 Das Verhältnis zwischen HU und HIS werde ich, wie bereits angemerkt, fortlaufend in den folgenden Abschnitten behandeln. Zu Henrik Ibsens Lebzeiten (1828–1906) waren seine Werke lediglich einzeln erschienen, bis zur ersten Sammelausgabe Gesammelte Werke (Samlede verker), in 10 Bänden zwischen 1898 und 1902 in Ibsens bevorzugtem Verlag Gyldendal in Kopenhagen veröffentlicht.6 Diese Ausgabe, gewöhnlich „Volksausgabe“ (Folkeudgaven) genannt und zeitgleich mit ähnlichen Ausgaben der anderen drei großen norwegischen Autoren Bjørnson, Lie und Kielland erschienen, ist seither unkritisch viele Male und in unterschiedlicher Gestalt nachgedruckt worden, bis hin zu den heutigen auf ihr gründenden Taschenbuchausgaben der Dramen Ibsens. Die Ausgabe besitzt ursprünglich zwar den Vorteil, dass sie gleichsam durch Ibsen selbst autorisiert und insofern als die am ehesten die abschließende Intention des Autors mit seinem Werk repräsentierende angesehen werden kann; doch ist sogleich hinzuzufügen, dass Ibsen selbst sich anscheinend wenig mit dieser Ausgabe befasst hat, wenn er auch ____________ 5
6
Für einen kurzen Überblick über die Ausgaben vor der HU und ihre Editionsrichtlinien siehe z. B. D. A. Seips Erläuterungen in der HU, Bd. 1, S. 9–15. Die Briefe Ibsens wurden erstmals 1904 von Halvdan Koht und Julius Elias in 2 Bänden herausgegeben. Ibsens Verleger seit Brand (1866) war Gyldendal in Kopenhagen. Zeitgleich mit dieser Sammelausgabe brachten Julius Elias und Paul Schlenther Ibsens Sämtliche Werke in deutscher Sprache heraus; diese Ausgabe erschien in 9 Bänden 1898–1903 in Berlin und war ebenfalls von Ibsen selbst ‚autorisiert‘. Dazu kam 1904 ein 10. Band mit Briefen, entsprechend der o. g. norwegischen Ausgabe Kohts und Elias’.
Henrik Ibsens Schriften
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verschiedene Wünsche hinsichtlich ihrer Einrichtung äußerte.7 Als wissenschaftliche Ausgabe kann die „Volksausgabe“ nicht bezeichnet werden; dazu mangelt es ihr naturgemäß an textkritischem Bewusstsein wie an Editionsprinzipien, selbstredend vor allem dort, wo solche Prinzipien, wie im Falle von HIS, auf rezeptions- und wirkungsgeschichtlichen Aspekten gründen; hier befindet sich der Autor sozusagen auf der falschen Seite des Schnittpunkts, selbst wenn er noch so sehr der größte Kritiker seines eigenen Werkes ist. Der norwegische Verlag Kagge, der die „Volksausgabe“ im Taschenbuch herausgibt, zitiert die Projektleiterin von HIS, Vigdis Ystad, mit einer Aussage gegenüber der norwegischen Tageszeitung Aftenposten, in der sie der „Volksausgabe“ folgendes positives Zeugnis ausstellt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dies der sicherste Text. Es ist die endgültige Version des Autors, die er selbst autorisiert hat.“8 Es hat dem betreffenden Verlag womöglich ein stilles Vergnügen verschafft, dass diese Bevorzugung der Autorintention vor der ‚historischen Authentizität‘ im genauen Gegensatz zu der erklärten theoretischen Grundlage von HIS steht.
2.
Organisation des Projekts und Inhalt der Ausgabe HIS
In verschiedenen öffentlichen Zusammenhängen ist HIS als ‚Schwesterprojekt‘ der dänischen Kierkegaard-Edition (Søren Kierkegaards Schriften, SKS) charakterisiert worden.9 Worin liegt dies begründet? Wie sich im Folgenden zeigen wird, bestehen zwischen den beiden Ausgaben bedeutende Gemeinsamkeiten. Eine Deckung besteht zudem auf personaler Ebene insofern, als einer der Editoren der SKS, Johnny Kondrup, Mitglied der HIS-Leitung und in Planung und Durchführung der Edition involviert war. Ein Editionsprojekt von solch beträchtlichen Ausmaßen, das größte der norwegischen Editionsgeschichte, erfordert naturgemäß eine detaillierte praktische Organisation und Spezialisie____________ 7
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Laut D. A. Seip, HU, Bd. 1, S. 10, war es Ibsens Entscheidung, mit der chronologischen Reihenfolge zu brechen, indem die beiden Jugendwerke Kjæmpehøien und Olaf Liljekrans, die er gründlich zu überarbeiten wünschte, nicht an chronologisch stimmiger Stelle, sondern in einem 10., abschließenden Supplementband gebracht wurden. Der Band, erschienen 1902, enthielt außerdem Wenn wir Toten erwachen (1899) sowie einige Artikel, Reden und Jugenddichtungen. Diese Aussage ist abgedruckt auf der Umschlagrückseite der 2005 erstmals publizierten Taschenbücher. Sie erscheint außerdem auf den Internetseiten des Kagge Verlags (www.kagge.no). Die „Volksausgabe“ wird hier als „Jubiläumsausgabe“ bezeichnet, doch ist angeblich von der Ausgabe 1898–1902 die Rede. Hier heißt es: „dieses Jubiläumswerk ist die einzige vorliegende Ausgabe, die die Texte so wiedergibt, wie Ibsen es wollte.“ Schriftlich zum Ausdruck gebracht worden ist dies auch durch den leitenden Philologen der Ausgabe; siehe Janss 2006, S. 284.
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rung. HIS war bis 2009 geprägt durch eine stark hierarchische Struktur. Der Direktion (styre) untergeordnet waren die Editoren mit der Projektleiterin, Vigdis Ystad, an der Spitze. Noch folgten, unter Leitung des Mitglieds des Herausgebergremiums, Christian Janss, die allgemeinen Mitarbeiter, nach Kompetenz und Zuständigkeit unterteilt in verschiedene Kategorien: zunächst philologische Assistenten, gemeinsam mit dem leitenden Philologen zur Emendation der Texte befugt; sodann wissenschaftliche Mitarbeiter mit den Aufgaben ‚Kollation‘ (worunter man in der Edition die Transkription und Kontrolle der Texte im Hinblick auf die Auffindung von Varianten versteht) sowie Textkodierung im XML-Format nach internationalem Standard (TEI); diesen Letztgenannten waren Forschungsassistenten beigeordnet. Hinzu kamen datentechnische Mitarbeiter u. a. Der Ausgabe ist außerdem ein großes Kollegium externer Mitarbeiter bzw. Sachverständiger – norwegische sowie einzelne dänische Kommentatoren mit Expertise in zahlreichen unterschiedlichen Fachgebieten – beigeordnet. Sie stehen für sehr gründliche, ‚nicht-interpretative‘ Wort- und Sachkommentare – vielleicht, so könnte man meinen, zu gründlicher Art und mit einer zu dichten Lemmatisierung; so scheint etwa im Falle Catilina der Ausgangspunkt einer tabula rasa nahezukommen. Kulturpessimismus ist hier jedoch nicht angebracht, da die Edition im weitesten Sinne und auf zahlreichen Ebenen für moderne Leser angelegt ist (im Gegensatz zur HU, die keine Kommentare enthielt und die zudem Exklusivcharakter insofern besaß, als sie ursprünglich in lediglich 850 nummerierten Exemplaren erschien; 1999 erfolgte indessen ein faksimilierter Nachdruck). Entsprechend breit angelegt sind daher die Kommentare in HIS, die im Übrigen auch weitere Spezialinteressen ansprechen, wovon etwa die umfassenden metrischen Analysen zeugen. Qualitativ ist keine besondere Ungleichmäßigkeit hinsichtlich der einzelnen Kommentatoren spürbar, deren Leistung im Übrigen – wie diejenige aller Mitarbeiter – mehr als vielleicht nötig anonymisiert ist; um ihre am Schluss der Bände in Kapitälchen der kleinsten Petit (und noch demütiger in Bd. 12K mit einer Buchstabenhöhe von ca. 1 mm) aufgelisteten Namen zu erfahren, ist eine Lupe erforderlich. Über die Lemmakommentare hinaus finden sich informative, gut geschriebene und illustrierte Einleitungen, die Hintergrund, Entstehung, Veröffentlichung, Aufführung und Rezeption darlegen. Daran anschließend folgen textkritische Erläuterungen einschließlich einwandfreier bibliografischer Darstellungen und Manuskriptbeschreibungen.10 Naturgemäß erfordern die Briefe eine umfang____________ 10
Den Großteil der Einleitungen verfasste Vigdis Ystad, Christian Janss verfasste die meisten textkritischen Erläuterungen, Tone Modalsli (Leiterin der Handschriftenabteilung der Nationalbibliothek Oslo) erstellte die Manuskriptbeschreibungen; die Erläuterungen zur Metrik
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reichere Kommentierung; hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Lösung mittels umfassender biografischer Personenregister sowie einer Zeittafel, sodass die Orientierung in Ibsens Leben leichtfällt. Begonnen wurde das Projekt HIS 1998. Die Ausgabe wird finanziert vom Norwegischen Forschungsrat (Norges forskningsråd) mit Unterstützung u. a. seitens der Universitäten des Landes und der Nationalbibliothek (Nasjonalbiblioteket). Wie erwähnt, erschienen die ersten Bände Ende 2005; Ende 2010 lag die Buchausgabe vollständig vor. Die Dramen werden überwiegend in chronologischer Reihenfolge in den Bänden 1–10 publiziert, mehrmals allerdings so, dass verschiedene Fassungen desselben Stücks unmittelbar aufeinander folgen. Dies gilt für solche Fälle, in denen die Varianz zwischen einer ersten und einer späteren Fassung so groß ist, dass man vernünftigerweise auf einen größeren ‚Variantenfriedhof‘ verzichtet und sich entschieden hat, beide Werke in extenso zu edieren.11 Hier ist zu hoffen, dass die künftige digitale Ausgabe bessere Möglichkeiten zur synoptischen oder parallelen Lektüre beider Versionen nebeneinander bringt. Von besonderem Interesse ist die Behandlung manuskriptbasierter Texte, darunter der Epische Brand (Episk Brand), auf den ich weiter unten zurückkommen werde. Band 11 umfasst die Gedichte, Bd. 12–15 die Briefe, Bd. 16 Artikel, Reden und Varia und schließlich Bd. 17 die Richtlinien der Ausgabe. Das Resultat, wie es in den Buchbänden vorliegt, ist ästhetisch gelungen: Es handelt sich um, wenn auch zu große und unhandliche, so doch sehr schöne Bücher mit gutem Layout. Am umfangreichsten ist der Kommentarband 14K mit 928 Seiten, dessen Buchrücken knickt bzw. sich biegt; dieser Band hätte zweigeteilt werden sollen. Man hat gut daran getan, den Versuch zu unterlassen, die Typografie der ursprünglichen Titelblätter nachzubilden (Faksimiles der Titelblätter werden in den Kommentarbänden gebracht; in der HU waren sie den Werken vorangestellt); stattdessen dokumentiert man ihren Text als Zeilen von Versalien gleicher Größe, zuweilen ohne dem ursprünglichen Zeilenfall zu folgen. Ebenso hat man, offenbar aus ästhetischen Gründen, überall in den Texten die Punkte nach Überschriften entfernt,12 in einigen Fällen auch Trennstriche; die Typografie wurde außerdem bei Sprecherangaben, __________
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stammen von Stine Brenna Taugbøl. Für die Briefbände zeichnet ein eigener Hauptherausgeber, Narve Fulsås, verantwortlich. Dies gilt für mehrere der frühen Werke der 1850er Jahre, etwa das Erstlingsdrama Catilina, erschienen 1850 sowie in stark überarbeiteter Version im Uraufführungsjahr 1875. Die Orthografie der neuen Version weicht darüber hinaus stark von der früheren ab; zurückzuführen ist dies auf Ibsens Übernahme der Empfehlungen der nordischen Rechtschreibkonferenz in Stockholm 25.–30. Juli 1869. Zur Problematik in Bezug auf die frühen Werke siehe z. B. Ystad 1999. Auf andere Weise kommt jenes Missvergnügen hinsichtlich der Punkte auch in den Kommentaren der Ausgabe zum Ausdruck, wo mitunter ein abschließender Punkt entfällt, wenn der Kommentar recht kurz ist.
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Regieanweisungen und Ähnlichem standardisiert. Der seit Januar 2011 zugängliche Prototyp der Online-Ausgabe HISe vermittelt einen guten Eindruck dessen, was von ihr in ästhetischer Hinsicht zu erwarten steht (siehe www.ibsen.uio.no/forside.xhtml). Insgesamt ist die digitale Edition, ehe sie in vollem Umfang vorliegt und funktionsfähig ist, jedoch schwierig zu beurteilen; diese werde ich also unberücksichtigt lassen. Auf den Internetseiten der Ausgabe besteht Zugang zu den Kodierungsrichtlinien.13 Ihnen ist der bereits erwähnte Gebrauch des internationalen Standards TEI zu entnehmen wie auch der Umstand, dass man diesen in der DTD mit eigenen Elementen erweitert hat.
3.
Textgrundlage, Varianten und Textkritik
Es lässt sich fragen, ob eine straffe Struktur wie die oben skizzierte für die betreffende Arbeitsabfolge auch eine entsprechende Strenge in der Behandlung der Texte widerspiegelt: Welche Prinzipien liegen hier zugrunde? Ein wichtiger Kritikpunkt gegenüber dem Vorgänger HU war, dass diese Ausgabe im Gegensatz zu HIS keine Formulierung solcher Prinzipien beinhaltete.14 Doch in diesem Punkt ist der aktuelle Nutzer bislang zu kurz gekommen: Die textkritischen Richtlinien der Ausgabe wurden erst mit Abschluss der Buchausgabe veröffentlicht (im Übrigen eine vernünftige Entscheidung).15 Diese Richtlinien finden sich in HIS, Bd. 17, erschienen im Dezember 2010, und sind seit Januar 2011 auch im Prototyp der Online-Ausgabe HISe zugänglich (www.ibsen.uio.no/tekstkritiskeRetningslinjer.xhtml). Bis zu diesem Zeitpunkt war es lediglich möglich, sich auf indirektem Wege Kenntnis zu verschaffen, etwa im Versuch, hinter den in konkreten Fällen gewählten Lösungen ein mögliches spezielles System zu entdecken, und indem man zu andernorts auftretenden, allgemeinen Aussagen über derartige Fragen Stellung nahm. Auf den Internetseiten der Edition sind übersichtsartig einige „philologische Grundprinzipien“ dargelegt, denen u. a. zu entnehmen ist, dass HIS „auf einer editionsphilologischen Theorie gründet, die größeres Gewicht auf die Rezeptionsund Wirkungsgeschichte als auf die Autorintention legt. Ausgangspunkt für diese Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ist der Text in seiner ersten veröf____________ 13
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Siehe www.ibsen.uio.no/his/Kodepraksis/praksis.html [gesehen 19. 1. 2011]. Seit Januar 2011 sind die Kodierungsrichtlinien auch über den Prototypen der Online-Ausgabe HISe zugänglich. Bis 2009 stellten die Internetseiten des Projekts vorläufig als Kodierungsbeispiel einen Auszug aus Peer Gynt zur Verfügung. Siehe auch Bøe et al. 2004. So etwa Janss 2006, S. 278. Einige Grundsätze zur Emendation von Ibsens Briefen finden sich indessen in einem der ersten, im Januar 2006 erschienenen Bände der HIS, Bd. 12, S. 20–23.
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fentlichten Form. Daher wählt das Projekt den Erstdruck als Grundtext, und nicht beispielsweise die letzte revidierte Textfassung von der Hand des Autors.“16 Die Wahl des Erstdruckes als üblicher Grundtext der HIS wird demnach als auf einer bestimmten editionsphilologischen Theorie basierend erklärt. Christian Janss vertieft diese Aussage eindeutig in einem Artikel in der Zeitschrift editio: „Dieser Wahl liegt Herbert Krafts Theorie der ‚editio princeps‘ als Vertreter der geschichtlichen Authentizität des literarischen Textes zugrunde: ‚Das Erscheinungsdatum ist der Schnittpunkt von Produktion und Rezeption des Werkes.‘“17 In den textkritischen Richtlinien der Ausgabe liest man nun, ebenfalls unter Hinweis auf Kraft: „Die editionstheoretische Tradition, der HIS am nächsten steht, hat ihren Ursprung in Deutschland und ist rezeptionsgeschichtlich orientiert. Als Grundtext wurde der Erstdruck gewählt, der als repräsentativster Textzeuge betrachtet wird, da er am eindeutigsten sowohl von der Arbeit des Autors mit der Fertigstellung des Textes als auch von der Arbeit des Verlags und dessen Eingriffen sowie vom Zusammentreffen des Textes mit der Öffentlichkeit zeugt (siehe Kraft 2001, S. 34)“.18 Im Anschluss weist man die Verfasserintention als gültigen Bezugspunkt zurück. Die textkritischen Richtlinien für die ‚Schwesterausgabe‘ SKS vermerken entsprechende literatursoziologische Ausführungen Johnny Kondrups: „Entscheidend ist der Blick auf die historische Faktizität oder Authentizität des Textes. Der Erstdruck befindet sich am Schnittpunkt der Entstehungsgeschichte und der Rezeptionsgeschichte und konstituiert somit den Öffentlichkeitscharakter einer Schrift.“19 Gleichwohl werden solche Überlegungen in diesem Zusammenhang nicht unmittelbar Herbert Kraft zugeschrieben – dies wäre auch insofern falsch, als ebendiese Wahl des Erstdruckes und die Beweggründe für diese Wahl nicht seine ‚Theorie‘ darstellen.20 Beide Ausgaben orientieren sich also an Kraft – und HIS orientiert sich an der SKS, wie auch aus dem Einschub folgender Aussage im bereits oben zitierten Artikel von Christian Janss hervorgeht: „So stellt die Redaktion der SKS in ____________ 16 17 18 19
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Siehe www.ibsen.uio.no/tekstkritiskeRetningslinjer.xhtml. Janss 2004, S. 133, mit Hinweis auf Kraft 2001, S. 34; siehe auch Janss 2006, S. 279 f. HIS, Bd. 17, S. 23 (Pkt. 3.1). SKS, Bd. K1, S. 16 f. (Pkt. 1.1.1). Als triftiges Argument für das Primat des Erstdruckes wird außerdem angeführt, dass man möglichst „Mischtexte“ vermeiden möchte (Pkt. 1.1.2). Siehe auch die textkritischen Richtlinien der HIS, Pkt. 3.1. in fine, dem zufolge die HU, um den besten Text zu erhalten, in einigen Fällen mehrere Textzeugen kontaminiert hat und damit „einer früheren (angloamerikanischen) Editionstradition gefolgt ist. Gemäß neuerer deutscher Editionstheorie betrachtet HIS derartig kontaminierte Texte als ahistorisch (konstruiert).“ Kondrup 2003, S. 175, verweist demgegenüber auf Kraft 1990, S. 18–34 (vgl. Kraft 2001, S. 24–30). In einer Einleitung zur Ausgabe dankt die Redaktion der SKS im Übrigen generell Herbert Kraft für „konstruktive Kritik“ der textkritischen Richtlinien der Ausgabe; SKS, Bd. K1, S. 14.
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ihren – wegen Ähnlichkeiten des Materials (wie aufgrund fachlicher Zusammenarbeit) auch für die HIS maßgeblichen – textkritischen Richtlinien fest, dass auf einen konventionellen Variantenapparat verzichtet werden kann“.21 Die Rede ist hier von einer besseren Repräsentation der Varianten in digitalen Ausgaben. Doch das Problem ist allerdings, inwieweit tatsächlich derartige „Ähnlichkeiten des Materials“ vorliegen. Eine Aussage wie die folgende von Janss, die sich im Anschluss an sein Zitat der Kraft’schen Definition findet, würde ich zumindest als problematisch ansehen: „Der Zeitpunkt, an dem sich die Fertigstellung des Textes und sein erstes öffentliches Erscheinen überschneiden, markiert im Falle Ibsens den repräsentativsten Text in der Werkgeschichte“.22 Ist es nicht eher die Erstaufführung, die den besten Schnittpunkt im Verhältnis zur Rezeptionsgeschichte oder zu dem öffentlichen Erscheinen darstellt? Der theoretische Fokus auf den entscheidenden Öffentlichkeitscharakter des Erstdrucks ist irreführend bei einem überwiegend dramatischen Œuvre. Besondere Aufmerksamkeit verdienen solche Fälle, in denen eine Erstaufführung dem Erstdruck vorausgeht. Indessen finden in den Kommentarbänden sowohl die Rezeption als auch die verschiedenen theaterbezogenen Quellen zur Aufführungspraxis, wie Souffleur- und Rollenbücher, eingehende Erläuterung – bzw. insgesamt alle sogenannten ‚passiv autorisierten‘ Varianten, darunter Änderungen von Ibsens Korrektor August Larsen und Eingriffe seitens des Setzers. Dieses Material wird später digital zugänglich sein. Die Wahl des Textes ist literatursoziologisch begründet, und grundsätzlich ist ohne Bedeutung, ob Ibsen sogar selbst später etwa offenkundige Satzfehler korrigiert hat. Hier wird indessen der Variantenapparat seine Stärke zeigen. Wie erwähnt, macht man hinsichtlich der frühen Dramen – wenn spätere, stark abweichende Fassungen existieren – die Ausnahme, beide Texte abzudrucken. Somit ist die gesamte Varianz dokumentiert, wenn diese auch zugleich weniger sichtbar wird. Die Alternative wäre ein großer, kryptischer und vermutlich ‚negativer‘ oder selektiver Variantenapparat. In der HIS-Buchversion gibt man im kritischen Apparat lediglich die sogenannte Binnenvarianz wieder, mithin Varianten innerhalb der gleichen Textzeugen. Hinsichtlich der gedruckten Grundtexte handelt es sich dabei um Druckfehler oder um Änderungen, die während des Druckprozesses innerhalb einer Auflage vorgenommen wurden.23 Hinsichtlich der handschriftenbasierten Grundtexte handelt es sich um Entste-
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Janss 2004, S. 131. Janss 2004, S. 133. Dargelegt ist dies auch in den textkritischen Richtlinien von HIS, Pkt. 3.1. Vgl. Jørgensen 2000; Janss 2006, S. 280.
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hungsvarianten.24 Zu Einrichtung und Umfang des Variantenapparates der digitalen Ausgabe werde ich nicht Stellung nehmen, da diese noch nicht in vollem Umfang vorliegt.25 Fest steht jedoch, dass sie auch sämtliche Überlieferungsvarianten zu Ibsens Lebzeiten dokumentieren, mithin die Varianz späterer Ausgaben und nicht zuletzt alle Manuskripte, die Ibsen selbst zufolge „sehr wichtige Dinge“ oder sogar „das Wichtigste von allem“ waren.26 Im Apparat der Buchausgabe werden am Fuß der Seite auch die vorgenommenen Textberichtigungen mitgeteilt. Der Respekt vor der Materialität des Erstdrucks fordert hier eine entsprechende Zurückhaltung; Ziel ist, wie auf der Internetseite der Ausgabe formuliert, „ein vorsichtig korrigierter Text“, und gemäß den textkritischen Richtlinien, Pkt. 3.1, sind „die Eingriffe von HIS in den Text gering“.27 Hinsichtlich des Verständnisses dessen, was ein Textfehler sei, ist die Referenz folgende: „HIS versteht den Textfehler so wie Johnny Kondrup“.28 In den Richtlinien für die SKS ist allgemein festgelegt: „Unter einem Textfehler wird eine Entstellung des Textes verstanden, die der Autor nicht selbst gewünscht hat“.29 Diese Definition übernimmt HIS unter Hinweis auf Winfried Woesler und SKS in den Richtlinien, Pkt. 7.3, und schließt sich der Auffassung an, Textfehler schlössen nicht die „Gewohnheiten von zeitgenössischen Schreibern, Lektoren, Druckern, die den Sinn nicht tangieren und die der Autor mehr oder minder freiwillig akzeptierte“, ein.30 Die daraus resultierende Frage ist somit, inwieweit ein Fehler korrigiert werden soll. Christian Janss hat zu einem früheren Zeitpunkt bündig die Grundprinzipien für HIS formuliert: „Der Haupttext wird nach relativ strengen Regeln emendiert, d. h. berichtigt; kurz gesagt muss ein Fehler bedeutungsverändernd und eindeutig zu korrigieren sein, ehe er emendiert wird.“31 Der gleiche Begriff der ‚Eindeutig____________ 24
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Verwendet wird hier eine leicht von der SKS abweichende Nomenklatur; die Unterscheidung von Sofortkorrektur, Spätkorrektur und genetisch nicht bestimmbaren Varianten ist jedoch die gleiche. Einen Eindruck dessen, was zu erwarten ist, gibt z. B. Janss 2004, sowie der Prototyp der digitalen Ausgabe (www.ibsen.uio.no/forside.xhtml). Zur Einrichtung des Variantenapparats wird im Übrigen auf die textkritischen Richtlinien von HIS, Pkt. 8 verwiesen. So laut Koht in Efterladte skrifter, Bd. 1, 1909, S. V f.; vgl. Janss 2006, S. 279, der diese Position mit der französischen Schule der critique génétique vergleicht. Auf der Homepage der Edition ist zu lesen: „Die gedruckte Ausgabe wird generiert aus der elektronischen; sie präsentiert ausschließlich edierten Text mit Variantenapparat. (Bei ediertem Text oder Haupttext handelt es sich um einen kritisch überarbeiteten und vorsichtig korrigierten Text.)“ Janss 2004, S. 136, Anm. 40, verweist auf Kondrup 2003; siehe jedoch eher Kondrup 1997. SKS, Bd. K1, S. 20 (Pkt. 2.2; Kondrup 1996, S. 460). Woesler 1991, S. 56. Janss 2006, S. 281, mit einer Anmerkung, die u. a. auf Kondrup 2003 verweist. Laut HIS, Bd. 12, S. 21, gilt für die Briefe: „Berichtigungen von Textfehlern werden gemäß der HISDefinition von Textfehlern für gedruckte Schriften vorgenommen (d. h. dort, wo das zentrale
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keit‘ findet sich, kaum überraschend, in den textkritischen Richtlinien der SKS.32 In den Richtlinien von HIS, Pkt. 7.3, heißt es: „Voraussetzung für die Berichtigung eines Textfehlers in HIS ist, dass dieser eindeutig berichtigt werden kann. Besteht die Möglichkeit, einen Fehler auf unterschiedliche Weise zu berichtigen, wird dieser nicht im Text korrigiert.“ Wie ausgeführt, gilt darüber hinaus das Prinzip, dem zufolge – in den Richtlinien unter Verweis auf Siegfried Scheibe und Hans Zeller – ein Textfehler „in seinem Zusammenhang bedeutungsverändernd“ sein muss. In der SKS manifestieren Konjekturvorschläge sich in der Formel „A] vielleicht fehlerhaft für B“ (dänisch: „måske fejl for“). Doch ist dieser Anmerkungstyp selten; häufiger erscheint er in HIS (norwegisch: „kanskje feil for“). Als Beispiel lassen sich einige Stellen aus Catilina (1850) anführen. Hier finden sich textkritische Anmerkungen zu metrisch besseren Formulierungen, ferner zur alternativen Lösung, die möglichen Textfehler oder Lücken beim Metrum mit Varianten des sogenannten Arbeitsmanuskripts zu reparieren; dennoch behält man den Text, unter Hinweis auf dessen zahlreiche metrische Unregelmäßigkeiten, bei.33 Wo in den IbsenQuellen eine bedeutungsgebende Alternative fehlt, markiert man die Textberichtigungen mit der Sigle ‚HIS‘; diese gelten als Konjekturen, mitunter auch dort, wo die betreffende Lesart in eine frühere Ausgabe, etwa die HU, schon Eingang gefunden hat. Da das gesamte existierende Material noch nicht in vollem Umfang digital zugänglich ist, bleibt eine Beurteilung dessen, was hier berichtigt wird, hätte berichtigt werden können oder sollen, schwierig; hier werde ich also nicht ins Detail gehen. Generell scheint das textkritische Urteil vernünftig. Schreibfehler werden, wo sie bedeutungsverändernd sind, selbstverständlich berichtigt, etwa „Kraf > Kraft“.34 In einigen Fällen mögen die Eingriffe überraschen; dies gilt insbesondere für Rechtschreibfehler, die die Lektüre nicht erschweren, z. B. „Colegium > Collegium“.35 Ein Teil der Berichtigungen besteht in der Regulierung der Interpunktion, auch in Fällen, wo dies unnötig erscheint. Ein positiver Unterschied zur dänischen SKS besteht darin, dass man in den text__________
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Kriterium der eindeutigen Berichtigungsmöglichkeit gegeben ist), jedoch mit größerer Vorsicht, da der Grundtext der Briefe üblicherweise eine Handschrift ist.“ SKS, Bd. K1, S. 28 (Pkt. 2.6.5; Kondrup 1996, S. 469). Allgemein gelten folgende Richtlinien: „Die Behandlung des Grundtextes ist konservativ; dem Text wird ein hoher Grad von hermeneutischem Vertrauen entgegengebracht, und es wird nur ungern berichtigt.“ SKS, Bd. K1, S. 19 (Pkt. 2.1; Kondrup 1996, S. 460). HIS, Bd. 1, S. 19, 20, 38, 44, 46, usw.; vgl. Bd. 1K, S. 57. HIS, Bd. 12, S. 88, Z. 29. HIS, Bd. 12, S. 43, Z. 8. Der betreffende Brief von 1850 ist an eine öffentliche Institution gerichtet, das „akademische Kollegium“ der Universität; Ibsen nimmt hier eine Korrektur seines griechischen Lehrstoffs zum Examen artium vor. Folgt HIS hier möglicherweise der Autorintention? Ibsen wird in einem solchen Brief kaum einen Schreibfehler gewünscht haben.
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kritischen Erläuterungen einen allgemeinen Überblick über die vorkommenden Textprobleme, z. T. mit einer Beurteilung, gibt. In einem anderen Punkt scheint HIS ebenfalls von SKS abzuweichen: Man berichtigt nicht stillschweigend.36 Interessant und willkommen ist ebenfalls, dass die eigentlichen Begründungen für Textberichtigungen den Weg in die kritischen Anmerkungen finden. Ein Beispiel hierfür lässt sich abermals in Catilina (1850) entdecken, wo man im Rückgriff auf das Manuskript den Plural „Hulerne“ im Erstdruck zum Singular „Hulen“ („die Höhle“) berichtigt und zugleich anmerkt, die betreffende Form sei früher benutzt.37 Selbst eigentliche Sachkommentare finden Platz im kritischen Apparat, wie etwa am Schluss des ersten Akts des gleichen Stücks, wo zu lesen ist, dass „Færgemand“ („Fährmann“) auf Charon verweise; auch hier wird begründet, weshalb der Singular „Færgemand“ des Manuskripts gegenüber dem Plural „Færgemænd“ des Grundtextes Vorzug findet.38 In diesen beiden Fällen versäumt man jedoch anzugeben, dass auch HU die betreffenden Emendationen vorgenommen hatte.39 Es mag verwundern, dass über identische, bereits in HU vorgenommene Texteingriffe nicht informiert wird, während man sich andererseits vom Vorgänger nicht freier gemacht hat, wenn Seitenverweise zur HU fortlaufend in den Marginalspalten angegeben werden.40
4.
Die Berechtigung der Ausgabe – und einige kleinere Schönheitsfehler
Als entscheidende Legitimation der neuen Ibsen-Edition möchte ich gerne hervorheben, dass es sich um eine Hybrid-Ausgabe handelt, die im Druck und im ____________ 36
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So findet sich im Apparat etwa eine ‚banale‘ Berichtigung wie „Catlilna > Catilina“ (HIS, Bd. 1, S. 27 und S. 39). Ausnahmen vom Prinzip der vollständigen Dokumentation gelten jedoch für den umgekehrten Fall, etwa der Drucktypen n/u, sowie für Satzverschiebungen (Ungleichmäßigkeiten im Satz), vgl. Richtlinien, Pkt. 7.2. Beim weiter oben genannten Beispiel der Entfernung von Punkten und Trennstrichen werden diese Eingriffe in allgemeinen Wendungen in den textkritischen Erläuterungen mitgeteilt, nicht jedoch im kritischen Apparat. HIS, Bd. 1, S. 54, Z. 11. Auch im Vorgänger HU finden sich Beispiele für die Begründung von Textberichtigungen im kritischen Apparat. HIS, Bd. 1, S. 41, Z. 8. Die Notwendigkeit einer solchen Anmerkung ist insofern schwer nachzuvollziehen, weil „Charon“ vier Zeilen später sowie auf der vorhergehenden Seite vorkommt. HU, Bd. 1, S. 71, Z. 6, bzw. S. 63, Z. 26, jedoch nur im Falle von „Hulen“ berichtigt man unter Hinweis auf das Manuskript, vgl. HU, Bd. 1, S. 231; „Færgemænd“ ist anscheinend stillschweigend berichtigt, vgl. HU, Bd. 1, S. 230. Im Vergleich verwendet SKS Verweise auf die Vorgänger lediglich in der digitalen Version und in Form von Konkordanzlisten. Frühere Ausgaben werden in der SKS auch nicht für vorgenommene Textberichtigungen nachgewiesen; diese erscheinen, wo nicht nach einer Kierkegaard-Quelle berichtigt wird, als Konjekturen mit der Sigle ‚SKS‘. Es ist nur zu bedauern, dass die Neuphilologie die langjährige Tradition der klassischen Philologie hinsichtlich der Kreditierung der Vorgänger nicht weiterführt.
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digitalen Medium zusammen mehr Material als jede frühere Ausgabe zugänglich machen wird. Wie erwähnt, ist außerdem der hohe Wert der Einleitungen und Kommentare zu betonen; bereits diese konnten eine neue Ausgabe rechtfertigen. Verzeihlich sind bei einem so großen und ambitionierten Projekt kleinere Schönheitsfehler. Ich begnüge mich mit einigen Beispielen der amüsanten Art. In HIS, Bd. 1K ist auf S. 64 zu lesen, Ibsens Lehrstoff in klassischer Literatur beim Examen artium habe u. a. „Xenophons Gyropædi“ (d. h. Kyropädie) und „Hesodius’ Theogoni“ (d. h. Hesiodus’) umfasst.41 In den Literaturhinweisen im gleichen Band S. 434 wird z. B. auf den Roman Guldmageren (Goldmacher, Alchimist) des dänischen Autors Carsten Hauch als „Gudmageren“ (Gottesmacher) verwiesen. Die satirischen Angriffe des Blattes Corsaren auf Søren Kierkegaard erfolgten nicht im Frühling 1844, sondern begannen am 2. Januar 1846.42 Mitunter setzt man Substantive in dänischen Zitaten oder Titeln mit kleinen Anfangsbuchstaben, wo sie gemäß älterer dänischer Rechtschreibung hätten großgeschrieben werden müssen. Stichprobenartig habe ich einige Textseiten der Ausgabe gegen die Vorlagen kontrolliert, ohne auf Transkriptionsfehler zu stoßen. Die Manuskripttexte betreffend sollte jedoch gesagt sein, dass Ibsens Handschrift überwiegend leicht zu lesen ist, sodass derartige Fehler überraschen würden; darüber hinaus ist bei so zahlreich involvierten Personen, Benutzung von Mikroskopen usw. eine große Akribie zu erwarten.43 Besondere Aufmerksamkeit verdient die Wiedergabe und Ordnung der Manuskripte Ibsens, sowohl der Kladde als auch der Reinschrift der frühen, epischen Version von Brand in HIS, Bd. 5; hier können die Editoren mit gutem Grund stolz auf das Ergebnis sein.44 Hervorzuheben sind auch die gründlichen und spannenden Ausführungen in der Einleitung des Kommentarbands. Die frühere Ausgabe HU (Bd. 5) brachte am ____________ 41
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Ein kompetenterer Zugang zu den Klassikern findet sich in Egil Kraggeruds ausgezeichnetem Werk Catilina og Ibsen, Teil einer Reihe gesonderter Studien mit dem Titel Ibsen ad notam, einer sehr positiven Frucht der Ausgabe. HIS, Bd. 12K, S. 680. Zu Ibsens Streichungen im Epischen Brand liest man etwa: „HIS hat den Versuch unternommen, die schwierigsten Stellen mithilfe eines Stereolichtmikroskops zu lesen. Der Großteil der von uns im Voraus vorgeschlagenen Lesarten wurde bestätigt.“ HIS, Bd. 5K, S. 73. Man führt aus, dass die früheren Editoren „imstande waren, einen Großteil des gestrichenen Textes ohne Hilfe des avancierten Mikroskops zu lesen, welches HIS zur Verfügung stand“, und erklärt dieses Phänomen zu Recht mit der Verwitterung der Tinte. Die Handschrift befindet sich, wie zahlreiche weitere Ibsen-Handschriften, in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen (NKS 2869, 4o, 1) und ist bereits jetzt im Internet zugänglich über die Homepage des Zentrums für Ibsen-Studien an der Universität Oslo (Hauptseite des Manuskriptprojekts: www.dokpro.uio.no/litteratur/ibsen/ms/index.html). Ibsens Handschriften wurden in den Jahren 1998–2000 digital fotografiert; diese Faksimiles stellen zweifellos einen großen Vorteil für die HIS-Editoren dar, vor allem hinsichtlich des in Kopenhagen befindlichen Materials.
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Schluss des Bandes einen großen selektiven Variantenapparat zur epischen Version, doch sind die Notationen dieser internen Varianten in verschiedenen Entstehungsstufen schwierig zu verstehen. Hier hat HIS einen Vorsprung durch die Integration des Materials in den eigentlichen Haupttext, mit Durchstreichungen getilgten Texts, positionell richtiger Wiedergabe sowie mit verschiedenfarbigem Text zur Markierung der unterschiedlichen Entstehungsstufen. Ein Kritikpunkt mag hier sein, auf diese Weise werde unnötig auf die Varianten fokussiert. Nichtsdestoweniger ist es richtig, das gesamte Material diplomatisch vorzulegen. Indessen muss betont werden, dass es sich nicht um eine kritische Ausgabe dieses Textes handelt (woraus auch kein Hehl gemacht wird); alle Fehler im (Haupt-)Text werden beibehalten, jedoch im kritischen Apparat dargelegt.45 Die Texterfassung aus der Handschrift ist sorgfältig, jedoch stellenweise von missverstandener Akribie oder Perfektionismus geprägt: etwa auf der ersten Seite, wo man das Wort „Mos“ mit Hervorhebung des Buchstaben o in fettem Schriftschnitt wiedergibt, lediglich da hier mehr Tinte durch die Feder des Dichters floss oder er womöglich das Geschriebene verdeutlichen wollte.46 Der ausgedehnte Gebrauch der spitzen Klammern zur Markierung von Unlesbarkeit wirkt ebenfalls übertrieben.47 Dazu kommt, dass ein Teil oft weniger ins Auge fallender Entstehungsvarianten übersehen wird. Von solch kleineren Mängeln abgesehen, bleibt der Haupteindruck hier wie auch bezüglich der gesamten HIS der, dass mit ihr ein großes und solides Stück Arbeit vorgelegt wird. Es gibt also allen Grund, erwartungsvoll auch der digitalen Version und den neuen Möglichkeiten entgegenzusehen, die diese eröffnen wird, sich in Ibsens Gesamtwerk zu vertiefen. Aus dem Dänischen von Sibylle Söring ____________ 45
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Hier folgt man der bereits früher im Zusammenhang mit der Edition manuskriptbasierter Texte in HIS, Bd. 2 und 3 festgelegten Praxis. Diese werden, ebenso wie der Epische Brand, als nicht-emendierte, diplomatische Wiedergaben präsentiert, mit Ausnahme des Olaf Liljekrans (1857), wo der Grundtext ein Soufflierbuch ist und kein Ibsen-Autograph. Es mag überraschen, dass nicht auch Ibsens Briefe diplomatisch wiedergegeben werden; weshalb ist es wichtiger, die Briefe zu emendieren als die manuskriptbasierten Dramen? HIS, Bd. 5, S. 11, Z. 8; abgebildet in Bd. 5K, S. 13 (Z. 6 der ersten Strophe). Dies ist zumindest inkonsequent durchgeführt, insofern als das Phänomen nur an wenigen anderen Stellen markiert wird. Siehe z. B. HIS, Bd. 5, S. 50, Z. 6, „dt“, wo die betreffenden Buchstaben leicht unter der Streichung zu erahnen sind, selbst in der undeutlicheren Abbildung der Stelle in Bd. 5K, S. 30.
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Abstract The case study portrays and discusses the new Norwegian, historical-critical edition of Henrik Ibsen’s writings, Henrik Ibsens skrifter. First, the previous Ibsen editions are mentioned briefly and the question of authorization is touched upon. Then follows a general survey of the practical organisation and the contents of the edition, including its introductions and commentaries. The essay centres thereupon on a broader discussion of the edition’s theoretical foundation in terms of its choice of base texts, its treatment of variants, and its practice with regard to textual criticism; a focal point here are the many similarities with the Danish Kierkegaard edition. In the final section, a few errors are pointed out, and the diplomatic transcript edition of the epic version of Brand is discussed. The new Ibsen edition’s commentary volumes and in particular its future digital version are emphasized as its major justification.
Literaturverzeichnis Editionen Ibsen, Henrik: Samlede værker. 10 Bde. Kopenhagen 1898–1902. (Mit bibliografischen Informationen versehen von J. B. Halvorsen und Halvdan Koht) [= Folkeutgaven]. Ibsen, Henrik: Sämtliche Werke in deutscher Sprache. Durchgesehen und eingeleitet von Georg Brandes, Julius Elias und Paul Schlenther. Vom Dichter autorisiert. 10 Bde. Berlin 1898–1904. Ibsen, Henrik: Breve fra Henrik Ibsen. 2 Bde. Hrsg. von Halvdan Koht und Julius Elias. Kristiania 1904. Ibsen, Henrik: Samlede værker. Mindeudgave. Hrsg. von Johan Storm. 5 Bde. Kristiania 1906/07. Ibsen, Henrik: Efterladte skrifter. Hrsg. von Halvdan Koht und Julius Elias. 3 Bde. Kristiania 1909. Ibsen, Henrik: Samlede værker. 8 Bde. Kristiania 1914 [= Jubilæumsutgaven]. Ibsen, Henrik: Samlede digterverker. Standardausgabe. Hrsg. von Didrik Arup Seip. 7 Bde. Kristiania 1918. Ibsen, Henrik: Samlede digterverker. Standardausgabe. Hrsg. von Didrik Arup Seip. 6 Bde. Kristiania 1922. Ibsen, Henrik: Samlede verker. Hundreårsutgave. Hrsg. von Francis Bull, Halvdan Koht und Didrik Arup Seip. 21 Bde. in 22. Oslo 1928–1957 [= HU]. [Bd. 20: Ibsen-portretter. Hrsg. von Knud Larsen, 1930. Bd. 21, 1–2: Ordbok von Ragnvald Iversen, 1957]. Faksimile-Neudruck 1999. Ibsen, Henrik: Brev 1845–1905. Ny samling. Hrsg. von Øyvind Anker. 2 Bde. Oslo 1979–1981. Ibsen, Henrik: Catilina. Utgitt etter manuskriptet NBO Ms. 4o 936. Hrsg. von Jon Gunnar Jørgensen. Oslo 2000. Ibsen, Henrik: Henrik Ibsens skrifter. Hrsg. von Vigdis Ystad et al. 16 Bde. in 32 + Bd. 17 (Utgavens retningslinjer). Oslo 2005–2011 [= HIS]. Kierkegaard, Søren: Søren Kierkegaards Skrifter. Hrsg. von Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Johnny Kondrup et al. 55 Bde. Kopenhagen 1997–2013 (Søren Kierkegaard Forskningscenteret) [= SKS]. (www.sks.dk)
Henrik Ibsens Schriften
371
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IV.
Schwedische Editionsgeschichte in Schweden und Finnland
Lars Wollin
Schwedische Editionen des 17. und 18. Jahrhunderts
Die in diesem Aufsatz erläuterte Editionstätigkeit zweier Jahrhunderte umfaßt grob umrissen diejenigen Perioden der schwedischen Geschichte, die traditionell als Vasazeit, karolinische Zeit (oder Großmachtszeit), Freiheitszeit und Gustavianische Zeit bezeichnet werden. Der Beginn der ersten Periode ist schwer zu bestimmen, doch kann in dem hier vorliegenden Bezugsrahmen ein vertretbarer Ausgangspunkt schon früh, mit dem Jahr 1593, angesetzt werden, als bei der Nationalsynode in Uppsala (Uppsala möte) die lutherische Reformation im Land endgültig bestätigt und verankert wurde. Die danach allmählich wachsende schwedische Großmacht – die in der Mitte des 17. Jahrhunderts ihre größte geografische Ausbreitung erreichte und außer dem heutigen Schweden und Finnland auch Besitzungen im Norden Deutschlands und im Baltikum umfasste – fand 1718 durch den Tod König Karls XII. ein plötzliches Ende. Nach diesem Zeitpunkt erstreckte sich das schwedische Reich der Freiheitszeit nur noch auf (das heutige) Schweden und Finnland. Mit der Umwälzung der Staatsform durch Gustav III. im Jahr 1772 ging die Freiheitsepoche in die Gustavianische Ära über, die 1809 ein ebenso jähes Ende fand, als Schweden – nach einem katastrophalen Krieg gegen Russland – Finnland verlor und auf seine heute geltenden Grenzen eingeschränkt wurde. Den Verlauf der Editionsgeschichte fasse ich also im Rahmen seiner weitestmöglichen Zeitspanne auf: von der endgültigen Stabilisierung der Reformation Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Abtrennung der ‚östlichen Reichshälfte‘ (d. h. Finnlands) zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
1.
Von der Nationalsynode in Uppsala bis zum Verlust Finnlands
Die gut zweihundert Jahre von 1593–1809 sind aus dem hier besprochenen Blickfeld äußerst komplex und wechselvoll. Bei Betrachtung der gelehrten und literarischen Kultur hatte das ‚Großschwedische Reich‘, das am Ende der Periode in das Königreich Schweden und das Großfürstentum Finnland gespalten wurde, nur wenig gemeinsam mit dem immer noch halb mittelalterlichen Ag-
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Lars Wollin
rarstaat, den der ‚Reichsgründer‘ Gustav Vasa und seine Söhne im 16. Jahrhundert mit Unterstützung der Reformatoren als Erbe hinterlassen hatten. Während einer kurzen und glanzvollen Großmachtszeit weitete sich der historische und geografische Horizont. Die rückwärts orientierten Perspektiven vertieften sich, gleichzeitig präzisiert wie verdunkelt in einem Geist der Renaissance, des Humanismus und eines patriotischen Vergangenheitstraums. Einer zäh weiterbestehenden lutherischen Orthodoxie in der allmächtigen Staatskirche gelang es während des 18. Jahrhunderts nicht recht, den Errungenschaften der heraufbrechenden Aufklärung mit ihrem freieren, offeneren Gedankenaustausch standzuhalten. Die historisch fundamentale Aufgabe, die Urkunden und die schriftlichen Quellen dieses Landes späteren Generationen in Erinnerung zu bringen und lebendig vor Augen zu halten, – also die Pflicht von Herausgebern und Editionsphilologen – erhält natürlich ihren Sinn durch diese wechselnden materiellen und ideologischen Bedingungen und muss in diesem Licht gesehen werden.1
2.
Geschichtstraum und Gegenwartsdichtung. Schwerpunkte und Chronologie von Editionen
Wie verhielt man sich zum schriftlichen Erbe der Nation? In der Editionstätigkeit während des hier besprochenen, gut zweihundertjährigen Zeitraums kann man zwei vorherrschende, in ihrem Kern und Wesen völlig unterschiedliche Richtungen feststellen. Die eine ist historisch und antiquarisch geprägt, beseelt von einer rückblickenden Geschichtsauffassung, die als ‚götisch‘, d. h. gotizistisch, bezeichnet wird (siehe unten). Diese orientierte sich an der Frühzeit und den mittelalterlichen Textzeugen. Die zweite ist literarisch orientiert, ganz und gar gegenwartsbezogen und wendet sich der aktuellen Dichtung des damaligen ____________ 1
Die Buchproduktion des schwedischen 17. Jahrhunderts ist seit Langem gut dokumentiert (Collijn 1942–1946); einige wesentliche und übergreifende Dimensionen – wie die des Übersetzens (Hansson 1982, Malm 1996) und die der Rolle des Autors (Bennich-Björkman 1970a) – sind darüber hinaus auch verhältnismäßig gründlich untersucht. Das stark erweiterte Textangebot des 18. Jahrhunderts ist in seiner Gänze erst kürzlich bibliografisch behandelt worden und bedeutend schwerer zu überblicken. Die in diesem Bereich relevante Forschung erfasst eher selten die tatsächlich übergreifenden Perspektiven. Die Editionstätigkeit wurde anhand einer Anzahl individueller Œuvres und Werke studiert: für das 17. und frühe 18. Jahrhundert z. B. Bureus (Moberg 1984, Wollin 1992, Wollin 1995), Skånelagen (Gesetz für Schonen; Henrikson 2007), die Götriks saga (Malm 1990). Dagegen fehlt eine systematisch angelegte Übersicht. Dahingehend finden sich allerdings Ansätze in vielen wertvollen, aber zerstreuten Notizen in literatur- und wissenschaftsgeschichtlichen Standardwerken: Schück/Warburg 1926– 1928, Ny illustrerad svensk litteraturhistoria, hrsg. von Tigerstedt 1955/56, Den svenska litteraturen, hrsg. von Lönnroth/Delblanc 1987/88, sowie – vor allem – Lindroth 1975, 1978, 1981.
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Heute und manchmal des naheliegenden Gestern zu. Diese beiden Editionstraditionen unterscheiden sich grundsätzlich voneinander, und ihre Bahnen verlaufen in zwei getrennten Systemen. Das eine wird dirigiert von der Staatsmacht und folgt einer deutlich nationalen Ideologie; das andere hat keine offensichtliche Anknüpfung an die staatliche Zentralsteuerung, ist stattdessen merkantil ausgerichtet und daher den Konkurrenzbedingungen eines sich entwickelnden modernen Buchmarktes in höherem Grad angepasst. Die beiden Systeme können zwar in ihren wesentlichen Zügen, jedoch nicht vollständig chronologisch zugeordnet werden. Grob gesehen, lösen sie einander ab; das Muster des ‚Paradigmenwechsels‘ ist deutlich erkennbar. Es ähnelt dem, was im zeitgenössischen Schweden in vielen Kulturbereichen herrschte.2 Der Übergang fällt mit dem plötzlichen Zusammenbruch der karolinischen Alleinherrschaft und dem Beginn der Freiheitszeit zusammen. Damit verläuft die Grenze, wenn auch nicht völlig scharf, so doch auffallend deutlich, um die Jahrzehntenwende 1720. Grenzüberschreitungen kommen vor – sowohl in Form von Resten des älteren Systems im neuen wie auch als Vorboten des jüngeren im alten. Man kann allerdings kaum von Kontinuität sprechen, denn zwischen diesen beiden Traditionen schwedischer Editionsgeschichte – und damit im Großen auch zwischen den Epochen – klafft eine tiefe Kluft. Die Darstellung der Editionstätigkeit während des ganzen Zeitabschnitts kann somit entweder thematisch (nach Geisteshaltung) oder chronologisch (nach Perioden) erfolgen. Ich wähle erstere Vorgehensweise und beschreibe also die altertümelnde und gotizistische Textedition in einem ersten Hauptabschnitt (3), die literarische in einem zweiten (4), mit Aufteilung der Perioden in jeweils zwei Teilabschnitte. Daher werden der erste Teil des ersten Hauptabschnittes (3.1) und der zweite Teil des zweiten Hauptabschnittes (4.2) am eingehendsten behandelt. Da der Umfang der herausgegebenen Texte im älteren System im Allgemeinen größer ist, ist Teilabschnitt 3.1 der umfangreichste von allen. Grenzüberschreitungen machen diese Gliederung komplizierter, ebenso die zeitgenössischen Werteverschiebungen, die sich im Übergang zwischen den Perioden abspielen. Einige übergreifende Linien sollen hier angedeutet werden.
____________ 2
Ein eng damit verbundener Paradigmenwechsel vollzieht sich gleichzeitig im Bereich der Literaturkritik, beschrieben in einer aufschlussreichen Monografie von Sigbrit Swahn (1974).
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Lars Wollin
Gotizistische Traumwelten Die neuerstandene schwedische Großmacht war im Grunde eine arme, noch unentwickelte Bauerngesellschaft an der nördlichen Peripherie Europas. Das Bedürfnis, sich im Glanz von Monumenten aus einer leuchtenden Vergangenheit zu sonnen und ein Erbe zu besitzen, das dem der großen Kulturnationen des Kontinents ebenbürtig war, ja ihm sogar überlegen sein sollte, war dringlich. Es galt, aus dem Wenigen, das man in dieser Hinsicht besaß, das Beste zu machen, sich dazu noch so weit wie möglich das einzuverleiben, was man sich andernorts zuschanzen konnte – falls nötig durch Vortäuschung. Eine fast vom Himmel gesandte Quelle für diese patriotische Fiktion, in sich schon überreich und dazu eine leichtzugängliche Basis für deren ideologische Legitimierung, war die bereits im ausgehenden Mittelalter fest verankerte gotizistische Ideologie.3 Es wird behauptet, dass deren grundlegende Thesen ihre Wurzeln in mittelalterlichen Vorstellungen von der historischen Überlegenheit der nordischen Völkerschaften gegenüber anderen europäischen Völkern hatten. Dieses Gedankengebäude war von führenden Historiografen und im Rahmen der Reformationsstreitigkeiten des 16. Jahrunderts entwickelt und dadurch in seiner zukünftigen Form schon vorgeprägt worden. In den ältesten, halbmythischen Ereignissen des schwedischen Reiches sahen die im Geist der Renaissance gotizistisch Gesinnten ihre eigene, einheimische Antike. Deren Sprach- und Gedankenwelt, bewahrt in mehr oder weniger authentischen Zeugnissen, wurde von den verantwortlichen Kulturträgern späterer Epochen eindeutig und schamlos in den Dienst des Staatsinteresses und der nationalen Propaganda gestellt. Es galt, die Identität zwischen dem Götischen und dem Schwedischen geltend zu machen. Die Runen, meinte man, seien Träger der ursprünglichen Schrift, und das zeitgenössische Schwedisch sei ein direkter Abkömmling der götischen Sprache, einer der Ursprungssprachen der Welt. Ihr begegnete man, außer selbstredend auf den Runensteinen, mehr oder weniger unverderbt auch in den mittelalterlichen Handschriften. In der jüngeren Vasazeit (erste Hälfte des 17. Jahrhunderts) handelte es sich hierbei in der Praxis um spezifisch schwedische Texte. Während der nachfolgenden ‚karolinischen‘ Ära schloss man in das götische Großschweden auch die klassische norwegisch-isländische Textwelt mit ein. Alle in diesem Zusammenhang herausgegebene Literatur, mit selbstverständlicher Ausnahme der ____________ 3
Der in Schweden um 1900 geprägte literatur- und kulturwissenschaftliche Terminus ‚Gotizismus/Götizismus/götisch‘ (schwed. ‚göticism‘, Adjektiv ‚götisk‘) steht für die Vorstellungswelt einer verherrlichten altschwedischen Frühzeit, reich an großen Taten und Tugenden. Der Begriff war zugleich synonym für das Altnordische und Germanische. Im Gegensatz zum englischen ‚gothic‘ ist das schwedische ‚götisk‘ ausschließlich positiv besetzt (siehe Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 12, 1998, S. 461–466).
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Runeninschriften, war ja zwar bedauerlicherweise in einer als artfremd empfundenen lateinischen Schrift aufgezeichnet. Im Grunde aber schrieb man dies alles trotzdem derselben glänzenden götisch-schwedischen Frühgeschichte zu. Aufgeklärte Gegenwart Das berühmte Universalgenie aus Uppsala, Olof Rudbeck, hatte in einer ebenso grandiosen wie berüchtigten Arbeit – dem vierbändigen Werk Atlantica – während der letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts den gedanklichen Entwurf vom Götischen zu ungeahnten Höhen von ‚Genie und Wahnsinn‘ geführt. Damit aber war vielerorts in der Gelehrtenwelt das Maß voll. Die Ernüchterung war radikal, weitreichend und prompt. Das intellektuelle Klima der Freiheitszeit hatte nur wenig für die hyperpatriotischen Phantastereien der Karolinerzeit übrig – auch wenn einzelne solche Vorhaben noch Mitte des 18. Jahrhunderts von einer halbherzigen Öffentlichkeit gestützt wurden und vereinzelte Unterströmungen noch während dieses ganzen Jahrhunderts zu beobachten waren. Schließlich sollten diese Anachronismen fruchtbare Anknüpfungspunkte an die Vergangenheit für den von der Romantik inspirierten Neugotizismus des 19. Jahrhunderts liefern. Literatur – ein schwebender Begriff Ab den 1730er Jahren blühte, in Vers und Prosa, eine im Prinzip völlig zeitgenössisch verankerte schwedische schöne Literatur. Im Laufe des Jahrhunderts profilierte sie sich immer mehr als solche, nicht zuletzt in einer langsam reifenden sprachlichen Eigenart. Diese Entwicklung vollzog sich in einem immer deutlicher herausgestellten Kontrast zu einer spezifisch schwedischsprachigen Fachprosa. Diese entfaltete sich ebenso stufenweise im Zeichen der Aufklärung und fand Ausdruck in der muttersprachlichen Eroberung eines Wissenschaftsgebietes nach dem anderen. Die „Literatur“, die zu früheren Zeiten praktisch alles Geschriebene umfasste, spaltete sich jetzt auf. Das Bedürfnis erwachte, diejenige Literatur, die außerhalb der Domänen der Wissenschaft und der ‚Sachprosa‘ gepflegt wurde, zu differenzieren. Der Begriff ‚schöne Literatur‘ (Belletristik), schwed. ‚skönlitteratur‘, wurde erst im 19. Jahrhundert nach deutschem und französischem Vorbild geprägt. Vor dem Aufkommen der Begriffsunterscheidung im vorangegangenen Jahrhundert verwendete man im Sinne von ‚skönlitteratur‘ zumeist das noch heute gebräuchliche Wort ‚vitterhet‘.4 ____________ 4
Über den Literaturbegriff innerhalb der schwedischen Sprachentwicklung siehe BennichBjörkman 1970b, summarischer bei Wollin 2005, S. 23 ff.
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Der Begriff ‚Literatur‘ wurde also während der Freiheitszeit präzisiert, was der Kategorie des ‚literarischen Textes‘ eine andere – und modernere – Stellung in der jüngeren hier behandelten Epoche verlieh. Die Textherausgabe gestaltete sich innerhalb der verschiedenen Arten von ‚Literatur‘ natürlich unterschiedlich. Die Editionstradition der Großmachtszeit mit ihrem vorherrschend antiquarischen Gepräge wurde nun innerhalb solcher Gebiete weitergeführt, die einen immer deutlicheren Charakter eines wissenschaftlichen Fachdiskurses annahmen, der von fachlich orientierten, professionellen Historikern und Philologen gepflegt wurde. Der Schwerpunkt im vorliegenden Beitrag liegt auf der zunehmenden Editionstätigkeit im Literaturbereich. Dass die gotizistisch inspirierte Editorik gleichzeitig Brücken schlug zu späteren Perioden, näher unserer eigenen Zeit, ist dabei allerdings nicht gänzlich außer Acht zu lassen.
3.
Gotizistische antiquarisch-historische Edition
Das literarische Erbe Schwedens der Frühgeschichte und des Mittelalters ist nicht ganz so dürftig, wie zumindest eine ältere nationale Selbstdarstellung manchmal glauben machen wollte. Dieselbe volkssprachliche Poesie, die mit der Eddischen und der poetischen Dichtung dem mittelalterlichen Norwegen und Island ihren Platz in der Weltliteratur verschafft hatte, blitzt in mehr als einem einzelnen schön gemeißelten Vers auf Runensteinen in östlichen und südlichen Teilen Skandinaviens auf. Die Runenliteratur der Wikingerzeit in ihrer Gesamtheit mit ihren Tausenden Inschriften legt mächtiges Zeugnis von einer mitnichten zu verachtenden ostnordischen Sprachkultur aus vorchristlicher Zeit ab. Auch haben das schwedische und das dänische Mittelalter zwei lateinische Autorenœuvres auf höchstem europäischem Niveau hervorgebracht: die der heiligen Birgitta und des Saxo Grammaticus. Bei diesen beiden Autoren ist das lateinische Sprachgewand dicht durchwirkt mit einheimischen Denkvorstellungen und Ausdrucksformen, und ihre Texte sind im Grunde nicht ‚fremder‘ als z. B. die Prosa von Snorri Sturluson in der altwestnordischen Volkssprache – im Übrigen auch diese nach kontinentalem Vorbild kunstvoll ausgearbeitet. Von der Geschichtsverachtung zum Gotizismus Abgesehen von einzelnen Ansätzen schon während der Reformationszeit (erkennbar vor allem im bemerkenswert vielseitigen schriftstellerischen Werk des Olaus Petri) begann die schwedische Edition mittelalterlicher Literatur ernsthaft erst im frühen 17. Jahrhundert und erreichte in dieser ihrer frühesten Phase
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ihren Höhepunkt in der karolinischen Zeit, dem späteren Teil desselben Jahrhunderts und bis zur Jahrhundertwende um 1700. Besonders in ihrer einleitenden Phase wurde sie in harter, oft erbitterter Konkurrenz mit der Editionstätigkeit in Dänemark betrieben. Das Nachbarland war zu dieser Zeit der einzige rivalisierende ‚götische‘ Nationalstaat, militärisch wohl schwächer, kulturell aber weit überlegen. Das Bild, das wir uns von der Editorik einer Epoche machen, wird natürlich nicht allein davon geprägt, was tatsächlich herausgegeben wurde. Was die Editoren vermieden oder verwarfen, sagt eigentlich ebenso viel über herrschende Wertungen aus. Dies zeichnet sich besonders in der schwedischen Edition mittelalterlicher Texte im 17. Jahrhundert ab. Sie war, selbst innerhalb ihrer antiquarischen Sichtweise, augenfällig selektiv. Mit hartnäckigem Stillschweigen überging man einen bedeutenden literarischen Nachlass der vielleicht wichtigsten Institution des nordischen Spätmittelalters: den des Klosters zu Vadstena. Das Misstrauen galt allen ‚papistisch‘ gefärbten mittelalterlichen Texten: Offenbarungen und Mystik ebenso wie Heiligenlegenden und Bibelparaphrasen. Sogar ein in diesem Zusammenhang so zentraler Text wie die altschwedische Version der Offenbarungen Birgittas – die Revelationes celestes – immerhin von Bureus aufgefunden und gerettet, damit vor Klosterplünderung und Verderbnis5 bewahrt und also unter Fachleuten wohl kaum unbekannt – wurde demnach der Kenntnis des lesenden Publikums vorenthalten und erst im 19. Jahrhundert allgemein zugänglich gemacht. Erst späteren Epochen blieb es so vorbehalten, die wichtige birgittinische Dimension dieses mittelalterlichen Erbes zu entdecken und dazu Stellung zu nehmen. 3.1.
Von Bureus bis zu den Peringskiöldern: die Großmachtszeit
Die traditionelle Einteilung der Geschichte Schwedens im 17. Jahrhundert in die jüngere Vasazeit und die karolinische Zeit, mit dem Jahr 1660 durch den Tod König Karls X. Gustav voneinander abgegrenzt, gibt einen guten Anhaltspunkt, drei recht gut unterscheidbare Abschnitte editorischer Tätigkeit auseinander zu halten. Die beiden ersten fallen in die Vasazeit mit einem Wendepunkt um das Jahr 1620; ich nenne sie hier die ‚Pionierphase‘ bzw. die ‚Phase der Gesetzesdrucke‘. Der dritte und dominierende Abschnitt fällt mit der karolinischen Epoche zusammen.
____________ 5
Helgerånet (Abukhanfusa et al. 1993).
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Pionierphase (1600–1620) Die Grundvoraussetzung für eine Kultur literarischen Edierens ist natürlich, dass man Texte zur Herausgabe überhaupt zur Verfügung hat. Hier sah es, wie schon erwähnt, im 16. Jahrhundert recht finster aus. Das Verdienst an der ziemlich großangelegten Rettungsaktion, die in aller Stille, aber effektiv während einiger Jahrzehnte um die Jahrhundertwende um 1600 und danach durchgeführt wurde, kommt vor allem einem einzigen Mann zu: dem Lehrer des Kronprinzen Gustav II. Adolf, Johannes Bureus (Johan Bure, 1568–1652), dem Wirken, wenngleich nicht dem Namen nach Schwedens erster Reichsantiquar. Praktisch alle größeren und bedeutenderen heute noch erhaltenen schwedischen Handschriften des Mittelalters – die meisten aus dem birgittinischen und päpstlichen Kloster zu Vadstena stammend – gingen durch Bureus’ Hände; oftmals hatte er sie auch entdeckt und erworben. Seine Ausgabe des staatsphilosophischen Traktats und Fürstenspiegels Konungastyrelsen (Die Königsherrschaft), gedruckt 1634, ist die erste schwedische wissenschaftliche Textausgabe, ausnehmend gut gearbeitet und für ihre Zeit philologisch fortschrittlich.6 Am bekanntesten ist Johannes Bureus vielleicht als Pionier der wissenschaftlichen Runologie in Schweden und als solcher bis ins 19. Jahrhundert hinein eigentlich unübertroffen. Sein Erstlingswerk ist die sogenannte Runtavlan (Runentafel) oder Runakenslones lärespån (ungefähr Erste Erfahrungen in Runenkunde), gedruckt bereits 1599 und die erste von mehreren großen und wichtigen Arbeiten. Die eigentliche Krönung seines runologischen Einsatzes sind zwei monumentale Werke, beide erst um 1650 fertiggestellt: der nie gedruckte ‚Tafelteil‘ Monumenta runica, der rund 200 Kupferstiche von Runensteinen enthält, sowie der ‚Textteil‘ Sveorum Runae, mit 628 schwedischen Inschriften aus mehreren Provinzen, einer Anzahl hinzugefügter dänischer und norwegischer Inschriften sowie einem ausführlichen Register.7 Das Lebenswerk Bureus’ ist eines der eigenwilligsten und widersprüchlichsten dieser Epoche. Seinem Wesen nach war er ein Visionär, ein Phantast und Schwärmer, versunken in Zahlenmagie und die jüdische Kabbala; als Mystiker wird er oft mit der hl. Birgitta und Emanuel Swedenborg verglichen.8 Gleichzeitig war er aber auch ein wacher und nüchterner Beobachter: der Altertumsforscher, der systematisch trockene Fakten ordnete, ein gelehrter und scharfsinniger Leser von Texten. Als Abbildner von Runeninschriften war er ein geschickter Künstler. ____________ 6 7 8
Moberg 1984; Wollin 1995. Svärdström 1936, S. 12, 15 f.; Wollin 1992. Lindroth 1975, S. 152 ff.
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Am höchsten geschätzt in der ‚Bureanischen Ära‘ – jedenfalls Gegenstand der ersten Editionsbemühungen – war neben der Runenliteratur die Textwelt der ältesten geschriebenen Gesetze: Jonas Bure (ein Vetter von Johannes) druckte in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts mehrere Landschaftsgesetze sowie das Land- und Stadtgesetz des Magnus Eriksson. Ein frühes großes und wiederkehrendes Interesse galt auch den historischen Quellenschriften des schwedischen Mittelalters. Einen grundlegenden Einsatz auf diesem Gebiet leistete die zweite Zentralgestalt dieser Editionsepoche: der Historiograph Johannes Messenius. Dieser gab 1615 die obengenannte Chronica regni Gothorum des Ericus Olai und Adam von Bremens kirchengeschichtliches Werk Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (letzteres unter dem Titel Chorographia Scandinaviæ) heraus, im selben Jahr auch die altschwedische Prosaiska krönikan (Prosaische Chronik) und Lilla rimkrönikan (Kleine Reimchronik); im Jahr darauf veröffentlichte er eine unvollendete Ausgabe der Stora rimkrönikan (Große Reimchronik). (Sein eigenes Lebenswerk Scondia illustrata sollte dagegen erst in spätkarolinischer Zeit erscheinen.) – Messenius’ Herausgebertätigkeit zeigt das Unhaltbare in der Auffassung, schwedisch- und lateinsprachige Textedition seien notwendig streng zu trennen. Die gotizistische Gedankenwelt des 17. Jahrhunderts war in der Praxis untrennbar zweisprachig. Phase der Gesetzesdrucke (1620–1660) Die mittelalterliche Handschrift, auf die Johannes Bureus seine Ausgabe der obengenannten Konungastyrelsen stützte, ist unbekannt, da verloren. Der Verlust scheint ziemlich unmittelbar, noch zu Bureus’ Zeiten eingetreten zu sein, denn in einer Neuausgabe von 1669 teilt der Herausgaber Johannes Schefferus mit, dass die Echtheit des Textes in Frage gestellt worden sei. Bureus war (auch wenn Schefferus selbst ihn vom Verdacht freisprechen wollte) sofort nach dem Erscheinen der Edition der Fälschung verdächtigt worden: Der gelehrte Altertumsforscher habe möglicherweise unter einer Decke mit Johan Skytte und dem König gesteckt und einen schwedischen mittelalterlichen Text ‚fingiert‘. Das böswillige Gerücht konnte zwar später aus der Welt geschafft werden, da ein authentisches mittelalterliches Fragment des Textes entdeckt wurde, doch erfolgte diese Ehrenrettung erst im 19. Jahrhundert. Die Zeitgenossen hegten ihre deutlichen Zweifel, und viele mochten dem alten Geheimniskrämer kaum noch glauben. Auch der Chronik-Herausgeber Messenius dürfte den Verlust allgemeiner Glaubwürdigkeit gespürt haben, und zwar infolge eines privatrechtlichen Debakels, wegen dessen er 1616 zu lebenslänglichem Exil in der finnischen Einöde auf der Festung Kajaneborg verurteilt wur-
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de. – Die Frage stellt sich, ob solche Ereignisse dem äußeren Ansehen der Frühgeschichtsversessenheit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in gewisser Weise geschadet haben könnten. Wie dem auch sei, so steht doch fest, dass die zu ihrem Beginn so lebhafte vorkarolinische Herausgabe schwedischer Literatur des Mittelalters nach Jonas Bures Ausgabe des Stadtgesetzes 1617 im Großen und Ganzen zum Stillstand kam oder jedenfalls in eine weniger erneuerungsfreudige Phase überging, die sich stärker der Verwaltung des Traditionellen widmete. Während der nächsten vier Jahrzehnte sind rund ein Dutzend, in einigen Fällen recht monumentale Neudrucke von Gesetzestexten zu verzeichnen, besonders aus dem Bereich von Landes- und Stadtgesetzen, jetzt auch mit einigen wenigen Zusätzen von bis dahin unveröffentlichtem Material: Am wichtigsten waren die berühmten Domareregler (Regeln für Richter) des Olaus Petri. Offensichtlich fasste man die Edition und Verbreitung von mittelalterlichen Gesetzesdokumenten des Reiches als eine Staatsangelegenheit auf. Möglicherweise spielten alle diese gedruckten Gesetzbücher auch eine praktische Rolle in der Rechtsprechung der Gerichte. Abgesehen aber von Johannes Bureus’ Ausgabe der Konungastyrelsen 1634 und einzelnen anderen, kleineren Texten lag die weitere Edition von noch nicht ediertem Material während mehr als vierzig Jahren danieder. Erst in den 1660er Jahren wurde eine Art gotische ‚Renaissance‘ eingeleitet. Diese sollte allerdings sowohl den Gesichtskreis erweitern als auch das Wissen vertiefen und damit die karolinische Epoche zu einer der glanzvollsten in der schwedischen Editionsgeschichte machen. Die karolinische Zeit (1660–1720) Für die Textedition, die den neuen gotizistischen Umschwung ankündigte, stand der vielleicht ruhmreichste Literat der Großmachtszeit: der Dichter, Altertumsforscher, Sprachphilosoph und höhere Beamte Georg Stiernhielm. 1663 gab er das bis dahin unveröffentlichte Västgötalagen (Västgötagesetz) heraus – wenn auch „in einer Edition […], die an Eigenwilligkeit und Schlamperei ihresgleichen sucht“, stellt Lindroth fest.9 Stiernhielm verfasste allerdings ein Vorwort zu seiner Ausgabe, in dem er sich einsichtsvoll über das Zeugnis äußert, das der Gesetzestext in sprachgeschichtlicher Hinsicht abgibt. Ein mächtiger offizieller Helfer der antiquarisch ausgerichteten Bemühungen des späteren 17. Jahrhunderts war der Reichs- und Universitätskanzler Graf Magnus Gabriel De la Gardie: „unermüdlich und optimistisch in seiner weitblickenden Kulturpolitik, Freund und Gönner all derer, die danach streb____________ 9
Lindroth 1975, S. 308.
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ten, mit Hilfe der historischen Quellen der schwedischen Großmacht einen Platz von Rang in der Welt zu sichern“.10 Im November 1666 erließ die Regentschaftsregierung für Karl XI. auf De la Gardies Geheiß eine öffentliche „Bekanntmachung und Verfügung der königlichen Regierung bezüglich alter Monumente und Altertümer“. Der Verfasser war vermutlich Johan Hadorph, De la Gardies Getreuer und jahrzehntelang eine zentrale Gestalt in allen Belangen schwedischen Altertums. Hadorphs Verfügung lag den Richtlinien für das Antikvitetskollegium (Collegium antiquitatum; Kolleg für Altertümer) zugrunde, das im Dezember desselben Jahres von der Regierung eingerichtet wurde. Der Auftrag des neuen Amtes bestand besonders darin, „die alten und bemerkenswerten Großtaten unserer schwedischen und götischen Nation“ auf vielfache Weise ins Licht zu rücken. Wichtig aus editionsgeschichtlichem Blickwinkel ist besonders einer der ersten Abschnitte der Richtlinien, in dem betont wird: „Da unsere alte götische Sprache die Grundlage für alles Wissen über die Frühgeschichte ist, ist es zum ersten notwendig, dass […] alle Scripta historica gesammelt und herausgegeben werden: isländische und norwegische Manuskripte, die viel von unseren schwedischen Königen handeln, die Sagen schwedischer Heiliger, die viele wahre Geschichten enthalten, in- und ausländische Chroniken, die von Schweden handeln, sowie öffentliche Briefe, die eine gute Kenntnis der Begebenheiten der Frühgeschichte vermitteln und die unsere schwedische Geschichte sehr bereichern“.11 Des Weiteren wird unterstrichen, wie wichtig es sei, die alten Gesetze „zu sammeln und in einem Corpus herauszugeben“; wenn diese auch nicht länger gölten, zeugten sie doch von alter Sprache und altem Recht. – Die Richtlinien schärfen zudem ein, wie bedeutsam es sei, für frühgeschichtliche Gräber, Burgen, Kirchen, Klosterruinen u. a. Sorge zu tragen, das heißt für ‚immobile‘ frühgeschichtliche Stätten, und nicht, wie bis dahin üblich, nur für literarische Zeugnisse. Diese Erweiterung des Altertumsbegriffes ist bedeutsam. Denn mit ihr wird der Grund zu einer modernen Denkmalpflege und Archäologie gelegt. Auf diesem Gebiet wurde Schweden ein Pionierland in Europa. Die Editionstätigkeit der Großmacht Schweden war also im Grunde genommen eine antiquarische, historisch aus einem nationalen und patriotischen Denken erwachsene Unternehmung, die ihre Wurzeln mit der Geschichtsschreibung und Denkmalpflege teilte. Textedition blieb ein Kernpunkt der Richtlinien des Kollegs – vielleicht mehr als ein Ausdruck von dessen tatsächlicher praktischer Tätigkeit. ____________ 10 11
Lindroth 1975, S. 247. Zitiert nach Schück 1933, S. 71.
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Die Gründung des Kollegs für Altertümer wurde mit dem höchsten Prestige der offiziellen Gelehrtenwelt umgeben. Zum Vorsitzenden oder ‚Direktor‘ wurde der berühmte Georg Stiernhielm ernannt, und unter den übrigen Mitgliedern oder ‚Assessoren‘, finden sich mehrere der prominentesten Historiker und Philologen des zeitgenössischen Uppsala. Hauptsächlich ist es aber das Verdienst des rührigen Sekretärs Hadorph, dass diese recht lose geknüpfte Einrichtung eine äußerst lebendige Tätigkeit entwickeln und sich rasch als ein fester institutioneller Rahmen für die gesamten altertumswissenschaftlichen Bemühungen im Lande, einschließlich der Textausgaben, etablieren konnte. Das Kolleg für Altertümer blieb in dieser Funktion während der ganzen Großmachtszeit von vitaler Bedeutung und war insofern wichtig für das gesamte Kulturprofil der karolinischen Zeit. Unter dem Namen Antikvitetsarkivet (Archiv für Altertümer) von Uppsala nach Stockholm übersiedelt, wurde das Kolleg 1692 von einer selbstständigen Dienststelle zur bescheideneren Abteilung einer verwandten Behörde, des Kanslikollegium (Kanzleikollegium) zurückgestuft. Zum Vorsteher der verkleinerten Einheit ernannte man den unermüdlichen Hadorph, der seinem Kolleg durch alle wechselvollen Phasen hindurch gedient hatte. Nach seinem Tod 1693 führte der Nachfolger Johan Peringskiöld bis zu seinem Tod 1720 die Tätigkeit mit einigermaßen aufrechterhaltenem Anspruch weiter. Danach verkümmerte das Archiv rasch und war während der Freiheitszeit kaum tätig. Endgültig erlosch es aber erst 1780. Der vielseitige Einsatz Hadorphs ist als entscheidend für die schwedische historische und antiquarische Forschung bis in die moderne Zeit bezeichnet worden.12 Editionsgeschichtlich liegt der Schwerpunkt seiner Leistung auf einem breit angelegten Sammeln von Textmaterial, wenn auch seine Tätigkeit auf dem Gebiet der eigentlichen Edition ebenfalls höchst bedeutsam war. Im Mittelpunkt stand die weitere Entwicklung des nationalen runverket (Runenwerk), ein Erbe von Bureus und dessen Schülern: Das Kolleg sah sich selbstverständlich verpflichtet, es weiter zu verwalten. Auf emsigen Reisen durch die am dichtesten mit Runensteinen bestückten Provinzen sammelten und verfertigten Hadorph und seine Helfer über tausend Reproduktionen von Runeninschriften, mit ihren heidnischen Schlangenbändern und christlichen Kreuzen. Die Veröffentlichung in fertigen Druckbänden nach Art derer, die Bureus seinerzeit zustandegebracht hatte, vermochten dagegen Hadorph und seine Helfer nicht zu leisten; solches musste noch bis ins nächste Jahrhundert warten. ____________ 12
Lindroth 1975, S. 327.
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Als besonders bedeutsam wird die Leistung Hadorphs als Gründer der modernen kritischen Diplomatik in Schweden eingeschätzt. In großem Umfang sammelte und ordnete er Kopien lateinisch und schwedisch geschriebener mittelalterlicher Dokumente: päpstliche Bullen und Klosterbriefe, Erlässe, Testamente, Schenkungs- und Kaufurkunden. Als Herausgeber all dieses Materials war er ein wenig (doch nur ein wenig) erfolgreicher als mit seinem Runenwerk. 1676 erschien eine umfangreiche Sammlung politischer Traktate aus dem Zeitraum 1308–1523. Dieses Material wurde als zweiter Teil eines der großen Editionsunternehmen, die er tatsächlich durchführte, gedruckt. Es handelte sich um dieselben frühschwedischen Chroniken Lilla und Stora rimkrönikan, die Messenius sechzig Jahre zuvor begonnen hatte und teilweise abschließen konnte. Die Edition Hadorphs, die erste vollständige Ausgabe der beiden Chroniken, erschien 1674, zwei Jahre nachdem er Konung Alexander (König Alexander), gleichfalls eine Reimdichtung aus dem 14. Jahrhundert, herausgegeben hatte. Wirkliche Bedeutung als eigentlicher Textherausgeber erlangte Hadorph außerdem in der Gesetzesliteratur. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern während der ‚Phase der Gesetzesdrucke‘ widmete er sich dabei niemals einem bereits früher herausgegebenen Text; alle seine Editionen galten Gesetzbüchern, die dem schwedischen Lesepublikum bis dahin noch nicht zugänglich gewesen waren. Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich dabei um eher ‚vereinzelte‘ Texte außerhalb der Landes- und Stadtgesetze und der zentralen Svea- und Götagesetze handelt, wie z. B. Gesetzessammlungen für die Provinzen Schonen, Dalarna, Gotland, die Stadt Visby u. a.: Skånelagen13 und Dalalagen (beide 1676), Gotlandslagen mit der Gutasagan sowie das Stadtgesetz Bjärköarätten (beide 1687) und Visby stadslag sowie das Seerecht Visby sjörätt (1688 bzw. 1689). Hadorphs persönlicher Einsatz als Editor war also völlig auf schwedisches Material ausgerichet. Er war sich aber der erweiterten nationalen Perspektive, die in den Richtlinien des Kollegs verankert war, wohl bewusst. Diese bezogen in höchstem Grad auch die Sprache ein: ‚Schwedisch‘ war ‚götisch‘ und damit eigentlich auch Isländisch und Norwegisch – und im Übrigen wohl auch gotisch. Der Beitrag des Vorsitzenden des Kollegiums zum letzteren Punkt glich noch am ehesten einem eigenständigen Forschungsbeitrag. Denn es war Stiernhielm, dem der angesehenste aller Editionsaufträge zufiel: eine würdige schwedische Ausgabe von Bischof Ulfilas gotischer Bibelübersetzung, fragmentarisch erhalten im sog. Codex argenteus aus dem ____________ 13
Von Skånelagen lag eine frühere dänische Edition vor (siehe Henrikson 2007).
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6. Jahrhundert. Die bemerkenswerte Handschrift, die 1648 als schwedische Kriegsbeute in Prag ‚erobert‘, darauf jedoch in Holland veräußert worden war, hatte dort der Philologe Franciscus Junius 1665 auf bahnbrechende Weise ediert. Bereits zuvor hatte Magnus Gabriel De la Gardie die Handschrift für Schweden gekauft, die dann 1669 in einem prachtvollen Silbereinband der Universitätsbibliothek Uppsala unter dem Namen Silberbibel (so genannt nach der hauptsächlichen Tintenfarbe) geschenkt wurde und bis heute ihr größtes Kleinod ist. Die schwedische Ausgabe von Stiernhielm wurde 1671 im Namen des Kollegs für Altertümer veröffentlicht. Als philologische Leistung ist sie im Wesentlichen noch immer das Werk von Junius: Sein gotischer Text wurde abgeschrieben und sein Glossarium übernommen; ergänzt sind die biblischen Parallelversionen auf Isländisch, Schwedisch und Latein. Die Edition ist dennoch prachtvoll und trotz ihrer Unselbstständigkeit ein mächtiges gotizistisches Kulturmonument. – Gleichzeitig wurde zeitweise eifrig Forschung zu Ulfilas Text betrieben, deren Ergebnisse sich aber erst während einer späteren Periode bemerkbar machten (siehe Abschnitt 3.2 unten). Wie schon erwähnt, oblag es dem Kolleg auch, sich um Islands reiches literarisches Erbe der Sagas und der Eddischen Dichtung zu kümmern. Dieses war den schwedischen Altertumsforschern des frühen 17. Jahrhunderts nicht ganz unbekannt, und bereits Messenius war mit der dänischen Bearbeitung von Snorris konungasögur (Snorris Königssagas) vertraut gewesen. Dänemark lieferte nicht nur das einladende Vorbild, sondern zugleich auch eine patriotisch aufgeladene Herausforderung, als die schwedische Großmacht in der Mitte des Jahrhunderts ihre ernsthafte Konkurrenz um das götische Gold mit dem Nachbarland und Erzfeind einleitete – einem Staat, der sich zumindest anfänglich in einer weitaus besseren Ausgangslage befand. Olof Verelius wurde 1662 in Uppsala zum Professor für Schwedische Altertumskunde ernannt, 1666 zum Reichsantiquar, um im Jahr darauf als einer der ersten Assessoren in das neugegründete Kolleg für Altertümer einzutreten. Sofort sah Verelius seine Hauptaufgabe in der Eroberung der isländischen Literatur für Schweden, seiner Ansicht nach deren rechtmäßiger götischer Heimstatt. Mitten im lodernden Krieg zwischen Schweden und Dänemark kaperten die Schweden 1658 ein dänisches Schiff auf dem Weg von Island nach Kopenhagen und brachten es nach Göteborg. An Bord befand sich der junge Isländer Jonas Rugman, der eine Sammlung isländischer Handschriften mit sich führte. Diese waren zumeist eher unbedeutende fornaldarsögur (Vorzeitsagas), doch waren sie, wie auch die Sprachkompetenz ihres Eigentümers, trotzdem hochinteressant für Schweden. Rein formell war der Isländer ein Kriegsgefangener und wurde von Per Brahe d. J. in Obhut genommen, der ihn in seine Schule auf
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Visingsö aufnahm, wo er die Grundlagen der schwedischen Sprache erlernte. Auf einigen Umwegen landete Rugman schließlich bei Verelius in Uppsala und wurde dort auch wieder mit seiner Handschriftensammlung zusammengebracht. Der Professor und der ehemalige Kriegsgefangene begannen nun eine langjährige, äußerst fruchtbare Zusammenarbeit, die den Grund für einen nicht unbedeutenden schwedischen Beitrag zur Geschichte der altwestnordischen Editionsphilologie legte. Auf der Grundlage von Rugmans Handschriften gab man zuerst Götriks och Rolfs saga (1664) sowie Herrauds och Bosa saga (1666) heraus, danach die größere und wichtigere Hervarar saga (1672). Hier findet der Leser zugleich mit dem in Antiqua gesetzten isländischen Text eine spaltenweise parallelisierte schwedische Frakturversion in der Übersetzung von Rugman(!).14 Jeder Ausgabe hat Verelius einen umfangreichen, auf Latein abgefassten Anmerkungsapparat hinzugefügt: In den beiden ersten Sagas steht dieser zur Gänze am Ende des durchlaufenden Textes, in der Hervarar saga ist er abschnittsweise zwischen die Kapitel eingefügt. – Die Ausgaben sind wegen ihrer Gelehrsamheit, der Sorgfalt und des Geschmacks ihrer Ausführung gepriesen worden. Verelius plante auch, gleichzeitig eine Aufzeichnung von Snorris edda (Snorra-Edda) herauszugeben. Die Dichtung ist in einem Manuskript erhalten, das er von De la Gardie ausleihen durfte und das Teil eines größeren Handschriftenkaufs war, der diesem gerade zuvor in Dänemark geglückt war. De la Gardies Erwerb war brillant und von grundlegender Bedeutung für die zukünftige westnordische Textphilologie in Schweden. Verelius verfertigte eine genaue Abschrift der Snorra-Edda, doch ging seine Arbeit nie in Druck. Es sollte fast hundert Jahre dauern, bevor eine (unvollständige) Edition nach dieser Handschrift (von Johan Göransson, siehe unten) zustandekam. Ungeachtet der exklusiv schwedischen Ausrichtung seiner eigenen Herausgebertätigkeit ging es Hadorph mit seiner erprobten Schaffenskraft gleichzeitig darum, der auferlegten Verpflichtung des Kollegs für Altertümer auch für die isländische Textedition, von der die Richtlinien sprachen, Substanz zu verleihen. Zu diesem Zweck ließ er eine eigene Sektion innerhalb des Kollegs einrichten, zu der er als speziell beauftragten Übersetzer den Isländer Guðmundur Ólafsson berief, dem zwei junge Landsleute zur Seite standen. Es glückte Hadorph auch, von Kopenhagen eine bedeutende Anzahl wertvoller Handschriften zu erwerben. Das isländische Trio war allerdings nur schwer sozialisierbar ____________ 14
Die Wahl eines Übersetzers mit muttersprachlicher Kompetenz nicht in der Ziel-, sondern in der Ausgangssprache beleuchtet auf drastische Weise die damalige Auffassung vom Wesen des Übersetzens.
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und des Öfteren alkoholisiert, und so richtete es für Hadorphs groß angelegten Plan einer Sagaedition leider nicht viel aus. Die erstklassige Handschriftensammlung, die De la Gardie in Dänemark erwerben konnte, enthielt fernerhin eine alte und wichtige Originalaufzeichnung von Snorri Sturlusons monumentalstem, bereits oben genannten Werk konungasögur. Dieser Codex leitet ein weiteres wichtiges Kapitel in der frühen schwedischen Editionsgeschichte ein. Auf Initiative von Per Brahe bearbeitete zuerst Johan Rugman den Text auf Schwedisch, und zwar in einer Volksversion für einen breiteren Leserkreis. Dieses Werk wurde 1670 in einem Prachtband in Folioformat gedruckt und trug den Titel Norlandz chrönika och beskriffning (Chronik und Beschreibung des Nordlandes) – jedoch ohne Erwähnung der Leistung Rugmans. Nachdem das Originalmanuskript verloren gegangen war, wurde der Text im Kolleg für Altertümer von Guðmundur Ólafsson nach einer anderen, schlechteren Handschrift ins Schwedische übersetzt, später von Johan Peringskiöld auch ins Lateinische. Die Königssagas von Snorri, nun in paralleler Gliederung auf Isländisch, Schwedisch und Latein, doch ohne Anmerkungen, wurden zuletzt von Peringskiöld 1697–1700 in zwei stattlichen Bänden herausgegeben. Das grandiose Werk erhielt einen bis dahin noch nie verwendeten Titel, der aber seitdem allgemein gebräuchlich wurde: Heimskringla (nach Snorris eigenen Einleitungsworten Kringla heimsins). Dieses großschwedische ,götische‘ Editionsprodukt, gestützt von zwei Isländern, wurde zur ersten Edition von Snorris großem Geschichtswerk und genoss Autorität bis ins 19. Jahrhundert hinein. Gleichzeitig (1699) veröffentlichte Johan Peringskiöld den mit gelehrten Anmerkungen über die Geschichte der Goten ergänzten Neudruck einer in Deutschland erschienenen und von Johannes Cochlæus verfassten Biografie über Dietrich von Bern (Didrik av Bern / Vita Theoderici). Im Anschluss daran führte er ein weiteres Monumentalwerk im Bereich der altwestnordischen Textedition zu Ende: die Wilkinasaga in einer schon von Bureus begonnenen Edition und jetzt (1715) veröffentlicht, ebenso wie Heimskringla in einem parallelen dreisprachigen Spaltendruck ohne Anmerkungen. – Peringskiölds Sohn, Johan Fredrich Peringskiöld, verantwortete drei kleinere und bedeutend einfachere isländische Textausgaben: Sagubrot (1719), Hialmters och Olvers saga (1720) und Asmund Kappabanes saga (1722). Besonders der Stoff, den die große Ausgabe von Snorris Königssagas vermittelt, wie auch die übrigen frühen Ausgaben von isländischer Sagaliteratur, haben, so meint man, einen weit stärkeren und tieferen Einfluss auf die traditionelle schwedische Geschichtsauffassung ausgeübt als die literarischen Quellen des einheimischen, ‚authentischen‘ schwedischen Mittelalters. Die profa-
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nen Texte der Folkungerzeit, vor allem Landschaftsgesetze und Reimchroniken, wurden allerdings in guten Ausgaben genauso zugänglich gemacht wie diejeningen des Altwestnordischen, und dazu noch früher. Dagegen, wie oben in diesem Abschnitt (S. 381) erwähnt, blieben die hochmittelalterlichen schwedischen Bibelparaphrasen und frommen Heiligenlegenden – nicht zu sprechen von den Offenbarungen der Birgitta, Schwedens erstem und lange Zeit einzigem Beitrag zur Weltliteratur – bis ins 20. Jahrhundert für die meisten Schweden eine unbekannte Welt. Man kann darüber spekulieren, was das lange Verschweigen, um nicht gar zu sagen Leugnen der wesentlichen Dimensionen des letztgenannten einheimischen Erbes eigentlich bedeutet hat. Welche Beiträge zu unserer historischen Mythenbildung hätte der Reichtum an Texten der mittelalterlichen Mystik, der sogar im Gewand des Schwedischen bedeutend war, leisten können? Wie würde sich das nationale Selbstbild der Schweden heute ausnehmen, auf welche Art wäre die spätere Integration in einen europäischen Kulturzusammenhang beeinflusst worden, wenn fromme Legenden und ekstatische Offenbarungen ebenso früh ediert, wenn sie in der Literatur und Kunst späterer Zeiten ebenso emsig wiederaufgegriffen und genauso kreativ behandelt worden wären wie die gewöhnlichen alten ,götischen‘ Requisiten: Könige und Lehensmänner, Recken und Walküren? 3.2.
Relikte und Vorboten: die Freiheitszeit
Durch die rasche Abwertung der gotizistischen Gedankenwelt stand die mittelalterliche Literatur während der Freiheitszeit allgemein niedrig im Kurs. Für Editionsbemühungen um einheimische Zeugnisse, vor allem der VadstenaTexte, bedeutete dies weiterhin Eiszeit. Der mächtige Geist Olof Rudbecks sorgte allerdings für gewisse Nuancen in diesem Bild, u. a. dahingehend, dass isländische Sagas und Eddische Dichtung, die ja nach den kraftvollen Editionsleistungen der karolinischen Zeit nicht mehr unbekannt waren, trotz allem vermutlich einen gewissen Status genossen. Die Freiheitszeit hat drei große Editionsverdienste gesehen, alle inspiriert vom Weltbild der ‚Atlantica‘. Wie gewöhnlich ist eine Perspektive des Phantastischen durchaus nicht unvereinbar mit philologischer Klarsicht und gedanklicher Ordnung. Für die früheste Leistung zeichnet Eric Julius Biörner, dessen wohlbekanntes Werk Nordiska kämpadater (Taten nordischer Kämpfer), veröffentlicht 1737 im Rahmen des Kollegs für Altertümer, eine Ausgabe nach dem Vorbild Peringskiölds ist, nämlich ein isländischer, schwedischer und lateinischer Paralleldruck von vierzehn späten isländischen Sagas. Darin sind u. a. Klassiker
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wie Rolf Krakes saga, die Ragnar Lodbroks saga und die Völsungasaga enthalten – sowie, nicht zu verschweigen, Sagan om Frithiof och Ingeborg, wohlbekannt durch Esaias Tegnérs spätere Umgestaltung im 19. Jahrhundert. Als ebenso guten Rudbeckianer bezeichnet man den etwas später wirkenden, aber noch fleißigeren Johan Göransson. Seine Edition De yfverborna atlingars, eller, sviogötars ok nordmänners Edda (ungefähr Die Edda der vaterlandsliebenden Nachkommen oder der Sviogoten und der Nordmänner), gedruckt 1746, fußt auf der uppsaliensischen Handschrift der Snorra-Edda, mit der die karolinischen Altertumsforscher, allen voran Verelius, so tapfer kämpften, aber die sie nicht in Druck zu bringen vermochten. Wenn auch unvollständig und nachlässig in der Ausführung, hat doch die Edition Göranssons gewisse Bedeutung für die internationale Rezeption von Snorris Werk gehabt. Am wichtigsten ist aber das runologische Tafelwerk Bautil, gedruckt 1750. Hier präsentiert Göransson, nach Landschaften geordnet und ohne erklärenden Text, die im Archiv für Altertümer befindlichen 1173 Reproduktionen von Runensteininschriften, die zuerst von Bureus und seinen Schülern, später vor allem von Hadorph und Peringskiöld gesammelt wurden. Der Gesamtüberblick über die ersten 150 Jahre schwedischer wissenschaftlicher Runologie verleiht diesem halb monumentalen Werk über Runen seinen Wert. Für später verloren gegangenes Inschriftenmaterial besitzt es bis heute Quellenstatus. Dass sich diese reichlich exzentrischen Vertreter einer antiquarischen – im literarischen Anspruch nun auch antiquierten – Editionstradition mit Rudbeckianischen Vorzeichen Kritik und Spott vonseiten ihrer verständnislosen Zeitgenossen zuzogen, verwundert nicht. Es blieb einer späteren Nachwelt vorbehalten, die Brücken zur Zukunft, die sie tatsächlich schlugen, zu erkennen. Einzelne Beiträge zum dahinsiechenden ,götischen‘ Altertumsstudium flossen jedoch auch von weniger exzentrischer Seite der Editionstradition ein. Am wichtigsten war die Fortführung der Forschung zu Ulfilas gotischer Bibel, die 1750 in einer postumen Edition von Erik Benzelius des Codex argenteus resultierte. Größere Bedeutung erhielten die Leistungen von Erik Sotberg und Johan Ihre, die sich mit demselben Text beschäftigten. Deren gleichfalls postume Ausgabe erschien erst 1805 in Deutschland unter Ihres Namen. Mit der Fertigstellung von Biörners und Göranssons letzten Bravourstücken, und neben nunmehr eher gelehrten als literarischen Unternehmungen, wie z. B. den Ulfila-Ausgaben, erlosch für den Rest des 18. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit und auch das Editionsinteresse für schwedische Texte vor der Mitte des voraufgegangenen Jahrhunderts.
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4.
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Zeitgenössische literarische Editionen
Der in der Einleitung angesprochene ‚Paradigmenwechsel‘ in der Editionskultur um 1720 fällt also im Großen und Ganzen, aber nicht völlig mit dem ziemlich plötzlichen Übergang zu einer neuen Ära zusammen. Alte Muster überwintern bis zum nächsten ‚goldenen Zeitalter‘, doch kündigt sich das Neue auch im Alten an. 4.1.
Musæ suethizantes: die karolinische Zeit
„Als Stiernhielm die Gesangsgöttinnen endlich gelehrt hatte, auf Schwedisch zu dichten und zu spielen, mussten sie diese Kunst erst ein Dreivierteljahrhundert lang üben, bevor man sich daranmachte, eine Auswahl aus all dieser Poesie zur Freude für neue Leser und als Muster für neue Poeten zu treffen.“ Dies stellt Staffan Björck in seiner Geschichte schwedischer lyrischer Anthologien fest.15 Die Aussage gilt für die mit Beginn der 1730er Jahre einsetzende Anthologietradition, die Björck behandelt. Dagegen trifft sie für sonstige Editionstätigkeit nicht zu, nicht einmal für eine ‚literarische‘. Werke von zumindest drei bedeutenden und fleißig gelesenen Dichtern des 17. Jahrhunderts werden schon zu karolinischer Zeit Gegenstand von Ausgaben. Vom Sprachforscher und Stiernhielm-Schüler Samuel Columbus (gestorben 1679) gab Jacob Reenstierna 1687 die beiden 1674 zuerst erschienenen religiösen Gelegenheitsgedichte in Hexameter, Den bibliske verlden (Die Welt der Bibel) und Odæ sveticæ, thet är någre verldsbetrachtelser, sång-vijs författade (Schwedische Oden – einige Weltbetrachtungen in Liedform), heraus, zusammen mit der deutschsprachigen Sammlung Rådrijk oder anweiser zur tugend von 1676. – Eine bedeutende Sammlung von Gelegenheitsgedichten und persönlicherer Poesie stammt vom vielleicht originellsten Dichter dieses Jahrhunderts, Lasse Lucidor (gestorben 1674); sie wurde von Johan Andersin 1689 unter dem Titel Helicons blomster (Blumen des Helikon) herausgegeben. – Der vielseitige Bischof, Lexikograph und Kirchenlieddichter Haquin Spegel (gestorben 1714) sah schon zu Lebzeiten (1705) die zweite Auflage seines bekanntesten Gedichtwerkes Gudz verk och hvila (Gottes Werk und Ruhe) von 1685. Weitere Auflagen des großen Schöpfungsepos erschienen 1725 und 1745 während der späteren hier behandelten Periode. (Es fällt also auf, dass die Neuausgaben des Werkes im regelmäßigen Abstand von zwanzig Jahren erschienen.) ____________ 15
Björck 1984, S. 14. – Stiernhielms Musæ suethizantes, thet är Sång-Gudinnor, Nu Först lärande Dichta och Spela på Swenska erschien 1668.
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Inwieweit allerdings diese zur karolinischen Zeit entstandene, auf die zeitgenössische Gegenwart ausgerichtete Edition literarischer Texte eigentlich der jüngeren Freiheitszeit und der Gustavianischen Ära ebenso organisch vorgriff wie die gotizistischen Editionen der Freiheitszeit auf die Epoche der Großmachtszeit zurückgriffen, ist zweifelhaft. Biörners und Göranssons geschichtsromantische Editionstätigkeit stand in krassem Gegensatz zum damaligen Zeitgeist. Die literarische Editorik der karolinischen Zeit war hingegen – artikulierte sie auch nicht ausdrücklich die nationale gotizistische Ideologie – konfliktlos mit ihm in Einklang zu bringen. Die frommen Versifizierungen von Columbus und Spegel provozierten niemanden, und ein Poet wie Lucidor suchte anscheinend meist die allgemeinmenschlichen Themen, die über den zufälligen Turbulenzen der Gegenwart standen. Lucidor im karolinischen Stockholm lenkt vielleicht den Gedanken auf andere zeitlose Dichter, die in politisch und kulturell brodelnden Metropolen wirkten, wie z. B. – ohne den Vergleich zu weit treiben zu wollen – Catull im spätrepublikanischen Rom. Beide bewegen sich in einer existenziellen Sphäre, wo sie über Leben und Tod, Liebe und Rausch dichten; der eine im Grunde genommen ebenso gleichgültig gegenüber dem ,götischen‘ Glanz der karolinischen Großmacht wie der andere gegenüber der politischen Rhetorik Ciceros und Cäsars. 4.2.
Von Runius bis Gyllenborg: Freiheitszeit und Gustavianische Zeit
An der Grenze zwischen den Epochen wirkte Johan Runius (gestorben 1713), ebenso wie Lucidor ein postum veröffentlichter Gelegenheitsdichter. Seine religiöse und profane Dichtung wurde unter dem Titel Dudaim in zwei Teilen gedruckt: Andelige blommor (Geistliche Blumen) 1714 und Werldzlige lillior (Weltliche Lilien) 1715. Eine zweite Auflage erschien 1733, diesmal ergänzt um einen dritten Teil, betitelt Sinnekryddor (Geistesgewürze). Heutiges Denken wirkt auf die Einstellung zu Literatur und literarischen Gattungen dieser Zeit anachronistisch begriffssteuernd. Unsere Auffassung, dass Editionen von zeitgenössischen Poeten des 17. und der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts denjenigen völlig wesensfremd seien, die sich zur gleichen Zeit historisch-antiquarischen Themen widmeten, ist, wie oben bemerkt, streng genommen unvereinbar mit dem damaligen weitläufigeren Literaturbegriff: Snorris Königssagas oder Rimberts lateinische Ansgar-Biografie waren in keinem geringeren Grad ‚literarische‘ Werke als (vielleicht etwas zugespitzt) Lucidors bacchantische Lieder. Während der Freiheitszeit setzen neue Wertungsgewichtungen ein, die bis heute anhalten. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit, und deutlich unterschieden als eine spezifische Kategorie, rückt nun
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der literarische Text. Die Editorik dieser Epoche richtete ihr Augenmerk nicht mehr auf bewunderte Überreste eines entlegen schimmernden, entschwundenen Goldenen Zeitalters, sondern wendete sich der viel handgreiflicher zugänglichen Dichtung und Gedankenwelt des Heute und des naheliegenden Gestern zu. Die Anthologien gewinnen die Oberhand Das oben Gesagte bedeutete gleichzeitig eine Veränderung der äußeren Form der Texteditionen. Die Edition eines, zweier oder mehrerer Werke desselben Autors geschah jetzt verhältnismäßig selten. Als vorherrschende Form literarischer Textausgaben etablierte sich stattdessen die Anthologie, der Sammelband, wo ein Herausgeber nach dem einen oder anderen richtunggebenden Prinzip, mehr oder weniger methodisch, mit einem engeren oder weiteren Blick und kürzerer oder längerer Zeitperspektive die ‚Blüten‘ der Epochendichtung zusammentrug. Staffan Björck, der über diese Art von Textausgabe eine wichtige Monografie verfasst hat, nennt an die zehn Anthologien aus der Freiheitszeit und der Gustavianischen Zeit, wovon er ungefähr die Hälfte näher erörtert.16 Die Anthologie zur Freiheitszeit war in der schwedischen Literaturgeschichte nicht etwas ganz so Neues wie es der Leser von Björcks Darstellung vermuten könnte. Während der karolinischen oder in der Vasazeit kam sie freilich kaum vor, doch war die Anthologie (was Björck nicht erwähnt) im Mittelalter eine gebräuchliche, manchmal sogar dominierende Form von Textverbreitung für ein allgemeineres Publikum gewesen.17 Dies mag vielleicht von eher akademischem Interesse sein, doch stimmt es zweifellos, dass die Lyrikanthologie während der Freiheitszeit als etwas Neues lanciert wurde und damit ein in der vorhergehenden Zeit anscheinend unbekanntes Bedürfnis erfüllte. Die erste, 1737/38 in zwei Teilen erschienene Ausgabe ist eine knapp 300seitige Anthologie, herausgegeben vom Publizisten und Beamten Carl Carlsson mit dem Titel Försök til Swänska Skalde-Konstens uphielpande, eller: Samling af utwalda Swänska Rim och Dikter (Versuch zur Verbesserung der schwedischen Dichtkunst, oder: Sammlung ausgewählter schwedischer Verse und Gedichte). Die Auswahl umfasst eine bedeutende Anzahl Werke von sowohl zeitgenössischen als auch etwas älteren Dichtern. Am häufigsten vertre____________ 16 17
Björck 1984, S. 17–45, 235 f. Die Mehrzahl der bis heute erhaltenen Handschriften mit literarischem Inhalt aus dem Kloster Vadstena sind nichts anderes als Anthologien, auf gleiche Art und mit dem gleichen Zweck entstanden wie die Anthologien späterer Zeiten, auch wenn schwedische Mittelalterphilologen (wohl nach deutschem Vorbild) oft die Bezeichnung ‚Sammelhandschriften‘ vorziehen (so zuletzt bei Carlquist 2002).
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ten sind Gunno Dahlstierna, Samuel Triewald, Torsten Rudeen, Johan Gabriel Werwing, Johan Tobias Geisler, Olaus Broms und Olof Gyllenborg. Gunno Dahlstiernas vollständig aufgenommenes umfangreiches Gedicht Kunga Skald, verfasst zu Ehren des verstorbenen Königs Karl XI., macht seinen Autor zum größten Beiträger der Ausgabe. Der älteste Text ist ein Grabgesang von Petrus Lagerlöf von 1673. Da einige der vertretenen Autoren wie Rudeen und Werwing nirgendwo anders als in dieser Anthologie veröffentlicht sind und der dem Herausgeber Carlsson nahestehende Olof von Dalin mit umfänglichen, neu geschriebenen Texten auftritt, ist der Anthologie-Charakter des Werkes nur relativ. Wenn einerseits die Anthologie Carlssons laut Björck einem literarisch beispielsetzenden Zweck diente und dadurch vor allem „für den Dichterstand gedacht“ war,18 hat andererseits der einflussreiche Philologe Abraham Sahlstedt mit seiner Samling af Verser på Swenska (Sammlung von Versen auf Schwedisch), veröffentlicht in vier Teilen 1751–1753, hauptsächlich auf die moralische Laienerziehung gezielt. Auf über 500 Seiten enthält die Anthologie meist zeitgenössische, später nur wenig bekannte Dichtung, sowie Werke einiger älterer Dichter, teilweise dieselben wie in Carlssons Ausgabe. Björck zeigt, dass der von der Ästhetik seiner Zeit gesteuerte Sahlstedt auf eine für moderne Begriffe herausfordernde Art große Teile des gesammelten Stoffes in ein formalistisches und stilistisches Prokrustesbett zwängte. In Små-Saker till Nöje och Tidsfördrif (Kleinigkeiten zum Vergnügen und Zeitvertreib), erschienen in acht Heften 1756/57, später fortgesetzt als Allahanda (Allerlei), bietet Bengt Bergius einem kultivierten Leserkreis mehr als 1600 Seiten an poetischen Miszellen, die fast nur der Dichtung des eigenen Jahrhunderts entstammen: Schwedisches und Ausländisches, Originaltexte und Übersetzungen. Die Anordnung ist spielerisch assoziativ. Die meisten der folgenden Gedichtanthologien des späteren 18. Jahrhunderts sind wie diejenige von Bergius mehr oder weniger gegenwartsbetont. Sie sind daher eigentlich keine Editionen im engeren Sinn und werden hier nicht angeführt. Aus editionshistorischer Sicht sind sie als Phänomen der Zeit trotzdem relevant. Björck stellt fest: „Für die Gustavianer hat sich […] die Kluft zwischen dem als zeitgenössisch und aktuell akzeptierten Gedicht und einer älteren ,Reimkunst‘ erweitert und ist dem Jetzt außerdem nähergerückt: auch das jüngst Verflossene gehört der Geschichte an.“19 Als Gustaf Fredrik Gyllenborg 1795 seine eigenen Werke mit früheren Arbeiten von Gustaf Philip Creutz in einem gemeinsamen Band herausgab, markierte er damit die Auffas____________ 18 19
Björck 1984, S. 25. Björck 1984, S. 46.
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sung seiner Zeit, nämlich dass Letzterer „der erste moderne Dichter“ sei. In dem von Gustaf Regnér 1784–1786 herausgegebenen Periodikum Svenska Parnassen ist die vergangenheitsbezogene Perspektive dieselbe. Unter „einer Menge funkelnagelneuer Dinge“ findet sich hier ebenso als ältester Beiträger Creutz (mit Daphne 1762).20 Innerhalb dieses zeitgebundenen Rahmens zeigt Regnér auch Sinn „für den Fortschritt der Sprache und des Geistes“.21 Eben darin weist er nach vorwärts. Wie Björck feststellt, nennt Regnér in seiner Betonung des Wertes der Tradition (obwohl ohne Nachdruck irgendeines der Werke) im Großen und Ganzen dieselben Dichter, die auch dem modernen Kanon angehören: Stiernhielm, Columbus, Lucidor, Spegel, Runius und noch einige mehr. Für diesen älteren ‚Parnass‘– wie auch für gotizistische Denkmuster – lag jedoch die Renaissance noch in der Zukunft.
5.
Editionen: eine Gesamtübersicht
Das Wesentliche der Editionsaktivitäten in der jeweils behandelten Periode innerhalb der angegebenen Gegenstandsbereiche ist im Folgenden verzeichnet.22 Die Titel sind innerhalb jedes Bereiches nach Herausgeber geordnet und chronologisch aufgeführt. Runenliteratur Bureus, Johannes 1599: Runokenslones lärespån; 1648: Monumenta runica; um 1650 (ungedruckt): Sveorum Runae. Göransson, Johan 1750: Bautil. (Tafelwerk über sämtliche zeitgenössisch dokumentierten Runeninschriften.)
Gesetzesliteratur Bure, Jonas 1607: Upplandslagen; 1607: Östgötalagen; 1608: Kristoffers landslag; 1609: Hälsingelagen; 1618: Stadslagen; 1666: Hälsingelagen, Landslagen, Stadslagen, Södermannalagen, Upplandslagen, Västgötalagen, Västmannalagen, Östgötalagen (Nachdruck, „Meurers Auflage“). (In den vier Jahrzehnten nach 1620 erfolgt ein rundes Dutzend von Ausgaben, Neuausgaben und Nachdrucken schwedischer Mittelaltergesetze – oft mit verschiedenen Beilagen, wie vor allem die Domareregler des Olaus Petri – von Jonas Bure herausgegeben.) Hadorph, Johan 1676: Skånelagen; 1676: Dalalagen; 1687: Gutalagen mit Gutasagan; 1687: Bjärköarätten; 1688: Visby stadslag; 1689: Visby sjörätt. Loccenius, Johannes ca. 1700: Landslagen, Stadslagen (lateinisch). ____________ 20 21 22
Björck 1984, S. 38. Björck 1984, S. 39, nach Swahn 1974, S. 90. Das Verzeichnis ist nicht vollständig, vor allem nicht in den Kategorien Gesetzesliteratur, (lateinische) Historiographie und zeitgenössische Literatur.
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Messenius, Johannes 1614: Magnus Erikssons landslag (lateinisch). Stiernhielm, Georg 1663: Västgötalagen.
Traktate Bureus, Johannes 1634: Konungastyrelsen. Bureus, Johannes 1650: Konungastyrelsen (Nachdruck). (Bureus, Johannes) Schefferus, Johannes 1669: Konungastyrelsen (Neuausgabe).
Chroniken Hadorph, Johan 1672: Konung Alexander (übers. Boo Jonszon); 1674: Den korta och Den vidlyftiga rimkrönikan (Lilla rimkrönikan och Prosakrönikan. Nachdruck); 1675: Sankt Olafssagan (Historia Sancti Olai) u. a.; 1676: Zweiter Teil von: Den vidlyftiga rimkrönikan (Lilla rimkrönikan och Prosakrönikan). Messenius, Johannes 1615: Lilla rimkrönikan och Prosakrönikan (Nachdruck 1643); 1616: Stora rimkrönikan (Anfang).
Historiographie (lateinisch) Benzelius, Erik 1721: Diarium wazstenense. Loccenius, Johannes 1654: Ericus Olai: Chronica regni Gothorum (Nachdruck). Messenius, Johannes 1615: Ericus Olai: Chronica regni Gothorum; 1615: Adam av Bremen: Chorographia Scandinaviæ (= Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum). Peringskiöld, Johan 1700–1705: Johannes Messenius: Scondia illustrata. Örnhielm, Claudius 1677: Rimbert: Vita Anscharii.
Gotische Bibel (Codex argenteus) Benzelius, Erik 1750: Codex argenteus (Neuausgabe). (Sotberg, Erik &) Ihre, Johan 1805: Sacrorum Evangeliorum versio gothica (Neuausgabe). Stiernhielm, Georg 1671: Evangelia ab Ulfila […] gothicè translata (Neuausgabe).
Isländische Literatur: Sagadichtung und Snorri-Edda Biörner, Eric Julius 1737: Nordiska kämpadater. Göransson, Johan 1746: De yfverborna atlingars, eller, sviogötars och nordmänners Edda. (SnorraEdda: unvollständige Ausgabe.) Peringskiöld, Johan 1697–1700: Snorri Sturluson: Heimskringla; 1699: Didrik av Bern (deutsche Version, Hrsg. J. Cochlæus); 1700/01: Historia Hialmari (Hjalmars saga); 1715: Wilkinasagan (Didrik av Bern). Peringskiöld, Johan Fredrich 1719: Sagubrot; 1720: Hialmters och Olvers saga; 1722: Asmund Kappabanes saga. Rugman, Jonas (Übersetzer) 1670: Norlandz chrönika och beskriffning. (Heimskringla. Bearbeitete schwedische Version von Snorri Sturlasons kungasagor.) Verelius, Olof 1664: Gothrici et Rolfi […] historia (Hrólfs saga Gautrekssonar); 1665: Olaf Tryggvasons saga (Fragment); 1666: Herrauds och Bosa saga; 1672: Hervarar saga.
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Zeitgenössische Literatur Andersin, Johan 1689: Lasse Lucidor: Helicons blomster. Anonym 1705: Haquin Spegel: Gudz verk och hvila (2. Aufl.); 1725 (3. Aufl.) Bergius, Bengt 1756/57: Små-Saker till Nöje och Tidsfördrif, fortgesetzt als Allahanda. Anthologie. Enthält Poesie, meist des 18. Jahrhunderts, in bunter Mischung. Broocman, Carl Fredrik 1745: Haquin Spegel: Gudz verk och hvila. (4. Aufl.). Carlsson, Carl 1737/38: Försök til Swänska Skalde-Konstens uphielpande, eller: Samling af utwalda Swänska Rim och Dikter 1 und 2. Anthologie. Vertretene Dichter: Broms; Dahlstierna; Geisler; Gyllenborg, C.; Gyllenborg, O.; Hallman; Hjortsberg; Kolmodin; Lagerlöf, P.; Risell; Rudeen; Rudenschöld; Stiernman; Triewald; Werwing. Frisch, P. 1714/15: Johan Runius: Dudaim: 1. Andelige blommor. 2. Werldzlige lillior; 1733: Dudaim: Andelige blommor; Werldzlige lillior; Sinnekryddor. Gyllenborg, Gustaf Fredrik 1795: Vitterhetsarbeten af Creutz och Gyllenborg. Reenstierna, Jacob 1687: Samuel Columbus: Den bibliske verlden; Odæ sveticæ, thet är någre verldsbetrachtelser, sång-vijs författade; Rådrijk oder anweiser zur tugend. Regnér, Gustaf 1784–1786: Svenska Parnassen. Anthologie. Enthält Poesie des 18. Jahrhunderts ab Creutz, mit Schwerpunkt auf der Gegenwart. Sahlstedt, Abraham 1751–1753: Samling af Verser på Swenska. 4 Bde. Anthologie. Vertretene Dichter: Brenner, Columbus, Dahlstierna, Lagerlöf, Lindschöld, Rudeen, Spegel, Stiernhielm, Triewald, Wexionius. Ansonsten meist zeitgenössische Dichtung.
Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract The achievements of editing discussed in the article reflect very distinctly the differing attitudes during two main epochs of Swedish history. In principle, the former was turned to the past, the latter to the present. Each tradition is presented in a major section. During a brief and brilliant period as a great power in the 17th and early 18th centuries, the Swedes widened their outlook on the world and deepened their views on the past, in a spirit of renaissance and humanism, ending in a patriotic historical illusion. The decease of the “hero king” Charles XII (Karl XII) in 1718 and the subsequent fall of the great power resulted in a more realistic understanding of the Swedish nation’s role in the world, as a minor border state in the northern periphery of Europe. At the same time, the choking dominance of an orthodox Lutheran State church was gradually loosening, replaced by a more open-minded cultural climate in the spirit of the Enlightenment. In the Caroline epoch (roughly 1650–1720), a half-dozen learned members of a royal “Committee of Antiquties” (Collegium Antiquitatum) were busy editing and translating medieval Swedish texts, such as provincial laws and historical verse chronicles – apart from, of course, constantly carrying forward the industrious inventory of runic inscriptions. The later decades of the period saw even a comprehensive editing of Icelandic sagas and eddic poetry; particu-
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larly important is the trilingual (Icelandic-Swedish-Latin) pioneering edition of Snorri Sturluson’s Norwegian Kings’ sagas, appearing in two magnificent volumes 1697 and 1700. The later 18th-century editing was a comparatively minor affair. It was dominated by a dozen literary anthologies, comprising a number of contemporary and slightly older Swedish poets, including those belonging to the canon of later epochs (such as Stiernhielm, Columbus, Lucidor, Spegel, Runius and some more); just a few of them were edited separately.
Literaturverzeichnis Editionen Adam av Bremen: Chorographia Scandinaviæ, sive Descriptio vetvstissima regionum & populoruum aquilonarium, Sueciæ, Daniæ & Norwegiæ, per […] Adamvm, Bremensis ecclesiæ canonicum […] nunc verò à Johanne Messenio […] publicata. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1615. Allahanda. Hrsg. von Bengt Bergius. 3 Bde. Stockholm 1757/58. [Ásmundar saga kappabana.] Saugu Asmundar, er kalladur er Kappabani. Eller Asmunds Kappabanes saga, hoc est Narratio historica rerum præclare gestarum, ab Asmundo, cui strenua dextra cognomen, pugilum interfectoris peperit. Hrsg. von Johan Fredrich Peringskiöld. Stockholm 1722. Bautil, det är: alle Svea ok Götha rikens runstenar, upreste ifrån verldenes år 2000 til Christi år 1000. Hrsg. von Johan Göransson. Stockholm 1750. [Bjärköarätten.] Biärköa rätten, thet är then äldsta stadz lag i Sweriges rjke, först brukat i Biörköö många hundrade åhr sedan; men af Byrger järl sedermera något tilökt åhr 1254 och Stockholms stad gifwen; nu först på gammalt pergament igenfunnen och vplagd. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1687. [Codex argenteus.] D. N. Jesu Christi ss. Evangelia ab Ulfila gothorum in Moesia episcopo circa annum a nato Christo CCCLX ex græco gothice translata, nunc cum parallelis versionibus, sveo-gothica, norræna, seu islandica, & vulgata latina edita. Hrsg. von Georg Stiernhielm. Stockholm 1671. [Codex argenteus]. Sacrorum evangeliorum versio Gothica ex codice argenteo emendata atque suppleta. Hrsg. von Erik Benzelius. Oxford 1750. [Codex argenteus.] Ulfilas gothische Bibelübersetzung […] nach Ihre’ns Text […]. Hrsg. von Johann Christian Zahn. Weissenfels 1805. Columbus, Samuel: Samuelis Columbi Bibliske werld, sampt andre hans poetiske skriffter, med flijt samblade, och andre resan uplagde. Hrsg. von Jacob Reenstierna. Stockholm 1687. Creutz, Gustaf Philip und Gustaf Fredrik Gyllenborg: Vitterhets arbeten af Creutz och Gyllenborg. Hrsg. von Gustaf Fredrik Gyllenborg. Stockholm 1795. [Dalalagen.] Dahle laghen, then i forna tijder hafwer brukat warit öfwer alla Dalarna och them som in om Dala råmärken bodde. Nylig igenfunnin vthi ett gammalt MS.to. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1676. Diarium Vazstenense ab ipsis initiis monasterii ad ejusdem destructionem. Hrsg. von Erik Benzelius. Uppsala 1721. [Didrik av Bern.] Vita Theoderici regis Ostrogothorum et Italiæ, autore Joanne Cochlæo Germano. Cum additamentis & annotationibus, quæ Sveo-Gothorum ex Scandia expeditiones & commercia illustrant. Deutsche Version, hrsg. J. Cochlæus. Hrsg. von Johan Peringskiöld. Stockholm 1699.
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[Didrik av Bern.] Wilkina saga, eller Historien om konung Thiderich af Bern och hans kämpar; samt Niflunga sagan; innehållandes några göthiska konungars och hieltars forna bedrifter i Ryszland, Polen, Ungern, Italien, Burgundien och Spanien etc. Hrsg. von Johan Peringskiöld. Stockholm 1715. Ericus Olai. Historia Svecorvm Gothorvmqve, per reverendum dominum Ericum Olai […] fideliter concinnata, […] nunc verò operâ & studio Johannis Messenii. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1615. Ericus Olai. Erici Olai Historia suecorum gothorumque, a Johanne Loccenio iterum edita, & brevibus notis illustrata. Hrsg. von Johannes Loccenius. Stockholm 1654. Försök til swänska skalde-konstens uphielpande, eller Samling af utwalda swänska rim och dickter. Hrsg. Carl Carlsson. 6 Bde. Stockholm 1737/38. [Gutalagen med Gutasagan.] Gothlandz-laghen på gammal göthiska, med en historisk berättelse wid ändan, huruledes Gothland först är vpfunnit och besatt. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1687. [Heimskringla.] Heims kringla eller Snorre Sturlusons Nordländske konunga sagor. Sive Historiæ regum septentrionalium a Snorrone Sturlonide, ante secula quinque, patrio sermone antiquo conscriptæ. Hrsg. von Johan Peringskiöld. 2 Bde. Stockholm 1697–1700. [Heimskringla.] Norlandz chrönika och beskriffning: hwaruthinnan förmähles the äldste historier om Swea och Götha rijken, sampt Norrie, och eendeels om Danmarck, och om theres wilkår och tilstånd sammanfattad och ihopa dragen aff åthskilliga trowärdiga bööker, skriffter och handlingar. Übers. von Jonas Rugman. Visingsborg 1670. Herrauds och Bosa saga med en ny vttolkning iämpte gambla götskan förfärdigat af Olao Verelio. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1666. [Hervarar saga.] Hervarar saga på gammal götska med Olai Vereli vttolkning och notis. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1672. [Hjalmars saga.] Historia Hialmari regis Biarmlandiæ atque Thulemarkiæ, ex fragmento runici ms.ti literis recentioribus descripta, cum gemina versione Johannis Peringskioldi. Hrsg. von Johan Peringskiöld. Stockholm 1700/01. [Hjálmþers saga ok Ölvers.] Hialmters och Olvers saga, handlande om trenne konungar i Mannahem eller Swerige, Inge, Hialmter, och Inge, samt Olver jarl, och om theras vthresor til Grekeland och Arabien; wid pasz i the första hundrade åhren efter Christi födelse. Af gamla nordiska språket å nyo på swensko vthtolkad af Johan Fredrich Peringskiöld. Hrsg. von Johan Fredrich Peringskiöld. Stockholm 1720. [Historia Sancti Olai.] Sanct Olaffs saga på swenske rim. Fordom öffwer 200 år sedan uthdragin af then gambla och widlyftige norske sagan och här korteligare författat […] item några norske föreningar medh Swerige. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1675. [Hrólfs saga Gautrekssonar.] Gothrici et Rolfi Westrogothiæ regum historia lingua antiqua gothica conscripta. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1664. [Hälsingelagen.] Hälsinge laghen, som öfwer alle Norlanden, thet är Sundhedhi, Mädelpada, Ångermanland och Norrebotn, fordom brukades. Hrsg. von Jonas Bure. Stockholm 1609. [Hälsingelagen, Landslagen, Stadslagen, Södermannalagen, Upplandslagen, Västgötalagen, Västmannalagen, Östgötalagen.] Sverikes rikes lagh-böker, som äre, landz lagh, stadz lagh, Vplandz lagh, Wästgötha lagh, Östgötha lagh, Södermanl., Wästmanna och Helsing lagh. [Hrsg. von Jonas Bure.] Stockholm 1666. [Konung Alexander.] Alexandri Magni historia på swenska i rijm aff latinen in på wårt språåk wänd och bekostat genom […] Hr: Boo Jonszon, fordom Sweriges rijkes drotzet. Übers. von Boo Jonszon. Hrsg. von Johan Hadorph. Visingsborg 1672. [Konungastyrelsen.] En nyttigh bok, om Konnunga styrilse och höfdinga, fordom för någre hundrade åhr, af en förståndigh swensk man skrifvin skrifvin, ock nu nyliga framkommen. Hrsg. von Johannes Bureus. Uppsala 1634. [Konungastyrelsen.] En nyttigh bok, om konunga styrilse och höfdinga, fordom för någre hundrade åhr, af en förståndigh swensk man skrifvin, ock nu nyliga framkommen. Hrsg. von Johannes Bureus. Uppsala 1650. [Konungastyrelsen.] Kununga ok höfdinga styrilse hoc est regum principumque institutio ab incerto auctore gentis sueticæ ante sæcula nonnulla patrio sermone conscripta. Hrsg. von Johannes Schefferus. Stockholm 1669.
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[Kristoffers landslag.] Swerikes rijkes landzlagh, som af Rijksens rådh blef öfwersedd och förbätrat: och af K. Christofer […] 1442 stadfäst. Hrsg. von Jonas Bure. Stockholm 1608. [Landslagen, Stadslagen.] Jus vetus Uplandicum, quod Birgerus Magni filius, Svionum Gothorumque rex, a:o Chr. MCCXCV. Recognovit, et e svionico in latinum transtvlit Johannes Loccenius. Hrsg. von Johannes Loccenius. Uppsala 1700. Lucidor [Lars Johanson]: Helicons blomster, plåckade ok wid åtskillige tillfällen utdelte af Lucidor den olyklige. Hrsg. von Johan Andersin. Stockholm 1689. [Lilla rimkrönikan och Prosaiska krönikan.] Twå små gamble Sweriges och Göthes chrönikor, then ena på rhijm, then andra elliest, för någre hundradhe åhr sedhan beskrefne. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1615. [Lilla rimkrönikan och Prosaiska krönikan.] Twå små gamble Sweriges och Göthes chrönikor, then ena på rhijm, then andra elliest, för någre hundradhe åhr sedhan beskrefne. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1643. [Lilla rimkrönikan och Prosaiska krönikan.] Två gambla swenske rijm-krönikor, then förre kort, och innehåller sextijo twå Swea och Götha konungar; förste gång vplagd åhr 1615. Then andra widlyftigh, och beskrifwer tiugu twå konungars lefwerne och bedriffter, til en deel tryckt åhr 1616. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1674–1676. [Magnus Erikssons landslag.] Leges Svecorvm Gothorvmque per […] Ragvaldvm Ingemvndi […] anno M. CD. LXXXI. latinitate primùm donatæ ; nunc autem zelo patriæ illustrandæ Iohannis Messenii. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1614. Messenius, Johannes: Scondia illustrata. Hrsg. von Johan Peringskiöld. Bd. 1–13, 15. Stockholm 1700–1705. [Monumenta runica.] Monvmenta vetervm Sveonvm et Gothorvm in patria proprias eorvmdem literas exprimentia. [Kupferstiche.] Hrsg. von Johannes Bureus. Stockholm 1648. Nordiska kämpa dater, i en sagoflock samlade om forna kongar och hjältar. Hrsg. von Eric Julius Biörner. Stockholm 1737. [Olaf Tryggvasons saga (Fragment).] Itt stycke af konvng Olaf Tryggiasons saga, hwilken Oddur Munck på gammal götska beskrifwit hafwer af itt gammalt pergamentz manuscripto aftryckt. Hrsg. von Olof Verelius. Uppsala 1665. Runakenslones lerespan. [Kupferstich.] Hrsg. von Johannes Bureus. Uppsala 1599. Runius, Johan: Dudaim: 1. Andelige blommor. 2. Werldzlige lillior. Hrsg. von P. Frisch. Stockholm 1714/15. Runius, Johan: Dudaim: 1. Andeliga blommor; 2. Werldzlige lillior; 3. Sinnekrydder. Hrsg. von P. Frisch. Stockholm 1733. [Sagubrot.] Sogubrot af nockorum fornkongum i Dana oc Svia velldi. Eller Sagobrott, handlande om nogra forna konungar i Swerige och Danmark. Samt om Bråwalla slaget, emellan kong Haralld Hillditan och Sigurd Ring. Vtaf gamla nordiska språket förswenskat af Johan Fredrich Peringskiöld. Hrsg. von Johan Fredrik Peringskiöld. Stockholm 1719. Samling af verser på swenska. Hrsg. Abraham Sahlstedt. 4 Bde. Stockholm 1751–1753. [Skånelagen.] Then gambla Skåne lagh, som i forna tijder hafwer brukat warit, och nu aff ett gammalt pergamentz ms.to med flijt vthskrifwin, medh nyare codicibus jempnförd och förbättrat. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1676. Små-saker til nöje och tidsfördrif. Hrsg. Bengt Bergius. 8 Bde. Stockholm 1756/57. [Snorra-Edda.] De yfverborna atlingars, eller, sviogötars ok nordmänners, Edda, det är, stammodren för deras, uti hedendomen, både andliga ok verldsliga vishet; nu första gången på svensko öfversatt, med latinsk uttolkning försed; jämte et företal. Hrsg. von Johan Göransson. Uppsala 1746. Spegel, Haquin: Gudz werck och hwila: thet är hela werldenes vnderwärda skapelse, vthi sex dagar af then alsmächtiga Guden fulbordad: samt then siunde dagens nödwändiga helgelse. Stockholm 1705. Spegel, Haquin: Guds werck och hwila: thet är hela werldenes underwärda skapelse, vthi sex dagar af then alsmächtiga Guden fulbordad: samt then siunde dagens nödwändiga helgelse. Leipzig 1725. Spegel, Haquin: Doct. Haqvini Spegels, Swea rikes archi-biskops, etc. Åtskilliga poëtiska skriffter: bestående vti Guds werck och hwila, thet öpna, tilslutna, och återwundna paradiset, jämte Salomons wishet och härlighet. Hrsg. von Carl Fredrik Broocman. Norrköping 1745. [Stadslagen.] Swerikes rijkes stadz lagh. [Hrsg. von Jonas Bure.] Stockholm 1618.
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[Stora rimkrönikan.] Then gamble rijm krönikes första deel. Hrsg. von Johannes Messenius. Stockholm 1616. Svenska Parnassen. Hrsg. von Gustaf Regnér. Stockholm 1784–1786. [Upplandslagen.] Uplandz laghen, sum af Byrgher Magnusa son Swea ok Giötha kununge […] 1295. förbätradhes. Hrsg. von Jonas Bure. Stockholm 1607. [Visby stadslag.] Wisby stadz lag på Gotland, såsom, then i forna tijder giord, och sedan af swenske konungar och regenter, […] stadgat, förbättrat och stadfäst är. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1688. [Visby sjörätt.] Then gambla Wijsby siö-rätt fordom på göthiska sammansatt af dhe förnämste kiöpmän och skieppare i Wijsby, at bruka för rätt lag uthi stora siön emillan skieppare, kiöpmän. Hrsg. von Johan Hadorph. Stockholm 1689. [Vita Anskarii.] S. Anscharii, primi Hamburgensium archiepiscopi et in Scandiana vicinarumque gentium regna […] legati, vita gemina […] nec non [Rimberti] vitæ versio vetus Svecica. Hrsg. von Clas Arrhenius (Örnhielm). Stockholm 1677. [Västgötalagen.] Wästgötha laghbook, vppå den stormechtigste, höghborne furstes och herres, Herr Carl then Ellofftes, Sweriges […] Konungs befalning […] medh flijt vthskrifwin. Hrsg. von Georg Stiernhielm. Stockholm 1663. [Östgötalagen.] Östgötha laghen, thän af forna Swea ok Götha kunungar ok regänter, ok särdeles kunung Knuth Erik hin Heligas son ok Birger Jarl, stadgadh ok förbätradh är […] 1168. ok 1260. Hrsg. von Jonas Bure. Stockholm 1607.
Sonstige Literatur Bennich-Björkman, Bo: Författaren i ämbetet. Studier i funktion och organisation av författarämbeten vid svenska hovet och kansliet 1550–1850. Diss. Uppsala. Stockholm 1970 (Studia litterarum Upsaliensia 5) [= 1970a]. Bennich-Björkman, Bo: Termen litteratur i svenskan 1750–1850. Uppsala 1970 (Meddelanden utgivna av Avdelningen för litteratursociologi vid Litteraturhistoriska institutionen i Uppsala 4) [= 1970b]. Björck, Staffan: Svenska språkets skönheter. Om den lyriska antologin i Sverige – dess historia och former. Stockholm 1984. Carlquist, Jonas: Handskriften som historiskt vittne. Fornsvenska samlingshandskrifter – miljö och funktion. Stockholm 2002 (Runica et mediævalia. Opuscula 6). Collijn, Isak: Sveriges bibliografi 1600-talet. Bidrag till en bibliografisk förteckning. Uppsala 1942–1946. Den svenska litteraturen. Hrsg. von Lars Lönnroth und Sven Delblanc. Bd. 1 (Från forntid till frihetstid: 800–1718) und 2 (Upplysning och romantik: 1718–1830). Stockholm 1987/88. Götriks saga: en fornaldarsaga. Förord och översättning av Mats Malm. Örebro 1990. Hansson, Stina: Afsatt på swensko. 1600-talets tryckta översättningslitteratur. Göteborg 1982. Helgerånet. Från mässböcker till munkepärmar. Hrsg. von Kerstin Abukhanfusa et al. Stockholm 1993. Henrikson, Paula: Textutgivning och hermeneutik. En blick på editionshistorien. In: Filologi og hermeneutikk. Hrsg. von Odd Einar Haugen, Christian Janss und Tone Modalsli. Oslo 2007 (Nordisk Nettverk for Edisjonsfilologar. Skrifter 7), S. 105–129. Lindroth, Sten: Svensk lärdomshistoria. Bd. 2 (Stormaktstiden), 3 (Frihetstiden), 4 (Gustavianska tiden). Stockholm 1975, 1978, 1981. Malm, Mats: Minervas äpple. Om diktsyn, tolkning och bildspråk inom nordisk göticism. Diss. Göteborg. Stockholm, Stehag 1996. Moberg, Lennart: Konungastyrelsen. En filologisk undersökning. Uppsala 1984. (Samlingar utgivna av Svenska Fornskriftsällskapet. Serie 1, Svenska skrifter, 255 = 69:2). Ny illustrerad svensk litteraturhistoria. Hrsg. Eugène Napoleon Tigerstedt. Bd. 1 (Forntiden, medeltiden, vasatiden) und 2 (Karolinska tiden, frihetstiden, gustavianska tiden). Stockholm 1955/56. Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Hrsg. von Heinrich Beck et al. (2. Aufl.). Bd. 12. Berlin, New York 1998.
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Schück, Henrik und Karl Warburg: Illustrerad svensk litteraturhistoria. Dritte, vollständig überarbeitete Auflage. Bd. 1 (Forntiden och medeltiden) und 2 (Reformationstiden och stormaktstiden). Stockholm 1926/27. Schück, Henrik: Minne av Johan Hadorph. In: Svenska akademiens handlingar 1932 (gedruckt 1933), S. 71–335. Swahn, Sigbrit: Ryktets förvandlingar. Stiernhielm, Lucidor och Runius bedömda av 1700-talet. En studie i den litterära kritikens utveckling i Sverige. Diss. Lund 1974. Svärdström, Elisabeth: Johannes Bureus’ arbeten om svenska runinskrifter. Stockholm 1936. (Kungl. Vitterhets- historie och antikvitetsakademiens handlingar 42, 3). Wollin, Lars: Drömmen om Runverket. Johannes Bureus och den äldsta runologin. In: Blandade runstudier 1. Hrsg. Lennart Elmevik und Lena Peterson. Uppsala 1992 (Runrön 6), S. 173–201. Wollin, Lars: Konungastyrelsen – en edition i tiden? In: Språk och Stil 5, 1995, S. 121–151. Wollin, Lars: Prosafiktion och nusvensk skriftspråksutveckling. Ett forskningsprojekt. In: Fiktionens texter – och verklighetens. Skisser från ett projekt. Hrsg. Lars Wollin und Maria Sarén. Åbo 2005 (FILIS rapport 1), S. 7–79.
Paula Henrikson
Geschichte der Edition in Schweden im 19. Jahrhundert
„Das 19. Jahrhundert wurde zum Jahrhundert der Edition“, so hat man gesagt, und das aus guten Gründen.1 Die Editionsphilologie stellte sich in den Dienst der Professionalisierung der Geschichtswissenschaften und der Entwicklung einer modernen Quellenkritik. Zugleich wurde die wissenschaftliche Ausgabe ein Werkzeug der Sprachwissenschaften, deren Expansion sich unter anderem aus J. G. Herders (1744–1803) einflussreichen Ideen von der Sprache als zentralem Ausdruck der gemeinsamen Wesensart und Entfaltung eines Volkes herleitet. Außerdem wirkte eine lange Reihe von Literaturausgaben daran mit, die Vorstellung von einem nationalen Kulturerbe literarischer Klassiker zu befestigen. Diese Geschichte der Literaturausgaben wird im Mittelpunkt der folgenden Darstellung stehen, auch wenn deren Zusammenhang mit editorischer Tätigkeit auf anderen Gebieten gleichfalls beleuchtet werden wird.
1.
Gesellschaft und Urheberrecht
Die Jahrhundertwende um 1800 brachte für die gesellschaftliche Entwicklung in Europa eine bedeutende Reihe entscheidender Veränderungen mit sich. Demografisch lassen sie sich ablesen an Bevölkerungswachstum und Einebnungen der Standesunterschiede, politisch an Staatenumschichtungen, welche Europas politische Karte neu einteilen, ideengeschichtlich am Wachsen eines historischen Bewusstseins, das weit getrennte Wissensgebiete gleichermaßen eroberte. Für Schweden sind viele dieser Veränderungen aus dem Blickwinkel der konstitutionellen Revolution zu sehen, die das Land 1809 erfasste, und die 1810 in einer neuen Verfassung und einer neuen Grundgesetzgebung mündete. Der Staatsstreich in Schweden gab zugleich den Startschuss für eine lebhafte literarische und publizistische Tätigkeit. Diesen Aktivitäten lag die Gewährung von Meinungs- und Publikationsfreiheit im Jahr 1810 zugrunde, die auch ein gesetzlich verankertes Urheberrecht einschloss. ____________ 1
Torstendahl 1964, S. 215.
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Das neue Urheberrecht ermöglichte eine klarere Rollenverteilung zwischen Autor, Herausgeber und Verlag. Wirtschaftlich gesehen, wurde es für Autoren und deren Erben leichter, mit literarischen Werken Gewinne zu erzielen, und dies wiederum bahnte neue Wege nicht nur für Schriftsteller, sondern auch für professionelle Publizisten und Editoren. Symbolisch kodifizierte das Urheberrecht von 1810 gleichzeitig eine Auffassung von Literatur als exklusivem Autoreigentum. Ein Teil der im 17. und 18. Jahrhundert produzierten Dichtung war schon rasch in eine Art kollektiven und zuweilen anonymen Besitz übergegangen. Ganz im Gegensatz dazu empfand man Literatur nunmehr als eng verknüpft mit der Person ihres Verfassers. Dem Autor (und seinen Erben) räumte der Gesetzestext wirtschaftliche Rechte an seinem Werk ein und erkannte ihm damit auch das ideelle Recht zu, über die Geschicke des Werks in Nachdrucken und Neuausgaben zu verfügen.2 Diese neue Wahrnehmung von Literatur hatte große Bedeutung für die Editionsphilologie, sowohl praktisch, was die als Editoren Tätigen und ihr Auskommen betraf, als auch grundsätzlich mit Blick auf die treibenden Kräfte der Editorik, ihrer Theorie und Methode. Eine Reihe wichtiger Entwicklungslinien lässt sich unterscheiden: Textausgaben wandeln sich von einer Angelegenheit weniger Spezialisten hin zum Buchhandelsprodukt für einen großen Markt von Lesern; der Wissenschaftszweig der Editionsphilologie professionalisiert sich und verfeinert seine Methodik; im Laufe des Jahrhunderts gewinnt ein bedeutsames historisches Bewusstsein Gestalt; die Rollen von Verfassern und Herausgebern verändern sich, während sich zugleich das Druck- und Verlagswesen weiterentwickelt. Dem Editionswesen fällt im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Rolle eines Gedächtnisspeichers für die Werke und Texte zu, welche nationale Identität zu stiften und so die Gegenwart aus der Geschichte zu beleuchten vermögen. Die Editionsphilologie ergreift so den Part einer kulturellen Mnemotechnologie, welche die Wahrzeichen im Gedächtnis der Nation erkennt, beschreibt und öffentlich macht.3 Diese Rolle schält sich im Lauf des Jahrhunderts immer deutlicher heraus, beispielsweise mittels der großen Editionsgesellschaften, die sich bilden und zunehmend an Bedeutung gewinnen.
____________ 2 3
Schück 1923, S. 337–349; Eberstein 1923, S. 71–73. Vgl. Rigney 2004, S. 366.
Geschichte der Edition in Schweden im 19. Jahrhundert
2.
407
Text- und Ausgabentypen
In den Grundzügen lassen sich für die postume Herausgabe schwedischsprachiger Texte im 19. Jahrhundert drei Bereiche ausmachen, die sich weitgehend überlappen. Dies sind zum einen die historischen und juristischen Quellentexte, zum anderen die altschwedische Literatur und zum dritten die neuschwedische Literatur. Vielfach allerdings liegen Ausgaben außerhalb dieser grob unterschiedenen Bereiche oder fallen zwischen sie, wie etwa Ausgaben philosophischen oder religiösen Charakters. Von Übersetzungen sehe ich hier ganz ab. Die Herausgabe historischer und juristischer Quellentexte wurde im 19. Jahrhundert nachhaltig institutionalisiert, was zur Folge hatte, dass umfassende Ausgabenreihen initiiert und zu Ende geführt werden konnten.4 Zwar blieb ein Teil der Ausgaben abhängig von individueller Arbeits- und Stiftungsinitiative, doch die meisten gingen mit der Zeit in öffentliche Verantwortung über. Nicht zuletzt das Reichsarchiv (gegründet 1618) sollte große Bedeutung für die Urkundenedition erlangen, wie gleichfalls Kungl. samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens Historia (Königliche Vereinigung zur Herausgabe von Handschriften, die Geschichte Skandinaviens betreffend), die sich 1815 konstituierte. Indem die historische Editorik kräftig expandierte, trug sie zugleich zu einer deutlichen Spezialisierung und Eingrenzung ihrer Zielgruppe bei. Im 18. Jahrhundert zielte die Herausgabe von Geschichtstexten noch in hohem Maße auf das Lesevergnügen; Zielgruppe war eine allgemein gebildete Leserschaft. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert, als das Interesse des Geschichtswissenschaftlers in den Mittelpunkt rückte. Daraus ergab sich, dass eine historische Wissbegier sich zwar in immer weiteren Bevölkerungsschichten ausbreitete, die geschichtswissenschaftliche Editionstätigkeit sie jedoch in geringerem Ausmaß als noch im 18. Jahrhundert zu lenken vermochte. Das allgemeine Interesse an Geschichte fand einerseits Ausdruck in einem starken Aufschwung des historischen Romans, andererseits aber auch in einer neuen Wahrnehmung der Literatur in ihren historischen Ausprägungen. Für den letzteren Bereich erlangte das Editionswesen Bedeutung.5 Die zu Jahrhundertbeginn geringe Editionstätigkeit auf dem Feld der Literatur hatte auch institutionell nur spärlichen Rückhalt und wurde nahezu ausschließlich von privaten Initiativen getragen. Im Verlauf des Jahrhunderts expandierte die literarische und sprachwissenschaftliche Editorik dann ebenfalls ____________ 4 5
Zur historischen Editorik, siehe vor allem Torstendahl 1964. Tarschys 1955, S. 108 f. erläutert, wie der Unterricht in der Muttersprache die modellbildende Rolle übernahm, die zuvor das Fach Geschichte innehatte.
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stark. Sie wurde zum Teil von der Forderung einer wissenschaftlichen Gemeinschaft nach verlässlichen Textgrundlagen getragen – nicht zuletzt der heranwachsenden Sprachwissenschaft war dies ein zentrales Anliegen. Die Expansion geschah zugleich jedoch unter Bedingungen des Marktes. Eine direkte Förderung aus Staatsmitteln war äußerst selten; dagegen erlangten Vereinigungen wie Svenska Fornskriftssällskapet (Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur, 1843) und Svenska Litteratursällskapet (Schwedische Literaturgesellschaft, 1880) Bedeutung. Die Ausgaben richteten sich an eine zahlende und immer breitere Leserschaft, wovon nicht zuletzt die vielen Ausgabenreihen um die Jahrhundertmitte zeugen. Vorstellungen vom Nutzen der Geschichte im Dienst der Nation prägten, wie bei den Ausgaben von historischem Quellenmaterial, auch die literarische Editionstätigkeit im 19. Jahrhundert. Die Herausgabe von Klassikern der Literatur zeugt von der Ausbildung eines historischen Begriffs von Literatur als Ausdruck nationaler Identität.6 In der ersten Jahrhunderthälfte begegnen uns Ausgaben der gesammelten Werke angesehener Autoren vom 17. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert, wie Georg Stiernhielm (1598–1672), Carl Michael Bellman (1740–1795), Anna Maria Lenngren (1754–1817), Bengt Lidner (1757–1793), Thomas Thorild (1759–1808) und Erik Johan Stagnelius (1793– 1823). In der zweiten Jahrhunderthälfte kommen Ausgaben bedeutsamer Autoren des 19. Jahrhunderts hinzu, wie Esaias Tegnér (1782–1846), Johan Olof Wallin (1779–1839), Erik Gustaf Geijer (1783–1847), Per Henrik Ling (1776– 1839) und Fredrika Bremer (1801–1865). Der Schwedischen Gesellschaft für Alte Literatur fiel die Aufgabe zu, die altschwedische Literatur herauszugeben, darunter Legendensammlungen, mittelalterliche Versromane, die Offenbarungen der Hl. Birgitta und Liederbücher. Die Herausgabe anonymer Literatur wie Volkslieder, Volkssagen und Volksbücher war im frühen 19. Jahrhundert angestoßen worden und blieb wichtig. Drei Jahrzehnte lang um die Mitte des Jahrhunderts schließlich, 1834– 1864, hatte die Herausgabe schwedischer Klassiker in Reihenausgaben ihren Höhepunkt. Die Reihen richteten sich – wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß – an eine breite Leserschaft und bezeugten gleichzeitig den Ehrgeiz, einen schwedischen Kanon von Klassikern der Literatur zu errichten. Die Inhalte der Klassikerreihen wurden zu einem deutlichen Indikator, wie sich für die schwedische Nation ein literarischer Kanon herausgebildet hatte. Der Begriff des ‚Klassikers‘, zuvor hauptsächlich auf griechische und römische Auto____________ 6
Siehe hierzu Henrikson 2010.
Geschichte der Edition in Schweden im 19. Jahrhundert
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ren angewandt, diente nun hierbei als ein maßgebliches Instrument der Wertung. Von dieser umfassenden Materialgrundlage ausgehend – selektiv in der untenstehenden bibliografischen Übersicht verzeichnet –, möchte ich im Folgenden die editionsgeschichtliche Entwicklung in Schweden im 19. Jahrhundert unter drei Hauptgesichtspunkten beschreiben: dem der Professionalisierung der Editorrolle, dem der methodologischen Entwicklung, und dem der Frage nach den Antriebskräften und den Folgen editorischer Tätigkeit.
3.
Die Professionalisierung der Editorrolle
Als das Edieren von Literatur in der Folge des Staatsstreichs von 1809 in Schwung geriet, riss eine Gruppe die Initiative an sich, die man als die ‚neue Schule‘ bezeichnet hat. Dies waren die schwedischen Romantiker. Sie wollten mit einer ausgesprochen breit gefächerten Herausgabe literarischer Marksteine ein neues und radikales Bild der Literaturgeschichte lancieren. Die Romantiker waren eine junge und provozierende Garde, die in energischer Opposition zur etablierten kulturellen Schicht eine Revolution in ästhetischen Fragen durchsetzen wollte. Die Literaturgeschichte wurde zur Waffe in diesem Kampf, in dem es letztlich um das Recht ging, die Ästhetik für die Zukunft neu zu ordnen.7 Die Romantiker waren also jung und gesellschaftlich kaum etabliert, doch wirkten sie zugleich in einer dynamischen Zeit, die auch bedeutsame Umwälzungen auf dem Buchmarkt sehen sollte. Soweit sich die Herausgeberrolle im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend professionalisierte, brachte dies u. a. mit sich, dass individuelle Initiativen gegenüber institutionell verankerten und finanzierten Editionsprojekten zurücktraten. Allmählich trat ein Wandel auch in der Hinsicht ein, dass die Herausgeber in immer geringerem Maße aus mehr oder weniger privatem Antrieb heraus handelten und stattdessen in alimentierte Positionen in der staatlichen Verwaltung, an Universitäten und Bibliotheken sowie auf den erstarkenden Buchmarkt überwechselten. Für die Romantiker war diese Entwicklung gleichzeitig eine biografische: Sie beschreibt ihren Wandel von jungen Radikalen zu konservativen Stützen der Gesellschaft. Tatsächlich erhalten wir, wenn wir einige der bedeutsamsten unter den Romantiker-Editoren näher betrachten, eine repräsentative Anschauung dieses Wandels. Die Romantiker schlossen sich frühzeitig in esoterischen Verbünden zusammen wie Vitterhetens vänner (Die Literarischen Freunde), Auroraför____________ 7
Vgl. Vinge 1978 und Henrikson 2010.
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bundet (Der Aurorabund) oder Götiska förbundet (Der Gotenbund), mit Sitz vor allem in Uppsala, aber auch in Stockholm. Diese waren insofern auch publizistisch tätig, als sie literarische Zeitschriften herausgaben wie Phosphoros und Iduna, jedoch waren sie nicht eigentlich editorisch tätig. Unter ihren Mitgliedern finden sich dennoch etliche bemerkenswerte Editoren jener Zeit wie Lorenzo Hammarsköld (1785–1827), Per Adolf Sondén (1792–1837) und Erik Gustaf Geijer (1783–1847). Zu nennen ist auch Vilhelm Fredrik Palmblad (1788–1852), der den für die publizistische Tätigkeit der Romantiker wichtigsten Verlag besaß und darin Ausgaben u. a. von Bellman und Thorild herausbrachte.8 Der Ehrgeiz, der Geschichte der schwedischen Literatur Raum zu verschaffen, welchen die Romantiker gemeinsam hatten, bildete einen ersten Ansporn zur Institutionalisierung des literarischen Editionswesens. Zugleich aber blieben Ausgaben noch immer die Angelegenheit Einzelner und weitestgehend Privatsache, sowohl was die Initiative als auch den Arbeitseinsatz und die Finanzierung anging. Hammarskölds Ausgabe von Stiernhielms Samlade skrifter (Gesammelte Schriften, 1818) mag als Beispiel dienen. Sie drückt in erster Linie das Interesse des Herausgebers für diesen ‚Vater der schwedischen Dichtkunst‘ aus. Als Ausgabe war sie auf vielerlei Art eine wissenschaftliche Pionierleistung, doch war sie im eigentlichen Sinn privat, denn sie wurde durch Subskriptionen ermöglicht, welche Hammarsköld selbst arrangierte, und er trug auch das finanzielle Risiko. Die Drucklegung erfolgte in seiner eigenen Druckerei, der Hedman’schen Buchdruckerei, einem Unternehmen, das ihn nahezu in den persönlichen Konkurs trieb. Mit einem Brief vom September 1818 versuchte Hammarsköld eindringlich, die noch ausstehenden Subskriptionszahlungen einzutreiben, und im November, am Rand des Ruins, sah er sich gezwungen, die Druckerei zu verkaufen.9 Hammarsköld repräsentiert hier einen Privatherausgeber älterer Zeit. Sondén und Geijer waren demgegenüber Übergangsgestalten. Sondén gehörte den gleichen romantischen, esoterischen Kreisen an wie Hammarsköld, begann seine editorische Laufbahn als epochemachender Bellman-Herausgeber10 und sollte zum wohl angesehensten der Editoren aus dem Kreis der Romantiker werden. Mit der Herausgabe der Utmärkta och klassiska arbeten af Svenska författare (Herausragende und klassische Werke schwedischer Autoren, 1836– 1839) tat Sondén einen deutlichen Schritt in Richtung auf einen breiteren Literaturmarkt. Die in Leseheften publizierten Reihenausgaben ließen sich billig ____________ 8 9 10
Vgl. Söderlund 2000. Ljunggren 1952, S. 202–204. Bellman 1813, Bellman 1835/36.
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herstellen und trugen dazu bei, das literaturgeschichtliche Programm der Romantiker auch in der Öffentlichkeit wirksam werden zu lassen. Geijer bewegte sich auf andere Weise von einer romantisch zu einer öffentlich gesicherten Tätigkeit hin. Sein Einsatz als Herausgeber von Svenska folkvisor (Schwedische Volkslieder, 1814–1817) war wichtig, und er war auch ein treibendes Mitglied des Gotischen Bundes.11 Als Professor der Geschichtswissenschaft setzte er sein editorisches Gewerbe fort, nun aus der Sicht des etabliert in der Wissenschaft Tätigen. Dies prägte auch seine Rolle im Rahmen der Kungl. samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens Historia, der er 1817 beitrat.12 Innerhalb dieses offiziellen Zusammenschlusses erlangte die Editionstätigkeit auch breitere Finanzierung. Auf dem erstarkenden Buchmarkt konnten Ausgaben auch Einkünfte erzielen, und der erwartete wirtschaftliche Gewinn war für eine Ausgabe zuweilen, wenn auch nicht das einzige, so doch das stärkste Motiv. So berichtet Geijer 1828 in einem Brief an Tegnér, dass die Freunde des Vitalis (Pseudonym für Erik Sjöberg, 1794–1828) beabsichtigten, dessen nachgelassene Gedichte gesammelt herauszugeben, und dass „die Auflage zur Tilgung seiner Schulden erscheinen soll“.13 In der Ausgabe selbst wird Vitalis’ literarischer Nachlass bezeichnet als „der einzige Besitz, womit seine unbedeutenden Schulden abgezahlt werden können“,14 und ebenso werden Werkausgaben Lidners damit begründet, dass sie „ein Schärflein für Lidners Witwe“ erbringen sollten.15 Aus solchen Wendungen schimmert das Urheberrecht hervor, das in der Druckfreiheitsordnung von 1810 kodifiziert wurde, und aufgrund dessen das Recht des Autors (und seiner Erben) auf den literarischen Nachlass als eine Art Eigentumsrecht zu verstehen war. Andererseits jedoch war die Herausgebertätigkeit für die Editoren wenig lukrativ. In einem Brief vom September 1827 an Hammarsköld beklagt sich Geijer über die Arbeit an der Thorildausgabe. Er bittet Hammarsköld um Hilfe, kann jedoch keinen Lohn für die Mühe anbieten: Ich habe für das, was ich von Th:s Werken herausgegeben, abgeschrieben und dazu geschrieben habe, keinerlei Entgelt erhalten; nur von Wiborg [d. i. der Verleger] ein generelles Versprechen, er werde sich bei Abschluss der Ausgabe für meine Mühe
____________ 11 12 13 14 15
Siehe Olav Solberg, S. 106 f. im vorliegenden Band. Siehe auch Henrikson 2010 zur Volksliederausgabe; Schück 1929, S. 90–96 zur Edition von Volksliedern und Volkssagen. Siehe Bergh 1917. Geijer 1931, S. 223 (8. 9. 1828). Sjöberg 1828, S. XV. Lidner 1820, o. S.
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erkenntlich zeigen. – Dies Letztere ist alles, was ich Dir überlassen kann, und gerne 16 überlassen will, falls Du Dich der Sache irgendwie annehmen möchtest.
Der Gewinn, mit dem ein Editor rechnen konnte, blieb lange von eher symbolischer als wirtschaftlicher Art, so der Editor denn nicht gleichzeitig auch als Verleger fungierte. An die Stelle einer Herausgeberschaft aus privatem Antrieb und mit privaten Mitteln sollte mit der Zeit eine Editorik teils nach Gesetzen des Marktes, teils nach Maßgabe öffentlicher Finanzierung und Initiative treten. Die Herausgabe historischer Urkunden durchlief diesen Prozess zur Institutionalisierung früher als die von Literatur. Kungl. samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens Historia wurde 1815 gegründet mit dem Ziel, Handschriften, welche die Geschichte Schwedens erhellten, zu sammeln, zu schützen und herauszugeben.17 Sie stand in keinem direkten, aber doch einem indirekten Zusammenhang mit dem Gotischen Bund, welcher zwar keine editorische Gesellschaft war, den aber das gleiche zeittypische Interesse an Geschichte und der Nation antrieb. Die Editionstätigkeit der Königlichen Vereinigung wurde teils durch Mittelzuwendungen vom Königshaus, teils durch Mitgliedsbeiträge ermöglicht. Das wirtschaftliche Risiko war somit vom Einzelnen auf ein Kollektiv übergegangen, welches auch mit gewichtigerer Stimme um breite Unterstützung für die Editionsvorhaben werben konnte. Auch die editorische Tätigkeit des Reichsarchivs und die bedeutsame Herausgabe schwedischer Landschaftsgesetze, die Hans Samuel Collin (1791–1833) und Carl Johan Schlyter (1795–1888) bewerkstelligten, wurden aus öffentlichen Mitteln finanziert.18 Als Gegenstück zur Königlichen Vereinigung wurde 1843 Svenska Fornskriftsällskapet (Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur) gegründet, mit dem primären Ziel, „solche älteren Handschriften herauszugeben, für deren Drucklegung mit Zuschüssen vom Staat oder bereits bestehenden Vereinigungen nicht zu rechnen ist“.19 Dies betraf in der Praxis mittelalterliche Literatur.20 Zu den Initiatoren gehörten u. a. der Reichsantiquar Bror Emil Hildebrand (1806–1884), der zugleich Sekretär der Königlichen Gesellschaft war, der Buchhändler Carl August Bagge (1811–1852) und der Bibliothekar und Historiker Adolf Ivar Arwidsson (1791–1858). Die Mittel kamen teils vom ____________ 16 17 18 19 20
Geijer 1931, S. 476 (21. 9. 1827). Hammarsköld nahm sich der Aufgabe an, starb jedoch kurze Zeit darauf. Siehe Bergh 1917, S. 1–24. Siehe Torstendahl 1964, S. 221. Collijn 1944, S. 32. Vgl. Westlund 2010, S. 8 ff. 1896 festgesetzt auf „älter als aus dem 17. Jahrhundert“ (Collijn 1944, S. 36). Siehe auch Britta Olrik Frederiksens Beitrag im vorliegenden Band.
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Königshaus und von der öffentlichen Hand, teils rührten sie aus Mitgliedsbeiträgen her. Bedeutendster Editor dieser Gesellschaft sollte der Bibliothekar Gustaf Edvard Klemming (1823–1893) werden, in vielerlei Hinsicht ein (editorisch gesehen) leidenschaftlicher Amateur, zugleich jedoch ein bedeutender Bibliothekar und schließlich Oberbibliothekar der Königlichen Bibliothek. Dank dieser beiden Gesellschaften war es um die Herausgabe historischer Quellen einerseits und mittelalterlicher Literatur andererseits wohl bestellt. Deren Editionen summierten sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf zusammen nicht weniger als 96 Bände.21 Neuere, d. h. nachreformatorische Literatur fiel allerdings aus ihrem Tätigkeitsfeld heraus und hing weiterhin allein von den Marktbedingungen und der Initiative einzelner Herausgeber ab. Auch hinsichtlich dieses Materials erlangten die Bedingungen des Urheberrechts entscheidende Bedeutung. Die Druckfreiheitsverordnung von 1810 hatte das Privilegiensystem abgeschafft und dem Autor das Recht auf sein eigenes Werk eingeräumt. Dieses Recht konnte sowohl vererbt als auch verkauft werden. Anfangs war es zeitlich unbegrenzt, ein Zustand, der allmählich als unbillig angesehen wurde. 1841 wurde das Urheberrecht eingeschränkt und galt nach dem Tod des Autors nur noch 20 Jahre, von seiner letzten Inanspruchnahme an gerechnet. Ein Werk, das 20 Jahre lang nicht wieder aufgelegt worden war, war somit frei für jedermann, doch so lange das Recht darauf immer wieder in Anspruch genommen wurde, galt es auf unbegrenzte Zeit.22 Erst 1877 wurde ein Gesetz erlassen, das definitiv die Dauer des Urheberrechts auf 50 Jahre nach dem Tod des Autors begrenzte. Eine Absicht dieses Gesetzes war, dass die Literatur der nationalen Klassiker nunmehr frei zugänglich werden sollte, die auf unglückliche Weise lange von einigen wenigen Verlegern monopolisiert worden war, welche die Rechte daran für billiges Geld gekauft hatten. Doch wurde die Gesetzeswirkung zugunsten bestehender Rechte hinausgezögert, sodass das Gesetz erst mit Ausgang des Jahres 1927 seine volle Durchschlagskraft entfalten sollte.23 Demzufolge wurden die Rechte an den literarischen Klassikern während des ganzen 19. Jahrhunderts zur Handelsware. Wohl ist für die Werke von Johan Henric Kellgren (1751–1795) wie auch von Bellman und Stagnelius betont worden, dass sie sich im Besitz vorsorgender Verleger befanden, welche in der Lage waren, Editionsvorhaben zu kontrollieren oder gar zu verhindern.24 Andererseits jedoch gab es durchtriebe____________ 21 22 23 24
Verzeichnisse in Bergh 1917 und Collijn 1944. Vgl. Westlund 2010, S. 61 ff. Schück 1923, S. 347. Schück 1923, S. 347–349; Eberstein 1923, S. 77–79. Siehe auch Johan Svedjedals Beitrag im vorliegenden Band. Schück 1923, S. 348.
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ne Händler unter den Rechteinhabern. Die Rechte an Tegnérs und Geijers Werken beispielsweise wurden von ihren Erben für hohe Summen verkauft.25 In dem Maße, wie die Vorstellung von einem nationalen Kanon der Literatur Verbreitung fand und angenommen wurde, wuchsen auch die Möglichkeiten eines breiten Absatzes von Klassikerausgaben. Ein Zeichen dafür sind die Klassikerreihen in Leseheften, deren Anzahl um die Jahrhundertmitte stark zunahm. Lesehefte waren eine Mode der Zeit, wie in England und auf dem Kontinent, so auch in Schweden. Indem Bücher, aufgeteilt in Lesehefte (oft im Duodezformat, üblicherweise mit 60 oder 72 Seiten, das entsprach zweieinhalb oder drei Druckbögen), mit hoher Auflage vermarktet wurden, ließen sich die Produktion rationalisieren und die Preise für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich halten. Vorreiter war Bonniers Verlag mit der Klassikerreihe Klassiska författare i svenska vitterheten (Klassische Autoren schwedischer Literatur, 1834–1838).26 Die Klassikerreihen, die darauf folgten, unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihres editorischen Ehrgeizes, ihrer Akteure und Zielgruppen, doch bleibt ihnen gemeinsam, auf breiter Front einen nationalen Klassikerbegriff durchzusetzen. Zu nennen wären hier Utmärkta och klassiska arbeten af svenska författare (Ausgezeichnete und klassische Werke schwedischer Autoren, Looström u. a. 1836–1839), Miniaturbibliothek af svenska klassikerna (Miniaturbibliothek schwedischer Klassiker, Meyer 1850–1852), Skillingsbibliothek af svenska klassikerna (Schillingsbibliothek schwedischer Klassiker, Meyer 1853/54) und Svenska författare (Schwedens Schriftsteller, Bonnier 1855– 1877).27 Ein Editor soll besonders erwähnt werden, nämlich der energische Literat Pehr Hanselli (1815–1879). Er begann seine Laufbahn als Buchhandelsgehilfe und war auch mit dem der Universität in Uppsala angeschlossenen Druckereiund Verlagswesen vertraut. Im eigenen Verlag gab er die Reihe Svenska Vitterheten (Die schwedische Literatur, 1852–1857) heraus. Sie war insofern bedeutsam, als sie elf Autorenkorpora sammelte und herausgab, mehrere davon zum ersten Mal. Kühner noch war das Projekt Samlade Vitterhetsarbeten af svenska författare (Gesammelte literarische Werke schwedischer Schriftsteller, 1856–1878), worin er Werksammlungen von nicht weniger als 96 Autoren in 22 Bänden herausbrachte. Hanselli ist in seinem Eifer für die schwedische Literatur in mancherlei Hinsicht eine einmalige Gestalt, doch hat man ihn auch dafür kritisiert, Standards der Textkritik nicht einzuhalten. Gleichzeitig ist er ____________ 25 26 27
Schück 1923, S. 361. Björck 1984, S. 78. Siehe des Weiteren Bonnier 1930, Bd. 2, S. 15–23. Siehe Björck 1984, S. 77–80; Bonnier 1930, Bd. 3, S. 11–21; Rinman 1951, S. 221–225.
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ein Vertreter des Typs von Editoren, die als Literaten akademisch verankert, doch gleichzeitig praxisbewandert und vom Literaturmarkt geprägt sind.28 Ausgaben nachreformatorischer Literatur erschienen also teils unter Bedingungen des Markts, teils in selbst eingegangener und zum Teil eigenfinanzierter Verpflichtung institutionell eingebundener Einzelpersonen. Es sollte bis zum Jahr 1880 dauern, ehe Editionsgesellschaften sich formierten, die sich die neuschwedische Literatur zur Aufgabe machten. In diesem Jahr wurde Svenska Litteratursällskapet (Schwedische Literaturgesellschaft) gegründet.29 Die Gesellschaft gab sich bei ihrer ersten Jahresversammlung das Programm, „schwedische Literatur seit der Reformation herauszugeben, wie sie in Handschriften oder seltenen alten Drucken vorliegt“.30 Die Gesellschaft für schwedische Literatur wurde auf diese Weise als Parallelorganisation zur Schwedische Gesellschaft für Alte Literatur aus der Taufe gehoben, welche die mittelalterliche Literatur in ihrer Verantwortung sah. Zugleich bedeutete ihre Gründung, dass auch die neuere Literatur ein Herausgabeorgan erhalten hatte, das weder von Einzelinitiativen noch vom freien Markt abhängig war. Im Mittelpunkt der Editionsstrategien der Schwedischen Literaturgesellschaft sollte das wissenschaftliche Interesse und nicht das Lesepublikum stehen. Gleichzeitig nahm sich die Schwedische Literaturgesellschaft schon von vornherein der doppelten Aufgabe an, neben der Editionstätigkeit auch „Beiträge zur schwedischen Bibliografie und Literaturgeschichte“ zu sammeln.31 In den ersten Jahrzehnten sollten die Editionen einen zentralen Teil der Tätigkeiten der Gesellschaft ausmachen, doch mit der Zeit verschob sich der Fokus, so dass die literaturgeschichtliche Aufgabe dominierte. Zugleich bedeutete dies, dass die Herausgabe von Literatur weitgehend einer neuen Gesellschaft überlassen wurde, die praktisch der Schwedischen Literaturgesellschaft entsprang, nämlich Svenska Vitterhetssamfundet (Schwedischer Literaturverein), gegründet 1907.32 Diese Vereinigung sollte zum zentralen Organ für die wissenschaftliche Herausgabe neuschwedischer Literatur werden, und ihre Gründung ist in dieser Hinsicht als Schlusspunkt der Institutionalisierung des Editionswesens im 19. Jahrhundert in Schweden anzusehen. ____________ 28 29
30 31 32
Siehe Eriksson 1969–1971, S. 242–244. Die Gesellschaft wurde im Jahr nach Hansellis Tod gegründet. Es ist gemutmaßt worden, dass Hanselli gemeint ist, wenn im Aufruf geäußert wird, dass die an sich schon viel zu wenigen Ansätze zur Herausgabe nachmittelalterlicher Literatur auch nicht immer mit gebotener Sorgfalt ausgeführt worden seien (Svanfeldt 1979, S. 19). Svanfeldt 1979, S. 7. Svanfeldt 1979, S. 7. Siehe hierzu Svenska Vitterhetssamfundet 1907–2007. Historik och textkritik. Siehe auch Johan Svedjedals Beitrag im vorliegenden Band.
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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass unter den finanziellen, institutionellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die im Laufe des Jahrhunderts entwickelt wurden, das Editionswesen stabilisiert und reguliert werden konnte. Hing es zu Beginn noch von der Initiative, den Ressourcen und der Kompetenz Einzelner ab, so wurde es in der Folge in zunehmendem Maße teils durch professionelle Vereinigungen, teils von immer gewinnorientierteren Verlegern gelenkt. Hatten Herausgeber zunächst auf privater Grundlage gewirkt, so rekrutierten sie sich mit der Zeit aus Kreisen von Bibliothekaren, Literaten und Universitätsgelehrten.
4.
Ausdifferenzierung der Methoden
Die Professionalisierung betraf nicht nur die organisatorischen Rahmenbedingungen textkritischer Editionstätigkeit, sondern in höchstem Maße auch die Entwicklung ihrer Methodik. Die Methodendebatte wurde in unterschiedlichen Foren geführt, deren wichtigste teils die Einleitungen, teils die Rezensionen zu Ausgaben waren. Selbstständige Aufsätze, die Editionsprinzipien erörtern, gibt es, doch sie sind selten. Auf weite Strecken hin entwickelte sich die Praxis parallel zu einer materialnahen Theorie, die mit der Zeit auch kodifiziert wurde. Zu betonen ist allerdings, dass die Entwicklung im 19. Jahrhundert nicht zu einem Konsens über die rechte Art, Texte zu edieren, führte. Eher wäre von einer Ausdifferenzierung der Methodik zu sprechen, in der die unterschiedlichen Tendenzen auch unterschiedliche Zielsetzungen und unterschiedliche Sichtweisen auf die Erscheinungsformen der Literatur widerspiegeln. Einen Hintergrund für die zunehmende Methodendiskussion in der Editionsphilologie bildet der Historismus. Mit dem Blick auf die historische Bedingtheit kultureller Erscheinungen ging ein Bemühen einher, am Wort der Geschichte im Original und so gering als möglich von den Folgezeiten beeinflusst teilzuhaben. Ein edierter Text steht zwischen zwei Zeiten, der des Textes und der des Herausgebers, und die methodologischen Diskussionen handeln davon, wie diese Beziehung zu verstehen sei und welche Folgerungen daraus gezogen werden sollten. Die Diskussion über Sein oder Nicht-Sein der Rechtschreibmodernisierung blühte zu Beginn des Jahrhunderts schon kräftig. In seiner StiernhielmAusgabe (1818) modernisierte Hammarsköld den Dichtertext, doch widerwillig – er sagt, es sei eigentlich seine Sache nicht, „einem alten schwedischen Krieger den Sturmhelm abzunehmen und ihm einen modernen Tschako aufzusetzen“. Was Hammarsköld dennoch zur Modernisierung trieb, war die ortho-
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grafische Inkonsequenz in den Originalen. Er begründet seinen Entschluss mit Verweis auf die Autorintention, aus der er eine Art gespaltene Autorisierung (‚divided authority‘) herleitet. Stiernhielm schenkte seine Aufmerksamkeit nur „dem edlen und treffenden Ausdruck“, aber er überließ die Orthografie einem „ungeübten Buchdrucker, der das Ganze so verwirrte, dass es sich nunmehr nicht wieder entwirren lässt“. Die einzige Lösung, die Hammarsköld blieb, ist es, in Stiernhielms gesamtes Werk eine moderne Rechtschreibung einzuführen: „Ich gestehe ein, dass meine Ehrfurcht für das Altertum nicht so weit geht, dass ich sie selbst auf den Altgebrauch der Schriftformen ausdehnen würde“.33 Hammarsköld vertrat zwar eine historistische Grundhaltung, jedoch folgte aus ihrer intentionalistischen Argumentation heraus dennoch ein Bruch mit der originalen Orthografie. Adolf Iwar Arwidsson (1791–1858) weist in seiner Ausgabe Svenska fornsånger (Lieder schwedischen Altertums, 1834–1842) jegliche Art der Modernisierung und Normalisierung zurück, er steht damit aber eigentlich nicht im Gegensatz zu Hammarsköld, sondern argumentiert ähnlich: „Eines Ritters Eisenrüstung würde allerdings allzu einschneidend abstechen gegenüber modernen Seidenstrümpfen und Schuhen.“ Arwidsson bewahrte die Rechtschreibung zu allererst aus sprachgeschichtlichen Gründen, dann auch, weil eine moderne Orthografie einen Bruch mit Form, Stil und Wortstellung aus alter Zeit darstellen würde und weil die Grenze zwischen Modernisierung und sonstiger Justierung – der Arwidsson abschwört – unscharf ist, sowie schließlich auch, weil Handschriften verloren gehen können und es deshalb wertvoll wäre, der Nachwelt so präzise wie möglich bewahrt zu haben, wie sie lauteten.34 Sondén wiederum vertrat in der Frage der Orthografie noch eine dritte Haltung, wenn er in der Ausgabe der Werke Jacob Freses (1690–1729) eine Unterscheidung nach Lautstand und Wortform macht: „Die Orthografie ist der unserer Zeit angepasst; doch so, dass alle Wörter und Wortformen, die eine andere Aussprache als die jetzt gebräuchliche voraussetzen, somit alle echten Archaismen beibehalten sind.“35 Argumentativ gehen die Romantiker in der Frage der Rechtschreibung davon aus, dass die historische Form auch eine Bedeutung verkörpert. Der alte schwedische Sturmhelm und die Eisenrüstung werden zu Sinnbildern für das Sprachgewand, das in sich Ausdruck einer historischen Identität ist. Die Ausgabe wird angesehen als eine Art Rückhaltebecken der Geschichte, in dem das Vergangene bewahrt wird zum Nutzen der Zukunft. Die edierten Texte sind ____________ 33 34 35
Hammarsköld in Stiernhielm 1818, S. VII–IX. Arwidsson in Svenska fornsånger, Bd. 1, S. X f. Sondén in Frese 1826, o. S.
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nicht zeitgenössisch und werden auch nicht dazu gemacht; erwartet wird vielmehr, dass sie von ihrem geschichtlichen Abstand Zeugnis geben. Zugleich wird hierin eine auffällig elitäre Haltung deutlich oder mehr noch eine immer deutlichere Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Edition und einem Edieren für breitere Zielgruppen. In den Geschichtswissenschaften setzte die Entwicklung einer Methodologie des Edierens im Allgemein früher ein. Dies hing mit dem stärkeren professionellen Status der Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert zusammen: Wo sich das vor allem die Literatur betreffende Editionswesen teils an eine erst im Werden begriffene philologische Disziplin, hauptsächlich aber an ein allgemeines Lesepublikum wandte, war die Herausgabe historischer Urkunden in steigendem Maße auf professionell Wissenschaft treibende Nutzer ausgerichtet. Gleichzeitig jedoch blieb die strenge wissenschaftliche Anschauung, die man zuweilen unter den geschichtswissenschaftlichen Editoren des 19. Jahrhunderts finden kann, nicht ohne Widerhall bei den Herausgebern literarischer Werke. Daher ist hier ein knapper Ausblick auf die geschichtswissenschaftliche Editorik geboten. Die schwedische Editionswissenschaft im 19. Jahrhundert lässt sich kaum angemessen erörtern, ohne den Einsatz Karl Johan Schlyters und Hans Samuel Collins zu würdigen. In der Ausgabe von Westgötalagen im Jahre 1827 verwendeten die beiden Editoren „nicht einige wenige ausgewählte, sondern alle Handschriften“,36 und von diesen ausgehend konstruierten sie ein Stemma, gegründet auf Bindefehler und deren Verteilung im Verhältnis zu einem Archetyp. Die Methode pflegt Karl Lachmann zugeschrieben zu werden, jedoch wird dessen Ausgabe des Versromans Iwein aus dem gleichen Jahr als methodisch beschränkter charakterisiert.37 Mit Schlyter also fand die stemmatische Methode Eingang in die schwedische Editionswissenschaft, und das Stemma, das er 1827 drucken ließ, ist das älteste in der Wissenschaftsgeschichte bekannte (siehe Abbildung unten). Dem ersten Teil der Landschaftsgesetze sollten, auf der Grundlage von insgesamt 800 Gesetzeshandschriften, weitere 12 Bände folgen, alle mit Genauigkeit und Sorgfalt ediert – es wird berichtet, dass Schlyter Korrektur las, indem er zwei Nadeln von Buchstaben zu Buchstaben voranbewegte.38 In Sachen Emendation war Schlyter vorsichtig und widersetzte sich Konjekturen. Demgegenüber legte er großes Gewicht auf eine gründli____________ 36 37 38
Collin/Schlyter 1823, S. 158. Holm 1972, S. 74. Vgl. Timpinaro 2005, S. 115, und Frederiksen 2009. Siehe auch Britta Olrik Frederiksens Beitrag im vorliegenden Band. Vgl. Modéer 2000–2002.
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che Handschriftenbeschreibung und eine detaillierte Verzeichnung der Varianten.
Das Stemma in der Ausgabe von Westgötalagen (1827).
Schlyter soll eine strenge Person gewesen sein; er hatte nur wenige Schüler und keine eigentlichen Nachfolger.39 Gleichwohl hat, allgemeiner gesehen, seine Gesetzesedition das Editionswesen zu historischer Akribie herausgefordert. In der ältesten der Herausgebergesellschaften, der Königlichen Vereinigung, war die herausgeberische Praxis anfangs unkritisch und inkonsequent: Man wechselte, auch innerhalb ein und derselben Veröffentlichung, zwischen ____________ 39
Modéer 2000–2002.
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originaler und modernisierter Orthografie, und man legte unsichere Abschriften zugrunde; ja, auch regelrechte Verfälschungen. In den 1830er Jahren stabilisierten sich die Grundsätze, und die Ausgaben wurden zunehmend historisch genauer.40 Und als sich dann Svenska Fornskriftsällskapet 1843 formierte, betonte sie in ihrer Satzung, dass „Edition und Druck mit äußerster Genauigkeit“ zu besorgen seien.41 In den 1870er Jahren spielte sich unter einigen der Herausgeber in der Königlichen Vereinigung eine regelrechte Methodendebatte ab. Emil Hildebrand (1848–1919) redete in einem längeren Aufsatz einer auf wissenschaftlicher Grundlage vorgenommenen Modernisierung des historischen Sprachgewands das Wort. Ein wirklicher Herausgeber, meinte er, sei kein simpler „Ins-ReineSchreiber“. Kritische Aufgabe des Editors sei es, relevante Spracheigentümlichkeiten von irrelevanten zu scheiden, und die irrelevanten müsse er zu normalisieren bereit sein.42 Hildebrand betont, dass darin keine Modernisierung liege, aber seine Aufforderung zu freimütigerem Verhalten weckte doch böses Blut. In einer indignierten Entgegnung wandte sich Victor Granlund (1831– 1898) energisch gegen alle Abstriche von der „diplomatischen Genauigkeit“. Ein „wirklicher Forscher“ lasse sich von den historischen Besonderheiten und Inkonsequenzen des Textes nicht beirren. Normalisierungen einzuführen bedeute recht eigentlich zu modernisieren, oder „einen Mann der Stein- oder Bronzezeit in Tierfellen zu zeichnen, aber mit einem Zylinderhut aus dem 19. Jahrhundert.“43 Dass der Begriff der Autorintention die literarische Editionsphilologie über so lange Zeit prägte, pflegt oft auf das 19. Jahrhundert zurückgeführt zu werden, und spezieller noch auf die hohe Wertschätzung, die Originalität und Genie in der Romantik genossen. Aus der Sicht des Materials erweist sich dies jedoch nur bedingt als richtig; eher streben die wahrgenommenen Tendenzen in unterschiedliche Richtungen. Einerseits entstand aus dem Vormarsch des Historismus ein immer ausgeprägteres Interesse für die historischen Wurzeln und die ursprünglichen Absichten des Autors. Andererseits gingen damit gleichzeitig auch die Wahrnehmung unterschiedlicher Kontexte, und die dementsprechenden Ansätze zu einer soziologisch begründeten Editionstheorie ,avant la lettre‘ einher. Dem Intentionalismus auf editorischer Seite lag eine Vorstellung vom Herausgeber als Testamentsvollstrecker des Autors zugrunde, und sie wird aus ____________ 40 41 42 43
Siehe Bergh 1917, S. 93. Hinsichtlich Verfälschungen in der Königlichen Vereinigung, siehe Widén & Skoglund, S. 429, und Sjögren 1980. Collijn 1944, S. 34. Hildebrand 1878, S. 23. Granlund 1878, S. 3 f. Siehe auch Torstendahl 1964, S. 230 f.
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vielen Ausgaben des 19. Jahrhunderts spürbar. Diese Idee stand in direktem Zusammenhang mit dem 1810 geschaffenen Urheberrecht, dürfte jedoch ihre Wurzeln schon in der literarischen Editionspraxis des späten 18. Jahrhunderts haben. Aus den Samlade skrifter (Gesammelten Schriften) Kellgrens von 1796 geht hervor, dass der Autor vor seinem Tod die Ausgabe im Wesentlichen noch selbst gestaltet, die Auswahl vorgenommen, revidiert, justiert und korrigiert hatte.44 In Wallins Samlade Vitterhets-arbeten (Gesammelte literarische Werke, 1847/48) werden auf ähnliche Weise die ziemlich genauen Anweisungen des Autors an den künftigen Herausgeber seiner gesammelten Schriften zitiert.45 Eine interessante Abwandlung des Themas finden wir in Gustaf Ljunggrens (1823–1905) Ausgabe der Samlade vitterhetsarbeten (Gesammelte literarische Werke, 1877/78) von Carl Vilhelm August Strandberg (pseud. Talis Qualis; 1818–1877). Ljunggren entscheidet sich dafür, von dem Plan abzuweichen, den Strandberg noch vor seinem Tod für die Ausgabe entworfen hatte. Er motiviert dieses Abweichen auf eine für die Zeit untypische Weise. Er argumentiert nämlich, es sei durchaus „fraglich, ob das Recht des Dichters über Leben und Tod seiner Dichtungen wirklich uneingeschränkt ist und ob ihm dieses Recht nicht aus den Händen gleitet in dem Maße, wie ein Gedicht Verbreitung und Anklang findet.“46 Mit einer solchen Einstellung rückt Ljunggren in die Nähe einer soziologischen Sicht auf den Text, jedoch verwaltet er gleichzeitig noch die aus dem 17. und 18. Jahrhundert überkommene Tradition, wo Literatur, die in gesellschaftlichen Zusammenhängen Nutzen fand, als eine Art kollektives, anonymes Eigentum fungierte. Eine regelrechte Fassungskonzeption (‚versioning‘) im Geist einer als soziologisch verstandenen Editorik begegnet beispielhaft in Arwidssons Ausgabe der Svenska fornsånger (1834). Arwidssons Selbstverständnis als Ethnologe und seine Idee von dem Material als kollektiver Volksdichtung veranlasste eine auffallend großzügige Haltung gegenüber Formen literarischer Varianz, fern der Klischeevorstellungen von der zwanghaften Suche des romantischen Herausgebers nach einem ‚Urtext‘.47 Der Intentionalismus des 19. Jahrhunderts kann in vieler Hinsicht als ein quellenkritisches Bestreben angesehen werden: Nur durch Rückgriff auf die Handschriften der Autoren selbst und durch die Aufdeckung und Berichtigung ____________ 44 45 46 47
Kellgren 1796, unpaginierte Einleitung. Wallin 1847, unpaginierte Einleitung. Ljunggren in Strandberg 1877/78, Bd. 1, S. II. Arwidsson in Svenska fornsånger, Bd. 2, S. XII: „Es liegt in der Natur aller Volksdichtung, dass ihre Varianten nahezu unzählig sind und eine gewisse Ungleichheit sich in ein und demselben Lied oder dergleichen offenbart, oftmals auch in nächstbenachbarten Gegenden. Wo also ein Spiel nicht mit dem übereinstimmt, das an einem bestimmten Ort gebräuchlich ist, ist es nicht als unrichtig anzusehen, sondern nur als abweichend von dem am Ort bekannten.“
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von Fehlern in ihnen wird ein Zugriff auf die Geschichte wahrhaft möglich.48 In der bedeutenden Bellman-Ausgabe von 1813 beschreibt Sondén, wie er im Geiste der klassischen Philologie „notwendige Verbesserungen an einem verderbten Text“ vorgenommen, indem er die Varianten in einer Vielzahl von Abschriften verglichen habe. Diese Bellman-Ausgabe von 1813, äußerlich ein anspruchsloses Heft, war bahnbrechend in ihrer Akribie und kritischen Methode.49 Variantenverzeichnisse wurden in der Folge zum Bestandteil vieler Ausgaben, auch wenn sie oft Auswahlverzeichnisse waren.50 Worterklärungen, Sachkommentare, Register, bibliografische Angaben und Einleitungen, die auch über die Textgestaltung Auskunft geben, wurden in Ausgaben immer mehr üblich, aber nicht obligatorisch, insbesondere nicht in marktorientierten Ausgaben. Was wir beobachten können, sind, kurz gesagt, Konsequenzen aus der historisierenden Sicht auf Texte und Literatur, die hinter der Entwicklung der historisch-kritischen Methode stand. Mit der Fokussierung auf die Person des Autors und das Urheberrecht entstand auch die Vorstellung von der Einheit von Autor und Werk.51 Schon im 18. Jahrhundert sind einige Beispiele für Werk-Gesamtausgaben zu beobachten, oft geleitet vom Testament der Autoren oder von diesen selber gegen Ende ihres Lebens herausgegeben. Die Idee, dass der Autor – anstelle etwa der Gattung – das Sortierkriterium für literarische Werke darstelle, wurde im 19. Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit. Die in Heften herausgegebenen Klassikerreihen waren deutlich autorzentriert, und hinter Hansellis Projekt Samlade Vitterhetsarbeten af svenska författare (Gesammelte literarische Werke schwedischer Autoren) stand die Vorstellung von der Ausgabe als einer Art nationalem Autorenarchiv. Seine Reihe, unvollendet geblieben durch den Tod des Herausgebers, versammelt 96 nach Autoren geordnete Werkgruppen, ediert „nach den Originalausgaben und Handschriften“ und mit biografischen Erläuterungen versehen. Aus dem biografischen Interesse, das in den späteren Jahren des Jahrhunderts am deutlichsten spürbar wurde, resultierte auch, dass in höherem Maß nun private Dokumente zum Gegenstand von Ausgaben werden. Ein erhellendes Beispiel ist die Ausgabe von Fredrika Bremers Sjelfbiografiska anteckningar, bref och efterlemnade skrifter (Autobiografische Aufzeichnungen, Briefe und nachgelassene Schriften, 1868), herausgegeben von ihrer Schwester Charlotte Bremer Quiding (1800–1876). Sie diskutiert in der Einleitung, mit wel____________ 48 49 50 51
Dies ist Hauptthema in Torstendahl 1964. Sondén in Bellman 1813. Vgl. Hillbom 1985, S. 213–232. Siehe Stiernhielm 1818 sowie Svenska fornsånger. So stellt beispielsweise eine Werkausgabe laut schwedischer Bezeichnung die Herausgabe einer ‚Verfasserschaft‘ (‚författarskap‘) dar.
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chem Recht man private Papiere öffentlich machen dürfe, doch ist die Ausgabe auch von Interesse, weil sie nicht nur eine Autorin zum Gegenstand, sondern auch eine Herausgeberin hat.52 Unter den Autoren, deren Werke ediert wurden, ist eine geringe Anzahl Frauen; unter den Herausgebern fehlen Frauen fast vollständig. Es ist symptomatisch, dass in den Fällen, in denen eine Frau für die Herausgabe steht, sie zum Autor oder zur Autorin auch ein nahes persönliches Verhältnis hat (Schwester oder Mutter), was die Erwartung weckte, dass sie eine besondere Kenntnis der herausgegebenen Schriften besitzen möge.53
5.
Ausblick
Die Editionsphilologie hat sich oft interessenfrei und objektiv gegeben. Insbesondere gilt dies für die Philologie des 19. Jahrhunderts, deren historischer Ansatz stark geleitet ist vom Motto des Historismus, „wie es eigentlich gewesen“, den Leopold von Ranke (1795–1886) prägte. Doch warum diese editorische Revolution im 19. Jahrhundert? Wem nutzte sie? Man hat vielfach bemerkt, dass die Herausgabe von Wahrzeichen des nationalen Gedächtnisses als Instrument zur Bildung der Nation und damit zur Stärkung der nationalen Identität diente. Die Investitionen in die Vorzeit konnten so der Erneuerung und der Zukunft dienen.54 Hierin lag auch die Motivation für die staatliche Förderung umfangreicher Editionsprojekte, wie zum Beispiel, bereits im 17. Jahrhundert, die in Schweden besorgte Herausgabe der Landschaftsgesetze.55 Für das 19. Jahrhundert freilich muss diese Antwort teilweise modifiziert werden. Das literarische Editionswesen entbehrte weitestgehend der staatlichen Finanzierung, während zugleich die vom Markt angetriebene Herausgabe nationaler Klassiker immer stärker zunahm. Lässt sich also die herausgeberische Tätigkeit größtenteils als nationsstützend beschreiben, so entbehrte sie doch der Unterstützung durch die öffentliche Hand. Ein nationales Identitätsgefühl erfasste stattdessen immer breitere Schichten der Bevölkerung: anfangs noch die intellektuelle Elite, doch später eine weite literarisierte Öffentlichkeit. Herausgeberisches Wirken kann also als Symptom dafür angesehen werden, wie nationale Identität ein Allgemeingut wurde und wie die Bildung der Nation sich als ein kollektives Anliegen durchsetzte. Mit dieser Entwicklung hing die wissenschaftliche Loslösung der nationalen von der klassischen Philologie zusammen. Die klassische Philologie spielte im ____________ 52 53 54 55
Bremer Qviding in Bremer 1868, S. 2 f. Vgl. Flygare 1860, postum herausgegeben von seiner Mutter. Leerssen 2010, S. xviii. Vgl. Henrikson 2008a, S. 113–116; Torstendahl 1964, S. 221.
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Verhältnis zur heranwachsenden muttersprachlichen Editionsphilologie eine doppelte Rolle. Einerseits bot sie Modelle, Tradition und Fortschrittlichkeit in der Methodik. Mehrere unter den Herausgebern des frühen 19. Jahrhunderts, wie etwa Sondén und Hammarsköld, waren auch als Herausgeber griechischer und lateinischer Texte tätig.56 Andererseits konnte die klassische Philologie sich hemmend auswirken, solange die nationale Literatur von der Größe der klassischen Antike überschattet wurde und solange die Methoden der Textkritik am geeignetsten für Textsituationen der Literatur des Altertums waren.57 Die Literatur des Altertums lieferte den selbstverständlichen und stets wiederkehrenden Vergleich, wenn die Editoren des frühen 19. Jahrhunderts das Desiderat einer nationalen Philologie begründeten. 1826 schreibt Sondén: „Wir achten den Fleiß der Gelehrten hoch, die die Hinterlassenschaft des klassischen Altertums aufgedeckt haben; sollten da nicht auch unsere eigenen Schriftsteller ein Recht auf solche Aufmerksamkeit haben, die man Roms Dichtern nicht verweigert, obgleich doch nicht jeder von ihnen ein Maro war?“58 Auf ähnliche Weise leitet Hammarsköld seine Ausgabe von Stagnelius’ Gesammelten Schriften (1824–1826) ein, indem er seine Aufgabe mit der eines klassischen Archäologen vergleicht: Beide sammeln Fragmente, um daraus ein Ganzes zu formen.59 Was wir bei den Editoren des frühen 19. Jahrhunderts beobachten können, ist eine Neuverhandlung des Begriffes ‚klassisch‘, der zuvor griechischen und lateinischen ‚auctores‘ vorbehalten war, dem nun jedoch eine Anwendung auf die volkssprachliche Literatur eröffnet wurde. 1820 betonte auch der Romantiker Per Daniel Amadeus Atterbom (1790–1855), dass „der Begriff des Klassischen, recht durchdacht, keinesfalls ausschließlich dem Vortrefflichsten in der Literatur der Griechen und Römer vorbehalten sein kann“.60 Diese Verallgemeinerung des Begriffs ‚klassisch‘ war es, die den Boden bereitete für das Bestreben des 19. Jahrhunderts, ein nationales literarisches Archiv zu errichten, wie dies an einem Projekt wie dem von Hanselli deutlich wird. Die Vorstellung vom Archiv ist zentral für einen Großteil der Philologie im 19. Jahrhundert. In den Editionsgesellschaften, sowohl Kungl. samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens Historia als auch Fornskriftsällskapet und Svenska Litteratursällskapet hatte man es sich neben der herausgeberischen Tätigkeit ebenfalls zur Aufgabe gemacht, Handschriften und anderes relevantes Material zu suchen, zu verzeichnen und archivieren zu lassen. Dies geschah durch Reisen und Korrespondenz, und das 19. Jahrhun____________ 56 57 58 59 60
Ljunggren 1952, S. 237–241. Siehe Henrikson 2008b. Sondén in Frese 1826, o. S. Hammarsköld in Stagnelius 1824, S. 1. Atterbom 1870, S. 242. Vgl. Tegnér 1924, S. 111.
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dert war denn auch eine Epoche, in der private Archive in öffentliche eingegliedert wurden (durch Schenkungen wie durch Ankauf).61 Dieser Prozess verlief nur in eine Richtung: Archivalien, die einmal in ein öffentliches Archiv eingegangen waren, verschwanden daraus nicht wieder, und ein Großteil des Materials, mit dem Textkritiker noch immer arbeiten, gelangte in die Archive dank der Fürsorge der Philologen des 19. Jahrhunderts.62 Es waren nachdrücklich die Philologen des 19. Jahrhunderts, welche die Archive errichteten, die auf längere Sicht der Nation als kollektiver Gedächtnisspeicher dienen sollten. Durchdrungen von den Ideen des Nationalen und des Klassischen, wurde das 19. Jahrhundert zur Epoche, in der der Grund zu einem Kanon schwedischer Literatur gelegt wurde. Was Individuen, Vereinigungen und Verlage auswählten, und die Rangfolgen, die sie setzten, wurden zum Ursprung eines mehr oder weniger fest umrissenen literarischen Erbes, das mit der Zeit eine umfassende und dabei nicht zuletzt pädagogische Bedeutung erlangen sollte. Im öffentlichen Schulwesen, das sich im Laufe des Jahrhunderts herausbildete, wurde die Literatur zu einem zentralen Bildungsinstrument. 1897/98 erschienen auch die ersten Schulausgaben von Almqvist, Stagnelius, Strandberg, Atterbom und Geijer zur Ergänzung einer Schulanthologie wie Läsebok i svensk litteratur (Lesebuch schwedischer Literatur, 1897/98).63 Insgesamt gesehen ist das Editionswesen des 19. Jahrhunderts am deutlichsten von seinem historischen Bewusstsein geprägt. Das Verständnis vom Menschen in seiner historischen Bedingtheit beherrschte das Jahrhundert hindurch die meisten Ansätze auf dem Gebiet. Den Herausgebern war auch dieser Wandel im Denken höchst bewusst. Schon zu Beginn des Jahrhunderts bezog man sich auf das „Aufspüren des Alten“ als kennzeichnend für die Zeit,64 und 1826 formulierte Sondén eine allgemeine Apologie der herausgeberischen Tätigkeit: Das Unterfangen, die Früchte unserer älteren Literatur der Allgemeinheit aufs Neue zugänglich zu machen, ist zuweilen verkannt und missdeutet worden. Läge die Absicht darin, unsere Bildung zurückzuführen auf den Stand, auf dem sie vor einem oder mehreren Jahrhunderten war, oder gar unsere neuesten Schriftsteller und ihre engsten Vorläufer vergessen zu machen – dies scheint der eine oder andere Tadler zu glauben –, so verdiente ein solches Vorhaben wahrlich keinen Dank und könnte als nichts denn große Torheit angesehen werden. Doch wie im Allgemeinen, so ist auch in jeder Wissenschaft und Kunst die Geschichte eine weise und holde Lehrerin.
____________ 61 62 63 64
Vgl. Broomé 1977. Leerssen 2008, S. 20. Siehe Brink 1992, S. 143–145; Martinsson 1989, S. 155–163. Hammarsköld/Imnelius in Svenska folksagor (1819), S. I.
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Und wenn es stets von Gewicht ist, eines Volkes Bildungsgeschichte zu kennen, was 65 sollte uns dann lieber und teurer sein, eine fremde oder unsere eigene?
Sondén sieht hier das Editionswesen im Zusammenhang mit einer evolutionären Geschichtsauffassung als eine „Bildungsgeschichte“ („bildnings-historia“). Ältere Literatur zugänglich zu machen dient nicht einem praktischen, instrumentellen Nutzen, sondern ist wichtig, damit sich uns die Möglichkeit erschließt, uns selbst als Produkt unserer Geschichte zu verstehen. Unter dem Vorzeichen einer solchen Auffassung von Geschichte wurde das 19. Jahrhundert zum Jahrhundert der Edition. Aus dem Schwedischen von Hans Walter Gabler
Abstract The article deals with the history of literary scholarly editing during the 19th century, a period marked by an expansion of the market for literary classics, and at the same time a modernization of the printing and publishing industry. This meant that editions of literary classics were primarily produced for the literary market. In particular, one should note a number of Classics series produced and sold in booklets, which from the 1830s onwards were marketed at low cost to a wide audience. The basis for the scholarly editing during the 19th century was formed by the new concept of authors’ rights, as expressed in the press law of 1810. The consequence was that copyrights for literary classics were transformed into commodities, bought and sold by farsighted publishers. Simultaneously, scholarly editing was slowly professionalized, as may be observed in the methodological discussions in introductions and reviews, as well as the continuous debate over linguistic modernization in scholarly editing. Important fora for such discussions were also the editing societies formed during the 19th century, manifestation of the institutionalization of scholarly editing, such as the Kungl. samfundet för utgivande av handskrifter rörande Skandinaviens Historia (The Royal Society for the Publication of Manuscripts on Scandinavian History), Svenska Fornskriftsällskapet (Society for the Publication of Ancient Swedish Texts) and the Svenska Literatursällskapet (Society for Swedish Literature).
____________ 65
Sondén in Frese 1826, o. S.
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Literaturverzeichnis Editionen Reihen (in Auswahl) Corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui / Samling af Sweriges gamla lagar Bd. 1. Hrsg. von H. S. Collin und C. J. Schlyter. Stockholm 1827. Bd. 2. Hrsg. von H. S. Collin und C. J. Schlyter. Stockholm 1830. Bd. 3. Hrsg. von C. J. Schlyter. Stockholm 1834. Bd. 4–12. Hrsg. von C. J. Schlyter. Lund 1838–1869. Bd. 13. Hrsg. von C. J. Schlyter. Lund 1877. Klassiska författare i svenska vitterheten. 6 Bde. Stockholm 1835–1842. (Werke von Georg Stiernhielm, Gustaf III, Lasse Johansson (Lucidor), Johan Gabriel Oxenstierna, Anna Maria Lenngren und Carl Israel Hallman.) Klassiska författare i svenska vitterheten. 2 Bde. Stockholm 1836. (Werke von Bengt Lidner.) Läsebok i svensk litteratur. Hrsg. von Emil Hildebrand, Hugo Bergstedt und Arthur Bendixson. Stockholm 1897/98. Miniatur-bibliothek av svenska klassikerna. 5 Bde. Stockholm 1850–1852. (Werke von Erik Sjöberg (Vitalis), Carl Lindegren, Jacob Wallenberg, Johan Olof Wallin und Erik Johan Stagnelius.) Samlade vitterhetsarbeten af svenska författare från Stjernhjelm till Dalin. Hrsg. von Per Hanselli. 22 Bde. Uppsala 1856–1878. (Werke von Georg Stiernhielm, Gustaf Rosenhane, Johannes Columbus, Samuel Columbus, Thomas Hiärne, Urban Hiärne, Carl Urban Hiärne, Johan Hiärne, Erland Fredrik Hiärne, Petrus Lagerlöf, Erik Lindschöld, Emund Gripenhielm, Nils Gripenhielm, Carl Gripenhielm, Johan Gabriel Werwing, Johan Tobias Geisler, Jakob Gyllenborg, Anders Leijonstedt, Carl Gyllenborg, Olof Gyllenborg, Gunno Dahlstierna, Christoffer Leijoncrona, Israel Holmström, Olof Wexonius, Johan Lillienstedt, Magnus Gabriel De la Gardie, Jacob Arrhenius, Israel Kolmodin, Gustaf Ållon, Jacob Boëthius, Petrus Brask, Ulrik Rudenschöld, Märta Berendes, Ebba Maria De la Gardie, Johanna Eleonora De la Gardie, Amalia Wilhelmina von Königsmarck, Aurora von Königsmarck, Thorsten Rudén, Carl Rudenschöld, Sveno Dalius, Lars Wivallius, Johan Gabriel von Beyer, Lasse Johansson (Lucidor), Nils Keder, Andreas Rydelius, Germund Cederhielm, Carl Gustaf Cederhielm, Carl Wilhelm Cederhielm, Harald Oxe, Olof Rudbeck d. ä., Olof Rudbeck d. y., Erik Wennæsius, Carl Aroselius, Henric Georg von Brobergen, Andreas Wallenius, Johannes Vultejus, Christofer Tiburtius, Ernst Gestrinius, Michael Renner, Jonas Hjortsberg Larsson, Peter Warnmark, Johan Runius, Olof Broms, Olof Lindsten, Jesper Swedberg, Haquin Ausius, Andreas Petri Amnelius, Nils Tiällmann, Johan Schmedeman, Petrus Törnevall, Carl Eldh, Samuel Westhius, Gabriel Tuderus, Werner von Rosenfeldt, Lars Stjerneld, Didrik Granatenflycht, Daniel Achrelius, Johan Risell, Lars Salvius, Olaus Petri Carelius, Sofia Elisabeth Brenner, Anders Nicander, Samuel Triewald, Johan Göstaf Hallman, Gustaf Palmfelt, Carl Johan Lohman, Jacob Frese, Jacobus Petri Chronander, Josephus Svenonis Chærberus, Petrus Laurentii Laurbecchius, Erik Kolmodin, Johannes Beronius, Christofer Moræus, Samuel Petri Brask, Magnus Stenbock und Jacob Fabricius.) Samlingar utgivna av Svenska Fornskriftsällskapet. Serie. 1, Svenska skrifter. Uppsala 1844 ff. (im 19. Jahrhundert erschienen 32 Titel, darunter Flores och Blanzeflor, S. Patriks-sagan, Herr Ivan Lejon-riddaren, Namnlös och Valentin, Sagan om Didrik af Bern, Hertig Fredrik af Normandie, Konung Alexander, Heliga Birgittas uppenbarelser, Svenska medeltidens rim-krönikor, Svenska medeltids dikter och rim, Prosadikter från Sveriges medeltid und Hel. Mechtilds uppenbarelser.) Skillings-bibliothek af svenska klassikerna (auch: Svenska klassikerna). 4 Bde. Stockholm 1853/54. (Werke von Erik Sjöberg (Vitalis), Erik Johan Stagnelius, Carl Fredrik Dahlgren und Johan Olof Wallin.) Skrifter utgivna av Svenska Litteratursällskapet. Uppsala 1880 ff. (im 19. Jahrhundert wurden 19 Titel veröffentlicht oder begonnen, darunter Werke von Johan Gabriel Oxenstierna, Samuel Columbus, Carl Gustaf Tessin, Gustaf Benzelstierna, Johannes Messenius, Thomas Thorild und Hans Järta.)
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Svenska skalder. 2 Bde. Stockholm 1852. (Werke von Anna Maria Lenngren und Karl August Nicander.) Svenska Vitterheten. 10 Bde. Hrsg. von Per Hanselli. Uppsala 1852–1857. (Werke von Hedvig Charlotta Nordenflycht, Olof Rudbeck, Carl Michael Bellman, Johan Wellander, Carl Israel Hallman, Olof Kexél, Jacob Wallenberg, Christoffer Bogislaus Zibet, Johan Nybom, Carl Anders Roth und Anders Bergstedt.) Utmärkta och klassiska arbeten af svenska författare. 11 Bde. Stockholm 1837–1839. (Werke von Bengt Lidner, Erik Johan Stagnelius, Olof Bergklint, Carl August Ehrensvärd, Erik Sjöberg (Vitalis), Olof Kexél, Johan Ludvig Runeberg und Jacob Wallenberg.) Vittra arbeten af svenska författare. 2 Bde. Örebro 1837–1842. (Werke von Johan Henric Kellgren und Elias Wilhelm Ruda.)
Einzeleditionen (in Auswahl) Almqvist, Carl Jonas Love: Valda skrifter. Hrsg. von Albert Theodor Lysander. 5 Bde. Stockholm 1874–1878. Almqvist, Carl Jonas Love: Palatset. Araminta May. Arturs jakt. Hrsg. von Emil Hildebrand. Stockholm 1897. Atterbom, Per Daniel Amadeus: Samlade dikter. 6 Bde. Örebro 1854–1863. Atterbom, Per Daniel Amadeus: Samlade skrifter i obunden stil. 7 Bde. Örebro 1859–1870. Atterbom, Per Daniel Amadeus: Lycksalighetens ö. Sagospel. Hrsg. von Arthur Bendixson. Stockholm 1898. Bäckström, Edvard: Samlade skrifter. Einleitung von Carl David af Wirsén. 3 Bde. Stockholm 1889/90. Bellman, Carl Michael: Fredmans handskrifter. Hrsg. von Per Adolf Sondén u. a. Uppsala 1813. Bellman, Carl Michael: Skaldestycken, efter C.M. Völschows manuscripter första gången utgifna. 2 Bde. Stockholm 1814. Bellman, Carl Michael: Valda skrifter. Hrsg. von Per Adolf Sondén. 6 Bde. Stockholm 1835/36. Bellman, Carl Michael: Samlade skrifter. 5 Bde. Göteborg 1836–1838. Bellman, Carl Michael: 36 hittills otryckta sånger. Söderhamn 1853. Bellman, Carl Michael: Samlade skrifter. Hrsg. von Johan Gabriel Carlén. 5 Bde. Stockholm, Köpenhamn, Christiania 1855–1861. Bellman, Carl Michael: Skrifter. Hrsg. von Christoffer Eichhorn. 2 Bde. Stockholm 1876/77. Björck, Ernst Daniel: Valda dikter. Einleitung von Carl David af Wirsén. Stockholm 1869. Blanche, August: Samlade arbeten. 12 Bde. Stockholm 1870–1877. Blom, Isac Reinhold: Samlade skrifter. Stockholm 1827. Böttiger, Carl Wilhelm: Samlade skrifter. 6 Bde. Stockholm 1856–1881. Braun, Wilhelm von: Samlade arbeten. 6 Bde. Stockholm 1867–1870. Bremer, Fredrika: Sjelfbiografiska anteckningar, bref och efterlemnade skrifter jemte en teckning af hennes lefnad och personlighet. Hrsg. von Charlotte Bremer Quiding. 2 Bde. Örebro 1868. Bremer, Fredrika: Samlade skrifter i urval. 6 Bde. Stockholm, Örebro 1868–1872. Cederborgh, Fredric: Valda skrifter. Hrsg. von C. F. A. Holmström. Stockholm 1856. Dahlgren, Carl Fredrik: Samlade arbeten. 5 Bde. Stockholm 1847–1852. Ehrensvärd, Carl August: Skrifter. Stockholm 1837. Elgström, Per und Georg Ingelgren: Samlade vitterhetsarbeten. Uppsala 1860. Franzén, Frans Michael: Skaldestycken. 7 Bde. Örebro 1824–1861. Frese, Jacob: Valda skrifter. Hrsg. von Per Adolf Sondén. Stockholm 1826. Geijer, Erik Gustaf: Samlade skrifter. 13 Bde. Stockholm 1849–1855. Geijer, Erik Gustaf: Valda skrifter. Hrsg. von Emil Hildebrand. Stockholm 1898. Gustav III: Konung Gustaf III:s efterlemnade och femtio år efter hans död öppnade papper. Uppsala 1843. Hallman, Carl Israel: Skrifter. Einleitung von Jonas Magnus Stjernstolpe. Stockholm 1820. Hedborn, Samuel: Samlade skrifter. Hrsg. von Per Daniel Amadeus Atterbom. 2 Bde. Örebro 1853. Höijer, Benjamin: Samlade skrifter. Hrsg. von Joseph Otto Höijer. Stockholm 1825–1827. Klockhoff, Daniel: Efterlemnade skrifter. Hrsg. von Viktor Rydberg und P. N. Ödman. Einleitung von Carl David af Wirsén. Stockholm 1871.
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Geschichte der Edition in Schweden im 19. Jahrhundert
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Johan Svedjedal
Editionsideologie in Verhandlung Über schwedische Textedition im 20. Jahrhundert
Die wissenschaftliche Edition hat die Aufgabe, in sich manifest das Werk seine Selbstidentität erlangen zu lassen. Optimalerweise hat sie einen namentlich genannten Herausgeber (oft ein Wissenschaftler), nicht selten auch einen Hauptherausgeber für die ganze Ausgabenreihe oder das aktuelle Editionsprojekt. Die Texte werden nach klar erstellten Prinzipien und ebenso klarer Grundmaterialbestimmung neu konstituiert. Sie werden in originaler Orthografie wiedergegeben, sind neu gesetzt (d. h. nicht faksimiliert) sowie mit textkritischem Kommentar, Variantenverzeichnissen, Worterklärungen und Sachkommentaren versehen. Dieses Bündel an Merkmalen stellt charakteristische Eigenschaften dar, welche die wissenschaftliche Herausgabe von Texten auszeichnen. Alle diese Elemente lassen sich in den großen Werkausgaben, die in angesehenen Verlagen erscheinen, wiederfinden, doch fehlen nicht selten eines oder mehrere davon. Die Herausgeber dieser Ausgaben sind nicht immer Akademiker, sondern sie können auch Verfasser schöngeistiger Literatur, Kritiker oder Essayisten sein, die das herauszugebende Autoren-Œuvre besonders gut kennen. Während die wissenschaftliche Edition von Rücksichten auf akademische Gepflogenheiten und Ziele bestimmt wird, stehen hinter der Herausgabe schriftstellerischer Werke durch Verlage andere Marktvorstellungen: Eher als um Spezialisten geht es hier um Leser mit einem allgemeinen Interesse an Literatur. Aus diesem Grund kann das Werk eines einzelnen Autors oft in vielen verschiedenen Ausführungen erscheinen, bevor es schließlich in eine Gestalt gefasst wird, die einer wissenschaftlichen Ausgabe ähnelt. Manche Schriftsteller erfreuen sich solch andauernder Beliebtheit, dass die Verlage den Markt mit ihren Werken regelrecht sättigen können, bevor die Autoren eine gesammelte, kommentierte Ausgabe erleben dürfen. Ein Beispiel dafür ist Emelie Flygare-Carlén (1807–1892), eine der erfolgreichsten und meistgelesenen schwedischen Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Ihre Werke erschienen in unzähligen Billigausgaben bis weit ins 20. Jahrhundert hinein (darunter etliche Titel als 25-Öre-Bücher in den 1910er Jahren), erlebten aber niemals eine wissenschaftliche Ausgabe. Der Grund war vermutlich, dass sie in doppelter Bedeutung allzu populär waren. Die Verlage setzten ihre Bücher auch ohne den
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Johan Svedjedal
wissenschaftlichen Apparat ab, den eine textkritische Ausgabe mit sich bringt; dass sie aber die meistverkaufte Schriftstellerin war, verringerte gleichzeitig ihren literarischen Status und machte vermutlich die wissenschaftlich gesinnten Herausgeber weniger geneigt, sich ihrer anzunehmen. Die Herausgabe belletristischer Werke aus älterer Zeit kann in drei Haupttypen eingeteilt werden: 1) wissenschaftliche Ausgaben, 2) von Verlagen betriebene kommentierte Ausgaben, 3) von Verlagen besorgte Ausgaben ohne Kommentare. Der vorliegende Beitrag begrenzt sich auf die Erörterung der beiden ersten Typen.
1.
Die Verlagswelt
Um 1900 erschienen Ausgaben literarischer Werke in Schweden vorherrschend bei zwei große Verlagsunternehmen: P. A. Norstedts & söner (gegründet 1823) und Albert Bonniers förlag (gegründet 1837). Neben diesen beiden gab es natürlich viele andere auf schöngeistige Literatur ausgerichtete Verlage (Wahlström & Widstrand, Gebers, Ljus u. a. m.), doch hatten Norstedt und Bonnier während des 19. Jahrhunderts ihre Stellung als die wirtschaftlich und kulturell wichtigsten Unternehmen ausgebaut. Dank der eigenen Ausgaben und dem Ankauf anderer Verlage hatten sie auch die Verlagsrechte für die meisten literarischen Klassiker bei sich versammelt.1 Ihre Vorrangstellung wurde nachhaltig gestärkt durch die 1877 eingeführten Änderungen im schwedischen Urheberrechtsgesetz, laut denen die Verlagsrechte, die ältere Literatur betrafen, für weitere fünfzig Jahre gelten sollten, also bis 1927. In der Praxis bedeutete dies, dass Norstedt und Bonnier bis 1927 nahezu das Monopol auf schwedische Klassiker hielten – falls sie nicht willens waren, die Rechte an jemand anderen abzutreten.2 Sowohl Norstedt als auch Bonnier waren Publikumsverlage mit Ausgaben in allen Gattungen (Ersterer spezialisiert auf Lehrbücher, staatliche Druckwerke und Jura, Letzterer mit dem Schwergewicht auf neue Literatur schwedischer Autoren), und sie arbeiteten nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit, orientiert an der inneren Logik des Marktes. Die Investitionen waren zwar auf lange Sicht angelegt, und nicht selten investierte man in Editionsvorhaben, deren Wirtschaftlichkeit zweifelhaft erschien, doch am Ende mussten bei aus____________ 1
2
Zu Vorrangstellung und Herausgabeprofilen von Norstedt und Bonnier siehe Svedjedal 1993, S. 244–254 und 611–642. Zu beiden Unternehmen gibt es moderne Monografien: Peterson 1993 und 1998 bzw. Gedin 2003. Svensk författningssamling 1877, 28 (die neue Zeitgrenze, § 7). Zur Änderung des Urheberrechts 1877 siehe Eberstein 1923, S. 77 f.
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gabenpolitischen Entscheidungen in der Regel die Gewinninteressen deutlich ins Gewicht fallen. Auf einem begrenzten Buchmarkt wie dem schwedischen bedeutete dies, dass Rentabilität einerseits und qualifizierte Herausgabe von Klassikern andererseits einander oft entgegenstanden. Die Anzahl der Käufer war häufig nicht groß genug, um wirtschaftliche Tragkraft zu verleihen, nicht einmal dann, wenn man öffentliche Bibliotheken und Lehrwerke für höhere Schulen hinzuzählte. Die Tätigkeit der Publikumsverlage wurde deshalb oft von Initiativen verschiedener gelehrter Gesellschaften ergänzt. Hieraus folgt, dass die Geschichte der textkritischen Edition in Schweden im 20. Jahrhundert in zwei idealtypische Bereiche zu gliedern wäre: einerseits die der gelehrten Gesellschaften, andererseits die der schöngeistigen Publikumsverlage. Allerdings ist die Idealtypisierung eine Sache, die historische Wirklichkeit aber eine andere. Es gibt viele Beispiele für die Zusammenarbeit zwischen den Publikumsverlagen und den gelehrten Gesellschaften bei Initiativen, die oft entscheidend waren für den Entstehungsprozess des wissenschaftlichen Editionswesens.
2.
Svenska Vitterhetssamfundet
Der wichtigste Akteur für Ausgaben schwedischer literarischer Klassiker war innerhalb der gelehrten Gesellschaften Svenska Vitterhetssamfundet (Schwedischer Literaturverein; SVS). Die Gesellschaft wurde 1907 gegründet und hat seitdem eine größere Anzahl von Titeln herausgebracht.3 Zum hundertjährigen Jubiläum 2007 konnte ihre Hauptherausgeberin Barbro Ståhle Sjönell feststellen, dass die Veröffentlichungsleistung bisher zwei bis drei Lieferungen/Bücher pro Jahr betragen hatte und dass die Gesamtzahl erschienener Titel bis dahin auf 315 angestiegen war. Das Programm umfasste die Gesammelten Schriften (ganz oder teilweise herausgegeben) von 21 Autoren, wozu sich noch 16 Einzelwerke, Faksimileausgaben literarischer Kalender, Anthologien, Tagungsbände und andere Schriften über textkritische Theorie und Praxis gesellten.4 SVS entsprang einer Kompromisslösung innerhalb einer anderen Gesellschaft. Als SVS gegründet wurde, war die wichtigste gelehrte Gesellschaft auf dem literaturhistorischen Gebiet Svenska Litteratursällskapet (Schwedische ____________ 3
4
Die Geschichte der Gesellschaft wird beleuchtet im Sammelband Svenska Vitterhetssamfundet 1907–2007 (= SVS 1907–2007), der sowohl neuverfasste Beiträge als auch Wiederveröffentlichungen älterer Dokumente und Übersichten enthält. Im Folgenden benutze ich diese Quellensammlung. Zum Programmumfang der Edition siehe Barbro Ståhle Sjönell in SVS 1907–2007, S. 9.
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Johan Svedjedal
Literaturgesellschaft), 1880 in Uppsala gegründet auf Initiative u. a. von Henrik Schück (1855–1947). Ihr satzungsgemäßer Zweck war es, „schwedische Literatur ab der Reformationszeit herauszugeben“, was jedoch nur in geringem Umfang geschehen war.5 Man bezog so gut wie keine Werke derjenigen Autoren ein, die bereits damals als Zentralgestalten der schwedischen Literatur ab der Freiheitszeit angesehen wurden. Vor diesem Hintergrund unterbreitete der Sprachforscher und Literaturhistoriker Ruben G:son Berg (1876–1948), Mitglied der Svenska Litteratursällskapet, im Frühjahr 1905 einen Vorschlag. Dieser besagte, dass die Literaturgesellschaft „die Herausgabe von philologisch zufriedenstellenden, mit reichhaltigen stilistischen, biografischen und literaturhistorischen Kommentaren versehenen Editionen schwedischer literarischer Autoren nach der Reformationszeit veranlassen möge“.6 Berg dachte dabei an eine Zusammenarbeit mit renommierten Verlegern: Entweder würde die Literaturgesellschaft das Recht erhalten, eine textkritische Ausgabe für ihre Mitglieder herauszugeben, oder die Gesellschaft würde eine Ausgabe für den Verlag besorgen und als Gegenleistung den Mitgliedern das Recht zum verbilligten Kauf einräumen. Er meinte, dass die Rechtslage die Verleger ermuntern sollte, verlässliche Ausgaben herauszubringen. Wenn die Klassiker frei würden, dürften gute wissenschaftliche Ausgaben in der Konkurrenz um die Käufer wichtig werden.7 Als die Frage allmählich in der Svenska Litteratursällskapet entscheidungsreif wurde, wurde Bergs Vorschlag abgewiesen. Die Gesellschaft empfahl stattdessen, eine eigene Vereinigung zum Zweck der Herausgabe guter wissenschaftlicher Ausgaben schwedischer Klassiker zu gründen. Im Frühjahr 1907 wurde ein dahingehender Aufruf in Umlauf gebracht, und am 22. Mai desselben Jahres wurde SVS (mit Ruben G:son Berg als einem der ersten Vorstandsmitglieder) gegründet. Die Satzung bestimmt den Zweck der Gesellschaft als „die Herausgabe der Werke klassischer schwedischer Autoren in wissenschaftlich zufriedenstellenden Ausgaben“.8 Die Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft – deren Organisation, Arbeitsbedingungen und soziologisches Profil von Petra Söderlund an anderer Stelle im vorliegenden Band beschrieben wird – setzte bald darauf ein. Was das Verlegerische betrifft, folgte sie einem der ursprünglichen Vorschläge von Berg. Der Verlag Albert Bonnier übernahm die Verlegerrisiken, während Vitterhets____________ 5 6 7 8
Vgl. die Auflistung der erschienenen Editionen jüngeren Datums im Jahrbuch der Gesellschaft, Samlaren 2009, S. 354 f. Bergs Vorschlag (datiert 11. 4. 1905 und ursprünglich gedruckt in Samlaren 1905), zitiert nach SVS 1907–2007, S. 23. Berg in SVS 1907–2007, S. 23–26. Meddelanden från Svenska Vitterhetssamfundet N:o 1, S. 4, Faks. in SVS 1907–2007, S. 36.
Editionsideologie in Verhandlung
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samfundet die Editionsarbeit ausführte und als Gegenleistung eine gewisse Anzahl kostenloser Exemplare erhielt.9 Die Frage der Editionsprinzipien wurde von Anfang an eifrig erörtert. Welche Werke sollten herausgegeben werden? Welche Fassung („Grundtext“) eines bestimmten Werkes sollte ausgewählt und dann ediert werden? Wie waren die Kommentare und Einleitungen oder Nachworte zu gestalten? Die zur Herausgabe bevorzugten Werke wurden in hohem Grad nach literaturhistorischen und sprachhistorischen Gesichtspunkten ausgewählt. Einfach gesagt dominierten im Ausgabenprogramm des Svenska Vitterhetssamfundet während der ersten Jahre die schwedischen Klassiker ab dem 17. Jahrhundert bis zur Romantik. Das zuerst in Angriff genommene Werk war die satirische Zeitschrift Then swänska Argus (Der schwedische Argus, Erstveröffentlichung 1732–1734) des Olof von Dalin (1708–1763). Sie war sprachlich so bedeutend, dass sie zum Tor für das jüngere Neuschwedisch wurde. Bald folgten Werke von Carl Michael Bellman (1740–1795), Anna Maria Lenngren (1754– 1817), Carl Gustaf Leopold (1756–1829) und Erik Johan Stagnelius (1793– 1823). Die Herausgeber wählte man unter den damals bedeutendsten Literaturund Sprachhistorikern. Aus praktischen Gründen verteilten die Herausgeber die Werke auf Lieferungen im Umfang einer gewissen Anzahl von Druckbögen, die nach und nach zu größeren Bänden gebunden werden konnten. In der Praxis bestand deshalb die Herausgabe durch Svenska Vitterhetssamfundet aus einer Anzahl von Lieferungen pro Jahr, verteilt auf verschiedene Autoren. Die Editionstätigkeit in SVS folgte dem geltenden Literaturkanon und verstärkte ihn. Die Werke wurden unter solchen gewählt, die als die besten und wichtigsten in der schwedischen Literatur galten, allerdings mit der deutlichen Ausnahme von Autoren, die die Verlage Bonnier und Norstedt als wirtschaftlich interessant betrachteten (vgl. unten). Eine Aufstellung über die edierten Autoren und Werke zeigt, dass SVS große Teile des für Forschung und Unterricht in den beiden Schwesterdisziplinen Literaturgeschichte und Nordische Sprachen aktuellen Materials umfasste.10 Während der ersten Jahrzehnte gab die Gesellschaft eine Reihe heraus, betitelt Svenska författare utgivna av Svenska Vitterhetssamfundet (Schwedische Schriftsteller, herausgegeben von Svenska Vitterhetssamfundet). Die Ausgaben waren unterschiedlich angeordnet, je nach der inneren Logik des jeweiligen Œuvre, und wie ersichtlich, handelte es sich nicht immer um das Gesamtwerk eines Autors. In der Regel wurden die Sammelausgaben nach Gattung, danach ____________ 9 10
Ebd., S. 8 = S. 40. Die Aufstellung fußt auf dem ausführlichen Verzeichnis der Editionen in SVS 1907–2007, S. 309–321. Dort finden sich auch Angaben zu den Herausgebern der verschiedenen Ausgaben.
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innerhalb der Gattungen chronologisch gegliedert (z. B. Gedichte, Dramatik, Briefe). Die Ausgaben wandten in der Darstellung ein ‚Klartext‘-Prinzip an, d. h. dem Werktext wurden keine Kommentare oder Worterklärungen hinzugefügt. Die einzelnen Bände hatten keine Einleitungen, sondern für jede Gattung gingen Nachworte, Kommentare, Worterklärungen und Variantenverzeichnisse in abschließende Kommentarlieferungen ein. Nicht selten wurde eine Ausgabe so disponiert, dass die Lieferungen mit den edierten Werken in ziemlich raschem Takt erschienen, während die Kommentarlieferungen warten mussten. Georg Stiernhielm (1598–1672), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; begonnen 1924; nicht abgeschlossen) Georg Stiernhielm (1598–1672) und Samuel Columbus (1642–1684), Spel om Herculis Wägewal (Das Spiel von Herkules am Scheideweg; 1 Bd., 1955) Lasse Lucidor (Lars Johanson; 1638–1674), Samlade dikter (Gesammelte Gedichte; 2 Bde., 1914–1930) Haquin Spegel (1645–1714), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; begonnen 1998; nicht abgeschlossen) Gunno Eurelius Dahlstierna (1669–1709), Samlade dikter (Gesammelte Gedichte; 2 Bde., 1920–1928) Johan Runius (1679–1713), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 4 Bde., 1933– 1955) Olof von Dalin (1708–1763) u. a., Then Swänska Argus (Der schwedische Argus, 3 Bde., 1910–1919) Hedvig Charlotta Nordenflycht (1718–1763), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 3 Bde., 1924–1938) Carl Michael Bellman (1740–1795), Dikter (Dichtungen; 4 Bde., 1916–1977) Carl August Ehrensvärd (1745–1800), Skrifter (Schriften; 2 Bde., 1922–1925) Jacob Wallenberg (1746–1778), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 2 Bde., 1928–1941) Johan Henrik Kellgren (1751–1795), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; begonnen 1922; nicht abgeschlossen) Anna Maria Lenngren (1754–1817), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 3 Bde., 1916–1926) Carl Gustaf af Leopold (1756–1829), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; begonnen 1911; nicht abgeschlossen) Bengt Lidner (1757–1793), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 4 Bde., 1930– 1992) Thomas Thorild (1759–1808), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; begonnen 1932; nicht abgeschlossen) Johan Olof Wallin (1779–1839), Dikter (Dichtungen; 4 Bde., 1955–1967)
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Per Daniel Amadeus Atterbom (1790–1855), Rimmarbandet (Die Reimbande; 1 Bd., 1992) Erik Johan Stagnelius (1793–1823), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 5 Bde., 1911–1919) Erik Sjöberg (Vitalis) (1794–1828), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 2 Bde., 1926–1932) Adolph Törneros (1794–1839), Brev och dagboksanteckningar (Briefe und Tagebuchaufzeichnungen; begonnen 1950; nicht abgeschlossen) Johan Ludvig Runeberg (1804–1877), Samlade skrifter (Gesammelte Schriften; 20 Bde., 1933–2005) Viktor Rydberg (1828–1895), Singoalla (1 Bd., 1941–1968) August Strindberg (1849–1912), Mäster Olof (Meister Olof; 2 Bde., 1947–1979) August Strindberg (1849–1912), Le Plaidoyer d’un Fou (Plädoyer eines Irren; 2 Bde., 1978–1993)11
Wie die Aufstellung zeigt, zog sich die Edition oft über lange Zeit hin – in vielen Ausgaben dadurch, dass eine oder einige abschließende Lieferungen mit Kommentaren erst lange nach der Herausgabe der Textbände fertiggestellt wurden und öfters erst nach dem Tod des ursprünglichen Herausgebers. Die von den Hauptherausgebern erbrachten Leistungen, die Arbeit mit solch abschließenden Lieferungen voranzutreiben, sind nicht zu unterschätzen. Die Editionen der SVS steuerten teils die Wünsche der Gesellschaft, teils Initiativen potenzieller Herausgeber. In obiger Liste fehlen so manche zentrale Namen aus der Literatur des 19. Jahrhunderts. Diese Schriftsteller wurden als dermaßen kommerziell und kulturell interessant angesehen, dass sich die Publikumsverlage die Herausgabe vorbehielten (vgl. unten). In wesentlichen Teilen verlief die Kanonisierung der älteren Literatur also anders als über SVS. Die textkritischen Prinzipien für die Ausgaben wurden lebhaft diskutiert – ein ganz besonders angeregter Meinungsaustausch zu Beginn der 1920er Jahre galt Fredrik Bööks (1833–1961) Ausgabe von Erik Johan Stagnelius. Diese wurde von Bernhard Risberg (1862–1947) kritisiert, der die Ansicht vertrat, dass Böök eher von den Handschriften als von den Erstdrucken hätte ausgehen sollen – und die Grundsätze wurden nach und nach revidiert.12 Schon zu Beginn stand fest, dass die Originalorthografie so weit wie möglich beibehalten ____________ 11
12
Diese Aufstellung folgt der Einteilung in Bänden, nicht derjenigen in Lieferungen. Die Reihenfolge ist chronologisch nach dem Geburtsjahr des Autors und spiegelt deshalb nicht die Reihenfolge der Herausgabe. Eine chronologische Aufstellung über die Abfolge der Lieferungen von Jahr zu Jahr findet sich in SVS 1907–2007, S. 303–308. Eine kurze Zusammenfassung der Debatte zwischen Böök und Rosberg in Svedjedal 1991, S. 59.
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werden sollte, ausschließlich jedoch der Interpunktion, zu der die Herausgeber anscheinend ein weit ungezwungeneres Verhältnis hatten. Die Herausgeber in der SVS schwankten bei der Wahl der Fassung als Editionsgrundlage eines Werkes lange zwischen drei Alternativen: dem Manuskript, der ersten gedruckten Fassung zu Lebzeiten oder der letzten Fassung zu Lebzeiten unter Aufsicht des Autors (Ausgabe letzter Hand). Beim ersten edierten Werk, Then Swänska Argus, folgten die Editoren der Erstfassung, und zwar mit Hinweis auf die literarische und sprachliche Bedeutung derselben.13 Doch schon beim nächsten Werk unter Regie der SVS wechselten die Herausgeber das Prinzip. Als Carl Gustaf af Leopolds Samlade dikter (Gesammelte Dichtungen) 1911 zu erscheinen begannen, geschah dies nach der Norm der Ausgabe letzter Hand. Dieses Prinzip wurde auch durch einen allgemeinen Beschluss der Stiftung der Gesellschaft im Herbst 1914 festgelegt (die Edition solle sich in der Regel auf „die letzte vom Autor selbst bearbeitete Auflage gründen“; ausnahmsweise durfte eine andere Fassung gewählt werden, „in welchem Fall der Herausgeber die Gründe für die Abweichung angeben solle“). Das Prinzip entstammte der Fassungsideologie Karl Lachmanns, und wurde wahrscheinlich durch einen Aufsatz von A. B. Drachmann (1860–1935) vermittelt, den bereits Ruben G:son Berg genannt hatte (Hinweis auf Drachmann im Beschluss der SVS). Möglicherweise gab es Impulse auch direkt über Lachmann oder einen seiner zahllosen deutschen Nachfolger.14 Wie Barbro Ståhle Sjönell gezeigt hat, standen den Herausgebern während der folgenden fünf Jahrzehnte für ihre Auswahl nur in ungefähr der Hälfte der Fälle überhaupt verschiedene zu Lebzeiten der Autoren gedruckte Fassungen zu Gebote. Dem Prinzip der Ausgabe letzter Hand folgte man in den Editionen zu Georg Stiernhielm (1598–1672) und Johan Olof Wallin (1779–1839), während die Editionen zu Hedvig Charlotta Nordenflycht (1718–1763) und Anna Maria Lenngren zwischen dem Hauptprinzip einerseits und dem Prinzip, dem Erstdruck zu folgen, schwankten. Im letzteren Fall war der unausgesprochene Ausgangspunkt, dass spätere Umarbeitungen so umfassend waren, dass die letzte zu Lebzeiten vorliegende Fassung ein historisch schiefes Bild gewisser Gedichte ergeben hätte. Aus vermutlich demselben Grund folgt die große Ausgabe zu Johan Ludvig Runeberg (1804–1877) den Erstdrucken.15 In einigen seltenen Fällen werden auch mehrfache Fassungen geboten, und zwar bei Vik____________ 13 14 15
Zu den Prinzipien der Argus-Ausgabe siehe Ståhle Sjönell 1999, S. 10 f. Zu den Prinzipien der Ausgabe von Leopold und dem Beschluss der SVS (vom 3. Oktober 1914) siehe Ståhle Sjönell 1999, S. 12 f. Zu Prinzipien und Praxis in der Runeberg-Ausgabe siehe Forssell 2009.
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tor Rydbergs (1828–1895) Singoalla und August Strindbergs (1849–1912) Mäster Olof (Meister Olof).16 Das alte Hauptprinzip der Ausgabe letzter Hand stand eindeutig fest, als SVS einen Leitfaden für die Herausgeber in Auftrag gab. Die Editionsprinzipien, ausgearbeitet von Sten Malmström (1917–1979), lockerten jedoch die Norm, und als deren Gegengewicht wurde die Überlegung eingeführt, dass eine frühere Ausgabe zu Lebzeiten des Autors sehr wohl dann zugrunde gelegt werden könne, wenn eine solche frühere Fassung Bedeutung für die literarische Entwicklung gehabt hatte und zum Klassiker geworden war. Malmströms so gefasste Hauptregel setzte sich auch deshalb durch, weil sie in einem grundlegenden literaturtheoretischen Lehrbuch zum Gebrauch an Universitäten festgeschrieben wurde.17 Die Editionstätigkeit innerhalb der Gesellschaft wurde gemäß dem gelockerten Hauptprinzip weitergeführt, doch änderte sich zum Teil die Zielsetzung der SVS ab Beginn der 1990er Jahre. Dies geschah aufgrund zweier Projekte: der Edition von Carl Jonas Love Almqvists (1793–1851) Samlade Verk (Gesammelte Werke) sowie des Starts einer neuen Reihe, Svenska Författare. Ny serie (Schwedische Schriftsteller. Neue Folge). Die Reihe Svenska författare. Ny serie (1989 ff.) kam zustande, um Einzelwerke oder Werke/Gattungen in Auswahl aufnehmen zu können und um eine typografisch ansprechendere Gestaltung als die der alten Reihe anzubieten. Die Werke erschienen gebunden, und die Bände umfassen sowohl Text wie Kommentare. Im Unterschied zur alten Reihe wurde die neue mit Einleitungen (nicht Nachworten) versehen. Das Prinzip, eine Fassung als Klartext (Lesetext) zu bieten gilt für Prosawerke, jedoch nicht für Gedichte (wo Varianten und Worterklärungen in Fußnoten vermerkt werden). Bis zum Jahr 2007 waren in der Reihe 15 Editionen erschienen, einige manuskriptbasiert (z. B. Gustaf Fröding [1860–1911], Dikter från hospitalet [Gedichte aus dem Irrenhaus]),18 die Mehrheit aber auf der Grundlage der ersten publizierten Fassung. Die Ausgabe von Almqvist (1993 ff.) – anderenorts in diesem Band besprochen – gründet so weit wie möglich auf der ersten veröffentlichten Fassung zu Lebzeiten, nutzt aber in gewissen literarisch interessanten Fällen die Möglichkeit, Fassungen nebeneinanderzustellen (z. B. Murnis/De Dödas Sagor [Murnis/überarbeitet als Die Sagen der Toten], Amorina, Det går an [in deutscher Übersetzung als Die Woche mit Sara]). Die Gründe hierfür waren rezeptions____________ 16 17 18
Zu den Herausgabeprinzipien siehe Ståhle Sjönell 1999, S. 13–16; Henrikson 2006, S. 7 f. Zu Malmströms Prinzipien siehe Ståhle Sjönell 1999, S. 16 f. Eines davon: Dolores di Colibrados, im Lyrikband Schilf, Schilf, rausche. Übers. und hrsg. von Klaus-Rüdiger Utschick. München 1999.
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historischer und buchmarkthistorischer Art, und die Ausgabe war die erste in Schweden, die sich von der angelsächsischen Textkritik theoretisch inspirieren ließ, wo der Grundsatz der ‚Ausgabe letzter Hand‘ niemals besonders stark verfochten wurde. Zum eigenen 100-jährigen Jubiläum beschloss die SVS, einen neuen Leitfaden für die Editoren ausarbeiten zu lassen. Die Empfehlungen dieser Richtlinien waren vorsichtiger gehalten als diejenigen Malmströms. Der Ausgabe letzter Hand wurde nicht mehr der Vorrang vor der ersten Fassung zu Lebzeiten oder einer Manuskriptfassung eingeräumt, und die allgemeine Empfehlung lautete, dass die Frage, welche Fassung eines Werkes ediert werden sollte, in jedem einzelnen Fall und mit Rücksicht auf das Ziel der Ausgabe entschieden werden müsse.19 Obwohl die Urheberrechtsansprüche für immer mehr Klassiker erloschen (nicht zuletzt nach 1927), hat SVS in der Praxis nur selten Werke aus dem 20. Jahrhundert für Editionen ausgewählt. Zumeist beträgt der Zeitabstand zum Tod des Schriftstellers mindestens hundert Jahre. Sämtliche Ausgaben in den Reihen der Gesellschaft stammen bisher aus der Zeit vor Beginn der schwedischen Rechtschreibreform 1906, als die sogenannte ‚neue Rechtschreibung‘ eingeführt wurde (z. B. af → av, hvilken → vilken etc.). Dies hat die Ausgaben der SVS von denen für den allgemeinen Markt bestimmten unterschieden; die Editionen mit Originalrechtschreibung werden verständlicherweise als Ausgaben betrachtet, die sich an ein begrenzteres Lesepublikum mit Spezialinteressen wenden. Der Zeitabstand zu den edierten Autoren hat tendenziell eher zugenommen. Als Fredrik Böök begann, die gesammelten Werke von Erik Johan Stagnelius herauszugeben, war der Autor 78 Jahre tot. Nach Johan Ludvig Runebergs Tod waren 56 Jahre verstrichen, als seine gesammelten Werke zu erscheinen begannen, Viktor Rydbergs Tod lag 46 Jahre zurück, als Singoalla erschien, und August Strindbergs erst 35 Jahre, als mit der Edition von Mäster Olof begonnen wurde. Als aber Eva Jonsson Frödings Dikter från hospitalet herausgab, das bis dahin neueste Werk in der Editionstätigkeit der Gesellschaft, waren seit dem Tod des Dichters bereits 94 Jahre verflossen. Früher oder später wird die Gesellschaft natürlich den Sprung über die Rechtschreibreform tun. Vermutlich geschieht dies durch eine bereits in Zusammenhang mit dem 2011 auslaufenden Urheberrecht und mit Einsatz von Digitaltechnik begonnene Ausgabe der gesammelten Werke von Selma Lagerlöf (1854–1940). Diese Ausgabe wird die Möglichkeiten zu Edition und Veröf____________ 19
Henrikson 2007, S. 31–34. (Die Richtlinien wurden in engem Einvernehmen mit einer Beratergruppe innerhalb der Leitung der SVS erarbeitet.)
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fentlichung auf digitaler Grundlage fortsetzen, die mit der Herausgabe von Almqvists gesammelten Werken in den 1990er Jahren eingeleitet wurden.20 Relevant ist dabei, dass der Urheberschutz für eine Reihe moderner schwedischer Klassiker nunmehr abläuft, deren Werke bisher noch nicht in sachgerechten wissenschaftlichen Ausgaben vorliegen. So erloschen beispielsweise 2011 und 2012 die Urheberrechte für Verner von Heidenstam (1859–1940), Agnes von Krusenstjerna (1894–1940), Hjalmar Söderberg (1869–1941) und Karin Boye (1900–1941).
3.
Weitere gelehrte Gesellschaften
Neben der SVS haben mehrere andere Herausgeber aus der Gelehrtenwelt an Textausgaben gearbeitet. In der Regel sind die Bandherausgeber auf den zu edierenden Autor spezialisierte Forscher. Nach ihrer Gründung im Jahr 1919 hat die Bellman-Gesellschaft ab 1921 die Herausgabe von Carl Michael Bellmans gesammelten Werken in der sogenannten Standardausgabe (20 Bde., 1921–2003) betrieben. Sie erschien lange im Verlag Bonnier (zuletzt Teil 11 im Jahr 1974), danach in eigener Regie der Gesellschaft und zuletzt mit Unterstützung der Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien (Königl. Schwedische Akademie für Literatur, Geschichte und Altertümer). Wie es nachgerade zur Gepflogenheit geworden war, richtete sich die Einteilung der Ausgabe zuerst nach der Bedeutung der Werke (Fredmans Epistlar, Fredmans Sånger [Fredmans Episteln, Fredmans Gesänge] etc.) und sodann nach Gattungen (dramatische Dichtung, Gedichte an das Königshaus, an sonstige Einzelpersonen, religiöse Dichtung etc.).21 Methodisch prägt die Ausgabe der Umstand, dass ein großer Teil von Bellmans Nachlass aus Abschriftensammlungen von fremden Händen besteht. Im Unterschied zu den meisten vergleichbaren Editionen ist die Ausgabe nicht chronologisch angeordnet. Die beiden ersten Bände umfassen Bellmans wichtigste literarische Werke, Fredmans Sånger und Fredmans Epistlar, während die Jugendgedichte des Barden erst viel später ediert wurden (Band 13 und 14).22 Die beiden ersten Bände folgten dem Prinzip der Wiedergabe in originaler Orthografie (unter Berichtigung offenbarer Druckfehler), doch wurde die Interpunktion „an erforderlichen Stellen geändert und behutsam ergänzt.“ In der editorischen Einleitung wurde gleichzeitig mitgeteilt, dass die ____________ 20 21 22
Die digitalen Möglichkeiten für die Ausgabe wurden erstmals von Svedjedal 1997 umrissen. Eine Inhaltsübersicht findet sich im Registerband (Bellman, Skrifter. Standardupplaga, Bd. 20, 2003, S. 8–100). Eine Übersicht über die Editionsgeschichte bis 1976 in Byström 1977.
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Editionsprinzipien für den Rest der Ausgabe „im Detail noch nicht“ ausgearbeitet seien.23 Die Ausgabe enthielt auch Faksimiles von Notendrucken der Originalausgaben der Gesänge und Episteln, wenngleich mit gewissen vorsichtigen Berichtigungen.24 Neue Quellenfunde veranlassten eine Neuedition der beiden ersten Bände, Fredmans Epistlar und Fredmans Sånger (Gunnar Hillbom [1934–2004] in Zusammenarbeit mit James Massengale), noch bevor die Standardausgabe abgeschlossen war.25 Diese letzteren Ausgaben sind nicht Teil der Standardausgabe, doch ist dieses Verfahren eines von eher ziemlich seltenen schwedischen Beispielen dafür, dass man die Revision einer gedruckten wissenschaftlichen Ausgabe in Angriff nahm, bevor diese fertiggestellt war. In den 1960er Jahren begann die Tegnér-Gesellschaft mit der Edition von Esaias Tegnérs (1782–1846) Samlade dikter (Gesammelte Dichtungen; 7 Bde., 1964–1996). Wie bereits früher bei Böök & Wrangel (vgl. unten) galt das Prinzip der letzten gedruckten Fassung zu Lebzeiten. Die Bände enthalten keine Einleitung, jedoch einen abschließenden Kommentar mit Worterklärungen, Varianten und diversen Sacherläuterungen. Der Kommentar schwoll allmählich zu einem nahezu phantastischen Umfang an: Im dritten Band umfasst der Textteil ca. 190 Seiten, der Kommentar ca. 470 Seiten. In den späteren Bänden (mit einem anderen Herausgeber) verminderte sich der Umfang allerdings bedeutend. Die moderne Ausgabe („Nationalausgabe“) von August Strindbergs Gesammelten Schriften wurde von einer Forschergruppe aus einschlägigen Spezialisten erarbeitet (vgl. den Beitrag von Jon Viklund); die Ausgabe erscheint bei Norstedt und ist sprachlich modernisiert. Es dauerte lange, bis Svenska Akademien (Schwedische Akademie) eigene Ausgaben von Klassikern initiierte, doch 1995 startete die Reihe Svenska klassiker (Schwedische Klassiker), deren Ziel es ist, bedeutende schwedische Klassiker zu präsentieren. Die Reihe wird in Zusammenarbeit mit dem Verlag Atlantis veröffentlicht, und bisher sind 30 Titel erschienen. Es handelt sich um eine gemischte Autorenauswahl aus früheren Epochen, wie z. B. Johan Henric Kellgren (1751–1795), Thomas Thorild (1759–1808), Erik Gustaf Geijer (1783–1847) und Erik Johan Stagnelius (1793–1823), dazu Ausgaben von Schriftstellern des 20. Jahrhunderts wie Elin Wägner (1882–1949), Eyvind Johnson (1900–1976), Lars Göransson (1919–1994) und Gösta Oswald (1926– ____________ 23 24 25
Bellman, Skrifter. Standardupplaga, Bd. 1, Kommentar, S. III und unpaginierte Einleitung, S. II. Siehe Bellman, Skrifter. Standardupplaga, Bd. 1, Kommentar, S. V. Hillbom 1993.
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1950). Die Ausgaben sind kommentiert und die Texte folgen in der Regel den Erstdrucken, doch wurden ältere Werke orthografisch modernisiert. Die konstituierten Texte wurden in gewissen Fällen aus den Ausgaben von SVS übernommen (Nordenflycht, Kellgren, Geijer).
4.
Sonstige Verlagseditionen
Die oben angesprochene urheberrechtliche Lage war ein Ansporn für die Verlage Bonnier und Norstedt, größere wissenschaftliche Ausgaben auf den Markt zu bringen, bevor 1927 die Urheberrechte erloschen. Bei den meisten handelte es sich um Werkausgaben, doch war die erste erwähnenswerte Unternehmung Bonniers eine anspruchsvolle Anthologien-Reihe zur schwedischen Nationalliteratur, Sveriges Nationallitteratur 1500–1900 (25 Bde., 1907–1912). Die Sammlung war von Oscar Levertin geplant worden, und aktive Herausgeber waren Henrik Schück, Ruben G:son Berg und eine Reihe anderer bedeutender Wissenschaftler. In der Regel mussten sich in einem Band (abgegrenzt nach literarischen Epochen oder Schulen) mehrere Autoren vertragen, und umfangreichere Werke wurden oft lediglich auszugsweise geboten (Abschnitte aus Romanen, eine Teilauswahl von Gedichten etc.). Die Herausgeber scheinen der Orthografie des Originals gefolgt zu sein – im Band zur Literatur der Reformationszeit waren die Texte sogar in Fraktur gesetzt –, doch enthält die Anthologie keine Erläuterungen der Editionsprinzipien, Variantenlisten oder Worterklärungen. Die Auswahl erstreckt sich bis in die 1890er Jahre (Selma Lagerlöf, Verner von Heidenstam), und das Hauptgewicht liegt auf der Zeit nach 1880, die mit insgesamt acht Bänden vertreten ist (Nr. 17 bis 24). Nur drei Schriftstellern wurden eigene Bände gewidmet: Almqvist, Runeberg und Strindberg. Die Reihe fand als Lesepensum in den Kursen zur Literaturgeschichte an den Universitäten des Landes rege Verwendung.26 Viktor Rydberg zählte zu Bonniers meistverkauften Autoren, und der Verlag sorgte für Neudrucke seiner Skrifter (Schriften), redigiert von Karl Warburg (1852–1918) und Ende des 19. Jahrhunderts (14 Bde., 1896–1899) erschienen. Während der ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts wetteiferten mehrere unterschiedliche Auswahlreihen von Rydberg miteinander.27 In den 1910er Jahren gab Bonnier die gesammelten Werke zweier modernerer Schriftsteller heraus: August Strindberg und Gustaf Fröding. In beiden Fäl____________ 26 27
Zu Sveriges Nationallitteratur im literaturgeschichtlichen Unterricht siehe Ahlund/Landgren 2003, S. 58, 70, 84, 233, 235, 366, 446, 519. Die Dissertation von Andreas Hedberg 2012 enthält ein Kapitel zur Rydberg-Edition.
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len waren die Ausgaben Ein-Mann-Unternehmungen bald nach dem Tod des Schriftstellers, und sie erschienen innerhalb kurzer Zeit, nicht zuletzt vermutlich dank der nicht unbedeutenden Mithilfe von Setzern bei der Normalisierung der Orthografie (die Rechtschreibreform war bereits in Kraft). August Strindbergs (1849–1912) Samlade skrifter wurden in sensationell kurzer Zeit von John Landquist (1881–1974) (55 Bde., 1912–1920) besorgt. Die Orthografie war modernisiert und jeder Band enthielt ein Nachwort des Herausgebers. Die Edition von Gustaf Frödings (1860–1911) Samlade skrifter (16 Bde., 1917–1922) unternahm Ruben G:son Berg, der für umfassende Einleitungen, Wort- und Sacherklärungen sowie eine Darstellung der jeweiligen Textlage und die Wahl der Fassung sorgte. Zugleich mit Samlade skrifter gab Bonnier auch eine Reihe mit Werken von Fröding unter dem Titel Posthuma skrifter (Postume Schriften; 3 Bde., 1918) heraus. Diese verdient erwähnt zu werden, da sie eines der wenigen Editionsprojekte dieser Art ist, die vor Gericht gebracht wurden. Bonnier hatte 1917 das Recht zur Herausgabe von Frödings Werk gekauft, doch hatten die Rechteinhaber darauf bestanden, dass die Briefe des Dichters von der Abtretung der Rechte ausgenommen waren. Bonnier gab trotzdem eine Auswahl der Briefe mit der Begründung heraus, dass sich vier Zehntel der Briefe in Bonniers eigenem Archiv befanden und dass der Dichter die Rechte an diesem Briefbestand abgetreten hatte, indem er sie an die Adressaten versandt hatte. Der Fall gelangte zuletzt bis zum Obersten Gerichtshof, dessen Urteil zugunsten der Erben ausfiel. Damit wurde der Rechtsgrundsatz festgeschrieben, dass auch Briefe einen Werkstatus besitzen, der sie urheberrechtlich schützt.28 Eine weitere von Komplikationen begleitete Ausgabe gesammelter Werke war diejenige der Samlade skrifter (7 Bde., 1918–1920) von Victoria Benedictsson (Pseudonym Ernst Ahlgren; 1850–1888). Die Ausgabe wurde von ihrem Freund und literarischen Arbeitspartner Axel Lundegård (1861–1930) veranstaltet. Ihm hatte Benedictsson nicht nur ihren literarischen Nachlass vermacht, sondern auch das Recht, ihn zu bearbeiten, falls er dies wünschte. Die Folge war, dass Lundegård relativ umfassende Bearbeitungen eines Teiles fragmentarischer Novellen vornahm, an denen Benedictsson die Arbeit unzufrieden aufgegeben hatte (diese Bearbeitungen waren bereits in Ausgaben, die vor Samlade skrifter erschienen, erfolgt). Die Änderungen wurden im Variantenapparat zur gesammelten Ausgabe sorgfältig vermerkt – was allerdings Generationen von Forschern nicht daran gehindert hat, diese Angaben außer Acht ____________ 28
Zum Rechtsfall siehe Svedjedal 1993, S. 597 f. Der juristische Vorgang wird in Nytt juridiskt arkiv 1, 48, 1922, S. 579–590, referiert.
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zu lassen und Schlussfolgerungen über die Intentionen Benedictssons von den bearbeiteten Novellen her zu ziehen. Das prinzipielle Interesse an diesem Fall liegt nicht darin begründet, dass Lundegård unerwünschte Eingriffe vorgenommen, sondern ganz im Gegenteil darin, dass Benedictsson die postume Überarbeitung erlaubt hatte.29 Die übrigen großen Ausgaben dieser Zeit galten den führenden schwedischen Schriftstellern des frühen 19. Jahrhunderts, denen die Forschung damals ein außergewöhnlich großes Interesse entgegenbrachte. Stagnelius erschien bei der SVS (vgl. oben), Tegnér und Geijer bei Norstedt, Almqvist bei Bonnier. Die Ausgaben festigten deren Stellung als das führende literarische Quartett ihrer Epoche, und sie wurden damit über Rivalen wie Vilhelm Fredrik Palmblad (1788–1852), P. D. A. Atterbom (1790–1855) und Fredrika Bremer (1801–1865) erhoben – kanonisierte Schriftsteller, denen noch immer keine entsprechenden Ausgaben zuteil geworden sind. Esaias Tegnérs (1782–1846) Samlade skrifter (10 Bde., 1918–1925) wurden von Ewert Wrangel (1863–1940) und Fredrik Böök ediert (Wrangel besorgte die Briefe, Böök das übrige Material). Die Ausgabe wurde nicht der neuen Rechtschreibung angepasst, doch in der Wahl der zu edierenden Fassung mischten die Herausgeber die drei editorischen Hauptprinzipien: Manchmal folgten sie der frühest erhaltenen (handschriftlichen) Fassung, manchmal der zuerst veröffentlichten, manchmal einer späteren, von Tegnér umgearbeiteten Fassung. Das die Fassungswahl jeweils bestimmende Prinzip wird nicht klar dargelegt, doch ging man vermutlich davon aus, die Fassung zu wählen, welche der Editor als die künstlerisch wirkungsvollste erachtete. Die Bände enthalten in jedem einzelnen Fall Erklärungen zur Textlage und zu den wichtigeren Varianten sowie Worterklärungen, Sacherläuterungen und Hinweise auf relevante Forschungsergebnisse. Einleitungen fehlen. Der Aufbau ist ziemlich radikal chronologisch. Jeder Band deckt einen bestimmten Zeitabschnitt ab, und innerhalb dessen ist das Material nach Gattungen geordnet, innerhalb dieser wiederum chronologisch. Für Carl Jonas Love Almqvists (1793–1866) Samlade skrifter (21 Bde., 1921–1938) zeichnet Fredrik Böök als Hauptherausgeber, doch fungierte er damit als Aushängeschild der Ausgabe und edierte keines der Werke. Die meisten Einzelbände wurden von Olle Holmberg (1893–1974) und Algot Werin (1892–1975) herausgegeben, beide Doktoranden Bööks, die zu Beginn der 1920er Jahre mit Arbeiten über Almqvist promovierten. Einige Bände gab der Sprachforscher Josua Mjöberg (1876–1971) heraus. Die Ausgabe war nach der ____________ 29
Die Debatte über die Ausgabe beleuchten Larsson 2008 und Svedjedal 2009.
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neuen Rechtschreibung erstellt und hatte umfassende Einleitungen, Variantenlisten sowie Wort- und Sacherklärungen. Die meisten Bände enthielten Einzelwerke (Amorina etc.), doch gab es auch Sammelbände, geordnet teils nach Almqvists eigenen Reihen (einige ursprüngliche Teile von Törnrosens Bok [Dornröschens Buch] im selben Band etc.), teils nach Gattung oder Typ (Ungdomsskrifter, Folkskrifter [Jugendschriften, Volksschriften] etc.). Es galt das Prinzip der ‚Ausgabe letzter Hand‘, was zur Folge hatte, dass einige Werke in überarbeiteten Fassungen ediert wurden und nicht in Gestalt derjenigen, die dem Publikum zuerst zugänglich gemacht worden waren (z. B. Det går an).30 Geplant war eine Ausgabe in 32 Bänden, doch blieb es aufgrund finanzieller Umstände bei 21 Bänden. Dieser Umstand prägte lange Zeit das AlmqvistBild. Denn es wurden dabei u. a. die liberale Journalistik des Autors, seine politisch-theoretischen Fachwerke und seine Dichtung im amerikanischen Exil gänzlich ausgelassen, und das Werk musste so mit den 1830er Jahren als abgeschlossen erscheinen. Die Editionsprinzipien brachten es auch mit sich, dass in Almqvists Prosa manchmal mehr Eingriffe vorgenommen wurden als nur die Modernisierung der Orthografie: Lehnwörter wurden verschwedischt, Großbuchstaben innerhalb von Sätzen oft in Kleinbuchstaben verwandelt, manchmal normalisierte man die Interpunktion.31 Die von John Landquist besorgte Ausgabe von Erik Gustaf Geijers (1783– 1847) Samlade skrifter (13 Bde., 1923–1931) hatte keine Einleitungen, dagegen abschließende Bemerkungen, die die Textsituation und Varianten beschrieben sowie eine Anzahl Wort- und Sacherklärungen enthielten. Wo es möglich war, ging Landquist auf Geijers eigene zuletzt gedruckte Fassungen zurück, hielt sich aber ansonsten an die Manuskripte des Autors. In speziellen Fällen wurden die Briefe gekürzt, doch arbeitete Landquist nach dem Prinzip, alles „Persönliche“ beizubehalten und nur Triviales wegzulassen (was die Verwendbarkeit der Ausgabe als historische Quelle einschränkt). Die Ausgabe folgte hauptsächlich der neuen Rechtschreibung, doch behielt Landquist die originale Orthografie von Manuskripten und Briefen bei. Als Grund dafür gab er an, beim Edieren zwischen dem künstlerisch lebendigen Werk einerseits, und den Dokumenten andererseits unterscheiden zu wollen.32 ____________ 30
31 32
Das Prinzip wurde allerdings nicht sklavisch befolgt. Amorina erschien in zwei Fassungen (1822, 1839). Jagtslottet (Das Jagdschloss) wurde nach der ersten gedruckten Fassung (erschienen 1833) ediert, dabei aber um einen Abschnitt, „Gudahataren“ („Der Gotteshasser“), ergänzt, den Almqvist in der ersten Ausgabe gestrichen, später aber in eine neue Ausgabe (1839) aufgenommen hatte. Zur Ausgabe siehe Romberg/Svedjedal 1993, S. 16 f. und 20 f. Vgl. den Kommentar von Landquist in Geijer, Samlade skrifter, Bd. 1, S. 459.
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Landquists Grundsatz, den letztgültigen Intentionen Geijers zu folgen, brachte es mit sich, dass er Gedichte ausschloss, mit denen Geijer im Nachhinein nicht zufrieden gewesen war. Manchmal bezog Landquist allerdings auch Stellung gegen Geijer. Ein Beispiel war das Gedicht „Reseda“, ein Gelegenheitsgedicht aus dem Jahr 1816 aus Anlass von Malla Silfverstolpes (1782– 1861) Namenstag. Landquist empfand die ursprüngliche Fassung als die „menschlich und poetisch zwangloseste und echteste“. Das Kompliment, das Geijer bei einer Umarbeitung fast zwanzig Jahre später hinzufügte (und das dem Sinn nach lautete, es sei besser, Freude zu verbreiten, als schön zu sein), empfand Landquist als missglückt und strich es deshalb: „Keine Dame unter der Milchstraße kann ein solches Kompliment zufriedenstellen.“33 Wie aus dem Gesagten hervorgeht, hatten die großen Klassikerausgaben der 1910er und 1920er Jahre Vieles gemeinsam. In textkritischer Hinsicht waren sie verhältnismäßig gut erarbeitet (wenn auch gewöhnlich in modernisierter Rechtschreibung) und ziemlich ausführlich kommentiert. In der Regel wurden sie von einem einzelnen Herausgeber bewerkstelligt (in prominenter oder guter akademischer Position und immer ein Fachmann für den jeweiligen Autor), doch konnten sie auch von einem Kollektiv besorgt werden. Der Aufbau war hauptsächlich chronologisch, jedoch oft mit einer thematischen und gattungsbestimmten Untergliederung (Gedichte wurden einer eigenen Gruppe von Bänden zugeführt, dramatische Dichtung einer anderen etc.). Obwohl die Ausgaben mit Samlade skrifter betitelt wurden, waren sie eigentlich nicht vollständig. Die Herausgeber gaben sich oft mit einer Auswahl aus denjenigen Werken, die die Autoren zu Lebzeiten nicht zum Druck gebracht hatten, zufrieden und schlossen gewisse Werke, die in Beziehung zur Berufstätigkeit eines Autors standen, aus (Buchbesprechungen, Predigten, Lehrbücher etc.). Der Grund war natürlich, dass sich die Ausgaben nicht nur an Fachspezialisten, sondern auch an ein breiteres Publikum richteten. Die unsichtbare Grundregel war, das literarisch Lebendige im Œuvre des Autors hervorzuheben.
5.
Vermarktung
In Schweden wurde der Markt für Billigausgaben in den 1910er Jahre von einem Typ Bücher beherrscht, der am ehesten als Vorläufer der Taschenbücher unserer Tage zu bezeichnen ist: Reihen, gemischt aus neueren Werken und Klassikern, in einheitlichem Format und zu niedrigem Preis („Ein-Kronen____________ 33
Landquist in Geijer, Samlade skrifter, Bd. 2, S. 606. Zu Prinzipien der Auslassung siehe dort S. 588.
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Bücher“, „25-Öre-Bücher“). Der Wirtschaftslage wegen fiel dieser Markt um das Jahr 1920 in sich zusammen. Immer wichtiger wurde stattdessen der Ratenkauf von Büchern, oft in Reihen, die der Kunde im Vorhinein abonnierte und die in verschiedenen Ausführungen zur Auswahl standen: geheftet, Leinen- oder Halblederband. Letztlich war die Methode eine Variante des Umstandes, dass der Ratenkauf zu dieser Zeit – nachdem 1915 ein neues und vorteilhafteres Gesetz in Kraft getreten war – auf dem Markt ganz allgemein durchgeschlagen hatte. Gerade der Handel mit Büchern erwies sich als ein besonders erfolgreiches Beispiel für die Bedeutung dieser Geschäftsmethode. Die Vermarktung der Buchprodukte wurde von besonderen Abteilungen der Verlage besorgt, doch suchten auch ‚Klinkenputzer‘ die Kunden an der Haustür auf (die hartnäckigsten unter ihnen nannte man ‚Lederband-Banditen‘). Der Handel auf Raten umfasste oft Enzyklopädien und größere Auswahlreihen, wie z. B. Världslitteraturen (Die Weltliteratur; Bonnier, 50 Bde., 1925–1929), aber auch Werkausgaben von Schriftstellern der oben beschriebenen Art. Die großen textkritischen Ausgaben der 1920er Jahre wandten sich in hohem Grad an einen Markt, der nach einer Schätzung zur Mitte des Jahrzehnts ca. ein Viertel des Buchverkaufs im ganzen Land ausmachte.34
6.
Jüngere Autoren
Neben wissenschaftlichen Ausgaben veranstalteten alle großen Allgemeinverlage selbstverständlich auch in großem Umfang die Herausgabe von Werkausgaben in Auswahl sowohl von verstorbenen als auch noch lebenden Schriftstellern. Solche Ausgaben waren oft einheitlich gestaltet, doch ohne Kommentare oder Mitwirkung eines Herausgebers. Andererseits konnten die Schriftsteller selbst oft noch Umarbeitungen vornehmen, welche auf klassische Manier die Ausgaben zu ‚Ausgaben letzter Hand‘ machten. Dass es solche Ausgaben gab, erklärt oft, weshalb einem Schriftsteller später keine wissenschaftliche Ausgabe gewidmet wurde. Das eklatanteste Beispiel hiefür ist Selma Lagerlöf, die zu Beginn der 1930er Jahre eine Auswahl ihrer wichtigsten Werke in der Reihe Skrifter (Schriften; 12 Bde., nicht nummeriert, 1933) versammelte.35 Hier setzte Lagerlöf – nach Beratung mit ihren literarischen Helfern – die sprachliche Modernisierung fort, die sie an ihren Werken in voraufgegangenen Neuauflagen bereits hatte durchführen lassen ____________ 34
35
Zum Ratenkauf siehe Svedjedal 1993, S. 499–512 (über den Anteil des Buchverkaufs dort S. 502; über die Beziehung zu den textkritischen Ausgaben S. 504). Zum früheren Markt für Billigauflagen Svedjedal 1993, S. 399–409. Der Inhalt der Reihe listet Afzelius 1975, Nr. 493, auf.
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und nahm gleichzeitig eine literarische Überarbeitung vor. Die Ausgabe brachte es auch mit sich, dass sie eine eigene Auswahl aus ihrem Gesamtwerk traf. Skrifter erschien danach unzählige Male in Neudrucken, sowohl als Reihe als auch in Einzelbänden. Der Text diente als Grundlage für den Neusatz anderer Ausgaben von Lagerlöfs eigener Auswahl aus ihren Werken. Dadurch wurde ihr Bild als Schriftstellerin nachhaltig geprägt.36 Selma Lagerlöf starb 1940, doch wurde ihr erstaunlicherweise keine Gesamtausgabe gewidmet; stattdessen ließ man Teile ihrer Skrifter in unzähligen Ausführungen nachdrucken, ergänzt durch eine Sammlung „nachgelassener Schriften“, Från skilda tider (Aus manchen Zeiten; 2 Bde., 1943–1945). Vielleicht lag der Grund dafür, dass keine Gesammelten Werke herausgegeben wurden, darin, dass man die Skrifter als ihre Ausgabe letzter Hand betrachtete. Eine andere Ursache mag darin gelegen haben, dass kein denkbarer Herausgeber die Sache vorantrieb; eine dritte, dass die Materialsituation ungewöhnlich schwierig war, mit einer sehr großen Anzahl an Manuskripten, früheren gedruckten sowie zu späteren Lebzeiten bearbeiteten Fassungen, von denen fast alle auch Änderungen von anderen Personen als Lagerlöf enthielten, und dies insgesamt im ganzen Spektrum von Sofortkorrekturen bis Spätkorrekturen – beinahe von der ersten Niederschrift bis zum Tod der Autorin. Dagegen besorgte Bonnier Ausgaben von einer Anzahl anderer Autoren schon bald nach deren Tod. Im Folgenden kann nur eine Auswahl genannt werden. Sofort nach dem Tod Verner von Heidenstams (1859–1940) nahm Bonnier Kontakt mit Fredrik Böök auf, um eine Ausgabe der Samlade verk (Gesammelten Werke; 23 Bde., 1943/44) zustande zu bringen. Böök gab diese in Zusammenarbeit mit der Lebensgefährtin Heidenstams, Kate Bang (1892–1976), heraus. Die Editoren entschieden sich für die letzte Fassung zu Lebzeiten (wodurch die Rechtschreibung nicht erst noch modernisiert werden musste), doch wurden nur die wichtigsten Varianten gegenüber früheren Fassungen angegeben. Die Ausgabe wurde ein Glied im bitteren Kampf um Heidenstams literarischen Nachlass in den Kreisen um Övralid, dem pompösen Heim des Dichters, das nach seinem Tod in ein Denkmal und Dichtermuseum verwandelt wurde.37 Gleichzeitig brachte die Tatsache, dass Heidenstam eine solche Ausgabe gewidmet wurde, während Selma Lagerlöf leer ausging, eine starke Vorteilnahme im Kanonisierungsstreit mit sich, in dem es darum ging, wer von den beiden Schriftstellern in der schwedischen literarischen Neuorientierung der 1890er Jahre als führend anzusehen sei. ____________ 36 37
Über Skrifter und spätere Ausgaben siehe Söderlund 2010. Vgl. Gedin 2006, Kap. 17, insbesondere S. 593 f. und 607.
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Auch an Hjalmar Söderberg (1869–1941) vollzog sich ein solcher Kanonisierungsprozess. Als Bonnier seine Samlade verk (10 Bde., 1943–1952) herausbrachte, erging der Editionsauftrag an seinen Sohn, den Historiker Tom Söderberg (1900–1991; mit gewisser Unterstützung von Herbert Friedländer [1913–1981]). Die Ausgabe umfasste die meisten von Söderbergs Büchern – mit Ausnahme seines religionskritischen Jesus Barabbas und Den förvandlade Messias (Der verwandelte Messias) – sowie eine Auswahl seiner Novellen, Gedichte und Rezensionen. Dadurch wurde Söderbergs Christentumskritik gedämpft. Die Grundregel für die Ausgabe war die einer Ausgabe letzter Hand, was zur Folge hatte, dass z. B. Klassiker wie Gertrud und Den allvarsamma leken (Das ernsthafte Spiel) in bearbeiteter Fassung erschienen. Als Johannes Edfelt (1904–1997) den Auftrag erhielt, Agnes von Krusenstjernas (1894–1940) Samlade skrifter (19 Bde., 1944–1946) herauszugeben, markierte dies den Beginn einer Epoche, in der nun eher Akademiker als Literaten (Kritiker und Schriftsteller) die Ausgaben betreuten. Der Dichter und Kritiker Edfelt gehörte zum Freundeskreis der Schriftstellerin und brachte eine anspruchsvolle und faktendichte Ausgabe zustande. Er folgte der letzten Buchfassung zu Lebzeiten, teilweise wahrscheinlich deshalb, weil Krusenstjerna sich hatte überreden lassen, mildernde Änderungen in den ersten Ausgaben einiger ihrer wichtigsten Werke vorzunehmen (insbesondere in der Reihe über die Fräulein von Pahlen). Margit Abenius (1899–1970), die spätere Biografin Karin Boyes (1900– 1941), besorgte deren Samlade skrifter (11 Bde., 1947–1949). Jeder Band der Ausgabe enthielt eine Einleitung, doch war die Darstellung der Textlage nur dürftig, und die Einzelbände enthielten in der Regel weder Kommentare noch Variantenlisten. Johannes Edfelts Ausgabe von Hjalmar Bergmans (1883–1931) Samlade skrifter (30 Bde., 1949–1958) wiederum war ebenfalls relativ anspruchsvoll. Die Rechtschreibung ist modernisiert, und die Interpunktion wie auch Namensformen in einzelnen Werken sind vorsichtig normalisiert. Interessanterweise folgte Edfelt der ersten veröffentlichten Fassung zu Lebzeiten, in erster Linie derjenigen in Buchform, in zweiter Linie derjeningen der Vorveröffentlichung in Periodika. Wichtigere Varianten gegenüber dem Manuskript sind vermerkt.38
____________ 38
Zu Edfelts Editionsprinzipien siehe seine Bemerkungen in Krusenstjerna, Samlade skrifter, Bd. 1, S. 420; zur Normalisierung von Namensformen Samlade skrifter, Bd. 14, S. 372.
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7.
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Drucktechnische Bedingungen
In der Nachkriegszeit nach 1918 wurden gesammelte und kommentierte Werkausgaben seltener. Die Verlage entschieden sich zumeist, die gängigsten Werke der Schriftsteller in diversen Billigreihen nachzudrucken oder Faksimiledrucke in Auswahl herauszugeben. Ein wichtiger Grund hierfür liegt in der Entwicklung der Drucktechnik ab den 1920er Jahren. Als die Offsettechnik aufkam, hatten es die Verlage leichter, ihre Druckvorlagen zu lagern. Anstatt die Texte im stehenden Satz aufzubewahren (in dem die Drucker Änderungen vornehmen konnten), hoben sie die Verlage als Druckplatten auf, die immer wieder verwendet werden konnten. Bonnier bediente sich dieser Technik ab 1925 (seit der Verlag das sogenanne Manul-Patent erworben hatte) zur Vereinfachung von Neudrucken populärer Schriftsteller wie Selma Lagerlöf und Albert Engström.39 Oft kamen die Originalplatten für Sammelausgaben wie auch für spätere Ausgaben eines schriftstellerischen Werkes wiederholt zur Anwendung. Ein Beispiel dafür ist Karin Boyes Roman För lite (Zu wenig), wo das Satzbild des Originals (1936) in Samlade skrifter (Bd. 4, 1948) wiederkehrt und dort um eine separat paginierte Einleitung von Margit Abenius ergänzt ist. Der Satz von Samlade skrifter wiederum wurde später für eine Ausgabe im Buchklub Svalan verwendet (1949). Das Werk wurde also dreimal herausgegeben, der Text jedoch nur einmal gesetzt. Diese technische Möglichkeit dürfte ein Grund dafür sein, dass auch den beim Volk beliebtesten hochrangigen Schriftstellern unserer Zeit keine Sammelausgaben gewidmet wurden, wie es in den früheren Jahrzehnten des Jahrhunderts üblich war. Selma Lagerlöfs Skrifter waren das Pionierunternehmen bei der Kanonisierung durch Faksimilierung, die das literarische Fortleben von Schriftstellern wie beispielsweise Sven Delblanc (1931–1992; bisher ohne wissenschaftliche Ausgabe) geprägt hat. Ausnahmen stellen zwei große Ausgaben von Zentralgestalten der Moderne dar: Hans Sandberg besorgte in kurzer Zeit Stig Dagermans (1923–1954) Samlade skrifter (11 Bde., 1981–1983), eine Ausgabe, die durch Sandbergs langjährige Forschung auf diesem Gebiet praktisch vorbereitet war. Jeder Band enthält einen relativ ausführlichen Kommentar über Hintergrund, Genese und Rezeption des Werkes. Sandberg ist dem Text der Originalauflage gefolgt, wobei wichtigere Unterschiede gegenüber dem Manuskript oder früheren Zei____________ 39
Sundin 1996, S. 100; vgl. Grafisk uppslagsbok, S. 517. (Zu beachten ist, dass Sundin fälschlicherweise „Film“ statt „Druckplatte“ schreibt.)
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tungsversionen vermerkt werden. Die Ausgabe ist gediegen und hat einen ähnlichen Aufbau wie diejenige von Johannes Edfelt zu Hjalmar Bergman (wenn auch ohne Einleitungen). Kontroverser war die große Ausgabe von Gunnar Ekelöfs (1907–1968) Skrifter, die der Literaturhistoriker und Schriftsteller Reidar Ekner (9 Bde., 1991–1993) herausgab. Der Verleger war Bonnier, der damit das Andenken eines Dichters feierte, der während der vorangegangenen Jahrzehnte eine nahezu zum Kult gesteigerte Berühmtheit erlangt hatte. Ekelöf war ein Schriftsteller, der ständig zu seinen Werken zurückkehrte: Er korrigierte und kommentierte sie und griff gern frühere Ideen auf. Ekner (persönlich bekannt mit Ekelöf) wählte deshalb das Prinzip der Ausgabe letzter Hand, auch für einzelne Gedichte innerhalb von Gedichtsammlungen. Das Prinzip wurde extrem befolgt, da nicht nur Änderungen aufgenommen wurden, die Ekelöf im Hinblick auf eine späte Herausgabe zu Lebzeiten gemacht hatte, sondern auch solche, die er als Marginalien oder in Handschriften gekritzelt hatte. Die Struktur der Ausgabe ist die herkömmliche und folgt im Großen und Ganzen den zu Lebzeiten erschienenen Werken, geordnet nach Gattungen. In den ersten drei Bänden hat Ekner diejenigen Gedichtsammlungen erfasst, die Ekelöf zu Lebzeiten herausgab; im dritten Band finden sich ebenfalls fünf „Gedichtsammlungen“, die Ekelöfs Gattin und Ekner gemeinsam aus dem literarischen Nachlass zusammengestellt haben. Der vierte Band enthält weitere nachgelassene Gedichte, der fünfte Ekelöfs Interpretationen ausländischer Poeten, der sechste belletristische Prosa, der siebte Essayistik und der achte verschiedene Fragmente und autobiografische Kommentare, die nach teilweise schwer durchschaubaren thematischen Prinzipien geordnet sind. Ab dem dritten Band geht viel bis dahin unveröffentlichtes Material in die Ausgabe ein. Den Großteil von Ekelöfs Literaturkritik schließt sie jedoch aus. Jeder Band enthält eine Einleitung sowie einen abschließenden Kommentar mit Angaben zur Textlage sowie einige Sacherläuterungen. Ekner betont allerdings, dass die Ausgabe für die Allgemeinheit gedacht und daher für Spezialisten nur begrenzt kommentiert sei.40 Der Kommentar kann als eine Einladung an die interessierte Allgemeinheit betrachtet werden, am Werk Ekelöfs teilzuhaben; zugleich aber auch als eine Polemik gegen die gleichzeitig fortschreitende Edition der Gesammelten Werke August Strindbergs, in der die Ausführlichkeit der Kommentare ein ganz anderes Niveau erreicht. ____________ 40
Ekner in Ekelöf, Skrifter 1, S. 12.
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Die Ekelöf-Ausgabe wurde stark beachtet und war zugleich umstritten. Positiv schlug für viele zu Buche, dass der Einbezug von Ekelöfs späten Änderungen die Gedichte in ein neues Licht rückte; negativ hingegen, dass geliebte und klassisch gewordene Gedichte verändert worden waren, und außerdem, dass die Ausgabe keine angemessene Vorstellung von der Gestalt der Werke bei ihrem ersten Erscheinen vermittelt.41 Die Debatte spiegelt natürlich verschiedene Ansichten über das Werk Ekelöfs, deutet aber möglicherweise auf eine interessante Wendung in der Einstellung der Literaturwissenschaft zur Rolle textkritischer Ausgaben hin. Wie aus der obigen Erörterung verschiedener Editionen hervorgeht, war das Prinzip der Ausgabe letzter Hand in der schwedischen Textedition lange Zeit vorherrschend, und zwar so dominant, dass es als ideologische Vorannahme kaum wahrgenommen und noch weniger in Frage gestellt wurde. Im Hinblick auf Ekelöfs Skrifter scheinen jedoch viele Literaturwissenschaftler eher die Bedeutung des historischen Augenblicks betont zu haben; das Wesentliche für sie waren Ekelöfs Intentionen im Moment der Erstausgabe, nicht seine späteren Gedanken. Die Frage muss offen bleiben, ob dies auf einem allgemeinen Wandel des historistisch-hermeneutischen Deutungshorizonts der Forscher beruhte oder auf einem nachhaltig verbliebenen Respekt für diejenigen Fassungen der Werke Ekelöfs, auf die sie ihre eigenen Auslegungen gegründet hatten; zwei Ansichten, die sich nicht unbedingt antithetisch entgegenstehen oder gar miteinander unvereinbar sind.
8.
Editorik im Wandel
Die Zukunftsperspektiven, die sich für wissenschaftliche Herausgeber heute abzeichnen, unterscheiden sich erheblich vom Ideal der Ausgabe letzter Hand, wie es sich noch aus der normativen Ästhetik des 19. Jahrhunderts erhalten hat. Wo man früher die späte Seinsmanifestation des Werkes privilegiert hat, gibt die (post)moderne Editorik seinem sich manifestierenden Werdegang den Vorrang. Im digitalen Zeitalter haben sich neue mediale Möglichkeiten der Edition ergeben, die prozessorientiert sind und mit Fassungsunterscheidung und digitaler Faksimilierung sowie mit Datenverarbeitungsunterstützung und halbautomatischer Erstellung von Variantenlisten und Kommentaren arbeiten. Manche Herausgeber träumen sogar vom Einsatz digitaler Faksimiles, um der eigentlichen Herausgeberentscheidung entgehen zu können. ____________ 41
Eine ausgezeichnete Darstellung der Debatte findet sich in Talme 1998.
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Damit ändert sich für Ausgaben die Logik des Marktes. Im frühen 20. Jahrhundert konnten sich kritische Editionen teilweise nach Gesetzen des Marktes ausrichten, mit Publikumsverlagen als den Initiatoren. Alles deutet darauf hin, dass sich die Textkritiker ein Jahrhundert später in große datenbasierte Lösungen (ähnlich denen z. B. bei der Litteraturbanken [Literaturbank]) einarbeiten, während gleichzeitig die Verlage vermutlich dazu neigen werden, digitale Technik zu verwenden: teils deshalb, um Nachdrucke bereits existierender Satzbilder weiterhin zu verbilligen, teils vielleicht, um marktorientierte Textversionen aus den von den Forschern aufgebauten Datenbanken zu beziehen. Damit wird eine anders geartete Auffassung von der in der wissenschaftlichen Ausgabe erreichten Selbstidentität des Werkes möglich – eine, gemäß derer die Manifestationen des Werkes eher aus einer digitalen Edition herausgelöst werden, als dass es die Mission der Edition wäre, ein analytisches Substrat früherer Werkmanifestationen zu schaffen. Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract The article discusses scholarly editions in Sweden in the 20th century, and in so doing distinguishes between editions published by scholarly and by commercial publishers. In the former group, the learned society Svenska Vitterhetssamfundet (founded 1907) holds a central position, in the latter the foremost agents have been leading publishers like Bonniers and Norstedts. The article focuses on editorial ideologies, principles of selection and processes of canon formation (including how the different publishers divided the market for scholarly editions between them). The essay pays attention, too, to how status and structure of editions have been determined by changes in book distribution and printing techniques, and most recently as well by new digital modes of publication. Some of the century’s important controversies around scholarly editions in Sweden are also touched upon.
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Pia Forssell
Editionsgeschichte in Finnland – eine mehrsprachige Herausforderung
Die Editionsgeschichte in Finnland ist in höchstem Maße national bedingt, trägt aber auch bedeutende internationale Züge. Wissenschaftliches Edieren in Finnland widmete sich überwiegend geschichtlichen Quellenausgaben. Auf dem literarischen Feld sind eher mittelalterliche romanische oder englische Literatur, klassische Texte oder Texte in Varietäten des Akkadischen als Werke heimischer Schriftsteller erschienen. Es gibt mehrere Erklärungen für die Tatsache, dass die Anstrengungen der Herausgeber historisch gesehen nicht der finnischen Literatur gegolten haben; auch die schwedische Literatur in Finnland ist in keinem besonders hohen Ausmaß historisch-kritisch ediert worden. In beiden Fällen handelt es sich um junge Literaturen, wo vielfach bedeutende Autoren noch immer unter Urheberschutz stehen. Die Verlagsrechte für das Werk des Nationaldichters Runeberg erloschen Ende der 1920er Jahre und für Topelius erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Deren Werke waren in vielen Fällen in kommerziellen Ausgaben erhältlich. Noch während der Zwischenkriegszeit erschienen in den finnlandschwedischen Handelsverlagen die Gesammelten Werke von sowohl lebenden als auch verstorbenen Schriftstellern schwedischer Sprache; später haben weder die Bevölkerungsanzahl (derzeit 290.000 schwedischsprachige Menschen in Finnland) noch die Präferenzen der Buchkäufer diese Bemühungen unterstützt. Was hingegen die finnische Sprache mit einer Publikumsgrundlage von gut fünf Millionen Menschen betrifft, haben sich die Buchhandelsauflagen der Werke finnischer Schriftsteller auch bis in die jüngste Zeit hin starker Nachfrage erfreut. Die Literaturforschungsgesellschaften sind klein, was entsprechend begrenzte Forschungsmilieus zur Folge hat; und von hier aus sind keine nachdrücklichen Forderungen nach wissenschaftlich zufriedenstellenden Ausgaben ergangen. Dazu kommt, dass sich die finnlandschwedische Literaturforschung während fast eines Jahrhunderts nicht der Literatur des 18. Jahrhunderts und schon gar nicht älterer Literatur gewidmet hat. Die Ausgaben einheimischer Schriftsteller während des 19. Jahrhunderts und danach dürften als Ausdruck nationalen Ehrgeizes und eines Gedächtniskultes zu verstehen sein, und einleitend werden einige solche Ausgaben beispielhaft untersucht. Wissenschaftliche Paradigmenwechsel veranlassten Quel-
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lenausgaben innerhalb der Geschichtsforschung; innerhalb der Sprachwissenschaft bemühte man sich um Editionen mittelalterlicher Werke in den großen Kultursprachen. Nach einer kurzen Darstellung unterschiedlicher Ausgabentypen wendet sich dieser Beitrag hauptsächlich schwedischsprachigen Ausgaben in Finnland zu.
1.
Editionen als nationaler Ehrgeiz und Gedächtniskult
Henrik Gabriel Porthan (1739–1804) war ab 1777 Professor für lateinische Rhetorik (Eloquentiæ et Poëseos Professor) an der Akademie in Åbo (finnisch Turku).1 Er war ein Vertreter des Neohumanismus und kann als Polyhistor charakterisiert werden. Als Porthan ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod zum Vater der finnischen Geschichtsschreibung und überhaupt zur nationalen Zentralgestalt erhoben wurde, entspann sich in der Presse eine lebhafte Debatte, ob die beste Art, ihn unsterblich zu machen, eine Statue oder eine Ausgabe seiner Schriften sei. Die Ausgabe sollte Porthans lateinische Werke zur Geschichte Finnlands und der finnischen Volksdichtung umfassen, und Stimmen wurden laut, dass diese auch ins Finnische und Schwedische übersetzt werden sollten.2 Zacharias Topelius (1818–1898) betonte, dass „das Gedächtnis eines Autors bei weitem beständiger […] durch seine gedruckten Arbeiten als in steinernen Denkmälern [bewahrt] werde“, womit er den selbstbewussten Vers des Horaz, „Exegi monumentum aere perennius“, travestierte.3 Die debattierten Fragen – Konkurrenz zwischen Buch und Stein, zwischen Schwedisch und Finnisch – liefern zumindest teilweise eine historische Erklärung dafür, dass sich qualifiziertes textkritisches Edieren in Finnland in Bezug auf die Literatur der beiden Nationalsprachen immer noch im Hintertreffen befindet. Bis zum Jahr 1808 war Finnland ein Teil Schwedens und in der Zeit 1809– 1917 ein russisches Großfürstentum. Noch in den 1880er Jahren war Schwedisch die vorherrschende Verwaltungs- und Kultursprache. 1863 kam der sogenannte Spracherlass hinzu, der vorschrieb, dass das Finnische nach einer ____________ 1
2 3
Im Jahr 1640, während der Zeit des Regentschaftsrates für die minderjährige schwedische Königin Kristina, wurde die Königliche Akademie in Åbo gegründet. Als Finnland 1808 von Russland erobert worden war, änderte die Akademie ihren Namen zu Kaiserliche AlexanderUniversität und nachdem Finnland 1917 selbstständig geworden war, zu Helsingfors Universitet – Helsingin yliopisto. (Die Übersiedlung nach Helsinki erfolgte 1828, nachdem ein Stadtbrand im Jahr zuvor Åbo verwüstet hatte.) Die heutige Åbo Akademi ist eine ursprünglich private schwedischsprachige Hochschule. [Topelius] 1854. [Topelius] 1854; Horatius, Carm. III 30, 1.
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Übergangszeit von zwanzig Jahren dem Schwedischen als Verwaltungssprache gleichzustellen sei. Die finnische Emanzipation vollzog sich bewundernswert rasch und effektiv, und zwar in solchem Ausmaß, dass sie von schwedischer Seite in Finnland als aggressiv und bedrohlich für die schwedische Kultur im Land betrachtet wurde. Ab den 1870er Jahren schuf man parallele Systeme auf sprachlicher Basis: Schulen, das Pressewesen (finnischsprachige Zeitungen hatte es allerdings schon seit den 1820er Jahren gegeben) und andere Literatur, Verlage sowie wissenschaftliche Gesellschaften mit Schriftenreihen. Schon früher existierte die 1831 gegründete Suomalaisen Kirjallisuuden Seura (Finnische Literaturgesellschaft) und ab 1838 die Societas Scientiarum Fennica (Finnische Wissenschafts-Sozietät). Nun gesellten sich noch Suomen Historiallinen Seura (Finnische Historische Gesellschaft, 1875) und Svenska litteratursällskapet i Finland (Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland, 1885) hinzu. Die finnische Editionstradition muss vor dem Hintergrund der Zweisprachigkeit des Landes und der Umstände gesehen werden, die eine solche Situation an Präferenzen und Auswahl von Autoren mit sich bringt.4 Obwohl sich die Gesellschaft in Finnland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch entwickelte, waren sowohl wirtschaftliche als auch personelle Ressourcen verhältnismäßig gering und aufgesplittert. Die gesamte gelehrte Nationalliteratur war bis in die 1860er Jahre auf Latein oder Schwedisch (in dieser Reihenfolge) erschienen und somit nur einem begrenzten Publikum zugänglich. Eine qualitativ hochstehende Belletristik auf Finnisch gab es noch lange nicht. Kleinere Sammlungen finnischer Volksdichtung waren bereits von Porthan veröffentlicht worden und in den Jahren 1835/36 erschien Elias Lönnrots (1802–1884) erste Version des finnischen Nationalepos Kalevala. Die Herstellung einer finnischen Nationalliteratur erschien wahrscheinlich dringlicher, als die vorhandenen Kräfte für eine hochspezialisierte Textkritik einzusetzen. Es galt auch, Literatur anderer Sprachen, nicht zuletzt die Werke der nationalen Literatur auf Schwedisch und Latein, nun auf Finnisch zugänglich zu machen. Die Ausgaben sind Repräsentationen des Gedächtniskults, aber auch eines verstärkten Nationalgefühls. Die frühen Ausgaben in Finnland waren keine ‚Gesammelten Schriften‘ in der eigentlichen Bedeutung von Gesamtausgaben. Die erste Ausgabe kam zur Ehre des frühzeitig verstorbenen Professors der Physik, Johan Jakob Nervander (1805–1848), zustande. Er war auch Dichter, und in den Skrifter (Schriften), die nach seinem Tod in zwei Bänden erschienen, finden sich weniger seine wissenschaftlichen Arbeiten als vor allem seine ____________ 4
Eine sehr knappe Präsentation der Editionsgeschichte Finnlands gibt Rainer Knapas im Vorwort zu Varianter och bibliografisk beskrivning 2003.
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belletristischen Werke sowie einige Vorträge, Gedenkreden und Reisebriefe. Die Titelseite erläutert, dass die Schriften Nervanders „zum Gedächtnis für Landsleute herausgegeben“ seien. Johan Vilhelm Snellman (1806–1881) hatte die Initiative zur Ausgabe ergriffen und verfasste auch die Einleitung. Er unterstreicht, dass es die Absicht der Einleitung sei, „ein Bild der Persönlichkeit und des Strebens des Autors“ zu schaffen. „Ein solches [Bild] ist allgemeiner Gewinn; denn durch das Suchen und Ehren des Edlen und Erhabenen bei ihren ausgezeichneten Männern veredelt und erhöht eine Nation ihr eigenes Dasein“.5 Das ehrgeizigste literarische Werk Nervanders ist ein Gedichtzyklus mit althebräischem Motiv, Jephtas Bok. En Minnes-Sång i Israel (Das Buch Jephtas. Ein Gedächtnislied in Israel), das 1832 von der Svenska Akademien (Schwedische Akademie) preisgekrönt wurde und das der Autor anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Universität 1840 drucken ließ. Torsten Steinby gab 1993 Jephtas Bok heraus, ergänzt um das Vorwort Nervanders und eine Beschreibung der Gedichtstruktur. Diese Dokumente befinden sich im Archiv der Schwedischen Akademie und waren der Forschung bisher nicht bekannt. 1.1.
Nationale Zentralgestalten I: Snellman und Cygnæus
Die Ausgaben in Finnland dürfen in erster Linie als Ausdruck nationaler und kultureller Bestrebungen verstanden werden. Die ‚Gesammelten Werke‘ der nationalen Hauptfiguren Fredrik Cygnæus (1807–1881) und J. V. Snellman wurden von Emil Nervander (1840–1914) schon früh herausgegeben. Fredrik Cygnæus besetzte als erster Professor den 1852 eingerichteten Lehrstuhl für Ästhetik und neuere Literatur. Für seine zeitgenössischen Landsleute war er ein Rhetoriker, doch betrachtete er sich selbst vor allem als Dichter. In seinen Schriften drückt sich Cygnæus oft weitschweifig und dunkel aus, und für die Nachwelt sind seine Gedichte und Dramen zugunsten seiner Literaturkritik in den Hintergrund getreten. Der Publizist Snellman machte sich früh als Teilnehmer an Gesellschaftsdebatten und Vorkämpfer für die Fennomanie einen Namen. Sein bekanntestes literarisches Werk ist eine in polemischer Absicht geschriebene Fortsetzung von C. J. L. Almqvists Roman Det går an (in deutscher Übersetzung als Die Woche mit Sara). Der Herausgeber Nervander war sparsam mit Erklärungen zu den Editionsprinzipien oder zum Hintergrund der Ausgaben. Angaben über die Erstdrucke werden gemacht, doch hat keine der Editionen einen textkritischen Apparat, und die Kommentare sind knapp gehalten. Erst elf Jahre nach Beginn der ____________ 5
Skrifter af Johan Jakob Nervander 1850, Titelblatt und S. II; vgl. Snellman, Samlade arbeten, Bd. VII, 1996, S. 1.
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Cygnæus-Edition (10 Teile, 1881–1889) berichtet Nervander in einer die Ausgabe ergänzenden Lebensbeschreibung, dass Cygnæus ihn persönlich gebeten hatte, die Editionsarbeit zu verrichten und dass Gustaf Wilhelm Edlund (1829– 1907) Cygnæus versprochen hatte, die Ausgabe zu verlegen. Der Verlag Edlunds war damals der führende schwedische Verlag in Finnland. Die Samlade arbeten (Gesammelte Arbeiten, 10 Teile, 1892–1898) von Snellman erschienen im Verlag Otava. Auch diese Ausgabe wurde um eine sogar zweibändigen Biografie ergänzt, verfasst vom Professor für Philosophie, Thiodolf Rein (1838– 1919), ebenfalls Mitglied des Herausgeberkomitees. Beide Ausgaben stützten das Nationalprojekt, und beide sind lange in Gebrauch gewesen. Der Snellman-Ausgabe folgte ein Jahrhundert später eine zweite; die Cygnæus-Ausgabe hat bisher noch keinen Nachfolger. Die Ausgaben in Finnland entsprangen nicht einer größeren Nachfrage, sondern setzten oft eine Form von öffentlicher Bezuschussung voraus. Emil Nervander wies in Verbindung mit dem Erscheinen der beiden Editionen auf die finanziellen Opfer der Verlage hin. Daraus geht auch hervor, dass die Ausgaben offizielle Zuschüsse erhielten, u. a. von der Universität.6 1.1.1. Die neue Snellman-Edition der 1990er Jahre Als Finnland 1981 das 100. Gedenkjahr von Snellmans Tod beging, entstand der Gedanke einer Neuausgabe seiner Werke. Die Regierung ernannte 1982 ein Editionskomitee, und die Ausgabe wurde hauptsächlich mit staatlichen Mitteln finanziert. Der Umfang der Arbeit überraschte die Hauptbeteiligten. Der erste Teil erschien trotzdem 1992 und die abschließenden Teile (XI und XII) im Jahr 1998. Als Verleger zeichnete die Regierungskanzlei verantwortlich. Cygnæus’ Gesammelte Schriften waren in den 1880er Jahren in Oktavformat erschienen; die Snellman-Ausgabe von 1890 in Großoktav. Die Snellman-Ausgabe der 1990er Jahre entspricht annäherungsweise einem Quartformat. Das Format mit eng bedruckten Seiten entspringt natürlich der Absicht, Snellmans umfassende Produktion in zwölf großen Bänden unterzubringen. Doch ist nicht zu leugnen, dass dies auch die Bedeutung spiegelt, die die finnische Nation dem ‚Nationalphilosophen‘ Snellman beimisst. Das Ziel Anfang der 1980er Jahre war, „eine vollständige, wissenschaftlich verantwortete Ausgabe“ seiner gesamten Arbeiten herauszubringen mit einer gleichzeitigen Übersetzung ins Finnische – auch der Kommentare.7 Snellman schrieb nämlich auf Schwedisch, zu einem gewissen Teil auch auf Deutsch und in nur ____________ 6 7
Siehe Nervander 1892, S. I ff. und Snellman, Samlade arbeten, Bd. X, 1898, S. 633 f. Snellman, Samlade arbeten, Bd. I, 1992, S. XV.
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geringem Grad auf Finnisch. Die Übersetzung ins Finnische ist seit dem Jahr 2000 im Gang. Nervanders Ausgaben sind nach Gattungen und innerhalb dieser chronologisch gruppiert. Die Snellman-Edition der 1990er Jahre ist streng chronologisch aufgebaut. In jedem Band finden sich zuerst die gedruckten Werke, danach Snellmans unveröffentlichte Werke einschließlich der Briefe. Kommentare und Personenregister schließen jeden Band ab. Ein entschiedener Vorteil der Ausgabe ist die Aufnahme von Snellmans ein- wie ausgehender Korrespondenz. Die Textkonstitution bleibt völlig anonym, die Kommentare jedoch sind signiert. Als Kommentatoren wirkte eine größere Anzahl Forscher mit, sowohl etablierte als auch junge Kräfte. Das Inhaltsniveau der Kommentare variiert. Die Textkonstitution gibt den Erstdruck nahezu diplomatisch wieder. Verdrehte oder defekte Typen wurden korrigiert, doch wurden „Fehler in den Originaltexten, fehlerhafte Orthografie oder Sachfehler nicht korrigiert, sondern werden gemäß dem Original reproduziert“.8 Hinsichtlich der Manuskripte ist dieses Vorgehen nicht zu beanstanden, doch hätten im Fall von gedruckten Werken eindeutige Druckfehler korrigiert werden können. Satzzeichen u. a. m., die im Originaldruck offensichtlich entfallen waren, wären ebenfalls zu ergänzen gewesen. Emil Nervander nahm Eingriffe dieser Art vor. Er gestattete sich andererseits auch eine gewisse Modernisierung der Interpunktion und der Orthografie von Fremdwörtern.9 1.2.
Nationale Zentralgestalten II: Runeberg
Runeberg war der erste Schriftsteller in Finnland, der zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner Samlade arbeten (1861) noch lebte und wirkte. Im Gegensatz zu den bereits genannten Editionen entstanden Runebergs Gesammelte Werke auf Initiative des Verlegers. Die Auflage dürfte, zumindest bei den frühen Bänden, bei 3.000 Exemplaren gelegen haben, eine für finnische Verhältnisse hohe Zahl.10 Ein Verkaufserfolg wurde die Ausgabe allerdings nicht. Die Edition (6 Bde., 1861–1871) wurde im 20. Jahrhundert als Runebergs Ausgabe letzter Hand betrachtet, doch hat die spätere Forschung gezeigt, dass der Ver____________ 8 9
10
„Redaktionella principer och teckenförklaring“, in: Snellman, Samlade arbeten, Bd. I, S. XVIII. Die Beurteilung stützt sich auf einen Vergleich zwischen drei Drucken der Einleitung zum Kurzroman Kärlek och kärlek, Originalausgabe, Stockholm 1842, sowie diejenigen Drucke, die im zweiten Teil von Nervanders Ausgabe enthalten sind bzw. Samlade arbeten, Bd. III von 1993. Snellman plante eine Trilogie unter dem gemeinsamen Titel Fyra giftermål, doch erschien nur Kärlek och kärlek; den zweiten Teil ließ er einstampfen. Forssell 2009, S. 74 und dort angeführte Literatur.
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leger Th. Sederholm (1832–1881) den bei der Universitätsbibliothek angestellten B. O. Schauman (1821–1895) gebeten hatte, sie zu redigieren, und zwar ausdrücklich deshalb, weil Runeberg selbst sich mit dieser Arbeit nicht befassen wollte.11 Originalgedichte, Artikel und Übersetzungen, die nur als Zeitungsdrucke vorlagen, wurden von Schauman sorgfältig erfasst. Wie viele andere Herausgeber seiner Zeit sah er von der Stellung der Gedichte in den Originalsammlungen ab und ordnete die Ausgabe nach Gattungen. Die Orthografie wurde leicht modernisiert und die Interpunktion normalisiert. (Änderungen in den Ausgaben und die Korrespondenz der Herausgeber zeigen, dass Runebergs inkonsequente und eigensinnige Interpunktion, vor allem die Kommasetzung, den Editoren beinahe anderthalb Jahrhunderte lang Probleme bereitet hat.) Schaumans Ausgabe wurde nicht nachgedruckt, doch wurde 1870 seine Anordnung der Gedichte von Carl Rupert Nyblom (1832–1907) übernommen, wodurch sie große Verbreitung fand. Die Ausgabe Nybloms im Verlag Beijer in Stockholm erschien nämlich in vier Auflagen und einer unbekannten Anzahl von Nachdrucken. Runebergs gesammelte Schriften kamen in Schweden und Finnland in der Zeit 1851–1960 in zwölf Handelsauflagen mit zumindest rund zwanzig Drucken heraus. Trotzdem war die Herausgabe von Runebergs Werken zu Lebzeiten des Dichters ein schlechtes Geschäft für seinen Verleger in Finnland. Runeberg verlangte nämlich Honorare, die das Zahlungsvermögen des Verlegers überstiegen, und sein Ansehen war so hoch, dass er sie auch erhielt. Im Verhältnis zur Publikumsnachfrage ließen die Verleger überdimensionierte Auflagen drucken in der Hoffnung, ihren Einsatz wettmachen zu können. Die Folge war, dass Auflagen von Runebergs Werk nicht vergriffen, sondern jahrzehntelang bis ins 20. Jahrhundert auf Lager gehalten wurden.12 Nachdem G. W. Edlund Ende der 1860er Jahre die Verlagsrechte gekauft hatte, löste er das Problem, indem er von den Ausgaben, die Runebergs schwedischer Verleger Beijer herausgab, Teilauflagen der gesammelten Schriften des Dichters übernahm.13 Allmählich wurde es für Edlund trotzdem eine Frage beruflichen und nationalen Ehrgeizes, das Werk Runebergs in einer eigenen Ausgabe herauszubringen. In den 1890er Jahren nahm er Kontakt mit Carl Gustaf Estlander (1834– 1910) auf, dem führenden Runeberg-Forscher, und bat ihn, als Redakteur, d. h. Herausgeber, zu fungieren. Edlund machte ihm klar, dass es „eine Pflicht gegenüber dem verstorbenen großen R. sei, dass seine Arbeiten in seinem Vater____________ 11 12 13
Forssell 2009, S. 74 f. Forssell 2009, Kap. „Runeberg, förläggarna och bokhandelsupplagorna“. Forssell 2009, S. 121.
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land in einer dem Inhalt nach würdigen Ausgabe erscheinen“.14 Edlunds Ausgabe von Runebergs Samlade arbeten erschien in den Jahren 1899–1902 in acht Bänden und ist in der Forschungsliteratur unter der Bezeichnung ‚Normalausgabe‘ bekannt. Es wurde tatsächlich eine würdige Ausgabe: Papier, Druck und Typografie sind hervorragend. Die Normalausgabe enthält keine detaillierten textkritischen oder literaturgeschichtlichen Kommentare. Die Editionsprinzipien werden erklärt, und Estlanders umfassende Studie Runebergs skaldskap (Runebergs Dichterschaft), die die Edition abschließt und auch separat erschien, war als Ersatz für einen systematischen Kommentar gedacht. Estlanders Bestreben war es, die Ausgabe chronologisch zu gliedern und die Reihenfolge der Gedichte in den Originalsammlungen beizubehalten. Außerdem beanspruchte er für sich, den Text von späteren Modernisierungen und anderen Eingriffen reinigen zu wollen. Die erhaltenen Vorarbeiten zur Ausgabe zeigen, dass Runebergs vor allem in den 1830er Jahren französisch beeinflusste Orthografie genau vermerkt wurde, doch ist die Rechtschreibung in der Normalausgabe trotzdem verschwedischt und die Interpunktion normalisiert worden. Die Verfasserin des vorliegenden Beitrags hat die editorischen Eingriffe in Runebergs Almqvist-Rezension von Törnrosens Bok (Dornröschens Buch) von 1835 untersucht, die in der textkritischen Ausgabe zehn Seiten umfassen. Trotz der ausgesprochenen Absicht, spätere Modernisierungen zu vermeiden, wurde die Interpunktion in der Normalausgabe an 31 Stellen geändert, die Orthografie an 25 und Wortformen an 26 Stellen. Die Änderungen kamen zustande im Einklang mit Estlanders Bestreben, „die Texte wieder in den Zustand zu versetzen, in dem der Dichter sie hätte haben wollen“.15 Estlanders pietätvolle Einstellung führte auch dazu, dass er, abgesehen von einigen Ausnahmen, diejenigen Auflagen der Gesammelten Werke Runebergs, die zu Lebzeiten des Schriftstellers erschienen, die dieser aber nicht nachdrucken ließ, nicht mit einbezog. Dieses Verfahren wurde von Anfang an kritisiert, doch wurde die Normalausgabe trotzdem zu Forschungszwecken herangezogen, bis sie schließlich von der historisch-kritischen Edition von Svenska Vitterhetssamfundet (dem Schwedischen Literaturverein in Stockholm) und Svenska litteratursällskapet (der Schwedischen Literaturgesellschaft in Finnland) ersetzt wurde. Schaumans Ausgabe wurde (laut Vorwort) „als Grundlage für den Druck“ auch einer orthografisch modernisierten ‚Populärausgabe‘ verwendet. Sie erschien 1921 in Finnland und Schweden, herausgegeben von Ruth Hedvall (1886–1944). Hedvall verweist ausdrücklich darauf, dass die Ausgabe der Jah____________ 14 15
Edlund/Estlander 13. 7. 1898; siehe Forssell 2009, S. 122. Estlander 1902, S. 138 und 137.
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re 1861–1871 als die „eigene endgültige Redaktion“ des Dichters zu betrachten sei. Obwohl Hedvall (die 1915 mit einer Abhandlung Runebergs poetiska stil [Der poetische Stil Runebergs] promoviert hatte) behauptet, ihre Edition auf die Ausgabe letzter Hand des Dichters zu gründen, erklärt sie in ihren kurzgefassten Textkritiska meddelanden (Textkritische Mitteilungen), dass ihre Ausgabe „einige geringfügige Abweichungen von der Normalausgabe“ aufweise und dass sie die Interpunktion in „gewissem Grad“ normalisiert habe.16 In ihrer Textkonstituierung von Runebergs Rezension von Törnrosens bok ist sie in fünfzehn Fällen den Wortformen nach Schauman gefolgt und hat in acht Fällen seine Orthografie und Interpunktion übernommen; 21 Wortformen sind identisch mit der Normalausgabe. Im Vergleich zu den Editionen von Nyblom, den sie nicht erwähnt, verwendet Hedvall in acht Fällen die gleiche Wortform, vier Stellen enthalten dieselbe Orthografie und ganze 30 Stellen weisen dieselbe Interpunktion auf. Es ist festzustellen, dass Hedvall den Text de facto nach dem Copy-text-Prinzip konstituiert hat, auch wenn sie sowohl ‚accidentals‘ als auch ‚substantives‘ aus verschiedenen früheren Drucken frei kombiniert hat. Die hier genannten, mehr oder weniger umfassenden Ausgaben von Schriftstellern des 19. Jahrhunderts waren teils als eine Ehrenbezeugung für die Autoren zu betrachten, teils knüpften alle an das Nationalprojekt an. Es war wichtig, nationale Repräsentanten von Kunst und Wissenschaft vorweisen zu können. Die Autoren waren wissenschaftlich, künstlerisch oder gesellschaftlich bedeutende Männer im Finnland des 19. Jahrhunderts, und ihre Werke waren Teil einer Nationalkultur, die in dieser Epoche geweckt, gefördert und konsolidiert wurde. B. O. Schauman und Emil Nervander allerdings sind in ihren Rollen als Herausgeber bisher nicht beachtet worden. Schauman hatte keinen Studienabschluss vorzuweisen; er bekleidete einen untergeordneten Posten an der Universitätsbibliothek und wurde schließlich Intendant der Finska Konstföreningen (Finnischer Kunstverein). Nervander, der seine Studien abgeschlossen hatte, leistete einen bedeutenden Einsatz als Kunsthistoriker und war ein fleißiger Schriftsteller im kulturhistorischen Bereich. Keiner von beiden machte eine Universitätskarriere. Es ist verlockend, die in Finnland vernachlässigte wissenschaftliche Herausgabe von schwedischer und finnischer Literatur als eine zumindest indirekte Folge davon zu betrachten, dass es den Herausgebern der frühen Editionen sowohl an Einfluss als auch Schülern mangelte – im Gegensatz zu den Universitätslehrern, die die wissenschaftliche Edition als eine Qualifikation im Rahmen philologischer Forschung einführten. ____________ 16
Hedvall, unpaginiertes Vorwort bzw. „Textkritiska meddelanden“, J. L. Runeberg, Samlade arbeten 1921, Bd. I bzw. VI.
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Edieren als wissenschaftliches Verdienst
C. G. Estlander und Werner Söderhjelm (1854–1931) führten die neusprachige Philologie und die wissenschaftliche Herausgabe literarischer Werke in Finnland ein. Beide waren angesehene Runeberg-Forscher und wirkten aktiv an Editionen seines Werkes mit. Estlander übernahm 1868 die Professur von Cygnæus.17 An der Kaiserlichen Alexander-Universität unterrichteten zu dieser Zeit nur Lektoren die modernen Kultursprachen. Estlander war sich wohl bewusst, welches Missverhältnis dies in einer Situation darstellte, in der der Sprachunterricht an den Gymnasien erneuert wurde und der Zustrom zu diesen und zur Universität kräftig anstieg. Als Werner Söderhjelm 1884 nach Studien bei Michael Bernays in München promoviert worden war, forderte Estlander ihn auf, in erster Linie auf romanische Philologie zu setzen, und stellte ihm ein Extraordinariat in Aussicht.18 Söderhjelm verbrachte daraufhin mehrere Studienaufenthalte beim berühmten Gaston Paris (1839–1903). Trotz wiederholter Versuche bereits in den 1870er Jahren konnte eine Professur für germanische und romanische Philologie erst 1894 eingerichtet werden, auf die Söderhjelm berufen wurde.19 Zu seinen Studenten zählte u. a. der später sehr namhafte Romanist Arthur Långfors (1881–1959), der 1907 mit einer Ausgabe von Huon le Roi de Cambrais Li Regres Nostre Dame promovierte. Långfors war auch in der Folgezeit ein fleißiger Herausgeber von Werken des französischen Mittelalters.20 Söderhjelms eigene philologische Forschung bewegte sich hauptsächlich im Grenzgebiet von Philologie und Literaturgeschichte.21 Die Tradition, mit einer Edition zu promovieren oder eine solche zu einem anderen Zeitpunkt zu veröffentlichen, hat in der finnischen Romanistik, Germanistik und auch Anglistik weiterbestanden, wo die Ausgaben sprachhistorisch gesehen in erster Linie das Mittelenglische betreffen. Derzeit geschieht textkritisches Edieren auch digital und im Rahmen der Korpuslinguistik. Auch ____________ 17
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Zu Estlanders ausländischen Studien in Kunst und Philologie sowie seinen Veröffentlichungen, siehe Schybergson 1916, S. 85–151. Estlander wird als der eigentliche Initiator der Romanistik in Finnland betrachtet, doch konnte er selbst sich ihr nicht widmen (Karlsson/Enqvist 2002, S. 258). Zu den Kontakten mit Bernays siehe Werner Söderhjelm 1928, S. 51–77. Über das Extraordinariat berichtete Söderhjelm 1887 in einem Brief an seine Verlobte; zitiert in der SöderhjelmBiografie des Sohnes Henning Söderhjelm 1960, S. 62 f. Karlsson/Enqvist 2002, S. 258. Die Professur wurde 1908 nach Sprachbereichen aufgeteilt; Söderhjelm übernahm die romanische Philologie. In den 1910er Jahren trat er eine neu eingerichtete Professur für „einheimische und allgemeine Literaturgeschichte“ an. Zur Bedeutung von Långfors für die Romanistik sowohl in Finnland als auch international siehe Aalto 1987, S. 68–79. Castrén 1958, S. 18.
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im Bereich z. B. altorientalischer Sprachen herrscht eine stark textkritische Richtung vor. Simo Parpola, Assyrologe an der Universität Helsinki, leitet die Edition der Reihe State Archives of Assyria Cuneiform Texts, innerhalb deren auch seine Studienausgabe von 1997 des standardbabylonischen GilgameschEpos erschienen ist.
3.
Edition von Quellenschriften
Im 19. Jahrhundert gab es in Finnland Versuche, sowohl eine Nationalgeschichte als auch eine nationale Geschichtsforschung zu etablieren. Daraus ergab sich der Bedarf an Quellenschriften und deren Editionen. Abgesehen von kleineren Ansätzen wurde die Herausgabe historischer Quellenschriften in den 1840er Jahren eingeleitet, u. a. durch den ausgebürgerten Adolf Ivar Arwidsson (1791–1858). In der Editionsgeschichte Schwedens und Finnlands nimmt er eine Sonderstellung ein. Arwidsson plante die Sammlung und Herausgabe finnischer Volksdichtung. Als er aber 1822 von seiner Dozentur in Åbo abgesetzt wurde und daraufhin nach Schweden umsiedelte, gab er stattdessen das dreibändige Werk Svenska fornsånger (Schwedische Lieder der Vorzeit, 1834– 1842) heraus. Die Ausgabe ist als die erste wissenschaftliche Edition von Volksweisen im Norden bezeichnet worden. Arwidsson stieg in Stockholm bis zum Leiter der Königlichen Bibliothek auf. Als Herausgeber und Publizist war er auffallend vielseitig; Ausgaben machen nur einen Teil seiner umfassenden Tätigkeit aus. Die Quellenausgabe Handlingar till upplysning af Finlands häfder (Urkunden zur Beleuchtung der Geschichte Finnlands) erschien in zehn Teilen, von 1846 bis zum Todesjahr Arwidssons 1858. Parallel zu Arwidssons Ausgabe kam Edvard Grönblads Handlingar rörande Klubbekriget (Urkunden bezüglich des Keulenkrieges, 1843–1856) heraus. Der sogenannte KlubbeKrieg (schwed. klubba = Keule) war ein Bauernaufstand der 1590er Jahre, der im politischen Machtkampf zwischen Herzog Karl, später Karl IX. und dem damaligen schwedischen König Sigismund und seinen Getreuen instrumentalisiert wurde. Dieser Krieg spielte eine große Rolle in der finnischen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts: 1. als Symbol des finnischen Volkes als einem historischen Subjekt, 2. im Rahmen der Geschichtsschreibung und 3. als Motiv in Literatur und Kunst. Forscher und Schriftsteller benutzten die UrkundenEdition Grönblads als Quelle. Arwidssons und Grönblads Ausgaben basierten auf Material in schwedischen Archiven. Nach den Anfängen in den 1840er und 1850er Jahren steigerte sich die Herausgabe von Quellen noch einmal ab den 1880er Jahren. 1875 wurde Suomen
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Historiallinen Seura – Finska Historiska Samfundet (Finnische Historische Gesellschaft) gegründet, deren Organ Historiallinen Arkisto (Historisches Archiv) nicht nur Artikel, sondern auch Ausgaben kleineren Umfangs, auch auf Schwedisch, veröffentlicht. Die Reihe der Gesellschaft, Todistuskappaleita Suomen historiaan (Urkunden zur Beleuchtung der Geschichte Finnlands) in sieben umfangreichen Teilen (1882–1915), beinhaltet Ausgaben von Dokumenten, die die Zeit vom 16. Jahrhundert bis in die 1810er Jahre umfassen. Die einzelnen Teile oder Bände tragen Paralleltitel auf Schwedisch – oder Französisch. Eine neue Quellenreihe begann ab 1936 zu erscheinen: Suomen historian lähteitä (Quellen zur Geschichte Finnlands). Dass es sich hier ganz grundsätzlich um eine finnische Edition handelt, wird dadurch angezeigt, dass, auch wenn der edierte Text in Schwedisch ist, die bibliografischen Angaben, die Abschnittsüberschriften sowie die Einleitung des Herausgebers in Finnisch gehalten sind. Nach acht erschienenen Teilen ist die Reihe seit 1973 nicht weitergeführt worden. In diesem Zusammenhang ist auch Suomen kirkkohistoriallinen seura – Finska kyrkohistoriska samfundet (Finnische Gesellschaft für Kirchengeschichte) zu erwähnen. Diese wurde 1889 gegründet und veröffentlicht in ihrer Schriftenreihe von Zeit zu Zeit Editionen. Die wissenschaftlichen Gesellschaften finanzierten den Druck ihrer Schriftenreihen durch eine Kombination von eigenen Mitteln und staatlichen Druckkostenzuschüssen. Eine ausschließlich vom Staat finanzierte Edition waren Finlands medeltidsurkunder (Finnische Urkunden des Mittelalters), die in der Zeit 1910–1935 in acht Teilen erschienen. Herausgeber war Reinhold Hausen (1850–1942), Staatsarchivar von 1883 bis 1916.
4.
Die Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland22
Zu der wachsenden Herausgabe von Quellenschriften trug die 1885 gegründete Svenska litteratursällskapet i Finland (Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland) bei. Der Abschnitt in den Satzungen zur Zielsetzung der Gesellschaft stellt fest, dass es Aufgabe der Gesellschaft sei, „die Zeugnisse über die Entstehung und die Entwicklung der schwedischen Kultur in Finnland zu sammeln, zu bearbeiten und zu veröffentlichen“.23 Der Schriftenreihe fiel von Anfang an eine wichtige Rolle in dieser Tätigkeit zu, und bereits die erste Lieferung der Reihe ist eine Edition: die Briefe H. G. Porthans an Mathias Caloni____________ 22 23
Die Editionstätigkeit der Svenska litteratursällskapet im Allgemeinen behandeln Steinby 1985 und Mustelin 1986. Huldén präsentiert die Editionen übersichtlich in Textkritik 1991. Satzungen der Svenska litteratursällskapet i Finland, § 1, siehe Pettersson 1989, S. 253.
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us, die Wilhelm Lagus (1821–1909) im Jahr 1886 herausgab. Im selben Jahr erschienen noch weitere vier Lieferungen: drei sind Editionen, eine ist das Jahrbuch der Gesellschaft. Lange Zeit wurden die editorischen Belange vom zwölfköpfigen Vorstand der Gesellschaft besorgt; die Vorstandsmitglieder prüften auch die Manuskripte. Autoren und Herausgeber erhielten ein bescheidenes Honorar pro Druckbogen, und der Druck erfolgte je nach vorhandenen Mitteln. Gewöhnlich begutachtete man fertige Manuskripte, deren Aufnahme in die Schriftenreihe der Gesellschaft Autoren oder Herausgeber beantragt hatten. Es kam aber auch vor, dass die Gesellschaft die Initiative zu Ausgaben oder anderen Publikationen ergriff. Vor dem Jahr 2000 stand kein Personal für die Verlagstätigkeit zur Verfügung, sondern der Kanzleichef erledigte die Korrespondenz mit Autoren und Druckereien neben seinen sonstigen vielfältigen Aufgaben. In den 1990er Jahren wurde der sogenannte Publikationsausschuss – seit 2010 die Verlagskommission – gegründet. Diese Kommission leitet die Verlagstätigkeit, bestimmt Gutachter – nunmehr Außenstehende – für diejenigen Manuskripte, deren Veröffentlichung man erwägt, und fasst die Beschlüsse bezüglich der Publikation. Sie ergreift natürlich auch Initiativen zu Veröffentlichungen verschiedener Art, nicht zuletzt Editionen. In diesem Organ sitzen vier Mitglieder sowie der Chef und der Redaktionschef des Verlags. Anfang 2000 fasste der Vorstand der Literaturgesellschaft den Beschluss zu einer allgemeinen Unterstützung der Verlagstätigkeit, mit der Herausgabe von sowohl Quellenschriften als auch literarischen Werken in textkritischen Ausgaben als einem Schwerpunktbereich. Zugleich wurde im Jahr 2000 ein Verlagsleiter für die allgemeine Verlagstätigkeit angestellt, und seit 2011 hat der Verlag einen Verlagsleiter, einen leitenden Redakteur, vier Redakteure, einen Herausgeber und einen wissenschaftlichen Mitarbeiter samt einem Assistenten der beiden Letzteren. Die rasche Entwicklung der letzten zehn Jahre ist den stark verbesserten Finanzen der Schwedischen Literaturgesellschaft während der letzten Jahrzehnte zu verdanken. Die Tätigkeit wurde lange Zeit durch Mitgliedsbeiträge und Schenkungen finanziert; erst ab den 1980er Jahren wurde das Vermögen aktiv verwaltet. Ein gutes Stück in das 20. Jahrhundert hinein, bevor die Archive der Schwedischen Literaturgesellschaft angestelltes Personal besaßen, war der größte Ausgabenposten im Budget der Gesellschaft die Schriftenreihe. Auch wenn der Anteil des Verlages am Gesamtbudget der Schwedischen Literaturgesellschaft nicht mehr überwiegt, ist doch das Budget für die Verlagstätigkeit im Großen und Ganzen kontinuierlich gewachsen. Einige Zahlen mögen die Entwicklung veranschaulichen: 1977 war der Umfang der Tätigkeit der Gesellschaft immer noch bescheiden; das Gesamtbudget belief sich auf knapp 250.000 Euro, wo-
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von gut 44.000 Euro zur Herausgabe von Schriften verwendet wurden. Zehn Jahre später (1987) waren die entsprechenden Summen 923.000 bzw. 139.000 Euro. Im Jahr 1997 erreichten die Zahlen 1,7 Millionen bzw. 130.000 Euro. Nach einem weiteren Dezennium (2007) beliefen sich die Kosten für die Tätigkeit der Gesellschaft auf gut 7 Millionen Euro und die des Verlages auf 759.000 Euro.24 Teile der Archivtätigkeit der Gesellschaft werden durch staatliche Zuschüsse unterstützt, was früher auch für die Druckkosten der Schriftenreihe der Fall war. Die Verlagstätigkeit wird nunmehr zur Gänze von der Gesellschaft finanziert, ausgenommen die im Jahr 2005 begonnene Edition von Zacharias Topelius Skrifter (Die Schriften Zacharias Topelius’). In diesem Fall garantiert die Schwedische Literaturgesellschaft eine Grundfinanzierung, während das Unterrichtsministerium und verschiedene zentrale Fonds für Wissenschaft und Kultur knapp die Hälfte des Jahresbudgets von 700.000 Euro bestreiten.25 Die Editionen in der Schriftenreihe der Literaturgesellschaft sind unterschiedlicher Art: an die zwanzig Briefausgaben – von der Korrespondez des Generalgouverneurs Per Brahe der 1640er Jahre bezüglich der Akademie in Åbo bis zu den Briefen des Modernisten Elmer Diktonius 300 Jahre später –, mehr oder weniger private Tagebücher aus der Friedenszeit wie auch aus verschiedenen Kriegen, schwedische Landschaftsgesetze, Landtagsprotokolle von 1809 und Reiseschilderungen. Ein großes Projekt ist die 1917 begonnene Ausgabe Finlands svenska folkdiktning (Finnlands schwedische Volksdichtung). Sie besteht aus acht Teilen in 23 Bänden; eine Digitalausgabe wurde 2010 begonnen. Die literarischen Werke beschränken sich auf fünfzehn Ausgaben. Von den gut 740 Lieferungen in der Schriftenreihe sind ungefähr zwanzig Prozent Editionen (Stand 2010). Während der ersten Dezennien (1886–1919) lag der Anteil der Ausgaben bei zwischen einem Drittel und einem Viertel der Gesamtveröffentlichungen. Bei einer Vorstandssitzung im Jahr 1953 wurde die Editionstätigkeit erörtert. Auch wenn mehrere Mitglieder vor allem Briefausgaben befürworteten, meinte der Vorstand, dass „der Veröffentlichung von Forschungsresultaten ein größeres Gewicht beigemessen werden sollte als der Edition von Urkunden“. Man betonte auch, dass Gelehrte, die sich an eine größere Allgemeinheit wandten, sich darum bemühen sollten, „bei Beibehaltung ____________ 24
25
Die Beträge für die Zeit 1977–1997 wurden in Euro umgerechnet, werden aber laut dem Geldwert des entsprechenden Jahres angegeben. Angaben in den Rechenschaftsberichten; Dienstarchiv der Svenska litteratursällskapet. Die Angaben gelten für das Editionsbudget 2009; das Niveau dürfte für die nächsten Jahre richtungweisend sein. Derzeit erhält die Edition Unterstützung vom Unterrichtsministerium, u. a. für die Entwicklung der Digitalausgabe – die umfassendste in Finnland. Finska Vetenskaps-Societeten trägt mit Zuschüssen für Forschung bei; Svenska kulturfonden, Finska Kulturfonden sowie Svenska folkskolans vänner finanzieren verschiedene Teilbereiche der Ausgabe.
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des wissenschaftlichen Profils der Werke sie auch Nichtfachleuten leichter zugänglich zu machen“.26 Möglicherweise war es dieser Wunsch nach einem leichteren Zugang zu den Werken, der ausschlaggebend dafür war, dass die zweibändige Auswahl der Korrespondenz von Zacharias Topelius ganz unnötig in modernisierter Orthografie herausgegeben wurde. Diese Ausgabe (1956 und 1960) wurde vom Enkel des Dichters, dem Bibliothekar und Historiker Paul Nyberg (1889–1960) betreut, der selbst Vorstandsmitglied der Literaturgesellschaft war. Nybergs Ausgabe der Jugendtagebücher Topelius’ hat dagegen die originale Rechtschreibung beibehalten. In den 1930er Jahren machte Nyberg (oder beauftragte er) eine maschinenschriftliche Abschrift von Topelius’ Finlands krönika (Die Chronik Finnlands), die die Aufzeichnungen des Schriftstellers während der Jahre 1860–1878 enthält und die Politik sowie das öffentliche Leben im weitesten Sinne behandelt. Den Titel wählte Topelius selbst. Die Abschrift wurde in modernisierter Orthografie angefertigt, mit kleineren Berichtigungen des mutmaßlichen Herausgebers Nyberg. 1932 wurde die Ausgabe der Schwedischen Literaturgesellschaft angeboten, doch kam trotz befürwortender Gutachten keine Edition zustande. In den 1980er Jahren wurde die Ausgabe neu bedacht und 2004 endlich verwirklicht. Im Zuge der Kollation stellte man den Wortlaut und die Orthografie des Originals wieder her.27 Die Zielsetzung von 1953, die Anzahl der Ausgaben einzuschränken, wurde umgesetzt. In den 1950er und 1960er Jahren machten die Editionen gut zehn Prozent der veröffentlichten Schriften aus. Während der 1980er und 1990er Jahre sank der Anteil auf weniger als zehn Prozent der Publikationen, während er sich nach dem Jahr 2000 wieder auf ein Drittel erhöht hat. (Dazu kommen während der gesamten Periode die kleinen Ausgaben, z. B. Einzeldokumente und Briefe oder kurze Korrespondenzen, die in den Jahrbüchern erscheinen.) Die Schwankungen beruhen auf wechselnden Präferenzen, Finanzierungsmöglichkeiten und Arbeitsmethodiken. Editionen verschiedener Art wurden betreut von Professoren, Archivaren oder Bibliothekaren, die Historiker, Literaturhistoriker, Ethnologen, Volkskundler oder Sprachforscher waren. Die Arbeit wurde neben der eigentlichen Berufstätigkeit der Herausgeber geleistet. Als Folge zog sich die Bearbeitung etlicher Ausgaben in die Länge, und Zeitplanungen ließen sich nur selten einhalten. Hinzu gesellt sich das Risiko, dass einzelne Editionen oder einheitlich geplante Ausgabenreihen nicht konsequent durchgeführt werden, wenn die Anzahl der Mitarbeiter groß und das Projekt ____________ 26 27
Protokoll der Vorstandssitzung vom 14. 3. 1953, zitiert in Mustelin 1986, S. 157. Vgl. die Einleitung des Herausgebers Rainer Knapas in Topelius, Finlands krönika 2004, S. 9 ff.
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von langer Dauer ist. In jüngerer Zeit auf angestellte Herausgeber zu setzen hat Resultate gezeitigt. Die Neuordnung wurde 1998 im Rahmen der RunebergEdition eingeführt. Von den gut 40 Ausgaben, die seit dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden (von insgesamt im Verlag erschienenen über 120 Titeln) wurden mehr als 30 ganz oder teilweise von verlagsangestellten Herausgebern produziert, oft in Zusammenarbeit mit außenstehenden Mitarbeitern auf Zeitvertragsbasis. Das Forschungsinteresse für Runeberg war in der Zwischenkriegszeit sehr rege, nicht zuletzt in Schweden, und erreichbare Ausgaben waren mangelhaft. Svenska Vitterhetssamfundet ergriff nach Erlöschen der Urheberrechte die Initiative zur historisch-kritischen Runeberg-Edition von 1927. Die Ausgabe, die an anderer Stelle in diesem Band behandelt wird, erstreckte sich über die Jahre 1933–2005. Sie zog, nicht zuletzt auch ihrer langen Entstehungszeit wegen, Kritik auf sich und wurde deshalb von den Editionsgesellschaften als eine Belastung empfunden, von der Schwedischen Literaturgesellschaft gar als abschreckendes Beispiel. In Anbetracht der finanziellen Ressourcen und der Arbeitsmethodik der Editionsgesellschaft ab den 1930er Jahren allerdings machte die Edition im Großen und Ganzen noch bis Anfang der 1980er Jahre zufriedenstellende Fortschritte. Der Endspurt, unter Leitung der Hauptherausgeber Barbro Ståhle Sjönell und Lars Huldén, muss als effektiv bezeichnet werden. Nach Seitenzahl gerechnet erschienen ein Sechstel des Textes und ein gutes Drittel der Kommentare während der vier letzten Arbeitsjahre, 2002 bis 2005. Die Ausgabe hatte große Bedeutung für die Schwedische Literaturgesellschaft. Dank dieser Zusammenarbeit mit Svenska Vitterhetssamfundet fand auch eine historisch-kritische Edition in die Schriftenreihe der Literaturgesellschaft Eingang. Die finnischen Herausgeber hatten wohl eine lange Erfahrung mit Quellenausgaben, nicht aber mit textkritischen Editionen literarischer Werke. Allerdings stand der langjährige Hauptherausgeber Gunnar Castrén (1878–1959) immerhin für textkritische Arbeit auf hohem Niveau ein, und die intensive Zusammenarbeit mit Svenska Vitterhetssamfundet im Abschlussstadium der Ausgabe brachte auch eine professionelle Anleitung der Arbeit der Herausgeber am Standort Helsinki mit sich. 4.1.
Finnlands schwedische und finnlandschwedische Literatur
Die ersten Literaturausgaben der Schwedischen Literaturgesellschaft in Finnland waren Ausdruck des Bestrebens, auf das sogenannte gebildete Publikum zuzugehen. In den 1890er Jahren kam aus diesem Grund die Reihe Finlands svenska vitterhet (Die schwedische Literatur Finnlands) zustande. Teils wollte
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man das schwedische Bildungserbe zugänglich machen, teils Rücksicht auf die finanzielle Lage der Gesellschaft nehmen. Neue Mitglieder sollten angelockt werden, da die Mitgliedsbeiträge damals einen bedeutenden Teil der Einnahmen ausmachten.28 Abgesehen von einer einzigen Ausnahme wurden keine Gesamteditionen vorgelegt, sondern Auswahlbände. In den fünf Teilen der Jahre 1899–1913 präsentierte man Jakob Tengströms (1755–1832) literarische Schriften in Auswahl, ausgewählte Lyrik von Mikael Choraeus (1774–1806), ausgewählte Schriften von Jakob Frese (1691–1729), Literarisches von Gustaf Philip Creutz (1731–1785) sowie eine großzügige Literaturanthologie der Großmachtzeit, was in diesem Fall den Zeitraum 1640–1720 meinte. Die Absicht war, entsprechende Anthologien mit Literatur des 18. Jahrhunderts (Freiheitszeit und Gustavianische Zeit) bzw. der ‚Franzén’schen Zeit‘ herauszugeben, womit die Zeit ab dem Tod Gustavs III. bis zum Brand in Åbo im Jahr 1827 gemeint war. Diese Pläne wurden allerdings nicht verwirklicht.29 Die den einzelnen Schriftstellern gewidmeten Teile der Reihe enthalten umfangreiche Lebensschilderungen, und die Anthologie ist mit einer ebenso gründlichen literaturgeschichtlichen Übersicht versehen. Die Anthologie und die Bände zu Frese und Creutz verantwortete Arvid Hultin (1855–1935). Er gehörte zu den höheren Beamten der Universitätsbibliothek und war über vierzig Jahre lang Mitglied im Vorstand der Literaturgesellschaft. Die mit Biografien versehenen Ausgaben bilden nur einen kleinen Teil seiner umfassenden literaturgeschichtlichen und historischen Autorschaft. Die Schreibung in den Textausgaben wurde normalisiert und modernisiert. Eine Ausnahme bildet Creutz; seine nur wenigen literarischen Werke wurden vollständig herausgegeben, und der Herausgeber Hultin teilte den Lesern mit, dass dessen „eigene Orthografie so genau wie möglich beachtet wurde“.30 Möglicherweise rühren somit die Abweichungen von der orthografischen Praxis daher, dass die übrigen Bände schon vor der schwedischen Rechtschreibreform 1906 zustande gekommen waren. Bei Verwendung der neuen Orthografie in der Creutz-Edition hätte das Schriftbild vermutlich einen allzu modernen Eindruck vermittelt.31 Im 1899 erschienenen ersten Teil präsentiert Magnus Gottfrid Schybergson (1851–1925) die Reihe. Als richtunggebendes Prinzip für die Auswahl der Werke wird genannt, dass sie „dem allgemeinen ____________ 28 29 30 31
Steinby 1985, S. 56. Den svenska vitterheten i Finland under stormaktstiden, 1904, unpaginiertes Vorwort. Dies laut Vorstandsbeschluss der Svenska litteratursällskapet; siehe Hultins Vorwort in Creutz 1913, S. VIII. Den Vorschlag zur Beibehaltung von Creutz’ Orthografie machte der Professor für nordische Philologie, Hugo Pipping (1864–1944); die Begründung wird im Sitzungsprotokoll vom 23. 5. 1912 nicht angeführt; gedruckt in Förhandlingar och uppsatser 26, 1913, S. XVII.
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Niveau, das die jeweils zeitgenössische Dichtkunst erreicht hat“, entsprechen sollen. Die Absicht der Lebensbeschreibungen war es, „dem Leser das rechte Verständnis bezüglich der Zeit und der Umstände nahebringen zu können, in denen die Werke entstanden waren, und sie dadurch in den Augen eines modernen Lesers etwas von dem Wert, den sie zu ihrer Zeit besessen haben, wiedergewinnen zu lassen“.32 Die biografischen Erläuterungen wuchsen sich jedoch aus. Sie sind recht hölzern geschrieben, und auch Hultins Lebensbeschreibung von Creutz wurde bald von der 1917 erschienenen Biografie Gunnar Castréns überflügelt. Die Einleitungen dagegen bieten gute Übersichtsdarstellungen zum Forschungsstand sowie zu früheren Ausgaben. Auch die Grundsätze der Auswahl, Andordnung, Anpassung an die Orthografie u. a. m. werden erläutert, wenngleich systematische textkritische Darstellungen fehlen. Einzelne ältere Wörter werden am Fuß der Seite erklärt, eigentliche Kommentare jedoch sind nicht Bestandteil der Reihe, die ihrer Art nach als eine Leseausgabe zu betrachten ist. Die Reihe zur schwedischen Literatur Finnlands erhielt eine Fortsetzung in der Reihe Finlandssvensk vitterhet (Finnlandschwedische Dichtung), die in den Jahren 1962–1974 erschien. Die Reihe enthält die Gesammelten Gedichte Josef Julius Wecksells (1839–1907) sowie die Åbo-Dichtung von Frans Michael Franzén in Auswahl; beide Ausgaben wurden von Karin Allardt Ekelund (1895–1990) besorgt. Eine Auswahl von 120 Topelius-Gedichten wurde von Olof Enckell vorgenommen, und für einen Band mit Gedichten und Prosa von Lars Stenbäck (1811–1870) zeichnete Johannes Salminen verantwortlich. Diese Autoren waren – nach Runeberg – die vier wichtigsten Poeten in der schwedischen Literatur des 19. Jahrhunderts in Finnland. Gunnar Castrén hatte für die Reihe ein schriftliches Memorandum mit Richtlinien zur Gestaltung von Einleitung, Textherstellung und Kommentierung aufgesetzt.33 Castrén war mit der Editionsgeschichte der vier Dichter wohlvertraut. Im Jahr 1902 hatte er über Franzéns Frühwerk promoviert und 1919 gab er Wecksells Gesammelte Gedichte heraus. Der Dichtkunst von Topelius und Stenbäck ____________ 32
33
Unpaginiertes Vorwort ohne Überschrift, Jakob Tengström, Vittra skrifter i urval 1899. Der Historiker M. G. Schybergson, damaliger Vorsitzender der Svenska litteratursällskapet i Finland, war sowohl für die Ausgabe als auch für die Biografie verantwortlich. Die maschinegeschriebenen Richtlinien Castréns im Dienstarchiv der Svenska litteratursällskapet tragen die Überschrift „P. M. om redigering av de första banden av ,Finlands litteratur‘“ („Memorandum zur Edition der ersten Bände der ,Literatur Finnlands‘“). Die Wörter „Literatur Finnlands“ wurden später gestrichen und handschriftlich von jemand anderem als Castrén durch „Finnländische Literatur“ ersetzt. Die Bezeichnung „Finnlands Literatur“ als Titel wäre irreführend gewesen, was aber auch für „Finnländische Literatur“ gilt. Der Begriff „finnlandschwedisch“ wurde erstmals in den 1910er Jahren verwendet, und es ist sowohl historisch als auch geistesgeschichtlich inkorrekt, ihn für frühere Verhältnisse im Allgemeinen und nicht zuletzt für die Werke der Reihe zu verwenden.
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widmete er mehrere eingehende Studien. Franzén und Topelius sind dafür bekannt, dass sie ihre Werke ständig überarbeiteten. Franzéns Revisionen führten im Allgemeinen zur Verschlechterung, und auch im Falle Topelius’ sind seine Änderungen oft weniger geglückt. Der junge Wecksell änderte oder wollte in seinen bereits veröffentlichten Gedichten ebenfalls ändern.34 Stenbäck dagegen stellte 1840 eine Sammlung seiner Gedichte zusammen, die er um nur ein gutes Dutzend Gedichte in den neuen Auflagen, die er 1850 und 1868 erscheinen ließ, ergänzte. Vor diesem Hintergrund muss Castréns obengenanntes Memorandum gesehen werden: Die Gedichte Stenbäcks werden entsprechend der Ausgabe letzter Hand konstituiert, während die Ausgaben in den anderen Fällen mit dem Erstdruck als Grundtext konstituiert und chronologisch angeordnet sind. Falls wesentlich unterschiedliche Fassungen eines Gedichtes vorliegen, werden alle Fassungen vollständig wiedergegeben. Varianten aus gedruckten Versionen einzelner Gedichte werden vermerkt, jedoch keine Varianten in Orthografie und Interpunktion. Die Ausgaben sollten der Orthografie des Originaldrucks folgen. Die Initiative für das Editionsprojekt wurde 1959 vom Schwedischen Kulturfonds in Finnland ergriffen, der den Druck finanzierte. Die Absicht war, die Werke mit orientierenden Einleitungen für den Unterricht zugänglich zu machen; die Anreger des Konzepts sprachen ausdrücklich davon, „die Lücke, die derzeit besteht, und die u. a. ein erschwerendes Moment im Muttersprachenunterricht an unseren Gymnasien bildet, zu füllen“.35 Der Vorstand der Literaturgesellschaft erwog zu keinem Zeitpunkt, jemandem innerhalb oder außerhalb des Vorstands den Auftrag zu erteilen, eine Anthologie für den Schulgebrauch zusammenzustellen, sondern setzte sich zum Ziel, im Rahmen einer neuen „wissenschaftlichen“ Reihe das lyrische Werk der vier Dichter herauszugeben.36 Die Pläne waren jedoch zu hoch gegriffen: teils im Verhältnis zum Auftrag, teils im Hinblick auf die verfügbare textkritische Kompetenz. Die Ausgabe löste eine Pressedebatte in mehreren Runden aus, da sich die Arbeit in die Länge zog und die Edition sowohl in der Anordnung als auch in der Kommentierung der Gedichte unbefriedigend war. Abgesehen von Äußerungen gesun____________ 34
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Wecksell gab selbst nur Valda ungdomsdikter (Jugendgedichte in Auswahl), 1860, heraus. 1862 erkrankte er an einem unheilbaren psychischen Leiden und hatte keinen Anteil an den vier Auflagen seiner ausgewählten Gedichte, die zwischen 1868 und seinem Todesjahr 1907 erschienen. Mustelin 1986, S. 162 f., Zitat: Svenska folkpartiets kulturutskott – Svenska litteratursällskapets styrelse (Kulturausschuss der Schwedischen Volkspartei – Vorstand der Schwedischen Literaturgesellschaft), 3. 2. 1959; Dienstarchiv der Svenska litteratursällskapet. Die Leitung der Schwedischen Literaturgesellschaft hatte beschlossen, dass die Gesellschaft nur dann mitwirken würde, wenn „die Ausgabe die Form einer wissenschaftlichen Reihe“ erhielte, stellt Aminoff 1963 fest.
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der Vernunft, wie z. B. der Forderung angemessener Register, zeigte die Debatte, dass es Kritikern wie auch Herausgebern an textkritischer Einsicht mangelte. Aus den Bänden geht hervor, dass den Herausgebern der Begriff ‚Grundtext‘ unbekannt war; zudem weist die Wiedergabe der Varianten Mängel auf. Die Kritiker ihrerseits konnten diese Probleme nicht identifizieren, ebensowenig wie der Hauptherausgeber der Reihe, P. O. Barck. Den Erstdrucken der vier Dichter ist gemeinsam, dass sie schwer aufzufinden sind. Mittlerweile können die finnischen Zeitungen, die die Gedichte enthielten, wohl in digitaler Version gelesen werden, doch sind die in Schweden erschienenen Kalender oder Zeitungen in Bibliotheken heutzutage noch schwerer ausfindig zu machen als vor 50 Jahren. Dasselbe gilt für finnische Kalender und ähnliches Material. Der Gedanke Castréns, den Text anhand der Erstdrucke zu konstituieren, war deshalb vorausschauend. Wäre er kompetent verwirklicht worden, hätte die Ausgabe der Forschung einen großen Dienst erwiesen, hätte sogar editionshistorisch wie literatursoziologisch bahnbrechend werden können. Leider verstarb Castrén im November 1959, ohne die vorgesehenen Herausgeber einweisen zu können. Die Durchführung des Projektes Finlandssvensk vitterhet (Finnlandschwedische Dichtung, s. o.) zeigt, dass nach Castrén die textkritische Kompetenz abnahm. Die Herausgeber konnten den Anforderungen nicht entsprechen, die Editionen bei komplizierter Überlieferungslage stellen. Die Reihe entstand zu einem Zeitpunkt, zu dem die Literaturgesellschaft laut Max Engman „darauf angewiesen war, dass ein einzelner Forscher oder Autor die Arbeit nach eigenen Prinzipien ausführte, gewöhnlich in seiner Freizeit – mit Ungleichmäßigkeit, vielen Verzögerungen und unabgeschlossenen Projekten als Folge“.37 Diese Erfahrungen ermunterten natürlich nicht dazu, sich auf textkritische Editionen von Literatur einzulassen, und erst in den 1980er Jahren begannen die Planungen für eine historisch-kritische Ausgabe der Schriften Edith Södergrans. Seither sind 1990 und 1996 Gedichte bzw. Briefe erschienen, und die Arbeit an den Kommentaren zu den Gedichten ist in Gang. Das neueste textkritisch edierte Werk der Literaturgesellschaft ist der unvollendete Roman Sönder (deutsche Übersetzung als Zerbrochen, 2007) aus dem Todesjahr des 1930 früh verstorbenen Modernisten Henry Parland. Der Roman wurde postum mehrfach von seinen Freunden und Verwandten herausgegeben. Er erschien im 20. Jahrhundert in drei Fassungen: 1932, 1966 und 1987. Alle Ausgaben weisen Texteingriffe auf: Umstellungen, Streichungen, ____________ 37
Engman 2007, S. 44. Engman war Vorsitzender des Publikationsausschusses der Svenska litteratursällskapet und gehörte damit zur Verlagsleitung der Gesellschaft. Die zitierte Darstellung gibt einen Überblick über die Entwicklung im Bereich der Publikationstätigkeit.
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meist jedoch sprachliche Korrekturen und Normalisierungen (Parlands Hauptsprachen waren Deutsch und Russisch; Schwedisch lernte er in seiner Jugend, als die Familie aufgrund der Russischen Revolution in die Gegend von Helsinki übersiedelte). Der Strindberg-Herausgeber Per Stam, der 1998 mit der Abhandlung Krapula. Henry Parland och romanprojektet ‚Sönder‘ (Krapula. Henry Parland und das Romanprojekt ‚Sönder‘) promoviert hatte, gab 2005 den Roman nach dem Manuskript heraus, mit, wie er sagt, „so wenig Änderungen und Berichtigungen wie möglich“.38 Diese Änderungen im Verhältnis zum Manuskript werden selbstverständlich vermerkt. Die Unterschiede im Vergleich zu den früheren Auflagen des Romans werden dagegen nicht detailliert erläutert, sondern – verständlicherweise – im Überblick dargelegt. Die Ausgabe hat berechtigtes Interesse geweckt, und Übersetzungen ins Deutsche und Französische wurden auf deren Basis gemacht; eine Übersetzung ins Englische ist derzeit in Arbeit. 4.2.
Die Schriften des Zacharias Topelius
Die textkritische Runeberg-Ausgabe wurde 2005 beendet. Zu diesem Zeitpunkt war auf Initiative des Vorstands der Schwedischen Literaturgesellschaft die Planung einer historisch-kritischen Ausgabe des umfassenden schriftstellerischen Werkes von Zacharias Topelius eingeleitet worden, und ein Herausgebergremium begann die Arbeit noch im selben Jahr. Die Ausgabe erscheint seit 2010 sowohl in Buchform als auch digital. Die operative Arbeit wird von einen Herausgebergremium geleistet, das fünfzehn Herausgeber und assistierende Herausgeber umfasst, zum Teil auf Teilzeitbasis. Die übergeordnete Verantwortung trägt der Editionsrat aus sieben Personen, die die Disziplinen Literaturwissenschaft, Geschichte, Sprachgeschichte und Textkritik vertreten. Topelius ist bisher textkritisch nicht ediert worden. Nach seinem Tod erschienen die Samlade Skrifter (Gesammelte Schriften, 1899–1907) in 34 Bänden im schwedischen Verlag Bonnier, mit einer Teilausgabe im Verlag Edlund in Helsinki. Trotz der Bezeichnung „Samlade Skrifter“ ist dies bei weitem keine vollständige Ausgabe. Im Rahmen der Ausgabe Zacharias Topelius Skrifter (Die Schriften Zacharias Topelius’) wird eine vollständige Ausgabe von Topelius’ Werk digital erarbeitet, während eine umfassende Auswahl im Druck erscheinen wird. Die Digitalausgabe ist frei zugänglich. Topelius’ Laufbahn als Publizist umspannte fast sechs Jahrzehnte. Er übte großen und nachhaltigen Einfluss auf die Öffentlichkeit in Finnland und teilweise auch in Schweden aus. Der Roman Fältskärns berättelser (in deutscher ____________ 38
Stam in Parland 2005, S. 10.
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Übersetzung als Erzählungen eines Feldschers, 1880, 1926) hat die Auffassung einiger Generationen über die Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts in beiden Ländern beeinflusst. Topelius war knappe 24 Jahre alt, als er Redakteur bei der Zeitung Helsingfors Tidningar wurde. In ihr wurden viele seiner Gedichte zum ersten Mal veröffentlicht, und die Mehrheit seiner Prosawerke schrieb er als Feuilletons für dieses Blatt. Dieses Feuilletonmaterial, aber auch die Reportagen und aktuellen Kolumnen, machten die Helsingfors Tidningar allmählich zum meistverbreiteten Blatt des Landes. Ab 1854 bekleidete Topelius einen Lehrstuhl für Geschichte. Zu seiner beachtlichen Produktivität in vielen Gattungen, auch für Kinder, kommt noch hinzu, dass er seine Werke anlässlich bevorstehender Neuauflagen gerne revidierte. Dies verursacht textkritische Komplikationen verschiedener Art. Hinsichtlich des journalistischen Materials ist Topelius’ Autorschaft nicht immer ganz gesichert, und innerhalb einiger Gattungen müssen die Vor- und Nachteile der verschiedenen potentiellen Grundtexte gegeneinander abgewogen werden. Teile der literarischen Prosa hat Topelius in späteren Auflagen derart durchgreifend umstrukturiert, dass die Variantendarstellung große Herausforderungen birgt; in gewissen Fällen sind seine Änderungen so umfassend, dass die Wiedergabe getrennter Fassungen erforderlich wird. Für finnische Verhältnisse sind die Ressourcen für die Edition von Zacharias Topelius Skrifter derzeit sehr gut bemessen: Sie umfassen ein Jahresbudget von 760.000 Euro (2012) und einen Mitarbeiterstab, der aus einem Redaktionsleiter mit administrativen Aufgaben sowie einem Hauptherausgeber, acht Herausgebern, zwei Redakteuren und drei Assistenten besteht. (Ein Redakteur und zwei Assistenten arbeiten in Teilzeit.) Die Arbeit wird teils chronologisch, teils nach Gattung durchgeführt. Um Ergebnisse in angemessener Zeit zu erreichen, beginnt die Arbeit an ausgewählten Gattungen, während andere bis auf Weiteres warten müssen. Am weitesten ist die Ausgabe bereits mit Topelius’ früher Lyrik vorangeschritten, die ersten drei Gedichtsammlungen erschienen 2010 und sind auf der Grundlage der Erstausgabe in Buchform konstituiert. Schon vor seiner Ernennung zum Professor veröffentlichte Topelius ein umfangreiches geografisch-historisches Bilderwerk. Ausgaben sowohl von Finland framställdt i teckningar als auch der Vorlesungen sind in Arbeit; die Vorlesungen wurden bisher nie veröffentlicht. Unter den in Arbeit befindlichen Ausgaben sind die Feuilletons von Topelius zu erwähnen, zu denen der erste historische Roman Finnlands zählt, Hertiginnan af Finland (in deutscher Übersetzung als Die Herzogin von Finnland, 1885, 1925), sowie Topelius’ umfängliche Jugendtagebücher ab 1832, die ein Jahrzehnt umspannen. Die Erfassung und Computereingabe sowie die Kodie-
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rung zentraler Korrespondenzen geschieht ebenfalls in bedeutendem Umfang. Briefe und Tagebücher haben nicht nur einen Wert an sich, sondern unterstützen auch die Arbeit an anderen Gattungen, sowohl in textkritischer Hinsicht als auch bezüglich der Kommentare und Einleitungen. Die Editoren, die die Texte konstituieren, verfassen die textkritischen Kommentare und sind, zumindest teilweise, für andere Kommentare und zumeist auch für die Einleitungen verantwortlich. Die Kodierung im TEI-Format wird oft, aber nicht durchgehend, vom Textherausgeber besorgt. Die digitale Edition wird von einem auf die elektronischen Fragen spezialisierten Mitarbeiter betreut; er hat ein Kodierungsmanual erstellt, das er laufend aktualisiert, und er überprüft auch die Kodierungen der Texteditoren. Ein auf XML spezialisierter Techniker arbeitet in Teilzeit für das Projekt Zacharias Topelius Skrifter. Ihm obliegt es, verschiedene Darstellungsformate für die Digitalausgabe und sonstige Software für Darstellungsoptionen sowie verschiedene Hilfsfunktionen zu entwickeln. Die Korrespondenz wird ausschließlich digital erscheinen. Dies stellt eigene Ansprüche an die Darstellung von Brieftexten und Kommentaren. Die organisatorische und die textkritische Leitung liegt in den Händen eines Redaktionsleiters bzw. eines Hauptherausgebers.39 Die wissenschaftliche Herausgabe der klassischen Werke finnischer Literatur in finnischer Sprache begann im Jahre 2005, als die Finnische Literaturgesellschaft eine Arbeitsstelle zur editionswissenschaftlichen Forschung und Praxis gründete: Edith – suomalaisen kirjallisuuden kriittiset editiot (Edith – kritische Ausgaben finnischer Literatur). Edith steht als Akronym für Editiohankkeet, Editionsprojekte. Den Anfang machen die Werke der Schwellengestalt der finnischen Literatur, Aleksis Kivi (1834–1872). Kivis Wirken als Schriftsteller begann spät, und er ist früh verstorben; er verfasste ein Dutzend Schauspiele, eine Gedichtsammlung und den Roman Seitsemän veljestä (Die sieben Brüder).40 Die Ausgabe erscheint sowohl in Buchform als auch digital. Wie in der Einleitung erwähnt, diskutierte man in den 1850er Jahren in Finnland, auf welche Art H. G. Porthan am besten geehrt werden sollte – mit einer Statue oder einer Edition. Porthan erhielt zuletzt beide Ehrenbezeugungen: zuerst, 1864, eine Statue in Åbo/Turku und in der Folge die Ausgabe seiner lateinischen Schriften, Opera selecta in fünf Teilen (1859– 1873). Statuen oder Monumente anderer Art hat man vielen finnischen Schriftstellern errichtet, doch nur verschwindend wenige von ihnen wurden textkri____________ 39
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Siehe Söderlund/Björklund 2011. Eine Darstellung von Topelius und der Ausgabe auf Schwedisch sowie der bisher erschienenen Teile der Edition findet sich auf der Homepage www.topelius.fi. Siehe den Abschnitt zu Kivi in Lassila 1996.
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tisch mehr oder weniger anspruchsvoll ediert – und wenn, dann hinkten die Ausgaben oft auffällig den Statuen nach. Das Runeberg-Standbild wurde schon 1885 an der größten Promenade in Helsinki errichtet, wogegen die textkritische Edition erst ein halbes Jahrhundert später zu erscheinen begann. Die beiden Ausgaben der Schriften Snellmans, aus den 1890er bzw. den 1990er Jahren, flankieren zeitlich die Statue aus den 1920er Jahren – an der Snellmanstraße in Helsinki. Jeder Helsinki-Besucher hat am Bahnhofsplatz die massive Kolossalstatue von Aleksis Kivi wahrgenommen, dem ersten bedeutenden Autor des finnischsprachigen Finnlands. Das grazile Topelius-Monument, Nachbar Runebergs, ist weniger auffällig. Beide Denkmäler wurden in den 1930er Jahren enthüllt, während die textkritischen Werkausgaben erst dem 21. Jahrhundert angehören. Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract Scholarly editing in bi-lingual Finland has been directed more towards source editions and editions of texts in other languages than towards critical editions of literary works of Finnish authors writing in Finnish or Swedish. This contribution explores briefly the reasons for this fact and discusses examples of editions of the various kinds. The earliest editions of the late 19th century were part of the nationality project. Patriotic ambitions however loomed larger than text-critical professionalism. Works edited were by J. L. Runeberg, J. V. Snellman and Fredrik Cygnæus. The editors were not university men, which may have contributed to their editions not sparking off a tradition. The professors C. G. Estlander and Werner Söderhjelm introduced modern philology to Finland. It was their pupils who initiated a resilient practice of editing earlier works in German, English and the Romance languages. – The Svenska litteratursällskapet i Finland has since 1886 been engaged in editing both source texts and works of literature. Scholarly editions are since the beginning of the new millennium being given high priority within the society’s over-all publishing activities. After several trade editions of Runeberg’s collected works had run their course, Svenska litteratursällskapet i Finland and Svenska Vitterhetssamfundet (Stockholm) in 1933 initiated a joint edition of Runbeberg’s works. On its completion in 2005, work was begun on the Writings of Zacharias Topelius, a digital historically-critical edition coming out selectively also in
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printed form. The Suomalaisen Kirjallisuuden Seura in the 2000’s embarked upon an agenda of editing Finnish literature in the Finnish language. This essay was written in 2008. Since then, Suomalaisen Kirjallisuuden Seura has issued two volumes of its edition of the works of Aleksis Kivi. The comedy Nummisuutarit came out in 2010, digitally in 2011, and Kivi’s letters in 2012. In Svenska litteratursällskapet’s edition of the Writings of Zacharias Topelius were published: his early collected poetry in 2010, a geographicallyhistorical picture album in 2011, and an edition of shorter narratives (‘noveller’) in 2012 – all three in print as well as digitally.
Literaturverzeichnis Ungedruckte Literatur Svenska litteratursällskapet i Finland (Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland), Helsinki: Gunnar Castrén: P. M. om redigering av de första banden av „Finlands litteratur“. Brief des Kulturausschusses der Svenska Folkpartiet (Schwedischen Volkspartei) an die Leitung der Svenska litteratursällskapet, 3. 2. 1959. Abschluss der Svenska litteratursällskapet 1977, 1987, 1997, 2007.
Editionen Choraeus, Mikael: Valda dikter. Med en lefnadsteckning af Ernst Lagus. Helsinki 1901 (Finlands svenska vitterhet 2, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 48). [Creutz, Gustaf Philip:] Arvid Hultin: Gustaf Philip Creutz. Hans levnad och vittra skrifter. Helsinki 1913 (Finlands svenska vitterhet 5, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 111). Cygnæus, Fredrik: Samlade arbeten. [Hrsg. Emil Nervander.] 10 Bde. Helsinki 1881–1889. Den svenska vitterheten i Finland under stormaktstiden 1640–1720. Valda vitterhetsarbeten jämte en litteraturhistorisk inledning af Arvid Hultin. Helsinki 1904 (Finlands svenska vitterhet 4, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 65). Franzén, Frans Michael: Frans Michael Franzéns Åbodiktning. Auswahl und Einleitung von Karin Allardt Ekelund. Helsinki 1969 (Finlandssvensk vitterhet, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 431). Frese, Jakob: Valda skrifter. Med en teckning af hans lefnad och skaldskap af Arvid Hultin. Helsinki 1902 (Finlands svenska vitterhet 3, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 52). Nervander, Johan Jakob: Skrifter, utgifna till minne för landsmän. [Hrsg. von J. V. Snellman.] Helsinki 1850. [Nervander, Johan Jakob:] Steinby, Torsten: J. J. Nervander och Jephtas bok. Helsinki 1993. Parland, Henry: Sönder (om framkallning av Veloxpapper). Hrsg. von Per Stam. Helsinki 2005 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 677). Runeberg, Johan Ludvig: Samlade arbeten. [Hrsg. von B. O. Schauman.] 6 Bde. Helsinki 1861– 1871. Runeberg, Johan Ludvig: Samlade skrifter. [Hrsg. von C. R.Nyblom.] 6 Bde. Stockholm 1870. Runeberg, Johan Ludvig: Samlade arbeten. [Hrsg. von C. G. Estlander.] 8 Bde. Helsinki 1902. Runeberg, Johan Ludvig: Samlade arbeten. [Hrsg. von Ruth Hedvall.] 6 Bde. Helsinki, Stockholm 1921.
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Pia Forssell
Runeberg, Johan Ludvig: Samlade skrifter. Hrsg. von Gunnar Castrén et al. 20 Bde. Helsinki, Stockholm 1933–2005 (Svenska Författare utgivna av Svenska Vitterhetssamfundet XVI; in der SLS-Schriftenreihe sind die Teile einzeln nummeriert). Snellman, Johan Vilhelm: Samlade arbeten. [Hrsg. von Emil Nervander.] 10 Bde. Helsinki 1892– 1898. Snellman, Johan Vilhelm: Samlade arbeten. Hrsg. von Kari Selén, Raimo Savolainen et al. 12 Bde. Helsinki 1992–1998 (Register och Supplement. Hrsg. Hannu Kultanen. Helsinki 1999). Stenbäck, Lars: Dikter. [Hrsg. von Eliel Aspelin.] Helsinki 1899. Stenbäck, Lars: Dikter och prosa. Eingeleitet und kommentiert von Johannes Salminen. Helsinki 1974 (Finlandssvensk vitterhet, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 458). Södergran, Edith: Samlade skrifter. Bd. 1 ff. Helsinki 1990 ff. (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 563). Tengström, Jakob: Vittra skrifter i urval. Med en lefnadsteckning af M. G. Schybergson. Helsinki 1899 ([Finlands svenska vitterhet 1], Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 41). Topelius, Zacharias: Dagböcker. Hrsg. von Paul Nyberg. 4 Bde. Helsinki, Stockholm 1918–1922. Topelius, Zacharias: Konstnärsbrev. Z. Topelius brevväxling med C. J. L. Almquist, J. L. Runeberg, Fredrika Runeberg, Fredrik Cygnæus, Fredrik Pacius, Conrad Greve, J. A. Josephson. Hrsg. von Paul Nyberg. Bd. I. Helsinki 1956 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 360). Topelius, Zacharias: Konstnärsbrev. Z. Topelius brevväxling med Fredrika Bremer, Bernhard von Beskow, Johan Ludvig Heiberg, Johanne Luise Heiberg, Carl Anton Wetterbergh, Herman Sätherberg, Karl Robert Malmström, Ludvig Leonard Laurén. Hrsg. von Paul Nyberg. Bd. II. Helsinki 1960 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 381). Topelius, Zacharias: 120 dikter. Kommentiert von Olof Enckell. Helsinki 1970 (Finlandssvensk vitterhet, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 435). Topelius, Zacharias: Finlands krönika 1860–1878. Hrsg. von Rainer Knapas. Helsinki, Stockholm 2004 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 660). Wecksell, Josef Julius: Samlade dikter. [Hrsg. von Gunnar Castrén.] 2 Bde. Helsinki, Stockholm 1919. Wecksell, Josef Julius: Samlade dikter. Eingeleitet und kommentiert von Karin Allardt Ekelund. Helsinki 1962 (Finlandssvensk vitterhet, Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 395).
Sonstige Literatur Aalto, Pentti: Modern Language Studies in Finland 1828–1918. Helsinki 1987 (The History of Learning and Science in Finland 1828–1918 10 c). Aminoff, Torsten G.: Wecksellutgåvan i en efterskrift. In: Hufvudstadsbladet, 13. 3. 1963. Castrén, Gunnar: Werner Söderhjelm. Minnestal i Finska Vetenskaps-Societeten 1934. In: Humanister och humaniora. Tryckt och talat från sex decennier. Helsinki 1958 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 368), S. 9–43. Engman, Max: 700 böcker och sedan … In: Källan 2007, H. 3, S. 42–47. Estlander, Carl Gustaf: Normalupplagans redaktion. In: Johan Ludvig Runebergs samlade arbeten VIII. Helsinki 1902, S. 137–152. Forssell, Pia: Författaren, förläggarna och forskarna. J. L. Runeberg och utgivningshistorien i Finland och Sverige. Helsinki 2009 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 726). Huldén, Lars: Svenska litteratursällskapet. In: Textkritik. Teori och praktik vid edering av litterära texter. Hrsg. von Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1991, S. 90–98. Karlsson, Fred und Nils Erik Enqvist: Kielitieteet In: Suomen tieteen historia 2. Humanistiset ja yhteiskuntatieteet. Helsinki 2002, S. 225–295. Knapas, Rainer: Förord. In: Varianter och bibliografisk beskrivning. Hrsg. von Pia Forssell und Rainer Knapas. Helsinki 2003, S. 5–9 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 661, Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 5).
Editionsgeschichte in Finnland
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Lassila, Pertti: Geschichte der finnischen Literatur. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Tübingen 1996. Mustelin, Olof: Forskning och vitterhet. Svenska litteratursällskapet i Finland 1885–1985. Bd. 2 (Det andra halvseklet). Helsinki 1986 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 523, 2). Nervander, Emil: Minne af Fredrik Cygnæus. Anteckningar. Helsinki 1892. Pettersson, Magnus: Forskning och vitterhet. Svenska litteratursällskapet i Finland 1885–1985. Bd. 3 (Register). Helsinki 1989 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 523, 3). [Protokoll fört vid Svenska litteratursällskapets styrelsemöte, den 23 maj 1912]. In: Förhandlingar och uppsatser 26. Helsinki 1913, S. XI–XX (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 112). Schybergson, Magnus Gottfrid: C. G. Estlander. Levnadsteckning. Helsinki 1916 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 131). [Snellman, Johan Vilhelm]: Fyra giftermål. Taflor i Terburgs manér af J. W. S. I. Kärlek och kärlek. Stockholm 1842. Steinby, Torsten: Forskning och vitterhet. Svenska litteratursällskapet i Finland 1885–1985. Bd. 1 (Det första halvseklet). Helsinki 1985 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 523, 1). Söderhjelm, Henning: Werner Söderhjelm. Helsinki 1960 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 378). Söderhjelm, Werner: Läroår i främmande länder. Helsinki 1928. Söderlund, Petra und Kim Björklund: Andra generationens elektroniska utgåvor. Selma Lagerlöfarkivet och Zacharias Topelius Skrifter. In: Digitala och tryckta utgåvor. Erfarenheter, planering och teknik i förändring. Hrsg. von Pia Forssell und Carola Herberts. Helsinki 2011, S. 59– 69 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 755, Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 9). [Topelius, Zacharias]: Widare om Porthans Skrifter. In: Helsingfors Tidningar 10. 5. 1854.
Gunilla Hermansson
Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs 1933–2005
1.
Überblick
Für die 1885 zum Gedenken Johan Ludvig Runebergs (1804–1877) gegründete Schwedische Literaturgesellschaft in Finnland (Svenska Litteratursällskapet i Finland, SLSiF) verstand sich die Aufgabe von selbst, eine neue wissenschaftliche Ausgabe mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Endgültigkeit zu schaffen. Auch der Umstand, dass die Pläne in ein Gemeinschaftsprojekt der SLSiF und des Schwedischen Literaturvereins (Svenska Vitterhetssamfundet, SVS) mündeten, ist angesichts des Status Runebergs in beiden Ländern wenig verwunderlich.1 Barbro Ståhle Sjönells und Pia Forssells Untersuchung der Vorgeschichte der Ausgabe (2006) zeigt, dass bei den Vorverhandlungen der beiden Gesellschaften in einem nicht geringen Ausmaß Prestige und nationale Faktoren mitwirkten. 1927 begonnen, kamen sie 1931 mit einem günstigen Druckvertrag mit dem Bonnier-Verlag zum Abschluss, dem seine Mitwirkung am Projekt eine Ehrensache war.2 Nach 1931 konzentrierte man die Kräfte auf die gemeinsame Arbeit an der Ausgabe. Runebergs Samlade skrifter (Gesammelte Schriften) erschienen 1933–2005 in 20 Bänden, verteilt auf 10 Text- und 10 Kommentarbände, von denen einige aus mehreren Teilbänden bestehen. Erste Hauptredakteure waren der Vorsitzende der SLSiF, Gunnar Castrén, und Martin Lamm, damals stellvertretender Vorsitzender der SVS. Ihnen folgten nacheinander Olav Ahlbäck, Carl-Eric Thors, Johan Wrede und Lars Huldén von finnischer sowie Gunnar Tideström, Tore Wretö und Barbro Ståhle Sjönell von schwedischer Seite. Für die verschiedenen Bände der Ausgabe zeichnen insgesamt 22 Bandredakteure verantwortlich; im Ganzen übersteigt die Anzahl der Mitarbeiter jedoch die 30. ____________ 1
2
Noch 1969 geht Runeberg ein in eine (etwas bunte) Reihe schwedischer ‚Nationalbarden‘ in Svalans Reihe Svenska Klassiker (Schwedische Klassiker), und in der Reihe Svenska klassiker der Svenska Akademien (Schwedische Akademie) bilden Runebergs Dikter (Gedichte) den zweiten Band (1998). Vgl. Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 27 f. sowie Forssell 2009, S. 138–148. Später ging der Auftrag abwechselnd an Bloms in Lund, Centraltryckeriet, Multiprint und Printaco in Helsinki und Ekenäs in Stockholm.
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Zu Beginn erhielt die Ausgabe regelmäßige Zuwendungen von der Schwedischen Akademie (Svenska Akademien);3 sämtliche Bände erschienen darüber hinaus mithilfe externer Zuschüsse. Ein vereinzelter Hinweis besagt, dass die Editoren zur Durchführung ihrer Arbeit mittels Stipendien seitens der Finnischen Akademie freigestellt wurden,4 doch ist dies eine Ausnahme vom Regelzustand bis zum Ende der 1990er Jahre, als man begann, Mitarbeiter bis zur Fertigstellung fest anzustellen.5 Längst nicht alle Redakteure wurden aus der Runeberg-Forschung rekrutiert; einige hatten über andere Autoren, andere über sprachwissenschaftliche Themen promoviert. Die Edition und ihre Herausgeberschaft stießen jedoch Forschung an und bildeten Wissenschaftler und neue Editoren heran. Tore Wretö, Kjell-Arne Brändström und Krister Nordberg vom literaturhistorischen Seminar Tideströms in Uppsala fungierten sämtlich als Kommentatoren der Ausgabe; Wretö und Brändström promovierten außerdem mit ihren Kommentarbänden (1972, 1977) sowie mit einer kleineren Abhandlung.6 Zuletzt promovierten Michel Ekman separat mit der Abhandlung Kaos, ordning, kaos: människan i naturen och naturen i människan hos J. L. Runeberg (Chaos, Ordnung, Chaos: Der Mensch in der Natur und die Natur im Menschen bei J. L. Runeberg, 2004) und Pia Forssell 2008 mit einer ebendiese Samlade skrifter Runebergs aus textkritischer Perspektive diskutierenden Abhandlung, J. L. Runebergs samlade skrifter i textkritisk belysning. Eine Bearbeitung davon erschien 2009 als Författaren, förläggarna och forskarna. J. L. Runeberg och utgivningshistorien i Finland och Sverige (Der Autor, die Verleger und die Wissernschaftler. J. L. Runeberg und die Editionsgeschichte in Finnland und Schweden). Die Ausgabe umfasst gut 3300 Seiten konstituierten Text und knapp 4500 Seiten textkritischen Apparat. Diese Aufteilung entsprach der Praxis der SVS bis zur neuen, ‚blauen‘ Reihe, bei der die Kommentare in die Textbände eingingen. Die Textbände erschienen in den Jahren 1933–1977 mit Ausnahme des Bandes VIII,2 Uppsatser och avhandlingar på svenska. Journalistik (Aufsätze und Abhandlungen in schwedischer Sprache. Journalistik, 2003) sowie des gesonderten Sammelbandes XIX Varia (2004). Die Kommentare zum ersten herausgegebenen Band Dikter I–III (1933) erschienen heftweise zwischen ____________ 3 4 5
6
Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 31. Bd. XIV, S. 3. Die Einzelbände der Samlade skrifter werden hier und im Folgenden mit den Bandnummern angegeben. Während Bandherausgeber und -redakteure ein einmaliges Honorar erhielten, bezogen die meisten Hauptherausgeber bis zur Abschlussphase der Ausgabe Ende der Neunzigerjahre kein Honorar, vgl. Forssell 2008, S. 112, 115. Vgl. Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 32.
Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs
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1938 und 1953, mithin mit einer Verzögerung von fünf bis 20 Jahren. Der Verzug im Erscheinen des Kommentarbandes zum Textband beträgt zwischen einem und 38 Jahren.7 Die Auflagen betrugen anfänglich 1000 Exemplare für die SVS sowie 2000 Exemplare für die SLSiF, zuletzt jedoch lediglich rund 600 Exemplare für jede der Gesellschaften.8 Sämtliche Teile erschienen noch ungebunden in den unansehnlichen, grauen und weißen Heften der SVS. In dichter Folge kamen die Hefte in den 1970er Jahren heraus sowie beim Endspurt zu Beginn des 21. Jahrhunderts, jeweils in Bezug zu den Jubiläumsjahren 1977 und 2004. Während der Kriegsjahre erschienen nur wenige Hefte; auch in den 1990er Jahren ist ein deutliches Tief zu verzeichnen. Ståhle Sjönell und Forssell sehen dies in einer niedrigen Konjunktur für das Runeberg’sche Werk in den 1980er und 1990er Jahren begründet, aber auch in einem Mangel an editionsphilologischem Nachwuchs.9 Forssell hat in ihrer Abhandlung auf die mangelnde interne Zusammenarbeit sowie auf die geringe textkritische Erfahrung und Ausbildung unter den Bandherausgebern als eine die Ausgabe kennzeichnende Problematik hingewiesen.10 Fest steht, dass die 72 Jahre vom Beginn bis zum Ende nicht nur etliche Herausgeberwechsel, sondern auch Veränderungen der textkritischen Prinzipien und Ausrichtung sowie des textkritischen Bewusstseins mit sich brachten.
2.
Richtlinien
Gesammelte Schriften Runebergs erschienen zu Lebzeiten wie auch nach seinem Tod bei schwedischen und finnischen Verlagen in größerem oder geringerem Umfang, in mehrfachen Auflagen und in unterschiedlicher Zusammenstellung, einiges auch als Raubdruck, und einzelne Werke – nicht zuletzt das Hauptwerk Fänrik Ståls Sägner (Fähnrich Ståls Erzählungen) – erfuhren eine Unzahl von Ausgaben.11 Den ersten Schritt zu einer wissenschaftlich zufriedenstellenden Ausgabe der Werke Runenbergs bildete Samlade arbeten (Gesammelte Arbeiten, 1899–1902), auch „Normalauflage“ genannt, herausgegeben von C. G. Estlander und Hjalmar Appelqvist. Dabei handelt es sich um die einzige Ausgabe, die der ursprünglichen Chronologie der Schriften annähernd ____________ 7 8 9 10 11
Bd. XIX (2004) und XX (2005) bzw. VI (1966) und XV (2004). Vgl. Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 31 Forssell 2009, S. 175 f. Vgl. Forssell 2004, S. 81; 2009, S. 161 f. Vgl. Forssell 2009, S. 165. Für einen kurzen Überblick siehe Forssell 2002, S. 15–22, und 2009, S. 18 f., sowie ausführlicher 2008, Kap. II f.
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folgt. Ihre wissenschaftlichen Mängel lieferten gleichwohl auch den Hintergrund für die Arbeit an den Samlade skrifter. In der Einleitung zum ersten Band (1933) berufen sich Castrén und Lamm auf die Autorität des ursprünglichen Vordenkers der Ausgabe, Werner Söderhjelm, und seine Kritik an der „Normalauflage“. Anders als diese soll die neue Ausgabe die Anforderungen an Vollständigkeit (gedruckte Schriften, Handschriften und Briefe), Variantenapparat und Kommentierung erfüllen. Sie gründe, so die Herausgeber, auf Söderhjelms ursprünglichem Plan, „der auch mit den von dem Schwedischen Literaturverein in seinen Editionen angewandten Prinzipien übereinstimmt“.12 Hinsichtlich der Textkonstituierung heißt es: „Bezüglich der gedruckten Schriften folgt der hier vorliegende Text auch in Orthografie und Kommentierung sorgfältig den von Runeberg herausgegebenen ersten Auflagen“. Schon der Folgesatz, der den Inhalt des Kommentarteils erläutert, benennt allerdings eine Ausnahme: Es sollen „Varianten aus Handschriften und früheren Drucken sowie – soweit diese vorkommen – aus Runebergs später vorgenommenen Änderungen“ dargeboten werden.13 Mit den „ersten Auflagen“ sind mithin die ersten Buchausgaben gemeint, soweit diese auffindbar sind.14 Darüber hinaus sollen die Kommentare sämtliche Änderungen seitens des Editors – einschließlich sogar der Berichtigung offenkundiger Druckfehler – dokumentieren und schließlich „literatur-historische, stilistische und sprachliche Erläuterungen und Anmerkungen“15 liefern. Es liegt auf der Hand, dass die kaum anderthalb Seiten füllende Einleitung keine ausführlichen Richtlinien bietet. Obgleich ihr geringer Umfang gängiger Praxis der Zeit entspricht, gerät sie doch auffallend kurz im Verhältnis zum textkritischen Apparat der Ausgabe. Die knappen Richtlinien wurden, wie häufig der Fall, im Laufe der Jahre so auch zum Gegenstand zahlreicher Kompromisse und Neubeurteilungen.
3.
Grundtext, Aufbau und Leserfreundlichkeit
Die Wahl des Erstdrucks oder der ersten Buchausgabe als Grundtext bedeutet, dass die Ausgabe nicht vollständig den damaligen Prinzipien des Schwedischen Literaturvereins (SVS) entspricht, welche die ‚Ausgabe letzter Hand‘ ____________ 12 13 14 15
Bd. I, S. V. Bd. I, S. V, Hervorhebung durch die Autorin. Vgl. Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 33. Bd. I, S. V.
Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs
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empfahl.16 In der Praxis wie im Prinzip einigten sich beide Gesellschaften im Kern jedoch allmählich auf die literaturgeschichtlich und -soziologisch bedeutsamste Ausgabe, zumeist den Erstdruck. In Bd. VIII, 2, Uppsatser och avhandlingar på svenska. Journalistik (2003), hat man folglich, ungeachtet möglicher späterer Buchausgaben, den Erstdruck der Artikel als Grundtext gewählt, um Runebergs Bedeutung als Journalist in seiner Zeit herauszustellen.17 Andere Ausnahmefälle lassen sich benennen. Der Textband V (1974) einschließlich Fänrik Ståls Sägner ist eine faksimilierte Ausgabe der Erstausgaben von 1848 und 1860; zwischen den beiden Faksimiles ist das aus der Handschrift erstellte Sveaborg eingefügt. Wie die Bandherausgeber selbst feststellen, weichen sie hier von einem kritischen zugunsten eines diplomatischen Editionsprinzips ab, betonen jedoch zugleich, der Unterschied zwischen beiden Prinzipien sei in diesem Fall verschwindend gering.18 Auch beim Handschriftenheft Runebergs, dem „Blåa boken“ in Bd. II, Strödda dikter (Verstreute Gedichte, 1934/35), sahen sich die Editoren genötigt, die Prinzipien aus Vernunftgründen zu umgehen und die Handschrift der ersten gedruckten Ausgabe von 1871 vorzuziehen.19 Der Terminus „Basistext“ erscheint erst im letzten Kommentarband. Durchgängig unterbleibt freilich die Angabe, von welchem Exemplar aus der Text konstituiert wird. Die in der Ausgabe vorgenommene Ordnung des Materials nach Gattungen impliziert, dass auch Bd. I keine textkritische Ausgabe der Erstdrucke von Runebergs drei Gedichtsammlungen darstellt, sondern lediglich eine von Texten anderer Gattungen „gereinigte“ Ausgabe dieser Sammlungen, wie teils aus der Einleitung, teils aus den Kommentaren hervorgeht. Das Prinzip, der ersten gedruckten Buchausgabe zu folgen, läuft also in einigen Fällen der Ordnung nach Gattungen zuwider. Im Ergebnis schwächt dies unweigerlich sowohl die Wahrnehmungsmöglichkeit für die Einheit des Werkes (auf dieser Ebene) als auch die der Chronologie seines Œuvre. Insgesamt kann die Ausgabe nicht zu den überschaubarsten oder leserfreundlichsten Editionen gezählt werden. Dies gilt freilich insbesondere für die ersten, geradezu hermetisch anmutenden Bände. Sie wenden sich, so scheint es, ausschließlich an andere Runeberg-Forscher. Der erste Textband (I) gibt zwar ein Inhaltsverzeichnis zu den im Einzelnen aufgenommenen Gedichten, ____________ 16 17
18 19
Jedoch mit einigen Ausnahmen; vgl. Henrikson 2007, S. 32; Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 33. Allerdings geht die Begründung aus dem Kommentarband nicht hervor, wo Forssell lediglich konstatiert, dem Prinzip des Erstdrucks als Grundtext zu folgen (Bd. XVII, 2 S. 15). Das Argument findet sich hingegen in Forssells und Ståhle Sjönells Darstellung 2006 S. 33. Vgl. Bd. V, S. 2; siehe auch Solstrand-Pippings diesbezügliche Erläuterungen 1991, S. 198– 200, und Forssells Kritik 2009, S. 206. Vgl. Bd. XI, S. 11.
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macht jedoch keinerlei Angaben zu deren ursprünglichem Erscheinungsjahr oder zum Aufbau der Gedichtsammlungen. Die Gedichte werden nahezu als zeitlose Größen präsentiert. Der zugehörige Kommentarband (X) basiert auf einem als selbsterklärend vorausgesetzten Abkürzungs- und Notationssystem für Quellen und Sekundärliteratur und lässt außerdem ein Inhaltsverzeichnis zu seinen insgesamt 586 Seiten schmerzlich vermissen. Langsam, aber stetig verstärkte sich die Berücksichtigung des Lesers. Das Inhaltsverzeichnis zu Bd. X erschien mit der Ausgabe von Bd. XI (1954– 1956); ab Bd. XIII,1 (1963/64)20 findet sich neben dem Inhaltsverzeichnis auch eine Liste der Abkürzungen. Die Textbände beinhalten ab 1966 (VI, Dramatik), mit Ausnahme von Bd. VII, Skönlitterär prosa (1978), die Entstehungsdaten der Texte. Ab 2002 liefern sie außerdem, wie in jüngerer Zeit sämtliche Ausgaben der SVS, eine englische Zusammenfassung (abstract).
4.
Die instabile Textsituation. Auswahl und Ausschluss
Die Textsituation erweist sich im Fortgang der Arbeit als kaum stabil: Neue Zuschreibungen werden vorgenommen, die Einschätzung, inwieweit Runebergs eigene Auswahl zu respektieren sei, ändert sich, und plötzlich tauchen neue oder bislang übersehene Handschriften auf. Als spektakulärster Manuskriptfund gilt das 1977 anonym zur Verfügung gestellte Sveaborg, welches für den Textband zu spät, jedoch rechtzeitig für die Wiedergabe im Kommentar kam.21 Zu Beginn der Arbeit an der Ausgabe war der Großteil der Handschriften in Runebergs Haus in Borgå versammelt. Nach zahlreichen Schwierigkeiten wurden diese zunächst abfotografiert, ehe man sie sehr viel später (1982) in die sichere Verwahrung des Archivs der Schwedischen Literaturgesellschaft überführte.22 Die insgesamt beträchtliche Anzahl der Manuskripte variiert von Gattung zu Gattung; so finden sich etwa zur Journalistik nur wenige erhaltene Handschriften.23 Selbst eine noch so vollständige Ausgabe muss eine Auswahl treffen. Die Briefauswahl ist ein deutliches Beispiel dafür, dass sich das Interesse der Editoren mit den Jahren auf andere Aspekte des Autors und seiner Lebenskreise ____________ 20 21 22 23
Auf ein Gesamtverzeichnis der Hefte des Bandes XII (1971–2004) musste man indessen bis zum letzten Band 2004 warten. Siehe Bd. XIV, S. 281–285. Zu den Schwierigkeiten siehe Forssell/Ståhle Sjönell 2006, S. 30 f. sowie Forssell 2009, S. 148–150. Vgl. XVIII, 2, S. 15.
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verlagerte. In den Kommentaren zu Brev (Briefe, Bd. IX, 1970) gibt Panelius an, eine Anzahl Billette und Karten seien ausgeschlossen worden bis auf „einige Billette von größerem Interesse […] darunter sämtliche an die Frau des Dichters“.24 Forssells Kommentare zu den Varia (Bd. XIX, 2004) votieren für die Hinzunahme der restlichen Billette, da diese u. a. Runebergs kleinbürgerlichen Ton gegenüber seinen Bekannten offenbarten und überhaupt die vielen Gesichter, Register und Strategien des Dichters zeigten.25 Im Gegenzug fallen fortgesetzt andere, offiziellere Schreiben, die nicht die literarischen Werke beleuchten, fort.26 Hinsichtlich der journalistischen Arbeiten hat man mit drei oder vier Prinzipien zugleich operiert: Von Runeberg sicher oder wahrscheinlich Verfasstes sollte herausgegeben werden; aber zudem wollte man ein Bild von Runebergs eigenem Zeitungsprojekt, Helsingfors Morgonblad, das als solches auch andere Mitwirkende einschloss, als Ganzem vermitteln; und schließlich sollte dieses Bild interessanter für die traditionellere Literaturforschung gestaltet werden, indem man Gewicht auf die akademischen und literarischen Beiträge anstelle der „unmaßgeblichen Notizen“27 legte. Zugleich lässt sich hier jedoch auf jene unendliche Sammelstätte verweisen, die ein vollständiges Bild von Runebergs Leistung als Redakteur vermittelt: eine internetbasierte FaksimileAusgabe.28
5.
Kommentare, Änderungen und Variantenapparat
Die Kommentare sind in der Regel unterteilt in einen übergeordneten Kommentar zum gesamten editerten Werk oder Genre einerseits sowie einen generellen Kommentar zu jedem Einzeltext, gefolgt von Stellenkommentaren andererseits. Der generelle Kommentar liefert Erläuterungen zu Erstdruck und Handschriften mit ausführlicher Beschreibung, zu varianten Drucken und späteren Ausgaben, zu Druckherstellung, Auflage, Ergänzungen, Rezeption und Varianten (darunter Eingriffe des Editors), während text- oder werkbezogene Themen wie biografischer Hintergrund, literarische Wirkung, Gattung, Stil, Bildersprache und Metrik wechselweise hier oder im übergeordneten Kommentar platziert sind. Einen festen Bestandteil bilden außerdem beigeheftete Errata sowohl zum Textband als auch zum Kommentarband. ____________ 24 25 26 27 28
Bd. XVIII, S. 5 Bd. XX, S. 8 f. Vgl. Bd. XIX, S. 6. Bd. XVII, 2, S. 9. Vgl. Bd. XVII, 2, S. 10.
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Auch die Emendationsrichtlinien und die Wiedergabe von Varianten wurden mit der Zeit modifiziert. Im ersten Kommentarband heißt es, man folge präzis dem Text von Dikter 1830 und gebe die wenigen editorischen Eingriffe, die zumeist Berichtigungen von Runebergs inkonsequenter Interpunktion darstellen, im Variantenverzeichnis an. Die Eingriffe des Editors zwischen den übrigen Varianten zu finden ist in Bd. 10 jedoch nicht leicht, und verstärkt die sonstige Unzugänglichkeit des Bandes. Ab Bd. XII,I,1 (1971) werden die Eingriffe des Editors generell etwas nachvollziehbarer angegeben. Eine übersichtliche Liste findet sich darüber hinaus in Lyriska översättningar (Lyrische Übersetzungen, Bd. IV,2, 1962) – ein seltenes Beispiel für die Integration eines Teils des Kommentars in den Textband. Trotz der einleitenden Absichtserklärung Castréns und Lamms zeigen die Eingriffe, dass die Editoren nicht lediglich Zeichensetzung und Druckfehler berichtigt, sondern zu einem gewissen Grad auch standardisiert haben. Generell hat man bei der Textkonstitution bis hin zur Ausgabe der journalistischen Arbeiten VIII,2 (2003) eine gewisse „Verbesserung“, d. h. Eingriffe zur Modernisierung, Angleichung und Verdeutlichung, vorgenommen. In einigen Fällen erfolgen die Änderungen, obgleich man sich der Tatsache, somit die dem Autor eigene Orthografie zu berichtigen, sehr bewusst ist.29 Man verbessert sogar in Handschriften die Zeichensetzung, um das Leseverständnis zu erhöhen und den Text einer hypothetischen Veröffentlichung anzunähern.30 Bemerkenswert ist die Tendenz, die Texte in einer Ausgabe zu standardisieren, deren Kommentare durchgehend stilbewusst und sprachwissenschaftlich fundiert sind und in der Regel eine eingehende Kenntnis des Runeberg’schen Sprachgebrauchs aufweisen.31 Die übrigen Variantenverzeichnisse zu Handschriften und anderen autorisierten Drucken sind fallweise gestaltet. Oft beschränken sich die Editoren auf die Anführung dessen, was als bedeutungstragende Variante in Handschriften oder späteren Ausgaben angesehen wird. Einige unterteilen das Verzeichnis in Interpunktionsvarianten und übrige Varianten (etwa Bd. XII,I,1), andere wiederum schließen die erstgenannten gänzlich aus (etwa Bd. XII,I,2). Ein zentraler Bezugspunkt ist hierbei Belfrages Diktum, für Runeberg sei „die Recht____________ 29
30
31
So ändert man beispielsweise „skuta“ zu „skjuta“ sowohl in Idyll och epigram als auch in Strödda dikter, vgl. Bd. X, S. 239 und Bd. XI, S. 145 f., was in beiden Fällen einen zusätzlichen Kommentar zur Folge hat (Bd. X, S. 214 und Bd. XI, S. 147). „Die Interpunktion in hs ist schlampig und entspricht nicht dem, was R im Falle des Druckes des Gedichts gefordert hätte. In SS wurde sie in einigen Fällen, wo der Zusammenhang hierdurch deutlicher wird, verbessert“ (Bd. XII,I,1 S. 44). Mangelnde Genauigkeit bei der Textkontstitution aus den Handschriften ist von Magnus von Platen kritisiert worden; Forssell verweist in ihrer Darstellung auf einzelne Fehler; vgl. Forssell 2009, S. 181, 214 f.
Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs
497
schreibung offenkundig etwas gänzlich Nebensächliches gewesen“.32 Im neuen Jahrtausend (ab Bd. XVI, 2002) führte man, vermutlich im Zuge des generell gestiegenen editionsphilologischen Bewusstseins eigener Vorgehensweisen und der Besinnung auf das Bedeutungspotential der Akzidenzien,33 dennoch ein neues Prinzip zur Vollständigkeit der Variantenverzeichnisse ein. Die Kommentare sind im Übrigen ambitioniert und kenntnisreich. Spürbar ist die Tendenz, Information bei gleichzeitiger Verschlankung der Stellenkommentare zunehmend im generellen und übergeordneten Kommentar bereitzustellen. Die sehr umfassenden Stellenkommentare der ersten Bände stützen zumeist die übergeordnete Deutung von Runebergs Stil und Entwicklung, sodass etwa alle denkbaren Hinweise auf einen pseudoklassischen Stil vermerkt und verhandelt werden. Nur wenige Verszeilen eines Gedichts bleiben unkommentiert, ein gleichlautendes Wort wird mehrfach kommentiert, und man zitiert unbekümmert lange Auszüge möglicher Einflussquellen und früherer Forschung, selbst in solchen Fällen, wo These oder Standpunkt schließlich vom Editor verworfen werden. Insgesamt erweist sich die Forschung in den verschiedenen Teilen der Ausgabe als sehr präsent; es ließe sich sagen, die Ausgabe selbst stelle eine Reihe punktueller Forschungsleistungen dar. Mit den Jahren schwindet die Selbstverständlichkeit im Umgang mit einigen dieser Aspekte des Materials, während hinsichtlich der Gestaltung der Kommentare zugleich Pragmatik einsetzt. Inger Haskå verfährt hier am restriktivsten, benennt jedoch gleichwohl deutlich ihre Richtlinien; sie kommentiert beispielsweise lediglich solche Städtenamen und historische oder mythische Personennamen, die sich „ohne unangemessene Anstrengung“ ermitteln ließen.34 Zugleich zeigen die Kommentare, in welch hohem Grad die Textausgabe der Fortentwicklung der Literatur- und Sprachwissenschaft folgt. In den späten Bänden erweist sich die Redaktionsinstanz als nicht minder präsent, sie praktiziert und demonstriert ihre Autorität lediglich in anderen Deutungsformen. Es ist offenkundig, dass der Überblick sowohl über Runebergs eigene Schriften (hinsichtlich Sprache und Stil) als auch über die Forschung in gleichem Maße abnimmt, wie die Ausgabe und die ohnehin schon umfassende Forschung im Vorfeld umfänglicher werden. Die Herausgeber des Kommentarbands zu Fänrik Ståls Sägner vermerken dankbar Ulla Silfvenius’ Bibliografie zur Runebergliteratur;35 zudem hatte man auf Initiative Lars Huldéns ____________ 32 33 34 35
Bd. XIII,1, S. 34. Vgl. Henrikson 2007, S. 79. Vgl. Forssells Anmerkungen zum Hintergrund anlässlich einer Redaktionskonferenz 2001, 2009, S. 226. Bd. XIII,2, S. 18. Bd. XIV, S. 3, vgl. Solstrand-Pipping 1991, S. 201.
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Gunilla Hermansson
Mitte der 1970er Jahre eine Kartei zu Runebergs literarischem Wortschatz sowie 1990 eine Konkordanz zu den drei Gedichtsammlungen fertiggestellt.36 Solstrand-Pipping bezeichnet diese als Erleichterung, „sprachliche Parallelen aufzufinden oder sich einen Begriff von der Häufigkeit von Wörtern und Ausdrücken und deren Stilwert für Runeberg zu verschaffen“.37 Im Kommentar zur Dramatik (Bd. XV, 2004) verwendet Huldén das Wörterbuch für einen statistischen Vergleich der Dramentexte mit Texten anderer Gattungen – und als Argument dafür, pseudoklassische oder romantische Wörter in den Stellenkommentaren nicht zu kommentieren.38 In diesem Zusammenhang beklagt er: „Es ist auch nicht leicht, einen Überblick zu bekommen, was über seine Sprache und seinen Stil aus den Kommentarteilen zu SS und aus der übrigen Literatur hervorgegangen ist“.39 Kurz vor Abschluss der Edition gab Huldén im Rahmen eines Vortrags anlässlich des Jahrestreffens der SVS 2004 einen Bericht mit dem sprechenden Titel „Den problematiske Runeberg“ („Der problematische Runeberg“). Hier setzte er den Gedanken fort: „Was außerdem geleistet werden sollte, ist ein Register zu den Kommentarbänden. Dies ist keine geringe Aufgabe, doch unterbleibt sie, werden zahlreiche Deutungen und Ansätze in den kleingedruckten Bänden womöglich nie wieder aufgefunden werden“.40 Es sei jedoch angemerkt, dass mit der Umgewichtung von den Stellenkommentaren hin zu den übrigen Teilen der Ausgabe auch der Charakter der Kommentare als eigenständiger Forschung zunehmend deutlicher und einfacher nachzuvollziehen ist.
6.
Ein definitiver Schlusspunkt?
Castréns und Lamms Einleitung von 1933 enthielt das Wort „definitiv“, nämlich als negative Typisierung der „Normalauflage“, welche durch diese allumfassende Ausgabe ersetzt werden sollte.41 In Huldéns Vortrag von 2004 hat das Definitive der Ausgabe eine andere Wertigkeit erhalten: „Es ist eine unglaubliche Arbeit, die mit der Runeberg-Ausgabe geleistet wurde. Es wäre sehr erstaunlich, wenn sich jemand dazu entschlösse, sie noch einmal zu tun.“42 Im gleichen Atemzug benennt er die zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen man ____________ 36 37 38 39 40 41 42
Im Jahr 2004 gab außerdem Beatrice Silén eine Konkordanz zu Fänrik Ståls Sägner mit einem Vorwort von Lars Huldén heraus. Solstrand-Pipping 1991, S. 202. Vgl. Bd. XV, S. 16. Bd. XV, S. 10. Huldén 2007, S. 252. Bd. I, S. V. Huldén 2007, S. 252.
Die Gesammelten Schriften Johan Ludvig Runebergs
499
sich während des Fortgangs der Arbeit konfrontiert sah und die in unentschiedenen Diskussionen und wechselnden Richtlinien resultierten. Parallel zum Umstand, dass die Forschung ihr Augenmerk hin auf Runebergs Vielfältigkeit verschob und nicht zuletzt darauf, wie sich das Runeberg-Bild mit der Zeit bildet und verändert,43 haben auch die Runeberg-Editoren einen anderen Blick auf die Geschichte der Ausgabe und ihre Veränderlichkeit gewonnen. Textkritische Ausgaben gesammelter Werke von solchem Umfang erarbeitet man naturgemäß nur für unbestritten große oder bedeutsame Autoren. Obgleich Runeberg diesen Status nach wie vor genießt, ist das Werk bei Abschluss der Ausgabe 2005 gleichwohl nicht jenes, das es zu Beginn war. Forssell konstatiert: Das abnehmende Interesse für Runebergs Werk, unter Forschern wie seitens der Allgemeinheit, ist für die Forschung insofern spürbar, als die Ausgabe ohne Reaktionen zum Abschluss kam. Das Interesse des gebildeten Publikums spiegelt sich in der Rezeption wieder: von den großen Rezensionen anlässlich des Erscheinens von 44 Dikter 1933 bis zu einem nahezu vollständigen Schweigen.
Dies bezieht sich auf die Ausgabe samt ihrer unbemerkten Unterbrechung in den 1990er Jahren. Betrachtet man die Runeberg-Forschung der letzten Jahre, so besteht kein unmittelbarer Grund, dem Fortleben und der Aktualität des Werkes zu misstrauen; die Forschung hat darüber hinaus in den Samlade skrifter eine unschätzbare Grundlage. Die wechselnden Richtlinien und Dispositionen erfordern außer kritischem Sinn eine gute Portion Geduld, doch sind sie auch im Licht der Arbeitsumstände und ihrer langen Dauer zu sehen. Das Ergebnis bleibt beeindruckend. Mit einem generell wachsenden textkritischen Bewusstsein in der Literaturwissenschaft sollten die Samlade skrifter zukünftig zugleich als Wissensfundus wie auch als Grundlage für weitere Diskussion, neue Erläuterungen und Deutungsweisen unentbehrlich sein. Aus dem Dänischen von Sibylle Söring
____________ 43
44
Siehe Bergman 2004 und Ekram 2004 zum Runeberg-Bild, das sich sowohl in der Forschung als auch in der allgemeinen Auffassung stetig verändert und sich weiterhin zwischen den Polen des edlen Nationalhelden und des kriegsbegeisterten Chauvinisten bewegt. Siehe hierzu Forssells Untersuchungen, die die Mythen um Runebergs finanzielle Verhältnisse rund um die Ausgaben behandeln (2009, S. 86–105 sowie Kap. II). Forssell 2009, S. 184.
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Gunilla Hermansson
Abstract Samlade skrifter av Johan Ludvig Runeberg was published in 20 volumes between 1933 and 2005, and reaching over such a time span, it demonstrates some of the central changes in the recent history of Scandinavian textual criticism. It was a joint venture between Svenska Vitterhetssamfundet (SVS) and Svenska Litteratursällskapet i Finland, and it is the first critical edition of Runeberg’s work. The critical standard was formed by SVS, except for the decision to edit the first printings, which was a modern choice compared to the more common ‘Ausgabe letzter Hand’. Over the years, the edition has become more cautious in correcting the author’s orthography and attentive to ‘insignificant’ variants, and it has also changed its attitude towards its own readers. This may partly be seen as a reflection of the fact, that during the years even the image of the author has changed and this changeability itself has come into focus.
Literaturverzeichnis Editionen Runeberg, Johan Ludvig: Samlade skrifter. Hrsg. von Gunnar Castrén et al. 20 Bde. Helsinki, Stockholm 1933–2005 (Svenska Författare utgivna av Svenska Vitterhetssamfundet XVI; in der SLS-Schriftenreihe sind die Teile einzeln nummeriert).
Sonstige Literatur Bergman, Arne: Runeberg i folktraditionen. In: Källan 2004, H. 1, S. 38–50. Ekram, Carola: Vem är din hjälte? Finlandssvenska skolbarn berättar om sina förebilder och idoler. In: Källan 2004, H. 1, S. 51–60. Forssell, Pia: Om konsten att skapa en nationalskald. J. L. Runeberg och utgåvorna. In: Text och tradition. Om textedering och kanonbildning. Hrsg. von Lars Burman und Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 2002 (Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 4), S. 11–24. Forssell, Pia: Runeberg 200 år – Samlade skrifter 75. In: Källan 2004, H. 1, S. 79–81. Forssell, Pia: Författaren, förläggarna och forskarna. J. L. Runeberg och utgivningshistorien i Finland och Sverige. Helsinki 2009 (Skrifter utgivna av Svenska litteratursällskapet i Finland 726). Forssell, Pia und Barbro Ståhle Sjönell: „… en värkligt definitiv upplaga af Runeberg undanstökad“. In: Källan 2006, H. 1, S. 27–34. Henrikson, Paula: Textkritisk utgivning. Råd och riktlinjer. Stockholm 2007. Huldén, Lars: Den problematiske Runeberg. In: Svenska Vitterhetssamfundet 1907–2007. Historik och textkritik. Hrsg. von Barbro Ståhle Sjönell und Petra Söderlund. Stockholm 2007, S. 243– 254. Solstrand-Pipping, Helena: Språklig kommentar till Fänrik Ståls sägner. In: Textkritik. Teori och praktik vid edering av litterära texter. Hrsg. von Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1991, S. 196–205. Wretö, Tore: Runeberg – en klassiker på flera sätt och vis. In: Historiska och litteraturhistoriska studier 79. Hrsg. Pia Forssell und Johan Strömberg. Helsinki 2004, S. 19–30.
Mats Malm
C. J. L. Almqvist: Gesammelte Werke
1.
Carl Jonas Love Almqvist in wissenschaftlicher Ausgabe
Eines der beiden größten, derzeit laufenden Editionsprojekte in Schweden ist die Ausgabe von C. J. L. Almqvists Samlade Verk (Gesammelte Werke). Der äußerst vielseitige Schriftsteller Almqvist (1793–1866) hat in vielerlei Bereichen einen bedeutenden Einfluss auf die schwedische Literatur und Kultur ausgeübt: von romantischer Metaphysik, dem realistischen Roman und politischer Journalistik bis zu Lehrbüchern und theoretischen Traktaten. Er war nicht nur in verschiedenen Gattungen tätig, sondern hat diese auch auf neuartige Weise miteinander verschmolzen. Teile seines Œuvre sind heute eher unbekannt, dennoch wird eine Reihe seiner Werke ständig neu aufgelegt. Zahlreiche Arbeiten Almqvists sind schon früher in diversen Reihen neu herausgegeben worden, von denen die einzige wissenschaftliche Ausgabe die von Fredrik Böök geleitete war: Samlade Skrifter. In den Jahren 1920–1938 erschienen in dieser Ausgabe 21 Bände (von 32 ursprünglich geplanten). Aus verschiedenen Gründen war es späteren Herausgebern unmöglich, diese Ausgabe fertigzustellen. Sie war nicht als Gesamtausgabe geplant und die Auswahl erwies sich als schwer zu rechtfertigen. Nicht zuletzt waren die Texte modernisiert – und je nach Herausgeber noch dazu nach unterschiedlichen Regeln. Auch die Einleitungen und Kommentare waren nach voneinander abweichenden Richtlinien abgefasst, je nach Gutdünken des zuständigen Bandherausgebers.1 Der Bedarf an einer vollständigen wissenschaftlichen Ausgabe wurde in den 1980er Jahren deutlich spürbar. Die Almqvist-Gesellschaft ergriff die Initiative zu einer solchen, und in der Folge übernahm Svenska Vitterhetssamfundet (der Schwedische Literaturverein) die Verlagsrolle. Die neue Ausgabe erhielt den Titel Samlade Verk, und zum Hauptherausgeber wurde Bertil Romberg, zum stellvertretenden Hauptherausgeber Johan Svedjedal bestellt. Zu diesen traten später Lars Burman und Petra Söderlund als stellvertretende Hauptherausgeber, während Svedjedal die Funktion Rombergs übernahm.2 ____________ 1 2
Die Beschreibung der Ausgabe von Böök resümiert die Probleme, die Bertil Romberg und Johan Svedjedal in Romberg/Svedjedal 1993 [gedruckt 1994], S. 15–21, identifiziert haben. Siehe u. a. Burman 1999, S. 84.
502
Mats Malm
Die frühere Hauptredakteurin in Svenska Vitterhetssamfundet, Barbro Ståhle Sjönell (deren Nachfolgerin nunmehr Petra Söderlund ist), spielte ebenfalls eine wichtige Rolle im Editionsprojekt.
2.
Finanzierung und Organisation
Die Almqvist-Edition wird nicht mit öffentlichen Mitteln finanziert. Die einzelnen Bände werden normalerweise mit Unterstützung der zuständigen schwedischen Forschungsorganisationen gedruckt, und vermutlich leisten die Herausgeber einen guten Teil der Arbeit in der ihnen auf ihren staatlichen Stellen zugebilligten Zeit für Forschung. Jedoch kann vorausgesetzt werden, dass das im Rahmen der Universitätsanstellung zur Verfügung stehende Pensum für die Arbeit an der Edition sehr gering bemessen ist, und etliche Herausgeber haben überhaupt keine solchen Stellen inne. Svenska Vitterhetssamfundet vergütet die Druckmanuskripte, doch steht das Honorar in keinem Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit. Die Hauptredakteurin und die stellvertretende Hauptredakteurin des Vitterhetssamfundet widmen der Almqvist-Edition einen Großteil ihrer Dienstzeit; dazu kommen noch einzelne befristete Arbeitsaufträge. Die Bände werden im Verlag Gidlund verlegt, der für einen breiteren Leserkreis auch modernisierte Ausgaben ausgewählter Werke Almqvists, mit überarbeiteten Kommentaren, herausgibt. Die Hauptherausgeber ziehen für die einzelnen Bände Bandherausgeber heran, koordinieren die Arbeit, nehmen sich aufkommender Probleme an und veranstalten Herausgebertreffen. Auch als Bandherausgeber haben die Hauptherausgeber einen großen Einsatz geleistet: von den bis Ende 2007 neunzehn erschienenen Bänden verantworten sie vierzehn. Die Finanzierungssituation ist begreiflicherweise alles andere als ideal, und große Teile der Arbeit müssen auf ideeller Basis geleistet werden. Andererseits, und angesichts der wirtschaftlichen Gegebenheiten, muss die Effektivität des uneigennützigen Engagements der Herausgeber hervorgehoben werden. Das Projekt ist jährlich mit ein bis zwei Bänden vorangeschritten, jedoch gibt es keinerlei finanzielle Garantien für die Zukunft.
3.
Planung und Editionsprinzipien
Im Jahr 1993 erschien der erste Band (als Bd. 21) von Samlade Verk. In der Nummer desselben Jahres der Zeitschrift Samlaren. Tidskrift för svensk litteraturvetenskaplig forskning (Der Sammler. Zeitschrift für schwedische literatur-
C. J. L. Almqvist: Gesammelte Werke
503
wissenschaftliche Forschung) publizierten die Hauptherausgeber den Beitrag „Carl Jonas Love Almqvists Samlade Verk. Planer och principer“ („Carl Jonas Love Almqvists Gesammelte Werke. Planung und Editionsprinzipien“).3 Wie aus der Planung hervorgeht, zog man Nutzen nicht nur aus Erfahrungen mit der früheren Almqvist-Ausgabe, sondern auch aus den Schlussfolgerungen, die aus anderen großen schwedischen Editionsprojekten gezogen werden konnten, nämlich denen zu August Strindberg, Carl Michael Bellman und Esaias Tegnér. Die Editionsprinzipien standen zudem in Einklang mit der Entwicklung, die innerhalb der Editionsphilologie, vor allem der angelsächsischen, stattgefunden hatte. Der Autorintention wurde nicht mehr die dominierende Stellung eingeräumt, die viele frühere Ausgaben geprägt und zur Wahl der Ausgabe letzter Hand als Basistext geführt hatte. Nur sehr wenige Druckmanuskripte sind erhalten, doch wären diese als Basistext ohnehin nicht in Frage gekommen. Stattdessen gehen Almqvists Gesammelte Werke vom Erstdruck des betreffenden Textes aus, d. h. der Fassung, die gesellschaftlich gesehen am stärksten gewirkt hat. Dazu berücksichtigt man die Autorintention, indem man offenbare Fehler korrigiert und indem man danach strebt, den Text in einer Form wiederzugeben, die Almqvist vermutlich den Lesern hätte vorlegen wollen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist eines der beiden Lehrbücher, die laut Plan in ihrer Gänze in die Ausgabe eingehen sollen, nämlich Svensk Språklära (Schwedische Sprachlehre), deren 3. bearbeitete Auflage von 1840 zugrunde gelegt werden soll.4 Der vermutliche Grund hierfür dürfte sein, dass es sich nicht um ein literarisches Werk, sondern um ein Lehrbuch handelt, doch wird die Wahl nicht begründet. Der Almqvist-Ausgabe ist eine ziemlich umfassende theoretische und methodologische Diskussion über Editionsprinzipien vorausgegangen; die Edition hatte überhaupt den Anlass zu diesen Erörterungen geliefert. In mehreren Artikeln haben die Hauptherausgeber Prinzipien und Probleme diskutiert.5 Hier wird der literatursoziologische Grundgedanke, der das Projekt prägt, eingehender entwickelt. Großen Einfluss hat dabei der Textbegriff Jerome McGanns ausgeübt.6 Die frühere Ausgabe Samlade Skrifter war, zeitgebunden, von einem stärker auf die Autorintention gerichteten Fokus geprägt. Die Materiallage ____________ 3
4 5 6
Romberg/Svedjedal 1993, zuvor Romberg 1991. Es gibt auch laufend aktualisiertes internes Arbeitsmaterial mit Ratschlägen und Richtlinien für die Bandherausgeber. Da die hierin gemachten Erwägungen nicht veröffentlicht sind und auch in keiner endgültigen Form vorliegen, schließe ich sie hier nicht in meine Überlegungen ein. Romberg/Svedjedal 1993, S. 25. Siehe Romberg 1991, Svedjedal 1991, Svedjedal 1997, Svedjedal 1999, Burman 1995, Burman 1999. McGann 1983. Siehe Burman 1999, S. 97. Nuancierungen hinsichtlich McGann in Svedjedal 1991, S. 59–62.
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Mats Malm
jedoch – das Fehlen von Handschriften – brachte es mit sich, dass die Erstausgabe schon früher eine ‚natürliche‘ Vorlage gewesen war. Für die im Jahr 1994 formulierten Editionsprinzipien hat einerseits die durchschlagende Kraft des entstehungssoziologischen Arguments, andererseits das Augenmerk auf die Autorintention die Wahl der Erstausgabe als Basistext veranlasst. Da allerdings so häufig Kartons vorkamen (siehe unten), bedurfte es hier noch einer Nuancierung: Es ist nicht einfach die Erstausgabe, die den Basistext liefert, sondern „die revidierte Form der Originalausgabe ist der angemessenste Basistext“.7 Es leuchtet zwar ein, dass man sich nicht einfach daran orientiert, in welcher Form der Autor das zum Druck abgelieferte Manuskript dem Publikum beim Erstdruck vorlegen wollte, sondern dass man sich außerdem auch nach dem von ihm in der Folge noch überprüften Text richtet. Manchmal ist allerdings unklar, ob diese Autorintention auch dem entsprach, was das Publikum tatsächlich rezipierte. Bei der Kollation von Teil X der Duodezauflage Törnrosens bok (Dornröschens Buch) stellte der Herausgeber fest, dass eines von acht untersuchten Exemplaren einen Karton mit einen Zusatz von 15 Zeilen enthielt. Dies war demnach der revidierte Zustand, und da außerdem die revidierte Fassung kurz darauf in einer Zeitung veröffentlicht wurde, sollte dieses Exemplar den Basistext abgeben (SV 8, S. 392 f.). Man fragt sich allerdings, wie viele Leser die revidierte Fassung der Erstausgabe tatsächlich zu Gesicht bekamen. Wenn nur eines von acht geprüften Exemplaren einen Karton enthält, ist es denkbar, dass dessen Verbreitung sehr gering war.8 In den textkritischen Kommentaren wird großes Gewicht auf buchgeschichtliche Umstände sowie die handwerkliche Fertigung der Ausgaben gelegt. Man geht davon aus, dass auch die materielle Beschaffenheit des Buches – typografische Gestaltung, Layout, Umschlag, Format etc. – eine Rolle spielt und die Rezeption des Werkes beeinflusst. Wie die Herausgeber betonen, können die verschiedenen bedeutungstragenden Dimensionen der handwerklichen Buchgestaltung in einer wissenschaftlichen Ausgabe zwar nicht wiedergegeben werden, doch ist es zumindest möglich, sie sorgfältig zu beschreiben.9 In einzelnen Bänden werden mit Gewinn einige Seiten aus der Originalausgabe im Faksimile wiedergegeben. Geplant wurde die Ausgabe auf 51 Bände, wovon Ende 2007 neunzehn vorlagen. Die Planung im Verhältnis zur praktischen Tätigkeit wird unten ausführlicher erörtert. ____________ 7 8 9
Burman 1999, S. 89. Das allgemeine Problem wird in Burman 1999, S. 96 erörtet. Svedjedal 1991, S. 50; Burman 1999, S. 93–95.
C. J. L. Almqvist: Gesammelte Werke
4.
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Die Textlage
Almqvist herauszugeben ist insoweit einfach, als die Druckmanuskripte nur äußerst selten erhalten geblieben sind. Aus anderer Perspektive ist das Unterfangen jedoch insofern kompliziert, als Almqvist die Werke oft umarbeitete, und zwar nicht nur, wenn sie neu aufgelegt werden sollten, sondern auch, wie oben geschildert, wenn er Änderungen während des laufenden Drucks vornahm. Die Änderungen zwischen Auflagen vervielfältigen sich des Weiteren noch dadurch, dass Almqvist große Teile seiner Werke in das umfassende Rahmenwerk Törnrosens bok einfügte: teils in einer Duodezauflage in vierzehn Teilen (1833–1851), teils in einer „Imperial-Oktavauflage“ in drei Teilen (1839– 1850). Etliche Werke sind also in einem solchen Ausmaß umgearbeitet worden, dass es nicht ausreicht, die Varianten bloß aufzulisten. Man hat stattdessen vorgezogen, die einzelnen Fassungen in separaten Ausgaben zu veröffentlichen. So wird zum Beispiel der kontroverse Roman Det går an (deutsch Die Woche mit Sara) in drei Ausgaben ediert: die 1838 gesetzte, aber noch vor der Veröffentlichung zurückgezogene Fassung (SV 21), danach die 1839 erschienene Fassung (SV 22) sowie schließlich die in Törnrosens bok im Jahr 1850 veröffentlichte Fassung (SV 14). Dem Plan ist zu entnehmen, dass der Variantenapparat dahingehend eingeschränkt wird, dass nur Varianten im Vergleich zur jeweils nachfolgenden Ausgabe verzeichnet werden; eine ausführlichere Darstellung sei schwer durchführbar. Dies bringt allerdings mit sich, dass eine Verzeichnung der Varianten zwischen der ersten und der letzten Ausgabe entfällt. Änderungen innerhalb derselben Auflage können beispielsweise darin bestehen, dass der Satz im Verlauf des Drucks geändert wurde, so dass in einzelnen Exemplaren derselben Ausgabe Wörter korrigiert oder ausgetauscht erscheinen. Wie bereits erwähnt, hat es sich weiter gezeigt, dass Almqvist oft einzelne Blätter ganz einfach auswechselte. Lars Burman hat sich im Anschluss an die Beobachtungen von Rolf Du Rietz mit der Problematik der Almqvistschen Kartons auseinandergesetzt.10 Es ist derzeit noch unbekannt, in wievielen Werken Almqvist derartige Änderungen vornahm. Autoreingriffe solcher Art stellen an den Herausgeber jedoch besondere Anforderungen hinsichtlich der Kontrolle der materiellen Beschaffenheit unterschiedlicher Exemplare. Das Wissen um Almqvists ständige Umarbeitungen hat zur Folge, dass man regelmäßig eine Anzahl Exemplare derselben Ausgabe untersucht, um eventuelle Differenzen aufzudecken. In einem Fall wie dem Erstsatz der ____________ 10
Burman 1995.
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Mats Malm
poetischen Fuge Amorina, der nie zur Veröffentlichung gelangte und in nur sechs Exemplaren erhalten ist, konnte der Herausgeber sämtliche Exemplare überprüfen (SV 4). In der Regel werden fünf bis zehn der am leichtesten zugänglichen Exemplare zur Kontrolle herangezogen. Eine solche Überprüfung varianter Mehrfachexemplare kann selbstverständlich nicht flächendeckend erfolgen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass alle Varianten entdeckt werden. Das Ziel an Genauigkeit ist aber so hoch gesteckt, wie unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit überhaupt möglich ist. In der Regel erscheint die Wahl des Basistexts unkompliziert, jedoch nicht immer. Im obengenannten Band X von Törnrosens bok wurde, wie gesagt, ein bestimmtes von acht Exemplaren als Basistext gewählt, da es einen Karton enthielt. Allerdings war dieses Exemplar am Anfang beschädigt, so dass es nicht zur Gänze den Basistext hergeben konnte. Ersatzweise wurde ein weiteres Exemplar herangezogen, was den Basistext unausweichlich kontaminierte.
5.
Grundtext – Basistext – Varianten
Der im Jahre 1994 veröffentlichte Editionsplan ging auf Erwägungen zurück, die Johan Svedjedal 1990 auf einer Tagung geäußert hatte. Seitdem sind während der letzten Jahre Editionsprinzipien und Methoden in einer Reihe von Artikeln weiterdiskutiert worden.11 Die Wahl des Basistexts geht – wie oben dargelegt – nicht von der Autorintention aus, sondern von der Auffassung vom Text als einem sozialen Produkt, dessen größte gesellschaftliche Durchschlagskraft mit der ersten Auflage erzielt wird. Es ist also McGanns Textbegriff, der hier in erster Linie zugrunde liegt. Trotzdem wird in zweiter Linie auch die Autorintention mit einbezogen: Man versucht, „den Text zu konstituieren, den Almqvist, wie anzunehmen ist, seinen Lesern bei der Veröffentlichung zuteil werden lassen wollte.“12 Die Wahl des Terminus ,Basistext‘ war inspiriert von der Theorie W. W. Gregs über den Einfluss der druckinternen Arbeitsvorgänge auf den Text.13 Es sei zu erwarten, dass Setzer und andere Beteiligte keine bedeutungstragenden Textelemente änderten, dagegen aber Orthografie, Interpunktion u. a. oft korrigierten, und demnach meinte Greg, dass man als Basistext – ,copy-text‘ – eine frühe Fassung verwenden solle, die des Autors eigene Orthografie und Interpunktion – ‚accidentals‘ – spiegele; wenn schon nicht vollständig, so doch immerhin in größtmöglichem Ausmaß. ____________ 11 12 13
Svedjedal 1991, Burman 1995, Svedjedal 1997, Svedjedal 1999, Burman 1999. Romberg/Svedjedal 1993, S. 21. Ich habe selbst den Terminus ,Basistext‘ verwendet, um der Diskussion der Almqvist-Ausgabe zu folgen.
C. J. L. Almqvist: Gesammelte Werke
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Dagegen könne man Wörter, bedeutungstragende Einheiten – ‚substantives‘ – mit Hilfe späterer Ausgaben korrigieren. Svedjedal betont, dass man sich, indem man den Terminus ,Basistext‘ verwende, der Gesamtauffassung Gregs – wesentlich mehr auf die Originalversion eingestellt als diejenige McGanns – nicht uneingeschränkt anschließen müsse.14 In der Almqvist-Edition jedenfalls ist diese Bezeichnung die vorherrschende gewesen. Eindeutiger zeigt sich der Einfluss Gregs in der Gepflogenheit, den Variantenapparat in zwei Teile aufzuteilen: einen mit ‚substantives‘, den anderen mit ‚accidentals‘. Auch diese Aufgliederung braucht nicht als ein Bekenntnis zur Methodik Gregs interpretiert zu werden, doch geschieht es zum ersten Mal in der schwedischen Editionspraxis, dass der Variantenapparat auf diese Weise aufgeteilt wird.15 ‚Substantives‘ werden gewöhnlich als „bedeutungstragende Varianten, z. B. in der Wortwahl“ definiert, ‚accidentals‘ dagegen als „nicht-bedeutungstragende Varianten von Orthografie und Satzzeichen“ (in den verschiedenen Bänden unterscheiden sich die Erklärungen etwas voneinander). Die Unterscheidung der verschieden gearteten Varianten führt zu größerer Übersichtlichkeit für den Leser. Dies hat allerdings Ungenauigkeit zur Folge, da Interpunktion oder der Gebrauch von Versalien den Textinhalt definitiv beeinflussen können. Dieses Problems ist man sich sehr bewusst. Burman weist sogar auf Belege hin, die zeigen, dass Almqvist als Schriftsteller es ungewöhnlich genau mit solchen Details nahm. Burman hebt auch hervor, dass man deshalb in der Almqvist-Edition allmählich immer weniger zu Folgeänderungen bereit war.16 Die Einteilung in bedeutungstragende und nicht-bedeutungstragende Elemente vereinfacht die Lektüre für denjenigen Benutzer, der nur an sinntragenden Änderungen interessiert ist, doch verursacht die Einteilung an sich auch Folgeprobleme. Sollen zum Beispiel Anführungszeichen als sinntragend gewertet werden? Oft bemerkt man diese nicht einmal, doch sie markieren trotzdem, dass eine andere Person spricht, und können deshalb die Perspektive verschieben. In den Gesammelten Werken kommt es vor, dass Anführungszeichen sowohl unter ‚accidentals‘ wie unter ‚substantives‘ verzeichnet werden. In den beiden zuletzt erschienenen Bänden wird nicht der Terminus ,Basistext‘, sondern die Bezeichnung ,Grundtext‘ verwendet. In Band SV III,1, der im Unterschied zu den früher erschienenen Bänden auf Handschriften basiert, erklärt der Herausgeber, dass die Termini ‚substantives‘ und ‚accidentals‘ nicht verwendet werden, da die Ausgabe ungedruckte Werke enthält und des____________ 14 15 16
Greg 1950; Svedjedal 1999, S. 26–31; vgl. Svedjedal 1991, S. 48 f., 59 f. Svedjedal 1999, S. 30. Burman 1999, S. 87–89.
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Mats Malm
halb nicht auf eine Theorie zurückgreifen kann, die besagt, dass Orthografie und Interpunktion nicht unbedingt dem Autor zuzuschreiben sind, sondern vom jeweiligen Setzer stammen können.17 Trotzdem werden die Varianten auf die gleiche Art aufgeteilt, nur unter anderen Rubriken. Der Gebrauch des Terminus ,Grundtext‘ scheint hier ein ähnliches Abstandnehmen vom Greg’schen System zu spiegeln. Da man aber schon zuvor der Ansicht war, dass der Ausdruck ,Basistext‘ nicht die Übernahme des ganzen Systems nach sich ziehe, hätte man die Terminologie auch hier beibehalten dürfen. Die Gründe dafür, warum in Band SV 16, der das theoretische Werk Om Svenska Skolsystemet (Über das schwedische Schulsystem) enthält, der Begriff ,Basistext‘ durch den Terminus ,Grundtext‘ ersetzt wurde, sind weniger deutlich.18 Die Konstituition von Handschriften in SV III,1 gab – und gibt – Anstoß zu neuen Erwägungen bezüglich der Wahl des Grundtextes. Das Prinzip, denjenigen Text zu konstituieren, den Almqvist dem Leser beim Erscheinen des Werkes vorlegen wollte, kann mit Vorteil auch auf die handschriftliche Fassung übertragen werden, die Almqvist zur Verbreitung z. B. in einem Sammelheft vorgesehen hatte. Daher wählt man als Grundtext die frühest datierte Reinschrift; andere Reinschriften werden im Variantenverzeichnis aufgeführt.19 Neben das Problem, wie sicher Reinschriften datiert werden können, stellt sich die Frage, wie eindeutig man eine Reinschrift von anderen Fassungen unterscheiden kann: Handelt es sich um eine Reinschrift, wenn keinerlei Korrekturen, Änderungen oder Kommentare von Almqvists Hand vorliegen? Einigen Kommentaren nach zu urteilen ist die Unterscheidungsgrenze so nicht zu ziehen. Das Prinzip, frühere Stadien beispielsweise eines Gedichtes zu vermeiden, ist zwar praktisch, doch ist dabei Folgendes zu bedenken. Da man, wenn Reinschriften fehlen, frühere Fassungen heranziehen muss, wird man auf jeden Fall Textkonstitutionen, die auf Reinschriftfassungen fußen, mit solchen vermischen müssen, die auf nicht reinschriftlichen Versionen basieren. Gewisse literarische Fragmente wurden ausgeschlossen, doch wird beschrieben und gegebenenfalls kommentiert, wenn so verfahren wurde.
6.
Die Kommentare
In ihrer Struktur sind die Bände sehr konsequent angelegt. Gemäß der Planung sollen sie die Abschnitte Einleitung, Hintergrund/Präsentation, Entstehung, ____________ 17 18 19
SV III,1, S. 239–241. SV 16, S. 158. SV III,2, S. 239.
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frühere Ausgaben, Rezeption, Almqvists eigene Aussagen zum Werk sowie relevante Forschung umfassen. In den verschiedenen Bänden variieren die Unterrubriken beträchtlich, doch ganz abgesehen davon, ob verschiedene Punkte gesondert rubriziert sind oder nicht, werden sie mit Sorgfalt behandelt. Danach folgt der Text Almqvists und abschließend das Kapitel „Varianten und Kommentare“, das in den verschiedenen Bänden größtenteils gleichartig organisiert ist, jedoch von den Erfordernissen des spezifischen Materials ausgeht. Ansonsten werden eher weniger einsichtige Variationen geboten: Die Rubrizierung in diesem letzten Kapitel und dessen Unterkapitel weichen in SV 27 etwas von der Mehrzahl der übrigen Bände ab; in SV 6 wurde ein Namenregister erstellt; in SV 23 und 25 findet sich die Sektion „Alphabetisches Register wiederholt vorkommender Wörter“. Es handelt sich dabei z. B. um ungewöhnliche, schwerverständliche oder veraltete Ausdrücke. Die Absicht ist, dasselbe Wort nicht mehrmals erklären zu müssen, doch wäre es von Vorteil, wenn die Worterklärungen im alphabetischen Register zu finden wären und nicht nur Hinweise auf die Seite, auf der das jeweilige Wort vorkommt. Bei der jetzigen Gliederung muss man die angegebene Seitennummer in der Sektion mit den Worterklärungen suchen. Es wird nicht erklärt, weshalb ein solches Register gerade in diesen Bänden vonnöten ist. Zuweilen wird geltend gemacht, dass eine Ausgabe keine Interpretationen des jeweiligen Werks oder Referate über solche einschließen solle, denn derlei könne den Leser in allzu hohem Maß steuern. Man meint, dass eingefahrene Denkbahnen über das Œuvre vermittelt werden könnten, die alternative Verständnismöglichkeiten blockieren. Riskiert werde zudem, dass eingebürgerte Deutungen als besonders endgültig aufgefasst würden, indem sie zusammen mit dem betreffenden Quellentext vermittelt würden.20 Ein weiteres Risiko sei, dass die Leser der Ausgabe ein bedeutend umfangreicheres – und andersartiges – Hintergrundwissen vermittelt bekommen, als es der zeitgenössische Leser hatte. Allzu rigoros eingenommen, würde eine solche Haltung dazu führen, das Lesepublikum für unmündig zu erklären, und dies hat die Almqvist-Edition nicht im Sinn, sie wird in den Kommentaren daher auch nicht zu weitschweifig. Das Bestreben ist hier, in jeder Einleitung „durch kurzgefasste Referate und Hinweise eine Zusammenfassung zu geben“, so dass der Leser daran anschließend eigene Wege einschlagen kann. Die Einleitungen und Worterklärungen vermitteln prägnante Erläuterungen zu Strömungen und Zusammenhängen der Forschung innerhalb und außerhalb des Werkzusammenhangs. Gemäß der Planung werden die Kommentare insgesamt auf ca. zehn Prozent ____________ 20
Siehe z. B. Martens 1993.
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des Gesamtumfangs begrenzt, was ein gutes Verhältnis darstellt.21 Nachdem einige Bände bereits erschienen waren, ging man dazu über, die Einleitung mit römischen Ziffern zu paginieren und den Almqvist’schen Text auf Seite 1 zu beginnen, was einen besseren Überblick gestattet. Von großem Vorteil ist, dass die gesamte Kommentarsektion sowie alle Varianten im selben Band wie der Werktext erscheinen. Nur allzu häufig sind die Beispiele anderer Ausgaben, bei denen man oft viel zu lange auf den Kommentarband warten muss – oder ihn überhaupt nie zu sehen bekommt.
7.
Gliederung der Gesammelten Werke
Die Edition von Almqvists Gesammelten Werken ist auf Vollständigkeit hinsichtlich der gedruckten und ungedruckten literarischen Werke wie auch größtenteils des übrigen Materials angelegt. Bei einem derart umfangreichen Projekt ist die Gliederung kompliziert, nicht zuletzt dadurch, weil Almqvist die Tendenz hatte, die Texte in den Gattungen, in denen er sich bewegte, zu mischen und wieder zu verwenden: in Prosa, Lyrik, Liedern, Dramen, Abhandlungen und gesellschaftsorientierten Texten verschiedener Art (z. B. politischen Essays mit Analysen), Lehrbüchern, darüber hinaus Briefen und journalistischen Texten. Die Ausgabe ist chronologisch geordnet, in gewissem Ausmaß auch nach Gattungen: zuerst die Jugendwerke, danach Törnrosens bok in der Duodezauflage, dann Törnrosens bok in der Imperial-Oktavauflage, gefolgt von Werken, die diesen Rahmenwerken nicht einverleibt wurden. Daran schließen sich andere Dokumente und deutlicher abgegrenzte akademische Abhandlungen, Lehrbücher und anderes an, zuletzt journalistische Texte und Briefe. Bei Material, für das Almqvists Autorschaft nicht eindeutig feststeht, wird prinzipiell nur das aufgenommen, was ihm mit Sicherheit zugeschrieben werden kann. Dies ist ein stringenteres Vorgehen als sonst vielleicht in Editionsbelangen üblich, wo man alles, was vom Autor stammen könnte, einbeziehen möchte. Zugleich wird man akzeptieren müssen, dass im Falle der Almqvist-Edition manches von ihm tatsächlich Geschriebene herausfällt. Im Plan von 1994 wurde der Inhalt der konzipierten 51 Bände präzisiert. Seither sind verständlicherweise gewisse Änderungen vorgenommen worden. Demnach wurde die Ausgabe etwa in Abteilungen aufgegliedert. Aus dem Band mit Almqvists ungedruckten Werken der Jahre 1806–1817 (erschienen 2006) geht hervor, dass die Ausgabe nunmehr vier Unterabteilungen umfasst: II: Journalistik; III: Ungedruckte Werke; IV: Briefe; V: Lehrbücher. Die unge____________ 21
Romberg/Svedjedal 1993, S. 23.
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druckten Werke 1806–1817 werden dadurch Gesammelte Werke, Abteilung III,1. Almqvists unterrichtspolitisches Werk Om Svenska Uppfostringsväsendet (Über das schwedische Erziehungswesen) sollte ursprünglich auszugsweise in einem Band zusammen mit Einleitungen zu einer Anzahl von Almqvists Lehrbüchern erscheinen (SV 39). Stattdessen wurde es im Jahr 2007 vollständig als SV 16 veröffentlicht. Die Gliederung der Gesammelten Werke wurde also umgestaltet, was jedoch kaum als Nachteil anzusehen ist. Es wäre erstaunlich, wenn neue Einsichten keine Änderungen mit sich brächten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich die Gesamtzahl der Bände erhöhen.
8.
Stimmigkeit
Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass die Ausgabe Samlade Verk nicht in allem konsequent geblieben ist im Hinblick auf die übergreifende Struktur der Bände, die Rubrizierungen, die Gliederung der Einleitungen und Kommentarteile u. a. m. (Sogar ein Oberflächendetail wie die Einbandfarbe kann variieren.) In bestimmten Fällen macht die Beschaffenheit des Materials Abweichungen notwendig, und unter solchen Umständen wäre Anpassungsverweigerung Ausdruck unangebrachter Starrheit. In anderen Fällen scheint es an guten Gründen für Abweichungen zu mangeln, doch ist dies kein Anlass zu übertriebener Kritik. Die Ausgabe war von vornherein gut vorbereitet, und es zeugt von Stärke, Prinzipien bei erwiesener Notwendigkeit zu ändern. Es müssen vor allem die Voraussetzungen des Projekts abgewogen werden. Die Arbeit wurde von einer Reihe von Herausgebern mit unterschiedlicher Fachkompetenz geleistet, ganz einfach deshalb, damit die Ausgabe trotz mangelhafter Finanzierung überhaupt zustande kommen konnte. Vor diesem Hintergrund muss das Resultat als sehr gut bezeichnet werden.
9.
Zugänglichkeit
Die normale Begründung für die Modernisierung des Textes in Editionen ist, dass diese für ein größeres Publikum lesbar gemacht werden sollen, wodurch man aber einen Großteil des wissenschaftlichen Wertes opfert. Die Gesammelten Werke Almqvists lösen dieses Problem durch doppelte Ausgaben: 1) einer Edition mit dem orthografisch ursprünglichen Text, mit einer Einleitung, Sachund Worterklärungen und einem textkritischen Kommentar sowie 2) einer behutsam modernisierten Edition mit einem modifizierten Kommentarteil, für kommerzielle Zwecke gedacht. In der modernisierten Ausgabe werden auch
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nicht alle Texte veröffentlicht. Diese Gesamtlösung vermeidet alle Kompromisse und ist vollkommen funktional. Wäre die Ausgabe heute geplant worden, ist zu vermuten, dass nur die kommerzielle Ausgabe gedruckt worden wäre, während man die wissenschaftliche Edition im digitalen Medium angeboten hätte. Zur Zeit des Projektentwurfs waren die digitalen Möglichkeiten noch sehr unklar, doch begann man bald, wissenschaftliche Ausgaben im Internet zugänglich zu machen, suchund lesbar im HTML-Format. Als Svedjedal Almqvist im Internet vorstellte, war die Almqvist-Edition das größte Hypertextprojekt in Schweden.22 Die Texte wurden über Språkbanken (Sprachbank) der Universität Göteborg zugänglich gemacht. In Zusammenhang damit, dass Språkbanken neue Grundformate in Einklang mit TEI (Text Encoding Initiative) entwickelte, wurde der alte Webplatz durch Almqvists Samlade Verk in der Literaturbank (http://litteraturbanken.se) ersetzt. Hier kann man die Werke online lesen, im ganzen Material oder Teilen davon suchen oder die Ausgaben als PDF-Dateien herunterladen.
10.
Die Bedeutung der Ausgabe
Das schriftstellerische Werk Almqvists war schon vor dem Editionsprojekt ein vergleichsweise beliebtes Forschungsgebiet. Doch die Gesammelten Werke haben das Interesse noch beträchtlich verstärkt, und nicht nur deshalb, weil Almqvist tatsächlich in zuverlässigen wissenschaftlichen wie auch populären Ausgaben zugänglich wurde. Das Editionsprojekt hat sich auch zu einer Forschungslandschaft entwickelt, in der sich etablierte Forscher engagiert haben und das auch junge Kräfte angelockt hat. Neue Forschungsideen haben sich daraus entwickelt: So erschien beispielsweise SV 19, Menniskoslägtets saga (Die Sage vom Menschengeschlecht) als Teil eines durch Riksbankens Jubileumsfond (Jubiläumsfonds der Schwedischen Reichsbankstiftung) finanzierten Projekts, woraus zudem eine Doktorarbeit über Almqvist und die Rhetorik erwuchs.23 Doch die Gesammelten Werke haben nicht nur das Interesse an der Person Almqvists und seinem Werk gestärkt. Das Projekt hat in Schweden auch das Interesse für die Editionsphilologie stimuliert und Aufmerksamkeit auf deren Möglichkeiten gelenkt. Die Hauptherausgeber haben auf mehreren Foren die theoretische und methodologische Diskussion vertieft und sich in Diskussio____________ 22 23
Svedjedal 1997; Burman 1999, S. 85. Viklund 2004.
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nen über Probleme, auf die sie gestoßen waren, sehr offen und großzügig verhalten. Das Projekt hat sich als Teil eines stetig wachsenden Interesses für wissenschaftliche Editorik in Schweden und in den nordischen Ländern entwickelt. Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract Carl Jonas Love Almqvist. Collected Works is one of the major editorial projects in Sweden. Apart from the present general editor and the two assistant editors, a range of scholars participate as volume editors. Out of 51 planned volumes, 19 have hitherto been published. The project receives no public funding, but printing is usually funded by the research councils. The basic editorial principle is to establish that text which Almqvist is likely to have intended his readers to meet. As manuscripts and proofs rarely survive, the first printing is as a rule selected as base text, with subsequent printings accounted for as variants or, in some cases, separately edited. This contribution identifies some problems, but concludes that under its given conditions the project has so far been carried out prosperously. It was well prepared and has inspired discussion and practice of editorial scholarship.
Literaturverzeichnis Almqvist, Carl Jonas Love: Samlade Verk. Hrsg. von Svenska Vitterhetssamfundet in Zusammenarbeit mit Almqvistsällskapet (Lars Burman, Olof Holm, Anders Öhman, Bertil Romberg, Johan Svedjedal, Petra Söderlund und Jon Viklund). Stockholm 1993 ff. [= SV]. Burman, Lars: Kancellanserna i C. J. L. Almqvists Amalia Hillner (1840). In: Tidskrift för litteraturvetenskap 1995, H. 2, S. 47–54. Burman, Lars: Det enkla valet. Följderna av en oproblematisk textsituation. In: Vid texternas vägskäl. Textkritiska uppsatser. Hrsg. von Lars Burman und Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1999 (Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 1), S. 83–99. Greg, W. W.: The Rationale of Copy-Text. In: W. W. Greg: Collected Papers. Hrsg. von J. C. Maxwell. Oxford [1950] 1966, S. 374–391. McGann, Jerome: A Critique of Modern Textual Criticism. Chicago 1983. Martens, Gunter: Kommentar – Hilfestellung oder Bevormundung des Lesers? In: editio 7, 1993, S. 36–49. Romberg, Bertil und Johan Svedjedal: Carl Jonas Love Almqvists Samlade Verk. Planer och principer. In: Samlaren 1993 [gedruckt 1994], S. 15–26. Romberg, Bertil: Presentation av Almqvistutgivningen. In: Textkritik. Teori och praktik vid edering av litterära texter. Hrsg. von Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1991, S. 125–137. Svedjedal, Johan: Textkritisk litteraturteori. Några linjer i svensk och anglosaxisk textkritisk debatt. In: Textkritik. Teori och praktik vid edering av litterära texter. Hrsg. von Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1991, S. 42–78.
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Svedjedal, Johan: Almqvist på Internet. Om publicering av en textkritisk edition som digital hypertext. In: Tidskrift för litteraturvetenskap 1997, H. 2, S. 60–74. Svedjedal, Johan: Åter till bastexten. In: Vid texternas vägskäl. Textkritiska uppsatser. Hrsg. von Lars Burman und Barbro Ståhle Sjönell. Stockholm 1999 (Nordiskt Nätverk för Editionsfilologer. Skrifter 1), S. 22–32. Viklund, Jon: Ett vidunder i sitt sekel. Retoriska studier i C. J. L. Almqvists kritiska prosa 1815– 1851. Diss. Uppsala. Hedemora 2004 (Almqvist-studier 4).
Jon Viklund
August Strindbergs Gesammelte Werke
1.
Einleitung
1.1.
Hintergrund und Zweck der Edition
Im Jahr 1981 begann die Herausgabe der Gesammelten Werke August Strindbergs (1849–1912), dem international bekanntesten Schriftsteller Schwedens. Sie sollte neben sämtlichen veröffentlichten und unveröffentlichten Texten von Strindberg auch kürzere Notizen und Entwürfe umfassen. Ausgenommen waren nur Briefe, die in einer Sonderreihe bereits veröffentlicht wurden. Die Ausgabe war als die „vollständige und definitive Edition der Werke unseres größten Schriftstellers“ gedacht.1 Dem Projekt waren lange Jahre der Planung vorausgegangen, und nun sollte John Landquists ältere Ausgabe (1912–1920) von Strindbergs Samlade skrifter (Gesammelte Schriften) ersetzt werden. Landquists Edition war im Großen und Ganzen das Werk eines Einzelnen gewesen. Als solches war sie beeindruckend, jedoch im Hinblick auf Genauigkeit und textkritische Schlüssigkeit nicht ohne Mängel. Seit 1920 war außerdem eine große Anzahl wichtiger Manuskripte wiedergefunden worden, die ein genaueres Bild von Strindbergs Sprachkunst und Arbeitsweise boten. Als schwerwiegendes Argument mit Blick auch teils auf Geldgeber, teils auf die Öffentlichkeit hob man ferner hervor, dass Strindbergs Texte in beträchtlichem Ausmaß zensiert und von Verlegern und Setzern entstellt worden, also mit sogenannten Korruptelen behaftet waren, die in der Ausgabe von Landquist weiterbestanden. Glücklicherweise würde nun Strindbergs gesammeltes schriftstellerisches Werk zum ersten Mal „in unverfälschtem Zustand“ erscheinen.2 Strindbergs Gesammelte Werke nehmen in der schwedischen Editionsgeschichte eine Sonderstellung ein, indem die Ausgabe in ihrer Gänze vom Staat finanziert wird. Die Edition erhielt den beeindruckenden Titel Nationalupp____________ 1
2
Zitat aus dem Standardtext zum Schutzumschlag in Samlade Verk [= SV] (Gesammelte Werke). Während der ersten Jahre bezeichnete man die Ausgabe als definitiv, doch war damals wahrscheinlich nicht der exakte Sinn gemeint, den der Begriff in textkritischen Debatten oft hat, z. B. in Fredson Bowers’ klassischem Aufsatz Practical Texts and Definitive Editions (Bowers 1975). Die Frage bezüglich definitiven contra praktischen Editionen war ein Hauptpunkt in der heftigen, gegen die Nationalausgabe gerichteten Kritik in Du Rietz 1983 (siehe besonders S. 207). Teilzitat aus dem Standardtext des Schutzumschlags. Vgl. Anm. 1.
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lagan av Strindbergs Samlade Verk (Nationalausgabe der Gesammelten Werke Strindbergs), womit man zu verstehen gab, dass diese Ausgabe dem Nutzen der ganzen Nation dienen würde.3 Sie sollte deshalb eine doppelte Rolle spielen, nämlich populär und wissenschaftlich zugleich sein, sprachlich modernisiert und mit großzügigen Worterklärungen versehen.4 Ausführliche textkritische Kommentare waren gleichfalls vorgesehen, doch sollten sie separat erscheinen. 1.2.
Organisation
Strindbergs Gesammelte Werke sind das in Schweden bisher größte Unternehmen zur Erstellung einer textkritischen Ausgabe. Das Projekt unterhält eine der Universität Stockholm zugeordnete Arbeitsstelle mit ca. vier Ganz- oder Teilzeitbeschäftigten. Die Arbeit an der Mehrzahl der Textbände ist auf einzelne Bandherausgeber verteilt, zusammen etwa 30 Forscher, zumeist Literaturhistoriker und zugleich Strindberg-Spezialisten. Sie sind für die Textkonstitution, die Kommentare und die Erstellung des textkritischen Apparats verantwortlich. An das Projekt geknüpft ist darüber hinaus noch eine Reihe freier Mitarbeiter, Sprachwissenschaftler und sonstiger Experten auf einzelnen Sachgebieten, die zur Lösung besonderer Probleme herangezogen werden können. Die Arbeitsergebnisse werden schließlich vom Hauptherausgeber und der Herausgeberredaktion überprüft. Die übergreifende Verantwortung für die wissenschaftliche Arbeit liegt beim Hauptherausgeber und einem Herausgebergremium. Bis zum Jahre 2009 war Lars Dahlbäck Hauptherausgeber und Forschungsleiter. Danach übernahm Per Stam, zuvor stellvertretender Hauptherausgeber, die Leitungsverantwortung.5 ____________ 3 4
5
Die Bezeichnung „Nationalausgabe“ wird in Dahlbäck 1982, S. 19, erklärt. Im frühen Planungsstadium gab es Überlegungen zu einer zweiteiligen Ausgabe: eine vollständige wissenschaftliche Edition mit Werktexten, Kommentaren und Varianten im selben Band und eine ‚Volksausgabe‘ in Auswahl und ohne textkritischen Kommentar. Dieser Wunsch ging von Statens Kulturråd (Staatlicher Kulturrat) aus und wurde von der Strindberg-Gesellschaft, die das Projekt zu dieser Zeit betrieb, anfangs begrüßt. Siehe Dahlbäck 1977, S. 16. Die Organisation, wie oben umrissen, entspricht den Verhältnissen der letzten Jahre. Die Ausgabe hat seit ihrem Beginn mehrere durchgreifende Umgestaltungen erfahren. Im Jahr 1975 reichte die Strindberg-Gesellschaft, eine ideelle Organisation, deren Vorstand in erster Linie aus Strindberg-Forschern bestand, ein Gesuch bei Statens Kulturråd ein, die Leitung der Ausgabe von Strindbergs Werk übertragen zu bekommen. Aufgrund eines neu eingerichteten Unterstützungsfonds für Klassikerausgaben hatten mehrere Verlage bereits ihr Interesse angemeldet, die Ausgabe zu übernehmen. Der Auftrag ging schließlich an den Verlag Almqvist und Wiksell, der jedoch 1985 vom Verlag Norstedt aufgekauft wurde. Der Staatliche Kulturrat beschloss, das Editionsprojekt zu unterstützen, und die damalige Regierung bewilligte Sondermittel für das Unternehmen. Die wissenschaftliche Verantwortung wurde zuerst der StrindbergGesellschaft übertragen, landete aber nach einer Umorganisation im Jahre 1986 bei der Universität Stockholm. Die Leitung besteht seitdem aus einer Führungsgruppe mit Repräsentanten der
August Strindbergs Gesammelte Werke
1.3.
517
Planung der Nationalausgabe
Die Nationalausgabe erscheint in Buchform im Verlag Norstedt und umfaßt 72 chronologisch geordnete Textbände. Die textkritischen Richtlinien wurden 1989 im ersten Band der Ausgabe veröffentlicht. Ergänzende Anweisungen zum textkritischen Kommentar wurden 2009 digital publiziert. Die Textbände werden mit Strindbergs Text eingeleitet, worauf eine Nachschrift mit einer Präsentation der Entstehung und Rezeption sowie ‚Worterklärungen‘ folgen. Der textkritische Kommentar, mit Darstellung der Textlage und Varianten, wird in der sog. Litteraturbanken (Literaturbank) erscheinen, der schwedischen Datenbank für digitale Klassikerausgaben, die auch sämtliche Bände als digitale Texte veröffentlicht.6 In ihrer elektronischen Form werden die kritisch erstellten Texte auch als Teil der sprachlichen Referenzdatenbank Språkbanken (Sprachbank) an der Universität Göteborg verwendet.7
2.
Textkritische Prinzipien
2.1.
Wahl des Basistexts
Die Nationalausgabe verwendet mit Verweis auf Fredson Bowers den Begriff Basistext für diejenige Fassung des Werkes, der der Herausgeber bei der Textkonstituierung in erster Linie folgt.8 Landquist war bei seiner Edition von den Erstdrucken ausgegangen und hatte – als Korrektiv bei der Textkonstitution – die zugänglichen Manuskripte in gewissem Ausmaß verwendet,9 doch wählte man nun das Originalmanuskript als Basistext, das dem Erstdruck und anderen __________
6 7
8
9
Universität, des Staatlichen Kulturrats und des Verlags Norstedt sowie aus einem der Leitung unterstellten Herausgebergremium, dessen Zusammensetzung im Lauf der Jahre variiert hat. Außer dem Staatlichen Kulturrat, der das Projekt fortlaufend finanziert hat, haben der Humanistiskt-Samhällsvetenskapliga Forskningsrådet [HSFR] (Schwedischer Forschungsrat für Geistes- und Sozialwissenschaften, in den Jahren 1986–2000) und der Vetenskapsrådet (Schwedischer Wissenschaftsrat, ab 2001) Mittel zur Verfügung gestellt; seit 2009 sind Gelder vornehmlich aus privaten Mitteln der Torsten och Ragnar Söderbergs Stiftelser geflossen. Siehe http://litteraturbanken.se. Språkbanken (Die Sprachbank) bietet verschiedene Suchfunktionen auf Basis der StrindbergTexte an: Worthäufigkeit, Worterklärungen der Ausgabe sowie Konkordanzsuchen. Siehe http://spraakbanken.gu.se/lb/strindberg. Der Begriff ‚Basistext‘ wurde erst spät im Lauf der Arbeit an der Ausgabe eingeführt; zu Beginn hatte man den allgemeinen Terminus ‚Vorlage‘ benutzt (siehe z. B. Dahlbäck 1980, S. 77). Es war Du Rietz, der 1983 in seiner Kritik der Strindberg-Ausgabe den Begriff ‚Basistext‘ als eine Übersetzung von ‚copy-text’ einführte, vor allem verknüpft mit den Theorien von Fredson Bowers und Walter Greg. Landquist erläutert seine Prinzipien am ausführlichsten in der zweiten Auflage der Samlade skrifter, Strindberg 1919, S. 329–335. Vgl. auch die Debatte zur Ausgabe sowie Landquists Beitrag hierzu: Landquist 1984, S. 65–108.
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gleichwertigen ‚komplementären Texten‘ gegenübergestellt werden sollte. Maßgeblich ist die Autorisation des Verfassers: Zwei grundlegende Gedanken stehen hinter den textkritischen Prinzipien der Nationalausgabe: 1.) die Intentionen Strindbergs sollen bei der Abfassung und der Erstveröffentlichung des betreffenden Werkes so weit wie möglich wahrgenommen werden, und 2.) die Werke sollen von allen unnötigen Eingriffen in früheren Aufla10 gen befreit werden.
Die Prinzipien für die Wahl des Basistextes wurden mit Blick auf das reichliche Vorhandensein von Originalmanuskripten ausgearbeitet, die oft als Druckmanuskripte der Erstausgabe gedient hatten. Die Herausgeber betrachten die Originalmanuskripte als die sichersten Strindberg-Texte, da den Erstdrucken in der Regel eine große Anzahl Eingriffe vonseiten der Verleger und Setzer anhaften. Nur selten hat Strindberg die Druckfahnen im Vergleich zum Druckmanuskript überprüft, und er war meist ein nachlässiger Korrekturleser. Die Erstdrucke sind gleichwohl von großem Wert, da Strindberg hier trotz allem den Text stilistisch oft verbessert hat. Den Originalmanuskripten wird bei der Textkonstitution große Autorität beigemessen, während in den ‚komplementären Texten‘ gewisse Änderungen akzeptabel sind, wenn sie Strindberg zugeschrieben werden können oder wenn sie aus rein sprachlichen Gründen notwendig erscheinen, jedoch ist man in diesem Punkt sehr restriktiv (siehe 2.3). Die Ausgabe ist also im Grunde eklektisch und strebt danach, einen Text zu erstellen, von dem anzunehmen ist, dass er in größtmöglichem Ausmaß mit den Intentionen Strindbergs bei der Abfassung des Werkes übereinstimmt. Für die Prinzipien der Ausgabe kann gelten, dass sie sich, abgesehen von einigen wichtigen Vorbehalten, der Copy-TextTradition anschließen. Die sprachliche Modernisierung allerdings steht in völligem Widerspruch zu beispielsweise Gregs Ansicht über den Basistext als der verbindlichen Fassung, wenn es sich um sogenannte nicht-bedeutungstragende Elemente im Text handelt (indem man die Orthografie modernisiert, führt man ja neue Varianten ein). Überhaupt wird kein Unterschied zwischen ‚accidentals’ und ‚substantives’ gemacht, d. h. den Schlüsselbegriffen in Gregs Theorie über „divided authority“.11 In Wirklichkeit scheint der Begriff Basistext als ein neutraler Terminus für den Text verwendet zu werden, auf den die Textkonstitution aufsetzt. Am ehesten dürfte daher die eklektische Methode in Zusammenhang zu bringen sein mit einer traditionell literaturhistorischen und sich am Autor orientierenden Suche nach der Originalität und dem persönlichen ____________ 10 11
Vorstellung der Nationalausgabe, SV 1, S. 280. Siehe z. B. „The Rationale of Copy-Text“ in Greg 1966.
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Stil des Dichters. Ein Vorteil bei der Wahl von Autographen als Basistext ist, dass man z. B. die originale Kommasetzung Strindbergs freilegen kann, die sich von der normalisierten Interpunktion der Erstdrucke stark unterscheidet. Eine Folge des eklektischen Prinzips ist andererseits allerdings auch, dass der Autorisation des Verfassers in jedem einzelnen Fall Vorrang gegeben wird auf Kosten der Authentizität und der ästhetischen Einheit jeder einzelnen Fassung eines Werkes.12 In denjenigen Fällen, wo nur ein Fragment eines Manuskripts erhalten ist, soll dies laut den Prinzipien dem betreffenden Teil des Werkes zugrunde gelegt werden, auch wenn dieses im Übrigen auf der Basis des Erstdrucks konstituiert wird.13 Die Fokussierung der Nationalausgabe auf die Verfasserautorisation und die Manuskripte drückt sich in einer unsentimentalen Sicht auf die gedruckten Werke als bibliografische und künstlerische Einheiten aus. Es kann beispielsweise geschehen, dass ein Sammelwerk, das Prosa und Dramatik vereinigt, aufgebrochen wird und die Texte statt dessen in nach Gattungen geordneten Einzelbänden organisiert werden.14 Die Novellensammlung Fagervik och Skamsund (1912) enthielt sowohl längere Gedichte als auch Novellen. In der Nationalausgabe wurden diese Werke aufgesplittert und auf zwei getrennte Bände, je für sich geordnet, verteilt: Der eine Band enthält längere Prosa, der andere Lyrik des 20. Jahrhunderts.15 Illustrationen zu den gedruckten Werken, z. B. die Bilder, die der Künstler Arthur Sjögren zu den Gedichten Ordalek och Småkonst (1905) malte, werden des Weiteren nicht zum autorisierten Werk gezählt, da sie nicht direkt mit den Intentionen Strindbergs verknüpft werden können.16 Band 15 der Gesammelten Werke enthält jedoch eine Anzahl Ge-
____________ 12
13 14
15 16
Aus struktureller Perspektive ist jede Fassung eines Werkes eine Einheit, in der jeder Teil in einem potentiell bedeutungsvollen Verhältnis zu einem anderen Teil steht (siehe z. B. Zeller 1975). Aus solcher Sichtweise ist es problematisch, einen Text aus verschiedenen Fassungen zu konstituieren. Vgl. z. B. Legender (SV 38), teils auf der Grundlage von Manuskripten, teils auf Grundlage des Erstdruckes konstituiert. Vgl. z. B. I vårbrytningen, ein Werk von 1880/81, das sowohl Erzählprosa wie dramatische Texte beinhaltet und dessen Titel der Textsammlung in SV 2 auch den Namen verleiht (mit der Umschlagzeichnung der Heftauflage als einleitender Illustration). Hier hat man jedoch die dramatischen Texte entfernt, die in SV 1 publiziert werden, und eine unvollendete Novelle hinzugefügt, die zu Strindbergs Lebzeiten unveröffentlicht blieb. Im Übrigen waren sämtliche Prosastücke bereits erschienen, ehe sie unter dem Namen I vårbrytningen wieder gedruckt wurden, und – da die Originalmanuskripte in den meisten Fällen fehlen – werden sie nach diesen früheren Erstdrucken erstellt. Vgl. SV 50 und 51. Siehe Ståhle Sjönell 2003, S. 32–39, die die Problematik der Herausnahme der Gedichte aus der Novellensammlung diskutiert. Vgl. SV 51. Eine der Illustrationen Sjögrens wurde jedoch zu Beginn des Buches, den Texten Strindbergs vorangehend, eingerückt.
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dichte zusammen mit den Illustrationen, die die gedruckten Texte begleiteten, da einige der Gedichte offenbar aufgrund der Bilder entstanden.17 Ein textkritisches Problem besonderer Art bereitet die Wahl des Basistextes, wenn unterschiedliche Fassungen eines Werkes vorliegen. Den Roman Inferno schrieb Strindberg im Jahr 1897 auf Französisch. Zum einen erschien er dann im selben Jahr in einer schwedischen Version, mit besonderer Anpassung an das einheimische Publikum und in unbefriedigender Weise übersetzt von Strindbergs Jugendfreund, dem Schriftsteller Eugène Fahlstedt, und zum anderen 1898 in der französischen Version. Wie die Herausgeberin in den Gesammelten Werken, Ann-Charlotte Gavel Adams, in ihrer Nachschrift bemerkt, hatte sich Strindberg mit der französischen Version als okkultistischer Schriftsteller hervorheben wollen. Dies geht z. B. aus einem einleitenden Mysterienspiel und aus einigen in den Roman eingesprengten Essays hervor. Letztere wurden allerdings in der schwedischen Version gestrichen, der auch neue Mottos zugefügt wurden. Für die Nationalausgabe betrachtete man wohl die schwedische Übersetzung als am repräsentativsten für die Intentionen Strindbergs, weshalb der französische Originaltext nur als Paralleltext verwendet wurde, und zwar ohne Mysterienspiel und Essays.18 2.2.
Modernisierung
Die häufigsten Eingriffe, die der Herausgeber in Strindbergs Text vornimmt, sind sprachliche Modernisierungen und Normalisierungen der Orthografie. Die Entscheidung, den Text in eine ‚moderne Rechtschreibung‘ zu kleiden, scheint kaum übereinzustimmen mit den auf die Manuskripte fokussierenden Prinzipien und den hohen Ansprüchen an die Treue gegenüber Strindbergs ‚eigenem Text‘, doch war dies – den Vorarbeiten zur Ausgabe nach zu urteilen – ein unumstrittener Beschluss, der keiner weiteren Begründung bedurfte.19 Hinsichtlich Normalisierung und Modernisierung dürfte aber die StrindbergAusgabe im Kreis der Editionen neusprachlicher schwedischer Texte recht vereinzelt dastehen, da allgemein immer stärker betont wird, wie wichtig die
____________ 17 18
19
Vgl. SV 15, S. 256–261, 462–473. Das Mysterienspiel findet sich in der Nachschrift zu SV 37, während die Essays in einem anderen Band abgedruckt sind. Vgl. Svedjedal 1994, der in einer Rezension des Inferno den Unterschied zwischen der französischen und der schwedischen Version erörtert. Zur sprachlichen Modernisierung siehe Dahlbäck 1980, S. 118: „Dass eine modernisierte Orthografie benutzt werden soll […] dürfte eine Selbstverständlichkeit sein, die hier keiner Begründung bedarf“.
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Beibehaltung der authentischen Sprachformen der Texte ist, d. h. das Bewahren der Textvarianz in Bezug auf Wort-, Flexions- und Rechtschreibformen.20 Die Richtlinien zur Modernisierung und Normalisierung sind jedoch sinnvoll durchdacht und dargelegt; sie werden sicherlich als Richtschnur für andere praktische und leserangepasste Ausgaben dienen können. Allein die Anweisungen zur Orthografie nehmen 14 der 42 Seiten der Editionsrichtlinien in Anspruch. Hauptprinzip ist es, Wort- und Flexionsformen beizubehalten sowie ganz allgemein Formen zu bewahren, die im Text eine deutlich stilistische Funktion tragen. Im Übrigen jedoch ist die moderne Rechtschreibung gemäß den modernen schwedischen Wörterbüchern zu verwenden. Demnach werden z. B. af, qvinna, fins und fogel zu av, kvinna, finns und fågel geändert. Nichtfiktive Namen wie Personennamen, geografische Orte, Buchtitel u. a. werden in Übereinstimmung mit heutiger Praxis normalisiert. Die Modernisierung nimmt ihren Ausgangspunkt in einer Art Mündlichkeitsprinzip, denn der gemeinsame Nenner für diejenigen Wortformen, die man beibehält, ist – einfach ausgedrückt –, dass sie Ausspracheformen sind. Wörter wie klädning, träd und morgse werden modernisiert zu klänning, trä und morse, da Strindberg die Wörter wahrscheinlich ebenso aussprach wie wir es heute tun. Fremdwörter wie misère werden aufgrund desselben Prinzips als misär wiedergegeben. Gleichermaßen werden Genitivformen modernisiert, die von den heutigen Schreibregeln abweichen (Jura’s wird zu Juras geändert). Dagegen bleiben körka und snöga (d. h. kyrka und snöa) unverändert, da sie authentische dialektale Varianten darstellen.21 2.3.
Textkonstitution
Wie bereits erwähnt, ist es das übergreifende Ziel der Ausgabe, einen so reinen, d. h. unverderbten Ursprungstext wie möglich herzustellen. Die vorangegangenen Erläuterungen zeigen, dass sich die Herausgeber mit einer problematischen Sachlage auseinandersetzen müssen. Lars Dahlbäck sieht das Problem darin, dass sowohl Manuskripte als auch Erstdrucke fast immer an einem fundamentalen Mangel leiden: „im Manuskript ist der Text nicht fertig redigiert, im Druck ist der Text korrumpiert“.22 Es ist deshalb laut Dahlbäck besonders wichtig, den Text mit Hilfe des Hintergrundwissens über Strindbergs Arbeitsgewohnheiten hinsichtlich Korrektur und Druckmanuskript zu edieren, um zu ____________ 20 21 22
Vgl. z. B. Henrikson 2007, S. 42 f., die begründet, warum Svenska Vitterhetssamfundet (der Schwedische Literaturverein) keine Modernisierung vornimmt. Beschreibungen der Modernisierung entstammen den Redaktionsprinzipien in SV 1, S. 299– 315. Zitat in Dahlbäck 1991, S. 111.
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garantieren, dass der Herausgeber dem ‚komplementären Text‘ so viel wie möglich abgewinnt, ohne dass sich Korruptelen einschleichen. Einige erhaltene Druckfahnen mit Änderungen haben einen Einblick in die Korrekturgewohnheiten Strindbergs erlaubt: Es zeigt sich, dass er in seinen eigenen Text nur sparsam eingreift (er kontrolliert ihn offenbar fast nie anhand des Manuskripts); vor allem nimmt er einige sprachliche Verbesserungen vor, unter anderem streicht er also störende Wiederholungen; er ist auffällig uninteressiert an der Rechtschreibung und den Flexionsänderungen; Normalisierungen vonseiten des Verlages und schulmäßige Korrekturen übergeht er fast 23 immer.
Die bei der textkritischen Untersuchung gewonnene Erfahrung legte den Grund für eine Reihe von für die Textkonstitution wichtigen Entscheidungen. Überhaupt liegt dem Verfahren ein großes Vertrauen auf das Originalmanuskript zugrunde, und sprachliche Änderungen werden nur dann vorgenommen, wenn eine Stelle im Original den Sinn zerstören würde. Die freie, impressionistische Zeichensetzung im Strindberg’schen Manuskript wird völlig beibehalten, sofern nicht ein offensichtlicher Textfehler vorliegt. Der ‚komplementäre Text‘ wird dann herangezogen, wenn er Änderungen anbietet, die Strindberg mit Sicherheit zugeschrieben werden können, oder wenn er Alternativen zu korrumpierten Textstellen im Manuskript bereithält. Typische Änderungen, die akzeptiert werden, sind sogenannte ‚qualifizierte Änderungen‘, d. h. solche, von denen man erfahrungsgemäß weiß, dass sie von Strindberg stammen, und die den Text in literarischer Hinsicht verbessern können. Im Einklang mit dem Prinzip, Strindbergs „Intentionen bei der Entstehung und bei der Erstveröffentlichung“ zu folgen, werden auch Änderungen zugelassen, die Strindberg vor der Veröffentlichung selbst im Text vornehmen wollte, die aber nie durchgeführt wurden. Es werden dagegen keine Textrevisionen beachtet, die Strindberg manchmal während einer späteren Periode seiner schriftstellerischen Tätigkeit vornahm. Der Intentionalismus steht auf sicherem Grund, wenn man im Besitz eines Originalmanuskripts ist, das zugleich Änderungen und Streichungen des Verlegers enthält. Eine solche glückliche Materialsituation bietet das Drama Fröken Julie, dessen Manuskript in den 1930er Jahren bekannt wurde. Das Problem hier war, dass Strindbergs Verleger ungewöhnlich zahlreiche Eingriffe im Text getätigt hatte, und das auf eine Weise, die den Autor dazu veranlasste, von „Fälschung“ zu reden. Dank moderner Kriminaltechnik wie InfrarotUntersuchung und Stereomikroskopie konnte aber der Herausgeber der Natio____________ 23
Zitat in Dahlbäck 1991, S. 107.
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nalausgabe nicht nur die Tinte Strindbergs von der des Verlegers unterscheiden, sondern auch Klarheit über sehr schwierig zu interpretierende Stellen erhalten, wo die Tinten des Autors und des Verlegers sich überlagerten.24 Die Suche nach einem völlig authentischen Autortext ist natürlich mit Schwierigkeiten verbunden. Wie sicher kann man sein, dass eine Änderung tatsächlich von Strindberg stammt? Beim Fehlen von Druckfahnen – die typische Situation – kann man im strikten Sinn nicht genau wissen, welche Änderungen in der Schlussdurchsicht von Strindberg selbst stammen; so sind beispielsweise bloße Streichungen im Text nur schwer zu beurteilen. Das Prinzip, dem Basistext in Bezug auf die Interpunktion konsequent zu folgen, bringt es mit sich, dass dann auch Strindbergs Korrekturen der Interpunktion wegfallen.25 In jüngerer Zeit wurden der Intentionalismus, der Eklektizismus und das Manuskriptprinzip als Grundlage der Textkonstitution in der Nationalausgabe aus verschiedenen Richtungen innerhalb der Editionswissenschaft kritisiert. Einer der Einwände war, dass die Suche nach einem unverderbten Autortext in einem Text ohne historische Authentizität resultiere, d. h. entsprechend aber auch einem Text ohne Rezeptionsgeschichte.26 Wie potentiell kontrovers die Einstellung der Herausgeber zur Authentizität des Autortexts ist, gibt sich im Gebrauch des Begriffs ‚Zensur‘ zu erkennen. Die Nationalausgabe spricht von zwei Typen von Zensureingriffen, die im Erstdruck oft zu finden sind und die in der Regel verworfen werden. Einerseits handelt es sich um Änderungen oder Streichungen, die „der Verlag/die Druckerei ohne Strindbergs Wissen oder trotz seiner Proteste durchgeführt hat […], um die vermeintlich provokativen oder anstößigen Textstellen zu dämpfen“; andererseits geht es um Änderungen „von Zensurcharakter, die Strindberg selbst durchgeführt oder akzeptiert hat, weil der Verlag dies gefordert oder Eingriffe dieser Art vorgeschlagen hat.“27 Der zweite Fall von ‚Zensureingriff‘ betrifft das, was einige Editionsphilologen als passive Autorisation gutheißen würden, doch lehnt die Nationalausgabe solche Änderungen ab und ____________ 24 25 26 27
Vgl. den Bericht des Herausgebers über die Analysearbeit am Manuskript in Ollén 1991, S. 156–167. Die Schwierigkeiten des Edierens in solchen Situationen werden in Dahlbäck 1991, S. 99–112 erörtert. Zur Kritik siehe Kondrup 1999, S. 70, 78 f. und Svedjedal in Svenska Dagbladet vom 29. 1. 1993. Siehe SV 1, S. 294. In der Kodifizierung der textkritischen Prinzipien, die hier zitiert werden, wird also der mildere Ausdruck „von Zensurcharakter“ verwendet, nämlich für Änderungen, die Strindberg trotz allem selbst gebilligt hat. In den einzelnen Textbänden ist die Rhetorik freilich oft zugespitzter. Laut der Nachschrift zu Legender fiel dieser Roman der „Zensur, die vom Verleger initiiert und von Strindberg und vom Verlag mit seinem [d. h. Strindbergs] Einverständnis durchgeführt wurde“, zum Opfer (SV 38, S. 326).
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gibt stattdessen der Annahme einer ursprünglichen Intention, die von außen nicht beeinflusst wurde, den Vorzug.
3.
Kommentar
3.1.
Entstehung und Rezeption des Werkes
Dem konstituierten Text im Textband folgt eine Darstellung der Entstehungsgeschichte und der Rezeption des Werkes. Was Letzteres betrifft, wird hier selbstverständlich die Rezeption der Erstdrucke beschrieben. Dies mag als inkonsequent erscheinen, da die Ausgabe in der Regel auf Manuskripten basiert; gleichwohl aber wird in diesem Kapitel der Weg des Werkes von der Konzeption bis zum Druck zumeist so eingehend beschrieben – unter besonderer Betonung der Eingriffe des Verlegers in den Text –, dass die historische Beleuchtung den logischen Widerspruch in gewissem Ausmaß kompensiert. Den Richtlinien gemäß soll die Darstellung der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte „Interpretationen und Charakteristiken“ unterlassen,28 was aber nicht verhindert, dass der Kommentar oft zu langen Aufsätzen mit neuen Forschungsergebnissen anwächst; eine der umfangreicheren Darstellungen umfasst ca. 200 Seiten.29 Hier hat sich die Ausgabe im Laufe der Zeit verändert: Die Kommentare der ersten Jahre sind kürzer gefasst als die der späteren. Die jeweilige Beschreibung der Genese und Rezeption der Werke – und in der Regel geht es um viel mehr als dies – ist durch Umfang und neu gewonnene Erkenntnisse von großem Nutzen für den Leser. Die Auswahl des Herausgebers ist selbstverständlich nicht frei von Wertungen, und man kann im Besonderen beobachten, was schon seit Langem ein allgemeines Kennzeichen der schwedischen Strindberg-Forschung ist: deren intensive Beschäftigung mit der Biografie des Autors. Die Fokussierung auf den historischen Hintergrund der Person Strindberg ist in vielen Fällen damit erklärbar, dass der Schriftsteller viel biografisches Material in sein Werk einfließen ließ. In den Ausgaben von Tjänstekvinnans son, En dåres försvarstal, Inferno, Ensam und Svarta fanor ist die biografische Dokumentation überwältigend. Aber auch in Werken, in denen eine biografische Verknüpfung nicht explizit im Text zutage tritt – beispielsweise im bekannten Kurzprosastück Ett halvt ark papper –, wird der Leser oft auf eine biografische Interpretation hingewiesen.30 ____________ 28 29 30
Zitat in Vorstellung der Nationalausgabe, SV 1, S. 289. Siehe SV 15, redigiert und kommentiert von James Spens. Siehe SV 52, S. 271–274. Hier wird die Telefonliste in der Novelle mit Strindbergs hinterlassener Telefonliste verknüpft, die im Kommentar abgedruckt ist.
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3.2.
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Worterklärungen
Unter der Rubrik ‚Worterklärungen‘ werden „Wörter und Ausdrücke, die einem richtigen Textverständnis hinderlich sein können“, kommentiert. Hierzu zählt auch eine Reihe verschiedener Typen von Sacherklärungen, die „zu einem vertieften Textverständnis beitragen können“. Handeln kann es sich dabei um „biografische Erklärungen zu historischen Personen, Nachweis von Quellen, die Strindberg zitiert oder anführt, Angaben zu geografischen Namen, Pflanzen- und Tiernamen“.31 Die Worterklärungen in der Nationalausgabe sind mit Sicherheit die umfänglichsten in der schwedischen Editionsgeschichte, was im Hinblick auf die Zielsetzung, eine ‚Volksausgabe‘ zu erstellen, verständlich ist.32 Die Herausgeber begründen die umfänglichen Kommentare mit dem Eigencharakter des Textes und den breiten Interessengebieten des Autors. Der Wortschatz Strindbergs ist immens, und sein realistischer Stil sowie seine Basis in der Strindberg’schen Gegenwart stellen hohe Ansprüche an den heutigen Leser. Vor diesem Hintergrund müssen die Worterklärungen in der Nationalausgabe als ein verdienstvoller Ansatz verstanden werden, die Kluft zwischen der Zeit Strindbergs und unserer heutigen Zeit zu überbrücken; außerdem dürften sie die Übertragung des Textes in andere Sprachen und Kulturen erleichtern.33 Allerdings sind die Biografismen auch in den Worterklärungen spürbar, was bedeutet, dass das „vertiefte Textverständnis“, das die Worterklärungen anstreben, zu einem nicht geringen Teil auf Einsicht in die mögliche Wirklichkeitsverankerung der Texte ausgerichtet ist. Der biografische Hintergrund zum Roman Tjänstekvinnans son veranlasst den Herausgeber dazu, den Romantext in detaillierter Weise an die dokumentierte Kindheit Strindbergs anzuknüpfen. Eine Karte über Stockholm mit einer gesonderten Reihe von Stellenkommentaren ist beigefügt, wenn z. B. eine fiktional gestaltete Wanderung, die subjektiv der Protagonist Johan unternimmt (Lemma: „Eines Tages geht er sehr weit fort“), im Kommentar als ein tatsächlicher Spaziergang beschrieben wird, den Strindberg gemacht hat, ein Spaziergang, dessen Streckenführung anhand der damaligen Topografie erläutert wird.34
____________ 31 32
33 34
Zitat in der Vorstellung der Nationalausgabe, SV 1, S. 31. Das Risiko bei großzügigen Kommentaren ist selbstverständlich eine überreiche Kommentierung, und es kommt vor, dass sich die Worterklärungen auf Selbstverständlichkeiten beziehen, wie z. B. die Erklärungen zu Shakespeare (SV 65, S. 528) und Goethe (SV 17, S. 459). Der Strindberg-Editor James Spens beschreibt in Spens 2000, S. 188–201 den Kommentar in SV. Vgl. den Kommentar, SV 20, S. 380.
526 3.3.
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Textkritischer Kommentar
Die textkritischen Kommentare werden als pdf-Dateien bei Litteraturbanken eingestellt. Zunächst geben die Kommentare eine Darlegung der Textsituation (z. B. unvollständiges Manuskript oder mehrere Manuskripte) sowie ein Verzeichnis über die Änderungen des Herausgebers. Die Gestaltung des lemmatisierten Variantenapparats der Nationalausgabe zielt darauf ab aufzuzeigen, welche Lesartenwahl bei der Textkonstitution aus dem Verhältnis von Basistext und ‚komplementärem Text‘ getroffen wurde. Der Schwerpunkt liegt daher in der Erklärung, welche der im Erstdruck vorliegenden Änderungen akzeptiert bzw. nicht akzeptiert wurden. Bloße Druckfehler, Änderungen in der Zeichensetzung und diverse Arten von „routinemäßigen Normalisierungen, die von Verlag und Druckerei im Erstdruck durchgeführt wurden“, werden nicht nachgewiesen.35 Da Strindberg bereits in seinen Originalmanuskripten meist ‚fertige Texte‘ verfasste, gibt es darüber hinaus, und außer dem Erstdruck, nur wenige Texte mit weiteren Entstehungsvarianten; hingegen existieren in vielen Fällen Zettel und kürzere Entwürfe, die jeweils gesondert in einer eigenen Paralipomena-Sektion (‚Vorarbeiten‘) beschrieben werden. Die in späteren Auflagen vorkommenden Änderungen werden verzeichnet, falls sie dem Autor mit Sicherheit zugeschrieben werden können, oder wenn sie als ein eher aufsehenerregender ‚Zensureingriff‘ zu beurteilen sind. Die der Textkonstitution zugrunde gelegten Manuskripte werden eingehend und im Großen und Ganzen erschöpfend beschrieben. Die materielle Ausgestaltung der Manuskripte ist im Falle Strindbergs von besonderer Bedeutung, weil er daran interessiert war, den Handschriften auch eine äußerlich ansprechende Form zu geben, manchmal mit dem Gedanken, sie zu verschenken, zu verkaufen oder zu drucken.36 Änderungen im Manuskript werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit separat verzeichnet. Einige repräsentative oder besonders interessante Manuskriptblätter werden als Digitalbilder wiedergegeben. Die Erstdrucke werden jedoch nur in Kurzfassung beschrieben (Druckerei, Verlag, Satzspiegel, Seitenzahl, Erscheinungsdatum). Die Herausgeber haben Strindbergs Erstdrucke nicht eigens zum Gegenstand buchkundlicher Analyse gemacht. In den Kommentaren wird kürzeren Texten, die in den Textbänden z. B. aufgrund von Unklarheiten in der Zuschreibung nicht vorkommen, Raum gegeben. Der textkritische Kommentar dient schließlich auch als ein Archiv der ____________ 35 36
Zitat aus den Erläuterungen der Editionsprinzipien in SV 1, S. 326. Vgl. beispielsweise die Beschreibung des Manuskripts zum Drama Siste riddaren (SV 61), das Strindberg mit Kreideeinrahmungen und Initialen ausschmückte und mit einem schön gestalteten Umschlagkarton versah.
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Vorarbeiten, die jedem Band zugrunde lagen. Hier finden sich somit die Überlegungen hinsichtlich ungewisser Zuschreibungen wie auch Beurteilungen schwer lesbarer Handschriften. Die Veröffentlichung der textkritischen Kommentare setzte 2009 ein, zu einem Zeitpunkt, da lediglich eine Handvoll Textbände noch ausstanden. Die überarbeiteten Richtlinien zum textkritischen Kommentar enthalten einen Vorbehalt hinsichtlich der Möglichkeiten der Hauptherausgeber, unter anderem über den Variantenapparat Kontrolle auszuüben: „Im Regelfall hat die Hauptredaktion lediglich eine allgemeine Sichtung vor allem der technischen Details und der Begriffsnomenklatur vorgenommen. Dies bedeutet, dass im Allgemeinen die Bandherausgeber selbst eine bedeutend größere Verantwortung für die textkritische Kommentierung als für die jeweilige Textkonstitution übernommen haben […].“ In der Praxis heißt dies, dass Nachweise zur Textkonstitution und beispielsweise zur internen Varianz durchaus divergieren. Einige Herausgeber etwa sind von der Forderung dispensiert worden, die editorischen Veränderungen der Strindberg’schen Zeichensetzung zu belegen.37 Allgemeiner gesehen ist der Vorbehalt auch als Ausdruck der praktischen Schwierigkeiten zu verstehen, die selbst einem sehr ambitionierten und wohlfinanzierten Editionsprojekt entgegenstehen: die für Sicherheitskontrollen verwendbaren Mittel sind begrenzt. Im übrigen spiegelt der Vorbehalt vermutlich die Tatsache wider, dass ein Teil der Bandherausgeber bei der Nationalausgabe eher Strindbergexperten als Textkritiker waren, was den Hauptherausgebern eine umso größere Verantwortung aufbürdete.38
4.
Perspektiven
Die Entstehung und Rezeption der Nationalausgabe ist in mehrfacher Weise bezeichnend für die Stellung der schwedischen Editionsphilologie während der letzten Jahrzehnte. Die Editionsprinzipien wurden bereits vor dem Durchbruch der Digitalisierung in Schweden ausgearbeitet, was sich z. B. in den Plänen widerspiegelt, Mikrofiches als die technische Lösung zur Speicherung von Bildern der Handschriften zu verwenden. Die Nationalausgabe erwuchs im Rahmen von einheimischer schwedischer Praxis und einer gründlichen Vertrautheit mit Strindbergs Texten, doch ohne spürbaren Kontakt mit der internationalen Theorieentwicklung in der Editionswissenschaft. Der erste Anstoß zur ____________ 37 38
Textkritiska kommentarer till August Strindbergs samlade Verk. Allmänna Anvisningar, Zitat, S. 7; zu Ausnahmen bei textkritischen Nachweisen, S. 10. Auf das Problem allzu vieler Bandherausgeber geht Per Stam ein, in Janss/Stam 2011, S. 46.
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Ausgabe erfolgte darüber hinaus vor der intensiven textkritischen Debatte, die mit Jerome McGanns polemischer Critique of Modern Textual Criticism (1983) eingeleitet wurde. Die Editionsprinzipien gründen, hinsichtlich der Textkonstitution etwa, in einem Bild vom Autor als einsamem Schöpfergenie, das Einflüsse aus dessen Umgebung definitionsgemäß verfälschen. Eingedenk der Textsituation sind den Herausgebern ihre Editionsprinzipien als unausweichlich erschienen, doch stehen sie – aus einer anderen Perspektive heraus – zugleich auch ganz in Übereinstimmung mit dem Umstand, dass die schwedische Strindberg-Forschung traditionell schon immer eine biografische Schlagseite gehabt hat.39 In Schweden haben die Editionsprinzipien dieser Ausgabe keine Nachfolge gefunden, und wenn man die editionswissenschaftliche Debatte während der letzten beiden Jahrzehnte beurteilt, hat sich die Entwicklung eher in Richtung eines soziologischen Textbegriffs und einer rezeptionshistorischen Denkweise bewegt, welche das veröffentlichte Werk privilegieren. Aus einer anderen Perspektive gesehen haben die starke Betonung der ‚Zensur‘ sowie die plakative Ankündigung, dass man nun erstmalig Strindberg so veröffentliche, „wie er selbst es wünschte“, sicher zur großzügigen Finanzierung beigetragen. Die Nationalausgabe ist eine komplizierte Gleichung aus teilweise gegensätzlichen Interessen. Ihre Faktoren sind der wissenschaftliche Anspruch der Herausgeber, die Forderung der staatlichen Geldgeber nach schnellem Erscheinungstakt sowie die geschäftlichen Interessen des Verlags. Das Verhältnis der Akteure untereinander scheint nicht reibungslos gewesen zu sein. Die Hybridform dieser Ausgabe – sowohl wissenschaftlichen als auch populären Ansprüchen dienend – muss also vor dem Hintergrund dieser Gleichung gesehen werden. Aus historischer Sicht reiht sich die Nationalausgabe in eine reiche Tradition von Ausgaben für den allgemeinen Buchmarkt ein, in denen die schwedischen klassischen Schriftsteller bei den großen Verlagen in modernisierter Form kommerziell erschienen sind. Es ist symptomatisch, dass die textkritischen Kommentare nicht vom Verlag, sondern als Appendix separat im Internet zugänglich gemacht werden. Im Vergleich mit anderen Ausgaben für den allgemeinen Buchmarkt zeichnet sich jedoch die StrindbergAusgabe durch ihre textkritische Genauigkeit und ihre ausführlichen Kommentare aus. Es sei auch gesagt, dass eine gewisse Rhetorik, die von Beginn an mit der Darstellung der Grundsätze der Nationalausgabe verknüpft war, beim Wechsel der Hauptherausgeberschaft im Jahre 2009 deutlich, wenngleich vorsichtig, leiser wurde. Es spricht für sich, dass im Waschzetteltext ab diesem Jahr u. a. ____________ 39
Vgl. beispielsweise Dahlbäck 1977, S. 18, wo der textkritische Grundsatz, „die Werke in ihren ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen“, als einzig angemessen bezeichnet wird.
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die Beschreibung der Ausgabe als der „definitiven Edition“ gestrichen wurde. In einem Aufsatz zur digitalen Veröffentlichung der Gesammelten Werke fügt Per Stam eine lange Anmerkung ein, in der er die Intentionsproblematik erörtert, teilweise mit deutlich polemischer Ausrichtung auf den früheren Hauptherausgeber Lars Dahlbäck. Dessen textkritische Ansichten, meint Stam, ließen ein Bewusstsein vermissen, dass Textwahl und Textkonstitution des Herausgebers ebenso einen neuen Text konstruierten wie einen ursprünglichen rekonstruierten.40 Die wissenschaftliche Debatte über die Strindberg-Ausgabe und deren Grundsätze hat mit Ausnahme eines wichtigen längeren Artikels von Rolf Du Rietz 1983 im Großen und Ganzen nicht stattgefunden.41 Möglicherweise ist es typisch für den schwedischen Kontext, dass sich die geführte Diskussion meist um die Finanzierung gedreht hat. Um die Jahreswende 1985/86 entzündete sich eine hitzige Debatte am Erscheinungstakt der Nationalausgabe (14 Bände in fünf Jahren). Die Herausgeber hatten in ihrem Optimismus berechnet, das Projekt innerhalb von zehn Jahren fertigzustellen, doch nun wurde der Rahmen bereitgestellter finanzieller Mittel gesprengt, was den staatlichen Geldgeber zur Drohung veranlasste, dem Erscheinungsverlauf einen neuen, schnelleren Takt aufzuzwingen. Das Verständnis bei den öffentlichen Diskussionspartnern, was an Zeit benötigt und an Ressourcen erforderlich sei, war ebenfalls nicht groß, was auch aus dem Teil der Debatte hervorgeht, in dem einige der bedeutendsten schwedischen Schriftsteller ihrer Abneigung gegenüber dem Strindberg-Projekt Ausdruck verliehen. Dem stellte sich jedoch eine Phalanx von Professoren der Literaturwissenschaft und schwedischen Sprachwissenschaft entgegen, die geltend machten, wie wichtig es sei, das Projekt gemäß den ursprünglichen Plänen und ohne Abstriche an der wissenschaftlichen Genauigkeit fortzuführen. Die Krise führte zu einer Umorganisation der Ausgabe hin zur oben beschriebenen Form (siehe Abschnitt 1.2). Auch die jüngste Umschichtung von 2009 wurde durch Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Projektökonomie verursacht, genauer gesagt durch Zwistigkeiten bei bestimmten Lohnfragen. Der damals 70-jährige Hauptherausgeber Lars Dahlbäck schied auf eigenes Begehren aus, nur wenige Jahre vor Vollendung des Editionsvorhabens.42 Aus kommerzieller Sicht ist die Nationalausgabe kein Erfolg geworden. Die Auflagen haben sich im Lauf der Jahre verringert, und die Textbände – gedie____________ 40 41 42
Janss/Stam 2011, S. 54. Siehe Du Rietz 1983. Vgl. Anm. 1. Ein Journalist, Erik Laquist, berichtet über die Streitigkeiten und das Ausscheiden in Svenska Dagbladet vom 5. 2. 2009; die Überschrift setzt das Projekt in ein typisch medial-rhetorisch zugespitztes Licht: „Absprung schafft neue Strindbergfehde“.
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gen gebundene Bücher mit großzügigen Reproduktionen in Farbdruck – konnten trotz Zuschüssen von der öffentlichen Hand nicht so preisgünstig vermarktet werden, wie ursprünglich erhofft. Heute kostet ein Band zwischen 200 und 300 SEK, was ungefähr dem Neupreis eines gebundenen Romans entspricht.43 Gemessen an der Zahl der Besprechungen hat die Ausgabe relativ große Aufmerksamkeit erregt, auch wenn nur wenige Bände wissenschaftlich rezensiert worden sind.44 Bisher liegen über 200 Rezensionen der Ausgabe vor, was für eine schwedische Klassikerausgabe viel ist. Aus dem Schwedischen von Ellen Erbes
Abstract This article presents and discusses the ‘National Edition of August Strindberg’s Collected Works’ (1981 ff.). This edition is so far the most extensive editorial project in Sweden. When finished, it will encompass the complete works, published and unpublished, in 72 text volumes, with an editorial apparatus published separately as Web text. The edition has a dual purpose: It is a reading edition as well as a critical one. The reading text is modernized, with extensive commentaries and glossaries. The editing is eclectic: it uses the manuscripts as copy texts, and then, aspiring to produce an intentionally authorized text, takes into consideration alterations made by the author in e. g. the first print. The editors maintain that the first editions were particularly tainted with corruptions and ‘censoring’, and that it is the editor’s assignment to restore the original text. The article attempts to contextualize the edition in the Swedish editorial tradition, and explain how it was formed by the biographical ideals of Strindberg research as well as institutional conditions.
____________ 43
44
Im Frühjahr 1981 teilt Dahlbäck mit, dass das Abkommen zwischen Staat und Verlag einen Richtpreis von ca. 75–90 Kronen pro Buch garantiere. Offenbar waren aber die Kosten der Buchproduktion höher. Drei Jahre später schreibt der Hauptherausgeber, dass die Preise trotz allem erträglich seien; die Preise lägen „auf ungefähr demselben Niveau wie die Preise moderner Romane“, gemessen daran, wie hoch nicht-subventionierte Kosten gewesen seien, nämlich an die „250 Kronen und aufwärts“. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Erstauflagen in ca. 5000– 7000 Exemplaren gedruckt (laut Dahlbäck 1982 und 1984). Heute beläuft sich eine durchschnittliche Auflage auf 3000 Exemplare (nach Auskunft des Verlags Norstedts). Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die kritisch anerkennende Untersuchung in Ståhle Sjönell 1997.
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Über die Autoren
Per Dahl (*1947), Nordist und Literaturhistoriker, seit 1990 Lektor (Dozent) an der Universität Aarhus, Dänemark. Mitglied der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab). Publikationen zu editorischen Fragestellungen seit 1994. Herausgeber von Aufsätzen und Briefen des dänischen Literaturhistorikers Vilhelm Andersen (1985, 1987). Mitherausgeber der Digte (Gedichte) Johannes V. Jensens (2006), der Romaner og Noveller (Romane und Novellen) Herman Bangs Band 6 und 7, 2010 (deutsche Übersetzung 2012) sowie der Vorlesungen Georg Brandes’ über Friedrich Nietzsche (Dänisch-Deutsche Parallelausgabe, 2012/13). Mats Dahlström (*1964), Dozent am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (Hochschule in Borås) und gehört dem Vorstand des Schwedischen Literaturvereins an (Svenska Vitterhetssamfundet). Nach seiner Dissertation über die strukturellen Zusammenhänge zwischen bibliografischer Wissenschaftssystematisierung und Editionswissenschaft stehen im Zentrum seiner weiterführenden Forschung digitales Edieren, Digitalisierung des kulturellen Erbes und die neuen Medien. Ståle Dingstad (*1965), M. A. 1993 mit einer Abhandlung zu Søren Kierkegaard, Promotion 2002 über Knut Hamsun. 2003–2007 Philologe und Kommentator bei Henrik Ibsens skrifter. Professor am Institutt for lingvistiske og nordiske studier, Universität Oslo. Pia Forssell (*1953), Dr. phil., ist Hauptherausgeberin von Zacharias Topelius’ Schriften an der schwedischen Literaturgesellschaft in Finnland (Svenska litteratursällskapet i Finland). Sie hat 1998–2005 die Gesammelten Schriften von J. L. Runeberg mit herausgegeben und ist bei den Schriften von Zacharias Topelius seit 2005 auch Bandherausgeberin. Sie gehört der Planungsgruppe des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen, dem Leitungsgremium von Litteraturbanken, dem beratenden Herausgebergremium des Selma-LagerlöfArchivs und Edith – suomalaisen kirjallisuuden kriittiset editiot (Edith – kritische Ausgaben finnischer Literatur) an.
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Über die Autoren
Britta Olrik Frederiksen (*1947), M. A. der Nordischen Philologie, Lektorin (Dozentin) an der Universität Kopenhagen (Den Arnamagnæanske Samling). Mitglied der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft (Det Danske Sprogog Litteraturselskab). Autorin u. a. von En dansk Mechtild-tradition? (Eine dänische Mechtild-Tradition?, Kopenhagen 1984), Mitherausgeberin von A Danish Teacher’s Manual of the Mid-Fifteenth Century, 2 Bde. Lund 1993– 2008. Beiträge zu dialektologischen, onomastischen, sprachgeschichtlichen, textphilologischen und editionshistorischen Themen. Mitglied und editorische Mitarbeiterin am Projekt Dansk Editionshistorie (Dänische Editionsgeschichte). Hans Walter Gabler (*1938), Professor für Englische Philologie und für Editionswissenschaft an der Ludwig Maximilians-Universität München; seit 2003 im Ruhestand. Leitete von 1996 bis 2002 das Graduiertenkolleg „Textkritik als Grundlage und Methode der historischen Wissenschaften“. War Hauptherausgeber der kritischen Ausgaben von James Joyces Ulysses (1984/1986), A Portrait of the Artist as a Young Man und Dubliners (beide 1993). Schwerpunkt seiner gegenwärtigen Forschung sind Autorhandschriften und die Möglichkeit genetischen Edierens von Schreibprozessen im digitalen Medium. Jon Haarberg (*1953), Professor der Allgemeinen Literaturwissenschaft, Universität Oslo, Herausgeber nordischer Literatur (A. O. Vinje und Petter Dass), Beiträge zu philologischen Grundproblemen sowie zur Literaturgeschichte (Verdenslitteratur. Den vestlige tradisjonen, 2007, mit Hans Erik Aarset und Tone Selboe). Odd Einar Haugen (*1954), Dr. phil., Professor für Altnordische Philologie, Universität Bergen. Promotion zur Rezensionsmethodik/Methodik der editorischen Rezension, Stamtre og tekstlandskap (1992). Zahlreiche Publikationen zur Editionswissenschaft sowie zu digitalen Editionen. Autor von Lehrbüchern, u. a. Grunnbok i norrønt språk (Oslo, 4. Aufl. 2001) und Redakteur zahlreicher Anthologien und Handbücher, zuletzt Altnordische Philologie (Berlin 2007). Redakteur von Maal og Minne (1995–2005), Direktor des Medieval Nordic Text Archive (2001 ff.) sowie des Medieval Unicode Font Initiative (2001 ff.). Paula Henrikson (*1975), Dr. phil., Dozentin der Literaturwissenschaft und Forscherin der Schwedischen Akademie, finanziert von Knut och Alice Wallenbergs Stiftelse, am Literaturwissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala. Sie ist Vorstandsmitglied des Schwedischen Literaturvereins (Svenska Vitterhetssamfundet) und gehört der Planungsgruppe des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen an. Ihre Veröffentlichungen umfassen Ausgaben von Texten des 17. bis 19. Jahrhunderts sowie die Studie Dramatikern Stagne-
Über die Autoren
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lius (2004) und den kritischen Leitfaden Textkritisk utgivning. Råd och riktlinjer (2007). Eine Monografie über schwedische Editionsgeschichte ist in Arbeit. Gunilla Hermansson (*1974), Dozentin der Literaturwissenschaft an der Universität Göteborg. Promovierte 2003 an der Universität Kopenhagen mit einer Abhandlung zu C. J. L. Almqvists Törnrosens bok (Dornröschens Buch), erschienen 2006. Publikationen zur dänischen und schwedischen Romantik, Herausgeberin der Gesammelten Werke H. C. Andersens, Mitwirkung an der Ausgabe der Gesammelten Werke Almqvists. Arbeitet derzeit an einem Projekt zum nordischen Modernismus 1910–1930. Christian Janss (*1966), Dr. art., Førsteamanuensis (Dozent) für deutsche Literatur, Universität Oslo. Zuvor leitender Editionsphilologe bei Henrik Ibsens skrifter 2002–2009. Promotion zu Friedrich Hölderlin: „Der Rhein“ – Hölderlins Metapher (2001). Autor u. a. von Lyrikkens liv. Innføring i lyrikklesning – mit Christian Refsum (2003). Beiträge zur Editionsphilologie, zu Goethe, Kleist, Rilke. Mitglied der Planungsgruppe des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen sowie eMunch, der digitalen Ausgabe der Schriften des Malers Edvard Munch. Finn Gredal Jensen (*1966), klassischer Philologe mit Arbeitsschwerpunkt in der neueren Editionsphilologie. Von 1999 bis 2008 Mitarbeiter des Søren Kierkegaard Forschungszentrums an der Universität Kopenhagen bei der Ausgabe Søren Kierkegaards Skrifter. Mitglied der Gesellschaft für Dänische Sprache und Literatur und Mitherausgeber von deren Neuedition der Gesammelten Werke H. C. Andersens von 2003–2007. Seit 2008 Redaktor bei der dänisch-norwegischen Neuedition der Schriften Ludvig Holbergs (Ludvig Holbergs Skrifter). Jon Gunnar Jørgensen (*1953), Dr. phil., Professor für Nordische Philologie, Universität Oslo. Promotion zur Überlieferung der Heimskringla. Zahlreiche Publikationen zur Editionswissenschaft; Herausgeber verschiedener wissenschaftlicher Textausgaben (u. a. Aslak Bolts jordebok 1997, Ynglinga saga etter Kringla 2000). Mitglied des Herausgebergremiums von Henrik Ibsens skrifter sowie verantwortlicher Editionsphilologe der ersten Projektphase (1998–2001). Seit 2006 Redakteur von Maal og Minne. Johnny Kondrup (*1955), Dr. habil., Professor für nordische Literatur an der Universität Kopenhagen. Mitglied der Dänischen Sprach- und Literaturgesellschaft (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab) sowie der Norwegischen Akademie der Wissenschaften (Det Norske Videnskaps-Akademi). Herausgeber der Werke von Johannes Ewald, Meïr Goldschmidt, Henrich Steffens und Søren Kierkegaard. Mitherausgeber von Søren Kierkegaards Skrifter seit 1993. Mitglied des Leitungsgremiums der Henrik Ibsens skrifter 1998–2009. Autor
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Über die Autoren
des Handbuches zur Editionswissenschaft Editionsfilologi, 2011. Leiter des interdisziplinären Projekts Dansk Editionshistorie (Dänische Editionsgeschichte). Initiator des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen 1995. Hanne Lauvstad (*1965), Dr. art., Promotion zu Petter Dass über Helicons Bierge og Helgelands schiær: Nordlands Trompets tekst, repertoar og retorikk (2006). Mitarbeiterin bei der Ausgabe Henrik Ibsens skrifter (1998–1999). Derzeit wissenschaftliche Lexikografin beim Projekt Det Norske Akademis store ordbok (NAOB), Kunnskapsforlaget, Oslo. Verfasserin des Werkes Moderne sonetter. En studie av form og funksjon i skandinavisk sonettdiktning etter 1940 (1993) sowie zahlreicher Beiträge zu versgeschichtlichen, editionsphilologischen und lexikografischen Themen. Flemming Lundgreen-Nielsen (*1937), Dozent für dänische und nordische Literatur am Institut for Nordiske Studier og Sprogvidenskab, Universität Kopenhagen, 1965–2007. Dr. phil. 1980 mit einer Abhandlung über N. F. S. Grundtvigs Dichtung, Kritik und Poetik 1798–1819. Andere größere Arbeiten betreffen Grundtvigs Verhältnis zur dänischen Identität (1992) und dänische Volksliedherausgeber der Renaissance und des Barock (2002) sowie Textausgaben (u. a. C. C. Lyschanders Dichtung, 2 Bde., 1989). Herausgeber der Jahrbücher Danske Studier 1984–2005 und Grundtvig-Studier ab 1995. Mitglied der Gesellschaft für Dänische Sprache und Literatur 1977; Mitglied der Königlich Dänischen Akademie der Wissenschaften 1989, Herausgeber der Schriften der Akademie und Mitglied des Präsidiums 1997–2007. Mats Malm (*1964), Professor für Literaturwissenschaft an der Universität Göteborg und Vorstandsmitglied des Schwedischen Literaturvereins (Svenska Vitterhetssamfundet). Er hat sich mit der Herausgabe schwedischer Texte des 17. und 18. Jahrhunderts befasst und ist Leiter von Litteraturbanken, einem Internetportal zur Bereitstellung von Erstausgaben und wissenschaftlichen Ausgaben schwedischer Klassiker. Espen S. Ore (*1953) hat einen M. A. an der Universität Oslo erworben und hat gleichfalls dort und an der Universität Bergen Informatik studiert. Von 1984 bis 2001 war er am jetzigen AKSIS-Zentrum an der Universität Bergen, und sodann von 2001 bis 2009 an der Norwegischen Nationalbibliothek tätig. Sein derzeitiger Wirkungsort ist die Abteilung für digitale Dokumentation (EDD) an der Universität Oslo. Er ist an diversen Editions- und Textkodierungsprojekten beteiligt gewesen, u. a. Wittgenstein’s Electronic Nachlass und Henrik Ibsens Skrifter. Olav Solberg (*1942), Professor, Dr. phil. der Nordischen Literatur, Telemark-Hochschule. Publikation zahlreicher Beiträge und größerer Arbeiten zu literaturwissenschaftlichen und kulturellen Themen, u. a. Den omsnudde verda.
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Ein studie i dei norske skjemteballadane (1993), Tekst møter tekst. Kristin Lavransdatter og mellomalderen (1997) sowie Forteljingar om drap. Kriminalhistorier frå seinmellomalderen (2003). Johan Svedjedal (*1956) hat seit 1993 eine Professur für Literaturwissenschaft, insbesondere Literatursoziologie, am Literaturwissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala inne. Er ist Vorstandsmitglied des Schwedischen Literaturvereins (Svenska Vitterhetssamfundet), Hauptherausgeber der Gesammelten Werke C. J. L. Almqvists und gehört dem Leitungsgremium von Litteraturbanken an. Seine Forschung gilt der Geschichte des schwedischen Buchmarkts (mit besonderer Gewichtung der Geschichte seiner Verlage). Über Buchpublikationen zu diesen Gebieten hinaus hat er etliche Biografien und Aufsatzsammlungen veröffentlicht. Petra Söderlund (*1962), Dozentin der Literaturwissenschaft, insbesondere der Literatursoziologie, an der Universität Uppsala, und Hauptherausgeberin und gleichzeitig Vorstandsmitglied am Schwedischen Literaturverein (Svenska Vitterhetssamfundet). Sie promovierte zu Romantik och förnuft. V. F. Palmblads förlag 1810–1830 (2000) und hat für den Schwedischen Literaturverein im Rahmen der Gesammelten Werke C. J. L. Almqvists drei Bände herausgegeben. Seit 2008 ist sie Projektleiterin des Selma-Lagerlöf-Archivs und auch Mitglied der Planungsgruppe des Nordischen Netzwerks für Editionsphilologen. Jon Viklund (*1973), Dr. phil. der Literaturwissenschaft, Forscher und Lehrbeauftragter am Literaturwissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala. Er promovierte 2004 mit einer Dissertation zu C. J. L. Almqvist. Seine Forschungsgebiete umfassen Rhetorik der Literatur, moderne Lyrik und Editionswissenschaft. Bei der laufenden Herausgabe der Gesammelten Werke C. J. L. Almqvists ist er als Mitherausgeber eingestellt und hat hier zwei Bände besorgt. Lars Wollin (*1942), Professor emeritus der nordischen Philologie und schwedischen Sprache. Er war zuletzt an der Åbo Akademi Universität, Turku/Åbo, Finnland, tätig, zuvor an den Universitäten zu Uppsala, Göteborg und Lund. Seine Forschung erstreckt sich über weite Themengebiete: Theorie und Geschichte der schwedischen Übersetzung, schwedische und nordische Mittelalterphilologie, moderne schwedische Erzählprosa, Geschichte der Grammatik und der wissenschaftlichen Nordistik in Skandinavien, ältere schwedische Dialektbeschreibung. Besonders interessiert ihn die Interferenz des Lateinischen mit dem Schwedischen in unterschiedlichen historischen Epochen und Gattungen.